Band 1. Aal-mau
Band 2. Maul-zwölf

Автор: Röhrich Lutz  

Теги: linguistik   deutsche sprache  

ISBN: 3-451-16629-1

Год: 1974

Текст
                    Röhrich
Lexikon der
sprichwörtlichen
Redensarten
Band 1



Lutz Röhrich Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten Band 1: Aal bis mau mit ca. 300 Abbildungen Dritte Auflage Herder Freiburg- Basel • Wien
Redaktion: Gertraud Meinel Alle Rechte Vorbehalten • Printed in Germany © Verlag Herder KG Freiburg im Breisgau 1973 Herder Druck Freiburg im Breisgau 1974 ISBN 3-451-16629-1
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS a. a. O. = am angegebenen Ort Dt. Rwb. = Deutsches Rechtswörter¬ AaTh. = Aarne-Thompson buch Abb. = Abbildung(en) Dt. Wb. Deutsches Wörterbuch Abk. = Abkürzung der Brüder Grimm Adj. = Adjektiv E.B. Erk-Böhme: Dt. Lieder¬ Adv. = Adverb hort ahd. = althochdeutsch ebd. = ebenda ahnl. = ähnlich ebenf. = ebenfalls alem. = alemannisch ed. = ediert allg. — allgemein eigentl. = eigentlich altdt. = altdeutsch eis. = elsässisch amer. = amerikanisch engl. englisch anord. = altnordisch Engl. England Apostelg. — Apostelgeschichte entspr. = entsprechend Art. — Artikel Eph. Epheserbrief A. T. = Altes Testament erg. ergänzt Aufl. = Auflage ersch. = erschienen Auftr. = Auftritt erzgeb. = erzgebirgisch Ausdr. = Ausdruck, Ausdrücke etc. = etcetera Ausg. = Ausgabe etw. — etwas bad. = badisch etymol. = etymologisch bair. = bairisch euphemist. = euphemistisch Bd., Bde. = Band, Bände europ. = europäisch Bdtg. — Bedeutung(en) ev. = evangelisch Beisp. = Beispiel(e) f.,ff. folgende Seite(n) berl. = berlinisch folgende(s) Jahr(e) bes. = besonders fern. = femininum betr. = betreffend FFC Folklore Fellows bez. = bezeichnet Communications Bez. = Bezeichnung(en) finn. = finnisch bibl. = biblisch fläm. = flämisch Bibl. = Bibliothek fränk. = fränkisch bildl. = bildlich Frankr. = Frankreich bzgl. = bezüglich fries. = friesisch bzw. = beziehungsweise frz. = französisch christl. = christlich gebräuchl. = gebräuchlich dän. = dänisch Gen. = Genitiv ders. = derselbe germ. = germanisch d.h. = das heißt Ges.W. Gesammelte Werke d. i. = das ist Gesch. = Geschichte Diss. = Dissertation geschichtl. — geschichtlich DS. = Deutsche Sagen der Ggwt. = Gegenwart Brüder Grimm griech. = griechisch dt. = deutsch GSA. Gesamtabenteuer Dtl. — Deutschland H. Hälfte £42609
A BKÜRZUNGS VERZEICHNIS hamb. — hamburgisch lux. = luxemburgisch hd. = hochdeutsch MA. = Mittelalter HdA. = Handwörterbuch des dt. ma. = mittelalterlich Aberglaubens Makk. = Makkabäer hebr. — hebräisch Mal. = Maleachi Hebr. = Hebräerbrief Mark. = Markus Hes. = Hesekiel masc. = masculinum hess. = hessisch Matth. = Matthäus Hess. Bl. f. Vkde. Mda.,Mdaa. . = Mundart(en) = Hessische Blatter für mdal. = mundartlich Volkskunde mdl. = mündlich Hg. = Herausgeber mdt. = mitteldeutsch hg. v. = herausgegeben von meckl. - mecklenburgisch hist. = historisch mehrf. = mehrfach hl. = heilig mhd. = mittelhochdeutsch holl. = holländisch mlat. = mittellateinisch holst. = holsteinisch mnd. = mittelniederdeutsch Hs., Hss. = Handschrift(en) mndl. = mittelniederländisch idg. = indogermanisch Mos. = Moses i.J. — im Jahre moselfr. = moselfränkisch ill. — illustriert Mot. Motiv-Index v. Stith 111. = Illustration Thompson intrans. = intransitiv MSD. = Müllenhoff-Scherer; iron. = ironisch Denkmäler ital. = italienisch n. Chr. = nach Christi Geburt i.S.v. = im Sinne von ndd. — niederdeutsch Jak. = Jakobus ndl. = niederländisch Jb. = Jahrbuch Ndr. = Neudruck jem. = jemand(en, es) neutr. = neutrum Jer. = Jeremias nhd. = neuhochdeutsch Jes. = Jesaias nordd. = norddeutsch Jh., Jhh. = Jahrhundert(e) norw. - norwegisch jidd. = jiddisch N.T. = Neues Testament Joh. = Johannes o. ä. oder ähnlich(es) jüd. = jüdisch obd. = oberdeutsch Kap. = Kapitel oesterr. = österreichisch kath. = katholisch Offenb. = Offenbarung kaufm. = kaufmännisch offen tl. = öffentlich KHM. = Kinder- u. Hausmärchen o.J. = ohne Jahresangabe der Brüder Grimm oldenb. = oldenburgisch köl. = kölnisch o.O. ohne Ortsangabe Kol. = Kolosserbrief ostdt. = ostdeutsch Kön. = Könige ostmdt. = ostmitteldeutsch Konj. = Konjunktiv ostpr. = ostpreußisch Kor. = Korintherbrief PBB. = Paul und Braunes Kr. = Kreis Beiträge lat. = lateinisch pfälz. = pfälzisch Lexer = Mhd. Handwb.v. M. Lexer Plur. = Plural lit. = literarisch poln. = polnisch Lit. = Literatur pomm. = pommerisch Lit. Ver. = Bibliothek des Lit. Pred. = Prediger Vereins Stuttgart preuß. = preußisch Luk. = Lukas Ps. = Psalm 6
Abkürzungsverzeichnis Rda., Rdaa. = Redensart(en) Tob. — Tobias rdal. = redensartlich tschech. = tschechisch RGA. = Reallexikon der germ. u. = und Altertumskunde v. Hoops u. a. = und andere, RGG. = Religion in Geschichte unter anderem und Gegenwart u. ä. = und ähnliche(s) rhein. — rheinisch Übers. = Übersetzung Rheinl. = Rheinland übertr. = übertragen rhet. = rhetorisch Übertr. = Übertragung Richter = Buch der Richter umg. = umgangssprachlich Röm. = Römerbrief Urspr. = Ursprung röm. = römisch urspr. = ursprünglich rom. = romanisch usw. = und so weiter rotw. = rotwelsch u.U. = unter Umständen rum. — rumänisch V. = Vers russ. = russisch v. Chr. = vor Christi Geburt RVV. = Religionsgeschichtl. verbr. = verbreitet Versuche u. Vorarbeiten vermuth = vermutlich S. = Seite vgl. = vergleiche s. = siehe Vkde. = Volkskunde Sam. = Samuel W. - Werke s. d. = siehe dort WA. = Weimarer Ausg. sächs. = sächsich wahrscheinl, . = wahrscheinlich schles. = schlesisch Wb., Wbb. = Wörterbuch (-bûcher) schlesw.-holst. weibl. = weiblich = schleswig-holsteinisch westf. = westfälisch schwäb. = schwäbisch wien. = wienerisch Schweiz. = schweizerisch Wndg.,Wndgn. siebenb. = siebenbürgisch = Wendung(en) Sir. = Sirach worth = wörtlich slaw. = slawisch ZA. = Zentralarchiv d. dt. Volks¬ s. o. = siehe oben erzählung in Marburg sog. = sogenannt z.B. = zum Beispiel sold. = soldatensprachlich Zs., Zss. = Zeitschrift(en) Sp. = Spalte Zs.f.d.A. = Zeitschrift f. dt. Altertum span. = spanisch Zs. f. dt. Mdaa. sprachl. = sprachlich = Zeitschrift für dt. sprw. = sprichwörtlich Mundarten Sprw. = Sprichwort Zs.f.d.Ph. = Zeitschrift für dt. Sprww. = Sprichwörter Philologie Str. = Strophe Zs.f.d. U. = Zeitschrift für den dt. stud. = studentensprachlich Unterricht student. = studentisch Zs. f. dt. Worth s. u. = siehe unten = Zeitschrift für dt. Subst. = Substantiv Wortforschung südd. = süddeutsch Zs. f. Vkde = Zeitschrift für Volks¬ suddt. = sudetendeutsch kunde Sz. = Szene z.T. = zum Teil Thess. = Thessalonicher z. Zt. -- zur Zeit thür. = thüringisch tir. = tirolisch * = erschlossen
EINLEITUNG Was ist eine sprichwörtliche Redensart'? Die Antwort auf diese Frage setzt bereits die Beantwortung einer zweiten voraus: Was ist ein ,Sprichwort'? Wie schon der Name sagt, gehören die sprichwörtlichen Redensarten in die Nähe der Sprichwörter; und doch sind sie keine. Die Unterschiede bestehen vor allem in Form, Struktur und Funktion. Ein Sprichwort hat die Form eines abgeschlossenen Satzes in fester und unveränderlicher Formulierung, z.B. ,Hunger ist der beste Koch.4 - ,Wer lang hustet, wird alt.4 Oft wird die Form des Sprichworts durch Stabreim, End- oder Binnenreim noch besonders gefestigt: ,Glück und Glas - wie leicht bricht das.' - ,Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.’ - ,Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.4 - ,Je oller, je döller!' Eine sprichwörtliche Redensart dagegen ist ein verbaler bildhafter Ausdruck, wie z.B. ,für jemand die Kastanien aus dem Feuer holen4 - ,einen ins Bockshorn jagen' - hinein ein X für ein U vormachen4 - ,einem den Daumen drücken'. Diese sprichwörtlichen Redensarten müssen erst in einen Satz eingefügt werden, um eine feste Aussage zu ergeben; als verbale Ausdrücke sind sie veränderlich nach Zeit und Person: Wer drückt wem, wann, wofür den Daumen? Alles dies muß erst formuliert werden. In diesem Sinn sind die sprichwörtlichen Redensarten noch ungeformter sprachlicher Rohstoff. Natürlich könnte man, etwa durch die Einkleidung in einen formelhaften Rahmen oder in einen imperativischen Lehrsatz, auch Redensarten das Gewand eines Sprichworts geben, etwa: ,Man soll niemand ins Bockshorn jagen.4 - ,Man darf keinem ein X für ein U vormachen.4 - ,Hole nie für einen anderen die Kastanien aus dem Feuer.' - ,Daumendrücken scha¬ det nie.4 Aber solche künstlichen Sentenzen wären noch lange keine Sprichwörter; sie haben in diesem Wortlaut keine feste Tradition. Manchmal freilich ist unser Sprachgefühl nicht so sicher. Was hat z.B. Vorrang: die Redensart ,gute Miene zum bösen Spiel machen' oder das Sprichwort ,Man muß gute Miene zum bösen Spiel machen'? Mit dem imperativischen Anspruch - ,Jeder kehre vor seiner eigenen Tür!, ,Man soll...', ,Man muß...' oder ,Man darf...' - hat das Sprichwort eine generalisierende Form angenommen. Es drückt in der Regel einen allgemeingültigen Satz aus, der entweder eine Erfahrung des täglichen Lebens (,Neue Besen kehren gut.'), ein Urteil oder eine Meinung (,Ein Sperling in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach.4), eine Warnung (,Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie!' - ,Es ist nicht alles Gold, was glänzt.'), eine Vorschrift oder Klugheitsregel enthält (,Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.'). Viele Sprichwörter sprechen eine Sozialkritik aus (,Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?4) oder eine Religionskritik (,Der beste Patron ist der Tierarzt.') oder schließlich einfache Haushaltsregeln (,Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.4). Unter einem Sprichwort verstehen wir also einen festgeprägten Satz, der eine unser Verhalten betreffende Einsicht oder eine Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten ausspricht. Demgegenüber weisen sprichwörtliche Redensarten keine feste Prägung auf; sie sind in ihrer Tendenz beliebig einsetzbar; sie sind wertfrei. Ihre offene Form des verbalen Ausdrucks bringt es mit sich, daß sprichwörtliche Redensarten auch keinen festen Inhalt und schon gar keine lehrhafte oder ethische Tendenz haben können. Sie bieten keine ,Spruchweis¬ 9
Einleitung heit\ Erst dadurch, daß sie zu Sätzen vervollständigt werden, bekommen sie einen Inhalt. Es gibt allerdings auch einige Redensarten, die eine feste Form haben, starre phraseologische Verbindungen, die selbst schon einen Satz für sich bilden, ohne daß man sie deshalb schon zu den Sprichwörtern zählen dürfte. Dazu gehören Ausrufe wie z.B. ,Das geht auf keine Kuhhaut!4 - ,Das geht über die Hutschnur!4 - ,Das ist gehupft wie gesprungen!4 - ,Viel Geschrei und wenig Wolle!4 - ,Hals- und Beinbruch!4 und andere. Auch andere Wendungen kommen praktisch nur in ganz bestimmten Sätzen vor, obwohl ein Satz natürlich strenggenommen keine sprichwörtliche Wendung ist1,z.B. ,Es ist höchste Eisenbahn!1 - ,Da hast du die Bescherung!4 - Jetzt ist Sense!4 - ,Du ahnst es nicht!4 Aber auch diese feststehenden und abgeschlossenen sprichwörtlichen Formeln, wie man sie vielleicht bezeichnen kann, haben keinen Eigenwert, stellen keine selbständige Aussage dar, sondern müssen sich auf etwas Vorhergesagtes beziehen. Die an sich klaren Unterschiede der Form schließen jedoch nicht aus, daß es Übergänge von Sprichwörtern zu Redensarten und umgekehrt gibt, und nicht immer ist eine scharfe Grenzziehung möglich. Es gibt z.B. das Sprichwort ,Durch Schaden wird man klug4. Aber man kann natürlich auch redensartlich sagen: ,Er ist durch Schaden klug geworden4. Es ist ebensogut möglich, im Sprichwort zu sagen: ,Mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen4 wie in re- densartlicher Anwendung: ,Mit Herrn X ist nicht gut Kirschen essen4. Ein bekanntes Sprichwort heißt: ,Ein gebranntes Kind scheut das Feuer4. Aber Bert Brecht läßt z.B. seine Mutter Courage redensartlich sagen: „Ich bin ein gebranntes Kind44. Ganz frei gestaltete auch Goethe Redensarten zu sprichwörtlicher Weisheit um: Wer sich nicht nach der Decke streckt, dem bleiben die Füße unbedeckt. 1 Der Begriff ,Wendung4 meint ganz allgemein eine häufig auftretende Wortgruppe, die aus Verb und Objekt, Adjektiv und Substantiv, Präposition und Substantiv oder ähnlichen Verbindungen besteht; Wolf Friederich: Moderne deutsche Idiomatik. Systematisches Wörterbuch mit Definitionen und Beispielen (München 1966), S.8f. Die Grenzen zwischen Sprichwort und sprichwörtlicher Redensart werden in dem Augenblick fließend, wo Sprichwörter bzw. Redensarten in einen dichterischen Text eingeflochten werden. Wo Sprichwort und Redensart nebeneinander Vorkommen, läßt es sich oft schon in den älteren Sprachschichten nicht mehr entscheiden, was das Primäre ist. Gelegentlich wird durch Hinzufügen eines Subjekts aus einer Redensart ein Sprichwort. Aber es werden auch Sprichwörter zu Redensarten. Doch sind diese Fälle im Grunde Ausnahmen. Abgesehen von einer recht schmalen Randzone der Übergänge, sind sprichwörtliche Redensarten doch durchaus eigenständige Gebilde. Sie stehen von Anfang an neben den Sprichwörtern und haben mit diesen nicht zu viele Berührungspunkte; d.h. nur in relativ wenigen Fällen gibt es für eine sprichwörtliche Redensart auch ein paralleles Sprichwort. Mit dem Sprichwort gemeinsam aber hat die sprichwörtliche Redensart das sprechende, kräftige und einprägsame Bild, das ebenso wiedas Sprichwort in seinem Wortlaut traditionell festgefügt ist. Es heißt ,Maulaffen feilhalten4, nicht etwa ,Maulaffen verkaufen4. Es heißt ,ins Bockshorn jagen4, nicht ,ins Bockshorn treiben4 - so jedenfalls nach unserem heutigen Sprachgebrauch und -gefühl. Das sprichwörtliche4 einer Redensart liegt darin, daß sie in ihrem Wortlaut relativ konstant ist. Redensarten sind patterned speech42. Man kann zwar individuell variieren, ob man sagen will: ,Er zuckte die Achseln4 oder: ,Er zuckte seine Achseln4. Bei der sprichwörtlichen Redensart aber ist es nicht möglich, derartige Veränderungen 2 Der Begriff .sprichwörtliche Redensart4 erscheint hier weitgehend synonym mit dem Begriff der .idiomatischen Redewendung4, den W.Friederich (a. a. O., S. 9) folgendermaßen definiert: Idiomatische Redewendungen sind solche Wendungen, deren Sinn ein anderer ist als die Summe der Einzelbedeutungen der Wörter..., z. B. .etwas durch den Kakao ziehen4 hat weder mit Kakao noch mit ziehen das geringste zu tun. Es ist deutlich, daß Wendungen wie ,die Katze im Sack kaufen4; .etwas für bare Münze nehmen4; .eine harte Nuß knacken4; ,ans Ruder kommen4; ,ins Garn gehen4; .durch die Bank4; ,von echtem Schrot und Korn4 mit den genannten Dingen (Katze, Sack, Münze, Nuß, Ruder, Garn, Bank, Schrot, Korn) heute nichts mehr zu tun haben und darum .idiomatisch' sind. 10
Einleitung vorzunehmen. Es heißt nicht: ,etwas auf seine leichte Achsel nehmen4, sondern eben: ,etwas auf die leichte Achsel nehmen4. Redensarten zeigen eine relativ starre Formulierung, die nur selten den Ersatz bedeutungsähnlicher Wörter oder Erweiterungen durch andere Wörter gestattet. Man spricht deshalb auch von stehenden4 Redensarten. Die Redensart ist also ein Bildwort in überlieferter Ausdrucksform. Ein Problem, das freilich noch nicht näher untersucht worden ist, ist die Formbeständigkeit bzw. Wandlungsfähigkeit sprichwörtlicher Redensarten, die Frage der Ablösung einer sprichwörtlichen Formulierung durch andere und neuere. Zur Geschichte einer sprichwörtlichen Redensart gehört jedenfalls mehr als nur der Nachweis ihres Herkommens. Es muß vielmehr untersucht werden, wann sie ihre heute feststehende Form erhalten hat. Sprache ist immer in lebendiger Bewegung, und ,endgültig4 ist in ihr nichts, selbst wenn eine sprichwörtliche Redensart jahrhundertelang in derselben Form nachweisbar ist oder wenn ihr Wortlaut für unser heutiges Sprachgefühl eindeutig fixiert ist. Das ,Kerbholz* beispielsweise kennt unser Redensartenschatz ausschließlich in dieser einen Form: ,etwas auf dem Kerbholz haben4. In der Sprache des 16. Jahrhunderts gab es aber daneben die Formulierung ,an ein Kerbholz reden4 oder ,aufs Kerbholz reden4, d. h. etwas versprechen, ohne ernstlich an die Erfüllung zu denken, blind darauf losreden. Die Variabilität der Fassung einer Redensart war früher z.T. sehr viel größer als heute. Wir können bei bestimmten Redensarten geradezu verfolgen, wie sie von variablen Formen schließlich zu einer festen Form übergegangen und so für den allgemeinen Sprachgebrauch erstarrt sind. Zu den formalen Kennzeichen einer sprichwörtlichen Redensart gehört in der Regel auch der zusammengesetzte Ausdruck. Weder das treffende Einzelwort noch ein Schlagwort machen schon eine sprichwörtliche Redensart aus. Der Ausdruck Vetternwirtschaft4 (meist mundartlich schwäb. ,Vetterleswirtschaft4) ist z.B. nur ein bildkräftiger Ausdruck; dagegen die Wendung ,Die Vetternstraße ziehen4 eine sprichwörtliche Redensart. ,Auf zwei Sätteln reiten4 ist wieder eine sprichwörtliche Redensart; ,umsatteln4 dagegen eine bloße Metapher. Worte wie verballhornen4 oder ,salbadern4 sind noch keine Redensarten, wenn ihnen auch die bildliche Verwendung eigentümlich ist. Doch treten viele bildlich gebrauchte Wörter fast immer nur in bestimmten Fügungen auf, so z.B. ,Luftschloß4 nur in der Wortverbindung ,Luftschlösser bauen4,,ausbaden4 nur in der Fügung ,etwas ausbaden müssen4, so daß wir solche Wendungen hier mit einbeziehen müssen. ,Schabab4 ist z.B. ein redens- artlich gebrauchtes Einzelwort, das in einem Redensartenlexikon erklärt werden muß. Die Abgrenzung zwischen Einzelwort und Redensart ist freilich nicht immer vollständig klar und überzeugend möglich, und es geht dabei nicht ohne Überschneidungen und Kompromisse ab. Wo Einzelwörter in solchen festen Fügungen vornehmlich auf- treten und wo deren Wortgeschichte sprachlich oder kulturgeschichtlich aufschlußreich ist, haben wir sie mit in das Lexikon aufgenommen. So wird z.B. etwas über den ,weißen Raben4 oder auch über die ,Rabeneltern4 zu finden sein, dagegen nicht das bloße Schimpfwort ,Rabenaas4. Ähnlich: ,Dreck4 im gewöhnlichen Sinne des Wertlosen wäre auch in stehenden Wendungen wie ,sich um jeden Dreck kümmern4 oder ,im Dreck stecken4 nicht in unser Lexikon aufzunehmen gewesen; dagegen sind erklärungsbedürftige Redensarten Wendungen wie ,Dreck am Stecken haben4 oder ,durch Dreck und Speck4. So werden oft innerhalb eines und desselben Wortfeldes ganz verschiedene Bedeutungsrichtungen deutlich. Man könnte natürlich jede einfache Benennung, z.B. auch jedes originelle Schimpfwort, in eine Redensart umprägen. Es müßten dann folgerichtig auch Begriffe wie z.B. ,Backfisch4, ,Twen4, ,Teenager4 oder ,Starlet4 aufgenommen werden. Aber hier zeichnen sich deutlich die Grenzen und Aufgaben ab zwischen einem Wörterbuch der Umgangssprache der Gegenwart, das es ja bereits gibt und dem wir viel verdanken, und einem Wörterbuch der sprichwörtlichen Redensarten. Das bloße Ein¬ il
Einleitung zelwort haben wir nicht aufgenommen, auch wenn es noch so bildkräftig erscheint. Auch das,Schlagwort1 besteht im allgemeinen nur aus einem Wort, doch es gibt auch ganze schlagwortartige Wendungen, die dann in der Nähe der redensartlichen Wendungen stehen können, z.B. ,auf die Barrikaden gehen1 - ,die Initiative ergreifen3 4 - ,das Banner hochhalten4. Das Kriterium dessen, was davon hier aufgenommen wurde, ist die Erklärungsbedürftigkeit. So sind allgemein bekannte Schlagworte der Gegenwartssprache und Tagespolitik weniger aufgenommen als historische und unverständlich gewordene. Verschiedentlich wurden auch einige formelhafte Wendungen oder einfache idiomatische Ausdrücke aufgenommen, weil sie doch der eine oder andere in einem Lexikon sprichwörtlicher Redensarten suchen wird und darum nicht enttäuscht werden soll. Der Begriff sprichwörtliche Redensart4 ist nicht eindeutig festgelegt. Unser Auswahlprinzip ist darum nicht immer straff durchgeführt. Im ganzen ist die Grenze dessen, was man noch als sprichwörtliche Redensart bezeichnen kann, wohl eher zu weit als zu eng abgesteckt worden. Von allen Teilgebieten der sprachlichen Volksüberlieferung gelten die sprichwörtlichen Redensarten als das unscheinbarste. Unter den einfachen Formen4 sind sie die einfachsten. So einfach allerdings diese Form auch erscheint, so zeigt sie - ebenso wie die des Sprichworts - die Tendenz zu einer gewissen formalen Prägnanz und Geschliffenheit wie z.B. die Tendenz zum Reim oder zur Alliteration, zur Kontrasttechnik usw. (z.B. ,Viel Geschrei und wenig Wolle4). Für die Strukturanalyse der sprichwörtlichen Redensarten gilt mutatis mutandis das gleiche, was Matti Kuusi für die Sprichwörter entwickelt hat: ,,Es gibt drei Aspekte, nach denen man die Sprichwörter zu Gruppen zusammenfassen kann: 1. nach der Idee, 2. nach der Struktur, 3. nach dem Baukern. Sprichwörter mit der gleichen Idee sind synonyme Sprichwörter. Sprichwörter, die nach gleichem Schema gebildet sind, bilden strukturgleiche Sprichwörter. Sprichwörter, die sich um gleiche bzw. sinngleiche Bilder oder Wortfiguren grup¬ pieren, sind baukerngleiche Sprichwörter443. Es gibt bei der Ausbildung von Sprichwörtern gewisse Form-Modelle, die auch in den Bereich der Redensarten hinüberwirken. Nach demselben Form-Modell verlaufen z.B. ,Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach4. - ,Lieber eine Laus im Pott als gar kein Fleisch4. - ,Lieber scheintot im Massengrab4. Oder: ,Besser Unrecht leiden als Unrecht tun4. - ,Besser ein guter Freund als zehn Freunde4. - Resser zehnmal verdorben als einmal gestorben4. - ,Besser ein Bär ohne Schwanz als ein Schwanz ohne Bär4. Luther übersetzt Luk. 6,45 : „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“. Nach demselben Formmodell gebaut ist das schwäbische Sprichwort: ,Wes der Magen voll ist, läuft das Maul über4. Und noch das Dichterwort folgt solchen Form-Modellen, wenn Schiller etwa in ,Wallensteins Tod4 (1,4) schreibt: „Was der frohe Mut mich sprechen ließ im Überfluß des Herzens44 Die einfachsten formalen Redensartenschemata sind die sog. Zwillingsformeln, Wortpaare in starren phraseologischen Verbindungen, die durch Stabreim oder Endreim gebunden sind. Sie haben meist eine rhythmische oder klangliche Bindung, die eine fast unveränderbare Reihenfolge der Glieder bewirkt, z.B. ,in Bausch und Bogen4 - ,verraten und verkauft4 - ,in Hülle und Fülle4 - ,in Saus und Braus4 - ,Knall auf Fall4 - ,klipp und klar4. Zwillingsformeln sind, falls sie ungleich lange Wörter enthalten, nach dem Gesetz der wachsenden Glieder geordnet, d.h. zuerst steht das kürzere, dann das längere Wort, z.B. ,Roß und Reiter4 - ,Lust und Liebe4 - ,Nacht und Nebel4 - ,nie und nimmer4 - ,tun und lassen4. Auch steht gewöhnlich das Wichtigere oder Wertvollere voran: ,Mensch und Tier4 - ,Hund und Katze4 - ,Sonne und Mond4 — ,Katze und Maus4. Beliebt als Mittel zur Verstärkung ist auch die Wiederholung des gleichen Wortes, z.B. in den redensartlichen Formeln ,Schlag auf Schlag4 - ,Wurst wider Wurst4. Selbst noch heutige literarische oder poli¬ 3 Matti Kuusi: Ein Vorschlag für die Terminologie der parömiologischen Strukturanalyse, in: Proverbium (1966), S.97f. 12
Einleitung tisch schlagwortartige Prägungen verlaufen nach dem Wortpaarschema der älteren Zwillingsformeln, z.B. ,Soll und Haben4 - ,Schuld und Sühne1 — ,Ost und West4 - ,Frieden und Freundschaft4. Nicht jeder Zwillingsformel konnte freilich in unserem Wörterbuch ein besonderer Artikel gewidmet werden. Doch fassen die Stichworte ,Ach4 und ,Bausch4 eine größere Zahl von ihnen als Sammelartikel zusammen. So wie immer neue Zwillingsformeln oder auch redensartliche Vergleiche nach derselben formalen Struktur entstehen, werden auch sonst neue Redensarten nach dem typischen Form-Modell älterer Redensarten geprägt, die dann immer wieder abgewandelt und variiert werden. Zu der sprichwörtlichen Redensart ,viel Geschrei und wenig Wolle4 gehören z. B. als Parallelformen: ,viel Geschrei und wenig Milch4 oder: ,viel Geschrei und wenig Ei4. Eine besonders reiche Variantenbildung hat etwa auch die Redensart: ,Es geht mir ein Licht auf4. Daran hat sich angeschlossen: ,mir geht ein Seifensieder auf4 (weil der Seifensieder gleichzeitig auch Kerzen herstellte) - ,mir geht eine Kerzenfabrik auf4 - ,eine Gasfabrik4 - ,mir geht eine Petroleumlampe auf4 - ,eine Stallaterne4 usw. Ähnlich häufige Variationen bildete: ,mit dem Zaunpfahl winken4, wofür man z.B. auch ,mit dem Laternenpfahl4 oder ,Scheunentor winken4 hören kann. Solche Variantenbildungen sind z.T. oiko- typisch, regional oder nach verschiedenen Sprachbereichen differenziert. Der deutschen Redensart ,zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen4 entspricht englisch ,to kill two birds with one stone4 (zwei Vögel mit einem Stein töten); italienisch: ,prendere due colombi con una fava4 (zwei Tauben mit einer Bohne fangen) und schon lateinisch: ,duo parietes de eadem fidelia deal- bare4 (zwei Wände aus demselben Tünchgefäß weißen)4. Gibt es einerseits die Neigung der sprichwörtlichen Redensarten zur Ausschmük- kung und zur Variantenbildung bis zur parodierenden Umbildung, so steht auf der 4 Vgl. Karl Knortz: Die Insekten in Sitte, Sage und Literatur (Annaberg 1910), S.96. anderen Seite die Tendenz zur Verkürzung. Manche Redensarten sind durch Verkürzung aus sprachlich längeren Wendungen entstanden, so z. B.,einem eins auswischen4 aus ursprünglichem ,einem ein Auge auswischen4. Ähnlich:,einem etwas anhängen4 aus ,einem ein Schandzeichen anhängen4. Wieder andere sprichwörtliche Redensarten sind die Kurzformen von längeren Sprüchen und Vierzeilern, die sich immer mehr auf eine Zeile reduzierten, z.B. ,mit ihm ist nicht gut Kirschen essen4 aus: ,mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen; sie spucken einem die Steine ins Gesicht4. Je bekannter Sprichwort und Redensart durch häufige Anwendung und vielfachen Gebrauch werden - und Sprichwort bedeutet ja dem Wortsinn nach ,vielgesprochenes Wort4 -, desto mehr neigen sie zur Verkürzung, desto mehr genügt die bloße Andeutung. Nur so erklären sich die häufigen Reduktionen zu Kümmerformen und Schwundstufen. Zu den einfachen Formen und Strukturen redensartlicher Aussage gehören auch die sprichwörtlichen oder redensartlichen Vergleiche wie z. B. ,arm wie eine Kirchenmaus4 - ,dumm wie Bohnenstroh4 - ,frech wie Oskar4 - ,zittern wie Espenlaub4 - ,aufgeputzt wie ein Pfingstochse4 - ,wie sauer Bier anbieten4 - ,auffahren wie von der Tarantel gestochen4. Besonders massiert treten sie etwa in den Artikeln ,dumm4,,dastehen wie.. .4,,dasitzen wie.. .4 auf. Manche dieser redensartlichen Vergleiche wie z.B. die stehenden Farbver- gleiche ,rot wie Blut4 - ,weiß wie Schnee4 - ,grün wie Gras4 können durch viele Jahrhunderte zurückverfolgt werden. Während es für das Lateinische, Französische und Englische gute Arbeiten über den sprichwörtlichen Vergleich gibt, steht die Forschung für den deutschen Sprachbereich noch ganz in den Anfängen5. 5 Vgl. F. J. Wilstack: A Dictionary of Similes (London 1917); /. V. Zmger/e:Farbvergleiche im Mittelalter, in: Germania9 (1864), S.385-402; A. Taylor: Proverbial Comparisons and Similes from California, Folklore Studies3 (Berkeley - Los Angeles 1954); H. W. Klein: Die volkstümlichen sprichwörtlichen Vergleiche im Lateinischen und in den romanischen Sprachen, Diss. Tübingen (Würzburg 1936); W. Widmer: Volkstümliche Vergleiche im Französischen nach dem Typus ,,Rouge comme un Coq“ (Diss. Basel 1929). 13
Einleitung Zahlreiche stehende Vergleiche sind von vornherein auf Witz und Groteske aufgebaut, so z.B. die verschiedenen Varianten des Klischees ,Klar wie Kristall1. In den Variationen heißt es dann: ,Klar wie Kloßbrühe4 - ,dicke Tinte4 - ,Schuhwichse4 - ,Zwetschgenbrühe4 - ,Mehlsuppe4 usw. Alle diese Wendungen bedeuten: unumstritten, völlig, durchsichtig. Tatsächlich entspricht nur die erste - literarische - Fassung ,Klar wie Kristall4 dieser Bedeutung. Aber gerade sie ist nicht volkstümlich. Alle volkstümlichen redensartlichen Vergleiche in diesem Wortfeld sind vielmehr scherzhaft, ironisch gemeint. Denn weder Kloßbrühe noch dicke Tinte oder Schuhwichse sind durchsichtig. Gerade die redensartlichen Vergleiche neigen besonders zur Variationenbildung, vielleicht weil sie sich rasch abnützen; z.T. sind die Variationen auch geographisch, regional unterschieden. So heißt es z.B. je nach Landschaft: ,Lügen, daß sich die Balken biegen4 - ,wie ein Lügenmeister4 - ,wie eine Leichenrede4 - ,wie geschmiert4 - ,wie gedruckt4 - ,wie ein Buch4 - ,wie telegraphiert4 - ,wie Münchhausen4 - ,wie der Wetterdienst4. Die sprichwörtlichen Vergleiche sind sprachlich und oikotypisch gebunden. Unserem ,sich benehmen wie der Elefant im Porzellanladen4 entspricht englisch ,like a bull in a chinashop4 - dasselbe Denkmodell, aber keine Übersetzung. Die stehenden Vergleiche sind zum überwiegenden Teil umgangssprachlich. Sie können aber auch literarisch sein und eine gewisse Stilfärbung besitzen, z.B. ,singen wie eine Nachtigall4 - ,tief wie das Grab4 - ,schön wie der junge Frühling4. Im'volks- tümlich umgangssprachlichen Bereich sind dagegen Wortspiele sehr beliebt, z. B.,ausreißen wie Schafleder4, wobei ,ausreißen4 doppelsinnig in den beiden Bedeutungen ,zerreißen4 und flüchten4 gebraucht wird, oder ,etwas aus der Armenkasse kriegen4, d.h. Prügel bekommen (Wortspiel mit ,Arm4),,Einfälle wie ein altes Haus haben4. Besonders häufig sind Namensscherze, z.B. ,nach Bethlehem gehen4 für: zu Bett gehen; ,nicht von Gebersdorf stammen4: geizig sein. Oft genügt nur die Veränderung eines Buchstabens, um eine komische Wir¬ kung hervorzurufen. Aus ,schlank wie eine Tanne4 wird ,schlank wie eine Tonne4. Über den eigentlichen Gebrauchsbeginn, die Entstehung oder Geburt sozusagen einer sprichwörtlichen Redensart wissen wir so gut wie in keinem Fall Bescheid. Wenn wir von einer Wendung sagen, sie sei sprichwörtlich4, ist sie ja bereits Kollektivgut und hat dann meist schon einen mehr oder weniger langen Gebrauch hinter sich. Vermutlich sind aber sprichwörtliche Redensarten zunächst vielfach nur Augenblicksbildungen, die dann wegen ihrer treffenden Formulierung Anklang fanden und weiterhin gebraucht wurden. Zuerst prägt ein einzelner eine Wendung; er selbst oder ein anderer setzt sie in Umlauf. Auf dieselbe Art entstehen und verbreiten sich auch Sprichwörter. Nur manchmal ist ihr literarischer Ursprung nachweisbar. Der Spruch ,Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang4 wird allgemein Martin Luther zugeschrieben - allerdings erst seit dem späten 18. Jahrhundert. Und ebenso ist der ,Ölgötze4 des redensartlichen Vergleichs Kästchen wie ein Ölgötze4 primär eine Lutherische Prägung, d.h. also ein Zitat, das anonym geworden ist.,Irren ist menschlich4 geht auf Pope zurück (,To err is human, to forgive divine4), und Sir Francis Bacon hat das Wort ,Wissen ist Macht4 (,Knowledge is power4) geprägt6. In derselben Weise gibt es auch auf dem Gebiet der sprichwörtlichen Redensarten gesunkenes Kulturgut4, d.h. ehedem literarische Wendungen und Zitate, die schließlich zum allgemeinen Gebrauch absanken. ,Zitate4 freilich sind keine sprichwörtlichen Redensarten. Wir verlangen vielmehr von sprichwörtlichen Redensarten, daß sie in der Volkssprache geläufig und populär sind. Sie sind bildhafte Ausdrücke, die man nicht mehr zu erfinden braucht, weil sie eben schon vorgeprägt und in der volkstümlichen Sprache vorrätig sind. Häufigkeit und Anonymität ihres Auftretens sind ihre Merkmale. Im allgemeinen ist der erste Urheber einer sprichwörtlichen Redensart ebenso unbekannt wie der eines Volksliedes oder eines Mär¬ 6 Archer Taylor: The Proverb and an Index to the Proverb (Cambridge 1931; Ndr. Hatboro - Copenhagen 1962), S.34ff* 14
Einleitung chens. Die oben genannten Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Selbst wenn man den Dichter oder Komponisten eines Volksliedes nachweisen kann - und in Hunderten von Fällen kann man dies bekanntlich-, bleibt das betreffende Lied dennoch ein Volkslied aufgrund seiner Häufigkeit, seiner Funktion und volkstümlichen Anonymität. Das gleiche läßt sich auf Redensart und Zitat übertragen: Ein Zitat wird dann zu einer Redensart, wenn es anonym, verfügbar geworden ist, wenn eben nicht mehr ,zitiert4 wird. In dem Augenblick, wo bei einem Zitat der literarische Urheber vergessen wird, ist der Schritt zur Redensart schon getan. Ein Beispiel ist die Redensart ,in einem Wölkenkuckucksheim leben4. Wer weiß - auch welcher gebildete4 weiß -, daß diese Wendung die Schopenhauersche Übersetzung eines Wortes von Aristophanes ist? Aber viel bekanntere und näher liegende Beispiele sind etwa die biblischen Wendungen vom ,Wolf im Schafspelz4- von ,den Fleischtöpfen Ägyptens4 - vom ,Im-Zaumhalten der Zunge4 - von ,den Haaren, die zu Berge stehen4. Diese Zitate sind ganz in den volkssprachlichen Redensartenschatzintegriert worden. Nur der sehr bibelfeste Leser ahnt noch von fern ihren Zitatcharakter als geflügelte Worte4. Der Gebrauch von sprichwörtlichen Redensarten biblischen Ursprungs ist längst kein Zeichen der Bibelfestigkeit mehr, sondern Merkmal der Redensart ist gerade das Nicht-mehr-Wissen um die Quelle, im Unterschied zum Bibelzitat. Es gehört zum Wesen der sprichwörtlichen Redensart, daß sich der Sprecher der Herkunft des sprachlichen Bildes nicht mehr bewußt ist. Wendungen wie ,aus der Not eine Tugend machen4 oder,durch Abwesenheit glänzen4 gehören trotz ihres primären Zitatcharakters durchaus in ein Redensartenlexikon, weil eben das Zitatbewußtsein in diesen Fällen schon sehr verblaßt ist. Auch wenn im volkstümlichen Sprachgebrauch das Zitatbewußtsein verschwunden ist, bleibt dem Wissenden, der seinen Büchmann nicht nur im Bücherschrank, sondern auch im Kopf hat, das Zitat natürlich noch immer ein Dichterwort. Dennoch bestehen die Unterschiede nicht nur in der Funktion und subjektiven Bewußtseinslage. Das rechte Zitat ist ein wörtliches Zitat. Wird es volksläufig, so verliert es oft genug seinen genauen Wortlaut. So sind manche Redensarten nur noch die entstellte und verballhornte Schwundstufe und Stümmel- form von geflügelten Worten wie z.B. Schillers Wort (,Wallensteins Tod4 III, 15): „Daran erkenn’ ich meine Pappenheimer44. Ähnlich: „Spiegelberg, ik kenne Dir“. - Was von Goethes ,Götz von Berlichingen4 in der Erinnerung der Umgangssprache übrigbleibt, offenbart einen beklagenswerten Schrumpfungsprozeß. Andererseits ist es oft die sprachschöpferische Kraft eines Dichters, die einer Redensart die bleibende Form gibt. Gerade bei den älteren Belegen weiß man oft nicht, ob sie in dieser Formulierung wirklich im Volksmund gelebt haben oder ob sie nur eine glückliche Erfindung des betreffenden Schriftstellers sind. Sogar wenn eine bestimmte Redensart auch bei anderen Schriftstellern vorkommt, so bleibt immer noch die Möglichkeit, daß sie von dem ersten Schriftsteller aus als Zitat ihren Weg genommen hat7. In manchen Fällen ist es durchaus umstritten, ob die betreffende Wendung primär Zitat oder Redensart ist, z.B. bei ,seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit tun4. Im allgemeinen freilich ist die Häufigkeit des Auftretens ein Kriterium dafür, ob es sich um eine individuelle literarische Wendung oder schon um eine volkstümliche sprichwörtliche Redensart handelt. Bestimmte bildhafte Ausdrücke und Wendungen etwa in der Sprache des 15./16. Jahrhunderts, z.B. bei Luther, Sebastian Brant, bei Thomas Murner, bei Geiler von Kaisersberg und allen diesen Autoren, die für die Frühgeschichte der sprichwörtlichen Redensarten eine so wichtige Quelle darstellen, müssen zunächst einmal natürlich als Zitate behandelt werden. Aber die Heranziehung neuerer Varianten, insbesondere aus den Mundarten, der Vergleich mit bestimmten regionalen und landschaftsspezifischen Ausdrücken zeigt dann doch oft, daß die betreffenden Autoren diese Wendungen nicht selbst geprägt haben 7 Vgl. Wolfgang Schmidt-Hidding: Sprichwörtliche Redensarten. Abgrenzung - Aufgaben der Forschung, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 7 (1956), S. 114. 15
Einleitung können, sondern daß sie dem Volk ihrer Zeit wirklich ,aufs Maul gesehen1 hatten, daß sie wußten, wie man unter Landsknechten und Bettlern, Dirnen und kriminellem Gesindel ihrer Zeit zu sprechen gewohnt war8. Umgekehrt gibt es natürlich auch abgesunkenes Zitatgut. Vieles, was z.B. im 15. und 16. Jahrhundert noch als Zitat empfunden wurde, ist später das Gemeingut weiter Kreise geworden. Immer gibt es, wie in allen Volksüberlieferungen, die Doppelbewegung: von oben nach unten und von unten nach oben. Wir treffen literarische Belege natürlich immer erst dort, wo sprichwörtliche Redensarten anfangen, literaturfähig zu werden. Dieser Prozeß erreicht aber gerade mit der Reformationszeit einen Höhepunkt. Zu allen Zeiten war die Bibel eine unerschöpfliche Quelle. Auf die Prägung sprichwörtlicher Redensarten hat sie weniger im Zeitalter der Bekehrung eingewirkt als vor allem im Reformationszeitalter, wo Luthers volkstümliche Bibelübersetzung eine Fülle von Worten und Wendungen in die allgemeine Sprache trug, denen man heute ihren biblischen Ursprung oft kaum mehr anmerkt. Daß biblische Zitate zu frei verfügbaren Redensarten geworden sind, liegt weitgehend an der bewußt volkstümlichen Art, in der Luther die Bibel ein- deutschte. Aber auch schon die Kirchenväter zitierten und gebrauchten viele biblische Zitatweisheit. Später brachten die Bibelübersetzungen in die verschiedenen Sprachen einen ständigen Zustrom von Material. Biblischen Ursprungs sind z. B. die Redensarten ,im siebenten Himmel sein4 - ,sein Licht unter den Scheffel stellen4 - ,die Spreu vom Weizen sondern4 - ,einem das Maul stopfen4 - ,das Herz aus- schütten4 - ,einem das Leben sauer machen4. Obwohl die biblischen Sprichwörter und Redensarten oft zusammengestellt wurden, ist der Rezeptionsprozeß, d.h. die Frage, wie die biblischen Passagen unter das Volk gedrungen sind, bislang nicht wirklich erforscht worden. Nicht geklärt ist die Frage, welche Bibelstellen in Sprichwort und Redensart besonders volkstüm- 8 Vgl. R. Gruenter:Thomas Murners satirischer Wort¬ schatz, in: Euphorion 53 (1959), S.26. lieh geworden sind, wie sie wechseln in der Benutzung und Ausdrucksweise, welche Bibelzitate redensartlich am meisten dem Wechsel ausgesetzt waren und was jeweils die genaue Quelle der betreffenden Formulierung ist. Vom wörtlichen Bibelzitat bis zur ungenauen Reminiszenz und schließlich auch bis zur stilistischen Nachbildung und Parodierung (z.B. bei Bert Brecht) lassen sich alle Stadien ablesen. Nicht alle Redensarten, die aus der Heiligen Schrift ihren gemeineuropäischen Ursprung zu haben scheinen, sind wirklich biblischen Ursprungs, d.h. in der Bibel erstmalig belegt. Manche sind schon vor ihrer Aufnahme in die Bibel sprichwörtlich gewesen. In jedem einzelnen Fall stellt sich darum die genetische Frage, was schon im hebräischen und griechischen Urtext bzw. in den lateinischen Übertragungen stand, was sozusagen schon vor der Eindeutschung bildhafter Ausdruck war, wieweit Luther redensartenschöpferisch gewirkt oder wieweit er bereits vorhandene par- ömiologische Wendungen für die Bibelübersetzung benutzt hat. Wenn es z.B. heißt: ,,Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu lecken44 (Apostelg. 26,14), so ist das eine sprw. Phrase, die schon Pindar, Aischylos und Euripides kannten. Bei Büchmann wird die Wendung ,in den Wind reden4 als biblisches Zitat nach l.Kor. 14,9 erklärt („... denn ihr werdet in den Wind reden44). Dennoch ist die Wendung schon vor Luthers Bibelübersetzung geläufige Redensart gewesen. - ,Mit jemand Salz essen4, d.h. sich mit jemand verbünden, ist eine alte Redensart im Griechischen. In der Vulgata war es eine alte griechische Phrase, lange bevor Lukas sie benutzte. Und solche Überlegungen gelten nicht nur für das Neue Testament. Hosea erfand nicht die Redensart ,Wind säen und Sturm ernten4 (Hosea VII, 7). ,Eine sanfte Antwort kommt zornig zurück4 war schon Aischylos so gut bekannt wie Salomon, und Homer benutzte ,Gleiches will zu Gleichem4, was unserem ,gleich und gleich gesellt sich gern4 entspricht, noch ehe dieses Sprichwort im Buch Sirach seinen Platz fand9. - Viele sprichwörtliche Redensarten Vgl. A. Taylor: The Proverb, a.a.O., S.59. 16
Einleitung sind jedoch wirklich primäre Bibelzitate, bei deren häufiger Benutzung nur das Zitatbewußtsein abhanden gekommen ist. Man wird sie also nicht im ,Büchmann\ sondern zunächst in einem Redensartenlexikon suchen. Die Sprache hat sowohl die Neigung zur Abstraktion wie zur Bildhaftigkeit. In ihrer Bildlichkeit sind die sprichwörtlichen Redensarten das Gegenteil der Abstraktion. ,Rot werden4 ist z.B. eine metaphorische Umschreibung für das abstrakte .sich schämen1, aber doch noch keine bildliche Redensart; ihre Bildwahl müßte noch stärker sein wie z. B. in der Wendung ,in Grund und Boden versinken wollen4. - Für das abstrakte ,Angst haben4 konnte treten: ,Es läuft einem eiskalt über den Rücken4, wobei nicht zu entscheiden ist, was früher ist: die abstrahierende oder die bildhaft-konkrete Ausdrucksweise. Die Mundarten haben oft viel stärkere Bilder als die abgeschliffene allgemeine Umgangssprache. So sagt man z.B. statt ,vor Müdigkeit gähnen4: ,nach dem Bettzipfel schnappen4, statt ,heftig lachen4: ,sich einen Ast lachen4 oder gar: ,sich einen Bruch lachen4. Die Bildhaftigkeit neigt sogar zu grotesken Übertreibungen wie etwa in der Wendung: ,darüber lachen selbst die ältesten Suppenhühner4. Neben der Neigung zur Übertreibung begegnen auch Euphemismen zur Verhüllung von Dingen oder Vorgängen, die man nicht gern beim rechten Namen nennt. Sie häufen sich z.B. beim Stichwort,Teufel4. Oder es wird für den prügelnden Stock der Ausdruck ungebrannte Asche4 gesetzt, für ,stehlen4: ,lange Finger machen4. Und vor allem gehören hierher die unzähligen re- densartlichen Umschreibungen für Sterben4, die in einem Sammelartikel unter dem Stichwort zeitlich4 (,das Zeitliche segnen4) zusammengestellt sind. Ebensohäufig wird man - allerdings unter den verschiedensten Stichworten - verhüllende Redensarten aus der sexuellen und skatologischen Sphäre finden, z.B. ,sie hat Kürbisse gesteckt4 (sie ist schwanger),,der Backofen ist eingefallen4 (sie hat geboren); ,... wo auch der Kaiser zu Fuß hingeht4. Ein Sprichwort kann bildhaft sein; es muß aber nicht. Es gibt zahlreiche Sprichwörter, die ohne jeden bildlichen Ausdruck und ohne jede Übertragung auskommen, z.B. .Aller Anfang ist schwer4 - ,Ende gut - alles gut4. Sprichwörtliche Redensarten dagegen sind in der Regel bildlich: ,sich um des Kaisers Bart streiten4 - ,sich mit fremden Federn schmücken4 - .Krokodilstränen weinen4. Das ursprüngliche Bild ist meist völlig verblaßt oder durch die kulturhistorische und zivilisatorische Entwicklung überholt und unverständlich geworden, z. B. ,jem. auf den Leim gehen4 - .durch die Lappen gehen4. Manche Redensarten lassen sich sowohl .eigentlich4 wie auch .übertragen4 verwenden, meist werden sie aber nur in übertragenem Sinne gebraucht, z.B. ,Ö1 ins Feuer gießen4 - ,mir geht ein Licht auf4 - ,die Zelte abbrechen4 - .über den Berg sein4. Entbehrt ein redensartlicher Ausdruck des sprichwörtlichen Bildes, so spricht man gewöhnlich nur von .Redensarten4. Dabei ist der Begriff .sprichwörtliche Redensart4 erst von dem der einfachen Redensart abgeleitet. Beide Bezeichnungen kommen im 17. Jahrhundert auf: .Redensart4 als Lehnübersetzung von frz. .façon de parier4 erstmalig bei Joh. Arndt .Vom wahren Christentum4 (Frankfurt a. M. 1605). Der Terminus .sprichwörtliche Redensart4 findet sich zuerst 1683 in Justus Georg Schottels .Ausführlicher Arbeit von der Teut- schen Hauptsprache4 (S. 1102ff.). Beides ist nicht das gleiche, d. h. nicht jede Redensart oder .stehende Wendung4 kann man schon als .sprichwörtlich4 bezeichnen. .Einfache Redensarten4 sind zunächst einmal schwächer, blässer, weniger bildhaft und farbkräftig, etwa .etwas über den Haufen werfen4 - .auf die schiefe Bahn geraten4. ,Mit den Achseln zucken4 ist z.B. nur eine gewöhnliche Redensart, die keiner Erklärungbedarf. Als Gebärde des Zweifels, der Gleichgültigkeit wird sie allgemein geübt, und sie ist oft konkret so gemeint wie ausgesprochen. Anders aber etwa die Redensarten ,etwas auf die leichte Achsel nehmen4 (= es für unbedeutend ansehen und deshalb vernachlässigen) oder gar ,auf beiden Achseln tragen4 (= es mit beiden Parteien halten). Diese Redensarten sind meist nur noch bildlich gebraucht, ohne daß der Sprechende beim Gebrauch dieser Re¬ 17
Einleitung densarten noch die Vorstellung einer Achsel zu haben braucht. Sie dürfen darum als sprichwörtliche Redensarten betrachtet werden. Desgleichen z.B. die Redensart ,Oberwasser bekommen*. Für denjenigen, der nichts mehr von oberschlächtigen Mühlrädern weiß, hat diese Wendung den Bereich der bloßen Metapher verlassen und ist zum unverständlichen sprichwörtlichen Bild geworden. Alle diese sprachlichen Bilder haben ihre ehemalige Wirklichkeit eingebüßt, ihre wörtliche Bedeutung ist verlorengegangen. Die Metaphorik unserer Sprache machen wir uns meist nicht bewußt, d.h., die Sprache gibt uns traditionelle Begriffsbilder an die Hand, die wir gebrauchen, ohne daß wir ihres Ursprungs innewerden. Wir schieben etwas ,auf die lange Bank*, ohne uns die ,Bank* dabei vorzustellen; wir machen mit etwas ,kurzen Prozeß*, ohne an ein Gerichtsverfahren zu denken. ,Man hängt etwas ,an die große Glocke*, ohne daß dabei von einem Kirchturm geläutet werden müßte10 11. Unsere Gegenwart liebt das Bild wie keine andere Zeit zuvor. Sie ist das Zeitalter der Photographie, der Illustrierten, des Films und des Fernsehens. Je mehr Bilder aber von außen in unser Bewußtsein eindringen, desto mehr geht die Bildhaftigkeit der Sprache verloren. Hinzu kommt, daß sich im Laufe der individuellen Entwicklung das Bildbewußtsein wandelt. Im Alter von 5 Jahren empfindet und erlebt ein Kind die metaphorischen Ausdrücke der Erwachsenensprache noch ganz konkret. So ist unser Sprachbewußtsein, das sich nur auf unseren individuellen Sprachbesitz stützt, kein objektives und allgemeingültiges Kriterium1 *. Aber man wird sagen dürfen: Je stärker und ungewöhnlicher ein sprachliches Bild ist, desto eher werden wir von sprichwörtlichen Redensarten sprechen können. Das Sprichwort meint häufig etwas anderes, als der Wortlaut sagt, z. B. ,Der Teufel scheißt immer auf den großen Haufen*. Und genauso verhält es sich mit den sprichwörtlichen Redensarten: sie stehen ,out of 10 Vgl. H. Reimann: Vergnügliches Handbuch der deutschen Sprache (Düsseldorf - Wien 1964), S.29ff. 11 Vgl. W. Schmidt-Hidding: Sprichwörtliche Redens¬ arten, a.a. O., S. 119. context*, d.h. sie verletzen in gewisser Weise die gewöhnlichen Konversationsregeln, und zwar durch ihren ungewöhnlichen Inhalt ebenso wie durch ihre ungewöhnliche Form und Syntax. Vielfach verläuft die sprachgeschichtliche Entwicklung so, daß sich eine Redensart immer mehr von ihrem Realbereich entfernt. Eine gewisse Erklärungsbedürftigkeit ist darum ein Kennzeichen der Gattung. Wenn eine Redewendung neben ihrem eigentlichen und wörtlichen Sinn noch eine übertragen-bildliche Bedeutung hat und wenn gar ihre heutige Gebrauchsfunktion sich so weit von der primären Bedeutung der Einzelwörter entfernt hat, daß der ursprüngliche Sinn gar nicht oder kaum mehr empfunden wird, dann bezeichnen wir sie eben als sprichwörtliche Redensart*. ,Am Hungertuch nagen* - ,in die Tretmühle kommen* -,etwas auf dem Kerbholz haben* - ,Maulaffen feilhalten* sind z.B. solche erklärungsbedürftigen sprichwörtlichen Redensarten, die einen durchaus nachweisbaren Realsinn gehabt haben, die aber heutzutage nur noch bildlich verstanden werden. Ja sogar der ursprüngliche Sinn der Einzelwörter ist meist unverständlich geworden, weil er zu weit noch in das vortechnische Zeitalter zurückreicht, als daß wir heute noch wüßten, was Kerbhölzer, Tretmühlen, Maulaffen, Hungertücher und dgl. dereinst waren und bedeuteten. Alle unsere sprichwörtlichen Redensarten sind Überbleibsel, ,Survivals*, insofern als sie Elemente einer geistigen oder materiellen Kultur sind, die in früheren Zeiten einen anderen Sinn und eine andere Funktion gehabt haben als heute. Der Charakter als ,Survival* macht sie überhaupt erst zu sprichwörtlichen Redensarten12 * S.. Es geht bei den einzelnen Stichwörtern dieses Lexikons nicht nur um die Herkunft des sprachlichen Bildes, sondern es ist gleich wichtig, auch der Bedeutungsgeschichte einer Wendung nachzugehen. Dabei ist immer zu unterscheiden zwischen dem Alter einer Redensart als solcher, d.h. ihrem bildlichen und nicht mehr auf die reale Sphäre bezogenen Sprachgebrauch 12 Matii Kuusi: Regen bei Sonnenschein - Zur Weltgeschichte einer Redensart, FFC. 171 (Helsinki 1957), S. 388. 18
Einleitung und dem ursprünglichen Realsinn der Einzelworte. Beide Termini können u. U. zeitlich weit auseinanderfallen. Ein gutes Beispiel gibt die Entwicklung der Rda. ,etwas aus dem Ärmel schütteln'. Eine Mehrzahl von historisch geordneten Belegen zeigt die Kontinuität oder auch den Wandel einer Redensart in ihrem Wortlaut wie in ihrer Bedeutungsentwicklung. Eine größere Zahl von Belegen spiegelt den Grad der Popularität und ihr soziales Milieu. Die Wörterbücher und Sprichwortsammlungen lassen uns in dieser Hinsicht oft genug im Stich. Es zeigt sich bei diesen Entwicklungsprozessen die Tendenz der Sprache, ein einmal gefundenes sprachliches Bild zu präzisieren und zu vervollständigen, oder im Bedarfsfall auch zu modernisieren. Es entsprechen sich in ihrem Sinn z.B. die beiden Redensarten ,er ist in allen Sätteln gerecht' und ,er ist Hansdampf in allen Gassen'; doch ist ihr kulturelles Milieu ganz verschieden. Nicht mehr verstandenes parömiologisches Wortgut wird durch neues ersetzt, oder es macht eben einen Bedeutungswandel durch. Das alte Rechtssprichwort ,Aller guten Dinge sind drei' ist etwa ein interessantes Beispiel für einen solchen Bedeutungswandel. Ursprünglich meint es, alljährlich sollten drei Thinge abgehalten werden. Daraus hat sich ein neuzeitliches Sprichwort entwickelt, das seinen Sinn von der Bedeutung der Dreizahl im Volksglauben bezieht13. Ist dieser Sprachwandel schon sehr früh eingetreten, so vollzieht er sich an anderer Stelle noch vor unseren Augen, so z.B. bei der Redensart ,kurze Fünfzehn machen'. Sie stammt aus dem mittelalterlichen sog. Puffspiel, bei dem man dem Gegner mit einem Schlag 15 Steine wegnehmen konnte (mhd. auch ,der fünfzehen spiln') und meint soviel wie: ,nicht viele Umstände', ,kurzen Prozeß machen'. Heute bezeichnen die Arbeiter im rheinisch-westfälischen Industriegebiet mitunter ihre Frühstückspause als ,kurze Fünfzehn machen'. Der Wortsinn einer Redensart kann sich geradezu ins Gegenteil verkehren wie z.B. bei ,einem heim¬ 13 Vgl. Mathilde Hain: Sprichwort und Rätsel, in: Deutsche Philologie im Aufriß III (2. Aufl. Berlin 1967), Sp. 2727-2754. leuchten' - einst eine Höflichkeitspflicht, jetzt eine grobe Drohung. Auch der Wortlaut der ohnehin nicht mehr verstandenen Redensart ,das geht auf keine Kuhhaut' ist völlig zersägt worden. Noch vor kurzem wurde aus der lebendigen Umgangssprache notiert: ,das geht auf keinen Kuhhaufen'. Dies sind nicht nur Erscheinungen des Sprachverfalls oder allgemeiner des Sprachwandels. Es gehört vielmehr geradezu zur Begriffsbestimmung der Redensarten, daß uns ihre einstige und primäre Bildwirklichkeit nicht mehr bewußt ist. In manchen Fällen sind Redensarten auch in die Kinderfolklore abgesunken wie z.B. der ehemalige Frauenschwur ,Hand aufs Herz', womit Kinder gelegentlich unter sich etwas unverbrüchlich versichern. Die sprichwörtliche Regel ,der Ältere teilt, der Jüngere wählt' (bzw. ,kiest', wie es in der älteren Sprache heißt), ist schon dem Sachsenspiegelrecht bekannt. Und nach diesem Prinzip teilen Kinder noch heutzutage. Wo sprichwörtliche Redensarten ihren Sinn verändern, ist es oft schwer zu entscheiden, ob ein Mißverständnis vorliegt oder eine bewußte Umgestaltung. Nicht selten vollzieht sich neben dem Formwandel gleichzeitig ein Bedeutungswandel. Gute Beispiele geben unsere Stichworte ,Pappenheimer', ,Tapet' und ,Laus‘. Der ältere Sinn von ,jem. eine Laus in den Pelz setzen' entspricht keiner seiner heutigen Bedeutungen, sondern meint soviel wie ,Eulen nach Athen tragen', d. h. etwas völlig Überflüssiges tun, denn in einem Pelz gab es normalerweise schon so viele Läuse, daß man sie nicht erst dorthin zu bringen brauchte. So manche ursprünglich sinnvolle Redensart hat im ausgehenden Mittelalter die Bedeutung ,etwas Sinnloses tun' angenommen, z.B. ,die Gänse beschlagen', ganz einfach deshalb, weil der ehemalige Wirklichkeitsbezug kulturhistorisch außer Kurs kam und den Menschen nicht mehr geläufig war. In dieser Weise hat ja auch Bruegel die Redensarten festgehalten.' Sein Redensartenbild war für ihn kein primärer Selbstzweck, der die Anlage eines Archivs der zeitgenössischen Umgangssprache für die Nachwelt bedeutete, sondern es ist eine verkehrte und törichte Welt, die Bruegel 19
Einleitung • u,Tf- ' • nrii ■ Bf" Pieter Bruegel: Die niederländischen Sprichwörter (Spreekwoordenschilderij), 1559
Einleitung —CT*»»'-. • rw Wm£&kk Hta
Einleitung weniger humoristisch als vielmehr pessimistisch und bittersatirisch geschildert hat. Es ist vorwiegend ein falsches, sinnloses und zweckloses Verhalten der Menschen, das redensartlich umschrieben dargestellt worden ist. Was die Leute auch immer tun auf dem Bild, ob sie ,den Brunnen zuschütten, nachdem das Kalb darin ertrunken ist4, ob sie ,den Mantel nach dem Wind hängend ,Federn in den Wind streuen4, ,beim Teufel zur Beichte gehen4, ,sich gegenseitig an der Nase herumführen4, ,hinter dem Netz fischen4 - alles ist vergeblich, närrisch, und diese Deutung wird noch unterstrichen durch die Dumpfheit der Gesichter. Die verkehrte Welt wird ganz buchstäblich als auf dem Kopf stehend dargestellt. Das große Haus in der linken Bildhälfte ist ein Gasthaus zur verkehrten Welt, auf dessen Schild das Kreuz nach unten zeigt. Die Schwelle vom Spätmittelalter zur Neuzeit bedeutete offenbar für viele Redensarten den Übergang von der konkreten zur übertragenen Auffassung. In einem neuen sprachlichen Bewußtwerden empfand man nun plötzlich, daß viele Redewendungen der älteren Zeit nicht mehr ,wirklich4 aufzufassen waren, sondern nur noch bildlich4, d.h. erst jetzt wurden sie zu eigentlichen Redensarten, die nach ihrem Ursprung nicht mehr voll verstanden, sondern nur noch als sprachliche Bilder weitergeschleppt wurden und als Bilder auch gemalt werden konnten. Vor und nach Bruegel hat die Bildlichkeit des sprachlichen Ausdrucks die Maler und Graphiker immer wieder verlockt, diese Bildlichkeit der Sprache auch ins Bild umzusetzen. Das war aber erst möglich, als die Sprachbildlichkeit schon bildlich aufgefaßt und nicht mehr realiter verstanden wurde. Dank der Großzügigkeit des Verlages hat dieses Buch von den Bildquellen einen reichlichen Gebrauch machen können. Das Bild macht die Metaphorik der Sprache ja erst deutlich. In dem Augenblick, in dem man die sprichwörtlichen Redensarten bildlich dargestellt sieht, wird einem nämlich erst voll bewußt, welchen scheinbar unsinnigen und surrealen Gehalt die Sprache mit sich herumschleppt, und das unbewußte Empfinden der Surrealität, aber auch das unterschwellige Wissen um die Anspielung macht ja eigentlich gerade die rhetorische Wirksamkeit sprichwörtlicher Redensarten aus. Bildliche Zeugnisse zeigen oft den Realursprung von Redensarten, die wir sonst nicht mehr verstehen. Manche Redensarten beziehen sich auf Realien, die es heute nicht mehr gibt, und nur die Kenntnis der zugehörigen Sachgüter aufgrund historischer Bildzeugnisse macht die Redensart dann verständlich. Bestimmte idiomatische Ausdrücke, wie z.B. ,in den sauren Apfel beißen4 - ,alles in einen Topf werfen4 - ,den Kopf in den Sand stecken4 - ,sich nicht in die Karten sehen lassen4 u.a. werden zwar auch mit übertragener, bildhafter Bedeutung in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen, doch ist ihre Bedeutung ohne weiteres aus dem ursprünglichen Bereich ableitbar. Sie brauchen daher in einem Lexikon nicht eigens erklärt zu werden. Andere Redensarten sind ohnehin nicht erklärbar. Sie sind so phantastisch, daß sie keinen Wirklichkeitshintergrund zu haben scheinen, und sie haben offenbar ihre Entstehung der bloßen Freude am kräftig surrealen Sprachbild, der Lust am Paradoxen zu verdanken, wie z.B. ,das Kind mit dem Bade ausschütten4 - ,einem Honig ums Maul schmieren4 - ,einen Besen fressen4 - ,das Gras wachsen hören4 - ,große Rosinen im Kopf haben4 - ,es ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen' - ,leben wie Gott in Frankreich4 - ,Krokodilstränen vergießen4. Weder die Bibel noch eine außerbiblische Legende lassen Gott gerade in Frankreich ein besonderes Wohlleben führen, und wer hat wirklich schon ein Krokodil weinen sehen? Und doch führt uns auch die Geschichte dieser grotesk-phantastischen Sprachbilder z.T. in literarisch und kulturhistorisch sehr bedeutsame Zusammenhänge. Die Erforschung der sprichwörtlichen Redensarten ist jedenfalls eines der reizvollsten Gebiete der Sprachforschung und Volkskunde wegen der vielfachen Aufschlüsse, die in kulturgeschichtlicher Hinsicht daraus zu entnehmen sind. Viele unserer Sprachbilder entstammen einer recht fernen Vergangenheit, deren Lebensumstände und Gewohnheiten uns fremd oder geradezu unverständlich ge¬ 22
Einleitung worden sind. Aus den verschiedensten Bezirken des Lebens sind sie in die allgemeine Sprache eingemündet, und so finden wir alle nur möglichen Kulturschichten in der sprachlichen Ablagerung. Kauf und Handel, Landarbeit und Handwerk, Schiffahrt und Seemannsleben aller Zeiten haben in unserem Redensartenschatz ihren Niederschlag hinterlassen. Eine Darstellung der sprichwörtlichen Redensarten nach ihrer stofflichen Herkunft wäre natürlich weit reizvoller und aufschlußreicher als die schematisch-alphabetische Reihenfolge, weil sich erst dann die kulturgeschichtliche und volkskundliche Zuordnung der einzelnen Redensarten abzeichnen würde. Um so mehr mag es die Aufgabe dieses Vorworts sein, einiges durch das Alphabet Getrennte wieder in einen sinnvollen Zusammenhang zu rük- ken. Ein erstaunlich großer Teil des Redensartengutes entstammt dem alten Rechtsleben. Besonders der Anteil der sprichwörtlichen Formeln ist hierbei groß. Schon der ,Sachsenspiegel4 kennt redensartliche stabreimende Zwillingsformeln wie: ,Haus und Hof‘ - ,Haut und Haar4 oder ,gang und gäbe4. Andere sprichwörtliche Redensarten aus dem mittelalterlichen Rechtsleben sind: ,etwas von der Hand weisen4 - ,den Stuhl vor die Tür setzen4 - ,in den Wind schlagen4 - ,das geht über die Hutschnur4. In vielen sprichwörtlichen Redensarten spiegeln sich ältere Strafen wider, z.B. ,an den Pranger stellen4 und ,Spießruten laufen4. Von der mittelalterlichen Folter kommen die Wendungen: ,auf die Folter spannen4 - ,Daumenschrauben anlegen4 - ,wie gerädert sein4. Ältere Rechtsformen der Verurteilung, insbesondere verschiedene Vollzugsarten der Todesstrafe sind noch erhalten in den Redensarten ,über einen den Stab brechen4 - ,die Henkersmahlzeit einnehmen4 - ,eine Galgenfrist setzen4 - ,einen für vogelfrei erklären4 - ,mit Hängen und Würgen4. Auf Maßnahmen einer unparaphierten Volksjustiz weist die Wendung ,einem aufs Dach steigen4. Aus dem Ordalwesen kommt: ,für einen durchs Feuer gehen4 und ,ein heißes Eisen anfassen4. Obwohl zahllose sprichwörtliche Redensarten abgesun¬ kenes Rechtsgut sind, ist uns dies meist nicht mehr bewußt, weil diese Rechtsformen nicht mehr gelten. Sie leben nur noch als Survivals und nur noch als bloße Bilder ohne realen Hintergrund in unserer Sprache weiter. Nicht jeder, der sagt: ,ich kann meine Hand für ihn ins Feuer legen4, denkt daran, daß er sich dem Wortsinn nach zu einem Gottesurteil bereit erklärt hat14 15 * *. Obwohl zahlreiche Sammlungen und Darstellungen vorliegen, wie z. B. Arbeiten von Graf, Dietherr, Künssberg, Cohen, Günther, Winkler u.a. (s. Lit.-Verz.), ist das Problem der Rechtssprichwörter und rechtlichen Redensarten doch noch* nicht grundlegend genug erörtert worden. Noch viel weniger sind bis jetzt die Redensarten systematisch untersucht worden, die ihre Herkunft den Standessprachen, insbesondere bestimmten Handwerksgruppen, dem Handel und Kaufmannswesen zu verdanken haben. Berufsständische Eigenprägungen sind aus fast allen Lebensbereichen in die allgemeine Sprache übernommen worden, insbesondere fast aus jedem Handwerk. Aus der Welt des Schmiedes kommt: ,in einer Sache gut beschlagen sein4 - ,Ränke schmieden4 - ,Hammer oder Amboß sein4 - ,vor die rechte Schmiede kommen4. Vom Schuhmacher: ,bei seinem Leisten bleiben4 - ,alles über einen Leisten schlagen4 - gissen, wo einen der Schuh drückt4. Vom Müller: ,das ist Wasser auf seine Mühle4. Vom Bergmann: ,eine Schicht feiern4 (auch: ,eine schlaue Schicht fahren4: wenig arbeiten) - ,eine Kluft tut sich auf4 -,etwas herausschlagen4 - ,die Sache nimmt einen guten Gang4 - ,ein Eigengrübler sein415. Vom Winzer: ,einen vollen (armen, schlechten) Herbst machen4 - ,er säuft sich durch ein Fuderfaß4 - ,sich das Kellerrecht ausbehalten4 - ,Wat is dat e Geräppels4 (kleines 14 W. Schmidt-Hidding: Sprichwörtliche Redensarten, a.a.O., S. 123; vgl. Lutz Röhrich und Gertraud Meinet: Reste mittelalterlicher Gottesurteile in sprichwörtlichen Redensarten, in: Alemannisches Jahrbuch 1970, S.341-346. 15 Vgl. Herbert Wolf: Studien zur deutschen Bergmannssprache, in: Mitteldeutsche Forschungen 11 (Tü¬ bingen 1958); Lutz Röhrich und Gertraud Memel: Redensarten aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alemannisches Jahrbuch (Bühl/Baden 1973).
