Über das Buch
Vita
Inhalt
Kapitel 1 BlackRock – der mächtigste Konzern, den keiner kennt
Mit Absicht unter dem Radar
BlackRocks Macht ist nur geliehen – es ist unser Geld
Kapitel 2 Gestatten, der neue Großeigner der Deutschland AG
Stiller Teilhaber am deutschen Alltag
Dick im deutschen Wohnungsmarkt …
… und auch bei Gewerbeimmobilien dabei
Der unsichtbare Über-Investor
Kapitel 3 Der Mann hinter dem Koloss – ein Loser der Wall Street
Larry Finks Blitzkarriere im Reich der Bonds
CMO – die Wunderpapiere aus der Büchse der Pandora
Finks schicksalhafter Fehler und Fall
Blackstone oder
Damit kam der Fels ins Rollen
Acht Freunde müsst ihr sein
Der entscheidende Auftrag von Neutronen-Jack
Wachsen, wachsen, wachsen
Kapitel 4 Die Finanzkrise oder auch
Planet der Affen
Der Schattenfinanzminister
Hinein in die Zirkel der Macht
Auf die grüne Insel
Formeln nach Athen tragen
Operation Solar
Zypern
Auf dem Zauberberg
Der Türöffner
Der Ritterschlag der EZB
Symbiose mit den Notenbankern
Kapitel 5 Schattenbanken
Der Ketzer
Was wirklich geschah
Ein Run on the Bank der neuen Art
Mutter aller Schattenbanken
Der größte Dark Pool aller Zeiten
Wie akkurat sind Aktienkurse noch?
Kapitel 6 ETF
Schöne neue Derivatewelt
Der Prinz der iShares
Wetten auf ETFs – Das »Ein-Pferd-Rennen«
Die große Bond-Blase
BlackRock in allen Winkeln des Markts
Kapitel 7 Finanzkapitalismus 2.0
Ein Geldfürst für ein neues Zeitalter
Aufstand der Manager
Wie BlackRock der neue J. P. Morgan wurde
Shareholder Value
Keine bleibenden Werte
Kapitel 8 Wie BlackRock die Deutschland AG lenkt
Die deutsche Version des Industriekapitalismus geht zu Ende
Im Griff der kalifornischen Sondereinheit
Informationen in der Einbahnstraße
Finanzsurrealismus
Kapitel 9 Aladdin – der Dschinn in der Apfelplantage
Eins werden mit der Maschine
Cyborgs beherrschen die Märkte
Die Quants
Was ein Küchenmixer und Zinsprognosen gemeinsam haben
Wir Nutzer im Netz von Aladdin
Die Welt durch BlackRocks Brille
Kapitel 10 Machtwechsel an der Wall Street
Unsere Altersvorsorge
Monica Lewinsky
Deutschlands Riester-Renten-Experiment
Risiko? Was für ein Risiko?
Wie BlackRocks Supermom Washington gewann
Heimlicher unheimlicher Herrscher der Welt
Kapitel Epilog
Grafiken
Register
[Impressum]
Текст
                    
Heike Buchter Black Rock Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch Mächtig wie kein anderes Unternehmen, doch viel zu vielen unbekannt. Noch nie hat es ein Imperium wie BlackRock gegeben. Mehr als vier Billionen Dollar verwaltet der amerikanische Vermögensverwalter. Keine Bank, kein Fonds hat annähernd so viel Einfluss. BlackRock investiert, analysiert und berät Großinvestoren, Finanzministerien, Notenbanken. Längst hält die »Schattenbank«, die unterhalb des Radars nationaler und internationaler Bankenaufsichtsbehörden agiert, relevante Anteile der wichtigsten Unternehmen wie Allianz, BASF, Adidas oder der Deutschen Bank. Gründer und Chef von BlackRock, Larry Fink, spinnt unsichtbare Fäden in der globalen Wirtschaft, aber auch hier, direkt vor unserer Haustür. Eine falsche Bewegung, und die Finanzwelt könnte ins Wanken geraten. Es ist höchste Zeit, BlackRock ins Visier zu nehmen. Vita Heike Buchter berichtet seit 2001 von der Wall Street. Heute ist sie New Yorker Korrespondentin für Die Zeit. Sie war die Erste, die ihrer Redaktion Anfang 2007 die Finanzkrise vorhersagte. Und sie ist die Erste, die BlackRock konsequent ins Licht der Öffentlichkeit rückt.
Für Max und Jens Vielen Dank an Ina Lockhart für ihre Mitarbeit
Inhalt Kapitel 1 BlackRock – der mächtigste Konzern, den keiner kennt Mit Absicht unter dem Radar BlackRocks Macht ist nur geliehen – es ist unser Geld Kapitel 2 Gestatten, der neue Großeigner der Deutschland AG Stiller Teilhaber am deutschen Alltag Dick im deutschen Wohnungsmarkt … … und auch bei Gewerbeimmobilien dabei: Sahnestückchen in Freising Der unsichtbare Über-Investor: Ein Gespenst geht um Kapitel 3 Der Mann hinter dem Koloss – ein Loser der Wall Street Larry Finks Blitzkarriere im Reich der Bonds CMO – die Wunderpapiere aus der Büchse der Pandora Finks schicksalhafter Fehler und Fall Blackstone oder: Der Anfang im Hinterzimmer Damit kam der Fels ins Rollen: BlackRock Acht Freunde müsst ihr sein: Das Gründungsteam Der entscheidende Auftrag von Neutronen-Jack
Wachsen, wachsen, wachsen Kapitel 4 Die Finanzkrise oder auch: BlackRocks größter Segen Planet der Affen: Fink als Überlebender Der Schattenfinanzminister Hinein in die Zirkel der Macht Auf die grüne Insel: BlackRocks Sprung nach Europa Formeln nach Athen tragen Operation Solar: brisante Rolle im Krisenherd Zypern: Fortsetzung der griechischen Tragödie Auf dem Zauberberg Der Türöffner Der Ritterschlag der EZB Symbiose mit den Notenbankern Kapitel 5 Schattenbanken: Die im Dunkeln sieht man nicht Der Ketzer: Hilfe, wir haben die Banken geschrumpft! Was wirklich geschah Ein Run on the Bank der neuen Art Mutter aller Schattenbanken Der größte Dark Pool aller Zeiten Wie akkurat sind Aktienkurse noch? Kapitel 6 ETF: Der Schwanz wackelt bald mit dem Hund Schöne neue Derivatewelt
Der Prinz der iShares Wetten auf ETFs – Das »Ein-Pferd-Rennen« Die große Bond-Blase BlackRock in allen Winkeln des Markts Kapitel 7 Finanzkapitalismus 2.0 Ein Geldfürst für ein neues Zeitalter Aufstand der Manager Wie BlackRock der neue J. P. Morgan wurde Shareholder Value: Die andere 68er-Revolution Keine bleibenden Werte Kapitel 8 Wie BlackRock die Deutschland AG lenkt Die deutsche Version des Industriekapitalismus geht zu Ende Im Griff der kalifornischen Sondereinheit Informationen in der Einbahnstraße Finanzsurrealismus: Kapitalismus ohne Kapitalisten Kapitel 9 Aladdin – der Dschinn in der Apfelplantage Eins werden mit der Maschine Cyborgs beherrschen die Märkte Die Quants: Glauben an den Markt und die Modelle Was ein Küchenmixer und Zinsprognosen gemeinsam haben Wir Nutzer im Netz von Aladdin
Die Welt durch BlackRocks Brille Kapitel 10 Machtwechsel an der Wall Street Unsere Altersvorsorge: Der Heilige Gral der Wall Street Monica Lewinsky: Retterin des Rentensystems Deutschlands Riester-Renten-Experiment Risiko? Was für ein Risiko? Wie BlackRocks Supermom Washington gewann Heimlicher unheimlicher Herrscher der Welt Kapitel Epilog: Aber Larry Fink ist noch nicht fertig Grafiken Register
Kapitel 1 BlackRock – der mächtigste Konzern, den keiner kennt Es ist ein Pflicht-Stopp auf der Liste von New-YorkTouristen: die Wall Street. Da ist der bereits heisere Reiseleiter, der mit einem Regenschirm fuchtelt und eine Gruppe Chinesen vor die neoklassizistische Fassade der New Yorker Leitbörse dirigiert. Dort sammeln sich kichernde Teenager aus dem Mittleren Westen Amerikas um ihren genervten Lehrer. Man hört spanisch, japanisch und deutsch. Ständig werden Handys und iPads gezückt, Selfies gepostet. Hier, so vermuten die Besucher, hier also ist das Zentrum unseres Finanzsystems, hier ist die mächtigste Institution des Kapitalismus. Sie irren. Die mächtigste Institution unseres Finanzsystems befindet sich sechs Kilometer weiter nördlich, fünf Stationen mit der grünen U-Bahn-Linie. Sie verbirgt sich in einem jener verglasten Bürotürme, wie sie längs der Straßenschluchten in New York zu Dutzenden in den Himmel ragen. Wer die Straße in Midtown Manhattan entlangeilt, muss genau hinsehen, um den Namen über den Drehtüren zu entdecken. BlackRock. Der mächtigste Konzern der Welt. Eine Institution, wie es sie nie zuvor gegeben hat. BlackRock ist ein Vermögensverwalter. Aber das ist so, als wenn man sagen würde, Versailles sei ein Sommerhaus oder die Pyramiden ein Haufen Grabsteine. Keine Großbank, kein Versicherer hat diese Reichweite. Goldman Sachs, die Deutsche Bank, die Allianz – sie alle verblassen
dagegen. Keine Regierung und keine Zentralbank hat diesen Einblick in die Wirtschaft. Aber vor allem: Niemand beherrscht so viel Kapital. BlackRock verwaltet 4,6 Billionen Dollar in seinen Fonds. Das übersteigt das deutsche Bruttoinlandsprodukt um fast eine Billion Dollar. 80 Millionen Deutsche müssen länger als ein Jahr lang arbeiten, um diese Summe zu erwirtschaften. Und das ist längst nicht alles. Über die Analyse- und Handelsplattformen des Unternehmens fließen über 14 Billionen Dollar. Eine Zahl mit 12 Nullen. 14 000 000 000 000 Dollar (siehe Grafik 1). Damit laufen inzwischen über 5 Prozent aller Finanzwerte weltweit – Aktien, Anleihen, Devisen, Kreditbriefe, Derivate und Zertifikate – über die Systeme eines einzigen Unternehmens: BlackRock. Von dem nichtssagenden Büroturm in Midtown Manhattan spinnt BlackRock seine Fäden über den ganzen Globus. Wie ein Krake hat der Finanzkonzern seine Tentakeln bis fast in den letzten Winkel der Welt ausgestreckt. In 100 Ländern sind die Amerikaner aktiv. Zu BlackRocks Netz gehören Büros in Bogota, in Brisbane, in Bratislava, außerdem Niederlassungen in München, Melbourne und Montreal, in Kapstadt, Kuala Lumpur und Kopenhagen. BlackRocks Vertreter gehen in Finanzministerien ein und aus. Sie beraten die Fed, die US-Notenbank, genauso wie die Europäische Zentralbank (EZB). Zu den Kunden zählen Kaliforniens Calpers, mit 300 Milliarden Dollar der größte amerikanische Pensionsfonds, genauso wie die Abu Dhabi Investment Authority, der Staatsfonds des glitzernden ÖlReichs von Dubai, und der Investmentarm von Singapur. BlackRocks Lobbyisten kneten die Regulierer in Washington, DC, und auch die in Brüssel. BlackRock ist Großaktionär bei JPMorgan Chase, Citigroup und Bank of America – den größten Banken der Welt. BlackRock ist zudem einer der führenden Aktionäre der Öl-Giganten ExxonMobil und Chevron. Und auch von Apple, McDonald’s
und dem Schweizer Nestlé-Konzern. Die New Yorker sind auch längst die größten Eigentümer der Deutschland AG. Sie halten Anteile an jedem Dax-Unternehmen. Sie sind an Deutschlands größtem Baukonzern Hochtief genauso beteiligt wie an dessen kleinerem Rivalen Bilfinger. BlackRock hält Anteile am europäischen Luft- und Raumfahrtriesen Airbus und an der Corrections Corporation, dem führenden Betreiber privater Gefängnisse der USA. Am Gentechnikgiganten Monsanto hält BlackRock genauso Anteile wie an den Rüstungsriesen Raytheon, Lockheed Martin und General Dynamics, die alle an der Ausstattung von US-Drohnen und den dazugehörigen Raketen beteiligt sind. (Stand: April 2015) Die New Yorker haben sich Immobilien von Köln bis München gesichert. Bei Kleinanlegern ist iShares, der Anbieter der beliebten ETF-Fonds, bekannt und beliebt – kaum einer weiß, dass auch iShares zum BlackRockImperium gehört. 2014 erreichte das in iShares angelegte Kapital über 1 Billion Dollar. »Wir waren die Nummer eins der Branche mit den meisten ETF-Zuflüssen in den USA, Europa und global«, verkündete BlackRock bei der Präsentation der Jahresbilanz. In 41 Ländern der Welt verwaltet BlackRock Privatkundengelder von jeweils mehr als 1 Milliarde Dollar. Auch im Devisen- und Rohstoffgeschäft dreht BlackRock mit am Rad. Wenn Bergleute in Brasilien Eisenerz abbauen oder Arbeiter in Malis Goldminen schuften, dann profitieren am Ende BlackRocks Fonds. Evy Hambro, Spross einer einst einflussreichen britischen Bankerfamilie, ist verantwortlich für 20 Milliarden Dollar, die in Fonds wie dem BlackRock World Mining Fund stecken. Wenn Hambro spricht, so berichtete einmal der Sydney Morning Herald, hören die CEOs und Aufsichtsräte der wichtigsten Rohstoffkonzerne der Welt nicht nur aufmerksam zu, sondern sie handeln auch. Hambros Fonds hält große Aktienpakete am australisch-britischen Minenbetreiber
BHP Billiton, dem Schweizer Konglomerat Glencore und dem Goldproduzenten Randgold Ressources sowie dem russischen MMC Norilsk Konzern, einem der größten Produzenten von Nickel und Palladium, und Freeport McMoRan, dem größten Kupferproduzenten der Welt. Das sind die Big Mining Companies und Rohstoffhersteller, die Riesen, die praktisch die gesamte Wirtschaft rund um den Globus mit Rohmaterial und Edelmetallen versorgen. »In einem Land, in dem große Minenbetreiber beschuldigt werden, die Regierung zu kontrollieren, ist es interessant zu sehen, welchen Einfluss Hambro ausübt«, heißt es in einem Porträt des BlackRock-Fondsmanagers im Sydney Morning Herald aus dem Jahr 2013. Und die australischen Zeitungsmacher fragen: Wer zieht die Fäden im Hintergrund? Es gibt keinen größeren Konflikt auf der Welt, bei dem nicht auch die Interessen der New Yorker betroffen sind. Etwa Russlands Übergriff auf die Ukraine im Jahr 2014: Da fanden sich BlackRocks Interessen plötzlich eigentümlich auf der Linie Wladimir Putins. Zwar kritisierte Larry Fink den starken Mann von Moskau öffentlich. So erklärte er in einem Interview mit der Londoner Sunday Times im März 2014, Putin könne nicht derart »herumspielen«, wenn er westliches Kapital haben wolle. Fink verwies dabei auf den Einbruch, den die Moskauer Börse erlitt, weil ausländische Investoren ihr Kapital abzogen. »Die Kapitalmärkte haben Russland vernichtet«, sagte er damals. Das konnte man als Drohung verstehen, dass auch BlackRock sich aus Putins Russland zurückziehen würde. BlackRock blieb jedoch trotz der Vorgänge in der Ukraine in dem Land weiter engagiert oder war es zumindest bis Anfang 2015. Laut einer Beschreibung für den BlackRock Emerging Europe Fund zählten zu dessen zehn größten Investments (zum 31. Januar 2015) unter anderem der führende russische Energiekonzern Gazprom sowie die Nummer zwei Lukoil
und die Nummer drei der Branche, der sibirische Öl- und Gasförderer Surgutneftegas, der enge Beziehungen zu Putin haben soll. (Im Mai 2015 findet sich Surgutneftegas dann nicht mehr unter den Top 10 des Fonds.) Auch auf der Liste der Top-Investments: Die Sberbank, die zu 50 Prozent der russischen Zentralbank gehört, und desweiteren – zumindest bis Anfang 2015 – war Luxoft, ein Ableger des Moskauer Software-Unternehmens IBS, im Portfolio. Der Fonds war bis zu dem Zeitpunkt mit über 40 Prozent seines Anlagekapitals in Russland engagiert. BlackRock gehörte auch zu den Investmentpartnern des staatlichen Russian Direct Investment Fund. Von BlackRock gab es zu der Frage, ob das Unternehmen weiter bei Russian Direct engagiert ist, keine Antwort. Fest steht: Es gibt kaum eine wichtige Transaktion in der Wirtschaft, bei der die New Yorker Herren des Geldes nicht zumindest informiert sind. Mit Absicht unter dem Radar Und doch kennen den Giganten nur sehr aufmerksame Leser der Finanzseiten. Larry Fink, Gründer und CEO von BlackRock, ist nur wenigen außerhalb der Wall Street ein Begriff. Trotz der ungeheuren Größe und des nie dagewesenen Einflusses haben es die New Yorker geschafft, weitgehend unter dem öffentlichen Radar zu bleiben. Das ist Absicht. Während die Investmentbank Goldman Sachs sich für 2,1 Milliarden Dollar vom Stararchitekten Henry Cobb einen Palast mit Blick auf den Hudson hinklotzen ließ und Bank of America in einem 55 Stockwerke hohen Turm mit allen Raffinessen moderner Technologie nahe dem Times Square in Manhattan residiert, hat BlackRock auf einen protzigen Repräsentationsbau verzichtet.
Wer das New Yorker Hauptquartier betritt, findet sich in einer Einkaufspassage wieder. Dezente Klaviermusik umfängt die Besucher. Es gibt einen Starbucks Coffeeshop und einen Zeitungsladen, der auch Lotterielose und Kaugummis verkauft. Der italienische Edelschneider Brioni – Anzüge von 3 000 bis 7 000 Dollar und aufwärts – hat ein Geschäft hier. Die Verkäuferin beim Schweizer Chocolatier nebenan schaut verwirrt. BlackRock? Die sind im zweiten Stock. Was das Unternehmen macht? Keine Ahnung, zuckt sie die Schultern. »Am besten googeln Sie es!«, rät sie. Hinweise auf BlackRocks Bedeutung finden sich auch im zweiten Stock nicht. Hinter einem langen grauen BetonTresen fertigen zwei Empfangsleute Anzugträger ab. Selbst die Schalterhalle der Post macht mehr her. (Im Mai 2015 befand sich die Lobby im Umbau – vielleicht war es Fink dann doch zu bescheiden.) Die Jungs von BlackRock haben es allerdings auch gar nicht nötig, durch protziges Imponiergehabe zu beeindrucken. Vor ihnen fürchtet sich die Wall Street. Denn Larry Fink und seine Jungs können darüber entscheiden, wer als Investmentbanker Karriere macht und wer sein weiteres Berufsleben als Erbsenzähler irgendwo in den Hinterzimmern der Finanzbranche fristen muss. Denn BlackRock ist nicht nur dank der Aktienanteile, die der Vermögensverwalter hält, Miteigentümer bei den großen Finanzinstituten, sondern auch der Kunde Nummer eins für die Banker. »Wenn BlackRock aus irgendeinem Grund keine Deals mehr mit Goldman Sachs machen wollte, dann wäre das ein Problem – für Goldman«, sagt ein Veteran der Wall Street, der wie so viele in der Branche nur redet, wenn sein Name nirgendwo auftaucht. Ein anderer Informant zieht plötzlich zurück. Er habe möglicherweise ein Angebot, bei BlackRock anzufangen. Deswegen wäre es ihm gar nicht recht, öffentlich über deren Geschäftsgebaren zu sprechen. Eigentlich will er gar nicht mehr über BlackRock sprechen. Auf die Frage, was denn der in Aussicht gestellte Job bei
BlackRock sei, sagt der gestandene Banker: »Egal, was Larry mir bietet, und wenn ich in der Cafeteria den Boden schrubben muss.« Bei Cocktail-Empfängen antworten Investmentbanker auf Fragen nach BlackRock mit vielsagenden Blicken und dem Spruch, da gäbe es viel zu erzählen, aber man wolle das lieber nicht nach draußen tragen. Was sie nicht sagen, aber wohl denken: Ich habe eine unbezahlte Vorstadtvilla, Kinder auf der Privatschule, eine teure Freundin und eine noch teurere Exfrau. Hunderte Millionen Dollar erhalten die Banken und Brokerhäuser von BlackRock jedes Jahr. Wer will es sich verscherzen mit so einem wichtigen Brötchengeber? BlackRocks Macht ist nur geliehen – es ist unser Geld Bei all seiner Macht ist BlackRock ein Emporkömmling. Die Geschichte von JPMorgan Chase, der größten amerikanischen Bank, reicht zurück auf Finanzlegende John Pierpont Morgan und bis ins Jahr 1895. Citigroups Vorläufer wurde 1812 gegründet und finanzierte später den Panamakanal. Die Bank of New York Mellon, eine der wichtigsten globalen Treuhänderbanken, kann sogar auf Gründervater Alexander Hamilton verweisen, den ersten Finanzminister der damals jungen Nation und Erfinder des amerikanischen Kapitalismus. Fink hat sein Imperium dagegen in etwas mehr als zwei Jahrzehnten zusammengezimmert. Ein Start-up, gegründet buchstäblich im Hinterzimmer der Private-Equity-Gesellschaft Blackstone. Von deren Gründern Stephen Schwarzman und Pete Peterson erhielt Larry Fink 1988 eine Kreditlinie von 5 Millionen Dollar und eine Telefonleitung – Kleingeld nach Street-Maßstäben. Aus der Klitsche entstand BlackRock.
Ein Erfolg, der Fink selbst bei den abgebrühtesten WallStreet-Bossen den Status eines absoluten Top-Dogs gibt. Er selbst sieht das offenbar genauso. Von der CNBCReporterin Becky Quick 2010 befragt, was sein schlimmster Fehlgriff gewesen sei, gab Fink zur Antwort, nach seinem Abgang bei First Boston »nicht das Selbstvertrauen gehabt zu haben, eine eigene Investmentfirma für Risikomanagement aufzumachen«. Stattdessen habe er sich an Schwarzman und Peterson gewandt. »Die glaubten mehr an mich als ich selbst. Sie trafen die richtige Investmententscheidung, ich nicht.« Genau, so witzelte die Wall-Street-Klatschwebseite Dealbreaker daraufhin, Schwarzman und Peterson trafen die richtige Entscheidung, weil sie das Genie von Fink erkannten. Fink selbst dagegen habe den »goldenen Gott nicht erkannt, der ihm im Spiegel entgegensah«. Und doch: BlackRocks Macht ist eine geliehene Macht: Sie speist sich aus unserem Geld, dem Geld von Kleinsparern, Pensionären, den Finanzabteilungen von Unternehmen, den Prämien von Versicherungsnehmern und den Beiträgen privater Rentenversicherter, aus den Spenden für wohltätige Zwecke und den Abgaben von Steuerzahlern. OPM – damit spielt die Wall Street am liebsten. Im Klartext: OPM oder Other People’s Money. Dieses Geld fließt in immer größere Pools. Nicht nur BlackRock profitiert davon. Innerhalb der nächsten fünf Jahre, so eine Studie der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers, werden Vermögensverwalter weltweit über 100 Billionen Dollar in ihren Konten angesammelt haben. Das ist 25-mal so viel wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt (3,8 Billionen Dollar 2014 laut IWF). Geld, das vor allem aus den USA und Europa kommen wird, aber zunehmend auch aus Asien, Afrika und dem Mittleren Osten. Larry Fink und seine Geldeinsammler wollen sicherstellen, dass das meiste davon in ihren Konzern fließt. Finks erklärtes ehrgeiziges Ziel: BlackRock
soll jedes Jahr um weitere 5 Prozent wachsen. Dabei ist sein Laden mit seinen 4 Billionen Dollar jetzt schon mit Abstand der Branchenprimus, die Allianz mit immerhin mehr als 2 Billionen Dollar praktisch eine abgeschlagene Nummer zwei. Es ist unser Geld, und doch wissen nur Eingeweihte, wohin es fließt, was es bewegt, wen es bezahlt. Die Wall Street, zynisch und abgebrüht wie die Jungs dort sind, unterscheidet »smart money« und »dumb money« – letzteres sind allzu oft die normalen Anleger. Es gibt einen Grund, warum sich die Bezeichnungen so eingebürgert haben. Wir geben unser Erspartes BlackRock und Co. gegen das Versprechen von Rendite und Sicherheit. Ohne wirklich nachzufragen, was damit geschieht. Abgeschreckt von einem Finanzsystem, das zu kompliziert und vielleicht auch zu langweilig erscheint, um sich als Normalbürger zu bemühen, die Vorgänge wirklich zu verstehen. Und bei den Machern besteht keine Veranlassung, uns zu informieren. Und so weiß kaum jemand, was genau mit den Geldströmen passiert. Noch brisanter ist, dass niemand weiß, welche Risiken ein solcher Berg an Kapital birgt. Weder Finanzexperten an den Universitäten noch Regulierungsbeamte in ihren Amtsstuben. Politiker schon gar nicht. Finks Argument lautet deswegen auch: Wenn man es nicht erkennen kann, dann gibt es eben auch kein Risiko. Doch in der Geschichte hat sich gezeigt: Die wirklich gefährlichen Risiken sind die, die man nicht absehen kann. Gefahren, die man sich nicht einmal vorstellen kann. »T. B. D.« im Jargon der Risikomanager, das steht für »There Be Dragons« – jenseits der normalen Wahrscheinlichkeiten lauern Drachen. Die Geschichte BlackRocks ist die Geschichte eines Machtwechsels an der Wall Street. Es ist die Geschichte eines brillanten Puzzle-Spielers. Es ist die Geschichte eines Mannes, den eine Demütigung dazu treibt, den größten Koloss der Finanzgeschichte zu bauen.
Es ist eine Geschichte, in der wir die unwissentlichen Mitspieler waren. Bis jetzt.
Kapitel 2 Gestatten, der neue Großeigner der Deutschland AG Das Landschloss im Hessischen teilt das Schicksal vieler alter Adelssitze, es ist heute, wie es so schön heißt, ein Hotel und Tagungszentrum. In den holzgetäfelten Galerien haben sich Gruppen von Anzugträgern zusammengefunden. Sie nippen an Espressos und »networken«, was das Zeug hält. Schilder weisen auf die Veranstaltungen des Tages hin. Es geht um Themen wie »Europa, mehr als die Summe seiner Teile« oder »Investieren im Niedrigzinsumfeld«. Im Publikum sind in der Mehrheit Vertreter von kleineren und mittleren Banken und Sparkassen, die aus ganz Deutschland angereist sind. Referate von Professoren sorgen für die nötige Gravitas. Für Fondsanbieter sind solche Veranstaltungen das, was Verbrauchermessen für die Verkäufer von Gemüsehobeln sind. Dort gilt es, Werbung zu machen für sich und seine Produkte. Der Vertreter von BlackRock ist Brite und er lässt wenig Zweifel daran, dass er sich in der Provinz wähnt. »Als Erstes werden Sie ja feststellen, dass ich englisch rede«, begrüßt er einen verdatterten Teilnehmer. »Es gibt keine sichere Rendite«, schärft der BlackRock-Vertreter seinen Zuhörern ein. Umso wichtiger, so lässt er durchblicken, dass man einen weltläufigen starken Partner hat. BlackRock sei ja bekanntermaßen der größte Vermögensverwalter. Der Mann aus London klärt die Runde über die Überlegenheit von »Multi-Asset-Managern« auf, Fondsmanagern, die nicht auf Aktien oder Anleihen festgelegt sind, sondern das Geld ihrer Anleger in
verschiedene Werte stecken – je nachdem, was ihnen attraktiv erscheint. Er selbst ist auch einer dieser Tausendsassas der Finanzwelt. Der BlackRock-Mann ist routiniert. Dass keine einzige Frage von den Banken- und Sparkassenvertretern kommt, scheint ihn nicht zu stören. Er hat eine klare Botschaft: Die Welt da draußen ist komplex, voller Risiken. BlackRock ist groß und effizient. Als er fertig ist, bedanken sich alle Teilnehmer artig. Später am Abend bei Grauburgunder und SeehechtHäppchen – man ist unter sich – macht einer der deutschen Anlageberater seinem Unmut Luft. BlackRock habe Deutschland ja quasi übernommen. »Schauen Sie, der Dax, der MDax – wenn BlackRock da mal aussteigt, dann pffft«, sagt er und zeichnet mit der Hand eine steile Abwärtskurve in die Luft. Wohin man schaue im Land, überall stecke mittlerweile BlackRock drin. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben Deutschlands wichtigste Unternehmen einen neuen Großeigentümer bekommen. Längst sind die DaxUnternehmen fest in ausländischer Hand. Der Anteil der ausländischen Investoren liegt inzwischen bei über 85 Prozent des Streubesitzes, wie der Deutsche InvestorRelations-Verband DIRK in einer Studie vom Sommer 2015 errechnete, gemeinsam mit Ipreo, einem auf Aktionärsinformationen spezialisierten Datendienstleister. Über ein Drittel des Streubesitzes halten dabei nordamerikanische Fonds. Deutschen Anlegern – privaten und institutionellen – gehören gerade noch 15 Prozent. An sich freue man sich über das Interesse der ausländischen Investoren an den deutschen Schwergewichten, versichert Norbert Kuhn vom Deutschen Aktieninstitut, dem Interessenverband kapitalmarktorientierter Unternehmen, aber er bedauert: »Der ganze Erfolg unserer DaxUnternehmen in den vergangenen Jahren ist weitgehend an den deutschen Anlegern vorbeigegangen.«
BlackRock ist der größte Investor im Dax, dem Aktienindex der 30 größten börsennotierten deutschen Unternehmen. Über verschiedene Fonds sind die New Yorker der genannten Studie zufolge mit knapp 57 Milliarden Dollar an den Dax-Unternehmen beteiligt. Damit ist BlackRock klar die Nummer eins. Stiller Teilhaber am deutschen Alltag Nehmen wir einen Tag bei der Familie Normalverbraucher. Am Frühstückstisch fragt sie ihn: »Magst du noch etwas Jacobs Kaffee?«, und weiß vermutlich nicht, dass die Traditionsmarke der Bremer Kaffeerösterei zu Mondelez International gehört. Mondelez war einst als Snack- und Genussmittelsparte Teil des US-Lebensmittelriesen Kraft Foods (auch bei Kraft ist BlackRock einer der Top-TenAktionäre, allerdings kündigte Kraft im März 2015 an, mit Ketchuphersteller Heinz fusionieren zu wollen). Zu den größten institutionellen Anlegern von Mondelez gehört BlackRock. Der Sohn nippt an seinem Nesquik, dem Schokotrunk von Nestlé. 3,7 Prozent betrug der Anteil der BlackRock-Fonds an dem Schweizer Konzern laut einer Meldung im Sommer 2014 und damit ist BlackRock der größte Einzelaktionär über der Meldegrenze von 3 Prozent. Die Rama Margarine, die sich der Vater aufs Brot schmiert, kommt aus dem Hause des niederländischen UnileverKonzerns, bei dem BlackRock 2013 laut einer Reutersmeldung 3,13 Prozent gekauft hat. Die Tochter streicht ihre mithilfe von Wellaflex frisch frisierten Haare aus dem Gesicht und unter dem Tisch kaut die Katze an Iam-Trockenfutter – beides Produkte von Procter & Gamble. Auch bei dem Konsumgütermulti ist BlackRock auf den vorderen Plätzen der Großaktionäre. Das Spielchen lässt sich beliebig fortsetzen: Nivea-Creme und TempoTaschentücher? Am Hersteller Beiersdorf hält Aktionär
BlackRock nicht ganz 3 Prozent. Der Boss-Anzug des Vaters? Laut einer Meldung aus dem Oktober 2014 ist BlackRock mit knapp über 3 Prozent an den schwäbischen Modemachern beteiligt. Der 3er-BMW, mit dem er zur Arbeit spurtet: 3,44 Prozent BlackRock-Beteiligung an den Bayern, so gemeldet im September 2014. Die rote Ampel, die ihn ausbremst, ist von Siemens, auch da steckt BlackRock mit knapp über 6 Prozent drin. Der Smart, den seine Frau fährt, stammt aus dem Hause Daimler, auch bei den Stuttgartern gehört BlackRock mit knapp unter 6 Prozent zu den großen Einzelaktionären. Die Fußballtreter des Sohnes von Adidas – BlackRock ist mit 5,2 Prozent an Bord bei den Herzogenaurachern. Sitzt der Sohn nach den Hausaufgaben (oder statt der Hausaufgaben) vor dem Fernseher und schaut die Simpsons oder Schlag den Raab auf ProSieben, dann ist, zumindest als Aktionär, BlackRock im Hintergrund dabei. Ob Medien, Chemie, Energie, Banken oder Versicherungen – es gibt nur wenige Branchen in Deutschland, in denen sich BlackRocks Netz der Beteiligungen nicht finden lässt. Mal laufen diese über Töchter wie die BlackRock Holdco 2, mit Sitz im amerikanischen Briefkastenfirmen-Paradies Wilmington im Bundesstaat Delaware, oder über die BR Jersey International Holding LP mit Sitz in St. Helier, auf der als Steueroase bekannten Kanalinsel Jersey. BlackRock wollte sich zu der Beteiligungsstruktur nicht äußern, aber solche Konstrukte, von ausgebufften Steueranwälten ersonnen, sind in der internationalen Finanzwelt gang und gäbe und keineswegs geheim. Sie gehören inzwischen so zur normalen Geschäftspraxis, dass BlackRocks Kunden geradezu entsetzt wären, wenn der Vermögensverwalter auf diese Schachtelei verzichten würde. Um die Eigentumsverhältnisse transparenter zu machen, schreibt die deutsche Finanzaufsicht Bafin vor, dass Großinvestoren, deren Anteil an den Stimmrechten gewisse Schwellen
überschreitet, dieses öffentlich melden müssen. Diese Pflichtmeldungen sind aber nur eine Momentaufnahme – unter Insidern ist es ein offenes Geheimnis, dass Investoren oft weit höhere Anteile halten. »Gemeldet wird zum Beispiel das Überschreiten der Fünf-Prozent-Schwelle, danach kann der Investor bis zu 10 Prozent noch weiter zukaufen«, berichtet ein Fachmann eines Dienstleisters, der solche Daten analysiert. Erst beim Überschreiten der Zehn-Prozent-Grenze muss der Investor dieses wieder an die Bafin melden. Allerdings geriet BlackRock mit der Bafin wegen der Pflichtmeldungen aneinander. Die Vorschriften sind sogar für Profis schwierig zu verstehen. Viele Investoren, auch namhafte, scheiterten am Stimmrechtsregime, räumt selbst ein Bafin-Mitarbeiter ein. Jedoch sei BlackRock in »quantitativer Hinsicht bisher ziemlich einzigartig«. Das erklärt sicher auch, warum der Prüfungsprozess der Behörde sich über ein Jahr hinzog und im Frühjahr 2015 mit einem Bußgeld in Höhe von 3,25 Millionen Euro endete – die »höchste bislang verhängte Geldbuße«, wie es in der Pressemitteilung der Bafin heißt. Im Herbst 2014 erklärte BlackRock öffentlich, in Abstimmung mit der Bafin, die Pflichtmeldungen bei 48 Unternehmen zu korrigieren. Aus diesen Meldungen ergibt sich ein Schnappschuss des BlackRock-Engagements in der deutschen Wirtschaft. Neben den bereits genannten Unternehmen sind da Beteiligungen an den Energieversorgern RWE und E.on, an der Lufthansa, der Deutschen Telekom, der Deutschen Post. An Bayer und BASF. Am niedersächsischen Reifenhersteller Continental. Am Waldorfer SoftwareRiesen SAP. An der Deutschen Bank, der Allianz und der Münchner Rück – dem verbliebenen Kern der deutschen Finanzindustrie. (BlackRock war trotz mehrfacher Anfragen nicht bereit, einen aktualisierten Stand seiner Beteiligungen an deutschen Unternehmen zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches zur Verfügung zu stellen.)
Auch im Nachbarland Schweiz ist BlackRock der Großaktionär Nummer eins. Neben Nestlé halten die New Yorker Anteile – meist sind es um die 3 Prozent – am Pharmariesen Novartis, am Winterthurer Industriekonzern Sulzer, dem Versicherer Swiss Life und den Großbanken UBS und Credit Suisse. BlackRock sei der »schwarze Fels« in der Brandung des Schweizer Aktienindex SMI, formuliert es blumig die Neue Zürcher Zeitung. Die Höhe der Anteile, die BlackRock jeweils hält, schwankt allerdings – das kann sich täglich ändern und tut es manchmal auch. Allein am 11. Februar 2015 etwa meldeten gleich drei Unternehmen – Siemens, Hugo Boss und Bayer – eine Änderung bei der Zahl der Stimmrechtsanteile von BlackRock. In dem Fall war es bei Siemens eine Überschreitung der Fünf-Prozent-Schwelle, bei Bayer eine Unterschreitung. (Quelle DGAP.de) Dahinter steckt in den seltensten Fällen eine Strategie. Denn BlackRock agiert als Mittelsmann – als Vermögensverwalter sammelt das Unternehmen Geld von Anlegern ein und legt es für sie an. Bei einem kleineren Teil entscheiden »aktive« Fondsmanager, in welche Aktien sie das ihnen anvertraute Geld stecken wollen. Doch der größte Teil der Anlagegelder bei BlackRock fließt in Fonds, die Aktienindizes nachbilden, wie etwa den Dax. Ein solcher »passiver« Dax-Fonds enthält dann gezwungenermaßen Aktien aller 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex. Es gibt in dem Fall keinen Fondsmanager, der sich für oder gegen eine Aktie entscheidet. Und wenn BlackRocks Kunden ihre Fondsanteile verkaufen, dann reduzieren sich auch die DaxAktien, die BlackRock hält. Umgekehrt steigt das BlackRock-Engagement, wenn die Anleger frisches Geld in die Indexfonds fließen lassen. Bei den meisten großen Aktienindexfonds, wie etwa dem Dax, bleiben die Anteile recht stabil. Aber beispielsweise im Jahr 2014 flossen rund 15 Milliarden Dollar aus BlackRock-Dax-Fonds ab.
Trotzdem blieb BlackRock als Gruppe auch 2014 größter Investor im Dax (siehe Grafik 2). Dass BlackRock die Zuflüsse nicht steuern kann, heißt jedoch nicht, dass BlackRock keinen Einfluss auf die Unternehmen hätte. Im Gegenteil. Gerade, weil BlackRock durch die Bindung an den Index gezwungen ist, Anteile am Unternehmen zu halten, gehören die New Yorker zu den langfristig engagierten Aktionären. Aktionäre, deren Interessen der Vorstand besser berücksichtigt und die er besser nicht gegen sich aufbringt. Auf den ersten Blick wirken Anteile von 3 oder 5 Prozent, die BlackRock typischerweise hält, nicht hoch. Was sind schon 61 365 875 Stimmrechte von 1 069 837 447 stimmberechtigten Aktien insgesamt? (Das war der von BlackRock gemeldete Anteil von 5,74 Prozent an Daimler an jenem Bafin-Vergleichsstichtag.) Eine ganze Menge, wenn der Großteil der anderen Aktionäre weit weniger Stimmen auf sich vereinigen kann. Erfinden wir ein Startup, das Gummi-Entchen herstellt. Das Eigentum ist in 20 Anteilscheine aufgeteilt. Sie gehören 17 Anteilseignern. 16 haben jeweils nur einen Anteil, die restlichen 4 gehören einem gewissen BR. Auch wenn BR mit 4 Anteilscheinen keineswegs die Mehrheit hat, ja nicht einmal ein Viertel, hat er doch mehr Scheine als jeder andere der restlichen Eigentümer. Angenommen BR möchte gerne, dass die Entchen schwarz gefärbt werden statt quietschgelb. Es steht zu vermuten, dass der Gummi-Entchen-Gründer zumindest über den Farbwechsel nachdenken wird. Dick im deutschen Wohnungsmarkt … BlackRock hat nicht nur in deutsche Aktien und Firmenanteile investiert. Zum Portfolio gehören auch Immobilien. Wenn man so will, ist BlackRock inzwischen, wenn auch indirekt, einer der größten Vermieter
Deutschlands. Der größte Teil der 24 Millionen Mietwohnungen, die das Statistische Bundesamt 2013 in Deutschland zählte, gehören nach wie vor kleineren und lokalen privaten Hausbesitzern. Das hat es lange für Großinvestoren schwierig gemacht, in deutsche Immobilien zu investieren – zu kleinteilig und aufwendig wäre das Engagement ausgefallen. Doch Anfang der 2000er Jahre begannen Kommunen, Länder und Konzerne ihre bis dahin gemeinnützigen Wohnungsbestände abzustoßen. Amerikanische und britische Private-Equity-Firmen, in Deutschland seit einer Bemerkung des damaligen SPDVorsitzenden Franz Müntefering besser als »Heuschrecken« bekannt, waren nur zu gerne bereit, diese im großen Stil aufzukaufen. Die Bestände aus der einstigen skandalverstrickten Gewerkschaftsgruppe Neue Heimat – später Baubecon – und die städtische GSW in Berlin wurden von der Beteiligungsgesellschaft Blackstone unter dem Dach der Deutsche Wohnen AG zusammengeführt. Die Deutsche Annington baute die Londoner »Heuschrecke« Terra Firma unter anderem aus ehemaligen EisenbahnerWohnungen und einstigen Werkswohnungen der Energieversorger E.on und RWE zusammen. Fortress, die Konkurrenz aus New York, bediente sich derweil bei den Beständen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der kommunalen Wohnbaugesellschaft Nileg in Hannover und der Woba in Dresden, die sie zur Gagfah zusammenführte. Ende 2014 fusionierten Gagfah und Deutsche Annington zu einem Koloss: 350 000 Wohnungen besitzt die neue Gesellschaft in über 600 Städten, mehr als eine Million Mieter leben unter ihren Dächern. Einen Vermieter dieser Größenordnung hat es in Deutschland nie gegeben. Doch das Konzept der privaten Wohnungskonzerne bekam schnell einen schlechten Ruf. Die neuen Eigentümer wie Fortress, Terra und die Beteiligungsgesellschaft Blackstone »pflegten die Bilanzen und ließen die Häuser
verkommen«, wie es die Wirtschaftswoche in einem Bericht bissig zusammenfasste. Nach dem Eigentümerwechsel stiegen die Beschwerden der Mieter an. 2012 übergaben Gagfah-Bewohner aus dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau eine lange Mängelliste, in der sie über undichte Fenster, Wände und Dächer, verrottete Treppenhäuser, kaputte Fahrstühle, marode Balkone und heruntergekommene Außenanlagen klagten. Keine Ausnahme offenbar. »Treppenhäuser vergammeln, Reparaturen werden verschlampt«, klagt ein Mieter aus einer einst für Postbeamte errichteten Anlage in der Frankfurter Siedlung Goldstein im Mai 2011 dem Reporter der Rhein-Main-Zeitung. Ein anderer Anwohner berichtet, die Heizung funktioniere nicht richtig und der Aufzug falle wochenlang aus. Die derben Flüche eines Imbiss-Besitzers auf die Annington seien nicht zitierfähig gewesen, schreibt der Zeitungsmann. Das Unternehmen wies die Kritik zurück. Mit einem Aufwand von 14 Euro je Quadratmeter Wohnfläche, die allein 2011 in die Instandsetzung investiert würden, liege man über dem deutschen Durchschnitt, heißt es in dem Artikel. In einem WDR-Bericht über eine Annington-Siedlung in Bonn geht es um Schimmelbefall, undurchsichtige Betriebskostenabrechnungen und Mieterhöhungen. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen erhob sogar den Vorwurf, dass gezielt Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern vernachlässigt würden – denn die Jobcenter würden zahlen, egal wie die Wohnung aussehe. Ein Vorgehen, das die Landesregierung als »Geschäftsmodell Hartz-IV« geißelte. Auf Nachfrage des WDR hieß es jedoch bei der Deutschen Annington, »das Unternehmen stehe für eine nachhaltige, langfristige Strategie, die die Pflege der Kunden und der Bestände in den Vordergrund rückt.« Seine Aufgabe sei es, »die Fehler der Vergangenheit Schritt für Schritt zu beseitigen«, erklärte Anningtons Vorstandschef Rolf Buch selbstkritisch
in einem Interview. Auch die Gagfah gelobte Besserung und kündigte Investitionen und Sanierungen an. Nicht ganz freiwillig vielleicht. Die »Miet-Hai AG« titelte der Stern eine Geschichte über die Annington und berief sich auf interne Dokumente aus dem November 2013, aus denen angeblich hervorgehe, dass das Unternehmen einen »reputationsrelevanten Instandhaltungsstau« mit 161 Millionen Euro angesetzt habe. So viel wäre nötig, um die rufschädigenden Fälle von Schimmel zu bekämpfen, Dächer zu flicken und Heizungsanlagen zu reparieren. Mit Sorge habe der Vorstand der Annington – so der Stern – den »Übergang von der lokalen zur überregionalen Berichterstattung« beobachtet. Im Klartext: Es gab für den Geschmack der Manager zu viele negative Schlagzeilen. In einer Stellungnahme gegenüber den Stern-Reportern erklärte das Unternehmen, der »Vorstand habe das Instandhaltungsbudget selbst und ohne Zustimmung des Aufsichtsrats erhöht«. Dass die Manager der Wohnbauriesen sich um ihren Ruf sorgen und öffentlich Besserung geloben, ist kein Zufall. Es hat sich nämlich etwas geändert: Die »Heuschrecken« haben Kasse gemacht und sind ausgestiegen. Terra Firma hat die Deutsche Annington 2013 an die Börse gebracht, die Beteiligungsgesellschaft Blackstone im gleichen Jahr die Deutsche Wohnen AG. Fortress holte sich den Einsatz schon viel früher an der Börse wieder: Die Gagfah war vor ihrer Übernahme durch die Annington bereits seit 2006 gelistet. Während die »Heuschrecken« sich verabschiedeten, stieg eine Handvoll internationaler Großinvestoren in die frisch gebackenen Börsengesellschaften ein. Neben dem kanadischen Lebensversicherer Sun Life Financial sind das der norwegische Pensionsfonds Norges Bank Investment Management, die US-Investmentgesellschaft The Capital Group und – last but not least – BlackRock. An der Deutschen Annington hielt BlackRock zum Stichtag der
Bafin-Korrekturmeldung 6,79 Prozent. An der Deutsche Wohnen waren es 7,29 Prozent und an der LEG, in der die Wohnungen aus der Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen privatisiert wurden, war BlackRock zu dem Zeitpunkt sogar mit 12,70 Prozent beteiligt. Die neuen Eigentümer sind nicht an schneller Abzocke interessiert. Für sie lohnt sich das Investment bloß, wenn Kurs und Dividende nachhaltig steigen. Das heißt keinesfalls, dass sie nicht auf die Rendite schauen. Die Fusionen in der Branche haben zu kräftigen Streichungen bei Personal und Organisation geführt. Die Deutsche Wohnen etwa übernahm Anfang 2014 die Berliner GSW, die zu diesem Zeitpunkt 60 000 Wohnungen in ihrem Portfolio hatte, in denen rund 120 000 Menschen wohnten. Nach der Übernahme baute der neue Eigentümer fast die Hälfte der 320 Arbeitsplätze ab. Die Übernahme zahle sich für den Wohnimmobilienkonzern aus, befand das Handelsblatt im Mai 2014. Der für Immobiliengesellschaften maßgebliche operative Gewinn aus der Vermietung hatte sich im ersten Geschäftsquartal auf 59,1 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Geholfen bei dem satten Gewinnsprung hatten unter anderem Mietsteigerungen von 4,2 Prozent. Für die Mieter ist diese Methode der Renditesteigerung sicher weniger erfreulich. … und auch bei Gewerbeimmobilien dabei: Sahnestückchen in Freising Die Stadt Freising war einst Herzogssitz, dann Gelehrtenhochburg und Bischofsstadt. Kaiser Otto III. verlieh ihr im Jahr 996 das Marktrecht. Es ist die »älteste Stadt zwischen Regensburg und Bozen«, wie die Webseite der 46 000-Einwohner-Stadt in Bayern versichert. Im Krieg wurde sie schwer beschädigt. Doch in den vergangenen
Jahren kämpfte die Stadt darum, ihren historischen Kern wiederzubeleben. Das offizielle Motto: »Die Innenstadt ist Herz und Seele einer Stadt. Planer, Politik und Bürger arbeiten Hand in Hand.« Doch die Städteplaner taten sich schwer beim Hand-in-Hand mit dem Eigentümer eines der großen Grundstücke im Zentrum. Einem »Sahnestückchen« in dem Areal, wie es in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung im Januar 2014 beschrieben wurde. Das Grundstück an der Angerbadergasse hatte einst Aldi Süd gehört. Der Discounter verkaufte es gemeinsam mit anderen Objekten an einen Investor. Anfang Januar 2014, so berichtete die Süddeutsche, stand das Gebäude leer. Die Stadt Freising hätte das Grundstück dem Discounter nun sehr gerne abgekauft – und glaubte auch ein Vorkaufsrecht zu genießen. Doch trotz mehrfacher Anläufe – zuletzt sogar vor Gericht – scheiterte Freising mit diesem Vorhaben. Das Gebäude ging in den Besitz des neuen Investors über: BlackRock. Der hüllte sich zu der Frage, was er mit dem Freisinger »Sahnestückchen« vorhabe, erst einmal in Schweigen. Bis heute ist nicht klar, was dort passiert. Mitte 2014 habe man die Anteile an der Eigentümergesellschaft verkauft, erklärt ein BlackRock-Sprecher auf Anfrage. Will heißen, mit dem Grundstück haben die New Yorker inzwischen nichts mehr zu tun. An der Angerbadergasse hat sich nichts getan. Das Gebäude ist verschlossen, immerhin können Freisings Bürger kostenlos den Parkplatz nutzen. Im »Kaufpark Bamlerstraße« bei Essen dagegen rückten Mitte 2014 die Bulldozer an. Sie rissen dort den Aldi ab. Das Einkaufszentrum, günstig an der A4 nach Bottrop gelegen, war in die Jahre gekommen. Der neue Besitzer hatte Pläne für einen kompletten Umbau. BlackRock hatte in diesem Fall die Bulldozer geschickt – der »Kaufpark Bamlerstraße« gehörte ebenfalls zum Immobilienportfolio des Riesen. Ob sich der »Kaufpark Bamlerstraße« noch im BlackRock-Portfolio befindet oder wieder abgestoßen
wurde – dazu wollte sich das Unternehmen auf Anfrage nicht äußern. Kein Zufall. BlackRock gehören an die 100 solcher Objekte überall in Deutschland. Verschafft haben sie sich die Amerikaner auf einen Schlag, durch die Übernahme eines Unternehmens namens MGPA im Jahr 2013. MGPA war bis dahin die Immobilientochter der australischen Investmentbank Macquarie gewesen. Interessant war MGPA für BlackRock, weil die Firma in den vergangenen Jahren zu den aktivsten Immobilienaufkäufern in Europa und Asien gehörte. Vor der Übernahme hatte die MGPA ein Portfolio von über 23 Milliarden Dollar zusammengekauft. So war auch Deutschland in den letzten Jahren zunehmend in ihrem Visier gelandet. 2010 gelang MGPA hier ein Coup: Sie übernahm Filialen, Grundstücke und ein Logistikzentrum von Aldi Süd – insgesamt rund 140 Objekte. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. 2012 legte die MGPA nach und erwarb drei Stadtteilzentren, ein Fachmarktzentrum, ein SB-Warenhaus und sechs Fachmärkte. Zu den Mietern gehörten das Who’s who des deutschen Lebensmittelhandels: Edeka, Rewe, Penny und Aldi. Nach der Transaktion zählte das MGPADeutschland-Portfolio 175 Immobilien mit einer vermietbaren Gesamtfläche von 340 000 Quadratmetern. Eines der Objekte war »Kaufpark Bamlerstraße«. Einige Monate später wurde MGPA selbst übernommen: BlackRock kaufte den Immobilienspezialisten für einen ungenannten Preis. Der unsichtbare Über-Investor: Ein Gespenst geht um Trotz all der Beteiligungen und Engagements, die BlackRock inzwischen in Deutschland hält, und den
Hunderten Millionen, die die New Yorker über ihre Fonds von großen wie kleinen Anlegern in deutschen Landen eingesammelt haben, ist es ihnen gelungen, weitgehend unter dem Radarschirm öffentlicher Aufmerksamkeit zu bleiben. Das Büro befindet sich zwar im repräsentativen Opernturm im Frankfurter Bankenviertel, aber wer Prunk in der BlackRock-Filiale erwartet, wird enttäuscht. Die halbe Etage im 23. Stock ist vor allem funktional. Antike Karten und Stiche von Städten rund um die Welt, die zu Dekorationszwecken dort hängen, stammen noch aus Beständen des Frankfurter Ablegers der Fondssparte der Investmentbank Merrill Lynch, die von BlackRock übernommen wurde – offenbar samt Inneneinrichtung, erzählt jedenfalls ein Mitarbeiter. Der Deutschlandchef Christian Staub war vorher beim Rivalen Pimco, einer Allianz-Tochter. Er war dort Schweiz-Chef. Staub wirkt wie ein Bilderbuch-Banker, sein Lebenslauf ist es auch: Harvard Business School, ein Master-Abschluss an der Elite-Uni St. Gallen. Dann Analyst und Händler bei der Schweizer UBS, Abstecher nach Hongkong und Singapur. Für Pimco war er auch in den USA. Staub war zu einem Treffen in Frankfurt bereit, in dem es vor allem um die Deutschlandstrategie und Geschäftsziele von BlackRock ging. Allerdings teilte BlackRocks Presseabteilung später per E-Mail mit: »Wir stimmen einer Veröffentlichung von Auszügen dieses Gespräches in direkter oder indirekter Form in Ihrem Buch nicht zu.« 60 Mitarbeiter hat BlackRock in Frankfurt, 60 weitere in München. In den vergangenen Jahren wurde vor allem der Vertrieb auf 20 Mann aufgestockt. Ihre Hauptaufgabe ist es, in Deutschland neue Großkunden zu finden, wie Pensionskassen und Versicherer. Mit der Betreuung der Beteiligungen an den deutschen Unternehmen haben Staub und sein Team nichts zu tun. Das macht alles die Londoner Niederlassung. Selbst Finanz-Insidern gibt BlackRock Rätsel auf. »Die wirken unscheinbar, unauffällig – obwohl
das gar nicht sein kann, denn schließlich sind sie überall und machen alles«, wundert sich der Deutschlandchef eines Konkurrenten. Wie unheimlich der Auftritt des Großinvestors auch den Journalisten ist, zeigen Schlagzeilen wie »Der Schattenmann, der die Welt regiert« (Focus) oder »Der schwarze Riese« (FAZ), »Die Besitzer der Welt« (Welt), »Die heimlichen Herren im Dax« (Handelsblatt) und »Machtwechsel« (Die Zeit). Die ARD warf BlackRock in einer Reportage mit dem Titel Geld regiert die Welt vor, unter anderem für die Aushöhlung des schwäbischen Traditionsunternehmens WMF verantwortlich zu sein (der Zusammenhang ist allerdings nicht ganz klar – BlackRock ist weder an WMF noch an deren aktuellen Besitzerin, der Heuschrecke KKR, beteiligt). Dem Journalisten und politischen Blogger Jens Berger fällt in seinem Buch Wem gehört Deutschland? zu dem Großinvestor Folgendes ein: »Im Superman-ComicUniversum ist BlackRock ein mystisches Artefakt, das Schurken die notwendigen Superkräfte gibt, um im epischen Kampf über die Macht die Guten zu besiegen.« Berger rätselt, ob Fink mit der Namenswahl eine Portion Humor bewiesen habe. (Nicht wirklich – es war eine einfache Ableitung aus dem Namen des damaligen Mutterkonzerns Blackstone, dazu später mehr.) Aber Berger ist sich offenbar sicher, dass BlackRocks »mystische Macht« in der realen Welt nicht der guten Sache dient. BlackRock sei eine »Spinne im Netz der Beteiligungen an den Dax-Unternehmen«. In der Welt der Blogger ist man sich sicher, dass BlackRock Teil einer Verschwörung ist. Im »Gelben Forum«, einer Internetplattform zu Wirtschaft und Börse, klagt ein Teilnehmer: »Man schaue sich Firmen wie Daimler oder Siemens an, in der Hand der Besatzer, BlackRock, CoL und Co, selbst mit 10 Mrd. Gewinn werden Stellen abgebaut, weil den Partyhengsten die Rendite immer noch nicht hoch genug ist.« Ein anderer Blogger
namens The Intelligence schreibt: »Ein Gespenst geht um im deutschen Aktienindex: BlackRock.« Wie der BlackRock-Vertreter in jenem hessischen Schloss erklärte: BlackRock ist groß und effizient. Aber genau das ist es, was den schwarzen Felsen unheimlich macht. Wer ist BlackRock wirklich – und was will das Unternehmen, das inzwischen der größte Einzelaktionär der Deutschland AG ist?
Kapitel 3 Der Mann hinter dem Koloss – ein Loser der Wall Street Selbst wer den Film nie gesehen hat: Das Bild von Gordon Gekko, mit seinen breiten Hosenträgern, Nadelstreifenhose und zurückgegelten Haaren, wie Michael Douglas ihn in dem Hollywoodreißer Wall Street so überzeugend gab, so stellt man sich einen Finanztycoon vor. Nichts an Fink passt dazu. Der einflussreichste Mann der modernen Finanzwelt sieht auf den ersten Blick aus wie sein eigener Buchhalter. Er hat, was man bei Männern gerne verschämt »hohe Stirn« nennt, graue Schläfen, randlose Brille. In Interviews vor laufenden Kameras pflegt er das Gehabe eines »Elder Statesman«, ein Mann, der kraft seiner Erfahrung und seines Wissens gelassen über den Dingen der Welt steht. Er verströmt die Gravitas, die man von einem Chef von 12 200 Angestellten weltweit erwartet, einem CEO, der einem Konzern mit einem Börsenwert von 60 Milliarden Dollar vorsteht. Bescheiden erklärte er »Ich bin noch ein Schüler«, als er 2012 zum Thema »Führung im 21. Jahrhundert« vom Beratungsunternehmens McKinsey nach seinem Führungsstil befragt wurde – nur um seinem Gesprächspartner daraufhin eine ausführliche Vorlesung über Globalisierung, Managementmotivation und die politische Führungsschwäche weltweit zu halten. Der Zugang der Presse zu Fink ist streng kalkuliert. In früheren Jahren gab er nur sehr selten Interviews. Heute ist er häufiger zu sehen, doch in seinen Botschaften hält er sich streng an das Skript vom wohlwollenden Sachverwalter
seiner Kunden und praktisch aller Anleger. »Das ist ein Laden, der fast schon paranoid ist, wenn es um das geht, was nach draußen dringt«, sagt eine PR-Frau, die mit Finks Team zusammengearbeitet hat. Kein Wunder, dass Journalisten begeistert reagieren, wenn sie den großen Kahuna in seinem eigenen Revier interviewen dürfen. Carol Loomis – Finanzjournalistin und die Ghostwriterin von Investorenlegende Warren Buffett – durfte Fink bei der Arbeit über die Schulter schauen. Und beschreibt in ihrer Titelgeschichte für das Wirtschaftsmagazin Fortune die Tagesroutine Finks, wie in absolutistischen Zeiten der Hofchronist das Lever du Roi beschrieben hätte. Finks Tag beginnt, so erfahren wir da, um 5:15 Uhr früh in seinem Apartment an der noblen Upper East Side Manhattans, um 5:45 holt ihn eine Limousine ab und setzt ihn wenige Minuten später an BlackRocks Haupthaus ab. Mit dabei hat er demnach drei Zeitungen – die New York Times, die Financial Times und das Wall Street Journal. Dann denkt Fink angeblich erst einmal eine Stunde lang nach. Oder er ruft einen seiner Manager per Videoschalte an. Der sollte dann besser in seinem Büro sitzen. Zum Frühstück gibt es Cerealien mit Blaubeeren und Banane. Und zwischen all seinen Terminen findet er, laut Loomis, immer noch einen Moment, seine Frau Lori anzurufen, mit der er mehr als 40 Jahre verheiratet ist. (Er lernte sie schon als 17-Jähriger kennen.) Um 18:30 Uhr verlässt Fink das Büro und geht entweder nach Hause oder zu einem Abendtermin. Um 22:30 Uhr macht er das Licht aus. Loomis Artikel platzierte die Presseabteilung an prominenter Stelle auf der Webseite. Jedem Leser wird hier klar gemacht, dass Fink sich für BlackRock und damit im weiteren Sinne für die Kunden abrackert. Bei jeder Gelegenheit erwähnt Fink, dass er um seine hohe gesellschaftliche Verantwortung weiß. »Unsere Kunden sind Feuerwehrleute und Lehrer«, bemerkt er gerne und meint damit, dass BlackRock Pensionskassen für
öffentliche Angestellte verwaltet. Das verhinderte allerdings nicht, dass BlackRock ein Konsortium seiner besten Kunden in einen Deal hineinzog, der zu den größten Immobilienpleiten der jüngeren Geschichte führte. (Dazu später mehr.) Es ging um die New Yorker Wohnanlage Peter Stuyvesant, die BlackRock und das Konsortium für über 5 Milliarden Dollar 2006 erwarben – auf der Höhe der Immobilienblase. Anfang 2010 platzte das Ganze – BlackRock zog sich zurück. Zu den Kunden, denen BlackRock zur Teilnahme geraten hatte, gehörte auch Calpers, der größte öffentliche Pensionsfonds der USA. Die Pensionskasse ist für die Altersvorsorge von 1,6 Millionen öffentlicher Bediensteter in Kalifornien verantwortlich. Calpers war zu dem Zeitpunkt schon arg gebeutelt durch die Krise und verlor durch die Stuyvesant-Pleite noch einmal 500 Millionen Dollar. Es nage immer noch an ihm, dass »wir unsere Kunden enttäuscht haben«, sagte Fink der BusinessWeek im Dezember 2010. Das Image des Dieners einer höheren Sache fördert die PR-Garde gerne. Da sitzt der BlackRock-CEO etwa bei Charlie Rose und spricht gesetzt und ein wenig eintönig über Indonesiens Erholung, Sozialversicherungen, Aktienmärkte und demografischen Wandel. Der Moderator hat Fink vorgestellt, als »Rad und Nabe« des amerikanischen Kapitalismus. Für Fink ist der Auftritt eine weitere Bestätigung, dass er es geschafft hat. Denn in das karge kulissenlose TV-Studio von Rose wird nur eingeladen, wer zu den Movers and Shakers gehört, den Entscheidern und Bewegern in Washington und New York. Wer nicht weiß, wen er vor sich hat, könnte Fink allerdings für einen der vielen Talking Heads halten, jene »Experten«, die ständig im TV auftauchen. Keiner allerdings, bei dem der normale Zuschauer beim Durchzappen des Abendprogramms hängenbleibt. Doch wer in seiner Nähe ist, spürt etwas anderes – eine kaum verborgene Unruhe, eine im Innern gespannte Feder. Sein
Gegenüber behält Fink genau im Auge. Auf eine kritischere Reporternachfrage bei einer Konferenz fährt er herum und widerspricht in einer Art, die klarmacht, dass er gewohnt ist, das letzte Wort zu haben. Im persönlichen Umgang sei er »intensiv« und »direkt«, so umschreiben es Insider gerne. »Larry ist und bleibt Trader«, sagt Larry Doyle, der als junger Händler bei Fink angefangen hat, damals in den 1980er Jahren. Trader – Händler – halten ständig und überall Ausschau nach möglichen Gewinnchancen und Verlustrisiken. Das geht ihnen in Fleisch und Blut über. »Keine Erfahrung prägt einen so stark, wie wenn man mal ein paar Millionen verliert«, sagt Doyle. Erfolgreiche Trader – mit dem deutschen Wort Händler wird die Tätigkeit nur unzureichend übersetzt – sind fasziniert von Zahlen, vor allem, wenn diesen ein Dollarzeichen folgt. Sie drücken aufs Tempo und sind ungeduldig: Wer zu lange auf einer Position sitzt, bewegt kein Geld und wer kein Geld bewegt, verdient keins. Im schlimmsten Fall verliert man welches, weil sich der Markt gegen einen dreht. Der Markt: Trader sprechen vom Markt mit der gleichen Achtung wie Seeleute von der See. Ähnlich wie eine Naturkraft kann der Markt sich gegen die wenden, deren Lebensgrundlage er bildet. Und wie Seefahrer Wind, Wellen und Wolken, so beobachten Trader das Auf und Ab der Kurse, Zinsen und Ordereingänge. Wer Tradern zuhört, fühlt sich als Außenstehender in all seinen Vorurteilen gegen die Zocker bestätigt. Als nach der Lehman-Pleite die Kritik an der Wall Street mal wieder ein Forte erreichte, machte ein E-MailBrief in der Branche die Runde. Der Autor fasste seine Verteidigungsrede folgendermaßen zusammen. »Es ist unser Job, Geld zu machen. Egal ob Rohstoffe, Aktien, Anleihen oder irgendein hypothetisches, erfundenes Papier. Wenn man mit Baseball-Spielkarten Profit machen könnte,
dann würden wir sogar damit handeln.« Die Profite seien gerechtfertigt: »We eat what we kill.« Robert Shiller, Wirtschaftsnobelpreiträger 2013, der vor der Dotcom-Blase gewarnt und die Immobilienblase richtig vorhergesagt hatte, hat sich mit der Rolle der Finanzen und ihrem Nutzen für die Gesellschaft beschäftigt. Dabei kommt er zwar zu dem Schluss, dass ohne die Finanzindustrie unsere moderne Volkswirtschaft nicht möglich sei. Doch die Finanzbranche biete einer Gruppe Unterschlupf, die sich sonst mit der Integration schwertue. 3 Prozent der Bevölkerung haben soziopathische Züge, meint der Ökonom. »Da ist es doch besser, wir setzen sie an einer Stelle ein, an der sie unserer Gesellschaft nützlich sein können.« Nicht jeder ist imstande, Entscheidungen zu treffen, die Millionen kosten können – und das noch innerhalb von Minuten, wenn nicht gar Sekunden. Oder Risiken abzuwägen, ohne dabei moralische oder emotionale Faktoren zu berücksichtigen. Einmal ein Trader, immer ein Trader, heißt es an der Street. Solche Aussagen hört Fink gar nicht gern. Er tut sein Möglichstes, sich von den seit der Finanzkrise verpönten Wall-Streetern zu distanzieren. »Wir sind nicht Wall Street«, beschied er einem Bloomberg-Reporter in einem Interview 2013. Es sei ihm eigentlich nicht einmal recht, die Zentrale in New York zu haben. BlackRocks Geschäftsmodell sei zu 100 Prozent anders als das der Wall Street. »Wir sitzen in New York und so werden wir in einen Topf geworfen, obwohl wir da nicht reingehören.« Nicht nur gegenüber Journalisten insistiert Fink, er habe mit der Wall Street absolut nichts zu tun. Für das Geschäft von BlackRock ist das Image eines unabhängigen Außenseiters wichtig. Viele der Investoren – Pensionskassen, Investmentfonds, Stiftungen –, für die BlackRock die Milliarden verwaltet, sind misstrauisch gegenüber Wall-
Street-Firmen. Zu oft fühlen sie sich von den Bankern über den Tisch gezogen. Da ist es von enormer Wichtigkeit für Fink, seinen Laden möglichst von den üblichen Verdächtigen zu distanzieren. Was aber womöglich noch entscheidender ist: Regulierer sollen BlackRock unter keinen Umständen mit den Banken und Broker-Häusern, ja nicht einmal mit Versicherungen verwechseln. Denn bisher ist es Fink gelungen, sein Imperium nahezu unberührt zwischen den Hunderten von neuen Regeln und Vorschriften durchzulavieren, die von Gesetzgebern und Aufsehern seit dem Debakel 2008 erlassen wurden. Larry Finks Blitzkarriere im Reich der Bonds Eine Karriere an der Wall Street war für Laurence D. Fink alles andere als vorgezeichnet. Anders als die meisten WallStreeter, ist Fink ein Westküsten-Typ. Er wuchs in Van Nuys auf, einem Vorort von Los Angeles. Seine Mutter war Lehrerin am örtlichen College, sein Vater besaß einen Schuhladen. Larry, wie ihn heute so gut wie jeder nennt, studierte zunächst Politikwissenschaften an der University of California. Dann machte er seinen MBA-Abschluss an der Anderson School of Managment, die ebenfalls zur University of California gehört. Sein Spezialfach: Immobilienfinanzen. 1976, gerade mal 23 Jahre alt, mit dem Diplom in der Tasche, machte sich Fink auf den Weg nach New York, an die Wall Street. Das war keine so ungewöhnliche Job-Wahl. »Nur Hollywood war damals noch ein heißeres Ticket als die Wall Street«, erinnert sich ein Veteran der Branche. Seine Herkunft machte Fink dort allerdings zum Außenseiter. Die meisten Rekruten für die Topbanken kommen bis heute von den Elite-Universitäten der Ostküste – Harvard, Yale, Princeton. Er sei bloß ein Kid aus L. A. gewesen, das mit »Türkisschmuck und langen Haaren ankam«, erzählte Fink selbst einmal Reportern. Ein
ehemaliger Kollege muss immer noch schmunzeln, wenn er an Finks Marotte denkt, nach den morgendlichen Teambesprechungen allen noch einmal zuzurufen: »Noch eine Sache: Habt Spaß!« Doch die Ostküstenbanker waren von dem Intellekt des Kaliforniers beeindruckt. Fink war schon während des Studiums als heller Kopf aufgefallen. Er nahm ein Angebot der Investmentbank First Boston an. Dort setzte man ihn in die Bond-Abteilung. Anders als heute, wo die Reihen in den Handelsabteilungen ausgedünnt sind und nur noch Grauhaarige die Papiere hinund herschieben, war Bond Trading – der Handel mit Anleihen – in den 1980er Jahren das Zentrum des Geschehens. Die Trader saßen in den turnhallengroßen Handelssälen, vor Reihen von Monitoren, in der Kakofonie Hunderter Telefongespräche. Kaum jemand war älter als Mitte 30. »Masters of the Universe« dafür hielten sie sich. Ihre Arroganz und Exzesse hat Tom Wolf in seinem Roman Fegefeuer der Eitelkeiten verewigt. Die 1980er Jahre waren auch die glorreichen Jahre für First Boston, die Bank spielte mit in der Oberliga der Investmentbanken. Schärfster Konkurrent war Salomon Brothers. Wer in seinem Lebenslauf heute eine Zeit als Händler bei Salomon Brothers verzeichnen kann, hat eine Art Prädikat vorzuweisen, das Wall-Street-Insider garantiert beeindruckt. Die Trader von Salomon waren gleichzeitig berühmt und berüchtigt für ihre Gnadenlosigkeit und dafür, immer hart am Wind zu segeln. Salomon baute den Handel mit Hypotheken zu einem lukrativen Geschäft aus. Der führende Kopf dahinter war Lew Ranieri, dem Michael Lewis in seinem Buch Liars’ Poker ein Denkmal gesetzt hat. Fink wurde zu Ranieris wichtigstem Gegenspieler. Er schaffte es nicht nur, gegen Salomon aufzuholen – dank seiner Abteilung dominierte First Boston Mitte der 1980er Jahre den Hypothekenhandel. Finks Findigkeit bescherte seinem Arbeitgeber geradezu märchenhafte Gewinne – bis zu 1
Milliarde Dollar soll er mit seiner Abteilung für die Bank eingespielt haben. Seine Karriere hob ab, mit knapp 30 Jahren wurde er zum jüngsten Managing Director der Bank berufen – und sogar Mitglied im Führungskomitee. Die Aussichten standen gut, in absehbarer Zeit ganz in die erste Reihe vorzustoßen. Doch Larry Fink war nicht nur einer von Wall Streets jungen Wilden in den 1980er Jahren. Fink war mehr: Er war einer der Pioniere bei der Erfindung der strukturierten Hypothekenpapiere. Jene Papiere, die den Untergang von Lehman Brothers und letztlich die große Rezession mit auslösten. CMO – die Wunderpapiere aus der Büchse der Pandora Bevor Hypothekenpapiere zum Zentrum der vernichtendsten Spekulationsblase seit der Tulpenraserei im 17. Jahrhundert wurden, galten sie als eine der cleversten Innovationen des modernen Finanzgeschäfts. Und Larry Fink gehörte Anfang der 1980er mit zu den Erfindern. Um die Pionierleistung zu würdigen, muss man auf die Zeit zuvor zurückschauen. Anders als in Deutschland, wo Hypotheken – also Kredite, die mit Immobilien abgesichert sind – schon seit Zeiten des Alten Fritz als Pfandbriefe an Anleger weitergereicht werden, gab es auf dem amerikanischen Markt lange nichts Vergleichbares. Das Geschäft sah typischerweise so aus: Joe Sixpack, ein amerikanischer Normalverbraucher, kauft sich ein Haus. Er bekommt einen Kredit von der Lake Woebegun Savings & Loan, der lokalen Bank. Die Bank verbucht den Kredit, Joe Sixpack stottert Zins und Tilgung über 15 oder 30 Jahre ab. Ende. Das Geld für MöchtegernHauskäufer war begrenzt durch die Finanzkraft der Bank
am Ort. Der Engpass spitzte sich zu, als Ende der 1980er während einer großen Kreditklemme, der Savings & LoanKrise, regionale und lokale Institute zu Hunderten dichtmachten. Grund dafür waren Zinsspekulationen und schlichter Bilanzbetrug – die S&L-Krise hätte als warnendes Beispiel dienen können, aber das Gedächtnis der Welt und speziell der Wall Street ist notorisch kurz. So standen auf der einen Seite kredithungrige Immobilienkäufer und auf der anderen Seite große Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen, die auf der Suche nach sicheren und rentablen Anlagen waren. Das rief förmlich nach einer Wall-Street-Lösung. Wie wäre es, fragten dort die Finanzbastler, wenn wir die Hypotheken bündeln und dann Zertifikate auf dieses Bündel ausstellen, die Investoren das Recht auf einen Teil der Zinszahlung aus den Krediten einräumen. Damit wandert der Kredit aus der Bilanz der lokalen Bank Lake Woebegun Savings & Loan in einen Pool, der gemeinschaftlich Investoren gehört. Damit ließ sich der Hauskredit in ein Hypothekenwertpapier verwandeln, mit dem weit einfacher zu handeln und zu investieren war. Doch das allein reichte nicht, den Investoren Hypotheken schmackhaft zu machen. Für sie hatten Hypotheken nämlich einen gewaltigen Nachteil: Wenn Joe Sixpack sein Haus wieder verkaufte oder eine Umschuldung vornahm – etwa um einen Kredit mit einem niedrigeren Zinssatz zu bekommen – konnte er seinen Kredit vor der Zeit ablösen. Das aber brachte die Kalkulation der Investoren durcheinander. Statt wie berechnet zehn Jahre lang regelmäßig Zinsen zu bekommen, wurde das Darlehen über Nacht zurückgezahlt – damit fielen die künftigen Zinszahlungen an die Investoren aus und es entstand ein unschönes Loch in ihrer Renditekalkulation. Es war das bei Investoren gefürchtete, weil schwer kalkulierbare Risiko der vorzeitigen Rückzahlung. Das bereitet Pensionskassen
und Versicherern, die auf stetige Zuflüsse angewiesen sind, erhebliche Kopfschmerzen. Fink und sein Rivale Lew Ranieri bei Salomon Brothers gelten als die Köpfe, die eine Lösung für dieses Problem fanden: Collateralized Mortgage Obligations, kurz CMOs. Dabei wird der Hypothekenpool in verschiedene Tranchen unterteilt. Zunächst gehen alle Tilgungen an die Investoren, die die erste Tranche halten. Wenn ein Hausbesitzer sein Darlehen frühzeitig zurückzahlt, dann trifft es die Investoren in dieser Tranche als Erstes. Sie tragen den größten Teil des Risikos der dadurch entstehenden Zinsausfälle. Erst wenn die Investoren der ersten Tranche ihren Anteil an der Darlehenssumme vollständig zurückbekommen haben, werden die der zweiten Tranche bedient und schließlich ganz am Schluss die Investoren der dritten Tranche. Diese letzte Tranche hat das geringste Risiko, Zinsausfälle wegen frühzeitiger Darlehensrückzahlungen zu erleiden. Die Unterteilung von Hypothekenpools lässt sich auch nach anderen Kriterien vornehmen – etwa nach Ausfallrisiko. Die sichersten Tranchen bestehen dabei aus Darlehen an Kreditnehmer mit bester Bonität, während die riskantesten Tranchen Kredite an Wackelkandidaten enthalten. Der Vorteil dieser Wackel-Tranche: Die Zinsraten für die Hausbesitzer mit schlechter Bonität sind höher. Die Unterteilung machte die Anlage in Hypotheken für Investoren plötzlich berechenbarer – sie konnten sich nach Bedarf Tranchen mit gewünschten Zinsraten und Risiko herauspicken. Versicherer und Pensionskassen liebten CMOs. Ausländische Investoren sahen einen Weg, sich auf diesem Wege ein Stück des US-Immobilienmarkts zu sichern. Die deutschen Landesbanken etwa gehörten zu den begeisterten Kunden, genauso wie Staatsfonds aus Asien und Europa. Strukturierte Hypothekenpapiere – Spielarten des CMO – wurden zum Bestseller. Innerhalb weniger Jahre spülten Großinvestoren Milliarden in den Markt. 1983
präsentierte Fink seinen ersten CMO-Pool dem staatlichen Hypothekenaufkäufer Freddie Mac. Anfang der 1990er Jahre lag das CMO-Volumen bereits bei 250 Milliarden Dollar. Alle großen US-Banken und viele ausländische Institute wie die Deutsche Bank stiegen mit ins Geschäft ein. Ehemalige Mobiltelefonverkäufer und Gebrauchtwagenhändler wurden quasi über Nacht zu Hypotheken-Dealern – und reich. »Als ich auf dem Parkplatz Ferraris und Porsches sah, wusste ich, wir haben ein Problem«, erinnert sich ein Banker, der lokale Kreditinstitute im Land besuchte. Aber niemand wollte die Gefahr sehen, zu gut war das Geld. Von einer beschaulichen Nische im US-Finanzmarkt schwoll das Hypothekengeschäft so an, dass es zur Hauptbeschäftigung des Finanzsektors wurde. 2007 war das goldene Jahr der Wall Street, nie zuvor hatten die Banker und Broker so viel Geld kassiert. Wie am Fließband wurden Hypotheken ausgereicht, in Pools gepackt, Zertifikate darauf ausgestellt und dann in alle Welt verteilt. Doch die immer größere Nachfrage nach Hypotheken hatte zur Folge, dass die Immobilienpreise in unhaltbare Höhen katapultiert wurden – und dass die Kreditnehmer immer wackeliger wurden. Zur endgültigen Implosion trugen viele Faktoren bei. Aber Tatsache ist: Ohne die CMOs wäre eine Hypothekensause dieser Art nie denkbar gewesen. Wie viele Ideen, die an sich sinnvoll sind und einem nachvollziehbaren Zweck dienen, sind auch die CMOs von den Wall-Street-Jungs so überreizt worden, dass sie sich ins Gegenteil verkehrten. Larry Fink steht jedenfalls weiter zu seinen CMOs. »Wir haben geholfen, die Kosten für Wohnungseigentum zu senken«, sagte er der Vanity Fair im April 2010. Es sei ein erhebendes Gefühl gewesen, damals nach Washington zu gehen und mit den öffentlich-rechtlichen Hypothekeninstituten Fannie Mae und Freddie Mac die neuen CMO-Instrumente vorzustellen. »Selbst in meinen 20ern wusste ich um die Dimension der Sache und wie
hilfreich sie sein würde.« Tatsache ist, dass die Hypothekeninstrumente quasi über Nacht Hunderte Milliarden Dollar für Hausbesitzer zur Verfügung stellten – und viele Amerikaner sich ihren Traum vom eigenen Heim erfüllen konnten, die bis dahin diese Möglichkeit nicht hatten. Tatsache ist aber auch, dass die Wall Street diese Gelegenheit nutzte, die Spielräume immer weiter auszureizen, um ihre Gewinne zu maximieren. Und dabei die positiven Effekte ins Gegenteil kehrte, indem Hunderttausende Amerikaner in der größten Immobilienkrise der modernen Finanzgeschichte ihr Heim verloren. Wahr ist außerdem: Für den CMO-Pionier Fink und BlackRock schuf das spätere Debakel des Hypothekenrauschs letztlich die Grundlage des Imperiums. Finks schicksalhafter Fehler und Fall Mit seinen Hypothekenpapieren hatte Fink sich in die PolePosition für den Aufstieg gebracht. »Wir haben den Markt dominiert, First Boston, das war der 800-Pfund-Gorilla in der Hypothekennische«, erinnert sich ein Kollege. Fink verdiente Geld für die Firma, er galt als brillanter Kopf in der Branche. Noch ein paar Runden und er könnte in die Zielgerade zur Chefetage einbiegen. Das California-Kid hatte es den East-Coast-Jungs gezeigt. Und dann, im zweiten Quartal 1986, kam die Katastrophe. Finks Abteilung verlor. Nicht nur ein bisschen, nicht nur der übliche schlechte Tag oder der Ausreißermonat oder ein besch…eidenes Quartal. Nein, Fink verlor 100 Millionen Dollar. »Heute wäre das ja kein großes Geld mehr, aber damals …«, sinniert Finks ehemaliger Junior-Trader Doyle. In der First-Boston-Chefetage schrillte der Alarm. Fink und seine Leute hatten Zinsbewegungen falsch vorhergesagt. Die US-Notenbank überraschte im März und April jenes
Jahres mit zwei Zinssenkungen in Folge. Angesichts der fallenden Zinsen war abzusehen, dass amerikanische Hausbesitzer ihre alten Hypotheken mit höheren Zinsen bald reihenweise durch neue Hypotheken mit niedrigeren Zinsen ablösen würden. Quasi über Nacht explodierte das gefürchtete Risiko der frühzeitigen Rückzahlung für die Hypothekenpapiere. Und Finks Abteilung saß auf einem Berg von Papieren, die nun niemand mehr haben wollte, die sich nur unter massiven Verlusten losschlagen ließen. Fast über Nacht wurde Fink vom Liebling der First-BostonBosse zum Unberührbaren. Er wurde nicht rausgeworfen, jedenfalls nicht direkt. Es gibt an der Wall Street bis heute subtilere Mittel und Wege, jemanden loszuwerden. Du bist plötzlich nicht mehr bei den richtigen Meetings, wichtige Informationen gehen an dir vorbei. Du bist auf der Do-notcall-Liste. Niemand will mehr mit dir gesehen werden, nicht mal im Aufzug. Deine einstigen Erfolge, die Profite, die du dem Haus beschert hast: vergessen. Du bist Gift. Noch schlimmer kam es für Larry. Als er schließlich aufgab und seinen »freiwilligen« Abschied einreichte, meldete das Wall Street Journal, ein Sprecher von First Boston habe erklärt, Fink hätte nicht die Möglichkeit gehabt in seiner aktuellen Position zu bleiben. Nicht einmal die Formel mit den »neuen interessanten Projekten«, die auf den Geschassten warteten, gönnten ihm seine Arbeitgeber. Sie traten nach. Die Wall-Street-JournalMeldung kam einer Grabsteininschrift gleich – einem Grabstein für das abrupte Ende einer vielversprechenden jungen Karriere. Aus Larry war Loser Larry geworden. Bis heute sitzt der Schlag tief. Als Reporter ihn 2010 – also mehr als 20 Jahre später – danach fragten, sei er sichtlich betroffen gewesen. Er habe sich so heftig an seinem Sessel festgehalten, dass die Knöchel weiß hervorgetreten seien, berichtete die High-Society-Postille Vanity Fair von einem Treffen mit Fink.