Einleitung Wachstum von Trauben) - ,einem reinen Wein einschenken' - ,den Wein taufen4. Aus der Welt des Handels und des Kaufmannswesens kommen die Redensarten: ,ein Ausbund von Tugend4 - ,in Kauf nehmen4 - ,Kapital aus etwas schlagen4. Ebenso häufig sind die Redensarten aus dem Bereich der Schiffahrt und des Seemannslebens, z. B.: ,mit jemand im selben Boot sitzen4 - ,ans Ruder kommen4 - ,das Steuer herumwerfen4 - ,mit vollen Segeln fahren4- ,einen ins Schlepptau nehmen4 - ,etwas vom Stapel lassen416. Aus dem Bereich der Jagdsind genommen: ,sich ins Gehege kommen4 - ,einem auf die Sprünge helfen4 - ,wissen, wie der Hase läuft4 - ,einem das Fell über die Ohren ziehen4 - ,durch die Lappen gehen4 - ,ins Garn gehen417. Aus der Soldatensprache und der Terminologie des Kriegswesens kommen die Redensarten: ,grobes Geschütz auffahren4 - ,wie aus der Pistole geschossen4 - ,wie eine Bombe einschlagen4 - ,einen unter Beschuß nehmen4. Und nicht zuletzt hat die bäuerliche Welt so manche rdal. Ausdrücke beigesteuert: ,leeres Stroh dreschen4 - ,durch die Hechel ziehen4 (,durchhecheln4) - ,einem zeigen, was eine Harke ist4. Ein nicht geringer Teil von sprichwörtlichen Redensarten hat seinen Ursprung im brauchtümlichen Volksleben. Dazu gehören z.B. die heutigem Verständnis sonst ganz unverständlich gewordenen Wendungen wie: ,unter die Haube kommen4 - ,das Fell versaufen4 - ,blauen Montag machen4 - ,in den April schicken4 - ,unter einer Decke stecken4 - ,nicht viel Federlesens machen4. Auch unsere Stichworte ,Fasnacht4 und ,Gast4 schöpfen weitgehend aus den volkskundlichen Kategorien von Sitte und Brauch. Einblick in die volkstümlichen Vorstellungen von Maß und Gewicht gewähren die Stichworte ,Dutzend4 (,im Dutzend billiger4 - ,Bäckerdutzend4) und ,Zweiundsiebzig4. Viele Redensarten stam- 16 F. Cowan:Dictionary of the Proverbs and Proverbial Phrases of the English Language Relating to the Sea (Greenesburgh, Pennsylvania 1894); Rudolf Eckart: Niederdeutsche Sprichwörter und volkstümliche Redensarten (Braunschweig 1893). 17 Vgl. Lutz Röhr ich und Gertraud Meine!: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, in: Et multum et multa, Festgabe für Kurt Lindner (Berlin - New York 1971), S. 313-323. men von Sport und Spiel, insbesondere vom Kartenspiel: ,die Karten aufdecken4 - ,sich nicht in die Karten gucken lassen4 - ,die Trümpfe in der Hand behalten4. Einen starken Anteil an der Entstehung der sprichwörtlichen Redensarten hat sodann der Volksglauben. Beziehungen zu ihm zeigen Stichworte wie ,Alraun4,,Diebsdaumen4, ,Drache4, ,Drachensaat4, ,Stern4 (,unter einem guten Stern geboren sein4), ,Himmel4 (,im 7. Himmel sein4). Redensarten sind nicht selten euphemistische Umschreibungen für tabuierte Ausdrücke aus den Sinnbezirken der Jagd, der Krankheit, vor allem der Geisteskrankheiten, des Geschlechtslebens, insbesondere aber des Todes, was die zahllosen Umschreibungen für ,sterben4 zeigen, die im Artikel ,das Zeitliche segnen4 zusammengefaßt sind18. Andere Redensarten haben ihre Entsprechung in Hand-, Kopf- oder FuR-Gebärden, d. h. sie sind als Gesten wirklich einmal ausgeführt worden, z.B.: ,durch die Finger sehen4 - ,ätsch Gäbele4 u.a. Die ,Sprachge- bärde4 tritt in diesen Fällen an die Stelle der Gebärdensprache; die Redensart ist oft ein relikthafter Ersatz der Geste 19. Daß sprichwörtliche Redensarten auch Schwundstufen aus allen möglichen kulturellen Bereichen sein können, wurde schon mehrfach dargelegt. Oftmals sind sie Relikte von Volkserzählungen. Bis in den Anfang unseres Jahrhunderts war es üblich, Redensarten, die erst in verhältnismäßig junger Zeit belegt sind, auf urzeitliche mythologische Vorstellungen zurückzuführen, z.B.,unter den Hammer kommen4 auf den Hammer des Gottes Thor,,Schwein haben4 auf den Eber des Gottes Freyr. Es hat zu dieser speziellen Thematik vor einigen Jahrzehnten ein bekanntes Buch gegeben, das auch in einer 2. Auflage erschienen ist und neuerdings sogar einen Nachdruck erlebt hat. Es handelt sich um das Werk von Heinrich Leßmann ,Der deutsche Volksmund im Lichte der Sage4 (Berlin 1922). Vor diesem Buch kann nicht nachdrücklich 18 Vgl. Lutz Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie. Studien zur Sprache und Volksdichtung (Düsseldorf 1967), S.41 ff., 111 ff.; Tabus in Volksbräuchen, Sagen und Märchen, in: Festschrift für Werner Neuse (Berlin 1967), S.8ff. Vgl. Lutz Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie, a.a.O., S. 7ff. 24
Einleitung genug gewarnt werden. Es stimmt in ihm so gut wie nichts. Dieses Werk ist ein Nachklang der mythologischen Folkloristenschule des 19. Jahrhunderts, die in allen und jeder kulturellen Äußerung Nachklänge der germanischen oder der antiken Göttersagen erblickte. Die Redensarten ,etwas auf die leichte Schulter nehmen4 und ,einem die kalte Schulter zeigen4 bringt Leßmann z.B. in Verbindung zur antiken Sage von Pelops; die Wendung ,mit den Wölfen heulen4 mit den Werwolfsagen. ,Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen4 stellt er direkt zusammen mit dem Grimmschen Märchen von den drei Schlangenblättern (KHM.16), ,vor die rechte Schmiede kommen4 mit der Erzählung vom Schmied zu Jüterbog,,wissen, wo einen der Schuh drückt4 mit dem Aschenputtelmärchen (KHM.21). Nicht alle Deutungen Leßmanns sind so ,an den Haaren herbeigezogen4 wie gerade die eben genannten. Aber sie sind trotzdem nicht richtiger. Darum eben ist dieses Buch so gefährlich und irreführend. Andererseits zeigt unser Lexikon, daß in der Tat doch nicht wenige sprichwörtliche Redensarten die Schwundstufen von z.T. ausgestorbenen Volkserzählungen sind, wie z.B.: ,viel Geschrei und wenig Wolle4 - ,das geht auf keine Kuhhaut4 - ,die Katze im Sack kaufen4 20. Häufig sind Sagen, Schwänke und Anekdoten ätiologisch (d.h. Ursachen erklärend) zur Erklärung von Redensarten entstanden, wie unter den Stichworten ,Bockshorn4 und ,Hornberg4, ,Stein4, ,Haarbeutel4, ,Katze4 oder ,Fisimatenten4 nachzulesen ist. Es gibt schließlich auch literarische Erzählungen, die eigens zur Illustration von Sprichwörtern und Redensarten erfunden worden sind, wie z.B. zu ,einmal ist keinmal4 eine gleichbetitelte Geschichte in Joh. Peter Hebels ,Schatz- kästlein4. Gewiß sind solche anekdotischen Herleitungen möglich, aber sie sind nur in seltenen Fällen beweisbar. Es gibt geradezu die Gattung der ,Sprichwort-Geschichte20 21. 20 Vgl. Lutz Röhrich: Sprichwörtliche Redensarten aus Volkserzählungen, in: Volk - Sprache - Dichtung, Festgabe für Kurt Wagner (Gießen I960). S. 247-275. 21 Vgl. Elfriede Moser-Rath: Predigtmärlein der Barockzeit, in: Fabula, Supplement-Serie A5 (Berlin 1964), S. 59f.; Antonio Cornazano: Sprichwortnovel¬ len, übersetzt von Albert Wesselski (Neuausgabe Ha- Weitaus am häufigsten haben sich Fabeln zu sprichwörtlichen Redensarten verkürzt, z.B.: ,sich nicht in die Höhle des Löwen wagen4 - ,kein Wässerchen trüben können4 - ,sich mit fremden Federn schmük- ken4 - ,saure Trauben4. Gelegentlich wird ein und derselbe Fabelinhalt sogar mit verschiedenen Redensarten umschrieben, z.B.: ,für einen anderen die Kastanien aus dem Feuer holen4 und ,sich für einen anderen die Finger (Pfoten) verbrennen4. In diesen Fällen handelt es sich zumeist um international verbreitete Redensarten, die sich bis in die gemeineuropäische Äsop-Tradition zurückverfol- gen lassen. So manche dieser Redensarten ist nicht erst mittelalterlich oder neuzeitlich aus der Fabel hervorgewachsen, sondern hat schon im antiken parömiologischen Gut als Redensart neben der motivgleichen Fabel bestanden. Das griechische Wort ainos bedeutet sowohl ,Fabel4 als ,Sprichwort4, und offenbar sind schon in der Antike so manche Fabeln nur um ein bereits vorhandenes Sprichwort herum gedichtet worden. Die Verbindung Sprichwort-Fabel scheint ebenso ein Charakteristikum der orientalischen wie auch der Sprichwörter so mancher schriftlosen Völker zu sein. Viele Redensarten afrikanischer und asiatischer Völker sind für uns ganz unverständlich, wenn wir nicht die Volkserzählungen kennen, die sinngleich dahinter stehen22. Alle Zeiten haben ihre Spuren in unserem Redensartenschatz hinterlassen, und auch in der Moderne ist neben dem Absterben von älterem überlebtem Wortgut noch ein starker Zuwachs an neuem und neuestem zu beobachten. Auch die unmittelbare Gegenwartssprache ist mit aufgenommen worden (/,balla4 oder ,Bart4). Nicht immer sind die Quellen trotz aller Gegenwartsnähe leicht zu ermitteln. Fernsehen, Film, moderne Theaterstücke, Operette und Musicals, triviale Romane und humoristische Schriften sind zweifellos wichtige Verbreitungsvehikel. Leichter erkennbarsind Redensarten, die ihre Entstehung erst der technischen Welt verdanken, nau 1967); Lutz Röhrich: Johann Peter Hebels Kalendergeschichten zwischen Volksdichtung und Literatur (Lörrach 1972), S. 14ff. 22 Vgl. A. Taylor: The Proverb, a.a.O., S.27. 25
Einleitung z.B.: ,auf Draht sein" - ,auf der Leitung stehen" -,höchste Eisenbahn" -,Dampf ab- Iassen" - ,eine neue Platte auflegen" - ,Sand ins Getriebe streuen" -,grünes Licht für ein Unternehmen geben" - ,100000 auf dem Buckel haben" - ,die Pupille auf Null drehen" - ,keine Antenne für etwas haben". Allenthalben zeigt sich in der Gegenwart die Technisierung der Sprache. Die Entscheidung darüber, wieweit solche Redensarten in unser Lexikon aufzunehmen waren, lag an ihrer Erklärungsbedürftigkeit. Die meisten bedürfen eigentlich keiner Erklärung. Solange unser Eisenbahnnetz nicht gänzlich elektrifiziert ist, bleibt es noch verständlich, wenn man im redens- artlichen Vergleich sagt: ,er schnauft wie eine Lokomotive". Aber vielleicht gehört dies in der nächsten Generation bereits zu den erklärungsbedürftigen Sprachbildern. Manche moderne Redensarten werden, gerade weil sie Mode sind, für jünger gehalten, als sie in Wirklichkeit sind. Es ist jedenfalls immer wieder überraschend zu bemerken, wie ganz jung und modern erscheinende Redensarten oft auf ein schon recht erhebliches Alter zurückblicken. Wenn E. B. Tylor in seinem Buch primitive culture" sagte, „that the age of proverbmaking is past“, so gilt dies sicherlich nicht für die sprichwörtlichen Redensarten, die immer noch neu entstehen. Ihre Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Auch in der politischen Rhetorik, in Zeitungsartikeln und Illustrierten spielen Sprichwort und Redensart eher eine zunehmende als rückläufige Rolle. Sprichwörtliche Redensarten finden sich in wachsendem Maße in politischen Leitartikeln und Reden von Politikern. „Man glaubt dem Bild eher als der direkten Behauptung, der volksläufigen Prägung eher als dem individuellen Wort""23. In der Gegenwart haben ferner bestimmte Werbeslogans durch die stetige Wiederholung der Reklame fast den Charakter von Sprichwörtern und Redensarten angenommen, z.B.: ,Darauf einen Dujardin"- ,Mach mal Pause, trink Coca-Cola" - ,Laßt Blumen sprechen" - ,Persil bleibt Persil" - 23 Max Liithi: Das Sprichwort in der Zeitung, in: Proverbium 15 (1970), S.80. ,Dir und mir - Binding-Bier" - ,1m Falle eines Falles klebt Uhu wirklich alles". Viele sprichwörtliche Redensarten sind sogar noch in ihrer Parodierung höchst lebendig, z.B.: ,es geht mir durch Mark und Pfennig" - Jemand Moritz lehren" - ,man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen" - ,unter uns (katholischen) Pfarrerstöchtern" - ,einen Bart mit Dauerwellen haben" - ,aus der Falle rollen". Schon Friedrich Seiler hat in seiner deutschen Sprichwortkunde" und ebenso W. Gottschalk in seinem Buch über ,Die sprichwörtlichen Redensarten der französischen Sprache" den Bestand an Redensarten aufgeteilt nach den Lebens- und Kulturbereichen, denen sie entnommen sind. Kapitelüberschriften heißen etwa: ,Der Mensch und sein Körper", ,Die Nahrung des Menschen", ,Die Kleidung des Menschen", Jagd", ,Kriegs- und Ritterwesen", ,Rechts- und Gerichtswesen", ,Dorf und Stadt" usw. Solche Zuordnungen sind natürlich oft sehr problematisch, vor allem dann, wenn die Zuweisung zu bestimmten Lebensgebieten aufgrund des Befundes der heutigen Umgangssprache und mit Hilfe unseres heutigen Bewußtseins erfolgt und nicht durch entsprechende historische Belege gesichert ist. Groß ist z. B. die Zahl der Redensarten, die man auf die ritterliche Kultur des Mittelalters zurückgeführt hat. Namentlich das Turnier- und Kampfwesen hat den Bildbereich für viele Redensarten abgegeben, z.B.: ,für jemand eine Lanze brechen" -,einem den Steigbügel halten" - ,mit offenem Visier kämpfen" - ,einen aus dem Sattel heben" - ,einen in Harnisch bringen" -,etwas im Schilde führen" - ,den Spieß umkehren" - ,einem den Fehdehandschuh hinwerfen" und viele andere. Sicherlich beziehen sich solche Redensarten auf mittelalterliche Kampf- und Turniersitten, doch gehen sie in den meisten Fällen nicht unmittelbar darauf zurück. Vielmehr handelt es sich um sprachliche Neubildungen einer späteren Zeit. Die Erstbelege für diese Wendungen tauchen häufig so spät auf, daß erst die Mittelalterbegeisterung der Romantik und der Historismus des 19. Jahrhunderts sie populär gemacht haben können. Ein bildhafter Ausdruck wie Jemand auf den Schild erhe- 26
Einleitung ben* ist z. B. eine ganz späte Redensart, auch wenn sie archaisch anmutet und aus einem heroischen Zeitalter zu entstammen scheint. Gerade wo man gar Widerspiegelungen altgermanischer Lebensgewohnheiten in sprichwörtlichen Redensarten gesucht hat, lassen sich meist noch viel weniger unmittelbare Abstammungen nachweisen. Vielmehr sind manche derartige Redensarten, wie z.B. ,auf der Bärenhaut liegen*, erst um 1500 in humanistischen Kreisen geprägt worden, als sich die Forschung mit der Schilderung germanischer Sitten beschäftigte und die Germania* des Tacitus neu entdeckt wurde. Aber das Problem liegt noch tiefer: Der Herkunftsbereich der sprachlichen Bilder muß nicht unbedingt auch der Ort ihrer ursprünglichen redensartlichen Funktion sein. Hat wirklich ein Hirte zuerst die Redensart vom ,Schäfchen* gebraucht, das ,ins trockene gebracht wird*, oder war es vielleicht doch eher ein Kaufmann? Fragen dieser Art sind von Gottschalk, Singer, Borchardt-Wustmann, Seiler u.a. noch gar nicht aufgeworfen worden. Eine Redensart braucht jedenfalls geschichtlich nicht der Zeit des Kulturgutes anzugehören, das ihr Wortlaut enthält und auf das sie abzielt. Die Redensart,seine Zelte abbrechen* entstammt z.B. nicht einem frühzeitlichen Nomadenleben, sondern ist erst eine Prägung des 20. Jahrhunderts. Die Herkunft des sprachlichen Bildes sagt also noch nichts über Anwendung, Gebrauch und Funktion der Redensart aus. Viel interessanter ist hierbei die Frage: Wo taucht die Redensart zuerst außerhalb ihres Bildbereiches auf, d.h. wo ist sie denn nun zum erstenmal ,redensartlich*? Wie lebendig oder verblaßt ist dabei das Bildbewußtsein? Die Wendung ,am Zuge sein* gehört dem Wortschatz des Schachspielers an. Daran denkt man jedoch heutzutage nicht mehr bei einer Zeitungsschlagzeile wie etwa Jetzt ist Bonn am Zuge*. Wenn ein Spion der Polizei,durch die Lappen gegangen* ist, denkt niemand mehr an ein Jägerfachwort. Die lebendige Sprache bevorzügt immer den bildkräftigeren Ausdruck: Statt Jemand die Augen zu öffnen*, ist es ausdruckskräftigerzu sagen, ,ihm den Star ste¬ chen* - eigentlich ein medizinischer terminus technicus. Indem ein Fachausdruck zum Allgemeingut wird, wird er überhaupt erst bildhaft gebraucht und zur sprichwörtlichen Redensart; er hat seine primäre Wirklichkeitsebene verlassen und ist zum bloßen Sprachbild geworden. Das Problem ,Sprache und Wirklichkeit* stellt sich in fast jedem Fall wieder anders, und so hat doch auch die alphabetische Ordnung unseres Materials ihre Vorzüge, indem sie Verallgemeinerungen und eine vorschnelle kulturgeschichtliche Einordnung einer Redensart ausschließt. Oft ist eine solche überhaupt nicht durchführbar, oder die Sachzuordnung ist doch äußerst fraglich. Woher stammt z.B. die Redensart ,im Stich lassen*? Gehört sie in die soziale Umwelt des Turnierstechens? Kommt sie von der Biene, die ihren Stachel in der Wunde zurückläßt? Bedeutet ,im Stich lassen* eine liegengelassene Nadelarbeit, oder ist gar das Kartenspiel der Ursprungsbereich der Redensart? Hier helfen nur genaue Zusammenstellung und Sichtung historischer Belege. In der Erklärung sprichwörtlicher Redensarten ist oft recht phantastisch drauf los fabuliert worden, ohne daß man sich immer den Kopf zerbrochen hat, ob ein angenommener Bedeutungswandel auch psychologisch wahrscheinlich und geschichtlich begründet sein könnte. Auf kaum einem anderen Gebiet der sprachlichen Volksüberlieferung gibt es so viele dilettantische Versuche. Die Zahl neuerer populärer Redensartenbücher geht in die Dutzende, oft in humoristischer Form und gewürzt mit Anekdoten. Fast jedes Jahr bringt neue populäre Redensartenbücher hervor24. Vor nicht allzulanger Zeit ist das Buch ei- 24 Z.B. Ludwig Göhring: Volkstümliche Redensarten und Ausdrücke (München 1936); H.H. Brunner: 24 beliebte Redensarten (Zürich 1956); Kurt Krüger-Lo- renzen: Das geht auf keine Kuhhaut (Düsseldorf 1960); ders.: ...aus der Pistole geschossen (Düsseldorf-Wien 1966); Karl Erich Krack: 1000 Redensarten unter die Lupe genommen (Stuttgart 1965) und Fischer-Bücherei Nr. 965 (Frankfurt - Hamburg 1969); Extrakte hieraus hat der Burda-Verlag in der Illustrierten ,Moderne Frau‘ veröffentlicht; Heinrich Raab: Deutsche Redewendungen (2. Aufl. Wien - Köln 1964); Hans Dittrich: Redensarten auf der Goldwaage (Bonn 1970); Hans- Josef Meier-Pfaller: Das große Buch der Sprichwörter (München - Esslingen 1970). 27
Einleitung nes bekannten Rundfunkjournalisten unter dem Titel ,Es geht auf keine Kuhhaut4 erschienen, wobei gerade die den Titel abgebende Redensart - aber nicht nur diese - in absolut laienhafter Weise gedeutet wird. Solche sog. ,Sachbücher4 erleben indessen meist hohe Auflagen, vor allem wenn sie noch hübsch surrealistisch illustriert sind. Die Deutung von Redensarten ist in der Gegenwart überhaupt fast eine Modeerscheinung geworden. Mehrere illustrierte Zeitungen, daneben aber auch Tageszeitungen, Werbehefte von Versicherungen und Verkaufsorganisationen, Jugendzeitschriften usw. führen ihre regelmäßig wiederkehrende ,Ecke4 mit Redensartenerklärungen, und es ist oft recht verwunderlich, welche Meinungen dabei ,ins Kraut schießen4. Dilettantismus in der Erklärung von Redensarten hat es freilich zu allen Zeiten gegeben. Bei manchen Redensarten hat man im Laufe der Zeit eine ganze Reihe mehr oder weniger einleuchtender Erklärungen zusammengetragen, z.B. für: ,ins Gras beißen4 und ,weder gehauen noch gestochen4. Unser Lexikon führt in solchen Fällen alle Erklärungsversuche an, warnt aber auch ebensohäufig vor allzu weit hergeholten, obschon gerade solche für den sprachge- schichtlichen Laien oft bestechend wirken. In einigen Fällen besonders umstrittener oder ganz gegensätzlich gedeuteter Redensarten hat sich der betreffende Artikel zu einer kleinen Monographie ausgewachsen, die den augenblicklichen Forschungsstand referiert, z.B. bei: ,einen ins Bockshorn jagen4 - ,die schwarze Kuh hat ihn getreten4 - ,das heißt Otto Bellmann4 - ,wissen, wo Barthel den Most holt4 -,einem aufs Dach steigen4 - ,auf die lange Bank schieben4 - ,das Blatt hat sich gewendet4; außerdem unter den Stichworten Kuhhaut4, ,Horn4,,Katze4,,Teufel4 u.a. An solchen Artikeln soll die Problematik der Redensartenforschung aufgezeigt werden. Im Grunde müßte zu jeder Redensart eine Monographie vorgelegt werden können, und viele Stichworte würden eine solche Einzeluntersuchung zweifellos lohnen. Aber es fehlt allenthalben an brauchbaren Vorarbeiten und Einzeluntersuchungen, und so bildet dieses Buch höchstens die Vorstudien zu einem Corpus der sprichwörtlichen Redensarten. Ihr Ursprung ist bisher nur in ganz geringem Maße wirklich erforscht. Ganz einsam steht noch immer die Weltgeschichte einer Redensart4 des finnischen Gelehrten Matti Kuusi, der weltweit jene Redensarten vergleichend untersucht hat, mit denen man die meteorologische Erscheinung ,Regen bei Sonnenschein4 bildlich umschreibt25. M.Kuusi ist dabei auf höchst überraschende Zusammenhänge gestoßen (s. Stichwort firmes4). Aber Ursprung und Sinn vieler anderer Redensarten sind und bleiben im dunkeln. Zu den Redensarten, für die wir keine genügende Erklärung haben, gehören z.B. einige für alte Jungfern. Das deutsche ,Giritzenmoos und Flederwische feilhalten4 ist ebenso unverständlich wie englisch ,to lead apes in hell4 (,Affen in die Hölle führen4)26. Dunkel bleiben Redensarten wie: ,Das ist ihm ein gefundenes Fressen4 (vgl. engl. ,to be duck soup for him4), ,Fersengeld geben4 - ,flöten gehen4. Selbst von den international bekannten Redensarten sind viele bis jetzt nicht befriedigend erklärt worden. Es ist eine bedauerliche Tatsache, daß eine gültige Erklärung oder Altersbestimmung in vielen Fällen noch keineswegs gegeben werden kann. Viele Redensarten sind nach wie vor in ihrer Entstehung rätselhaft und werden es vermutlich auch bleiben. Die Erklärung unseres Redensartenschatzes ist jedenfalls keineswegs etwas Abgeschlossenes, sondern bedarf unablässiger weiterer Forschung. Weniger als an phantasievollen Deutungsversuchen ist dabei an der systematischen Erschließung älterer literarischer Quellen und an der Auffindung von Frühbelegen für einzelne Redensarten gelegen. Wie bei allen oralen Volkstraditionen gibt es auch bei den sprichwörtlichen Redensarten mündliche und literarische Überlieferungen, die sich gegenseitig überschneiden. Stets ist von dem ältesten erreichbaren Beleg des betr. metaphorischen Ausdrucks auszugehen, was oft recht schwierig ist, da sich diese meist nur in der volkstümlichen 25 M. Kuusi: Regen bei Sonnenschein, a.a. O. 26 Vgl. A. Taylor: The Proverb, a.a.O., S.191L 28
Einleitung Rede fortgepflanzten Wendungen der literarischen Fixierung oft jahrhundertelang entziehen. Die Erforschung der sprichwörtlichen Redensarten steht hinter der der Sprichwörter noch weit zurück. Das ist kein Zufall. Die systematische Erschließung historischer Belege ist bei den sprichwörtlichen Redensarten wesentlich schwieriger als bei den Sprichwörtern. Für Sprichwörter besitzen wir seit dem 15. und 16. Jahrhundert die berühmten Sammlungen des Erasmus von Rotterdam, von Johannes Agricola, Sebastian Franck, Eucharius Eyering, Christoph Lehmann u. a., nicht aber für die Redensarten. Ignaz Zingerles und Samuel Singers Nachweise des mittelalterlichen parömiologischen Gutes erstrecken sich ebenfalls vorwiegend auf die Sprichwörter, nicht eigentlich - und nur in Ausnahmen - auf die Redensarten. Das gleiche gilt für das umfassende Compendium der lateinischen Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters von Hans Walther. Für die sprichwörtlichen Redensarten aber sind die meisten Quellen noch nicht ausgeschöpft, obwohl doch auch hier in jedem Fall nach dem ältesten Beleg, nach dem frühesten Auftreten der betreffenden Redensart zu fahnden wäre. So wird es in vielen Fällen unmöglich bleiben, eine Redensart auch nur ungefähr zeitlich und örtlich zu bestimmen. Vor allem werden die individuellen Anlässe und Ursprünge der meisten Redensarten im dunkeln bleiben müssen. Auch ist der Quellenwert der Frühbelege umstritten. Nicht immer geben die mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Sammlungen einen wirklichen Beweis für eine lebendige Volkstradition ihrer Zeit. U. U. ist eine Redensart verhältnismäßig spät in die Schriftsprache aufgenommen worden und dort erst nachweisbar, nachdem sie vorher in Umgangssprache und Mundart lange Zeit bestanden hat; dies scheint z. B. der Fall zu sein bei der Wendung ,in die Binsen gehen4. - Redensarten können eine zeitlang Mode sein wie beliebte Schlagworte; sie können wie Schlager oder Witze plötzlich aus der Vergessenheit auftauchen und dann wieder für längere Zeit verschwinden, um eines Tages doch wieder als neu empfunden zu werden. Entsprechend dem hohen Alter vieler Sprichwörter und sprichwörtlicher Redensarten leben in ihnen bisweilen ältere oder veraltete Sprach- und Wortformen weiter. Das Sprichwort ,Wie die Alten sun- gen, so zwitschern auch die Jungen4 bewahrt z. B. die veraltete Konjugationsform ,sungen4. Eine altertümliche Deklinationsform enthält das Sprichwort ,Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen4 27. Andere Beispiele geben die Wendungen: Gut Ding will Weile haben4 — ,Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’* - ,gang und gäbe4 - ,wie er leibt und lebt4. Oder einzelne Wörter werden in heute nicht mehr üblichen Bedeutungen gebraucht, z.B. schlecht und recht4 (,schlecht4 bedeutet hier soviel wie ,schlicht4); ,Kind und Kegel4, wobei,Kegel4 die unehelichen Kinder meint. Um dieses Buch nicht nur für die Gegenwartssprache, sondern auch als Nachschlagewerk bei der Lektüre älteren Schrifttums brauchbar zu machen, schien es geboten, auch eine größere Anzahl heute ausgestorbener Redensarten mit zu berücksichtigen, die dem heutigen Leser erklärungsbedürftig erscheinen müssen. Bestimmte Passagen der Dichtung, und u. U. sogar entscheidende, bleiben sonst unverständlich, wie etwa die sprichwörtliche Formel ,Ihr gebt mir ja nichts dazu4 in Goethes Ballade ,Vor Gericht4; oder die Wendung ,einem das Bad segnen4 in Verbindung mit Schillers ,Tell4. Das vorliegende Buch erklärt auch eine ganze Reihe von Redensarten, die aus dem lebendigen Gebrauch der Sprache ausgeschieden sind, wie etwa ,ein Loch durch einen Brief reden4 -,Gänse beschlagen4 - ,aus einem hohlen Hafen reden4 - ,das Maul in den Himmel stoßen4 - und andere mehr. Oft erhellt erst die Sprachgeschichte die ursprüngliche Bedeutung einer Redensart. ,Etwas dick haben4 erklärt sich z.B. aus der mhd. Bedeutung von dick, mhd. dicke = oft, massenhaft: Was man in Masse hat, dessen wird man leicht überdrüssig. In der Wendung ,mir zulieb4 ist noch die mhd. Bedeutung von liebe = Freude erhalten, was mit Liebe im nhd. Sinne nicht identisch ist. 27 Vgl. A. Taylor: The Proverb, a.a.O., S.82. 29
Einleitung Jede sprichwörtliche Redensart hat einen Inhalt und eine Form; sie gehört zu einem bestimmten sprachlichen Raum, d.h., sie hat einen geographisch begrenzten Geltungsbereich; sie hat ein bestimmtes Alter. Alle Faktoren bedingen sich gegenseitig. Wichtig ist deshalb die Heranziehung der heutigen Mundarten, die nicht selten ältere Varianten unserer Redensarten treu bewahrt haben und so über ihren ursprünglichen Wortlaut und Sinn Aufschluß geben können. In manchen Fällen kann u.U. ein und dieselbe Redensart in verschiedenen Landschaften und Mundartgebieten unterschiedliche Bedeutung haben. Ein Beispiel bietet die Redensart ,Butter bei die Fische1. Dieses Lexikon geht von der hochdeutschen Umgangssprache der Gegenwart aus, und hinsichtlich der Mundartbelege kann es natürlich keine Summierung der regionalen Mundartwörterbücher bieten. Auch haben Mundartwörterbücher nur in sehr unterschiedlichem Maße sprichwörtliches Redensartengut aufgenommen. Wohl aber sind die Mundarten einbezogen bei den allgemeinen Redensarten, wenn ihr Gebrauch sich nicht auf eine Mundartlandschaft beschränkt. Beispiele dafür bieten etwa die Stichworte.,Ällbot4, ,Bach\ ,Bacchus‘, ,Glocke' und viele andere. Unzählig sind demgegenüber natürlich die mundartlichen Redensarten nur lokaler Prägung; sie sind ortsgebunden und u.U. schon im Nachbarort nicht mehr oder kaum verständlich. Solche Redensarten konnten hier nicht alle berücksichtigt werden. So bedeutet etwa die Abkürzung ,Schweiz.4 einen Beleg im Schweizerischen Idiotikon, ,obersächs.‘ einen entsprechenden in dem Wörterbuch von Müller-Fraureuth, ohne daß jeweils die genaue Lokalisierung angegeben oder der Frage nachgegangen werden konnte, wie partiell oder lokal, kleinräumig oder großräumig die betreffende Redensart in diesen Mundartlandschaften verbreitet ist. Eine nicht geringe Rolle bei der Ausbreitung vor allem neuerer Redensarten spielt die ehemalige Reichshauptstadt Berlin. Viele allgemein gewordene Redensarten sind zunächst einmal Berliner Lokalausdrücke gewesen. Oft handelt es sich um hu¬ moristische Erweiterungen oder Verfremdungen althergebrachter Wendungen, wie z. B.: ,Spaß muß sin bei de Leiche, sonst jeht keener mit4 - ,Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste4. Auch Hamburg und Köln haben viele Redensarten ausgestrahlt, und in H.Lützelers bekanntem Vortrag und Büchlein über die Philosophie des Kölner Humors4 finden sich auch wichtige Hinweise auf Kölner Redensarten. Sprichwörtliche Redensarten der norddeutschen Küstenlandschaften zeigen wieder ein ganz anderes Gepräge als diebinnenländischen. Fisch, Schiff und See sind dort das beständige Reservoir für die Bildwelt der Redensarten, und das ganze Leben wird unter diesem Aspekt verglichen28. Die regionale Streuung hat auch der Atlas der deutschen Volkskunde in den zwanziger Jahren bei einigen Redensartengruppen erfragt (Fragebogen Nr.5), z.B.: „Mit welchen brauchüblichen Redensarten nötigt man den Gast zum Essen?44 (,Eßt und trinkt, der Topf steht draußen4 -,schont die Butter4 - ,tut wie zu Hause, denn dort muß man sparen4 - ,langt zu, aber mir nicht in die Haare4) oder: „Was sagt man, wenn jemand das Eßbesteck fallen läßt?44 Insbesondere redensartliche Vergleiche, z.B. beim Feld ,arm wie...4 zeigen eine starke regionale und landschaftliche Aufsplitterung. Die geographische Grenze zwischen der Wendung ,wie der Ochs vor dem Berg4 und der parallelen ,wie die Kuh vor dem neuen Scheunentor4 verläuft quer durch das deutsche Sprachgebiet. Offenbar ist die Elbe die Grenze. Andere Variationen von Redensarten gehen auf geographische Verschiedenheiten zurück. ,Etwas Überflüssiges tun4 ist je nach Ort,Wasser in den Rhein tragen4, aber auch ,zur Elbe4, ,zur Donau4 oder ,ins Meer4. Es wäre interessant, die heutige Verbreitung der Redensarten, dieser und anderer, kennenzulernen. Wir haben hier jedenfalls ein sprechendes Beispiel dafür, daß auch in der Redensartenforschung neben die geschichtliche die geographische Betrachtungsweise treten muß. Manche Redensar- 28 Vgl. Rudolf Eckart: Niederdeutsche Sprichwörter und volkstümliche Redensarten, a.a.O. 30
Einleitung ten sind von Landschaft zu Landschaft, von Mundartgebiet zu Mundartgebiet verschieden. Dem Begriff gleichgültig' entspricht z. B. berlinisch: ,Jacke wie Hose' oder ,das ist mir piepe'; wienerisch jedoch: ,das ist mir wurscht' und ,das ist mir po- widl'. Die Frage: Wieweit sind Redensarten Gemeingut der verschiedenen Sprachland- schaften oder wie weit differieren sie, ist noch kaum gestellt worden, und der Volkskunde-Atlas hat solche redensartlichen Metaphern nur in Ansätzen erfragt und bearbeitet2^. Hinzutreten müßte jetzt eine wesentlich umfangreichere und differenziertere Befragung. Volkskundliche Redensartenforschung hat sowohl regional-mundartliche Forschungsaufgaben als auch internationale. Benötigt wird einerseits die Aufarbeitung des Redensartenbestandes einzelner Mundartgebiete. Wieder andere Aufgaben hat die vergleichende Redensartenforschung, die bis jetzt ebenfalls nur in ganz geringen Ansätzen vorhanden ist. Zunächst ist zu fragen, welche sprichwörtlichen Redensarten überhaupt internationale Verbreitung besitzen. Dazu gehören z.B. Wendungen wie: ,mit dem linken Fuß aufstehen' - ,das Eis brechen' - ,das Gras wachsen hören' - ,trocken hinter den Ohren' (engl. ,dry behind the ears'). Entsprechungen im Redensartengut anderer Völker können Parallelen aufgrund eines gemeinsamen Kulturerbes sein, z.B. sprichwörtlich gewordene Bibelzitate, Weiterwirken antiken parömiologischen Gutes, aber auch spätere Entlehnungen. Die Wege der Redensarten von einem Volk zum anderen sind noch wenig erforscht29 30. Ebenso wissen wir noch zu wenig darüber, wer die Mittler von einem Kulturkreis zum 29 Eine Untersuchung von Gerda Grober-Glück aufgrund des Atlas-Materials steht kurz vor dem Erscheinen; vgl. auch dies.: Zur Verbreitung von Redensarten und Vorstellungen des Volksglaubens nach den Sammlungen des Atlas der deutschen Volkskunde, in: Zs. f. Vkde. 58 (1962), S.41-47. 30 Vgl. Franz Dornseiff: Die griechischen Wörter im Deutschen (Berlin 1950); Jürgen Werner: Altgriechische Sprichwörter (Diss. Leipzig 1957); Reinhold Strömberg:Greek Proverbs (Göteborg 1954); A. Otto: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer (Hildesheim 1965). anderen sind. Man kann dabei ebensogut an die zweisprachige Grenzbevölkerung denken wie an die berufsmäßigen Wanderer, Spielleute und Handwerker in früherer Zeit, Soldaten und Seeleute bis auf unsere Tage. Hinzu kommt das Werk von Dichtern und Schriftstellern, d. h. übersetzte Literatur aller Zeiten. Nicht auf dem Weg des Kulturkontaktes durch Nachbarschaft oder Wanderung, sondern nur auf dem literarischen Weg über Karl May, Wildwestroman und Westernfilm sind z. B. Redensarten der nordamerikanischen Indianer in unseren Sprachschatz eingedrungen, wie: ,das Kriegsbeil begraben' - ,die Friedenspfeife rauchen' - ,in die ewigen Jagdgründe ein- gehen'. Aber nicht immer sind die Entwicklungswege so klar. Meistens sind sie undurchsichtig und verworren. Regionale und internationale Redensartenforschung unterscheiden sich nicht nur durch die geographische Perspektive. Ursprung und Verbreitung der international gebräuchlichen Redensarten sind vorwiegend literarisch, während die nur einem Volk oder einer Volksgruppe eigenen Redensarten meistens nur mündlich fortleben. Den beiden unterschiedlichen Gruppen entsprechen auch unterschiedliche Forschungsaspekte und Methoden31. Wie die Märchen- und Volksliedforschung verlangt auch die Sprichwort- und Redensartenforschung international vergleichende Aspekte, eine gewiß lohnende Aufgabe, die aber bis jetzt nur in ganz wenigen Ansätzen praktisch versucht worden ist, wie z.B. in M.Kuusis schon genannter, methodisch mustergültiger und bahnbrechender Untersuchung ,Regen bei Sonnenschein'. Auch unserem Lexikon kam es in einzelnen Fällen darauf an, die internationale Verbreitung eines redensartlichen Schemas aufzuzeigen, gerade z. B. bei,Kirmes in der Hölle', oder auch bei der verschiedenen Übersetzung von biblischen Wendungen in die einzelnen Nationalsprachen, wie etwa im Falle ,Perlen vor die Säue werfen'. Andererseits gibt es absolut unübersetzbare Redensarten und Sprichwörter, wie z.B. ,Women have to give and to forgive, 31 V. P. Anikin: 10 Thesen, in: Proverbium 2 (1965), S.31. 31
Einleitung men to get and to forget', oder: ,eat what you can and can what you can’t'. Während hier nur ein Sprachspiel vorliegt, das im Deutschen nicht nachzuahmen, aber doch wenigstens leicht verständlich ist, verhalt es sich mit den Redensarten anderer Kulturkreise z.T. wesentlich schwieriger. Das Verständnis des Redensartenschatzes ist an die Zugehörigkeit zu dem betreffenden Sprachkreis gebunden. An extremen Fällen wird dies besonders deutlich. Völlig fremd ist uns etwa die Bilderwelt japanischer Redensarten. In jedem einzelnen Fall zeigt es sich, daß die Übersetzung der Einzelworte noch keinen Sinn ergibt, sondern kulturspezifisch bedingt ist, z.B.: .gegen die Schuppen unterm Kinn des Drachen stoßen' ( = sich die Ungnade des Kaisers zuziehen) - .wohlriechende Fußspuren betreten' (= einem tugendhaften Beispiel folgen) - ,mit einer Papierlaterne Reiskuchen stampfen' (= sich erfolglos bemühen, auch im Sinne von Impotenz) - ,von seinem Reisgehalt getrennt werden' ( = entlassen werden)32. Diese letzte Wendung stammt aus der Feudalzeit, wo das Gehalt in Reis ausgezahlt wurde. Aber jede einzelne der genannten Redensarten kann nur von dem kulturellen Hintergrund Ostasiens her verstanden werden, der eben ein anderer ist als der unsere. Wie soll ein Forscher bei einem ganz fremden Volk .Sprichwörter' und .sprichwörtliche Redensarten' als solche überhaupt erkennen? Goethe sagt zwar (in .Sprichwörtliches'): Sprichwörter bezeichnen Nationen, muß aber erst unter ihnen wohnen. Doch ist bei völkerpsychologischen Schlüssen größte Vorsicht geboten. Für sprichwörtliche Redensarten gilt das noch viel mehr als für die Sprichwörter, die immerhin eine bewertbare Aussage machen. O. Weise hat aufgrund der zahlreichen von Schrader gesammelten Redensarten, die .trinken' oder noch häufiger .sich betrinken' umschreiben, volkscharakterologische Schlüsse gezogen, wie z.B. den, die Deutschen müßten ja wohl alle notorische Säufer sein. Diesen Argumenten folgt noch 12 Nach Paul Ematin: Die Sprichwörter und bildlichen Ausdrücke der japanischen Sprache (2. Aufl. Tokio 1927). Fr. Seiler in seiner Sprichwortkunde. In den meisten Fällen erklärt sich aber Synony- menreichtum bzw. häufige Behandlung desselben Themas dadurch, daß es sich um einen affektgeladenen Begriff handelt. Daß das Trinken im Leben unseres Volkes eine besondere Rolle spielt, läßt sich jedenfalls leichter aus der Statistik des Wein- und Bierkonsums errechnen als aus der Tatsache, daß es im Deutschen so viele redens- artliche Umschreibungen für .sich betrinken' gibt bzw. viele Sprichwörter, in denen es um das Trinken geht. Wenn mit der Wichtigkeit eines Begriffes oder einer Sache die Zahl der Bezeichnungen notwendig stiege, müßten wir viel mehr Ausdrücke für Gegenstände und Vorgänge etwa auf dem Gebiet von Technik und Sport haben. Oft erklärt sich Bezeichnungsvielheit bzw. immer neue Variationen gleicher oder ähnlicher Gedanken auch aus dem Bedürfnis, sich anders auszudrücken als der Gesprächspartner, oder als man sich selbst vorher ausgedrückt hat33. Schließlich muß noch etwas über die Funktion, den Gebrauchswert und das Stilregister der sprichwörtlichen Redensarten gesagt werden. Zwischen einer literarisch gehobenen Verwendung und einer ausgesprochenen Slang-Funktion von sprichwörtlichen Redensarten gibt es eine ziemlich große Spannweite ihrer möglichen Anwendung, d.h. die Gebrauchsfunktion und die Stilfärbung sind sehr unterschiedlich. .Gebildete' und .volkstümliche' Redensarten sind nicht im Prinzip oder in der Form verschieden, nur zeigen sie eine verschiedene soziale Schichtung ihrer Anwendung, verschieden große Verbreitung. Das Sprichwort ,Man lernt, solange man lebt' hat z.B. mehr das Ansehen einer gebildeten Sentenz. Viel urwüchsiger und bildkräftiger drückt sich die Volkssprache bei gleichbleibendem Inhalt aus: Man wird so alt wie ’ne Kuh und lernt immer noch dazu. Es gibt eine ganze Anzahl mehr litera- risch-buchmäßiger Redensarten, wie z.B. .zwischen Scylla und Charybdis stehen', d.h. zwischen zwei Gefahren, oder ,den Firnis der Kultur abstreifen', d.h. sich un¬ 33 Jürgen Werner: Altgriechische Sprichwörter, a.a.O. 32
Einleitung gebunden, ohne Hemmungen benehmen; oder ,mit Engelszungen reden4. Diese Wendungen gehören nicht in die einfache Alltagsrede. Dazu sind sie zu gewählt. Ausgesprochen papieren wirken die Wendungen: ,einer Sache Abbruch (Eintrag) tun4 und ,etwas in Anschlag bringen4. Diese Redensarten sind farblos, aktenmäßig; sie haben keine Anschaulichkeit und erscheinen deshalb mehr als Kennzeichen eines Amtsstils. Geschraubt wirkt ,die Honneurs machen4, d.h. bei großem Empfang in einem vornehmen Hause jeden einzelnen der eintreffenden Gäste begrüßen. Ausgesprochen derbe Wendungen sind dagegen etwa: ,einem über das Maul fahren4, ,das stinkt zum Himmel4 und viele andere. Mit der Entstehung der sprichwörtlichen Redensarten in bestimmten Gesellschaftskreisen ist ihre ursprüngliche Stilfärbung verknüpft, und ein Teil von ihnen hat diese ursprüngliche stilistische Färbung bewahrt. Daneben gibt es aber eine mindestens ebenso große Anzahl von Redensarten, die ihrem Ursprung zum Trotz, in andere Stilschichten übergegangen sind. Wir können verfolgen, wie ursprünglich grobe oder familiäre Redewendungen in ihrer Wirkung allmählich verblassen und in die Literatursprache einziehen. Umgekehrt gibt es Redensarten, die in ,exklusiven4 Kreisen entstanden, mit der Zeit sich aber über die ganze Gesellschaft ausdehnen34. Es liegt in der Natur der Volkssprache, daß auch derbe, unflätige und oft obszöne Ausdrücke fallen. Selbst unappetitliche Stichworte, wie ,Furz4, ,Pisse4 und dergleichen, durften in diesem Wörterbuch nicht aus Prüderie ausgelassen werden. Hinzu kommt ein unverhältnismäßig großer Vorrat an Wendungen für trinken, betrunken sein, an Flüchen, Schimpfworten und Drohungen. Auch sie gehören zum Wolksvermögen4, um mit Rühmkorf zu sprechen, der diesen Niederungen der Volkssprache ein ganzes Buch gewidmet hat. Ältere Redensartendarstellungen haben sich hier mancher Unterschlagung schuldig gemacht. So ist z.B. das aus Mundarten und Umgangssprache nicht wegzudenkende Wort 34 Elise Riesel: Stilistik der deutschen Sprache (Moskau 1959), S. 193. ,Arsch4 von Borchardt-Wustmann einst züchtig beiseite gelassen worden. Obwohl man immer wieder sagt: Schreibe, wie du sprichst4, warnen allerorten doch die Lehrer eines guten, gehobenen und gepflegten Stils vor dem unmäßigen Gebrauch sprichwörtlicher Redensarten35 36, und sicher passen sie nicht in einen Beileidsbrief und auch nicht in eine wissenschaftliche Abhandlung oder in eine akademische Ansprache. Ganz bewußt bedienen sich ihrer aber alle, die sich an ein breiteres Publikum wenden: Zeitungen, die Werbung, die Reklame, die politische Propaganda. Redensarten verraten einen gewissen Mangel an Individualität, kollektive Existenz, Neigung zum Formelhaften und zu volkstümlichen Denkklischees. Sie sind Kennzeichen einer nicht individuellen Ausdrucksweise, die sich eben der vorgegebenen volkstümlichen Denkmodelle bedient. Und doch geben sprichwörtliche Redensarten der Sprache eine gewisse Frische und Natürlichkeit. Man kann mit Redensarten so manches ausdrücken, was man mit eigenen Worten nicht sagen möchte oder auch einfach nicht sagen kann. Es gibt sogar brauchmäßig geregelte Fälle, in denen man es von uns geradezu erwartet, uns formelhaft auszudrücken, z.B. bei Gratulationen und Kondolationen (,herzliches Beileid4). Sprichwörtliche Redensarten sind die Rhetorik des einfachen Mannes. Er liebt die Redensarten, besonders die drastischen, und verwendet sie unbefangen in allen Sprachsituationen. Sie gehören vor allem zum mündlichen Sprechstil. Für den Ausländer bedeuten Redensarten die höchste Stufe in der Aneignung der fremden Sprache. Die Schwierigkeit ihrer Verwendung besteht darin, daß „es ja das wesentliche Merkmal einer idiomatischen Wendung ist, daß sie nicht das bedeutet, was sich aus den Bedeutungen der Einzelwörter zu ergeben scheint44 36. Sinn und Bildbewußtsein einer Redensart können nur aus der Funktion beurteilt werden, d.h. in Kenntnis der konkreten Anwendungszusammenhänge. Dieses Lexikon will je- 35 W. Schmidt-Hidding: Sprichwörtliche Redensarten, a.a.O., S.123. 36 \yQif Friederich: Moderne deutsche Idiomatik, a.a.O., S.7. 33
Einleitung doch vor allem ein historisches Wörterbuch sein, d.h. es gibt Antwort auf die Frage: ,Woher kommt?1, nicht auf die Frage: ,Wann sagt man ...?4 Deshalb sind zur Benutzung des Lexikons lfoch einige technische Hinweise notwendig: In den einzelnen Artikeln sind eine oder mehrere Redensarten zusammengefaßt, sie bringen die Bedeutung, Hinweise auf die Anwendungssituation, historische Belege, auch Bildquellen zur Erklärung und, falls wissenschaftliche Untersuchungen zu einzelnen Problemen vorliegen, eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse. Am Schluß der Artikel finden sich weiter- führende Literaturangaben. Am Ende des Lexikons befindet sich außerdem eine umfangreiche Bibliographie der wichtigsten Sprichwörter- und Redensartenliteratur. Da die Einordnung der sprichwörtlichen Redensarten nach Stichworten in alphabetischer Reihenfolge problematisch ist, ist dem Band ein Register beigefügt worden. Das Register dient vorzugsweise zur Aufschlüsselung der Sammelartikel. Außerdem will es die Auffindung solcher Redensarten erleichtern, die nicht nach den Anfangsbuchstaben ihrer Einzelwörter behandelt sind. Man findet z.B. abgeleitete Verbalformen beim Grundwort, etwa ,wie gerädert sein4 bei ,Rad‘; ,geschniegelt und gebügelt4 bei ,schniegeln4; ,es hat geschnappt4 bei,schnappen4;,gehupft wie gesprungen4 unter ,hüpfen4. Schließlich bringt das Register entsprechende Verweise, wenn auf eine Redensart noch unter anderen Stichworten Bezug genommen wird. Von einem Artikel erfolgen Verweise {/) zu anderen, die ähnliche Redensarten anführen oder zu dem gleichen Sinnzusammenhang gehören. Vieles verdankt dieses Wörterbuch selbstverständlich anderen lexikalischen Vorgängern, die im Literatur-Verzeichnis aufgeführt sind. Besonders hervorgehoben seien aber das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm, das Deutsche Sprichwör- ter-Lexikon von K.Fr. W. Wander, das Zitatenlexikon geflügelter Worte von G. Büchmann, das Wörterbuch der deutschen Umgangssprache von Heinz Küpper, die Deutsche Idiomatik von W. Friederich und vor allem die Sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund von Bor- chardt-Wustmann-Schoppe sowie die 7. von Alfred Schirmer besorgte Auflage dieses Büchleins. Obwohl sich die Zahl der Stichworte gegenüber diesem einst maßgebenden Nachschlagebuch für sprichwörtliche Redensarten etwa verzehnfacht hat, ist dieses Werk uns doch darin vorbildlich geblieben, daß es für einen breiten interessierten Leserkreis bestimmt ist. Zur Lektüre des Buches sollten keine wissenschaftlichen Vorkenntnisse nötig sein. Wir haben uns bemüht, alles in allgemeinverständlicher Weise zu erklären. Die aus Platzersparnisgründen notwendigen zahlreichen Abkürzungen werden in dem beigegebenen Abkürzungsverzeichnis erklärt. Zum Schluß ist es mir ein besonderes Bedürfnis, all denen herzlich zu danken, die bei der Bearbeitung des Materials mitgewirkt haben. Wesentlichen Anteil haben dabei meine früheren Mainzer und jetzigen Freiburger Mitarbeiter und Schüler: Dr. Peter Andraschke, Dr. Rolf W.Brednich, Werner Enzler, Rudolf Goerge, Heinke Hempel-Binder, Dr. Agnes Hostettler, Klaus König, Dr. Hannjost Lixfeld, Dr. Dietz-Rüdiger Moser, Ingrid Nürnberger, Dr. Eberhard Orth, Dr. Leander Petzoldt, Dr. Manfred Reinartz, Fritz Uhlf, Renate Wiehe. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat dankenswerterweise zeitweilig durch eine Sachbeihilfe die Bezahlung einer wissenschaftlichen Hilfskraft für die vorausgegangenen Katalogisierungs- und lexikalischen Arbeiten unterstützt. Wissenschaftliche Hilfskräfte meines Freiburger Seminars haben diese Arbeiten fortgesetzt. Trotz der Mithilfe vieler wäre aber dieses Lexikon doch nie zum Abschluß gekommen ohne die aufopfernde und nimmermüde Tätigkeit meiner Freiburger Assistentin Gertraud Meinel. Sie hat eine große Zahl von Artikeln verfaßt, zahllose andere redigiert, Zitate und Literaturangaben überprüft, Abkürzungen und Zeichensetzung koordiniert und vor allem in der letzten und entscheidenden Phase der Arbeit die redaktionelle Arbeit umsichtig und energisch geleitet. Ihr gebührt darum mein ganz besonders herzlicher Dank. 34
A ,Den Aal beim Schwänze fassen' Aal. Der Aal ist wegen seiner schleimigen Haut zum sprw. Bild des Glatten und Schlüpfrigen, wegen seiner Beweglichkeit zum Bild des leicht Entgleitenden und Lebhaften geworden. Glatt wie ein Aal sein: listig, schlau, gerieben, diplomatisch, durchtrieben, raffiniert, doppelzüngig sein. Mit dem rdal. Vergleich Er ist glatt wie ein Aal (aalglatt) bez. man einen schlauen Menschen, der sich immer wieder entwindet, wenn man ihn gefaßt zu haben glaubt. Der Aalglatte ist genausowenig zu fangen wie ein Aal. Schon bei den Römern hieß es sprw. (Plautus: ,Pseudolus4 II, 4): ,,Anguilla est: elabitur44 (Er ist ein Aal: er entwischt). Goethe (,Faust4, V. 5231): „Durch Drang und Menge aalgleich zu schlupfen44. Rhein, heißt es noch heute: ,Wie en Aal es er mir durchgewitscht4. Die Beweglichkeit des Aals wird in der Volkssprache bildl. auf den Menschen übertr. Man sagt: sich winden wie ein Aal: einer Schwierigkeit, einer peinlichen Lage zu entschlüpfen suchen, sich aus einer Verlegenheit herauszuschlängeln wissen. Bei Walther von der Vogelweide (76,117; Paul) heißt es: „Der sich dem man wint üz der hant reht als ein al44. In Goethes ,Götz4 (IV, 3) spricht Franz von Sickingen: „Laß sie sich wenden wie Äle in einer Reusse, sie sollen uns nicht entschlüpfen44. Viel ergiebiger und variabler als die lit. Belege sind die mdal., z. B. rhein. ,He hätt sich bi en Ol erausgeschlängelt4 (aus der Verlegenheit); ,he krengelt (dräit) sich wie ene Ol4; ,das flutscht wie en Ol4; dagegen allerdings auch: ,Er krümmt sich (vor Schmerzen) wie ein Aal4. Doch wird das Sich-Winden des Aals meist als lustbetonte Bewegung gedeutet: sich aalen ist eine heute in ganz Dtl. verbreitete Wndg. mit der Bdtg.: sich faul dehnen und strecken, sich behaglich ausruhen, bes. an der Sonne und am Strand. Ihren Ausgang nahm sie wahrscheinl. in der 2. H. des 19. Jh. aus Ostmitteldtl. Dort besteht der Volksglaube, der Aal gehe nachts gerne an Land und werde in feuchten Wiesen häufig von der Sonne überrascht. Den Aal beim Schwänze fassen: etw. verkehrt anfangen. Das Bild vom schlüpfrigen Aal ist bereits antik, aber erst im MA. ist auch von seinem Schwanz die Rede. Nur ist kaum zu unterscheiden, von wo die Neuerung ausging, da sie in Frankr. und in Dtl. gleichmäßig auftritt, zunächst in lat. Hss. des MA.: „Qui tenet anguillam per caudam, non habet illam44 (MSD. XXII, 2, 192). In der Sammlung des Erasmus von 35
Aas Rotterdam heißt es: ,,Quod hodieque vulgo dicitur: anguillam cauda tenes" (,Adagia" 26v). In der mhd. Lit. ist die Rda. zuerst bei Heinrich von Melk (,Priesterleben", V. 166) belegt: ,,Ûzden handen si im sliffent, als der fd bi dem zagele". Bei dem Mystiker Heinrich Seuse heißt es (Dt. Schriften, hg. v. K. Bihlmeyer, Bd.9, S. 16): ,,Swer den helen visch, der da haißet ein al, bi dem sweif wil haben und ein heiliges leben mit lawkeit wil an vahen, der wirt in baiden betrogen". ,,Dann ir habt euern man als den öl bei dem swantz" schreibt 1485 Kurfürst Albrecht von Brandenburg seiner Tochter. Im 16. Jh. heißt der Spruch bei Gartner (,Proverbia Dicteria" 1566, S.48) und Seidel (,Loci Communes" 1572): ,,Non tenet anguillam, qui per caudam tenet illam. Wer einen Ahl hält bey dem Schwantz, dem bleibt er weder halb noch gantz"". Auch Luther ist die Rda. sehr geläufig: ,,Er (der Kardinal Cajetan) dachte, er hette mich in der klappen, so hat er den ahl bey dem schwantze" (Eislebener Ausg. 1564, Bd. 1, S.3); oder: ,,Aber ich besorge, ich werde zuletzt den ahl bey dem schwantze nicht halten, so ringet und dringet er sich zu drehen"" (Burkhardt: Luthers Briefwechsel, Bd. 1, S.293). Ebenso heißt es noch in der heutigen Schweiz. Mda. ,Wer en Ol hät beim Schwanz, der hät-en nid halb und nid ganz" ; ndd. ,He krigt den Aal bi den Steert", er will einen Vorteil erhaschen und fängt es unrecht an (vgl. auch frz. ,Qui prend l’anguille par la queue et la femme par la parole, peut dire qu’il ne tient rien"; engl. ,There’s as much hold of his word as of a wet eel by the tail", man kann sich an sein Wort so halten, wie bei einem nassen Aal an den Schwanz); vgl. auch ,das /Pferd beim Schwanz aufzäumen". Einen (kleinen) Aal haben: leicht betrunken sein. Die Rda. ist vor allem mdal. verbreitet, z.B. rhein. ,su voll wie en Ol"; mo- selfr. ,Er seift wie en OP oder ,He hot en Olim Deppen";,Der hat aber en Aal!" Alle diese Wndgn., deren Herkunft noch nicht geklärt ist, bedeuten: er ist betrunken (/trinken). Lit.: Singer I, S. I59f. Aas (toter, in Verwesung übergehender Tierkörper). Wird in seiner wörtl. Bdtg. noch in dem stehenden rdal. Vergleich stinken wie ein Aas gebraucht. Bildl. auf Personen übertr., ist Aas als Schimpfwort seit dem späten MA. belegt. Rüdiger von Mü- ner nennt den Druckgeist Mahr ,,ein elbischez âz‘‘ (GSA. III, 60), und Hans Sachs gebraucht: „Du Aas! Ihr Äser! Du faules Aas!"" In der ,Rockenphilosophie" (1705—06, Bd.3, S.264) wird gerügt: ,,Es ist nicht fein, wenn sie die Kinder wohl gar Donner-Ässer, Hagel-Ässer nennen". Sehr gebräuchl. sind noch heute die Verstärkungen ,Rabenaas" und ,Schindaas" (mdal. rhein. ,Schinoos"), eigentl. ein für den Schinder reifes Tier. Berl. wird Aas aber heute auch i.S.v. ,tüchtig" gebraucht: ,Er is ’n Aas uf de (Baß-)Jeije", ein Hauptkerl (/Baßgeige). Vielleicht ist die Wertwandlung von der Schelte zum Lob unter dem Einfluß von frz. ,un as" (ein tüchtiger Kerl, urspr. As im Kartenspiel) vor sich gegangen. Jem., der alles besser weiß, ist ein ,kluges Aas"; ein Belesener ein gelehrtes Aas"; ein elegant Gekleideter ein ,feines Aas", meckl. gilt ,sÖtes Aas" auch als Bez. eines netten Mädchens oder eines reizenden Kindes. Schließlich bedeutet Aas auch allg. der Mensch, bes. in der Wndg. ,kein Aas", niemand, /Rabe. ab. Ab dafür!: bekräftigende Rede wndg. zum Abschluß einer Handlung, wie z.B. einverstanden!" oder ,das Geschäft ist getätigt!" Die Rda. ist um 1920 als Schieber- ausdr. aus dem Bakkaratspiel übernommen worden: haben die Spieler ihre Sätze gemacht, so bekundet der Bankhalter mit diesem Ruf, daß er einverstanden ist. ,Ab" meint: jetzt geht’s los; mit .dafür" drückt er aus, daß er alles, was an Beträgen gesetzt ist, halten will. Ab durch die Mitte!: wegtreten!, voran!, marsch!; stammt aus dem /Spießrutenlaufen. Auf diesen Befehl hin wurde der Delinquent durch die Mitte der aus zwei Gliedern Soldaten gebildeten Gasse getrieben. Der Ausdr., seit Anfang des l9.Jh. aus Kassel, dem Rheinl. und dem Vogtland bezeugt und bes. bei Soldaten, Sportlern und Schülern verbr., kann auch den Regieanweisungen von Bühnenstücken entnommen worden sein in der heutigen Bdtg. .verschwinde!". 36
Abc Ab nach Kassel!: hinaus!, fort! Die Rda. hängt mit dem Untertanenverkauf der hess. Landesfürsten an die Engländer zur Teilnahme am nordamer. Kolonialkrieg zusammen; die Sammelstelle war Kassel. Als 1870 Napoleon III. ins Exil nach Kassel- Wilhelmshöhe geschickt wurde, drang die Rda. in aufgefrischter Bdtg. mdal. durch. Lit.: A. Landau, in: Mitteilungen zur jiid. Vkde., Bd. 10 (1908), S.35f.; Küpper II, S.37. abbeißen. Einen ab beißen (auch: abknap- pern): einen (Schnaps) trinken, umg., bes. ostmdt., nach der gierigen Geste beim Ansetzen des Glases. Verbr. ist die Aufforderung: Wir wollen noch einen abbeißen!Der älteste Beleg steht für Berlin 1850 in der Sammlung Kollatz-Adam. Keinen Faden abbeißen /Maus. Sich eher den Finger abbeißen /Finger. Den Heiligen die Füße abbeißen /Fuß. abblitzen. Einen abblitzen lassen: ihn kurz und schlagfertig (auch: schroff) abweisen; bes. bei Annäherungsversuchen oder Heiratsanträgen. Die Rda. ist erst seit etwa 1840 bezeugt (z.B. 1838 in Grabbes Hermannsschlacht4). Das rdal. Bild stammt vom wirkungslosen Verpuffen des Schießpulvers, das bei den Gewehren vor und während der Befreiungskriege bisweilen mit blitzartiger Lichterscheinung von der Gewehrpfanne wegbrannte, ohne daß der Schuß losging; noch nicht in iibertr. Sinne bei Ludwig Tieck (,Novellenkranz4, 1834, Bd.4, S. 113): ,,Das Pulver war mir von der Pfanne abgeblitzt“. Aus demselben Wirklichkeitsbereich stammen die Rdaa. ,etw. auf der /Pfanne haben4 und ,verpuffen4. Da heutzutage die altertümliche Gewehrkonstruktion nicht mehr bekannt ist, ist das zugrunde liegende Bild so abgeblaßt, daß das ältere ,abblitzen lassen4 oft zu ,abblitzen4 verkürzt wird. abbrechen, Abbruch. Brich dir (man) nichts ab! Brich dir nur keinen ab: sei nicht so eingebildet, hochmütig, übertrieben vornehm; benimm dich nicht so gespreizt, rede nicht so geschwollen! Als Objekt des Abbrechens kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Brich dir keinen Zacken aus der Krone! /Zacken, wobei die Krone eben Inbegriff der (eingebildeten) Vornehmheit ist. In der städtischen Umgangssprache wird aber auch zuweilen an Möbel mit empfindlichen Zieraten gedacht. Deshalbhört man auch: Brich dir keine Verzierung ab! Einer Sache keinen Abbruch tun: es entsteht kein Schaden, keine Beeinträchtigung dadurch. Wie bei der Rda. Das tut doch der Liebe keinen Abbruch erfolgte die Übertr. des Begriffes vom Bauwesen her. Auf Abbruch heiraten: eine ältliche Person heiraten, mit deren baldigem Ableben zu rechnen ist. Die seit dem Ende des 19. Jh. bezeugte Rda. ist wohl eine scherzhafte Nachbildung der Wndg. ein Haus auf Abbruch kaufen; berl. ,Se nimmt ihn (einen reichen alten Mann) uf Abbruch un behält de Baustelle4. Abc. Die Rdaa., in denen das Abc eine Rolle spielt, sind sehr zahlreich; darin wird manchmal der allumfassende Charakter des Alphabets betont, manchmal die Wichtigkeit des Abc als Grundlage des Lernens und manchmal die strenge, unabänderliche Reihenfolge der Buchstabenordnung. Das Abc einer Sache (Wissenschaft) lernen: die Anfangsgründe, von Grund auf lernen. Bilder-Abc 37
Abend Das Abc ist der Anfang allen bewußten Lernens überhaupt und steht darum vergleichend für die Anfänge, die einfachsten Grundlagen jedes Wissensgebietes, z.B. ,das Abc der Geometrie1 ; ,,daß Newton erst hier bemerkt, was zu dem Abc der prismatischen Erfahrungen gehört“ (Goethe, Ausg. letzter Hand, Bd. 59, S. 157). Negativ gewendet: Der kennt nicht einmal das Abc( oder: Der kann nicht einmal A sagen): er kann gar nichts; der versteht davon soviel wie eine Kuh vom Abc: nichts; dein Abc verstehe ich nicht. Übertr.: einem das Abc auf sagen: seine ganze, uneingeschränkte Meinung sagen. Bereits aus dem 16.Jh. bezeugt ist die Rda. einen durchs Abc loben (oder preisen), etwa so: a) er ist gescheit, b) er ist fleißig, c) er ist liebenswürdig usw.; scherzhaft fügt man wohl auch hinzu: ,beim X werde ich anfangen1. Von A bis Z: vom Anfang bis zum Ende, z. B. ,Die Geschichte ist von A bis Z erfunden4 (/tz). Die Rda. stammt aus dem schulischen Elementarunterricht ebenso wie die Wndg. Wer A sagt, muß auch B sagen; sie ist schon in der ,Zimmerischen Chronik4 (IV, 194) bezeugt. Ähnl. Das A ist nicht so schwer wie das Z. Das paßt in mein Abc nicht rein: es paßt nicht zu meinen Vorstellungen. Im griech. Alphabet ist A der erste und O (Q) der letzte Buchstabe; daher stammt die Rda. das A und O von etw. sein: Anfang und Ende, alles bei einer Sache sein; vgl. Offenb. 1,8. Ein Abc-Schütze sein: ein Schulanfänger. Schütze bez. schon im frühen 15. Jh. den Anfänger im Lernen. Die Übers, des lat. ,tiro4 = Rekrut, Neuling wurde wohl irr- tüml. mit dem ital. ,tirare4 und dem frz. ,tirer4 = schießen in Zusammenhang gebracht. Abend. Es ist noch nicht aller Tage Abend: die letzte Entscheidung ist noch nicht gefallen. In Luthers Briefen steht: ,,Ists doch noch nicht aller Tage Abend, so sind noch zwölf Stunden des Tages, es kann ja nicht immer wolkig seyn und Regen44. Die Rda. wird heute sowohl zum Trost als auch in der Drohung gebraucht. Es ist indessen fraglich, ob sie auf das lat. Zitat (Livius XXXIX, 26,9) ,,Nondum omnium dierum solem occidisse44 zurückgeht (vgl. auch das Sprw. ,Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben4). Er kann mich am Abend (besuchen)! Die Rda. bedeutet eine derbe Abweisung. Abend steht verhüllend für das tabuierte Wort /,Arsch4, und dementsprechend steht besuchen für Jecken4; etwa seit dem Ende des 19. Jh. gebräuchlich. Die Wndg. Was machen wir mit dem angebrochenen Abend? ist als Euphemismus für ,späten Abend4 oder,Mitternacht4 1911 für Berlin belegt. Um die Wirkung durch den Kontrast zu steigern, ist auch die Frage ,Was machen wir mit dem angebrochenen (angerissenen) Vormittag?4 am späten Abend gebräuchlich. Abendmahl. Das Abendmahl auf etw. nehmen; diese Beteuerungsformel hat ihren Urspr. in den Gottesurteilen (Ordalien) des MA. Man glaubte die Schuld oder Unschuld eines Verdächtigten dadurch erweisen zu können, daß man ihm eine geweihte Hostie (,Abendmahlsprobe4), auch ein Stück trockenen Brotes oder dürren Käses (,Probebissen4) in den Mund steckte. Konnte der Beschuldigte den Bissen leicht hinunterschlucken, so galt er für unschuldig, dagegen für schuldig, wenn ihm der Bissen im Halse steckenblieb oder wenn er ihn wieder von sich geben mußte. Die Abendmahlsprobe wurde insbesondere für Geistliche im Jahre 868 unter dem Namen ,purgatio per sanctam Eucharistiam4 eingeführt, bei der der Beschuldigte die Worte sprach: ,,corpus Domini sit mihi ad probationem hodie44. In Zusammenhang mit diesem Ordalbrauch stehen auch andere Wndgn. und Beteuerungsformeln wie: ,Daß mir das Brot im Halse steckenbleibe!4 und ,Ich will mir den Tod an diesem Bissen essen!4 Vgl. auch ,Gift auf etw. nehmen4 (/Gift); ,für jem. durchs Feuer gehen4 und ,die Hand dafür ins Feuer legen4 (/Feuer). Lit.: Jac. Grimm: Rechtsaltertümer II, S.597; Richter- Weise, Nr. 1; H. Nottarp: Gottesurteile (Bamberg 1949); Ebel, S.5; L. Röhrich u. G. Meinet: Reste mittelalterlicher Gottesurteile in sprichwörtlichen Redensarten, S.342L Aber. Das Aber wird in mehreren Rdaa. verwendet; so sagt man: Da ist ein Aber dabei, jede Sache hat ihr A ber: ihre Schwierigkeiten, oder Kein Mensch ist ohne Aber: 38
Abgefeimt ohne Fehler. Der Sinn stimmt in allen Rdaa. überein: gegen alles und jeden gibt es einen Einwand. Bes. häufig ist die Verbindung von Wenn und Aber. Überall in Dtl. kennt man den Reim ,Haber - Wenn und Aber1, der sich auch bei G. A. Bürger findet (1815): Ha, lachte der Kaiser, vortrefflicher Haber, Ihr füttert die Pferde mit Wenn und mit Aber. Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht, Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht. Ein Ab er eben haben: eine kleine Schwierigkeit haben, ist nur in der obersächs. Mda. (Müller-Fraureuth) belegt. Vgl. auch Goethe: Ein Aber dabei. Es wäre schön, was Guts zu kauen, Müßte man nur nicht auch verdauen; Es wäre herrlich, genug zu trinken; Tät einem nur nicht Kopf und Knie sinken; Hinüber zu schießen, das wären Possen, Würde nur nicht wieder herübergeschossen; Und jedes Mädchen wär gern bequem, Wenn nur eine andre ins Kindbett käm. (Hamburg. Ausg. I, 313) abern: Einwände erheben. Alle Wndgn. sind seit dem Ausgang des 18. Jh. belegt. abfahren. Bald abfahren müssen: derber Ausdr. für sterben, /zeitlich. Jem. ab fahren lassen: ihn abweisen, meist auf den unerwünschten Freier bezogen, /Abfuhr. Den Zug nicht abfahren lassen: die letzte Gelegenheit nicht verpassen. Die Rda. begegnet in der Form einer Warnung ,Laß den Zug nicht abfahren!4 und als Feststellung ,Der Zug ist bereits abgefahren4, womit die Unwiderruflichkeit eines Geschehens ausgedrückt werden soll. Abfall, abfallen. Abfälle beziehen: auf den Kopf geschlagen, verprügelt werden, ist vor 1900 aufgekommen und bes. in Süddtl., der Pfalz, in Hessen und dem Saarland üblich. Die Rda. geht vielleicht auf jidd. ,ophel‘ = Beule zurück (Wolf I, S. 31). Jem. abfallen lassen: einen schroff abweisen, ihm seine Gunst entziehen. Gegen etw. (jem.) abfallen: im Wert Zurückbleiben, von geringerer Qualität sein, in seiner Leistung nachlassen. Die Wndg. Jem. ist ab gefallen bedeutet entweder: er hat seine Freunde verlassen, einen Vertrag gebrochen, oder: er ist sehr abgemagert, verkürzt aus der Rda. ,vom Fleisch fallen4. Für jem. etw. abfallen lassen: einem anderen etw. zukommen lassen. Abfuhr. Jem. eine Abfuhr erteilen: ihn abweisen, sein Ansinnen energisch zurück- weisen. Eifie (schwere) Abfuhr erleiden: eine Niederlage, Ablehnung hinnehmen müssen. Der Ausdr. kommt von ,abführen4. Bei der student. Mensur wird ,abgeführt4. abgebrannt. Abgebrannt sein: (durch Brand) verarmt, mittellos (geworden), ohne Geld sein; bez. im 16. Jh. zunächst ganz wörtl. einen, dessen Haus durch Feuer zerstört ist. In der Soldatensprache des Dreißigjährigen Krieges erweiterte sich die Bdtg. zu ,verarmt4. Bei Moscherosch (,Gesichte Philanders4, 1640, hg. v. Bobertag, S.314) heißt es: ,,Vnderwegs stieße vns auff ein gut Gesell, den ich wol kante, der beklagte sich, daß er Abgebrant war, das ist nach der Feldsprach so viel, als daß er vmb alles kommen vnnd erarmet war, daß er alles zugesetzt vnnd verlohren hatte44. Von da geht die Wndg. in der Bdtg. ,ohne Geld4 in die Studentensprache über. Gelegentlich tritt sie auch lit. auf; so heißt es im 8. Buch von Goethes ,Dichtung und Wahrheit4: ,,Da er es (das Geld) ablehnen wollte und mit einiger Schalkheit zu verstehen gab, daß er nicht so abgebrannt sei, als es aussehen möchte44. Die sprw. Sentenz Dreimal umgezogen ist so gut wie einmal ab gebrannt Wird als Zitat auf einen Ausspruch Benjamin Franklins zurückgeführt, findet sich aber auch in dt. Mdaa. /Brandbrief. abgedroschen /Stroh. abgefeimt. Abgefeimt sein: in allen Schlechtigkeiten erfahren sein. Abfeimen bedeutet urspr. den Schaum entfernen, der 39
Abgehen das Unreine, Überflüssige enthält. Sachlich und bedeutungsgeschichtl. ist der Ausdr. verwandt mit ,raffiniert4 oder ,gerieben4 und war schon zur Lutherzeit bekannt (Küpper I, S. 33). In der Rda. Jem. gehört zum Abschaum der Menschheit4 ist die alte Verwendung von ,feim4 = Schaum bewahrt. Da das Wort heute nicht mehr verstanden wird, mußte es ersetzt werden. abgehen. Etw. geht gut ob (/’ablaufen): es verläuft glücklich. Urspr. ein Ausdr. der Schützensprache, der sich auf das Abschießen von Feuerwaffen und die Explosion von Sprengkörpern bezieht. Abgehen wie warme Semmeln: sich leicht verkaufen lassen, /Semmel. Das geht mir (ihm) ab: dafür fehlt mir das Verständnis (ihm fehlt jedes Einfühlungsvermögen). Die Rda. ist seit 1900 bes. in Norddtl. üblich. Sich nichts abgehen lassen: sich alles leisten, was man möchte, selbst wenn es auf Kosten anderer oder der Familie geschieht; egoistisch nur auf das eigene Wohl bedacht sein. Lit.: Küpper II, S. 39; Friederich, S.512. abgemacht. Abgemacht, Seife!: abgemacht, einverstanden! ,Seife4 meint hier nicht das Waschmittel, sondern ist in der berl. Form ,Seefe4 auf frz. ,c’est fait4 zurückzuführen, das volksetymol. umgedeutet wurde; seit der 2. H. des 19. Jh. für Berlin bezeugt. Gleichbedeutend ist Abgemacht!Sela!(aus frz. ,c’est la4). Es ist allerdings auch eine andere Ableitung denkbar. ,Sela4 kommt nämlich als formelhafte Wndg. am Ende eines Abschnittes und zur Bez. eines Zwischengesanges in den Psalmen insgesamt 71 mal vor, zuerst Ps.3,3, wie in Habakuk 3, 13, /Sela. Lit.: Küpper I, S.33; Biichmann, S. 38; RGG. IV, Sp. 1204. abgeschnitten. Dreimal abgeschnitten und noch immer zu kurz: viel zu kurz; viel zu lang; noch immer nicht in der gewünschten Form. Die Rda. ist ein Wortwitz und beruht eigentl. auf einem gedanklichen Kurzschluß, auf einer psychologischen Fehlleistung (KüpperI, S.33). Es war plötzlich wie abgeschnitten: etw. hört auf unerklärliche Weise plötzlich auf, z.B. eine Unterhaltung, /abschneiden. abkanzeln. Einen abkanzeln: ihn zurechtweisen, ausschelten; urspr. ein kirchlicher Fachausdr. für ,von der Kanzel herab verkündigen4 (Aufgebote u.a.). Im 18. Jh. wurde ,abkanzeln4 dann im Sinne der Sittenpredigt, des öffentl. Tadels in die Gemeinsprache übernommen. Dem gleichen Anschauungskreis entstammen auch die Rdaa.:,einem eine Strafpredigt halten4 und ,die /Leviten lesen4. abkaufen. Dem muß man jedes Wort vom Munde abkaufen: er ist schwer zum Reden zu bringen; mdal. bes. obersächs. Jem. etw. abkaufen: seiner Behauptung oder Zusicherung glauben. Diese Rda. wird häufiger in der Negierung gebraucht, wie z.B. Das kaufe ich dir nicht ab oder: Das kauft ihm niemand ab, und ist in ganz Dtl. geläufig. Im gleichen Sinne wird verwendet: ,jem. etw. abnehmen4. abklappern. Alles (bereits) abgeklappert haben: überall nachgefragt haben, auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand in allen Geschäften gewesen sein. Die Wndg. wird meist als Entschuldigung gebraucht, wenn die Mühe vergebens war oder wenn der Erfolg lange auf sich warten ließ. Daneben ist die Rda. die ganze Stadt nach etw. abgeklappert haben gebräuchl., wobei der Bezug zum Urspr. der Wndg. völlig vergessen worden ist. Der Ausdr. ,abklappern4 stammt aus der Jägersprache. Bei der Jagd wurde das Wild mit Holzklappern aus seinen Verstecken aufgescheucht, /Busch. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.314. abklavieren. Sich etw. abklavieren können: etw. mühelos begreifen; gemeint ist: an den Fingern abzählen, denn ,klavieren4 ist das nervöse Trommeln mit den Fingern. Die Rda. ist seit dem 19. Jh. bekannt, /Arsch. Ablaß. Ablaß nach Rom tragen: etw. Überflüssiges tun; gleichbedeutend Schweiz. ,Ablaß in Bern holen und kein Geld mitbringen4; vgl. ,Eulen nach Athen tragen4 (/Eule). 40
Abraham ablaufen. Einen ablaufen lassen: ihn zu nichts kommen lassen, ihm kein Gehör schenken. Urspr. ein Ausdr. aus der Fechtersprache. Für den Fechter kommt es darauf an, den gegnerischen Hieb an der eigenen Klinge ablaufen, d.h. abgleiten zu lassen. Aus demselben Bildbereich kommt auch die Rda. etw. läuft gut (oder schlecht) ab. Urspr. wurde sie nur negativ gebraucht. Vielleicht gehört in denselben Zusammenhang die Rda. An dem läuft alles ab: bei ihm sind alle Ermahnungen fruchtlos, wenn man auch heute dabei meist an einen Regenguß denkt; vgl. ,dastehen wie ein begossener /Pudel', was ja ebenfalls von einem Ausgescholtenen gesagt wird. In diesem Sinne wird die Rda. nämlich schon 1649 bei Gerlingius (Nr. 46) gedeutet: ,,Asinus compluitur. Ein Esel lasset sich alles beregnen, und achtet es nicht, das ist, Er gibt auff keine schelt- oder dräu-wort. Er ist so naß, als er werden mag. Wann ich den Rock schüttele, so fället es alles ab4'. Sich die Schuhe ablaufen ist die einfachste Form aus einer ganzen Reihe von Rdaa., die alle bedeuten: keinen Weg, keine Mühe scheuen. In komischer Steigerung heißt es ferner: ,sich die Füße (die Hacken, die Beine, den Arsch) ablaufen4, ,sich den Herzbändel abrennen' oder ,dem Teufel ein Ohr ablaufen'. Sich die Hörner ablaufen /Horn. Jem. den Rang ablaufen /Rang. Abraham. Wie in Abrahams Schoß sitzen: wie in der Seligkeit, wie im Paradies, in sehr guten Verhältnissen leben; ohne Sorgen, glücklich sein. Im bibl. Gleichnis vom ^eichen Mann und dem armen Lazarus' (Luk. 16,22) wird Lazarus von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Die jüdische Legende hat die Abrahamsgeschichten der Genesis noch um viele Züge bereichert und dem Abraham dabei z.T. geradezu göttliche Funktionen zugeschrieben. Zu seinem Grabe hat sich eine Wallfahrt entwickelt. Eschatologisch ist der Glaube an die Verdienste Abrahams für die Frommen, die hoffen, mit Abraham zu Tisch liegen (Matth. 8,11) oder in Abrahams Schoße ruhen zu dürfen. Vgl. engl.,Abraham’s bosom4; frz. ,le Sein d’Abraham4 und ital. ,il ,In Abrahams Schoß sitzen' Seno di Abramo4. Unter Bezug auf die genannten Bibelstellen spielt die Rda. auch in der geistlichen Lit. eine Rolle. Am bekanntesten ist der 3. Vers von Martin Schallings (1532-1608) ev. Kirchenlied ,Herzlich lieb hab’ ich dich, o Herr4, den J. S. Bach an den Schluß seiner Johannespassion gesetzt hat: Ach Herr, laß dein lieb’ Engelein Am letzten End’ die Seele mein In Abrahams Schoß tragen. In der Kapuzinerpredigt (Schiller: Gallensteins Lager4, 8. Auftr.) wird gefragt: ,,Quid faciemus nos? Wie machen wir’s, daß wir kommen in Abrahams Schoß?" In der Wndg. in Abrahams Schoß eingehen: euphemist. Umschreibung für sterben (/zeitlich), klingt die religiöse Bdtg. noch an. Aber sonst wird in der heutigen Volkssprache die Rda. oft nicht mehr auf die ewige Seligkeit, sondern ganz säkularisiert und materialistisch nur noch auf die wirtschaftliche Geborgenheit bezogen. Das Kinderspiel von der ,goldenen Brücke4, in dem sich das gefangene Kind für Himmel oder Hölle, für Engel oder Teufel entscheiden muß, hat die ma. Vorstellung von Abrahams Schoß in der Alternative zwischen Himmel und Hölle bewahrt. Das Kind, das als ,Engel4 gilt, wird auf den verschränkten Armen der Brückenwächter gewogen mit dem Vers: „Wir wiegen (tragen) den Engel in Abrahams Schoß44. Das Spiel war bereits im 16. Jh. bekannt und 41
Abschied wird durch Rabelais, Geiler von Kaisersberg und Joh. Fischart lit. bezeugt. Lit. Belege über die Rda., die sich auf Volksdichtung und Volkssprache auswirkten, finden sich vor allem in der ,Legenda Aurea" des 13. Jh., wo der sterbende Bischof Martin von Tours den Teufel voller Überzeugung abweist: ,,Ich werde kommen in Abrahams Schoß“, in der Straßburger Chronik" um 1400, wo im Zusammenhang mit Christi Abstieg zur Vorhölle vom ,synus Abrahae" die Rede ist und im Aisfelder Passionsspiel (um 1500). Durch spätere Schuldramen und Volksschauspiele über den reichen Prasser und den armen Lazarus wurden die alten Vorstellungen von Abrahams Schoß weit verbreitet. Auch in die Mdaa. ist die bibl. Wndg. eingedrungen, z.B. sagen Seeleute, die in der Mecklenburger Bucht einen guten Ankerplatz gefunden haben, voller Befriedigung: ,Nu liggen wi, as wenn wi in Abrahams Schot liggen". Wenn jem. eine günstige Heirat in Aussicht hat, sagt man von ihm: ,Denn kriggt he dat bi ehr so gaut, as set he in Abrahams Schot" (Mecklenb. Wb.I, Sp.43). Auch ost- und westpreußische Rdaa. umschreiben das Gefühl sicheren Geborgenseins: ,He huckt (sloapt) wie en Abrahams Schoot". In Anlehnung an Joh. 8,57f. bedeutet ndd. ,He hett all Abraham seen": nicht mehr jung und unerfahren sein, die Fünfzig überschritten haben; vgl. ndl. ,Abram ge- zien hebben". Das Gegenteil bedeutet die Redensart,Damals warst du noch in Abrahams Wurstkessel": du warst noch nicht geboren. Lit.: Büchmann, S.80; RGG. I, Sp. 68-71; M.Hain: „In Abrahams Schoß“. Eine volkskundliche Skizze zu einem großen Thema, in: Festschrift Matthias Zender - Studien zu Volkskultur, Sprache u. Landesgeschichte, hg. v. Edith Ennen u. Günter Wiegelmann, Bd. I (Bonn 1972), S. 447-454. Abschied. Seinen Abschied nehmen: aus dem Dienst ausscheiden, bes. von Soldaten und Beamten gesagt. Es gibt eine Reihe von Rdaa., die bedeuten, daß jem. verschwindet, ohne sich anständig zu verabschieden, ohne seine Schulden zu bezahlen oder seinen sonstigen Verpflichtungen nachzukommen. So sagt man ober- sächs. ,den Abschied hinter der Tür neh¬ men", schwäb. französisch Abschied nehmen", ostpr. ,polnisch Abschied nehmen" oder auch ,einen stumpfen Abschied nehmen". Allg. verbreitet ist der gleichbedeutende rdal. Vergleich: Er nimmt Abschied wie der Teufel - mit Gestank. Nach dem Volksglauben hinterläßt der /Teufel, wenn er durch ein heiliges Wort oder Zeichen verscheucht wird, einen entsetzlichen Schwefelgestank. Die Rda. ist alt; bei Seb. Franck (1541) findet sich: ,,Der Teufel läßt stets einen Gestank hinter ihm"". Dazu gibt Seb. Franck folgende Erklärung: „Man nennt ein bösen Geruch ein stinkend Gummi, Teufelsdreck, zum Zeichen, als sei des Teufels Ausfahrt und Abschneiden nicht gut. Es wird auch von unehrlichen Leuten gesagt, die sich übel letzen, und im Abschied Unehr nach sich verlassen, alsdann spricht man: Sie haben einen Gestank hinter ihnen gelassen und sich daraus gemacht“. abschneiden. Da könnte sich mancher andre eine Scheibe (auch: ein Stück) davon abschneiden: daran sollte man sich ein Beispiel nehmen. Die Wndg. ist anerkennend gemeint, während die Aufforderung: Da kannst du dir eine Scheibe von abschneiden! einen gewissen Tadel enthält. Diese junge Rda. ist in Mitteldtl. bes. häufig. In einer Sache (Prüfung) gut abschneiden: ein gutes Ergebnis erzielen. Absehen. Sein Absehen auf etw. richten; es auf etw. oder auf jem. abgesehen haben: etw. bezwecken, jem. treffen, verletzen, angreifen wollen, aber auch jem. heiraten wollen. Absehen (auch Absicht) hieß die Kimme (kleine Kerbe) am Visier des Gewehrs. Bei Wallhausen ,Kriegskunst zu Fuß" (1618, S. 38) heißt es: „Ehe du Feuer gibst, bringest du den Kopf zum Absehen der Muskete"". Im selben, eigentl. Sinn auch in Grimmelshausens ,Simplicissimus": „Dieser Corporal hätte . . . mehr ermeld- ten Printz fleissig im Gesicht und vor seinem Absehen behalten"": mit der geladenen Büchse an der Wange, um sofort auf ihn abdrücken zu können. Ebenso noch bei Gottsched: „Jede Scheibe hat nur einen Zweck (d.h. Ziel), nach welchem viele zielen durch ihre Absichten"". Aus dem wörtl. 42
Abwesenheit Sinne von ,Visier' wird ,Absicht', dann im übertr. Sinne ,Richtung des Geistes auf etw.\ So schon 1721 bei J. Chr. Günther (Sämtl. Werke 4,243): „doch hab ich schon so manchen Freyer, Ohn Absicht einem zu gefallen, genau und sinnreich ausstudirt". Seit Lessing findet sich ,Absicht' nur noch in der uns heute geläufigen übertr. Bdtg. Es ist noch an kein Absehen zu denken: das Ende einer Sache ist noch nicht zu erkennen (zu erwarten). abspeisen. Einen abspeisen: sich jem. gegenüber geizig zeigen, jem. eine unbefriedigende Antwort geben, einer Bitte in unbefriedigender Weise entsprechen, jem. unverrichteter Dinge wieder gehen lassen, abfertigen. Wahrscheinl. bezieht sich die Rda. auf einen alten, aber bis heute üblichen Brauch bei der Brautwerbung. Der Freier, der das Einverständnis seines Mädchens bereits besitzt, erhält die endgültige Antwort, ob er auch ihrer Familie willkommen ist, bei einer gemeinsamen Mahlzeit. Eine bestimmte Speise, die ihm gereicht wird, gilt als Symbol der Aufnahme in die Familie oder als Abweisung. Diese Speisen haben in verschiedenen Landschaften oft sogar entgegengesetzte Bdtgn. So spielt z. B. in der Schweiz der meistens viele Jahrzehnte aufbewahrte ,Familienkäse' eine wichtige Rolle. Nur bei besonderen Anlässen wird von ihm gegessen. Darf auch der Freier von ihm kosten, ist er damit symbolisch in die Familie aufgenommen worden. Dagegen lehnt man in Hessen und auf dem Hunsrück einen Freier ab, wenn man ihn statt mit Wurst und Schinken nur mit Käse ,abspeist'. Meistens bedeutet in Dtl. und Oesterr. ein Gericht mit Eiern eine gute Antwort, Bayern kennt dafür sogar den Ausdruck Ja-Gerichte^, in Frankr. jedoch gelten gekochte Eier als Symbol einer Absage, da sich die Lebenskeime, die die Eier enthielten, ja nun nicht mehr entwickeln können. Tischte man in Oldenb. Rüben oder Kartoffeln, in Thür. Wurst, im südl. Westfalen ein geschmiertes Butterbrot oder im Nassauischen Zwetschgenmus auf, bedeutete dies eine unzweifelhafte Absage. Der Freier wurde also einfach ,abgespeist4, Begründungen und Erklärungen hielt man für überflüssig. Daß die jungen Leute damit nicht immer einverstanden waren, zeigt die Äußerung: Ich lasse mich doch nicht einfach abspeisen!, die heute meistens in übertr. Bdtg. (mit Worten abspeisen) gebraucht wird. Auch ein Zusammenhang mit der früher üblichen Armenspeisung ist denkbar. Lästige Bittsteller wurden zwar gespeist, aber danach sofort weggeschickt. Die Rda. ist bereits im 16. Jh. gut bekannt, Kirchhoff gebraucht sie im ,Wendunmuth‘: „hinfurter woher keinen armen mehr so schmal abspeisen“, und auch Hans Sachs ist sie nicht fremd. Bei J. E. Schlegel finden wir: ,,Glauben Sie nicht, daß ich mich mit einer solchen Antwort abspeisen lasse“ (Werke, ed. J. H. Schlegel, 1761-70, II, 374); ähnl. bei Goethe: „Da wollt er mich mit leeren Worten abspeisen“. In Schlesw.-Holst, sagt man von einem, der seinem Gast weder Essen noch Trinken an- geboten hat: ,De hett mi mit drögen Mund af spiest'. Lit.: P. Sartori: Sitte und Brauch, TeilI (Leipzig 1910), S. 53 f.; H. Bächtold:Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz (Basel 1914), S. 41 ff.; B. Denecke: Hochzeit (München 1971), S. 7ff. abtakeln. Abgetakelt sein: ungepflegt aus- sehen; alt und gebrechlich geworden sein. In der Seemannssprache wendet man abtakeln auf ein Schiff an, das nicht mehr seetüchtig ist und daher aus dem Dienst gezogen wird; die Wndg. ist seit dem 19. Jh. üblich. abwarten. Die Rda. Abwarten und Tee trinken!, mit der man einen Ungeduldigen beruhigt und zu geduldigem Warten auffordert, ist seit der 2.H. des 19. Jh. belegt. Die Rda. gehörte urspr. vielleicht einmal in den Mund eines Arztes, der seine Patienten ermahnte, die Weiterentwicklung der Krankheitszeichen abzuwarten und vorerst Kräutertee zu trinken. Vielleicht ist auch an die Berliner lit. Salons der Biedermeierzeit zu denken, in denen der Tee erst zu vorgerückter Stunde gereicht worden sein soll. Lit.; H. Meyer: Der richtige Berliner in Wörtern und Rdaa. (10. Aufl. München 1965). Abwesenheit. Durch (seine) Abwesenheit glänzen: abwesend sein. Im alten Rom war 43
Ach es Sitte, bei Leichenbegängnissen die Bilder der Vorfahren (.imagines maiorum1) der Leiche voranzutragen. Nun berichtet Tacitus in den ,Annalen' (3. Buch, 76. Kap.), unter der Regierung des Kaisers Tiberius sei Junia, die Witwe des Cassius und Schwester des Brutus, gestorben und mit allen Ehren bestattet worden: ,,sed praefulgebant Cassius atque Brutus eo ipso, quod effigies eorum non videbantur". (Aber Cassius und Brutus leuchteten gerade dadurch hervor, daß ihre Bildnisse nicht zu sehen waren). Es war nämlich verboten, bei öffentl. Aufzügen die Bilder der Mörder Caesars zu zeigen. Dieses Taci- tus-Zitat hat Marie Joseph de Chénier (1764-1811) in seiner Tragödie ,Tibère4 (1,1) so wiedergegeben: ,,Brutus et Cassius brillaient par leur absence". (Brutus und Cassius glänzten durch ihre Abwesenheit). Das Zitatbewußtsein ist der Rda. verlorengegangen. In der Volkssprache ist nur noch die Bdtg. einer unecht-großartigen Umschreibung für Abwesenheit übriggeblieben. Die Rda. ist allerdings nur in der Umgangssprache üblich; mdal. fehlt sie völlig (dagegen rdal. frz.,briller par son absence'; ndl. ,schitteren door zijn afwezig- heid'). Lit.:Büchmann, S. 403; Küpper I, S. 37. ach. MitAch und Krach: noch gerade eben, mit knapper Not. Die Rda. ist seit dem 16. Jh. bezeugt und hat einen Bedeutungswandel durchgemacht; sie meinte zunächst: ,mit Ächzen und Krächzen' (mit Ach-Seuf- zen und Stöhnen). G. A. Bürger dichtet: Von Kling und Klang, von Ach und Krach Ward rund umher das Echo wach. Die Wndg. ist bes. in der Studentensprache beliebt, etwa auf das Bestehen eines Examens angewandt, und deshalb auch in scherzhaftes Lat. iibertr. worden: cum acho et cracho oder acho crachoque. Sie gehört zu den zahlreichen endreimenden Zwillingsformeln der dt. Sprache wie: ,unter Dach und Fach', ,mit Sack und Pack', ,ohne Saft und Kraft', ,Knall und Fall', ,Salz und Schmalz', ,außer Rand und Band', ,Sang und Klang', ,mit Rat und Tat', ,Habchen und Babchen', .Handel und Wandel', ,in Saus und Braus', ,mit Dreck und Speck', ,Weg und Steg', ,Krethi und Plethi', ,Stein und Bein', ,Freud und Leid', ,Glimpf und Schimpf', ,auf Schritt und Tritt', ,nach bestem Wissen und Gewissen', ,in Not und Tod', ,Lug und Trug', ,Gruß und Kuß', ,Gut und Blut',,Schutz und Trutz', ,in Hülle und Fülle', ,Würde und Bürde', ,dann und wann', schlecht und recht', ,de- und wehmütig', ,mein und dein', ,weit und breit', .pfiffig und kniffig', ,toll und voll', ,stumm und dumm', ,hüben und drüben', gehalten und walten', ,hangen und bangen', ,hegen und pflegen', ,sterben und verderben', .scheiden und meiden', .singen und klingen', .herzen und scherzen', .lügen und trügen', .rütteln und schütteln', .geschniegelt und gebügelt', .gerüttelt und geschüttelt', /Bausch und Bogen. Achillesferse. Einen an seiner Achillesferse treffen; das ist seine Achillesferse: die schwache, verwundbare Stelle eines sonst tüchtigen Menschen. Nach der griech. Sage tauchte die Meeresgöttin Thetis ihren Sohn Achilles, um ihn unverletzlich zu machen, in das Wasser des Styx; nur die Ferse, an der sie ihn hielt, blieb unbenetzt und daher verwundbar. Nach der 107. Fabel des Hy- gin (um 10 v. Chr.) tötete Apollo in der Gestalt des Paris den Achilles durch einen Pfeilschuß in die Ferse. Hier war die „Stelle, wo er sterblich war" (vgl. Schiller ,Don Carlos' 1,6). Die Rda. ist wohl z.Zt. des Humanismus aufgekommen, aber erst im Anfang des 19. Jh. lit. belegt (vgl. frz. ,1e talon d’Achille'; engl. ,the heel of Achilles'; ndl. .Achilleshiel' oder .Achillespees'). Achsel. Etw. auf seine Achseln (Schultern) nehmen: eine Sache und deren Folgen auf sich nehmen, die Verantwortung dafür übernehmen. Gleichbedeutend sind die Rdaa.: ,etw. auf seine /Kappe nehmen' und ,etw. auf seine Hörner nehmen' (/Horn). Etw. auf die leichte Achsel (Schulter) nehmen: etw. für leicht, unwichtig oder unbedeutend ansehen und deshalb vernachlässigen oder nicht beachten. Die Achsel selbst ist weder leicht noch schwer; .leichte Achsel' meint eigentl. die weniger tragfähige Schulter, auf der man nur leichtere Lasten zu tragen gewohnt ist. Nicht mehr 44
Acta im wörtl., sondern im bildl., zur Rda. gewordenen Sinn findet sich die Wndg. bereits seit frühnhd. Zeit, so in der ,Zimmeri- schen Chronik1 (II, S. 435): „Solchs gab graf Wilhalmen wenig zu schaffen, nams uf die leicht achsel und schluegs in wind“. Ähnl. schon im Lat. bei Horaz (Sat. 2, 3, 172): „sinu laxo ferre aliquid“ (eigentl.: etw. nachlässig im weiten Bausch (der Toga) tragen). Auf beiden Achseln tragen (mdal. z.T. noch erweitert, z. B. bad. ,auf zwei Achseln Wasser tragen'): es mit keinem (von zweien) verderben wollen, es mit beiden Parteien halten, wie ein Träger, der die Last bald auf die linke, bald auf die rechte Schulter schiebt. Die Rda. ist schon in den Kampfschriften der Reformationszeit ganz geläufig. Bei Valentin Holl (1525/26) wird von einer Frau gesagt: Wan sy kann lachen, wainen, wann sy will, Vnd schießen ferr vnd nach zum zil, Auff baiden achßlen tragen. Ähnl. in Murners ,Mühle von Schwindelsheim' (V. 595): Mit beyden achslen kan ich gigen, • Wo ich nit wil bieten Welsch figen. In einem makkaronischen Gedicht, das u. a. in der ,Zimmerischen Chronik' (IV, 21) bewahrt worden ist, wird von Nürnberg gesagt: Witz habuit Nürnberg, achsla tragavit utraque Rathschlegis vestris sensit in esse metum. Vgl. auch ,den /Mantel auf beiden Schultern tragen'. Das Schimpfwort ,Achselträger' für einen unaufrichtigen, schwankenden Höfling begegnet im Ausgang des 16. Jh. bei Nikodemus Frischlin und wurde im Sinne der heutigen Schelte Konjunkturritter' bald sehr beliebt. Einen über die Achsel ansehen: ihn mit geringschätzigem Blick (,Achselblick') ansehen, ihn verachten. Der früheste bekannte mhd. Beleg steht im Nibelungenlied (Str. 447), wo von Brünhild gesagt wird: ,,mit smielendem (lächelndem) munde si über achsel sach“. In Seb. Brants ,Narrenschiff' (1494) heißt es: ,,Man sicht den über die Achslen an“. Auch im Frz. ist die Rda. re¬ garder quelqu’un par-dessus l’épaule' geläufig (vgl. ndl. Jemand over de schouder aanzien', ,over zijne schouders zien'). Die dt. Mdaa. kennen noch mancherlei Varianten der Rda., z.B. Schweiz. ,Du hättest zuerst über deine Achsel sehen sollen', vor deiner eigenen Tür kehren sollen (1677 zum erstenmal belegt); bair. ,über die Achsel naus blasen', wobei die Andeutung des leichten Gewichtes die geringschätzige Meinung noch vermehrt; bair. ,über die Achsel naus!', ich denke gar nicht daran; ähnl. ,über die Achsel nüber', im Gegenteil (,Der ist nobel. - Ja, über die Achsel nüber'). Vgl. ,jem. die kalte /Schulter zeigen'. Mit den Achseln zucken: etw. mit Bedauern ablehnen; urspr. eine Reflexbewegung zu Abwehrund Selbstschutz; seit dem 17. Jh. als Rda. mit dem Sinn der Zurückweisung. Die Füße über die Achsel nehmen: die Beine unter den Arm nehmen (/Bein); mdal. bes. Schweiz, geläufig. Acht. Jem. (etw.) in Acht und Bann tun: jem. strengstens verurteilen, verdammen, etw. nicht zulassen, verbieten. Die Wndg. hat die Erinnerung an die früher bei bes. schweren Vergehen gleichzeitig verhängte Bestrafung durch Reichsacht und Kirchenbann bewahrt. Lit.: H. Siuts: Bann und Acht und ihre Grundlagen im Totenglauben, in: Schriften zur Volksforschung, Bd. 1 (Berlin 1959),S. 14ff., 112f„ 133f., 140ff.; Th. Bühlen Wüstung und Fehde, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 66 (1970), S. 1-27. Achte. Eine Achte bauen: vom Fahrrad stürzen. Der scherzhafte sprachl. Vergleich beruht auf der Beobachtung, daß beim Sturz sich das Vorderrad oft stark verbiegt und die Form einer Acht annehmen kann. Jem. achtkantig hinauswerfen: jem. mit aller Entschiedenheit abweisen, meist als Drohung ausgesprochen. Ackermann /Bauklotz. Acta. Etw. ad acta legen: auf eine Sache (vorderhand) nicht eingehen, sie unberücksichtigt lassen. Die Rda. stammt aus der lat. Amtssprache. Wenn sich eine Behörde auf ein eingegangenes Gesuch (Bittschrift, Beschwerde usw.) nicht einließ und keinerlei Beschluß darüber faßte, so ließ sie 45
Adam es mit dem Vermerk ,Ad acta!4 zu den in der Sache bereits vorhandenen Akten legen. Erst seit dem 18. Jh. in iibertr. Sinne gebraucht. Zum selben Bildbereich gehören die selteneren Rdaa. : von einer Sache Akt nehmen: (amtlich) Kenntnis davon nehmen, und Darüber sind die Akten noch nicht geschlossen: die Sache läuft noch. Lit.: Richter-Weise, S. 16. Adam. Den alten Adam ausziehen (auch ersäufen): ein neuer Mensch werden. In seinen Briefen (Röm. 6,6; Eph. 4,22; Kol. 3,9) spricht der Apostel Paulus von dem ,alten Menschen4 als dem Urheber der Sünde und des Todes und dem ,neuen Menschen4, d.h. dem in christl. Geist Neugeborenen. Dieser Gegensatz wurde im späten dt. MA. in Wort und Sitte volkstümlich, so daß z. B. in Halberstadt am Aschermittwoch ein armer Missetäter als ,AdanT (hebr. ädäm = Mensch) aus der Kirche gejagt wurde, während der Fastenzeit barfuß betteln mußte und an den Kirchentüren Speise erhielt, bis er am Gründonnerstag beim Abendmahl friedlich wieder aufgenommen und dann als gereinigt entlassen wurde, ein Reinigungssinnbild für die ganze Stadt (Repertorium librorum trium Ioannis Boemi de omnium gentium ritibus, Augsburg 1520). Der ,alte Adam4 begegnet uns schon in einem 465 verfaßten Gedicht des Sidonius Apollinaris (Opera, ed. Baret, Paris 1878, S.561) auf den Opfertod Christi, in dem Christus in der Menschwerdung angeredet wird: Expers peccati pro peccatoribus amplum Fis pretium, veteremque novus vice faenoris Adam, Dum moreris, de morte rapis. In der dt. Sprache ist die Wndg. erst durch Luther volkstümlich geworden. Während er in seiner Übers, des N. T. an den angeführten Stellen die Wndg. ,der alte Mensch4 gebraucht, spricht er in seinen sonstigen Schriften und bes. in seinen Predigten häufig vom ,alten Adam4, so schon 1518 in seiner Ausg. der ,Theologia Deutsch4, des Büchleins eines Mystikers aus der 2. H. des 14. Jh.: „Von rechtem Unterschied und Verstand, was der alt und neu Mensche sei, was Adam und was Gottes Kind sei, und wie Adam in uns ersterben und Christus erstehen soll44; in übertr. Anwendung auch 1524 in der Schrift ,Von Kaufshandlung und Wucher4: „Der Faulenzer alter Adam, der nicht gerne arbeitet, um sein Brot zu erwerben44. Bald wurde dann die Rda. den alten Adam ausziehen allg. (daneben auch der alte Adam regt sich: die Erbsünde, das alte Laster tritt wieder hervor). Der Hildesheimer Chronist Oldekop gebraucht gern die Wndg. „unsen olden Adam ca- stien44 (kasteien); Chr. Lehmann schreibt (1639, Entschuldigen 13): „Das ist die alte Adams Rhethoric, daß man die Schuld Gott oder andern Menschen gibt44; (Gleiß- nerei 105): „Viel seynd der Meinung, es könne niemand in Himmel kommen, als in einer Mascarad von Lambspeltz, sonst so einer in seiner alten Adamshaut dem alltags Kleid dahin kömmt, der werde in die eusserste Finsternüß geworffen!44 Jean Paul (,Quintus Fixlein4): „Der Mensch denkt hundertmal, er habe den alten Adam ausgezogen, indes er ihn nur zurückgeschlagen, wie man die Unterschwarte des Schinkens zwar unterhöhlet und aufrollet, aber doch mit auffsetzt und noch dazu mit Blumen garniert44. Bekannt sind die Verse in Mörikes ,Fußreise4 (1827): So fühlt auch mein alter, lieber Adam Herbst- und Frühlingsfieber . . . Also bist du nicht so schlimm, o alter Adam, wie die strengen Lehrer sagen. Dem bibl. Urspr. der Rda. entspricht es, daß sie auch in den anderen europ. Sprachen vorhanden ist; vgl. frz. ,dépouiller le vieil Adam, le vieil homme4; engl. ,to lay aside (to shake off) the old Adam4, ,to put off the old man4; ndl. ,de oude Adam afleg- gen4, ,Adams rok uittrekken4. Der Spruch: Als Adam grub und Eva spann, Wo war denn da der Edelmann? zeigt keine direkte Übernahme aus der bibl. Erzählung; dort (Gen. 3,19-23) wird nur die Verweisung Adams zur Bebauung der Erde ausgesprochen. Das Spinnen Evas weist auf außerbibl. jüd. Legenden hin, die noch bis über das MA. hinaus weiterüberliefert wurden und auch in der bildenden Kunst seit dem 12. Jh. ihren Niederschlag fanden. Lit. tritt der Spruch zuerst in Engl. 46