Immerhin könnte Larry Fink inzwischen Genugtuung empfinden. Denn First Boston ging nicht lange nach seinem forcierten Abschied unter. Schuld war eine Episode, die an der Wall Street als »das brennende Bett« in die Annalen einging. Das ging auf einen Film zurück, in dem Farrah Fawcett eine misshandelte Ehefrau spielt, die schließlich ihren Gatten im Bett anzündet. Der Filmtitel wurde an der Wall Street zum Spottnamen für First Bostons letzten großen Deal. Die Bank hatte – mitgerissen vom Aufkauffieber – die Übernahme des Matratzenherstellers Sealy durch eine Private-Equity-Gesellschaft, einen der Firmenjäger, vorfinanziert. Es ging um einen traumhaften Preis von 1,8 Milliarden Dollar. Der Kredit, den First Boston gegeben hatte, sollte durch die Ausgabe von Junk Bonds – Müllbonds – an Anleger zurückgezahlt werden. Junk Bonds heißen diese Unternehmensanleihen deshalb, weil sie höchst riskant sind. Und das zeigte sich bei der Sealy-Transaktion in aller Brutalität: Die Junk-Bond-Blase der 1980er platzte just zu diesem Zeitpunkt, die SealyAnleihen fanden keine Abnehmer und First Boston – eine Institution seit 1932 – hatte plötzlich ein Milliardenloch. Die Schweizer Banker der Credit Suisse, vorher schon Partner der Bank, sprangen ein und übernahmen den angeschlagenen Laden. Credit Suisse First Boston hieß, etwas ungelenk, die kombinierte Bank. Eine Weile. Als die Credit Suisse 2006 dann den Namen First Boston fallen ließ, war von Finks erstem Arbeitgeber an der Wall Street nicht einmal mehr der Name übrig. Blackstone oder: Der Anfang im Hinterzimmer Nach seinem spektakulären Absturz blieb Fink fast zwei Jahre auf dem Abstellgleis bei First Boston. Dann bekam er eine neue Chance. Im Februar 1988 meldete sich eine Firma namens Blackstone bei ihm. Dahinter verbarg sich
ein ungleiches Paar: Steve Schwarzman und Pete Peterson. Schwarzman war ein »Dealmaker«, ein Spezialist für Fusionen und Übernahmen, der es bei der Investmentbank Lehman Brothers schon in jungen Jahren zum Partner gebracht hatte – und entsprechend selbstbewusst auftrat. Bei Lehman hatte Schwarzman auch Peterson kennengelernt. Peterson war ein politischer Kopf, er war lange in Washington gewesen, bevor er an die Wall Street wechselte, zeitweilig war er Wirtschaftsminister in Nixons Kabinett. Aus seiner früheren Tätigkeit brachte Peterson ein »goldenes Adressbuch« mit. Als Lehman Brothers, die Bank, deren Untergang später die Welt beinahe mitriss, damals schon einmal der Pleite entgegenrutschte, taten Schwarzman und Peterson sich zusammen und starteten ihre eigene Beteiligungsgesellschaft. Sie sahen eine Chance in dem damals noch jungen Gebiet der Heuschrecken, pardon, Private Equity. Firmen, die darauf spezialisiert sind, mit günstiger Finanzierung – meist mit besagten Müllanleihen, also Junk Bonds – Unternehmen oder Unternehmensteile aufzukaufen. Die Unternehmen sollten dann umstrukturiert und vor allem umfinanziert und schließlich mit Gewinn weiterverkauft oder an die Börse gebracht werden. Peterson mit seinem goldenen Adressbuch hatte die Verbindungen, den Zugang zu den Chefetagen von Corporate America und zu den Verwaltungsräten der Pensionskassen, die in die neue Private-Equity-Gesellschaft investieren sollten. Schwarzman wusste, wie man den finanziellen Teil arrangiert, sodass genügend für die Gesellschafter hängenblieb. Auf den Namen für ihre junge Firma kamen die beiden Gründer angeblich über ihre eigenen Namen: Schwarzman lieferte das Schwarz, also Black. Und Peterson übersetzte seinen Namen frei aus dem Altgriechischen: Petros, der Stein. So wurde Blackstone aus der Taufe gehoben.
Schwarzman und Peterson wollten ihre Investmentfirma um weitere Geschäftszweige ergänzen, darunter etwa eine Fixed-Income-Abteilung, die in Anleihen und Rentenpapiere investieren würde. Fink, der von einem Kollegen empfohlen wurde, schien trotz des Blutbads, das ihn die Karriere gekostet hatte, der ideale Kandidat. Die Blackstone-Chefs akzeptierten Finks Erklärung, es habe an einem Computerfehler und schlechter Datenerfassung gelegen. So boten die beiden Fink ein Joint Venture namens Blackstone Financial Management (BFM) an. 50 Prozent des neuen Unternehmens gehörten Blackstone, 50 Prozent Larry Fink und seinem Team, das er mitgebracht hatte. Blackstone gab Fink 5 Millionen Dollar als Kreditlinie zum Start – ein Witz an der Wall Street – und Finks Team legte los. Zunächst hatten sie nicht einmal eigene Räume, sie waren Untermieter im Handelsraum der Investmentbank Bear Stearns. (Die Bank war 2008 das erste Opfer der großen Krise.) Doch Schwarzman und Fink waren alles andere als ideale Partner. Schwarzman war Investmentbanker. Er beäugte Trader mit Misstrauen. Verluste machten ihn nervös. Und Schwarzmans Ego ist bis heute legendär. Selbst an der Wall Street fiel er immer wieder durch seinen Hunger nach Geld und Status auf. »Es gibt mehr Gerüchte über seine Partys als über seine Deals«, spottete einmal die New York Times. Da hatte Schwarzman für seine Fete zum 60. Geburtstag die Park Avenue Armory gebucht, eine zur Veranstaltungshalle umgebaute Kaserne aus dem 19. Jahrhundert, an der noblen Upper East Side. Rod Stewart spielte ein Geburtstagsständchen und kassierte 1 Million Dollar dafür. Die Schlange der schwarzen Luxuslimousinen reichte um den Block, ihnen entstiegen die Chefs der großen Banken wie Jamie Dimon von JPMorgan Chase und Lloyd Blankfein von Goldman Sachs. Immobilien-Mogul Donald Trump, am Arm Melania, die junge Gemahlin Nummer drei. Auch Edward Egan, damals der Kardinal von
New York, gab sich die Ehre und Sir Howard Stringer, zu dem Zeitpunkt Aufsichtsratsvorsitzender von Sony. Die Armory hätte Schwarzman nur gebucht, so lautete der Spott, weil sie intimer gewesen sei als Schwarzmans 30Millionen-Dollar-Appartment ein paar Blocks davon entfernt. Das hatten sich Schwarzman und seine Frau wie eine Nachbildung ihres Sommer-Palais in St. Tropez einrichten lassen. Amüsiert wurde an der Street jene Geschichte aus dem Wall Street Journal herumgereicht, in der es um die Vorlieben und Abneigungen des King of Deals ging: Er lasse sich frische Stone Crabs für 400 Dollar pro Krebs einfliegen und seinen Butler habe er gescholten, weil die Kreppsohlen seiner Schuhe zu laut und störend geknarzt hätten, als Schwarzman sich am Pool seiner 1 000-Quadratmeter-Villa auf der Reicheninsel Palm Beach in Florida zu entspannen suchte. Zudem habe er nicht die vorschriftsmäßigen schwarzen Schuhe getragen. Weltweit in die Schlagzeilen kam Schwarzman später, als er Obama mit Hitler verglich. Grund war die Ankündigung des Präsidenten, er wolle die Steuern für Wohlhabende und vor allem für Hedgefonds- und Private-Equity-Manager erhöhen. (Schwarzman entschuldigte sich später für den Vergleich.) Fink und Schwarzman gerieten bald aneinander. 1992 hatte ihr Joint Venture 8 Milliarden Dollar an Anlegerkapital einsammeln können und warf 13 Millionen Dollar an Gewinn ab. Fink wollte weiter wachsen. Blackstone sollte dafür weitere Eigentumsanteile abgeben. Diese Anteile wollte Fink dann dazu nutzen, um mehr Talente zu BFM zu locken. Mit den Anteilen sollten neue Partner geködert werden. Doch Schwarzman sperrte sich. Damals habe sich Schwarzman in einem erbitterten Scheidungskrieg mit seiner Frau Ellen befunden, so berichten David Carey und John Morris, die eine Biografie über Schwarzman geschrieben haben. Das habe ihn nach
Ansicht von Kollegen unnachgiebig gegenüber Fink gemacht. Da wollte auch Fink die Scheidung. Er fand einen Investor, die PNC Bank in Pittsburgh, die 240 Millionen Dollar bot. Und dann verlangte Fink, Blackstone solle die Anteile aus dem Joint Venture an die Bank verkaufen. Schließlich gab Schwarzman nach. Im Juni 1994 wurde BFM, das inzwischen in BlackRock umgetauft worden war, an PNC verkauft. Schwarzman kassierte 25 Millionen Dollar. Genug, um seine Scheidung von Ellen wettzumachen, die ihn laut dem Wirtschaftsmagazin Businessweek rund 20 Millionen Dollar gekostet hatte. Doch Schwarzman hat eingeräumt, er bereue den Verkauf bis heute. Damit sind ihm mehr als 1 Milliarde Dollar entgangen. Nicht, dass ihn das zum armen Mann gemacht hat – schließlich kassierte er beim Börsengang von Blackstone 2007 rund 700 Millionen Dollar und er ist heute mit einem Vermögen über 10 Milliarden Dollar die reichste »Heuschrecke«. Doch jemand wie Schwarzman verzeiht es sich nicht, wenn ihm ein guter Deal durch die Lappen geht. Eine Frage der Wall-Street-Ehre. Da tröstet es den PrivateEquity-König wohl kaum, dass niemand, nicht einmal Fink selbst, hatte wissen können, welch spektakulären Aufstieg die Firma haben würde, die einst als kleines Nebengeschäft von Blackstone begonnen hatte. Damit kam der Fels ins Rollen: BlackRock Also hatte Larry nun sein eigenes Unternehmen an der Wall Street. Das klingt eindrucksvoller, als es ist, denn viele Banker und Trader machen sich irgendwann selbstständig. »Hanging up your own shingle« – sein eigenes Schild draußen an die Tür nageln, so nennt es die Branche. Lew Ranieri etwa, Finks alter Rivale von Salomon Brothers, hat auch seine eigene Firma. Er war 1987 bei Salomon
abserviert worden. Sein Name ist in gewissen Kreisen immer noch ein Begriff, doch er gilt als ein Has-Been, Vergangenheit. »Der lebt praktisch immer noch von seiner Legende bei Salomon – und das ist bald 30 Jahre her«, sagt ein Veteran der Hypothekenbranche, der fast genauso lange dabei ist. Aber Fink unterschied etwas Grundsätzliches vom Gros der Wall-Street-Meute. Fink hatte seine Fehler nicht vergessen. Und er lernte daraus. Die schmerzliche Episode bei First Boston bescherte Fink sogar die Erleuchtung, die seine Firma in einen globalen Koloss verwandeln würde. Seine Eingebung sollte die Wall Street grundsätzlich verändern. Fink selbst pflegt die Legende vom Fehler, der ihn am Ende vom Loser-Larry zum Gold-Finken gemacht hat. Dabei geht er hart mit sich ins Gericht. Sein Fehler sei nicht erst der 100-Millionen-Dollar-Verlust gewesen, sein Fehler seien schon die Hunderte-Millionen-Gewinne davor gewesen. Denn er und sein Team hätten nicht verstanden, wie diese Gewinne eigentlich zustande kamen. Sie hätten das Risiko, das sie mit ihren Handelstransaktionen eingingen, nicht verstanden. Die damaligen Computerprogramme seien viel zu grob gewesen, nicht in der Lage zu kalkulieren, was passieren würde, wenn wichtige Variablen wie die Zinsentwicklung sich änderten. Und deshalb seien sie von den Verlusten überrollt worden. »Wir wussten nicht, warum wir so viel Geld verdienten. Wir hatten nicht die notwendigen Instrumente, um das Risiko zu verstehen, das wir eingingen«, gestand er in einem Interview viele Jahre später. Sein Schluss daraus: Er wollte nie wieder in eine Position geraten, in der er die Risiken nicht abschätzen konnte. Nie mehr. Und er und sein Team gingen daran, ein System zu bauen, das Finks Besessenheit, alle Risiken zu erfassen, Genüge tun würde. BlackRock verabschiedete sich von Trader-Instinkten und versuchte sie stattdessen durch Computermodelle zu ersetzen, die mit immer mehr
Informationen gefüttert werden. Lange schon bevor Big Data als Begriff existierte, hatten Fink und sein Team die Möglichkeiten im Visier, die Informationen bedeuten. Sie seien fast schon »paranoid, wenn es um Risiko geht«, das sagen BlackRock-Vertreter gerne mit einem überlegenen, wissenden Lächeln. Die immer wieder angeführte Risikoparanoia des Gründers ist bei BlackRock zum System geworden, ein Credo, mit dem das Unternehmen heute um Kunden wirbt. Risikobesessenheit ist ein Teil von Finks Erfolgsgeheimnis. Aber wie ein ehemaliger BlackRock-Mitarbeiter lästert, ist es nicht so, als ob BlackRock als einziges Investmenthaus Risiken erkennen kann oder entsprechende Systeme aufgebaut hat. »Die machen gerne eine Menge Wind um sich«, sagt er über seinen ehemaligen Arbeitgeber. Doch auch er räumt ein, dass Fink eine Ausnahmeerscheinung im Gewerbe sei. Was Fink auszeichnet: Er überschritt eine jener Grenzen, die sich für Außenstehende kaum erkennbar durch die Finanzindustrie ziehen. Die Wall Street ist wie ein Korallenriff: Es gibt Zebrafische, Clownfische, Anemonen und Barracudas, es gibt Haie und Putzerfischchen, Tintenfische, Seeigel, Schnecken und Quallen. So wie jedes Lebewesen seinen Platz in diesem Unterwasserkosmos hat, so gibt es an der Wall Street eine Vielfalt verschiedener Jobs. Und wie im Riff leben manche in einer Symbiose und andere in einem Beuteschema zusammen. Es gibt Investmentbanker, Aktienhändler und Bondtrader, Analysten und Ökonomen, HedgefondsManager und High-Frequency-Zocker, Private-EquityMogule, Börsenaufseher und Ratingagenturen. Aber es gibt einen Graben, der vor Fink nur selten überbrückt wurde. Das ist der Graben zwischen der SellSide und der Buy-Side. Ganz grob ist es ein Graben zwischen denjenigen, die Anlagen anbieten oder vermitteln, und denjenigen, die Geld anzulegen haben. Auf der Buy-
Side finden sich alle Arten von Anlegern: Hedgefonds, Investmentfonds, Pensionskassen, Stiftungen, Versicherer und auch Kleinanleger. Auf der Sell-Side finden sich Investmentbanker, die den Anlegern Unternehmensanteile oder Bonds anbieten, Analysten, die ihnen ResearchBerichte und Kursprognosen andienen. Da sind Handelsabteilungen, die im Auftrag der Buy-Side Aufträge ausführen, Aktien oder Anleihen kaufen und verkaufen. Bis zum Auftauchen von Fink ließen sich die Käufer auf der Buy-Side – abgesehen von den Hedgefonds – von den Anbietern auf der Sell-Side Angebote machen, sich von ihnen informieren. Man muss sich das so vorstellen: Ein Unternehmen, etwa Walt Disney oder McDonald’s, wird von einer Bank bezüglich der Kapitalstruktur beraten – wie viel Eigenkapital sollte es haben, wie viele Aktien soll es ausgeben, wie viele Schulden soll es aufnehmen, um möglichst rentabel zu wirtschaften? Dann arrangieren die Banker, entsprechend neue Aktien oder Anleihen auszugeben, und offerieren diese Papiere anschließend Investoren, also der Buy-Side. Doch die Sell-Side als Anbieter hat immer einen Wissensvorsprung – schließlich sind ihre Vertreter es, die die Deals und Transaktionen aushecken. Wer auf der SellSide arbeitet, ist vor allem gut in der Vermarktung – seines Produkts oder seiner Dienstleistung, vor allem aber seiner eigenen Person. Wichtig ist auch: Was auch immer dem Kunden angeboten wird, es sollte genug hängen bleiben für den eigenen Laden und den eigenen Bonus oder die Provision. Für die Buy-Side existiert auf diese Weise ein ewig ärgerliches Ungleichgewicht an Information. Und so viele Milliarden die Buy-Side-Vermögensverwalter auch jeweils steuern, kein Fonds kann einen Apparat wie den einer Bank aufziehen. Darin liegt eine Erklärung, warum Ratingagenturen eine so große Rolle mit ihren Bewertungen spielen – die Buy-Side sah darin zumindest
bis zur Krise 2008 einen neutralen Schiedsrichter zwischen den beiden Seiten. Doch die Ratings reichten nicht, um das Informationsungleichgewicht zwischen Sell- und Buy-Side auszugleichen – zumal die Hypothekenkrise bei vielen BuySide-Investoren Zweifel an der Neutralität der Ratings aufkommen ließ. Zu viele Hypothekenpapiere, die von den Rating-Richtern mit der Bestnote AAA versehen worden waren, stellten sich dann als Rohrkrepierer in den Anlageportfolios heraus. Im Januar 2015 legte Marktführer Standard & Poor’s eine Untersuchung des USJustizministeriums wegen angeblich unzulässiger Praktiken bei den Ratings der Hypothekenpapiere mit einem 1,37Milliarden-Dollar-Vergleich bei. S&P erklärte, der Vergleich sei kein Schuldeingeständnis. Beim Rivalen Moody’s dauerten die Ermittlungen bei Drucklegung noch an. In dem Ungleichgewicht zwischen Buy- und Sell-Side sah Fink seine große Chance: Er – ein waschechter Vertreter der Sell-Side – würde sein Insiderwissen der Buy-Side zur Verfügung stellen. Er würde Computermodelle aushecken, mit denen sich Kalkulationen anstellen ließen, wie sie die Sell-Side vornimmt – sogar bessere Systeme. Fink würde mit BlackRock der Buy-Side jenen Vorteil verschaffen, den bisher nur die Jungs von der Sell-Side hatten. Was für Außenstehende banal klingt, war für die Wall Street ein Aha-Erlebnis. Acht Freunde müsst ihr sein: Das Gründungsteam Um seine große Vision zu verwirklichen, musste Fink für BlackRock allerdings die richtigen Leute haben. Wie Captain America suchte sich Fink sein BlackRock-Team zusammen. Acht Gründungspartner waren es schließlich. Da gab es Ralph Schlosstein. Er war in den 1970ern
Wirtschaftsberater beim Erdnussfarmer-Präsidenten Carter gewesen. Später ging er – wie so viele in DC – zum Geldverdienen an die Wall Street und zwar zu Lehman Brothers. Schlosstein brachte auch Susan Wagner an Bord. Wagner, genannt Sue, war bei Lehman eine Spezialistin für strategische Übernahmen gewesen – eine Expertise, die für die spätere Expansion von BlackRock von maßgeblicher Bedeutung werden sollte. Hugh Frater hatte bei Lehman als Investmentbanker im Bereich Hypothekenfinanzierung gearbeitet. Keith Anderson kam aus Finks altem Stall, aus der Hypothekenhandelsabteilung von First Boston. Barbara Novick ebenfalls, sie hatte nach ihrem Wirtschaftsstudium zunächst beim Prestige-Haus Morgan Stanley gearbeitet. Auch Bennett Golub kam von First Boston, dort hatte er die Finanzingenieure angeführt und war mit Fink in Kontakt gekommen. Er und seine Gruppe waren in dieser Zeit für 25 Milliarden Dollar an Verbriefungen von Hypotheken zu CMOs zuständig. Golub, der einen Doktortitel der Bostoner High-Tech-Schmiede MIT vorweisen konnte, fiel die Aufgabe zu, BlackRocks erste Analysesysteme zu bauen. Zur BlackRock-Gründungslegende gehört auch, dass Golub dafür eine Sun Microsoft Workstation kaufte und sie in der Teeküche zwischen Kühlschrank und Kaffeemaschine installierte. Auf diesem Computer programmierte Golub seine ersten Modelle, um Hypothekenportfolios zu analysieren. Als Hilfe für Golub heuerten die Gründer Charles Hallac an, den Golub noch aus seinen Zeiten bei First Boston kannte. Hallac war BlackRocks erster richtiger Angestellter. Heute ist er aufgestiegen und Co-Präsident. Überhaupt hat sich die Truppe der Acht als extrem loyal erwiesen. Noch heute sind fünf der einstigen Gründer bei BlackRock beschäftigt. Das ist für Wall-Street-Verhältnisse eine Ewigkeit. Und dann ist da Rob Kapito. Finks Partner von einst bei First Boston. Kapito war in Finks Abteilung, als Fink seine
ersten Schritte mit den CMOs tat. Er hatte erst seine Höhenflüge und dann seinen Absturz miterlebt. »Viele Chefs an Finks Stelle hätten Kapito den schwarzen Peter hingeschoben, Fink hätte das auch machen können«, erzählt ein Mitarbeiter von damals. Doch Fink tat etwas ganz anderes. Er nahm Kapito mit. Und machte ihn zum Partner in seinem neuen Unterfangen. Das fundamentale Band zwischen den beiden ist bis heute nicht abgerissen. Während Fink das öffentliche Gesicht von BlackRock wurde, übernahm Kapito die Rolle der grauen Eminenz. Er ist der Mann, der die Märkte im Blick hat, der aufpasst, dass BlackRock keine Entwicklung verpasst. Er ist es, der die Organisation intern auf die Vision der Gründer, auf Finks Vision trimmt. Wie Fink kommt auch Kapito aus kleinen Verhältnissen. Seine Familie betrieb eine Autowerkstätte in Monticello, einem Ort in den Catskills, dem Mittelgebirge, geografisch etwa 90 Kilometer von Manhattan entfernt und sozial so weit weg wie der Mond. Kapitos Vater erlitt einen Schlaganfall, als er erst 13 Jahre alt war. Er schaffte es trotzdem, sich ein Studium zu finanzieren, sogar den Abschluss an der elitären – und entsprechend teuren – Wharton School der University of Pennsylvania erarbeitete er sich. (Heute ist er dort im Stiftungsrat.) Nach dem Studium zog es auch Kapito an die Wall Street und auch er landete bei First Boston. Nach zwei Jahren verließ er die Bank wieder, um an der Harvard Business School einen MBA abzulegen. Als er mit dem Diplom in der Tasche 1983 wieder zu First Boston zurückkehrte, heuerte er im Bereich Hypotheken an – und traf auf Larry Fink. Eine Begegnung, die ihn Jahrzehnte später zu einem der mächtigsten Männer der Finanzbranche machen sollte. Der entscheidende Auftrag von Neutronen-Jack
1994 war in mehrfacher Hinsicht ein Schicksalsjahr für BlackRock. Erst kam die Trennung von Blackstone. Und dann der Auftrag, der die kleine Hinterzimmerfirma zur ersten Adresse machen sollte. Es begann mit einer Mesalliance. Auf der einen Seite, als Bräutigam sozusagen, stand General Electric. Der Konzern, der Erfinderikone Thomas Edison zu seinen Gründervätern zählt (GE besitzt Edisons Schreibtisch immer noch), wird gerne als die »USWirtschaft in einer Nussschale« bezeichnet. Gemeint ist, dass der Konzern in fast allen Sektoren der Wirtschaft mitmischt. Buchstäblich: Von der Glühbirne, über verschiedene Kraftwerksanlagen, Krebsfrüherkennung und Flugzeugteile bis zum Internet der Dinge ist alles im Portfolio. Mitte der 1980er glaubte General Electric auch im Bereich Finanzen mitspielen zu müssen. Und kaufte Kidder Peabody, einst ehrwürdiges Wall-Street-Haus, gegründet von Henry P. Kidder und zwei Peabody-Brüdern am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs im Jahre 1865. Doch von der alten Ehrwürdigkeit war nicht viel geblieben, wie die Manager von GE schnell feststellen mussten. Die Tinte auf dem Kaufvertrag war noch nicht ganz trocken, da rückten staatliche Ermittler an. Insiderhandel lautete ihr Vorwurf. Einer der Beteiligten wurde in Handschellen aus seinem Büro abgeführt – eine Episode, die Oliver Stone in seinem Hollywood-Reißer Wall Street verwendete. »Wir hätten Kidder Peabody nicht mal mit einer zehn Fuß langen Stange angefasst, wenn wir gewusst hätten, was für ein Stinktier sich in der Firma befindet«, giftete Jack Welch, GEs damaliger Vorstandschef. Kidder Peabody überlebte die Insider-Affäre – nur um 1994 in einen neuen Skandal verwickelt zu sein. Dieses Mal ging es um Phantombuchungen. Joseph Jett, ein Bondtrader, hatte das Computerprogramm so manipuliert, dass sein Handel enorme Gewinne auswies – 350 Millionen Dollar, um genau zu sein. Tatsächlich machte er massive Verluste. Dieses Mal verlor Welch, der von General-Electrics-Angestellten auch
Neutronen-Jack genannt wurde, endgültig die Geduld. Er beschloss, Kidder Peabody zu zerschlagen und die Einzelteile zu verkaufen. Abnehmer war schließlich PaineWebber – eine Bank, die später wiederum von der Schweizer UBS aufgekauft wurde. Doch bei einem 10 Milliarden schweren Hypothekenportfolio aus Kidder Peabodys Beständen lehnten die PaineWebber-Leute dankend ab. Das Portfolio bestand aus CMOs – jenen Instrumenten, die Fink mit aus der Taufe gehoben hatte. Doch es war schwer zu bewerten, was dieser Pool aus verschiedenen Darlehen wirklich wert war. GE war kurz davor die Papiere zu Dumpingpreisen zu verschleudern – Hauptsache, sie waren die »Stinktiere« endgültig los. Doch da meldete sich BlackRock und machte einen ungewöhnlichen Vorschlag: Statt eines raschen, aber verlustreichen Ausstiegs schlugen Fink und sein Team vor, das Portfolio mithilfe von BlackRocks Computermodellen zu analysieren und einen Plan zu entwickeln, wie General Electric die Hypothekenpapiere nach und nach losschlagen und einen besseren Preis erzielen könne. Die GE-Leute waren interessiert. Und Finks Team ließ seine Rechner brummen. Der Auftrag war ein voller Erfolg. Der sich herumsprach. »Das Kidder-Peabody-Portfolio galt damals als eines der komplexesten Investmentpools überhaupt«, sagt Rob Goldstein, der heute BlackRock Solutions leitet, den Geschäftszweig der aus der GE-Erfahrung entstand. Mit dem Auftrag des größten Konzerns der Welt kam für BlackRock der Durchbruch. Nach dem GE-Job standen die Interessenten Schlange. »Es war wie bei den Geisterjägern in dem Hollywoodstreifen Ghostbusters – wer ein undurchsichtiges Portfolio oder fragwürdige Vermögenswerte hatte, rief bei Larry Fink und Co. an«, sagt ein Insider.
Wachsen, wachsen, wachsen Schon drei Jahre nach der Übernahme durch die PNC Bank hatten sich Fink und seine Getreuen so etabliert, dass ihnen Investoren 46 Milliarden Dollar anvertrauten. Damit hatte sich das verwaltete Kapital seit der Übernahme durch PNC gut verdoppelt, berichtete das Fachblatt Penions & Investments 1997 anerkennend. Ein Jahr darauf fusionierte der Mutterkonzern PNC – jene Banker aus Pittsburgh, die Fink bei seiner Trennung von Blackstone geholfen hatten – seinen Vermögensverwaltungsarm mit BlackRock. Damit bekam Fink mit einem Schlag 108 Milliarden Dollar zusätzliches Kapital unter seine Fittiche. Dann wollten die PNC-Banker auch mal ein wenig Geld sehen. Sie brachten BlackRock am 1. Oktober 1999 an die Börse und verkauften 14 Prozent ihres Anteils. Fink und seine Partner behielten 16 Prozent. (Heute hält die PNC Bank laut ihrer Webseite noch etwa ein Viertel an BlackRock). Mit 650 Mitarbeitern und einer Börsenbewertung von knapp 900 Millionen Dollar war BlackRock zu Amerikas fünftgrößtem börsennotierten Vermögensverwalter aufgestiegen. Nicht schlecht für einen geschassten Investmentbanker. Doch Larry Fink war noch lange nicht fertig. Noch lange nicht. Abgesehen vom Börsengang hörte man in den 1990er Jahren öffentlich nicht viel von BlackRock. Die DotcomEuphorie hatte die Wall Street, ja die halbe Welt ergriffen. Das Internet und seine unendlichen Möglichkeiten lockten Anleger, ob groß oder klein. Eine New Economy dämmerte angeblich. Es war eine Zeit, in der es gefühlt nur Stunden dauerte, bis eine auf einer Dunkin-Donut-Serviette skizzierte Geschäftsidee an der Nasdaq ihr Börsendebüt feierte. Das war nichts für Fink und seine Leute. Sie blieben hauptsächlich ihren Anleihen treu – eine Ecke des Kapitalmarkts, die in jenen Jahren Spinnweben anzusetzen schien. Doch jenseits der grellen Schlaglichter der Tech-
Aktien wuchs und gedieh Finks Unternehmen. Als die Blase Anfang der 2000er Jahre schließlich platzte, schienen die Langweiler von BlackRock mit ihren Bonds in den Augen gebrannter und enttäuschter Anleger plötzlich wie Propheten. Ende 2000 – gerade als die Nasdaq in einen ausdauernden Sinkflug abtauchte – konnte Fink 200 Milliarden Dollar an Vermögen unter BlackRockManagement melden. Um das Angebot für die Kunden – Pensionskassen, Investmentarme von Unternehmen, wohlhabende Privatleute – abzurunden, kaufte BlackRock Hedgefonds dazu. 2004 übernahm BlackRock SSRM Holdings, den Investmentarm des Lebensversicherers MetLife. 2005 verwaltete BlackRock damit bereits über 400 Milliarden Dollar. Und damit landete das Unternehmen auf der Liste der 20 größten Vermögensverwalter weltweit. Doch Larry Fink war noch lange nicht fertig. Noch lange nicht. Erst kam jedoch ein Rückschlag. Oder zumindest lauten so die Gerüchte an der Wall Street. Zunächst war es ein richtiger Coup, den Fink mit Stan O’Neal diskret beim Frühstück im »Three Guys« ausheckte. In dem unauffälligen New Yorker Diner an der Madison Avenue, das die üblichen Hash Browns und Rühreier zum Kaffee serviert, vermutete bei den beiden Gästen wohl kaum jemand zwei Finanz-Mogule, die einen Pakt schlossen. O’Neal war der Vorstandschef von Merrill Lynch. Mother Merrill, wie das Wall-Street-Haus liebevoll genannt wird, gehört zu den großen Namen. Stolz war man bei Merrill auf die »thundering herd«, die donnernde Herde der MerrillBroker, die alles, was Merrills Investmentbanker an Anleihen oder Aktien anschleppten, in ganz Amerika verticken konnten. Niemand an der Street verfügte über ein so gewaltiges Vertriebsnetz. Im Logo sah man den angriffslustigen Bullen geradezu mit den Hufen scharren und schnauben. Einige Tage nach dem Frühstück gaben Merrill Lynch und BlackRock bekannt, dass die
Fondssparte von Merrill mit BlackRock fusionieren würde und im Gegenzug Merrill Lynch 49,8 Prozent der Anteile an BlackRock übernehmen würde. Bumm! Der Deal war so überraschend, dass ein Hedgefonds-Manager klagte, er müsse eigentlich gegen den Verlierer bei der Transaktion wetten, aber es sei nicht klar, wer wem die Hosen ausgezogen habe. BlackRock hatte es jedoch geschafft, vom No-Name-Start-up zum Partner eines der anerkanntesten Wall-Street-Häuser zu werden. Für Stan O’Neal war es die letzte gute Tat. Kurz darauf kam zutage, wie sehr Mother Merrill sich bei den Hypothekenpapieren verkalkuliert hatte. Merrill gehörte zu den Banken, die die Wackelhypotheken selbst begeistert in ihre Portfolios packte (andere waren schlauer und verkauften sie schnell an Investoren – etwa an Landesbanken jenseits des Atlantiks …). 2007 wurde O’Neal gefeuert. Und Fink wollte ihn beerben. Das ist unstrittig. Strittig ist, wie scharf er auf den Topjob bei Merrill war. Er behauptete in einem Interview Jahre später, er habe es lediglich als eine Option betrachtet. Und er habe vollen Einblick in die Bücher verlangt, was der Merrill-Aufsichtsrat nicht zugelassen habe. Daraufhin habe er sich aus dem Rennen genommen. Andere kolportieren, dem Aufsichtsrat seien die potenziellen Interessenkonflikte zu gefährlich gewesen, die entstanden wären, hätte Fink sowohl BlackRock als auch Merrill geleitet. Tatsache ist, dass sich Mother Merrill für John Thain entschied. Jetzt muss man wissen, dass Fink und Thain wie Feuer und Wasser sind. Thain – mindestens so ehrgeizig wie Fink – hatte erst bei Goldman Sachs Karriere gemacht und als er da nicht auf den Topposten kam, war er an die Spitze der New Yorker Börse gewechselt. Was genau Fink an Thain aufregt, darüber wird nur gemunkelt. Spekuliert wird, ob es schlicht daran liegt, dass Thain, der mit seinem vollen dunklen Haarschopf und der Brille ein wenig wie Supermans Alter Ego Clark Kent aussieht, im Gegensatz zu
Fink auf der Sonnenseite der Wall Street geblieben war. Auch Thain war gleich nach dem Studium an die Wall Street gegangen. Doch anders als Fink marschierte er ohne größere Rückschläge in die obere Etage durch. Eine so steile Karriere, dass ihr das Insider-Blatt Institutional Investor einmal eine eigene Geschichte widmete. Titel: »Die Abenteuer von SuperThain«. Selbst bei Goldman galt Thain als eiskalt und glatt, sein Spitzname »Thain the Humane« war ironisch gemeint. Fink selbst hält sich bedeckt. Als ihn Reporter fragten, ob es zutreffe, dass er den stets glattrasierten und akkurat gescheitelten Thain gerne »John-Boy« nach der Figur aus der TV-Familiensaga Die Waltons nenne, schmunzelte der BlackRock-Chef angeblich nur vielsagend. Der Chefposten bei Merrill-Lynch, damit hätte Fink seinen First- Boston-Karriereknick von einst mehr als ausgebügelt. Er wäre der Leitbulle der »thundering herd« gewesen. Doch Fink fand nun andere Wege, seinen Hunger nach Anerkennung zu stillen. Die Wall Street war ihm bald zu klein. Im Nachhinein, mag Fink gedacht haben, war es sogar ein Glücksfall, dass er nicht Boss bei Merrill wurde. Denn Merrill wurde kurz nach der Episode um Finks Chefambitionen von den Verlusten aus den Wackelhypotheken eingeholt. Thain schaffte es auf dem Höhepunkt der Krise gerade noch, mit einem Handschlag an einem Samstagvormittag im September 2008 Mother Merrill an Ken Lewis, den Vorstandschef von Bank of America, zu verkaufen, bevor mehr als 15 Milliarden Dollar Verlust bekannt wurden. Ken Lewis hatte – ebenfalls geblendet von Merrills Ruf – die Bank übernommen, ohne genauer hinzuschauen. Er selbst behauptete später, Ben Bernanke, der damalige Chef der US-Notenbank, habe ihn angerufen und praktisch gezwungen, die Übernahme trotz der tiefroten Bilanzen durchzuziehen. Für Lewis, der Bank of America im Laufe seiner Karriere vom Provinzinstitut aus South Carolina zum zweitgrößten Finanzkonzern der
USA ausgebaut hatte, wurde der Merrill-Deal zum bitteren Karrieretod. Er hat inzwischen ein neues Betätigungsfeld als Filmförderer in Charlotte gefunden. Thain verlor seinen Posten bei der Bank of America, angeblich weil er sein Merrill-Büro in den Krisenzeiten zu teuer renoviert hatte. Genüsslich meldete Wall-Street-Klatschreporter Charlie Gasparino im Daily Beast Details aus internen Unterlagen wie die Gästestühle für 87 000 Dollar und eine Kommode für 68 000. Am meisten Furore machten allerdings die 28 000 Dollar teuren Vorhänge und ein Mülleimer für immerhin 1 400 Dollar. »John-Boy« Thain wechselte zur Geschäftsbank CIT, die prompt in die Pleite schlitterte. Und die »thundering herd«, kastriert als Teil der Bank of America, trauert immer noch ihrer Unabhängigkeit nach. Fink aber donnerte ungebremst weiter.
Kapitel 4 Die Finanzkrise oder auch: BlackRocks größter Segen Kurz vor dem Läuten der Handelsglocke an jenem Freitag im März des Jahres 2008 war die Stimmung locker auf dem Parkett der New York Stock Exchange. Die Händler plauderten über die Pläne fürs Wochenende auf dem Golfplatz. Da kam die Nachricht über den Ticker: Die Investmentbank Bear Stearns in Not! Das, was die Marktteilnehmer in den vergangenen Wochen immer wieder als GAU befürchtet hatten – es war passiert! Schon über ein Jahr platzten hier und da Deals, Hedge Funds waren in Schwierigkeiten, von Bergen fauler Hypothekenpapiere, auf denen Banken sitzen sollten, war die Rede. Aber jetzt war die fünftgrößte USInvestmentbank in Schieflage geraten. Es war ein tiefer Fall für den Bären, wie die 85 Jahre alte Institution liebevoll genannt wurde. Nicht wenige Innovationen gingen auf das Konto der smarten Jungs von Bear Stearns. Dabei galten sie als die Schmuddelkinder unter Wall-Street-Häusern. Bettelarm und davon beseelt, reich zu werden. So wünschte sich der legendäre BearStearns-Chef Alan Greenberg, genannt Ace, seine Bewerber. »Vergiss Büroklammern, bring deinen eigenen Stift mit und sitz auf einem Klappstuhl«, das sei die Kultur beim Bären gewesen, lästerte einmal Dealbreaker, die Online-Klatschseite der Wall Street. Zwei Hedge Funds von Bear Stearns waren im Sommer zuvor wegen Fehlspekulationen mit Hypothekenpapieren geplatzt. Ihre Milliardenimplosion markierte den Beginn der
internationalen Kreditkrise. Während sich diese Krise zusammenbraute, weilte der damalige Vorstandschef von Bear Stearns Jimmy Cayne allerdings meist auf dem Golfplatz oder bei Bridge-Turnieren, wie das Wall Street Journal berichtete. Auch als sich die Gerüchte über eine gefährliche Geldklemme von Bear Stearns in der zweiten Märzwoche 2008 zuspitzten, flog Cayne laut Fortune zu den nordamerikanischen Bridge-Meisterschaften in Detroit. Da er damals kein Handy besaß, sei er kaum zu erreichen gewesen. Obwohl der Aktienkurs längst im freien Fall war, blieb Cayne in Detroit – und schaltete sich verspätet in die hastig einberufene Krisen-Telefonkonferenz ein, weil er zunächst das Bridge-Turnier fortsetzte. Nachdem er kein Privatflugzeug organisieren konnte, wartete Cayne stundenlang in Detroit. (Auf die Idee, mit einer Linienmaschine zu fliegen, kam er offenbar nicht.) Als er dann schließlich am Abend in New York eintrudelte, wurde er laut den Fortune-Reportern mit folgender Botschaft im Büro empfangen: »Wir bekommen 8 bis 12 Dollar pro Aktie. Das ist der Deal mit JPMorgan.« (Cayne hat der Darstellung des Wall Street Journals widersprochen und später gegenüber Fortune erklärt, er sei in der Zeit vor dem Untergang des Bären schwer erkrankt gewesen.) Organisiert hatte die Rettung auf die Schnelle die New Yorker Notenbank. Sie wollte genau den Dominoeffekt verhindern, der später bei Lehman Brothers tatsächlich ausgelöst wurde. Es musste ein Käufer für den Bären her, noch vor Montag, wenn die Finanzmärkte aus dem Wochenende zurückkamen! Doch Bear Stearns hatte ein »vergiftetes« Portfolio von 30 Milliarden Dollar, das potenzielle Interessenten abschreckte. Und so überlegten die Notenbanker das Gift-Portfolio mit den möglicherweise verlustbringenden Hypothekenpapieren selbst zu übernehmen. Und für die Betreuung und Abwicklung hatte der Chef der New Yorker Notenbank, Timothy Geithner,
auch schon den passenden Ansprechpartner parat: Larry Fink. Pikant an dem Auftrag: Der Interessent, mit dem die Notenbank über Bear verhandelte, war JPMorgan Chase. Und Jamie Dimon, Vorstandschef von JPMorgan, hatte sich am Tag zuvor auch bei Fink gemeldet. Er wollte die BlackRock-Analysten ebenfalls auf die Bear-Stearns-Bücher ansetzen. Sie sollten ihm eine Einschätzung über den Wert geben. Entsprechend würde sein Angebot für Bear ausfallen. BlackRock bekam beide Aufträge. Jamie Dimon bot 2 Dollar pro Aktie für den Bären. Ein Affront für die BearStearns-Leute. Selbst als Dimon auf 10 Dollar nachbesserte, blieb es nach Ansicht vieler an der Wall Street ein Spottpreis. Noch heute knirschen Ehemalige mit den Zähnen und nennen die Übernahme ein »Verbrechen«. Der Deal war für Dimon dazu noch versüßt worden, denn die Notenbank übernahm die riskanten Papiere aus dem Gift-Portfolio, das den Untergang des Bären beschleunigt hatte. Die gebündelten Papiere gehörten fortan unter dem Namen »Maiden-Lane«-Fonds der Notenbank – also der Allgemeinheit. Und BlackRock übernahm auftragsgemäß die Abwicklung. (Maiden Lane ist übrigens der Name der Straße, die in Lower Manhattan an der Notenbank vorbeiführt. Der Name kommt noch von den Niederländern, die dort einst siedelten. Die nannten den Pfad, der an einem Bach entlanglief, Maagde Paatje, weil sich dort am lauschigen Ort die Liebespaare Neu-Amsterdams einfanden.) Das Verblüffende an der Bear-Stearns-Transaktion war: Offenbar stieß sich niemand an der Tatsache, dass BlackRock auf beiden Seiten der geplanten Transaktion, bei Käufer und Verkäufer gleichzeitig, aktiv war. Der BearStearns-Deal sollte zum Muster werden. BlackRock verstand es geschickt, sich als Bewertungsprofi zu positionieren, an dessen Neutralität keiner der Beteiligten
(offen) zweifelte. Dieses Muster hat sich bis heute gehalten und sollte später von BlackRock auch in Europa mit enormem Erfolg angewandt werden. Aber das war im März 2008 noch in nicht absehbarer Zukunft. Der Bitte um eine Stellungnahme zur Handhabung der Interessenkonflikte bei den beiden Bear-Stearns-Aufträgen kam BlackRock nicht nach. Planet der Affen: Fink als Überlebender Am Abend des 13. Septembers befand sich Larry Fink am New Yorker Flughafen. Er war kurz davor, in einen Flieger nach Singapur zu steigen. Dort wollte er Gespräche mit asiatischen Staatsfonds führen – mögliche lukrative Aufträge für BlackRock standen in Aussicht. Doch es ist eine der längsten Flugrouten von der US-Ostküste nach Asien, fast halb um den Globus. Das würde für Fink heißen, 16 Stunden unerreichbar zu sein. Und die Lage an der Wall Street war, milde ausgedrückt, beunruhigend. Während Fink mit gepackten Koffern am Gate stand, hatten sich Vertreter der New Yorker Notenbank, Abgesandte des Finanzministeriums aus Washington und die Chefs der großen Investmentbanken in der Notenbank in Manhattans Finanzdistrikt verschanzt. Das Gefühl der Belagerung wurde noch verschärft durch das Äußere: Der Sandsteinbau sieht aus wie eine Burg, nur dass er statt einer Zugbrücke eine Tiefgarage hat. Drinnen ging es um das Schicksal von Lehman, der viertgrößten Investmentbank, auch Merrill Lynch, das größte Brokerhaus und Großeigentümer von BlackRock, schwankte unter den Milliardenverlusten aus Wackelhypothekenpapieren. Fink telefonierte noch einmal mit einem BlackRock-Vertreter, der bei den Besprechungen in der Notenbank dabei war. »Kann ich fliegen?«, fragte er. Zu dem Zeitpunkt schien es, als ob sich ein Käufer für
Lehman finden würde. »Ja, kannst du«, kam die Antwort. Und Fink bestieg den Flieger. So hat es Fink einer Reporterin später erzählt. (Katrina Brooker in Fortune 29.10.2008) Während der BlackRockChef in der Luft war, ging die Wall Street, so wie sie seit mehr als einem halben Jahrhundert existierte, unter. Als Fink schließlich am frühen Montagmorgen Ortszeit aus dem Flugzeug stieg, begrüßten ihn schockierende Nachrichten: Lehman pleite, Merrill Lynch an Bank of America verkauft und der Versicherer AIG – 1,1 Billionen Dollar Bilanzsumme, 74 Millionen Versicherte in 130 Ländern – ein wankender Riese. »Ich kam mir vor, wie Charlton Heston in Planet der Affen«, berichtete Fink später. In dem Hollywoodstreifen findet ein gestrandeter Raumfahrer, gespielt von Heston, der sich eigentlich auf einem fremden Planeten wähnt, plötzlich die Überreste der Freiheitsstatue am Strand und muss erkennen, dass seine Zivilisation untergegangen ist. Doch für Fink und seine Truppe war es der Beginn einer Transformation. Von einem Vermögensverwalter mit einer Vorliebe für Bonds und mit cleveren Analysten zu einem der großen Mitspieler hinter den Kulissen von Hochfinanz und großer Politik. Kurze Zeit nach dem Desaster meldeten sich Finanzministerium und US-Notenbank bei Fink. Ob BlackRock sich der toxischen Papiere in den Büchern von AIG annehmen könne? Der damals weltgrößte Versicherer hatte sich mit komplexen Kreditderivaten verkalkuliert. Nun musste jemand herausfinden, wie viel diese Papiere wert waren und sie nach und nach abwickeln. Die Beamten und Notenbanker waren mit einer solchen Aufgabe schlicht überfordert. Nach Bear Stearns sollten sich die BlackRock-WertpapierForensiker nun also AIGs Giftmüll vornehmen. Die Schwierigkeiten bei AIG kamen für Finks Spezialisten kaum überraschend. Robert Willumstad war im Juni, ein
halbes Jahr vor dem Kollaps, von dem Versicherer als Sanierer angeheuert worden. Der neue Vorstandschef hatte kurz darauf BlackRock engagiert, weil er diskret herausfinden wollte, wie schwerwiegend die Probleme in AIGs Portfolios waren. Sein Vorvorgänger, Maurice Greenberg, genannt Hank, hatte AIG jahrzehntelang wie ein Feudalherrscher geführt. Greenberg war immer auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. So wollte er auch gerne an dem Boom der verbrieften Kredite teilhaben. Sein Favorit Joe Cassano, den der US-Journalist Matt Taibbi später einmal als »Patient null der globalen Wirtschaftskernschmelze« bezeichnete, präsentierte eine scheinbar brillante Idee: Die Ratingagenturen hatten AIG die Bestnote AAA für Kreditwürdigkeit gegeben. Warum nicht Geld damit verdienen? So würde AIG die von Banken zusammengestellten Kreditbündel – jene CMOs und CDOs, die nun tausendfach unter die Anleger gejubelt wurden – garantieren. Mit der Garantie von AIG würden auch die Kreditbündel die Topkreditwürdigkeit erhalten. Das war gut für die Herausgeber der Kreditbündel, weil sie sich dann besser an Investoren verhökern ließen. Und für AIG war es gut, weil der Versicherer für diese Ausfallgarantie Gebühren kassieren konnte. Das Risiko schätzte Cassano gering ein. Weil die in den Bündeln hinterlegten Kredite zum großen Teil Hypotheken auf amerikanische Immobilien waren und es nie eine landesweite Immobilienkrise gegeben hatte, schien es ein narrensicheres Geschäft. So weit, so clever. AIG gehörte bald zu den begehrtesten Partnern im schnell expandierenden Universum der Kreditderivate – wie diese Transaktionen genannt wurden. Vor allem europäische Banken liebten die von AIG garantierten verbrieften Schuldenbündel. Sie konnten diese nämlich bei der Zentralbank als sichere Kapitaleinlage melden und damit mussten sie weniger teures Eigenkapital vorhalten. Es schien ein gewinnbringendes Geschäft rundherum: für die Banken,
die die Verbriefungen vornahmen, für den Versicherer AIG, der die Prämien für die Garantie kassierte und für die Kunden, die ein anscheinend sicheres und dabei attraktiv verzinstes Produkt erhielten. Doch dann begann 2007 die Finanzkrise: Die Kreditbündel, die AIG so großzügig mit der eigenen Kreditwürdigkeit versehen hatte, galten plötzlich als weit riskanter als gedacht. Im Kleingedruckten von Cassanos Verträgen stand jedoch eine Klausel, die besagte, dass AIG bei einer solchen Abwertung der Kreditwürdigkeit den Banken eine Summe als Sicherheit überstellen musste, um das höhere Risiko der Papiere auszugleichen. In Cash. Das hieß im Klartext, AIG musste Vertragspartnern wie Goldman Sachs oder der Deutschen Bank bares Geld überweisen. Mit jeder neuen Welle geplatzter Kredite verlangten AIGs Vertragspartner aufs Neue höhere Sicherheiten. Für die AIG-Manager wurde es immer schwieriger, das nötige Geld aufzutreiben. Greenbergs unglücklicher Nachfolger Martin Sullivan, ein Brite, der vor allem als stolzer Sponsor des Fußballclubs Manchester United auffiel, verstand offenbar lange Zeit nicht, in welcher Gefahr sein Konzern schwebte. Mit jedem neuen Zweifel an den Hypothekenkrediten pochten die Banken bei AIG auf Nachschub. Willumstad, der Sullivan im Sommer 2008 schließlich ablöste, gab den Auftrag an BlackRock, Cassanos Katastrophenderivate zu untersuchen, um die Situation zu stabilisieren. Doch das kam zu spät. Die Forderungen der Banken wurden unbezahlbar. Im September 2008 herrschte in der Pine Street in Downtown Manhattan, wo AIGs Artdéco-Wolkenkratzer aufragt, nur noch nackte Panik. Da griff Washington ein. AIG wurde verstaatlicht. Ein eigentlich undenkbarer Schritt in Amerika, das sich als Hort des freien Markts versteht. Aber in dieser Krise wurde vieles Realität, das zuvor unvorstellbar gewesen war. (Unter anderem wurde der AIG-Turm in Ultra-Luxus-
Wohnungen umgewandelt, AIG ist in bescheidenere Büros gezogen.) Wie sich herausstellen sollte, war der Zugriff Washingtons aber für Fink und seine Leute nicht das Ende des AIG-Auftrags. Im Gegenteil: BlackRock übernahm die Analyse und Abwicklung der toxischen Portfolios von AIG nun für die Notenbank. Und so wurden Maiden Lane II und Maiden Lane III ins Leben gerufen. (Maiden Lane I war wie gesagt das ehemalige Bear Stearns Portfolio.) Alle drei Maiden-Lane-Fonds wurden nun durch BlackRock verwaltet. BlackRock war noch anderweitig während der Finanzkrise für die Notenbank tätig. Um die Unternehmen vor der Kreditklemme zu schützen, schuf die Notenbank gleich mehrere Stützungsprogramme. Darunter auch eines mit dem Namen »Term Asset Backed Securities Loan Facility«, besser bekannt als TALF. Hinter dem kryptischen Begriff steckte eine Förderaktion, bei der sich Investoren verbilligte Kredite der Notenbank besorgen konnten – sofern sie das Geld in Wertpapiere anlegten, die von der Notenbank ausgewählt wurden. Die Notenbank würde darüber hinaus alle Wertpapiere übernehmen, die im Rahmen des Programms gekauft worden waren und deren Wert zu tief fiel. Mit diesen Subventionen und Garantien versuchte die Notenbank das Risiko auf dem Kreditmarkt so zu senken, dass Marktteilnehmer sich trauten, wieder miteinander ins Geschäft zu kommen. Böse Zungen an der Wall Street nannten die Stützungsaktionen auch »Cash for Trash«, Bares für Müll. BlackRock wurde angeheuert, um die verbrieften Wertpapiere für TALF zu analysieren. Erzrivale Pimco, eine Allianztochter, sollte die entsprechenden Bewertungen übernehmen. Dabei gab es jedoch einen kaum übersehbaren Interessenkonflikt: Sowohl BlackRock als auch Pimco traten ebenfalls als Nutzer von TALF auf. Zu BlackRock gehörige Fonds etwa liehen sich im Rahmen des Programms von der Notenbank
2,8 Milliarden Dollar. Damit gehörte BlackRock zu den 20 größten TALF-Kreditnehmern. (Das berichtete das Government Accountability Office, das dem Bundesrechnungshof entspricht, in einem Bericht an den US-Kongress im Juli 2011.) Im Klartext: BlackRock lieferte Analysen von Wertpapieren an das TALF-Programm. Gleichzeitig nutzten BlackRock-Fonds TALF, um solche Wertpapiere zu erwerben. Die TALF-Nutzung sei von einer anderen BlackRock-Abteilung im Auftrag von Kunden getätigt worden, erklärte BlackRock, auf Anfrage von Bloomberg. Beide Abteilungen seien streng getrennt. Es seien keine Vorwürfe gegen BlackRock und Pimco wegen etwaiger Unregelmäßigkeiten bei TALF erhoben worden, heißt es in dem Bloomberg-Bericht. Der Bitte um Stellungnahme, wie die Interessenkonflikte im Fall der Fed-Programme gehandhabt wurden, kam BlackRock nicht nach. Der Schattenfinanzminister Bear, AIG und TALF waren längst nicht alles an Krisengeschäft, das Finks Truppe erhielt: Im Dezember 2008 unterschrieb die Notenbank erneut einen Vertrag mit BlackRock. Dieses Mal ging es um ein verlustbringendes Milliardenportfolio bei Citigroup. Citi musste mehrfach vom Staat gestützt werden, sonst hätten die Wackelhypotheken den einst größten Finanzkonzern der Welt umgehauen. BlackRock sollte das Portfolio testen und die größtmöglichen Verluste errechnen. In Washington war BlackRock ebenso gefragt: Fannie Mae und Freddie Mac sind öffentlich-rechtliche Institute, mit dem gesetzlichen Auftrag, den US-Hypothekenmarkt zu unterstützen, damit möglichst viele Bürger ein Eigenheim erwerben können. Das Ziel gilt als politisch wichtig, denn in Amerika geht man davon aus, dass Eigentümer ein weit
größeres Interesse am Funktionieren des Gemeinwesens haben als Mieter, schließlich hängt der Wert ihrer Immobilie davon ab. Die beiden Förderinstitute Fannie und Freddie gehören zu den größten Aufkäufern von Hypotheken weltweit (nach der Krise sogar noch mehr als zuvor). Sie kaufen die Hypotheken von Banken, die diese ursprünglich mit den Hausbesitzern abgeschlossen haben. Doch die beiden Kolosse kauften und verbrieften zu viele Wackelhypotheken und mussten schließlich von den USSteuerzahlern mit knapp 190 Milliarden Dollar aufgefangen werden. Auch die Experten bei Fannie und Freddie zeigten sich offensichtlich überfordert, als es darum ging, die Kreditqualität der Hypotheken, die sie in den Jahren vor der Krise erworben hatten und die nun in ihren Beständen waren, ohne Hilfe zu überprüfen. So ging auch dieser Analyseauftrag an einen alten Bekannten in New York: BlackRock. Zudem bewarb sich BlackRock im Herbst 2009 als einer der Manager für ein weiteres Hilfsprogramm, dieses Mal für das US-Finanzministerium. Bei diesem Auftrag sollte BlackRock in einem so genannten Public-private Investment Program (PPIP) mit eigenen und öffentlichen Mitteln angeschlagene Wertpapiere etwa von Banken aufkaufen, um deren Bilanzen von Altlasten zu befreien. Ende 2012 löste BlackRock den Fonds auf und überwies dem Finanzministerium 917 Millionen Dollar – 528 Millionen entsprachen dem ursprünglichen öffentlichen Investment des Finanzministeriums und 389 Millionen waren Gewinn für die Staatskasse. Robert Kapito, inzwischen zum Präsidenten bei BlackRock ernannt, lobte in einer Pressemitteilung zu der Auflösung des PPIP-Fonds, mit dem Engagement habe BlackRock zur Stabilisierung der Hypothekenmärkte beigetragen und gleichzeitig solide Gewinne erwirtschaften können. Dies beweise, dass »eine Partnerschaft zwischen Staat und Privatwirtschaft in überzeugender Weise lohnend und profitabel sein könne«.
Dass Fink und BlackRock an allen Ecken und Enden der Rettungsaktionen auftauchten, galt zumindest bei einigen in Washington als ein Zeichen von großzügiger gemeinnütziger Hilfsbereitschaft. James R. Wilkinson etwa, die rechte Hand von George W. Bushs Finanzminister Henry Paulson, lobte Fink in einem Interview als einen »Patrioten«. Paulson war in der ersten Phase der Finanzkrise für das Krisenmanagement zuständig. Zuvor war er allerdings Goldman-Sachs-Chef gewesen und Fink aus Wall-Street-Zeiten vertraut. Umsonst übernahm BlackRock diese Dienste für das Vaterland allerdings nicht. Wie viel das Unternehmen im Einzelnen bekommen hat, ist schwer nachzuvollziehen. Lange Zeit hielt etwa die Notenbank ihre Dokumente unter Verschluss. Erst 2010 konnte die Finanznachrichtenagentur Bloomberg viele der Details erstmals öffentlich machen. Dafür hatte sie jedoch unter dem Freedom of Information Act, der US-Bürgern das Recht auf Auskunft von öffentlichen Stellen zusichert, eine Klage anstrengen müssen. Laut einem späteren Bericht des US Government Accountability Office erhielt BlackRock für die MaidenLane-Dienstleistungen insgesamt knapp 182 Millionen Dollar. Für die Teilnahme an TALF erhielt das Unternehmen vergleichsweise bescheidene 1,25 Millionen Dollar. Für Beratungstätigkeit in Sachen Citigroup gab es noch einmal 12 Millionen Dollar von der New Yorker Notenbank. Für Dienstleistungen für ein Aufkaufprogramm von Hypothekenpapieren, bei dem BlackRock die New Yorker Fed unterstützte, kassierte das Unternehmen rund 11 Millionen Dollar. In einem Brief an den Kongress warnte POGO, eine Washingtoner Bürgerinitiative gegen Korruptions- und Amtsmissbrauch: »Die finanziellen Interessen von BlackRock sind noch unübersichtlicher als die anderer Firmen, angesichts der Vielzahl der Verträge und Arrangements mit der öffentlichen Hand.«
Zumindest einige Volksvertreter und Beamte in Washington nahmen BlackRock ins Visier. Die betreffenden Unternehmen hätten »Informationen, wann die Notenbank Wertpapiere verkaufen und welchen Preis sie für diese nehmen will, gleichzeitig haben diese Unternehmen weltweit finanzielle Verbindungen«, kritisierte Charles Grassley, ein streitbarer Senator aus Iowa, schon 2009. »Das Potenzial für einen Interessenkonflikt ist groß und sehr schwierig zu kontrollieren.« Neil Barofsky, der als Generalinspekteur im Auftrag der Steuerzahler das Bankenrettungsprogramm überprüfen sollte, nannte zwar BlackRock und Pimco nicht beim Namen. In seinem Bericht an den Kongress im April 2009 beschreibt er jedoch aus seiner Sicht problematische Überschneidungen bei solchen Partnerschaften (Seiten 147-148). »Es liegt in der Natur und der Konstruktion dieser partnerschaftlich von Staat und Privatwirtschaft geführten Fonds, dass deren Transaktionen in den festgefrorenen Märkten, in denen sie aktiv sind, eine bedeutende Auswirkung auf den Preis der betreffenden Vermögenswerte haben. Von einem steigenden Preis werden demnach all diejenigen profitieren, die ebenfalls diese Vermögenswerte managen oder halten. Das trifft auch auf die Manager der Partnerschaftsfonds zu.« In Folge nennt Barofsky mögliche Wege, wie die staatlich beauftragten Fondsmanager von ihrem öffentlichen Auftrag profitieren könnten: Der Fondsmanager kann zum Beispiel durch seine Käufe den Wert bestimmter Hypothekenpapiere hochtreiben. Wenn er dann genau solche Papiere in einem weiteren Fonds hält, den er für andere private Kunden verwaltet, dann steigt dieser Fonds ebenfalls im Wert. Das wiederum lässt die Managementgebühren steigen, die der Fondsmanager von seinen privaten Kunden erhält. Der Fondsmanager könne aber auch auf andere Weise profitieren, so Barofsky, wenn er etwa Aktien einer Bank besitze, der er im Rahmen seines
öffentlichen Auftrags toxische Papiere abkaufe. Je höher er diese Papiere bewerte, desto besser für die Bank. Das wiederum ließe den Aktienkurs steigen – Kursgewinne für den Fondsmanager, der die Bankaktien besitzt. Bei einer Anhörung vor dem Kongress im April 2010 kündigte Barofsky an, er wolle die Rolle von BlackRock in der Finanzkrise genauer untersuchen. Von der Untersuchung wurde – zumindest öffentlich – nichts mehr gehört. Ein Jahr später trat Barofsky von seinem Inspektorenposten zurück. BlackRock wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern, ob Barofsky im Zusammenhang mit den Stützungsprogrammen TALF, PPIP, TARP oder anderen Programmen der Fed oder des USFinanzministeriums Ermittlungen eingeleitet hat. In seinem Buch How Washington abandoned Main Street while Rescuing Wall Street (Wie Washington die Wall Street auf Kosten der Allgemeinheit rettete), das er nach seinem Rücktritt schrieb, beschreibt Barofsky seinen Kampf mit Vertretern des Finanzministeriums in Washington. Es sei dabei vor allem um die Notwendigkeit gegangen, »ethische Wände zwischen den Fondsmanagern, die das PPIP-Geld bekamen, und den anderen Abteilungen ihrer Unternehmen einzuziehen, damit diese nicht das System austricksen und die Preise für Wertpapiere in die Höhe treiben, die sie bereits in ihren Portfolios halten.« Laut Barofsky weigerte sich das Finanzministerium diese »ethischen Wände« bei dem PPIP-Programm verpflichtend zu machen. Das einzige, was er je in dem Zusammenhang von dem zuständigen Vertreter aus Geithners Ministeriums bekommen habe, so Barofsky, sei eine CD des Pink Floyd Albums The Wall gewesen – als Gag. Barofsky arbeitet heute in einer privaten Anwaltskanzlei in New York und vertritt private Unternehmen. Seine Spezialität: Rechtstreitigkeiten mit staatlichen Stellen und Behörden.
Dabei hatte bereits die Bear-Stearns-Transaktion bei einigen Volksvertretern Fragen aufgeworfen. Im April 2008, also einen Monat nach dem Bear-Absturz, etwa bohrte Senator Bob Casey, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, wie die Notenbank überhaupt dazu gekommen sei, BlackRock zu engagieren. Der damalige Notenbankchef Ben Bernanke erklärte, man »habe unter extremem zeitlichen Druck« gestanden. Bernanke gab keine Details, bestätigte aber, dass in der Eile auch vorab kein Honorar ausgemacht wurde. Die Honorarfrage habe man auf später verschoben. Ähnlich abwehrend reagierte Timothy Geithner auf Nachforschungen. Geithner war während der Bear-StearnsRettung der Chef der New Yorker Notenbank gewesen, also unmittelbar an den Entscheidungen 2008 beteiligt. Auf ein Schreiben von Grassley, dem Senator aus Iowa, der ebenfalls Details über den Bear-Stearns-Auftrag wissen wollte – vor allem, warum BlackRock als Verwalter von Maiden Lane ohne eine Ausschreibung und ohne ein im öffentlichen Dienst sonst übliches reguläres Bieterverfahren bestellt worden sei – gab Geithner bloß zurück, die Umstände hätten diese Ausnahme notwendig gemacht. Das Unternehmen, so der New Yorker Notenbankchef, sei ausgewählt worden wegen seines »technischen Know-hows, operativen Kapazitäten und den nachweislichen früheren Erfolgen«. Als der Senator eine Kopie des Vertrags mit BlackRock haben wollte, erklärte Geithner, dazu müsse sich der Volksvertreter schon nach New York bewegen, ein Einblick in das Dokument sei nur in der New Yorker Notenbank und auf vertraulicher Basis möglich. Anders als Banken wie Goldman Sachs, Morgan Stanley oder Citigroup hat BlackRock die Finanzkrise nicht nur überlebt, sondern durch sie an Macht und Kapital gewonnen. Worin lag der Unterschied? BlackRock war
besser an die neue moderne Finanzwelt angepasst, die in den vergangenen Jahren entstanden war. Finks Zerstückeln und Zerlegen von Hypotheken, das alles war nur ein kleiner Teil einer weit umfassenderen Veränderung. Geld ist in den vergangenen Jahrzehnten immer abstrakter geworden, bis es heute blinkende Zahlen auf Monitoren, Einträge auf Spreadsheets darstellt. Beziehungen wie einst vom Schuldner zum Gläubiger oder von einem Land zum anderen lassen sich in Arbitrageformeln oder in Zinssätzen ausdrücken. Selbst wenn von Cash die Rede ist, dann ist ganz selten ein Dollarschein oder eine Euromünze gemeint. Ein Teil der Finanzmärkte hat sich schon früh in diese Richtung bewegt: Nur wenige Teilnehmer an den Terminbörsen in Chicago wollen am Ende ihres Kontrakts einen Sack Weizen, eine Lieferung Schweinebäuche oder einen Tank Orangensaft vor ihrer Tür finden. Zwar war das der Ursprung des modernen Terminhandels, als sich Farmer und Rancher des amerikanischen Mittleren Westen an der 1848 etablierten Chicago Board of Trade gegen einen Preisverfall ihrer Maisernte oder ihrer Rinder absichern und Fleischfabriken und Großbäckereien sich vor einer Teuerung bei ihren Rohmaterialien schützen wollten. Heute werden diese Märkte zwar immer noch von diesen Anbietern und Nachfragern genutzt, doch es gibt noch viel mehr Marktteilnehmer, die aus ganz anderen Bedürfnissen in Chicago Terminkontrakte auf Rinderhälften oder Mais kaufen. Etwa Pensionsfonds, die eine steigende Inflation fürchten und deswegen in Rohstoffe investieren. Oder Hedgefonds, die einfach nur Spekulationsgewinne suchen. Heute hat sich um die einstigen landwirtschaftlich geprägten Märkte ein komplexes Geflecht von Finanzinstrumenten gebildet. Die Terminmärkte sind nur ein Beispiel. Doch der Sog, fundamentale Transaktionen wie diese immer abstrakter und globaler zu machen, droht die Schöpfer dieser neuen Finanzwelt – Banker,
Spekulanten, Investoren, Händler – zu überfordern. Wie 2008. Für Fink und BlackRock mit seinen Rechnern und Computermodellen war es – bisher zumindest – dagegen die perfekte Umgebung. Und BlackRock hat es verstanden, dies wie keine andere Organisation für sich zu nutzen. Vor allem nach der großen Krise, als Unsicherheit und Verwirrung bei allen Akteuren herrschte. Der Name BlackRock taucht bei fast jeder Rettungsaktion von Notenbanken und Regierungen auf – so häufig wie kein anderes Unternehmen. Der Aufstieg von Fink & Co. ist so eng mit den Finanzkrisen in den USA und in Europa und ihren anhaltenden Folgen verwoben, dass ohne sie die Macht und Bedeutung von BlackRock kaum denkbar ist. Doch bis heute ist, was damals geschah, selbst für viele Insider nicht klar. Und damit auch nicht, welche Rolle BlackRock darin spielt. Hinein in die Zirkel der Macht Timothy Geithner war eine Schlüsselfigur für die Wall Street und insbesondere für BlackRock. Als New Yorker Notenbankchef war er eigentlich der oberste Aufseher der Banken dort. Während der Krise 2008 wurde er ihr oberster Retter. Danach stieg er noch weiter auf: Der damals frisch gewählte Präsident Barack Obama berief ihn Anfang 2009 zum Finanzminister. Es war zu dem Zeitpunkt das wichtigste Ressort, das Obama zu besetzen hatte. Geithners Karriere ist fast so erstaunlich, wie die des Präsidenten selbst. Dass der schlaksige, jungenhaft wirkende Geithner es mit Mitte 40 überhaupt zum Chef der New Yorker Notenbank gebracht hatte, verdankt er seinem Talent, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute kennenzulernen. Denn Geithner war kein Banker, er hat nie in der Finanzindustrie gearbeitet. Er war im öffentlichen
Dienst zu Hause. Als er in Washington als junger Beamter im Finanzministerium arbeitete – eben jenem Ministerium, dessen oberster Chef er Jahre später werden sollte –, fiel er Anfang der 1990er Jahre Larry Summers auf. Der machte ihn zu seinem Assistenten. Summers selbst war ein politischer Ziehsohn von Robert Rubin, Präsident Clintons Finanzminister. Rubin kam von der Wall Street, er hatte vor seinem Wechsel in die große Politik Goldman Sachs geführt. Für die Goldman-Chefs stellte der Wechsel ins Finanzministerium inzwischen eine Art Ritterschlag dar (siehe Ex-Goldman-Boss Henry Paulson, der den Posten unter George W. Bush antrat). Rubin war als Finanzminister seiner ehemaligen Branche weiter freundlich zugetan. Als verantwortlicher Minister gilt Rubin nicht zuletzt als entscheidende Kraft, die damals diskutierte Regulierung für die neuartigen Derivate zu verhindern. Derivate, wie diejenigen, die später AIG in den Beinahe-Ruin trieben. Als Rubin das Ministeramt aufgab – er ging zurück an die Wall Street in die Chefetage der Citigroup –, schanzte er seinem politischen Ziehsohn Summers den Posten zu. Und Geithner, der Dritte im Bunde, gehörte plötzlich zum inneren Zirkel der Macht in Washington. Während der Asienkrise und später bei der Rettungsaktion für den Hedgefonds Longterm Capital Management, dessen Zusammenbruch 1998 eine globale Krise auszulösen drohte, tauchte Geithner bei den Verhandlungen an der Seite von Summers auf und fiel einigen Wall-Street-Größen ins Auge. Unter anderem Pete Peterson – genau jenem Peterson von Blackstone, der Fink seine Chance nach dem First-Boston-Debakel gab – und der später Aufsichtsratschef der New Yorker Notenbank wurde. (Die großen Banken dürfen ihre Vertreter in den Aufsichtsrat der New Yorker Fed entsenden, der Ursprung dieses unorthodoxen Arrangements ist in der Gründung der Federal Reserve 1913 zu suchen.) Peterson jedenfalls
suchte einen neuen Leiter für die Institution. Die New Yorker Notenbank ist keineswegs ein Provinzableger der Zentrale in DC. Sie erfüllt eine wichtige Funktion: Während die Notenbankchefs in Washington für die Geldpolitik zuständig sind, überwacht die New Yorker Fed die Wall Street. Eigentlich sollte jemand mit einem reichen Erfahrungsschatz in den Märkten und einem gewissen Status in der Branche den Posten innehaben. Geithner besaß zu diesem Zeitpunkt weder das eine noch das andere. Doch seine Kontakte ebneten ihm den Weg. Nach einem kurzen Abstecher zum Internationalen Währungsfonds (der später ein Nachspiel haben wird, weil Geithner teilweise versäumt, Steuern auf sein IWFEinkommen zu zahlen, was der designierte Finanzminister mit einem fehlerhaften Computerprogramm erklärt), wird er 2003 Notenbankchef in Manhattan. Seine Fähigkeit, den richtigen Ansprechpartner zu finden, hilft ihm auch hier: Gerald Corrigan war selbst 20 Jahre bei der Fed, bevor er zu Goldman Sachs wechselte. Er nahm Geithner unter seine Fittiche. Ein freundschaftliches Verhältnis unterhielt Geithner bald auch mit Finks Erzfeind »John-Boy« Thain, damals noch bei Goldman, später Chef der New Yorker Börse. Mit ihm telefoniert Geithner regelmäßig. Auch mit Jamie Dimon, dem Boss von JPMorgan Chase, pflegt er zu speisen. Dimon war eigentlich Geithners Vorgesetzter: Der JP-Morgan-Chef war gleichzeitig im Aufsichtsrat der Notenbank. Und mit Dimon fädelt Geithner auch den BearStearns-Deal ein, an dem BlackRock ebenfalls beteiligt ist. Auch mit Fink tauscht sich der branchenfremde Notenbankchef gerne aus. Mit BlackRock-Mitgründer Ralph Schlosstein und dessen Frau trifft sich Geithner schon mal zum Dinner im New Yorker In-Lokal Café Boulud oder zum Gedankenaustausch zu Hause, wie aus Geithners offiziellem Kalender hervorgeht. Dabei sei es aber nie um BlackRocks Geschäfte gegangen, sondern um die
allgemeine Lage an den Märkten, versicherte Schlosstein der New York Times. »Gespräche mit Tim waren angemessen einseitig. Er rief an, bombardierte dich mit Fragen, bedankte sich und legte auf.« Die Verbindung zu Fink wird noch enger, als Geithner nach Washington ins Finanzministerium wechselt. Denn zu dem Zeitpunkt kann sich Geithner nicht mehr mit seinen Bankerfreunden sehen lassen. Zu groß ist der Volkszorn über die von der Wall Street ausgelöste Große Rezession. Fink jedoch wird in jenen Tagen zum Consigliere für den frischgebackenen Minister, der praktisch über Nacht vor der Aufgabe steht, die amerikanischen Banken und die amerikanische Wirtschaft zu retten. Mehr als jeden anderen Vorstandschef der Finanzbranche konsultiert Geithner den BlackRock-Mann. Allein von Anfang 2011 bis Mitte 2012 telefonieren die beiden fast 50 Mal miteinander, zählte die Financial Times bei einer Analyse des offiziellen Tagebuchs von Geithner. Nummer zwei und drei auf der Anruferliste des Ministers: die einstigen Ziehväter Robert Rubin und Larry Summers. Fink selber kann kaum verhehlen, wie stolz er auf seine Rolle in Washington ist. Gerne habe Fink nonchalant fallen lassen, er habe gerade noch einen Anruf von »Tim« bekommen, erzählt ein leitender Finanz-Insider, der Fink in jener Zeit zu gemeinsamen Terminen traf. Und dabei keinen Zweifel gelassen, dass er auf Vornamensbasis mit dem wohl wichtigsten Minister der Supermacht Amerikas sei. Auf die grüne Insel: BlackRocks Sprung nach Europa Wer auch immer von Finks neuen Freunden BlackRock empfahl: Im Herbst 2010 jedenfalls meldete sich die Central Bank of Irland bei BlackRock. Die Iren steckten in
der Klemme. Jahrelang hatte die Wirtschaft dort vom Boom der Finanzindustrie profitiert. Endlich schien die Insel eine zukunftsträchtige Branche gefunden zu haben. Am Ende waren die Bilanzen der Banken dort so aufgebläht, dass sie ein Mehrfaches des Bruttoinlandsprodukts betrugen. Dann kam die Krise und plötzlich drohten die mit toxischen Papieren und faulen Krediten gefüllten Banken den Rest des Landes mit in den Abgrund zu reißen. Es musste eine schnelle Lösung her. Doch die Rettung überforderte den irischen Staat. Brüssel und der Internationale Währungsfonds – IWF – fürchteten eine Kettenreaktion im Rest Europas. Und so bekam Dublin ein Hilfspaket von 85 Milliarden Euro. Doch zu den Bedingungen gehörte auch ein Stresstest der irischen Banken. Gemeint war: Eine Untersuchung der Bücher und Bilanzen der irischen Finanzinstitute, um festzustellen, wie gefährdet die Banken waren und wie viel frisches Kapital sie brauchen würden. Und wen rief Patrick Honohan, der Gouverneur der Central Bank of Irland, an? Richtig: BlackRock. Gemeinsam mit der Boston Consulting Group und der britischen Barclays Bank erhielten die New Yorker den Auftrag. Auch in diesem Fall, wie schon bei der US-Notenbank, wurde BlackRock Solutions angeheuert, ohne dass es eine öffentliche Ausschreibung gab. In der irischen Presse wurde gelästert, die Auftragsvergabe sei frei nach dem Motto gelaufen, »was gut genug für die Fed war, muss gut genug für Dame Street« sein – gemeint ist die Federal Reserve, also BlackRocks großer Kunde, die US-Notenbank, und die Central Bank of Ireland, die an der Dame Street in Dublin ihren Sitz hat. Rund 30 Millionen Dollar sollte der Auftrag das krisengeschüttelte Irland kosten – 6,5 Millionen Dollar pro Kopf. Im Fernsehen dazu befragt, wand sich der Zentralbankchef und erklärte schließlich, er habe sich an die Instruktionen von EU und IWF halten müssen. Die hatten die Iren zwar nicht direkt angewiesen, die
Amerikaner an Bord zu holen, aber in der entsprechenden Vereinbarung mit Irland heißt es klipp und klar: »Die Diagnoseuntersuchung sollte nicht durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder ein Beratungsunternehmen durchgeführt werden, die in den vergangenen drei Jahren ihre Dienstleistungen einer der Banken zur Verfügung gestellt haben. Die Zentralbank sollte außerdem eine spezialisierte Firma mit der Unterstützung der eigenen Mitarbeiter beauftragen, um die Nachvollziehbarkeit und Integrität der Untersuchung sicherzustellen.« Wer will, kann darin eine ziemlich genaue Anweisung sehen, BlackRock oder ein vergleichbares Unternehmen zu beauftragen. In dem Bericht zur Auftragsvergabe der Central Bank of Ireland aus dem März 2011 heißt es dazu ausdrücklich: »Um ein Ergebnis für die Stressanalyse der Kreditportfolios zu erhalten, das in den internationalen Finanzmärkten volle Glaubwürdigkeit erhält, hat die Zentralbank BlackRock Solutions beauftragt, einen führenden Spezialisten bei der Analyse von potenziellen Kreditverlusten unter Stressbedingungen.« Tom McDonnell, ein irischer Wirtschaftswissenschaftler, sieht den Grund dafür, dass Irlands Finanzwunder von kurzer Dauer war und in einem Desaster endete, nicht zuletzt in der mangelnden Distanz der Staatsdiener zur Branche: »Es war bekannt, dass die Banker vor der Krise regelmäßig mit den Zentralbankern Golf spielten – den Leuten, die eigentlich die oberste Aufsicht über die Banken hatten.« Dass bei der Rettung auch wieder bekannte Namen eine Hauptrolle spielten, hat McDonnell nicht überrascht. Er sieht darin eine konsequente Fortsetzung einer globalen Cliquenwirtschaft: »Das sind immer die gleichen Schlüsselfiguren, das Davos-Set.« Fink jedenfalls freute sich über den Großauftrag aus Europa. »Das ist größer als unser Einsatz bei AIG für die Fed und es ist größer als unsere Tätigkeit in Sachen Bear Stearns: Das ist ein gigantischer Auftrag«, schwärmte er
gegenüber Investoren, wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg im Januar 2011 berichtete. Seine Freude dürfte sich noch gesteigert haben, als es gleich zwei Folgeaufträge gab. Und das, obwohl die BlackRockBerechnungen sich als zu optimistisch erwiesen. Sie hatten für den Zeitraum von 2011 bis 2013 Erlöse von mindestens 1,9 Milliarden Euro für die untersuchten Finanzinstitute kalkuliert. Doch tatsächlich erwirtschafteten diese bis Juni 2012 nur schwindsüchtige 400 Millionen Euro, so berichtete der EU Observer, ein unabhängiges Brüsseler Medium. (BlackRock wollte sich nicht zu dem Auftrag in Irland und den Stresstestergebnissen äußern.) Allerdings gab es Fragen nach potenziellen Interessenkonflikten. BlackRock hatte im Jahr 2012 über 160 Milliarden Euro an Vermögenswerten in verschiedenen Investmentvehikeln wie etwa iShares-Fonds und Geldmarktfonds auf der grünen Insel domiziliert und verwaltete im Auftrag irischer Pensionskassen und Finanzinstitute über 5 Milliarden Euro. BlackRock entschloss sich offensichtlich, die neuen Kontakte auf der Insel gleich zu nutzen: Im April 2012 eröffnete das Unternehmen eine Niederlassung in Dublin. Da hatte die irische Zentralbank gerade einen weiteren Auftrag erteilt. Nach Abschluss der Aufträge, im Herbst 2013, erwarb eine Abteilung von BlackRock dann rund drei Prozent an der Bank of Irland, eine der in dem Stresstest von BlackRocks Analysten untersuchten Banken. Der Anteil machte BlackRock zu dem Zeitpunkt immerhin zum fünftgrößten Einzelaktionär des Kreditinstituts. Formeln nach Athen tragen Der Auftrag aus Dublin lohnte sich für Fink und seine Truppe in vielerlei Hinsicht, aber vor allem als Eintrittskarte in die Eurozone. BlackRocks Spezialität in
der europäischen Krise wurde das Durchstöbern von Kreditportfolios angeschlagener Finanzinstitute. Mit dieser Aufgabe griff BlackRock direkt im Zentrum der Krise ein: Bei den Banken. Ihre Bücher waren vollgestopft mit den europäischen Staatsanleihen, die nun kaum besser als die amerikanischen Wackelhypotheken waren. Dazu hatten die Banken – angetrieben von dem billigen EZB-Geld – mit laxer Hand Kredite vergeben, die sie nun selbst in die Gefahr der Insolvenz brachten. Um den Staatsbankrott abzuwenden, erhielt Griechenland Hilfen in Höhe von 240 Milliarden Euro von der EU-Kommission, der EZB und dem Internationalen Währungsfonds, der so genannten Troika. Auch für die maroden Banken sollte es eine Kapitalspritze geben. Doch, ähnlich wie in Irland, sollten die Griechen feststellen, wie tief ihre Banken im Morast steckten. Was hatten sie in ihren Büchern an toxischen Krediten versteckt? Das sollte nun BlackRock herausfinden. Im August 2011 gab die griechische Zentralbank den offiziellen Auftrag an Finks Truppe. Warum BlackRock? Mit einem Wort: Irland. »Es war das einzige Unternehmen, das bereits ein Bankensystem in diesem Zeitraum analysiert hatte«, erklärte Charalampos Stamatopoulos, Mitglied der Bank of Greece, gegenüber der New York Times. Irland war eine Fingerübung im Vergleich zu dem Auftrag, den Finks Zahlenumdreher aus Athen erhielten. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als ob die Finanzkrise hauptsächlich die USA heimsuchen würde. Doch dann kam 2010 das große Beben in der Eurozone. Es taten sich plötzlich Risse auf zwischen den Südländern und ihren nördlichen Nachbarn. Was jahrelang unter dem Anschein einer stetig zusammenwachsenden EU geschwelt hatte, brach nun durch die Turbulenzen an den Finanzmärkten mit Macht ans Licht. Vor allem Deutschland sah sich plötzlich in der ungeliebten Rolle des Bürgen für die Schuldenberge anderer Länder.