Adam ,Als Adam grub und Eva spann auf, und zwar anläßlich des von Wat Tyler geführten Bauernaufstandes von 1381. Der in der Gegend von London versammelte Bauernhaufe holte einen wegen Irrlehren eingesperrten Priester namens John Ball aus dem Gefängnis. Als Text zu seiner Predigt nahm er den Spruch: Whan Adam delf and Eva span, Who was than a gentleman. Dementsprechend war der Inhalt der Predigt gegen die gesellschaftliche Ungleichheit gerichtet und der Ausgangspunkt schwerer Ausschreitungen. Von nun an taucht der Vers bald als Spruch, bald als Liedstrophe, bald als Rda. immer wieder auf. In Dtl. bringt sie der Bauernkrieg von 1525 wieder in Erinnerung. In seinem ,Weltbuch1 schreibt Seb. Franck (1534): Wo oder wer war der Edelmann, Da Adam reutet und Eva spann? Am Ende des 17. Jh. setzt sich Abraham a Sancta Clara mit der Rda. in Judas der Ertzschelm4 (1692) auseinander: ,,Als Adam ackerte und Eva spann, wer war dann damal ein Edelmann? Niemand, sondern derselbige, welcher herrliche Tugenden und vor anderen heroische Taten erwiesen hat, ist adelich genennt worden“. In der ,Totenkapelle1 (1710) dagegen geht er - oder sein Nachfolger Joh. Valentin Neiner - nur auf das in der Rda. enthaltene Motiv vom Spinnen der Eva ein: ,,Ob sie einen klaren oder groben Faden gesponnen, ist schwer zu erraten; sie ist nicht wissend, wer sie spinnen gelehret, und ob sie es den Spinnen oder Seidenwürmern abgespitzt habe. Ich habe zwar in keiner Kunstkammer, auch unter keinem Heiligtum dergleichen Rarität (nämlich Evas Spinnrocken) angetroffen“. In diesen barocken Wiener Belegen zeigt sich das Harmlos¬ werden des Spruches, seine Abwendung von der revolutionären Haltung. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Rda. im Wiener Rokoko in recht heiteren Zusammenhängen auftritt. Phil. Hafner (1764) widmet ihr sogar eine Strophe seines Liedes ,Die Sprichwörter1: Als Adam hackt und Eva spann, Wo war damals der Edelmann? War Adam denn nicht auch Baron, Fragt eines reichen Vaters Sohn. Und manches Fräulein hört man sagen, Das ist allein, was mich verdriesst, Daß Eva nicht Salopp getragen, Da sie doch unsre Mutter ist. Das Wiederaufleben des Zweizeilers im 20. Jh. ging vom Lied der Jugendbewegung aus. 1923 war das Lied ,Wir sind des Geyers schwarze Haufen4, das unsere Strophe enthält, in das Liedgut des Wandervogels eingeführt worden. Die geistige Grundlage der Rda. geht aus ihrer Geschichte hervor. Der schwer bedrängte Bauernstand berief sich im Anschluß an die theologischen Bewegungen des 14. Jh. auf einen sozialen Urzustand der Gleichheit aller Menschen. Für die häretische Theologie handelte es sich dabei um die Gleichheit vor Gott, für den Bauern jedoch um eine Gleichheit aufgrund der Arbeit. Die spruchmäßige Ausdrucksform schließt in erstaunlicher Schlagkraft beide Gedankengänge zusammen, die theologische Begründung wie die gesellschaftskritische, revolutionäre Folgerung. Im Adamskostüm gehen: nackt herum laufen (auf Männer bezogen). Surrealistischwitzig wird die Nacktheit als eine andere Form von Bekleidetsein aufgefaßt. Die Wndg. ist in Dtl. seit Anfang des 20. Jh. bekannt, aber auch in anderen Sprachen geläufig (vgl. frz. ,1’habit du père AdanT; engl. ,in Adam’s suit4; ndl. ,in Adamskleren4, ,in Paradijskostuum4). Ganz außer Adam sein: atemlos, eine seit 1900 geläufige Wortwitzelei, die auf der Lautähnlichkeit zwischen Adam, Odem und Atem beruht. Bei Adam und Eva anfangen: in einer Rede weit ausholen, vom ersten Anfang an beginnen. Von Adam und Eva abstammen: uralt, altmodisch sein. 47
Ader Die Rda. wird auf Gegenstände, aber auch auf überholte Ansichten bezogen. Nach Adam Riese /Riese. Lit.: J. Kirchner:D\t Darstellung des ersten Menschenpaares in der bildenden Kunst (Stuttgart 1903); L. Schmidt: Als Adam grub und Eva spann, in: Das dt. Volkslied, 46 (1944), S.36-40; W. Steinitz: Dt. Volkslieder demokratischen Charakters (Berlin 1954), S. 9-11; Küpper 1, S.37; Büchmann, S. 88 f., 94f.; Friede- rich, S.306; L. Röhrich: Adam und Eva. Das erste Menschenpaar in Volkskunst und Volksdichtung (Stuttgart 1968). Ader. Es ist keine gute Ader an ihm: er taugt ganz und gar nichts. Die Adern galten von der Antike bis ins MA. vielfach als Sitz des Seelen- und Gemütslebens (daher wohl auch frz.,veine' = Ader und Glück; mauvaise veine' = Unglück). Man glaubte, im Menschen seien gute und böse Adern vereinigt, daher sagt man bis heute von einem bösen Menschen; ,Es ist keine gute Ader an ihm' und rühmt von einem vortrefflichen: ,An dem ist keine falsche Ader'. In den niederoesterr. ,Flinserln' Joh. Gabr. Seidls (1828ff.) heißt es von einem Kind: „Ka Tüpferl, ka Stäuberl, ka Unaderl hat’s" (kein Unäderchen, d.h. keinen Makel). Dementspr.: Er hat eine leichte Ader: er neigt etw. zum Leichtsinn. Es schlägt mir keine Ader danach: ich habe keine Neigung, keine Begabung dafür. Er hat keine Ader von seinem Vater: er ist ganz anders geartet als sein Vater. Allg. üblich sind Wndgn. wie eine poetische (lyrische, musikalische) Ader haben. InSüddtl. kennt man auch ,Ein bißchen regt ein Aderle', ein bißchen macht Lust auf mehr. Jem. zur Ader lassen: ihm Geld abnehmen. Urspr. war der Aderlaß gemeint, der in der Medizin eine wichtige Rolle spielte. Affe. Seinem Affen Zucker gehen: ausgelassen lustig sein, im Rausch lustig sein, sich in Komik überbieten, seiner Neigung nachgehen, seiner Eitelkeit frönen. Bei der Rda. ist zunächst an den Affen in Zoologischen Gärten zu denken, der bes. possierlich ist, wenn man ihn durch Zucker erfreut. Hier ist aber zugleich die Vorstellung einbeschlossen, daß ein Mensch, der sich in bestimmter Weise benimmt, ein solches Tier in sich trägt. Seit 1719 ist die Rda. nachweisbar (Zs. f. dt. Wortf. I, S.251). 1737 sagt C. F. Henrici alias Picander in seinen ,Ernst-Scherzhaften und Satyrischen Gedichten' von verliebten Herren: Und wenn sie, krumm und tief gebückt, Ein Mäulchen obenhin erhaschen, So sind sie durch und durch erquickt, Und wie ein Äffchen so vergnüget, Wenn es ein Stückchen Zucker krieget. Häufiger erscheint diese Rda. im 19. Jh., so z. B. bei K. v. Holtei: „Außer diesem Gesänge lagen in der Partitur wenig Mittel, sich geltend zu machen; sie diente Juliens Darstellung mehr zur Folie, während ich nachher im ,Hanns Jürge' meinem Affen Zucker gab" (Vierzig Jahre, VI, Breslau 1846, S. 24). Im gleichen Sinne bedient sich ihrer der ndd. Dichter Fritz Reuter: „Na, der (Kellner) bringt sie (die Flasche Wein), und wir geben unserm Affen Zucker und werden fidel wie die Maikäwer um Pfingsten" (Werke, ed. Seelmann, IV, S.48). Dagegen tritt die Rda. bei Theodor Fontane 1898 in verhüllter Form auf. Die Domina Adelheid verwendet sie dort im Gespräch mit ihrem Bruder; „Ja, Dubslav, was soll das nun alles wieder? Du gibst da deinem Zeisig mal wieder ein gutes Stück Zucker. Ich sage Zeisig, weil ich nicht verletzlich werden will". - An einer anderen Stelle finden wir: „Da habe ich demissioniert und dem Affen meiner Eitelkeit das Zuckerbrot gegeben'' (Fontane, I, 4, S. 342). Die Rda. ist in Mdaa. und in der Umgangssprache kaum anzutreffen. Lediglich in Hans Meyers ,Richtigem Berliner' ist sie in Dialektform nachgewiesen: ,Er hat sein’ Affen Zucka jeje’m' (seiner Eitelkeit die Zügel schießen lassen). Den Affen loslassen: lustig sein, sich einen vergnügten Tag machen; junge Rda., die in einem obersächs. bekannten Gassenhauer ihren Niederschlag gefunden hat: Traugott, laß den Affen los, Kleene Kinder sind nicht groß, Große Kinder sind nicht kleen, Traugott, laß den Affen steh’n! Einen Affen (sitzen) haben: betrunken sein, ist spätestens seit Beginn des 19. Jh. allg. geläufig; die Herleitung ist unsicher. Man hat versucht, die Rda. auf die angebliche Trunksucht des Affen zurückzuführen; 48
Affe Lutz Mackensen hält eine scherzhafte Verwechselung von tschech. ,opit se4 = sich betrinken und ,opice4 = Affe für möglich. Auch ist darauf verwiesen worden, daß in einigen Sprachen, so im Ital., Span., Portugiesischen, Engl, und Tschech. Affe sowohl das Tier als auch den Rausch bez. R. Rieg- ler hat eine mythologische Deutung versucht, indem er den Blick auf gewisse krankheitsdämonologische Vorstellungen richtete, nach denen ein berauschter Mensch von bestimmten Tieren (unter anderem auch von einem Affen) besessen wäre (in: Wörter u. Sachen 6, 1914-15, S. 194ff.). Wander will eine mhd. Ne- benbdtg. von Affe (= Larve, Maske) für diese Rda. verantwortlich machen. Endlich ist auch eine Beziehung der Rda. zu dem Affen (= Tornister) der Soldaten oder auch zu dem Affen, den der Gaukler auf der Schulter trägt, nicht gänzlich auszuschließen. Von Moritz v. Schwind existiert eine Zeichnung aus dem Jahre 1838, die die Unterschrift trägt: ,einen Affen sitzen haben1. Sie zeigt einen heimkehrenden Zecher, der nach der Türklinke tastet und dem ein Affe auf der Schulter hockt. Sich betrinken heißt dementspr. sich einen Affen holen (oder kaufen). Ich denke, mich laust (kratzt) der Affe! Ich dachte, der Affe soll mich lausen und Es war, als hätte mich der Affe gelaust: ich war erschrocken, plötzlich sehr verdutzt. Die Rdaa. sind der Ausdr. hochgradigen Erstaunens, unangenehmer Überraschung und höchster Verwunderung. Auch viele mdal. Wndgn. kennen dieses sprachl. Bild, wahrscheinl. sind sie sogar der Ausgangspunkt dafür. Die Übertr. der Rdaa. ins Hd. und ihre Verbreitung wird wohl im 19. Jh. von Berlin ausgegangen sein, wo die Wndgn. ,1k denke, der Affe laust mir1 und in etw. gebildeterer Form: ,1k denke, mir soll der Affe frisieren4 bes. häufig und beliebt sind. In Ostpr. heißt es ähnl. ,Ök docht, mî suit de Äp luse‘, im Rheinl. dienen die'Wndgn. ,Do messt ich jo vom Affen gelaust sein4; ,Du bös wal vam Affen ge- fluht?‘ und: ,Du kanns mich ens den Affen fluhe (luse)!4 als abschlägige Antworten. Zur Abweisung eines lästigen Fragers gebraucht man die Rda. Ich flöhe Affen, willst du den Sack auf halten? Ähnl. mdal. im Rheinl. ,Wat duj dor? - Den Affen floje, on ge sollt de Stert fashale4. Diese Rdaa. und z.B. auch das westf. Sprw. ,Wat van Apen kümt, will lusen; wat van Katten kümt, will musenk beruhen auf der Beobachtung, daß sich die Affen selbst oder auch gegenseitig eifrig das Fell durchsuchen. Es hat dabei den Anschein, als ob sie Läuse oder Flöhe entdeckten und diese dann voller Genuß verzehrten. In Wirklichkeit suchen sie aber nur nach den kleinen, salzhaltigen Hautschuppen im Fell oder auch in den Haaren eines Menschen, wenn sie Gelegenheit dazu erhalten. Diese bot sich dann, wenn die Gaukler oder Kameltreiber mit ihren Affen im Kreis einer staunenden Menge erschienen, die natürlich nichts von dem eigentl. Grund des ,Lausens4 ahnte. Der Gaukler ließ seinen possierlichen Affen Kunststücke vorführen, Lose verkaufen und mit einem Hut das Geld einsammeln, oder hatte ihn ruhig auf seiner Schulter sitzen. Wenn dann der Affe plötzlich auf den Rücken oder die Schulter eines Zuschauers sprang, um sofort bei ihm nach Läusen, d. h. den Schuppen auf dem Kopf zu suchen, war der Betroffene natürlich sehr erschrocken und peinlich berührt, weil nun alle anderen glauben mußten, daß er Ungeziefer herumtrage, das der Affe sofort entdeckt habe. Die Schadenfreude und der Spott der Umstehenden, die sich an seinem verdutzten Gesichtsausdruck weideten, waren groß und zogen immer mehr Schaulustige an, was der Gaukler ja gerade beabsichtigt hatte. Derrdal. Vergleich aus dem Rheinl. ,De mischt e Gesicht, als wenn e vom Affen gelaust wure wär‘ weist deutlich auf diesen Zusammenhang. Kinder hatten das unerfreuliche Erlebnis mit dem Affen oft noch unvermuteter, wenn sie so glücklich waren, auf dem mitgeführten Kamel reiten zu dürfen. Meist saß auf ihm noch ein Affe, den sie nicht gleich bemerkten und der ihnen plötzlich die Haare durchsuchte. Der berl. rdal. Vergleich ,Er sitzt wie der Affe uf’t Kamel1, er reitet sehr ungeschickt, deutet darauf hin, daß es tatsächlich üblich war, Affen auf dem Kopf des Kamels oder an dessen Hals geklammert reiten zu lassen. Einen alten Affen (etw.) lehren: etw. Vergebliches tun. So sagt man an der Nahe: ,Der will ach aide Affe lerne Gesichter 49
Affe schneide4, er versucht etw. Aussichtsloses; im gleichen Sinne in der Eifel: ,Dau moss ken alen Aff lehren Konsten (Künste) machen4. Die Rda. ist schon recht alt, denn Thomas Murner gebraucht sie in seiner ,Narrenbeschwörung4 (58): Ich lehr’ vil eh’r einen Affen geygen, denn eine böse Zunge schweigen. Schon früh wurde der Affe wegen seines Nachahmungstalents zum Sinnbild der Nachahmungssucht. Albertus Magnus wurde von seinen Gegnern ,Affe des Ari¬ stoteles4 genannt. Entspr. heißt es umgekehrt Ich bin doch nicht dein Affe: ich lasse mir von dir nichts vormachen, ich tanze nicht nach deiner Pfeife. Thomas Murner kannte noch viele solcher Rdaa., die heute nicht mehr gebräuchl. sind und für die sich auch keine späteren lit. Zeugnisse beibringen lassen. Es muß deshalb vermutet werden, daß es sich hierbei um individuelle Prägungen Murners handelt, die in den allg. Sprachgebrauch nicht eingedrungen sind. In seiner ,Narrenbe- 50
Affe 1/2 ,Mtch laust der Affe‘ 3 ,Affentheater4 4 ,Affe, was hast du für schöne Jungen!1 5 ,Einen Affen sitzen haben4 6 ,Modeaffe4 7 ,Affentanz4 schwörung4 finden wir: Affen scheren, den Affen im Garn finden, es einem Affen an den Hintern schreiben: etw. auf eine schmutzige Weise veröffentlichen, den Affen in Purpur kleiden. Anstelle der Rda. /,Maulaffen feilhalten1 erscheint gelegentlich auch die verkürzte Form Affen feil haben, so z.B. bei Andreas Gryphius. Einen Affen gefressen haben:,einen /'Narren gefressen haben4. Du bist wohl vom (wilden oder blauen) Affen gebissen?: du bist wohl toll, nicht bei Trost. Bei der in neuerer Zeit aufgekommenen Rda., die wahrscheinl. von Berlin ausging, wird auf den Biß eines tollwütigen Tieres angespielt. An das behende Umherspringen des Affen denkt man, wenn man von affenartiger Geschwindigkeit spricht. Mit anderen Worten findet sich der Ausdr. in der Ev. Kirchenzeitung vom 22 April 1848: „Während der Engländer auch in der Auflösung Maß und Gesetz kennt, erfreut sich der Franzose mit äffischer Beweglichkeit und prinziploser Hast an dem Umsturz als solchem44. 51
ÄGYPTEN Vielfältig sind auch die Wortverbindungen mit Affe. Martin Luther verwendet die nicht mehr gebräuchl. Rda. jem. auf einen Affenschwanz führen: ihn irreführen: „Und er (Christus) habe seine liebe braut, die Christenheit auf einen affenschwanz gefüret als ein teuscher oder blastücker44. Etw. ist eine Affenschande: eine große (wahre) Schande, soll auf ndd. ,Apen- schanne4 zurückgehen, das seinerseits aus ,apenbare Schanne4 verkürzt ist. Jedoch ist diese Deutung nicht zweifelsfrei gesichert. Zu jem. eine Affenliebe haben (hegen): seine übertriebene, blinde Liebe auf jem. richten, bes. die maßlose Liebe der Eltern zu ihren Kindern wird damit bez. Wahr- scheinl. stützt sich diese Rda. auf die Beobachtung des bes. innigen Beisammenseins der Affenmutter mit ihren Jungen. ,Ape, wat hest du moje Jungen4 (Ostfries.) und ,Ap, wat hest du wackere Kinner4 (01- denb.): Ausdr. des Spottes, wenn Eltern voller Affenliebe ihre Kinder für die schönsten und begabtesten halten. Gleiche Bdtg. haben die Feststellungen: ,Der Affe kennt nichts Schöneres als seine Jungen und der Narr nichts Klügeres als seine Taten1; ,Kein Affe, er schwört, er habe die schönsten Kinder4, die vermuth auf der Aesopischen Fabel ,Von dem Affen und seinem Kinde4 beruhen. Dort wird der Affe verspottet, weil er von Jupiter fordert, seine überaus häßlichen Kinder als die schönsten anzuerkennen; vgl. Abb. 4. Ein Affentheater aufführen: ein unnatürliches übertriebenes Gebaren zeigen. Etw. ist ein (wahrer) Affentanz: es ist ein tolles Treiben; der Freude wird ungehemmt Ausdruck gegeben. Die Rda. steht vermuth mit den possierlichen Sprüngen der Affen auf den Leierkästen in Zusammenhang, die mitgeführt wurden, um die Leute anzulocken. Hier herrscht eine Affenhitze: eine sehr große Hitze ; das Wort, Affen-1 hat hier eine steigernde oderauch wertmindernde Bdtg. Der Ausdr. ist Ende des vorigen Jh. in Berlin nachgewiesen, heute aber gesamtdt. vertreten. Er ist in dieser Wortverknüpfung vielleicht aus Hitze wie im Affenstall verkürzt. Eineti Affenzahn draufhaben: eine sehr hohe Fahrtgeschwindigkeit. Ein Modeaffe sein: sich stets nach der neuesten Mode richten, auf seine Kleidung übertriebenen Wert legen. Ägypten. Die Rda. von der ägyptischen Finsternis bezieht sich auf 2. Mos. 10,22 (,,Da war eine dicke Finsternis in ganz Ägyptenland drei Tage44). Modern umg. spricht man auch davon, wenn z.B. der elektrische Strom vorübergehend aussetzt. Sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens (zurück-) sehnen /Fleischtopf. Akazie. Wie stehn die Akazien?: Wie geht es? (/Aktie). Es ist, um auf die Akazien zu klettern oder zum Auf-die-Akazien-Klettern: es ist zum Verzweifeln, nicht auszuhalten. Die Rda. ist nach dem 1. Weltkrieg aufgekommen als Verstärkung der Wndg. ,auf die /Palme klettern4, weil durch die Dornen das Erklettern der Akazie weit qualvoller ist. Akten /Acta. Aktie. Seine Aktien steigen (oder fallen): das Unternehmen, an dem er beteiligt ist, wirft größeren (oder geringeren) Gewinn ab, übertr. die Aussichten auf den Erfolg seiner Bestrebungen und Hoffnungen mehren (oder mindern) sich. Die Rda. ist gegen Ende des 18. Jh. aus dem Börsenleben übernommen worden. Sie findet sich z.B. in Ifflands Drama ,Der Spieler1 von 1798 (III,6): „Wie es scheint, sind die Ac- tien gefallen. - Ha ha ha! der Seelenschmerz ist außer Cours gekommen!14 Freiligrath schreibt am 18.4.1835 in einem Brief an H. Jerrentrup: „Während meine dichterischen Aktien von Tag zu Tag steigen, ist mein spießbürgerlicher Stern in cadente domo“, d.h. im Niedergang (Werke, hg. v. Schwering, Bd. 6, S.32). Häufig begegnet die Rda. in Frageform: Wie stehn die Aktien? (auch verdreht zu: ,Wie stehn die Akazien?4): Wie geht es? Die Wndg. hat auch Eingang in die Mdaa. gefunden, etwa rhein. ,Wie stont die Aktien?4, wie geht es? und ,Stöhn die Aktien esu?4, steht die Sache so? all Bot, ällbot /Gebot, all Hack /Gebot. 52
Alraune Alltag /Montag. Alp. Verschiedene Rdaa. vom Alp zeugen von dem alten Volksglauben an gefährliche Druckgeister: einen Alptraum haben; Alpdrücken haben; es lag mir wie ein Alp auf der Brust; mir fiel ein Alp vom Herzen. Der vom Alptraum befallene Schläfer hat die Vorstellung, daß ein dämonisches Wesen tierischer oder menschlicher Gestalt seine Brust preßt, so daß er kaum Atem zu holen vermag. Aus diesem Zustand hochgradiger Angst befreit ihn eine energische Abwehrbewegung, ein Aufschrei oder dgl. Der Schläfer erwacht aufgeregt, in Schweiß gebadet, tief Atem holend, der Alp ist von der Brust gewichen. Die aus dem Alptraumerlebnis entwickelte Sage vom Alp gehört zu den ältesten und verbreitetsten mythischen Vorstellungen der Menschheit. In Dtl. gibt es für den Druckgeist verschiedene Bez.: ndd. ,Mahr\ obd. ,Schrättel1 und mdt. ,Alb4; dieses in die Schriftsprache aufgenommene Wort ist identisch mit Alb, Alf (vgl. die aus dem Engl, übernommenen ,Elfen4). Schon in der mhd. Lit. begegnen rdal. Zeugnisse für das Alpdrücken, z.B. „mich drucket heint der alp so hart, dasz mir aus gieng der oten44, und: „do kom si rehte als ein alp üf mich geslichen“ (Lexer I, 39). UL: F. Ranke: Art. ,Alp\ in: HdA. I, Sp. 281; W. E. Peuckeri: Art. ,Alb\ in: Handwb. der Sage (Göttingen 1961-62), Sp. 186-250. hat Alraun gegessen; vgl. lat. ,bibere man- dragoram4 (Sprichwörtersammlung des Erasmus von Rotterdam, 684). Offenbar iron, gemeint ist der aus Nordthür, bezeugte sprw. Vergleich munter wie ein Alräunchen. Die Menschenähnlichkeit der Wurzelform hat schon früh zu Vergleichen geführt; der Meistersinger Michael Beheim sagt z. B.: „Eitze schaust grad aus wei d’ Olrau44. Alraune. Die mit Alraune gebildeten Rdaa. stehen in Beziehung zum Volksglauben. Die Alraune ist eine aus der Mandragora- Wurzel geschnitzte menschenähnliche Gestalt, die zu zauberischen Zwecken verwendet wurde. Der Mandragora-Glaube ist orientalischen Ursprungs und ist auf verschiedenen Wegen, bes. durch die gelehrtmagische Lit. nach Mitteleuropa gelangt. Im Ahd. gab man der Zauberwurzel einen altheimischen Namen (ahd. Glossen setzen alrünafür lat. mandragora). Schon im klassischen Altertum wurde das Nachtschattengewächs Mandragora zum Liebeszauber und als Betäubungsmittel benutzt. Die schlafbringende Wirkung des Krautes spiegelt sich auch in den Rdaa. Von einem trägen und schläfrigen Menschen sagt man Er Im Volksglauben gilt die Alraun-Wurzel als Glück und Reichtum bringend. Von einem, der schnell reich geworden ist, sagte man in der Gegend von Dortmund: ,De hat ’n Alraun4; in Wien vermutet man von einem, der Glück im Spiel hat: ,Der muß a Oraunl im Sack haben4. In Nordhausen/ Harz heißt es: ,He leift wie en Alrinechen4 (er kennt alle Geheimnisse). Goethe läßt im ,Faust4 II den Mephisto sprechen: Da stehen sie umher und staunen, Vertrauen nicht dem hohen Fund, Der eine faselt von Alraunen, Der andre von dem schwarzen Hund. Lit.: A. T. Stark: Der Alraun. Ein Beitrag zur Pflanzensagenkunde (Baltimore 1917); HdA. I, Sp. 312-324, Art. ,Alraun‘ v. H. Marzell\ W. E. Peuckert: Art. ,A1- raune\ in: Handwb. der Sage, 2. Lieferung (Göttingen 1962), Sp. 403-422. 53
Alt alt. Alt wie Methusalem: sehr alt; so alt, daß man es gar nicht mehr ausrechnen kann. Der rdal. Vergleich bezieht sich auf 1, Mos. 5,25-27 (,,Methusala war hundertsiebenundachtzig Jahre alt und zeugte La- mech; und lebte darnach siebenhundertzweiundachtzig Jahre und zeugte Söhne und Töchter; daß sein ganzes Alter ward neunhundertneunundsechzig Jahre“); vgl. frz. ,vieux comme Methusalem'; engl. ,as old as Methusalah‘; ndl. ,zo oud as Methusalem'. Der Begriff wurde durch Bernhard Shaws Werk ,Back to Methusalah' (1921), dt. Übers, von Siegfried Trebitsch ,Zurück zu Methusalem' (1923) im internationalen Sprachgebrauch wieder geläufiger (Büchmann, S.6). So alt wie der Böhmerwald (Bremer, Harzer, Duisburger, Thüringer, Westerwald); auch mdal., z. B. ,Hei is sau aalt, as de Düringer Wahld'. Der rdal. Vergleich stammt deutlich aus der Wechselbalgsage. Der Wechselbalg wird durch irgendeine merkwürdige Hantierung seiner Pflegemutter, z. B. durch das Brauen von Bier in Eierschalen, zum Sprechen veranlaßt. Dadurch, daß er als Wickelkind schon sprechen kann, sowie durch das Eingeständnis seines hohen Alters zeigt er, daß er nicht zu den Menschen, sondern zur dämonischen Welt gehört. Im Mittelpunkt der Sagen steht häufig ein solcher Altersvers, z.B. I, so bin ik doch su alt Wie der grüße Harzerwald, Su was heb’ ik net gesahn In mein lange, lange La’m (Leben), oder: Su bin ik doch sau oolt, Wie de Böhmerwoold, Dreimal ehacket un dreimal ekohlt (dreimal abgehackt und dreimal verbrannt). Nachdem der Wechselbalg sich so verraten hat, muß er zu den Seinen zurückkehren, die dafür das gestohlene Kind wiederbringen. Der Spruch hat oft die Sage selbst an Lebenskraft überdauert und ist als Rda. (mit starken lokalen Abweichungen) noch ganz geläufig. Alt und grau werden stammt aus 1. Sam. 12,2: ,,Ich aber bin alt und grau geworden“. Alter Schwede /Schwede. ,Der Ältere teilt, der Jüngere wählt' Die sprw. Regel Der Altere teilt, der Jüngere wählt (kiest) ist schon dem Sachsenspiegelrecht bekannt und dort auch bildl. dargestellt worden. Die ganz jung erscheinende Wndg. Alter Mann ist doch kein D-Zug taucht bereits vor dem 1. Weltkrieg in einem Soldatenlied auf: Die Aufsicht hat der Leutnant, Die Ruhe haben wir. Ein alter Mann ist kein D-Zug, Er ist nur Passagier. Nicht alt werden bei jem.: kein alter Mann werden, nicht lange aushalten bei jem., findet sich schon im Vincentius Ladislaus, wo es (1,5) der Diener von seiner Dienstdauer dem Herrn gegenüber gebraucht, bei dem er nicht alt werden will. Dann erscheint die Rda. allg. i. S. v. nicht aushalten. Wer sich früh zu Bett legen will, pflegt wohl zu sagen: heute werde ich nicht alt. Alles beim alten lassen: jede Veränderung vermeiden, wird oft als beruhigende Feststellung ,Es bleibt also alles beim alten' gebraucht. Den Wunsch, daß alles beim alten bleiben solle, läßt Goethe im ,Faust' I, in der Szene vor dem Tor einen Bürger aussprechen: Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn: Sie mögen sich die Köpfe spalten, Mag alles durcheinandergehn; Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten. Im Gegensatz dazu steht die Rda. am Alten rütteln. Auf seine alten Tage /Tag. ,Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen': die Kinder richten sich nach ihren Eltern, sie übernehmen alte Ge¬ 54
Amt wohnheiten. Die Wndg. ist durch das Lied vom Sperling: ,Unterm Dach, juchhe../ bis heute allg. verbreitet geblieben. Lit.:<7. Kahlo: Die Verse in den Sagen und Märchen (Berlin 1919), S. 102ff.; L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S.262; J. Koepp: Das Volkslied in der Volksgemeinschaft, in: A. Spanier: Die dt. Volkskunde, 2 Bde. (Berlin 1934), I, S.306. Altenhausen. Von Altenhausen sein: zu den Alten gehören, Wortspiel mit dem Ortsnamen Altenhausen bei Neuhaldensleben. In einem Schwank von Hans Sachs (,Die Hausmägde im Pflug4) sagt eine alte Jungfer: . . . bey meinen Tagen Hab ich der Heyrat viel verschlagen. Die mich wolten, die wolt ich nit. Also mir jetzundt auch geschieht. Des bin ich schier von Altenhausen. Altes Haus /Haus. Altenteil. Sich auf sein Altenteil zurückziehen (setzen): wird von dem Vater oder von den Eltern gesagt, die sich im Alter von der Arbeit und Leitung der Hauswirtschaft zurückziehen und sich zur Ruhe setzen. Unter Altenteil versteht man die Leistungen, die zur Versorgung der ,Altenteiler4 (oder ,Altsitzer4, ,Auszügler4) bei der Übergabe des Besitzes an ihre Kinder festgesetzt werden. In übertr. Sinn bedeutet die Rda.: sich von seinen Ämtern, von der öffentl. Tätigkeit zurückziehen, aus dem Berufsleben ausscheiden. Jem. aufs Altenteil abschieben: jem. von seinem langjährigen Arbeitsplatz verdrängen wollen, den er noch weiterhin gut ausfüllen kann. Lit.: J. Grimm: Rechtsaltertümer I, S.674ff. Alter. Zunehmen an Alter und Weisheit, Rda. nach Luk. 2,52 in Luthers Verdeutschung. In einem biblischen Alter sein: sehr alt sein; beruht auf den hohen Altersangaben der Erzväter im A. T. In das gefährliche Alter kommen: in eine Lebensphase, in der der Mensch zu Unüberlegtheiten neigt. Amen. Das ist (kommt) so sicher (so wahr) wie das Amen in der Kirche (in der Bibel): das ist ganz sicher, das wird gewiß eintref- fen, daran ist kein Zweifel. Gerlingius ver¬ zeichnet 1649 (unter Nr. 105): „Folium Sibyllae. Tis so waar alse Aamen44. Ja und amen zu etw. sagen; sein Ja und Amen zu etw. geben: einverstanden sein, ausdrücklich zustimmen; auch mdal., z.B. meckl. ,Nu segg man Amen!4 (gib deine Zustimmung). Die Rda. bezieht sich auf Bibelstellen, wie etwa 5. Mos. 27,15-26; Matth. 5,37; 2. Kor. 1,20; Offenb. 22,20. Zum Amen in die Kirche kommen: in letzter Minute (auch: zu spät) kommen. Es ist aus und amen: es hat definitiv ein Ende; das Leben ist zu Ende. Amt. In Amt und Würden sein: eine berufliche Stellung einnehmen, ein Amt, eine Pfarrstelle innehaben. Ähnl. Verbindungen ohne End- und Stabreim sind die folgenden Zwillingsformeln mit Dingwörtern: Ach und Weh (vgl. Goethes ,Heideröslein4: „half ihm doch kein Weh und Ach44) - in Acht und Bann - Art und (Berliner) Weise - über Berg und Tal - Bomben und Granaten - Brief und Siegel - Dichten und Trachten - in Fleisch und Blut - mit Feuer und Schwert - mit Fug und Recht - in Grund und Boden - Hals und Bein (brechen) - über Hals und Kopf - mit Hand und Mund - Hand und Fuß (haben) - mit Hängen und Würgen - Haut und Knochen - auf Heller und Pfennig - Hopfen und Malz - Hunger und Durst - Jahr und Tag - in Ketten und Banden - Kraut und Rüben - über Land und Meer - Leben und Treiben - mit Leib und Seele - durch Mark und Bein (scherzhaft durch Mark und Pfennig) - ohne Maß und Ziel - Mittel und Wege - Mord und Totschlag - Mühe und Arbeit - mit Mühe und Not (vgl. Goethes ,Erlkönig4: ,,erreicht den Hof mit Müh und Not44) - zu Nutz und Frommen - an Ort und Stelle - Pflicht und Schuldigkeit - in Reih und Glied - in Ruh und Frieden - in Sack und Asche - hinter Schloß und Riegel - ohne Sinn und Verstand - mit Spießen und Stangen - Spott und Hohn - Stadt und Land - Sünde und Schande - Tag und Nacht - Tisch und Bett (früher: bank und bette) - auf Tod und Leben - auf Treu und Glauben - zu Wasser und zu Lande - mit Rat und Tat - Zeit und Stunde. Zwillingsformeln mit Eigenschafts- und Umstandswörtern sind: alt und 55
Amtsmiene jung - angst und bange - früh und spät - hier und dort - hin und wieder - hoch und teuer - krumm und lahm - kurz und bündig - kurz und gut - über kurz oder lang - lang und breit - lieb und wert - nackt und bloß - recht und billig - steif und fest - voll und ganz - wohl oder übel. Auch aus Verbindungen von Tätigkeitswörtern entstehen Zwillingsformeln wie: drehen und wenden - dichten und trachten - grünen und blühen - hören und sehen - hungern und dürsten - kehren und wenden (alter Ausdr. bei Grenzbestimmungen) - kommen und gehen - lachen und weinen - leben und sterben - säen und ernten - sein und bleiben - sengen und brennen - stehen und liegen lassen - suchen und finden - tun und lassen - wagen und gewinnen - zittern und zagen. Erstunken und erlogen - nicht gehauen und gestochen - gestiefelt und gespornt - verbrieft und besiegelt - verraten und verkauft - verriegelt und verschlossen. Amtsmiene. Eine Amtsmiene aufsetzen: sich wichtig tun, ernst und würdevoll dreinschauen, um andere einzuschüchtern. Amtsschimmel. Den Amtsschimmel reiten: sich bürokratisch verhalten; der Amtsschimmel wiehert (trabt, braucht wieder Futter): es herrscht die Verwaltungsbürokratie. Der Amtsschimmel hat vermutlich nichts mit dem Schimmelpilz auf alten vergilbten Amtsakten zu tun, sondern geht wohl tatsächlich auf die früheren berittenen Amtsboten zurück. Eine andere Erklärung will darin das ,simile4, den vorgedruckten Musterentscheid der oesterr. Kanzleien sehen, nach denen der ,Similereiter4 jeden neuen Fall erledigt. Lit.: A. J. Storfer: Wörter und ihre Schicksale (1935), S.312L; Kluge-Götze, S.21. anheißen. Zum Anbeißen aussehen: sehr schön und frisch aussehen. Nicht anbeißen wollen: nicht darauf eingehen; angebissen haben: ein Ansinnen freudig aufgreifen. Die Rdaa. beziehen sich auf den Fang von Eischen und anderen Tieren durch Köder und Lockspeisen, die sie entweder unberührt lassen oder gierig verschlingen. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 313-323. anders. Ja, Bauer! das ist ganz was anders (,Was anders ist des Schulzen Kuh!4); so (oder ähnl.) lautet die Pointe eines volkstümlichen Schwankes, die sich als Rda. verselbständigt hat. Sie ist heute noch vielerorts bekannt, meist ohne daß die zugrunde liegende Schwankerzählung noch bewußt ist. Als Erklärung der Rda. erzählt man sich z. B. an der Fränk. Saale folgende Geschichte: „Einem Häcker wurde vom Ochsen des Amtmanns die einzige Kuh getötet. Er lief zum Amtmann und sagte: Haltens z’Gnaden, Herr Amtmann, mei’ Kuh hat Ihne Ihre Ochse tot gestoße. - So, rief der Amtmann, dann fälle ich das Urteil, daß der Schaden sofort in Geld zu ersetzen ist; mein Ochse kostet 15 Karlin (à 11 Gulden). - Haltens zu Gnaden, Herr Amtmann, sagte jetzt der Häcker pfiffig, ich han mich versproche, es is umgekehrt, Ihne Ihr Ochs hat mei Kuh totgestoße; sie hat mich 9 Karlin kost; ich will mei Geld. - Da rief der Amtmann: Ja, Bauer, das ist was ganz anderes!44 Der Schwank ist auch verschiedentlich lit. bearbeitet worden, z. B. in Karl Wilh. Ramiers (1725-98) Fabel ,Der Junker und der Bauer4. Ihre unmittelbare Quelle ist die Fabel Michael Richeys ,Duo cum faciunt idem, non est idem4. Fritz Reuter hat in seinen ,Läuschen un Rimels4 den Stoff ebenfalls lit. bearbeitet. Der Schwank ist alt und kommt in verschiedenen Sprachen vor. Den ältesten bekannten Beleg bietet Erasmus in ,Ecclesiastae sive de ratione condonandi4 (2. Ausg. 1536, S.454); Luther erzählt den Schwank 1546 in seinen ,Tischreden4 (Eisleben 1566, S.612), aber schon Philipp Melanchthon hörte in Tübingen Kolleg bei einem Professor der Rechte, der bei einem jeden Fall, wo das Recht des Niederen zugunsten des Mächtigen gebeugt wurde, zu sagen pflegte: „Das ist des Schultheißen Kuh!“ Lit.: A. L. Stiefel: Sprichwörter-Anekdoten aus Franken, in: Zs. f. Vkde. 18 (1908), S.447L, Nr. 4: L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S.253f. Anfang. Anfang, Mitte und Ende sein: die Seele des Ganzen sein. Der Anfang vom Ende: baldiger Ruin, Untergang, /Ende. Der Anfang vom Lied: Beginn einer bekannten Geschichte, /Lied. 56
Angebinde, anbinden, angebunden Angebinde, anbinden, angebunden. Etw. zum Angebinde geben: ein Festgeschenk machen. Die Rda. kommt von der seit dem 16. Jh. bezeugten Sitte, Bräuten, Wöchnerinnen und neugeborenen Kindern mit einem Seidenband ein Geschenk an den Hals oder den Arm anzubinden. Seit dem Ende des 17. Jh. bedeutet Angebinde allg. Geschenk zum Geburts- oder Namenstag. Goethe schreibt: Zarter Blumen leicht Gewinde Flecht ich dir zum Angebinde. In Grillparzers Drama ,Ein treuer Diener seines Herrn* (1830, 2. Akt) erinnert Otto von Meran die Königin: Du weißt, wir feiern heute Das Wiegenfest des Kleinen, deines Sohns. Die Herren sind, die Fraun bei uns versammelt Und binden ihn mit kleinen Gaben an. Konnte der Gratulant dem Geburtstagskind das Angebinde nicht selbst anbinden, so fügte er der übersandten Gabe das Seidenband in einem besonderen ,Anbindbrieflein* bei. Dieses Wort erscheint auch als Titel von Büchern Wolfh. Spangenbergs (1611) und Ed. Gärteners (1659). Als Paul Fleming einen Geburtstag der Liebsten fern von ihr verbringen mußte, klagt er in einem Gedicht: Wie glückhaft war ich doch zu jener Zeit zu schätzen, Da ich in Gegenwart sie kunte binden an. Als die Erinnerung an die ursprüngliche Sitte mehr und mehr verblaßte, hat man Angebinde nicht allein auf Geldgeschenk beschränkt, sondern wandte den Ausdr. auf jede Festgabe und jeden festlichen Schenkanlaß an. Neben anbinden kommt bei Geschenken an Wöchnerinnen und Täuflinge auch die Form ,einbinden*, ,Eingebinde* vor, weil das Geschenk in ein Tuch oder auch in die Windeln eingebunden wurde. Noch zu Beginn unseres Jh. wurde mancherorts, z.B. in Sachsen, das Geldgeschenk in den Patenbrief gelegt und in das Steckkissen des Kindes gesteckt. Einen anbinden: ihn festhalten. Die Rda. hat ihren Ursprung in dem Brauch, jem. so lange festzuhalten, bis er sich durch ein Lösegeld oder Trinkgeld befreit. Am bekann¬ testen ist das Anbinden des Bräutigams im Hochzeitsbrauchtum. Die Dorfkinder spannen eine Schnur über die Straße und halten das Brautpaar beim Verlassen der Kirche so lange fest, bis der Bräutigam sich mit Geld loskauft. Auf ähnl. Weise wurden der Gutsherr oder der Gutsverwalter beim Beginn der Ernte von den Schnittern und Landarbeitern, der Bauherr beim Betreten des im Bau befindlichen Hauses von den Bauhandwerkern angebunden (auch: ,mit der Schnur verzogen* oder,geschnürt*) und nicht eher aus dem Hause gelassen, als bis er etw. zum besten gegeben hatte. Mit einem anbinden: feindlich mit ihm zusammengeraten, Händel, Streit anfangen. Die Rda. könnte aus der Sprache der Fechter stammen. Beim Beginn eines Ganges binden die Kontrahenten die Klingen, indem sie sie kreuzweise aneinanderlegen. Doch wird die Wndg. den allg. Urspr. haben: sich mit einem zu schaffen machen, ebenso wie anbändeln: tin Liebesverhältnis beginnen. ,Mit einem anbinden‘ Einen Bären anbinden: Geld schuldig bleiben (/Bär); ein Kalb anbinden:sich erbrechen (/Kalb). Angebunden sein: nicht wegkönnen, nicht über seine Zeit frei verfügen können, wegen der Familie oder wegen des Berufs an einen bestimmten Ort gebunden sein. Kurz angebunden sein: in mürrischer, abweisender Stimmung sein, barsch, unwillig oder schnippisch antworten, sich nicht weitläufig auslassen. Das Bild der Wndg. kommt wohl von dem kurz angebundenen Hofhund, der als bissig gilt. Luther hat diese Rda. bereits unter seinen Sprww. notiert und gebraucht sie auch sonst: ,,Wäre 57
Angeschrieben der Bauer ungeduldig und kurz angebunden^. Lit.: J. Grimm: Uber Schenken und Geben, in: Kleinere Schriften, Bd. 2 (Berlin 1865), S. 173-210; J. J. Hornus: Über die alterthümliche Sitte der Angebinde bei Deutschen, Slaven und Litauern (Prag 1855); Zs. f. d. A„ 53 (1912), S. 152ff.; Richter-Weise, Nr. 3; HdA. I, Sp. 435; D. Dünninger: Wegsperre und Lösung. Formen und Motive eines dörflichen .Hochzeitsbrauches (Berlin 1967). angeschrieben. Gut (schlecht) angeschrieben sein: bei jem. viel (wenig) gelten. Der Rda. liegen bibl. Vorstellungen zugrunde: 2. Mos. 32,32 wird zuerst das ,Buch des Lebens4 erwähnt, in dem der Herr die Gerechten anschreibt und aus dem er die Sünder tilgt (vgl. Ps. 69,29 und Luk. 10,20; Hebr. 12,23; vor allem aber Offenb. 3,5; 5,1-2; 17,8; 20,12 und 15); entspr. frz. ,être bien (mal) noté4, ,être bien (mal) dans les papiers de quelqu’un4; engl. ,to be in a person’s (black) books4, ,to stand well in a person’s books4; ndl. ,goed (slecht) aange- schreven staan4 und ,in een goed blaadje staan4; /Kuhhaut. Eine spätere Deutung bezieht die Rda. auf den Lehrer, der die Leistungen seiner Schüler anschreibt. Auch die Rda. ,bei jem. eine gute Nummer haben4 weist auf diesen Zusammenhang. angetan /antun. angezapft /anzapfen. Angst /bange. anhaben. Einem nichts anhaben können: ihm nicht schaden können. Die Rda. hat sich frühnhd. entwickelt aus mhd. ,einem anehaben4 = sich an jem. halten, Hand an ihn legen. Urspr. bedeutete die Wndg.: an dem kann man nichts greifen, er gibt sich keine Bloße, man kann keinen Anhalt zur Schädigung an ihm finden. Im mhd. Rabenschlacht-Gedicht (431) heißt es: ,,si habten in an vil vaste mit siegen44 (= sie griffen ihn an). In der Lebensbeschreibung Wilwolts von Schaumburg (1507) werden die Landsknechte aufgefordert, auf den Feind loszugehen, mit dem Zusatz: ,,ob sie was an ihm haben mochten44. Der ältere, durchaus wörtl. zu verstehende Sinngehalt wurde später abgeschwächt und verallgemeinert. Bei Luther ist der Übergang von der wörtl. Bdtg. zum rdal. Bild bereits eingetreten; er schreibt: ,,Denn würde er zu Wort kommen, möcht man ihm nichts anhaben44; und in seiner Bibelübers. (Jer. 15,20) heißt es: „Ob sie wider dich streiten, sollen sie dir doch nichts anhaben; denn ich bin bei dir, daß ich dir helfe44. In den Mdaa. hat jem. etw. anhaben vielfach die Bdtg.: ihm durch Behexen schaden; z.B. meckl. ,In de Twölften kanen se eenen licht wat anheb- ben4; /antun. Anhalter. Per Anhalter fahren, vom Anhalter Bahnhof fahren: an der Straße Autos anhalten, um von ihnen mitgenommen zu werden. Die Rdaa. entstanden im 2. Weltkrieg und enthalten einen spezifisch berl. Wortwitz, der in der scherzhaften Gleichsetzung von Anhalter Bahnhof (dem ehedem größten Bahnhof Berlins) und dem Anhalten der Autos beruht. anhängen. Einem etw. (eins) anhängen: hinter seinem Rücken Nachteiliges von ihm sagen, böse Nachrede führen, verleumden; ähnl. auch mdal., z.B. ostpr. ,einem Rad und Galgen anhängen4, mit den ärgsten Schimpfworten ausschelten. Das Bild der Rda. stammt aus dem Rechtsbrauch des MA., bestimmte Missetäter wie Gotteslästerer, Schmäher, zänkische Weiber als ehrlose Menschen schon äußerlich zu kennzeichnen. Man hängte ihnen den ,Klapperstein4, ,Lasterstein4, ,Pag-4 oder ,Bagstein' um und ließ sie ihn durch die Straßen der Stadt oder um das Rathaus schleppen. Im Mühldorfer Stadtrecht aus der 2.H. des 14. Jh. heißt es: „Wellich leicht weib baget (mhd. bägen = zanken, streiten) mit Worten, die sie vermeiden sollen, wider eine purgerin oder wider ir ge- nössin, der soll der Fronpot den bagstein um irn Hals hängen44. Trunksüchtige Weiber wurden zum Tragen von Schandfla- schen oder Holzklötzen in Form von Flaschen verurteilt. Den an den Pranger gestellten Personen hängte man eine Tafel, ein Stück Blech oder einen Zettel um, woraus die Ursache der entehrenden Bestrafung zu entnehmen war. Möglicherweise geht auch der Ausdr.,Schandfleck4 auf solche Bräuche zurück; vgl. die im 17./18. Jh. 58
Ankratz, ankratzen ,Klapperstein1 von Mülhausen ,Einem etwas anhängenk sehr beliebte Wndg. ,einem einen Schandflecken anhängen4. Thomas Murner verwendet z. B. Ausdrücke wie ,ein spettlin (Tuchfetzen), ein lotter spettlin anhencken4 oder ,ein blechly, ein kläpperlein anhencken4, auch ,ein schellen anhencken4. Hans Sachs sagt von den Mädchen, die sich über die Burschen lustig machen: Ihr habt das Jar und die Fastnacht Uns junge Gesellen seer veracht, Manchem ein plechlein angeschlagen; und von Leuten, die beim Tanzen müßig zusahen: Die teten giftig Nachred treiben Von den tanzeten Mann und Weiben, Hingen idem ein Schantlappen an. Ein Übergang zu einem harmloseren Anhängen ist dann die bekannte Neckerei, daß einer dem anderen einen Strohhalm, einen Lappen, ein Stück Papier oder dgl. an den Rock steckt, um den Spott der Vorübergehenden auf den Geneckten zu lenken. Lit.: Richter-Weise, Nr.4; Göhring, Nr.9, S 6-8. ankerben. Einem etw. ankerben: ihm etw. nachtragen, /Kerbholz. Ankratz, ankratzen. (Guten) Ankratz haben: sehr begehrt sein, viel umworben werden. Wird vor allem von jungen Mädchen gebraucht, um die sich die Männer werbend drängen. Die Herkunft der Rda. ist noch nicht eindeutig geklärt. Man hat sie ebenso vom Einlaß begehrenden Kratzen des Hundes an der Haustüre herleiten wollen wie aus der Mode des Kratzfußes, womit einst höfliche Verehrer ihre Dame begrüßten. Da die Wndg. ,Ankratz haben4 und ,viel Ankrehens haben4 dasselbe meinen, ist auch die Herleitung von der Beobachtung eines Hahnes denkbar (vgl. auch ,Hahn im Korbe sein4), der vor den Hennen den Boden kratzt und ihnen Würmer und Körner überläßt, um sich damit bemerkbar und beliebt zu machen. Damit erklärte sich auch die urspr. Beschränkung der Rda. auf Mädchen. Obersächs. ,sich bei jem. ankratzen (einkratzen)4, sich einschmeicheln, sich lieb Kind machen; berl. ,sich ’n Bräut- jam ankratzen4, sich einen Mann angeln. Urspr. ist die Rda. nur von Mädchen gebraucht worden. Wenn sie später auch auf Männer angewandt wurde, so war eben ihr Anlaß in Vergessenheit geraten. Die Rda. stammt aus dem 16. Jh., war eine Zeitlang verschollen und ist jetzt wieder in der Teenagersprache aufgetaucht. Zu Ankratz und ankratzen gehört auch das Wort,ankrähen4. Während man obersächs. von den Mädchen, die beim Tanz sitzen bleiben, sagt ,sie haben keinen Ankratz4, heißt es von ihnen westf., daß sie ,gar keinen Änkrieg hewwen und ümmer op der langen /Bank sitten4. Dieses ,Änkrieg4 ist aber wohl soviel wie hd.,Ankräh4, und dazu stimmt die aus dem 16./17. Jh. bezeugte Rda. ,viel Ankrehens haben4. Der Prediger Mathesius (1504-65) sagt in seiner Sarepta oder Bergpostille4 (Bd.2, S.57): ,,Bergwerck haben viel Ankrehens44, und Lehmann schreibt 1639 (S.711; Schönheit 50): „Schöne Leute . . . haben viel ankre- 59
Ankreiden hens11. Im Gegensatz dazu steht die Rda. ,Da kräht kein /Hahn danach4. Jem. ankratzen: leicht verwunden, kam bei den Soldaten 1870/71 auf; seit 1933 wird es als Euphemismus für das Hinrichten gebraucht. Im 20. Jh. erscheint die Wndg. in erweiterter Bdtg. als angekratzt sein: nicht mehr jung, nicht mehr ganz gesund und kräftig sein. Die Rda. beruht auf dem Vergleich mit Gegenständen, die bei langem Gebrauch Kratzer und leichte Schäden erhalten, ihre Schönheit verlieren. Lit.: Richter-Weise, Nr.5; Göhring, Nr. 10, S.8; Krüger-Lorenzen I, S. 16. ankreiden /Kreide. anlaufen. Einen anlaufen lassen: ihm unerwartet Widerstand leisten, ihn feindlich empfangen, ihn gehörig abfertigen, abkanzeln; stammt vermutlich aus der Sprache des Turnierwesens oder der Jäger. Der Ritter hielt seinem Gegner beim Turnier die Lanze vor und ließ ihn anlaufen. Ähnl. läßt der Jäger das Wildschwein auf den ihm entgegengehaltenen Spieß anlaufen. So heißt es schon im Nibelungenlied (Str. 938): ,,daz swin vil zornecliche lief an den küenen helet sä“. Mhd. aneloufen war auch der übliche Ausdr. für das Heranlaufen zu kriegerischem Angriff; frühnhd. ist es auf geistige Kämpfe bildl. übertragen worden. Luther verwendet die Rda. ,,Dawidder soi ein Christ oder zween . . . vnser maur sein, daran sie anlauffen vnd zuscheitern gehen“. Noch im heutigen volkstümlichen Sprachgebrauch heißt es z.B. vom abgewiesenen Freier ,Dee is bi de Diern schön anlopen4 (meckl.). Jem. ist häßlich an gelaufen: er hat sich getäuscht, ist betrogen worden. Etxv. anlaufen lassen: eine Aktion, ein Unternehmen beginnen (starten), in Gang bringen. Wahrscheinl. von der Technik (Rad, Motor, Maschine) her übertr. Eine Sache erst einmal anlaufen lassen: ab- warten, wie sich alles entwickelt, bevor neue Entscheidungen getroffen werden. anlegen. Es auf etw. anlegen: etw. beabsichtigen, stammt vielleicht aus der Schützensprache, obgleich ,legen1 mit ,an‘ verbunden schon mhd. soviel wie ,an etw. wenden4 bedeutet: ,,Nü hän ich michel ar- beit an die suochen geleit“ heißt es in Hartmann von Aues Jwein4 (V. 5976). Aus der Schützensprache stammt auch mitten Anschlag auf jem. machen4, /absehen. Sich mit jem. anlegen: ihn herausfordern, einen Streit beginnen. Man bez. den streitsüchtigen Charakter eines Menschen, wenn man von ihm berichtet, daß er sich gern mit jedem anlege. Anno. Die Wndgn. von Anno eins her, von Anno dazumal umschreiben längst Vergangenes und Vergessenes, wie die Rda. Anno Leipzig-einundleipzig, die 1913 aufkam, als der Jahrhunderttag der Völkerschlacht gefeiert wurde. Die Endsilbe -zig verknüpft die Dekadenzahl mit der Stadt Leipzig, so daß sich der Ausdr. auf den Dt.-Frz. Krieg 1870/71 und die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 bezieht. Anno Tobak: vor langer Zeit, zu der Zeit, in der das Tabakrauchen aufkam. Tobak könnte auch eine Entstellung aus domini (anno domini: im Jahr des Herrn) sein oder ein Hüllwort, weil der Name Gottes nicht vergeblich geführt werden soll (/Tabak). Die in Ostpreußen bekannte Rda. Anno Wind ist eine Verkürzung aus ,Anno ent (eins) als de grote Wind wär4 und leitet sich von dem Orkan her, der 1801 in Königsberg wütete. Eine ähnl. Wndg. ist Anno Schnee. In Frankr. vergleicht man das Vergangene mit den Veränderungen der Mode ,Cela est du temps des collets montés4 = es ist noch aus der Zeit der stehenden Halskragen (Lendroy, S.469). Anschluß. Anschluß suchen wird vor allem von heiratslustigen Menschen gebraucht; den Anschluß verpassen: keinen Ehepartner finden, auch: rückständig sein, nicht mit der Zeit gehen. Schwer ( oder leicht) Anschluß finden: in einer neuen Umgebung nur langsam (schnell) Bekannte oder Freunde finden. Diese Rdaa. sind wohl erst im ausgehenden 19. Jh. entstanden und gehen auf den Anschluß im Eisenbahnverkehr zurück. Das Dt. Wb. der Brüder Grimm kennt 1854 zwar den Anschluß im Postverkehr, aber noch nicht unsere Redensarten. 60
Anzapfen Anstoß. Jem. ein Stein des Anstoßes sein: ihm im Wege, hinderlich sein, sein Ärgernis erregen. Die Rda. ist bibl. Herkunft. Jes. 8,14 heißt es: ,,so wird er ein Heiligtum sein; aber ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses den beiden Häusern Israels", während 1. Petr. 2,8 von einem „Stein des Anstoßes" und Röm. 9, 32.33 von einem „Stein des Anlaufens" gesprochen wird. Entspr. auch in anderen Sprachen, z.B. frz. ,C’est une pierre de scan- dale\ Anstoß erregen bei jem.: durch Worte oder Verhalten jem. kränken, was aber auch unbeabsichtigt geschehen kann. An etw. Anstoß nehmen: sich durch etw. beleidigt fühlen, die Sitte oder den Anstand für verletzt halten. Den Anstoß zu etw. geben: ein wirken auf etw., damit die Sache in Bewegung kommt, damit etw. Entscheidendes unternommen wird. Diese Rda. unterscheidet sich grundlegend von den vorherigen, da sie das Stoßen4 als ,Antreiben', d.h. Vorwärtsbewegen als aktiven Vorgang umschreibt. Anton. Anton, steck den Degen ein! Titel einer Posse von Kalisch, die 1859 in Berlin auf Aschers Narrenfest aufgeführt und als Anspielung auf die Kriegsgelüste des frz. Kaisers Napoleon III. betrachtet wurde. Durch häufige Wiederholung wurde das Wort bald zur Rda.; es wird angewandt, um im Ernst oder auch scherzhaft die Angriffsund Streitlust zu dämpfen. Anton, zieh die Bremse an! wird gebraucht, wenn es beim Wandern steil bergab geht. Die Wndg. stammt aus einem berl. Lokalschwank ,Die Zwangseinquartierung1. In übertr. Sinne mahnt die Rda. zu ruhiger Überlegung, zur Dämpfung einer Erregung oder Leidenschaft, zur Überwindung heftigen Zorns. antun. Es einem angetan haben, einem etw. antun:urspr. ihm einen magischen Schaden zufügen, ihn verhexen. Antun zusammen mit dem unbestimmten ,es4 ist eine verhüllende Ausdrucksweise für den Schadenoder Liebeszauber, den man bes. den Hexen zuschrieb; so heute noch mdal., z.B. meckl. ,De Hexen kanen eenen wat an- daun4. Zunächst verstand man unter antun im wörtl. Sinne das Anheften, Anlegen oder Anhängen eines Zaubergegenstandes. Die Rda. ist lexikalisch zuerst 1691 gebucht bei Kaspar Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum1 (2355): „Es ist mir ange- than worden", ist aber sicherlich älter; z.B. gebraucht Joh. Fischart bereits 1575 (,Gargantua4, Ndr. S.406) in übertr. Bdtg. „der jhnen solche schmach anthat". Im heutigen Gebrauch der Umgangssprache ist die Rda. ganz abgeschwächt und bedeutet: ganz in den Bann einer Sache oder Person geraten. Vom alten Liebeszauber (daher auch seit dem 18. Jh. ,bezaubernd4, entzückend) ist die Wndg. schließlich auf die rein ästhetische Wirkung jeden Liebreizes erweitert worden. Man kann sagen: ,Diese Musik, diese schöne Gegend hat es mir angetan4. Dagegen lebt noch etw. von dem alten Tabu-Charakter der Rda. in der ebenfalls verhüllenden Wndg. sich etw. antun: sich das Leben nehmen. Ganz dazu angetan sein (nicht dazu angetan sein): starke Tendenz oder Wirkung haben (nicht die Wirkung haben), z.B. ,Der Streit ist ganz dazu angetan, die Freundschaft zu zerstören4. Lit.: E. S. Gifford: Liebeszauber (Stuttgart 1964); L. Honko: Krankheitsprojektile. Untersuchung über eine urtümliche Krankheitserklärung, FFC. 17S (2. Aufl. Helsinki 1967). anzapfen. Jem. anzapfen: jem. um Geld bitten, auch anzüglich anfragen. Hergeleitet vom Anzapfen eines Fasses, um die Flüssigkeit zu entnehmen. Die Rda. begegnet bereits im 16. Jh. in übertr. Bdtg. In Hans Sachs’ bekanntem Fastnachtsspiel ,Das heiß Eisen4 sagt der betrogene Mann: „mein frau zepfft mich an mit diesen stük- ken". Angezapft, Halbscheid, ausgeleckt und um- gestürztsagt man in manchen Mdaa. (z.B. südd.), wenn man seine Kaffeetasse ausgetrunken hat und nicht mehr weitertrinken will; dabei setzt man die leere Tasse umgekehrt auf den Tisch. Die Rda. gehört ei- gentl. zu einem Tiermärchen vom Typ AaTh. 15 (vgl. KHM. 2 ,Katze und Maus in Gesellschaft4). Im Böhmerwald wird sie etwa folgendermaßen erzählt: Dou wor a Bauer, der hot Strah ghockt hinterm Stodl. Dou is a Fichserl kummer. Hot der Bauer gsogt: „No, Fichserl, wou kummst denn du 61
Anzetteln her?“ Hot der Fuchs gsogt: ,,Af der Kindstauf wor ich heint.“ „Sue, af der Kindstauf? Wei hoißt denn offer das Kind?“ Hot er gsogt: ,,Angezapft!“, der Fuchs. Is er wieder weiterzuogn. Amonnern Dog hockt der Bauer wieder Strah. Af amol kummt der Fuchs wieder vorbei. ,,Ah, wieder das Fichserl, - wou kummst denn heint her?“ ,,Heint wor ich wieder af der Kindstauf.“ ,,Suo“, sogt er, „wieder af der Kindstauf? Wei hoißt denn wieder heint das Kind?“ Sogt der Fuchs draf: „Holbscheid!“ Sogt der Bauer draf: „Des san ower kuriose No- mer.“ No, jo, hot er wieder vergessen draf. N’onnern Dog, den dritten Dog, hot er wieder Strah ghockt. Af amol kummt der Fuchs wieder vorbei. „No, Sakra, Fichserl, wou kummst denn heint wieder her?“ Dou sogt der Fuchs draf, er wor af der Kindstauf. „Sue“, sogt der Bauer, „du worst heint scho wieder af der Kindstauf? Wei hoißt denn offer heint unser Kind?“ Sogt der Fuchs: „Heint hoißts asgleckt und umgstürzt!“ Et- zer is dem Bauer a Licht afgonger. Is er in den Keller gonger und hot nogschaut. Etzer sant Schmolzfasser asgleckt und umgstürzt gwen. LiL: U. Benzei: Volkserzählungen aus dem nördl. Böhmerwald (Marburg 1957); ders.: Die dörfliche Kultur dersuddt. Gemeinde Roßhaupt (Diss. Marburg 1954), S. 86 L; L. Röhrich:Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 268. anzetteln. Eine Sache anzetteln: etw. ins Werk setzen, vorbereiten, anstiften. Die Rda. stammt urspr. aus der Fachsprache der Weberund bedeutet: den Anfang eines Gewebes herrichten, die Fäden aufspannen, wobei ,Zetter (nicht verwandt mit Zettel = Papierblättchen) die Längsfäden des Gewebes darstellen. Wie andere Ausdr. des Spinnens und Webens (,etw. anspinnen\ ,Hirngespinst', ,Lügengewebe' u.a.) ist anzetteln früh in den bildl. Gebrauch übergegangen. Ubertr. wurde es zunächst im guten wie im schlechten Sinne gebraucht (z.B. 1561 bei Maaler: „Krieg und Hader, Heil anzetteln“). Heute wird es nur noch für das Anstiften von Komplotten und Intrigen verwendet; so auch mdal., z.B. schwäb. ,Der Preuß häb’s (den Krieg) wieder a’zettelt'. Die heutige Einschränkung auf den schlechten Sinn soll sich zuerst im Ndd. vollzogen haben. Apfel. In den sauren Apfel beißen (müssen): sich zu etw. Unangenehmen entschließen, etw. Unangenehmes auf sich nehmen (müssen). Die Rda. ist nicht weiter erklärungsbedürftig: saure Äpfel ißt niemand gern; sie werden deshalb bildl. für jedes notwendige Übel gesetzt. Die Rda. findet sich schon in einem Brief Luthers: „obgleich E.k.f.g. (Eure kurfürstliche Gnaden) ein wenig hat müssen wermuth essen und in einen sauren apfel beißen“ (De Wette, Briefe, Bd.4, S.347). Auch in des Ritters Hans von Schweinichen Tagebuch (um 1600): „Habe ich doch in einen sauren Apfel beißen müssen“. Eigentümlich verschoben 1639 bei Lehmann, S.240 (Geduld47): „Laß die Kugel außlauffen, vnd beiß derweil in einen sawren Apffel“. Die Wndg. ist noch in der heutigen Umgangssprache ganz gebräuchl., mdal. z.T. noch erweitert, etwa schwäb. ,Mr muß in manche saure Aepfel beiße, bis mr en süße findt'. Auch von einem verdrießlich Aussehenden sagt man, er sehe aus, als habe er in einen sauren Apfel gebissen. Die Rda. wird auch verhüllend für ,sterben’ gebraucht (/zeitlich), z.B. meckl. ,Dee hett tidig in’n suren Appel biten müßt', er hat zeitig sterben müssen. Für einen Apfel und ein Ei (auch ,für ein Ei und ein Butterbrot'): für eine Kleinigkeit, weit unter dem Wert, fast umsonst. Im allg. sind Apfel, Ei und Brot so reichlich vorhanden, daß man davon verschenken kann, ohne selbst ärmer zu werden. Die Rdaa. sind im 18. Jh. allg. bekannt, dürften aber mdal. älter sein. Sie umschreiben anschaulich den Begriff /nichts. Apfel braten: rdal. für Nichtstun, Beschäftigung mit unbedeutenden Dingen: ,Er kann mehr als Äpfel braten', auch mit dem erweiternden iron. Zusatz: ,Er kann sie auch essen'. Apfel nicht essen mögen: zur Liebe keine Lust haben. Im Gegensatz dazu bedeutet Äpfel essen mögen: nicht impotent sein. Beide Rdaa. gebrauchen verhüllend den Apfel als sexuelles Symbol. Noch einen Apfel mit einem zu schälen haben: noch ein Hühnchen (/Huhn) mit ihm zu rupfen haben ; vgl. ndl. ,een appeltje met iemand te schillen hebben'; frz. ,avoir des petits pois à écosser ensemble'; engl. ,to 62
April have a bone to pick with a person'; ,to have a nut to crack with a person1. Da bleiben soviel Äpfel als Birnen: eine Sache ist unentschieden. Die Rda. findet sich schon bei Joh. Fischart („Da pleiben so vil Oepfel als bieren"; ,Bienenkorb' 86b), ist aber sonst relativ selten belegt. Es konnte kein Apfel zur Erde (fallen) meint, daß es sehr eng war oder daß das Gedränge sehr groß war. Drauf los stürzen wie die Sau auf den Äppel- krotzebedeutet in Rheinhessen: bes. gierig auf etw. sein. Im Schwäb. heißt dies: ,wie die /'Gans auf den Apfelbutzen'. Gerührt wie Apfelmus sein /gerührt. Apostel. Per pedes apostolorum, auf dem Apostelpferde reiten (mhd. ,der zwelfboten pfert riten4): zu Fuß gehen. Die Rda. bezieht sich auf Matth. 10, 5.7.11 und andere Stellen des N. T„ in denen Jesus die Befehlsform „gehet hin . . .“ gebraucht (ital. ,andare sul cavallo di San Francesco', weil die armen Bettelmönche im Gegensatz zu den reichen Benediktinern zu Fuß zu reisen pflegten; vgl. ,auf Schusters Rappen' und ähnl. Ausdrücke). Die scherzhafte Anwendung der Rda. ist zuerst in der Studentensprache aufgekommen und in dieser Form erstmalig 1757 belegt. Schon 1755 be- zeichnete man in Hamburg (1781 in Pommern) die Füße und Beine als ,Apostelpferde1 (ndl. ,op zijn apostelpaarden'). Ansätze zur Ausbildung der Rda. liegen freilich schon viel früher. Im 16. Jh. erzählt die ,Zimmerische Chronik' (III, 429), wie sich der Bürgermeister von Buchen zu Fuß zum Reichstag von Speyer aufmacht: „und kam also per pedes geen Speier uf den reichstag geritten. Da zaicht er sich nun gleich bei der andern reichstetten gesanten an nach laut seins bevelchs. Die wollten sich seiner und seiner herren von Buchen einfalt zu krank lachen, gleichwol das nit in seiner gegenwurte beschach, und dieweil dieses gesanten comitatus hin und wider under den stenden erschall, do ward er nur der apostel genannt, dieweil er sein botschaft und befelch nur zu fueß uß richten thette44. Die Rda. ist auch mdal. vorhanden, z.B. westf. ,up dem Apostelpearde riden4, in Hamburg,Spann dine Apostelpeer an4. Ein ,Apostelreiter4 ist ein schlechter Reiter, der besser zu Fuß gehen würde. Zusammensetzungen mit Apostel haben überhaupt meist schlechte Bdtg. ,Apostelbier4 wurde um 1850 in Bayern ein Bier genannt, „wo zwölf an einem Seidel zu trinken haben"; ähnl. gilt der ,Apostelwein' als schlechter Wein. Die von einem willenlosen Menschen meckl. gebräuchl. Rda. ,Denn kann’n nachts henstellen as Apostel' geht auf die Apostelfiguren in den Nischen der Kirchen zurück; dastehen wie ein hölzerner Apostel /Johannes. Einen Apostel machen: einen sehr hohen Bogenwurf machen. Die vor allem bair. bezeugte Rda. ist beim Ballspiel gebräuchl., wohl daher, weil man den Ball gleichsam fast bis zu den Aposteln im Himmel zu werfen dachte. April. Einen in den April schicken: ihn am 1. April auf irgendeine Weise anführen und zum Narren halten. Die Sitte der Aprilscherze ist im 17. Jh. in Dtl„ ähnl. wie in Frankr., Holland und Engl, bezeugt. Noch heute besteht in Dtl. überall der scherzhafte Brauch, am 1. April jem. mit einem drolligen Auftrag oder einer lächerlichen Botschaft in den April zu schicken. Meist sollen dabei (in der Apotheke) irgendwelche unmöglichen Dinge besorgt werden wie Mückenfett, Hahneneier, Gänsemilch, getrockneter Schnee, Stecknadelsamen, schwarze Kreide oder Puckelblau. Im ganzen dt. Sprachgebiet kennt man den volkstümlichen Reim: ,Am ersten April schickt man die Narren hin, wo man will'; ebenso in zahlreichen mdal. Varianten, z.B. nie- derrhein. ,Aprilgeck, steck de Nos in den Kafeedreck'. Die Rda. ,in den April schik- ken' begegnet zuerst 1618 in Bayern. Der Gefoppte heißt ,Aprilnarr'. Dieses Wort erscheint als Nachbildung des engl. ,April- fool' zuerst Ende des 17. Jh. Die Sitte des Aprilschickens ist noch relativ jung und stammt wahrscheinl. aus Frankr. Vermuth hängt sie zusammen mit der Verlegung des Neujahrstages durch Karl IX. im Jahre 1564 vom 1. April auf den 1. Januar. Ein Rest der dadurch weggefallenen Neujahrsgeschenke sind die Scheingeschenke und scherzhaften Bestellungen am 1. April. Man hat allerdings das Aprilschicken auch noch anders zu deuten und herzuleiten ver¬ 63
Argusaugen sucht, so u.a. vom Termin des röm. Narrenfestes, vom Augsburger Reichstag vom 1. April 1530 oder vom Herumschicken Christi von Kaiphaszu Pilatus und Herodes am Abend vor der Kreuzigung (,von Pontius zu /Pilatus schicken4). So deutet der meckl. Volksmund ,Dat Aprilschicken is Sünn’, up’n iersten April is ja uns’ Herr Christus von Herodes nach Pilatus schickt worden4. Auch in der Lit. ist der Brauch bezeugt, z.B. in dem engl. Roman ,Clarissa Har- lowe4 von Richardson (übers, v. J. D. Michaelis, 2. Aufl. Göttingen 1749) heißt es: „sie werden jene dadurch April schicken44 (Clar. III, 73) und an anderer Stelle: „So hat sie mich April schicken wollen44 (send me upon a fool's errand, Clar. V, 188). Goethe dichtet (epigrammatisch): Willst du den März nicht ganz verlieren, So laß nicht in April dich führen. Den ersten April mußt überstehn, Dann kann dir manches Gute geschehn. Schließlich ist der April wegen seines veränderlichen Wetters personifiziert und zum Bild der Unbeständigkeit geworden. Allg. bekannt ist die Wetterregel ,April, April, der weiß nicht, was er will4. Rdal. Vergleiche dieser Art sind schon in mhd. Zeit bezeugt, z.B. „als aberellen weter vert ir wille44 (Benecke-Müller-Zarncke, Mhd. Wb.I, 5). Luther schreibt 1526 (,Vier tröstliche Psalmen4): „(David) muste auch erfaren, das fürsten hulde aprilwetter were44. Und in Grimmelshausens Simplicissimus4 (I, 84) heißt es: „weil seine lüff- tige Gottheit nur auf des Printzen Aprillen- wetterischer Gunst bestand44. Andere Wndgn. sind umg. noch ganz geläufig, z.B. Er ist launisch wie der April; ein Gesicht wie Aprilenwetter: zwischen Lachen und Weinen. Lit.: J. A. Walz: Zum Sprachgebrauch des 18. Jh., in: Zs. f. dt. Wortf., 12 (1910), S. 173ff.; Richter-Weise. Nr.6; HdA. I, Sp. 555-567 (Art. ,April' von G. Junghauer): H. Hungerland: In den April schicken, in: Niedersachsen, 3. Oster 1921, 26. Jg., Nr. 14, S.305ff.; H. Wolf-Beranek: Zum Aprilscherz in den Sudetenländern, in: Zs. f. Vkde. 64 (1968), S. 223 ff. Argusaugen.Argusaugen haben; einen mit Argusaugen beobachten (hüten): ihn scharfblickend und mißtrauisch beobachten; ein strenger und genauer Aufpasser oder Wächter sein. Argos Panoptes (der Allessehende) ist eine Gestalt der griech. Sage. Dieser Hirte hatte am ganzen Körper Augen, weshalb ihn die eifersüchtige Hera zum Hüter der in eine Kuh verwandelten Io bestimmte. Der Götterbote Hermes aber schläferte ihn durch den Ton seiner Hirtenflöte ein, tötete ihn und setzte seine Augen in den Pfauenschweif. Schon in der Antike diente der Name des Argos zu rdal. Vergleichen, z.B. lat. ,Argum fallere4 = den vorsichtigsten Menschen täuschen. Auch im MA. sind ähnl. Wndgn. in lat. Form bezeugt, z.B. Cautius in terris vos exercete, fidelis, Desuper intentans oculatus prospicit Argus. Dt. ist der Begriff Argusaugen seit 1696 belegt. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (III, 6) spricht Wurm von dem Major, der ihn „den ganzen Tag wie ein Argus hütet44, und in ,Maria Stuart4 (11,8) wird der Graf von Leicester „vom Argusblick der Eifersucht gehütet44. Ariadnefaden /Faden. Arkadien. Er ist in Arkadien geboren: er ist ein einfacher und unverbildeter Mensch. Die Arkadien ein einfaches Volk von Jägern und Hirten des Peloponnes, galten als der einfältigste griech. Stamm, die Landschaft, in der sie lebten, als friedlich und anmutig. Daher war schon in der Antike ,Arcadium germen, Arcadius juvenis4 sprw. Zur Zeit der dt. Klassik feierte man Arkadien als das Land der Unschuld und des Friedens. Schiller begann sein Gedicht Resignation4 mit den Worten: „Auch ich war in Arkadien geboren . . .‘4; Goethe wählte für seine italienische Reise4 den Wahlspruch „Et in Arcadia ego!44; Rückert sang in seinen ,Aprilreiseblättern4; Auch ich war in Arkadien geboren Und ward daraus entführt vom neid'schen Glücke. 1st hier der Rückweg? fragt ich jede Brücke; Der Eingang hier? fragt ich an allen Toren. Im Studentenlied („Als noch Arkadiens goldene Tage mich jungen Burschen ange¬ 64
Arm lacht . . A) und in der Operette („Als ich einst Prinz war von Arkadien“, Arie aus ,Orpheus in der Unterwelt1 von Jacques Offenbach) lebt die Erinnerung an das Idealgefilde der alten Welt fort. Lit.: Büchmann, S. 230, 577-579 (mit ausführlicher Darlegung des Goethe-Zitates und seiner lit. Vorgeschichte). arm. Der rdal. Vergleich arm wie Hiob (Job) stützt sich auf das ganze bibl. Buch Hiob oder auch speziell auf Hiob 17,6 („Er hat mich zum Sprichwort unter den Leuten gemacht“). Der weniger häufige rdal. Vergleich arm wie Lazarus beruht auf Luk. 16,20. - Da es in der Kirche keine Speisekammer gibt, bedeutet arm wie eine Kirchenmaus: sehr arm (seit dem 18. Jh. bezeugt); ebenso frz. ,gueux comme un rat d’église4, /Kirchenmaus. Gleichbedeutend: arm, schmierig, aber brav. Armer Teufel /Teufel; armer Judas / Judas. Daneben gibt es in den Mdaa. eine Fülle von rdal. Vergleichen der Armut, z.B. schwäb. ,Dear isch so arm, daß d’Mäus in dr Schublad mit verheinate Auga rumloffeF; ,Dear isch so noate, daß ’m 's dürr Holz aufm Heard nemma brennt“ ,Dear isch so nixig dra, daß m 's Kraut im Hafa nemme sia- def ; ,Dear haut nix as Laus, und dia send krank“ ,Dear vermag ’s Wasser an d’r Supp nef (Schindlmayr, S. 13). Jetzt hat die arme Seele Ruh /Seele. Arm. Einem unter die Arme greifen: ihm in einer augenblicklichen Not oder Verlegenheit behilflich sein. Die urspr. Vorstellung ist, daß man einem Strauchelnden oder Umsinkenden beispringt und ihn unter den Armen umfängt, ehe er zu Fall kommt; oder daß der Sekundant dem Fechtenden den Arm stützt. Von einem Hilfsbedürftigen sagt Lehmann 1639 (Helffen 52; S.387): „Es hat mancher flüggel, kan sich aber nicht auffschwingen, wenn man ihm nicht unter die Arm greifft“. Heute wird die Rda. vielfach nur noch bildl. gebraucht, wenn wir einem Hilfsbedürftigen etwa mit Geld oder mit einem guten Rat unter die Arme greifen. Das Bild ist aber doch noch zu handgreiflich, als daß man solche Wndgn. anders als mit leisem Spott und mit dem deutlichen Gefühl der schiefen Aus¬ drucksweise gebrauchen könnte; vgl. etwa die berl. Parodie eines Tischgespräches: ,Freilein, derf ick Ihnen mit ’n bisken Appelmus (auch: Krabbensalat) unter de Arme jreifen?4 Einen auf den Arm (aufs Ärmchen) nehmen: ihn zum besten haben, verspotten, anführen, necken. Auf den Arm nimmt man das kleine Kind; in übertr. Bdtg. wird also der Geneckte wie ein Kind behandelt. Die Rda. ist erst seit ungefähr 1930 aufgekommen. Einen langen Arm haben: großen Einfluß haben. Der Arm gibt die Reichweite eines Menschen an. Die Rda. gehört dem 19. Jh. an, entspr. frz. ,avoir le bras long1, ist aber schon in der Antike vorgebildet. So finden sich schon in den ,Heroiden‘ von Ovid (V. 13, 54) die Verse: „An nescias longas regibus esse manus“. Im 16. Jh. hieß es deshalb gleichbedeutend noch ,lange Hände haben4. Die Feststellung Er hat zu kurze Arme (ndl. ,Zijne armen zijn te korf ) wendet die Rda. ins Negative und deutet den voraussichtlichen Mißerfolg an, der auf geringem Einfluß, zu wenig Kapital, aber auch auf geistigem Unvermögen beruht. Jem. in den Arm fallen: noch gerade rechtzeitig etw. zu verhindern wissen, energisch eingreifen, gegen eine aggressive Handlung vorgehen. Jem. in die Arme laufen /zufällig begegnen. Diese Wndg. braucht der Verärgerte, der ein Zusammentreffen gerade vermeiden wollte. Sich jem. in die Arme werfen: seine Zuflucht zu jem. nehmen, sich seiner Gewalt freiwillig unterordnen. Die Rda. hat immer mehr einen negativen Sinn erhalten und wird meist auf junge Mädchen und Frauen angewandt, die allzu leicht bereit sind, die Geliebte oder Frau eines ihnen bisher Unbekannten zu werden. In der Wndg. sich dem Vergnügen (Laster) in die Arme werfen ist die Bedeutungsverschlechterung bes. auffallend. Mit verschränkten Armen dabeistehen (oder Zusehen): sich völlig passiv verhalten, untätig bleiben, nicht helfen. Die Rda. beruht auf einer Gleichgültigkeitsgebärde und kann sie ersetzen. Auch im älteren Recht waren solche Gebärden üblich, wie 65
Armee ,Mit verschränkten Armen dabeistehen" Darstellungen aus dem ,Sachsenspieger erweisen. Auch die Rda. einen mit offenen Armen auf nehmen (empfangen): einen sehnlich Erwarteten oder auch einen unverhofften lieben Besuch freudig begrüßen, steht symbolisch für eine Geste, ebenso die Wndg. jem. dem Gegner (Laster) in die Arme treiben, jedoch in negativer Bdtg. Die Wndgn. die Arme freihaben, die Arme freibekommen und sich die Arme freihalten, urspr. auf den Kampf bezogen, meinen heute: keine Behinderung haben, nach freien Entschlüssen handeln können; Zeit und Kraft für neue Aufgaben besitzen. Der rechte Arm von jem. sein: seine Stütze, seine beste Hilfe sein; /Hand. Mit dem krummen Arme kommen: Geschenke bringen. Etw. mit dem weichen Arme umfassen: eine Angelegenheit milde behandeln, günstig entscheiden. Bis über beide Arme in etw. hineingreifen (auch stecken, verschuldet sein): sehr tief in etw. hineingeraten, zu hoch verschuldet sein, so daß fremde Hilfe nötig erscheint. Dieselbe Bdtg. hat die Wndg. ,bis zu den Schultern". Mit den Armen hoher greifen, als die Hände reichen: die gesteckten Ziele sind unerreichbar, Erhofftes kann sich nicht erfüllen. Die Beine unter den Arm nehmen: schnell laufen, sich beeilen. Den Kopf unter dem Arm tragen: schwerkrank, todkrank sein. Die Rda. beruht auf der Vorstellung, daß Gespenster häufig ohne Kopf erscheinen, den sie unter dem Arm tragen, und geht wohl auch auf bildl. Darstellungen der Heiligenlegenden zurück, in denen enthauptete Märtyrer ihren Kopf tragen, wie z.B. Alban, Dionysius, Exuperius, Felix und Regula, Firminus und Nikasius. Einem am steifen Arm verhungern lassen: Drohung oder Warnung eines Kraftmenschen; vielleicht nach dem Vorbild Augusts des Starken, Kurfürsten von Sachsen. Armee. Zur großen Armee abberufen (versammelt) werden, abgehen (auch mdal., z.B. schles. ,zur grussa Armee geschap- pert"), ist einer der vielen verhüllenden Ausdrücke für sterben (/zeitlich). Die Wndg. ist in dieser Form erst im 19. Jh. in militärischen Kreisen aufgekommen. Th. Fontane schreibt z.B. 1894 in ,Meine Kinderjahre" (18. Kap.): ,,Ja, der alte Flemming ... ist nun auch schon zur großen Armee. Alles marschiert ab . . Im älteren Nhd. findet sich für unsere heutige Rda. wiederholt die Wndg. ,zu dem alten Haufen gehen (fahren)". Die Verstorbenen werden alle im Jenseits beisammen gedacht, eine zahllose Schar, gegen die die Zahl der Lebenden nur klein ist. Der Tod als Anführer eines großen Heeres findet sich schon in der mhd. Umschreibung für sterben: ,in des tö- des schar varn". Nikolaus Höningers ,Weltspiegel oder Narren-Schiff" (1574) kennt ,,dem alten hauffen zuschicken“, jem. Tod herbeiführen. Im ,Buch der Liebe" vom Jahre 1587 heißt es: ,,Euer Vater ist zu dem alten Haufen (gegangen)""; oder in der ,Zimmerischen Chronik": ,,Darauf fuhr der from Künig zum alten Haufen"". Der alte Haufen ist die Totenschar, doch tritt Haufe schon mhd. in der Bdtg.,Kriegerschar" auf. Später wird der alte Haufen das ,große Heer" genannt worden sein, denn das Wort Armee ist erst z.Zt. des Dreißigjähr. Krieges in die dt. Sprache eingedrungen. Die Rda. hat offenbar urspr. gelautet ,zu dem großen (alten) Heere abgehen". Der älteste Beleg findet sich bei Hans van Ghetelen ,Dat Narrenschyp" (Lübeck 1497), einer ndd. Bearbeitung von Seb. Brants ,Narren¬ 66
ÄRMEL schiff: „in olde heer ghaen". Heer bez. allerdings nicht bloß eine Armee, sondern urspr. auch jede große Menge. Aus der Fassung ,zudem großen Heere abgehen' ist wohl später, indem man Heer und Armee fälschlich gleichsetzte, die jetzt gebräuchl. Wndg. geworden, wozu die Vorstellung vom ,Soldatenhimmef trat. Es ist möglich, daß für die Einbürgerung der Rda. das Schicksal der,großen Armee' Napoleons in Rußland 1812 beigetragen hat. Vielleicht besteht auch ein Zusammenhang mit der bibl. Vision in Hes. 37, wo es V. 10 in der Sprache der Lutherbibel von den Verstorbenen heißt: ,,Und ihrer war ein sehr großes Heer", d.h. eine zahllose Menge. Die Antike hatte übrigens eine ähnl. Re- dewndg. für die gleiche Sache: griech. oi TiÀeloveç, d.h. ,die vielen' war eine volkstümlich euphemist. Umschreibung für die Toten, ebenso lat. ,plures'; z.B. ,ad plures abire', sterben. Mit dem gleichen Wort ,die große Armee' bezeichnete man in der Inflationszeit nach dem 1. Weltkrieg das .Heer' der Arbeitslosen. Lit.: R. Neubauer: ,Er ist zur großen Armee abgegan- gen\ in: Zs. f. Vkde. 14 (1904), S. 313-316; L. Günther: Wörter und Namen, S.36. Ärmel. Etw. aus dem Ärmel (auch aus den Ärmeln) schütteln: etw. Schwieriges leicht und mühelos, wie spielend, oder scheinbar gleichgültig ausführen; bes. von Dingen gesagt, die sonst eine genaue Vorbereitung erfordern, z. B. eine Rede aus dem Ärmel schütteln. Joh. Christoph Adelung leitet in seinem ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wb.' 1774 (I, 388) diese Rda. „von den weiten Ärmeln der Geistlichen" ab, „daher es auch bes. von Predigten, die ohne Zubereitung gehalten werden, gebraucht wird". Doch kommen die weiten Ärmel aus der spätma. Mode, und auch der Realsinn der Rda. muß auf eine Zeit zurückgehen, in der Ärmel so geräumig waren, daß man etw. darin verbergen oder aufbewahren konnte, was man dort nicht vermutete. Dafür gibt es genug reale Beispiele; etwa in einem schwäb. Beleg: „Anno 1399 hatten sich 5 Zünfft gesamelt mit iren Paneren in den Oermelen haimlich44. In Fischarts ,Gargantua4 heißt es: „. . . Und konnten sich nicht wehren, so voll haten sie die Er- mel gesteckt". Seb. Brant sagt im .Narrenschiff' vom Narren: Das man jn ouch füer witzig halt, Bis jm die pfif uß dem ermel fait, d.h., bis man seine Narrheit erkennt (weitere Belege vgl. Trübner I, S. 126). Die Taschen in den Ärmeln dienten später auch den Taschenspielern und Gauklern bei ihren Tricks. So sagt man noch heute: Das ist einer mit Ärmeln: das ist ein geriebener, abgefeimter Schlauberger. Auf die Möglichkeit, etw. in den Ärmeln zu verstecken, spielt auch das abfällige Sprw. an: ,Pfaffen haben weite Ärmel'; auch das ältere Sprw. ,In Franziskanerärmel und Diebsgewissen geht viel' verbindet ebenfalls beide Erklärungsmöglichkeiten. Als sprw. Rda., d. h. in übertr. Bdtg„ ist die Wndg. ,aus dem Ärmel schütteln4 jedenfalls erst seit dem 18. Jh. bezeugt: Chr. Fr. Henrici (Picander) sagt in seinen ,Ernst-Schertzhaften und satyri- schen Gedichten4 1727-37 (III, 49): Will man ein Ding geschwind ermitteln, So ist das Sprichwort eingeführt: Er kann es aus dem Ermel schütteln, Eh sich ein hocus pocus rührt. Hingegen wird es einem sauer Kommt alles bey ihm langsam raus, So heißfs: Er sieht als wie ein Bauer Und wie Hannß ohne Ermel aus. Auch heutzutage denkt man bei der Erklärung der Rda. meist an die Tricks von Zauberkünstlern. Die Rda. etw. hinter dem Ärmel haben: zurückhaltend, hinterlistig sein, seine Gesinnung und seinen wahren Charakter geschickt verbergen, beinhaltet einen ähnl. Gedanken. Jetn. über den Ärmel einladen: eine Absage zu erwarten haben. Dagegen einem bald die Ärmel zerreißen: einen Gast zum Dableiben nötigen. Die schles. Feststellung ,Ma wird nich lange Ermel mit em moachen', kündigt an, daß ohne Umstände und zarte Rücksichten gegen jem. vorgegangen werden soll. Er wird den Ärmel einzupassen wissen, wird von jem. gesagt, von dem man erwartet, daß er eine Sache in Ordnung zu bringen versteht. Diese Rda. bezieht sich auf eine der schwierigsten Arbeiten im Schneiderberuf und wurde auf allg. Schwierigkeiten übertragen. Ich kann die Ärmel aufstreifen (hochkrempeln), versichert derjenige, der selbst mit 67
Armenkasse zupacken will, weil er keine Arbeit scheut. Die Rda. stammt aus der Zeit, als noch Handmanschetten getragen wurden, die bei den meisten Arbeiten hinderlich waren. Leck mich am Ärmel ist eine verhüllende Wndg. für die bekannte Aufforderung des Götz von Berlichingen, deren letzter Bestandteil durch ein anlautgleiches Wort ersetzt wird (bekannt seit dem Ende des 19. Jh.). Ähnl. wird die Wndg. ,im Ärmer für einen verächtlichen Platz gebraucht; z. B. ostpreuß. ,He kan mi öm Ärmel wanen (wohnen), denn brukt he keene Müd (Miete) to betaln', /Arsch. Auf den Ärmel binden /Bär; Dreck am Ärmel haben /Dreck; frech wie Rotz am Ärmel/frech. Lit.: Richter- Weise, Nr. 149,S.164f.; Trübneri, S. 126; Küpper I, S.46f. Armenkasse. Etw. aus der Armenkasse kriegen:Prügel beziehen; auch als Drohung ,Du kriegst was aus der Armenkasse!1 Die Rda. beruht auf einem witzigen Wortspiel, in dem ,Arm‘ nicht,besitzlos', sondern das Körperglied bedeutet, mit dem zugeschlagen wird; seit der 2.H. des 19. Jh. berl., nordostdt. und obersächs. bezeugt. Armutszeugnis. Sich ein Armutszeugnis ausstellen: sein geistiges Unvermögen offenbaren, sich eine Blöße geben. Das Armutszeugnis bezog sich indessen urspr. nicht auf die geistige, sondern auf die tatsächliche Armut an Geld und Gütern. Wer das Armenrecht beantragte, d.h., wer staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen wollte, der mußte eine behördliche Bescheinigung seiner Armut, das Armutszeugnis, vorlegen. In übertr. Bdtg. ist die Rda. seit der Mitte des 19. Jh. belegt. Arsch. Umgangssprache und Mdaa. gebrauchen das derbanstößige Wort Arsch in zahlreichen Wndgn. Das berühmte Kraftwort Er kann mich am Arsch lecken gehört eigentl. in die Nähe verwandter Wortprägungen, wie ,Staub-, Fuß-, Speichel-Lek- ken\ denn es soll ja ebenfalls eine Entwürdigung und Demütigung darstellen. Die Formel ist von Hause aus keineswegs nur ein derbes Kraftwort, die Aufforderung galt vielmehr noch im neuzeitlichen Volksglauben als ein dämonenverscheuchendes Mittel, wie auch dem nackten Gesäß apo- tropäische Wirkung zugeschrieben wurde. Die Weisung des nackten Hinterteils war eine Abwehrgebärde, die nicht nur spöttisch-verächtliche, sondern urspr. zauberisch-ernste Hintergründe hatte. In Resten hat sich dieser Abwehrzauber noch bis zur Ggwt. erhalten. Glaubte man z.B. einer Hexe oder gar dem Teufel zu begegnen, so murmelte man den Kraftausdr. mehrere Male vor sich hin. Da leckst du mich am Arsch! kann allerdings auch Ausdr. hoher Verwunderung sein. In der Umgangssprache läßt sich derbe Ablehnung und höchste Verwunderung mit derselben Rda. zum Ausdr. bringen. Als Ausdr. des Staunens, der Verwunderung, ist der schwäbische Gruß' z.B. unter Bekannten gebräuchlich, die sich lange nicht mehr gesehen haben: Jetzt 1. m. i. A. - wo kommst du her?' Er kann gebraucht werden, um ein Gespräch anzuknüpfen, um eine ins Stocken geratene Unterhaltung wieder in Gang zu bringen, um einem Gespräch eine andere Wndg. zu geben, und schließlich, um eine Unterhaltung endgültig abzubrechen. ,Den nackten Arsch weisen' Lange vor Goethes ,Götz von Berlichingen' (III, 4) findet sich die Rda. bei Luther: ,,Wenn man aber nun den Teufel kennt, so kann man leichtlich zu im sagen: Leck mich im Arsch". Frühbelege gibt es allenthalben in grobianischer Sprache, z.B. bei Hans Sachs (,Der doctor mit der grosen nasen'): Ey wie wol dus getroffen hast, Peim ars im Schlaff, mein lieber Friez, Kump her vnd kües mich, da ich siez! 68
Arsch Grimmelshausens ,Simplicissimus4 kennt die Rda. noch als konkrete Demütigung; ,,Hätten sie ihm Nasen und Ohren abgeschnitten, zuvor aber gezwungen, daß er ihrer Fünfen den Hindern lecken müssen“; oder an anderer Stelle: „Ich sagte: Du Flegel, sie haben dir deine Schafe wollen stehlen. Der Bauer antwortete: So wollte ich, daß sie mich und meine Schafe müßten im Hintern lecken“. Johann Beer (1655-1700) im ,Narrenspi- tal4: ,,. . . hinfort sollst du mich nicht mehr streichen, aber wohl im Arsche lecken, du Hundsfutt, hast mich gehalten wie einen jungen Tanzbären, aber nun blase mir ins Loch dafür, du Henkersknecht!“ Die frühesten Belege finden sich in Beleidigungsprozessen und -klagen des 14. Jh. Nach den Luzerner Ratsprotokollen soll eine Frau, Jenzis Vasbindz Weib, zu ihrem Manne gesagt haben: ,,Leck den gabelman und fach mir im ars an und küss mir die mutzen im zünglin“; 1454 in einer Bamberger Beleidigungsklage: ,,Auch spräche sie, er solle sie im Arse lecken und an ihre Brüche küssen!“ Goethe fand die Vorlage in der Lebensbeschreibung Herrn Götzens von Ber- liehingen\ 1731, wo es u.a. heißt: ,,. . . da schrie der Amtmann oben heraus, da schrie ich wieder zu ihme hinauf, er sollte mich hinten lecken . . .“ Kaspar Stieler formulierte 1691 vornehm und lat.: ,,Ich werde dich darumb nicht im Arsche lecken, non supplicabo tibi, nec instar numinis te venerabor ob rem eius modi“. Da mit zunehmender Verfeinerung die Rda. als zu anstößig empfunden wurde, hat sich in der Umgangssprache eine große Zahl von umschreibend-beschönigenden Rdaa. entwickelt, z.B. die Abk. ,l.m.a.\ die wiederum als ,Laß mich allein!4 ausgedeutet wird; ,Leck mich am Ärmel4; ,Du kannst mich4; ,Du kannst mich am Abend besuchen4; ,Du kannst mir im Mondschein begegnen4; ,Götz von Berlichingen, III. Akt, 4. Szene!4; ,Bei mir Götz von Berlichingen!4, indem man also statt des Zitates selbst nur die Stelle nennt. Als euphemist. Umschreibung für diese Aufforderung kennt der Volkswitz noch viele Rdaa., z. B. ,Küß mir den Ellenbogen4; ,Kannst mi auf den Bank hinauflupfen, ro kann i selber4; ,Kannst mir den Buckel küssen, wo die Haut ein Loch hat4;,Kannst mir den Buckel ’runterrutschen (oder: hinaufsteigen)4; ,Du kannst mir auf die Kirbe (Kirchweih) kommen4; ,Kannst mi fiinfern, hast um sechs Feierabend4; ,Kannst mir sonst was tun4; ,Kannst mi gern haben4 (Wien); ,Kannst mir den Zucker vom Kuchen lecken4; ,Kannst mich küssen, wo ich schön bin (wo der Buckel ein Ende hat)4; ,Blas mir den Hobel aus4; ,Leck oich der Geer4; ,Kannst mich neunundneunzigmal - ungeschoren lassen4. Die tabuierte Rda. ist u.a. durch folgende ebenfalls rdal. Umschreibungen paraphra- siert worden: ,Du kannst mich ergötzen4, ,am Ärmel küssen4, ,im Adler treffen4, ,von hinten beriechen4, ,als Briefmarke betrachten4, ,am Marschieren nicht hindern4, ,zu einer intimen Goethefeier begleiten4; ,Du kannst mir gewogen bleiben, am Hahnen riechen4, ,am Ammersee ein Haus kaufen4, ,meine Naturbrille putzen4, ,in die Tasche steigen4; ,Du kannst mir den Buckel runter rutschen und dort, wo er den anständigen Namen verliert, mit der Zunge bremsen!4 Auf die rdal. Aufforderungen gibt es auch eine ganze Anzahl rdal. witziger Erwiderungen, wie z.B.: ,Vor meinem ist auch kein Gitter!4; ,Das tät’ ich nicht, und wenn er mit Zucker bestreut wär!4; ,Das hab’ ich schon einer anderen Sau versprochen!4; ,Bedauere, ich bekomme Sodbrennen davon!4; ,Säue werden nicht gelockt, sie werden geschruppt!4; ,Häng deinen Arsch zuerst ein halb’s Jahr in den Neckar!4; ,Schade, daß ich mir das Naschen abgewöhnt habe!4; ,Tut mir leid, der Arzt hat mir Diät verordnet!4; ,Wenn du deine Hose so schnell herunterziehst, wie ich die Zunge herausstrecke, warum nicht?4;,Recht gern, wenn ich wüßte, welches dein Arsch und welches dein Gesicht wäre!4 In einer großen Zahl von vulgären Volksliedern spielt das bekannteste aller Goethe-Zitate ebenso eine Rolle wie in einer Reihe von Spruchprägungen, z.B. Wenn jeder wüßte, Was er mich könnte, Und es auch täte- Nie käme ich zum Sitzen. Sage mir, was Du von mir willst, Und ich sage Dir, was Du mich kannst. 69
Art Wenn Dich Haß und Neid umringen, Denk an Götz von Berlichingen! Trost gibt Dir in allen Dingen Ritter Götz von Berlichingen. Einem in den Arsch kriechen (z.T. mit dem witzigen Zusatz: ,sich darin umdrehen und den Eingang verteidigen'): sich jem. kriechend unterwürfig zeigen; sich bis zu schimpflicher Selbstaufgabe erniedrigen. .Einem in den Arsch kriechen4 Ihm geht der Arsch (auf) mit Grundeis: er hat große Angst, bange Befürchtungen. Wenn nach starkem Frost das Grundeis losbricht, so entsteht polternder Lärm. Wegen dieses Geräusches und seiner Tiefenlage meint Grundeis hier den Durchfall, der als Begleiterscheinung von Angst und Feigheit auftritt. Die Rda. ist seit etwa 1760 belegt, aber sicher mdl. älter. Scheffel ersetzt sie in dem Gaudeamuslied ,Der erratische Block4 von 1864 durch die gemilderte Form: Und der spielt die traurigste Rolle, Dem die Basis mit Grundeis ergeht. Sich etw. am Arsch abfingern (abklarieren) können: etw. Selbstverständliches mit Leichtigkeit begreifen können. Die Rda. ist eine Groteskbildung zur Rda. ,sich etw. an den fünf Fingern abzahlen können4. Am Arsch der Weh: in abgelegener Gegend; sold, seit dem 2. Weltkrieg. Den Arsch betrügen: sich erbrechen. Betrogen wird er, weil aus dem Munde hervorkommt, was normalerweise den Weg durch den After nimmt; sold, seit dem 1. Weltkrieg. In zahlreichen anderen Redewndgn. ist das anstößige Wort Arsch durch verhüllende Umschreibungen ersetzt worden (z.B. Sitzfläche, die vier oder fünf Buchstaben, Allerwertester, Erziehungsfläche, Hinterer, Südpol, Hintergestell, Hinterviertel, Podex, Popo, wo der Rücken seinen ehrlichen Namen verliert, Verlängerung des Rückens, Armloch, Armleuchter). Lit.: M. Müller-Jabusch: Götzens grober Gruß (München 1956); Küpper I, S.23 und S.47L, S.383; Büchmann, S. 172; Wander I, Sp. 808f.; H.-E. Schramm: LMIA. Des Ritters Götz von Berlichingen denkwürdige Fensterrede (Gerlingen/Württ. 1967). Art. Aus der Art schlagen (fallen): diejenigen Eigenschaften, die der Art eigentümlich sind, die im Blute liegen, verlieren oder absichtlich ablegen, aber auch gute Eigenschaften und Talente zeigen, die bisher in der betreffenden Familie unbekannt waren. Die Bdtg. des Wortes ,Art4 = Geschlecht ist heute selten geworden. Schlagen4 hat hier dieselbe Bdtg. wie in der Wndg. ,Er schlägt nach seinem Vater4 oder ,seinem Vater nach4 (so schon ahd. ,,nah tien forderon ze slahenne an iro tugede44). Hierher gehören auch Prägungen wie: .Menschen-, Volksschlag4, .ungeschlacht4 und .Geschlecht4. Die Rda. ,aus der Art schlagen4 ist seit frühnhd. Zeit bekannt; daneben steht die Form ,aus dem Geschlecht schlagen4. Grimmelshausen hat dafür die Wndg. .sich ausärtlen4. Mit der Bedeutungsveränderung des Wortes Art hat sich auch der Sinn der Rda. verändert und meint meistens nur noch neutral: sich nicht so (nicht in der Art) benehmen, wie es sich gehört. Ebenso sind die Rdaa. zu verstehen das hat keine Art und umgekehrt, daß es eine Art hat. Asche. Sich Asche aufs Haupt streuen, in Sack und Asche gehen (trauern) und ähnl. Rdaa. sind bibl. Wndgn. Die Wortverbindung ,Sack und Asche4 kommt zuerst Ester 4,1 bei der Schilderung eines Trauerbrauches vor (,,Da Mardochai alles erfuhr, was geschehen war, zerriß er seine Kleider und 70
Ast legte einen Sack an und Asche und ging hinaus mitten in die Stadt und schrie laut und kläglich“); ähnl. V. 3; Jes. 58,5 („auf einem Sack und in der Asche liegen“). Nach 1. Makk. 3,47 wird die Asche auf das Haupt gestreut, und bei den Evangelisten Matth. 11,21 und Luk. 10,13 tritt der Begriff,,Buße tun“ hinzu (vgl. frz. ,faire pénitence dans le sac et dans la cendre4; engl. ,to repent in sackcloth and ashes'; ndl. ,in zak en as zitten4). Ungebrannte Asche ist eine seit etwa 1600 bezeugte volkstümliche Umschreibung für ,Stockprügel4. In Westf. sagt man heute noch ungebrannte Aske bruken\ Wie ein Phönix aus der Asche /'Phönix. Unter der Asche glimmen kann z.B. alter Haß. Die Rda. beruht auf dem alten Brauch, am Abend das Feuer im Herd mit Asche zu bedecken, um einem Brand vorzubeugen. Am Morgen wurde sie entfernt, die glimmende Kohle mußte angeblasen werden. Diesen täglichen Vorgang spiegelt die Rda. Kohlen unter der Asche anblasen; sie meint übertr.: Leidenschaften neu entfachen, die man längst beruhigt glaubte. In Schutt und Asche legen (verwandeln, lie- gen, sinken): zerstören, zerstört sein, zerstört werden. Häufig als Drohung dem Feind gegenüber gebraucht und in Presse- und Rundfunkmeldungen während des 2. Weltkrieges von fremden und eigenen Städten berichtet. Lit.: HdA. I, Sp. 611-617 (Art. ,Aschek von Scheftelo- witz)’, Risse, S.302; Büch mann, S.26, 29 und 116 f. aschgrau. Das geht ins Aschgraue: ins Ungewisse, ins Unabsehbare, ins Unglaubliche. Die Zusammensetzung mit,Asche' hat hier nicht den Zweck, eine bestimmte Farbvorstellung zu erwecken, etwa die einer gewissen Schattierung des Graus, sondern einfach den Begriff der grauen, unerreichbaren Ferne zu steigern; so gebraucht der schles. Dichter Wenzel Scherffer 1652 die Wndg. ,aschgraue Ewigkeit4 (verwandt sind Wortprägungen wie ,pechschwarz4, .feuerrot4, .grasgrün4). Thür, sagt man auch ,Er hat sich taubengrau geärgert4. Wieder ganz anders zu verstehen ist Das ging bis in die aschgraue Pechhütte. Pechhütten lagen in der tiefsten Einsamkeit des Waldes, in Gegenden, aus denen das Holz schlecht abtransportiert werden konnte, so daß man es lieber zu Pech oder Kohlen verarbeitete ; der Zusatz .aschgrau4 steigert nur den Begriff der Ferne und Abgeschiedenheit. Später nahm die Studentensprache den Ausdr. auf. Der Student nannte früher den Schuldturm und den Schuldenarrest .Pechhütte4, und aus der Verbindung der Wndgn. .Schulden machen bis ins Aschgraue4 und ,Das führt schließlich in die Pechhütte4 mag die Rda. von der .aschgrauen Pechhütte4 entstanden sein, die dann auch angewandt wurde, wo von der urspr. Vorstellung nichts mehr übriggeblieben ist; z.B. schlafen bis in die aschgraue Pechhütte: bis ins Endlose. Aßmann. Das kannst du halten (oder machen) wie der Pfarrer Aßmann: wie du willst, du hast freie Entscheidung; diese bes. in Westmitteldtl. und Berlin verbreitete Rda. wird in der Zs. des Dt. Sprachvereins 39 (1924), S. 136ff. auf den kurhess. Pfarrer Karl Christian Raßmann zurückgeführt, der 1860 in Mecklar bei Hersfeld amtierte und wegen seiner Eigenmächtigkeit bekannt war. Seine oft eigenwillige Amtsführung soll er mit den Worten begründet haben; „Das mache ich, wie ich will44. Des Reimes wegen wurde hinzugefügt: „Der macht es wie der Pfarrer Nolte und Pfarrer Nolte hielt es immer, wie er wollte44. Auch auf einen thür. Geistlichen wurde die Rda. zurückgeführt. Dieser soll durch den Wurf mit der Bibel einen vorüberlaufenden Hasen getötet haben. Herzog Karl August entschied: „Der Pfarrer Aßmann hat zwar keine Jagdberechtigung; mit den Hasen aber, die er mit der Bibel totwirft, kann er machen, was er will!44 - Auch andere Namensformen treten auf, z.B. Asmus, Rasmus, Nolte. Ast. Sich den eigenen Ast absägen oder (selbst) den Ast absägen, auf dem man sitzt: sich selbst empfindlichen Schaden zufügen, sich selbst eine wichtige Bedingung von Leben und Tätigkeit zerstören. Die Rda. ist umg. und mdal. allg. verbreitet. Schon das Lat. hat dafür verwandte Bilder, z.B. bei Cicero: „navem perforare, qua quis ipse naviget44 (das eigene Schiff durchlöchern); bei Horaz: „vineta sua caedere44 (die eige¬ 71
Aufbinden nen Weingärten abschneiden); bei Tibull: ,,messes suas urere“ (die eigene Ernte verbrennen). Ast ist auch im Volksmund ein geläufiges Bild für Buckel; daher einen Ast haben: einen Buckel haben; etw. auf den Ast nehmen: tiw. auf den Buckel bzw. auf die Schulter nehmen. Auch die Rda. sich einen Ast lachen: heftig lachen, hängt mit dieser Bdtg. von Ast zusammen: so sehr lachen, daß man dabei aussieht, als hätte man einen Ast, d.h. Buckel. Die Rda. ist seit 1850 belegt, vgl. frz. ,rire comme un bossu‘. Berl. wird die Rda. komisch erweitert zu: ,Ik lach mir’n Ast un setz mir druff!4, auch ausgedehnt zu einem Vers: Gibt dir das Leben mal ’nen Puff, Verziehe keine Miene! Lach dir ’nen Ast und setz dich druff Und bammle mit die Beene! Oder (mit Wortspiel zwischen ,grienen4 und ,grünen4): ,Man lacht sich ’n Ast un jrient ’n an4. Das Schnarchen hört sich gelegentlich so an, wie wenn ein Ast durchgesägt werden müßte; so rhein. ,Wat hot de en dicke Ast, de kimmt gar nit dorich!4 Auf keinen grünen Ast kommen /Zweig. Sich auf dem absteigenden Ast befinden: über den Höhepunkt hinaus sein, so daß es bergab geht. Diese Rda. bezieht sich auf den Brauch, den Stammbaum eines Geschlechtes darzustellen. Bei Eheschließung zwischen Blutsverwandten tritt Ahnenverlust ein. Die Familie kommt auf den absteigenden Ast. Jem. die Aste stumpfen: ihn hart bestrafen, ihm auch seine Entwicklungsmöglichkeiten begrenzen, vgl. ,jem. die /Flügel beschneiden4. Die Rdaa.: den dürren Ast kiesen (wählen) und auf dem dürren Ast sitzen: alle Freude fliehen und sich ganz der Trauer um einen entfernten oder verstorbenen lieben Menschen hingeben und ihm für immer die Treue halten, beziehen sich auf die im MA. bes. beliebte Taubensymbolik. Konrad von Megenberg schreibt in seinem ,Buch der Natur4 (S. 225 f.) darüber:,,Turtur haizt ain turteltaub . . . diu si hat irn gemahel liep und heit im allain trew, also vil, daz si ir kain ander liep nimt, wenn er gestirbt. und wenn sie witib ist, so fleugt si neur auf die dürren est der paum und waint und ist traurig und singt niht . . . Pei der turteltauben versten ich ain rain pider weip, diu allein irm aini- gen liep trew heit und ist gedultig mit allen weipleichen zühten.44 In Wolfram von Eschenbachs ,Parzival4 (57, lOff.) heißt es von Sigune, dem Urbild der Treue: Der jamer gap ir herzen wie, ir freude vant den dürren zwic, als noch diu turteltube tuot. Diu het ie denselben muot: swenn ir an trutscheft gebrast, ir triwe kos den dürren ast. Außerdem ist die Taube auf dem dürrren Ast das Gralszeichen. Im ,Alexius4 Konrads von Würzburg sagt die Trauernde von sich selbst (V.376ff.): Ich arme truren soi nach ime. sam sich diu turteltube quelt, diu kein ander liep erwelt, swenne ir trut gevangen wirt. Si midet iemer und verbirt aller grüener Böume zwi und wont dem dürren aste bi mit jamer und mit sender klage. Der ,Ackermann aus Böhmen4 klagt nach dem Verlust seiner Frau (III. Kap., Z. 19 f.): ,,Bei trübem getranke, auf dürrem aste, betrübet, sware und zeherend beleihe ich und heule one underlaß!44 Auch im Volkslied lebt dieses Bild von der Taube auf dem dürren Ast als Symbol treuer Liebe und Trauer um den verlorenen Geliebten fort. In der ,Liebesprobe4 (Straßburger Liederbuch von 1592) sagt das treue Mädchen dem unerkannten Geliebten: Da hatt man im ein jüngfrewlin geben So will ich beweinen mein leben Vnd mir nemmen ein eynigen muth, Gleich wie das turteltaeüblein thutt. Es fleügt wol auf ein dürren nast, Bringt vns ja weder laub noch grass . . . aufbinden. Einem etw. aufbinden: ihm Unwahres als wahr ausgeben, einem etw. ,weismachen4, ihn anführen. Die Rda. kommt in diesem Sinne zuerst bei dem Prediger Joh. Balth. Schupp 1663 vor und ist dann auch in den Wbb. seit Stieler (1691) wiederholt im heutigen Sinne gebucht. Die Erklärung hat freilich Schwierigkeiten bereitet. Man hat darauf hingewiesen, daß auf Warenballen von den Kaufleuten ein Mu¬ 72