Griechenland wurde zum Brennpunkt und zum abschreckenden Beispiel. Der Schuldenberg überstieg längst die jährliche Wirtschaftsleistung des Landes, um genau zu sein, er betrug 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Griechenland hatte sich schon früher die Rechenkünste der Wall Street zunutze gemacht. Als es im Jahr 2001 darum ging, die Haushaltsbedingungen der EU zu erfüllen, wandte sich die Regierung in Athen an verschiedene Banken. Goldman Sachs bekam schließlich den Zuschlag. Die Idee war, einen Teil der Schulden verschwinden zu lassen, indem die Regierung DerivateTransaktionen mit Goldman einging. Auf diese Weise verschwanden 2,8 Milliarden Euro an Außenständen – allerdings nur nach der Logik der Finanzingenieure. Die Finanzmarktwetten, die Griechenland dabei einging, wandten sich jedoch bald schon gegen die Griechen und der ganze Deal kostete den geplagten griechischen Steuerzahler über 5 Milliarden. Es sei eine »sexy Story zwischen zwei Sündern« gewesen, so beschrieb es Christoforos Sardelis, der in der fraglichen Zeit Chef der staatlichen griechischen Schuldenverwaltung gewesen war in einem Interview. Kritiker sahen darin Bilanzkosmetik auf allerhöchster Ebene. Dank der Finanztricks hatten sich die Griechen europareif gerechnet. (Griechenland war übrigens nicht das einzige EU-Mitglied, das in die Trickkiste der Wall Street griff, mit Sicherheit aber das einzige Land, das sich dabei derartig in die Klemme brachte.) Operation Solar: brisante Rolle im Krisenherd Für die BlackRock-Jungs war es eine monumentale Aufgabe. Kaum weniger anspruchsvoll, als wenn die Griechen gefordert hätten, die Akropolis erst ab- und dann wieder neu aufzubauen. Es ging um Millionen Darlehen bei
18 verschiedenen Banken, insgesamt Kredite in Höhe von 255 Milliarden Euro. (In Irland waren es nur vier Banken gewesen.) Bei den Darlehen mussten Kreditnehmer und Sicherheiten gecheckt und das entsprechende Ausfallrisiko kalkuliert werden. Anders als in Irland gab es eine Sprachbarriere. Und der Zeitraum für die Prüfung war in Monaten, nicht Jahren bemessen. Die Analyse erforderte aber mehr als die richtigen Computerprogramme und fleißige Mitarbeiter. Fingerspitzengefühl war entscheidend. Denn von dem Ergebnis hing nicht zuletzt die Zukunft Griechenlands und auch der EU ab. Setzten die BlackRockPrüfer den Kapitalbedarf der Banken zu optimistisch und damit zu niedrig an, dann drohten die Institute bei weiteren Kreditausfällen zusammenzubrechen und die Krise zu verschärfen. Wenn die Prüfer jedoch den Kapitalbedarf zu hoch ansetzten, würde es schwierig werden, private Investoren zu finden, die den Banken die Mittel geben wollen. Und umso mehr würde der bereits überschuldete griechische Staat in die Banken pumpen müssen. Fink schickte ein Sondereinsatzkommando nach Athen. Angesichts täglicher Berichte über Straßenschlachten, brennende Reifen und Tränengaskanonaden zeigten sich die sonst so abgebrühten Wall-Street-Jungs doch besorgt: Solche Proteste gab es bei allem Unmut in den USA nie. So sollte es eine diskrete Mission sein. Wie in einem schlechteren Spionage-Thriller legte sich das Team einen Codenamen zu: Projekt Solar. BlackRocks Mitarbeiter durften beim Solar-Projekt nichts mit sich führen oder an sich tragen, das das Logo des Unternehmens aufwies, so berichtete die New York Times aufgeregt. Ein privater Sicherheitsdienst bewache die amerikanischen Analysten. In dem unauffälligen Athener Bürogebäude, in dem das Solar-Team monatelang untergebracht war, sollten andere Mieter offenbar davon ausgehen, es handele sich um eine Sonnenenergiefirma. Über die Tarnung lacht Janis
Varoufakis heute noch. Varoufakis, der mit seinem kahlrasierten Kopf, Lederjacke und kurzer Zündschnur als frisch gebackener griechischer Finanzminister 2015 Merkel, Schäuble und die deutsche Fernsehnation schockte, erinnert sich: »Selbst Taxifahrer in Athen diskutierten darüber, was die BlackRock-Typen wohl aus ihrem Auftrag machen würden.« Varoufakis selbst hatte lange vor der Krise gewarnt, die Banken seiner Heimat seien schlicht bankrott. Mit dieser Wahrheit, für die er die Expertise von BlackRock nicht gebraucht habe, sei er so unbeliebt in Athen geworden, dass er Todesdrohungen erhielt. (Zudem verdiente er als Dozent immer weniger, jedenfalls verließ der Experte für Spieltheorie Athen und ging an die Universität von Texas in Austin.) Die Rolle von BlackRock sei es auch gar nicht gewesen, tatsächlich etwas herauszufinden, behauptet Varoufakis. »Bei solchen Aufträgen wissen die Berater, was erwartet wird.« In dem Fall sollten sie die faulen Kredite nicht zu hoch und nicht zu niedrig ansetzen. Für die griechischen Banker muss es jedenfalls ein unangenehmer Besuch gewesen sein, wenn die Solar-, pardon, BlackRock-Crew hereinmarschierte und Einblick in die Unterlagen forderte. Aber am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf die Forderungen der ungebetenen Gäste einzugehen, wollten sie nicht den Unmut ihrer Zentralbank und halb Europas auf sich ziehen. Der BlackRock-Report brachte den Griechen immerhin rund 50 Milliarden Euro von der EU, um ihre Banken zu stabilisieren. Die Athener Auftraggeber waren so zufrieden mit BlackRocks Ergebnis, dass sie zwei Jahre später gleich noch einen Bankenstresstest bei den New Yorkern orderten. Griechenland ging es nach wie vor miserabel. Die Wirtschaft schrumpfte, die Arbeitslosigkeit lag bei 30 Prozent – bei Jüngeren sogar bei 50 Prozent. Jeder Dritte im Land lebte laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat unter der Armutsgrenze. Und die Kreditausfälle
bei den Banken stiegen immer noch weiter. (Das hatte BlackRock vorhergesagt.) Zusammen hielten die griechischen Finanzinstitute über 70 Milliarden fauler Kredite – das entspricht etwa einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts. Es wurde Zeit für eine weitere Intervention. BlackRocks Spezialeinheit wurde erneut angefordert. Auch dieses Mal hing eine Menge von dem Resultat ab. Denn das Land wurde von den von der Troika geforderten Sparmaßnahmen gelähmt. Die – aktuelle – griechische Regierung hatte deshalb beschlossen, das Joch der Troika abzuschütteln. Dazu wollte sie den BlackRockBericht nutzen. Laut Finks Zahlenakrobaten fehlten den griechischen Banken rund 6 Milliarden Euro. In dem ursprünglichen Bankenrettungsfonds befanden sich aber noch rund 11 Milliarden Euro. Das Kalkül der Griechen: Da der BlackRock-Bericht nur einen Bedarf von 6 Milliarden Euro auswies, könne man den Rest der Summe aus dem Fonds für andere Hilfsmaßnahmen umwidmen. Doch die Troika protestierte. Ihre Erbsenzähler waren auf ein ganz anderes Ergebnis als BlackRock gekommen. Viel zu optimistisch hätten die BlackRock-Analysten kalkuliert. Demnach fehlten den griechischen Banken tatsächlich mindestens 10 Milliarden, ließ die EZB durchsickern. Die Rechenknechte des IWF kamen gar auf über 20 Milliarden Dollar. So jedenfalls flüsterten Insider der Financial Times im März 2014 zu. Andere widersprachen der hohen Summe, derart weit liege man nicht auseinander. Tatsache ist: Monatelang stritten sich Athen, Washington, wo der IWF zu Hause ist, und Brüssel darüber, welcher Betrag der richtige sei. Der wahre Kern des Disputs: Das weit niedrigere BlackRock-Ergebnis würde den Griechen den notwendigen Spielraum verschaffen, um sich von der Troika loszusagen. So spielte BlackRock mit seiner Bankenanalyse hinter den Kulissen der Eurokrise das Zünglein an der Waage.
Zypern: Fortsetzung der griechischen Tragödie Die Eurokrise erwies sich nicht nur für BlackRock als lukrativer Markt. Regierungen, Zentralbanken und einzelne Banken suchten händeringend externe Experten. Meist ging es um Bewertungen, Analysen, um das Durchrechnen und Überprüfen von Annahmen. Es ging um Kredite, die Banken vergeben hatten oder um komplexe Wertpapiere in deren Portfolios, um Vermögenswerte, bei denen Zweifel bestanden, ob es sich tatsächlich um »Werte« handelte. Ein wichtiger Teil der Aufgabe war dabei aber immer auch, wieder Vertrauen zu schaffen. Denn wenn es heißt, im Krieg sterbe die Wahrheit zuerst, dann war in der Finanzkrise das erste Opfer das Vertrauen in die Institutionen gewesen. Konnte der Zentralbankchef oder Finanzminister dagegen seine Einschätzung mit einem Hunderte Seiten langen Bericht eines Unternehmens aus New York belegen, dann konnte er zumindest hoffen, dass seinen Angaben über den Zustand der Banken mehr Glauben geschenkt werden würde. Für die EZB-Oberen und die Regierungschefs der Geberländer war es ebenfalls praktisch. Sie konnten sagen: Seht, liebe Wähler, wir haben strenge Vorgaben, wir nehmen die Regierungen und die Banken in die Pflicht! Neben BlackRock tummeln sich auch die Bankberater von Oliver Wyman in dem Bereich. Dazu die »Big 4«, wie die großen Wirtschaftsprüfer genannt werden – also Ernst & Young, Deloitte, KPMG und PriceWaterhouseCooper – sowie Firmen wie Alvarez and Marsal, die unter anderem Lehman Brothers im Auftrag des Konkursverwalters abwickelten sowie gegen stattliche Honorare jahrelang und letztlich offensichtlich erfolglos die rostende Detroiter Autoindustrie berieten. Mal versuchen sich diese globalen Profiteure der Krisen gegenseitig auszustechen, mal kooperieren sie und teilen sich die Aufträge. Die Honorare gehen stets in die
Millionen, oft sind sie im zweistelligen Millionenbereich. Dennoch dürfte bei den Auftragsnehmern das Geld nur ein Teil der Attraktion sein. Fast wichtiger sind die Verbindungen und Einblicke, die sich bei diesen Einsätzen gewinnen lassen. Dass die meisten Kontakte weniger auf Minister- als auf Beamtenebene stattfinden, ist dabei gar kein Nachteil, eher im Gegenteil. Denn Beamte und Funktionäre wissen Konkretes – und überleben meist länger als die Regierungen, denen sie dienen. Beim Kampf um die Aufträge geht es nicht immer gentlemanlike zu. In Zypern etwa geriet das Gerangel geradezu zum Polit-Thriller, auch hier komplett mit Codenamen. Das Drama auf der Mittelmeerinsel war eine Fortsetzung der griechischen Tragödie. Die zypriotischen Finanzinstitute hatten gut davon gelebt, die bei ihnen angelegten Schwarzgelder russischer Oligarchen in hochverzinste griechische Staatsanleihen zu stecken. Der griechische Schuldenschnitt Anfang 2012 – der bis dahin größte der Geschichte – machte die Staatsanleihen jedoch zu blutroten Verlustbringern. Den größten Banken der Insel drohte der Untergang. Schnell meldeten sich die Zyprioten in Brüssel. Um eine erneute Ausbreitung von Panik in der Eurozone zu verhindern, griff die Troika auch hier wieder ein. Und auch hier forderten ihre Mitglieder – EZB, EUKommission und IWF – eine Analyse der Banken, bevor ein Rettungsfonds kommen sollte. Panicos Demetriades, damals der Chef der Central Bank of Cyprus, holte entsprechend Angebote von Pimco, BlackRock, Oliver Wyman und Clayton Euro Risk ein – alles einschlägig bekannte Unternehmen. Obwohl BlackRock als Favorit galt, bekam ausgerechnet Erzrivale Pimco schließlich den Zuschlag. Doch das war noch nicht das Ende der Sache. Ende 2012 sickerte durch, dass der Bedarf der Banken bei erschreckend hohen 9 Milliarden Euro liegen dürfte. Während die EU-Gläubiger, allen voran Deutschland, der
vielen bankverschuldeten Rettungsaktionen müde, harte Forderungen begrüßten, protestierten die zypriotischen Banker heftig und intervenierten bei Demetriades. Da tat der Zentralbankchef etwas Ungewöhnliches: Er engagierte die BlackRock-Analysten, denen er zuvor den Zuschlag nicht hatte geben wollen. Sie sollten – wie beim Facharzt – quasi eine zweite Meinung abgeben. BlackRock sollte also den Pimco-Report überprüfen. Die Pimco-Leute schäumten. Aber sie konnten wenig ausrichten. Wie schon in Griechenland versuchten die BlackRock-Jungs ihre Tätigkeit soweit wie möglich unter dem öffentlichen Radar zu halten. So sehr, dass sie für die Beteiligten Decknamen verwendeten, berichtete jedenfalls die New York Times unter Berufung auf interne Dokumente. Claire war demnach die Bezeichnung für die zypriotische Zentralbank, Peter stand für Pimco und Ben für BlackRock. BlackRock kam zu dem Ergebnis, ihre Konkurrenten von Pimco hätten zu pessimistische Annahmen gemacht. Die Prognosen für die Kreditausfälle seien zu hoch angesetzt. Kurz: Der Finanzbedarf der Banken sei geringer als der von Pimco und der Troika angesetzte. Sieben Monate lang ging das Tauziehen zwischen Zypern und den europäischen Gläubigern. Anfang 2013 schnürte die Troika das Rettungspaket – auf der Grundlage der Pimco-Zahlen. Der veranschlagte Finanzbedarf war von großer Bedeutung – nicht zuletzt für die Zyprioten, von denen viele ihre Ersparnisse verloren. Denn ihre Einlagen bei den Banken wurden mit zur Rettung herangezogen. Anders als in Griechenland war es dieses Mal das Außenvorbleiben des BlackRock-Berichts, der das politische Schicksal des Landes beeinflusste. Wenig überraschend machten die Verluste der Sparer die zypriotische Regierung unbeliebt. Warum der positivere BlackRock-Bericht nicht eingebracht wurde, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Demetriades, der auf Druck der neuen Regierung in Zypern abgelöst worden war, behauptet, der Bericht sei zu spät
fertig geworden. Offiziell ging er tatsächlich erst im Mai 2013 bei der Zentralbank ein. Doch Insider behaupten, eine Vorversion habe dem Zentralbankchef bereits im Januar vorgelegen. Dieser habe aber weder die Troika, noch die neue Regierung über die positiveren Ergebnisse darin informiert. Wie auch immer die Vorgänge auf der Mittelmeerinsel waren: Klar ist, dass auch hier BlackRock mit dem Bericht seiner Analysten eine entscheidende politische Rolle spielte. BlackRock wollte auf Anfrage zur Tätigkeit des Hauses in Zypern nicht Stellung nehmen. Nicht zum Zug kam BlackRock in Spanien. Zwar waren die New Yorker angeblich kurz davor, den Zuschlag zu bekommen, doch dann zuckte Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos im letzten Augenblick zurück. Gegenüber Bloomberg News erklärte er: »Glauben Sie nicht, dass BlackRock Vermögenswerte in Spanien kaufen will? Wenn Sie der Schiedsrichter sind und gleichzeitig kaufen Sie diese Vermögenswerte, um die es geht, dann ist das ein klarer Interessenkonflikt.« (Oliver Wyman und Roland Berger bekamen stattdessen den Zuschlag.) Fink habe geschäumt vor Wut, berichtet ein Mitarbeiter, er habe von den Verantwortlichen in Europa wissen wollen, wie ihnen ein solcher Auftrag durch die Lappen gehen konnte. Spanien war die Ausnahme. Wie schon in den USA, steht Finks Nummer auch in Europa auf der Kurzwahlliste von Zentralbankern, Finanzministern und EU-Spitzenleuten. (So erteilte Her Majesty’s Treasury, das britische Schatzkanzleramt, den Amerikanern wenige Monate nach der Absage der Spanier BlackRock den Auftrag, die toxischen Vermögenswerte der Royal Bank of Scotland auseinanderzunehmen.) Im Sommer 2012 gelang Fink jedoch ein Coup, der BlackRock endgültig fest in Europa etablierte. Aber der Reihe nach. Auf dem Zauberberg
Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist der Traum jedes Verschwörungstheoretikers. Jedes Jahr im Januar trifft sich in dem Städtchen in den Schweizer Alpen die Weltelite oder besser gesagt, diejenigen, die von den Organisatoren und den Sponsoren dafür gehalten werden. Eingeweihte benutzen übrigens statt Weltwirtschaftsforum oder dem englischen Namen World Economic Forum nur die Abkürzung WEF, das wie ein kurz dahin gebelltes »Weff« ausgesprochen wird. Zum »Weff« gehört unbedingt die winterliche Kulisse. Der US-Sender CNN forderte einmal die Veranstalter auf, die Schneekanonen anzuwerfen. Die Tannen sollten gefälligst schön eingepudert sein. Den Einwand, dass so etwas bei zu warmen Temperaturen nicht möglich sei, ließen die Produzenten nicht gelten. Das »Weff« 2015 setzte neue Maßstäbe. Es kamen über 2 500 Teilnehmer aus 140 Ländern. Der Züricher Flughafen meldete für die Zeit vom 21. bis 24. Januar rund 1 100 zusätzliche Flüge. Das lag vor allem an den Privatjets. Zwischen der Schweizer Bankenmetropole Zürich und der höchsten Stadt der Alpen (so bezeichnet sich die 11 000-Seelen-Gemeinde gerne selbst) sah man in den »Weff«Tagen fast nur schwere Limousinen auf der Straße. Audi, Mercedes, BMW, SUVs – getönte Scheiben im Fond, der Chauffeur am Steuer. Ganz Eilige nahmen den Helikopter. Der chinesische Premierminister soll dagegen angeblich mit der Bahn angereist sein. In der 1. Klasse der Rhätischen Bahn liegt auf jedem Platz die jüngste Ausgabe der Financial Times. Das zeigt schon, dass es in diesen vier Tagen im Jahr nicht um Skifahren und die gute Luft in den Alpen geht. Die ersten Absperrungen beginnen bereits etwa 20 Kilometer vor Davos. Tausende Soldaten der Schweizer Armee sind im Einsatz. Angeblich werden die Wasserleitungen und Quellen oberhalb von Davos regelmäßig getestet. Niemand soll schließlich die »Weff«Besucher vergiften. Auf dem Dach des Kongress-Hotels sind Scharfschützen in weißen Tarnanzügen postiert, die
mit ihren Feldstechern die Umgebung auf Verdächtiges absuchen. Das Gebiet um das Kongresszentrum, das an eine überdimensionale Holzschachtel erinnert, ist komplett abgeriegelt. Nur mit dem Sonderausweis lassen einen die freundlichen, aber bestimmten Polizisten passieren. Dann geht es durch den Metallscanner und schließlich durch einen weißen Plastikschlauch bis zur nächsten Kontrolle. Nobelpreisträger Robert Shiller kommt gerade aus dem Tunnel gelaufen. Und dann geht das Sprachgewirr los. Inder, Chinesen, Sudanesen, Amerikaner, Araber, Schweizer, Italiener, Japaner, Ägypter, Ukrainer, Russen, Deutsche. Hier, im Kongresszentrum, finden auf den unteren Ebenen die »Power Meetings« statt. An kleinen Kaffeetheken können sich Konferenzteilnehmer austauschen. Journalisten lauern auf vorbeigleitende große Fische, auf die VIPs aus Wirtschaft und Politik. Um die Wartezeit zu überbrücken, bedienen sie sich freimütig an den Kaffeebars mit Cappuccino, Milchkaffee, Tee, Rüblitorte und Nusskuchen. Alles gratis! Die »Weff«-Zeit soll schließlich so effizient wie möglich genutzt und nicht mit dem Griff nach dem Kleingeld vergeudet werden. Drumherum im Städtchen wird jeder Meter eingesetzt. Der Friseursalon hat seine Räumlichkeiten an einen Sponsor vermietet, der dort Meetings abhält. Einheimischen, die während des »Weff« einen Haarschnitt brauchen, bietet der Friseur stattdessen Hausbesuche an. Die Credit Suisse hat nicht weit davon den Möbelladen angemietet, komplett ausgeräumt und zu einer Begegnungsstätte umgewandelt. Microsoft ist ebenfalls mit einem Pavillon vertreten. Google soll angeblich 30 000 Schweizer Franken in der Woche für ein Apartment gezahlt haben, so wird erzählt. In der Stadtbücherei haben sich das Schweizer Radio und Reuters eingenistet. Auf dem Dach des Hallenbads, gleich neben dem Kongresszentrum, haben das Schweizer TV, der amerikanische Wirtschaftssender CNBC und Fox News ihre Pop-up-Studios aufgebaut.
Staatschefs, Ökonomen, Wirtschaftsbosse geben sich hier im Minutentakt für die Live-Sendungen und Interviews die Klinke, pardon, das Mikro in die Hand. Nirgendwo auf dem Planeten findet sich so viel Macht wie hier in diesem überraschend uncharmanten Berg-Kaff mit seinen zusammengewürfelten Hotelkästen. Dass sich das »Weff« zu einer Art globalen ÜberOrganisation entwickeln würde, war nicht abzusehen. An Ehrgeiz mangelte es dem Gründer Klaus Schwab allerdings nicht. Schwab, Jahrgang 1938, wurde in Ravensburg im Oberschwäbischen geboren. Als junger Mann engagierte er sich in der europäischen Bewegung. Er studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaft und erhielt einen Mastertitel in öffentlicher Verwaltung von der Harvard University. Die Art, wie die Amerikaner sich intellektuell mit Betriebsführung und Unternehmen auseinandersetzten, faszinierte Schwab. Dazu gehörte etwa die Ansicht, dass Unternehmen nicht nur den Eigentümern verpflichtet sind, sondern auch anderen Interessen wie etwa dem Staat, den Arbeitnehmern und den Kunden. 1971, er war inzwischen Professor an der Universität in Genf, organisierte er ein Europäisches Management Forum in Davos. Ihm gefielen die Abgeschiedenheit des Orts und die Tatsache, dass er ein Kongresszentrum hatte. Und nicht zuletzt der Nimbus der Intellektualität, der Davos umgab. Auf der Davoser Schatzalp spielt Der Zauberberg von Thomas Mann. Der Bildhauer Philipp Modrow wollte dort eine Frauenhochschule eröffnen, in der in Esperanto unterrichtet werden sollte. Das war 1921. Die Stadtväter lehnten dankend ab. Als 1928 tatsächlich eine Hochschule eröffnet wurde, hielt Einstein die Ehrenrede. Im Frühjahr darauf hielten Heidegger und Cassirer, die Gegenpole der Philosophie des 20. Jahrhunderts, ihre legendäre Disputation dort. Ob es nun die Alpenluft, die Skipisten oder das Nachklingen der großen Denker war – Schwabs
Forum, das er jährlich wiederholte, zog immer mehr Teilnehmer an, es wurde ein globales Phänomen. 1987 nannte er es entsprechend um zum World Economic Forum. Um die Veranstaltung herum ist ein ganzes Konglomerat aus Forschungsinstituten, Konferenzen und Beratungsleistungen entstanden. Am Hauptsitz in Cologny, nahe Genf, beschäftigt das WEF inzwischen etwa 500 Personen, in New York 120, in Peking 30, und 8 Personen arbeiten im Tokioter Büro. Im Jahr 2015 betrug das Budget 250 Millionen Franken. Finanziert wird es durch Mitgliedsbeiträge – so gut wie alle der tausend größten Unternehmen der Welt sind dabei. So wichtig ist ihnen das »Weff«, dass sie zwar grummelten, aber zahlten, als 2014 die Beiträge um 20 Prozent anzogen. Die 100 Mitglieder der wichtigsten Gruppe, die so genannten Strategic Partners, die auch über die Ausrichtung des Programms mitentscheiden können, zahlen inzwischen 600 000 Franken pro Jahr. Zu diesen Partnern, die laut »Weff« aufgrund ihres Engagements »den Zustand der Welt zu verbessern« ausgewählt wurden, gehören deutsche Unternehmen wie Audi, Burda, Henkel, Siemens und die Deutsche Post. Dabei sind internationale Namen wie Coca Cola, die Chemieriesen DuPont und Dow Chemical, der Pharmariese Novartis, der amerikanische Infrastrukturkonzern Fluor (der stark am Wiederaufbau im Irak beteiligt war) sowie Tech-Konzerne wie Facebook, Google und Cisco. Aber auch obskure Teilnehmer wie SOCAR, der staatliche Ölkonzern von Aserbaidschan, oder Bridgewater Associates sind mit von der Partie. Ray Dalio, Gründer des 170 Milliarden Dollar schweren Hedgefonds, schwört auf »Lebens- und Managementprinzipien« und verlangt von seinen Mitarbeitern radikale Offenheit, weswegen er alle Gespräche im Unternehmen aufzeichnen lässt. Und natürlich: BlackRock. Die Besucher in Davos mögen sich allesamt zur Elite der Welt zählen. Doch auch hier gibt es klare Unterschiede.
Wer zu welcher Kaste gehört, zeigt sich an den verschiedenen Ausweisen, die den Besuchern um den Hals baumeln. An ihnen lässt sich ablesen, wer Zugang zu welchen Veranstaltungsorten hat. Der Blick der Teilnehmer wandert automatisch vom Gesicht des Gegenübers auf dessen Ausweis. »Das war so oft der Fall, dass ich zum ersten Mal verstand, wie man sich mit einem tiefen Ausschnitt fühlen muss«, beschrieb es einmal der (männliche) Reporter des New Yorker. Um zum »Real Davos« vorzudringen, braucht es allerdings mehr als den richtigen Ausweis. Die eigentlichen Gespräche finden nicht im Konferenzzentrum oder den Pavillons drum herum statt. In Hotels werden Suiten gebucht, um ein regelrechtes Speed-Dating zwischen Politikern und Wirtschaftsführern zu ermöglichen. Hier können sie ungezwungen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammenkommen. Und nur wer wirklich dazugehört, geht im Hotel Belvedere aus und ein: ein illustrer Kreis aus Zentralbankern und sonstigen Bankern, Konzernlenkern, Hedgefonds-Managern, Propheten und Erben aller Art, Astrophysikern, Mönchen, Silicon-Valley-Vertretern und in der Regel Bono. Der Lead-Sänger von U2 mit der rosa Brille ist inzwischen »Weff«-Stammgast, weniger freundlich könnte man ihn als Davoser Hofnarren bezeichnen. Bonos Anwesenheit sei gut, befand 2008 das Magazin Time. Etwa, weil er bei einer Diskussion über Armut schon mal auf die Absurdität hinweise, dass die Diskussionsteilnehmer zu den reichsten Menschen der Welt gehören. Solche selbstkritischen Töne sind aber rar. Alle »Weff«-Teilnehmer baden in gegenseitiger Anerkennung. Rund 80 Prozent der Anwesenden sind männlich und der größte Teil weiterhin weiß. »Das macht die Partys etwas einseitig«, bedauert eine Insiderin, die seit 2007 dabei ist. Obwohl alles dort weit gesitteter als bei anderen internationalen Treffen zugehe, wie sie versichert.
Die New Yorkerin berät wohlhabende und institutionelle Anleger und für sie ist das »Weff« die wichtigste Veranstaltung des Jahres. Dabei geht es nicht um direkte Geschäfte, solch krude Vorgehensweise ist verpönt. Man baue Goodwill auf, schaffe Möglichkeiten, teste Ideen. Kurz, man schafft eine Basis, auf die man später für konkretere Transaktionen zurückgreifen kann. Es heißt, dass die nordamerikanische Freihandelszone Nafta in Davos konzipiert wurde. Man spricht in bestimmten Begriffen, einem Davos-Lingo, wie es die New Yorker Insiderin beschreibt. »Um den zu begreifen, muss man schon ein paarmal dabei sein.« Und man muss erst einmal reinkommen. Es gibt keine Eintrittskarten. Egal ob Konzernchef oder Guru – man muss eingeladen werden. Auch das trägt zur Exklusivität bei. Wer es einmal geschafft hat, sich im Davoser Netzwerk zu verknoten, hat allerdings ausgesorgt. »Selbst wenn ein Politiker sich in seinem Heimatland unmöglich gemacht hat, seine Landsleute ihn sogar verachten, so lange er vom Davoser Jetset hoch geschätzt ist, stehen ihm heute viele Möglichkeiten offen – bei der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und so weiter. Ja, die Verachtung der Landsleute kann sogar ein Plus sein – schließlich zeigt sie, dass man bereit ist zu tun, was die internationale Gemeinschaft verlangt, auch wenn es gegen die eigenen Bürger in der Heimat gerichtet ist«, ätzt der linksliberale amerikanische Blogger Matthew Yglesias in seinem Essay »Die global herrschende Klasse«. BlackRock-Boss Larry Fink ist noch nicht lange dabei. Ja, so wird kolportiert, er habe zu denjenigen gehört, die Davos als »viel heiße Luft« abgetan hatten – bevor er selbst eine Einladung erhielt. Doch jetzt gehört Fink, das einstige »California Kid«, dazu. Das hätte er sich sicher nicht träumen lassen, während er als Junge im väterlichen Laden Schnürsenkel sortierte und Schuhkartons einräumte. »Er ist nicht so glatt wie Banker oder Politiker«, hat die New
Yorker Beraterin und Davos-Veteranin beobachtet. Fink sei bei seinen Davos-Begegnungen noch sehr »transaktionsbezogen«. So ganz kann Fink seine Vergangenheit als Wall-Street-Trader offenbar nicht ablegen. Ein wenig gelästert wird in Davoser Kreisen über Finks Neigung zum Name-Dropping, er sei zudem ein bisschen eine Klatschbase, heißt es. Egal, Larry Fink hat es geschafft. Und so findet man ihn im Januar 2015 entspannt auf einer jener Cocktail-Partys im Belvedere, an seiner Seite eine Russisch-Schweizer Milliardärswitwe und ein ExNotenbanker. Wie kommt der Chef einer bis vor kurzem obskuren New Yorker Anlagefirma, spezialisiert auf die verwickelteren Ecken strukturierter Bond-Produkte, dahin? Und noch wichtiger: Was macht er da? Der Türöffner Es war im Sommer 2012, als Fink seinen bisher dicksten Fisch angelte. Er konnte Philipp Hildebrand anheuern. »Wenige Führungskräfte genießen eine derartig breite Anerkennung für ihre Expertise, ihr Urteil und ihre Integrität«, schwärmte der BlackRock-Boss in der Pressemitteilung zu seiner Neueinstellung. (Kurz nachdem die Nachricht bekannt wurde, erhielt Larry übrigens einen Anruf von seinem alten Bekannten Tim Geithner, damals noch Finanzminister in Washington. Das geht aus Geithners offiziellen Tagebüchern hervor. Was Obamas wichtigster Minister mit Fink in den zehn Minuten besprach, die das Telefonat dauerte, ist allerdings nicht bekannt.) Gegenüber Hildebrands vorherigem Job war Finks Angebot allerdings ein Rückschritt. Hildebrand war zuvor der Chef der Schweizer Nationalbank gewesen. Der Herr der Schweizer Banken. Und sein Abgang von diesem Spitzenposten war nicht ganz freiwillig gekommen. Zum Verhängnis war Hildebrand seine Frau geworden, Kashya
Hildebrand, die er bei seinem früheren Arbeitgeber Moore Capital Management, einem Hedgefonds mit Sitz in New York und London, »kennen und lieben gelernt hatte«, wie es der Schweizer Tagesanzeiger ausdrückte. Bei Moore verdiente Hildebrand laut Berichten ein Vermögen. Er wechselte in die alpine Heimat zurück – arbeitete bei der Bank Vontobel und der Genfer Union Bancaire Privée. Mit nur 40 Jahren schaffte er es in das Direktorium der Schweizer Nationalbank. 2010 wurde er zu deren Präsident berufen. Das Ehepaar ließ sich in Zürich nieder und Kashya eröffnete dort eine Kunstgalerie in einer Querstraße zur Bahnhofstraße, wo sich Edelboutiquen an Privatbanken reihen. Geboren in Pakistan, aufgewachsen in den USA, spezialisierte sich die »Galeristin, die von der Wallstreet kam«, auf Künstler aus China, Russland und den USA. Die Klientel stammte meist aus Asien. Doch ganz kam Kashya Hildebrand offenbar nicht von ihrer Finanzvergangenheit los. Am 15. August 2011 orderte sie über sein Konto – laut Hildebrands späteren Aussagen ohne dessen Wissen – 400 000 Schweizer Franken gegen 504 477 Dollar einzutauschen. Am 6. September 2011 kündigte Hildebrand in seiner Eigenschaft als Notenbankchef an, den Schweizer Franken an den Euro zu binden, um den Kurs des Franken zu drücken. Das Dollar-Geschäft seiner Frau erwies sich dadurch als sehr vorteilhaft. Bekannt wurde es erst Monate später, weil Bankmitarbeiter die Kontounterlagen der Hildebrands dem Schweizer Nationalrat Christoph Blocher, einem Rechtsaußen-Politiker und Kritiker von Hildebrand, zuspielten. Philipp Hildebrand versicherte öffentlich, er habe von der Transaktion vor seiner Entscheidung über die Euro-Bindung nichts gewusst. Verschiedene externe und interne Untersuchungen kamen alle zu dem Schluss, die Hildebrands hätten sich keine Verstöße zuschulden kommen lassen. Doch der Druck auf Hildebrand war zu groß. Im Januar 2012 trat er zurück. Er habe um den Job gekämpft wie ein Löwe, sagte er bei seinem Abgang.
Schon vor seinem Rücktritt war Hildebrand in der Schweiz eine etwas umstrittene Figur. Angefangen hatte er als einer der »Kofferträger« beim – wo sonst? – Weltwirtschaftsforum, wie die Mitarbeiter genannt werden, die für die Organisation des »Weff« sorgen. Ob er es seiner Zeit beim »Weff« verdankt oder nicht: Hildebrand erwies sich als Meister des Networkings. Er gilt nach wie vor als einer der Finanzmänner, die international am besten vernetzt und anerkannt sind. »Der Überbanker«, nannte ihn einmal das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz. Einer, der es mit den Briten und Amerikanern, die die Finanzmärkte dominieren, aufnehmen konnte, der ihre Sprache sprach. Doch Hildebrands Vertrautheit mit der Wall Street und der City schien seinen Schweizer Kritikern schon vor dem Skandal um den Dollarkauf unpassend für einen Notenbanker. Der Multimillionär unterhielt nicht nur exzellente Kontakte zu Bankern und HedgefondsManagern. Er war ein Finanzdiplomat ersten Ranges. Hildebrand war Mitglied des Comité stratégique der Agence France Trésor, Frankreichs Schulden- und Vermögensverwaltung. Er wurde Vize-Vorsitzender des Financial Stability Board, jenem internationalen Gremium in Basel, das nach der Finanzkrise 2008 gegründet wurde, um solche Krisen künftig zu verhindern. Vorsitzender war zu der Zeit Ex-Goldman-Sachs-Direktor Mario Draghi, der spätere EZB-Chef. Mit Draghi verbindet Hildebrand noch mehr: Beide sind Mitglieder der Group of Thirty, deren 30 Mitglieder sich aus einem exklusiven Kreis von ehemaligen und aktuellen Notenbankern, Akademikern und Bankern rekrutieren. Zweck des Clubs, der in den 1970ern von der Rockefeller-Stiftung gestartet wurde, ist es laut der Webseite, das »Verständnis internationaler wirtschaftlicher und finanzmarkttechnischer Themen zu vertiefen« sowie »die Möglichkeiten zu untersuchen, die sich Marktteilnehmern und Regulierern bieten«. Zu den Mitgliedern gehören der ehemalige Fed-Chef Paul Volcker
und der ehemalige EZB-Chef Jean Claude Trichet. Auch ExBundesbankpräsident Axel Weber ist mit von der Partie sowie Zhou Xiaochuan, der Gouverneur der People’s Bank of China. Ach ja, und Larry Summers ist dabei, der nach seiner Zeit als Finanzminister Bill Clintons eine Weile Präsident der Harvard Universität war und dann zu Obamas engstem Berater wurde. Mit Summers pflegt Hildebrand genauso vertrauten Umgang wie mit Timothy Geithner – Larry Finks altem Bekannten aus New Yorker Tagen – und Ex-Präsident Bill Clinton. Ein enger Freund ist Mark Carney, der Trauzeuge der Hildebrands war. Carney, ein ehemaliger Goldman-Sachs-Banker, war erst Notenbankchef in Kanada und wurde 2013 zum Gouverneur der Bank of England ernannt. Hildebrands Ehe mit Kashya ist inzwischen Geschichte. Stattdessen ist jetzt Margarita Louis-Dreyfus an seiner Seite. Die französischen Medien nennen sie »die Zarin«. Die gebürtige Russin hat ihre eigene Aufstiegsgeschichte. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs heiratet Margarita Bogdanova einen Schweizer. Die Ehe hält nicht lang, da lernt sie den Franzosen Robert Louis-Dreyfus kennen. Der ist Erbe eines Imperiums, er beherrscht den drittgrößten Rohstoffkonzern der Schweiz. Im Juli 2009 stirbt er an Leukämie. Die »blonde Russin mit dem Silberblick«, wie das Schweizer Boulevardblatt Blick seine Witwe nennt, überraschte alle, indem sie »die Zügel des Imperiums an sich riss«, wie das Schweizer Boulevardblatt Blick es beschreibt. So richtig gefunkt zwischen dem strategisch denkenden Hildebrand und der Rohstoff-Milliardärin habe es – wo sonst? – 2013 in Davos. Zwei Jahre später sind die beiden wieder dort – als Begleiter Larry Finks auf der besagten Cocktail-Party im Belvedere. Mögen die Schweizer Hildebrand auch aus dem Amt gejagt haben, seine Freunde aus der Welt von Hochfinanz und Politik hat Hildebrand nicht verloren. In dieser Welt haftete BlackRock mit seinem zusammengekauften
Imperium immer noch der Geruch des arriviste an, eines Neuankömmlings ohne Stammbaum. Mit Hildebrand öffneten sich für Fink auf einen Schlag Türen, die ihm trotz seiner Billionen bis dahin verschlossen geblieben waren. Der Ritterschlag der EZB Hildebrands Verbindungen dürften kaum geschadet haben bei dem bisher prestigeträchtigsten Auftrag in Europa, den BlackRock 2014 an Land zog. EZB-Chef Mario Draghi – dem Ex-Notenbanker Hildebrand wohl vertraut – verkündete im August, ein Aufkaufprogramm für private Kreditpapiere einrichten zu wollen. Den Aufbau dieses Programms sollte BlackRock als Berater für die EZB übernehmen. Befragt, ob es eine öffentliche Ausschreibung gegeben habe, erklärt die EZB-Pressestelle, es habe ein »wettbewerbsbasiertes Verhandlungsverfahren« stattgefunden. Dies entspreche den EZBBeschaffungsrichtlinien nach Artikel 6.1. Über ein solches Programm hatte Draghi zuerst öffentlich im Januar 2014 nachgedacht – und zwar in Davos, beim »Weff«. In groben Zügen sollte das Programm die Banken der Eurozone wieder dazu bringen, mehr Kredite an Privatleute und an Unternehmen auszureichen. Die Banken, so der Plan, würden Autokredite, Hypotheken und andere private Darlehen in Pools bündeln und dann Tranchen daraus als Wertpapiere herausgeben. Diese Wertpapiere würde ihnen die EZB dann abkaufen. Weil sie in der EZB einen sicheren Abnehmer hätten, würden die Banken bereitwilliger mehr solcher Kredite herausgeben. Das frische Geld von den Banken würde dann – so die Idee – dafür sorgen, dass Privatleute neue Autos, Fernseher und Möbel auf Pump kauften und so die Nachfrage steigern würden. Die Unternehmen würden mit dem geliehenen Kapital neue Fabriken bauen und mehr Jobs schaffen.
Klassischerweise versucht die Notenbank so etwas über Zinssenkungen zu erreichen, die Geld billiger machen. Doch die Zinsen in der Eurozone waren zu dem Zeitpunkt bereits bei null. Die Wirtschaft in den südlichen Ländern sprang trotzdem nicht an. Das Aufkaufprogramm, mit dessen Aufbau der EZB-Chef Finks Truppe beauftragt hatte, war aber auch aus politischen Gründen wichtig für den Ex-Goldman-Banker Draghi. Es war ein Fehdehandschuh, den er seinem Gegenspieler, Bundesbankchef Jens Weidmann, hinwarf. Die beiden stritten zu dem Zeitpunkt erbittert hinter den Kulissen. Draghi wollte eigentlich Staatsanleihen in großem Stil aufkaufen – nach dem Vorbild der amerikanischen Notenbank. Die hatte mit dieser Methode – Quantitative Easing oder kurz QE genannt – in den USA die Konjunktur wieder angekurbelt. Wobei die wahre Wirkung des QE trotz der scheinbaren Erfolge höchst umstritten ist. Weidmann jedenfalls wehrte sich lange gegen QE. (Draghi setzte sich schließlich doch durch und startete ein europäisches QE im Frühjahr 2015.) Das Programm, mit dem Draghi BlackRock beauftragte, ist eine Variante des QE. Eine Art QE light. Die Auftragsvergabe an BlackRock sollte Weidmann ein für alle Mal klarmachen: QE findet statt. Was Draghi vorschwebt, ist im Grunde nichts anderes, als der verzweifelte Versuch, die kaputte Geldmaschine wieder zusammenzubauen und anzuwerfen, die im Jahr 2007 wegen der Wackelhypotheken zerborsten war und die Krise ausgelöst hatte. Die Befürworter des Kreditpapieraufkaufs – neben Draghi waren das, wenig überraschend, die großen europäischen Banken wie die Deutsche Bank und ING – argumentierten, das Problem mit der Geldmaschine sei nur die Qualität der verbrieften Kredite gewesen. Wenn man jedoch auf die Qualität achte, hätte die Geldmaschine das Potenzial, die europäische Wirtschaft anzuschieben. Ein solches Programm bietet allerdings auch eine gute Gelegenheit für Banken, Schrottpapiere an die EZB
loszuwerden. Und damit das Ausfallrisiko an den Steuerzahler abzuschieben. Ein Risiko, das die EZB offenbar bereit war einzugehen. Bei der Ankündigung des Aufkaufprogramms erklärte Benoit Coeure, Mitglied des EZB-Verwaltungsrats, damit das anvisierte Aufkaufprogramm sein Potenzial voll entfalten könne, müssten die Regierungen zumindest einen Teil davon bei Ausfällen garantieren: »Der Verbriefungsmarkt wird einen deutlich größeren Umfang an öffentlichem Sponsoring benötigen«, sagte er dem Finanzjournal Risk. Im Klartext: Verluste würde der Steuerzahler übernehmen. Draghi selbst erklärte immer wieder, er wünsche sich eine Lockerung der Auflagen für die Kreditverbriefungen. Nur so käme der Markt für solche Kreditpapiere, der nach der Finanzkrise nahezu ausgetrocknet war, wieder in Gang. Die Kombination von staatlichen Garantien und lockereren Regeln: für Skeptiker wie Weidmann ein Horrorszenario. Die Wahl von BlackRock birgt zusätzliche Probleme. Denn BlackRock ist nach Berechnungen des Finanznachrichtendienstes Bloomberg einer der größten Investoren in europäischen Kreditpapieren, genau jenen Papieren, die in dem EZB-Programm aufgekauft werden sollen. Ein klarer Interessenkonflikt. Seit dem 21. November, so erklärte die EZB auf Anfrage, läuft das Aufkaufprogramm unter dem offiziellen Namen Asset-Backed Securities Purchase Programme oder kurz ABSPP. Es soll mindestens zwei Jahre durchgezogen werden. Die EZB legt Wert darauf, dass BlackRock Solutions den Auftrag bekommen habe, eine von BlackRock, Inc. »unabhängige Institution«. BlackRock Solutions sei lediglich für das »Design und Umsetzung« als Berater tätig gewesen und habe nichts mit dem laufenden Programm zu tun, heißt es in der Stellungnahme. Der Vertrag zwischen EZB und BlackRock Solutions beinhalte eine Reihe von Vorkehrungen, durch die Interessenkonflikte »weitestgehend abgeschwächt«
werden, so die EZB. Unter anderem erhält BlackRock zur Auflage, seine Angestellten, die für die EZB an dem ABSPP arbeiten, von anderen Mitarbeitern zu trennen, die im Bereich verbriefter Wertpapiere tätig sind. Externe Auditoren würden dies prüfen. Die Namen dieser Prüfer wollte die EZB aber nicht nennen. Im Laufe des Beschaffungsverfahrens hätte sich gezeigt, dass BlackRock über »große Erfahrung« und »bewährte Verfahren« beim Managen von Interessenkonflikten verfüge, lobte die EZB. BlackRock wollte zu dem ABSPP-Auftrag keine Stellung beziehen. Symbiose mit den Notenbankern Notenbanken und Zentralbanken sind für BlackRock ganz besondere Kunden. Vor der Krise agierten sie im Hintergrund, die »Lords of Finance«, wie sie Liaquat Ahamed in seinem gleichnamigen Buch über die Rolle der Notenbanker in der Depression der 1930er Jahre nannte. Irgendwo verortet zwischen Staat und Finanzsystem traten sie selten öffentlich in Erscheinung. Seit sie mit Milliarden um sich werfen, wie Narren am Rosenmontag mit Konfetti, sind ihre Namen – Ben Bernanke, Mario Draghi, Janet Yellen – so bekannt wie die von Politikern. Doch nach wie vor sind die inneren Abläufe bei den Noten- und Zentralbanken selbst für Ökonomen nicht einfach nachzuvollziehen. Obwohl es Notenbanken nun seit Hunderten von Jahren gibt (die schwedische Riksbank zum Beispiel gibt es seit 1668), umwabert die Institute bis heute eine gewisse Mystik. Gerne traf und trifft man Entscheidungen hinter verschlossenen Türen. Die Gründung der Federal Reserve etwa hätte als Vorlage für einen Thriller dienen können: Die an der Planung beteiligten Banker – Wall-Streeter zumeist – reisten im November 1910 unter Decknamen und dem Vorwand, auf
Entenjagd zu gehen, per Bahn nach Florida und von dort in den tiefen Süden, nach Georgia, wo sie schließlich auf einer Privatinsel vor der Küste zusammentrafen. Aus den geheimen Plänen wurde drei Jahre später die Fed. 20 Jahre lang erzählte keiner der Teilnehmer ein Sterbenswörtchen über das Treffen auf der Insel. Man fürchtete, nicht zu Unrecht, den Widerstand des US-Kongresses, der in der neuen Institution eine Konkurrenz um Macht und Einfluss sah. Ganze Scharen von Spezialisten in der Finanzbranche beschäftigen sich inzwischen mit nichts anderem, als die Fed oder die EZB zu beobachten. Jede Rede, jeder Auftritt eines Notenbankers erzeugt seitenlange Interpretationen. Bei einer ihrer ersten Pressekonferenzen 2014 wurde Janet Yellen gefragt, was unter »geraumer Zeit« zu verstehen sei. Die Fed hatte in ihrem Protokoll angegeben, sie wolle die Zinsen noch eine »geraume Zeit« niedrig halten. Yellen zögerte mehrere Sekunden und stotterte dann »sechs Monate oder so etwas«. Die Bemerkung löste umgehend einen Einbruch an Aktien- und Anleihemärkten aus. Mit ihrer wohl unbedachten Äußerung hatte die Notenbankchefin plötzlich einen konkreten Termin für eine Zinserhöhung anberaumt! Seither ist Yellen vorsichtiger geworden, aber im Vergleich zu ihrem Vorvorgänger ist sie von geradezu brutaler Offenheit. Alan Greenspan, Chef der Fed von 1987 bis 2006, war ein Meister kryptischer Äußerungen. Um wenigstens irgendeinen Anhaltspunkt zu haben, versuchte die Wall Street schließlich Greenspans Zinsentscheidungen vorab daran abzulesen, wie gut gefüllt die Aktenmappe war, mit der der Notenbankchef am Tag des Fed-Treffens ins Büro kam. (Und ja, das Fernsehen war dabei, wenn Greenspan an solchen Tagen die Treppen des Fed-Gebäudes erklomm!) Die Bedeutung und Rolle der Notenbanker ist in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen, weil sich die Globalisierung verändert hat. Früher folgten Geldströme den Warenströmen, heute schwappt das Geld auf der Suche
nach Investments um den Globus. Doch es war die Krise 2008, die die Notenbanker entzaubert, aber sie auch politisiert hat. Ben Bernanke, Greenspans Nachfolger, scheute sich nicht, bis dahin unerhörte Maßnahmen zu ergreifen, um nach dem Schuldendebakel 2008 die Wirtschaft in den USA wieder anzukurbeln. Bernanke habe derart viele Notfallkreditprogramme wie etwa TALF kreiert, dass »ein Dokument mit all den Namen und kurzen Beschreibungen selbst kleingedruckt ein DIN-A-4-Blatt füllen würde«, wie es Neil Irwin, der Fed-Korrespondent für die Washington Post während der Krise, einmal beschrieben hat. De facto betrieb und betreibt die Fed Konjunkturpolitik. Das empfinden vor allem republikanische Abgeordnete im Kongress als Überschreiten des Mandats der Notenbank. Doch aus Bernankes Sicht blieb ihm nicht viel anderes übrig, als die Fed in diese Richtung zu lenken. Schließlich blockierten sich der Kongress mit der Mehrheit der Republikaner und der demokratische Präsident gegenseitig. Präsident Obama, damals frisch gewählt, schaffte es nicht, nach seinem ersten 800-Milliarden-Dollar-Paket, das viele Ökonomen als zu eingeschränkt ansahen, noch einmal nachzulegen. Die Fed wurde so zum einzigen handlungsfähigen Akteur in Washington. Europa steckt ebenfalls im politischen Reformstau. Die andauernde Krise treibt die Mitgliedsstaaten auseinander, alte und neue Gräben brechen auf. Die EZB ist dadurch zur verbleibenden einenden Institution geworden. Mit dem Euro, der Gemeinschaftswährung, verteidigt Mario Draghi letztlich die Einheit, genau wie schon sein Vorgänger Jean Claude Trichet. Draghis QE-Programm sorgt für einen schwachen Euro und ist letztlich nichts anderes als Exportpolitik. So haben die Notenbanker Aufgaben übernommen, die Politiker bei der Krisenbewältigung nicht übernehmen können oder wollen. Und die Helfer an ihrer Seite sind
BlackRock, Pimco & Co., die mit der konkreten Umsetzung der Maßnahmen wie Stresstests und Anleiheaufkaufprogramme beauftragt werden. Für BlackRock etwa zählen Zentralbanken zu den wichtigsten Kunden. 50 Zentralbanken haben BlackRock bereits engagiert, um unter anderem deren Reserven zu managen. Das Engagement in dem Bereich sei einer der Gründe, warum er einen Job bei Fink angenommen habe, erklärte Hildebrand der Webseite centralbanking.com. Notenbanken sind sehr interessante Kunden für Finanzkonzerne. Dabei geht es um Prestige, um Honorare und Aufträge. Aber Notenbanken haben auch wertvolle Information. Besonders für Marktteilnehmer. Denn niemand kann Märkte lenken wie sie. Ja, da sind die viel beschworenen »Chinese Walls«, jene organisatorischen Vorkehrungen, mit denen die Firmen verhindern sollen, dass ihre Mitarbeiter erfahren, was sie nicht erfahren sollen. Doch wer die »Chinese Walls« an der Wall Street erwähnt, erntet meist ein Grinsen und ein Achselzucken. »Geht Joe mit Harry nach der Arbeit ein Bier trinken? Darauf kannst du wetten«, sagen Insider. Und selbst, wenn man wollte, wie soll man Informationen, die man hat, aus seinem Kopf bekommen? »You can’t unknow something«, ist eine beliebte Bemerkung zu dem Thema. Man kann sich schlecht vom Wissenden zum Unwissenden machen. Vor dem Geflecht aus Notenbankern und ihren bezahlten Helfern hat offenbar auch die Politik kapituliert. Befragt, ob er nicht besorgt sei wegen der potenziellen Interessenkonflikte, den beispielsweise der EZB-Auftrag an BlackRock mit sich bringen könnte, erklärt ein EuropaAbgeordneter, der für seine kritische Haltung gegenüber der Finanzbranche bekannt ist: »Für solche Aufgaben gibt es eben nur ein paar Experten und deshalb wird es immer Interessenkonflikte geben.« Schön sei das nicht, aber Realität. Ein europäischer Banker, der lange in Brüssel gearbeitet hat, kann eine gewisse Bewunderung für die
Wall-Street-Jungs nicht verbergen: »Die haben letztlich diese ganzen komplexen Produkte und Systeme geschaffen, für deren Management und Analyse sie jetzt unabdingbar sind.«
Kapitel 5 Schattenbanken: Die im Dunkeln sieht man nicht Es könnte der Empfangsraum eines Hotels sein, wenn auch eine Unterkunft für Geschäftsreisende mit einem akzeptablen Spesenkonto. An den fensterlosen, etwas düsteren Wänden findet sich moderne Kunst, nicht zu aufregend, nicht zu bieder. Helle Sitzgruppen, Beistelltische, auf denen die üblichen Bildbände und Zeitungen ausliegen. Niemand traut sich jedoch, dort in die Polster zu sinken und gemütlich zu blättern. Nicht einmal die Besucher, die hier darauf warten, von ihren BlackRockGastgebern abgeholt zu werden. Die Sofakissen sind bunt bestickt, wer genau hinschaut, entdeckt in den Mustern eine Weltkarte. Vielleicht ein Einfluss von Larry Finks Vorliebe für volkstümliche Kunst. Das ist das Headquarter in New York, von hier aus gehen alle Fäden um den Globus, nach Frankfurt, Zürich, London, Shanghai, Tokyo und Hongkong. Die Büroräume hinter den Glastüren der Lobby sind funktional, beige Textiltapete an den Wänden, die meisten Möbel sehen aus, als könnte man sie beim Discounter »Office Depot« bestellen. Die üblichen »Cubicles«, der Quadratmeter, der modernen Büroarbeitern um ihren Schreibtisch zugestanden wird. Ein fensterloser Videokonferenzraum wird durch ein mannshohes Triptychon aus Bildschirmen dominiert, außer einer Uhr (analog!) an der Wand gibt es keine Dekoration. Nicht einmal ein Kugelschreiber liegt herum. »Wir sind professionell, wir sind effizient, wir sind konzentriert«, sagt die Einrichtung. Weit, weit weg ist man hier von dem
Interieur etwa von Goldman Sachs’ Zwei-Milliarden-DollarDowntown-Turm, dessen Sky-Lobby die Größe eines Konzertsaals hat, mit einer Glasfront, die einen Panoramablick auf den Hudson freigibt und der selbst abgebrühte New Yorker beeindruckt. Dabei ist Goldman das nicht so heimliche Vorbild. Der Ruf, arrogant und brillant zu sein, eilt den Goldmännern voraus. Und die BlackRock-Vertreter bemühen sich, eine ähnliche Aura der Unnahbarkeit und Unfehlbarkeit zu verbreiten. BlackRock »möchte allzu gerne Goldman sein«, stichelt ein ehemaliger Mitarbeiter in einem Online-Forum über seinen Ex-Arbeitgeber. Vor der Finanzkrise war »Goldman Envy«, der neidische Blick auf die Goldman-Sachs-Banker, ein feststehender Begriff und ein verbreitetes Leiden an der Wall Street und in der Londoner City. Nicht allein wegen der Bezahlung – wobei die alles andere als vernachlässigbar war: 20 Milliarden schüttete Goldman 2007 auf dem absoluten Höhepunkt an seine Mitarbeiter aus. »Goldman hatte den It-Faktor, den intellektuellen Reiz«, schwärmte FinancialTimes-Kolumnistin Gillian Tett. Wer würde nicht gerne zu einer Truppe anerkannter Finanzgenies gehören, die einerseits Derivatekonstruktionen entwarf, die einen Kybernetiker schwindelig machen konnten, und andererseits Hinterzimmer-Deals einfädelten, die byzantinische Diplomaten beeindrucken würden? Absolventen der US-Eliteuniversitäten drängten sich um eine Chance, bei Goldman einzusteigen. Und Ministeriale und Amtschefs kamen gerne nach ihrer Karriere in den Hauptstädten der Welt zu »Government Sachs«, wie die Bank im Wall-Street-Spott genannt wurde. Ein klassisches Beispiel für die Drehtür zwischen Goldman und Washington ist Robert Zoellick, einst stellvertretender Außenminister unter George W. Bush, der dann einige Jahre Managing Director bei Goldman war und schließlich Chef der Weltbank wurde. Prominentester Drehtürnutzer aus Europa
ist sicherlich Mario Draghi, einst bei der Weltbank und dem italienischen Finanzministerium, dann bei Goldman Sachs und zuletzt Chef der EZB. Zwar überstand Goldman die Finanzkrise wirtschaftlich besser als die meisten Konkurrenten, doch der Ruf der Unantastbarkeit ist weg. Da war Lloyd Blankfeins Bemerkung in einem Interview, seine Bank tue »Gottes Werk«. Ein Scherz, wie der Goldman-Vorstandschef vergeblich versicherte. Da war der Abacus-Deal. Ein Konstrukt aus wackeligen Hypothekenpapieren, das Goldman für Hedgefond-Tycoon John Paulson austüftelte und dessen Genie-Streich es war, dass Paulson dagegen wetten wollte, also darauf, dass die Hypotheken platzen würden. Nicht ganz so fein war es dann, so später der Vorwurf der US-Börsenaufsicht SEC, die Anteile an Abacus an andere Goldman-Kunden zu verkaufen und ihnen die Paulson-Wette zu verschweigen. Paulson gewann laut SEC 1 Milliarde Dollar mit seiner Wette, aber Kunden auf der anderen Seite von Abacus, wie etwa die deutsche IKB, verloren 150 Millionen Dollar. Die SEC verhängte eine Zahlung von 550 Millionen Dollar, um die Vorwürfe beizulegen, nach Angaben der Börsenaufsicht eine Rekordsumme für ein einzelnes Wall-Street-Haus. Wenig förderlich war, dass Ermittlern die E-Mail eines mit Abacus betrauten Goldman-Bankers, Fabrice Tourre, in die Hände fiel. Darin bekannte Tourre über den Hypothekenmarkt: »Das ganze Gebäude steht kurz davor, in sich zusammenzufallen. Nur der Fabulöse Fab wird überleben.« Mit dem »Fabulösen Fab« meinte er, ganz bescheiden, sich selbst. Selbst aus den eigenen Reihen kam vernichtende Kritik. Greg Smith, ein langjähriger Goldman-Manager in London, reichte gleichzeitig mit seiner Kündigung bei der Bank im Frühjahr 2012 einen offenen Brief an die New York Times ein, in der er die Kultur bei Goldman als »toxisch und zerstörerisch« beklagte. Kunden würden dort gerne als »Muppets« verunglimpft, im britischen Slang ein anderes
Wort für »Idioten«. Smiths Bekenntnisse lösten eine Welle der Empörung aus – sowie Hohn und Spott. Die Satireseite »Funny or Die« etwa zeigte in einem hunderttausendfach abgerufenen Video-Sketch, wie fiktive Goldman-Manager in einer Vorstandssitzung von Koks-Exzessen und SexEskapaden mit asiatischen Praktikantinnen schwärmen und über Kunden lästern – bis auf einmal »echte« Muppets aus der Muppet Show hereinplatzen und die Manager wegen »Verleumdung« angehen. Die fiktiven Goldmänner zeigen sich unbeeindruckt. O-Ton aus dem Video: »Aus so einem Teil wie dir lass ich mir sonst Anzüge machen«, sagt einer der Nadelgestreiften. Plötzlich galten die Goldmänner nicht mehr als coole Könner, sondern als hinterlistige Abzocker. Während sich Goldman Sachs nach der Finanzkrise im harschen Licht unwillkommener Öffentlichkeit wiederfand, begann der heimliche Aufstieg von BlackRock. »BlackRockNeid löst Goldman-Glanz ab«, diagnostizierte FinancialTimes-Kolumnistin Tett. Tett hat einen wissenschaftlichen Blick auf die Entwicklung, sie ist gelernte Anthropologin, die statt Amazonas-Indianern seit Jahren die Wall-StreetStämme beobachtet. In den Online-Foren, in denen sich Uni-Absolventen über begehrte Einstiegsmöglichkeiten austauschen, taucht neben Goldman nun BlackRock auf – ein Name, den es vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten noch nicht einmal gab. Mehr und mehr wird BlackRock auch zur Adresse, die man nach einer politischen Laufbahn ansteuern kann. Tom Donilon, Obamas Sicherheitsberater, kam 2014 an Bord. Donilon beriet den Präsidenten während des Kommandos, das Osama bin Laden tötete, und trat nach dem Überfall auf die amerikanische Botschaft in Benghazi zurück, bei dem der US-Botschafter ums Leben kam. Zu den bestvernetzten Anwerbungen gehört Peter Fisher, der in den frühen Bush-Jahren Staatssekretär im Finanzministerium gewesen war, dann bei BlackRock einstieg und zudem beratendes Mitglied der britischen
Finanzaufsicht war. Angeblich versuchte Fink auch Obamas Finanzminister Geithner nach dessen Zeit als Finanzminister zu BlackRock zu holen. Geithner entschied sich dann aber für die »Heuschrecke« Warburg Pincus. Vielleicht erteilte Geithner seinem Freund Fink eine Absage, um den Eindruck zu vermeiden, der BlackRock-Job sei der Dank für die lukrativen öffentlichen Aufträge, die Fink während Geithners Amtszeit bekommen hat. Und doch sind die BlackRocker Außenseiter in Manhattans Finanzszene geblieben. Sie sind keine Banker. Keine Hedgies. Sie sind Buy-Side – Mittelsmänner der großen und kleinen Anleger. Aber mit den bräsig-biederen Fondsgesellschaften wie Fidelity oder American Funds, der traditionellen Buy-Side, verbindet sie auch nicht viel. So bleiben sie für sich. Und sie fallen selten auf. Auf der gefürchteten Dealbreaker-Seite, einem Onlineklatschblatt, das genüsslich die pikantesten Nachrichten aus Wall Streets Betten und Büros ausbreitet, tauchen die BlackRocker so gut wie nie auf. Der bisher spektakulärste BlackRock-Skandal, der auf Dealbreaker lief, hatte nichts mit Sex & Drugs oder Insidertrading – den üblichen Themen – zu tun. Es ging um Schwarzfahren. Immerhin in großem Stil und mit System. Jonathan Paul Burrows arbeitete als Investmentmanager in BlackRocks Londoner Büro. Doch wie viele seiner Kollegen in der City zog er es vor, in einem der grünen Vororte zu residieren. Er kaufte gleich mehrere Anwesen für 4 Millionen Pfund in East Sussex. Doch da war das Problem des Pendelns. Eine einfache Fahrt von seiner Bahnstation in Stonegate in die City kostet 21,50 Pfund. Zu teuer, entschied der Anlagespezialist. Als findiger Kerl entdeckte er ein Schlupfloch: In Stonegate gab es keine Bezahlschranke, so konnte Burrows bis nach Cannon Station in London fahren. Erst beim Verlassen der U-Bahn an seinem Zielort musste er seine elektronische Bahnkarte durchziehen – doch da
wurden ihm nur die letzten Stationen innerhalb Londons berechnet, ein Betrag von 7,20 Pfund. Diese persönliche Fahrpreisermäßigung praktizierte Burrows offenbar über fünf Jahre – bis ihn im Sommer 2014 ein Bahnbeamter beobachtete und auf die Schliche kam. Insgesamt, so kalkulierten die Verkehrsbetriebe, hatte sie der BlackRockMann um 67 000 Dollar betrogen. Burrows versuchte die Sache durch einen Vergleich mit der Bahn still und heimlich zu bereinigen. Doch die Transportgewerkschafter deckten die Absprache auf und machten Burrows Namen und Arbeitgeber publik. Es gab viel Wut unter anderen Pendlern, aber sein Trick und die Tatsache, dass er so lange unentdeckt blieb, trugen ihm auch Anerkennung ein. Die Daily Mail ernannte ihn in einer Schlagzeile gar zu »der Welt größtem Schwarzfahrer«. Die britische Finanzaufsicht teilte die Bewunderung allerdings nicht und verbannte ihn auf Lebenszeit aus den Chefetagen der Finanzindustrie. Burrows trat von seinem Posten bei BlackRock zurück. Bemerkenswert war seine Reaktion auf die Verbannung: Er bedaure, dass er die Zeit der Finanzaufsicht beansprucht habe, die doch sicherlich schwerwiegendere Vergehen zu verfolgen habe als seinen Fall. Nicht ganz der reuige Sünder, so scheint es. Im New Yorker Headquarter dürfte Burrows Schwarzfahrerei für einige undruckbare Flüche gesorgt haben. Das ist nicht ganz die Art von Findigkeit, für die BlackRock bekannt sein will. Böser war allerdings die Sache mit Rice. Daniel Rice III, dessen Familie im Energiebereich unternehmerisch aktiv war. Da traf es sich gut, dass Rice Co-Fondsmanager verschiedener BlackRock-Fonds war, die ebenfalls in dem Sektor investierten. 2007 war Rice Mitgründer eines Unternehmens namens Rice Energy. Eine Tochterfirma von Rice Energy ging später ein Joint Venture mit einem Kohleund Gasunternehmen namens Alpha Natural Resources ein. Rice wurde geschäftsführender Partner, die Posten des
Vorstandsvorsitzes sowie des Finanzchefs und des ChefGeologen übernahmen seine drei Söhne. 2011 war Alpha die größte Aktienposition im BlackRock Energy & Resources Fonds, den Rice managte. Rice Arbeitgeber BlackRock hatte die Nebentätigkeit genehmigt. Leider wurden die Investoren des Fonds nicht informiert. Eine Tatsache, die viele von ihnen offenbar erst aus dem Wall Street Journal erfuhren. »Ein Fondsmanager zieht Selbstgekochtes vor«, titelte das Blatt. Die Börsenaufsicht SEC fand die Angelegenheit nicht so witzig. Rice trat zurück. Und im April 2015 legte BlackRock die Sache durch einen Vergleich und die Zahlung von 12 Millionen Dollar bei. »Als Treuhänder unserer Kunden nehmen wir selbst den Anschein eines Interessenkonflikts extrem ernst«, versicherte ein BlackRock-Sprecher dem Wall Street Journal. BlackRock erklärte, der Vergleich sei kein Schuldeingeständnis. An Handelstagen findet jeden Morgen um acht Uhr eine interne Lagebesprechung in BlackRocks Hauptquartier statt. Offiziell nennt sich das »Global Daily Meeting« und es soll laut BlackRocks Webseite unter anderem dazu dienen, die Kollegen »über neue Denkansätze« zu informieren. Mitarbeiter von den Außenbüros rund um den Globus sind per Bildschirm zugeschaltet. Die Teilnehmer identifizieren sich mit ihrer Zuständigkeit: »US-Zins« oder »Verbriefungen« steht statt ihres Namens auf den Schildern. So jedenfalls beschreibt Fortune das Ritual, das eine Führungskraft als »Pflichtveranstaltung« bezeichnet. Als Vergleich bringt er den »Kirchgang, als wir Kinder waren«. Einem ehemaligen Mitarbeiter waren solcherlei Gepflogenheiten suspekt. Er sei sich vorgekommen wie bei einem »Kult«, sagt er. Ihm sei das »Getue« und der interne »Hype«, wie er es ausdrückt, schließlich so auf die Nerven gegangen, dass er kündigte. Er will seinen Namen keinesfalls gedruckt sehen. Andere Ehemalige wollen noch
nicht einmal anonym etwas sagen, auch nichts Positives. Auch Fink ist nicht unumstritten. Launisch sei der Chef – mal gebe er sich volkstümlich und lade zum StarbucksKaffee ein, mal sei er herrisch und barsch. Es sei vorgekommen, erzählt eine Ex-Führungskraft, dass Kollegen nach einem Treffen mit Larry anriefen und halb im Ernst, halb im Spaß fragten: »Na, lebst du noch?« Auf Glassdoor, einer Webseite, auf der Mitarbeiter ihre Arbeitgeber oder Ex-Arbeitgeber anonym bewerten können, klagen einige über zu viel »Hierarchie« und über ein »Old Boys Network«, es fällt gar der Vorwurf des »Nepotismus« – allerdings ist der überwiegende Teil der Bewertungen positiv. Bei einer Umfrage von PayScale, einer Online-Karriereberatung zu den besten Arbeitgebern, landete BlackRock 2013 als einziges Finanzunternehmen auf einem der vorderen Plätze. Vor allem Europäer scheinen jedoch Schwierigkeiten mit der BlackRock-Kultur zu haben. Nicht-Angelsachsen würden nicht ernst genommen, klagt einer. New York habe stets das letzte Wort. Ein Ex-Notenbanker, ebenfalls aus dem europäischen Raum, fällt ein noch harscheres Urteil. Arrogant seien ihm die BlackRock-Leute begegnet, »schlimmer als Goldman« sogar. Und er hat eine ominöse Erklärung, warum BlackRock zum neuen Liebling des Wall-StreetNachwuchses geworden sei: Bei Goldman und Co. sorge die schärfere Regulierung für Banken dafür, dass die Freiräume und Handlungsspielräume schwinden. »Was man bei Goldman nicht mehr machen darf, das kann man jetzt bei BlackRock machen.« Auf gewisse Weise sei BlackRock der »dunkle Zwilling von Goldman«. Fest steht: Fink hat es geschickt geschafft, seine einstige Bond-Bude im Hinterzimmer innerhalb weniger Jahre zum Global Player zu machen, der im Hintergrund die Fäden zieht. Und das ist kein Zufall.