Aufheben • sterstück ,aufgebunden" worden sei, das durch seine ausgesuchte Beschaffenheit oft trügerische Vorstellungen über den Inhalt erregt habe; doch heißt ein solches Schaustück /Ausbund, nicht,Aufbund1. Man hat sodann eine Lehnübers. von lat.,imponere" angenommen. Wahrscheinlicher ist die umg. und mdal. geläufige Rda. eine Kürzung aus einer urspr. Vollform ,einem etw. auf den Ärmel binden". Diese Erklärung wird durch gleichbedeutende mdal. Varianten gestützt, z.B. ndl. demand iets op de mouw spelden" (wörtl.: jem. etw. auf den Ärmel heften; /anhängen). „Einem etwas auf den Ärmel heften oder binden, figürlich doch nur im gemeinen Leben, seine Leichtgläubigkeit mißbrauchen"" bucht auch 1774 Adelung in dem ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches" (Bd. 1, Sp. 388) neben „einem etwas aufbinden, d.h. ihn bewegen, eine Unwahrheit zu glauben"" (Bd. 1, Sp. 428). In der heute üblicheren Form ,einem einen Bären aufbinden" (daneben obd. auch ,einen Bären anbinden", was sonst ,Schulden im Wirtshaus machen" bedeutet; /Bär) dient Bär offenbar nur zur Steigerung, um die Last der Lüge bes. deutlich zu machen. Einem etw. auf die Nase binden /Nase. Einem etw. auf die Seele binden /Seele. aufbrummen. Jem. etw. auf brummen: jem. eine Strafe auferlegen, eine unmäßige Arbeit geben; /brummen. aufgedonnert. Ist die aber aufgedonnert! sagt man von einer Frau, die geschmacklos und aufdringlich angezogen ist. Die Rda., die seit dem 19. Jh. bekannt ist, hat mit Donner nichts zu tun, sondern enthält eine Entstellung von ital. ,donna" = Dame. Urspr. meinte die Rda. ernsthaft: wie eine Dame gekleidet sein; erst später nahm sie die iron. Färbung an (Krüger-Lorenzen I, S. 19). Auf ge putzt wie ein Pfingstochse sein /Pfingstochse. aufheben. Ein großes Aufheben (viel Aufhebens) von etw. machen: viele Worte darum machen, damit prahlen. Die Rda. stammt aus der Sprache der (Schau-)Fech- ter, die vor Beginn des Kampfes ihre Degen mit umständlichen Zeremonien und prahlerischen Worten vom Boden ,aufhoben". In diesem Sinne wird die Rda. schon in den älteren Wbb. erklärt. Stieler sagt hierüber 1691 (S.806): „in arte pugillatoria est colligere arma cum ceremoniis quibusdam, quod dicunt ein aufhebens machen“. Ähnl. bucht Frisch 1741 (I, 431): „Das Aufheben, oder die Aufhebung, viel Aufhebens machen, viel Zubereitung zum Kampf machen, als die Klopf-Fechter, ridiculam adhibere praeparationem ad pugnam inanibus gesticulationibus arma ad duellum arripere"". Im Sinne der Fachsprache der Fechter verwenden auch die frühen lit. Belege den Ausdr. Das erste lit. Zeugnis bietet Johann Fischarts ,Gargantua" (S. 402): ,,.. .wider zu seiner Kreutzstangen, mit der macht er ein auffhebens und satzt sich wieder zu Pferd“. Bei Ayrer (II, 1003, 27) heißt es: „Berchting nimmt eins (ein Fechtschwert), macht ein auffhebents, gibt dem Jungen auch eins, thun ein gang zusammen"". In übertr. Bdtg. erscheint die Rda. dann seit Abraham a Sancta Clara 1711 (,Totenkapelle" 29): „mit allerley Schlitten allerhand Aufhebends machen"". Wieland (XX, 60): „so viel Aufhebens und Prahlens davon zu machen“. Lessing,Emilia Galotti" (1,6): „auch war nicht viel Aufhebens davon zu machen"". Bei Lessing blickt allerdings auch noch gelegentlich der alte und wörtl. Sinn der Wndg. durch: „Endlich scheinet der Hauptpastor Göze, nach so langem ärgerlichen Aufheben, welches nur bei der schlechtesten Art von Klopffechtern im Gebrauch ist, zur Klinge kommen und bei der Klinge bleiben zu wollen"" (Sämtl. Schriften, hg. v. Lachmann, Bd. 10, S.239, Nötige Antwort). Da der Waffenbrauch der Fechter als umständlich, unnötig und überholt angesehen wurde, ist die Rda. im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr nur noch in negativer Wndg. gebraucht worden: nicht viel Aufhebens von etw. machen: keine Umstände, nicht viele Worte machen, unauffällig über eine Sache hinweggehen, ihr keine weitere Beachtung schenken. - Auch ,es mit einem aufnehmen", den Kampf mit ihm beginnen, sich dem Gegner gewachsen fühlen, geht möglicherweise auf das ,Aufheben" oder ,Aufnehmen" der Waffen vor dem Zweikampf 73
Aufmutzen zurück; vgl. ,nicht viel Federlesens machen1, /Federlesen. Lit.:A. Kuntzemüller: Zur Gesch. des substantivierten Infinitivs im Nhd., in: Zs. f. dt. Wortf. 4 (1903), S.58-94, bes. S.72f. auf mutzen. Einem etw. auf mutzen: ihm etw. tadelnd hervorheben. In Luthers Bi- belübers. heißt es Jes. Sirach 13,27: ,,Wenn aber ein Armer nicht recht getan hat, so kann man’s aufmutzen“. In Lessings Freigeist4 heißt es (II, 1): ,,Aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen sollen44. Urspr. hatte aufmutzen noch keinen tadelnden Beigeschmack, sondern bedeutete dasselbe wie ,aufputzen4 (mhd. mutzen = schmücken, putzen), und noch Hans Sachs schreibt „mit Kleidung sich aufmützt44 (Richter-Weise, Nr. 9). aufnehmen. Es mit einem aufnehmen (können): sich ihm gewachsen fühlen. Fast gänzlich aus dem Bewußtsein geschwunden ist uns heute, daß in dieser Redewndg. das ,es4 sich auf die Waffe (in älterer, z. B. noch von Luther gebrauchter Form ,das wafen4) bezieht, die vor dem Zweikampf vom Boden aufgenommen wurde; /aufheben. Lit.: L. Günther: Wörter und Namen, S.34. aufpassen /Heftelmacher; /Luchs; /Schießhund. aufschneiden. (Gern) aufscfineiden (wollen): unwahre Heldentaten erzählen, unglaubhafte Erlebnisse berichten, übertreiben, angeben, prahlen. Der Ausdr. ist eine seitdem 17. Jh. bezeugte Kürzung der älteren Rda. mit dem großen Messer aufsehnei- den(ndd. ,dat grote Messer gebruken4), die gebraucht wurde, wenn einer allzu ,starke Stücke4 auftischte. Schon das MA. sprach von einer ,snidenden lüge4 (Hartmann, Büchlein, 2, 511). Der bildl. Gebrauch der Rda. ist in Dedekinds ,Grobianus4 (durch C. Scheid, Erfurt 1615) vollständig durchgedrungen, wenn er die Weisung gibt, bei Tische so viel Reiselügen zu erzählen, daß das Brotmesser Scharten und Zacken bekommt und der Gastgeber damit das Brot sägen kann. Mit dem großen Aufschneidmesser beschäftigt sich ein fliegendes Blatt vom Jahre 1621 sehr ausführlich, das den Titel trägt:,,Ambassador des Lucifer, jetzo aus der Höllen in die Welt gesandt, ein großes Messer allda einzukaufen, damit man weidlich aufschneiden kann44. Noch bis in unser Jh. hing früher in manchen Bierstuben ein großes Aufschneidmesser mit einer Glocke an der Decke befestigt, an der man läuten konnte, wenn einer eine handgreifliche Lüge erzählte. Dem entspricht auch die bildl. Darstellung der Aufschneidmesser schon in Bilderbogen des 16. und 17. Jh. Ihre illustrierenden Holzschnitte enthalten meist erläuternde Verse, z.B.: Man schaut dich mit verwundrung an, Jung Alt so wol, alß Frau vnd Man Das Auffschneidt Messer, Hör, ich frag Ist nit darvon ein grose Sag? Endlich knüpft sich an das Aufschneiden ein urspr. wohl frz. Schwank, der selbst eine Aufschneiderei im wörtl. wie im bildl. Sinne des Wortes ist. Ein Schmied erzählt: „Do er hette Morgenbrod gessen und das Brod angeschnitten, hett er durch das Brod mitten durch geschnitten, und durch seinen Leib und durch die Wand und seinen Nachbarn etlichermassen in Rücken verwundet44. In Franken und Schwaben heißen lustige Geschichten, Schwänke und bes. Lügenerzählungen ,Schnitze4. Gleichbedeutende Rdaa. wie aufschneiden sind: ,Aufschneider4 74
Augapfel ©tt ticuKö ^ufff<$mfôf0«ikr / allen pi^macfrm/ SÖoflcnrciflcnt / ^aulaufflprctijcrn vnb 33nll«ifdjnnewi / j u fonh ^fallen innZrucf^3(t)ctu (tOnn» faJJ cOt T«p a» nn*>« <trf4m rte f»j- ^On* MTNm$ mtfonfift moraftgttF CP rCmru f$*n» /pt* f* Qnentuv y* $<11f<$ KT brtrr jrf. tt 2V**JW Dvjav 0>«r*«L ^gwffiTOaJTn*«**!!^^» . 93<* K< ltotf< TDlfl» town ff «fr»/ U o» *nJ MTui (u dm greffai m» ; ShnfWinri Sfctffrrt* m$u nü*/ 6« $j» 14 tm$ »<*ti«iKnW i*ti 3u jfjgtrNr 3UirJt>v*<T©4* ®i*tt£nü«i Bifer Srtnt/ ÎUn» (vUfr* $MT<t jih ktrlu ÎDdll4r»âlk 0$f»n (3«§m TOirtt «u(i<hjurm/ one rft U<nv T&Jiwnna fmCSnirMLifr 7pcu f^lWen grrf GWt D» m.if 1 "3}ni tfl te* QWTct nlM^v TtiKtflnaWfTilSaulFfnwKtO ryj»6 }l Wv*tn rVKt fom ïiflrrv <Aot» f (jOWJCi JJjNm roD^UffD 3ik* [->#< a M ki am*(n^lauH min 3u Dm 04 rrftft Nm w* TSip?» •TKiailufinriNnoW vOfr#»rtD< Tta4.' Fntfm(nmjnni4<*idf<K/ Xlm SrvtgfldufftB ft&nr&u» gur wO I&mn n e*ii Jyantxrt f^naNn feli Pef^ivu"« o Bcr^ir î*àfml (mfj Vnt »d^A Wj ®«8 f LmNnMf/ 0o rBft ct 04 (otU <Z*t a fetnh an (TTunnu» -Ort/ 3u«fj(xmh<lt*<TDartirtJ TQk »ai OTifl® f» J nwlftg f$nöl \i mu Nm MtlTtrlnn fuMj Jtinnn fûcrmir »ae a«B 04 rxiben « Bw nl<f r pWt frr mi Van 0fWov 1 Th* offa Mr SafF<$ra*wi f*xo CED«» M/ »a Do« irttt gofiru u vtffm tm ÎKiJt/ .Caa&na mfft »n# sngc^li 2>mn fV ft$ nrftm 1 i gldj fOrtat; StiraiiN» potlaTMkiigla^ £vjiwik$ fU IWtn aDtorrti 30e» f^av M$;cne ju4 ®n u Vnt wfcVe» nc< tm «vfitm v(V £4r*rn f« rj* |a jQct fnfl/ <Kd «km Oî4f<rf*nfl&o» hto/ >?tn ‘»rgknglj^H^T g(Mli 3>a|ficbatf^4ftfitn«Jrrool/ OTj» mm Wnfft*g giftete'' fofl/ 2GnnralS3^i «xinnon“îilorfr^v TOtS Serai (c^nflîmffrun 04m*/ •ÔJÉ îfrfki tnfl bfSrti if maki 3>ne gui l4l anff M» ®<(T(T{u>i ÎVmn W( >a* ÜRefVr rrtITm « f 1 00 ruroft'on rtn jlof aih* Crjy«i et MiOba «Mrt)uf4)jnS/ ©n» ^rti fort roe auffjSn'JtloMnFj 3>Éf«tb en 'îrfQmfunf mfltf r«ljü 2>u Hvfl -SSaißeT / eix» X nn^o 4)» fivfl Purger een <35 rmi TO-mn en g lo 4 Mrat feW four; COni*o!« hr tnft» mein 0<W4t/ Su tant 3jffl4taitan (*egm rat^ti 0e f faM ta4 nW|t enMIaÿn/ fcw Dtwri tu)rgm«v 5>u Ma» 3<kf Inn f^rwie-oWn 04n*}, Pi^nrj niHI fo fffiiN 3»lfrr 0<^ri|/ TDirf Dm ISrp^l nlt al fe «Mi £1 mutina fünf! mmfrn Dir (rfft/ •ÏÎitD gtitrafm/n-ù.lraat NT ©fpara Ï>t4 tvii* rtuinDrumb ft^cn en; ôl hiei<0a!tft(WfaNflgf(fm/ “TOurNU D u ara* mit fiMn fr» H)<fnv JOof «« Du Dann nn fdln^it* le{( ÎVf Salb bring bn 3uff/c*nnber greW ■2X« 0o4 fein f4» mil b nirr Mk*/ DnbMt alfMKff fcOHinfcbiw«/ ^Oa* gj mrtnratSi (ununbMgmvr ÆJomüDm groffe 2Vt(fa bfri ÜSirfen on ©ebni» nu gnffKn Mfftr Q5nb N» ftnsmn Dm 3«t au ftrobt AR« ^JcgnvtmS muXabulirrm' it an man Nt fremb Unfall perfl^nm Summ« NJ 04nnDnu 1 j) fo »iü (fm|<Dal£ugtf4(tr»aaatt-Jlf BJann te ^dn nwnefctr <® iNimao/ De* rrtrmt Dato nil f^trngtn f j n. y* aufffitneiNTaG mna gimrmt . , (a|t tud) tictrlub btfcÿlm fein ®affelbegelfe ja JltgifTtni i TDolgarroiDtTTDarNtteofUgmi 155a» flKtlftr/anü ftntiMiwItrlr«In. ■l^)fn6itn«fnnaTjDbniao{:uM.^f|u IJfnPiejrnPanntKklbertirufcftaannl «fjll»» <9(trn(ftiuaii3|pur3/3nn ^erlcâuD^û^tm Klocf^erëÂunltPinbEë- ,Aufschneidmesser1 ,starke Stücke auftischen‘ und (heute veraltet) ,das /Beil zu weit werfenk Lit.: K. Müller-Fraureuth: Die dt. Lügendichtungen bis auf Münchhausen (Halle 1881, Neudr. Hildesheim 1965), S.27L; J. Boite:Bilderbogen des 16. und 17. Jh., in: Zs. f. Vkde. 47 (1938), S.3-18, bes. S.6ff. (,Das A'ufschneid-Messer1). aufstehen. Früh (früher) aufstehen müssen: sich sehr zeitig ans Werk begeben, um etw. ausrichten, erreichen zu können. In Murners ,Schelmenzunfr (angefügte Entschuldigung 89) heißt es: Der miest warlich frieg uff stan! Der jederman wol dienen kan Und jedem stopffen wolt den mundt. Um das fast Unmögliche zu vollbringen, allen Wünschen der Menschen gerecht zu werden, müßte nach Murners Ansicht selbst Gott früher aufstehen: Er must warlichen frü uffston Soit er eim jeden nach sym sinn Regen, schynen (Sonnenschein) machen kinn! (,Narrenbeschwörung\ 49,12) Die , Vossischek Zeitung schrieb nach Aufhebung von § 2 des Jesuitengesetzes: „Wer die Jesuiten gebrauchen, benutzen zu können glaubt, der irrt sich immer; sie stehen früher auf als selbst der gewiegteste Diplomat“. Eine gewisse Anerkennung der überragenden Fähigkeiten anderer wird hier ausgedrückt. Ebenso geschieht dies in der heute sehr geläufigen Rda.: Wer den betrügen will, muß früher aufstehen: derjenige muß sich sehr anstrengen, ihm zuvorzukommen, denn es ist schwer, ihn zu überlisten. Eine noch größere Steigerung in den Bemühungen um Erfolg besagt die Rda. aufstehen, ehe der Teufel Schuhe anhat. Dagegen sagt man iron, von einem bes. Langsamen: Er steht früh auf, er muß helfen Mittag läuten. Mit dem linken Fuß auf stehen /Fuß. aufwaschen. Das ist ein Aufwaschen: das geht in einem Aufwasch (en): das geht in einem hin; mehreres - meist unangenehme Pflichten - zusammen erledigen. Die erst seitdem 18. Jh. bezeugte Rda. kommt vom Geschirrspülen, das man in Preußen und Obersachsen ,Aufwaschen nennt. Von diesen Gebieten her haben sich Wort und Rda. zur heutigen allg. umg. Bdtg. verbreitet. Die Rda. ist lit. zuerst aus Th. G. v. Hippels Roman ,Lebensläufe1 (1778 ff.) belegt. Augapfel. Jem. Augapfel sein: ihm sehr lieb und teuer sein, auch unentbehrlich wie das Auge, vgl. engl. ,He is like the apple of his eye4. /// jem. Augapfel rühren: seinen kostbarsten Besitz antasten, ihn zutiefst verletzen wollen. Einen wie seinen Augapfel hüten ist eine 75
Auge bibl. Rda. (vgl. 5. Buch Mos. 32,10 und Ps. 17,8), kommt aber in ähnl. Form auch im Lat. ,plus oculis suis amare4 (mehr als seine Augen lieben) bei Catull (fum 54 v.Chr.) vor und im Frz. ,conserver quelqu’un comme la prunelle de l’œil4, ebenfalls im Ndl. Jemand liefhebben als de appel zijner ogen4 und im Engl. ,to keep a person as the apple of one’s eye4. Auge. Ein Auge zudrücken: (ein Vergehen) milde beurteilen und nachsichtig behandeln. Wer ein Auge zudrückt, sieht weniger als der, der mit beiden Augen zusieht (Gegensatz ,Vier Augen sehen mehr als zwei4). In den altdt. Weistümern, den bäuerlichen Rechtssatzungen, wird der Richter manchmal angewiesen, einen einäugigen Büttel mit einem einäugigen Pferde zu schicken, um anzudeuten, daß er unter Umständen Gnade vor Recht ergehen lassen solle. Eine neuere Steigerung der Rda. ist beide Augen zudrücken: etw., was man beobachten sollte, absichtlich übersehen. Die personifizierte Gerechtigkeit verhüllt beide Augen mit der Binde, um gerecht und ohne Ansehen der Person zu urteilen. Die Augen schließen ist eine Umschreibung für sterben, /zeitlich. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen: jetzt begreife ich die Sache endlich. Die bibl. Rda. ist der Bekehrung des Saulus (Apostelg. 9,18) entlehnt, ähnl. die Augen gehen einem auf. Sich Augen machen: sich nach der Einfahrt ins Bergwerk etw. aufhalten, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Der einfache Gedankengang geht davon aus, daß man nicht sieht, weil man keine Augen hat (O.H. Werner, S.48). Die Augen in die Hand nehmen (ähnl. wie ,Die Beine unter den Arm nehmen4, tüchtig laufen): sehr genau Zusehen. Allg. bekannt ist die Drohung ,Wart, ich werd’ dir die Augen aufknöpfen!4, auch mdal. z.B. meckl.: ,1k will em de Ogen upknöpen!4; sächs. ruft man in scherzhaftem Lat. ,Sperr oculos!4 = sperr die Augen auf! Die anonym gewordene Wndg. ist urspr. ein Zitat und stammt aus A. F. E. Langbeins (1757-1835) Gedicht ,Abenteuer des Pfarrers Schmolke und Schulmeisters Bakel4 (Str. 14). Andere bibl. Wndgn. sind: in die Augen springen (fallen, stechen), ein Auge auf etw. haben (richten, werfen), etw. ins Auge fassen, im Auge behalten. Mehrere dieser Wndgn. hat Bismarck in einer Rede wortspielerisch gegeneinandergesetzt; er sagt von Eugen Richter (Reden VII, 20): ,,Er hat seinen Entschluß kundgegeben, diese selbe Bahn scharf im Auge zu behalten. Nun, das ist eine Wendung, die ich aus dem administrativen Diktionär kenne. Wenn jemand auch nicht recht weiß, wie er es machen will, dann sagt er: ich werde die Sache im Auge behalten, und wenn Sie diese Vertröstung am Regierungstisch mitunter auch gehört haben, so werden Sie danach das Maß dessen, was einer ,im Auge behält4, finden können. Ich möchte darauf lieber das Maß des andern Sprichwortes anwenden, was eben sagt, daß man nicht viel im Auge behalten kann; es ist so wenig, daß man’s ,im Auge leiden kann4. So ist auch der Trost, den der Herr Vorredner für die Erfüllung der Reichsbedürfnisse im Auge behalten hat, so klein, daß man ihn allerdings im Auge leiden kann44. Etw. im Auge haben: ein bestimmtes Ziel verfolgen; etw. (jem.) nicht aus den Augen lassen: ständig einer Sache eingedenk sein, jem. genau beobachten, ihn verfolgen. ,Das Auge des Herrn macht das Pferd fett4, wo alles gut beaufsichtigt wird, gedeiht es, wächst der Wohlstand. ,Das Auge des Herrn macht das Pferd fett4 Der Ausdr. ein böses Auge haben beruht auf dem Glauben, daß der Blick gewisser Menschen schädlich wirke. Das Altertum war ganz und gar in dem Aberglauben an den ,bösen Blick4 befangen, und in Griechenland wie in Italien war die Furcht vor seinem schädlichen Einfluß verbreitet. Die 76
Auge Volksmeinung darüber hat sich vielerorts noch bis in den Volksglauben der Ggwt. erhalten. Der böse Blick wird denen zugeschrieben, die auch sonst als zauberkräftig gelten (Fahrenden, Hebammen, Hexen), und er wird gefürchtet für die am meisten gefährdeten Personen (Kinder, Bräute, Schwangere) oder bei wichtigen Verrichtungen. Augen werfen: durch den ,bösen Blick4 anderen Schaden zufügen. AaTh. 1006 verzeichnet unter,Casting Eyes4 (Typ 1685): „Ordered to cast eyes on this or that, he kills animals and throws their eyes at the object“ (K 1442). Der Ausdr. ,einen Blick werfen1, sein Auge auf eiw. werfen wird von Wolfram von Eschenbach (,Parzi- val‘ 510,2) mit einem etw. gewaltsamen Scherz konkretisiert: maneger siniu ougen bolt, er möhts üf einer slingen zu senfterm würfe bringen. Ein Auge riskieren: heimlich seitwärts schauen, mit schnellem, neugierigem Blick eine verbotene Sache oder Situation zu beobachten wagen ; erst seit dem 1. Drittel des 20. Jh. bezeugt. Auge um Auge, Zahn um Zahn ist eine bibl. Rda. nach 2. Mos. 21,34 und 3. Mos. 24,20, 5. Mos. 19,21 und Matth. 5,38 in Luthers Übers. Die mhd. Rdaa. bei den Augen verbieten und einem an die Augen drohen beziehen sich als Drohung auf die Strafe, einem die Augen auszureißen. Bei Caesarius v. Heisterbach (9,38) heißt es: „Praecipio tibi sub interminatione oculorum tuorum“. Auch im mndl. ,Lancelot4 (V. 38457) wird die Wndg. gebraucht: „er gebot hen bi hären ogen“. Sich die Augen ausweinen: so viel weinen, daß die Augen nichts mehr erkennen können. Die Rda. stammt aus dem Klagelied Jer. 2,11. Einem gehen die Augen über: die Tränen kommen ihm. Die Wndg. beruht auf Joh. 11,35, wo dies von Jesus gesagt wird. Goethe braucht sie in seinem Gedicht ,Der König von Thule4: Die Augen gingen ihm über Sooft er trank daraus. In veränderter Form schreibt Wilhelm Müller in seinem Gedicht ,Der Glockenguß zu Breslau4: Die Augen gehn ihm über, Es muß vor Freude sein. Da bleibt kein Auge trocken: alle sind gerührt. In dem Gedicht ,Paul. Eine Handzeichnung4 von Joh. Daniel Falk (1768-1826) heißt es: In schwarzen Trauerfloren wallt Beim Grabgeläut der Glocken Zu unserm Kirchhof jung und alt: Da bleibt kein Auge trocken. ,Da bleibt keen Ooge drocken4 Die Rda. ist in Inhalt und Formgebung so naheliegend und einfach, daß sie wohl nicht erst als Zitat einem Gedicht entlehnt zu werden brauchte ; doch ist die Rda. erst vier Generationen nach Falk im Wortschatz der Umgangssprache nachweisbar. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ist in der heutigen dt. Sprache wohl ein anonym gewordenes Shakespearezitat. Im ,Hamlet4 (1,2) heißt es: „With one auspicious and one dropping eye“, was die Schlegel-Tiecksche Übers. ,mit einem heitern, einem nassen Aug’ wiedergibt. Doch liegt der Rda. vielleicht ein älteres Märchenmotiv zugrunde. So findet sich in einem rumän. Märchen ein Kaiser, der mit dem rechten Auge immer lacht, mit dem linken weint (M. Kremnitz: Rum. Märchen, Leipzig 1882, S.238).
Auge Bei Henssen trägt eine ungarndt. Märchenaufzeichnung den Titel ,Der König mit dem weinenden und dem lachenden Auge1, in der es heißt (S.61): ,Jetz is der Keenig immer beim Fenster gstandn und hot immer nausgschaut, ob er net sein beste Ku- merod, sein besten Kollege sehn werd kenne. Und er hot eahn holt nie gsehgn. Des eini Aug hot immer glacht, und des an- deri Aug woar immer betriëbt. Und die Buebn - woaren obr immer der eini greßer wie der anderi - und ham den Keenig nich traut, den Voder, frogn, warum des eini Aug lachn tuet und des anderi Aug is be- triëbt44 (G. Henssen: Ungarndt. Volksüberlieferungen, Erzählungen und Lieder, Marburg 1959, S.61L). Mit offenen Augen schlafen: unaufmerksam sein. Die Rda. hat einen Bedeutungswandel durchgemacht und meinte in der ,Mit offenen Augen schlafen4 Humanistenzeit noch: immer wachsam, auf der Hut sein, selbst im Schlaf (vgl. Hasenschlaf, /Hase, /Löwe). Die Wndg. mit sehenden Augen nicht sehen geht andererseits auf Matth. 13,13 und Ps. 115,5 zurück. Schon 1191 gebraucht der Minnesänger Heinrich von Rugge die Wndg.: ,,Wir sin mit sehenden ougen blint44 (Minnesangs Frühling 97, 40). Er hat Knöpfe vor den Augen sagt man, wenn einer eine Sache sucht und nicht bemerkt, daß sie unmittelbar vor ihm liegt. Ein Auge voll (Schlaf) nehmen: ein wenig schlummern. Die Augen schonen: schlafen; die humorvolle Rda. ist seit dem 1. Weltkrieg, zunächst sold, aufgekommen. Ober- sächs. sagt man von einem Langschläfer ,Er schläft sich Maden in die Augen4, er schläft so lange, bis er stinkig wird wie ein madiger Käse. Die allg. Wndg. große Augen machen (vor Erstaunen) wird in den Mdaa. mit sprw. Vergleichen z.T. noch originell erweitert, z.B. ostfries. ,He makt Ogen as ’n tinnen SchötteP; obersächs. ,Die Augen aufreißen wie KäsenäppeP. Seine Augen sind größer als der Magen (Mund) sagt man von einem, der sich mehr auf den Teller gehäuft hat, als er bewältigen kann, vgl. ndl. ,Zijn ogen zijn groter dan zijn maag4; engl. ,His eyes are bigger than his belly (stomach)4; frz. ,11 a les yeux plus grands que le ventre4; ital. ,Ha più grandi gli occhi che la bocca4. Die Rda. gehört zu dem Sprw. ,Man füllt den Bauch eher als das Auge4, doch ist die Rda. bekannter. Schon in einer anonymen Sammlung von 1532 heißt es (Nr. 245): „Die Augen seyndt weitter denn der Bauch44. Mit dem finken (rechten) Auge in die rechte (linke) Westentasche sehen /schielen; berl. ,Er kiekt mifs rechte Ooge in de linke Westentasche4. Ähnl., aber mit anderer Bdtg. ostpr. ,Er kiekt mit dem einen Aug4 nach Keilchen (Klößen) und mit dem andern nach Speck4, er möchte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, zwei Vorteile gleichzeitig erlangen. Der Scharfsichtige hat oder macht Augen wie ein Luchs (oder wieein Falke). Augen machen wie ein gestochenes Kalb: schmerzlich verblüfft, hilflos, dumm, töricht, stumpfsinnig dreinschauen wie ein verendendes Kalb. Stielaugen wie 78
Auge die Setzeier machen: auffällig nach etw. hinsehen. Einem etw. aus den Augen schwören: ihn glauben machen, daß er falsch sieht, schon von H. Sachs (11, 412b) verwendet: ja wilt dich keren an sein jehen (an das, was er sagt), so schwert er dirs ja aus den äugen. Einem Sand in die Augen streuen: ihn täuschen, /Sand; einem die Augen auswischen: ihn übervorteilen, vielfach mdal. Mit einem blauen Auge davonkommen: mit einem geringen Schaden einer großen Gefahr entgehen, eigentl.: mit einem blauen Fleck neben dem Auge davonkommen, wo das Auge selbst gefährdet war. Das Auge ist die empfindlichste Stelle des Körpers; das kleinste Splitterchen richtet in ihm schon die peinlichste Störung an, deshalb auch mdal. bair. ,kein Augweh\ ,koan Augwehle4, gar nichts Übles, überhaupt nicht das mindeste; hess. ,Noch nett suvill, wei mer im Aag leire kann\ noch nicht soviel, wie man im Auge leiden kann, nichts. Ähnl. am Rhein ,Dat ka mich en en Og Iige\ nicht das geringste. Diese Rda. ist schon bei Meister Eckhart bezeugt (,Reden der Unterscheidung\ Kleine Texte 117, S.41, Z. 17-20): , Ja in der warheit, das wil got kein wiss nit, das wir als vil eigens haben, als mir in minen äugen moechte ligen“. Dieser Text wurde vielfach in den Übers, völlig mißverstanden, vgl. hierzu Luise Berthold: ,Eine mißverstandene Eckhartstelle4, in: Germ.-Rom. Monatsschrift, 15. Jahrg., 1927, S.232L Das hätte ins A uge gehen können: das hätte eine schlimme Wndg. nehmen können. Die um 1900 aufgekommene Rda. kennt die hochgradige Empfindlichkeit des Auges und faßt alles, was nicht das Auge verletzt, für weniger schlimm auf. Das paßt wie die Faust aufs Auge: es paßt ganz und gar nicht, / Faust; einem ein Dorn im Auge sein /Dorn; das Kalb ins Auge schlagen: Anstoß erregen, /Kalb. Einem schöne A Ligen machen; einem (einer) zu tief ins Auge geschaut haben: verliebt sein; obersächs. ,mit den Augen klappern4, verliebt und kokettierend umherblicken. Um ihrer schönen Augen willen: unberechtigter Weise Zugeständnisse machen, Vorteile geben. Die Rda. wurde nach Molières Stück ,Précieuses ridicules4 (Sz. 15) gebildet, wo es heißt: ,pour leur beaux yeux4. Die Rda. seiner schönen Augen halber ist iron, gemeint. Vorgebildet erscheint sie bereits in einer Satire gegen Murner: ,Ein schöner Dialogus zwischen einem Pfarrer und Schultheiß4, wo der Schultheiß zum Pfarrer sagt: ,,Meint Ihr, man geb Euchs (Pfründe und Einkommen) Euers hübschen harß willen?44 Einem aus den Augen (aus dem Gesicht) geschnitten sein: ihm sehr ähnlich sehen. Die Rda. ist vermuth eine relativ späte Vermischung zweier urspr. voneinander unabhängiger Wndgn. Nach alter Vorstellung gilt der Mensch als ein Kunstwerk des Schöpfers; so sagt Walther von der Vogelweide (53,25) von einer schönen Frau: Got hâte ir wengel hohen fliz: er streich so tiure varwe dar, so reine rôt, sô reine wiz, hie roeseloht, dort liljenvar. Unserer Rda. näher steht Konrad von Würzburg, wenn er in seinem Epos ,Der Trojanerkrieg4 (V. 15 285) die Ähnlichkeit der Jocundille mit ihrem Vater Achill schildert: und ist ir lîp Achille sô gar gelich an allen sitten, als ob sie von im si gesnitten und alererst von im gehouwen. Daneben steht die ebenfalls ältere Wndg. Das Kind sieht dem Vater aus den Augen. Aus beiden Wndgn. bildete sich als Kontamination: Das Kind ist dem Vater wie aus den Augen geschnitten. Bei dem Barockdichter Andreas Gryphius (1616-64) begegnet die Rda. am frühesten in ihrer heutigen Form: „Ihr gleichet ihr (der Mutter) so eben, als wenn ihr ihr aus den Augen geschnitten wäret44. Ihm etw. an den Augen ablesen (absehen), die ältere Form dieser Rda. hieß ,ihm etw. aus den Augen stehlen4. So schon mhd., z.B. in Ottokars ,Oesterr. Reimchronik4 (V. 85476): den Worten und dem done den ir ietweder hie üz sinem munde lie, daz herze nicht gehal wand ir ietweder stal dem andern üz den ougen sines herzen tougen. 79
Augiasstall Gnade vor deinen (meinen, seinen) Augen finden geht auf 1. Mos. 18,3 und andere bibl. Stellen zurück. Unter vier Augen: ganz unter sich, ohne Zeugen, persönlich. Es steht auf zwei Augen sagt man von einer Familie, einem Geschlecht, wovon nur noch ein Namensträger (Erbe) existiert, aber auch von einem Land, einer Regierung, einer Partei, einem Industriewerk oder einer Organisation, wenn deren Schicksal von einem einzigen Menschen abhängt und bei seinem Weggang oder Tod eine unausfüllbare Lücke entsteht. Dagegen stammt die Rda. aufseinen /«/2/(auch sieben, elf, achtzehn) Augen Sitzenbleiben (auch beharren): hartnäckig bei seiner Meinung bleiben, aus dem Würfelspiel, wo bisweilen unter den Spielern Streit entsteht, wieviel Augen einer geworfen hat. Die Rda. findet sich schon im 16. Jh. in Oldekops ,Hildesheimer Chronik1 (S. 55): ,,dat de von Salder up eren vif ogen beharden“. Im Augenblick, nur einen Augenblick lang: so schnell, wie beim Blinzeln die Augen geöffnet und geschlossen werden. Noch im Langenholtenser Hegericht (1651) heißt es: ,,so lange augebra von der andern leuchtet4". Erst bei Agricola (Nr. 442) kommt die Wndg. in der heutigen Form vor: ,,Wir Deutschen haben der Hiperbo- len vil, damit etwas bald und schnell geschieht, Ynn einem nu was es geschehen, ynn einem augenblick. Denn wir können nichts behenders machen, denn einn aug auff vnd zutun. Wir sagen auch unverwarn- tersachen, vberplötzlich, unversehens“. Lit.: J. Grimm: Rechtsaltertümer I, S.335; S. Seligmann: Der böse Blick und Verwandtes, 2 Bde. (Berlin 1910); HdA. I, Sp. 679-701 (Art. ,Auge‘ von Seligmann); K. Meisen: Der böse Blick und seine Abwehr in der Antike und im Frühchristentum, in: Rhein. Jb. f. Vkde. I (1950), S. 144-177; III (1952), S. 169-225; Küpper I, S.51 f.; Krüger-Lorenzen I, S. 20-23; Büchmann, S. 8, 18, 67, 87, 224, 274L, 418. Augiasstall. Einen Augiasstall reinigen: eine durch lange Vernachlässigung entstandene sehr große Unordnung aufräu- men. Augias, König von Elis, hatte einen ungeheuren Rinderstall mit 3000 Rindern, deren Mist seit 30 Jahren nicht ausgeräumt worden war. Herkules vollbrachte die Riesenarbeit, ihn an einem Tag zu reinigen, indem er zwei Öffnungen in die Stallmauern riß, die Flüsse Alpheus und Peneus vereinigte und hindurchleitete, die den Unrat gründlich fortspülten. In übertr. Bdtg. ist die Wndg. schon im klassischen Altertum (griech. „xf|V AOyeiov ßouoxaaiav àva- xaûfjpaaûai“ (Lucian, Alex. 1); lat. ,cloacas Augeae purgare4 (Seneca, ,Apoc.4 7), dt. erst im 19. Jh. belegt (vgl. frz.,nettoyer les écuries d’Augias4; engl. ,to clean the Augean stables4; ndl. ,een Augiasstal reini- gen‘). aus. Weder aus noch ein wissen: keinen Ausweg mehr sehen. Die Rda. stammt in Luthers Verdeutschung aus dem A. T. (1. Kön. 3,7). Bei jem. aus und ein gehen: häufige Besuche machen, verkehren. Aus, dein treuer Vater!: Schluß! Fertig! Die um 1930 lit. belegte Wndg. soll sich auf den ,Brief des Matthias Claudius an seinen Sohn4, ein bekanntes Lesebuchstück, beziehen. Komische oder iron. Wirkung wird bei aller Ablehnung durch den Hinweis auf die väterliche Treue erzielt (Küpper I, S. 52). Aus haben voretw. /Abscheu, Schauder vor etw. haben. Diese sächs. Rda. kann sich aus Stellen wie in Fischarts ,Flöhhatz4: ,,Pfeu auß du Kammer voller Kommer44 (S.795) und ,,Pfeu auß ir Vihmägd, die ir stinckt44 (S.797) als Abk. entwickelt haben. ausbaden /Bad. Ausbund. Ein Ausbund von Tugend sein (ähnl. ,ein Ausbund von Gelehrsamkeit, von Güte, von Frechheit oder von Schlechtigkeit4). Ein Ausbund wird der genannt, der sich in einer dieser Eigenschaften bes. hervortut; ein Muster seiner Gattung. Die Rda., meist scherzhaft oder iron, gemeint, geht auf den früheren Kaufmannsbrauch zurück, bei einer Ware ein bes. gutes Stück außen auf die Packung zu binden, eben den Ausbund (mhd. überbunt; seit Geiler von Kaisersberg ußbund; die dazu erlesene Ware heißt mnd. ütbundich). In diesem ei- gentl. Sinne läßt sich Ausbund freilich nicht mehr belegen, vielmehr nur in der übertr. Bdtg.: ,das Beste seiner Art4 seit dem Anfang des 16. Jh.; so z.B. bei Josua Maaler: ,Die Teutsch Sprach4 (Zürich 1561): ,,ein 80
Ausmerzen Ausbund aller Schöne", ferner bei Stieler (1691): ,,Ausbund aller Schelme, der Tugend, der Pferde, der Jungfern". Schon in Dürers,Reisetagebuch von Herzogenbuch' heißt es: ,,Pusch ist eine hübsche Stadt, hat eine ausbündige schöne Kirche". Für die Richtigkeit der Herleitung vom kaufmännischen Ausbund bei der verpackten Ware sprechen noch lebendige mdal. Varianten der Rda., z.B. berl. ,Du bist der scheenste von’t halbe Dutzend. Du kommst uf’t Paket!'; erzgeb. ,Du mußt ofs Dutzend drof- gebunn war’n!'. ausfressen. Etw. ausgefressen haben: heimlich eine Straftat, etw. Schlechtes begangen haben. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es in Berlin: ,Er hat wat ausje- fressen'. In der Schülersprache wird die Wndg. heute noch häufig gebraucht mit der speziellen Bdtg.: seinen Lehrern einen Streich gespielt haben, heimlich gegen die Schulordnung, gegen ein Verbot verstoßen haben und deshalb ein schlechtes Gewissen besitzen. Etw. ausfressen wollen: im Übermut, aus Rachelust den Vorsatz zu einer bösen Tat fassen; voller Freude etw. vorbereiten, das anderen Ärger bringen wird und dafür gern die Folgen in Kauf nehmen. Die Herkunft der Rdaa. ist nicht ganz sicher. Man hat an einen sprachl. Vergleich mit dem Verhalten der Katze gedacht, die gern heimlich nascht und einen Topf ,ausfrißt', wofür sie Strafe zu erwarten hat. Wahrscheinl. aber weisen diese Rdaa. auf einen alten Rechtsbrauch zurück und stehen im Zusammenhang mit der Hauswüstung: Wenn ein Schuldner nicht zahlen wollte oder konnte, wenn die Steuern bei ihm nicht einzutreiben waren, wurde bei dem Verurteilten eine Partialwüstung angeordnet, d.h. durch Zwangseinquartierung von ,Fressern' wurden ihm Essen und Trinken in seinem eigenen Hause genommen. Alle Vorräte wurden von den Fremden aufgezehrt, bis der Schuldige entweder bezahlte oder Haus und Hof verließ, weil er keine Existenzgrundlage mehr dort hatte. Die Strafe des ,Ausfressens' wurde im MA. häufig verwendet, wie aus Gerichtsakten hervorgeht und aus Verboten im 13. Jh. Auch in Frankreich und Italien war das, Ausfressen' bekannt. So verbot z.B. 1285 das Pariser Parlament diese allg. Bestrafung und genehmigte sie nur noch in bes. Fällen. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes versuchte man in großem Maße, die Hugenotten durch das ,Ausfressen', d.h. durch die Erschöpfung ihrer Vorräte zum kath. Glauben zurückzuzwingen oder ihre Macht durch die Vertreibung von ihrem Besitz zu brechen. Die ndd. Rda. ,Et is ein Utfräten', es geht in einem hin, scheint noch näher als die übrigen Wndgn. mit dieser ma. Strafe in Beziehung zu stehen. Sie dient als Ermutigung zu einer Handlung, bei der Nachteile oder Strafen befürchtet werden müssen, die aber kaum das schon für andere böse Taten zu erwartende Strafmaß zu steigern vermögen. Lit.: N. Zahn: Die Wüstung im ma. Recht unter bes. Berücksichtigung von Italien und Flandern (Diss. Basel 1956), S. 87ff. ausgerechnet. Ausgerechnet Bananen!: ausgerechnet das! Die Rda. ist eigentl. ein Zitat aus einem nach dem 1. Weltkrieg aufgekommenen Schlager mit dem Kehrreim „ausgerechnet Bananen, Bananen verlangt sie von mir!" (Küpper I, S. 53). ausmerzen. Etw. ausmerzen (z.B. Fehler, Unkraut): etw. als untauglich ausschalten, ausscheiden, ganz beseitigen; wurde im Mhd. als ,merzen' bez. (Kluge-Götze, S.42). Ausmerzen ist ein altes landwirtschaftliches Wort, das seit dem 16. Jh. zu belegen ist und eigentl. und urspr. bis ins 18. Jh. nur von Schafen gebraucht wurde, die, weil zu schwach oder sonst zur Zucht unbrauchbar, aus der Herde ausgesondert wurden. Weil nun diese Ausscheidung in der Regel im März vorgenommen wurde, so ist sie ausmerzen genannt worden. Aus der Landwirtschaft ist dann der Ausdr. in das allg. Leben und seine Sprache übergegangen, so daß er seit dem 18. Jh. anfängt, ganz allg. zu bedeuten: etw. Unbrauchbares, Unpassendes aussondern! Luther hat das Wort auffallenderweise nicht, wohl aber sein Zeitgenosse Mathesius, der Pfarrer in Joachimstal in Böhmen: „Wie der Sohn Gottes am jüngsten Tage die reuigen Schafe und Böcke von seinen Schäflein 81
Ausreissen ausheben oder ausmertzen wird“. Das ausgemerzte Schaf heißt auch ,Merzschaf4. Lit.: R. Neubauer: Woher stammt das Wort „ausmer- zen“?, in: Zs. f. Vkde., Bd. 13 (1903), S. 100-102; A. Goetze: ,ausmerzen\ in: Zs. f. dt. Wortf., 4 (1903), S.326. ausreißen. Ausreißen wie Schafleder (seltener Schafleder geben): eiligst die Flucht ergreifen, sich schnell davonmachen. Die seit dem 16. Jh. bezeugte Rda. ist zunächst ganz wörtl. verstanden worden: Das weiche Schafleder reißt beim Spannen leichter als Schweins- oder Rindsleder. Obersächs. ,Diß reißt aus wie Schaafleder4, es ist unbegründet, hält nicht Stich (so bei G. Chr. Martini: Redner-Schatz, 1704, Bd. 1, S.240). In der heutigen Umgangssprache wird die Rda. aber nur noch iron.-witzig verstanden; sie spielt mit dem Doppelsinn des Wortes ausreißen = zerreißen und flüchten. Der Wortwitz ist derselbe wie in zahlreichen anderen sprw. Vergleichen, z.B. aufrichtig wie ein Kuhschwanz4, Einfälle haben wie ein altes Haus1, ,klar wie Kloßbrühe1, ,klar wie dicke Tinte1,,gerührt wie Apfelmus4, ,es inwendig haben wie die Ziegen den Speck4; reichhaltige Sammlung bei Fr. Seiler: Lehnsprichwort, 4 (1924). Sich kein Bein dabei ausreißen /Bein. Sich so stark fühlen, daß man Bäume ausreißen könnte /Baum. Ausschlag. Den Ausschlag geben: etw. entscheiden. Das rdal. Bild stammt von dem ,Ausschlagen4 des Züngleins an der Waage. Die Wndg. ist seit dem 15. Jh. bekannt und kommt auch bei Luther mehrfach vor, z. B.: „Es ist kündig gnug, wenn man dich nach deyner zungen wiegen soit, wo der auß- schlag hynn fallen wurdt44 (Antwort deutsch, 1522). Die Wndg. etw. ausschlagen: von sich weisen, scharf ablehnen, stammt wohl aus der Fechtersprache, da ,einen Streich ausschlagen4 ihn durch einen Gegenschlag parieren bedeutet. Zahlreiche rdal. Vergleiche wurden hierzu gebildet, z.B. ,Er schlägt’s aus wie der Hund die Bratwurst, wie der Pfaff das Opfer und der Bettler den Batzen4. aussehen. Wie siehst du denn (bloß) aus? Diese Frage drückt das Erstaunen über ein auffallendes Aussehen aus, z.B. bei un¬ schicklicher oder beschmutzter Kleidung eines Kindes. Du siehst aber aus! kann einen Tadel, aber auch die mitleidige Äußerung der Besorgnis bei krankem oder bekümmertem Aussehen bedeuten. Dagegen meint die Rda. So siehst du aus!du hast dich geirrt, das glaubst du ja selbst nicht! oder: das könnte dir so passen! Ihr seht mir gerade danach aus! das traue ich euch auf keinen Fall zu. Daß man vom Aussehen und Verhalten eines Menschen auf das zu schließen versuchte, was er zuvor gegessen hatte, zeigen die folgenden Rdaa.: Er sieht aus, als hätt’ er Dosten gegessen wird dann gesagt, wenn jem. bes. viel Kraft und männlichen Mut zeigt. Dosten, auch Wohlgemut genannt, galt als Aphrodisiakum. Die Schärfe des Pflanzensaftes wurde als anregendes Mittel genutzt (vgl. lat. ,origanum tueri4). War jem. finster und von ernster Entschlossenheit, hieß es auch Er sieht aus, als hätte er Kresse gegessen. Verzieht jem. das Gesicht, als ob er sich vor etw. heftig geekelt habe, wird dazu scherzhaft bemerkt Er sieht aus, als hätte er Maikäfer gefrühstiickt oder als ob er einen Frosch verschluckt hätte. Der Wütende, dessen Gesicht rot angelaufen ist, sieht aus, als hätte er Krebse gegessen. Er sieht aus, als hätte er die Weisheit mit (Schöpf-)Löffeln gefressen verspottet den Eingebildeten, der trotz seines lückenhaften Wissens von sich eingenommen und überheblich ist. Von einem Abgemagerten, der Hunger leiden muß, heißt es Er sieht aus, als äß' er die Woche nur einmal. Zahlreich sind die rdal. Vergleiche für gutes, schlechtes oder bes. auffallendes Aussehen eines Menschen, wobei Tiervergleiche und witzige Übertreibungen sehr häufig und beliebt sind. Sauberes, frisches und gesundes Aussehen umschreiben die folgenden Wndgn.: Jem. sieht aus, wie aus dem Ei gepellt: sehr sauber und frisch. Jem. sieht aus, als ob er aus dem Schächtelchen käme: seine Kleidung scheint ladenneu zu sein, /Schachtel. Übertriebene Sorgfalt in der Kleidung wird bei einem Manne getadelt, da man glaubt, daß er andere Mängel damit verbergen will; er sieht aus wie geschniegelt und gebügelt oder gar wie ein Lackaffe. Bes. die Landbevölkerung beobachtete mißtrauisch die wechselnden Mo¬ 82
Aussehen deströmungen der Städte und zog z.B. die eigene praktische Kleidung, die derben Schuhe den Lackschuhen der feinen Herren vor. Spöttisch heißt es von einem, der vornehm tut, aber seine Unbildung verrät Er sieht aus wie ein Bonbon, das in den Dreck gefallen ist. Bei einem blühenden, gesunden Aussehen von Frauen und Mädchen sind Vergleiche mit Blumen und Früchten beliebt: Sie sieht aus wie ein Borsdorf er (Stettiner) Apfel: sie hat frische Gesichtsfarbe, zarte Haut. Die leuchtende Farbe der Pfingstrose macht sie bes. geeignet im rdal. Vergleich. Im Erzgebirge sagt man z.B. von einem kräftigen, rotbäckigen Mädchen ,Sie sieht aus wie eine Punining4 (Päonie). Häufig ist die Wndg. anssehen wie Milch und Blut (auch wie das ewige Leben): jugendlich, rosig. Dagegen glaubt man bei plötzlich stark verändertem und krankem Aussehen, daß eine boshafte Verwünschung vorliege. Die Rda. Er sieht aus, als ob er beschrien wäre heißt demnach: die Krankheit muß ihm angehext worden sein, /beschreien. Hat einer vor Schreck oder Übelkeit alle Farbe aus dem Gesicht verloren, werden sehr treffende Vergleiche gebraucht, die regional verschieden sind. In Sachsen sagt man z.B. ,jem. sieht aus wie Rotz und griene Bern4 oder ,wie Braun-(Weiß-)Bier und Spucke4, /Bier. (Vgl. auch HdA. I, Sp. 1279). Derart drastische Ausdrücke sind auch in die Lit. eingedrungen. Zuckmayer schreibt in seinem ,Schinderhannes4 (2. Akt): „Du siehst ja aus wie geschissene Äppelbrei44. Eine Steigerung enthalten die Wndgn., die das schlechte Aussehen eines Menschen dem eines Toten vergleichen: Jem. sieht aus wie ein Toter, wie eine Leiche, wie ein Gespenst (\gl. Grimm, DS.8). Dieses Erschrecken über das Aussehen eines anderen schildert ein ndd. Schwank, von dem sich die Rda. ,He sütt ut as Lüttmann, wenn he noch kên Hemd anhett4, herleitet: „Zu Beginn des 19. Jh. lebte in Oldenburg ein Arzt namens Dr. Lüttmann, zu dem, ehe er noch aufgestanden war, früh ein Bauer ins Zimmer trat; hier erblickte der Bauer ein aufgestelltes Skelett, bei dessen Anblick er sich eilig davonmachte, so daß ihn Lüttmann, als er aufgestanden war, nicht mehr vorfand. Einige Stunden später drückte sich der Bauer an der gegenüberliegenden Seite der Straße vorbei, wurde aber von dem Diener des Arztes, der eben vor der Tür stand, bemerkt und dem letzteren genannt. ,He guter Freund4, rief Lüttmann dem Bauer zu, ,Ihr wart ja heute früh bei mir4. — ,Bleibt mir drei Schritte vom Leibe4, erwiderte der Bauer, ängstlich forteilend, ,ich hab’ Ihn heut Morgen wol gesehen, als er noch kein Hemd anhatte4“. Ein bedauernswerter Mensch kann aussehe n wie das Leiden Christi, als habe er drei Tage am Galgen gehangen (im Grab gelegen), wie der Tod von Basel (von Warschau oder von Ypern), /Tod. Kann man Kummer, Not und Bestürzung vom Gesicht eines anderen ablesen, heißt es z.B. Jem. sieht aus, als wenn ihm das Korn verhagelt wäre (vgl. HdA. III, Sp. 1304), vgl. ndd. ,utsiehn als wenn em de Petersilje verhagelt war4; ndl. ,een gezicht trekken gelijk botermelk4 und frz. ,il a bien Fair grêle4. Vom Schlechtgelaunten sagt man Er sieht aus, als wäre ihm eine Laus über die Leber gelaufen und von dem, der hilflos aussieht: Er sieht aus, als sei ihm die Frau weggelaufen, als wäre ihm die Butter vom Brote gefallen, als seien ihm (alle) Felle fortgeschwommen. Die letzte Wndg. bezieht sich wahrscheinl. auf das Gerberhandwerk (vgl. HdA. II, Sp. 1322). Der Traurige sieht aus wie drei Tage Regenwetter, dem in Schlesien noch hinzugefügt wird ,und der vierte noch nicht hübsch4; vgl. ndl. ,en gezicht trekken als een oorwurm4; engl. ,to look like the tailend of a bad road4. Eine wütende Frau sieht aus wie eine Rachegöttin, wie eine Furie, aber auch wie ein rächender Engel, eine bibl. Vorstellung, die im Zusammenhang mit der Vertreibung aus dem Paradies steht. Für das verwahrloste und merkwürdige Äußere eines Menschen gibt es treffende und humorvolle, auch spöttische Wndgn.: Jem. sieht aus wie ein gerupftes Huhn, wie ein wildgewordener Handfeger, als känT er vom Aschermittwoch, so voller Staub ist er; der vom Regen Überraschte sieht aus wie eine gebadete Maus, wie ein begossener Pudel. Der Häßliche sieht aus, als ob seine Mutter ein Rochen wäre. Macht jem. eine lächerliche Figur, so sieht er aus wie ein Hampelmann, wie eine Schießbudenfigur, 83
Ausstechen die man auf Jahrmärkten ausstellt; der Dicke sieht aus wie eine fette Sau, eine kleine dicke Frau ,sieht aus wie ein Pfannkuchen rnit Been4, wie in Sachsen scherzhaft bemerkt wird. Hat jem. ein ausdrucksloses Gesicht mit Pausbacken, sieht er aus wie ein Vollmond oder wie ein Posaunenengel. Einer, der sich sehr steif bewegt, sieht aus, als habe er ein Lineal verschluckt; ist er müde und übernächtigt, sieht er aus wie eine Nachteule; eine Frau, die eine Brille tragen muß, sieht aus wie eine Brillenschlange; ein Verwahrloster sieht aus wie durch den Kakao gezogen oder wie ein Strauchdieb, vgl. frz. ,avoir la mine de demander l’aumône au coin d’un bois4. 1st ein Raum in Unordnung geraten, sieht es darin aus wie in einem Schweine-(Sau-) Stall oder wie in einer Räuberhöhle\ Um die Dummheit eines Menschen zu bezeichnen, werden Tiervergleiche angestellt: Jem. sieht aus wie ein gestochenes Kalb, wie eine Gans, wenns donnert, wie eine Katze, wenns blitzt (vgl. HdA. V, Sp. 446), wie eine Kuh (ein Ochs) vorm (neuen) Scheunentor (vorm Berg). Der Scheinheilige sieht aus, als könnte er kein Wässerchen trüben, eine Rda., die sich auf die Fabel vom Wolf und Lämmlein bezieht; derjenige, der es dick hinter den Ohren hat, sieht ans, als ob er nicht auf fünf zählen könnte, und hat danach zehn im Ärmel. Meckl. sagt man von zwei Schelmen, von denen einer nicht besser als der andere ist ,as de een utsieht, heet de anner4. Viele weitere Beispiele sind bei Wander I, Sp. 196 ff. zu finden. Lit.: O. Weise: Die volkstümlichen Vergleiche in den dt. Mdaa., in : Z. f. dt. Mda.-Forschung 1921 ; A. Taylor: Proverbial Comparisons and Similes from California (Berkeley/Los Angeles 1954), University of California Publications, Folklore Studies 3; H. W. Klein: Die volkstümlichen sprw. Vergleiche im Lat. und in den rom. Sprachen, Diss. Tübingen (Würzburg 1936): W. Widmer: Volkstümliche Vergleiche im Frz. nach dem Typus .Rouge comme un Coq' (Diss. Basel 1929). ausstechen. Einen ausstechen: ihn übertreffen, verdrängen. Die Rda. stammt aus dem Turnierwesen und ist aus der älteren Vollform ,aus dem Sattel stechen4 verkürzt und dann auch auf andere Bereiche iibertr. worden. Einen bei jem. ausstechen: die Gunst eines anderen so stark gewinnen, daß sie der Vorgänger oder Konkurrent verliert. Ur- spr. auf den Zweikampf der Ritter zu Ehren einer Dame bezogen, wo der Unterlegene vom Sieger ,ausgestochen4 wurde und als Nebenbuhler nicht mehr in Betracht kam. Austrag. Etw. zum Austrag bringen: durch eine Entscheidung das Ende herbeiführen; meist von Streit und Zwist gesagt. ,Austragen4 ist ein alter Rechtsausdr. und bedeutet: bis zu Ende tragen, zum Ende, zu einer Entscheidung bringen (1342: ,,daz wir... über ein körnen sin und mit enander üz getragen und geendt haben14; 1414: ,,mit rechte... utdregen44). Das Rechtswort Austrag bedeutet also: Zu-Ende-Bringen einer Sache, friedliche Beilegung, Vergleich, Vereinbarung, schiedsrichterliche oder öffentl. richterliche Entscheidung; in übertr. Anwendung ist es seit dem 17. Jh. bezeugt. In der Ggwt. hat die Rda. weitgehend ihre alte Bdtg. verloren. Ganz neutral sagt man heute ,Ein Sportfest wird zum Austrag gebracht4 oder ,Wettkämpfe kommen zum Austrag4 (Dt. Rwb. I, 1 122-25). auswachsen. Es ist zum Auswachsen: es ist unerträglich, zum Verzweifeln; sächs. auch: das ist langweilig. Die Rda. setzt sich im 2. Drittel des 19. Jh. durch. Verwandt erscheinen die gleichbedeutenden Rdaa. ,Das ist zum Aus-der-Haut-Fahren4 und ,Dabei kann man außer sich geraten4. Vielleicht dürfen die drei Rdaa. auch alle gleich gedeutet werden. Gemeint ist wohl: eine Sache ist so schlimm, daß man sich in seiner eigenen Gestalt nicht mehr wohl fühlt und aus ihr heraus möchte. auswischen. Einem eins auswischen: ihm einen Streich spielen, eine Bosheit antun. 84