Der Ketzer: Hilfe, wir haben die Banken geschrumpft! Treffpunkt ist die Lobby des Waldorf Astoria. Der Art-décoBau an der Park Avenue ist das Stammhotel der amerikanischen Präsidenten seit Herbert Hoover und Heimat des gleichnamigen Salats. Der 83 Jahre alte Kasten (davor befand sich das Hotel an der Stelle des heutigen Empire State Building) ist eine New Yorker Ikone, hier wohnte Marilyn Monroe, hier zog Henry Kissinger seine diplomatischen Drähte. Ein wenig wirkt das Waldorf wie eine jener in die Jahre gekommenen New Yorker SocietyLadies, deren funkelnde Brillanten und üppiges Rouge die grauen Haare und knitterigen Wangen nicht verbergen können, die aber dennoch die unangefochtenen Herrscherinnen der Gala-Empfänge und Bälle geblieben sind. Heute glimmen im Waldorf die Lüster schummrig, die Spiegel sind leicht angelaufen. Im Internet meckern Touristen aus der Provinz über klemmende Badezimmertüren, räudige Teppiche und schäbige Tapeten. (2014 ist das Hotel für 1,95 Milliarden Dollar an den chinesischen Versicherungskonzern Angban verkauft worden, der eine Rundum-Sanierung plant, die das Hotel wahrscheinlich aussehen lässt wie seine eigene DisneyKopie.) Noch ist das Waldorf die passende Kulisse für Richard X. Bove. Sein dunkler Anzug sitzt perfekt, die Krawatte ist akkurat geknotet, goldene Manschettenknöpfe glänzen matt. Der weiße Bart ist sorgfältig gestutzt, die blauen Augen blitzen. »Halb Badass, halb Santa Claus«, beschrieb ihn die Wirtschaftspostille Businessweek einmal. Wenn er in seine Weste greift, ist man enttäuscht, dass er nicht eine schwere Taschenuhr herausholt, sondern sein Samsung-Handy. Wer Bove so sieht, würde nie darauf kommen. Aber der Vater von sieben Kindern, Großvater von
vierzehn Enkeln und Besitzer von zwei Pizzerien ist ein Ketzer. Um unser Finanzsystem sicherer zu machen, müssen Banken schärfer reguliert werden. Je mehr Kapital sie halten, desto stabiler sind die Kreditinstitute. Großbanken sollten am besten zerschlagen werden: Wann immer Richard X. Bove diese Argumente hört, überkommt ihn die Wut. Bove ist ein strammer Verteidiger der großen Banken. Der Finanzgiganten wie JPMorgan Chase und Bank of America. Er nennt sie »Wächter unseres Wohlstands«. Das war auch der Titel seines Buchs, das man weniger als Sachbuch, denn als Plädoyer eines Pro-Bono-Verteidigers im Gerichtssaal der öffentlichen Meinung sehen muss. Den Versuch, die Finanzkolosse durch Regulierung zu beschränken, ja, wenn möglich, sogar zu zerschlagen, nennt Bove eine »Riesendummheit«. Banken sind für Bove seit über 40 Jahren das tägliche Brot. Er ist Bankenanalyst. Das heißt, er bewertet die Aktien von Finanzinstituten. Sein Urteil hilft Anlegern zu entscheiden, ob sie Aktien einer Bank kaufen sollen oder nicht (oder ob sie sie behalten sollen oder lieber verkaufen). Banken und Investmentfirmen beschäftigen Analysten, weil ihre Kunden – große Investoren – deren Studien und Empfehlungen gerne als Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Während der Internetblase kamen Analysten, die bei großen Banken arbeiteten, schwer in Verruf. Wenn ihre Kollegen im Investmentbanking etwa ein Start-up-Unternehmen an die Börse brachten, dann half eine warme Empfehlung der Analysten aus dem eigenen Haus beim Debüt – wenigstens aber sollten die Analysten nicht vom Kauf abraten. Unrühmlichstes Beispiel für die Doppelzüngigkeit wurde Henry Blodget, der als StarAnalyst bei Merril Lynch nach außen Internetunternehmen anpries, die er in internen E-Mails an Mitarbeiter gerne mal als Stück Sch… bezeichnete. Davon bekam der damalige General Staatsanwalt Eliot Spitzer Wind. Spitzer
(der später als Gouverneur wegen seiner Besuche bei Prostituierten zurücktreten musste) hatte sich vorgenommen, an der Wall Street aufzuräumen und seine ersten Ziele waren die Analysten. Die Banken mussten gemeinsam 1,5 Milliarden Dollar Strafe zahlen – damals noch ein Rekord! – und versprechen, die Interessenkonflikte auszuräumen. Blodget wurde auf Lebenszeit aus dem Aktiengeschäft verbannt. (Er ist inzwischen Journalist.) Bove gehörte nie zu den Analysten der großen Institute. Obwohl gebürtiger New Yorker zog er mit seiner Familie nach Tampa, Florida. Seine Arbeitgeber waren stets das, was man an der Wall Street Boutiquen nennt: Kleinere unabhängige Firmen, die spezialisierte Dienstleistungen für Kunden wie Investmentfonds oder Hedgefonds anbieten. Bove machte sich einen Namen als Analyst, weil er »schonungslos offen«, wie das Wall Street Journal etwas zwiespältig bemerkte, seine Meinungen verkündet. Als Wachovia, die zweitgrößte Sparkasse im Land, im Jahr 2006 die kalifornische Golden West für 24 Milliarden Dollar übernahm, priesen viele Analysten den Deal als strategisch cleveren Schachzug. Boves Urteil: Wachovia habe sich damit schlicht »Atommüll« ins Haus geholt. Denn Golden West hatte sich auf Hypotheken mit Zinssprung spezialisiert, die später besonders häufig ausfielen. Wachovia kollabierte zwei Jahre später unter den Verlusten aus den Hypotheken und wurde von der Aufsicht an Wells Fargo zwangsverkauft. Auch mit sich selbst geht Bove hart ins Gericht. Im August 2005 warnte er, die Banken hätten mit ihren Vergabekriterien eine Hypothekenblase erzeugt. »Dieses Pulverfass wird explodieren«, war der Titel der Studie. »Als ich das schrieb, haben mich die Leute für verrückt erklärt«, sagt Bove. »Wenn ich dabei geblieben wäre, hätte man mich zum Helden ernannt.« Doch im Frühjahr 2008 hatte er den Eindruck, das Schlimmste sei vorbei – und empfahl
Bankaktien zum Kauf. Im Herbst brach Lehman zusammen. Seine Kaufempfehlung sei ein »Horror« gewesen, sagt Bove heute, der seinen kapitalen Fehler nicht schönreden mag. Seine gnadenlosen Formulierungen mögen mit ein Grund sein, warum Bove nie für eine Großbank gearbeitet hat. Bank Atlantic, eine Regionalbank, die er 2008 öffentlich als Wackelkandidaten ausmachte, verklagte ihn wegen Geschäftsschädigung. Das Verfahren zog sich über Jahre und kostete Bove seinen Job sowie 800 000 Dollar an Rechtskosten. Schließlich einigte er sich auf einen Vergleich – wobei Bove keinen Cent an die Bank zahlen musste. Die Börsenaufsicht SEC gewann später eine Klage gegen Bank Atlantic, weil das Institut seine Investoren hinsichtlich der Kreditqualität getäuscht habe. Der Streit mit Bank Atlantic hat Bove aber keineswegs entmutigt. Genauso schonungslos wie er über Vorgänge bei den Banken urteilt, so kompromisslos ist er inzwischen bei deren Verteidigung. »Wir versuchen uns vom Finanzsystem scheiden zu lassen – das wird in einem Desaster enden«, warnt er düster. Seiner Ansicht nach waren die Banken nicht einmal schuld an der Krise. Stattdessen sieht Bove das weltweite Handelsungleichgewicht der USA als eigentliche Ursache. Die USA importieren mehr als sie exportieren und das vor allem im Verhältnis mit China. Da die amerikanischen Abnehmer ihre internationalen Lieferanten in Dollar zahlen, gab es Dollar im Überfluss. »Überall schwappten Unmengen an Dollar herum und suchten ein Zuhause«, erklärt es Bove über die Jahre vor der Krise. Sie fanden es schließlich in exotischen Finanzvehikeln im Immobiliensektor in den USA. In jenen CDOs, CMOs und CDS, zu deren Pionieren einst Larry Fink gehört hatte. Klar hätten die Banken den Prozess befördert und beschleunigt. »Für fragwürdige oder illegale Praktiken sollte man die Banken belangen und Verantwortliche sollten auch ins Gefängnis gehen«, sagt Bove. Die Banken
als alleinige Schuldige auszumachen, sei aber verkehrt. Und dieser falsche Schluss, den vor allem Politiker in den USA und Europa populär machten, habe nun zu völlig falschen Reformen geführt. Ganz oben auf seiner Liste stehen die höheren Pflichtreserven, die vor allem in den USA und zögerlicher auch in Europa eingeführt wurden. Aber auch die Volcker-Regel mit ihren strengen Limits für den Eigenhandel der Banken findet keine Gnade bei Bove. Beide Maßnahmen sollen die Banken stabiler und das Finanzsystem damit sicherer machen. Doch das Gegenteil sei der Fall. Als Boves Buch über die Banken als Wächter des Wohlstands Ende 2013 herauskam, musste er eine Menge einstecken. »Panikmache«, sei das Buch, schrieb New-YorkTimes-Edelfeder Roger Lowenstein. Das war noch eine positive Bewertung. Weniger vornehm schrieb der Teilnehmer eines Finanzforums im Internet, Boves Argumente seien »B. S.«, die Abkürzung für Bullshit, was familienfreundlich, wenn auch nicht ganz zutreffend, mit Schwachsinn übersetzt wird. Doch so polemisch Boves Aussagen oft sind – es fällt schwer, schärfere Regeln gegen exzessive Strafgebühren für Bankkunden als Fehler der Regulierer zu bewerten – in seinen Hauptpunkten behält der Wall-Street-Veteran recht. Die Bedeutung der Banken wird kleiner. Die Gewichte an den globalen Kapitalmärkten verschieben sich langsam, aber sicher. Und die Schrumpfkur, von den Bankenkritikern begrüßt, zeigt beunruhigende Nebenwirkungen. Für Bove schaffen die neuen Regeln ein fundamental verändertes Finanzsystem – eines, das neue unbekannte Bedrohungen birgt. Transaktionen und Aktivitäten wandern ab – in das Reich der Schattenbanken. »Unsere hysterische Verfolgung der Banken bewirkt, dass unser Finanzsystem zunehmend die Banken, den sichtbaren und regulierten Teil, verlässt und in den unsichtbaren unkontrollierten Teil
verschwindet«, sagt Bove. Und aus diesem Dunkel, da ist Bove sicher, wird unsere nächste Krise kommen. Was wirklich geschah Schattenbanken sind nicht neu. Je nach Definition gibt es Schattenbanken, seit es die regulierten Banken gibt. Wie beim Krieg der Sterne gibt es die Macht und es gibt die dunkle Seite der Macht. Der Begriff selbst entstand allerdings erst während der Finanzkrise. Geprägt wurde er von Paul McCulley, Ökonom und Veteran bei BlackRocks Erzrivalen Pimco. Beim jährlichen Sommertreffen von Zentralbankern und auserwählten Star-Volkswirten im luxuriösen Bergresort in Jackson Hole, im Rocky-MountainStaat Wyoming (man denke sich ein Davos für Zentralbanker), wetterte McCulley 2007 gegen die »Buchstabensuppe von Finanzvehikeln«. Da war es allerdings schon zu spät, die ersten der Finanzvehikel, von denen McCulley sprach – CDO, CDS, CMO, SIV und ähnliche Konstrukte – zeigten da bereits erste Zeichen von Stress. Dabei fängt das Problem mit Schattenbanken schon damit an, dass es viele unterschiedliche Auffassungen gibt, wer dazugehört. Das Financial Stability Board, jenes internationale Gremium, das von den G20-Staaten nach der Katastrophe 2008 kreiert wurde, definiert Schattenbanken als »Kreditvermittlung, die außerhalb des regulären Bankensystems stattfindet.« In allen Ländern mit einem modernen Finanzmarkt dürfen nur Banken Spareinlagen mit einer staatlichen Einlagensicherung entgegennehmen. Und nur Banken haben direkten Zugang zur Zentralbank. Damit spielen Banken eine spezielle Rolle im Wirtschaftsgefüge und müssen sich deshalb speziellen Regeln unterwerfen – wie etwa Eigenkapitalregeln, die vorschreiben, wie viel Kapital die Bank zur Sicherheit
zurückbehalten muss. Doch das heißt keinesfalls, dass Banken die einzigen Quellen für Kapital wären. Ein Unternehmen kann zum Beispiel Anleihen herausgeben und die Papiere an Anleger verkaufen – quasi ein Kredit, den sich viele Gläubiger, die Anleiheinhaber, teilen. Hedgefonds können Kredite vergeben. Pfandleihhäuser und Kredithaie gehören auch dazu. Während das Financial Stability Board den Begriff Schattenbanken sehr eng fasst, tendieren die Banker selbst zu einer breiteren Definition des Begriffs: Alles, was eine Bank macht – also auch Wertpapierhandel –, aber von einer Nicht-Bank übernommen wird. Nicht nur die Banken wuchsen vor der Finanzkrise zu Giganten heran. Auch die Schattenbanken schwollen auf nie dagewesene Dimensionen an. 2007 erreichte der Sektor in den USA allein 24,9 Billionen Dollar – das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt Amerikas und Chinas zusammen. Die Krise 2008 verschonte auch die Schattenbanken nicht, doch bereits 2013 lag der US-Anteil bei 25,2 Billionen und damit 5 Billionen über dem traditionellen Bankensektor dort. Weltweit erreichte die dunkle Seite der Finanzen laut dem Jahresbericht 2014 des Financial Stability Board rund 75 Billionen Dollar. Das entspricht 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das in den von der FSB-Statistik erfassten Ländern und Regionen erwirtschaftet wird. Die Banken dagegen büßten ein – ihr Anteil am Finanzsystem fiel von 49 Prozent 2008 auf nur noch 45 Prozent. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren verschärfen wird. Banken gelten als die Hauptverantwortlichen der Finanzkrise 2008. Und an deren fragwürdigem bis hin zu kriminellem Verhalten gibt es nichts zu beschönigen. Doch es waren die Schattenbanken, die die Lehman-Krise zum Zündfunken für den weltweiten Flächenbrand machten und die letztlich die Rezession auslösten. Damals spielten
Geldmarktfonds, die zu den Schattenbanken zählen, eine oft übersehene Hauptrolle. Es war Mittwoch, der 17. September 2008, und die Welt stand am Abgrund. Zwei Tage zuvor, um 1:45 Uhr früh am 15. September, hatte die Investmentbank Lehman Brothers nach 158 Jahren den Gang zum Konkursgericht im alten Zollgebäude an der Südspitze Manhattans antreten müssen. Bilder der Lehman-Mitarbeiter, ihre Topfpflanzen und Familienfotos hastig in Pappkartons verfrachtet, gingen um die Welt. Bis heute gelten jene zwei Tage im September 2008 als der Höhepunkt der Finanzkrise. Nur Insider wissen es besser. Tatsächlich war jener Mittwoch der Katastrophentag. Da lief plötzlich eine Meldung über die Nachrichtenticker der Börsen: Die Anteile des Reserve Fund, einer der ältesten und mit 64 Milliarden Dollar einer der größten Geldmarktfonds, waren unter 1 Dollar gesackt, »breaking the buck«, wie es an der Wall Street heißt. Das war mehr als ungewöhnlich, es war eigentlich gar nicht möglich. Denn die Geldmarktfonds garantierten ihren Anlegern einen Mindestpreis von 1 Dollar. Ihre Anteilsscheine seien so hart und so gut wie Bargeld, so das Versprechen. Was war passiert? Der Einbruch war eine direkte Folge des Lehman-Konkurses. Die Anleger von Reserve flohen aus dem Fonds, denn sie fürchteten, dass die Reserve-Manager dort auf Lehman-Schuldscheinen sitzen geblieben waren und nun, da Lehman Insolvenz angemeldet hatte, massive Verluste drohten. Von Reserves Kunden – Pensionskassen, Versicherungen, Kleinanleger – versuchte jeder, sein Kapital so schnell wie möglich aus dem Fonds abzuziehen. Es war der gefürchtete »Run for the Exit« im Börsenjargon – das Rennen, vor allen anderen den Notausgang zu finden, um noch ohne Verluste sein Geld in Sicherheit zu bringen. In nur 24 Stunden verlor Reserve zwei Drittel seines eingelegten Kapitals. Schließlich musste er sogar
abgewickelt werden. Ein Jahrzehnte alter, 64 Milliarden schwerer Fonds – wie weggeblasen! Panik und Notverkäufe griffen auf andere Geldmarktfonds über. Fonds und Banken, sonst in konstantem Austausch von Kapital, misstrauten sich gegenseitig, nicht einmal gegen Staatspapiere war mehr Geld aufzutreiben. Der »Run for the Exit« griff schließlich von der Finanzindustrie auf die Unternehmen über. Großkonzerne wie General Electric, Toyota, der Telekomriese Verizon bis hin zum Motorradhersteller Harley-Davidson sandten Hilferufe an die Notenbank und Finanzminister Henry Paulson, weil ihnen das Cash ausging und sie sich die Mittel nicht länger am Geldmarkt besorgen konnten. Nie war der totale Stillstand der Kapitalströme, die unsere Wirtschaft antreiben, so nahe wie an diesem Tag. Wer verstehen will, wie es dazu kommen konnte, muss tief ins Innerste der Wall Street vordringen. Über die Gründe der Krise 2008 ist viel und oft berichtet worden. Eine von Schulden getriebene Volkswirtschaft, überhitzte Immobilienpreise in den USA, die Verbriefung der Hypotheken, die es den Kreditinstituten möglich machte, sie nahezu risikolos weiterzuverkaufen, simpler Betrug von Kreditnehmern wie -gebern, die Gier und Leichtgläubigkeit von Bankern und Investoren, das Versagen der Aufsicht und der Politik. Alles richtig, doch ohne einen Mechanismus, der die Wackelhypotheken ins Herz des Finanzsystems schleusen konnte, wäre es zwar zu einem Schwächeanfall, aber nicht zu diesem Herzstillstand gekommen. Dieser Mechanismus heißt Repo (Wall-StreetJargon für Repurchase Agreement: Rückkaufvereinbarung). Der Repo-Markt hat selbst an der Wall Street den Ruf, trüb und ein wenig unheimlich zu sein. »Selbst Bankmanager haben eine gewisse Scheu vor Repo«, sagt ein Insider, der jahrelang auf dem Repo-Markt tätig war. Das liegt an der Entstehungsgeschichte. Repo war einst Teil des »Back Office«, dem Hinterzimmer der Banken.
Dort werden die Geschäfte der Bank umgesetzt und organisiert. Dazu gehören Buchhaltung, Verwaltung, IT und auch das Abwickeln bestimmter Wertpapiertransaktionen. Das Verhältnis der Investmentbanker zu den Back-OfficeAngestellten ist ungefähr wie das von Hollywood-Stars zu Statisten. Das ursprüngliche Repo-Geschäft war eine Art Wertpapierleihe und wurde beherrscht von »italienischen Jungs aus Brooklyn, als das noch ein Arbeiterviertel war«, wie es ein Veteran der Branche formuliert. Ausgerechnet das unglamouröse Geschäft dieser Gang ist zum neuralgischen Punkt des modernen Finanzmarkts geworden. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat sich nämlich eine Revolution im Bankenwesen vollzogen. Beim klassischen Geschäftsmodell nimmt die Bank das Geld von Sparern, die dafür mit Zinsen belohnt werden. Einen Teil des Geldes muss die Bank als Sicherheit zurücklegen, der Rest wird als Kredit – etwa an Unternehmen oder Hausbesitzer – ausgezahlt, die dafür wiederum Zinsen bezahlen. Von der Differenz zwischen den beiden Zinssätzen lebt die Bank. Das Geschäft gibt es auch heute noch, es ist die Finanzversion von Brot-und-Butter. Die Wall-Street-Banker entdeckten eine lukrativere Art, Geld zu verdienen. Man kann es die Champagner-und-KaviarVariante nennen. Statt selbst an die Unternehmen Geld zu verleihen, wurden sie Kapitalvermittler. Sie helfen den Unternehmen, sich über die Ausgabe von Aktien und Anleihen die nötigen Finanzmittel zu verschaffen. Statt Zinsen kassierten sie Gebühren. Auch die andere Seite des klassischen Modells, die Sparer, wanderten ab. Sie wurden angelockt von Investmentpools, so genannte Geldmarktfonds, die ihnen höhere Zinsen und gleichzeitig eine Sicherheit wie bei Bargeld versprachen. Eine reizvolle Kombi, vor allem für große Institutionelle wie Pensionsfonds, Versicherer und
die Finanzabteilungen internationaler Konzerne, die ihr Geld zunehmend dort anlegten. Für Normalverdiener ist Geld die Summe aus dem Saldo auf dem Girokonto, dem (hoffentlich) Ersparten, das im Zweifelsfall ebenfalls auf der Bank liegt, und den Scheinen und Münzen, die er/sie im Geldbeutel hat. Für Vermögensverwalter oder auch globale Konzerne ist Geld etwas anderes. Muss es zwangsläufig sein, denn die Mittel, über die sie verfügen, können sie rein physisch nicht in Bündeln von Banknoten parken. Kein Tresor, nicht einmal alle Schweizer Panzerschränke zusammen, reichten dafür aus, abgesehen von den logistischen Problemen und dem Diebstahlsrisiko. Und da diese Summen alle staatlichen Einlagensicherungsgarantien überschreiten, stellen sie, auf normale Bankkonten geparkt, nichts anderes dar als ein ungesichertes (Aus-)Zahlungsversprechen dieser Bank. Mit dem Risiko, dass die Bank im Zweifel das Geld nicht hat. So müssen die Profis nach Alternativen suchen, ihr Cash möglichst sicher unterzubringen. Und der Weg führt geradewegs zu den Schattenbanken, zu denen unter anderem die Geldmarktfonds gehören. Geldmarktfonds sind quasi das Sparbuch institutioneller Anleger. Die Banken passten sich an. Sie kamen mit den neuen Rivalen ins Geschäft. Ein Geschäft, von dem alle Beteiligten profitierten, schien es. So liehen sich die Banken Geld von den Geldmarktfonds und anderen Investoren. Als Sicherheit dafür hinterlegten sie Wertpapiere wie Staatspapiere und Hypotheken, die sie in ihren Portfolios hatten. Mit dem geliehenen Geld von den Geldmarktfonds konnten die Banken expandieren. Dieser Austausch zwischen den Geldmarktfonds, die ihr Geld anlegen, und den Banken, die es leihen wollen, findet (immer noch) auf dem Repo-Markt statt. Das einstige Hinterzimmer der Wall Street wurde so zur Drehscheibe des großen Geldes. Es schlug die Stunde der Repo-Jungs.
Ein Run on the Bank der neuen Art Kaum jemand sah die Risiken, die das neue Modell mit sich brachte. Im Gegenteil, es schien sogar sicherer als das klassische. Während die Sparer bei diesem der Bank schlicht vertrauen mussten, dass ihr Geld dort sicher untergebracht war, hatten sie im Repo-Modell Wertpapiere als Pfand. Doch diese vorgebliche Sicherheit war ein Fehlschluss, der der Welt die Große Rezession bescherte. Zunächst schienen Banken und Geldmarktfonds allerdings eine nicht zu bremsende Geldmaschine kreiert zu haben. Das neue System war so erfolgreich, dass es nur durch einen Mangel an Wertpapieren begrenzt wurde, die von den Banken als Pfand eingesetzt werden konnten. So kamen die Banken auf die Idee, das Hypothekengeschäft anzukurbeln. US-Hypotheken galten als ideal für diesen Zweck – praktisch so sicher wie US-Staatsanleihen und mit attraktiveren Zinsen. Das ideale Rohmaterial für Wertpapiere, so schien es. Die Banken liehen sich Geld gegen die Hypothekenpapiere und mit den geliehenen Mitteln finanzierten sie neue Hypotheken, die sie wiederum bei den Gläubigern hinterlegten, um mehr Geld zu bekommen und so weiter. Um mehr Hypotheken ausgeben zu können, senkten die Kreditinstitute die Vergabekriterien, die Ansprüche an die Bonität der Schuldner waren bald minimal. Gleichzeitig trieb die Geldflut die Preise am Immobilienmarkt in unhaltbare Rekordhöhen. Weil Zentralbanken und Aufseher sich jedoch auf die Überwachung der klassischen Bankengeschäfte konzentrierten, entging ihnen die Gefahr, die sich in dieser Welt der Schattenbanken aufbaute. Bis diese im Jahr 2007 explodierte: Die Immobilienblase platzte und viele Hypotheken gleich mit. Plötzlich erfasste die Geldmarktfondsbetreiber und andere Repo-Gläubiger
die Angst: Was war mit ihren Repo-Pfändern? Wie sicher waren ihre Sicherheiten? Was, wenn sich die von den Banken hinterlegten Hypothekenpapiere als ein Haufen Schrott herausstellten? Die Repo-Gläubiger forderten mehr Sicherheiten von den Banken. Das brachte wiederum die Banken in die Klemme: Sie mussten quasi über Nacht Mittel auftreiben, um die neuen Sicherheitsforderungen zu befriedigen. Doch sie hatten keine Reserven dafür – solche Vorschriften gab es in der Schattenwelt ja nicht. So verkauften die Banken hektisch Wertpapiere aus ihren Beständen. Die Preise für diese Wertpapiere fielen daraufhin. Das löste einen neuen Angstschub bei den RepoGläubigern aus: Denn von dem allgemeinen Preissturz waren wiederum auch die Wertpapiere betroffen, die sie als Sicherheiten von den Banken entgegengenommen hatten. Ihre Pfänder waren plötzlich weniger wert. Die Folge: Sie forderten noch mehr Pfänder, noch mehr Sicherheiten von den Banken. Bis der Druck zu groß wurde: Im März 2008 fiel Bear Stearns und sechs Monate später musste Lehman Brothers Insolvenz anmelden. Das Pfänderspiel der Hochfinanz war zusammengebrochen. Notenbank und Aufseher mussten hilflos mitansehen, wie das sich immer rascher auflösende Schattensystem das offizielle Finanzsystem zum Erliegen brachte. Für Finanzhistoriker Gary Gorton ist der Kollaps 2008 die moderne Variante eines Bank Runs – nur, dass keine aufgeregten Kunden die Kassierer um ihre Einlagen bestürmten, sondern der Ansturm der Repo-Gläubiger auf die Banken hinter den glitzernden Glasfassaden der Wall Street stattfand. Ein weiterer Unterschied: die enormen Summen. Das Geschäft hatte inzwischen gigantische Dimensionen angenommen. Bis zu 10 Billionen Dollar schwappten laut Schätzungen auf dem Höhepunkt vor der Krise durch die Repo-Schattenbanken. Nach Gortons Kalkulation sahen sich die Banken quasi über Nacht Forderungen von bis zu 2 Billionen Dollar gegenüber.
Die ersten Opfer des Repo-Kollapses waren die Geldmarktfonds. Sie hatten sich als Alternative zu den Banken eine lukrative Nische in der neuen schönen Finanzwelt erobert. Sie ersetzten nicht nur das gute alte Sparbuch oder die Einlagen, die vor allem Großinvestoren früher bei ihrer Bank unterhielten. Sie spielten auch zunehmend die Rolle des Kreditgebers für Unternehmen. Um ihre Lieferanten und ihre Mitarbeiter zu bezahlen, schrieben die Finanzmanager der Unternehmen kurzfristige Schuldscheine und tauschten diese bei den Geldmarktfonds gegen das benötigte Cash ein. Jahrelang lief das Geschäft reibungslos. Die Geldmarktfonds bekamen Zinsen, die Unternehmen das nötige Geld fürs Tagesgeschäft. Doch dann kam die Lehman-Pleite und löste den Untergang des Reserve Fund aus. Die Geldmarktfonds gerieten in die Klemme – ihre Investoren verlangten nun ihr eingelegtes Kapital zurück. Die Fonds kämpften ums Überleben. Sie waren nicht mehr in der Lage, Mittel an Unternehmen zu verleihen. Plötzlich trocknete praktisch über Nacht eine scheinbar unerschöpfliche und günstige Geldquelle für die Wirtschaft aus! Es bestand die Gefahr einer Domino-Kette der Zahlungsunfähigkeit, die ein Unternehmen nach dem anderen mitreißen würde. Da zog der damalige Notenbankchef Ben Bernanke die Notbremse. Um den totalen Zusammenbruch zu verhindern, sprach er eine umfassende Garantie der Notenbank für die wankenden Geldmarktriesen aus – das Finanzmarkt-Äquivalent eines Sicherheitsnetzes. Das teuerste Fangnetz der Geschichte – potenziell in Billionenhöhe – aufgespannt von der Öffentlichkeit für die Hochfinanzakrobaten. Wenn man dies betrachtet, mutet es fast ironisch an, dass die Banken nach der Krise durch die Regulierung zurechtgestutzt wurden, während Schattenbanken nahezu ungehindert wuchern dürfen.
Mutter aller Schattenbanken Vor der Finanzkrise gab es zwei Lager: Die Investmentbanken auf der einen und ihre Kunden – die großen Investoren wie Pensionskassen, Stiftungen und Investmentfonds, die Finanzabteilungen internationaler Konzerne – auf der anderen Seite. Sell-Side and Buy-Side. Man muss sich die Banken vorstellen wie Supermärkte, nur dass die Einkäufer dort Großanleger sind. Im Angebot sind nicht Gemüse, Milchprodukte, Fleisch, sondern Aktien, Anleihen oder Derivate. Und wie die Lebensmittelbastler bei Kellogg’s neben den klassischen Cornflakes, immer neue Flocken wie Rice Krispies, Honey Pops und Smacks servieren, entwickeln auch Finanzingenieure immer wieder neue Produkte. Statt des »voll schokoladigen Frühstückserlebnisses« preist die Finanzversuchsküche einen »steuersparenden arbitragierenden Zinsswap« an. Bis zur Krise 2008 war es normal, dass Großanleger sich bei den Supermärkten der Banken eindeckten. Die neuen Regeln machen es schwieriger und teurer für die Banken, die Regale auf Vorrat zu bestücken. Denn für die meisten »Produkte«, die sie in ihren Büchern haben, müssen sie entsprechend Eigenkapital hinterlegen. Von den leereren Regalen einmal abgesehen, ist das Vertrauen der Großanleger gegenüber dem, was die Wall-Street-Krämer ihnen an neuen schillernden Waren anbieten, auf einem Allzeittief. Kein Wunder also, dass die Investoren nach Alternativen suchen. Das war die Jahrhundertchance für BlackRock! Die passive Abnehmerrolle, in die sich viele Vermögensverwalter gefügt haben, passte sowieso nie so recht zu Larry Fink und seinen Mitgründern und deren Sell-Side-Herkunft. Die Schrumpfkur der Banken schafft Platz – für die neuen Herren der Wall Street. Und die haben klare Vorstellungen. Üblicherweise beraten
Investmentbanker Unternehmen, wie sie sich finanzieren sollen: Wie viel Eigenkapital ist nötig, wie viel Fremdkapital soll das Unternehmen aufnehmen? Wie lässt sich eine Expansion oder eine Übernahme finanzieren? Entsprechend arrangiert die Bank die Herausgabe von Aktien oder Anleihen, platziert Anteile oder Kredite. Und diese bieten die Banker dann wiederum ihren Investorenkunden im Finanzsupermarkt an. So lange will BlackRock nicht mehr warten. Finks Leute wollen gleich zu Anfang dabei sein, wenn es um den Finanzbedarf des Unternehmens geht. Daraus machen sie keinen Hehl. So erklärte Peter Fisher, zuständig für festverzinsliche Wertpapiere bei BlackRock, bereits 2011 dem Branchenjournal Institutional Investor: »Wir wollen Anlagen mit einem von uns gewünschten Risiko-GewinnProfil kaufen und halten, statt nur die zur Verfügung zu haben, die bereits auf dem Markt sind.« Nehmen wir das Beispiel von Zayo Group. Das Unternehmen betreibt Glasfasernetze für kommerzielle Kunden wie Datenzentren und Telekomgesellschaften. Zayo ist ein Überlebender der Internetblase der 1990er. Das hat die Firma aus Colorado vor allem dadurch geschafft, dass sie ständig Rivalen schluckt. Es waren mehr als 30 über das letzte Jahrzehnt. Im Sommer 2012 schlug Zayo wieder einmal zu. Um die 1,5 Milliarden Dollar für die Übernahme zu finanzieren, wollte Zayo Anleihen ausgeben. Doch das Umfeld an den Märkten war durch die anhaltenden Turbulenzen in Europa denkbar schlecht. Investoren verlangten hohe Zinsen, um das Risiko wettzumachen. Es schien eine teure Angelegenheit für Zayo zu werden. Doch dann bekam das Unternehmen ein Angebot: BlackRock würde einen großen Teil der Anleihen zeichnen – vorausgesetzt, der Vermögensverwalter würde bei den Konditionen für die Anleihen mitreden dürfen. Eine ungewöhnliche Bitte, wurden diese Bedingungen, wie Zinscoupon, Laufzeiten und so weiter, bisher eigentlich von
Investmentbankern im stillen Kämmerlein mit dem Unternehmen ausgemacht. Doch BlackRock war hochzufrieden mit dem Arrangement. »Ein Modell, das die Probleme aller Beteiligten löst«, lobte es Richard Prager gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Fortune im November 2012. Prager, genannt Richie, ein ehemaliger Bank-ofAmerica-Spezialist für Devisen und Rohstoffe, ist seit 2009 bei BlackRock und nun dafür zuständig, immer mehr Transaktionen dieser Art zu organisieren. Er ist einer von mehreren Bankern, die Fink und Kapito speziell für den Ausbau dieser Abteilung abgeworben haben. Es ginge keineswegs darum, die Investmentbanken rauszudrängen, beteuerte Prager gegenüber der Financial Times, die ebenfalls über die neue Strategie berichtete. Auch nicht darum, den Bankern ihre Gebühren streitig zu machen. Nein, die Banker dürfen ruhig weiter mit dabei sein bei den Deals. BlackRock will sie nicht verdrängen, so lange eines gesichert bleibt: Man gewinnt an Einfluss. Denn bei diesem neuen Modell sucht BlackRock nicht mehr nur die besten Anlagemöglichkeiten heraus, sondern schafft sie sich selbst. Die Unternehmen bekommen einen Wunschzettel direkt vom größten Investor der Welt. »Das erlaubt uns frühzeitig mit am Tisch zu sitzen«, sagt Prager ganz unverblümt. Kapito war über so viel Offenheit seiner Kollegen offenbar nicht recht glücklich. Er habe sich laut gewundert, warum seine Partner über dieses Thema mit dem Institutional Investor reden wollten, schließlich handele es sich um »Betriebsgeheimnisse«, sagte er dessen Reportern. Keinesfalls wolle er Nachahmern in der Branche Tipps geben. Doch andere Vermögensverwalter sind eher skeptisch, wenn es darum geht, Bankenaufgaben zu übernehmen. Ein Vertreter der Bostoner Investmentfirma Loomis, Sayles & Co., ein weit kleinerer Rivale, der Ende 2014 rund 230 Milliarden Dollar verwaltet, erklärte 2011 gegenüber Institutional Investor, bei Loomis wolle man lieber nicht
direkt an der Herausgabe von Anleihen beteiligt sein, schließlich flössen bei dieser Gelegenheit vertrauliche Informationen zwischen dem Unternehmen und der betreuenden Investmentbank. Mit anderen Worten, Loomis fürchtete Interessenkonflikte; in diesem Fall, dass die Information einer Abteilung von einer anderen zum eigenen Vorteil eingesetzt wird. So könnte zum Beispiel Wissen über die Interna eines Unternehmens, das bei einem Anleihe-Deal gewonnen wird, an einen Fondsmanager gelangen, der dieses Insider-Wissen nutzt, um über den Kauf von Aktien des betreffenden Unternehmens zu entscheiden. Eine solche Weitergabe käme bei den Aufsehern nicht besonders gut an – von dem betroffenen Unternehmen einmal abgesehen. Solche Interessenkonflikte schließt BlackRock kategorisch aus. Dafür gebe es die berühmten und oben bereits erwähnten »Chinese Walls«, jene angeblich unüberwindlichen institutionellen Trennwände zwischen verschiedenen Abteilungen, auf die sich die Wall Street in solchen Fällen immer beruft. Die Reporter von Institutional Investor merken in ihrem Bericht denn auch brav an, BlackRock habe lange Erfahrung mit dem Schutz von vertraulichen Kundeninformationen. »Chinesische Wände« würden dafür sorgen, dass die Informationen nicht an BlackRocks Fondsmanager weitergereicht werden. BlackRock wollte sich auf Anfrage weder zur Zayo Group noch zum Umfang solcher direkten Anleihekäufe äußern. Auch zu potenziellen Interessenkonflikten in diesen Fällen wollte das Unternehmen keine Stellung nehmen. Bei anderen Gelegenheiten betätigt sich BlackRock – und auch andere große Vermögensverwalter wie Allianz Global Investors – ganz direkt als Kreditvermittler. Sie übernehmen den Job, den sonst eine Bank oder eine Sparkasse machen würde. Das heißt, sie vermitteln das Kapital ihrer institutionellen Anlagekunden an die Unternehmen oder Einrichtungen, die den Kredit
brauchen, ohne den Zwischenschritt einer Anleihe oder einer Bank. Eine klassische Schattenbankfunktion. Noch sind die Volumen in dem Bereich keine Gefahr für die Banken. Doch der Trend, im Wall-Street-Schön-Sprech »Private Debt« genannt, beschleunigt sich. 2011 waren es knapp 40 Milliarden Dollar, 2013 bereits über 50 Milliarden Dollar, berichtete das Magazin Private Debt Investor, das sich dem neuen Segment widmet. Besonders im Infrastrukturbereich wird »Private Debt« zunehmend zur gängigen Alternative zum klassischen Bankkredit. BlackRock mischt bei »Direct Debt« kräftig mit. Im Oktober 2014 gründeten die New Yorker eigens eine »Private Debt«-Plattform in London, um dieses Kreditgeschäft in Europa voranzutreiben. Auch bei den wachsenden Peer-to-Peer-Kreditvermittlern – im Finanzjargon als P2P bekannt – mischt BlackRock mit. Beim P2P-Lending geht es um Online-Plattformen, über die Kreditnehmer und Gläubiger sich finden, ohne dass eine Bank dazwischen ist. Im Prinzip funktioniert P2P wie ein Internetheiratsvermittler, bei dem ein Algorithmus passende Partner zusammensucht. In den USA belief sich das P2P-Volumen 2014 auf 5,5 Milliarden Dollar, fast doppelt so viel wie noch 2013. Bis 2025 soll es sich nach Schätzungen von PriceWaterhouseCoopers auf 150 Milliarden Dollar steigern (Februar 2015). In Europa ist die Summe mit 275 Millionen Euro noch bescheiden. Aber die Wachstumsraten nicht. Laut dem »Alternativen Finanzbericht« der Universität Cambridge und der Unternehmensberatung EY legten die P2P-Anbieter dort zwischen 2012 und 2014 knapp 280 Prozent zu. Deutschland ist nach Großbritannien und Frankreich der drittgrößte Markt. (Studie ebenfalls aus Februar 2015) Damit geht das traditionelle Geschäft an den Banken vorbei. Tatsächlich kam Goldman Sachs in einer Studie Anfang 2015 zu dem Schluss, dass dies für die Banken bereits gefährlich sei. Ihre dunklen Zwillinge könnten
ihnen schon bald bis zu 7 Prozent des Profits abjagen. Das wären – gemessen am Profit, den alle im Licht der Regulierer operierenden US-Kreditinstitute 2014 erzielt haben – 11 Milliarden Dollar. Noch ist die P2P-Branche weitgehend unreguliert – und operiert ohne die Sicherheitsnetze wie etwa einen Einlagensicherungsfonds. Für BlackRock ist P2P eine neue Gelegenheit, als Schattenbank eine Rolle zu spielen. BlackRock tritt dabei als Aufkäufer der P2P-Kredite auf, die die New Yorker dann verbriefen, also zu Wertpapieren machen. Das entspricht im Grunde dem Prozess, mit dem einst Fink Hypotheken in CMOs verwandelte. Fink & Co. gehören auch hier zu den Wall-Street-Pionieren. Seit Ende 2013 habe BlackRock rund 330 Millionen Dollar an Krediten übernommen, die der Online-Kreditvermittler Prosper arrangiert hatte, berichtete Bloomberg im Februar 2015. Der größte Dark Pool aller Zeiten Auch beim Wertpapierhandel sucht der schwarze Riese zunehmend eigene, private Wege zu gehen. Statt Aktien über die öffentlichen Börsen zu handeln, ziehen es Vermögensverwalter wie BlackRock mehr und mehr vor, in VIP-Handelsplätze auszuweichen. Diese Dark Pools umgibt eine Aura des Unterweltlichen. Selbst für Insider und Regulierer sind diese Handelsplattformen kaum zu durchschauen. »Es gibt einen Grund, warum sie Dark Pools und nicht Kristallseen heißen«, unkte der Teilnehmer eines Internetforums der Financial Times. Dabei sollten die außerbörslichen Aktienhandelsplattformen ursprünglich den Zweck einer Schutzzone für Investoren erfüllen. Sie entstanden als Antwort auf Spekulanten, die mit superschnellen Computern und komplexen SoftwareFormeln die weltweiten Aktienmärkte durchkämmen, um auf diese Weise von Kauf- oder Verkaufsorders von
Großinvestoren Wind zu bekommen. Wenn etwa ein Investmentfonds eine große Kauforder ausgibt, dann hat das ein Ansteigen des Kurses zur Folge. Wenn Blitzhändler davon Wind bekommen – durch ihre Algorithmen, mit denen sie unablässig die Finanzmärkte durchsuchen –, kaufen sie die betreffende Aktie vor dem Anstieg. Der Vorteil für die Blitzhändler: Sie kassieren die Kursdifferenz und machen Gewinn praktisch ohne Risiko. Der Nachteil für den Investmentfonds: Weil der Kurs durch die Käufe der Blitzhändler steigt, muss der Fonds einen höheren Preis für die Order zahlen. Großbanken begannen deshalb vor einigen Jahren außerbörsliche Plattformen anzubieten, die Großanleger vor solchen Manövern schützen sollen. Im Unterschied zu den Börsen, wo Orders immer sofort öffentlich gemacht werden müssen, bleiben Auftraggeber auf diesen Plattformen anonym. Die Order und der Kurs, zu dem sie abgeschlossen wurde, werden erst im Nachhinein in einer Pflichtmeldung an die Börsen weitergegeben. Wegen dieser Anonymität bürgerte sich an der Wall Street die Bezeichnung »Dark Pools« für die Handelsplattformen ein. Die Schattenhandelsplattformen sind in den letzten Jahren allerdings öfter in die Schlagzeilen gekommen. Betreiber nutzten die Undurchsichtigkeit für ihre eigenen Zwecke. Anders als bei öffentlichen Börsen unterliegen Dark Pools einer laxeren Regulierung. Im Wesentlichen verlassen sich die Teilnehmer auf die Selbstregulierung der Betreiber. Der Mangel an Transparenz hat die Kritiker immer lauter werden lassen. »Die Flüssigkeit bei den DarkPool-Partys kann man sich denken: Dom Perignon, Cristal, Bollinger …«, lästert der Teilnehmer eines Finanz-OnlineForums, der sich hinter dem Pseudonym »Karl Marx« versteckt. 2014 erhob Eric Schneiderman, der Generalstaatsanwalt von New York, schwere Vorwürfe gegen Barclays Bank: Während Barclays seinen Kunden – darunter
Investmentfonds und Pensionskassen – versichert habe, in dem Dark Pool sicher ihre Aktienorders abwickeln zu können, ohne von Schnellfeuerhändlern übervorteilt zu werden, lud die Bank in Wahrheit still und heimlich genau diese Blitzhändler in den Dark Pool ein und gewährte ihnen weitere Vorteile gegenüber den ahnungslosen Großinvestoren. Barclays bestreitet die Vorwürfe, das Verfahren läuft. Die UBS dagegen legte ähnliche Beschwerden mit einem Vergleich bei. Tatsächlich sind Dark Pools und Blitzhändler die Folge von wohlmeinenden Reformen. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase fürchteten US-Regulierer, Amerikas Börsen würden den Anschluss verlieren. Während in Frankfurt und London emsig an elektronischen Handelssystemen gebastelt wurde, schien ausgerechnet die Wall Street den Zug der Zeit zu verschlafen. Die Parketthändler – allen voran an der New York Stock Exchange – hielten am traditionellen Handel fest, nicht zuletzt, weil der ihnen als Mittelsmännern lukrative Vorteile bot. Die bestehenden Regeln stellten sicher, dass die Mehrheit aller Transaktionen über das Parkett lief. 2007 wurden in der umfassenden Marktreform Regulation New Market Structure, im Wall-Street-Jargon besser bekannt als RegNMS, diese Privilegien abgeschafft. Das Ziel der Reform, mehr Wettbewerb zu schaffen und den elektronischen Handel voranzutreiben, wurde mehr als erfüllt: Der Anteil des nicht-elektronischen Handels in den USA ist inzwischen vernachlässigbar. Und in mehr als 70 Prozent der Fälle tippt nicht einmal mehr ein Broker die Order in die Maschine, sondern die Computer handeln mittels Algorithmen selbstständig unter sich. Und die Börsen haben kräftig Konkurrenz bekommen. Heute können Investoren auf 50 Handelsplätzen amerikanische Aktien handeln. Rund 40 Prozent des Handels läuft bereits an den Börsen vorbei. Die weniger streng regulierten Handelsplattformen lockten mit schnelleren Systemen,
aber vor allem auch damit, billiger zu sein. Dark Pools gehören mit zu den größten Profiteuren von RegNMS. Wie akkurat sind Aktienkurse noch? Der Dark-Pool-Boom lässt bei den Regulierern inzwischen Zweifel am Erfolg der Finanzmarktreformen aufkommen. Sie sehen ein noch größeres Problem als bloße Manipulationen zuungunsten von Kunden. Sie sehen das Funktionieren der Märkte selbst in Gefahr. Für viele Skeptiker sind Börsen nur Zockerbuden voller Spekulanten. Doch die Börsen erfüllen eine wesentliche Aufgabe: Sie teilen Unternehmen Kapital zu. Und – zumindest in der Theorie – dieses Kapital bekommen die Unternehmen nur, wenn sie Investoren von ihren Zukunftsaussichten überzeugen. Die Börse erfüllt öffentlich und für jeden sichtbar die Funktion der Mittelverteilung in unserem Wirtschaftssystem. Es ist im Prinzip wie Crowdfunding, das bei den Millennials so beliebt ist – nur, dass die Investoren die Chance haben, sich an den Gewinnen des Unterfangens zu beteiligen. Hier entscheidet kein Banker im stillen Kämmerlein, keine »Heuschrecke« und auch kein Regierungsbeamter im Alleingang. Die Kurse, zu denen die Aktien an der Börse öffentlich ausgewiesen werden, sind die gleichen für den Fondsmanager wie für den Kleinanleger. Doch mit den VIP-Handelsplattformen droht diese Preisdemokratie bald der Vergangenheit anzugehören. Mary Jo White, die Chefin der US-Börsenaufsicht SEC, erklärte bei einer Investorenkonferenz im Juni 2014, der derzeitige Anteil an »dunklem Handel« sei der Qualität der Märkte abträglich – vor allem bei der Kursfindung. »Transparenz war lange das Gütesiegel des USAktienmarkts und ich bin besorgt über die mangelnde
Transparenz in den Dark Pools«, erklärte sie. Gemeint ist: Wenn immer größere Ströme von Orders an den öffentlichen Börsen vorbeilaufen, wie akkurat spiegeln die Preise dort dann noch den Kurs wieder, der tatsächlich am Markt gezahlt wird? Die Abwanderung von Billionen in das dunkle Reich der »Dark Pools« hat sich seit der Warnung der SEC-Chefin nur noch beschleunigt. Im Januar 2015 kündigten neun große amerikanische Fondsgesellschaften an, ihren eigenen »Dark Pool« betreiben zu wollen. Das Projekt hatte zunächst Fidelity entwickelt unter dem Codenamen »Sakura«, dem japanischen Wort für Kirschblüte. Mit von der Kirschblüten-Partie: BlackRock. Zwar gab es schon vorher immer wieder Handelsplätze, die von Investoren initiiert wurden, aber dieses Mal taten sich die Big Guys der Investmentbranche zusammen. BlackRock erklärt auf seiner Webseite: »Wir glauben, dass Dark Pools ein wertvolles Instrument für das Ausführen von großen Orderblöcken sowie für den Handel mit Aktien sind, die wegen eines geringen Volumens geringe Liquidität haben.« Es gibt noch mehr Vorteile, wenn es gelingt, die Orders an den öffentlichen Börsen vorbeizuleiten. Vorteile, die sich in Dollar ausdrücken lassen. Inzwischen hat sich der Kirschblüten-Dark-Pool in Luminex umbenannt und wird von einem Ex-BlackRock-Mann geführt. Auch ein Dark Pool ist noch extern. Aber selbst den können die großen Vermögensverwalter umgehen. Statt über externe Handelsplattformen zu gehen, wechseln die Fondsgesellschaften die Papiere ihrer verschiedenen Kunden untereinander aus, im Wall-Street-Jargon »Crossing« genannt und bei den Big Guys mittlerweile üblich. Wenn etwa BlackRock-Kunde Pensionsfonds A Microsoft-Aktien kaufen will und Staatsfonds B, ebenfalls Kunde bei BlackRock, will Microsoft-Aktien verkaufen, dann handeln sie die Aktien untereinander. Damit sparen die Kunden die Gebühren für die externen Abwickler, so
das Argument von BlackRock. Und ihre Kunden dürften tatsächlich wohl kaum traurig sein, wenn das für die WallStreet-Banken und Broker bedeutet, Hunderte Millionen Dollar an Orders zu verlieren. Der schöne Nebeneffekt für BlackRock ist dabei: Alle diese Transaktionen bleiben in BlackRocks Servern. In einem internen Schreiben, das an die Financial Times durchsickerte, hieß es: »Diese Plattform wird Kostenvorteile und Handel quer durch alle Vermögenswerte ermöglichen, indem wir eine der größten Handelsoperationen der Welt werden.« Mit anderen Worten, der »größte Dark Pool der Welt«, eine Art private Börse, wie ein BlackRock-Vertreter gegenüber einem Besucher einmal prahlte. Aber die wichtigste Innovation mit der BlackRock unser Finanzsystem grundlegend umkrempelt, sind ETFs. (Die Wall Street hat eine Vorliebe für Kürzel mit drei Buchstaben.) ETF steht für Exchange Traded Funds, gemeint sind börsengehandelte Investmentfonds, jene scheinbar simplen Investmentprodukte, die es Kleinanlegern möglich machen, wie die Profis zu investieren. Was dabei gerne übersehen wird: ETFs blühen und gedeihen im Reich der Schattenfinanz.
Kapitel 6 ETF: Der Schwanz wackelt bald mit dem Hund Wer denkt, dass Geldanlage an der Wall Street oder überhaupt in New York zu Hause ist, der irrt. Dort sitzen lediglich die Händler, die Banker – letztlich ausführende Kräfte. Auf den Namensschildern der Trader auf dem Parkett der New York Stock Exchange finden sich bis heute Namen wie Malony, Maguire, DeLucca. Als die Börse 1903 an der Südspitze Manhattans ihr neues Gebäude eröffnete, wurden billige Arbeitskräfte für Botendienste auf dem Parkett gesucht. Jobs, die gerne von New Yorks Immigranten übernommen wurden – Italienern und Iren, die oft nicht lange zuvor auf Ellis Island, dem Einwanderungshafen, von einem der Überseeschiffe gestolpert waren. Sie arbeiteten sich hoch und einige wenige überlebende kleine Brokerhäuser sind bis heute Familienbetriebe. Doch wenn es um die Entscheider ging, die den Händlern und Bankern Anweisungen gaben, dann gab es lange zwei Möglichkeiten: Sie fanden sich in Philadelphia und vor allem in Boston. Dort lebte der alte amerikanische Geldadel, die »Bostoner Brahmanen«, wie US-Medien gerne lästerten. Die Familie von J. P. Morgan etwa, Amerikas legendärem Banker, stammte von dort. Die wohlhabenden Dynastien der Ostküste, denen anders als den neureichen Wall-Street-Gewinnern Diskretion und eine »stiff upper lip« über alles gehen, suchten früh nach einer Möglichkeit, ihr Erbe gewinnbringend anzulegen. So entstanden die ersten Investmentfonds. Edward C. Johnson II sah die Chance, die elitären Geldpools für einen
breiteren Kreis von Anlegern zu öffnen und startete 1946 Fidelity Investments. Die Bostoner gehören zu den Altersvorsorgeanbietern der ersten Stunde. Fidelity wuchs zu einem globalen Unternehmen, seine Fonds verwalteten 2014 rund 2 Billionen Dollar (Stand Anfang 2015). Bei dem Modell kümmern sich Fondsmanager darum, die ihnen anvertrauten Gelder kräftig zu mehren. Einige brachten es damit zum Star-Status – etwa Peter Lynch, der 13 Jahre lang die Geschicke des Magellan Fonds, Fidelity’s Flaggschiff, lenkte. Unter Lynch erreichte Magellan schließlich 14 Milliarden Dollar – übernommen hatte er den Fonds mit 20 Millionen. Anleger rissen sich darum, an den genialen Investment-Schachzügen des Meisters teilzuhaben. Zeitweise schloss Fidelity den Fonds für neue Investoren – er war einfach zu groß geworden. Der Fluch des Erfolgs: Je größer ein Fonds, desto höher müssen die Gewinne des Fondsmanagers ausfallen, damit sich die Tachonadel bewegt, wie es im Branchenjargon heißt. Für die Fondsanleger gibt es noch einen Nachteil: Die Fondsanbieter und der Fondsmanager verlangen Geld für ihren Einsatz. Das schmälert die Rendite. Schöne neue Derivatewelt Da kam John Clifton Bogle, an der Wall Street besser bekannt als Jack. Er hatte eine revolutionäre Idee. Warum nicht einen Fonds kreieren, der quasi auf Autopilot funktioniert? Statt einen teuren Manager anzuheuern, der die Anlageentscheidungen treffen würde, sollte der Fonds lediglich bekannte Indizes wie etwa den Standard & Poor’s Index nachbilden. Den ersten Aktienindex kreierte der Finanzjournalist Charles H. Dow 1896. Das Prinzip des Dow Jones Industrial Average war recht schlicht: Dow nahm die zwölf meistgehandelten Aktien, die an der New Yorker Börse notiert waren, addierte die aktuellen Kurse und teilte
sie wiederum durch zwölf, um den Durchschnittskurs zu ermitteln (heute umfasst der Dow Jones 30 Unternehmen). Dows Ziel war es, eine Messlatte zu bekommen, mit der sich die Bewegungen nicht nur einzelner Kurse, sondern des gesamten Aktienmarkts messen ließen. Später wurden die Indizes verfeinert. Beim Standard & Poor’s 500 erhalten die Kurse der Unternehmen im Index je nach Marktwert ein höheres oder niedrigeres Gewicht (Marktwert: ausstehende Aktien mal Kurs). Der S&P 500, dessen Ursprung auf Henry Varnum Poors Register amerikanischer Eisenbahnen im Jahr 1860 zurückgeht, gilt mit seinen 500 US-Unternehmen bis heute als der maßgebliche US-Marktindex. Bogle erweiterte Dows IndexIdee. Er wollte die Marktbewegung nicht nur messen, sondern den Markt in einem Fonds so abbilden, dass Anleger in den Aktienkorb investieren konnten. Grob gesagt: Der Fonds würde die im S&P 500 enthaltenen Aktien kaufen und halten. Der Fonds wäre dann zwar gezwungen, mit dem Markt auf und ab zu schwanken und seine Gewinne würden nur denen des Markts entsprechen. Dafür konnte kein Fondsmanager den Anlegern durch Fehlentscheidungen schaden und – vor allem – sie Gebühren kosten. Das Konzept war an sich nicht neu. Die Grundlagen schufen zwei Nobelpreisträger: Der Ökonom William Sharpe hatte das Verhältnis zwischen Risiko und Rendite analysiert und war zu dem Schluss gekommen, dass Anleger am besten in den gesamten Markt investieren sollten. Sein Kollege Eugene Fama entwickelte die Theorie, dass die Kurse alle vorhandenen relevanten Informationen widerspiegeln – demnach kann kein noch so smarter Fondsmanager langfristig besser abschneiden als der Markt. Auf der Basis dieser akademischen Überlegungen tüftelte Mac McQuown, ein Finanzingenieur, bereits 1971 für die kalifornische Wells Fargo Bank das erste Anlageportfolio aus, das einen Aktienindex nachahmte.
(Wells Fargos Kunde war Kofferhersteller Samsonite.) Bogle jedoch war es, der Sharpes und Famas Konzepte für die Bedürfnisse der Kleinanleger weiterentwickelte. Bogle war bei seinem letzten Arbeitgeber, einem alteingesessenen Investmentfonds aus Philadelphia, wegen einer von ihm vorangetriebenen und gründlich missglückten Fusion hinausgeflogen. Er hatte nicht viel zu verlieren und so startete er 1975 seinen ersten Investmentfonds, der den S&P 500, den breiten USAktienindex, nachbildete. Und erntete Hohn und Spott in der Branche – »Bogles Folly«, Bogles Narretei, nannten sie das Anlagevehikel. Ganz besonders von den »Bostoner Brahmanen« kam Häme: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anleger sich mit durchschnittlichem Abschneiden zufriedengeben«, wurde Ned Johnson III, der Sohn des alten Fidelity-Gründers, damals zitiert. Doch da täuschte er sich: Bogles Narretei, die heute Vanguard 500 Index Fonds heißt, holte schließlich sogar Magellan, das Flaggschiff der Johnsons, ein. Im Juni 2015 waren knapp 17 Milliarden Dollar im Magellan Fonds angelegt, der Vanguard 500 verwaltete über 200 Milliarden Dollar. Paul Volcker, der ehemalige Notenbankchef und ein Freund Bogles, ätzte nach der Finanzkrise einmal, die einzige sinnvolle Innovation der Finanzbranche der vergangenen 20 Jahre sei der Geldautomat gewesen. Und wenn man auf die vergangenen 40 Jahre blicke, gebe es noch eine zweite: Indexfonds. Inzwischen sind Indexfonds so angeschwollen, dass aktiv von Fondsmanagern gesteuerte Anlagepools wohl bald zur Minderheit gehören werden. Bogle hätte seinen Erfolg selbst fast nicht erlebt. Er erlitt sechs Herzinfarkte und in den frühen 1990ern ging man bei Vanguard davon aus, dass der Gründer nicht mehr lange weiterleben würde. Also setzte ihm das Unternehmen ein Denkmal: eine zwei Meter große Bronzestatue, auf Wunsch von Bogle lebensecht. So sind seine durch Arthrose knotigen Finger erkennbar. Doch 1996 erhielt Bogle ein
Spenderherz – das Herz eines jungen Mannes, wie er sagt, habe ihn selbst verjüngt. Bogles wieder erwachte Lebensgeister führten prompt zum Streit mit seinem Nachfolger, den er selbst bestallt hatte. Für Bogle waren Indexfonds mehr als nur ein Produkt. Er selbst wurde nicht einmal reich mit Vanguard – zumindest nicht nach Wall- Street-Maßstäben. Sein Vermögen beläuft sich auf einen »zweistelligen Millionenbetrag« wie er der New York Times verriet – Geld, das er mit der Anlage in Vanguard Fonds verdient habe. (Die Fidelity-Dynastie der Johnsons dagegen taucht regelmäßig in den Forbes-Listen der reichsten Amerikaner auf.) Das liegt auch daran, dass Vanguard kein normales Unternehmen ist, sondern den Fondsanteilseignern allen zusammen gehört. Vorbild waren Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Bogle sieht sich als Kämpfer für Kleinanleger, denen er einen fairen Zugang zu den Aktienmärkten geben wollte. Umso entsetzter reagierte er, als er erkennen musste, was die Wall Street mit seiner Idee anstellte. Findige Köpfe entwickelten den Indexfonds weiter und schufen ein neues Anlageinstrument, den Exchange Traded Fund oder ETF. Die ETFs verbinden die Vorteile des Indexfonds – die Möglichkeit, günstig in einen ganzen Korb von Aktien anzulegen – mit dem »Vorteil«, dass die Fondsanteile wie eine einzelne Aktie gehandelt werden können. Quasi eine Einladung zur Spekulation! Das jedenfalls kritisierte Bogle und damit war es das genaue Gegenteil von dem, was er mit seinen Fonds erreichen wollte: Normalverdiener zu langfristigen Investoren zu machen. Die ETFs, so seine Sorge, würden Kleinanleger zum Zocken verführen. Es sei, wie »wenn man einem Brandstifter Streichhölzer geben würde«, klagte er einmal. Die Warnungen des Index-Pioniers verhallten ungehört. ETFs wurden zu den erfolgreichsten neuen Investmentvehikeln in Jahrzehnten. Anbieter liefern sich Wettrennen, die beliebtesten ETFs zu kreieren. »Es gibt
mehr ETFs als Eiscremesorten in einer italienischen Eisdiele«, wurde zum geflügelten Satz unter Finanzberatern. Bald gab es nicht nur ETFs, die breite Indizes wie den S&P 500 oder den Nasdaq 100 oder später auch den Dax nachbildeten. Mittels ETFs ließen sich auch Anleihe-Indizes nachbauen und wie Aktien handeln. (Anm.: ETFs sind nur eine Gattung dieser neuen börsennotierten Anlagevehikel ETP und ETN, hier im Text stehen ETFs für die Palette.) Damit rückte ein langgehegter Traum der Wall-Street-Spekulanten näher, Kredite wie Aktien an der Börse handeln zu können. Und es dauerte nicht lange, da gab es ETFs auf Gold, auf Silber, solche, die in Wasser, Immobilien oder Biotechnologie investierten. Inzwischen sind es weit, weit mehr. So schnell und so gründlich hat selten ein Produkt die weltweiten Wertpapiermärkte umgekrempelt. Nach den ersten Prototypen Anfang der 1990er waren es im Jahr 2000 nicht ganz 100 ETFs – Ende 2010 waren es über 2 500. 2014 hatten Anleger bereits rund 2,7 Billionen Dollar in die weltweit 6 700 ETFs gegossen. Bis 2020 sollen es nach Berechnungen der Unternehmensberatung PwC (Studie Januar 2015) doppelt so viel sein (siehe Grafik 3). Als Vanguard unter einem neuen Vorstandschef ebenfalls begann, ETFs herauszugeben, verließ Bogle aus Protest den Aufsichtsrat des Unternehmens, das er selbst einst gründete. (Vanguard richtete ihm immerhin ein eigenes Institut ein, in dessen Namen er so kritisch sein kann, wie er will.) Für Vanguard war es aber schon zu spät. Die Führung bei den ETFs hatte schon jemand anderes übernommen: BlackRock. BlackRock stieg 2009 ins ETF-Geschäft ein. Während die Banken und andere Konkurrenten noch mit den Reparaturarbeiten nach der Lehman-Krise beschäftigt waren, schlug Fink zu und übernahm die iShares-Sparte der britischen Barclays Bank in einem 13,5-MilliardenDollar-Deal. Mit der Fondssparte von Merrill Lynch war
BlackRock bereits ins Geschäft mit der Geldanlage eingestiegen. Doch die iShares katapultierten die New Yorker auf einen Schlag in die erste Reihe. iShares waren nach den ersten ETFs der frühen 1990er mit dem klaren Ziel gestartet, eine breite Schicht von Kleinanlegern für das Produkt zu gewinnen. 2006 hatte Barclays die ETFSparte der Hypovereinsbank übernommen und damit gleichzeitig die Marktführung in Europa. Trotz des zunehmenden Wettbewerbs hält BlackRock mit den iShares einen Marktanteil von um die 40 Prozent in den USA und sogar 45 Prozent in Europa. Allein 2014 sammelte BlackRock knapp 103 Milliarden Dollar ein, mehr als ein Drittel des gesamten ETF-Zuflusses. »Die erdrückend physische Marktherrschaft von iShares«, betitelte Morningstar 2013 seinen Jahresabschlussbericht für Europa. In dem Jahr hatte BlackRock sich auch noch das ETF-Geschäft der Schweizer Credit Suisse einverleibt. BlackRocks ETFs notieren in London, New York, Hongkong, Toronto, Sydney, Frankfurt und Zürich. In Deutschland bietet BlackRock laut der hauseigenen Werbung 240 ETFProdukte und verwaltet 136 Milliarden Euro. (700 iShare ETFs umfasst das globale Angebot.) Inzwischen dürfte das Engagement in Deutschland noch gewachsen sein, die Broschüre ist auf Anfang 2014 datiert. ETFs bieten Anlegern die Möglichkeit »komplexere Anlagestrategien zu verfolgen und mehrere Märkte und Anlageklassen abzudecken«, so preist die iShares-Webseite deren Vorteile an. Und sicher haben die neuen Produkte auch Kleinanlegern Zugang zu Wertpapieren und anderen Vermögenswerten verschafft, die bis dahin nur Großinvestoren oder Multimillionären zugänglich waren. Vor der ETF-Epoche war zum Beispiel ein Investment in Rohstoffe oder Öl oder alternative Energiequellen weitgehend reserviert für die VIPs unter den Anlegern. »Ein börsengehandelter Indexfonds (Exchange Traded Fund, ETF) vereint die besten Eigenschaften eines
herkömmlichen Investmentfonds und einzelner Aktientitel«, wirbt BlackRock für die iShares. ETFs seien »einfach, flexibel, kostengünstig«, heißt es in einer Broschüre zu den iShares. Das mag aus Sicht eines einzelnen Anteilseigners so sein. Doch die börsennotierten Fonds sind keineswegs simpel. Es handelt sich letztlich um Derivate, deren Wert sich aus den jeweils zugrundeliegenden Aktien ableitet – so wie der Wert, der seit der Finanzkrise berüchtigten Hypothekenpapiere auf den unterliegenden Darlehen basiert. Mindestens ein Viertel des täglichen USAktienmarkts wird bereits über ETFs gehandelt, manche Beobachter schätzen sogar, dass mehr als die Hälfte aller Transaktionen von den ETFs beeinflusst sei. Dazu kommt: Die Aktienkörbe werden gerne von Hedgefonds und HighFrequency-Tradern, jenen ultraschnellen Zockern, eingesetzt. In einem Beitrag 2012 für das Financial Analyst Journal, einem Fachblatt für Finanzanalysten, warnen die Autoren (Rodney Sullivan und James Xiong) vor einem »systematischen Risiko am Aktienmarkt«. Beim Studium von Kursverläufen war ihnen aufgefallen, dass Aktien sich zunehmend in die gleiche Richtung bewegten. Das kann bei Einbrüchen einiger Aktien zu einer breiten »Ansteckung« führen und einen Crash auslösen. Potenzielle Probleme sehen Kritiker bei der Konstruktion der ETFs. Die Idee klingt verführerisch simpel: ein Wertpapierkorb, an dem sich verschiedene Investoren beteiligen können. Doch um dieses einfache Prinzip in ein konkretes Anlageprodukt zu verwandeln, braucht es komplexe Transaktionen und Mechanismen im Hintergrund. Ohne die aktive Beteiligung von Marktteilnehmern – Banken und Brokerhäusern –, die die Verbindung zwischen dem ETF und den ihm zugrundeliegenden Werten stetig aufrechterhalten, funktionieren die ETFs nicht. Nehmen wir einen ETF, der einen Index wie den Dax nachbildet. Anleger kaufen die
ETF-Anteile und dank der Nachfrage steigt der Kurs des ETF stärker als der Marktwert der 30 Dax-Werte, auf denen er basiert. Die vom ETF-Herausgeber speziell mit der Kurspflege beauftragten Marktteilnehmer, nennen wir sie Kurspfleger, bemerken das Ungleichgewicht und kaufen Dax-Werte, die sie dem Sponsor geben. Der bildet daraus neue ETF-Anteile, die die Nachfrage befriedigen, und der ETF-Kurs gibt nach. Weil die Kurspfleger die unterliegenden Aktien kaufen, ziehen deren Kurse an. So nähert sich der Kurs des ETF wieder der Entwicklung der unterliegenden Aktien an. Spiegelbildlich verhalten sich die vom Sponsor beauftragten Kurspfleger, wenn der Kurs des ETF unter den Marktwert der Aktien fällt, die ihm zugrunde liegen. Dann kaufen die Kurspfleger die ETFs und tauschen sie beim Sponsor gegen den Korb an unterliegenden Aktien ein. Die Aktien verkaufen sie wiederum am Markt. Weil die ETFs zurückgekauft werden, zieht deren Kurs an, während der Verkauf der eingetauschten Aktien Druck auf deren Kurs nach unten ausübt. So pendeln sich der Kurs des ETF und die unterliegenden Aktien wieder auf eine Linie ein. Der »Lohn« der Kurspfleger? In einem Wort: Arbitrage. Sie profitieren von den kurzfristigen Differenzen zwischen ETF und Aktien. Kritiker sehen die Gefahr, dass die Kurspfleger in einer Paniksituation an den Märkten ihre Aufgabe nicht wahrnehmen würden, um nicht auf ETFs oder Aktien sitzen zu bleiben, während deren Kurs wegbricht. In einem Bericht 2013 für den Financial Stability Oversight Council, ein Aufsichtsgremium im US-Finanzministerium, das wie das FSB nach der Finanzkrise eingerichtet wurde, heißt es, ETFs könnten bei Marktturbulenzen »potenziell Kursausschläge beschleunigen oder verbreitern und damit Liquidität im Markt reduzieren«. Unter diesen Umständen könnten die Kurspfleger ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen, weil sie keine zuverlässigen Kursangaben
mehr erhalten. Die Rechercheure für das Gremium fanden Beispiele dafür. Am 20. Juni 2013 etwa, als es an den Kapitalmärkten heftig gewitterte, hätten Kurspfleger Orders zur Auflösung von ETFs nicht mehr erfüllt, weil sie das Kapitallimit erreicht hatten, das ihr Arbeitgeber, eine Bank, ihnen gesetzt hatte. Am gleichen Tag weigerte sich ein anderer Kurspfleger, die Auflösungsorder in Cash zurückzuzahlen und bot stattdessen Aktien an. Es werde »von größter Wichtigkeit sein zu untersuchen, wie ETFHerausgeber und ihre Partner Stress und Volatilität verkraften«, heißt es in dem Bericht des Financial Stability Oversight Council. Dann war da der »Flash Crash« am 6. Mai 2010, der bei Skeptikern bis heute als Alarmsignal gilt. An jenem Donnerstag sorgten sich die Marktteilnehmer um die Situation in Griechenland, die Stimmung war nervös. Doch nichts erklärte, was um 14:32 Uhr New Yorker Zeit passierte: Die Kurse an der Börse begannen plötzlich rapide zu fallen. Die Aktie von Accenture, eine Unternehmensberatung mit 30 Milliarden Dollar Umsatz und über 300 000 Mitarbeitern, ist ein Beispiel für das, was geschah: Bevor der Spuk beginnt, um 14:20 Uhr, notieren die Accenture-Aktien bei 40 Dollar, bevor sie ohne erkennbaren Grund verlieren. Um 14:47 und 47 Sekunden steht der Kurs bei 30 Dollar – nur 7 Sekunden später ist sie auf 1 Cent gefallen. 1 Cent! Der Dow Jones Index, zu dem die großen US-Konzerne wie IBM, Disney, Boeing und Coca Cola zählen, stürzt innerhalb von Minuten fast 1 000 Punkte ab, eine Billion Dollar wird vernichtet. Es gibt aber auch unerklärliche Bewegungen in die andere Richtung: Der Kurs des Auktionshauses Sotheby’s, der von 30 Dollar auf 99 999,99 Dollar schießt und damit schlagartig eine Börsenbewertung von 6,8 Billionen Dollar erreicht – mehr als das deutsche und das französische Bruttoinlandsprodukt zusammen. Dann, genauso
unerklärlich, beginnen sich die Kurse wieder zu normalisieren. In der Öffentlichkeit geriet der Flash Crash bald in Vergessenheit, denn schließlich hatten sich die Kurse gleich wieder erholt. Doch Insider schreckt die Erinnerung bis heute. Denn: Die Ursache wurde nie eindeutig geklärt. Jahrelang erklärten die Aufseher, hauptverantwortlich für den Crash sei Waddell & Reed’s, eine Investmentfirma in Kansas. Dort habe ein Fondsmanager versehentlich eine 4Milliarden-Dollar- Order am Terminmarkt ausgegeben. Dann wurde im April 2015 – fünf Jahre nach dem Flash Crash – ein Daytrader namens Navinder Singh Sarao verhaftet, weil er angeblich durch illegale Manipulationen den Flash Crash ausgelöst habe. Sarao lebte bei seinen Eltern in einem bescheidenen Reihenhaus in Hounslow, einem Londoner Vorort nicht weit vom Flughafen Heathrow. Dort hatte er einen Computer, den er für den Handel mit Terminkontrakten auf Aktien nutzte. Als er dem Haftrichter vorgeführt wurde, trug er ein kanariengelbes Sweatshirt und eine Jogginghose. Weder in der Londoner City noch an der Wall Street war sein Name vor seiner Verhaftung bekannt. Saraos angeblicher Trick: Er gab massive Orders am Terminmarkt aus, annullierte aber den allergrößten Teil, bevor sie tatsächlich erfüllt wurden. Laut den Strafverfolgern dienten die Phantomaufträge nur dem Zweck, bei anderen Marktteilnehmern den Eindruck zu erwecken, eine Verkaufswelle am Aktienmarkt stehe bevor. Diese verkauften dann tatsächlich, worauf die Kurse einknickten, sodass Sarao zu einem niedrigeren Preis kaufen konnte. Wenn sich der Kurs von dem von ihm künstlich herbeigeführten Preisverfall erholt hatte, verkaufte Sarao zu dem höheren Kurs wieder. Die Differenz war sein Gewinn. Das nennt man »Spoofing« und es ist verboten. Seltsam daran ist allerdings, dass Sarao diesen Trick mit den massiven »Spoofing«-Orders nicht nur am 6.
Mai 2010 anwandte, sondern an 250 weiteren Tagen – vor und auch nach dem Flash Crash. Ohne dass es zu einem Einbruch kam. Seltsam auch, dass die Chicagoer Terminbörse CME offenbar von Saraos Aktivitäten wusste. In einer Mitteilung, die ausgerechnet am Tag des Flash Crash an ihn abgeschickt wurde, mahnte die Börse ihn, Orders müssten »in gutem Glauben« abgegeben werden. Sarao meldete sich ein paar Wochen später bei den Börsenoffiziellen und erklärte ihnen laut seiner eigenen Aussage, sie sollten ihn am A… lecken. Die CME unternahm nichts weiter. »Eine Schlussfolgerung kann man ziehen: Unhöflichkeit gegenüber Aufsehern wirkt«, lästerte Matt Levine, ein ehemaliger Investmentbanker und Bloomberg-Kommentator. (Allerdings muss man an der Stelle auf einen Interessenkonflikt hinweisen: Die Börse reguliert sich selbst, verdient allerdings auch an Gebühren, die Händler für Transaktionen zahlen.) Der Flash Crash beunruhigt Marktteilnehmer wie Aufseher nach wie vor. Sie fürchten, dass es eine Wiederholung geben könnte, die womöglich noch schlimmere Folgen hat. Zwar hat die US-Börsenaufsicht Sicherheitsvorkehrungen eingeführt, wie etwa einen automatischen Handelsstopp, wenn Kurse zu schnell fallen. Doch weil niemand weiß, warum die Kurse damals kippten, weiß auch niemand, ob diese Maßnahmen ausreichen. Warum ist der Flash Crash von besonderer Bedeutung für ETFs? Von den Transaktionen, die bei den Aufräumarbeiten danach von den Börsen annulliert wurden, betrafen über zwei Drittel den Handel mit ETFs. In einem Briefing zum Flash Crash räumt BlackRock zwar ein, dass die ETFs bei dem Einbruch durch den »instabilen Markt« in Mitleidenschaft gezogen wurden. Doch die ETFs waren aus der Sicht von BlackRock nicht Mit-Verursacher, sondern Opfer der Turbulenzen. Eine Umfrage unter ETFAnlegern belege, dass die Mehrheit nur minimal von dem Crash berührt worden sei und fortgesetztes Vertrauen in
das Instrument habe, hieß es in der BlackRock-Studie. Die Nachfrage, ob BlackRock ETF-Investoren für Folgen des Flash Crash entschädigt hat, ließ das Unternehmen unbeantwortet. Eine potenzielle Bedrohung durch ETFs erwächst schlicht durch ihre Popularität. Die großen Standardindizes sind – wie im Fall des S&P 500 beschrieben – gewichtet. Das heißt, das Unternehmen mit dem größten Börsenwert hat auch das größte Gewicht im Index. Bei den TechAktienindizes sind das zum Beispiel Apple und Google. Wenn ETFs den Index nachbilden, fließen zwangsläufig die meisten Mittel in die Indexschwergewichte. Dadurch wächst deren Börsenwert und ihr Gewicht im Index noch weiter. Statt dass die Anleger ihr Risiko durch Indexinvestment breit streuen, reitet immer mehr Kapital auf nur wenigen Aktien. (Bei Anleihe-Indizes hat die Gewichtung den perversen Effekt, dass das Unternehmen, das die meisten Anleihen ausgegeben hat, also die meisten Schulden gemacht hat, das höchste Gewicht im Index erhält.) Ein Rezept für heftige Kursausschläge und der Horror für Kleinanleger. Der Aufstieg der ETFs fand während einer langen Periode stetigen Aufstiegs an den Aktienmärkten und Ruhe an den Anleihemärkten statt. Die wird unweigerlich zu Ende gehen. Dann müssen die ETFs sich unter Stressbedingungen bewähren. »Es geht nicht nur darum, sich während einer Hausse erfolgreich zu schlagen, sondern wie viel man in einer Baisse verliert«, warnt James Stack, ein Investmentberater, der seit 20 Jahren einen anerkannten Newsletter veröffentlicht. Gerade für Kleinanleger sei das ein wesentlicher Punkt. Besonders clevere Finanztüftler kreieren ETFs nicht mit den Aktien oder Werten, auf denen der nachgebildete Index eigentlich basiert. Stattdessen bauen sie die Kursentwicklung und Rendite mittels anderer Wertpapiere und einer komplexen Tauschaktion mit einem
Handelspartner – einem Swap – nach. Die Performance eines ETF, der eigentlich auf Biotech-Aktien basiert, kann dann zum Beispiel mit einer Kombination aus griechischen Bonds und japanischen Small-Caps-Aktien »synthetisch« nachgeahmt werden. Sinn der Übung: Der ETFHerausgeber kann mit der Finanzakrobatik die Performance des Index einfacher und akkurater abbilden, ohne Arbitrageure einzusetzen. Manche Märkte sind für Investoren nur schwer zugänglich – Russland etwa oder Indien und bei den meisten Rohstoffen geht nichts ohne die Swap-Derivate. Doch es gibt die Gefahr, dass der Partner bei dem Tauschgeschäft – Großbanken und Brokerhäuser – ausfällt und den ETF mitreißt. Eine Art Lehman im ETF-Format. Aufseher warnen deshalb seit einiger Zeit vor synthetischen ETFs, die vorwiegend in Europa zur Anwendung kamen. (Die US-Aufsicht ist strikter.) BlackRock hat diese Exoten in seiner Produktpalette weitgehend vermieden. Bei einer weiteren Sorte von ETFs, bei denen die Herausgeber zusätzlich Derivatewetten einsetzen, um die Rendite des unterliegenden Index hochzujazzen, gehört Larry Fink sogar zu den lautstärksten Gegnern. Diese ETF-Wetten drohten »eines Tages die ganze Branche implodieren zu lassen« warnte er auf einer Investorenkonferenz 2014. BlackRock hat allen Grund, Probleme mit ETFs zu fürchten. Selbst eine größere Diskussion über die Risiken von ETFs könnte sich schon schädlich für den Marktführer erweisen, etwa indem sie Zweifel bei Kunden weckt oder die Aufsicht auf den Plan ruft. Denn der Gigant hat große Pläne mit den neuen Instrumenten. Der Prinz der iShares
Anders als seinen Boss Larry Fink, der allein mit seiner Körpergröße seine Umgebung überragt, könnte man Mark Wiedman auf den ersten Blick übersehen. Selbst an der Wall Street heißt es (noch): »Wiedman – wer?« Doch das dürfte sich ändern. Der Chef der iShares-Sparte gilt als aufsteigender Star bei BlackRock. Er wird sogar als potenzieller Nachfolger von Fink gehandelt. Der Mittvierziger ist ein aufmerksamer Zuhörer und ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Unter den Kollegen erntet er Spott dafür, dass er zwar den englischen Romantiker Shelley zitieren, aber nur mit Mühe zwei Teams der National Football League benennen kann. Um seine Herkunft macht Wiedman nicht viel Wind. Er wuchs in Long Island auf, in einem jener Vororte in die die weiße Mittelschicht in den 1970ern und 1980ern zog, um der von Kriminalität und Graffiti gezeichneten New York City zu entfliehen. »Ausfahrt 39, in einem unscheinbaren Vorort in einem unscheinbaren Haus«, wie er es selbst einmal dem Finanznachrichtendienst Bloomberg beschrieb. Wiedman stammt aus einem Medizinerhaushalt. Sein Vater, ein Arzt, praktizierte noch in seinen 80ern. Seine Mutter unterrichtete Krankenpflege am örtlichen College. Doch Wiedman schaffte es nicht nur, einen Studienplatz am Harvard College zu ergattern, er schloss sein Studium dort auch mit einem »magna cum laude« ab. Dann wechselte er an die rivalisierende Yale University und studierte Jura. Für seinen ursprünglichen Plan, Richter zu werden, zeigte er sich allerdings zu ungeduldig – und vielleicht auch zu wenig bescheiden. Nach einem kurzen Abstecher beim Beraterkonzern McKinsey & Co. ging er nach Washington zum Finanzministerium. Sein früherer Chef dort, Unterstaatssekretär Peter Fisher, ging zu BlackRock und holte Wiedman nach. Zunächst gehörte er nach der Finanzkrise zum ursprünglichen Team, das Zentralbanken und Regierungen mit ihren toxischen Altlasten beriet. Dann bekam er seine Chance – Fink machte ihn zum Chef der
zugekauften iShares-Sparte. Wiedman sollte das ETFGeschäft zu einem Teil von BlackRock machen, den Neuzugang auf die New Yorker Linie trimmen. Und er sollte die Konkurrenz von Vanguard auf Abstand halten. Vanguard war zwar dank Bogles Widerstand spät in das Rennen eingestiegen. Aber durch die eigentümliche Eigentümerstruktur – es gibt keinen Eigner, der Gewinne abschöpft – konnte die Investmentgesellschaft aggressiv günstige Konditionen bieten, was sie vor allem bei Kleinanlegern beliebt macht. Das alles spornt Wiedman offenbar nur an. In der eher gesetzten, wenn nicht gar langweiligen Branche der Fondsanbieter machte er bald Schlagzeilen. Zu seinen ersten Schachzügen gehörte, sich mit Vanguards altem Bostoner Konkurrenten Fidelity zu verbünden und eine Vertriebspartnerschaft einzugehen. Aber das war nur der Beginn. »Ehrgeizig«, nannte ihn die Financial Times, die ihm 2012 ein Porträt widmete. Diese Beschreibung des iShare-Bosses dürfte als britisches Understatement gelten. Wiedman will die Finanzmärkte fundamental verändern. Es sei der Bereich mit den »am intellektuell interessantesten und bahnbrechendsten Entwicklungen«, verkündete er den FT-Reportern. Er vergleicht ETFs mit der Einführung von Containern in der Schifffahrt in den 1950er Jahren, die das globale Transportsystem komplett veränderten. Was Wiedman vorhat, könnte den Finanzmarkt komplett und nachhaltig verändern – nicht nur für Kleinanleger, sondern für Großinvestoren, für Hedgefonds und selbst für die Börsen. Wiedman sieht nämlich in den ETFs viel mehr als bloß eine Spielart der Indexfonds, weit mehr als eine peppigere Alternative zum Sparbuch. Er glaubt, dass ETFs über kurz oder lang die eigentlichen Werte, auf denen sie basieren, ersetzen werden – zumindest, was die Anleger angeht. »Die Idee, dass Versicherungen, die bisher einzelne Anleihen oder Derivate gekauft haben, jetzt stattdessen ETFs als Kernbestandteil für ihre Portfolios benutzen, ist
vollkommen neu«, sagte er der Financial Times. Als Beispiel nennt er einen amerikanischen Pensionsfonds, dem BlackRock geholfen habe, Positionen in 2 000 verschiedenen Wertpapieren aufzulösen und das Kapital stattdessen in nur vier ETFs zu investieren. In einem späteren Interview mit Bloomberg erzählt Wiedman von einem Großinvestor, der statt 2 200 verschiedene Anleihen zu halten, sein Kapital in lediglich zwei ETFs zusammenführte. Und den Anleihemanager, der diese Positionen bis dahin betreut hatte, habe sich der iSharesKunde auch gleich gespart, freute sich Wiedman. Das Ziel ist klar: Statt wie bisher in Aktien, Anleihen oder Rohstoffe direkt zu investieren, sollen auch Großinvestoren künftig über ETFs anlegen. Eine Entwicklung, von der ETFAnbieter wie Wiedmans iShares enorm profitieren dürften. Aber Wiedman geht noch weiter. Im Sommer 2013 kam es wieder zu einer Bewährungsprobe für die ETFs. Der damalige Fed-Chef Ben Bernanke deutete damals an, dass die Zeit des billigen Notenbankgeldes zu Ende gehen würde. Das Auslaufen des Fed-Programms war im WallStreet-Jargon besser als der »Taper« bekannt. Die Marktteilnehmer reagierten wie Zweijährige, denen Papa den Lutscher wegnehmen will, und so gingen die Kurseinbrüche, die Bernankes Ankündigung folgten, als das »Taper Tantrum«, der »Wutanfall über den Taper«, in die Wall-Street-Annalen ein. Nervös kauften und verkauften Anleger vor allem eines: ETF-Anteile. Nach iShares eigenen Angaben überstieg das Handelsvolumen beim High Yield US Bond, einem ETF von US-Schrottanleihen, in jenen Tagen zum ersten Mal mehr als 1 Milliarde Dollar – täglich. Der größte der iShare-Schwellenländerfonds sah an einem Tag während des »Wutanfalls« sogar ein Handelsvolumen von 5,6 Milliarden Dollar. Problemlos sei der Handel trotz der hohen Wellen in den ETFs seines Hauses gelaufen, wie Wiedman später resümierte.
Nicht bei allen Anbietern lief es allerdings so reibungslos: Bei einigen ETFs, die auf Wertpapieren aus Schwellenländern und auf seltener gehandelten Anleihen basierten, hatten die Kurspfleger ihre Not, die notwendigen Papiere heranzuschaffen. Es kam zu Ausfällen. »Turbulenzen wecken erneut Sorge über strukturelle Probleme bei ETFs«, konstatierte die Financial Times. Allein am 26. Juni seien ETF-Transaktionen in Höhe von knapp 4 Milliarden Dollar nicht zum vereinbarten Zeitpunkt abgeschlossen gewesen. Das heißt, der Transaktionspartner konnte die vereinbarten Wertpapiere nicht in der vorgesehenen Zeitspanne besorgen. Nur am 15. August 2011 waren die Ausfälle noch höher gewesen: 6,6 Milliarden Dollar. Damals erschütterte die Eurokrise die Märkte. Marktteilnehmer wiegeln jedoch ab – die Ausfälle stellten lediglich einen operativen Schluckauf, aber kein systemisches Risiko für den Markt dar. Die meisten Transaktionen würden letztlich in einer Nachfrist problemlos erfüllt. Wetten auf ETFs – Das »Ein-Pferd-Rennen« Anders als die Skeptiker reagierte Wiedman. Er sah in dem »Taper- Wutanfall« keinesfalls eine Warnung, sondern nahm die Episode zum Anlass, Ende Juni einen offenen Brief an die iShares-Investoren zu schreiben. Darin erklärte er, die ETFs hätten dem Marktdruck gut standgehalten. Er verwies darauf, dass BlackRock in den USA mit 45 Kurspflegern zusammenarbeite – alles »weltweit führende Finanzinstitute«, die sicherstellten, dass auch große Orders problemlos abgewickelt würden. Und dann kommt er zu seinem eigentlichen Punkt: Die Turbulenzen zeigten keineswegs mögliche Probleme oder gar systemische Risiken von Wall Streets neuester Lieblingsinnovation. Nein, für Wiedman war es der Beweis, dass ETFs den
Markt stattdessen besser machten. Ja, ETFs seien eigentlich der Markt. Die Preise des ETF und nicht länger die der unterliegenden Papiere oder Werte seien ausschlaggebend für die Anleger. Statt dass die ETFs den Kursen der Wertpapiere passiv folgten, sei es gerade anders herum. Salopp gesagt: Der Schwanz wackelt künftig mit dem Hund. Was Wiedmann nonchalant in seinem Schreiben anmerkte, ließ selbst die Augenbrauen der abgebrühten Wall-Streeter hochschnellen. »iShares Behauptungen machen mich nervös«, lautete die Schlagzeile der Branchen-Webseite ETF.com, die sich an Profis richtet. »Das Unternehmen will mit seinen ETFs in Konkurrenz zu Terminkontrakten und anderen Derivaten treten und, bis zu einem gewissen Grad, die Rolle von einzelnen Aktien übernehmen«, heißt es da fast schon ungläubig. Und nicht nur bei den Autoren des Branchenorgans lässt Wiedmans Enthusiasmus für die Wertpapier-Waschkörbe böse Erinnerungen wach werden. An die Hypothekenpapiere. Auch diese Finanzinnovation – an der Wiedmans Boss Larry Fink federführend beteiligt war – wurde zunächst gepriesen, weil sie zuvor nur schwer zugängliche Anlageformen, in dem Fall Hypotheken auf USImmobilien, einem breiten Anlegerkreis erschlossen. In der Aufbruchsstimmung glaubten diese Anleger tatsächlich, dass allein durch die geschickte Verbriefung und FinanzAlchimie sich die Kreditqualität der unterliegenden Kredite verbessern ließe. Dann kam die Krise 2007 bis 2008 und selbst angeblich sichere Kredite platzten. Die Alchimie enttarnte sich als ein Rezept für Desaster. Die Kritik führte dazu, dass andere iShares-Vertreter schleunigst öffentlich zurückruderten und Wiedmans Behauptung deutlich relativierten. Doch Wiedman legte nach. Rund ein Jahr nach dem PR-Desaster erklärte er in einem Interview mit einem Vertreter des Fondsbewerters Morningstar herablassend, Unwissenheit sei eines der
größten Hindernisse der Branche. Dass Abweichungen zwischen dem ETF-Kurs und den unterliegenden Werten ein Problem darstellten, sei ein »großer Mythos«, der vor allem von der Presse verbreitet würde, behauptete er in dem Gespräch. Es sei falsch, bei ETF die überkommenen Maßstäbe anzulegen, mit der der Wert von klassischen Fonds bestimmt werde. Besonders unter Stress sei der Kurs des ETFs »der wahre Markt« und die Bewertung der unterliegenden Werte tatsächlich die Preise »von gestern«. Folgt man Wiedmans Argumenten, ersetzen ETFs über kurz oder lang für das Gros der Anleger das Engagement in einzelnen Aktien und Anleihen. Damit nicht genug: Ein BlackRock-Mitarbeiter erzählte bei einer anderen Gelegenheit stolz, man sei dabei, den Terminbörsen in Chicago Konkurrenz zu machen. Statt Futures und Optionen würden Großinvestoren künftig zunehmend entsprechende ETF-Instrumente einsetzen. »Das ist billiger als die Terminkontrakte der Börse zu nutzen.« Erfüllt sich die Vision der New Yorker, würden iSharesFinanzingenieure, die die ETFs zusammenbasteln, bestimmen, was an den Finanzmärkten gehandelt wird – und vor allem wie es gehandelt wird. Und wenn ETFs das »Ein-Pferd-Rennen« sind? Wie die ETF-Struktur unter Panik am Markt funktioniert, weiß niemand genau. Regulierer sind beunruhigt über die explosionsartige Vermehrung der neuen Derivate. »ETFs haben sich in neue Anlageformen ausgebreitet (Anleihen, Kredite, Schwellenländer, Rohstoffe), Bereiche, in denen die Transparenz und Liquidität typischerweise geringer sind«, heißt es in einer Studie des Financial Stability Board, jenem Gremium, das die G20 nach der Finanzkrise eingerichtet haben und das helfen soll, neue heraufziehende Gefahren für das Finanzsystem frühzeitig zu erkennen.
Außerdem sorgen sich die FSB-Beobachter, dass das, was Anleger schätzen, nämlich, dass sie ihr Geld auf Wunsch jederzeit abziehen können, sich als Risiko nicht nur für die ETFs, sondern für das gesamte System erweisen könnte. Turbulenzen an den Märkten sind immer dann gefährlich, wenn die Marktteilnehmer keine Zeit zum Reagieren haben. Dann kommt es zu den gefürchteten DominoEffekten. Klassische Investmentfonds halten in der Regel Cash vor, um gegebenenfalls Investoren zufriedenstellen zu können, die ihre Einlagen zurückfordern. Das Bargeldpolster sorgt dafür, dass der Fondsmanager nicht sofort Vermögenswerte losschlagen muss, um die nervösen Investoren auszuzahlen. Hedgefonds haben in ihrem Kleingedruckten meist eine Frist festgeschrieben, die der Investor abwarten muss, bevor er sein Geld abziehen darf. Beide Strategien verhindern, dass Fonds durch Investorendruck zu Schnellfeuer-Verkäufen gezwungen werden, die das Potenzial haben, die Panik am Markt noch zu verstärken. ETFs haben dagegen kein Sicherheitspolster und auch keine Schonfrist – das Interessante an ihnen ist ja gerade das Versprechen an die Inhaber, die Anteile jederzeit losschlagen zu können. Das funktioniert so lange reibungslos, wie sich am Markt immer jemand findet, der die Gegenposition einnimmt. Grob gesagt, ist ein Vermögenswert – etwa Aktien, Anleihen, Fondsanteile – dann liquide, wenn ich ihn verkaufen kann, wann ich will, ohne deswegen einen deutlichen Preisabschlag in Kauf nehmen zu müssen. Sichergestellt wird das, indem genügend Käufer am Markt sind, die den fraglichen Vermögenswert erwerben wollen. Liquiditätsengpässe bei ETFs könnten böse Folgen haben, fürchten Insider. Im März 2015 löste Howard Marks, Mitgründer von Oaktree, einem Fonds, der sich auf angeschlagene Kreditpapiere spezialisiert hat, mit einem Schreiben an seine Anleger heftige Diskussionen aus. ETFs, schreibt der Wall-Street-
Veteran, seien ein Paradebeispiel für Finanzinnovationen, die Anleger dazu verführten zu denken, ein »Allheilmittel« sei gefunden, ein Produkt, das den traditionellen Anlageformen überlegen sei. Solche Finanzinnovationen erinnerten ihn, so Marks, immer an die Geschichte von dem Spieler, der stets auf der Suche nach der absolut sicheren Wette war. »Ein Rennen mit nur einem Pferd schien eine solche zu sein. Der Spieler setzte sein ganzes Geld, doch mitten in dem Rennen brach der Gaul aus, sprang über den Zaun und galoppierte davon.« Die große Bond-Blase Das Gefährliche an Schattenbanken ist, dass eine bisher unverdächtige, ja geradezu langweilige Ecke des Kapitalmarkts plötzlich zu wuchern beginnt. Ein wenig wie im Krieg der Sterne, wenn die dunkle Seite der Macht zu stark wird. Regulierer sehen die unheimliche Veränderung – siehe Geldmarktfonds – oft erst, wenn es zu spät ist. »Hindsight 20/20«, sagen achselzuckend die Wall-StreetJungs. Gemeint ist: Im Rückblick hat man immer die perfekte Sehschärfe – nämlich 20/20 (Wenn man beim Optiker aus einer Entfernung von 20 Fuß alle Buchstaben des Sehtests lesen kann.) Wann übernimmt ein Anlageprodukt, eine Praxis der Marktteilnehmer die Funktion einer Schattenbank? Wann wandeln sich Geldmarktfonds von modernen Sparschweinen für Großanleger zum Finanz-Schmiermittel der Wirtschaft? Wann sind die unregulierten Finanzierer ein Risiko? Mit dieser Frage plagen sich Regulierer zunehmend herum. Beim Repo-Markt und den Geldmarktfonds kam ihre Erkenntnis zu spät. Jetzt sorgen sie sich um einen anderen Bereich, der bisher in den Augen der Allgemeinheit zumindest eher an Eigenschaften wie mündelsicher und konservativ denken ließ: Corporate Bonds –
Unternehmensanleihen. Bei Unternehmensanleihen denkt zunächst niemand an die dunkle Seite des Finanzmarkts. Ein einfaches und bewährtes Kreditinstrument: Ein Unternehmen nimmt Geld auf und vergibt dafür festverzinsliche Wertpapiere an die Gläubiger. Doch der Markt für diese Routinewertpapiere hat in den letzten Jahren eine Mutation durchgemacht. Das billige Geld der Notenbanken hat für Verwerfungen gesorgt. Ausgerechnet die niedrigen Zinsen, mit denen sie die Wirtschaft nach der Kreditkrise 2008 retteten, haben nun womöglich eine neue Kreditblase aufgepumpt. Dieses Mal sind es nicht Hausbesitzer, die sich überschulden, sondern Unternehmen. Industrieanleihen erleben einen historischen Boom. Allein 2014 gaben US-Unternehmen Anleihen in Höhe von 1,4 Billionen Dollar aus. Davon waren 312 Milliarden so genannte Junk Bonds, also Anleihen herausgegeben von Unternehmen mit schlechterer Bonität – die Entsprechung der einstigen Wackelhypotheken. Damit kamen letztes Jahr mehr Junk Bonds auf den Markt als in den Vorkrisenjahren 2006 und 2007 zusammen. Der Anleihemarkt in Deutschland ist im Vergleich zu den USA verschwindend klein – deutsche Unternehmen finanzieren sich nach wie vor maßgeblich über Banken. Doch seit die Banken schrumpfen, suchen auch europäische Unternehmen nach Alternativen. 2009 gab es laut Creditreform lediglich 50 Anleiheemissionen in Deutschland mit einem Volumen von 36 Milliarden Dollar. 2013 waren es bereits 130 Anleiheausgaben – allerdings stieg das Volumen nur mäßig auf knapp über 40 Milliarden. Und die Geldverwalter haben diese Anleihen gekauft und in ihre Fonds gelegt. In den USA sind Fonds, die in Anleihen investieren, auf 3 Billionen Dollar angeschwollen. Das ist sechs Mal so viel wie noch 1994. In dem Jahr war Pulp Fiction der Hit in den Kinos. Veteranen am Finanzmarkt erinnern sich allerdings eher an das »BondMassaker« von 1994, als die Fed mit einer überraschenden
Zinserhöhung einen drastischen Einbruch an den Anleihemärkten auslöste. Für die Finanzmärkte ist es immer ein heikler Moment, der Wechsel aus einem jahrzehntelangen Niedrigzinsumfeld in ein Umfeld steigender Zinsen. Damals erwies sich das System als robust genug, den Schock abzufedern. Doch ob das auch bei der kommenden Zinswende gelingt, ist alles andere als ausgemacht. Zum einen wegen der historisch hohen Bestände in den Fonds der Geldverwalter, zum anderen, weil die Banken ihre Rolle als Stoßdämpfer und Puffer an den Anleihemärkten nicht mehr so spielen können wie damals. Und das beunruhigt die Regulierer. Denn wenn die Fondsanleger ihre Anteile verkaufen und ihr Geld abziehen, dann müssen die Fondsverwalter die Anleihen zu Cash machen, um den Anlegern ihr Geld auszahlen zu können. Unter normalen Umständen ist das kein Problem. Doch wenn es Turbulenzen gibt am Markt, wenn Anleger in Scharen ihre Anteile abstoßen, dann könnte der Ansturm eine der gefürchteten Domino-Situationen auslösen: Verkäufe, die Preise abstürzen lassen und dadurch weitere Verkaufswellen auslösen. Verkaufswellen bei Anleihen sind an der Wall Street besonders gefürchtet. Denn anders als Aktien werden die Kreditpapiere bis heute nicht im großen Stil an Börsen gehandelt. Das liegt an der Art, wie Anleihen ausgegeben werden. Während Aktien weitestgehend standardisierte Unternehmensanteile sind, die ihren Inhabern mehr oder weniger dieselben Rechte einräumen und deswegen an öffentlichen Börsen, Handelsplattformen und elektronisch gehandelt werden können, sind Anleihen maßgeschneidert nach den Bedürfnissen des herausgebenden Unternehmens, mit jeweils individuell unterschiedlichen Rechten und Konditionen. Grob gesagt: Aktien sind von der Stange, Anleihen gibt’s nur als Maßanzug. Deshalb werden
Anleihen nach wie vor mehrheitlich von Händlern bei den Banken telefonisch gehandelt. Die Händler holen Angebote von Investoren ein und machen selbst welche, sie vermitteln zwischen Investoren. (Und kassieren kräftig Marge für sich selbst!) Doch seit die neuen Kapitalregeln gelten, mussten die Banken auch ihre Aktivitäten in diesen Handelsräumen herunterfahren. Nach Schätzungen des Finanznachrichtendienstes Bloomberg sogar um 76 Prozent. Und noch etwas ist passiert: Gleichzeitig mit dem Volumen der ausgegeben Unternehmensanleihen ist in den vergangenen Jahren das Bond-Universum geradezu explodiert. Investoren können jetzt zwischen 46 000 verschiedenen Unternehmensanleihen wählen. Zum Vergleich: An den amerikanischen Aktienmärkten sind gerade mal 5 000 verschiedene Aktien notiert. Das macht den Handel mit den Kreditpapieren noch komplexer. Bei einzelnen Anleihen hält ein Fonds die Hälfte der ausgegebenen Papiere. Wenn so viele Schulden eines Unternehmens in einer Hand konzentriert sind, dann liegt der Unterschied zur Hausbank nur noch im Auge des Betrachters oder besser gesagt, in der unterschiedlichen Regulierung. Jetzt befürchten Marktteilnehmer, dass etwa in Stresszeiten, wenn größere Blöcke von Anleihen schnell die Hände wechseln müssen, nicht genug Angebot und Nachfrage vorhanden ist. Dann kann es zu gefährlichen Preisausschlägen an dem wichtigsten Markt für Unternehmensfinanzierungen kommen. Oder eben einem »Schnellfeuerverkauf« und letztlich zu Panik. Die Aktivitäten im Anleihemarkt seien schon »ein wenig bankmäßig«, formulierte es Jeremy Stein, damals noch Gouverneur der Fed im Mai 2014 gegenüber der Financial Times. »Es mag die Essenz der Schattenbanken sein, den Leuten einen liquiden Anspruch auf einen illiquiden Vermögenswert zu geben«, sagte er in Bezug auf die Anleihefonds. Die Fonds versprechen ihren Anlegern,
jederzeit ihre Anteile verkaufen zu können (damit sind diese Anteile liquide), gleichzeitig sind Anleihen notorisch schwieriger am Markt zu verkaufen und zu kaufen (die Vermögenswerte der Fonds sind also eher illiquide). Und wie lautet ein alter Wall-Street-Spruch so schön: »Liquidität ist wie Atemluft, man vermisst sie, wenn sie fehlt.« BlackRock ist sich der Gefahr durchaus bewusst. Im Herbst 2014 stellte BlackRock ein Thesenpapier auf die hauseigene Webseite. Die Autoren – darunter Richie Prager – erklärten darin den Handel mit Anleihen schlicht für »kaputt«. Es sei höchste Zeit für eine Generalüberholung dieses Markts. Der Titel des Werks, »Marktstruktur Unternehmensanleihen: Die Zeit für Reformen ist jetzt«, liest sich zwar wie die banale Überschrift eines Parteiprogramms. Doch in der Branche sorgten BlackRocks Forderungen für fast so viel Aufregung wie Luthers Thesen zu Wittenberg. »Bereiten Sie sich auf den kommenden Anleihe-Crash vor«, warnte die Financial Times. Motto: Wenn schon BlackRock nervös wird, dann muss der Rest der Welt mit dem Schlimmsten rechnen. Und der Nachrichtendienst Bloomberg fragte: »Was ist schlimmer? Wenn große Banken den Markt erschüttern oder große Anleiheinvestoren?« Geht es nach der Vorstellung von BlackRock, würde die Rolle der Banker als Mittelsmänner drastisch reduziert, das heißt die Anleihen möglichst standardisiert werden, sodass sich die Papiere ähnlich wie Aktien problemlos elektronisch handeln lassen würden. Dies würde letztlich Anleihen, also Kredite, handelbar machen wie Aktien. Und damit die Liquidität erhöhen. Doch das ist derzeit ungefähr so weit von der Umsetzung entfernt wie die Menschheit von der Marslandung – nicht unmöglich, aber äußerst schwierig. BlackRocks Vorstoß muss man als Defensivmaßnahme verstehen. Für den Koloss unter den Geldverwaltern ist ohne Zweifel ein funktionierender Anleihemarkt von
allergrößter Wichtigkeit. Wie sonst kann er seiner grundlegenden Aufgabe nachkommen und das Geld seiner Kunden bewegen? Und – Worst Case – was wäre im Fall eines Crashs, der dann womöglich die gesamten Märkte mitreißt – ähnlich wie bei den Geldmarktfonds und der Lehman-Pleite? Probleme am Anleihemarkt sind absehbar und werden sich, darin sind sich alle Beteiligten einig, noch verschärfen, sobald die Zinsen wieder anziehen. Wenn Marktteilnehmer wie BlackRock, Pimco oder Vanguard künftig größere Positionen an Anleihen schnell abstoßen müssen, wird es eng werden, zumindest aber werden mangels Abnehmern die Preise verfallen. Kein Wunder, dass man im BlackRock-Hauptquartier auf Abhilfe sinnt. Wenn nicht vorher Schlimmeres passiert. Das trockene Holz ist da – fehlt nur noch der Zündstoff. So angespannt war die Lage im Frühjahr 2015, dass Anleihehändler beunruhigt waren, wenn sie während der Handelszeit mal austreten mussten – was, wenn in ihrer Pinkelpause die Kurse wegbrachen? Eine Vorwarnung erhielten Investoren bereits – allerdings nicht im Markt für Unternehmensanleihen, sondern bei den US-Staatsanleihen. Ausgerechnet an dem Markt, der weltweit als die sicherste Zuflucht der Anleger gilt. Am Morgen des 15. Oktobers 2014 brachen die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen scharf ein. Eine solch heftige Bewegung am Anleihemarkt hatte es zuletzt vor 20 Jahren gegeben. Fondsmanager sahen fassungslos auf ihre Bildschirme, ein Händler gestand dem Nachrichtendienst Bloomberg, er habe schlicht den Stecker seines Computers gezogen. Als Auslöser für den Einbruch machten Marktteilnehmer erst einmal schlechte Zahlen aus dem amerikanischen Einzelhandel aus. Doch das erklärt nicht die Ursache. Je mehr Investoren und Regulierer den Crash analysierten, desto besorgter wurden sie. Bald schrillten die Alarmglocken an oberster Stelle: Solche Einbrüche stellten eine wachsende Gefahr für das Finanzsystem dar,
erklärte im November 2014 das US-Finanzministerium. Über den Grund redete man in Washington allerdings nicht gerne: Jahre nach der Finanzkrise griffen nun die strengeren Kapitalvorschriften und Einschränkungen für den Eigenhandel. Mit der Folge, dass das Risiko sich an die brisanteste Stelle der Märkte verlagert: an den Markt für US-Staatsanleihen. Vor den Reformen konnten sich Finanzkonzerne und Großinvestoren – vor allem Pensionskassen, Investmentfonds, Hedgefonds – darauf verlassen, an dem 12 Billionen Dollar schweren Markt für US-Staatspapiere immer einen Abnehmer oder Anbieter für ihre Anleihen zu finden. Im Zweifel standen die Banken als Handelspartner zur Verfügung. Ihre Handelsabteilungen lieferten das Schmiermittel, das den Markt reibungslos laufen ließ. Bei Gefahr konnten Anleger weniger sichere Werte abstoßen und sich in den US-Anleihemarkt zurückziehen. Allein diese Tatsache, dass die Großanleger im Zweifel immer auf den US-Anleihemarkt gehen konnten und dort Abnehmer für ihre Papiere finden würden, übte eine beruhigende Wirkung auf die internationalen Marktteilnehmer aus. Doch diese Präsenz wird den Banken zu teuer. »Für jeden Bond muss der Händler praktisch eine Gegenbuchung vornehmen«, klagt der Manager einer großen US-Bank. Der Crash, von dem außerhalb der Finanzbranche so gut wie niemand Notiz nahm, zeigte plötzlich, dass diese Zuflucht zumindest infrage gestellt ist. Dafür sind neue Mitspieler in den Markt gekommen: Blitzhändler mit superschnellen Computern, die von kurzfristigen Spekulationen profitieren und schon am Aktienmarkt im Verdacht stehen, Crashs auszulösen. Die Schnellfeuerhändler ziehen ihr Kapital blitzschnell aus dem Markt zurück, wenn die Ausschläge zu heftig werden. Genau dann also, wenn es gebraucht wird. So tragen ausgerechnet die strengeren Regeln für Banken – populär bei Wählern und Steuerzahlern – zur Crashgefahr bei.
BlackRock in allen Winkeln des Markts »BlackRock ist überall«, hört man im Vertrauen Banker, Börsianer, Regulierer sagen. Teils ist es Klage, teils unverhohlene Bewunderung. »Wenn wir jetzt in die Küche gehen, dann finden wir bestimmt jemand von BlackRock, der uns in die Suppe spuckt«, witzelt ein Wall- StreetVeteran beim vertraulichen Lunch. In nur wenigen Jahren hat es Larry Finks Truppe geschafft, in fast alle Winkel des Kapitalmarkts vorzudringen. Wäre BlackRock ein Wasserkonzern, dann würde er Haushalte und Unternehmen überall in der Welt versorgen. Er würde Kläranlagen, Reservoire und Kanäle betreiben, Dämme errichten und an Schleusen kassieren, wäre aktiv von der Hochseeschifffahrt bis zur Dampfturbine. In vielen Bereichen – als direkter Kreditgeber für Unternehmen, als Aufkäufer von Online-Privatkrediten, Betreiber eines hauseigenen »Dark-Pools«, als ETF-Sponsor – ist BlackRock nicht bloß aktiv, sondern formt sie kraft seiner Marktdominanz neu oder – wie bei der Generalüberholung der Anleihemärkte – versucht es zumindest nach Kräften. Kein Wunder, dass die Finanzwelt beunruhigt ist. »Wir beobachten BlackRock ganz genau«, sagt ein führender Mitarbeiter bei Goldman Sachs. Und selbst er kann sich eine gewisse Anerkennung für den gerade mal 25 Jahre alten Start-up-Rivalen nicht verkneifen. Doch all diese Verschiebungen und Veränderungen gehen weitgehend an der Öffentlichkeit vorbei. Jetzt könnte man dieses alles – die ETFs als neue Chips für die Finanzjongleure, die wachsenden Schattenbankaktivitäten, die privaten Börsen und Dark Pools – als etwas sehen, das die Amerikaner gerne »Inside Baseball« nennen. Eine Fülle von Details, die nur die Fans dieser als Sportart getarnten Ansammlung von Statistiken interessieren. Ist es nicht herzlich egal, ob Goldman Sachs
oder Deutsche Bank am Drücker sind oder BlackRock? Nein, ist es nicht. Denn es geht um mehr als Rivalitäten der Geldelite untereinander. Bei BlackRocks Umgestaltung der Märkte geht es darum, wie das Finanzsystem künftig seine eigentliche Rolle spielt, nämlich wie es unsere reale Wirtschaft am Laufen hält. Es geht nicht um Boni und Egos, sondern um die Finanzierung von Unternehmen, Kommunen, Regierungen. Es geht darum, wer die Konditionen dafür bestimmt. Und welche Risiken dabei entstehen. Eines steht fest: BlackRock spielt bei all diesen Veränderungen nicht nur eine große Rolle, sondern eine Rolle in der Übergröße XXL. Und doch ist die Transformation des Finanzmarkts nur eine Baustelle des Schwarzen Riesen. Fink und sein Koloss sind darüber hinaus Treiber und Speerspitze einer noch weit tieferen Veränderung. Diese betrifft die Unternehmen selbst und letztlich unser gesamtes Wirtschaftssystem.
Kapitel 7 Finanzkapitalismus 2.0 Der Besuch des New Yorker Finanzmagnaten wurde in London mit Spannung erwartet. So groß sei seine Bedeutung für die City, schrieb ein Reporter, dass einige Vertreter der Finanzwirtschaft sogar bei Lloyd’s eine Versicherung auf dessen Leben abgeschlossen hätten. Der Mann kontrolliere oder beeinflusse heute mehr Geld und Interessen als jeder andere auf der Welt. »Niemand kann abschätzen, vielleicht nicht einmal er selbst, welche Verantwortung und welche Bedeutung diese Macht hat«, heißt es in dem Bericht. Dabei sei der 64-Jährige noch vor 25 Jahren an der Wall Street nahezu unbekannt gewesen. »Heute verfügt er über fast so viel Einkommen und Ausgaben wie das deutsche Kaiserreich.« Die Rede ist von John Pierpont Morgan. Erschienen ist der Artikel 1901 in McClure’s Magazine, einer der ersten investigativen Publikationen, anlässlich eines Besuchs des New Yorker Bankiers in Großbritannien. Kaum angekommen kaufte er die Schifffahrtslinie Leyland, die immerhin 38 Dampferlinien im Atlantik unterhielt, und verleibte sie seinem Imperium ein. Dass der Neuankömmling so eine massive Transaktion quasi en passant, als »Ferienspaß« abwickelte, habe die Briten geschockt, schreibt der Autor, denn es bestätige ihre Befürchtungen, dass Morgan die englische Vorherrschaft in der Seefahrt im Visier habe. (Tatsächlich gehörte Morgan später zu den Finanziers der Titanic und hätte eigentlich auf der Jungfernfahrt mit dabei sein sollen – eine Luxuskabine mit privatem Promenadendeck war bereits für ihn reserviert. Er sagte im
letzten Augenblick ab, um länger in Aix-les-Bains, einem Kurort im französischen Jura, zu bleiben.) Ein Geldfürst für ein neues Zeitalter Ohne den New Yorker Banker sähe die Welt anders aus. Amerika verdankt ihm seine großen weltbeherrschenden Industriekonzerne – wie etwa US Steel, General Electric, AT&T, Westinghouse, Portland Cement. Er ist der Ahnherr von Amerikas größtem Bankenkoloss JPMorgan Chase sowie der Investmentbank Morgan Stanley. Vor allem aber: J. P. Morgan begründete jenen Finanzkapitalismus, dessen Erbe Larry Fink ist. Anders als Zeitgenossen, wie der Stahlmagnat Andrew Carnegie, war Morgan kein SelfmadeMann. Er stammte aus einer wohlhabenden Bankiersfamilie. Die Morgans kamen bereits 1636 in Neuengland an. Sie kämpften im Unabhängigkeitskrieg auf der Seite der Revolutionäre. Morgans Großvater war noch Farmer gewesen, er hinterließ vorteilhaften Grund und Boden in Connecticut. Morgans Vater, Junius Spencer Morgan, wurde Banklehrling und arbeitete später für die Peabody, Mitglieder des neuenglischen Geldadels. Weil er als Kind an rheumatischem Fieber litt und zeitweise nicht mehr laufen konnte, wurde der kleine J. P. zur Erholung auf die Azoren geschickt. Wie viele amerikanische Elitesprösslinge kam er später zur Ausbildung nach Europa. Im Schweizer Bellerive lernte er Französisch, dann studierte er Kunstgeschichte an der Universität Göttingen und verbrachte einige Zeit in Wiesbaden. Sein Deutsch sei passabel gewesen, heißt es. Morgans wahre Berufung aber waren Finanzgeschäfte. Die lernte er, als er 1857 in die Bank seines Vaters zunächst in London eintrat. Er sei sehr vertraut geworden mit dem Außen- und Devisenhandel, bemerkt das McClure’s Magazine. Vor allem aber »sah er das
Kreditsystem in seinen größeren Zusammenhängen«. Morgan war kein klassischer Banker – er sah sich nicht in der Rolle des bloßen Kreditgebers. Das Auftreiben von Kapital war nur ein Mittel zum Zweck. Bald stieg der junge Banker beim Vater ein – als ebenbürtiger Partner, nicht als Juniorchef. Morgan, ein massiger Mann, machte Eindruck. Es sei, wie wenn ein Windstoß durch Gebäude fahre, berichteten Zeitgenossen. Anders als bei seinem unauffälligen Nachfolger Larry Fink war alles in seinem Leben überdimensional. Seine Liebschaften waren berüchtigt. Jachten waren seine Leidenschaft – je größer, desto besser. Sein privates Schiff Corsair wurde später von der US-Kriegsmarine gekauft und im Krieg gegen Spanien eingesetzt. Er rauchte die dicksten Zigarren – wahre Herkuleskeulen wie Spötter meinten. Durch eine Hautkrankheit verformte sich seine Nase aufs Hässlichste und verfärbte sich violett – worüber sich seine vielen Feinde gerne lustig machten. Das erklärt, warum es kaum Fotografien von Morgan gibt – alle offiziellen Porträts sind retuschiert. Mehrfach griff Morgan rettend ein, um einen Absturz der Wall Street und Amerikas zu verhindern. Im Februar 1895 nahm er den Zug von New York nach Washington. Ohne Voranmeldung erschien er im Weißen Haus und verlangte den Präsidenten Grover Cleveland zu sehen. Der ließ ihn zunächst abblitzen. Doch Morgan erklärte, er werde so lange warten, bis der Präsident ihn empfange. Cleveland traf sich mit dem Bankier am nächsten Morgen. Der Präsident hatte keine Alternative. Die USA befanden sich in einer tiefen Wirtschaftskrise. Das Finanzsystem der USA, das auf dem Goldstandard basierte, stand vor dem Kollaps. Morgans Angebot: Er und die Rothschilds würden 3,5 Millionen Feinunzen Gold in Europa kaufen und dafür eine 30-jährige Gold-Anleihe der Staatskasse bekommen. Cleveland, mit dem Rücken zur Wand, akzeptierte. »Morgan agierte praktisch wie eine Zentralbank – die es zu
dem Zeitpunkt noch nicht gab«, so der Finanzhistoriker John Steele Gordon. Und das Eingreifen des Wall-StreetTycoons habe letztlich die Wende für Amerika eingeleitet. Doch ganz so uneigennützig war die Rettung nicht, denn auch Morgan profitierte von der Transaktion, die von vielen Zeitgenossen heftig kritisiert wurde. In seiner satirischen Geschichte der Vereinigten Staaten It all started with Columbus fasst Richard Armour die Rolle des umstrittenen Bankiers süffisant zusammen: »Dieser Morgan ist als J. P. bekannt, um ihn von Henry Morgan, dem Piraten, zu unterscheiden.« Morgan selbst sah sich eher in der Tradition von Geldfürsten wie der Medicis. Er sammelte leidenschaftlich Bücher – darunter eine Gutenberg-Bibel – und Kunst. An der vornehmen Madison Avenue in Manhattan ließ er sich eine Bibliothek im klassizistischen Stil bauen. Sein »Studierzimmer«, heute für neugierige Normalverdiener zugänglich, hätte einem Renaissancefürsten alle Ehre gemacht. Scharlachroter Damast bespannt die Wände, die ausladenden Sofas mit rotem Samt bezogen. Die geschnitzte Holzdecke ließ Morgan aus einem Florentiner Palast herschaffen, die Fenster zieren Originalglasmalereien aus mittelalterlichen Kirchen. Daneben hängen Originale von Memling, Tintoretto und Cranach, über die sich jedes Museum freuen würde. Im Kamin ließe sich bequem ein Ochse grillen. Für Morgans Schreibtisch, an dem er in seinen späteren Jahren gerne saß und in seinen Schätzen aus seiner Bibliothek blätterte, ging gut und gerne ein Eichenhain drauf. Hier sperrte Morgan am 2. November 1907, in einer windigen Samstagnacht, die 50 wichtigsten Banker und Finanziers von New York ein. Denn 1907 spielte Morgan erneut die Rolle des Captain America. Damals gab es eine Finanzkrise, die in wesentlichen Zügen der Krise von 2008 ähnelt. Ein WallStreet-Haus, Moore and Schley, hatte sich bei Investments
verkalkuliert, die Gläubigerbank drohte, die Kreditlinien fällig zu stellen. Wenn Moore and Schley gefallen wäre, hätten die vielfältigen Kreditverbindungen mit den anderen Wall-Street-Häusern einen Kollaps vieler weiterer zur Folge gehabt. Das gesamte Finanzsystem wäre mitgerissen worden – worunter auch Morgans Imperium zu leiden gehabt hätte. Da half Morgan aus. Selbst sein Vermögen hätte allerdings nicht ausgereicht. Und so trommelte er in jener Nacht die Wall-Street-Spitzen zusammen. Erst als diese zusagten, das notwendige Rettungskapital zu stellen, schloss Morgan die schweren Flügeltüren wieder auf. Draußen dämmerte es bereits. Ohne Morgans Eingreifen wären die USA erneut in eine Finanzkrise gestürzt. Seine Gegner ließ das jedoch nicht verstummen. Noch 25 Jahre nach Morgans Tod schrieb der Schriftsteller John Dos Passos bitterböse: »Krieg und Panik an der Börse, Maschinengewehrfeuer und Brandstiftung, Konkurse, Kriegsanleihen, Hunger, Läuse, Cholera und Typhus, das ist Wachstumswetter für das Haus Morgan.« Damit spielte Dos Passos unter anderem auf die Anfänge von Morgans Laufbahn an, der gute Geschäfte mit den amerikanischen Bürgerkriegsparteien machte. Dann aber entdeckte Morgan die Eisenbahnen. Sie waren die Internetaktien seiner Zeit, Morgan sah das Potenzial. Die Eisenbahn erst schuf den US-Binnenmarkt. Die Gesellschaften konkurrierten heftig um neue Strecken und Güter, hatten einen fast unerschöpflichen Kapitalbedarf und verspekulierten sich darum häufig. Das war die Gelegenheit für den Finanzier mit unternehmerischem Ehrgeiz. Er spezialisierte sich auf Fusionen und Übernahmen, für die er das Kapital organisierte. Die neuentstandenen Konglomerate kontrollierte er, indem er Anteile behielt. Es gab an der Wall Street bald ein Wort für das, was den übernommenen Unternehmen widerfuhr: Sie wurden »morganisiert«. Zwar kann John D. Rockefeller mit seiner Standard Oil für sich in Anspruch nehmen, der
größte Monopolist seiner Zeit gewesen zu sein. 90 Prozent des in den USA geförderten Öls lief damals durch seine Raffinerien. Damit scheffelte er ein Vermögen, das bis heute unerreicht ist. Es entsprach schließlich 1,5 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung oder 340 Milliarden Dollar in heutigen Verhältnissen. Angeblich soll Rockefeller, als er nach Morgans Tod erfuhr, der Bankier habe seinen Erben »nur« 80 Millionen Dollar hinterlassen, ungläubig ausgerufen haben: »Und zu denken, dass er nicht einmal reich war!« Doch Morgan ging es um mehr als Reichtum, sein Einfluss auf die gesamte Wirtschaft reichte viel weiter als die Rockefellers. Morgan schaffte es, Kapital in Dimensionen zu organisieren, wie es kein Mensch vorher getan hatte. Jener Besuch 1901 in London, der die Aufmerksamkeit des Mc-Clure’s-Reporters weckte, folgte auf Morgans legendären Kraftakt: die Schaffung von US Steel. So ein Unternehmen hatte es noch nie gegeben. Es hatte Kapital von über 1 Milliarde Dollar und 250 000 Beschäftigte – »eine Million Seelen leben von der Unternehmung, fast eine eigene Nation«, kommentiert McClure’s staunend. Morgan war es gelungen, diesen Koloss wie einen Frankenstein aus Teilen von schwächelnden Stahlkochern zusammenzubauen. In einem geheimen Pakt hatte er schließlich Carnegie überzeugen können, ihm für 480 Millionen Dollar dessen Stahlunternehmungen zu überlassen. US Steel sollte die damals führenden Mächte im Stahlgeschäft – Großbritannien und Deutschland – angreifen. Ziel war es aber nicht nur, das Stahlgeschäft, sondern gleich den ganzen Infrastrukturmarkt zu beherrschen. Es waren die Gründerjahre Amerikas – der Bedarf an Brücken, Schiffen, Eisenbahnen, Stahlträgern schien unerschöpflich. US Steel war Morgans Meisterwerk. Der Konzern kocht heute trotz aller Pleiten und Krisen noch immer Stahl in seinen Werken.
Morgan nutzte seine Position als Kapitalgeber, um aktiv Einfluss auf die Unternehmen zu gewinnen. »Wenn ein Banker einmal einen Sitz im Verwaltungsrat ergattert hat, wird er zäh an ihm festhalten und sein Einfluss wird normalerweise dominieren, denn er kontrolliert den Nachschub an frischem Geld«, ätzte der Zeitgenosse Louis Brandeis in seinem Werk Other People’s Money. Brandeis war Richter am Obersten Gerichtshof und ein vehementer Kämpfer gegen Kartelle und Monopole, also Morgans Nemesis. Morgan und eine Handvoll New Yorker Banker kontrollierten damals praktisch die Geschäfte aller großen US-Unternehmen ihrer Zeit. Vertreter von J. P. Morgans Bankhaus hatten zeitweise 72 Direktorenposten bei 47 Großunternehmen inne. Er habe nichts gegen »ein bisschen Konkurrenz«, sagte Morgan herablassend, als er bei einer Untersuchungskommission nach Monopolbestrebungen gefragt wurde. Das wurde zum geflügelten Wort. Eine Karikatur zeigt Morgan mit Knollennase, dicker Zigarre und noch dickerem Bauch, neben ihm steht ein volles Glas, so hoch wie ein Fass und eine Flasche, enorm wie ein Tank, darauf das Etikett: »Monopol-Whisky«, daneben ein geradezu winziges Sodafläschchen mit der Aufschrift »Wettbewerb« – ein Spritzer davon würde den Monopol-Drink wohl kaum verdünnen. Von Wettbewerb hielt Morgan tatsächlich nicht allzu viel. Seine Vertreter saßen zum Beispiel sowohl im Verwaltungsrat bei General Electric als auch bei dessen Rivalen Westinghouse. Ähnliche Überkreuzverbindungen gab es auch bei Eisenbahnen. Vom Standpunkt der Banker hatte ein Wettbewerb »Linke Tasche gegen rechte Tasche« nicht viel Sinn. Aufstand der Manager
Ein Nebeneffekt von Morgans Einfluss war, dass New York zur Hauptstadt des Kapitals wurde. Großindustrielle zog es an den Hudson, weil sie in der Nähe des Finanziers sein wollten. Für sie war es ein goldenes Zeitalter, sie bauten sich Paläste nach den Vorbildern der Aristokratie. Wer die Fifth Avenue hinunterschlendert, kann einige heute noch finden. Bevor sich Eisenbahnerbe George Vanderbilt II seinen Landsitz »Biltmore« mit 250 Zimmern, Zentralheizung, Swimming Pool und Bowlingbahn bauen ließ, tourte er zu den Schlössern der Loire. Die SocietyLady Mrs. Stuyvesant Fish gab eine rauschende Party für ihren Hund, der zu der Gelegenheit mit einem 15 000Dollar-Diamant-Halsband erschien. Das war mehr als das Zehnfache des mittleren Jahreseinkommens der großen Mehrheit der Amerikaner damals. Die Arbeiter lehnten sich auf, allein in den 1880er Jahren kam es zu mehr als tausend Streiks. Immer wieder gab es brutale Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten. Nach einem Anschlag in Chicago, bei dem ein Polizist ums Leben kam, wurden vier rebellierende Arbeiter aufgehängt. Den Höhepunkt markierte der Streik bei der Pullman Palace Car Company, am besten bekannt für ihre luxuriösen Schlafwagen, ausgestattet mit Polstermöbeln, einer Bibliothek und allem Komfort, in denen die Oligarchen bequem durchs Land reisten. Das Unternehmen gehörte gleichzeitig zu den größten Eisenbahngesellschaften. Während der Rezession 1894 senkte Pullman die Löhne und erhöhte die Mieten in seiner Arbeiterkolonie. 240 000 Arbeiter in 26 Bundesstaaten streikten daraufhin. Die Unternehmensmanager holten sich die Unterstützung von Regierungstruppen, die die Proteste niederschlugen. Viele Streikenden wurden verhaftet und landeten auf schwarzen Listen. Sie fanden keine Jobs mehr. Die amerikanische Arbeiterbewegung kam erst 50 Jahre später wieder in Gang.
Nicht nur in den Städten, wo die Arbeiter in Mietskasernen eingepfercht waren, wuchs der Widerstand. In North Dakota kam es zur offenen Revolte gegen die New Yorker »Raubtierspekulanten«, die nach Ansicht der Einheimischen die Farmer dort ruiniert hatten. Um sich dem Wall-Street-Einfluss zu entziehen, gründete North Dakota schließlich 1919 eine staatliche Bank, die es bis heute gibt (und die von Aktivisten immer wieder als Vorbild angeführt wird). Zwar wurde die Arbeiterbewegung niedergeschlagen, aber unter dem wachsenden politischen Druck begann Washington, erst mit Regulierungen und dann mit Gerichtsverfahren gegen die Kartelle und Trusts vorzugehen. Doch die Umwälzung ging schließlich von den Unternehmern aus, nicht von den Arbeitern. Die Unternehmenslenker schüttelten nach und nach die Kontrolle der Banker ab. Dabei half den Konzernlenkern, dass Wertpapiere in Amerika schon bald nicht mehr nur den Reichen und gut Vernetzten vorbehalten blieben. Die ersten Wertpapiere, die von breiten Bevölkerungsschichten gekauft wurden, waren Kriegsanleihen – also Staatsschuldpapiere. Denn um den Ersten Weltkrieg zu finanzieren, verkaufte der US-Fiskus Kriegsanleihen – die »Liberty Bonds« – nicht nur an schon bewährte Investoren wie die Banken oder große Privatinvestoren, sondern auch an Kleinanleger. Reklameposter und Auftritte von Charlie Chaplin, aber auch Organisationen wie die Boy Scouts machten auf das neue Angebot aufmerksam und appellierten vor allem an den Patriotismus. Die Strategie hatte Erfolg. Von den 23 Millionen Amerikanern, die in die so genannten »Liberty Bonds« investierten, waren viele erstmalige Wertpapierbesitzer. Das neu gewonnene Vertrauen in solche Geldanlagen übertrugen die Amerikaner auf die großen amerikanischen Unternehmen wie General Electric, AT&T und die neuen Autohersteller Ford, General Motors und Chrysler.
Morgan und seine Finanziers wurden von der neuen Kaste der Manager abgelöst. Zwar sah man nach wie vor überwiegend die gleichen Gesichter in den Aufsichtsräten (sie sind bis heute überwiegend weiß und männlich), doch ihren Einfluss verdankten sie ihrer Zugehörigkeit zur herrschenden Elite, nicht ihrem Zugang zum Kapital. Hier trennen sich erst einmal die Wege Amerikas und Europas. Auf dem alten Kontinent entwickelte sich nie breit gestreuter Aktienbesitz und börsenfinanzierte Unternehmen blieben eine Minderheit. (Deutschland hat nur 700 börsennotierte Unternehmen und damit weniger als Pakistan.) Bis heute sind Unternehmen in Europa mehrheitlich bankenfinanziert. Wie BlackRock der neue J. P. Morgan wurde Der Finanzkapitalismus aus Morgans Goldenem Zeitalter erlebt eine Wiedergeburt. Nur die Dimensionen sind gewaltiger geworden. Statt Banker sind es nun die Vermögensverwalter, die das System beherrschen. »Finanzkapitalismus 2.0«, nennt es Gerald Davis von der University of Michigan in einem Thesenpapier, das er 2012 vorstellte. Oder: »Wie BlackRock der neue J. P. Morgan wurde«. Sowohl die Protestierer von Occupy als auch die Mitglieder der Tea Party sind sich sicher: Die Schuld an der derzeitigen sozialen Ungleichheit und der wirtschaftlichen Unsicherheit, unter der Normalverdiener leiden, ist bei Big Business zu suchen. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Davis. Die Macht der Großkonzerne sei gebrochen. Finanzkapitalisten regierten wieder. Und genau deshalb schwinden Arbeitsplatzsicherheit und soziales Netz. Hätte man es darauf angelegt, man hätte den Kreis nicht besser schließen können. Die börsennotierten Großkonzerne, die J. P. Morgan einst mit angeschoben hatte, wurden das Fundament des Wirtschaftsbooms in den
50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie waren die Basis für die wachsende Mittelschicht. In den 1970er Jahren arbeitete einer von zehn Amerikanern für einen der 25 US-Großkonzerne. Sie stellten Millionen Arbeitsplätze für »Average Joe«, den amerikanischen Otto-NormalVerbraucher. Der besaß bald Kühlschränke von General Electric, den Telefonanschluss von AT&T, das Auto von General Motors oder Chrysler, ausgestattet mit Reifen von Goodyear und betankt bei Standard Oil oder Texas, aß Lebensmittel von General Foods (später Kraft) und verwendete Kosmetikartikel von Procter & Gamble. Das war der »American Way of Life«: Das kleine Haus auf eigenem Grundstück, ein Auto, zwei Kinder, und die Möglichkeit, diesen eine vernünftige College-Ausbildung zu bezahlen. Wer bei den Schwergewichten zudem angestellt war, kam in den Genuss von firmeneigenen Krankenversicherungspaketen und Altersvorsorge. Auch das unterscheidet Amerika bis heute von Europa – in der alten Welt übernimmt vorwiegend die Allgemeinheit die Sozialleistungen. Die Großzügigkeit der US-Arbeitgeber war allerdings Kalkül – sie wollten sich durch die Sozialleistungen ihre Macht sichern. Doch dann kamen die Globalisierung und vor allem die Öffnung Chinas. Der Erfolg der US-Großkonzerne nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu der Überzeugung, nicht nur den heimischen Markt spielend zu beherrschen, sondern auch global problemlos in Führung gehen zu können. So drängte die US-Wirtschaftsvertretung darauf, den chinesischen Markt für ihre Interessen zu öffnen. Der Wendepunkt kam 1972 mit dem Besuch Nixons, eines erklärten Kommunismusverächters, in China – ein Wendepunkt, den der amerikanische Komponist John Adams sogar in einer Oper verewigte. (»Als ich die Hand von Chou En-lai schüttelte, auf dem kahlen Feld vor Peking, lauschte die Welt«, singt Nixon in seiner Arie im ersten Akt.) Beijing, damals im Westen noch als Peking bekannt,
zeigte sich interessiert. Es kam ganz anders, als die Konzernlenker sich das vorgestellt hatten: Die Chinesen nutzten die Öffnung, um ihrerseits die USA mit billigen Konkurrenzprodukten zu fluten. Plötzlich wurden die Sozialleistungen für die Arbeiter und Angestellten zum teuren Nachteil im internationalen Ringen um Marktanteile. General Motors etwa war vor dem Konkurs 2009 der größte private Gesundheitsversorger der USA – bis zu eine Million GM-Arbeiter, GM-Rentner und deren Angehörige hingen an dem Autohersteller. Das kostete GM bis zu 1 400 Dollar zusätzlich pro Auto. Und so begannen die Unternehmen nach Möglichkeiten zu suchen, sich aus der Verantwortung zu winden. Es war ein günstiger Zeitpunkt: Ronald Reagan mit seinem Cowboy-Marktwirtschafts-Credo war Präsident. Der Staat half den Unternehmen, indem er individuelle Sparpläne förderte, die nach der Anfang der 1980er Jahre erlassenen entsprechenden Steuervorschrift 401(k) genannt werden. Der gravierende Unterschied zu den Betriebskassen, die bis dahin jahrelang das dominierende Modell waren: Die Rente wurde nicht länger vom Arbeitgeber garantiert. Nach dem neuen Modell zahlt der Arbeitgeber lediglich Beiträge oder Zuschüsse für die individuellen Sparpläne – und in Krisenzeiten kann er sogar das einstellen. Das Risiko wandert so vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer. Die 401(k)-Sparpläne machten aus »Average Joe« und »Average Jane« mehr oder minder unfreiwillige Teilnehmer des Aktienmarkts. Diese neuen Aktionäre waren ganz anders als die Wall-Street-Profis oder die wohlhabenden Erben der Bostoner Brahmanen. Überwiegend vertrauen sie ihre Ersparnisse fürs Alter Investmentfonds an – am liebsten großen und bekannten Gesellschaften wie Fidelity, Pimco oder Vanguard oder später eben BlackRock. Das war der Beginn des Aufstiegs der Vermögensverwalter. In den 1950er Jahren fanden sich rund 100 Fonds mit etwa einer Million Anteilseignern in den USA. Heute sind es mehr als
10 000 Fonds. 1989 – knapp zehn Jahre nach Einführung der 401(k) – Sparpläne – verwalteten die privaten USInvestmentfonds bereits über 1 Billion Dollar. 2014 waren es rund 15 Billionen Dollar und damit fast vier Mal so viel wie das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland. Das ist eine massive Konzentration des Kapitals in den Händen von Fondsmanagern. Gerald Davis, Kritiker des Finanzkapitalismus 2.0, hat ausgerechnet, dass 2010 rund 75 Prozent der Aktien der 1 000 größten Unternehmen von institutionellen Anlegern gehalten werden. Und BlackRock gehörten bereits 2011 mindestens 5 Prozent der Aktien von mehr als 1 800 US-Unternehmen. BlackRock war nach Davis’ Berechnungen damals der größte Einzelaktionär bei einem von fünf Unternehmen, Fidelity der größte Einzelaktionär bei jedem zehnten US-Unternehmen. »Nicht einmal auf der Höhe des Finanzkapitalismus Anfang des 20. Jahrhunderts war das Unternehmenseigentum auf so wenige Finanzinstitutionen beschränkt«, schreibt Davis. Relativ gesehen hat Larry also den alten J. P. längst überholt. Shareholder Value: Die andere 68er-Revolution Inzwischen ist die Fixierung von Managern auf Gewinnmaximierung und endlose Kostenreduzierung, auf Wettbewerbsvorteile und Marktanteile derartig verbreitet und verinnerlicht, dass es scheint, als habe es nie etwas anderes gegeben, als seien sie ursprüngliche Bestandteile des Kapitalismus. Doch dies ist Ergebnis einer Revolution, die vor mehr als 40 Jahren begann: die Shareholder-ValueRevolution. Eine Bewegung, die Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft mindestens so grundlegend verändert hat wie die 68er. Während Studenten in den frühen 1970ern mit Protestplakaten über den Campus von Harvard liefen, trugen ihre Kommilitonen aus der Betriebswirtschaft, die
Anhänger der Revolution des Kapitals, Fallstudien in ihren Aktenmappen. Corporate America, von wo die Bewegung ausging, steckte damals in einer tiefen Krise, es war der Anfang der Globalisierung und der Konkurrenz aus den Billiglohnländern. Gleichzeitig hatten der Ölschock und die folgende Inflation die Kosten explodieren lassen, die Gewerkschaften verlangten zum Ausgleich höhere Löhne. Auf die neuen Herausforderungen reagierten die CEOs mit einer massiven Fusions- und Aufkaufwelle. Aus Betrieben wurden weltumspannende Konglomerate, nicht selten mit Produkten, die nichts miteinander zu tun hatten. Die Aufkäufe blähten die Verwaltungen auf, nur wenige erzielten die versprochenen Gewinne. Es schlug die Stunde der Berater. Die wurden oft gegen den Willen des Managements angeheuert: von den unzufriedenen Eigentümern, den Anteilseignern. Mit ihren strikten Analysen sollten die Rechenknechte Ineffizienz und mögliche Sparmaßnahmen aufspüren. Die Boston Consulting Group, McKinsey & Co. und Bain & Company – einstiger Arbeitgeber des gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney – gehörten zu den Kaderschmieden. Hier begannen viele der jungen ehrgeizigen Business-School-Absolventen ihre Karriere. Sie fanden für Unternehmen heraus, was ihr Markt war oder wo sie im Vergleich zur Konkurrenz standen und wo sie ihre größten Wachstumschancen finden würden. Es war vor allem Fleißarbeit: Informationen von Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden sammeln, durch Rechnungen und Aufträge sieben und schier endlose Riemen von Daten in die noch groben Rechenprogramme der Zeit einspeisen. (Hier wurden die Grundlagen für die spätere Digitalisierung geschaffen.) Die Berater wechselten oft in die von ihnen betreuten Unternehmen und verhalfen so den Ideen des Shareholder Values in den 1980er und 1990er Jahren zum Durchbruch.
Konsequente Fortsetzung der Beraterdenke sind die Private-Equity-Gesellschaften, in Deutschland besser als Heuschrecken bekannt, die ebenfalls zu dieser Zeit ihren Siegeszug begannen. Statt die Unternehmen nur zu beraten, haben die Rechenknechte diese dabei gleich übernommen – oder zumindest Teile aus den Konglomeraten herausgelöst. Denn obwohl die Berater satte Honorare kassierten, ging bei Erfolg der Hauptanteil der Gewinne an die Eigentümer, die Aktionäre. Stattdessen machten die Firmenjäger die Unternehmen mithilfe der Beratermethoden, sprich Kostendrücken, profitabel und stießen sie anschließend mit Gewinn wieder ab. Die WallStreet-Finanziers hatten ebenfalls mit Übernahmen gutes Geld verdient. Doch das hieß zumeist, dass die übernommenen Unternehmen »finanzoptimiert« wurden – ihnen wurden etwa neue Schulden aufgebürdet oder ihre Reserven wurden flüssig gemacht –, alles zugunsten der neuen Eigentümer. (Es gab Spezialisten wie Robert S. Miller, der sich den Ruf verdiente, ein »Pensionskassenknacker« zu sein, indem er bei angeschlagenen Industrieunternehmen einstieg und deren Betriebsrentenpläne abwickelte.) Um das eigentliche Geschäft der aufgekauften Unternehmen kümmerten sich diese Finanzakrobatiker dagegen kaum. Das wurde mit den Ideen der »Number Cruncher« aus dem Stall von Bain und Boston Consulting anders – jetzt zogen die Zahlenumdreher mit ihren Taschenrechnern vom Einkauf über die Produktion bis zum Vertrieb, um die Vorgänge schlanker und effizienter zu machen. Die Private-Equity-Formel ist die Kombination der Wall-Street-Bilanzauspressermethoden mit denen der Kostenjäger aus der Beraterriege. Es ist die unerbittliche Anwendung des Shareholder-ValueGedankens in allen Bereichen. Das einzige Ziel von Private Equity ist die Steigerung des Gewinns der Eigentümer – ob dadurch Jobs geschaffen oder gestrichen werden, ist lediglich eine Nebenwirkung. Die Praktiken von Private
Equity hatten einen weitreichenden Einfluss, weit über die Betriebe hinaus, die von den Private-Equity-Firmen tatsächlich übernommen wurden. Manager von Konkurrenten kopierten die Methoden. Aktionäre stellten ihnen hohe Erfolgsprämien in Form von Aktien in Aussicht. So sollten die Interessen von Eigentümern und Managern deckungsgleich werden: Manager sollten nicht nur Angestellte sein, die ihren Lohn bekamen, selbst wenn sie das Unternehmen in die roten Zahlen führten – das Shareholder-Value-Argument galt nun auch für die Chefetage. Angefeuert durch neue Technologien wurden Fabrikhallen und schließlich auch Verwaltungen »verschlankt«. Der Triumphzug des Shareholder-ValueGedankens blieb auch nicht auf Amerika beschränkt. Outsourcing in Billiglohnländer war bald auch in Deutschland gang und gäbe. Die Überzeugungen dahinter sind weit tiefgreifender als smarte Kosten-Nutzen-Analysen oder laserartiger Fokus auf Problemlösung. Es ist die Idee des Shareholder Values, der zufolge der Zweck eines Unternehmens zuoberst und nahezu ausschließlich ist, dem jeweiligen Eigentümer oder Aktionär wachsende Profite zu bescheren. Es ist das Primat des Kapitals. Keine bleibenden Werte Und wenn dieses Kapital auf der Suche nach dem maximalen Gewinn immer flüchtiger geworden ist, dann ist es auch die Institution des Unternehmens. J. P. Morgans US Steel und Eisenbahnen brauchten enorme Summen an Kapital, damit sie es in Schmelzen oder Gleise stecken konnten, um eine bleibende Organisation aufzubauen. Heute sind Unternehmen weniger Institutionen als ein Bündel an Patenten, Logistik und Verträgen. Das sich auch rasch wieder auflösen kann.
Gerald Davis hat dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Die Flip-Kamera war das »Must-have-Gadget« um 2007, als Youtube populär wurde. Damit konnten Privatleute einfach und schnell Videos drehen, auf ihrem Computer bearbeiten und Freunden und Verwandten schicken. Die Kamera war relativ erschwinglich, sie kostete um die 100 Dollar. »Flipcam« wurde – zumindest für kurze Zeit – zu einem stehenden Begriff wie »Tesa« oder »Kleenex«. Das Unternehmen, das die Kamera verkaufte, musste dafür jedoch nicht eine einzige Fabrikhalle erstellen, geschweige denn Arbeiter einstellen. Stattdessen bauten asiatische Subunternehmen die Flip. 2009 hatte der Kamera-Anbieter 20 Prozent des relevanten Markts, aber nur 100 Beschäftigte, berichtet Davis in seiner Fallstudie. Im selben Jahr verkauften die Gründer ihr Unternehmen für 600 Millionen Dollar an den Internet-InfrastrukturGiganten Cisco. Zwei Jahre später stellte Cisco den Vertrieb ein, die Flipcam war tot. Was war passiert? Die verbesserte Kamerafunktion in den neuen Smartphones ersetzte die Flipcam – niemand brauchte mehr ein zusätzliches Gerät. Vom Aufstieg bis zum Ende vergingen nicht einmal ganz vier Jahre. »Anders als noch der Untergang eines Unternehmens wie Eastman Kodak, das über 120 Jahre lang ein großer Arbeitgeber und gemeinnütziger Spender war, bevor es Konkurs anmelden musste, hinterließ das Verschwinden von Flip so gut wie keine Spuren«, so Davis’ nüchternes Fazit. Um zu erklären, was mit den Unternehmen im Finanzkapitalismus 2.0 passiert, greift Davis in seiner Studie auf Begriffe aus der Physik zurück. Die Funktionen des Unternehmens seien den Fliehkräften des Outsourcings unterworfen. Dagegen hätten sich die Zentrifugalkräfte, die einst nach dem Ende der »Morganisierung« für eine Verteilung der Kapital-Eigentümer auf eine breite Aktionärsbasis gesorgt hatten, nun umgedreht. Aktien haben sich über die letzten Jahrzehnte immer mehr in den
Händen von Vermögensverwaltern konzentriert. Diese sind nicht selbst die Eigentümer – das sind die Anleger ihrer Fonds oder die Mitglieder der Pensionskassen, die sie beauftragt haben –, sondern nur Mittelsmänner. Doch sie sind es, die das investierte Kapital dirigieren. Und das tun sie mit einem Ziel: Gewinnmaximierung innerhalb relativ kurzer Zeit. Denn sie stehen selbst unter enormem Wettbewerbsdruck. Die Fondsherausgeber verdienen nur dann ihr Geld und können Anleger halten oder neue hinzugewinnen, wenn ihre Fonds und deren unterliegende Werte besser abschneiden als der jeweilige Markt und die Konkurrenz. Während John Pierpont Morgan bei seinen Anteilskäufen in der Regel eine Strategie verfolgte – und sei es, der Monopolist der betreffenden Branche zu werden –, gibt es keine solche einende Stoßrichtung bei den Beteiligungen der Fondsgesellschaften. Bei den aktiv von einem Fondsmanager geführten Fonds geht es darum, die gewinnträchtigsten Unternehmen oder Strategien auszusuchen. Bei den passiven Fonds wie den iShares von BlackRock können sie gar nicht bestimmen, welche Unternehmensanteile die Fonds kaufen oder verkaufen. Weil der größte Teil der Investitionen in den ETFs von iShares liegt (über 80 Prozent der Aktien, die BlackRock hält), folgt das Investment in Unternehmen den vorgegebenen Aktienindizes. Das heißt, wenn BlackRocks Kunden mehr Dax-ETFs kaufen, muss BlackRock in mehr Dax-Unternehmen investieren. Und wenn sie ihre iShareCore-Dax-Anteile wieder abstoßen, dann ziehen BlackRocks ETFs ihr Kapital wieder ab. Das hat das Kapital der Unternehmen volatiler gemacht. Deutlich volatiler. Vor 30 Jahren hielten institutionelle Investoren ihre Papiere um die fünf Jahre, heute liegt die normale Haltefrist bei fünf bis neun Monaten. Ein bis zwei Jahre gelten inzwischen bei den professionellen Investoren als »langfristig«. Selbst das ist in der Regel zu kurz für Manager, um fundamentale Umwälzungen in ihrem
Unternehmen erfolgreich umzusetzen. Die Unternehmen mussten sich anpassen. Sie müssen ihre Kapitalgeber pflegen und ihnen die gewünschte Performance im gewünschten Zeitraum liefern. Gerne glauben Europäer, besonders die Deutschen, dass dieses Diktat des Finanzmarkts, dass der Finanzkapitalismus 2.0 vor allem eine US-Erscheinung ist. Schließlich spielt die Börse keine zentrale Rolle im Wirtschaftsgeschehen Deutschlands. Deutsche Mittelständler finanzieren sich nach wie vor im Wesentlichen über Bankkredite, weniger über Anleihen. Die neuen Schattenbanken, der Aufstieg der Vermögensverwalter, alles Probleme der »Angelsachsen«, wie deutsche Politiker es gerne erklären. Das ist ein Irrtum. Aus Sicht des Finanzmarkts ist Deutschland längst eine Kolonie. Die Akteure sitzen in London und New York. Und so gesehen ist die deutsche Wirtschaft zwar der Schauplatz, aber nicht der Ort, wo die Entscheidungen getroffen werden.
Kapitel 8 Wie BlackRock die Deutschland AG lenkt Wenn es einen Ort gibt, der für die deutsche Version des Industriekapitalismus steht, dann ist das die Villa Hügel im Essener Stadtteil Bredeney. Begonnen wurde der Bau der Villa, die man eher ein Schloss nennen könnte, von Alfred Krupp im Jahr 1870. Bis dahin wohnte der Fabrikantensohn – wie damals üblich – auf dem Werksgelände. Der erste Krupp hatte unter anderem mit der Herstellung von Werkzeug und Münzstempeln mehr schlecht als recht gewerkelt, doch Alfred schaffte mit Radreifen für die expandierenden Eisenbahnen den Durchbruch. Mit dem Erfolg kam der Wunsch nach sozialem Aufstieg – Krupp wollte mit seiner Familie aus der unmittelbaren Nähe jener Stahlwerke mit ihrem Ruß und Dreck entfliehen, die Grundlage seines Wohlstands waren. Nach über drei Jahren Bauzeit zogen die Krupps endlich ein, da war Bismarck bereits zwei Jahre Reichskanzler. Der Bau mit seinen 269 Räumen, umgeben von grünen 28 Hektar Park und Panoramablick, wurde Familiensitz und Repräsentanz der Ruhrbarone. Alfreds Nachfolger ergänzten den Prachtbau um Tennisplätze, Reitanlage und eine Kegelbahn. Über 500 Bedienstete sorgten zeitweise für das Wohl der Bewohner. Man stelle sich Downton Abbey vor, den fiktiven Landsitz aus der beliebten britischen Serie, nur eben ein paar Nummern größer. Kruppstahl wurde zum Begriff in der ganzen Welt, wenn auch nicht immer positiv assoziiert. Rüstung wurde für den »Kanonen-König« Krupp das größte Geschäft. Als der letzte Träger des Familiennamens, Alfried
Krupp von Bohlen und Halbach am 30. Juli 1967 starb, vermachte er alles der Krupp-Stiftung »für wohltätige Zwecke«. Die Stiftung wurde Großaktionär des Stahlkonzerns. Alfried Krupps Vertrauter, Berthold Beitz, übernahm als Generalbevollmächtigter das Ruder bei Stiftung und Konzern. Das blieb auch so, als Krupp 1997 trotz Arbeitnehmerprotesten mit dem einstigen Rivalen Thyssen fusionierte. Beitz, der gerne als der Patriarch der Deutschland AG oder wegen des Krupp’schen Logos liebevoll als »Herr der Ringe« bezeichnet wurde, war der letzte Überlebende jener Ära des »Rheinischen Kapitalismus«, die von persönlichen Beziehungen und gegenseitigen Beteiligungen geprägt wurde. Um die Zeit, als die Bauarbeiter die Villa Hügel errichteten, wurden auch die Fundamente für die Deutschland AG gelegt. Es war die Zeit, als die großen Aktiengesellschaften entstanden. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war eine Blütezeit der deutschen Wirtschaft. Zwischen den 250 Großunternehmen der damaligen Zeit gab es 2286 Beziehungen, wie Paul Windolf in einer Studie 2013 analysierte. So trafen sich die Herren – es sind bis heute so gut wie ausschließlich Männer in den einschlägigen Gremien – mehrmals im Jahr. Weil sie als Direktoren die Interessen verschiedener Unternehmen gleichzeitig vertraten, so Windolf, wirkte die Clique der Aufsichtsräte und Vorstände wie ein übergreifendes Kontrollgremium. Die zentrale Rolle spielten in dem Netz die Banken, die Dresdner und besonders die Deutsche Bank. J. P. Morgan hätte bei einem Besuch in Frankfurt sein System problemlos wiedererkannt. Carl Klönne etwa war um die Jahrhundertwende Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bank. Gleichzeitig saß er in den Aufsichtsräten von Siemens, Allianz, der Rütgerswerke, der Gelsenkirchener Bergwerks-AG und weiteren 17 Unternehmen.