Axt Die Rda. ist meist als Kürzung und Verharmlosung der älteren Wndg. ,einem (im Nahkampf) ein Auge auswischen' erklärt worden. Es ist allerdings auch die harmlosere Entstehung aus mdal. auswischen = unvermutet einen Schlag (eine Ohrfeige) beibringen, möglich (/Wischer). Die Augen auswischen: übervorteilen, /Auge. aut. Weder aut noch naut haben: gar nichts, nicht das mindeste haben. Im westlichen Mitteldtl. sind aus ahd. eo-wiht (irgendein Ding) und neo-wiht (nicht irgendein Ding, nichts) die Formen uwet und nuwet, zusammengezogen ut und nut, und daraus dann nach nhd. Vokalismus aut und naut entwickelt worden. Der älteste Beleg für die Rda. findet sich wohl in der ,Zimmeri- schen Chronik' (III, 412), wo es von den vertriebenen und beraubten Grafen heißt: „Domit hetten sie weder ut, noch nut mer, wie man spricht". Der Zusatz „wie man spricht" bedeutet, daß die Worte schon damals nur noch als Rda. aufgefaßt wurden. In neuerer Zeit wird die Form ,aut oder naut' auch i.S.v. ,es mag biegen oder brechen4 gebraucht. So steht es in Münchhausens Reisen: „Im Fall der Not, und wenn es aut oder naut gilt, welches einem braven Weidmanne nicht selten begegnet, greift er lieber, wer weiß wozu". Aweck. Mit Aweck: sehr geschickt, mit Schwung. Übernommen vom frz. ,avec' und in die Studentensprache eingegangen, meinte ,Avec‘ anfangs die Wunde, den Hieb bei der Mensur. ,Mit Avec schlagen' hieß: mit Erfolg schlagen. Die um 1840 belegte Rda. wurde vor allem durch Berlin volkstümlich; berl. ,mit’n jewissen Aweck', mit einem geschickten Handgriff, mit Leichtigkeit und Eleganz (Küpper I, S. 55). Axt. Die Axt an die Wurzel legen: eine Sache gründlich beseitigen, radikal, d.h. von der Wurzel her ausrotten. Die Rda. ist bibl. Ursprungs (vgl. Matth. 3,10; Luk. 3,9). Bei Abraham a Sancta Clara (1644-1709) findet sie sich in der Form: „die Axt an den Baum setzen". Der Axt einen Stiel finden: eine Handhabe finden, bes. gegen jem. Deutlich wird der Sinn der Rda. in dem auch selbständig überlieferten Spruch: Wenn man einem übel will, So findet man der Axt leicht einen Stiel. Die Wndg. ist bereits 1587 im ,Buch der Liebe' bezeugt: „ich wüst diesem beihel einen styl"; bei Christian Weise (,Tobias' I, 15) heißt es: „so wird der Axt bald ein Stiel gefunden werden". ,Einem den Stiel zu seiner Axt geben' Einem den Stiel zu seiner Axt geben: seinem Feinde Hilfe und Rat erweisen, beruht auf einer Aesopischen Fabel. Die Axt stracks hinwerfen: vorschnell aufgeben (,die /Flinte ins Korn werfen'). Der Axt den Stiel nachwerfen:&\\es verloren geben. Der stirbt nicht ohne Axt: einer ist so zählebig, daß er nur stirbt, wenn man ihn totschlägt. Die Rda. wird bes. von einem Kranken gebraucht, der wider Erwarten gesund geworden ist. Ohne Axt in den Wald gehen: etw. anfangen, ohne die erforderlichen Mittel zur Ausführung zu besitzen. Sich benehmen wie eine Axt im Walde: sehr ungesittet, rücksichtslos vorgehen. 85
B ,Glücklich wie der Bacchus auf dem Faß1 Bacchus. Eis. ,Der sieht so glickli iiss wie der Bacheles uffem Faß\ Das els. Wb. (II, 8) erklärt den rdal. Vergleich irrig als durch ein altes Wirtshausschild veranlaßt. Es gibt zwar heute Wirtschaften ,Zum Gambri- nus\ dem Gott oder König des /Bieres, doch keine zum Bacchus. Es finden sich aber in der eis. Volkskunst mehrfach geschnitzte Bacchusfiguren, sowohl als Faßreiter wie als Faßriegel, als Eckpfosten von Winzerhäusern, auf Trinkbechern und Pokalen. Bacchus gilt in diesem Sinne nicht eigentl. als röm. Gott des Weines, sondern es gibt im Elsaß einen verchristlichten Volksbacchus, das Patrozinium des hl. Bacchus, eines angeblich röm. Märtyrers. Sein Patronatstag ist der 7. Oktober, liegt also mitten in der Weinlese. Lit.: A. Pfleger: Bacchus auf dem Faß. Ein Beitrag zur eis. Volkskunst, in: Elsaßland - Lothringer Heimat 17 (1937), S. 259ff. Bach. In den Bach fallen: ins Meer fallen, im Meer ertrinken; im Bach Hegen: im Meer ertrunken sein, den Seemannstod gefunden haben. Der Matrose fällt nie ins ,Meer\ sondern in den ,Bach\ ein typisches Beispiel für die verharmlosende und eu- phemist. untertreibende Ausdrucksweise der Seemannssprache; vielleicht hat die Rda. aber auch einen volksglaubensmäßigen Hintergrund. In ganz anderem Zusammenhang sagt man in Oberoesterreich bei anhaltendem Regen: Es muß jem. in den Bach gefallen sein (daß es nimmer aufhört zu regnen). Der Rda. liegt ein Analogieschluß zugrunde wie im volkstümlichen Regenzauber, wo jem. mit Wasser beschüttet oder gebadet wird, damit es regnet. Regnet es ununterbrochen, so folgert die Rda., so muß wohl jem. in den Bach gefallen sein. Noch nicht über den Bach sein: das Schwierigste ist noch nicht überwunden, der Ausgang ist noch ungewiß, /Berg. ,Schode Bach na!1 (Schon den Bach hinunter!) sagt man schwäb. für eine verpaßte einmalige Gelegenheit. Lit.: W. Stammler:Seemanns Brauch u. Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß III (Berlin 1957), Sp. 1876fU. Zifreund: Die dt. Regenlieder und ihre Beziehung zu Kult und Brauch (Diss. Marburg 1955), S.154. Backe. Die Backen (den Mund) voll nehmen: prahlen, viele Worte machen. Die Rda., die sich in diesem Sinne schon bei Lessing findet, erklärt sich von selbst. Mit leeren Backen kauen: das Zusehen haben, vgl. auch frz. ,mâcher à vide\ 86
Bäcker ,Frisch gebacken4 Dem kann man ein Vaterunser durch die Backen blasen /Vaterunser. Au Backe!ist zunächst ein Schmerzensausruf, der auf Backenschmerzen bei Zahnreißen oder beim Erhalten einer ,Backpfeife4 zurückgeht, dann aber verallgemeinert und bildl. als Ausruf der (freudigen oder unangenehmen) Überraschung, der Verwunderung, auch des Zweifels. A. Lasch dagegen lehnt die Verbindung mit Backe = Wange ab und stellt die Rda. zum Verb /backen, das ndd. als grobe Abweisung gilt (,1k will diwat backen!4 ich will dir was andres tun!). Au Backe, mein Zahnlist eine junge Weiterbildung, wahrscheinl. im Zusammenhang mit einer das Wort illustrierenden Gebärde des Komikers Grock. Lit.: A. Lasch: ,Berlinisch'. Eine berl Sprachgeschichte, Berlin o. J. (1928), S.195; Küpper I, S.55, backen, Backen. Ndd. einem etw. backefi (braten): einem eine Unannehmlichkeit zufügen; ähnl. ndl. Jemand iets bakken4, jemand een papje koken4 /Backe. Schnee im Ofen backen: etw. Sinnloses tun, bedeutet in Bayern: sein Vermögen verlieren, zugrunde gehen. Nicht (ganz) gebacken sein: nicht bei Verstand sein. Frisch gebacken sein: gerade eine Ausbil¬ dung beendet, eine Prüfung bestanden haben, auch: ein neues Amt übertragen bekommen. Backen bleiben:in der Schule nicht versetzt werden. Die schülersprachl. Rda. gehört zu engl. ,back4 = zurück, meint also ganz wörtl.: Zurückbleiben (/pappen bleiben). An de Backen und Banken! (auch to ’m Back!) ist in der Seemannssprache der Essensruf der Matrosen, kommt aber auch in anderem Zusammenhang vor, z.B. ,Bei Sturm ist an Backen und Banken nicht zu denken4. Die (das) Back ist in der Seemannssprache eine Essensschüssel (spätlat. bacca = Wassergefäß). Die Back ist aber auch ein Teil der Schiffsmannschaft, die auf einer Fahrt eine Arbeits- und Wachgemeinschaft bildet und dann natürlich auch zusammen ißt. Rhein, kennt man ,einem ob ’n Back liegen4, zur Last fallen; Back meint auch hier den Eßnapf. Bäcker. Das Bäckerexamen machen: den ganzen Tag zum Fenster hinaussehen, faulenzen. Iron. Handwerkerspott; seit dem 19. Jh. belegt. Beim Becken!lautet in Mittel- und Oberdtl. die spöttisch ablehnende Antwort auf irgendeine zudringliche Frage oder Zumutung. Die Rda. ist vielleicht urspr. eine 87
Backofen Abk. von ,Das bekommst du beim Becken, aber nicht bei mir!4 (/'Kuchen). Obd. ,Da ist nicht alle Tage Backtag\ dort gibt es wenig Essen und Vorräte, dort herrscht Man- gel. Lit.: P. Y. Sébillot:Traditions et superstitions de la boulangerie (Paris 1892). Backofen. Gegen den Backofen gähnen (jappen): gegen einen Überlegenen, gegen etw. Unmögliches ankämpfen; aussichtslosen Widerstand leisten. Die nur ndd. verbreitete Rda. vergleicht die Öffnung des Backofens mit einem Mund: so weit ein Mensch auch seinen Mund aufsperrt, das Loch des Backofens ist auf jeden Fall größer. Der drastische Vergleich ist auch wiederholt in der Malerei bildl. dargestellt worden und auch lit. schon früh bezeugt. Bei Freidank (um 1230) steht der Spruch (126, 19): Es dunket mich ein tumber sin, swer went den oven Übergin (d. h.,Wer glaubt, den Ofen im Aufsperren des Mauls zu übertreffen4). In den proverbia communia4 heißt es: „Est insufflare stultum fornacibus ore44. Der Backofen, der früher zu jedem Bauernhaus gehörte, spielt auch sonst in Rdaa. eine Rolle, z.B. ober- sächs. ,Er ist hintern Backofen nicht weggekommen4, ,noch nie hinter seinem Backofen hervorgekommen4, er ist unerfahren, untüchtig (vgl. hausbacken, nicht hervorragend, /Haus); bei Wilwolt von Schaumburg heißt es, Frauen seien tapfern Män¬ nern gewogen, ,,gedenkend, das dieselbig ehr oder depferlicher etwas von Frauen wagen oder tun dürfen, den heimbgebak- ken oder weibisch Männer44; schwächliche Kinder werden als ,halbbacken4, altmodische und rückständige Personen als altbacken4 bez.; bair. ist ,nicht ausgebacken4 nicht recht ausgeschlafen. Der Backofen ist eingefallen (umgefallen): die Frau ist entbunden worden (insbes. umschreibend von außerehelicher Mutterschaft gesagt). Die Vorstellung vom Mutterleib als Backofen kennt auch Schiller, wenn er den Franz Moor (,Räuber41, 1 ) sagen läßt: ,,Das ist dein Bruder! - Das ist verdolmetscht: Er ist aus eben dem Ofen geschossen worden, aus dem du geschossen bist44 (/Ofen). Die Rda. Einen auf den Backofen setzen (oder schieben) gebraucht man in Mecklenburg und Ostpr., wenn ein Jüngerer vor dem Älteren heiratet. Das ist ein kalter Backofen: das ist eine unnütze Sache. Lit.: S. Singer 1, S. 155. Bad. Das Bad hatte im häusl. und öffentl. Volksleben des MA. und der frühen Neuzeit eine sehr große Bdtg. Es war die erste Pflicht des Hausherrn, dem Gaste, der freilich oft schmutzig genug ankommen mochte, ein Bad bereiten zu lassen (vgl. Wolframs ,Parzival4 166, 21 ff.). Auch in ganz anderem Zusammenhang gab es brauchtümlich geregelte Bäder (Hochzeitsund Märzenbäder, Eh- und Heilbäder). Für die Zurichtung der öffentl. Bäder sorgten die in Innungen zusammengeschlossenen Bader. Eine Stadt wie München hatte schon im 15. Jh. mindestens vier öffentl. Bäder. Die Handwerksburschen waren z.B. verpflichtet, allwöchentlich zu baden; die Gesellen erhielten dazu rechtzeitig Feierabend und ein Badegeld. Zu Beginn der Neuzeit wurde das Baden in den öffentl. Badestuben wegen vielfach beanstandeter Unsittlichkeit und wegen der Ansteckungsgefahr eingeschränkt. Bis in den Anfang des 17. Jh. war jedoch die Benutzung von Schwitz- und Dampfbädern ganz allgemein. Es kann nicht überraschen, daß eine so verbreitete Sitte sich in zahlreichen sprw. Rdaa. und Formeln spiegelt, 88
Bad wobei auffällt, daß mehrere Rdaa., die mit dem Bad Zusammenhängen, etw. Unangenehmes bedeuten, was mit der Beschaffenheit des Bades, mit der Wehrlosigkeit im Bade oder mit älteren, etw. gewaltsamen Badesitten zusammenhängt. Einen ins Bad führen; einem ein schlimmes (sauberes) Bad anrichien: ihn mit Absicht in eine unangenehme oder gefährliche Lage bringen (entspr. recht ins Bad kommen: in eine solche Lage geraten). Der schlimme Sinn, der mit der Rda. jem. ein Bad an(zu)richten verbunden ist, beruht wohl auf einer spätma. Folterpraktik, bei der Delinquenten in einem von außen beheizbaren Raum schwitzen mußten, bis sie gestanden. Im 16. Jh. erscheint die Rda. schon verblaßt wie heute, z. B. in Murners ,Narrenbeschwörung4: Guck für dich, an wem du bist, Sunst wirt dir ein badt gerist (,zugerüstet4); und in der Komödie ,Hans Pfriem4 von Martin Hayneccius (V. 145): Ich sehe, sie werden ruhen nicht, Bis sie mir ein Bad han zugericht. Das schrecklichste Bad, glaubte man, erwarte die Sünder in der Hölle. Deshalb heißt es in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (86, 140): Die tüfel sint gewiß der sei Vnd tunt mit wüst triumphiren Von eim bad in das ander füren, Von itel kelt inn itel hitz. In seinem Schwank ,Das Höllenbad4 schildert Hans Sachs die Hölle als ungeheure Badestube, wo die Teufel als Bader ehemalige Sünder bis aufs Blut schwitzen lassen. Auch die Rda. einem einheizen: ihm scharf zusetzen, stammt wohl von der Folterung durch ein zu heißes Bad. Einem das Bad segnen: Die Wndg. ist uns geläufig aus Schillers einprägsamen Worten aus dem ,Tell" (I, 1): ,— und mit der Axt hab1 ich ihm’s Bad gesegnet!44 Die Geschichte vom ehebrecherischen Schweizervogt, der im Bad erschlagen ward, läßt sich zurückleiten bis ins ,weiße Buch4 des Archivs von Obwalden, d.h. bis ins 14. Jh. hinein. Die Stilisierung der Erzählung vom Vogt, dem mit der Axt das Bad gesegnet wurde, geht allerdings nur zurück auf Peter Etterlins Kronika von 1507: ,,ich will im das Bad gesegnen, dass er's keiner mer tut!44 Schiller hat die Geschichte mitsamt dem Ausdr. dann aus Tschudis Chronik (1569) entnommen. Obwohl die Wndg. also noch nicht zum urspr. Bestand der Schweizer Befreiungssage gehört, ist sie im Laufe der Zeit untrennbar mit ihr verbunden worden. Im Urner Spiel von Wilhelm Teil (vor 1545) z.B. heißt es: ,,do gab ich jm warms mit einem schlag und gsägnet jm mit einer achss das bad44. Aus der urspr. Situation des einen berühmten Falles geht die Wndg. dann in die große Literatur ein, z. B. in Fischarts ,Gargantua4. Wie auf eine altbekannte sprw. Rda. spielt er darauf an: „man gesegnets im nit wie dem Salust mit Peitschen oder dem Schweitzerischen Amptmann mit der Achsst im Bad44. Der Sprachgebrauch vom gesegneten Bad4 findet sich allerdings auch außerhalb der Sage. Die Rda. wird dabei im wörtl. wie im iron. Sinn gebraucht. In Römoldts ,Hoffartspiel4 (1564) steht der aufrichtige Wunsch der Königin an ihren aus dem Bade kommenden Gemahl: „Gott gesegn Euchs Bad44 unmittelbar neben dem Ausruf des Baderknechts, der den König zum Bad hinausgestäupt hat: So muß man solcher Herren pflegen und in (ihnen) also das Bad gesegen daß sie sobald nicht wieder kommen! Der iron. Gebrauch des Ausdr. überwiegt allerdings bei weitem, und insofern sind die populären Erklärungen, über dem zubereiteten Bad sei das Kreuzeszeichen gemacht worden, damit es wohl bekomme, falsch. Nur einige Belege: „Der Teufel sprach, ich gsegn Dirs Bad44 (Hans Sachs); „sy gesegnet mir das Bad mit fluchen und schelten44 (Wolkenstein). Auch Götz von Berlichin- gen (Lebensbeschreibung) will dem aus 89
Bad dem Bade steigenden Bischof das Bad segnen. Alle seither bekannt gewordenen Belege der Rda. sind obd. und Schweiz. Ursprungs (vielleicht wegen des tatsächlichen Vorwiegens des Wannenbades in Süddtl.). Ganz losgelöst vom Baden bedeutet die Rda. heute soviel wie: ihn tüchtig durchprügeln. Das Bad austragen (ausgießen) müssen: für eines anderen Vergehen büßen; derber gelegentlich sogar: das Bad austrinken (aussaufen) müssen. In dieser Form kommt die Rda. z. B. mehrfach bei Abraham a Sancta Clara vor: „Dieses Bad muß ein jeder aus- trincken“ (,Reim dich4, 171); „Das Bad, so er andern zugericht, muste er selber aus- trincken44 (Judas4 III, 543). Die aus diesen Rdaa. hervorgegangene und noch heute geläufige Kurzform (etw.) ausbaden müssen nimmt am Ende des 16. Jh. die übertr. Bdtg. an: die Folgen einer unangenehmen Angelegenheit tragen, für andere büßen müssen. Wie wir von den Baderegeln des Hans Sachs wissen, war es üblich, daß mehrere Personen nacheinander das gleiche Bad benutzten. Der letzte hatte das schmutzige Wasser auszugießen und das Bad zu säubern, also ,auszubaden4. Zunächst bedeutete ,ausbaden4 nur: bis zu Ende baden, am Schluß baden; schon im 16. Jh. aber erhielt es in übertr. Anwendung den Sinn: ausgespielt haben; so schon spöttisch bei Hans Sachs (,Der schönen Frauen Kugelplatz4, 40): Paid den ein Kegel nam ein schaden, das er tut auf dem placz auspaden. Denselben spöttischen Beiklang erhielt das transitive ,ausbaden4; daher erzählt Hans Sachs (,Spieler mit dem Teufel4 27 u. 38) von einem Spieler, der „verlor all sein geld und ward so gepadet aus44; im Winkel des Domes findet er ein altes Teufelsbild und redet es an: Du bist wohl auch so arm als ich. Wer hat dich so gebadet aus? Hinzu kommt noch ein rückbezügliches ,sich ausbaden4, d.h. beim Bezahlen des Bades all sein Geld vertun, wie der Bräutigam in P. Rebhuns ,Hochzeit zu Cana4 (1538, 1. Akt, V. 188): Es ist mir vor mein beutel lehr, ich hab mich fast gar außgebadt (d.h. mich völlig ausgegeben). Wer zah¬ lungsunfähig ist, der ,hat sich ausgebadet4, so noch in der heutigen Umgangssprache. Und schließlich mit sachlichem, innerem Objekt in Fischarts ,Geschichtklitterung4 (Neudruck, S.331): „Dann der einmal einsteigt, der muß das Bad außbaden oder doch zahlen44. Hieraus entwickelt sich dann die heutige Bdtg., die im 18. Jh. voll erreicht ist. Adelung verzeichnet 1774 in dem ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wb.4 (Bd. 1, Sp. 514): „Figürlich, aber nur im gemeinen Leben, etwas ausbaden müssen, d.i. für eines andern Vergehen büßen müssen44. Geliert läßt in der Erzählung ,Die beiden Knaben4 den einen, der in eine Wassergrube springen will, durch den andern warnen: Und kommst du drauf zum Vater naß hinein, So hast du’s da erst auszubaden. Goethe schreibt: „Es ist ganz einerlei, vornehm oder gering sein, das Menschliche muß man immer ausbaden44. Schon frühzeitig hat ,etw. ausbaden müssen4 auch die Bdtg. erhalten: ein unfreiwilliges Bad bis zu Ende erleiden. So wird z.B. in der 3. Historie des Eulenspiegelvolksbuches (Knusts Abdruck der Ausg. von 1515, S.7) berichtet, wie Eulenspiegel, nachdem ihm das Seil, auf dem er sich ,dumlen4 wollte, durchschnitten ist, in die Saale fällt: „Da fiel Ulnspiegel in das wasser mit grossem spot, und badet redtlichen in der Sal. Da wurden die bauren gar ser lachen, und die jungen rufften im fast nach, he bad nur wol uß usw. Du hast lang nach dem bad gerungen44. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die umgangssprachl. Wndg. baden gehen: Weggehen, ohne Erfolg gehabt zu haben; wirtschaftlich zugrunde gehen. Wer als Kind ,zu heiß gebadet4 wurde, behält davon einen geistigen Schaden. Scherzhaft sagt man ,Er ist ins Bad gereist4, um die Abwesenheit eines Menschen, der im Gefängnis sitzt, vornehm zu vertuschen. In ein Bad gehören: die gleiche Behandlung, Strafe verdienen (vgl. ,über einen /Kamm geschoren sein4). Das Kind mit dem Bade ausschütten: das Gute mit dem Schlechten verwerfen, übereilt in Bausch und Bogen aburteilen. Die Rda. ist schon bei Luther bezeugt: „Man soi das kindt nicht mit dem Bad ausgießen44 90
Bahn (Weim. Ausg. Bd. 20, S. 169). Seb. Franck (1541) gibt eine Erklärung der Rda.: ,,Wenn man den rechten Brauch und Mißbrauch miteinander aufhebt und ein Gespött daraus macht, das heißt Zaum und Sattel mit dem Pferd zum Schinder führen, das Kind mit dem Bade ausschütten. Das Kind soll man baden und von seinem Wüste säubern, darnach das Bad ausschütten und das Kind aufheben und einwickeln“. Die Rda. wird in neuester Zeit auch parodiert: ,Man muß das Bad so ausschütten, daß sich das Kind im Sande verläuft1. Lit.: A. Martin: Dt. Badewesen in vergangenen Tagen (Jena 1906); F. Bothe: Etw. ausbaden müssen, in: Zs. f. dt. Unterr. 16 (1902), S. 710f.; R. Sprenger: Etw. ausbaden müssen, in: Zs. f. dt. Unterr. 17 (1903), S.529; C. Nohle: Etw. ausbaden müssen, in: Zs. f. dt. Unterr. 19 (1905), S. 193 f. ; G. Goetz: Etw. ausbaden müssen, in: Zs. f. dt. Unterr. 20 (1906), S.520f.; F. Sohns: Etw. ausbaden müssen, in: Zs. f. dt. Unterr. 21 (1907), S.487f.; Richter-Weise, Nr. 10; Risse, S.234f.; R. Hallo: Vom Vogt von Wolfenschießen, dem mit der Axt das Bad gesegnet wurde, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 27 (1927), S. 1-26. Bader. Aus einem Bader ein Bischof wer- den:aus niedrigem Stande zu hoher Würde emporsteigen. Schon Luther gebraucht die Wndg.: ,,Wir können nicht alle Bischof werden, man muß auch Bader haben“. Bischof und Bader werden oft als Beispiele sozialer Gegensätzlichkeit einander gegenübergestellt, wobei die Einprägsamkeit der stabreimenden Formel zur Beliebtheit der Rda. beigetragen haben mag. Bischof oder Bader werden: alles oder nichts erreichen. Luther kennt diese Formel ebenfalls und verwendet sie in der Bdtg. des lat. Sprw. ,Aut Caesar aut nihil4. Ähnl. Bischof wie Bader: vom ersten bis zum letzten; keiner ausgenommen, wes Standes er auch sei. In der ,Zimmerisehen Chronik4 heißt es (III, 571, 2): ,,es dorft im weder bischof oder bader einreden“. baff. Baff sein: überrascht, sprachlos, sichtlich verwirrt, meist in der Zusammensetzung ganz einfach baff sein; vgl. ndl. ,paf staan4. Das Wort baff taucht schon im 17. Jh. lautmalend für den Schuß auf (vgl. mhd. baffen = bellen). Wer baff ist, steht gleichsam da, als ob er durch einen Knall erschreckt worden sei (wie der Hund des Jägers nach dem Schuß, der nicht sofort auf den Befehl reagiert). Lit.: W. Lehnemann: Standessprache und Gemeinsprache, in: Der Deutschunterricht, Jg. 15, H. 1 (1963), S. 50 ff.; L. RÖhrich u. G. Meinel: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 313-323. Bahn. Bahn brechen: in einer schwierigen Unternehmung den Anfang machen, so daß für andere der Weg frei ist. Die Wndg. ergibt sich aus der Grundbdtg. von Bahn = Schlagfläche, Durchhau durch einen Wald. Freie Bahn haben: alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt haben, von niemand behindert werden. Etw. auf die Bahnbringen: etw. Neues einführen, zur Sprache bringen; so auch mdal., z. B. Schweiz. ,öppis uf d’ Ban bringe4; ndl. ,iets op de baan bringen4; westf. ,dat sali wir (wieder) bei de ban4, das soll wieder zum Vorschein kommen. Im Hintergrund der Rda. steht die Bdtg. von Bahn als geebnetem Platz, nämlich die Kampfbahn der Ritter. Bereits mhd. wird der Ausdr. ,einen ze bane bringen4, auf den Weg bringen, in übertr. Bdtg. verwendet; ebenso bei Hans Sachs: „Jederman nam die schwenck für gut, so si auf die ban hetten pracht“. In Nicolaus Gryses,Leien Bibel4 (Rostock 1604) wird Bahn mit Bein zu einer stabenden Formel verbunden: ,,denn de Sünde hefft anfenckliken ... den Dodt up de Bane unde Beene gebracht44. Die Rda. lebt möglicherweise auch in verkürzter Form noch in den Ausdrücken ,etw. (Neues) aufbringen4 und ,anbahnen4 weiter. Aus der Bahn geworfen werden: im Berufsleben scheitern. Auch diese Wndg. scheint dem Turnierwesen entlehnt zu sein: wer beim Kampf aus der Bahn geworfen wurde, war der Unterlegene. Auf die schiefe Bahn geraten /schief. Etw. in die richtigen Bahnen lenken: den 91
Bahnhof besten Weg weisen, um einem vernünftigen Ziel zuzustreben. In die gewohnten Bahnen zurück kehren: seine alten Gewohnheiten wieder aufnehmen. Bahnhof. Immer nur Bahnhof verstehen: schlecht hören (wollen). Diese Wndg. nennt Hans Fallada in seinem Roman ,Wolf unter Wolfen' ,,die gängigste Redensart“ der Inflationszeit. Sie entstand bei den kriegsmüden Soldaten am Ende des 1. Weltkrieges. Der Bahnhof wurde zum Symbol des Heimaturlaubs; jedes Gespräch, das sich nicht auf die Heimkehr bezog, wurde mit dieser Rda. abgebrochen. Bescheid am Bahnhof wissen: sich im Leben auskennen, wendig und erfahren sein. Auch diese Wndg. ist sehr jung. Anhalter Bahnhof fahren /Anhalter. Großer Bahnhof: großer, offizieller Empfang am Bahnhof für Staatsoberhäupter und Regierungschefs, auch für berühmte Künstler und erfolgreiche Sportler. Balken. Den Balken im eigenen Auge nicht sehen, aber den Splitter im fremden stammt aus bibl. Sprachgebrauch (Matth. 7, 3-5 und Luk. 6,41: ,,Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest“). Bei Hans Sachs: „Gesell, zeuch vor den balken aus deim aug, darnach das pechtlein (mhd. bäht = Unrat) klein zeuch aus des nechsten äugen ,Den Balken im eigenen Auge nicht sehen ...‘ dein“. An die Stelle des Balkens setzten andere Schriftsteller den schweren Kelterbaum der Weinpressen ein, so z.B. Seb. Brant (1494): Wer jn sym oug eyn trotboum trag, Der tüg jn druß, ee dann er sag: Brüder, hab acht, ich sich an dir Ein äglin (Fäserchen), die mißfallet mir. Geiler von Kaisersberg setzt entspr. seiner Mda. den ,torkelboum‘ ; vgl. frz. ,voir le fétu dans l’œil de son prochain, et ne pas voir la poutre dans le sien'; engl. ,to behold the mote in the eye of one’s neighbour, but not the beam in one’s own'; ndl. ,de splinter in een anders oog wel zien, maar niet de balk in zijn eigen'. In dem satirischen Druck von Jacques Norenbault heißt es 1608 in fläm.: In eens anders ooghe een splinter siet Ende in sijn eyghen den balcke niet. Die bildl. Darstellungen des MA. nehmen das Gleichnis vielfach ganz wörtlich. Lügen, daß sich die Balken biegen / lügen. ,Den Balken im eigenen Auge nicht sehen ...k 92
Band, Bändel Balla. Balla sein: nicht ganz bei Verstand, einfältig sein. In Wunsch und Bitte, auch im Ruf beim Spielen wird der Spielball in der Kindersprache als Balla bezeichnet. Wird ein Erwachsener so genannt, dann heißt das, daß er wie ein Kind zu behandeln ist, das noch nicht die volle Zurechnungsfähigkeit im Sinne der Erwachsenen besitzt. Die Soldaten gebrauchten im 2. Weltkrieg für einen beschränkten Menschen die Bez. Kamerad Balla Balla. Seit 1955 ist die erweiterte Wndg. Vater doof, Mutter doof, Kind Balla-balla allg. stud, bezeugt. Die Wndg. hat neuerdings auch Eingang in den Schlagertext gefunden (.Küpper II, S.60). Ballhorn, Balhorn. Etw. nach Johann Ballhorn verbessern, verballhornen, verball- hornisieren: eine Sache unzweckmäßig und lächerlich abändern in der Absicht, sie zu verbessern; verschlimmbessern'. Diese Rdaa. wurden zunächst nur auf Erzeugnisse der Buchdruckerkunst angewendet, heute spricht man jedoch auch von Verballhornungen der gesprochenen Sprache. Die Wndgn. sind abgeleitet von dem Namen des Buchdruckers Johann Balhorn d. J., der im 16. Jh. in Lübeck wirkte. Von ihm ist eine Reihe von Drucken nachzuweisen und erhalten, Kinderfibeln, Reformationsschriften, Volkslit., geschichtl. und rechtswissenschaftliche Abhandlungen, darunter auch ,korrigierte' Ausg., z.B. 1545 ,De dorch M. Hermannum Bonnum Superintendenten tho Lübeck gecorrigere- den Geistlyken Gesenge vnd Christlyken Leder, dorch Johann Balhorn in offentliy- ken Druck gegeuen', im gleichen Jahr ,De klene Catechismus upt nie gebetert, tho Lübeck by Johann Balhorn gedrücket' und 1586 das Lübische Recht ,Auffs Newe vbersehen, Corrigiret'. Vermutl. erregten solche korrigierten und verschlimmbesserten' Ausg. den Widerspruch der Zeitgenossen, so daß der Verlag in Verruf kam, und vielleicht ist es schon eine Abwehr von seiten Balhorns, wenn er in einem der spätesten Balhorndrucke (1602) am Ende die Leser ermahnt: ,,so dar wat in tho ver- betern war, dat woldi ein yder bröderlik corrigern, und ydt dem boeckdrücker antö- gen". Um 1650 taucht der heutige sprw. Sinn des Namens zuerst in der Lit. auf. Die Firma ging zwar in andere Hände über, aber sie hatte einen Ball und ein Horn im Druckzeichen und hielt die Erinnerung an Joh. Balhorn fest. Um 1800 gebrauchte man verballhornen', verballhornisieren' bes. im altev. dt. Sprachgebrauch. Der Name des Lübecker Buchdruckers ist in der meckl. Mda. bis heute ein Begriff geblieben und wird oft in Rdaa. verwendet; z.B. beim Kartenspiel: ,Mit sonn (d.h. günstigen) Koorten kann Johann Ballhorn ok spälen'. Ut.: A. Kopp: Joh. Balhorn (Lübeck 1906); G. A. Brüggemann: Wortschatz und Sprachform (Leipzig 1928), S.100; Büchmann, S.660L Ballon. Einen Ballon kriegen: im Gesicht hochrot werden (wie ein roter Luftballon); einen auf den Ballon kriegen: auf den Kopf geschlagen werden, eine Kopfverletzung erleiden. Der bildl. Ausdr. Ballon für den menschlichen Kopf stammt aus der Soldatensprache des 1. Weltkrieges. Band, Bändel. Außer Rand und Band sein /Rand. Am laufenden Band: unablässig. Der um 1920 aufgekommene Ausdr. ist kurz nach Einführung des Fließbandes in Dtl. verbreitet worden. Das spricht Bändel: das besagt sehr viel, das ist sehr aufschlußreich. Gemeint ist, daß die Äußerung gleichwertig ist mit dem Inhalt vieler Bücherbände. Einen am Bändel haben: ihn in seiner Gewalt haben; ihn leiten, wie man will; einen am Bändel herumführen: ihn zum besten haben (vgl. frz.,tenir quelqu’un par les cordons'); etw. am Bändel (auch am Schnürchen) haben: es sicher beherrschen, so daß es einem geläufig ist; alles am Bändel haben: die volle Herrschaft erreicht haben, frei schalten können. Diese vor allem mdt. Rdaa. sind meist recht jung; sie sind entweder vom Leitseil der Haustiere oder (wahrscheinlicher) vom /Gängelband der kleinen Kinder hergeleitet. Die erzgeb. Rda. ,Die müssen vom Bändel zehren', d. h. vom Grundstock ihrer Habe, findet sich schon bei Hans Sachs: Mein Werkstatt die ließ ich zusperren, Weib und Kind vom bändlein zehren. Die Rda. Band hauen gehen: sich mit Besenbinden Geld verdienen müssen, verarmt 93
Bange, bangen sein, gehört auch in diesen Sinnzusammenhang. Mdal. ,Do werd d’r Bännel dairer wie d’r Sack4 (da wird der Bändel teurer als der Sack), das Drum und Dran macht die Sache zu teuer; ndd. ,Wammet glik metm Bänne- ken binnet, bruket me hernägest kein Strick4; bair. ,s Bandl bricht4, der Geduldsfaden reißt, und ,Es hat mi beim Hosen- bandl4, ich bin in großer Verlegenheit, in äußerst kritischer Lage. bange, bangen. Angst und bange werden; die Rda. ist bibl. Ursprungs. Jer. 50, 43 heißt es vom König zu Babel: ,,Ihm wird so angst und bange werden wie einer Frau in Kindsnöten44. Nach Sir. 4, 19 sagen wir „angst und bange machen44. „Bange und angst44 steht l.Makk. 13,2. Diese Zwillingsformel enthält zwei Wörter mit urspr. gleichem Wortstamm. ,Angst4 steht in Zusammenhang mit ,eng4 und bedeutet sowohl Mutlosigkeit als auch quälende Sorge, ist also ein bedrückender, beengender Zustand (/'Beklemmung).,Bange4 ist aus beäuge4 = beengt (gedrückt, gepreßt) hervorgegangen. Die neuere Abwandlung Bange machen gilt nicht! ist mdal. und lit. seit dem frühen 19. Jh. belegt. Mit Hangen und Bangen /'Hangen. ,Ik bün nig bang un waar nig bang4, ich bin und werde nicht furchtsam; so sagt man holst, zu einem, der sich für beherzt ausgibt, in Wirklichkeit aber ein Hasenfuß ist. Die Rda. bezieht sich auf das plattdt. Schwankmärchen vom Bauern Waghals (Wander I, Sp. 227). Eine ebenfalls iron. Bdtg. hat die Wndg. Es ist ihm nicht bange, das Herz klopft ihm nur bis in die rechte Wade (das Herz ist ihm in die Hosentasche gefallen), vgl. ndl. ,Hij is niet bang, maar het hart popelt hem in’t lijf4. Bank. Etw. auf die lange Bank schieben: eine Entscheidung aufschieben, die Ausführung verzögern. Über diese verbreitete Rda. ist viel Unbewiesenes geschrieben worden. Alte Belege gibt es nicht allzu viele. Trotzdem weisen alle alten Zeugnisse in die Welt des Rechtes. Die Wndg. erklärt sich aus der ma. Rechtspraxis und erinnert an die Schwerfälligkeit des Gerichts- und Kanzleiwesens nach der Einführung des röm. Rechts und der Gerichtsakten. Als er¬ ste schreibt 1481 die Kurfürstin Anna von Brandenburg über einen Gerichtshandel: „Kombt it herauß, so underwindt sich der vater, euer sach zu treiben, damit sie zu einem end kombt... süßt wurdt es dortinnen in die langen truhen gespilt“ (Steinhausen, Privatbriefe des MA. I, 233). - In den großen Rechtsstreit des Bistums Worms, der beim Kammergericht anhängig war, greift 1499 Bischof Johann III. ein mit der Mahnung: „hat sich leider die Sach bißhero länger dann uns nutz verlängert, were zu besorgen, daß sie alsdann gantz uf die lange Bahn gesetzet würde44. Vom ungerechten Richter des Evangeliums predigt Geiler von Kaisersberg (f 1510): „der richter kert sich nüt doran, sunder thett ein toub or dorzu, und wolt sye nit erhören durch lange zeyt. Er rieht die sach yemermeder uff den langen banck44. Bei Geiler finden sich außerdem die Fassungen: „ob man dich uff den langen banck wisset... man wisset in uff den langen banck44, und: „so... man die sach uff die langen banck zeucht44, sämtlich von Beispielen aus Rechtshändeln. Die Truhe erscheint synonym mit Bank. Wir kennen sie u.a. aus dem Sprachgebrauch Luthers: „Wo es also ins Recht kerne, Hoffet ich, Es solte in die lange Druen körnen, Wie es mit Paulo auch ge- scha44. An anderer Stelle: „laßt der armen leüt hendel nit jar und tag in der langen tru- chen ligen zu irem mercklichem verderben44. Genauso kehrt das Wort wieder bei Seb. Franck 1528 (,Von dem greulichen la- ster der trunkenheit4): „Aber wir legen die sach in die langen truhen, schertzen mit Gottes wort wie die katz mit der mauß, als lyge nichts darahn, wann wir ein mal darzu thund44. Allenthalben findet sich derselbe Ausdr. bei Rechtsgelehrten, immer von Rechts- und Verwaltungssachen (J. Ayrer: ,Histor. Processus Juris4, 1597, S.240): „sehen... was für ein geschwinder, listiger und verschmitzter Jurist er ist, und wie er mir mein gerechte, offenbahre und richtige Sachen, so wunderlicher weiß verdrehet, und in die lange Druhen spielet44.- A. Gryphius: „Damit die Schulden... nicht gar in Vergeß kommen, oder in die lange Truhen gelegt werden44. Diese Form der sprw. Rda. erweist sich in ihrer Eindeutigkeit als bes. sinnkräftig. Die Truhe als Vor¬ 94
Bank läuferin des Aktenschrankes nahm Sachen auf, die der Richter zum Lagern bestimmt hatte. Hier wird deutlich, warum unser Wort erst mit der Übernahme des röm. Rechts eine Rolle zu spielen beginnt. Im alten dt. Recht mit seinem wenig entwickelten Aktenwesen kann eine Wndg. nicht wurzeln, die doch schon eine klar abgestufte Behandlung der Akten voraussetzt. Auch wo Truhe durch Bank ersetzt wird, bleibt der Sinn noch deutlich. In Herzog Christophs großer Kirchenordnung von 1559 heißt es: ,,Unser Direktor soll... keine Sachen auff die lange Banck hinlegen lassen“. Die heutige Gestalt hat die Rda. im wesentlichen erst im 17. Jh. erreicht. Auch in der Neuzeit bleibt sie vornehmlich mit dem Gerichtswesen verbunden; vgl. z.B. Lessing (Brief von 1759): ,,... Wie sehr ein Prozeß in Sachsen auf die lange Bank geschoben werden kann“. Schwab, heißt es ,der Bank'; sonst hat die Rda. in den Mdaa. nur ausnahmsweise Fuß gefaßt - ein weiteres Zeichen dafür, daß sie eben aus Gerichtssaal und Aktenkammer stammt. ,Durch die Bank1 Durch die Bank: vom ersten bis zum letzten, ohne Ausnahme, ohne Unterschied; eigentl. in der Reihenfolge, wie alle auf der Bank sitzen. Die Rda. ist von einer alten Tischsitte hergeleitet. Bei den Mahlzeiten wurden alle der Reihe nach ohne Bevorzugung bedient. Die lit. Belege reichen in mhd. Zeit zurück; um 1296 schildert die Livländische Reimchronik (V. 938ff.) eine reiche Mahlzeit und rühmt den Wirt wegen seiner guten Verpflegung: die Wirtschaft was also getan, daz sie im alle sageten danc. riche vnd arme durch die banc, der pflac man vollenclich also, daz sie alle in gote waren vrö. Auch im ma. Reichstag hatten die Bänke (z.B. die Fürstenbank) eine strenge Rangordnung; dies gilt in ländlichen Bereichen bis heute auch für die Sitzordnung in der Kirchenbank. Die folgenden Rdaa. sprechen von der Bank des häuslichen Bereichs. An der Bank anfangen und am Tisch aufhÖ- ren: klein beginnen und gut enden. Einen auf die Ofenbank setzen: ihn lange warten lassen, eine alem. Rda. Jem. auf eine Bank mit einem andern setzen: ihn für gleichberechtigt oder nicht für besser halten (vgl. Lessing 6, 226: ,,und ich habe Cramern geschmäht, daß ich ihn mit Popen auf eine Bank setze?“). Unter der Bank war der Platz für Minderwertiges und Verachtetes. So sagt Luther vom Papst: ,,er leszt das evangelium unter der bank ligen". Die Rda. etw. unter die Bank legen (auch schieben oder stoßen) bedeutet: es beiseite legen, wegwerfen, verbergen; einen unter die Bank tun: ihn herabsetzen. Von der Bank fallen: uneheliche Kinder zeugen, vgl. bei Grimm: ,,Er ist mit der Dirne von der Bank gefallen“, d.h., er hat mit ihr ein uneheliches Kind gezeugt. Die Bänke des Tanzbodens sind in den beiden folgenden Rdaa. gemeint: obersächs. ,die Bank scheuern' und thür. ,mit Bankhansen tanzen1, beim Tanz wiederholt Sitzenbleiben. ,Auf allen Bänken singen1 Etw. auf allen Bänken singen: e tw. von allen Dächern rufen, spielt auf die Bänkelsänger an, die sich bei Festen und Jahrmärkten auf Bänke stellten, um besser gehört zu werden. In der Rda. leeren Bänken predigen: keine Zuhörer haben, sind zweifellos die Kirchenbänke gemeint. Von allen Bänken des öffentl. Lebens sind 95
Bankerott, Bankrott nur noch die Fleischbank, die Geldbank und die Waschbank in den folgenden sprw. Rdaa. bewahrt worden: Einen zur Bank hauen erinnert an die Fleischbank. Die Rda. meint eigentl.: jem. in Stücke zerhauen, wie man sie auf der Fleischbank des Metzgers zum Verkauf auslegte. So heißt es bei G. A. Bürger (,Lied der Treue1): „Wir haun, als hackten wir Fleisch zur Bank“. Die ältere Bdtg. ist aber: jem. verleumden. Das geht z.B. hervor aus einer Stelle in Leonhard Thurneissers 1584 erschienener Schrift ,Notgedrungenes Ausschreiben", wo es heißt: „Hat mich redlichen über die Zunge springen lassen und zur Bank gehauen“. Heute heißt einen zur Bank hauen soviel wie: ihn im Wortgefecht mundtot machen (vgl. ,einen in die /Pfanne hauen"). Einen durch die Bank ziehen: lästern, schelten. Die Rda. stammt von der Hechelbank, auf der der Flachs gereinigt wurde. So heißt es im 17. Jh. bei Joh. B. Schuppius: „auß der Ursache haben die Herren Scho- larchen ihn... tapffer hergenommen, dadurch es verursacht worden den Aristotelem wider wacker durch die Banck zu ziehen"", /Hechel. Auf die Waschbank führen (kommen) : Geschwätz, ,Gewäsch" über jem. anstellen, wobei an den Einfluß von waschen in der Bdtg. ,plaudern, klatschen" zu denken ist. Eis. nennt man eine nicht aufhörende Schwätzerin ,eine lewendige Wäschbank". Thür. ,Geld in den Bänken haben", Vorrat haben; meckl. ,in Bänken hewwen", Vermögen besitzen. Beide Wndgn. sind durchaus mit der Vorstellung der Anlage des Geldes auf der Bank verbunden. Auf die Bank als Geldinstitut bezieht sich auch der rdal. Vergleich so sicher wie die Bank (ndl. ,zo vast als de bank", frz. ,comme la banque", engl. ,his word is as good as the bank"). Die Bank sprengen, seine Bank ist gesprengt: sein Bargeld ist zu Ende, er hat keine Kraft mehr. Auf der Bank der Spötter sitzen bezieht sich auf Ps. I, 1 in Luthers Bibeliibers. Lit.: A. Götze: Eine Rda. aus dem Rechtsleben, in: Zs. f. Deutschkunde, 38 ( 1924), S. 94-99 (zu: ,auf die lange Bank schieben1); Richter-Weise, Nr. 12 und 13, S. 15-17; L. Schmidt: Bank und Stuhl und Thron, in: An- taiosXII, 1 (1970), S. 85-103); ders.: Stuhl und Sessel. Zur Geschichte des europäischen Sitzmöbels, in: Studia Ethnographica et Folkloristica in Honorem Béla Gunda (Debrecen 1971), S. 349-359. Bankerott, Bankrott. Bank(e)rott ist urspr. ein um 1500 aus der ital. Kaufmannssprache entlehnter Fachausdr. In südlichen Ländern betrieben die Geldwechsler früher ihre Geschäfte auf offener Straße. Bei Zahlungsunfähigkeit wurde die Bank des Händlers zerschlagen (ital. ,banca rotta" — zerbrochene Bank). In der heutigen Umgangssprache wird die Wndg. auch bildl. gebraucht. Bankrott machen; sich bankrott erklären: Schiffbruch erleiden, aufgeben. Statt dessen kennt die ältere Sprache auch die Wndg. ,Bankrott spielen", die in ndd. Mdaa. heute noch lebendig ist (vgl. frz. ,faire banqueroute"; engl. ,to become a bankrupt"; ndl. ,Bankroet gaan"). Lit.: A. Schirmer: Wb. d. dt. Kaufmannssprache (Straßburg 1911). Bär. Die verschiedenen Eigenschaften des Bären, seine Stärke und Schwerfälligkeit, seine unbeholfene Drolligkeit haben in vielen rdal. Vergleichen ihren Niederschlag gefunden. Ein großer starker Mensch ist ein Kerl wie ein Bar, ein,Bärenkerl"; von einem mürrischen Menschen sagt man: Er brummt wie ein Bär; man nennt ihn .Brummbär" oder .bärbeißig". Bekannt sind auch die Wndgn. Er schläft wie ein Bär und einen Bärenhunger haben, letztere schon im 13. Jh. bei Reinmar von Zweter. Ein un geleckter Bär: ein ungehobelter, grober Geselle, ist in ähnl. Form vielen eu- rop. Sprachen bekannt, z.B. frz. ,un ours mal léché"; ndl. ,het is een ongelikte beer". Die Rda. stammt aus dem bereits im Altertum bezeugten Volksglauben, der Bär werde als gestaltloses unförmiges Stück Fleisch geboren und erst durch die Mutter in die richtige Form geleckt. Die dt. Lit. des 18. Jh. bietet zahlreiche Belege für die Wndg. (zuerst bei Gottsched 1752). Jean Paul gebraucht sie z.B. 1795 in ,Quintus Fixlein": ,,Ein Opus, das, wenn ich es eben hinwerfe, gleich einem neugebornen Bären noch größer ist als eine Ratze, leck ich mit der Zeit zu einem breiten Landbären auf"". An die lustigen Tanzbären der Jahrmärkte ist in den folgenden Rdaa. gedacht: tanzen wie ein Bär: unbeholfen tanzen; den Bären 96
Bär ,Tanzen wie ein Bär* machen: zu niedrigen Dienstleistungen mißbraucht werden; der Jahrmarktsbär hatte zu tanzen, sooft es der Bärenführer befahl. Rhein, heißt ,den Bären machen' allerdings: in einer lustigen Gesellschaft der Ausgelassenste sein; ,die machen de Bär mit dir', sie halten dich zum Narren. Südd. kennt man schließlich noch ,den Bären tanzen lassen', Spektakel machen, und ,den Bärenführer spielen', den Fremdenführer machen. ,Einen Bärendienst erweisen1 Einen Bärendienst erweisen: eine unzweckmäßige Hilfeleistung geben, eine Rda., die aus der Volkserzählung erklärt wird. L. Göhring denkt an den Schwank vom Einsiedler und seinem jungen gezähmten Bären: Um die Mücken zu verjagen, die den schlafenden Einsiedler belästigen, wirft der Bär mit einem Stein auf sie, wodurch er die Mücken vertreibt, aber zugleich den Einsiedler tötet. Für die aus dem 17. Jh. erstmals belegte Rda. einen Bären anbinden: Schulden machen (bes. im Wirtshaus), sind verschiedene Deutungen vorgeschlagen worden. Recht unglaubwürdig ist die Erklärung, die J. L. Frisch 1741 in seinem ,Teutsch-Lat. Wb.‘ (1, 62 c) gibt:,,einen Bären anbinden, oder anlegen ... Heißt Schulden machen, deren Gläubigern man immer richtige Zinse bringen muß, oder sie brummen“. Am wahrscheinlichsten ist die von Müller- Fraureuth (Obersächs. Wb. 1,62) gegebene Erklärung: Bär sei mißverstandenes mdt. und ndd. ,Bere, Bäre' — Abgabe. ÖX feW Mnai 93<£rtn ,Einen Bären anbinden4 Ähnl. erklärt Müller-Fraureuth die Rda. einen Bären auf binden: auf schneiden, weismachen, aus einem Mißverständnis des Wortes Bär = Last, vgl. bern = tragen; mhd. bér = Schlag. Doch ist vielleicht auch an den richtigen Bären und an eine Herleitung der Rda. aus der Jägersprache zu denken. Schon mhd. bezeugt ist die Wndg. ,ich hete senfter einen bern zu dirre naht ge- ,Einen Bären aufbinden* 97
Barbieren blinden1, woraus sich ergibt, daß man es als bes. schwer ansah, einen Bären zu fesseln. Wenn nun ein Jäger mit seinem Latein andern eine Jagdgeschichte aufbinden wollte, so konnte er sich einer solchen Heldentat rühmen. Darauf deutet schon 1668 die Stelle im ,Simplicissimus4 (I, 289): „daß ich ihnen, wenn ich nur aufschneiden wollen, seltsame Bären hätte anbinden können“. Später ist,anbinden4 durch ,aufbinden4 ersetzt worden, vermutlich, um eine Verwechslung mit ,einen Bären anbinden4 (= Schulden machen) zu vermeiden. LU.: DWb. 11.3, Sp. 738; Wander 1, Sp. 230-233; H. Schrader: Bilderschmuck (Weimar 1896), S. 218ff.; Richter-Weise, Nr. 8; Bolte-Poli'vka 11, S. 427-435; A. Taylor: Proverb, S. 187; Göhring, S. 18-21; Raab, S. 22-24; Küpper 1, S. 57f.; Biichmann, S.368L; Bären anbinden, in: Zs. f. dt. U. 21 (1907), S.526. barbieren /Löffel. Bärenhaut. Auf der Bärenhaut liegen: faulenzen. Diese Rda. taucht zuerst im 16. Jh. in humanistischen Kreisen auf und schließt sich an eine Stelle der damals neuentdeckten ,Germania4 des Tacitus (Kap. 15, 22) an. Die ersten Belege finden sich 1509 bei Heinrich Bebel (,Facetien4), 1575 bei Joh. Fischart (,Geschichtklitterung‘) und 1579 bei Ritter Hans von Schweinichen. Allg. bekannt geworden ist die Rda. wohl erst durch das Studentenlied ,Tacitus und die alten Deutschen4 von A. Kunitz und W. Ruer, dessen 3. und 4. Strophe lauten: An einem Sommerabend, im Schatten des heiligen Hains, Da lagen auf Bärenhäuten zu beiden Seiten des Rheins Verschiedene alte Germanen, Als plötzlich mit freundlichem Gruß Ein Römer kam: „Meine Herren! Ich heiße Tacitus44. Die Schelte ,Bärenhäuter4 für einen Faulenzerund Nichtstuer, auch für einen ungepflegten Menschen, ist heute selten, war aber vom 16. bis 18. Jh. sehr geläufig. Zur Erklärung des ,teuschgegebenen Schand- namens Bärnhäuter4 erzählt Grimmelshausen (Werke, hg. v. H. H. Borcherdt, IV, 153 ff.) die Geschichte ,Der erste Bärnhäuter4, griff damit aber ein auch sonst weitverbreitetes Volksmärchen auf (KHM. 101 ,Der Bärenhäuter4). SDce crRctt 23entb4iitet:e 23i1bmis. *3o fab id> aus, id> trjkc 2?ärcnbäuttr, î>tn Vtamrn icb bcfam tvn .öärcn« »Saut ■Dat ich erfcho#, haß mir nicht einmal {traut. (Pb ich bePam plrtcb feajumal ritl Hribrr. hoch mein rvr .fritrn n>ar {ttfhr{ttn, cio tref mnfi rr tm bbebfttn Schimpf jrijt Iicfirn : il Ici ii fieht hieraus, nv# bochpeaebtet wirb beut, t'as tfiirjt feer Vleife in all3u Furier Seit. Die Bärenhaut verkaufen, bevor man den Bären hat, geht wohl auf den Schwank von den zwei reisenden Jägerburschen zurück, die ihrem Wirt versprachen, mit der Haut des noch unerlegten Bären zu bezahlen. Schwank und Rda. sind international (frz. ,11 ne faut pas vendre la peau de Tours, avant qu’il soit pris4; engl. ,to sell the skin before you have caught the bear4). Frühbelege der Rda. finden sich in Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4 von 1512 (V. 67): (Die Priester) hondt die Berenhüt verkoufft, Ee das ir einer in erloufft. Dazu findet sich eine Parallelstelle in Murners ,Von dem großen Lutherischen Narren4 von 1522 (V. 740): (Die Kardinäl) wollen doch betrachten nit, Das sie die Berenhaut verkauffen, Ee sie mit Jagen darumb lauffen. Ähnl. sagt Oldecop in der .Hildesheimer Chronik4 (S.295): „Summa de von Meyde- borch hadden de hut vorkofft, eger se den beren steken44. Bei Lehmann (834) schließlich heißt es (.Ungewiß4 9): „Es ist 98