In den frühen Jahren der Bundesrepublik übernahm der Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs die Rolle des Primus inter Pares. Abs saß während seiner Amtszeit in 30 Aufsichtsratsgremien, bei vielen war er sogar in leitender Funktion. Dabei ließ er gerne wissen, was er von diesen besseren Herrenclubs hielt. »Die Hundehütte ist für den Hund, der Aufsichtsrat ist für die Katz«, war einer seiner Aussprüche. Neben den Frankfurter Bankiers saßen die Münchener Versicherer, die Allianz und die Münchener Rück, mit an den Schalthebeln der deutschen Nachkriegswirtschaft. Sie bauten große Beteiligungen an den wichtigsten Industriekonzernen des Landes auf. Sie bestimmten bis vor wenigen Jahren, wer in Aufsichtsrat und Vorstand kam. Die Deutsche Bank übte nicht nur direkt über eigene Beteiligungen Macht aus. Sie stimmte außerdem im Namen ihrer Depotkunden ab, die der Bank das Stimmrecht ihrer Aktien übertragen hatten. Und die Frankfurter waren oft gleichzeitig die Hausbank und entschieden über Kredite. Der Chefposten im Aufsichtsrat beim größten Autokonzern Daimler war geradezu ein Erbhof für den jeweiligen Deutsche-Bank-Chef. Bundeskanzler Schröder, der sich in der Gesellschaft der Bosse wohlfühlte, bezeichnete sich nur halb scherzhaft gerne als »Vorstandsvorsitzender der Deutschland AG«. Aber es ließ sich nicht viel in Deutschlands Wirtschaft bewegen, ohne die Zustimmung der Frankfurter Banker – auch nicht von der Regierung. Es war ein informelles Lenken: Man kannte sich untereinander, man traf sich regelmäßig. Bei den Tagungen des BDI und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Oder bei den beliebten Baden-Badener Unternehmergesprächen: In der Kurstadt treffen sich nach wie vor die Spitzenleute der deutschen Unternehmen »zum Lernen und Kennenlernen«, wie es das manager magazin einmal formulierte. Im Sommer kam die Deutschland AG dann in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen zusammen oder in Salzburg, wo man
sich nach dem Jedermann in den »Goldenen Hirschen« zurückzog. Bis in die 1990er-Jahre gelang es dem Männerbund, die deutsche Wirtschaft zu dominieren und auch gegen das Ausland abzuschotten. Das Netzwerk schirmte die Manager gegen den Einfluss der Finanzmärkte ab. Die Verflechtungen und vor allem die starke Einbindung der Banken in die Konzernführung sorgten dafür, dass sich das Kapital »geduldiger« und »freundlicher« als in der amerikanischen Variante des Kapitalismus zeigte. Deutschland erschien als das »Gegenmodell zum amerikanischen Marktkapitalismus«, beschreibt es Gewerkschaftsforscher Martin Höpner in einer Habilitationsschrift 2007. Hier schlugen keine Fondsmanager als Aktionäre auf den Konferenztisch und forderten mehr Gewinnsteigerungen, höhere Dividendenausschüttungen, schärfere Sparmaßnahmen. Feindliche Übernahmen waren geradezu unerhört. Wirtschaftshistoriker argumentieren, dass nur in einem solchen Schutzraum die Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat möglich war. Für Amerikaner ist die Mitbestimmung der Belegschaft bis heute eine Einrichtung, mit der sie sich schwertun. Das Prinzip »Eine Hand wäscht die andere« führte allerdings in nicht wenigen Fällen dazu, dass beide schmutzig blieben. Da war der Skandal um die Philipp Holzmann AG. Nur Tage nach dem 150-jährigen Firmenjubiläum musste der bis dahin größte Baukonzern bis zu diesem Zeitpunkt verheimlichte Milliardenverluste eingestehen. Trotz eines Rettungspakets der SchröderRegierung meldete Holzmann 2002 Insolvenz an. Die Vorwürfe – unter anderem ging es um Scheinrechnungen und Aktiengeschäfte – gegen Vorstand und Aufsichtsrat wurden durch Vergleiche beigelegt. Oder der PleiteBaulöwe Jürgen Schneider, der die Banken mit seinem Schein-Imperium fünf Milliarden Deutsche Mark kostete
und reihenweise Handwerksbetriebe in den Ruin trieb. (Was der damalige Deutsche-Bank-Vorstandschef Hilmar Kopper mit seinem berüchtigten Ausspruch, das seien »Peanuts« kommentierte.) Dann kam 1999 der Angriff des britischen Mobilfunkkonzerns Vodafone auf Mannesmann, ein DaxSchwergewicht, dessen Ursprünge auf die ersten nahtlosen Stahlrohre der Gebrüder Max und Reinhard Mannesmann im Jahr 1886 zurückgingen. Nach einer monatelangen Übernahmeschlacht unterlag der deutsche Konzern. Im Februar 2000 stimmte der Aufsichtsrat schließlich der Übernahme zu. »Die Einigung von Düsseldorf markiert gleichzeitig das Ende des Rheinischen Kapitalismus. Mit diesem auf Konsens und Mitbestimmung basierenden System hatten sich die deutschen Konzerne bisher erfolgreich gegen Angriffe aus dem Ausland gewehrt«, schrieb damals der Spiegel. Es war die erste erfolgreiche feindliche Übernahme eines bedeutenden Traditionsunternehmens. Das Bollwerk der Deutschland AG bröckelte da schon eine Weile. Die Globalisierung spielte eine Rolle: Um zu überleben, mussten die deutschen Konzerne internationaler werden. Sie begannen im Ausland nicht nur zu verkaufen, sondern zunehmend auch zu produzieren. Von den Siemens-Beschäftigten etwa befindet sich bald die Hälfte im Ausland. Aber vor allem verändert sich das Machtzentrum der Deutschland AG, die Deutsche Bank. Sie zieht sich zurück. Unter dem Vorstandsvorsitz von Josef Ackermann, der wegen seiner Rolle als Aufsichtsratschef bei Mannesmann während der VodafoneAttacke zweimal vor Gericht musste, verkaufen die Frankfurter nach der Jahrtausendwende Schlag auf Schlag ihre Industriebeteiligungen. Ackermann hatte – gemeinsam mit anderen Mannesmann-Vorständen und Aufsichtsräten wie Ex-Chef Klaus Esser und dem ehemaligen IG-MetallVorsitzenden Klaus Zwickel – kurz vor der Übernahme Prämien kassiert, deren Rechtmäßigkeit angezweifelt
wurde. Im ersten Prozess wurden die Angeklagten verurteilt, in der Berufung wurde das Verfahren gegen Millionenzahlungen eingestellt. Es war das spektakulärste Wirtschaftsverfahren der Nachkriegsjahre. Kein Wunder, dass die Devise in den Frankfurter Deutsche-Bank-Türmen danach umso vehementer lautete: Rückzug aufs Kerngeschäft, also auf die Finanzen. An Daimler etwa hielt die Bank bis 2004 noch knapp 12 Prozent, Ende 2006 waren es nur noch 4,4 Prozent, 2009 hatte sich der Anteil auf 2,5 Prozent verringert. Die deutsche Version des Industriekapitalismus geht zu Ende Es war die Politik, die den Untergang der Deutschland AG schließlich beschleunigte. Quer durch alle Parteien stieß das Modell der Kreuz- und Querbeteiligungen von Banken und Industriekonzernen in den 1990er Jahren auf wachsende Kritik. Nicht nur die marktliberale FDP hielt es für ein wachstumshemmendes Problem, auch die SPD und die Grünen sahen darin ein Kartell der Manager. Es war die rotgrüne Koalitionsregierung, ausgerechnet unter dem selbsterklärten Ehren-Vorstandschef Schröder, die 2001 die Steuer auf Veräußerungsgewinne strich und damit den Verkauf von Beteiligungen steuerlich attraktiv machte. Das Geflecht der Macht, das zwei Weltkriege überdauert hatte, begann sich immer schneller aufzulösen. Lothar Krempel, vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, hat das anhand der Zahlen der Monopolkommission untersucht. Noch Mitte der 1990er Jahre gab es 62 Kapitalverflechtungen zwischen den 100 größten Unternehmen. Im Kern des Netzwerks befinden sich immer noch die Finanzdienstleister, Deutsche Bank, Allianz, Münchener Rück und Dresdner Bank. 2006 gab es nur
noch 39 solcher Querverbindungen. Die Manager der Deutschen Bank hielten 1996 immerhin noch 32 Aufsichtsratsmandate, zehn Jahre später sind es lediglich 4. Auch die Villa Hügel ereilte die Zeitenwende. Thyssen-Krupps Patriarch Berthold Beitz, der auch mit fast 100 Jahren noch in sein Büro kam, starb am 30. Juli 2013 – auf den Tag genau 46 Jahre nach seinem Freund Alfred Krupp. Nur wenige Monate nach Beitz’ Tod verlor die Krupp-Stiftung ihre Sperrminorität. ThyssenKrupp hatte jahrelang Verluste gemacht und Milliarden in Werke in den USA und Brasilien versenkt und war ins Visier von Hedgefonds geraten, die eine Kapitalerhöhung forderten. Die Stiftung konnte nicht mitziehen. Mit einem Aktienanteil von 25 Prozent hatte die Stiftung unter Beitz bis dahin das Sagen gehabt bei dem Stahlkonzern, sie hatte feindliche Übernahmen und eine Zerschlagung über Jahrzehnte verhindert. Statt wie bisher drei Aufsichtsratsposten bei ThyssenKrupp darf die gemeinnützige Stiftung nur noch zwei besetzen. Während der Anteil der Stiftung sank, erhöhten die anderen Großaktionäre ihren Anteil: Der schwedische Hedgefonds Cevian, die amerikanische Fondsgesellschaft Franklin Mutual und – BlackRock. Der Nexus der neuen »Germany Inc.«. Nicht nur bei den Dax-Schwergewichten verabschieden sich nach und nach die angestammten Eigentümer – Familien, Stiftungen oder andere Unternehmen, die aus strategischem Interesse eine Beteiligung hielten. In den vergangenen Jahren hat sich der Abschied dieser Ankeraktionäre auch beim Mittelstand, der traditionellen Basis der deutschen Wirtschaft, deutlich beschleunigt. In einer Studie untersuchten die Beratungsunternehmen Cometis und Ipreo die Eigentümerstruktur von Unternehmen, die in den kleineren Dax-Indizes vertreten sind. Ergebnis: Im SDax – einem Index, zu dem unter anderem Puma, Heidelberger Druck und der Autovermieter Sixt gehören – belief sich der Anteil der Ankeraktionäre
Ende 2014 auf 41 Prozent. Nur zwölf Monate zuvor waren es noch 47 Prozent gewesen. Beim MDax – zu dessen 50 Werten unter anderem der Axel Springer Verlag, die Optikerkette Fielmann und die Osram AG zählen – waren es sogar nur 34 Prozent. Auch beim MDax hatte sich der Anteil binnen Jahresfrist noch einmal um vier Prozentpunkte verringert. Die neuen Aktionäre, die sich stattdessen in die Dax-Werte eingekauft haben, kommen mehrheitlich aus Nordamerika, Großbritannien und Skandinavien (Norges Bank Investment Management, der staatliche norwegische Pensionsfonds, ist einer der größten institutionellen Investoren in Deutschland.) Unter den Top 10 der Mittelstandsinvestoren finden sich mit der DWS, dem Vermögensverwaltungsarm der Deutschen Bank, und Allianz Global Investors nur noch zwei deutsche Finanzunternehmen. BlackRock war zum Zeitpunkt der Studie in Unternehmen des MDax mit rund 1,2 Milliarden Euro investiert – fast doppelt so viel wie noch ein Jahr zuvor. Und diese Summe bezieht sich allein auf die Fonds, die BlackRocks Fondsmanager aktiv betreuen. Insgesamt dürfte der Anteil noch höher ausfallen, denn 14 Prozent der MDax-Werte werden von Indexfonds, also passiven Investoren, gehalten. Und BlackRock verwaltet im Schnitt fast 80 Prozent seiner Gelder als passiver Investor. Damit gehören die New Yorker zu den führenden Finanziers des deutschen Mittelstands, zumindest der börsennotierten Unternehmen. (Stärkster aktiver Investor im MDax ist BlackRocks kleinerer kalifornischer Rivale Capital World Investors, eine 1,1 Billionen Dollar schwere Fondsgesellschaft, die den zweifelhaften Ruf genießt, so arrogant und geheimniskrämerisch aufzutreten, dass sie selbst abgebrühte Wall-Street-Kunden verprellte.) Die neuen Herren der Dax-Familie haben ihre eigenen Sitten und Gebräuche mitgebracht. Das hat für einige unangenehme Überraschungen bei den Angehörigen der
alten Deutschland AG gesorgt. Als etwa der DeutscheBank-Boss Josef Ackermann 2012 – wie in den alten Zeiten üblich –nahtlos vom Vorstand- in den AufsichtsratChefsessel wechseln wollte – zur Krönung seiner Karriere –, verweigerten ihm die ausländischen Anteilseigner die Zustimmung. Ackermann verzichtete – angeblich, weil er in seiner verbleibenden Zeit als Vorstand noch zu beschäftigt mit den Folgen der Finanzkrise sei und sich nicht auf die neue Rolle vorbereiten könne. BlackRock schweigt dazu, weil es sich grundsätzlich nicht zu einzelnen Unternehmen äußert. Aber Insider berichten, dass auch BlackRock als einer der Großaktionäre der Deutschen Bank Ackermanns Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats verhindert habe. Mehrfach hätten die Frankfurter für ihren Chef antichambriert – vergeblich. Die zuständige Person bei BlackRock erteilte ihnen eine klare Antwort: »No!« Ackermann kam offenbar den Personalplänen New Yorks in die Quere. Larry Fink machte öffentlich Werbung für »seinen« Spitzenkandidaten Anshu Jain. Jain galt zwar als ein Gewächs der Londoner City (was ihm in Deutschland genügend Sympathien kostete). Doch angefangen hat der Mann aus dem indischen Jaipur an der Wall Street. Er ist vertraut mit der Kultur und war willkommener Gast bei jenen Veranstaltungen, bei denen sich die Big Honchos der Street selber feiern. (Garniert sind solche Angelegenheiten mit einem Feigenblatt der Wohltätigkeit.) Andere Auslandsbanker dürfen dagegen nicht einmal Zaungäste sein. »Anshu hat einen fantastischen Job gemacht«, schwärmte auch Fink gegenüber der New York Times im Juni 2011. »Er würde einen sehr guten Vorstandschef der Deutschen Bank abgeben.« Ackermanns Wunschkandidat für seine Nachfolge war dagegen Ex-Bundesbankchef Axel Weber. Am 1. Juni 2012 wurde Jain zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank ernannt (gemeinsam mit Ko-Chef Jürgen Fitschen, der vor allem den Deutschen, die mit Jain, einem
Inder, als Chef der Deutschen Bank haderten, ein vertrautheimatliches Gesicht »ihrer« Bank präsentieren sollte). Eine Aktionärsrevolte drohte auch dem langjährigen Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber, der sich vor der Hauptversammlung 2013 bereits an der Spitze des Lufthansa-Aufsichtsrats gesehen hatte. Doch vor allem den amerikanischen Investoren passte der aus ihrer Sicht rasche Flip-Flop vom Manager zum Kontrolleur ganz und gar nicht. Sie drohten bei der Aktionärsversammlung gegen den Österreicher zu stimmen. Mayrhuber wurde zwar doch noch gewählt, aber in allerletzter Minute und mit peinlich knapper Mehrheit. So etwas wäre im Herrenclub früherer Tage nicht passiert. In der alten Deutschland AG löste man Konflikte bei einem gepflegten Essen oder mit einem diskreten Anruf. Oder wie ein ExBanker, der lange bei einem der großem Institute war, es ausdrückt: »Die Deutschland AG hat viele geschützt. Heute ist jedes Unternehmen den vier Jahreszeiten ausgesetzt.« So ist der Aufsichtsrat ein ungemütlicher Posten geworden. »Im angelsächsischen Raum schicken die Investoren ›ihren‹ Vertreter in den Aufsichtsrat, der dort ihre Interessen wahrnehmen soll. Das ist amerikanische Corporate Governance. Und das wollen sie dann in Deutschland natürlich auch«, sagt Peter Dehnen, ein Anwalt, der sich auf die Beratung von Aufsichtsräten spezialisiert hat. Nach deutschem Recht und deutscher Corporate Governance ist das nicht zulässig – der Aufsichtsrat gehört zu den »inneren Organen« des Unternehmens und als solches ist er unabhängig und allein dem Wohl des Unternehmens und allen mit ihm verbundenen Parteien – also auch der Belegschaft – gleichermaßen verpflichtet. Dehnen sah in den vergangenen Jahren einen derartig großen Orientierungsbedarf bei den verunsicherten Konzernkontrolleuren, dass er eine eigene
Interessensvertretung für sie gründete: die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland, mit über 100 Mitgliedern. Einmal im Jahr trifft man sich zum Austausch, dabei geht es um Themen wie »Teamkompetenz«, »Strategiekompetenz« und »Personalkompetenz«. Bei einem der vergangenen Treffen arbeitete man sich im »Zukunftsforum« am »Leitbild Aufsichtsrat« ab – immerhin von Talk-Ikone Sabine Christiansen prominent moderiert. Auf jeden Fall ist es eine anstrengendere Agenda als die Speisekarte des »Goldenen Hirschen«. Eine ganze Branche ist entstanden, um den deutschen Bossen den richtigen Umgang mit ihren neuen, amerikanischen Eignern nahezubringen. So trifft sich eine Gruppe von Beratern in Düsseldorf regelmäßig, um über die richtige Interpretation der neuesten Schriften von Lucian Bebchuck zu brüten. Bebchuck, ein HarvardProfessor, gilt als Guru der Corporate Governance, der richtigen Unternehmensführung. »Alles, was in den USA Praxis ist, landet über kurz oder lang bei uns«, erklärt Burkhard Fassbach, einer der Initiatoren des Kreises, die Motivation der Teilnehmer. Da will man nicht unvorbereitet sein. Fassbach hat sich auf Aufsichtsratshaftungsfragen spezialisiert, ein Fachgebiet, das es bis vor kurzem in Deutschland in der Form gar nicht gab. Inzwischen gehören juristische Auseinandersetzungen zwischen Aktionären und Aufsichtsrat oder auch zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zum Alltag. Zu den Errungenschaften des Finanzkapitalismus 2.0 zählt auch die Position der Investor Relations – gerne schnittig IR abgekürzt. Diese Position ist meist an den Vorstand angedockt. Sie ist mit dem Aufstieg der Fonds zu Großeigentümern entstanden. Die Unternehmen stellen die IR als eine Art Aktionärspflege ab. Ihre Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, die großen Anteilseigner bei Laune zu halten. Nach dem Abschied der Ankeraktionäre der alten
Deutschland AG sind über 80 Prozent der Dax-Werte in Streubesitz und somit ihre Aktien im Kapitalmarkt frei gehandelt. Das führt dazu, dass es schon genügt, wenn ein Fonds Anteile im einstelligen Prozentbereich hält, um Einfluss zu haben. (Das Beispiel mit den Gummi-Entchen!) »Wenn wir eine Liste unserer Top 10 zusammenstellen, dann gilt ein Investor mit einem Prozent bereits als Großaktionär«, sagt der IR-Manager eines DaxUnternehmens. Zu den Schwierigkeiten der IR gehört, dass es gar nicht mehr so einfach ist zu wissen, wer gerade ein Großaktionär ist und wer bereits nicht mehr. Zwar gibt es die Stimmrechtspflichtmeldungen an die Bafin, die das Wertpapierhandelsgesetz vorschreibt, sobald der Anteil bestimmte Schwellen überschreitet. (Jene Meldungen, bei denen BlackRock mit der Bafin Probleme bekam.) Aber die Meldungen geben nur eine ungefähre Hausnummer. Um es genau zu wissen, erteilen die IR regelmäßig Spezialisten den Auftrag, die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse ausfindig zu machen. Die Aktionärsdetektive klappern dann Investmentbanken und Investoren ab und rufen bei DepotBanken an, die Stimmrechte von ihren Kunden übertragen bekommen haben. Abgesehen von einer Liste der wichtigsten Anteilseigner interessiert die IR auch, wer die Aktien ihres Unternehmens kauft – beziehungsweise verkauft und möglichst auch warum. Ist die gesamte Branche bei Investoren gerade unbeliebt geworden und hat der Fondsmanager die Aktie deshalb abgestoßen? Oder zeigt es Unzufriedenheit mit dem Unternehmen selbst? Solche Fragen sollen die Zahlenknechte herausfiltern. Denn die IR sollen dafür sorgen, dass der Aktienkurs keine heftigen Ausschläge erleidet – idealerweise soll er sich stetig nach oben entwickeln. Doch seit die deutschen Unternehmen den Turbulenzen des globalen Kapitalmarkts ungeschützt ausgesetzt sind, bedarf das einigem Einsatz und Geschick. Ganz schlecht sind Überraschungen. Etwa ein Umsatzeinbruch. Der sollte die Investoren nicht
unvorbereitet treffen. Wenn die schlechten Zahlen über den Nachrichtenticker gehen, ist es schon zu spät. Dann gilt das bewährte Wall-Street-Motto: »Erst verkaufen, dann fragen!« Kein Investor will sich hinterher ärgern, dass er die Loser-Aktie nicht schnell noch abgestoßen hat. Auf unangenehme Botschaften muss der IR seine Großaktionäre deshalb schonend einstimmen. Allerdings darf er ihnen keine konkreten Zahlen vor den anderen Aktionären geben – das wäre ja dann Insiderhandel. Da gilt es, vorsichtig zu sein. Guten Aktionärs-Dompteuren muss das Kursmanagement per Andeutung gelingen. Zum Alltag in der neuen Germany Inc. gehören Konferenzen, bei denen die Investor-Relations-Leute und ihre Vorstände die Unternehmenseigner persönlich treffen. Organisiert werden diese Zusammenkünfte meist von den Banken, meist in einem Frankfurter Hotel. Wer allerdings erwartet, etwa mit den Herren und Damen von BlackRock dort beim Fingerfood zu plauschen, sieht sich herbe enttäuscht. Die großen Investoren ziehen es vor, stattdessen eine Suite im selben Hotel zu mieten. Dorthin bitten sie dann nacheinander die Vorstände der jeweiligen deutschen Unternehmen zum Stelldichein. Dann und wann gehen die Unternehmenschefs – vor allem die Finanzchefs – auf »Roadshow« und statten ihren ausländischen Großaktionären einen Besuch ab. Sie reisen dann nach London oder New York. Reiseveranstalter sind bei dieser Gelegenheit wieder die Banken, die auch die Zeche bezahlen. Die Banker hoffen, dass sich das langfristig über Honorare und Provisionen wieder einspielt und sie im Gegenzug bei künftigen Aufträgen von Unternehmen und Investoren berücksichtigt werden. Dafür arrangieren die Banker ein Rundum-sorglos-Reisepaket: Sie sorgen dafür, dass die Vorstände ihre Termine bei den wichtigen Investoren bekommen und auch für die standesgemäße Unterbringung und ein standesgemäßes Transportmittel (ein Mercedes S-Klasse oder ein vergleichbares Modell
sollte es schon sein!). Die britischen Aufsichtsbehörden stoßen sich inzwischen allerdings an dem Arrangement, sie wollen eine größere Transparenz, wer an wen und warum zahlt. In die drohende Lücke sind neue Dienstleister gesprungen – Ex-Banker, die sich quasi als Reisebüro für Investoren-Roadshows selbstständig gemacht haben. Für kleinere Unternehmen wird es dadurch allerdings schwieriger werden, ihre Investoren zu treffen oder neue kennenzulernen, fürchtet ein Insider. Sie können sich künftig die teuren Trips nur selten leisten. Bisher zahlt der Investor indirekt über Banker-Provisionen für die Kleineren mit. Bei den größeren Unternehmen wird regelmäßiges Erscheinen erwartet. BlackRock etwa wünsche, so berichtet der IR eines Dax-Unternehmens, den Vorstandschef oder zumindest den Finanzchef zweimal jährlich in London, zweimal in New York und zweimal in Edinburgh zum Rapport zu sehen. (In der schottischen Hauptstadt sitzen Analysten und Fondsmanager, die BlackRocks Engagements in Europa managen.) In modernen Aktiengesellschaften herrscht, zumindest formal, Demokratie. Die Aktionäre bestimmen den Aufsichtsrat und der wiederum den Vorstand. Bei der Hauptversammlung – für die meisten Unternehmen fällt sie auf einen Frühjahrstag – stimmen die Anteilseigner über Vorschläge des Managements und Forderungen von Aktionären ab. Die wichtigste Aufgabe für die IR ist es, die Hauptversammlung so vorzubereiten, dass sie reibungslos – also im Sinne des Vorstands – über die Bühne geht. Idealerweise, aus der Sicht der Investor Relations und der Manager, sollten die Aktionäre die Vorstandsvorschläge ohne große Diskussion durchwinken. Um sich zu wappnen, bereiten die IR-Abteilungen Hunderte von Antworten auf potenzielle Fragen vor. Große Konzerne engagieren zusätzlich externe Berater, die bei der Optimierung der Tagesordnung helfen sollen. In Gesprächen im Vorfeld sondieren die IR-Leute die Stimmung unter den Aktionären.
Sie versuchen Verbänden von Kleinaktionären, die mit nervigen Nachfragen stören könnten, vorab den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die größte Gefahr sind jedoch nicht Grantler und Querulanten. »Stell dir vor, es ist Hauptversammlung und keiner geht hin«, das ist das Schreckensszenario für die Unternehmen. Eines der Probleme ist, ähnlich wie bei der Bundestagswahl, die Gleichgültigkeit vieler Aktionäre, die auf eine Stimmabgabe schlicht verzichten. »Die Präsenz auf der HV ist für uns als Unternehmen ein großes Thema, sonst kann schnell einmal aus einer 6-bis-7-Prozent-Beteiligung eine Sperrminorität werden. Wenn 30 Prozent unseres Kapitals auf der HV präsent sind, sind wir schon zufrieden«, erzählt der langjährige Investor Relations Manager eines deutschen Finanzkonzerns. Selbst bei den großen Dax-Konzernen liegt die Beteiligung in den vergangenen Jahren nicht selten unter 50 Prozent. Und das ist bereits ein Grund zum Feiern! Bei der Hauptversammlung der Deutschen Bank im Mai 2015 zeigten gerade mal 33 Prozent der Anteilseigner Präsenz – obwohl es um die Zukunft der Vorstände Anshu Jain und Jürgen Fitschen ging, die wenige Wochen später gehen mussten. Das Problem einer niedrigen Beteiligung: Wenn nur ein geringer Teil des stimmberechtigten Kapitals erscheint, dann schwächt dies das Management. Oder, noch schlimmer, dann reichen die Stimmen bereits kleinerer Querschläger aus, um eine Sperrminorität zu bilden und die Pläne des Vorstands mal eben so zu durchkreuzen. Oder ein Aufsichtsratskandidat wird abgewatscht und abgelehnt oder – Worst Case – eine Kapitalerhöhung scheitert. Eine solche Blamage bringt Schlagzeilen, Unruhe und auf jeden Fall den Kurs ins Rutschen. Also all das, was IR zu verhindern suchen. Im Griff der kalifornischen Sondereinheit
Für BlackRocks Imperium übt eine 21-köpfige Spezialeinheit die Aktionärsrechte aus. Ihre Mitglieder sorgen dafür, dass BlackRocks Interessen von Managern weltweit berücksichtigt werden. Sie arbeiten verteilt auf sechs Büros in fünf verschiedenen Ländern und drei Weltregionen. Hauptquartier ist ein Büro in San Francisco. Dort laufen die Fäden zusammen, die eine rothaarige Mittvierzigerin namens Michelle Edkins in der Hand hält. Die gebürtige Neuseeländerin hat den Job 2010 übernommen und bemüht sich nun darum, dass BlackRock eine klarere Linie in Sachen Corporate Governance fährt. Corporate Governance wurde zum Schlagwort nach den Skandalen von Enron und Worldcom Anfang der 2000er Jahre, bei denen Beschäftigte Tausende Jobs und Anleger Hunderte Milliarden verloren. Beim texanischen Energieunternehmen Enron, das vom Wirtschaftsmagazin Fortune sechs Jahre hintereinander zum »innovativsten Unternehmen Amerikas« gekürt worden war, stellte sich heraus, dass die Gewinne nur auf dem Papier bestanden und schlicht eine Art Hütchenspiel mit Derivaten waren. Bei Worldcom fälschte CEO Bernie Ebbers ganz klassisch die Bücher und kaufte sich eine Ranch, dreimal so groß wie New York City sowie eine Herde mit 22 000 Rindern. Investoren und Regulierer schworen, dass solche frechen Betrügereien nie wieder vorkommen und bessere Kontrollen in den Unternehmen stattfinden sollten. Darüber bei den Tausenden Unternehmen im Portfolio zu wachen, ist nun die Hauptaufgabe von Edkins Abteilung. Sie und ihre Aktionärs-Soko haben für ihre Mission sogar einen eigenen Jargon entwickelt. Hält ein Aufsichtsrat zu viele Mandate bei unterschiedlichen Unternehmen, dann macht er sich des »overboarding« schuldig. Er ist nach Ansicht der BlackRock-Truppe zu beschäftigt, um sich um jedes einzelne Unternehmen genug zu kümmern. Ein anderer Begriff ist »Engagement«, der im Englischen einen militärischen Beigeschmack hat. Bei BlackRock bedeutet
es, dass ein Analyst losgeschickt wird, um bei dem betreffenden Unternehmen nach dem Rechten zu sehen, mindestens aber müssen die Unternehmenschefs mit einem bohrenden Anruf rechnen. Jährlich erhalten rund 1 500 Unternehmen aus BlackRocks Reich einen Besuch von einem Kollegen aus Edkins Team oder zumindest ein paar Anrufe, 1 432 waren es laut Rechenschaftsbericht 2013. »Refreshment«, Auffrischung, ist kein Kururlaub für müde Aufsichtsräte, sondern Maßnahmen, die drohen, wenn »Engagement« nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hat. Dann ist nach BlackRocks Ansicht möglicherweise ein Personalwechsel angesagt. So beschreibt es jedenfalls die New York Times 2013 in einem atemlosen Bericht über Edkins Truppe. »Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Manager zu einem hohen Grad auf private Ansprache reagieren«, erklärte Edkins zufrieden dem Branchenjournal Pensions & Investments. Das überrascht nicht – welcher Vorstand hat nicht ein offenes Ohr für einen seiner größten Eigentümer? Und oft genug ist BlackRock nicht nur das, sondern gleichzeitig auch ein wichtiger Gläubiger, der Anleihen und Kredite hält. Mehr Karten kann man eigentlich kaum in der Hand haben. Allerdings läuft das – wie alles im Hause BlackRock – im Hintergrund ab. »Niemandem ist damit gedient, wenn zwei Seiten sich in den Zeitungen bekriegen«, erklärt Larry Fink seine Vorliebe für Diskretion im Vorwort zum CorporateGovernance-Jahresbericht 2012, der BlackRocks Aktivitäten als Großaktionär zusammenfasst. Ganz unverblümt heißt es zwei Seiten weiter zur Aktionärsphilosophie von BlackRock: »Wir sprechen nicht öffentlich über unser Vorgehen bei einem Unternehmen, weil es keine Schlagzeilen braucht, um Aktionärsinteressen zu bewahren.« Damit bleiben Forderungen und Wünsche, die BlackRock an die Manager heranträgt, hinter den Kulissen. Was genau bei den »Engagements« mit den Unternehmenschefs besprochen
wird und welchen Einfluss sie haben, das wissen nur die Betreffenden selbst. Einer der seltenen Fälle, in denen BlackRocks Wünsche publik wurden, war im Mai 2014 im Zusammenhang mit dem Versuch des amerikanischen Pharmariesen Pfizer, den britisch-schwedischen Konkurrenten AstraZeneca zu übernehmen. Pfizer wollte sich durch die Fusion vor allem Steuervorteile sichern. Das US-Unternehmen plante, eine spezielle Holding zu gründen und deren Sitz nach London zu verlegen. Dadurch hätte der Konzern Hunderte Millionen Dollar sparen können. Die Übernahme scheiterte, AstraZeneca lehnte ab. Pfizer zog sich zurück, denn in Großbritannien muss der Aufkäufer mehrere Monate warten, bevor er erneut ein Angebot abgeben darf. BlackRock, ein Großaktionär bei AstraZeneca, forderte dessen Vorstand auf, nach der gesetzlich vorgeschriebenen Wartefrist erneut mit Pfizer zu verhandeln. Das zumindest steckte ein Insider dem New-York-Times-Blog Dealbook. Auch wenn der Inhalt der Gespräche zwischen den Managern der Unternehmen und den Vertretern ihrer Großaktionäre streng vertraulich ist, ihr Effekt ist nachweisbar. Das zumindest ist die Schlussfolgerung einer Studie, die sich mit den Auswirkungen des Finanzkapitalismus 2.0 beschäftigt hat. Eine Folge der breit gestreuten Beteiligungen der großen Fondsgesellschaften wie BlackRock, Vanguard und Fidelity ist, dass Unternehmen einer Branche vielfach derselben Gruppe von Eigentümern gehören. (Bei einer Investition in einen Branchenindex etwa ist das per definitionem für den ETFHerausgeber sogar notwendig.) So sind zum Beispiel bei den rivalisierenden US-Drogerieketten CVS und Walgreens fünf der zehn größten Eigentümer identisch: BlackRock, Vanguard, Wellington Management, State Street und Franklin. (Stand März 2015) »Wie wirkt sich diese gemeinsame Eigentümerstruktur auf das
Konkurrenzverhalten aus?«, wollte der Finanzökonom Martin Schmalz, Dozent an der University of Michigan, wissen. Also: Scheut CVS nun einen Preiskampf mit Walgreens, um Marktanteile zu gewinnen, weil der letztlich dem gemeinsamen Eigentümer schadet oder zumindest nichts nützt? Man könnte auch fragen: Gibt es im Finanzkapitalismus 2.0 dieselben monopolistischen Effekte wie unter John Pierpont Morgan? Schmalz untersuchte diese neue Art Oligopol in einer Studie zusammen mit seinen Kollegen José Azar und Isabel Tecu (September 2014). Er schaute sich amerikanische Fluggesellschaften an und deren Preise sowie Passagieraufkommen auf bestimmten Strecken. Als Startpunkt nahm er die Übernahme der iShares durch BlackRock 2009. Die Übernahme sorgte für eine stärkere Konzentration der Eigentümer der Airlines, die bestimmte Flugstrecken bedienten – und sich dabei eigentlich Konkurrenz machen sollten. Das Resultat: Ticketpreise waren rund 5 Prozent höher und das Passagieraufkommen rund 6 Prozent geringer als diese Werte gewesen wären, wenn die konkurrierenden Airlines auf der Strecke verschiedenen Eigentümern gehört hätten. Das Absinken der Passagierzahlen bedeutet, dass die Preise offenbar nicht wegen höherer Nachfrage angezogen hatten. Vor allem in Sektoren mit einer beschränkten Anzahl an Wettbewerbern, so Schmalz, gelte: »Gemeinsame Eigentümer kombiniert mit dem Axiom der ShareholderValue-Maximierung impliziert Anreize für Firmen in den Portfolios die Quantität zu reduzieren und Preise zu erhöhen und den damit miteinhergehenden Wohlfahrtsverlust für die Volkswirtschaft.« Weniger akademisch ausgedrückt: Während die Anteilseigner von der Konzentration der Eigentümer profitieren, zahlen die Verbraucher drauf. Dabei seien sich die Vertreter der Fonds, die mit den Managern des Unternehmens sprechen,
höchstwahrscheinlich nicht einmal bewusst, dass sie sich wettbewerbsverzerrend verhalten, glaubt Schmalz. Es reiche schon, wenn etwa der Fondsvertreter – der ja die Situation der Konkurrenz auch gut kennt – dem Vorstand den Hinweis gibt, lieber höhere Margen anzustreben, statt um mehr Marktanteile zu kämpfen. Wenn man sich jetzt vor Augen hält, dass BlackRock in vielen Branchen Anteile an den verschiedenen Konkurrenten hält, dann bekommt man eine Ahnung von dem potenziellen Problem. Oder wie Autoren des OnlineMagazins Slate unter der Überschrift »Die dunkle Seite der Investmentfonds« anlässlich der Studie anmerkten, vielleicht sei nicht Kapitalismus per se schuld an dem dramatischen Aufstieg des 1 Prozent der Superreichen, sondern die Art, wie unser Finanzsystem organisiert ist. Die Wettbewerbshüter haben sich mit diesem Thema bisher nicht auseinandergesetzt. Schmalz ist aber überzeugt, dass das nur eine Frage der Zeit ist. Besser als auf den Anruf oder den Besuch eines BlackRockVertreters zu warten, ist es, den Wünschen von Fink und Co. zuvorzukommen: Wer ein gutes Verhältnis zu dem schwarzen Riesen haben will, sollte BlackRock am besten regelmäßig auf dem Laufenden halten. Sein Unternehmen wünsche »einen Dialog«, erklärte Fink 2012 in einem Brief an 600 Vorstände, an deren Unternehmen BlackRock beteiligt war. Weigert sich das Management auf die Vorstellungen von BlackRock einzugehen, kann es allerdings ungemütlich werden. »Wir werden gegen das Management stimmen, wenn wir zu dem Schluss kommen, dass unsere direkte Ansprache zu nichts geführt hat«, heißt es in dem BlackRock-Zehnpunkteplan für den Umgang mit Unternehmen. Vorstände, die einen ihrer größten Anteilseigner gegen sich haben, sitzen auf einem wackeligen Stuhl …
Opposition von Vorständen muss BlackRock aber kaum fürchten. Mehr Ärger bereiten da andere Anleger, die den Interessen des Riesen in die Quere kommen. Mehrfach hat Fink scharfe Worte gegen »aktivistische Investoren« gefunden, von denen er sich distanzieren will. Diese Anleger – oft sind es Hedgefonds – gelten als die Rabauken unter den Investoren, denn sie wollen Unternehmen ihren Willen aufzwingen. Dazu kaufen sie entsprechend Anteile auf, die ihnen das Recht geben, einen oder mehrere Aufsichtsratsposten zu besetzen. Die von ihnen entsandten Aufsichtsräte haben dann zur Aufgabe, die Unternehmensleitung in die von ihrem Investor gewünschte Richtung zu drängen. Meist geht es ihnen schlicht darum, dass das Unternehmen mehr Geld an seine Aktionäre auszahlt. Oder sie drängen auf die Abspaltung von Unternehmensteilen, um dabei Kasse zu machen. Als Index-Investor ärgert sich Fink über die Abkassierer-Fonds, die meist ihre Anteile wieder abstoßen, nachdem sie ihre Forderungen abgepresst haben oder das Unterfangen gescheitert ist. Für Anleger, die nicht so einfach verkaufen können, zu denen Fink zumindest mit seinen ETFs zwangsläufig gehört, sind die Aktionen der Aktivisten störende Zwischenspiele. In einem Brief vom April 2015 an Vorstandschefs amerikanischer Unternehmen warnte er, sie sollten sich durch diese Art Anteilseigner keine kurzfristigen Ziele aufzwingen lassen. »Aktivismus zerstört Jobs«, proklamierte Fink gar öffentlich bei der DealbookKonferenz 2014 in New York, bei der sich jedes Jahr die Top-Dogs der Wall Street auf einen Plausch mit ihrem Lieblingsjournalisten Andrew Ross-Sorkin einfinden. Finks Aversion gegen Aktivisten gilt allerdings offenbar nicht, wenn die Aktionen der Aktivisten potenziell günstig für BlackRock sein könnten. Dann macht BlackRock durchaus gemeinsame Sache mit ihnen. Wie das Wall Street Journal unter Berufung auf D. F. King, ein Aktionärsberatungsunternehmen, berichtete, stimmte
BlackRock zwischen 2009 und 2013 bei 50 Auseinandersetzungen um die Nominierung von aktivistischen Aufsichtsräten immerhin in 34 Prozent der Fälle mit den Aktivisten. Erz-Rivale Vanguard, ebenfalls maßgeblich ein Indexfonds-Investor, tat das nur in 11 Prozent dieser Fälle. (Die mehrheitlich aktiven Fondsmanager von Fidelity machten in 44 Prozent der Fälle gemeinsame Sache mit den Hedgies.) Informationen in der Einbahnstraße Um die deutschen Unternehmen kümmert sich der Londoner Ableger von Edkins Team. Allerdings müssen sich die Deutschen deren Aufmerksamkeit teilen. Die insgesamt fünf Mitarbeiter dort betreuen BlackRocks Beteiligungen in ganz Europa, dem Mittleren Osten und Afrika, kurz EMEA genannt. Legt man die relevanten Börsenindizes für diese Region zugrunde, sind dort mehr als 600 Unternehmen börsennotiert. Zum Vergleich: Andere Dienstleister, die mit der Wahrnehmung von Aktionärsrechten Geld verdienen, wie etwa die britische Hermes Equity Ownership Services haben einen deutlich höheren Betreuungsschlüssel: »Ein Mitarbeiter von uns betreut etwa zehn bis zwanzig Unternehmen. Nur so viel ist möglich, wenn man sich sinnvoll um ein Unternehmen kümmern will«, sagt HansChristoph Hirt, Director bei Hermes Equity Ownership Services. Mit dem Anteil an einem Unternehmen steigt die Verantwortung. »Wenn wir 3 Prozent an einem größeren Unternehmen halten, dann ist der Dialog intensiv.« Immerhin erhalten die BlackRock-Corporate-GovernanceTeams Unterstützung aus dem Haus, und zwar von den Aktienanalysten und Fondsmanagern, die sich die Aktie ins Portfolio geholt haben. Bei einigen deutschen Unternehmen sind sie die Ansprechpartner. Der IR-Leiter eines ChemieUnternehmens im Dax etwa hatte noch nie mit der Edkins-
Truppe zu tun, wohl aber mit dem Analysten für die Chemiebranche. Nach welchen Kriterien sich die Zuständigkeit entscheidet, darüber herrscht zumindest bei den betroffenen Unternehmen Rätselraten. Ein anderer Investor Relations Manager klagt, er wisse nie genau, wer eigentlich bei BlackRock für ihn zuständig sei. Wieder ein anderer gibt zu Protokoll, für ihn sei nicht ersichtlich, welche Abteilung bei der Hauptversammlung die Stimmrechte für BlackRock ausübt. Über ihr Verhältnis zu BlackRock möchten die Unternehmensvertreter nicht öffentlich reden. Über ihr Intimleben zu plaudern, würde ihnen wahrscheinlich leichter fallen. Aber wer will schon einen der wichtigsten Aktionäre – oft ist BlackRock sogar der größte Aktionär – verärgern? Nur nach der Zusicherung absoluter Anonymität waren IR von Dax-Unternehmen verschiedener Größe und aus verschiedenen Branchen zu vertraulichen Gesprächen bereit. Keiner der Befragten ist ein Neuling: Sie alle machen den Job seit Jahren, teilweise Jahrzehnten. In einem stimmten alle überein: BlackRock sieht Informationen als Bringschuld. Die BlackRock-Vertreter erwarten, dass die Unternehmen bei wichtigen Fragen auf sie zukommen. Der Informationsfluss geht allerdings nur in eine Richtung. Das ist nicht nur bei BlackRock so. Die Anteilseigner müssen dem Unternehmen nicht mitteilen, wenn sie die Aktie abstoßen oder warum. Genauso wenig, wie sie erklären müssen, warum sie ihren Anteil aufstocken. Oft vergehen sechs bis acht Wochen ehe die Unternehmen erfahren, dass sich bei ihren großen Eigentümern etwas verändert hat. »Von uns wird absolute Transparenz verlangt, aber die Fonds müssen uns nichts mitteilen«, ärgert sich der IR-Manager eines Unternehmens im Gesundheitswesen. Nicht einmal, wie viele Stimmrechte auf passives oder aktives Engagement entfallen. Das macht durchaus einen Unterschied, weil die passiven Stimmen an die Zugehörigkeit zum Index
geknüpft sind und deshalb nur abgestoßen werden, wenn sich am Index etwas ändert. »Um diese Information zu bekommen, müssen wir extra Dienstleister bezahlen!«, beschwert sich der Vertreter eines Finanzkonzerns. Immerhin – alle befragten deutschen Unternehmensvertreter und Investmentprofis sind sich einig: Im Unterschied zu anderen Großinvestoren bemüht sich BlackRock, zumindest die wichtigsten Aktionärspflichten zu erfüllen, wie etwa die Stimmen für die Hauptversammlung rechtzeitig zu registrieren und bei der Hauptversammlung abzustimmen. »Professionell«, »informiert« waren häufig verwendete Begriffe, wenn es um die BlackRock-Vertreter ging. Keiner klagte über ein angespanntes Verhältnis, alles sei »stinknormal«, wie es der IR eines Dax-Chemieunternehmens formuliert. Finks Corporate-Governance-Truppe legt demnach Wert auf die formalen Requisiten der guten Unternehmensführung. Darunter fällt etwa die Einhaltung einer »Abkühlungsphase«, bevor ein ehemaliger Vorstand in den Aufsichtsrat wechseln darf. Oder die Forderung nach mehr Frauen in der Vorstandsriege. Was aber auch zutage kam: Mehr als dieses Minimum an Engagement findet bei einem der größten Eigentümer deutscher Konzernanteile in der Regel nicht statt. Im Jahresbericht 2013 des CorporateGovernance-Teams von BlackRock liest sich das ganz anders. »Wir bauen Beziehungen zu unseren PortfolioUnternehmen auf, um ein gegenseitiges Verständnis in Fragen der Performance, Strategie und Risikominderung aufzubauen«, heißt es in der Broschüre mit dem schönen Titel »Taking the long view«. In dem Vierteljahresbericht vom Herbst 2014 beschreibt die Londoner Corporate-Governance-Truppe ein paar – stets anonymisierte – Beispiele ihrer Einsätze. Einmal habe man mit einem »großen Schweizer Konsumgüterhersteller über verantwortungsbewusstes Marketing gesprochen«. Gemeint ist da wohl Nestlé und die Kritik an der
Vermarktung von Babynahrung, die allerdings bereits seit einigen Jahrzehnten erhoben wird. Die BlackRock-Prüfer kommen zu dem Schluss, der Konzern erfülle inzwischen die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation. »Wir werden die Fortschritte weiter überwachen«, schließt der Bericht. In einem anderen Fall geht es um die Bezahlung der Manager einer russischen Bank. Dabei will BlackRock, dass die Bezüge für die Bankbosse künftig erfolgsabhängig sein sollen. Aus den Statistiken lässt sich klar herauslesen, dass BlackRocks Schwerpunkt in den USA liegt: Dort fanden nach BlackRock-Angaben 2013 immerhin 658 aller »Engagements« der Edkins-Truppe statt, in den Regionen Europa, Mittlerer Osten und Afrika waren es insgesamt 231, Großbritannien 211, in Asien 332. Laut dem Jahresbericht 2012 fanden in dem Jahr 692 »Engagements« in Amerika statt, 283 in Australien und Neuseeland, 186 in Großbritannien, 134 in Kontinentaleuropa, dem Mittleren Osten und Afrika, 116 in Japan und 35 im restlichen Asien. Laut dem Corporate-Governance-Bericht 2013 hat BlackRock bei über 14 000 Hauptversammlungen mit abgestimmt, davon waren 2 405 bei Unternehmen in Europa. Ähnlich sah das Verhältnis im Jahr zuvor aus. Trotz mehrfacher Nachfragen war BlackRock nicht bereit, ein Gespräch mit Team Edkins über BlackRocks CorporateGovernance-Praktiken generell und speziell in Deutschland zuzulassen. Stattdessen bat das PR-Team um einen schriftlichen Fragenkatalog. Die Antworten kamen nach Wochen und und gaben zum großen Teil in Passagen den Inhalt der Corporate-Governance-Berichte wieder. Offenbar hat Deutschlands größter Aktionär kein Interesse, gezielte Nachfragen zum Umgang mit seinen Portfoliounternehmen in der Öffentlichkeit zu beantworten. Die aufwendigen Broschüren und informationsgeladenen Webseiten können nicht über ein Problem hinwegtäuschen: Die neuen Großkapitalisten können sich nur um gezählte
Unternehmen in ihrem Besitz wirklich kümmern. Denn die Aktionärsrolle richtig auszufüllen, bedeutet Aufwand. Einen Aufwand, den große Fondsgesellschaften nicht nur für ein einzelnes Unternehmen betreiben müssen oder müssten, sondern für Hunderte Unternehmen in ihren Portfolios. In Dutzenden Ländern, nach den jeweiligen Vorschriften. Allein die damit verbundene Bürokratie – etwa das ordnungsgemäße Anmelden der Stimmrechte – kostet Manpower, kostet Geld. Kosten, die ein Fondsanbieter nur bedingt in Form von Gebühren an seine Kunden weitergeben kann. Denn die Vermögensverwalter liefern sich einen harten Konkurrenzkampf. BlackRock ist selbst eine börsennotierte Gesellschaft, deren Anteilseigner wachsende Gewinne und steigende Kurse sehen wollen. Wenig überraschend gehen die großen Fondsgesellschaften bei ihrer Interaktion mit den Unternehmen in ihren Portfolios gezielt vor und beschränken sich beim großen Rest auf das Notwendigste. Finks Aufruf zu einem ständigen Dialog mit den Managern seiner Portfolio-Unternehmen kann man auch als Eingeständnis verstehen, dass BlackRock selbst nicht bei jedem Manager nachfragen kann. BlackRock ist zwar die größte Fondsgesellschaft, die mit dem Problem zu kämpfen hat, aber bei Weitem nicht die einzige. Die großen Fonds müssten bei all den Unternehmen, an denen sie eine Beteiligung haben, bei der Hauptversammlung erscheinen. Und nicht nur das: Sie müssten auch alle jeweiligen Tagesordnungspunkte kennen und sich eine Meinung zu denen gebildet haben, die zur Abstimmung anstehen. Punkte wie die Vergütung der Manager des Unternehmens, die Höhe der Dividendenausschüttung oder eine anstehende Kapitalerhöhung. Sie müssten sich als Aktionäre im Vorfeld über die Kandidaten für Vorstand oder Aufsichtsratsposten schlau gemacht haben. Und natürlich die Performance des Unternehmens bewertet haben. Und das alles nicht nur für
ein Unternehmen, sondern für Hunderte, womöglich Tausende in verschiedenen Ländern. Da kamen findige Köpfe an der Wall Street auf die Idee, einen Service anzubieten, der den überlasteten Fondsverwaltern diese Arbeit abnimmt. So entstand der Job eines »Proxy Advisors«, zu deutsch genauso kryptisch »Stimmrechtsberater«. Der nach wie vor größte Anbieter solcher Dienstleistungen rund um die »Corporate Governance« ist das 1985 gegründete New Yorker Unternehmen Institutional Shareholder Service, besser bekannt unter dem Kürzel ISS. Bei über 7,5 Millionen Abstimmungen übernimmt ISS für die eigentlichen Aktionäre und vertritt nach eigener Aussage die Stimmrechte von über vier Billionen Aktien. (Die Nummer zwei in diesem Markt der Aktionärsflüsterer ist Glass Lewis, die Tochter eines kanadischen Pensionsfonds.) Die Stimmrechtsberater analysieren im Auftrag von Pensionkassen, Hedgefonds oder eben Investmentfonds wie denen von BlackRock die Tagesordnungen für die jeweilige Hauptversammlung und bewerten Kandidaten für Vorstand und Aufsichtsrat. Dann empfehlen sie ihren Auftraggebern, wie diese in dem jeweiligen Punkt abstimmen sollen. Maßstäbe sind dabei Corporate-Governance-Leitfäden wie eine Vermeidung von Ämterhäufung bei Aufsichtsräten oder eine »Cool off«-Periode für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat. Aber es gibt auch spezifische Vorgaben des Auftraggebers – etwa Umweltschutz oder soziale Kriterien, die die Stimmrechtsberater bei ihren Analysen berücksichtigen. Doch nicht einmal die Stimmrechtsberater schaffen die Aufgabe ohne Hilfe. ISS etwa hat ein in der Corporate-Governance-Branche viel bewundertes SoftwareSystem, das Tagesordnungen von Hauptversammlungen entsprechend durchsiebt und Empfehlungen praktisch automatisch erstellt. (Diese werden laut ISS aber noch von menschlichen Analysten überprüft.) Die Fonds müssen den Empfehlungen nicht folgen, tun es aber überwiegend.
Warum sollten sie sonst Millionen an Gebühren an ISS oder Glass Lewis zahlen? Ihre Tätigkeit hat den Stimmrechtsberatern inzwischen selbst zu Einfluss verholfen. Auch in Deutschland. Sie seien die »heimliche Macht« im Dax behauptete etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im April 2015. Kurz darauf, im Mai, lieferten diese die Probe aufs Exempel. ISS empfahl im Vorfeld der Hauptversammlung der Deutschen Bank ihren Klienten, gegen eine Entlastung der CoVorstandschefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen zu stimmen, Glass Lewis riet zur Stimmenthaltung. Als Grund nannten die Berater unter anderem die 2,5 Milliarden Dollar hohen Zahlungen für die Verwicklung der Bank in den Skandal um die Manipulation des Libor-Zinssatzes. Die Entlastung des Vorstands ist normalerweise eine reine Routinesache. Hier wurde sie zum historischen Misstrauensvotum. Üblich sind sonst Zustimmungsraten wie einst in der Sowjetunion – 90 Prozent und mehr. Jain und Fitschen erhielten bei der denkwürdigen Hauptversammlung nur jeweils knapp 60 Prozent. Wenige Wochen später traten die beiden Vorstände zurück. Das Muskelspiel der Stimmrechtsberater hatte offenbar Wirkung gezeigt. So ganz passt Fink & Co. diese neue Macht der Stimmrechtsberater, die sich praktisch verselbstständigt hat, offenbar nicht. So warnte Fink die Manager »seiner« Portfolio-Unternehmen ausdrücklich davor, sich darauf zu verlassen, dass BlackRock blind den Empfehlungen von ISS & Co. folgen werde. »Wir ziehen unsere eigenen Schlüsse unabhängig von den Stimmrechtsberatern«, schrieb Larry Fink 2011 an die Manager großer US-Unternehmen, an denen BlackRock Anteile hielt. »Wir stimmen dabei aufgrund unserer eigenen Richtlinien ab, die unsere Aufgabe als Treuhänder und Wahrer der ökonomischen Interessen unserer Kunden widerspiegeln.« Will heißen: Wir, BlackRock, sind die wahren Herren, die Jungs von ISS
und Glass Lewis sind nur unsere Dienstleister. Am Ende gilt, was wir entscheiden. Allerdings kommt BlackRock ohne die Zuarbeit der Berater offenbar nicht aus: Aus Berichten und Insiderinformationen geht hervor, dass BlackRock nach wie vor zu den Kunden der Stimmrechtsberater gehört. Der Witz dabei: Hier rangeln letztlich Stellvertreter mit Stellvertretern. Sowohl die Macht von ISS als auch die BlackRocks basiert letztlich auf der Abwesenheit der eigentlichen Eigentümer: der Anleger. Und das ist ein Problem. Finanzsurrealismus: Kapitalismus ohne Kapitalisten Anleger spielen in unserem System der Marktwirtschaft eine fundamentale Rolle: Sie entscheiden, welche Unternehmen expandieren können und welche schließen müssen. Im eigenen Interesse wollen sie ihr Geld den Unternehmen geben, die die besten Zukunftsaussichten haben. Anteilseigner wählen zwischen den vorhandenen Anlagemöglichkeiten aus und sorgen so für die bestmögliche Verteilung des vorhandenen Kapitals. Das heißt auch, dass sie die Unternehmen ständig beobachten und kontrollieren, ob diese das Kapital wirklich nutzbringend einsetzen. Im Gegenzug für ihren Einsatz erhalten Aktionäre verbriefte Rechte – sie haben ein Anrecht auf einen Teil des Gewinns und dürfen das Management bestimmen. Das ist die ideale Version. Davon entfernen wir uns immer weiter. Im Finanzkapitalismus 2.0 hat sich die Verbindung zwischen den Eigentümern und den Unternehmen in eine immer längere Kette verwandelt. Die Zwischenglieder sind professionelle Verwalter, die im Namen der eigentlichen Anleger handeln. Das Phänomen
hat einen Namen: Es ist die »Trennung des Eigentums vom Eigentum«. Das klingt wie ein Echo von Magritte, der »Ceci n’est pas une pipe« unter das Bild einer Pfeife schrieb. Doch der Finanzsurrealismus ist längst Alltag. Die Verlängerung der Investitionskette resultiere in zusätzlichen Vermittlerkosten sowohl für das System, als auch für den Anleger, während die Kontrolle über Entscheidungen sich immer weiter von denjenigen entferne, die deren Risiken tragen und deren potenzielle wirtschaftliche Vorteile erhalten, heißt es in einem Bericht des New Yorker Conference Board, eines unternehmensnahen Wirtschaftsinstituts vom November 2013. Eine Pensionskasse etwa vergibt den Auftrag, einen Teil ihrer Gelder zu verwalten, an einen Vermögensverwalter wie BlackRock. Der wiederum verteilt sie auf verschiedene Fondsmanager. Darunter kann ein Hedgefonds sein, der wiederum passive ETFs kauft, um am Markt zu spekulieren. Jeder dieser dazwischengeschalteten Akteure will bezahlt werden und hat wiederum eigene Interessen, die nicht immer mit denen der eigentlichen Eigentümer übereinstimmen. Diese zunehmende »Trennung des Eigentums vom Eigentum« führe zu schwerwiegenden Verwerfungen, argumentiert Leo E. Strine, Richter am Obersten Gerichtshof des Bundesstaates Delaware. Strine war zuvor lange Richter am Chancery Court in Delaware. Seine Stimme hat Gewicht, denn dieses Gericht hat großen Einfluss auf das weltweite Konzernrecht. (Im Bundesstaat Delaware hat die Mehrheit der großen börsennotierten USUnternehmen ihren rechtlichen Sitz, es ist eine US-interne Steueroase.) Die Trennung, so warnte Strine in einer viel beachteten Rede 2007, habe eine neue Stellvertretermacht geschaffen, mit »Risiken für den einzelnen Investor, aber auch für den Wohlstand unserer Nation«. Das Problem der wachsenden Dominanz der Vermögensverwalter ist nicht, dass sie Unternehmen in eine bestimmte Richtung lenken.
Zumindest ist es nicht das größte Problem. Das zunehmende Problem ist, dass sie sich nicht wirklich für das Schicksal der meisten Unternehmen in ihren Portfolios interessieren. Eine kuriose Anekdote beleuchtet das: Im März 2015 hätte BlackRock beinahe das australische Unternehmen Monadelphous Group übernommen. Aus Versehen. Denn BlackRock hielt über seine Fonds über 20 Prozent an der Bauingenieursgruppe. Nach den australischen Börsenvorschriften muss ein Investor, dessen Anteil die 20 Prozent übersteigt, jedoch ein Übernahmeangebot für das komplette Unternehmen abgeben. BlackRock entschuldigte sich und gab die Schuld den fehlerhaften Berechnungen der Indexherausgeber, die entsprechende Indizes, auf denen BlackRocks Fonds basierten, falsch kalkuliert hätten, sodass BlackRock zu viele Aktien erworben hatte und über die kritische Grenze gekommen sei. »Unsere interne Kontrolle hat das Problem erkannt, wir haben es der Aufsicht gemeldet und entsprechend kontrolliert«, erklärte BlackRock gegenüber der Financial Times . Ein weit problematischeres Beispiel für die Folgen der Stellvertreter-Eigentümer ist die Deutsche Bank. Jahrelang taumelte die Großbank von einem Skandal in den nächsten – Wackelhypotheken, Libor-Manipulation, Geldwäsche und dergleichen unappetitlicher Vorwürfe mehr erhoben die Behörden so regelmäßig, dass Razzien von Ermittlern in den Frankfurter Türmen geradezu Routine wurden. Immer neue Milliarden musste die Bank zahlen. Doch die Großinvestoren ließ das jahrelang recht kalt. (BlackRock war zum Zeitpunkt, als Anshu Jain und Jürgen Fitschen gehen mussten, mit 6 Prozent der größte Einzelaktionär.) Sie zogen die Reißleine erst, als sie nicht länger glaubten, dass Jain und Fitschen ihre Renditeversprechen einhalten würden. Fink hatte noch ein paar lobende Worte für seinen scheidenden Liebling: »Anshu hat das Richtige getan, er war selbst zum Thema geworden. Ich bin froh, dass er
selbst entschieden hat zu gehen, statt vom Aufsichtsrat gezwungen zu werden.« Um die Sollbruchstelle in der für unser System so wichtigen Verbindung zwischen Anleger und Unternehmen zu kitten, haben sich Behörden und Organisationen in den vergangenen Jahren Kataloge von Corporate-GovernanceRegeln und Selbstverpflichtungen ausgedacht. Da ist der britische Stewardship Code, dann haben die Vereinten Nationen »Prinzipien für verantwortungsbewusstes Investment« erarbeitet, die auch Soziales und Umweltbelange berücksichtigen. Japan hat sieben Grundsätze für gute Unternehmensführung aufgestellt und Deutschland den Corporate-Governance-Kodex erdacht. Sicher alles wohlmeinende und hilfreiche Initiativen. Doch eine OECD-Studie (S. Çelik, M. Isaksson 2013) ging der Frage nach, warum trotz all dieser Anstrengungen das Engagement der Großeigentümer weiter zu wünschen übrig lässt. Das ernüchternde Fazit: Während bei manchen Investoren, wie etwa Hedgefonds oder Private Equity Fonds, aktives Engagement ein notwendiger Bestandteil des Geschäftsmodells sei, stelle es bei anderen schlicht zusätzliche Kosten dar. »Im ersten Fall braucht es keine Regeln und im zweiten werden Regeln wenig mehr erreichen, als dass Listen abgehakt werden«, heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: Das Grundproblem bleibt bestehen, es gibt nur mehr Bürokratie. Dann sind da die Interessenkonflikte. Etwa, wenn ein Vermögensverwalter die Auseinandersetzung mit dem Vorstand eines PortfolioUnternehmens scheut, weil er gleichzeitig auf das Mandat hofft, den Betriebspensionsfonds dieses Unternehmens zu managen. »Das lässt manches Investmenthaus zögern, allzu aggressive Forderungen aufzustellen«, schrieb Simon Wong, Partner bei der Londoner Investmentfirma Governance for Owners, 2011 in einem Kommentar für das »Harvard Law School Forum on Corporate Governance«.
Da reiche manchmal schon eine versteckte Drohung von Unternehmensseite, den Auftrag anderweitig zu vergeben, beschreibt Wong seine Erfahrungen als Berater aus der Praxis. (Governance for Owners war der frühere Arbeitgeber von Michelle Edkins, bevor sie CorporateGovernance-Frontfrau bei BlackRock wurde.) Bei BlackRock sei die Trennung zwischen den beiden Geschäftsbereichen klar geregelt, versichert das Unternehmen. So hat es Fink persönlich gegenüber dem Magazin Fortune im Juli 2014 geschworen. Wobei er einräumt, Anrufe von Unternehmenschefs zu bekommen, darunter auch Bekannte und Freunde, die ihn auffordern, BlackRock solle in ihrem Sinne abstimmen. Das bringe ihn in eine unmögliche Lage, klagt der BlackRock-Boss in Fortune. It pisses me off, so sein wörtlicher Kommentar, der mit »verärgern« nur unzureichend übersetzt ist. Die Schlagzeilen wie »Der Schattenmann, der die Welt regiert« oder »Die heimlichen Herren im Dax«, die quasi eine Fernsteuerung der Konzerne implizieren, gehen am eigentlichen Kern vorbei. Entgegen dieser Befürchtungen ist das Problem der neuen Germany Inc. nämlich nicht, dass sich BlackRock oder die ausländischen Großaktionäre in die Unternehmen einkaufen, um dann den Vorstand herumzukommandieren. Bis auf aggressive Hedgefonds, zu deren Strategie dieses Vorgehen gehört, haben die Fondsgesellschaften schlicht nicht die Kapazitäten für ein solches Mikro-Management. Im Verhältnis zu den deutschen Unternehmen ist BlackRock wie ein New Yorker Immobilienmogul, der sich müht, seine Besitzungen in Übersee so profitabel und reibungslos wie möglich zu betreiben. Die Unternehmenschefs entsprechen dem Hausverwalter, der dem Besitzer regelmäßig die Miete überweist und das Gebäude in Schuss hält. So lange der Verwalter sich als zuverlässig erweist, besteht kein Grund sich einzumischen. Dieses Laissez-faire mag angenehm für den Verwalter sein. Doch irgendwann passt das Haus nicht
mehr in das Portfolio oder das Haus braucht eine aufwendige und langwierige Sanierung, dann verkauft der Eigentümer es einfach. Im schlimmsten Fall an ein Abbruchunternehmen, eine Heuschrecke.
Kapitel 9 Aladdin – der Dschinn in der Apfelplantage 4 425 Kilometer liegen zwischen der Wall Street und Wenatchee, fast ein ganzer Kontinent, auf jeden Fall aber eine Welt. Wenatchee liegt ganz im Nordwesten der USA am Columbia River, der sich seinen Weg durch Kanadas Wälder Richtung Süden bahnt. Über Wenatchee ragen die zackigen Bergrücken der Cascade Mountains, dahinter, drei Autostunden entfernt, erstreckt sich der Pazifik. Noch im Frühjahr tragen die Gipfel eine Kapuze aus Schnee, während an den tieferen Hängen schon die Obstblüte beginnt. Wenatchee, 30 000 Einwohner, behauptet stolz, die »Welthauptstadt der Äpfel« zu sein. Es gibt ein ApfelBesucherzentrum, einen Apfel-Wanderweg und im April das elf Tage dauernde Apfelblütenfest. Wer eine schmalere Straße nach Osten hinauffährt, kommt an kleinen Häusern mit ordentlichen Gärten vorbei. An einem Zaun hängt ein Schild, auf dem »Honig zu verkaufen« steht. Die Straße führt vorbei an Pferdekoppeln, Apfelplantagen und an einem kleinen Flugplatz, bis sie an zwei flachen beigen Neubauten anlangt. Sie sind von einem zwei Meter hohen Zaun umgeben, das schwarze Stahlgittertor ist geschlossen. Auf den Parkplätzen stehen vielleicht ein halbes Dutzend Autos. Kameras überwachen die Umgebung. Fremde Fahrzeuge, die zu lange stehen bleiben, locken nach einigen Minuten einen uniformierten Wachmann aus dem Gebäude. Kein Schriftzug, kein Firmenname deutet auf das hin, was im Inneren der Anlage passiert.
Hier, auf einem ehemaligen Weizenfeld, speichert, selektiert, kalkuliert, arbitragiert Aladdin in seinen Tausenden Prozessoren endlose Zahlenreihen und Formeln. Vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche. Aladdin ist BlackRocks elektronischer Dschinn. Wie der Geist aus der Flasche im Märchen hat Aladdin dessen sagenhaften Erfolg möglich gemacht. Aladdin ist, was BlackRock im Innersten zusammenhält. Aladdin ist die Basis für seine wachsende Macht. BlackRock macht aus Aladdins Existenz und Bedeutung gar kein Geheimnis. Im Gegenteil: Die PR-Abteilung hat sogar einen Werbefilm über das Elektronik-Superhirn gedreht. Da sehen wir junge dynamische Menschen unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe – offensichtlich allesamt BlackRock-Mitarbeiter. Sie sitzen hemdsärmelig in New Yorker Taxis oder stehen vor Londons Big Ben und den typischen roten Doppeldeckerbussen, posieren windzerzaust vor San Franciscos Golden Gate Bridge oder Hongkongs Skyline. Sie erzählen uns mit ernster Stimme, wie Aladdins tägliche Arbeit so aussieht: über 1,8 Millionen Berichte erstellen, Zinsbewegungen in Europa beobachten – genauso wie die Dürre im Mittleren Westen der USA –, dann die Silberpreise in Asien abfragen. Gleichzeitig registrieren, wie vier Milliarden Aktien an der New Yorker Börse die Hände wechseln und selbst 25 000 Handelstransaktionen abwickeln und – aufgepasst! – obendrein noch 3 000 Anlage-Katastrophen verhindern. Denn das ist Aladdins eigentliche Aufgabe: festzustellen, welche Auswirkungen all diese Informationen und Ereignisse auf 20 000 Anlageportfolios haben und damit auf deren Sicherheit, über die Aladdin ständig und unermüdlich wacht. Aladdin soll sie vor unangenehmen Überraschungen und vor allen Dingen unerwarteten Verlusten schützen. Aladdin bewacht auf diese Weise 14 Billionen Dollar. Auch das eine Information, die BlackRock stolz präsentiert. Über seine Rechner fließen damit Mittel,
die der Wirtschaftsleistung von China, Brasilien und Frankreich zusammen entsprechen. Es ist eine Summe, über die keine Regierung, keine Institution der Welt sonst verfügen kann. Wenn die Macher des Werbestreifens die Absicht hatten, den Zuschauer zu beeindrucken, dann gelingt das – wenn auch nicht unbedingt im positiven Sinne. Vollends unheimlich wird der Werbespot dann, wenn Aladdin durch die BlackRock-Mitarbeiter zu uns spricht – sie damit quasi zu seinen menschlichen Avataren macht. Sie sagen dann Sätze wie diese: »Ich bin Aladdin und finde die Zahlen hinter den Zahlen.« Oder »Ich bin Aladdin und ich weiß, was ich weiß. Überall und sofort.« Aladdin sei intelligenter als jeder Algorithmus, mächtiger als jeder Prozessor, versichern uns Aladdins menschliche Sprecher. Kurz: Aladdin sei eine neue Art der Intelligenz, erklärt Larry Fink, der ebenfalls in dem Werbespot auftaucht. Von BlackRock selbst wird Aladdin in dieser Darstellung als ein kollektives Genie gefeiert, ein hoch begabtes Zwitterwesen, halb Mensch, halb Technologie. Hunderte Menschen haben über zwei Jahrzehnte an den Programmen gearbeitet, die Aladdin ausmachen. Inzwischen besteht Aladdin aus einem Heer von Tausenden Analysten und rund 6 000 Rechnern, die Hunderte Millionen Kalkulationen pro Woche ausführen. Eine Anlage, die die Weltraumbehörde NASA neidisch machen kann. All die Kapazität braucht Aladdin, um täglich, stündlich, minütlich und teilweise sogar sekündlich auszurechnen, welchen Wert Aktien, Bonds, Devisen oder Kreditpapiere haben, die in den milliardenschweren Anlageportfolios liegen. Gleichzeitig durchleuchtet Aladdin, wie sich dieser Wert verändern dürfte, wenn sich das Umfeld verändert – durch die Konjunktur etwa oder die Umsatzzahlen, wenn Währungskurse purzeln oder der Ölpreis klettert. Das klingt wesentlich einfacher, als es ist, denn Wertpapiere, mit denen Investmenthäuser und Anleger jonglieren, sind
komplizierte Konstrukte. Meist handelt es sich um Pools mit Abertausenden verschiedenen Anlageprodukten, Wertpapieren, Immobilien, Fondsanteilen. Das macht es extrem komplex herauszufinden, wie viel das Investment eigentlich wert ist – und wo die Gefahren liegen. Der Vorteil für Aladdins Kunden: Wer seine weltweit verstreuten Positionen und Risiken auf Knopfdruck abrufen kann, gewinnt einen entscheidenden Vorsprung im immer schnelleren Wall-Street-Milliardengezocke. Er kann rechtzeitig kaufen oder verkaufen, Gewinne einstreichen oder Verluste vermeiden. »Es ist eine Art Kernspintomograph für die Anlageportfolios von institutionellen Investoren«, erklärt es Rob Goldstein, der Hüter vom »Genie in a Bottle«, Besuchern. Eins werden mit der Maschine Rob Goldstein wird intern gerne mal als »Wunderkind« bezeichnet. Groß und schlacksig strahlt der Anfang 40Jährige die Begeisterungsfähigkeit von jemandem aus, der noch nicht lange aufgehört hat, Videospiele zu spielen und der seinen ersten Commodore-64-Computer aus den 1980er-Jahren noch in der Garage gebunkert hat. Nur die goldene Uhr und die Goldrandbrille fallen aus dem Bild. Goldstein gehört zu den Pionieren bei BlackRock. Er hat praktisch sein ganzes Erwachsenenleben bei Fink verbracht, denn er kam bereits 1994 zu BlackRock, zwei Wochen nach seinem Abschluss an der Universität. Das war zu einer Zeit, als BlackRock noch das Wall-StreetÄquivalent einer Garagenfirma war. Heute ist er Chief Operating Officer und Global Head von BlackRock Solutions. Das sind seine offiziellen Titel. Goldstein ist vor allem jedoch der Hüter von Aladdin. Hinter dem 1001-Nacht-Namen verbirgt sich eine vergleichsweise dröge Erklärung. Aladdin steht für die
englischen Begriffe »Asset Liability and Debt, Derivative Investment Network«. Angeblich ist ein früher Kunde auf die märchenhaft klingende Abkürzung für das Programm verfallen. Aladdins Anfänge sind genauso prosaisch. Das globale Superhirn hat seinen Ursprung in jenem Rechner, der einst in der Küchenzeile in BlackRocks erstem Büro stand. Die ersten Programme, die auf dem Gerät liefen, tüftelten damals Mitgründer und MIT-Ass Bennett Golub und Charlie Hallac, BlackRocks Angestellter aus den frühen Gründertagen, zusammen aus. Einmal, so will es die Legende, wollten die beiden Daten ausdrucken, doch im ganzen Büro war kein Druckerpapier zu finden. Nur noch ein Stapel grünes Papier. Was als Notlösung anfing, wurde zur Tradition und noch heute heißen die Aladdin-Ausdrucke intern das »grüne Paket«. Aladdin ist, wenn man so will, Larry Finks Paranoia in Sachen Risiko, umgeschrieben in 25 Millionen Zeilen Computer-Code. Das sind etwa so viele Code-Zeilen wie die, die Facebook braucht, um seine Milliarden Nutzerprofile zu verwalten. Microsofts Windows, das unter Techies als eines der komplexesten Programme, wenn nicht das komplexeste überhaupt, gilt, hat rund 45 Millionen Code-Zeilen. Die frühen BlackRocker merkten, dass die Kreditwertpapiere, die Larry Fink einst mit aus der Taufe gehoben hatte, seit den Pioniertagen immer komplexer geworden waren. Es gab immer mehr Risikotranchen, die Investoren erwerben konnten. Neben Hypotheken wurden nun auch andere Kredite gebündelt – etwa Autokredite oder Studentenkredite. Mehr und mehr setzten die WallStreet-Banker »financial engineereing« ein und damit wurde es immer schwieriger für die Käufer der Papiere, herauszufinden, wie groß das Gewinn- und Verlustpotenzial dabei war. Zunächst nutzte BlackRock die Analysen für die eigenen Transaktionen. Doch zunehmend meldeten sich
Kunden, die ihre Kreditportfolios von dem System analysieren lassen wollten. Der Durchbruch kam, wie bereits beschrieben, mit dem Mischkonzern General Electric. Aladdins Hüter Goldstein gehörte zum Team, das für GE das berüchtigte Kidder Peabody Portfolio auseinandernahm. Die Daten dafür wurden auf einer Diskette gespeichert, jene Diskette, die heute noch gerahmt in Goldsteins Büro hängt. So wie ein Rockstar seine goldene Schallplatte aufhängt. Oder der Schlossherr ein Bild seiner Ahnen. So etwas wie Aladdin hat es noch nie gegeben. Um besser zu verstehen, was in dem Superhirn vorgeht, stelle man sich vor, wie es wäre, wenn Aladdin statt Hunderte Milliarden an Transaktionen und Daten am Finanzmarkt zu durchforsten, unser alltägliches Chaos überwachen würde. Man könnte sich seinen Einsatz etwa folgendermaßen vorstellen: Aladdin übernimmt morgens die Weckfunktion. Da er aus den historischen Erfahrungswerten vergangener Tage ermittelt hat, wie lange das Duschen, Anziehen, Frühstückmachen, Broteschmieren und Schulranzenpacken jeweils brauchen, gleicht er diese Zeitdauer mit dem UBahn-Fahrplan ab. Den Fahrplan wiederum gleicht er auch noch mit den tatsächlichen Ankunfts- und Abfahrtszeiten an der Haltestelle ab, die er im Laufe der vergangenen Monate oder gar Jahre gesammelt hat. Er checkt die aktuellen Wetterdaten und empfiehlt, bei hoher Niederschlagswahrscheinlichkeit, Schirm und Gummistiefel nicht zu vergessen. Schließlich kalkuliert er, ob es bei normaler Gehgeschwindigkeit noch rechtzeitig zur U-BahnStation reicht und was passiert, wenn der Lieblingspullover des Sohnes kurzfristig unauffindbar ist oder der Vater nochmal zurückmuss, um das vergessene Mobiltelefon zu holen. So kann Aladdin warnen, wenn Gefahr besteht, zu spät in die Schule oder ins Büro zur Arbeit zu kommen. Diese Kalkulationen würde Aladdin nicht nur für eine
Familie vornehmen, sondern für alle Familien der Schule, ja sogar für die des ganzen Schulbezirks. Andere Risiken sind komplexer: Etwa wenn auf dem Schulweg ein Taxi bei einem illegalen Überholmanöver außer Kontrolle gerät und auf dem Bürgersteig landet, dann ist das ein seltenes, aber nicht auszuschließendes Risiko. Ein tödliches Risiko. In der Finanzwelt wäre das zum Beispiel die Tatsache, dass Hypotheken in den USA massenweise ausfallen. Ein Risiko, aber eines, das vor 2007 viele in der Finanzbranche für wenig wahrscheinlich hielten – weit weniger wahrscheinlich, als vom Taxi überfahren zu werden. Aber auch solche seltenen, aber verheerenden Risiken soll Aladdin rechtzeitig aufspüren – damit BlackRock und seine Kunden sie vermeiden können. Doch Aladdin ist mehr als ein Computerprogramm und weit mehr als eine Datenbank. Aladdin, das versteckte Superhirn in der Apfelplantage, ist Vorbote einer Zukunft, die den Maschinen gehören wird. Die Halle ist dunkel, nur hier und da flimmern die kleinen Vierecke von Smartphone-Displays auf. Es könnte das Set für Alien, den Hollywood-Science-Fiction-Horrorklassiker, sein. Zu dem Grusel-Effekt tragen auch die Schaukästen auf der Bühne bei, in denen vage künstliche Gliedmaßen und ein Mannequinkopf zu erkennen sind. »Kunst«, erklärt der Moderator, nachdem er die vielleicht vier- bis fünfhundert Anwesenden, die auf Plastikklappstühlen sitzen, bei der Veranstaltung »Rise of the Machines« begrüßt hat. Sie könnte auch »Warten auf Kurzweil« heißen. Einer der Besucher ist Alan S., der wie die meisten hier nur wegen ihm gekommen ist. Er hat sogar einen Nachtflug von San Francisco in Kauf genommen, um rechtzeitig zur Konferenz von Ray Kurzweil in New York zu sein. »Ray ist der Philosoph der Techies«, sagt Alan, auf dessen T-Shirt »singularity.net« steht. Singularity ist der Zeitpunkt, an dem künstliche Intelligenz die menschliche überholen wird. Der Physiker und Mathematiker John von
Neumann, einer der Beteiligten des Manhattan Project und Miterfinder der Atombombe, verwendete den Ausdruck in den 1950er Jahren in dem Zusammenhang als Erster. Breiter bekannt machte den Begriff der Science-FictionAutor Vernor Vinge. Zu den großen Propheten der Singularity gehört heute Ray Kurzweil. Der fast 70-Jährige gilt seinen Anhängern als Genie, der Autodidakt hält 19 Ehrendoktorwürden und hat erfolgreich mehr als ein halbes Dutzend Unternehmen gegründet. Time widmete ihm eine Titelgeschichte, eine Ehre, die er unter anderem mit Papst Franziskus und Michail Gorbatschow teilt. Laut Kurzweil, dessen Beruf man am ehesten mit Futurist beschreibt, wird die künstliche Superintelligenz im Jahr 2045 soweit sein, ihre menschlichen Schöpfer zu überrunden. Seinem Werk Die Singularity ist nah gab er den Untertitel Wenn Menschen die Biologie überwinden. Gemeint ist nicht die Möglichkeit, dass diese Vorhersage eintritt, sondern der Zeitpunkt. Denn Kurzweil ist sicher, dass Mensch und Maschine fusionieren. In dem hippen Nachtclub am unglamourösen Rand Manhattans treffen sich an einem grauen Wintertag 2013 Kurzweils Fans. Doch ihr Idol ist erst für den Höhepunkt der Veranstaltung vorgesehen. Davor dürfen andere Futuristen ihre Prognosen mit dem wohlwollenden Publikum teilen. Da ist etwa Jincey Lumpkin, die SexKolumnistin der Huffington Post und Chief Sexy Officer eines Start-ups namens Juicy Pink Box, das online lesbische Pornos anbietet. Lumpkin ist außerdem überzeugte Kurzweil-Anhängerin und Juristin. Bis 2047 werden Roboter eine dem Menschen ähnliche Intelligenz besitzen, stellt sie fest. Und sie werden unsere Sexpartner werden. Da sei es wichtig, meint die Anwältin, sich früh ethische und rechtliche Fragen zu stellen, etwa inwiefern ein Roboter einen eigenen Willen habe und ob man oder frau einen Roboter vergewaltigen könne. An ihren Vortrag schließt sich ein Kurzfilm über einen Raumfahrer der
Zukunft an, der mit einem Roboter als einzigem Begleiter strandet. Der Roboter hat eine heimliche Vorliebe für Robot-Pornos. Die Sache geht nicht gut aus – am Ende schlitzt sich der Roboter die Ölleitungen auf. Schließlich ist es soweit: Der Moderator kündigt den Star des Tages an, fast erwartet man einen Tusch. Dann betritt ein schmaler, älterer Mann mit Stirnglatze die Bühne. Er trägt einen dunklen Anzug und bequeme Halbschuhe, die Lesebrille baumelt an einem Band um den Hals. Kurzweil, der 100 Pillen am Tag schluckt, die sein Leben verlängern sollen, wirkt älter als auf seinen Pressefotos. (Vor einigen Jahren waren es noch 150 Pillen am Tag, doch die Wirkstoffe seien besser geworden, vertraute Kurzweil 2015 einem FinancialTimes-Reporter an, dem er beim Frühstückstermin zudem Früchte, dunkle Schokolade, Makrelen und – laut dem FTMann »fade schmeckenden« – Porridge servierte.) Kurzweil ist ein routinierter Redner. Während das aufgeregte Gemurmel im nun gut gefüllten Saal noch anhält, klickt er schon per Fernbedienung die ersten Grafiken auf den Bildschirm. Er beschreibt seine Theorie, dass das Gehirn als eine Hierarchie von Mustern verstanden werden kann. Mit dieser Theorie sei es möglich, die Hirnfunktion künstlich nachzubilden. Damit werde der nächste Schritt der Evolution für den Menschen einsetzen. Der bisherige technologische Fortschritt belege seine These. Kurzweil spricht über Cloud-Computing, das fahrerlose Google-Auto, Stammzellen, IBMs Supercomputer Watson, den Kampf um die Internetfreiheit, Smartphones. Selten kann er sich verkneifen, darauf hinzuweisen, dass er ja bereits Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zuvor, die heutigen Errungenschaften mehr oder weniger vorhergesagt habe. Damals sei er allerdings als Spinner abgetan worden. Das wird Kurzweil nicht mehr ganz so häufig. GoogleMitgründer Larry Page holte ihn als Chef-Entwickler für Artificial Intelligence. Mithilfe künstlicher Intelligenz soll Kurzweil eine neuartige Suchmaschine entwickeln. Im
Sommer 2014 zeigte sich Kurzweil bei einer Silicon-ValleyKonferenz des Tech-Konzerns gewohnt optimistisch, in nicht allzu ferner Zukunft einen künstlichen Assistenten geschaffen zu haben, der Anfragen nicht, wie bisher bei Google üblich, mit der Anzeige von Links und Querverweisen beantwortet, sondern eine vollständig ausformulierte Antwort geben kann. »Man wird mit ihm reden können wie mit einem Menschen«, beschied Kurzweil die Journalisten. Kurzweil will Computern beibringen, nicht nur Worte in einem Text zu finden, sondern den Text zu verstehen wie ein Mensch. Diesem Ziel am nächsten gekommen ist Watson, das jüngste Superhirn von IBM. Watson trat 2011 erfolgreich gegen menschliche Gegenkandidaten beim amerikanischen TV-Quiz Jeopardy an. Doch nach wie vor basiert Watsons AI auf der Fähigkeit, mehr Daten zu analysieren als jeder Mensch und dabei Muster zu entdecken. Kurzweil will Maschinen dazu bringen, den tieferen Sinn von Worten zu erfassen. Wenn Watson den Satz »John verkauft seinen roten Volvo an Mary« liest, dann versteht er nicht, dass es dabei um einen Eigentumstransfer geht. Kurzweils Maschinen sollen solche Zusammenhänge verstehen können. Den von ihm verkündeten Aufstieg der Maschinen sieht Kurzweil als uneingeschränkt positiv. Er selbst hofft darauf, lange genug zu leben, um sein biologisches Gehirn in einen Computer hochladen zu können und so unsterblich zu werden. Vor allem im Silicon Valley, wo Tausende Ingenieure, Software-Entwickler, Mathematiker, Physiker, Kybernetiker täglich an immer smarteren und schnelleren Maschinen arbeiten, ist die Mehrheit in Kurzweils Lager. Doch nicht alle Futuristen sind derart überzeugt von einem rosigen Cyberzeitalter. Ausgerechnet Physik-Guru Stephen Hawking warnt vor den Computer-Superhirnen. In der Wissenschaft ist Hawking mit seinen Beiträgen zur Relativitätstheorie und der Physik Schwarzer Löcher nicht
unumstritten. Über 30 Jahre hielt er den LucasianLehrstuhl für Mathematik an der britischen University of Cambridge. In seinem Buch Eine kurze Geschichte der Zeit stellte er seine Vision eines endlosen Universums ohne Schöpfergott dar. Hawkings Botschaft ist der Sieg der Wissenschaft über die Religion. Er ist ein großer Befürworter der Weltraumkolonisierung – dafür soll die Menschheit seiner Ansicht nach sogar die Mittel der Gentechnik in Anspruch nehmen. (Mit Außerirdischen sollen die Kolonisten aber besser keinen Kontakt aufnehmen. Hawking ist überzeugt, dass es andere Wesen im All gibt, diese aber feindlich gesinnt seien …) Der Physiker leidet, seit er 20 Jahre alt ist, unter ALS, einer seltenen degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems, und sitzt im Rollstuhl. Seit er seine Fähigkeit zu sprechen verloren hat, kommuniziert er über ein Computerprogramm, das er mit Augenbewegungen steuert. Umso bemerkenswerter ist seine Skepsis gegenüber künstlicher Intelligenz. Die Entwicklung einer voll ausgebildeten künstlichen Intelligenz könnte das Ende der Menschheit einläuten, warnte Hawking überraschend in einem BBC-Interview 2014. »Sobald Menschen eine künstliche Intelligenz entwickeln, die sich von alleine weiterentwickelt, könnte diese sich selbst immer schneller weitererfinden.« Hawking mag man als Wissenschaftler abtun, der von seinem akademischen Elfenbeinturm aus über die TechBranche urteilt. Doch anders verhält es sich mit Jaron Lanier, der zu den Internetpionieren gehört. Er entwickelte die ersten Anwendungen für virtuelle Realität – einen Ausdruck, den er selbst kreierte –, ohne die es keines der heutigen Videospiele geben würde. Und ausgerechnet Lanier, mit seinen langen Dreadlocks und Hippie-Look, ist die Kassandra der Tech-Branche geworden. In seinen Büchern ruft er zum Widerstand gegen die Verherrlichung der Computer auf. Sein Horror-Zukunftsszenario ist aber
ein ganz anderes als das Hawkings. Er fürchtet nicht die Tyrannei durch sich verselbstständigende Maschinen, sondern die Tyrannei durch Menschen mittels der Maschinen. Und er sieht überall in unserem Alltag die Anzeichen dieser Herrschaft. Die Besitzer der Maschinen – also Eigentümer und Lenker der Tech-Giganten wie Google, Facebook, Apple, Microsoft – bereicherten sich auf Kosten der Arbeiter und der Mittelschicht. Die Saga von der künstlichen Intelligenz diene nur dazu, die realen Beiträge von Menschen zu diesen Tech-Imperien zu verschleiern, ihnen ihren Wert abzuknöpfen. Lanier argumentiert, dass die von den Silicon-Valley-Giganten für ihre Zwecke genutzten Daten und Informationen nicht von einer Maschine geliefert werden, sondern von den Nutzern selbst, von Menschen. Die Masse kreiere Big Data, ohne dafür entlohnt zu werden. Künstliche Intelligenz existiere nicht, sagte Lanier dem amerikanischen Tech-Reporter Kurt Andersen. »Es ist bloß ein modernes Wort für Plutokratie.« Was aber sowohl Kritiker wie Lanier und Hawking als auch Optimisten wie Larry Page und Ray Kurzweil eint: Sie sind alle überzeugt, dass es über kurz oder lang gelingen wird, Maschinen zu bauen, die wie Menschen denken. Die Frage ist längst nicht mehr, ob es sie geben wird. Die Frage ist: Wer wird sie kontrollieren? Cyborgs beherrschen die Märkte Es war 13:07 Uhr New Yorker Ortszeit am 23. April 2013, als die Washingtoner Vertretung der Nachrichtenagentur Associated Press den folgenden Tweet ins weltweite Netz stellte: »Eilmeldung: Zwei Explosionen im Weißen Haus, Barack Obama verletzt.« Binnen Millisekunden brachen die Kurse an den Aktienmärkten ein. So schnell hätte gar kein Mensch auf die Nachricht reagieren können: Es waren Maschinen, spezialisiert
darauf, den Informationsstrom des Internets nach Stichworten zu durchsuchen, die die Finanzmärkte bewegen könnten. Obama, Weißes Haus in Verbindung mit dem Wort Explosion löste bei den Suchmaschinen Alarm aus. Andere Computer, zuständig für den Handel mit Wertpapieren wie Aktien, empfingen die Nachricht und starteten prompt Verkaufsorders. Dieses Mal führte die Suche der künstlichen Marktwächter allerdings in die Irre: Der angebliche Tweet von AP kam in Wirklichkeit von der Syrian Electronic Army, Hacker-Terroristen, die das Regime von Bashar el Assad unterstützen. Die digitalen Terroristen hatten das Twitter-Konto von AP gehackt und die Falschmeldung abgesetzt. Minuten später erklärte AP die Meldung für falsch. Für die Aktienmärkte kam das APDementi allerdings zu spät: Über 200 Milliarden Dollar an Vermögen waren durch den Kurssturz bereits vernichtet worden. Menschliche Händler, etwa auf dem Parkett der New Yorker Börse, waren bei der Meldung gleich skeptisch gewesen – doch ihre Reaktionszeit war weit langsamer als die ihrer Computerkollegen. Der Zwischenfall zeigt, wer den Aktienmarkt inzwischen beherrscht: Maschinen. Oder Bots, wie die Wall Street sie liebevoll nennt. Computer erledigen inzwischen 70 Prozent des Aktienhandels, 50 Prozent des Devisenhandels und 40 Prozent des Handels mit Anleihen. (BlackRock gehört, wie beschrieben, zu den größten Antreibern des elektronischen Handels von Anleihen.) Bekannt – oder besser: berüchtigt – sind die High Frequency Trader, kurz HFT, Händler, die dank enormer Rechnerkapazität und cleverer Software nahezu in Lichtgeschwindigkeit durch die Finanzmärkte surfen und dabei Gewinne einsacken. Die großen Banken haben in den letzten Jahren ebenfalls elektronisch aufgerüstet. Mit den Bots können menschliche Händler nicht mithalten. »Klassische Trading Floors, jene Turnhallen voller Händler mit ihren Vorstadtvillen und BMWs – das ist bald Vergangenheit«, ätzt ein langjähriger
Kenner der Wall Street, der wegen seiner Auftraggeber lieber anonym bleiben will. Bots verlangten eben keine Boni. HFT, das sei schlicht Stand der Technik, sagt der ITChef einer internationalen Großbank, der ebenfalls seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Es geht nicht nur um den Handel. Längst verfassen Computer Nachrichten für Computer, die dann von anderen Computern »gelesen« werden – und die daraufhin Investmententscheidungen treffen. Wie bei der Reaktion auf das gehackte AP-TwitterKonto. Computerprogramme analysieren Datenmengen, deren schiere Masse bis vor kurzem undenkbar war – ganz zu schweigen davon, die Datenfluten sinnvoll zu analysieren. Immer häufiger finden diese Prozesse ohne menschliches Zutun statt. Vor nur wenigen Jahren war die Wall Street ein Ort, wo es darauf ankam, über Erfahrung und Beziehungen zu verfügen – heute kommt es auf den richtigen Algorithmus an und die Verbindungen sind elektronisch. »Maschinen haben die Wall Street übernommen. Künstliche Intelligenz, mathematische Modelle und Supercomputer haben menschliche Intelligenz, menschliche Überlegung und menschliche Umsetzung abgelöst«, ist das Fazit von Tom C. W. Lin, Dozent an der Temple University Beasley, der sich in einem Thesenpapier aus dem März 2014 mit »Cyborg Finance«, wie er es nennt, auseinandersetzt. Cyborgs sind halb Lebewesen, halb Maschine. Genauso beschreibt BlackRock in seinem Werbevideo auch Aladdin – intelligence part human, part technology. Die Automatisierung wird immer schneller und nimmt menschlichen Akteuren immer mehr Bereiche weg. Seit der Finanzkrise haben Banken und andere Finanzinstitutionen Hunderttausende Jobs gestrichen. Hätte es sich um eine Branche wie die Autoindustrie gehandelt, hätte der radikale Abbau zu Protesten und zu Händeringen über den Verlust von Arbeitsplätzen durch die Automatisierung geführt. Stattdessen herrscht, wenn überhaupt, nur
Schadenfreude. Weil die Öffentlichkeit den Bankern die Krise nicht verziehen hat, findet die digitale Revolution des Finanzsystems, außer bei den Betroffenen, kaum Beachtung. Das ist ein Fehler – denn die Digitalisierung unseres Finanzsystems hat enorme Folgen für uns alle. Ihren Ursprung hat Cyborg Finance vor mehr als 40 Jahren. Damals mussten junge Wissenschaftler – vor allem Physiker, Mathematiker, Informatiker, Chemiker – feststellen, dass Stellen in der Forschung rar geworden waren. Der Konkurrenzkampf um Technologie zwischen der Sowjetunion und Amerika gipfelte in Sputnik und schließlich der Mondlandung. Doch dann verschlang der Vietnamkrieg die amerikanischen Mittel und staatliche Forschung wurde zurückgefahren. Für viele der frisch gebackenen Absolventen des MIT oder der University of California tat sich da die Wall Street als Alternative auf. Statt an Plänen für zukünftige Marskolonien zu basteln oder neue Energiequellen zu suchen, tüftelten sie bald an Renditemodellen und Hedging-Strategien. Und verdienten ein Vielfaches. Später, als die Sowjetunion schließlich auseinanderbrach, kam noch einmal ein ganzer Schwung gut ausgebildeter Wissenschaftler nach. Anfänglich nannten die Händler die Neuankömmlinge spöttisch »Rocket Scientists« – sie glaubten nicht, dass die »Raketenerfinder« sich gegen ihr Gespür und ihre Erfahrungen durchsetzen würden. Doch das hat sich in den vergangenen zehn Jahren gründlich geändert. In den Handelsräumen hat der russische Programmierer den irischen oder italienischstämmigen Broker als typischen Wall-Streeter abgelöst. Vorbei die Zeiten, als sich an Tagen, an denen der Dow Jones, der Aktienindex der amerikanischen Schwergewichte wie IBM und Exxon, einen neuen Rekord brach, die Händler an der Theke von Harry’s Bar an der Südspitze Manhattans drängten und die Gewinner des Tages eine Lokalrunde nach der anderen ausgaben. Heute ist aus Harry’s Bar ein Edelrestaurant
geworden, in dem Nachmittags-Martinis gereicht werden und die Hamburger vom japanischen Kobe-Rind stammen. Von den alten Stammgästen ist keiner mehr da. Ihre Nachfolger treffen sich statt in der Kneipe auch lieber mit anderen Programmierern – etwa zum Hackathon, einer Art Brainstorming-Party für Software-Entwickler, die gemeinsam einen Tag oder eine ganze Woche lang, angetrieben von einer Menge Take-out-Pizza, an Projekten tüfteln. Die Quants: Glauben an den Markt und die Modelle Der Aufstieg der Quants ist nicht aufzuhalten. Der Name steht für die Methoden, die sie anwenden, um den Markt zu verstehen: quantitative Analysen. Wer mit der Bezeichnung angefangen hat, ist nicht ganz klar. Fest steht: Seit die Quants ihren Einzug an der Wall Street gehalten haben, sind sie für so gut wie alle Innovationen im Finanzbereich verantwortlich. Mit ihren Formeln, Datensammlungen und Hochleistungsrechnern haben sie das Volumen der Transaktionen, die Geschwindigkeit und die Wirkung der Finanzmärkte potenziert. Finanzinstrumente wie Kreditderivate sind ohne die »Rocket Scientists« kaum denkbar. Und damit sind Quants letztlich auch dafür verantwortlich, dass die Katastrophen an diesen Märkten schnell auf die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft durchschlagen. Die Quants sind sich ihrer einflussreichen Rolle durchaus bewusst. Er fühle sich jedoch nicht für das Finanzsystem verantwortlich, erklärte Aaron Brown, der beim 130-Milliarden-Dollar-schweren Hedgefonds AQR, einem der prominentesten Quant-Fonds, für das Risikomanagement zuständig ist. (Stand März 2015) »Mein Job ist es, die beste technische Lösung zu finden, die
meinen Investoren oder meinem Arbeitgeber oder – wenn es um mein Geld geht – mir selbst am meisten nützt«, schrieb Brown in einem Essay für das Branchenjournal Risk Professional. Aber er sehe ein, wenn viele Quants nach der Devise vorgingen, dass dies das gesamte Finanzsystem umwälze und Gewinner und Verlierer schaffe. »Ich habe keine Ahnung, ob dies zu einer globalen Katastrophe führt«, schreibt Brown, immerhin mit erfrischender Ehrlichkeit. Er habe lediglich einen »leicht mystischen Glauben«, dass Wissen besser sei als Ignoranz, Fortschritt besser als Stillstand und gute technologische Entwicklungen zu guten Resultaten führten. Sein Fazit: Innovation im Finanzbereich sei unaufhaltsam und Erfindungen sollten nicht nach unterschiedlichen Maßstäben bewertet werden. Es sei nicht fair, seinen iPod zu lieben, klagt Brown in seinem Essay, jedoch Collateral Debt Obligations zu hassen, jene CDOs, die es in der Finanzkrise auch bei Finanzlaien zu Prominenz brachten. Unfair auch, sich einerseits zu freuen, dass es Viagra gebe, nicht aber über Exchange Traded Funds, die börsennotierten Index-Fonds. Das Antiblockiersystem zu loben, hingegen den Hochfrequenzhandel zu verteufeln. Wenn es einen Mann gibt, den man für den Aufstieg der Quants verantwortlich machen kann, dann ist das Edward Oakley Thorp. Als Kind fiel Thorp, von allen Ed gerufen, wegen seiner Streiche auf. Einmal warf er Farbe ins öffentliche Schwimmbad, das komplett abgelassen werden musste. Später wurden seine Einfälle nützlicher – seine Begabung für Mathematik stellte sich heraus. Er wurde Doktor der Physik und lehrte schon früh als Professor an der Tech-Hochburg MIT in Boston. Doch es sollte sich herausstellen, dass Thorps seiner Vorliebe für Streiche auch als Gelehrter treu blieb. Sein besonderes Interesse galt Glücksspielen. Anfang der 1960er Jahre entwickelte er mit einem Kollegen zusammen den ersten tragbaren
Computer. Das wäre an sich eigentlich schon ein Riesenerfolg gewesen zu einer Zeit, als Computer noch ganze Etagen einnahmen. Doch Thorp hatte ein ganz eigenes Ziel bei der Sache. Er wollte den tragbaren Computer einsetzen, um am Roulettetisch den Lauf der Kugel im Voraus berechnen zu können. Thorp hatte entsprechende Experimente mit Murmeln und Rouletterädern durchgeführt, um daraus eine Formel ableiten zu können. Im Kasino, so der Plan, würde Thorp den Computer mit Daten über den Spielverlauf füttern – auf welchen Zahlen blieb die Kugel stehen, wie häufig landete sie auf Schwarz, auf Rot und so weiter. Daraus würde der Computer eine Prognose für kommende Spielgewinne ableiten. Per Funk sollten seine Kalkulationen dann an einen drahtlosen Empfänger im Ohr eines Partners am Roulettetisch übermittelt werden, der die entsprechenden Wetten platzieren sollte. Wenig überraschend, flogen die beiden Forscher mit ihrer Elektronik aus den Kasinos raus. Erfolgreicher war Thorp beim Blackjack. Dank komplexer Computerberechnungen auf dem IBM-Großrechner 704 seiner Hochschule entwickelte Thorp ein Modell, um Karten zu zählen. Damit glaubte er, vor allem gegen Ende des Spiels, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Karten des Croupiers vorhersagen zu können. Um seine Methode auszuprobieren, wollte er in die Spielerparadiese Las Vegas und Reno. Er bekam 10 000 Dollar Einsatz von einem professionellen Spieler mit zwielichtigen Verbindungen, der in der Zeitung über den spielverrückten Professor gelesen hatte. In seinem Buch, das Thorp über den Tripp schrieb, nennt er ihn nur Mr. X. Später erklärte Thorp, wenn er über Mr. X fragwürdige Verbindungen Bescheid gewusst hätte, wäre er nie darauf eingegangen. Auch dieses Mal flogen Thorp & Co. aus einigen Kasinos hinaus, weil sie zu oft gewannen und die Manager ein System vermuteten. Thorp ließ sich einen Bart wachsen, musste allerdings feststellen, dass sich die Kasino-Betreiber untereinander
bereits vor einem »bärtigen Spieler« gewarnt hatten. Doch Thorps Experiment war erfolgreich. An einem Wochenende gewann Thorp 11 000 Dollar mit seiner Methode. (Damals war das noch eine beeindruckende Summe.) Was noch entscheidender war: Er hatte bewiesen, dass das, was bisher als nicht vorhersehbar galt – sondern als Fortunas Willkür –, durchaus kalkulierbar war. 1966 fasste der Matheprofi, damals gerade mal Anfang 30, seine Ideen in einem Buch zusammen. Beat the Dealer oder wie man das Kasino schlägt. Das Werk wurde auf Anhieb ein Bestseller und verkaufte sich über 700 000 Mal. Die Kasinos sahen sich gezwungen, ihre Blackjack-Regeln zu ändern. Doch dann hatte Thorp den Einfall, der nicht nur Las Vegas, sondern die ganze Welt verändern sollte. Er glaubte, dass sich auch im allergrößten Kasino der Welt mithilfe eines Computerprogramms Gewinne kassieren lassen würden: an der Wall Street. So wie bei Spielern in Vegas immer die Regel galt, langfristig gewinne immer die Spielbank, so galt an der Street die Auffassung, kein Investor könne den Markt auf Dauer schlagen. Doch auch hier, so fand Thorp, war es möglich, durch Informationen über historische Kursverläufe und andere Faktoren eine Prognose für künftige Kurse abzugeben. Schon kurz darauf legte der Mathematiker nach und veröffentlichte ein Buch, in dem er sein »wissenschaftliches System für den Aktienmarkt« vorstellte. Und er beließ es nicht bei der Theorie. Thorp machte mit seinen Hedgefonds ein Vermögen. Nach eigener Aussage wiesen seine eigenen Investments mithilfe seiner Methoden über knapp 30 Jahre eine Rendite von 20 Prozent auf. Thorp war der Mann, der zeigte, was Wissenschaftler, die außerhalb ihrer Hörsäle gerne mal als Nerds abgetan wurden, in der sehr realen Welt der Hochfinanz erreichen konnten. Viele folgten seinem Beispiel.
Die Quants trugen ihren Teil zum Desaster 2008 bei. Ohne ihre Formeln wäre es nicht möglich gewesen, aus Autokrediten, Kreditkartenschulden und Hypotheken eine Flut neuer Wertpapiere zu schaffen. Es wäre nicht möglich gewesen, Wetten auf deren Ausfall abzuschließen und auch daraus wiederum Wertpapiere zu kreieren – nämlich Kreditderivate. Die Quants halfen nicht nur, eine neue Generation an Finanzinstrumenten zu konstruieren. Sie entwickelten auch die Computerprogramme, mit denen diese Neuerfindungen auf ihr Risiko getestet wurden. Doch die Denkmodelle, die sowohl den neuen Finanzinstrumenten, als auch den Tests zugrunde lagen, basierten auf Annahmen, die sich im Nachhinein als fehlerhaft und unzureichend herausstellten. Anders als in der Mathematik oder Physik, dem angestammten Terrain der Quants, verhalten sich die Teilnehmer des Finanzmarkts nicht immer rational und schon gar nicht konstant. So wurde es den Modellen und Simulationen zum Verhängnis, dass sie weitgehend aus der Vergangenheit Schlüsse für die Zukunft zogen. Sie ignorierten die Möglichkeit extremer Ereignisse, die in der Vergangenheit so nicht vorgekommen waren. Ereignisse, die zwar selten eintraten, aber dafür umso verheerender waren. Bei der Krise hätten sich zwei Sorten Menschen ruiniert, sinnierte der altgediente Spekulant Henry Kauffman, der in den 1950er Jahren erst bei der Notenbank und später 26 Jahre lang bei Salomon Brothers war: »Die einen, die keine Ahnung haben, und die anderen, die alles wussten.« Wer Monte Carlo hört, denkt an das Spielermekka an der Mittelmeerküste. Doch für Finanz-Insider steht Monte Carlo für etwas anderes. Damit ist eine Computersimulation gemeint, mit der sich künftige Szenarien durchspielen lassen. Ein wenig, wie wenn man tausendfach einen Würfel rollen lassen und die Ergebnisse nach ihrer Wahrscheinlichkeit ordnen würde . Erste Ideen für Monte Carlo entwickelte bereits in den 1930er Jahren
der Kernphysiker Enrico Fermi. In den 1940er Jahren griffen Stanislaw Ulam und John von Neumann (derselbe von Neumann, der den Begriff Singularity einführte) seine Gedanken auf, als die beiden in den geheimen Labors von El Alamo an der Atombombe arbeiteten. Auf die Bezeichnung Monte Carlo kam angeblich von Neumann, weil sein Onkel die Spielbank dort besucht hatte. Die Quants brachten die Methode aus der Physik mit an die Wall Street. Dort war sie bald sehr beliebt. Denn damit ließen sich neue, künstlich zusammengebaute Wertpapiere wie die CDOs oder die neuen Kreditderivate wie CDS (Credit Default Swap), für die es keinerlei Erfahrungswerte gab, zumindest theoretisch bewerten. Ohne Monte Carlo war es nahezu unmöglich, einen Preis für die Produkte zu finden, und ohne eine Bewertung hätte sie kein Marktteilnehmer gekauft. Zu den eifrigen Anwendern des finanzmathematischen Würfelspiels gehörten und gehören die Ratingagenturen. Sie setzten während des Hypothekenbooms ihre MonteCarlo-Simulationen unter anderem ein, um ihre Kreditwürdigkeitsnoten wie AAA für die Hypothekenpapiere zu erwürfeln, pardon, zu vergeben. Ohne diese Gütesiegel hätten sich die Pensionskassen und Staatsfonds geweigert, die neuen Papiere zu kaufen. Doch gerade bei den Hypothekenpapieren zeigten sich die Schwächen von Monte-Carlo-Modellen. Ein rascher und ganz Amerika umfassender Einbruch am Immobilienmarkt erschien zu unwahrscheinlich, um bei den Modellen in Betracht gezogen zu werden. Der Großinvestor Warren Buffett, ein Kritiker der jüngsten Finanzinnovationen, fasste sein Problem mit solchen Produkten und den Denkmodellen, die dahinterstecken, einmal folgendermaßen zusammen: »Sie geben mir eine Pistole mit einem Magazin mit Tausenden oder gar Millionen Kammern, in der sich jedoch nur eine Patrone befindet. Dann fragen Sie, wie viel ich verlange, um die Waffe an die
Schläfe zu halten und ein einziges Mal abzudrücken. Ich weigere mich, egal wie viel Sie mir bieten. Ich sehe keinen wirklichen Vorteil für mich, wenn es gut geht, aber einen ziemlich klaren Nachteil, wenn es schiefgeht.« Im Finanzbereich seien jedoch viele bereit, sich auf solche Spiele einzulassen. Das Versagen von Monte Carlo hat keineswegs dazu geführt, dass die Methode verschwunden ist. Der Fehler seien nicht die Modelle an sich gewesen, sondern die Daten, mit denen sie gefüttert wurden, so argumentieren die Quants. »Garbage in, garbage out« – wer Müll reinpackt, kriegt Müll raus. Und so wird Monte Carlo weiter eingesetzt. Unter anderem auch bei Aladdin. Und obwohl ihre Modelle vielfach und spektakulär versagt haben, sind die Quants nicht etwa verbannt worden. »Wenn eine Brücke zusammenbricht, schafft man deshalb ja auch nicht gleich die gesamte Zunft der Bauingenieure ab«, grantelt Steven Shreve über die Kritiker der »Rocket Scientists«. Shreve ist Mathematikprofessor an der Carnegie Mellon University und Betreuer von Quants, die dort den Doktortitel ablegen wollen. Shreve räumt sogar ein, dass sich zu Zeiten des Hypothekenbooms Absolventen seines Programms, die an der Wall Street arbeiteten, besorgt bei ihm meldeten, weil sie erkennen mussten, dass die komplexen Finanzprodukte die Grenzen ihrer Modelle längst gesprengt hatten. Aber bei den meisten Banken, verteidigt Shreve seine Kollegen, seien schließlich die Bankmanager, die Chefs, nicht die Quants für die Entscheidungen verantwortlich gewesen. Sie hätten die Warnungen der Quants in den Wind geschlagen, um möglichst viel Profit herauszuschlagen. Shreve sieht das Debakel 2008 für ein kurzes, wenn auch düsteres Zwischenspiel beim unaufhaltsamen Aufstieg. Er ist wie viele seiner Quant-Kollegen überzeugt: Quants werden in der Finanzindustrie immer dominanter werden.
»Auch wenn viele sich das wünschen, wir werden nicht zu einer einfacheren Zeit zurückkehren«, schrieb er in einem Blogeintrag als Antwort auf die Kritiker. Die Banken und Investmenthäuser jedenfalls sind derselben Auffassung. Sie wollen noch mehr Quants in ihre Reihen locken. Und die amerikanischen Eliteuniversitäten liefern sie: Neben Shreves Programm bieten die New York University genauso wie Kaliforniens Stanford entsprechende Studiengänge an. Auch in Großbritannien, China und Deutschland gibt es Angebote für eine Karriere als Cyborg. Was ein Küchenmixer und Zinsprognosen gemeinsam haben Amazon ist am besten bekannt als Online-Warenhaus, bei dem es alles gibt. Etwa so nützliche Dinge wie Bücher, Kaffeemaschinen, Skianzüge und Druckerpatronen. Doch der Einzelhändler hat ein weiteres Geschäft, das sogar schnelleres Wachstum als das Kerngeschäft verspricht. Die Tochter mit dem nichtssagenden Namen Amazon Web Services – besser bekannt als AWS – ist seit dem Start 2006 auf 5 Milliarden Dollar Umsatz angewachsen (Amazon wies den AWS-Umsatz zum ersten Mal im ersten Quartal 2015 extra aus – davor hielt Gründer Jeff Bezos die AWS-Zahlen geheim). Bis 2017 könnten es laut Branchenanalysten 17 Milliarden Dollar werden. Hinter AWS verbirgt sich das Angebot, Computerkapazitäten für externe Auftraggeber zur Verfügung zu stellen und zu managen. Eine Art externe IT-Abteilung. Cloud Computing ist die wolkige Bezeichnung dafür in der Tech-Branche. Für die Tech-Gemeinde ist die Cloud weit mehr als eine Dienstleistung, sie verkörpert Potenzial. Vor der Cloud waren Unternehmen gezwungen, ihre Computersysteme und Software selbst aufzubauen und vorzuhalten. Mit den entsprechenden Kosten für Hardware
und Personal. Es gab zwar die Möglichkeit, ein anderes Unternehmen damit zu beauftragen. Doch das bedeutete in der Regel komplexe Verträge, lange Bindungen und hohe Gebühren. Für Start-ups stellte der schwierige Zugang zu IT-Kapazitäten ein wesentliches Hindernis dar. Die Cloud änderte das. Rechnerkapazität war plötzlich kurzfristig und flexibel zugänglich. Und billig. Die Cloud-Verfechter erhoffen sich einen Innovationsschub. Denn die Cloud verringert das Risiko teurer Fehlentscheidungen. Stellt sich ein Projekt als Misserfolg heraus, bleiben zumindest keine überflüssigen Server stehen oder langfristigen Serviceverträge zu erfüllen. So alltäglich ist die Nutzung der Cloud inzwischen, dass kleinere Firmen die Dienstleistung wie Bürobedarf mit der Kreditkarte zahlen. Im Silicon Valley verteilen VentureCapitalist-Investoren schon mal Geschenkgutscheine für Amazon Web Services als nette Aufmerksamkeit an Gründer. Bei Internetunternehmen wie Netflix, dem VideoStreaming-Anbieter, ist die Cloud Teil des Geschäftsmodells. Aber auch Old-Economy-Konzerne wie Kraft Foods gehören zu den Cloud-Nutzern. Kommunen wie die Stadt Miami schaffen so Bürgerservice, ohne den öffentlichen Apparat aufblähen zu müssen. Und selbst die CIA ist Kunde bei Amazons IT-Wolke. Was Amazon mit seinen Küchenmixern und BlackRock mit seinen Zinsprognosen verbindet: Beide Unternehmen haben entdeckt, dass es lukrativ sein kann, interne Kapazitäten und Möglichkeiten externen Kunden zur Verfügung zu stellen. So wie Amazon Silicon-Valley-Startups seine Server anbietet, bietet BlackRock großen Investoren Hilfe bei der Bewertung von Portfolios an sowie Stresstests und nicht zuletzt den Zugriff auf einen Datenschatz, wie ihn sonst niemand auf der Welt hat. Als 1984 BlackRocks Tech-Guru Bennett Golub das MIT mit einem Doktortitel in »Applied Economy and Finance«
verlassen hatte und einen Job an der Wall Street suchte, hatte er erst einmal wenig Glück. Über Monate erhielt er Absagen von Investmentbanken. Keiner wusste mit seiner Ausbildung etwas anzufangen. Bis er bei einer kleinen Bank anheuerte. Dort hatte ein Händler zwar angefangen, ein Modell zur Hypothekenbewertung zu programmieren, war aber gegangen, ohne es fertigzustellen. Golub übernahm und schrieb, wie er später MIT-Studenten berichtete, in drei Monaten mit 80 Stunden pro Woche eines der ersten Modelle für die damals noch neuen Hypothekenpapiere. Jene CMOs, die sein späterer Kollege und Mitgründer Larry Fink mit eingeführt hatte. »Auf die Frage, was machen Sie eigentlich, konnte ich jetzt sagen: Ich baue CMO-Modelle und habe einen Doktor von MIT.« Es war die Zeit, als Verbriefungen populärer und komplexer wurden. Golub war plötzlich ein gefragter Mann. Finks Arbeitgeber First Boston heuerte ihn an. Dort startete Golub eine Abteilung, die er »Financial Engineering« nannte. Golubs Begründung: Es waren tatsächlich Ingenieure am Werk und sie nutzten Software, die nicht unähnlich den CAD-CAM-Systemen war, die zunehmend in der Industrie für die automatisierte Fertigung eingesetzt wurden. Mit diesen Programmen entwarf Golubs Team nach den Vorstellungen von Anlegern passende Hypothekenpapiere. In nur drei Jahren verbrieften die Finanztüftler Kredite zu Wertpapieren im Wert von 25 Milliarden Dollar. Vor allem aber traf Golub bei First Boston Gleichgesinnte: Fink, Kapito und Novick. Die Idee für eine eigene Firma wurde geboren. Schon bald nach dem Start von BlackRock erkannten Golub und die anderen BlackRocker, dass sich die Analysen und Modelle, die sie für ihre eigenen Zwecke erstellten, in einen neuen Geschäftszweig ausbauen ließen. Im Jahr 2000 ging Aladdin ganz offiziell als Angebot an den Start. Seither sind immer mehr Kunden an Bord gekommen. Wie auch im Beratungsgeschäft kam BlackRock dabei die Finanzkrise
zur Hilfe. Bis zum Debakel 2008 galt bei institutionellen Großanlegern die Maximierung der Rendite als oberste Priorität. Die Krise machte Risikomanagement plötzlich zum Hot Topic. Kein Verantwortlicher wollte noch einmal mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden. Zudem hatten die Aufseher plötzlich Fragen und verlangten Daten in nie gekanntem Ausmaß. Doch nur die wenigsten großen Vermögensverwalter verfügen über genügend Personal und Know-how, um diese Ansprüche mit Bordmitteln zu befriedigen. BlackRocks Angebot, Aladdins Analyseinstrumente und Datenbanken zu nutzen, muss da wie die göttliche Antwort aufs Gebet wirken. Über 150 institutionelle Investoren sind bereits Kunden, darunter die größten Anleger der Welt, also Pensionskassen, Stiftungen, Versicherer, Staatsfonds sowie 50 Zentralbanken (es gibt 177 Zentralbanken weltweit laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich). Sogar der Vermögensverwaltungsarm der Deutschen Bank lässt inzwischen das Kapital über Aladdins Plattformen laufen. Eine solche Marktdurchdringung haben nur wenige Unternehmen – man muss schon Suchmaschinenbetreiber Google oder Facebook im Bereich Social Media heranziehen, um eine ähnliche Dominanz zu finden. Rechenzentren wie das von BlackRock in Wenatchee bestehen aus Tausenden von Servern – Computern mit besonders starker Leistung. Und die einzelnen Server sind aufeinandergestapelt wie Schubladen in übermannshohen Schränken. Noch vor ein paar Jahren kauften die Unternehmen einen Server nach dem anderen, wenn sie mehr Kapazitäten aufbauen wollten. Heute bestellt etwa Microsoft die Geräte per Lkw-Container. Die ServerSchränke reihen sich aneinander, sorgfältig beschriftete Kabel in verschiedenen Farben führen von dort zu Kabelsträngen, dick wie die Oberarme eines Bodybuilders. Die Hallen sind meist dämmrig – Licht bringt unerwünschte zusätzliche Wärme – und menschenleer. Alles, was zu hören
ist, sind die Maschinen. »Wenn einer unserer Techniker hier in einer der Einheiten bastelt, findet ihn keiner so schnell«, sagt die Managerin eines Datenzentrums, das einem großen Internet-Konzern gehört. Dieselgeneratoren, groß wie Loks, springen im Notfall ein, sollte der Strom ausfallen. BlackRock verfügt über drei solcher NotfallDieselgeneratoren mit je 2,5 Megawatt. Zusammen könnten sie eine kleine Stadt mit Strom versorgen. Was BlackRock dazu brachte, sein elektronisches Superhirn ausgerechnet in den abgelegenen Nordwesten zu bringen, hatte einst auch die Wanapum-Indianer angelockt: der Columbia. Jahrhundertelang siedelte der Stamm der »Flussleute« entlang den Ufern in Schilfgrashütten. Sie lebten vom Lachsfang. Doch die europäischen Farmer nahmen immer mehr Land für sich ein. Schließlich kamen Ingenieure und ließen Dämme bauen. Die Dämme schnitten den Zug der Lachse ab, die jedes Jahr zum Laichen aus dem Pazifik hochschwammen. Heute leben die verbliebenen Nachfahren der Wanapum in bescheidenen Häusern, die ihnen die Elektrizitätsgesellschaft gebaut hat. Die Stromversorger betreiben nun die Dämme, rund 400 gibt es. Sie stauen seit den 1950er Jahren den Columbia und seine Zuflüsse. Was den Indianern ihre Existenz raubte, schafft heute die Grundlage für eine neue Branche, die sich im Becken des Columbia niedergelassen hat: Datenzentren. Yahoo, Microsoft und Dell betreiben jeweils eigene fußballfeldergroße Rechenzentren in Quincy, einem kleinen Farmerflecken, 20 Minuten von Wenatchee entfernt. Im Gebäude neben BlackRock hat die Telekomtochter T-Mobile ihre Serverbänke stehen. Der Strom aus den Staudammturbinen ist geradezu unschlagbar billig. Zwischen 2 und 3 Cent pro Kilowattstunde kostet er in Wenatchee und benachbarten Gemeinden – im USDurchschnitt zahlen Unternehmen über 7 Cent. Die kühlen Außentemperaturen senken die Kosten noch weiter. Denn
die Milliardenkalkulationen Aladdins lassen die Computer und die Kabel buchstäblich heiß laufen. Rechenzentren wie die Anlagen in Wenatchee und Quincy sind die oft übersehene reale Seite unserer digitalen Welt. Datenverarbeitung hat inzwischen den größten und den am schnellsten wachsenden Stromverbrauch. 2013 verbrauchten Datenverarbeiter 91 Milliarden Kilowattstunden, so errechnet von der Umweltorganisation Natural Ressources Defense Council. Damit könnte man New York mit seinen acht Millionen Einwohnern mehr als zweimal versorgen. Bis 2020 soll Big Data bereits 140 Milliarden Kilowattstunden jährlich verschlingen. Allerdings sind Anlagen wie die von BlackRock nach Ansicht der Umweltschützer geradezu vorbildlich »ultraeffizient« und grün. Es seien vor allem kleinere und mittlere Anlagen bei Unternehmen, die meist ineffizient seien und für den enormen Verbrauch sorgen. Wir Nutzer im Netz von Aladdin Aladdin wächst täglich, stündlich, minütlich, jede Sekunde. Denn er wird ständig mit neuen Daten gefüttert. Wie bei Google und anderen Tech-Konzernen werden diese nicht zuletzt von den Nutzern freiwillig geliefert. In dem Fall sind es die großen Investoren. Aladdin weiß, wohin Kapital auf unserem Globus fließt, er weiß auch, woher es kommt. Selbst Informationen über Normalverbraucher finden ihren Weg zu Aladdin. Neue Wohnung gekauft? Rate fürs Auto zu spät bezahlt? Geld in einen Investmentfonds angelegt? Irgendwann finden alle diese Details ihren Weg in das Superhirn im abgelegenen Wenatchee. Anders als bei Google & Co. immerhin in anonymer Form. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. »BlackRocks Analysemodell ist in der Lage, so detaillierte Informationen herauszusieben, wie etwa, dass Leute, die in der Nähe von IBM-
Niederlassungen wohnen, ihre Hypotheken häufig früher zurückzahlen«, schreibt das Wirtschaftsmagazin Fortune bewundernd über Aladdins Genie. Der Grund: IBMManager werden öfter an andere Einsatzorte versetzt, verkaufen deshalb ihre Eigenheime und zahlen den Kredit vor Ablauf zurück. Für Aladdins Kunden sind solche Erkenntnisse Geld wert: Denn das heißt, dass Hypotheken an Hausbesitzer, die in der Nähe von IBM wohnen, ein größeres Risiko darstellen. Ein zu früh zurückgezahltes Darlehen ist nämlich gar nicht gut für Investoren in Hypothekenpapiere. Denn es bedeutet, dass die fein auskalkulierten Renditen dieser Hypohekenbündel nicht mehr zutreffen. Was können die Investoren mit der IBMInformation anfangen? Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass sie Hypotheken aus diesen Gegenden nicht in ihren Verbriefungen haben wollen. Banken wollen jedoch Hypotheken am liebsten an die Investoren weiterverkaufen und so würden sie eine Hypothek meiden, bei der das aufwendiger werden könnte. Was wiederum bedeuten kann, dass es für Käufer, die eine Wohnimmobilie im Umfeld von IBM erwerben wollen, schwieriger und teurer wird, eine Hypothek zu bekommen. Ausgerechnet der Erfolg von Aladdin macht das System so gefährlich. Wenn bei Amazons klassischem BestellGeschäft reihenweise die Server verrücktspielen würden, dann bedeutet das Umsatzeinbußen und Verluste für Amazon. Und unter Umständen eine verspätete Lieferung für die Kunden. Wenn bei Amazon Web Services die Lichter ausgehen würden, dann wäre das potenziell für Hunderte Unternehmen der GAU. Ähnlich ist es auch bei BlackRock. Fehler im System sind nun nicht mehr auf das Unternehmen selbst beschränkt – sie breiten sich auf das gesamte Netz der Kunden aus – und im Fall von Aladdin möglicherweise auf das Finanzsystem. BlackRock ist zwar nicht der einzige Anbieter eines solchen Systems,
allerdings hat kein anderes die globale Reichweite von Aladdin. Die Analysesysteme verführen ihre Nutzer dazu, sich zu sehr auf die Maschinen zu verlassen. So, wie ein mit dem Taschenrechner errechnetes Ergebnis oft erst einmal ohne großes Nachdenken akzeptiert wird. Oder so, wie sich die Investoren auf die AAA-Kreditbestnoten der Ratingagenturen für die Wackelhypothekenprodukte verließen – jene Kreditnoten, die die Ratingagenturen mithilfe ihrer Quant-Modelle ermittelt hatten. Wer wollte an den »Raketenerfindern« zweifeln? Der Rest der Geschichte ist bekannt. Bemerkenswerterweise mahnt BlackRock selbst die eigenen Kunden zur Vorsicht. »Es kommt darauf an, wie die Risikomodelle eingesetzt werden«, sagte Rob Goldstein der Financial Times im Juli 2014. »Die Modelle sagen dem Nutzer nicht: diesen Vermögenswert kaufen oder verkaufen oder halten – sie stellen lediglich Instrumente zur Verfügung, den Vermögenswert zu beleuchten.« Im Klartext: Für die Schlüsse, die die Kunden aus den AladdinErgebnissen ziehen, ist BlackRock nicht verantwortlich. Sein Boss, Larry Fink, ist sogar noch drakonischer in seinem Urteil: »Wenn Sie glauben, dass Modelle richtig sind, dann werden Sie falsch liegen«, sagte er im Dezember 2013 dem Economist. Das hindert BlackRock nicht daran, die Modelle und Programme anzubieten. BlackRock Solutions, der Bereich, zu dem Aladdin gehört, hat 2014 rund 170 Millionen Dollar umgesetzt. Doch je cleverer und je reibungsloser die Analysesysteme funktionieren, desto größer die Gefahr, dass ihre Nutzer ihnen blind vertrauen. BlackRock mag für das Verhalten seiner Nutzer nicht verantwortlich sein, doch das mindert keineswegs die Gefahr, die von übergroßem Vertrauen in Systeme wie Aladdin ausgeht. Die Bemerkungen von Goldstein und Fink, mit der sie zur Skepsis gegenüber Modellen mahnen, klingen wie die
Beipackzettel von Medikamenten. Nur, dass es anders als in der Pharmabranche für solche Produkte keine Sicherheitsvorschriften gibt. Und es ist nicht die einzige Bedrohung, die unser Cyberfinanzsystem mit sich bringt. Die Siegesmeldung des Eroberers kam per Instant Messaging. »Nasdaq ist unser«, schrieb Aleksandr Kalinin, in seinen Kreisen besser als Tempo bekannt, an seinen Komplizen. Kalinin war einer der Hacker, die im Mai 2007 eine Schwachstelle auf der Webseite der Nasdaq entdeckt hatten. Die Nasdaq ist die Tech-Börse per se. Hier sind 3 200 Unternehmen gelistet – darunter viele große USTechnologiewerte. Über die Passwort-Erinnerungsfunktion für Kunden verschaffte sich Kalinin Zugang in die internen elektronischen Systeme der Nasdaq – durch eine so genannte »back door« – und hatte bald dieselben Möglichkeiten, wie die Systemverwalter der Nasdaq selbst. »Wir haben Zugriff auf die Server und können auf ihnen laufen lassen, was wir wollen«, schrieb er an seinen Kumpanen via Instant Messaging. Er war offensichtlich beeindruckt: »Die Datenbanken sind höllisch groß, ich denke, es sind Aufzeichnungen von Handelstransaktionen.« Die Bande flog auf und US-Strafverfolger werfen Kalinin vor, sich bis Oktober 2010 über die elektronische Hintertür immer wieder illegal Zugang zu den Nasdaq-Rechnern verschafft zu haben. Immerhin gehen die Behörden davon aus, dass die Computer, die direkt den Handel abwickeln, nicht von der Manipulation betroffen waren und die Nasdaq nur begrenzten Schaden erlitt. Einer von Kalinins Komplizen war ein gewisser Albert Gonzalez, alias Soupnazi, der als einer der erfolgreichsten Hacker gilt. Gonzalez, der zeitweise Informant des FBI war, räumte als 20-Jähriger bereits in großem Stil Kreditkartenkonten ab, den Erlös verpulverte er angeblich unter anderem für eine 75 000 Dollar teure Geburtstagsparty. Laut den Behörden
war Gonzalez, der inzwischen wegen der früheren Vergehen eine 20-jährige Haftstrafe verbüßt, nur einer der Mitverschwörer bei dem bisher größten Finanzdatenklau. Die anderen Drahtzieher, vier Russen und ein Ukrainer, knackten neben den Systemen der Nasdaq auch die Server von über einem Dutzend großer Unternehmen, darunter Citibank und der europäische Supermarktbetreiber Carrefour. Dabei stahlen sie die Nummern von 160 Millionen Kreditkarten. Experten waren beeindruckt, wie gut organisiert die Bande dabei vorging – und wie lange sie unentdeckt blieb. Unter anderem arrangierten sie von ihrer Operationsbasis in Russland aus Hehlerplattformen in Deutschland, Panama und den Bahamas, um die erbeuteten Daten zwischenzulagern. Cyberattacken gehören inzwischen an der Wall Street zum Alltag. Und sie werden immer gefährlicher. Längst geht es nicht mehr allein um geklaute Kreditkartendaten oder geknackte Konten von privaten Kunden. Die Bedrohung gilt dem Herzen der globalen Kapitalmärkte. Bei einer im Sommer 2013 veröffentlichten Untersuchung des Weltbörsenverbandes und der IOSCO, einer internationalen Vereinigung von Aufsehern, gab immerhin mehr als die Hälfte der befragten Börsen an, von Hackern angegriffen worden zu sein. Cyberkriminalität, so die Untersuchung, sei ganz oben auf der Gefahrenliste für die Finanzmärkte, weil diese immer mehr von Informationstechnologie abhängig sei. In einer im Oktober desselben Jahres veröffentlichten Studie berichtete Aite, eine Beratungsgruppe für Finanzinstitute, im Schnitt würden täglich bis zu 150 000 Codes krimineller Software in Umlauf gebracht. »Die Risiken vermehren sich schneller, als Banken und Unternehmen ihre Abwehr dagegen in Stellung bringen können«, schreiben die Autoren der Studie. Alarm schlug auch das US-Clearinghaus DTCC. Das Unternehmen ist ein wichtiger Teil der FinanzInfrastruktur. Es ist praktisch die Verteilerzentrale der Wall
Street – hier findet der tatsächliche Austausch »Aktien gegen Geld« – statt, nachdem die Handelstransaktion an der Börse abgeschlossen wurde. An die DTCC-Abwicklung sind Banken, Börsen, Broker und die großen Investmentfonds angeschlossen. Wer die globalen Finanzmärkte aus dem Tritt bringen will, könnte hier ansetzen. In einem Bericht der DTCC vom August des Jahres 2014 heißt es dann auch, Cyberrisiken seien »die Topbedrohung systemischer Art für die globalen Märkte und ihre Infrastruktur«. Größer als etwa die Gefahr durch eine erneute Kreditklemme. Was Börsen, Banken und Behörden aufschreckt: Die Art der Attacken hat sich verändert. Etwa die immer häufigeren Angriffe, bei denen Internetseiten und Internetzugang betroffener Firmen durch gezielte Überlastung – so genannte Distributed-Denial-of-ServiceAttacken – zum Absturz gebracht werden sollen. Noch vor kurzem, so die DTCC-Experten, seien solche Attacken von Desktops und Heimcomputern ausgegangen. Heute greifen professionelle Server im Dienst der Internetverbrecher an – in einigen Fällen waren es Tausende solcher leistungsstarken Rechner. Vor 2012 schickten die Computer der Hacker höchstens ein bis zwei Gigabits pro Sekunde an die Internetseite des Instituts, das sie im Visier hatten. Heute erleben die Unternehmen Trommelfeuer von 150 Gigabits pro Sekunde – das entspricht ungefähr der fünfzehnfachen Aufnahmekapazität der Webseiten einer normalen Finanzinstitution. Noch perfider sind die Fälle, in denen sich die Angreifer unbemerkt ins System einschleusen, um es von innen heraus zu manipulieren. Solche so genannten Advanced Persistent Threats – im Cyber-Jargon kurz APT – spionieren bevorzugt ihre Ziele in sozialen Netzwerken aus und nutzen ihre Erkenntnisse, um ihre Manipulationssoftware etwa getarnt als E-Mail-Anhang gezielt an Mitarbeiter in Schlüsselstellungen zu schicken.
Wie professionell die Hacker vorgehen, zeigt die Attacke auf JPMorgan Chase im Sommer 2014. Unbekannte verschafften sich Zugang zur innersten elektronischen Infrastruktur der größten US-Bank und klauten Gigabytes an Information, auch über Kunden, bevor JPMorgans Informatiker ihnen auf die Schliche kamen. So hoch entwickelt waren die Mittel der Kriminellen, dass Experten vermuteten, sie hätten womöglich Verbindung zur russischen Regierung und Vladimir Putin. Die Russen leugneten es. Fest steht: Nicht immer geht es den Hackern um den monetären Gewinn. Große Sorgen bereitet Aufsehern, Börsen und Finanzinstituten der Trend, mit der Infiltration und Manipulation politische Ziele zu verfolgen. Wie etwa die oben beschriebene Attacke der Syrian Electronic Army, die die falsche Twitter-Nachricht lancierte, in der angeblich die Nachrichtenagentur AP meldete, Präsident Obama sei bei einem Anschlag im Weißen Haus verletzt worden, und die prompt einen Kurssturz an der Börse auslöste. (Die SEA ist weiter aktiv, auch die New York Times und kurzzeitig eine Rekrutierungswebseite der US-Marine wurden von den Cyberterroristen gehijackt.) Eine wachsende Befürchtung der Unternehmen und Behörden sind Attacken auf das gesamte System durch feindliche Nationen wie etwa den Iran, Nordkorea oder China. So steht Nordkorea im Verdacht, Sony Studios Server geknackt zu haben und brisante Interna wie die Vergütung von Managern und Hollywoodstars publik gemacht zu haben. Die Aktion, so wird vermutet, war ein Racheakt, nachdem Sony The Interview, eine Komödie, produziert hatte, in der zwei Amerikaner – gespielt von den Stars Seth Rogen und James Franco – die Ermordung von Nordkoreas Diktator Kim-Jong Un planen. Auch wenn es offenbar viele Hinweise gibt, die für eine Beteiligung von Nordkorea sprechen, einen definitiven Nachweis wird es wohl nie geben. »Der Aufbau
von Cyberangriffspotenzial lässt sich weit besser verbergen, als der Aufbau physischer Angriffskapazitäten«, heißt es in der Studie des Weltbörsenverbandes. Zudem sei eine solche Internetattacke weit schwieriger zurückzuverfolgen. Klar ist, dass Hacker die Cyberfinanzwelt für sich entdeckt haben und deren Schwachstellen gnadenlos ausnutzen werden. »Es gibt zwei Arten von US-Konzernen: solche, die gehackt wurden, und solche, die nicht wissen, dass sie gehackt wurden«, erklärte FBI-Direktor James Comey in einem Interview mit ABC News im Mai 2014, nachdem sich herausgestellt hatte, dass chinesische Cyberspione Dutzende von Unternehmen infiltriert hatten. Ein System wie Aladdin zu knacken, dürfte für Hacker verlockend sein – dank solcher Daten könnten sie sich entscheidende Informationsvorsprünge an den Märkten verschaffen. Noch erschreckender ist die Vorstellung, dass sich dem Westen feindlich gesinnte Nationen Einblick in die Daten verschaffen könnten. BlackRock wollte sich zu der Frage, wie Aladdin vor Hackern geschützt ist und ob es bereits Attacken gegen BlackRock gegeben hat, nicht äußern. Die Welt durch BlackRocks Brille Eine weitere Gefahr, die Aladdin mit sich bringt, ist schwerer zu greifen, aber deshalb nicht weniger beunruhigend. Sie hängt damit zusammen, wie Preise und Bewegungen an den Finanzmärkten entstehen. Letztlich funktionieren diese nur, wenn die Teilnehmer verschiedene Auffassungen über die Zukunft haben. Nehmen wir eine Aktientransaktion: Der Verkäufer glaubt, der Kurs werde nicht mehr weiter steigen oder sogar fallen. Der Käufer sieht dagegen Potenzial nach oben. (Klar, es ist nicht immer so einfach. Es kann viele andere Motivationen geben –
etwa, weil der Verkäufer dringend Cash braucht oder der Käufer sein Portfolio umschichten will.) Bei Anleihen gehen die Ansichten der Transaktionspartner über die künftige Zinsentwicklung auseinander – oder fundamentaler: über die künftige Entwicklung der Wirtschaft. Ähnliches gilt für Rohstoffe, für Devisen. Die unterschiedlichen Auffassungen drücken sich in Transaktionen und Preisen aus – und ihre Summe steuert letztlich den Markt. Ein Crash ist nichts anderes als ein Herdentrieb, der zu viele Teilnehmer in die gleiche Richtung steuert. Da muss es beunruhigen, dass so viele Lenker des globalen Kapitals die Welt durch die Brille von BlackRock sehen. Wenn ein großer Teil der Marktteilnehmer die Daten mithilfe von Aladdin interpretiert, dann übernehmen sie auch die Annahmen, auf denen die Analysen und Modelle basieren. »Käufer, Verkäufer und Regulierer gehen womöglich alle von denselben Annahmen aus, einfach weil sie Aladdin konsultieren«, sorgte sich selbst der Economist. Sonst steht die britische Postille der Wirtschaftselite (und derer, die sich dafür halten), Technologie und Innovationen im Finanzmarkt ausgesprochen positiv gegenüber. Doch im Dezember 2013 widmete das Magazin dem Thema sogar einen Titel. »Der Monolith und die Märkte«, lautete die ominöse Überschrift. Seit 2008 brauchen selbst NichtInsider keine große Fantasie, um sich vorzustellen, was passiert, wenn zu viele Marktteilnehmer Annahmen teilen, die sich dann in katastrophaler Weise als falsch herausstellen. Und was sagt BlackRock zu der Befürchtung, Aladdin führe Marktteilnehmer dazu, die Märkte durch BlackRocks »Brille« zu sehen und könne dadurch einen Herdentrieb auslösen? Auch zu dieser Frage wollte sich BlackRock nicht äußern.
Kapitel 10 Machtwechsel an der Wall Street Touristen, die sich bei ihrer Shopping Tour von der Fifth Avenue in das San Pietro verirren, sind verwirrt. Auf den ersten Blick glauben sie, in einem jener kitschigen, leicht angestaubten italienischen Nachbarschaftslokale gelandet zu sein. Überall stehen Vasen und Väschen, Porzellanfiguren und Figürchen. Von der Decke baumeln funkelnde Kristallkugeln, die nicht so recht zu den rustikalen Keramikkacheln mit den maritimen Motiven passen wollen. Es wirke wie eine Kulisse aus Martin Scorseses Mafia-Epos Goodfellas, lästerte einmal das New York Magazine. Doch sobald die Besucher von einem der weiß-livrierten Kellner formvollendet und routiniert an einen der perfekt gedeckten Tische geführt worden sind, bemerken sie ihren Irrtum. Und nicht nur wegen der atemberaubenden Preise und der Maßanzüge, die ihre Tischnachbarn tragen. Das San Pietro ist kein normaler Ravioli-und-Tiramisu-Laden. (Obwohl beide Gerichte hier exzellent sind.) Das Lokal der Gebrüder Bruno, die ursprünglich aus Salerno stammen, ist der inoffizielle Club der Wall-Street-Mogule. Am Fenster plaudert John Mack mit ausländischen Gästen. Der frühere Morgan-StanleyBoss, heute als Berater und graue Eminenz bei der Bank, ist besser als »Mack, The Knife« bekannt, wegen der radikalen Personalmaßnahmen, mit denen er einst seine Angestellten in Angst und Schrecken hielt. Am Nachbartisch hat sich Stammgast Joe Perella eingefunden, der legendäre Banker jener Firmenjäger, die in den 1980er Jahren mit ihren Übernahmeattacken US-Konzernbosse wie
Arbeiter das Fürchten lehrten. Heute isst der Graubärtige nur Gemüse, er ist zum Vegetarier bekehrt. In der gedämpften Atmosphäre bei Branzino in Salz und Kräuterkruste – San Pietros 43 Dollar teure Fischspezialität oder dem Kalbsrücken mit Radicchio für 48 Dollar – werden Deals besiegelt, Freundschaften geschlossen und Feindschaften begraben. Ellenbogen an spitzem Ellenbogen unter Wall Streets Großen. Wenn Bankbosse hier gemeinsam auftauchen, hat das den Rang einer Pressemitteilung. Weswegen sich Reporter wie Charlie Gasparino, der für Fox Business Network die neusten News aus Finanzen und Politik sammelt, gerne an der polierten Edelholzbar herumdrücken und auf die nächste große Zusammenkunft warten. Noch vor ein paar Jahren konnte Fink hier unbemerkt an einem Tisch sitzen. Noch gehörte er nicht zu dem kleinen elitären Kreis, der hier die »Chairman Row« besetzt – die begehrten Plätze am Fenster. Inzwischen hat Fink nicht nur einen Stammplatz im San Pietro, sondern Gerardo Bruno, der geschäftsführende Bruder, weiß auch um Finks Vorliebe für frische Erbsen. Und doch ist er anders als die anderen Clientes des San Pietro. Er hat sich sein eigenes Reich erst schaffen müssen, ist nicht auf den Chefsessel eines der Traditionshäuser berufen worden. Bis Fink dann so mächtig war, dass er für die Bankchefs plötzlich zum Player wurde. Unsere Altersvorsorge: Der Heilige Gral der Wall Street Fink verdankt seinen steten Weg an die Spitze und einen Stammplatz im San Pietro seinem Geschick, seinem Ehrgeiz und auch einer Portion Glück. Sein Aufstieg wäre jedoch kaum denkbar ohne den unaufhaltsamen Aufstieg
der Geldverwalter. Begonnen hat der Machtwechsel zwar schon vor der Finanzkrise, aber seither hat die Entwicklung an Fahrt aufgenommen. »Lange waren Vermögensverwalter im Schatten ihrer Cousins bei den Banken und Versicherern, aber bis 2020 werden sie definitiv ins Licht gerückt sein«, beschreiben es blumig die Autoren eines Zukunftsszenarios, das die Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) 2014 für die Branche herausgab. (Die Autoren waren offenbar literarisch inspiriert. Der Titel der Studie lautet etwas zweideutig: »Brave New World« – es ist nicht ganz klar, ob sie sich auf Shakespeares ironisch gemeintes Zitat aus dem Sturm beziehen oder ob es ein Hinweis auf Aldous Huxleys Roman eines chemisch ruhig gestellten, sexlosen Weltstaates im Jahr 2540 sein soll.) Bis zur Finanzkrise waren die Banken die Innovatoren, die Antreiber der Entwicklungen auf dem Finanzmarkt. Sie gaben die Ideen und die Richtung vor. Sie hatten das Ohr der politischen Klasse. Die Krise, der Vertrauensverlust und die anschließende globale Regulierungswelle haben die Banken ihre Vormachtstellung gekostet. Doch bei den Vermögensverwaltern gelten ebenfalls neue Gesetze. Der Wettbewerb um das Geld der Welt wird mit immer härteren Bandagen geführt. Größe und Reichweite werden im Geschäft mit den Anlegern entscheidend, nur dann lassen sich die wachsenden Kosten breit verteilen. Denn mit der globalen Expansion sind die Ausgaben für Marketing und Vertrieb in der Branche drei Mal so schnell gestiegen wie die Erlöse, so eine Analyse der Berater von McKinsey & Co (September 2012). Das erhöht den Druck. Wer nicht genug Kapital ansaugen kann, um im weltweiten Wettbewerb um Kunden und Margen bestehen zu können, wird sich künftig mit den Brotkrumen vom Tisch der Riesen zufrieden- oder gleich ganz aufgeben müssen. Ende 2012 kontrollierten die 20 größten Vermögensverwalter 49 Prozent des weltweit verwalteten Kapitals. Die Amerikaner
dominieren klar: 14 der Topfirmen stammen aus den USA. Und sie haben die europäische Konkurrenz in deren Heimatmarkt abgehängt: Zwischen 2008 und 2012 gingen 50 Prozent der Netto-Neuzuflüsse in europäische Fonds auf das Konto von sechs amerikanischen Anbietern. Die Konzentration auf eine Handvoll Big Player wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. (PWC-Studie) Finks BlackRock hat bisher einen gewaltigen Vorsprung. Doch wer im Verteilungskampf in Zukunft mithalten will, muss es vor allem schaffen, in den Schwellenländern erfolgreich zu sein. Zwischen 2010 und 2020 wird über eine Milliarde Konsumenten weltweit neu in die Mittelschicht aufsteigen – der größte Anstieg dieser Art in der Menschheitsgeschichte. Der größte Teil dieser Mittelschicht wird nicht länger in Europa, sondern in Asien zu Hause sein. Zwar verwaltet die Branche in Asien (ohne Japan) bisher lediglich bescheidene 5 Billionen Dollar an Kapital und in Lateinamerika gerade mal 2 Billionen – zum Vergleich: in den USA sind es 34 Billionen, in Europa 20 Billionen Dollar. (Zahlen: Boston Consulting Group 2013) Doch was für Fink und seine Rivalen wesentlich wichtiger ist: Die Wachstumsraten in den Schwellenländern sind weit höher als in den Industrienationen. Zwischen 2007 und 2012 wuchsen die Zuflüsse in den asiatischen Ländern (ohne Japan) um jährlich durchschnittlich 9 Prozent. In Lateinamerika waren es sogar 13 Prozent. In Europa und Nordamerika betrug der Zuwachs im selben Zeitraum jeweils magere zwei Prozent. (Boston Consulting Group) Wie schon vor ihnen Autohersteller und Modehäuser haben auch die Finanziers China ins Visier genommen. Chinas spektakuläres Wirtschaftswachstum hat über das vergangene Jahrzehnt eine aufstrebende Schicht von Stadtbewohnern geschaffen, die zunehmend Geld für private Altersvorsorge oder die Ausbildung der Kinder zur Seite legt. Noch kämpfen die Geldverwalter im Reich der Mitte mit Bürokratie und Regulierung. Der Zugang für
ausländische Anbieter ist begrenzt. Doch das alles dürfte sich bald ändern, wenn China immer mehr den Anschluss an die internationalen Finanzmärkte sucht. »Vermögensverwalter haben eine glänzende Zukunft in China«, schwärmen Analysten der Citigroup in einer Studie über die Chancen der Branche in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. BlackRock jedenfalls will vorn mit dabei sein. Fink kann es offenbar nicht schnell genug gehen. Bei einer Telefonkonferenz mit Analysten und BlackRock-Aktionären in 2011 gestand er laut Bloomberg, die Zuflüsse von Investoren dort kämen »langsamer, als wir uns wünschen«. Erst nach einer Wartezeit erhielt der schwarze Riese 2012 eine Lizenz für direkte Investitionen in Chinas heimischem Aktienmarkt, berichtete die Financial Times. Auch in China setzt Fink darauf, die richtigen Schlüsselfiguren zu rekrutieren – wie etwa 2013 Wang Hsueh-Ming. Die Absolventin der New Yorker Columbia University war zuvor bei Goldman Sachs, wo sie es zum begehrten Partnerstatus gebracht hatte. Mit ihren guten Verbindungen zu Finanzkreisen in ihrer Heimat half sie Goldman, zwei wichtige Mega-Deals an Land zu ziehen: die Börsengänge der Telefongesellschaft China Telecom und des Ölkonzerns PetroChina. Dabei arbeitete sie eng mit Goldmans damaligem Vorstandschef Hank Paulson zusammen, wie die Financial Times notierte. In einer Hinsicht ist China dem Westen voraus: Die Verschmelzung von Finanzen und Technologie. Als der eCommerce-Gigant Alibaba einen Geldmarktfonds für Kunden anbot, floss innerhalb der ersten acht Monate so viel Kapital in den Fonds, dass er innerhalb kürzester Zeit zu einem der größten Geldmarktfonds der Welt anschwoll. Anfang 2015 betrug das angesammelte Kapital des Fonds 93 Milliarden Dollar. Auch im Silicon Valley wächst das Interesse, im Finanzbereich mitzumischen. Google etwa investiert in Online-Kreditplattformen. Apple debütierte im
Herbst 2014 mit Apple Pay, einer Art digitalen Kreditkarte. Nutzer können ihre Rechnung mit ihrem Mobiltelefon bezahlen. Vielleicht steckt das hinter der Entscheidung, BlackRock-Gründungsmitglied Sue Wagner in den Aufsichtsrat von Apple zu schicken. Der Aufsichtsratsposten in einem Unternehmen ist eine Ausnahme. Denn BlackRock, wie auch alle anderen großen Geldverwalter, vermeidet es, direkt eigene Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden. (Sonst würden Insiderregeln gelten und BlackRock-Fonds könnten nicht mehr so frei Aktien des betreffenden Unternehmens kaufen und verkaufen.) Wagner, muss man dazu sagen, hat sich 2012 bei BlackRock aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, ist aber noch im Aufsichtsrat vertreten. »Sue ist eine Pionierin der Finanzindustrie und wir freuen uns, sie im Aufsichtsrat von Apple willkommen zu heißen«, ließ Apple-Chef Tim Cook bei Wagners Ernennung im Sommer 2014 verlauten. Wagner ist nicht das einzige Bindeglied zwischen dem Koloss der Wall Street und dem Giganten aus dem Silicon Valley: BlackRocks Fonds gehören zu den Topanteilseignern von Apple. BlackRock macht es vor: Die neuen Finanzriesen werden global, digital und vor allem enorm groß sein. Und damit praktisch überall dabei. Auch wenn die Deutschen weiterhin skeptisch und zurückhaltend sind in Sachen privater Geldanlage – der Aufstieg der Geldverwalter wird an Deutschland nicht vorbeigehen. Denn die Branche muss ihre Billionen weltweit investieren. Deutsche Unternehmen und Immobilien werden so zu Anlageobjekten für die neue globale Mittelschicht. Bei den großen Dax-Unternehmen ist es schon so weit. Nicht nur ETFs sind stark engagiert, auch das Interesse von Hedgies steigt. Da ist Cevian, der Hedgefonds, der bei Thyssen-Krupp eingestiegen ist – Anfang 2015 hatten die Schweden bereits 15 Prozent. Damit verringert sich der Abstand zur Krupp-Stiftung, die
nur noch 23 Prozent hält, immer mehr. Wenn sich Cevian mit anderen Investoren verbünden könnte, dann sind sie endgültig am Ruder. Beim Baukonzern Bilfinger hat Cevian innerhalb kurzer Zeit dafür gesorgt, dass Vorstandschef und Aufsichtsratschef gehen mussten. Die Entwicklung wird aber nicht auf die börsennotierten Unternehmen beschränkt bleiben. Die Heuschrecken haben den deutschen Mittelstand entdeckt. Die Berater von PwC führten Anfang 2014 eine Umfrage durch und fanden heraus, dass 85 Prozent der Private-Equity-Firmen, die zu dem Zeitpunkt bereits in Deutschland investiert hatten, weitere Unternehmen dort erwerben wollten. Und von den Finanzinvestoren, die bisher noch nicht vertreten waren, bekundeten 26 Prozent ihr Interesse an Zukäufen in Deutschland. »Die Investoren warten nur noch auf passende Kaufgelegenheiten, um zuzugreifen«, erzählte Steve Roberts, der Leiter des Geschäfts mit Private-EquityFirmen bei PwC, der Wirtschaftswoche. Die Verfasser der »Brave New World«-Studie sehen nur ein wirkliches Problem für die Mega-Manager: das wachsende Misstrauen der Menschen. Die Branche werde das Vertrauen der breiteren Gesellschaft gewinnen müssen, heißt es da. Um eine Gegenreaktion von Regulierern und Bürgern wie nach der Finanzkrise künftig zu verhindern. Will heißen: Sonst könnte den Finanztitanen womöglich dasselbe blühen wie den Großbanken. Als Instrumente schlagen die Autoren massives Lobbying und PRKampagnen vor. Und empfehlen »enge Kontakte zu Entscheidern und Medien« aufzubauen. Sowohl auf Branchenebene als auch auf Unternehmensebene sollten »Beziehungen zu politischen Entscheidungsträgern« gepflegt werden. Man werde daran arbeiten müssen, dass die Gesellschaft die Geldverwalter als Lösung und nicht als Teil des Problems erkennt. Für die Mega-Manager, allen voran BlackRock, geht es darum weiter zu wachsen, noch mehr Anlegergeld in ihre
Fonds zu holen. Da eröffnet etwa Nähe zu den Entscheidungsträgern noch andere potenzielle Möglichkeiten. Monica Lewinsky: Retterin des Rentensystems Immer wieder bemüht sich die Wall Street, Kapital, das in öffentliche und staatliche Altersvorsorgesysteme fließt, in ihre Kassen umzuleiten. Das Unterfangen gilt als der Heilige Gral der Finanzindustrie. Wenn jemand ihn erreichen könnte, dann Larry Fink. So ist BlackRock in Großbritannien etwa bereits der zweitgrößte Pensionsverwalter. Während der ersten Jahrzehnte des Aufstiegs von BlackRock blieb Fink im Hintergrund. In der Öffentlichkeit trat er selten auf. Selbst als sich der Erfolg eingestellt hatte, blieben er und sein Unternehmen dem Rampenlicht fern. Interviews waren selten. Das änderte sich plötzlich im Jahr 2013. Seither taucht Larry auf allen Kanälen auf: im Frühstücksfernsehen, in Washington, in Madrid, in London und Berlin. Er schreibt Meinungsbeiträge für das Wall Street Journal, gewährt der spanischen El País eine Audienz im Ritz. Spricht mit Hamburger Spiegel-Redakteuren, wo er erklärt, die Deutschen seien zu ängstlich bei der Geldanlage. Er tritt vor Studenten auf, vor Bankern, Anlegern, Politikern. Manchmal spricht er sogar bei zwei verschiedenen Veranstaltungen an einem Tag. Denn Fink hat eine Botschaft, die er verkünden will: Unsere Altersvorsorgesysteme sind dringend reformbedürftig. In den USA hat Fink sogar einen Rentennotstand ausgerufen. Eine nationale Krise! Und die Lösung hat der Chef von BlackRock auch gleich parat: private Vorsorge – und zwar nicht länger freiwillig, sondern als staatlicher Zwang. Sein liebstes Beispiel ist Australien. Dort hat die Regierung bei der Rentenreform die Einzahlung in einen
Sparfonds seit Januar 2014 verpflichtend gemacht. Fink würde noch weitergehen. In den USA plädierte er dafür, die Hälfte der Beiträge (12,5 Prozent von Lohn oder Gehalt) für die staatliche Rentenversicherung Social Security in private Töpfe fließen zu lassen. Denn die Social Security sei nur als Versicherung gedacht gewesen und eine »schreckliche Geldanlage«. Dass immer noch so viele Bürger an den öffentlichen Systemen festhalten wollen, liegt nach Auskunft von Fink nur an deren verzerrtem psychologischen Blickwinkel. Studien hätten ergeben, dass Menschen die Angst vor Verlusten höher bewerteten als den potenziellen Genuss von Gewinnen. Diese Angst gilt es seiner Ansicht nach zu überwinden. Er selbst, so erzählt der Multimillionär gerne, sei 100 Prozent in Aktien. Das Thema, das in Finks Berichten, wenn überhaupt, nur gestreift wird: Was die Finanzkrise mit den Ersparnissen vieler Durchschnittsamerikaner anrichtete. Durch die Finanzkrise 2008 erlitten viele der 401(k)-Sparkonten Einbußen von bis zu 30 Prozent. Da klingt es fast zynisch, wenn Fink dazu auffordert, das Risiko von Verlusten etwas lockerer zu sehen. Fink ist auch ein Befürworter für längere Lebensarbeitszeiten: Warum solle man ein Drittel seines Lebens unproduktiv sein? – fragte er in einem Interview im August 2013. »In meinen Augen ist es ein Segen, bis 67 oder 68 zu arbeiten.« Dass es für viele normale Arbeitnehmer schlicht eine Rentenkürzung bedeutet, weil sie in diesem Alter keinen Job mehr finden und entsprechende Abschläge in Kauf nehmen müssen, darüber verliert Fink kaum ein Wort in seinen Interviews und Vorträgen. Die Altersabsicherung sei ihm ein Anliegen, erklärt Fink, weil er selbst sich dem Rentenalter nähere – Fink ist 1952 geboren – und weil BlackRock weltweit eine derart große Rolle für die Vorsorge spiele. Man kann es allerdings auch andersherum sehen: Für BlackRocks künftiges Wachstum spielen Zuflüsse von Sparern eine
entscheidende Rolle und je mehr aus den öffentlichen Töpfen in die privaten umgeleitet wird, desto größer die Chance, dass der Branchenprimus einen überproportionalen Anteil davon für sich gewinnt. Larry Fink ist eine der mächtigsten Stimmen, die sich für die Privatisierung einsetzen. Doch die Attacke auf die öffentlichen Alterssicherungssysteme hat eine lange Geschichte in Amerika – und BlackRock spielt darin auf gewisse Weise die Rolle eines Handlangers. Dahinter steckt ein ideologischer Kampf, das Ringen von Verfechtern einer libertären Wirtschaftsordnung mit Befürwortern des Sozialstaates. Die radikalen Marktwirtschaftler wollen die Rolle des Staates zurückfahren. Und dazu gehören auch und gerade die öffentlichen Absicherungssysteme. Besonders in Amerika hat die Ideologie mehr und mehr Anhänger unter Private-Equity-Baronen, HedgefondsTitanen und Großindustriellen gefunden. Sie nehmen mit ihren enormen finanziellen Mitteln und dank wohlgesonnener Richter, die Beschränkungen für Wahlspenden aufgehoben haben, immer deutlicheren Einfluss auf die Politik. In den USA wird der Kampf schon seit Jahrzehnten geführt. Im Jahr 1980, kurz vor Reagans Amtsübernahme, veröffentlichte der neoliberale Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman eine Schrift, in der er für »Entscheidungsfreiheit« plädierte. Gemeint war ein Auslaufen des Social-Security-Programms. Reagan zeigte sich offen für die Idee, doch ein Vorstoß scheiterte. Die staatliche Altersvorsorge war zu populär. Reagan ließ Social Security stattdessen nur kürzen. Doch Miltons Idee war nicht vergessen. 1984 verfassten Stuart Butler und Peter Germanis vom libertären Think Tank Cato Institute – zu deren Hauptgeldgebern die Koch-Brüder gehören, die später als Tea-Party-Sponsoren und -Organisatoren bekannt wurden – ein Strategiepapier. Die beiden Cato-Vordenker empfahlen eine »Leninistische Strategie« anzuwenden und
eine Art Guerilla-Taktik gegen Social Security einzusetzen. So wie Lenin Arbeiter mobilisieren wollte, damit der Kapitalismus schließlich zusammenbrechen würde, so wollten sie Banker, Versicherer und Vermögensverwalter zu Verfechtern der Privatisierung machen. Sie sollten nach und nach die Politik von den Nachteilen der öffentlichen Systeme überzeugen, während sie gleichzeitig die private Vorsorge als überlegen darstellten. Die Finanzindustrie bot sich als ein logischer Partner an. (So beschreibt es der USRentenexperte James W. Russell in seinem Buch Social Insecurity über Amerikas Altersvorsorgekrise.) Unter Präsident Bill Clinton kam die nächste Gelegenheit. Clinton holte den ehemaligen Morgan-Stanley-Banker Erskine Bowles als seinen Stabschef ins Weiße Haus. Bowles Aufgabe: Social Security zumindest zum Teil über den Aktienmarkt zu finanzieren und dafür staatliche Leistungen zurückzufahren. Mit dieser Reform wollte Clinton in die Geschichte eingehen. Die Gelegenheit schien günstig: Der Aktienmarkt erlebte eine Rally, die amerikanische Wirtschaft boomte. Clintons Sozialministerin Donna Shalala berief eine Kommission, die Vorschläge erarbeiten sollte. Mit dabei: Pete Peterson, Mitgründer von Blackstone und einst Finks Finanzier. So nahe wie unter Clinton kam die Wall Street nie wieder an den Heiligen Gral. Laut dem Historiker Steven Gillon, der alle Beteiligten später interviewte, gab es bereits eine entsprechende Einigung zwischen Clinton und Newt Gingrich, der damals der Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus war. »Der Präsident war bereit gegen den Willen seiner eigenen Partei vorzugehen und sich für die von den Republikanern geforderte Einführung von privaten Sozialversicherungskonten einzusetzen«, schreibt Gillon in seinem Buch Der Pakt.
Doch dann sorgte Clintons Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky für einen Skandal und das Amtsenthebungsverfahren. Obwohl der Präsident beides überstand, traute sich Clinton nicht mehr, kontroverse Projekte anzuschieben. »Monica Lewinsky änderte alles«, sagte Bowles selbst. So rettete die damals erst 22-jährige Lewinsky die staatliche Altersvorsorge der amerikanischen Rentner. Der nächste ernsthafte Vorstoß erfolgte unter George W. Bush. Mit dem Slogan einer »Ownership Society«, einer Gesellschaft der Eigentümer, warb er dafür, die staatliche Rentenversicherung zumindest teilweise in private Sparkonten umzuwandeln. Doch Bush verbrannte sich bei dem Versuch, die vor allem bei Älteren beliebte Absicherung abzuschaffen. Ältere Generationen haben eine höhere Wahlbeteiligung. Die Abschaffung von Social Security gilt deshalb seither als politisches Gift in Washington – als »Third Rail«, das ist die Bezeichnung für das dritte, das stromführende Gleis der U-Bahn. Wer das »Third Rail« anfasst, erleidet einen meist fatalen Elektroschock. George W. Bushs Scheitern hat dazu geführt, dass die Verfechter der Privatisierung ihre Vorgehensweise geändert haben. Eine frontale Attacke hat sich mehrfach als abträglich erwiesen. Jetzt versuchen sie, auf Umwegen zum Ziel zu kommen. Sie warnen vor der Überlastung der Systeme durch die Überalterung und davor, dass die jüngere Generation am Ende leer ausgehen wird. Deswegen müssten sie mit privater Vorsorge kombiniert werden. Doch bei Normalverdienern ist das Haushaltsbudget begrenzt. Je mehr in die privaten Fonds fließt, desto weniger fließt in die öffentlichen Systeme. Das führt zu Kürzungen bei den Leistungen. Und so werden die düsteren Prophezeiungen der Kritiker schließlich wahr: Die öffentlichen Systeme sind angeschlagen und reichen zur Absicherung nicht mehr aus.
Auch unter Barack Obama kam die Diskussion der SocialSecurity-Reform wieder auf. Dieses Mal argumentierten die Reformer mit der wachsenden Verschuldung der USA. Langfristig, so ihr Argument, sei Social Security ohne drastische Einschnitte nicht zu halten. »Fix the Debt« lautete das Motto der Initiative, deren Ziel es war, die USA vor der Überschuldung zu retten. Angeschoben hat »Fix the Debt« ein alter Bekannter: Pete Peterson, der inzwischen pensionierte milliardenschwere BlackstoneMitgründer. Petersons erklärtes Anliegen ist die Reform, sprich die Kürzung der staatlichen Altersvorsorge. Als Hebel versuchte er die Haushaltskrisen in Washington einzusetzen. Die Initiative der Reichen und Mächtigen – neben Fink waren auch Jamie Dimon, Chef der Megabank JPMorgan Chase sowie Jeffrey Immelt, Boss von General Electric, dabei – verzeichnete Erfolge. Präsident Obama dachte öffentlich über eine neue Formel für die Anpassung der Rente an die Lebenshaltungskosten nach – was in einer schleichenden Kürzung resultieren würde. Der Vorschlag kam von einem Komitee, das »Fix the Debt« sehr nahesteht. In seiner zweiten Amtszeit hat Obama neue Sparverträge namens myRA eingeführt, für Arbeitnehmer, die keinen 401(1)-Plan über ihren Arbeitgeber bekommen. Die myRA-Sparverträge sind zwar weit entfernt von den Zwangssparplänen, die Fink sich vorstellt – sie können nur in Staatsanleihen investieren –, aber es ist ein erster Schritt in die Richtung. Der Vorstoß der Privatisierer beschränkte sich keineswegs auf die USA. 1994 – das Jahr, in dem Clinton den heimlichen Social-Security-Pakt mit der Opposition schloss – veröffentlichte die Weltbank eine Studie mit dem warnenden Titel »Averting the Old Age Crisis«. Die Studie sorgte dafür, dass der Privatisierungsgedanke international an Schlagkraft gewann. Auch das historische Umfeld passte: Der Fall der Mauer gepaart mit dem Untergang der
Sowjetunion ließ die Verfechter freier Märkte als Sieger dastehen. Die Weltbank propagierte unter anderem, die »maroden« öffentlichen Absicherungssysteme in Osteuropa lieber weiter abzubauen, statt sie zu retten. Damit sollte auch privates Kapital für den Wiederaufbau und Investitionen freigesetzt werden. Das waren einst auch die Argumente für eines der radikalsten Experimente mit der privaten Altersvorsorge. Es fand in Chile statt. Das südamerikanische Land schaffte Anfang der 1980er die staatliche Rentenversicherung ab, die nach dem Umlagesystem finanziert worden war, und ersetzte sie durch private Sparpläne. Arbeitnehmer zahlen seither 10 Prozent ihrer monatlichen Einkünfte in ihre individuellen Konten ein. Die Umstellung war teuer und wurde mit staatlichen Mitteln bezahlt. Durchsetzen ließ sich das, weil Chile damals vom Diktator Augusto Pinochet regiert wurde. Hinter der Initiative steckt José Piñera, ein Minister Pinochets, der sich von Milton Friedmans Thesen inspirieren ließ. In den 1990er Jahren folgten weitere Länder der Region dem chilenischen Beispiel – darunter Argentinien, Costa Rica und Mexiko. Piñera sei der »Rattenfänger der Rentenreform«, schrieb das Wall Street Journal, unklar ist, ob sie dabei an die düstere Sage aus Hameln dachten. (Piñera ist heute Sozial-Experte am Cato Institute in Washington.) Chile war auch das Vorbild für George W. Bush. Weltweit wird das Land als Beispiel für gelungene Privatisierung gelobt – zumindest von Anhängern der neoliberalen und libertären Theorien. Die Rentenfonds haben 162 Milliarden Dollar angesammelt, das entspricht immerhin 62 Prozent des chilenischen Bruttoinlandsprodukts. Viele Chilenen der Mittelschicht zeigen sich zufrieden mit dem System. Doch Kritiker monieren die im internationalen Vergleich hohen Gebühren für die Verwaltung der privaten Konten. Und als die erste Generation nach der Umstellung in Pension gehen sollte, stellten sich Defizite heraus. Statt höhere monatliche
Auszahlungen als beim früheren staatlichen System klagten viele Pensionäre, ihre Einkünfte seien weit geringer als die ihrer ehemaligen Kollegen, die noch unter dem alten System in Rente gegangen waren. Viele Chilenen verdienten so wenig, dass sie unter dem Minimum an Einzahlungen blieben. Der Staat musste einspringen. Die Unzufriedenheit mit der extremen sozialen Ungleichheit in Chile brachte Michelle Bachelet an die Macht. Die Sozialistin hatte bereits 2006 in ihrer ersten Amtszeit versucht, eine Rückkehr zu einem staatlichen Rentensystem einzuleiten. Damit war sie gescheitert. Doch 2008 wurde das Pensionssystem um eine Solidar-Rente ergänzt, die Ruheständlern eine Grundsicherung bieten soll. Das private Rentensystem in Chile kämpft mit ähnlichen Problemen wie das Umlageverfahren, das es einst abgelöst hat: Die Ausbildungszeiten für junge Menschen dauern länger und die Chilenen werden immer älter. Das verkürzt die Zeit, in denen sie als Erwerbstätige einzahlen können. Und auch in Chile werden langfristige und ununterbrochene Anstellungsverhältnisse immer seltener. Damit die Kalkulation aufgeht, müssen Beitragszahler jedoch ihre Beiträge stetig und in genügender Höhe leisten. Immerhin einen Gewinner gab es: die Fondsbranche, der ein ganzes Land von Pflichtsparern zugeführt wurde. Chiles Erfolge und Fehler bei der Umstellung auf ein kapitalgedecktes Pensionssystem haben Bedeutung weit über das südamerikanische Land hinaus. Piñeras Experiment sollten Reformer in aller Welt studieren. Deutschlands Riester-Renten-Experiment Auch Deutschland hat ein Experiment mit privater Vorsorge unternommen. Die Riester-Rente, die 2001
eingeführt wurde. Es war der Versuch, der demografischen Falle zu entkommen. Die Zahlen sprechen für sich: Demnach wird die erwerbstätige Bevölkerung in Deutschland ab 2020 deutlich zurückgehen und nach Hochrechnungen des Statitischen Bundesamtes vom April 2015 bis 2060 (je nach Stärke der Nettozuwanderung) zwischen 34 und 38 Millionen betragen. Zum Vergleich: Noch 2013 waren 49 Millionen in der Altersgruppe zwischen 20 und 64 Jahren. Die Bevölkerung unter 20 wird von 15 Millionen auf 11 bis 12 Millionen sinken. Dagegen wird die Anzahl der Menschen ab 65 Jahren weiter steigen. Im Jahr 2060 wird die Gruppe der über 65-Jährigen bis zu 23 Millionen betragen. Jeder dritte Deutsche wird dann im Ruhestand sein. Und der Paritätische Wohlfahrtsverband schätzt, dass bis 2025 10 Prozent der Rentner in Deutschland von Altersarmut betroffen sein werden. Die Lösung sahen die Rentenreformer von 2001 in mehr betrieblicher und mehr privater Vorsorge. Statt auf ein hohes Rentenniveau abzuzielen und dafür steigende Beiträge für die gesetzlich Rentenversicherten in Kauf zu nehmen, verzichtete man auf Anpassungen. Die entstehende Lücke, so der Plan, sollten Riester-Renten und Betriebsrenten stopfen. Doch die Riester-Rente, benannt nach dem früheren Sozialminister Walter Riester, hat die hoch gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Zwar »riestern« inzwischen 16 Millionen Bundesbürger, aber um die gewünschte Wirkung zu entfalten, müssten es noch viel mehr sein. Und es sind oft diejenigen, die über andere Vermögenswerte wie Immobilien verfügen. Ausgerechnet bei denjenigen, für die eine private Altersvorsorge am wichtigsten wäre, klaffen Lücken. Dazu kommt heftige Kritik an den RiesterProdukten. Die Finanzbranche hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. »Altersarmut-Alarm! Fast alle Riester-Renten fallen durch«, schrieb etwa die Stiftung Warentest in ihrem
Finanztest-Magazin Ende 2013. Nur fünf der 42 geprüften Angebote hatten in den Augen der Finanztester Bestand. »Die Riester-Rente ist mittlerweile ineffizient. Anleger können ihr Geld in vielen Fällen genauso gut in einen Sparstrumpf legen«, schimpft Verbraucherschützer Axel Kleinlein, einer der schärfsten Kritiker der Branche in einem Interview mit dem Handelsblatt. Auch die RürupRente, das Pendant der Riester-Rente für Selbstständige, findet bei ihm keine Gnade, denn dieses Produkt sei ebenfalls ineffizient für die Sparer – und obendrein unkündbar. Die Kritik hat sicher zur Skepsis der Sparer beigetragen und damit die Riester-Rente noch weiter hinter die ursprünglichen Ziele zurückfallen lassen. Nicht einmal die Politik interessiert sich für das Schicksal der mit viel Tamtam eingeführten Zusatzrente. »Die Riester-Rente stirbt schleichend«, diagnostizierte Spiegel Online ebenfalls im Dezember 2013. »Union und SPD wollen Milliarden in die gesetzliche Rente pumpen, für die Förderung der Riester-Rente haben sie nichts übrig«, heißt es da. Und ähnlich wie in Chile hat auch die Bundesregierung die große Rentenwende hin zu den Privaten zumindest teilweise durch die Leistungsausweitungen der gesetzlichen Rente 2014 wieder zurückgenommen. Die deutsche Politik sei ja leider inzwischen gegen die private Vorsorge eingestellt, bedauert ein deutscher Fondsmanager, der bei einem großen internationalen Fonds arbeitet. Aber er ist überzeugt, dass die demografischen Zwänge langfristig auch die Deutschen in die Arme der Geldverwalter treiben werden. Und sei es aus Mangel an Alternativen. Die gesetzliche Rente reiche nicht aus und die bisherige Art der privaten Altersvorsorge habe kaum eine bessere Zukunft. »Sehen Sie, die beiden Lieblingsanlageprodukte der Deutschen, das Sparbuch und die Lebensversicherung, sind praktisch tot«, sagt der Fonds-Mann. Die anhaltenden Niedrigzinsen nach der
Finanzkrise haben die Rendite dieser Produkte plattgemacht. Bei den Jüngeren ist die Botschaft bereits angekommen: Auf gemeinschaftliche Absicherung ist kein Verlass mehr. Knapp 70 Prozent der Befragten zwischen 18 und 34 Jahren glaubten bei einer Umfrage unter jungen Deutschen von Infratest im Frühjahr 2014 nicht mehr, von ihrer gesetzlichen Rente später auskömmlich leben zu können. Die Finanzindustrie bestärkt sie gerne in diesem Glauben – und darin, dass die Lösung nur sein kann, so viel wie möglich auf die hohe Kante zu legen beziehungsweise in ihre Produkte zu investieren. Damit BlackRock und die anderen Vermögensverwalter weiter wachsen können, müssen Sparer noch mehr zur Seite legen. Kein Wunder, dass Fink nicht müde wird, die Staatsoberhäupter und Wirtschaftsspitzen regelmäßig daran zu erinnern, dass Sparen gefördert werden muss. Am besten durch die Einführung von Zwangssparen. Das ist Larry Finks jüngster Feldzug. Das wäre der krönende Triumph seines Aufstiegs. Die Regierung und BlackRock, Hand-in-Hand. Übereifrige Aufseher stören da nur. Risiko? Was für ein Risiko? Wer in Manhattan die 14. Straße entlang in Richtung East River geht, sieht plötzlich hohe Backsteintürme aufragen. Wie die ziegelrote Trutzburg einer fremden Kultur heben sich die strengen Blöcke von dem typischen New Yorker Architektur-Allerlei drum herum ab. Das ist StuyvesantTown, eine 32 Hektar große Siedlung mit 110 Gebäuden, benannt nach Peter Stuyvesant, jenem Generaldirektor der Neu-Niederlande, der das damalige Neu-Amsterdam im 17. Jahrhundert als Handelsplatz (unter anderem für Sklaven) etablierte und an der Südspitze Manhattans einen
Schutzwall errichtete – die heutige Wall Street. Zusammen mit dem benachbarten Peter Cooper Village ist die nach dem alten Friesen benannte Siedlung der größte Apartment-Komplex in Manhattan. Und sie wird zum Schauplatz der bisher schwersten Niederlage in der Geschichte von BlackRock. Nirgendwo sonst hat sich das Unternehmen so offensichtlich derartig verschätzt. Ausgerechnet in einem der Bereiche, in denen Fink & Co. als besonders versiert galten: Immobilienfinanzierung. Gebaut wurde Stuyvesant Town oder kurz Stuy Town, wie die New Yorker sagen, vom Versicherungskonzern Metlife nach dem zweiten Weltkrieg. Damals herrschte wie heute wieder Not an erschwinglichen Wohnungen in New York. Stuy Town –zunächst nur weißen Mietern vorbehalten (erst 1950 ließ der Versicherer auf Druck engagierter Bewohner auch schwarze Familien einziehen) – sollte der Mittelschicht und öffentlichen Bediensteten wie Lehrern, Feuerwehrleuten, Polizisten eine Alternative zur Stadtflucht bieten. Viele der ersten Bewohner waren Kriegsveteranen. Peter Cooper Village mit seinen für damalige Verhältnisse luxuriöseren Einheiten war für Ärzte, Rechtsanwälte und andere freie Berufe gedacht. Metlife war ein guter Vermieter, sagt Susan Steinberg. Als sie 1980 in ihr Stuyvesant-Apartment zog, war sie begeistert. »Ich dachte, ich sei gestorben und lebte jetzt im Paradies.« Festangestellte Hausmeister kümmerten sich prompt um Reparaturen, Gärtner pflegten die Parkanlagen. Steinberg, langjährige Vorsitzende des Stuyvesant-CooperMieterbundes, hatte zwei Jahre auf ihr Apartment gewartet. Die Wartezeit wuchs später auf über 20 Jahre an, so begehrt war der Komplex. Von Steinbergs Wohnzimmerfenster im 11. Stock hat man einen Blick auf die New Yorker Skyline und das Empire State Building. Obwohl der Wolkenkratzer nur ein paar Häuserblocks entfernt ist, wirkt die City wie eine entfernte Kulisse. 25
000 Menschen leben in der Siedlung. »Das Leben hier war wie in der Kleinstadt, wie hatten eine Gemeinschaft«, sagt Steinberg. Sie spricht in der Vergangenheit. Denn das Stuyvesant, das sie seit 30 Jahren kennt, gibt es nicht mehr. Schuld sind nach Steinbergs Ansicht der Investor BlackRock und dessen Immobilienpartner. Und das kam so: Während des Immobilienbooms Anfang der 2000er weckte Stuy Town Begehrlichkeiten. Metlife beschloss, die Siedlung zu Geld zu machen. Und so verkaufte der Versicherungsriese Stuyvesant Town und Peter Cooper Village für den Preis von 5,4 Milliarden Dollar an ein Konsortium um BlackRock und Tishman Speyer. Es war der absolute Rekord. In vielerlei Hinsicht markierte der Deal den Höhepunkt des Betongoldrausches der frühen 2000er Jahre. Viele von BlackRocks guten Kunden kamen mit an Bord: etwa Calpers, der Pensionsfonds der öffentlichen Angestellten des Bundesstaates Kaliforniens, der 500 Millionen Dollar in das Projekt steckte. Auch der Schwesterfonds CalSTRS, der die Pensionskasse der kalifornischen Lehrer verwaltet, war mit 100 Millionen an Bord. Der Staatsfonds Singapurs investierte 575 Millionen Dollar. BlackRocks Partner war Tischman Speyer, eine der großen New Yorker Immobiliendynastien. Rob Speyer und sein Vater Jerry leiten das Unternehmen, zu dessen prominenten Engagements unter anderem das Rockefeller Center, das Chrysler Building und der Frankfurter Messeturm gehören. Speyer Senior hat gute Beziehungen zur Wall Street. Schließlich war er von 2001 bis 2007 im Aufsichtsrat der New Yorker Notenbank. Viele der Mieter des Stuyvesant-Komplexes genießen Bestandsschutz – ihre Miete darf nicht erhöht werden. Das hat dazu geführt, dass sie heute mehrere hundert Dollar zahlen für Wohnraum, für den sie auf dem freien Markt mehrere tausend Dollar zahlen müssten. Laut der Mieteraktivistin Steinberg sei der Plan gewesen, möglichst
viele Apartments möglichst schnell auf die marktübliche Miete anzuheben. Doch der gesetzliche Bestandsschutz war dabei im Weg. Tishman Speyer habe allerlei legale Manöver probiert, um Mieter mit einer Mietgarantie loszuwerden, sagt Steinberg. Sie schüttelt den Kopf über das Engagement der Pensionsfonds bei der Stuy-TownÜbernahme. »Haben die sich denn nicht überlegt, dass die Folgen eines solchen Deals genau die Art von Leuten treffen, die auch ihre Mitglieder sind?«, fragt sie. Normalverdiener, Rentner, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind. Ob Calpers und Calstrs dabei nur auf die versprochene Rendite geschaut hätten? Aber in der neuen Welt der Vermögensverwalter haben solche Überlegungen wohl keinen Platz. Das Kalkül der Investoren ging letztlich nicht auf. Die Mieter wehrten sich, zogen vor Gericht. Und gewannen. Tishman musste in vielen Fällen die Mieterhöhungen zurücknehmen. Dazu kam die Rezession nach der Finanzkrise 2008. Manhattans Mietpreise gaben nach. 2010 war klar, dass der größte Immobiliendeal zur größten Immobilienpleite zu werden drohte. Die Gläubiger machten Druck. Da entschlossen sich Tishman und BlackRock Stuyvesant Town und Peter Cooper an die Kreditgeber zu übergeben. Die Investoren verloren ihren Einsatz. Für Calpers waren es 500 Millionen Dollar. Ein herber Verlust für den Pensionsfonds. Peinlich für BlackRock: Die Kalifornier, deren Strategien am Markt genau beobachtet werden, entzogen BlackRock das Mandat für das Immobilienportfolio. Aber abgesehen von der Delle im schön polierten Ruf kam BlackRock mit vergleichsweise übersichtlichen Verlusten von 112 Millionen Dollar davon, so berichtete die New York Times im Januar 2010. (Auch Tishman Speyer verlor 112 Millionen Dollar.) In Stuy Town übernahm einer der Gläubiger das Management. Bei den Mietern, die durchgehalten haben, geht die Angst um, vor neuen
Gebühren, neuen Erhöhungen. »Stuy Town ist nicht mehr, was es war«, sagt Steinberg. Sie fürchtet, dass die Siedlung langfristig nicht mehr die bezahlbare Oase in Manhattans Immobilienmarkt sein wird. Stuy Town werde jetzt als »Luxuswohnen« vermarktet. Immer wieder gehen Gerüchte über einen erneuten Verkauf um. Für Fink ist Stuy Town ein wunder Punkt. Jeder mache Fehler, blaffte Fink Reporter des Society-Magazins Vanity Fair an, die sich getraut hatten, nach dem – zumindest für die Kunden – so teuren Desaster zu fragen. Er habe schlaflose Nächte deswegen, behauptete Fink. Schließlich, so der Multimillionär, beziehe seine Mutter ihre Pension von Calpers. Stuy Town war nicht die einzige peinliche Fehleinschätzung. Im Juni 2008 berichtete Bloomberg, BlackRock habe Anteile an Lehman Brothers gekauft. »Wir haben Vertrauen in die Bank, in das Führungsteam«, wird da BlackRocks Präsident Robert Kapito zitiert. Lehmans Spitze hätte eine Geschichte als Team, Fokus, Erfahrung in der Krisenbewältigung, das Vertrauen des Markts. Worte, die Kapito nur wenige Wochen später wahrscheinlich fast noch mehr bereut hat als das finanzielle Engagement. Denn nur zwölf Wochen später trat das von ihm so gelobte Führungsteam um Richard Fuld den Gang zum Konkursrichter an. Dabei war im Juni, als Kapito jenes Bloomberg-Interview gab, Lehman bereits in schweren Turbulenzen. Lehmans Aktien waren in den ersten sechs Monaten um rund 60 Prozent gefallen – ganz offenbar mangelte es den Marktteilnehmern an Vertrauen in Lehman. Um sich selbst zu retten, hatte Fuld bereits seine rechte Hand, Joseph Gregory, und seine Finanzchefin Erin Callan »unter den Bus geworfen«, wie es so anschaulich an der Wall Street heißt. Er hatte sie verantwortlich für die Krise gemacht und gefeuert. Wie Fink richtig sagt, jeder macht Fehler. Dennoch sind das Stuy-Town-Debakel und der Lehman-Fehlgriff wichtige
Momente in BlackRocks Werdegang, denn sie zeigen, dass sich auch BlackRock trotz des immer wieder betonten Fokus auf das »paranoide Risikobewusstsein« und der bewusst kommunizierten Distanz zur Wall Street nicht der dort herrschenden Mentalität und Kultur entziehen kann. Hört man Interviews von Fink, kann man den Eindruck gewinnen, dass sein Unternehmen trotz der gigantischen Reichweite praktisch weniger Risiko für das Finanzsystem darstellt als die Sparkonten einer Volksbank. BlackRock sei lediglich ein Mittler des Anlegerwillens, beharrt der BlackRock-Boss. »Es ist nicht mein Geld«, sagt er wieder und wieder, wenn die Frage nach dem Systemrisiko in Interviews auftaucht. Und er hat recht: Verluste bei den Anlageprodukten trägt der jeweilige Investor, nicht BlackRock als Verwalter. Anders als bei Banken riskieren Vermögensverwalter nicht ihr eigenes Kapital beziehungsweise staatlich garantierte Spareinlagen. Und Vermögensverwalter setzen auch keinen Kredithebel ein. Anders als Lehman und die anderen Banken, die vor der Finanzkrise für jeden eigenen Dollar bis zu 50 dazu liehen. Doch das heißt nicht, dass die Herren des Geldes kein Risiko für die Allgemeinheit bergen. Die Gefahren sehen nur anders aus als die der Banken. Im Frühjahr 2014 lud die London Business School Andrew Haldane zu einer Konferenz ein. Es ging um das Thema Geldanlage. Haldane war zu dem Zeitpunkt der Leiter der Abteilung Finanzmarktstabilität bei der britischen Notenbank, der Bank of England. Was er den Teilnehmern der Veranstaltung zu sagen hatte, ließ Fondsbetreiber zusammenzucken und Aufseher weltweit aufhorchen. »Wir leben in der Ära der Vermögensverwalter«, erklärte Haldane. Weltweit gebe es immer mehr potenzielle Sparer – und damit potenzielle Kunden für die Branche. Seit 1950 sei die Lebenserwartung um nahezu 50 Prozent gestiegen, die
Weltbevölkerung habe sich verdreifacht und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat sich fast vervierzigfacht. Auch die Vermögen sind seit der Nachkriegszeit deutlich gestiegen. Heute wird das Gesamtvermögen, das die Verwalter eingesammelt haben, auf knapp 64 Billionen Dollar geschätzt. (Das umfasst alle Arten von Fonds von öffentlichen Pensionskassen, Staatsfonds, Stiftungsvermögen, Private Equity, Hedgefonds, Investmentfonds aller Art und so weiter.) Bis 2020, so hat PriceWaterhouseCoopers prognostiziert, werden die Vermögensverwalter ein Kapital von 100 Billionen Dollar in ihren Fonds haben. Wenn man die bisherigen Trends zugrunde lege, dann könnte die Branche bis 2050 die Summe von 400 Billionen unter Verwaltung haben. Das wäre einhundert Mal das deutsche Bruttoinlandsprodukt! Bei den Fondsgesellschaften, wie die, die von BlackRock betrieben werden, verteilt sich ein großer Teil der Summe auf wenige Player. Zehn Gesellschaften halten jeweils mehr als 1 Billion Dollar, neun davon stammen aus Nordamerika. Skaleneffekte bei Portfolioaufbau und Verwaltung und die neuen Indexfonds hätten zu einer hohen Konzentration in der Branche geführt, heißt es in einem Bericht des Washingtoner Office of Financial Research aus dem Herbst 2013. Die Behörde, die nach 2008 als eine Art öffentlicher Sturmwarndienst für das Finanzsystem eingerichtet wurde, schreibt darin, die »starke Konzentration könnte das Risiko erhöhen, das die einzelnen Anbieter für den Finanzmarkt darstellen – das operative Risiko sowie das Investmentrisiko«. Allein die Größe stellt auch nach Ansicht Haldanes bereits eine Gefahr dar. Ein angeschlagener Vermögensverwalter könnte Anleihen, Aktien, Rohstoffe schnell abstoßen müssen, um Investoren ihr Geld zurückgeben zu können. Das könnte einen »Fire Sale« ausbrechen lassen. Und so könnte das Brand-Szenario aussehen: Der Ausverkauf eines wackelnden
Branchenriesen lässt die Kurse am Markt einbrechen. Das wiederum löst eine Kaskade von Verkäufen weiterer Marktteilnehmer aus und bringt immer mehr Investoren dazu, ebenfalls ihr Kapital zurückzufordern, was wiederum weitere Verkäufe veranlasst – und so im schlimmsten Fall zu einem Zusammenbruch des gesamten Markts führt. Eine Studie der University of Chicago Booth hat untersucht, ob auch Nicht-Banken einen Crash auslösen können, obwohl sie keinen Kredithebel einsetzen. Kurze Antwort der Autoren: Ja. Die Geldverwalter konkurrieren um die Gunst der Kunden und wollen deshalb stets besser abschneiden als ihre Wettbewerber. So will keiner der Letzte sein, wenn es darum geht, aus einer Verlustposition auszusteigen und zu verkaufen. Das kann im ungünstigsten Fall eine Verkaufswelle lostreten, die sich verselbstständigt. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass die Fonds auf der immerwährenden Suche nach maximaler Rendite in die gleiche Richtung drängen. Vermögensverwalter könnten einem Herdentrieb erliegen, warnte das Office of Financial Research in seinem Bericht 2013, der alle in die gleiche Richtung rennen lässt, was zu Blasen und anderen Verwerfungen führen kann. Der Wettbewerbsdruck könne Investmentmanager dazu verführen, höhere Risiken einzugehen. Das Terrain der Geldverwalter und Schattenbanken ist für Regulierer schwierig – die Branche ist so schnell gewachsen und hat sich dabei fundamental geändert, dass viele Bedrohungen schlicht unbekannt sind. »Deutliche Datenlücken verhindern eine effektive Analyse und Aufsicht«, muss das Office of Financial Research am Ende seines Berichts gestehen. Doch das muss nicht heißen, dass es keine Risiken gibt. »Schwarze-Schwan-Ereignisse könnten eine reale und wachsende Bedrohung sein«, warnte auch Haldane seine Zuhörer. Schwarze Schwäne – so nennt Nassim Nicholas Taleb, ein ehemaliger Derivatehändler und Professor an der New York
University, seine Theorie der unvorhergesehenen Ereignisse, die massive Konsequenzen haben – wie die Terroranschläge des 11. Septembers, die Erfindung des Internets oder der Zusammenbruch des Immobilienmarkts in den USA vor der Krise 2007. Ereignisse, die unsere Denkmodelle sprengen, so wie im 17. Jahrhundert die Entdeckung schwarzer Schwäne in Westaustralien die überkommene Annahme der Europäer, Schwäne seien grundsätzlich weiß, buchstäblich mit einem Augenblick widerlegte. Dieses Ereignis hatte glücklicherweise keine bitteren Konsequenzen, höchstens für die Schwäne, die für Tiergärten in der Alten Welt eingefangen wurden. Welche Gefahren von einem Geld-Koloss wie BlackRock möglicherweise drohen, können sich selbst Experten – noch – nicht genau vorstellen. Fest steht: Wenn es bei den Vermögensverwaltern rumst, wird es nicht so harmlos sein wie die Entdeckung einer neuen Art Wasservögel. Die Unruhe der Regulierer ist auch Fink & Co. nicht verborgen geblieben. Ein Grund, warum BlackRock es vorzieht, unter dem Radar zu bleiben, ist die Befürchtung, dem Koloss könnte das passieren, was den großen Banken passiert ist, die sich durch Tausende neuer Vorschriften nach der Finanzkrise gefangen fühlen wie Swifts Gulliver, der von den Liliputanern mit ihren Schnüren am Boden bewegungsunfähig gemacht wird. In den vergangenen Jahren musste BlackRock jedoch bangen, dass die Nurnicht-auffallen-Strategie, das stets wiederholte Mantra »Wir sind doch bloß ein großer Sparverein« nicht mehr ausreichen würde. Es wurde Zeit, das Problem in Washington anzupacken – und Fink hatte auch schon jemanden, der die heikle Mission übernehmen sollte: Barbara Novick. Wie BlackRocks Supermom Washington gewann
Der Sicherheitscheck durch Beamte samt Scanner am Eingang steigert das Gefühl der Exklusivität. An diesem windig-regnerischen Winterabend finden sich etwa hundert Gäste im Deutschen Haus, der offiziellen New Yorker Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, ein. Eingeladen haben das German Center for Research and Innovation und Women in Sovereign Entities, ein Verein, der Frauen in Staatsorganen fördern will. Doch die Veranstaltung hat wenig mit Frauen oder mit deutscher Forschung zu tun. Es geht, so der Titel, um die »Wirkung von Innovation auf die Effizienz von Zentralbanken«. Schnell wird klar, hier sprechen Eingeweihte vor Eingeweihten. Im Publikum sind unter anderem die Vertreter der Zentralbanken von Indonesien, Thailand und Österreich sowie der Finanzbehörden von Singapur und Hongkong. Dazu eine Abgesandte des UN-Pensionsfonds und der People’s Bank of China. Anders ausgedrückt: BlackRocks VIP-Kunden. Und auf dem Podium thront Mervyn King, zehn Jahre lang Gouverneur der Bank of England, sowie Christine Cumming, die Vize-Präsidentin der New Yorker Notenbank. Neben den beiden Zentralbankern sitzt eine schmale Frau Mitte 50. Mit ihrer unauffälligen Brille und den brav gescheitelten dunklen langen Haaren könnte man sie für eine Lehrerin halten – Bio und Sport vielleicht. Eine von der strengeren Sorte allerdings. Das ist Barbara Novick, Gründungsmitglied von BlackRock. Sie gehörte schon vorher bei First Boston zur Clique um Fink und Kapito. Zu den »mächtigsten Moms der Welt« zählt die Wall-Street-Boulevard-Webseite Business Insider die Mutter dreier Kinder. (Sie ist auch Fußballcoach der Jungendliga in Westchester, jenem grünen Speckgürtel um New York, wo sie mit ihrer Familie wohnt). Als Mitglied des weltweiten Steuerungskomitees von BlackRock gehört sie zum Topmanagement. Sie war lange zuständig für Geschäftsentwicklung und Kundenbeziehungen und kennt das Unternehmen mindestens so gut wie Fink. Seit 2010
hat Novick eine neue Aufgabe übernommen: Government Relations. Im Klartext: Novick ist BlackRocks oberste Lobbyistin. Ihre Mission: BlackRock vor den immer zudringlicheren Regulierern zu schützen. Novick spricht überraschend leise (das Mikrofon funktioniert nicht) und sehr schnell. Doch kommt sie bei der Paneldiskussion direkt zu ihrer Kernbotschaft. »Wir beobachten, dass bei Reden von Regulierern und Experten weltweit der Begriff Schattenbanken zunehmend durch Marktfinanzierung ersetzt wird«, stellt sie zufrieden fest. Interessant: BlackRock scannt also offenbar systematisch die Redetexte von Aufsehern und Notenbankern weltweit nach dem Begriff. Was nach dem Gipfel der Wortklauberei klingt, hat weit tiefere Bedeutung. Denn die Formulierungen und Bezeichnungen sind von großer Wichtigkeit an der Wall Street. Darin hat es die Branche zur Meisterschaft gebracht. So heißen Wackelanleihen von Unternehmen mit nicht ganz so glänzender Kreditwürdigkeit mit erfrischender Ehrlichkeit »Junk« Bonds – Schrott-Anleihen. Gegenüber Anlegern legen Banker allerdings großen Wert darauf, stattdessen von »High Yield Bonds«, also hochverzinslichen Anleihen, zu sprechen. Aus den Corporate Raiders wurden schönfärberisch »Private Equity«-Firmen, was eher nach exklusivem Club als nach Unternehmensjägern auf Pump klingt. »Eine der Folgen der Finanzkrise war, dass die Wall Street ihre silbernen Zungen verlor. Sie stammelten und stotterten, als sie erklären sollten, wie es zu dem Desaster gekommen war«, lästerte die Financial Times. Doch mit der Erholung des angelsächsischen Finanzkapitalismus sind auch die Silberzungen zurückgekehrt. Nun soll also aus Schattenbanken, einem Begriff, der selbst bei Laien zumindest vage Vorstellungen von Zwielichtigem auslöst, die nichtssagende »Marktfinanzierung« werden. Das klingt harmlos genug – und das soll es wohl auch.
Novick hat die Beharrlichkeit einer guten Lehrerin. Bei Fragen im Anschluss an die Podiumsdiskussion an jenem Abend im Deutschen Haus korrigiert sie sofort. »Die Bezeichnung Schattenbanken hat einen negativen Beiklang.« Schatten, das klinge nach Bedrohung. Dabei gehe es doch darum, nützliche Projekte für die Allgemeinheit zu finanzieren, wie etwa Infrastrukturmaßnahmen. Gefragt nach möglichen Interessenkonflikten bei Vermögensverwaltern und ob es da nicht neue Regeln für Schattenbanken bräuchte, verliert Novick die Contenance. Sie wüsste nicht, von was die Rede sei. »Wir sind treuhänderisch unseren Kunden verpflichtet«, das sei BlackRocks oberstes Gebot, schnappt sie noch, bevor sie sich grußlos umdreht und im Treppenhaus verschwindet. Oben beim Sektempfang wird der Small Talk unter ihresgleichen sicher angenehmer verlaufen. Für BlackRocks oberste Diplomatin ist der Auftritt überraschend dünnhäutig. Vielleicht sind die Fragen der Gesprächspartner in Washington und Brüssel aber auch feinfühliger gestellt. Bis zur Finanzkrise hielt sich BlackRock in Washington sehr zurück. Im Wesentlichen verließ sich das Unternehmen auf die Vertretung durch Branchenverbände, in denen BlackRock Mitglied ist. Im Jahr 2008 etwa findet sich für BlackRock direkt gar kein Eintrag bei OpenSecrets, der Washingtoner Webseite, die die Lobby-Aktivitäten der Unternehmen und Verbände verfolgt. Im Jahr 2009 vermerkt OpenSecrets lediglich 545 000 Dollar an Honoraren für zwei Lobby-Firmen – eine Summe, die nicht einmal einen Rundungsfehler in der Kostenrechnung des Geldgiganten darstellt. Es ist die Zeit, als BlackRock als Verbündeter von Finanzministerium und Notenbank auftritt. Dann ist da noch der kurze Draht zu Finanzminister Geithner. Warum auch Geld für etwas ausgeben, was BlackRock praktisch frei Haus bekommt?
Wenig später nehmen die New Yorker die Aktivitäten in der Hauptstadt aber wohl ernster. Es ist die Zeit der Finanzreform. Nachdem Volksvertreter und Aufseher die Gefahr im Bankensystem verschlafen (oder ignoriert) hatten, sind sie nun sensibler für potenzielle Risiken geworden. Und die schiere Größe von BlackRock, Fidelity und anderen bereitet ihnen plötzlich Unbehagen. Der Financial Stability Oversight Council, ein Gremium, das quasi die Aufsicht der Aufseher darstellt und im USFinanzministerium angesiedelt ist, beginnt öffentlich darüber nachzudenken, ob große Vermögensverwalter nicht als SIFI – als Systemically Important Financial Institution – eingestuft werden müssten. Das würde besondere Auflagen und spezielle Aufsicht bedeuten – etwas, was Fink und Co. kategorisch ablehnen. Zeit, in Washington zu intervenieren: Für 2011 registriert OpenSecrets für BlackRock plötzlich über 2,5 Millionen Dollar an Ausgaben für Lobbying. Wie ernst Fink die Bedrohung nimmt, zeigt die Tatsache, dass er nicht – wie die meisten Konkurrenten – einen ehemaligen Kongressabgeordneten oder Ex-Ministerialen als Lobbyisten anheuert, sondern stattdessen seine Mitgründerin Novick in die Hauptstadt entsendet. Dort besucht die BlackRock-Diplomatin unter anderem mehrfach Debbie Matz, die Chefin der National Credit Union Administration, ein Verband, von dem selbst die Politik-Junkies der US-Hauptstadt selten etwas gehört haben. Offiziell ist die NCUA, die ihren Sitz nicht einmal direkt in DC, sondern in einem Vorort der Hauptstadt hat, für die Interessenvertretung der lokalen Sparvereine zuständig. Doch Matz hat noch eine andere Funktion. Sie gehört zum zehnköpfigen Financial Stability Oversight Council – richtig: Das ist jenes Gremium, das darüber entscheiden soll, ob BlackRock künftig den Warnaufkleber SIFI verpasst bekommt. Das FSOC muss Entscheidungen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit treffen. Novick muss es
also gelingen, mindestens vier Mitglieder zu überzeugen, damit BlackRock nicht als eine Gefahr eingestuft wird. Ihre Besuche bei Matz hätten der Aufklärung gedient, zitiert der Nachrichtendienst Bloomberg Novick. Viele Aufseher hätten wenig Erfahrung mit Vermögensverwaltern. Um die notwendigen Stimmen im FSOC zusammenzubekommen, verbündet sich BlackRock sogar mit der Allianz, der Muttergesellschaft des Erzrivalen Pimco. Doch dann erhält BlackRock unter den FSOC-Mitgliedern einen weit wertvolleren Verbündeten. Mary Jo White. Wenn man Mary Jo White beschreiben will, dann fällt einem Yoda ein, der knitterige, gnomenhafte Lehrmeister der JediRitter aus der Krieg-der-Sterne-Saga. Wie bei Yoda wäre es ein Fehler, White zu unterschätzen. Sie gehört zu den Juristen, über die andere Juristen stets mit einem Unterton von Ehrfurcht reden, ihre Kontrahenten mit einem Unterton von Furcht. Mary Jo White hat die so genannte Drehtür – wie das Pendeln zwischen öffentlichem Amt und privatem Job in den USA genannt wird – so oft durchlaufen, dass einem allein beim Lesen ihres Lebenslaufs leicht schwindelig wird. Als junge Anwältin in den 1970er-Jahren arbeitete sie bereits für Debevoise & Plimpton. Die New Yorker Traditionskanzlei genießt den Ruf, die »Waffe der Bosse« zu sein. Lange war Debevoise & Plimpton vor allem eine Anlaufstelle für US-Unternehmen und Behörden. Die Mandantenliste liest sich wie das Who’s who der amerikanischen Großkonzerne: American Airlines, CNN, Coca-Cola, ExxonMobil, General Electric, die Bekleidungskette Gap, der Versicherer Metlife, die Investmentbank Goldman Sachs, der Musikkonzern Universal Music oder das Onlineportal Yahoo, die New York Times und der weltgrößte Spielzeughersteller Hasbro. Auch international wenden sich Aufsichtsräte in Not inzwischen gerne an die Anwälte der Traditionsfirma, die Niederlassungen in Paris, Moskau, Hongkong, Shanghai
und auch in Frankfurt unterhält. Zu den Klienten zählten unter anderem die russische Airline Aeroflot, der französische Assekuranzkonzern Axa, DaimlerChrysler, der Schweizer Pharmahersteller Novartis und der japanische Unterhaltungsriese Sony. Nach ihrem ersten Einsatz für Debevoise & Plimpton wechselte White zur Staatsanwaltschaft. In den 1980er-Jahren arbeitete sie erneut für die Traditionskanzlei. Dann wieder war sie neun Jahre lang leitende Bundesstaatsanwältin in New York, zu deren Zuständigkeitsbereich auch die Wall Street zählte. Sie war die erste Frau in der 200-jährigen Geschichte der Strafverfolgungsbehörde, die diesen Posten innehatte. Sie ermittelte unter anderem gegen die Terrorattentäter des ersten Anschlags auf das World Trade Center sowie gegen die Mafia und deren Versuche, ihren Einfluss und ihre Geschäfte auf die Börse auszudehnen. Im Jahr 2002 wechselte White erneut die Seiten und wurde die Leiterin der Abteilung für Streitsachen bei Debevoise & Plimpton. In ihr Spezialgebiet – interne Untersuchungen und Verteidigung von Unternehmen gegen Vorwürfe von Regierungsinstitutionen oder der US-Börsenaufsicht – fiel auch der Fall Siemens. Der Münchner Konzern heuerte die Kanzlei für eine interne Untersuchung seiner Korruptionsaffäre an. Ziel solcher Untersuchungen, so das harsche Urteil von Kritikern, sei letztlich nur die Ausstellung eines öffentlichkeitswirksamen Persilscheins. Im Jahr 2013 machte sie Präsident Obama schließlich zur Chefin der US-Börsenaufsicht. Befürworter der Drehtür sehen einen Vorteil darin, dass Behördenvertreter auch die Gegenseite gut kennen. Genau das sei das Problem, sagen dagegen Kritiker des Systems. Wie dem auch sei, White jedenfalls schlug sich in der Diskussion über den Gefahrenaufkleber für Vermögensverwalter auf deren Seite. Sie wiederholte sogar öffentlich deren Argumente. White sei auf einer »Verbeugungstour« bei den Fondsmanagern, um ihnen ihre
Sympathie zu versichern, spottete gar die New York Times. Doch im Hintergrund ging es noch um etwas anderes: Zwischen der SEC und der Fed war ein Revierkampf ausgebrochen. Erhielten die Vermögensverwalter die SIFIEinstufung, würde Fed-Chefin Janet Yellen vornehmlich die Aufsicht führen. Das wollte White verhindern. Sie hatte die SEC in einem demoralisierten Zustand übernommen. Der einst gefürchtete Wachhund der Wall Street war zum Schoßhündchen verkommen. Nicht nur hatten die SECWächter die Wackelhypotheken komplett ignoriert, sie hatten auch den Milliardenbetrüger Bernie Madoff erst enttarnt, als dessen Jahrhundertschneeballsystem von allein zusammenbrach. Keinesfalls wollte White weiter an Bedeutung verlieren. Als der FSOC in einer Studie 2013 zu dem Schluss kam, die Fondsriesen könnten tatsächlich eine Gefahr darstellen, veröffentlichte White das Papier ohne ihre FSOC-Kollegen zu konsultieren. Als sich Obamas Finanzminister Lew, ebenfalls ein Mitglied des Gremiums, über den Alleingang beschwerte, entschuldigte sich White brav. So jedenfalls berichteten es Washington-Insider gegenüber Bloomberg News. Doch Whites VorabVeröffentlichung bot den Vermögensverwaltern die Chance, ihre Lobbyisten mit Munition zu versorgen und in Stellung zu bringen. Auch Novick wurde aktiv, berichten die Insider. Sie und die Vertreter von Fidelity und Pimco wandten sich an Abgeordnete des Repräsentantenhauses. Die – vorwiegend republikanischen – Volksvertreter sind notorisch gegen staatliche Regulierung. Und Novick und Co. erreichten ihr Ziel: Bei einer Anhörung vor dem Kongress musste der FSOC-Vertreter, der für die Studie verantwortlich war, sich einiges von aufgebrachten Volksvertretern anhören, unter anderem, dass die Untersuchung ein fehlendes Verständnis für die Branche zeige. Der Unmut zeigte Wirkung. Nach dem Gegenwind aus dem Kongress stellte der FSOC die SIFIFrage erst einmal zurück. Im Sommer 2014 verlautete aus
dem Gremium dann, man werde den Fokus der SIFIEinstufung ändern – künftig ginge es um einzelne Produkte, nicht länger um einzelne Unternehmen. Ein SIFI-Aufkleber für BlackRock oder Fidelity war damit erst einmal vom Tisch. Auch das Baseler Financial Stability Board, das internationale Gremium, überlegt, die Schattenbankriesen als potenziell systemgefährdend einzustufen. Doch nach dem Einknicken des FSOC ist das schwieriger geworden. Die Europäer würden keinen Alleingang wagen, denn »die US-Regulierer werden in dieser Sache die bestimmende Kraft bleiben wollen, da die größten Fonds-Konglomerate alles US-Unternehmen sind«, fassten es Analysten der internationalen Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers in einem Briefing nach dem FSOC-Rückzieher zusammen. Chapeau, Novick! Heimlicher unheimlicher Herrscher der Welt Es war im Januar 2009, als sich der Besitzer des Zeitungskiosks neben der New Yorker Börse, sonst eher an die Fragen nach dem Wall Street Journal und der Financial Times gewohnt, wunderte: »Jeder will heute das RollingStone-Magazin, was ist denn da drin?« Die Banker und Börsianer hatten nicht plötzlich ein reges Interesse an dem Rapper Snoop Dog oder neu aufgetauchten Bob-DylanSongs entwickelt. In der Ausgabe erschien der Artikel oder besser gesagt die Polemik des Reporters Matt Taibbi, der darin die Investmentbank Goldman Sachs als »VampirKalmar« beschrieb, der sich »um das Gesicht der Menschheit gewickelt habe und seinen blutsaugenden Rüssel überall hineinstecke, wo es nach Geld riecht«. Wow, das schlug Wellen. Den Vampir-Ruf hat Goldman seither nie mehr so richtig abgeschüttelt. (Das Lektorat des Rolling Stone hatte eingewendet, der echte Vampir-Tintenfisch sei kein Blutsauger, aber Taibbi holte die Genehmigung des
Chefredakteurs ein und so blieb er drin.) Was wäre BlackRocks zoologische Entsprechung? Wie wäre es mit dem Riesenkalmar mit seinen zehn Tentakeln? Lange wurden Erzählungen von diesem »Monster der Tiefe« als Seemannsgarn abgetan. Etwa jene Geschichte, die Überlebende des während des zweiten Weltkriegs von den Deutschen versenkten britischen Truppentransportschiffes Britannia erzählten. Sie hielten sich an einem Rettungsfloß fest, als einer von ihnen von einem Riesenkraken in die Tiefe gezogen wurde, berichteten die Schiffbrüchigen später. Doch dann fanden sich immer mehr Hinweise darauf, dass es sich nicht um ein Fabelwesen, sondern um ein wirkliches Tier gehandelt hatte. Auf der Haut von Pottwalen fanden sich vernarbte Abdrücke von Saugnäpfen. Von großen Saugnäpfen. Haie werden offenbar Beute des Molusken. Dann wurden an Stränden einzelne meterlange Tentakel angespült. Bis man schließlich tote Exemplare der Riesenkopffüßler fand. Doch bis heute weiß niemand wirklich, wie groß diese Tiere der Tiefe sind. Schätzungen gehen bis zu zwölf Meter, mit ausgestreckten Fangarmen. Auch die Lebensweise ist bisher nur andeutungsweise bekannt. BlackRocks Finanzarme reichen heute fast überall hin. Die New Yorker halten Anteile von Unternehmen in so gut wie allen Branchen, auf allen Erdteilen. Gleichzeitig sind sie auch Gläubiger von Tausenden Unternehmen. Fink & Co. sind Eigentümer und Kunde der größten Banken der Welt. Sie agieren als Schattenbank, Hedgefonds und BigData-Staubsauger. BlackRocks Vertreter sind Einflüsterer von Notenbankern und Behörden, den Strippenziehern in Washington und Brüssel. Auf fast alle Bereiche unseres Lebens hat der Geldverwalter inzwischen Einfluss: Arbeitsplätze, Wohnungen, Straßen, Brücken, Erziehung, Gesundheitsversorgung. Noch vor zehn Jahren wäre es dem, der einen solchen Riesenkalmar des Geldes
beschrieben hätte, so gegangen wie jenen Schiffbrüchigen der Britannia. Ein solches System im Finanzsystem hätte die Vorstellungskraft überstiegen. In der Ära der Mega-Manager wird BlackRocks Einfluss nur noch weiter steigen. China und andere Schwellenländer schließen sich dem angelsächsischen Finanzsystem an. Wenn Fink und seine Nachfolger es geschickt anstellen, werden weitere Billionen in ihre Kassen fließen. Doch unser Wissen über sein Tun und die Risiken, die der Aufstieg des Riesenkalmars des Kapitalmarkts mit sich bringt, ist, wie bei seinem zoologischen Vorbild, bestenfalls lückenhaft. Das gilt nicht nur für Bürger und Politiker. Auch Akademiker und Regulierer müssen blinde Flecken eingestehen. Während das Verhalten und der Kollaps von Banken seit Jahrhunderten studiert worden seien, stehe eine ähnliche Analyse der institutionellen Geldverwalterbranche noch ganz am Anfang, ist das Fazit von Andrew Haldane, dem Finanzmarktexperten der Bank of England, bei seiner warnenden Rede im April 2014. Die Branche sei eine »grüne Wiese, die sorgfältig kultiviert werden müsse«, um Fallstricke wie bei den Banken zu vermeiden. Brad Jones, Finanzexperte des Internationalen Währungsfonds, hat im Rahmen einer Studie aus dem Februar 2015 die Dimensionen der grünen Wiese so umrissen: Sowohl in ihren Eigenschaften – wie Größe, Konzentration und gegenseitige Abhängigkeiten – als auch bei ihren Aktivitäten, die Gefahren wie SchnellfeuerVerkaufswellen und Herdentrieb heraufbeschwören, sieht Jones das Potenzial für eine Destabilisierung des Finanzsystems. Das biete »fruchtbaren Boden für künftige Forschung«, schließt Jones. Dabei lassen sich die Regulierer offenbar Zeit. Immerhin gibt es einen neuen Vorstoß. Im Frühjahr 2015 stellte das Financial Stability Board der G20 gemeinsam mit der IOSCO, der Internationalen Vereinigung der
Wertpapieraufsichtsbehörden (bei der auch die Bafin Mitglied ist), ein neues Arbeitspapier vor. Darin legten sie dar, wie Regulierer systemrelevante Geldverwalter ausfindig machen sollen, will heißen, solche Unternehmen, deren Aktivitäten die Finanzmärkte gefährden können. Die Branche reagierte reflexartig mit den üblichen Argumenten, zusätzliche Regulierung sei zu teuer und überhaupt unnötig. »Wir glauben weiterhin, dass sich systemisches Risiko nach Produkten und Geschäftspraktiken wie dem Einsatz von Kredithebeln bestimmen sollte und nicht nach Größe eines Fonds oder des verwalteten Kapitals eines Unternehmens«, rügte eine Sprecherin von BlackRock im Branchenblatt Pensions & Investments die Ideen der Aufpasser. Im Klartext: Schaut nach Hedgefonds und sonstigen Zockerfonds – nicht nach uns. Wir sind groß, aber ungefährlich. Würden allerdings die Grundsätze des internationalen Regulierungsgremiums zur Anwendung kommen, wie sie in dem Papier vom März 2015 dargelegt werden, dann würden BlackRock und die anderen Großen der Branche mit hoher Wahrscheinlichkeit den Gefahrenaufkleber »systemrelevant« bekommen. Damit ist das Papier viel stringenter als die vorherige Version vom Frühjahr 2014. Doch spricht wenig dafür, dass dies die Endfassung des Entwurfs für ein internationales Regelwerk ist. Den Entwurf eines solchen haben die G20Staatschefs beim FSB in Auftrag gegeben – und warten nun bereits seit 2011 darauf. Zeit, die die Lobbyisten der Branche nicht ungenutzt verstreichen lassen. Barbara Novick, Ihr Einsatz! Wenn die Analysen und wohlüberlegten Regeln schließlich fertig sind, könnte es allerdings zu spät sein. Denn der nächste Testfall ist gewiss. Den könnte zum Beispiel die Zinswende an den Anleihemärkten verursachen. Seit dem Bond-Massaker von 1994 haben die Anleihemärkte völlig neue Dimensionen erreicht. Allein in den USA beläuft sich das Volumen der ausstehenden
Anleihen (inklusive Staatspapiere und Kommunalobligationen) auf knapp 40 Billionen. (Stand Ende 2014 laut dem Finanzmarktverband Sifma) BlackRock selbst macht sich Sorgen darüber, was passiert, wenn dieser Schulden-Mount-Everest ins Rutschen kommt. Denkbar ist auch ein anderes Schreckensszenario. Wenn sich etwa die dunklen Seiten der ETFs zeigen. Anders als noch vor zehn Jahren hat sich ein Ozean von Investorengeldern in die passiven Fonds ergossen, Erschütterungen dort könnten einen Tsunami auslösen, der Märkte ins Wanken bringt – oder gar abstürzen lässt. Je weiter sich diese Derivate von der ursprünglichen Idee entfernen, Kleinanlegern eine bezahlbare Anlage in breiten Aktienindizes zu ermöglichen, desto größer ist die Gefahr, dass sie unvorhergesehene Nebenwirkungen entwickeln. Dann wird der Flash Crash wie der sprichwörtliche Sturm im Wasserglas aussehen. Bei Anleihen und ETFs lassen sich zumindest noch die möglichen Gefahren in ihren Umrissen ausmachen. Aber was ist mit den vielen neuen Spielarten der Schattenbanken, die sich im neuen digitalen Finanzsystem vervielfältigen? Werden wir wie bei den Hypothekenpapieren und den Geldmarktfonds wieder zu spät erkennen, von wo die Gefahr droht? Und auch wenn ein Crash (vorerst) vermieden werden kann – was ist mit der eigentümlichen Eigentümerrolle der Mega-Manager? Wie passt der »Kapitalismus ohne Kapitalisten« in unsere Welt, in der wir von unseren Unternehmen immer stärker verlangen, dass sie sich Fragen der Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung stellen? Welche Rolle können oder wollen die MegaManager spielen? Das ist keine Frage für Akademiker. Für Kofi Thompson zum Beispiel ist es ganz real. Der Kolumnist in Ghana sorgt sich um die Zukunft seines Landes. Da sind die großen Minengesellschaften, die rücksichtslos Gold und Öl fördern in einem »Für-uns-alles-gratis-Modell«, wie er es nennt. Die in Naturschutzgebieten nach Gold wühlen.
Gleichzeitig fehlen die Mittel, um die Infrastruktur in dem afrikanischen Land aufzubauen. Frustriert, weil die jahrelangen Bitten der afrikanischen Staatschefs um fairere Vereinbarungen mit den Konzernen nichts fruchten, kam Thompson eine Idee: Wie wäre es, wenn sich die Landesoberen an Michelle Edkins, die CorporateGovernance-Frau von BlackRock, wenden würden? »Während die Multis die Forderungen unserer Staatschefs ignorieren können, würden sie es nicht wagen, die Wünsche von BlackRock zu ignorieren«, schrieb er in seiner Kolumne für Ghana-Web. BlackRock könnte Ländern wie Ghana helfen, indem der Großaktionär von den Minengesellschaften verlangt, Steuern auf ihre Profite zu zahlen, die sie mit den Rohstoffen aus Ghana verdienen – statt das Geld durch Steuertricks außer Landes zu bringen. »Ghana braucht dieses Geld, um die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern«, schreibt Thompson in einer EMail. »Michelle Edkins könnte viel für die Entwicklungsländer tun, indem sie darauf besteht, dass dieselben ethischen Standards weltweit eingehalten werden.« Dass Thompson bei BlackRock mehr Einfluss sieht, als in Regierung oder internationalen Organisationen spricht Bände. Welche Rolle kann und soll BlackRock als Großaktionär spielen? Welche Rolle spielen Mega-Manager künftig in unserer Welt? BlackRocks Aufstieg steht auch für eine Gesellschaft, die sich immer weniger als Solidargemeinschaft versteht. Zunehmend wird Vorsorge – für Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter – auf den Einzelnen abgewälzt. Jeder kämpft für sich. Wer nicht genug verdient, um etwas auf die Seite zu legen, und nicht erbt, hat eben Pech. So schaffen wir einen immer weiteren Abstand zwischen den Habenden und den Habenichtsen. Natürlich ist Larry Fink nicht der Verursacher dieser Entwicklung, aber er weiß sie für sich zu nutzen wie kaum ein Zweiter.
Und nicht zu vergessen: Aladdins Algorithmen. Da sind die Fragen der Datensicherheit, die Fragen des Datenschutzes. Und es sind die weniger greifbaren Aspekte, die Unbehagen auslösen. Adam Curtis, ein britischer Dokumentarfilmer, hat eine subtilere Bedrohung durch BlackRock ausgemacht. Curtis beschäftigt sich in seinen Werken vor allem mit Macht und wie sie in der Gesellschaft ausgeübt wird. Im Juli 2014 postete er in seinem Medien-Blog für den Sender BBC einen Essay mit dem Titel: »Die verborgenen Systeme, die die Zeit einfrieren und uns daran hindern, die Welt zu verändern.« Dabei geht es ihm um die Kombination von konstanter Überwachung und Digitalisierung. Eines seiner Beispiele sind Empfehlungen, wie sie etwa der Onlinehändler Amazon seinen Kunden zukommen lässt. Ein Algorithmus analysiert die bisherigen Bestellungen nach Mustern, erstellt daraus ein Profil und macht entsprechende Angebote für Produkte, die zu dem auf diese Weise herausgefilterten Geschmack des Kunden passen. Was Curtis daran stört: Wir sind auf unsere vergangenen Entscheidungen festgelegt. Weniger harmlos sind so genannte digitale Tracker, mit denen sich amerikanische Politiker zunehmend konfrontiert sehen. Die Tracker arbeiten für die Wahlkampagne des jeweiligen Gegners und dokumentieren Reden, Interviews und Bürgergespräche. Dabei sind sie auf der Suche nach Widersprüchen zu früheren Aussagen des Politikers. In Videomontagen wird daraus schnell das Porträt eines Umfallers und Opportunisten. Seine Meinung zu ändern, wird für Politiker zum Risiko, das es zu vermeiden gilt. Auch das macht es schwieriger, Kompromisse zu finden – und könnte die zunehmende Polarisierung der amerikanischen Politik erklären. Aber Curtis schlägt den Bogen weiter: »Überall in der westlichen Welt sind neue Systeme entstanden, deren Aufgabe es ist, ständig die Gegenwart aufzuzeichnen und mit der aufgezeichneten
Vergangenheit abzugleichen. Das Ziel ist es, Muster zu erkennen – Zufälle und Korrelationen –, um dann Wege zu finden, Veränderungen zu verhindern«, schreibt Curtis. Der Effekt all dieser Systeme sei schließlich, dass wir in einem gigantischen Kühlschrank enden. Eines der EinfrierSysteme, auf das Curtis stieß: Aladdin. BlackRocks Superhirn, das 14 Billionen Dollar analysiert. In mancher Hinsicht sei BlackRock mächtiger als traditionelle Politik, glaubt Curtis. Was Curtis an Aladdin Angst macht, ist nicht BlackRocks Möglichkeit, damit die Welt zu verändern, sondern im Gegenteil, der Versuch durch ein System wie Aladdin, Veränderungen aufzuhalten. Ein System, das Risiken verhindert, wolle keine Veränderung. Und es gibt keine Veränderung ohne Risiko. In diesem Sinne ist auch der Aufstieg von BlackRock eine Veränderung, die neue Risiken birgt. Risiken, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Und darin steckt gleichzeitig eine große Ironie: Risiko zu vermeiden ist BlackRocks Mission. Doch indem Fink und seine Truppe diese Mission fleißig zu erfüllen suchen, kreieren sie selbst neue Gefahren.
Kapitel Epilog: Aber Larry Fink ist noch nicht fertig Seit J. P. Morgan hat niemand die Finanzmärkte so nachhaltig verändert. Doch anders als Morgan ist Fink kein amerikanischer Medici-Prinz, eingebettet in Samt und Seide. Fink weiß, wie gefährlich es für BlackRock wäre, wenn seine Kunden, also die Pensionskassenwarte, auf der berüchtigten Klatschseite Page Six der New York Post Schlagzeilen über einen pompösen Lebensstil entdecken würden. Gerne streut er in Interviews seine Vorliebe fürs Zugfahren ein. Lange nahm er Linienflüge, statt den unter Billionären und Wall-Street-Oberen üblichen Gulfstream-Jet zu nutzen (dabei ist BlackRock an General Dynamics, dem Mutterkonzern des Luxus-Flugzeugbauers, beteiligt). Das entspricht Finks Image vom sparsamen Sachverwalter, dem ersten Diener seiner Anleger. Aber Fink leistet sich durchaus die Privilegien, die ihm mit seinem Aufstieg zufallen. Schattige Feldwege führen durch Wäldchen und sanft ansteigende Wiesen, vorbei an kristallklaren Bächen. Hinter den meilenlangen, unauffälligen Zäunen und dichten Hecken blitzen ab und zu Dächer auf, meist zu weit entfernt, um Gebäude auszumachen. Dazwischen liegen Pferdekoppeln und ab und zu sieht man sogar Kühe. An den Weggabelungen breiten jahrhundertealte Eichen ihre knorrigen Äste über verwitterte Steinmauern aus. Es ist still. So stellt man sich die Welt englischen Landadels vor der Industrialisierung vor. Doch dies ist North Salem, eine gute Stunde mit dem Zug und 20 Minuten Autofahrt von den Bürotürmen und Hochhausschluchten Manhattans
entfernt. North Salem ist so exklusiv, dass es nur Eingeweihten bekannt ist. »Wir wünschen keine Publicity«, erklärte eine Anwohnerin einst der New York Times. »Wir wollen nicht, dass die Leute von dieser Gegend erfahren und hier herumlatschen und alles ruinieren.« Wer mit einem Kleinwagen herumkutschiert, handelt sich schnell scheele Blicke ein. Eine Dame, hoch zu Ross, den Hund im Gefolge, bedeutet dem Störenfried am Steuer mit einem energischen Wink ihrer behandschuhten Hand, sich gefälligst im Schritttempo vorbeizuschleichen. Im »Farmer and the Fish«, einem Lokal in einem weißgetünchten Kolonialhaus noch aus Zeiten vor dem Revolutionskrieg, knistert ein Feuer im Kamin und am Tresen sitzen Männer in Tarnfarben, die Basecaps ins Gesicht gerückt. Doch sie mit einfachen Farmern zu verwechseln, wäre verkehrt. Die Sportuhren sind so casual, wie sie teuer waren, und zum Bier schlürfen sie ein Dutzend Austern. Nicht weit von hier, über ein Gewirr von Straßen, Sträßchen und schließlich Fahrwegen, kommt eine Bilderbuch-Farm, die Grandma Moses nicht hübscher hätte malen können. Das ist Finks Gehöft, hier ist er der Gentlemen Farmer, hier darf er es sein. Eine Art Bauernhof-Disneyland, wie Finks eigener Bruder, ein Silicon-Valley-Investor, einmal lästerte. Dort, auf 18 Hektar Land, züchtet Fink Pferde. Und er sammelt Kunst – in seinem Fall allerdings nicht französische Impressionisten oder amerikanische Minimalisten, ersteigert für Hunderte Millionen bei Sotheby’s oder Christie’s wie seine Hedgefonds-Kollegen es zu tun pflegen. Fink sammelt American Folk Art. Zum Beispiel alte Wetterhähne. »Passend für jemanden, zu dessen Geschäft es gehört, auf die unberechenbaren Richtungswechsel des Markts zu reagieren«, schrieb mit mildem Spott der britische Economist über Finks bodenständiges Hobby. Etwas außer der Reihe war sein Engagement beim Plattenlabel Octone. Zu den ersten Bands des neuen Labels gehörte Maroon 5, eine Pop-Rock-
Band aus Finks Heimat Kalifornien, die Anfang der 2000er Jahre von ein paar Highschool-Freunden gestartet worden war – das erste Album Songs about Jane war ein Erfolg – und Maroon 5 spielte sogar bei der Weihnachtsfeier für BlackRock. Octone gibt es allerdings in der Form nicht mehr. Larry und seine Frau Lori haben sich zudem ein Haus in Aspen geleistet. Die alte Silberminenstadt in den Rocky Mountains von Colorado hat sich dank des zuverlässigen Pulverschnees zum Ski-Resort gewandelt, in das Amerikas Wirtschaftselite wie Zugvögel pünktlich zur Wintersaison einfällt. Kamen früher Glücksritter her, um in den Minen nach einem Vermögen zu wühlen, finden sich heute diejenigen hier ein, die woanders ihr Glück bereits gemacht haben. Und das sollte nicht zu knapp ausgefallen sein: Aspens Immobilien zählen zu den teuersten Amerikas. Beim Katasteramt von Aspen sucht man ihre Namen allerdings meist vergebens. Die Besitzer jener »Chalets« und »Mountain Refuges«, die gerne zweistellige Millionenbeträge kosten dürfen, tauchen bei den Ämtern meist nur »getarnt« auf – eingetragen sind die Namen der Treuhändergesellschaften, über die die Promis ihre Immobilien laufen lassen. Je nach Temperament sind es einfallslose wie »Treuhänderverein II«, angeberische wie »Goldader Investments« oder verspielte wie »Welpe Smith«. Amerikas Oligarchen wollen ihre Adressen ungerne veröffentlicht sehen. Damit verfügt Fink über all die Statussymbole, die einen Wall-Street-Mogul ausmachen. Und doch. Etwas fehlt noch. Für Fink gilt es jetzt, sich und BlackRock endgültig als neues Haus am Platz zu etablieren. Noch immer umgibt BlackRock der Geruch des Start-ups. Auch wenn die Investmentbanker ihren »Master of the Universe-Ruhm eingebüßt haben, ihre Institutionen blicken auf eine
Tradition zurück. Merrill Lynch mag die Unabhängigkeit verloren haben und nur noch der Name einer Abteilung des Finanzkonzerns Bank of America sein – doch die »donnernde Herde« von Charles Merrill, wie die Broker sich gerne nennen, ist seit 1914 auf den Hufen. Citigroup hat Wurzeln, die bis ins Jahr 1812 reichen, als die USA ihren letzten Krieg gegen die Briten führte. BlackRock gibt es nicht einmal drei Jahrzehnte. Und noch immer haftet den Vermögensverwaltern an der Wall Street das Image an, das Refugium derer zu sein, die sich nicht trauen, hart am Wind zu segeln. So nützlich dieses (Vor-)Urteil gegenüber Kunden und Regulierern ist, Fink möchte BlackRock gerne auf Augenhöhe von Goldman Sachs etablieren. Eine der Usancen der Goldmänner war es bis zur Finanzkrise, am Ende ihrer Karriere bei der Bank, der »Allgemeinheit zu dienen«, wie es in Reden und offiziellen Lebensläufen so schön heißt. Gemeint ist, ein möglichst renommiertes Amt in Washington anzutreten. Neben Chefposten bei diversen Ministerien und Behörden, haben gleich zwei Ex-GoldmanChefs den Posten des Finanzministers übernommen. Robert Rubin war Goldmans CEO und dann Bill Clintons Finanzminister, Hank Paulson übernahm denselben Posten unter George W. Bush. Larry Fink, ein Demokrat, gehörte zu den frühen Unterstützern von Obama und immer wieder gab es Gerüchte, dass der BlackRock-Chef nach DC berufen werden könnte. Daraus wurde nichts. Spätestens als Obama die Wall-Street-Großen als »fette Kater« bezeichnete und sich gegen die Finanzindustrie einschoss, zerbrach das einst freundliche Verhältnis. Doch Gerüchteköche spekulieren, dass Fink unter einer Präsidentin Hillary Clinton gute Chancen hätte. Die Clintons haben nie einen Hehl aus ihrem entspannten Verhältnis zur »Moneyed Class« gemacht. Tochter Chelsea heiratete 2010 – nicht allzu weit von Finks Farm – einen ExGoldman-Banker, der inzwischen einen Hedgefonds betreibt. Die Spekulationen um Finks mögliche politische
Ambitionen bekamen 2013 kräftig neue Nahrung, als BlackRock Cheryl Mills in den Aufsichtsrat holte. Mills ist keine Finanzfachfrau, die 50-Jährige ist durch und durch ein Washington-Insider. Sie ist die Allzweckwaffe der Clintons. So half die Juristin einst Bill Clinton, sich in seinem Amtsenthebungsverfahren wegen der MonicaLewinsky-Affäre zu verteidigen. Später gehörte sie zu Hillarys Beraterstab bei deren gescheiterter Präsidentschaftskampagne und später im Auswärtigen Amt. Mills bringe »weitere Dimension und Breite« in den BlackRock-Aufsichtsrat, erklärte Fink die Wahl der fachfremden Clinton-Vertrauten. Als Hillarys Finanzminister würde Larry Fink nicht nur das Gehabe eines Staatsmanns haben, dann wäre er endlich einer. »Hillary könnte Finks Ticket nach Washington sein«, wie es Wall Streets Klatschreporter Charlie Gasparino in einem Stück für Fox News beschreibt. Da könnte er sich persönlich darum kümmern, dass seine Vorstellungen einer Neuordnung der Altersvorsorge – wie etwa das private Zwangssparen – umgesetzt würden. Niemand hätte 1988 geglaubt, dass Larry Fink aus der Anleiheklitsche im Hinterzimmer einen globalen Koloss bauen würde, der ihn zum einflussreichsten Finanzier seiner Zeit macht. Niemand reicht in puncto Größe, Einfluss und Reichweite an BlackRock heran. Niemand weiß, welche Folgen ein solches Finanzsystem im Finanzsystem für uns hat. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Und der schwarze Riese ins Licht der Öffentlichkeit kommt.
Grafiken Grafik 1: Wenn BlackRock ein Land wäre … BlackRock-Vermögen im Vergleich zu Bruttoinlandsprodukt (2014): 4,6 der genannten 14 Billionen US-Dollar werden von BlackRock direkt verwaltet Quelle: IWF, BlackRock
Grafik 2: BlackRock – Großaktionär der Germany, Inc. Der Anteil BlackRocks an ausgewählten deutschen Unternehmen in Prozent
Quelle: BlackRock-Meldung an Bafin 25.9.2014 Grafik 3: Der weltweite ETF-Boom und BlackRocks Anteil Quelle: Statista, EFGI, BlackRock
Register AIG 60–64, 70, 74 Aktienkurse 58, 67, 124, 179 Aktienmärkte 33, 122, 125, 128, 130, 133, 136 f., 147, 150, 163, 209, 214, 234, 239 f. Aktionärsrevolte 176 Aladdin 199–204, 210, 220–224, 228 f., 263–265 Allianz 9, 15, 21, 28, 63, 120, 170 f., 174 f., 256, 274 Altersvorsorge 33, 128, 161, 232, 234, 237, 239–242, 244 f., 270 Ankaufprogramm 93 Ankeraktionäre 174, 178 Anlageportfolio 48, 129, 200 f. Anleihen 10, 17, 34, 36, 42 f., 48, 53 f., 110, 114, 117–120, 137, 140, 141, 143– 150, 168, 183, 209, 228, 251, 254, 262 Apple 10, 137, 208, 235 Aufsichtsrat 11, 25, 44, 55, 71, 131, 160, 170–178, 180–182, 186, 189, 191, 195, 235 f., 247, 257, 270 Ausfallrisiko 39, 77, 93 Bank of America 10, 13, 56, 60, 106, 119, 269 Bank of Irland 72 f., 75 Bear Stearns 44, 57–59, 61, 63, 67 f., 71, 74, 116 Bernanke, Ben 56, 68, 94–96, 117, 141 Bilanzen 23, 56, 65, 72 f. Blackstone 14, 23, 25, 29, 42–45, 51, 53, 71, 240 f. Blankfein, Lloyd 44, 100 Bond-Blase 42, 145 Bove, Richard X. 106–110 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) 20–22, 25, 178, 261, 274 Bush, George W. 65, 70, 100, 102, 240, 242, 270 Buy-Side 47–49, 102, 117 Chevron 10 Clinton, Bill 70, 90, 239–241, 270 Collateralized Mortgage Obligations (CMO) 37–40, 50, 52, 61, 109 f., 122, 219 Corporate Governance 177, 182 f., 187, 189–191, 195 f., 263 Credit Suisse 21, 42, 132 Cyberfinanzsystem 224 Cyborg 209–211, 217
»Dark Pool« 122–126, 151 »Davos-Set« 74 »Dealmaker« 42 Deutsche Bank 9, 39, 93, 151, 171–175, 274 Deutsches Aktieninstitut 18 Deutschland AG 10, 17, 29, 169, 171–173, 175, 177 f. Dimon, Jamie 44, 58 f., 71, 241 Dominoeffekt 58, 117, 144, 146 Dotcom-Blase 34, 53, 123 Draghi, Mario 90–94, 96, 100 ETF (Exchange Traded Fund) 11, 126 f., 130–135, 137–144, 151, 168, 184, 186, 194, 206, 218, 236, 262, 274 Europäische Zentralbank (EZB) 10, 75, 79 f., 90–100 ExxonMobil 10, 257 Federal Reserve 71, 73, 94 Financial Stability Board 90, 110 f., 143, 258, 261 Finanzaufsicht 20, 103 Finanzbranche 13, 34, 51, 72, 95, 97, 130, 150, 204, 244 Finanzkapitalismus 2.0 153 f., 161, 163, 166–168, 178, 184, 193, 254 Finanzkrise 34, 57, 62 f., 65, 67–69, 75, 79, 90, 93, 100 f., 110 f., 117, 130, 133 f., 139, 143, 149, 156, 176, 210, 212, 220, 232 f., 236, 238, 245, 248, 250, 252, 254 f., 270 Finanzmärkte 58, 69, 74, 76, 90, 122, 140, 143, 146, 171, 209, 212, 225 f., 228, 234, 261, 267 Finanzsystem 9, 16, 94, 106, 108 f., 111, 113, 116, 126, 143, 149, 151, 155 f., 185, 211 f., 223 f., 249 f., 260–262, 271 Fink, Larry 11–16, 29, 31–56, 58–61, 63–65, 68 f., 71 f., 74 f., 77 f., 82, 87 f., 90– 92, 96, 99, 102, 105, 109, 118 f., 122, 132, 138 f., 150 f., 154 f., 176, 183, 185 f., 188, 190, 192, 195 f., 201–203, 219, 223 f., 232–234, 237 f., 241, 245 f., 248 f., 252 f., 255, 260, 263, 265, 267–271 First Boston 15, 36, 40–42, 46, 49–51, 55, 71, 219, 253 Fixed-Income-Abteilung 43 »Flash Crash« 135–137, 262 Fonds-Oligopol 184 Fondsmanager 11, 17, 21, 66 f., 104, 120, 125, 128–130, 135, 144, 149, 167, 171, 175, 178, 180, 187, 194, 245, 258 Geithner, Timothy 58, 67 f., 70–72, 88, 90, 102, 255 Geldbuße 20 Geldmarktfonds 74, 111 f., 114–117, 145, 149, 235, 262 Geliehene Macht 14 f. General Electric 51 f., 112, 154, 158, 160 f., 203, 241, 257 Gewerbeimmobilien 26 Goldman Sachs 9, 13 f., 44, 55, 62, 65, 68, 70 f., 76, 90, 99–101, 121, 151, 234, 257, 259, 270 Goldstein, Rob 52, 201–203, 223 f.
Großeigentümer 18, 60, 178, 195 Hacker 209, 224–228 Hedgefonds 45, 47 f., 54, 69 f., 86, 88, 90, 107, 110, 133, 140, 144, 150, 174, 186, 191, 194–196, 212, 214, 236, 239, 250, 260 f., 268, 270 »Heuschrecken« 23, 25, 29, 42 f., 45, 102, 164, 197, 236 Hildebrand, Philipp 88–91, 96 Hypothekenkrise 40, 48 Hypothekenpool 38 f. Immobilienblase 32, 34, 115 Indexfonds 22, 130 f., 133, 140, 175, 250 Industriekapitalismus 169, 173 Insiderhandel 51, 102, 179 Institutional Shareholder Service (ISS) 191 Interessenkonflikte 55, 59, 63 f., 66, 74, 82, 93 f., 97, 104, 107, 120, 136, 195, 254 Internationaler Währungsfonds (IWF) 71, 73, 79, 273 Investmentbanken 13 f., 27 f., 36, 42, 44, 47, 49, 53 f., 57, 60, 107, 111, 113, 117–120, 136, 154, 178, 219, 257, 259, 269 Investmentfonds 35, 47, 107, 117, 122 f., 126 f., 129, 133, 144, 150, 163, 185, 191, 222, 250 Investor Relations 18, 178–181, 187, 253, 264 iShares 11, 74, 132 f., 138–143, 167 f., 184 JPMorgan Chase 10, 14, 44, 58, 71, 106,154, 226 f., 241 Junk Bonds 42 f., 92, 96, 145 f., 201, 254, 256 Kapitalismus 9, 14, 33, 153 f., 161, 163, 166–173, 178, 184 f., 193, 239, 254, 262 Kapito, Rob 50 f., 65, 119, 219, 249, 253 Kleinanleger 11, 47, 112, 125 f., 129–132, 137, 139 f., 160, 262 Kreditausfälle 77 f., 81 Kreditderivate 61, 212, 215 f. Kriegsanleihen 157, 160 Krisenherd 76 Krupp 169 f., 174, 236, 274 Lehman Brothers 34, 37, 42 f., 49, 58, 60, 80, 108, 111 f., 116 f., 132, 138, 149, 249 Lobbyisten 10, 13, 99 f., 105, 236, 253, 255, 258, 262 Machtwechsel 16, 28, 231 f. Manipulation 124, 135, 192, 195, 225–227 McDonald’s 10, 48 Morgan, John Pierpont 14, 127, 153–161, 166 f., 170, 184, 267 »Multi-Asset-Manager« 17 »Neutronen-Jack« 51 f. Nixon, Richard 43
– Besuch in China 162 Notenbanken siehe Zentralbanken Notenbanker 58, 61, 88, 90 f., 94–97, 105, 254, 260 Notfallkreditprogramme 95 Obama, Barack 45, 70, 88, 90, 96, 102, 209, 227, 241, 257 f., 270 Peabody 51 f., 154, 203 Peer-to-Peer-Kreditvermittler (P2P) 121 Pensionsfonds 10, 25, 33, 69, 114, 126, 140, 175, 191, 196, 247 f., 253 Peterson, Pete 15, 42 f., 71, 240 f. Pflichtmeldungen 20 f., 123, 178 Pimco 28, 63 f., 66, 81, 96, 110, 149, 163, 256, 258 Private Equity 14, 42 f., 45, 47, 164 f., 187, 195, 236, 239, 250, 254 Projekt »Solar« 76–78 Proxy Advisor 191 Putin, Wladimir 12, 227 »Quants« 212 f., 215–217 Ratingagenturen 47 ff., 61, 216, 223 Reformstau 96 Regulierer 10, 35, 90, 109, 121–124, 143, 145 f., 149 f., 182, 229, 236, 251–253, 259–261, 269 Repo-Markt 113 f., 145 Riester-Rente 243 f. Rockefeller, John D. 157 Rockefeller-Stiftung 90 Rückzahlung, vorzeitige 38, 41 Salomon Brothers 36, 38, 46, 215 Schattenbanken 99, 109–111, 114–117, 145, 148, 168, 251, 253 f., 262 »Schwarze Schwäne« 251 f. Schwarzman, Steven 15, 42–45 Sell-Side 47–49, 117 f. Shareholder-Value-Prinzip 163–166, 185 Sharpe, William 129 Shiller, Robert 34, 84 Schrottanleihen 141, 254 Staatsanleihen 75, 80, 92, 115, 149, 241 Standard & Poor’s 48, 128 Stimmrechtsberater 191 f. Streubesitz 18, 178 Trichet, Jean Claude 90, 96 »Troika« 75, 78, 79–82 Trump, Donald 44, 244 Vermögensverwalter 9, 13, 15, 17, 20 f., 48, 53 f., 60, 114, 118–120, 122, 125, 161, 163, 167 f., 190, 193–195, 220, 232–234, 239, 245, 248–252, 254–258,
269 Wackelhypotheken 54, 56, 60, 64, 75, 92, 113, 145, 195, 223, 258 Welch, Jack 52 Weltbank 100, 241 f. Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) 82 f., 85, 89 Zentralbanken 10, 12, 41, 59 f, 62–75, 78 f., 81 f., 86, 92, 94, 96 f, 110, 112, 115 ff., 139, 145, 155, 220, 247, 250, 253 ff.
Impressum ISBN 978-3-593-50458-2 (Print) ISBN 978-3-593-43211-3 (PDF-E-Book) ISBN 978-3-593-43228-1 (EPUB) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2015 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: total italic, Thierry Wijnberg, Amsterdam/Berlin Umschlagmotiv: © Thinkstock Konvertierung in EPUB: le-tex publishing services GmbH, Leipzig www.campus.de