Bärenhaut nicht gut Baernhaut kauffen, der Baer sey dann gestochen, wie auch nicht Kälber kauffen, ehe die Kuh gekälbert“. Vgl. die Wndg. ,für die Wiege sorgen, ehe das Kind geboren ist\ Die Erzählung über die Rda. ist zum ersten Mal gedruckt in dem 1495 erschienenen ,Hecatomythium‘ von Laurentius Abstemius, dem Bibliothekar des Herzogs von Urbino, ln diesem Büchlein erzählt, in worth Übers., das 49. Stück: Ein Gerber kommt zu einem Jäger, kauft von ihm eine Bärenhaut und gibt ihm das Geld dafür. Der Jäger sagt, derzeit habe er keine, verspricht aber, am nächsten Tage jagen zu gehen und ihm nach Erlegung eines Bären dessen Haut zu geben. Der Gerber ging mit ihm, voller Neugierde, in den Wald und stieg dort, um dem Kampfe mit dem Bären zuzusehen, auf einen gar hohen Baum. Furchtlos schritt der Jäger auf die Grube zu, wo sich der Bär verborgen hielt, ließ die Hunde hinein und zwang ihn herauszukommen ; der Bär aber wich dem Speerwurf des Jägers aus und riß diesen nieder. Da nun der Jäger wußte, daß dieses Tier nie gegen Aas wütet, hielt er den Atem an und •stellte sich tot. Der Bär beschnupperte ihn, und da er weder aus der Nase noch im Herzen einen Atem spürte, trollte er sich. Als der Gerber sah, daß das Tier abgezogen war und keinerlei Gefahr mehr bestand, stieg er von dem Baume herab, ging zu dem Jäger hin, der sich noch nicht aufzustehen getraute, hieß ihn aufstehen und fragte ihn dann, was ihm der Bär ins Ohr gesagt habe; und der Jäger: Er hat mich ermahnt, fortan das Fell des Bären nicht zu verkaufen, ehe ich ihn gefangen hätte (Aesopi Phrygis et aliorum fabulae, Venetiis, 1539, 45a). ,Die Bärenhaut verkaufen, bevor man den Bären hat' Weitere Bearbeitungen dieser Fabel finden sich bei Joachim Camerarius in seiner zuerst 1538 erschienenen Fabelsammlung; dann in dt. Sprache bei Hans Wilhelm Kirchhoff in dem 87. Stück seines ,Wend- unmuth‘ (1563). Bei La Fontaine (livre V, fable 20): Qu’il ne faut jamais Vendre la peau de Tours qu’on ne Fait mis par terre. In dt. Übers, lautet sie: Zwei Freunde, beide knapp bei Kasse, Besuchen in der nächsten Gasse Den Kürschner, und sie bieten an Zum Kauf ein Bärenfell dem Mann. Der fragt: „Wo ist das Fell, Ihr Herren?“ ,,Das, Meister, laßt Euch gar nicht scheren, Den Pelz, den sehet Ihr sehr bald! Der Bär? Der streift jetzt noch im Wald, Doch ist er unser, dieser Bär, Solch schönen gibt es nimmermehr! Und wir sind beide beste Jäger, Berühmt als Ungetümserleger. Schon morgen sind wir hier zurück Und bringen Euch das teure Stück. Sechs Mäntel, Meister, macht Ihr draus - Nun bitte, zahlt den Preis uns aus!“ Der Kürschner wird nicht gern geprellt: ,,Bringt erst den Pelz, dann kriegt Ihr Geld!“ Drauf zieh’n die beiden in den Wald, Und wirklich kommt der Bär auch bald. Das Herz rutscht ihnen in die Hosen, Sie stehen da wie die Mimosen. Das Ungetüm naht mit Gebrumm. Was tun? ... Der erste, gar nicht dumm, Erinnert sich, er hab’ gelesen, Ein Bär hätt’ Scheu vor toten Wesen. So fällt er um, liegt starr und still. Der andre überlegt nicht viel, Sieht sich rasch um; man glaubt es kaum, Erklettert flink den höchsten Baum. Schon ist auch da der grimme Bär. Er merkt nicht den im Baumeswipfel, Und der da liegt, reizt sein Begehr; Beschnuppernd prüft er jeden Zipfel 99
Bart Des Mannes, der da auf dem Grund Des Waldes liegt, verweilt am Mund, Zu spüren, ob er atme noch. „Potz Blitz, er riecht schon aus dem Loch!“ Der Bär sich wendet schüttelnd um, Trabt in den Waldweg mit Gebrumm. Da kommt der Mann vom Baum herunter, Reibt sich die Hosen und spricht munter: „Welch Abenteuer, lieber Freund, Bestanden brav wir, treu vereint! Doch was - ein Zweig hat grad geknistert - Hat dir das Biest ins Ohr geflüstert?“ „Ein Fell man nicht zu Markte trägt, Bevor den Bären man erlegt!“ Auf La Fontaine beruht schließlich die Version von Hagedorns Fabel ,Die Bärenhaut*. Auch Burkard Waldis kennt die Fabel von der leichtfertig verkauften Bärenhaut. Dies geht aus einer Anspielung in dem 88. Stück des IV. Buches des ,Esopus4 hervor, wo die Moral beginnt: Die Haut soll man zu Marckt nit tragen, Man hab denn erst den Beren geschlagen. In Hans Sachsens Meistergesang vom Neujahrstag 1536 heißt es von einem frechen Jäger im Schwabenland, der im Wald einen Bären gesehen hat: Nein in Marek det lauffen Und det die Hawt verkauften, Halff auch den Leitkauff sawffen, E er den Peren stach. Eine merklich abweichende Variante der Erzählung kennt Luther. Schon 1520 sagt er in dem großen Sermon von dem Wucher (W. A. VI, 56): „Doch wollen itzt die rey- che Kauffleut yhrs Geldis Gluck, und das- selb eytell on Unglück, darzu anderer Leut Willen und Mut vorkauffen, on wilchen es leytt, ob sie vorkauffen wollen, das heyst die dreytzehende Bern Haud vorkaufft“. Eine spätestens im 14. Jh. und wahrscheinl. im Engl, entstandene Variante setzt an die Stelle des Bären den Löwen; so auch noch bei Shakespeare (,König Heinrich V.4, IV, 3): The man, that once did sell the lion’s skin While the beast liv’d, was kill’d with hunting him. Durch geschichtl. Nachrichten wissen wir, daß Kaiser Friedrich III. 1475 die Fabel bereits mdl. erzählt hat, d.h„ es ist wahrscheinl. nicht nur mit einer nur schriftlichen und nur lit. Überlieferung zu rechnen, sondern auch mit einer mündlichen. Vermutl. war die Erzählung dem Kaiser durch irgendeinen Prediger bekanntgeworden, auch wenn das Exempel selbst bis jetzt von Abstemius nicht nachgewiesen werden konnte. Wenn es ein solches Predigt-Exempel gab, dann hat es sich wahrscheinl. an jene Stelle des 2. Makkabäerbuches (8,14) angeschlossen, wo von Nikanor die Rede ist, der die Juden verkaufte, ehe er sie gefangen hatte (,qui Judaeos, prius quam comminus veniret, vendiderat4). Oder wie Seb. Brant für das ,Narrenschiff4 (12, V. 25) 1494 übersetzt hatte: Nycanor überschlug geryng, Verkoufft das Wyltpret, ee ers fyng. Lit.: A. Wesselski: Die Fabel eines Kaisers, in: Erlesenes (Prag 1928), S.88-97. Bart. In zahlreichen Rdaa. spielt der Bart eine Rolle, sei es, daß er pars pro toto für den ganzen Mann steht, sei es als Zeichen der Manneswürde bei Beteuerung und Schwur, in Beziehung zum Sprechen und Essen, als empfindliche Stelle beim handgreiflichen Streit, bei Liebkosungen und Schmeicheleien, als Zeichen der Trauer oder schließlich als Bild des Alten, Überlebten und Rückständigen. Einem um den Barl gehen: ihn umschmeicheln. Vollständig würde die Rda. lauten ,mit der Hand um den Bart gehen4, d.h. einem das Kinn streicheln, wie es schon in Homers,Ilias4 (1,501 ff.) von Thetis erzählt wird, die Zeus durch diese Schmeichelei für sich gewinnen will. Im mhd. Kudrun-Epos (Str. 386) geht die Tochter ihrem Vater um den Bart: Der herre gie balde dä er die maget vant. In triuteclicher wise dô was der magede hant an ir vater kinne. Si bat in vil sêre, si sprach: ,liebez vaterlin, heiz in hie ze hove singen mère4. 100
Bart In denselben Sinnzusammenhang gehören einem den Bart lang machen: Versprechungen machen; der Bart lacht ihm darob: es ist ihm angenehm; einem den Bart kraulen (mdal. rhein. ,enem em Bart krawele4): ihm schmeicheln. Auch die Form einem Honig um den Bart schmieren (mdal. rhein. ,enem jet öm de Bart schmiere1; ,enem jet öm de Bart schmuse') kommt in gleicher Bdtg. vor, /Honig. ,Einem in den Bart greifen4 Im Gegensatz zur schmeichelnden Gebärde steht die aggressive und drohende: einem in den Bart greifen (fahren): ihn beschimpfen, Streit mit ihm anfangen. Es galt als schwere Beleidigung, jem. Bart anzutasten. Die Rda. ist lit., z.B. in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (,,einen an den Bart greifen“), aber noch in der Ggwt. mdal. reich belegt, etwa rhein. ,Dem han ech en de Bart getast4, den habe ich ausgeschimpft, oder: ,De es mol düchtig om Bart gezoppt wore4, dem haben sie tüchtig mitgespielt. Einem etw. in den Bart reiben (werfen): ihm einen Vorwurf machen. So sagt z.B. Abraham a Sancta Clara (Judas41,104; 11,312): „Einem die Wahrheit in Barth reiben“. Luther hat daneben noch: „Gott in den Bart greifen“, ihm zu nahe treten, und: ,,dem todten Löwen den Bart reufen“, den Mut an einem kühlen, wenn er unschädlich ist. Vom Starken heißt es: ,Er läßt sich nicht im Barte kratzen4, vom Hartnäckigen: ,Er würde sich seinen Bart Haar für Haar ausrupfen lassen4. In heutiger Umgangssprache hört man gelegentlich auch den Ver¬ zweiflungsruf: ,Das ist zum Bart ausreißen!4, /Schwanz. Das Einseifen und Beschneiden des Bartes durch den Barbier wurde übertr. zum allg. Bild der Menschenbehandlung. Einem den Bart gut einseifen: ihn übervorteilen; einem den Bart abmachen (scheren, putzen): ihn hart mitnehmen, ausschelten; an meinem Barte soll er das Scheren nicht lernen: ich möchte nicht das Versuchskaninchen sein; man wird ihm bald den letzten Bart abnefirnen: er wird nicht mehr lange leben. Der Bart ist ab: die Sache ist endgültig erledigt, überstanden; das Unternehmen ist ge- ,Der Bart ist ab4 scheitert. Die Wndg. ist ziemlich jung und vielleicht um 1890 aufgekommen, als auf den Vollbart WilhelmsI. und FriedrichsIII. der Schnurrbart Wilhelms II. gefolgt war (,Soldaten, tragt den Bart - nach des Kaisers Art!4). Vielleicht liegt der Rda. aber auch gar nicht der Bart als Haartracht zugrunde, sondern es ist an einen abgebrochenen Schlüsselbart gedacht. Laß dir keinen (grauen) Bart darum wachsen: ärgere dich nicht länger; hör mit der Trauer auf. Der Sinn der Rda. erklärt sich aus älterem Brauch, nach dem man sich zum Zeichen der Trauer den Bart unbeschnitten wachsen ließ. Joh. Agricola erklärt 1529 die Rda. (Nr. 161) folgendermaßen: „Welchen ettwas leidens widerfa- ren ist / vnd die do trawren / die lassen gemeyniglich bertte wachsen / da mit sie eusserlich yhren iamer vnnd vnfall menigk- lich beweisen / in dem daß sie leydt tragen ... die da betrübt sind / lassen faren alle wolfart vnd freuden / zeigen vnd beklagen iemmerlich yhren vnfal mit geberden vnd wandel. Zu solchen pflegt man also zu sa¬ 101
Bart gen / Laß dir keinen hart darumb wachsen,./1. Die Rda. ist heute weitgehend durch die jüngere Form verdrängt: ,Laß dir keine grauen /Haare darum wachsen/ Der Schwur beim Bart geht auf sehr alte Volksglaubensvorstellungen zurück. Wir kennen ihn heute nur noch aus morgenlän- ,Bei meinem Barte“ dischen Erzählungen, z.B. aus den Märchen von 1001 Nacht, in denen es üblich ist, beim Barte des Propheten zu schwören. Aber auch das dt. MA. kannte-den Schwur bei meinem Barte:bz\ meiner Ehre; so wahr ich hier stehe. Heinrich der Löwe und Otto mit dem Bart schworen ,sam mir min bart/ vgl. Konrad von Würzburg ,Otte mit dem barte1 V. 253: „bi dem barte swern“; ähnl. im ,Reinhart Fuchs/ Sam mir min bart, so muoz der fuhs Reinhart gewislîchen rümen diz lant. Beim Schwur selbst wurde der Bart berührt. Um des Kaisers Bart streiten: sich um Dinge streiten, die des Streitens nicht wert sind, die sich vielleicht auch gar nicht entscheiden lassen. Früher versuchte man, die Rda. auf die unergiebigen wissenschaftlichen Diskussionen zurückzuführen, die darüber geführt wurden, ob die röm. Kaiser, Karl der Große oder Friedrich Barbarossa einen Bart getragen hätten. Von dem Streit um Barbarossas Bart handelt das schwankhafte Gedicht ,Von des Kaisers Bart‘ von Emanuel Geibel, wo es am Schluß heißt: Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine, Nicht um des Kaisers Bart! Wahrscheinl. liegt der heutigen Rda. aber eine volksetymol. Umdeutung zugrunde aus ,um den Geißenbart streiten1, übertr. aus lat. ,de lana caprina rixari1 = um Ziegenwolle streiten. Horaz (Episteln 1, 18, 15) macht sich über die müßige Streitfrage lustig, ob man Ziegenhaare (wie beim Schaf) auch als Wolle bezeichnen dürfe. Diese Rda. ist international geworden: ital. ,disputar della lana caprina/ engl. ,to contend about a goats wool/ Die Ziegenwolle wurde im Dt. erst zum Geißenbart, dieser dann zu des Kaisers Bart umgeprägt. Dies beweisen ebenso ältere lit. Belege (wie z. B. aus Hugo von Trimbergs ,Renner/ ,,umb geiz wollen kriegen“) wie mdal. Varianten, z.B. ndl.,twisten um een geitenhaarZ Sonst heißt es ndl. entspr. dem Dt. ,speien oitTs Keizers baardZ Verwandt, aber mit einem anderen Grundbild sind die Rdaa. frz. ,se battre de la chappe à l'évêque1 und ital. .disputar delFombra dell’asinoZ Einem einen strohernen (auch flächsernen) Bart flechten (drehen): ihn hintergehen, ihm (troenbarr f lecbren ?cb bor oucb an Der fcbeltnen rote Das icb kan rbun efn gferbren fpott £ltiD Dir efnfecbfùrbalrcn do Du febwierft ffn eio im wer alfo *¥Tcn du Die facb befiibell reebt {£rn fhoen barr bab ich Dir gcflccbt 102
Bart etw. aufbinden, ihn täuschen. Schon bei Luther: ,,weil sie im solch eine feine nasen drehen und einen solchen schönen ströern bart flechten“. Ähnl. in Thomas Murners ,Schelmenzunft* und bei Joh. Agricola (Nr. 691): ,,Er macht yhm eynen bart von stro. Das ist / er vberredet yhn eyns dings / das öffentlich erlogen ist / daß man es auch greiffen moechte. Denn eyn bart von stro ist eyn grober / vngeschaffener bart / also daß man hare vnd stroe wol vnderscheyden kann. Darumb wenn yemant von eynem andern auff eynen won gefueret wirt / vnd eynes dings beredet / dem wirt mit sichtigen äugen blind gemacht / dieweil er das glaubt / das nit zu glauben ist' Bei Seb. Franck (1541) heißt es: ,,Ein etwas mit Lug und Trug überreden, ein Nasen treen, oder eim Ding ein ströin Bart flechten“. Aus den Bauernkriegen von 1525 wird überliefert: „Die Bauern lassen sich keinen strowin Bart mehr flechten“, sie lassen sich nichts mehr vormachen. Jünger ist die Verwendung der Rda. in dem Reimspruch: Wenn du die Sach’ besiehest recht, So isLs ein strohern Bartgeflecht. Schwab, ist die Rda. noch in der Form belegt: ,sich kein Stroh in den Bart flechten lassen*. ,Gott einen strohernen Bart flechten4 Sehr altertümlich ist die Form der Wndg. Gott einen strohernen Bart flechten, ebenfalls bereits bei Luther belegt: „Herr Cai- phas fienge an und machte Gott auch eine Nasen und ströern Bart** (vgl. frz. ,faire barbe de paille à Dieu*). Die Rda. ist auch dargestellt auf Bruegels 1557 entstandenem großen Rdaa.-Bild. Entstehung und Herkunft der Wndg. liegen jedoch im dunkeln. Am wenigsten erklärungsbedürftig sind die Rdaa., die den Bart in seinen natürlichen Funktionen in das sprachl. Bild übernehmen, z.B. etw. in den Bart brummen: undeutlich vor sich hinreden, bes. murren, wird heute auch von einem gesagt, der gar keinen Bart trägt. Sich den Bart streichen: Zufriedenheit aus- drücken; auch dies kann iibertr. von einem Bartlosen gesagt werden. Mit dem Bart wackeln: lachen, ist bes. in den rhein. Mdaa. verbreitet, z.B. ,Do waggelte he met der Bart*, da lachte er. ,Has du jet gesät oder has de mom Bart gewag- gelt?* ist eine beliebte Frage an einen, der undeutlich spricht. Ndd. wird Bart oft i. S. v. Mund verwendet, etwa ,Hool dien Bart!*, Halt deinen Mund! ,1k snak rein vun’n Bart*, ich spreche, wie mir der Schnabel gewachsen ist; ,he snackt as em de Bart wus- sen is*, er redet, ohne zu überlegen. Bei Mundfunktionen ist der Bart oft mit beteiligt: durch den Bart trinken: langsam schlürfen ; er kann nicht mehr über den Bart spucken: er ist betrunken; rhein. ,E frißt (seift), dat em de Bart trippst*; ,da geht ge te Bart*, es schmeckt. Bart kann auch i. S. v. /Hals stehen, z.B. bis an den Bart in Arbeit stecken. Schließlich ist der Bart das rdal. Maß des Erwachsenwerdens und der Männlichkeit: rhein. ,Kerl mit Bärt*, starke Männer; ,Ruheg (Mull hallen), wer ke Bart hot!* (auf Frauen und Kinder bezogen); ndd. ,Da is di de Bard noch nich naawussen*, davon verstehst du noch nichts; ,er kann noch nicht über den Bart spucken* (schlesw.-holst. ,He kann noch ni öwefn Bart speen*), er ist noch zu jung. Ostfries, heißt es von der plötzlich rauh klingenden Stimme eines jungen Mannes im Stimmbruch: ,He hatt den Bart in den Hals*. In manchen jüngeren Rdaa. bezeichnet der Bart das Überlebte und Rückständige. Einen Bari haben: altbekannt, langweilig sein; verkürzt zu: So’n Bart!, bes. von Witzen gesagt (vgl. den frz. Ausruf ,1a barbe!*, 103
Barte mit dem man eine langweilige Erzählung unterbricht). Die Rda. hat auch lustig parodierende Fortsetzungen gefunden, wie: ,Das Ende des Bartes ist im Keller (auf der 16. Sohle) zu besichtigen1, ,von Ferne hört man das eintönige Summen der Bartwik- kelmaschine4,,einen Bart mit Dauerwellen haben4. Der Bart selbst wird spöttisch ,Fußsack1, sein Träger ,Rübezahl4 oder ,Weihnachtsmann4 genannt. Doch wechselt die Bartmode; heute ist der ,Kaiser-Wil- helm-Gedächtnis-Bart4 wieder modern und gilt als jugendlich. Lit.: R. Köhler: Des Kaisers Bart wachsen hören, in: Kleinere Schriften, Bd. 3 (Berlin 1900), S. 610f.; Richter-Weise,Ni. 15; HdA. I, Sp. 929-931 (Art. ,Bart‘ von E. Stemplinger); Göhring, S.23L; Singer I, S. 38-40; L. Röhrich:,Kaiser Otto1 oder,Heinrich von Kempten', in: Germ.-Rom. Monatsschrift, N. F. 1 (1951), S. 151 bis 154; ders.: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S. 146; A. Megas: Der Bartlose im neugriech. Märchen, FFC. 157 (Helsinki 1955); Küpper I, S. 58f.; Büchmann, S. 338. Barte. Die Barte zu weit werfen: übertreiben; eine im 16. Jh. sehr gebräuchl. Rda. Barte ist ein altes Wort für ,Beil\ bes. für das Doppelbeil. In neuerer Zeit ist mit der Sache das Wort in Vergessenheit geraten und in die Rda. ist Beil für Barte eingetreten (/Beil). In den Mdaa. lebt das Wort vereinzelt weiter, z.B. thür. ,einem in die Barte laufen*, wider Willen auf jem. stoßen. Die Barte stets bei sich haben: einen losen Mund haben. Barthel. Wissen, wo Barthel den Most holt: sich zu helfen wissen, alle Schliche kennen; sehr gewandt, schlau und verschlagen sein (oft mit sexueller Bdtg.). Die Rda. ist seit der 2. FI. des 17. Jh. lit. belegt, z.B. in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (I, 139) und in Schnabels ,Insel Felsenburg4. Es handelt sich um eine der interessantesten Rdaa., für die immer wieder neue Erklärungen vorgelegt worden sind, nicht alle freilich von gleicher Originalität und Stichhaltigkeit. Es ist z.B. an altfrz. Rdaa. erinnert worden, die von einem entschlossenen Bartoie berichten, der seinen Weinberg verkauft habe, um neue Senker zu erhalten, also lächerlich und töricht handelte. In ähnl. Weise gibt es noch andere anekdotenhafte Erzählungen, die den angeblichen Urspr. der Rda. erklären. So leitet man die Wndg. auch von einem berühmten ital. Rechtsgelehrten Bartolus (gest. 1357) ab, über den auch im Frankr. des 16. Jh. ähnl. Rdaa. umliefen. Einer seiner dt. Schüler müßte dann die Wndg. im Dt. nachgebildet haben. Ebenso soll sich der Ausdr. auf einen Schultheiß von Heilbronn beziehen. Dieser Barthel lebte im 13. Jh. und hätte sich auf billige Weise aus dem Rathauskeller mit Wein versorgt. Eine weitere Deutung bezieht sich darauf, daß nach altkirchl. (aber nicht bibl.) Überlieferung der Bräutigam auf der Hochzeit zu Kana, auf der Wein beschafft werden mußte, Bartholomäus oder Barthel geheißen habe (vgl. Joh. 2,9: „Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wußte nicht, von wannen er kam ... ruft der Speisemeister den Bräutigam ...“). Ferner hat man darauf hingewiesen, daß in Unterfranken eine bestimmte Art großer Spitzkrüge, in denen man namentlich Most aus dem Keller heraufzuholen pflegt, Barthel genannt wird (,Bartmannskrüge4); doch können diese Krüge auch umgekehrt ihren Namen erst von der Rda. erhalten haben. Auch als ndd. hat man die Rda. zu erklären versucht: ,He weet, wo Bartheld de Mus herhalt4, er weiß, wo der Storch (Berthold, Name des Storches in manchen Gegenden Niederdtls.) die Mäuse, nämlich die kleinen Kinder, holt, er ist klug und gewitzt; er glaubt nicht mehr an den Klapperstorch. Einleuchtender als alle die genannten Deutungen ist die aus der Gaunersprache. In dieser bedeutet das aus dem Hebr. stammende Wort ,Barsel‘ = Eisen und ,Moos* = Geld (aus hebr. mä’oth — kleine Münze). Der urspr. Sinn der Rda. wäre also: wissen, wo man mit dem Brecheisen an Geld kommt, d.h., wo man durch Einbruch etw. erbeuten kann, dann in besserem Sinne: alle Schliche kennen. Freilich ohne Einwand ist auch diese Erklärung nicht, denn ,Barsei4 bedeutet rotw. lediglich das Eisen, wohl auch das Schließeisen, die Vorlegstange, während das Stemmeisen hebr. ,schabar barsel4, rotw. ,Schaberbartle4 heißt. Immerhin wäre eine Verkürzung von Schaberbartle zu Bart(h)el, vielleicht auch aus Gründen umschreibender Verhüllung, denkbar. Wenn diese Erklärung stimmt, dann ist die ndl. Form der Rda. ,weten waar 104
Baselemanes Abraham de mosterd haalt4 nur eine verderbte volkstüml. Variante. Schließlich - und dies hat mindestens ebensoviel Glaubwürdigkeit als das vorher Gesagte - hat man an den Kalendertag des hl. Bartholomäus (24. August) angeknüpft, der für den Ausgang der Weinernte wichtig ist; er spielt im Bauern- und Winzerleben überall eine große Rolle als Lostag. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Notiz aus Augsburg vom Jahre 1872, die besagt, daß alle Wirte ihre Schankgerechtigkeit verloren, wenn sie an Bartholomä noch keinen Most hatten. Allerdings kann sich diese Deutung nur auf den Obstmost beziehen, da der Traubenmost am 24. August noch nicht gemacht wird. Balthasar Schupp schreibt einmal: „Wo man Holz umb Weynachten, Korn umb Pfingsten und Wein umb Bartholomäi kauft, da wird Schmalhans endlich Küchenmeister“. Der Witz der Rda. liegt vielleicht tatsächlich darin, daß man auf St.-Bartholomäus-Tag noch nicht Weinlese halten kann und daß demnach Barthel keinen Most hat. Derjenige, der dennoch weiß, ,wo Barthel Most holt4, muß also schon ein ganz bes. schlauer Mensch sein. Der Sinn der Rda. bliebe bei dieser Erklärung gewahrt. Tatsächlich tritt der Bartholomäustag als wichtiger Termin des volkstüml. Kalenders in südd., bes. in schwäb. Wetterregeln häufig personifiziert als ,Bartle4 oder ,Bâtie4 auf. Es ist klar, daß der am Bartholomäustag, sei es aus Trauben, sei es aus Äpfeln gepreßte Most noch sehr sauer ist. Dies kommt zum Ausdr. in schwäb. Rdaa. wie: ,Dear besseret se wia’s Bartles Moscht, dear ischtzua Esse woara4, oder: ,Dea rieht se wie Bartls Moscht, un den habbe mr uff de Mischthufe gschütt4. Schließlich in gereimter Form: Bâtie roicht en wollfle (wohlfeilen) Moscht, Beim Michl (29. September) er scho maier koscht. Aber auch wenn der frühe Most noch nichts taugt, so sieht man am Bartholomäustag doch schon recht gut, in welchem Garten gutes Obst oder gute Trauben einen guten Most geben werden. Eine schwäb. Wetterregel heißt z.B.: ,Wie der Bartholomäus sich hält, so ist der ganze Herbst be¬ stellt4. Bartholomäus, der personifizierte 24. August, weiß also schon, wo der Most zu holen sein wird. In der Tat lautet die Rda. urspr.: ,Barthel weiß, wo er den Most holt4 - so steht sie in Simrocks Sprichwörtern4 und im Dt. Wb. der Brüder Grimm. Die ältesten Erklärungen dazu heißen: „Bartholomäi Tag ist der 24te August, da man mit einiger Wahrscheinlichkeit sehen mag, ob und wieviel Traubenmost desselben Jahres in den Reben zu holen sein werde44; so J. Eiselein im Jahre 1840. K. Rieselerklärt im Jahre 1856: „Demnach ist es der Barthel, von dem eine gute Weinernte abhängt, der Barthel holt oder bringt den Most, er weiß, wo der Most zu holen ist44. Auch Herrn. Fischer, der Herausgeber des Schwäb. Wb., erklärt: „Kommt wohl daher, daß man mit Sicherheit rechnen kann, daß es um Bartholomäi herum schon reifes Mostobst gibt44. Von dieser urspr. Rda. zweigen dann andere ab, die vermuten lassen, daß man die frühere Bdtg. mehr und mehr vergaß. Dazu gehört die mehrfach belegte schwäb. Scherzfrage: ,Wo holt der Baatle den Moscht?4, oder: ,Waischt au, wau Bartle da Moscht holet?4 Die Antwort lautet: ,Beim Michel!4, d. h. erst Ende September. Bekannte Drohungen sind: ,1 will der zaige, wo Bartle Moscht holt!4; ,Dem will i sa, wo Bartle de Moscht holt!4 Lit.: Wander I, Sp. 241; Richter-Weise, Nr. 16; Zs. f. dt. Mdaa. Ill, S.375; O. Meisinger: Hinz und Kunz (Dortmund 1924), S.9; A. Taylor: Proverb, S.194; A. Bertsch: Wb. der Kunden- und Gaunersprache (Berlin 1938), S.39 und 103; Raab, S.25; G. Gugitz: Barthel, der den Most holt, in: Das Jahr und seine Feste im Volksbrauch Oesterreichs, 2Bde. (Wien 1950), I, S. 77-83; Zs. f. dt. Wortf. X, S. 267; R. Schenda: Wo hat der Barthel den Most geholt, in: Stuttgarter Zeitung vom 5. Dezember 1964. Baselemanes. Baselemanes machen: Umstände machen, weitschweifig sein. Die Wndg. ist entstanden aus span. ,besa la mano4 oder ,beso las manos4, womit der Handkuß gemeint ist, der im span. Hofzeremoniell eine wichtige Rolle einnahm. Dem Dt. ist diese Sitte fremd, sie mutet ihn unnatürlich und lächerlich an und wird von ihm als übertriebenes Gebaren gebrandmarkt. In der heutigen Bdtg. hat sich der Ausdr. im 18. Jh. durchgesetzt (Küpper I, S. 59). 105
Basseltan Basseltan. ,Des mach ich for basseltan1, zum Zeitvertreib. Die Mainzer Wndg., die auch in der Pfalz und in Baden bekannt ist, läßt noch deutlich die frz. Grundform ,pour passer les temps' erkennen. Baßgeige. Er is 'n Aas uf de Baßjeije; Ausdr. der Bewunderung für einen tüchtigen Menschen. In der Volkssprache kann oft ein derber Ausdr. zu einem lobenden, im guten Sinn steigernden werden. Vielleicht beeinflußten die absonderliche Größe des Instruments und sein tiefer Ton die Wndg. Berl. hört man auch, wenn einer sinnlos betrunken ist: ,Er sieht den Himmel für ne Baßjeije an'. Bekannter ist die Drohung: ,Ich schlag dich, daß du meinst, der Himmel ist eine Baßgeige'. /Aas; /Geige; /Himmel. Lit.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa., im Schrifttum, in: Die Muttersprache (1963), S. 202. Bast. Sich das Bast von den Händen ringen ist vor allem durch G. A. Bürgers ,Die Pfarrerstochter von Taubenhain' (1781) bekanntgeworden (,,wild rang sie das Bast von den Händen"). Die Rda. hat aber durchaus ihre Entsprechungen in den Mdaa., etwa meckl. ,den Bast sick ut de Fingern reten' oder derber ,sick den Bast von de Rippen quälen'. Spöttisch heißt es obersächs. von einem, der heftig Beifall klatscht: ,Mancher junge Fant klopft sich beinahe das Bast von den Händen'. Bast (masc. und neutr.) bedeutet mdal. ,Haut, Fell', daher auch Wndgn. wie rhein. ,He kreg wat op dem Bast', er bekommt Schläge, und ndd. ,upn Bast körn', ,upn Bast sitn', bestrafen, zur Arbeit antreiben. Basta. Und damit basta!: Fertig, Schluß, erledigt! Basta ist eine Imperativform und kommt von dem gleichlautenden span.-ital. ,basta' = es genügt, es ist genug; das Wort ist wohl während des Dreißigjähr. Krieges durch die Vermittlung ausländischer Soldaten ins Dt. gedrungen und in den dt. Mdaa. auch heute noch gebräuchl., z. B. schwäb., rhein.; meckl. heißt ,basta machen' aufhören, etwa bei der Arbeit: ,de Snitters möken basta'. Bau. Nicht aus dem Bau (Bude) heraus- komtnen:nicht aus seiner Wohnung gehen, nichts unternehmen. Das sprachl. Bild beruht auf einem Vergleich mit Tieren, die Höhlen bewohnen und sich selten blicken lassen. In den Bau gehen müssen: in Arrest, ins Gefängnis müssen, kommt aus der Soldatensprache des 1. Weltkriegs. Vom Bau sein: Fachmann, Kollege sein. Diese jüngere umg. Wndg. stammt sicher aus dem Theaterleben. ,Er ist auch vom Bau', sagen die Schauspieler von einem Kollegen, den sie als einen der ihren anerkennen. Ähnl. bezeichnet berl. ,der ganze Bau' alle, zunächst die Bauhandwerker, dann alle zum Bau Gehörenden. Bauch. Die Rdaa. vom Bauch sind meist jüngerer umg. Herkunft und bedürfen kaum einer Erklärung. Älter ist lediglich dem Bauch dienen: g ut leben. Luther übersetzte Röm. 16,18: ,,Denn solche dienen nicht dem Herrn Jesus Christus, sondern ihrem Bauche" und gebraucht auch sonst oft Wortbildungen wie ,Bauchdiener', ,Bauchdienerei' oder ,Bauchknecht'. 1640 sagt Lehmann: ,,Die Familie Bauchknecht ist ein groß Geschlecht". Vor jem. auf dem Bauche liegen: unterwürfig sein, beruht auf einer alten Geste der Unterwerfung. Jüngere Rdaa. sind z.B.: sich den Bauch voJJschJagen: beim Essen heftig zulangen; aus dem Bauch reden (schwäb. ,aus dem hohlen Bauch schwätzen'): unbedachtes Zeug reden, das nicht aus dem Kopfe kommt. Etw. nicht aus dem holden Bauch können: etw. nicht ohne gründliche Stärkung und Sachkenntnis meistern können. Einen schlauen Bauch haben: schlau, klug sein. Hängt vielleicht mit dem jidd. .bauchen' = kundig sein zusammen. Den Bauch halten vor Lachen spielt auf die Erschütterungen des Zwerchfelles an, die bei starkem Lachen verursacht werden; schon Goethe kennt ein ,,bauchschüttern- des Lachen". Den Bauch voll Wut haben: sehr wütend sein, hängt mit der volkstüml. Vorstellung vom Sitz der Wut im Bauch (bes. in der Galle) zusammen. Obersächs. ,sich etw. durch den Bauch stechen', hinterziehen, unterschlagen, meint wohl ei- 106
Baum genti.: ohne Gewissensbisse etw. nach hinten, beiseite bringen (vielleicht im Gedanken an ein Taschenspielerkunststück). Einem ein Loch in den Bauch reden (fragen) /Loch. Sich gebauchpinselt fühlen (sächs. ,sich gebauchmiezelt fühlen4): sich geschmeichelt fühlen; junge burschikos stud. Nachbildung zu ,Ohrenkitze]4, Gaumenkitzel4 usw. bauen. Auf Sand bauen/Sand; dem Feinde goldene Brücken bauen / Brücke; aufjem. Häuser bauen können /Haus; Hütten bauen /Hütte; Luftschlösser bauen /Luftschloß. Bauer. Der Gegensatz Stadt - Land hat zur Ausprägung einer ganzen Reihe von Rdaa. geführt, in denen - meist aus städt. Sicht - das Wort .Bauer4 hochmütig zur Kennzeichnung grober, ungesitteter Art, der Dummheit und des tölpelhaften Wesens, bisweilen aber auch für Schlauheit oder Tüchtigkeit gebraucht wird. So fragt man einen Bauern aus: so lasse ich mich nicht ausfragen, als Antwort auf einen neugierigen Frager; vgl. ndl. ,zo vraagt men de boeren de kunst af4. Draufschlagen wie der Bauer auf den Wolf: sehr derb und grob dreinschlagen; ndd. ,Wat versteit de Bur von Safran!4 (ehemals ein wertvolles Kuchengewürz) oder ,Wat weet de Bur von Gurkensalat!4 (oft mit der Ergänzung ,er ißt ihn mit der Mistgabel4); meckl. ,Ick heff de Ollsch tau’n Buern brukt4, ich habe sie übertölpelt, Teingelegt; sächs. ,mit der Bauernflinte schießen4, grob werden. Der Bauer haut ihm ins Genick: er fällt aus der angenommenen Rolle (eines feinen Mannes). Diese Rdaa. werden heute jedoch selten gebraucht. Auf Bauernfang ausgehen: die Arglosigkeit und Leichtgläubigkeit der Bauern ausnutzen, seine Mitmenschen betrügen wollen. Nur die Sprww.: ,Die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln4 und ,Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht4 werden noch häufig in die umg. Rede eingeflochten. Bauer, das ist was andres! /anders. Lit.: J. Müller: Der Bauer im Spiegel des rhein. Sprw., in: Zs. d. Vereins f. rhein.-westf. Vkde. 15 (1918), S 88-102; A. Haas: Der Bauer im pomm. Sprw., in: Heimatkalender für Pommern (1925), S. 47-51. Bauernjunge. Bei starkem Regen sagt man obersächs. ,Es droscht Bauernjungen runter4, auch ,Es regnet wie mit Bauernjungen4; berl. ,Et rejent Bauernjungs4. Die dicken Regentropfen werden mit Bauernjungen verglichen, wie umgekehrt ,Tropf4 auch mit der Bdtg. ,Bauerntölpel4 bekannt ist. Bauklotz. Bauklötze(r) staunen: vor Verwunderung, Erstaunen sprachlos sein. Die Rda. ist um 1920 von Berlin ausgegangen; sie kann nicht ,erklärt4 werden, da gerade der surreale Gehalt den Reiz der Rda. ausmacht. Neuerdings ist sie noch ironisch parodiert worden: ,Da staunst du Bauklötze mit Gummiecken!4 Bauklötze mit Gummiecken gibt es nur in der Phantasie; sie sind ebenso ungewöhnlich wie das, worüber der andere staunen soll. Verwandte rdal. Ausrufe des Staunens sind: ,Da staun- ste Backobst!4, ,da staunste Preßkohlen!4 Unerklärt ist auch die etwa gleichzeitig, bes. obersächs. aufgekommene Rda. ,Ak- kermann, da staunste!4. Baum. Der Baum als Sinnbild der Stärke und Größe erscheint sprw. in Wndgn. wie Er ist ein Kerl wie ein Baum, baumstark; \nfpnvß aiq oj Ttinrßr aijifc 107
Baumeister ostpr. ,Dat es e Kerl, de kann Beem ute Eerd utriete"; häufig auch in der Form einer negativen Aussage: ,Wie Bäumeausreißen ist mir’s nicht gerade zumute1 (von einem Genesenden, der sich noch matt fühlt). Die Feststellung: ,Wie der Baum, so die Früchte' umschreibt die Vererbung negativer Anlagen. Zwischen Baum und Borke stecken: in einer kritischen Lage sein, aus der man weder vor noch zurück kann. Das sprachl. Bild ist vom Beil genommen, das sich beim Behauen eines Baumes oft derartig einklemmt, daß es nicht mehr hin und her bewegt werden kann. Die stabreimende Zwillingsformel (/Bausch und Bogen) ist heute nur noch ndd. geläufig, z.B. meckl. in der Form Zwischen Bork (Rinde) und Bark (Birke) sitzen", auch ,teuschen Bork un Bom stân\ zwischen Tür und Angel stehen. Entspr. warnt das frz. Sprw. ,11 ne faut pas mettre le doigt entre Farbre et l’écorce" (man darf den Finger nicht zwischen Baum und Borke stecken) davor, sich in Zwistigkeiten zwischen Mann und Frau zu mischen, überhaupt zwischen Personen, die eng miteinander verbunden sind. Den dürren Baum reiten: gehenkt werden, was meist an laublosen Bäumen geschah. Dem entspricht die schwäb. Rda. ,er ist uffm dürra Bömle", verdorben. Das geht über alle Bäume; das steigt auf die höchsten Bäume (Pappelbäume); das ist um auf die Bäume (Akazien) zu klettern: es ist unglaublich, es ist zum Verzweifeln (/Akazie). Die Wndg. begegnet schon in ,Familie Buchholz" von Julius Stinde, weswegen Berlin als Ausgangs- oder Vermittlungsort anzusehen ist. Einen alten Baum versetzen: einen alten Menschen zwingen, sein Heim, in dem er gleichsam wurzelt, zu verlassen, und ihn an einen fremden Ort verpflanzen (wie der Mensch oft mit einer Pflanze rdal. verglichenwird). Dem entspricht ndl. ,Men moet geen oude bomen verzetten of verplanten"; engl.,remove an old tree, and it will wither to death". Die Rda. vom Baum der Erkenntnis essen ist bibl. Urspr. und bezieht sich auf l.Mos. 2,9 und 3, 2-6, wird aber oft in ganz anderem Sinn gebraucht, vor allem in negativ gewendeter Form: ,Er hat nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen", er ist nicht sehr begabt. Den Wald vor Bäumen nicht sehen / Wald. Baumeister /Einfall. Baumöl. Berl. ,Et is zum Beboomölen", ostpr. ,Dat ös foorts torn bebommeelje" und obersächs. ,1s das nich gleich zum Boom- eelschwitzen?" sind mdal. Varianten der Rda. Es ist zum Bebaumölen (zum Banmölschwitzen): es ist zum Verzweifeln, zum Verrücktwerden. Baumöl (d.i. minderwertiges, aus der letzten Pressung gewonnenes Olivenöl) steht hier für ,Harn", wie andere mdal. Wndgn. erweisen, z. B. einen schlagent daß er Baumöl brunzt (seicht), bis er nach Baumöl stinkt. Sich bebaumölen meint eigentl.: sich in der Aufregung bepissen, hat aber mdal. verschiedene Bdtgn. angenommen, z.B. obersächs.: außer sich sein vor Freude oder Ärger, berl.: ängstlich sein. Verbaumölen: zum Narren halten, weismachen; vgl. schlesw.-holst. ,Lat ju nich bebomöhlen"; dies sagte am 9. 4. 1848 Major Michelsen, als man meldete, daß die Dänen seine Abteilung umgingen. Im ,Simplicissimus" Grimmelshausens steht ,baumölen" für durchprügeln, ölen ist ein älteres Synonym für schlagen; im Steir. ist Baumöl = Stockprügel. Urspr. war also jem. verbaumölen: einen mit einem Baum, d.h. einem Knüppel, verprügeln. Bauplatz, Baustelle. In der großstädt. Umgangssprache sind Bauplatz und Baustelle sprachl. Bilder für die ,Glatze", z.B. berl. ,Der hat Baustellen zu verkoofen"; leipzi- gerisch: Er hat einen Bauplatzzu verkaufen. In Berlin sagt man von einem, der große Füße hat, auch: ,Wo der hintritt, is jleich ’ne Baustelle". Bausch. Eine Sache auf bauschen: größer machen, ihr mehr Bedeutung beimessen als ihr zukommt. Bausch (mhd. büsch) ist das Geschwollene, der Wulst. Die Wndg. stammt wohl aus der Kleidermode früherer Zeiten, als die Bauschärmel üblich waren. In Bausch und Bogen: im ganzen, alles in allem; vor allem gebräuchl. in der Verbindung: etw. in Bausch und Bogen berech¬ 108
Bedeppert nen, bezahlen. Diese stabreimende Rda. hat sich wohl nur durch die Amtssprache bis in unsere Zeit hinein gehalten. Von der Nebenform Pansch hat die Kanzleisprache das lat. Adj. pauschalis gebildet, das noch heute in Begriffen wie Pauschalbetrag, Pauschalsumme usw. lebendig ist. Eine Erklärung der Rda. hat bereits Jac. Grimm in seinem Wb. (I, Sp. 1198) gegeben: ,,Bei Grenzen heißt Bausch die auswärts, Boge die einwärts gehende Fläche, Bausch das Schwellende, Boge das Einbiegende, daher die Redensart ,in Bausch und Bogen1 - eins gegen das andere, im ganzen". Kauft man also ein Stück Land in Bausch und Bogen, so bedeutet das: Nach allg. Überschlag, ohne einzelnes genau gegeneinander abzuwägen; das Zuviel der einen Seite wird durch das Zuwenig der anderen Seite ausgeglichen. ,In Bausch und Bogen (verkaufen4 ist seit etwa 1700 in der Kaufmannssprache allg. und ohne Einschränkung auf bestimmte Warenarten gebräuchl. Später weitete sich der Anwendungsbereich der Rda. aus, und sie wurde sogar literaturfähig. Goethe gebraucht sie in den ,Zahmen Xenien4: Nehmt nur mein Leben hin in Bausch Und Bogen, wie ich’s führe; Andre verschlafen ihren Rausch, Meiner steht auf dem Papiere. Eine neuere Deutung der Rda. schlägt eine Ableitung aus dem Sprachgebrauch der Papiermühle vor: ,,Auf den abgelegten Bogen kam sogleich ein neues Filztuch, auf das der nächste Bogen aufgepreßt wurde, bis 181 Bogen zwischen 182 Filzen lagen, bis ein Pauscht, ,ein Bausch Papier in Bo- gen\ dastand44 (Bockwitz, S.62). Die Herleitung der Rda. aus diesem vereinzelten Vorgang hat allerdings wenig Wahrscheinlichkeit für sich. ,In Bausch und Bogen4 gehört zur Gruppe der stabreimenden Zwillingsformeln, die im dt. Redensartenschatz sehr reich vertreten ist, z.B.: zwischen Baum und Borke; an allen Ecken und Enden; auf Eid und Ehre; Feuer und Flamme; Freund und Feind; weder Fisch noch Fleisch; Geld und Gut; Gift und Galle; Glück und Glas; Grund und Grat; Haus und Hof; mit Haut und Haar; mit Herz und Hand; Himmel und Hölle; Hirt und Herde; Kaiser und König; Kalb und Kuh; mit Kind und Kegel; Kisten und Kasten; Kopf und Kragen; Küche und Keller; Land und Leute; Lappen und Lumpen; Mann und Maus; bei Nacht und Nebel; Nahrung und Notdurft; Roß und Reiter; in Samt und Seide; Schild und Schwert; mit Schimpf und Schande; Schloß und Schlüssel; Schmach und Schande; Speer und Spieß; Stecken und Stab; Stiefel und Sporn; über Stock und Stein; mit Stumpf und Stiel; vor Tag und Tau; Tür und Tor; Tod und Teufel; Wald und Wiese; Wasser und Wein; Wind und Wasser; ohne Wissen und Willen; Witwen und Waisen; - ab und an; blank und bloß; braun und blau; durch dick und dünn; drauf und dran; drunter und drüber; einzig und allein; fix und fertig; frank und frei; ganz und gar; gang und gäbe; im großen und ganzen; grün und gelb; gut und gern; hoch und heilig; hü und hott; klipp und klar; kurz und klein (schlagen); je länger, je lieber; lieb und leid; los und ledig; niet- und nagelfest; null und nichtig; nun und nimmermehr; offen und ehrlich; samt und sonders; - ich bin und bleibe; nichts zu beißen noch zu brechen haben; biegen oder brechen; bitten und beten; drehn und deuteln; fasten und feiern; hoffen und harren; küssen und kosen; wie er leibt und lebt; sich nicht rücken noch rühren; singen und sagen; tun und treiben; nicht wanken noch weichen ; zittern und zagen (/Ach und Krach). Lit.: H. Schrader: Bilderschmuck, S.443; Richter- Weise, Nr. 17; Bockwitz: Kulturgesch. des Papiers (Stettin 1935); C. Puetzfeld: Jetzt schlägts aber 13 (Berlin 1937), S.16; Kluge-Götze, S. 58. Beckmann. Mein Gott, Frau Beckmann! Ausruf der Verwunderung. Die Identifizierung der Frau Beckmann ist bisher nicht geglückt. Der Ausdr. ist mdl. seit etwa 1920 bekannt und vorwiegend in nordd. Mdaa. belegt (Küpper I, S.61). bedeppert. Bedeppert sein: betroffen, niedergeschlagen, eingeschüchtert oder ratlos sein; z.B. ostpr.: ,Ganz bedeppert schlich er nach Hause4. Für die Erklärung der Wndg. bieten sich zwei Möglichkeiten an: die Ableitung ausmhd. beteben = bedrük- ken oder aus dem Hebräischen. In der Gaunersprache bez. das Wort ,bedeppert4 einen Menschen, auf den so stark eingere- 109
Beelzebub det worden ist, daß er unschlüssig und ratlos ist. Eine Ableitung von dem obd. mdal. Wort ,Depp4 = einfältiger Mensch, das dem 19. Jh. angehört, scheidet aus, weil bereits Grimmelshausen im ,Simplicissimus' (VI, 2) das Wort gebraucht: ,,... die süße Betöberung deß Schlaffs44. Beelzebub /Teufel. befriedricht. Befriedricht sein: befriedigt sein. Ein sprachl. Scherz seit 1850, vor allem für Berlin bezeugt; beruht auf der lautlichen Ähnlichkeit von ,befriedigt mit dem weitverbreiteten, vor allem in Preußen beliebten Vornamen Friedrich (Küpper I, S.61). begießen. Eine Sache begießen: mit einem Trunk bekräftigen oder feiern, meist in der Form: ,Das müssen wir begießen4, darauf müssen wir einen trinken! Diese schon im 16. Jh. bei dem Ritter von Schweinichen bezeugte Rda. ist heute noch sehr ge- bräuchl., z.B. beim Abschluß eines Geschäfts, nach bestandenem Examen, bei einem unerwarteten Wiedersehen usw. Sich die Nase begießen /Nase. begraben. Laß dich begraben! (vor allem berl. ,Laß dir bejraben!4): gib es auf! Die scherzhafte Rda., die als Kritik einer schlechten Leistung gebräuchl. ist, ist seit etwa 1850 bezeugt. Sie bez. übertreibend einen Menschen, der so dumm ist, daß sein Leben eigentl. unbrauchbar ist. Daraus hat sich auch gebildet Man hat vergessen, ihn zu begraben: der Betreffende ist eine aus Versehen noch nicht bestattete Leiche. Da möchte ich nicht (scheintot) begraben sein: da möchte ich nicht leben müssen. Das Kriegsbeil begraben /Kriegsbeil. Hier liegt der Hund begraben /Hund. Begriff. Schwer von Begriff sein: lange brauchen, um etw. zu verstehen (dagegen schwäb. ,Der ist kurz von Begriff4, der ist unbegabt). Keinen Begriff von etw. haben: keine Ahnung haben. Im Begriff des Begreifens sein:gerade anfangen, etw. zu tun. Die sehr junge Rda. spielt scherzhaft mit den ähnl. lautenden Ausdr. ,im Begriff stehen4 und ,begreifen4.,Des Begreifens4 wird aus Freude am Unsinn hinzugesetzt (Küpper I, S.62). Die Rda. einen schönen Begriff von etw. bekommen wird ironisch verwendet. beigeben. Klein beigeben:sich fügen, nachgeben, den Widerstand aufgeben; z.B. in Arnims ,Schaubühne4 1839 (2, 264): ,,Ihr seid desperate Leute hier, aber ihr werdet klein beigeben, wenn ihr die erste Stückkugel sausen hört44. Die erst zu Beginn des 19. Jh. aufgekommene Rda. ist dem Kartenspiel entnommen: ,klein beigeben4 muß man, wenn man keine hohen Karten mehr besitzt. Lit.: C. Puetzfeld: Jetzt schlägts aber 13 (Berlin 1937), S.17. . Beil. Er wirft das Beil zu weit: er ist ein Großsprecher, er schneidet auf, er lügt und übertreibt. Diese alte Rda. ist heute noch in den Mdaa. gebräuchl., z.B. schwäb. ,den Beil zu weit 'naus werfen4, eine Behauptung, einen Ausspruch überspannen. Das Beilwerfen spielte im altdt. Kriegswesen und in der Rechtssymbolik eine Rolle. Bes. bei Grenzbestimmungen war es üblich, die Entscheidung über die Entfernung der Grenze von einem gewissen Punkte dem zukünftigen Besitzer in die Stärke seines Armes zu legen. Öfters begegnet in Urkunden die Bestimmung, daß ein Müller in dem Bach, der die Mühle treibt, so weit abwärts und aufwärts soll fischen dürfen, wie er von der Mühle aus ein Beil zu werfen vermag. Im Bilde dieses Brauches konnte man von einem, der sich viel anmaßte, und dann weiter von einem, der Unglaubliches von sich berichtete, sagen: ,Er wirft das Beil zu weit4 (vgl. engl. ,to throw the hatchet4). Die ältere Form der Rda. lautet ,Er wirft die Barte zu weit4, /Barte. Grimmelshausen berichtet im ,Simplicissimus4 (III, 411) von einem, der von seinen Reisen erzählt: ,,Warffe auch bißweilen das Beyl so weit, daß ich selbst vor ihm sorgte, wo ers wieder finden würde44. Noch heute hört man ganz ähnl. in der Umgangssprache von einem Angeber ,Der wirft das Beil so weit, daß er’s nicht mehr holen kann4. Dem Beileinen Stiel wissen: ein Hilfsmittel kennen, Abhilfe wissen. Zuerst 1587 im ,Buch der Liebe4 (215 d) bezeugt: „ich wüst 110
Bein diesem beihel einen stil". Später erscheint auch die Nebenform der Axt einen Stiel wissen, /'Axt. Einen unter dem Beile (des Henkers) stek- ken lassen: ihn in der größten Gefahr verlassen. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer I, S. 82f.; Dt. Rwb. I, Sp. 1465; F. Sieber: Beil und Beilwurf auf dem rückseitigen Gemälde des Annaberger Bergaltars, in: Zwischen Kunstgesch. und Vkde. Festschrift für W. Fraenger (Berlin 1960), S. 197-212. Beileid. Herzliches Beileid: mitempfundene Trauer. Das Wort Beileid wurde im 17. Jh. von Paul Fleming geprägt. Obwohl es schon 1669 bei Schottelius gebucht ist. wurde es noch 1755 obd. nicht allg. verstanden und mit .Mitleid' verwechselt. Im 20. Jh. hat es sich dann allg. zur Bekundung des Mitgefühls bei Trauerfällen durchgesetzt, wohl unter dem Einfluß der gedruckten Beileidskarten. Bein. Die ältere Bdtg. Bein = Knochen zeigen noch Rdaa. wie durch Mark und Bein (/Mark), Fleisch und Bein, Stein und Bein (/Stein). Bein von meinem Bein, nach l.Mos. 2,23; ein Bein im Rücken haben: sich sehr steif halten. Bei Geiler von Kaisersberg heißt es: „Er hat ein Schelmenbein im Knie stecken": er ist ein Schelm. Bei Joh. Fischart: „Gesellen, die ein Schelmenbein haben im Rücken". Hierher gehört auch die von Luther gebrauchte Wndg.: „schinden die Leute bis auf die Beine" (Erlanger Ausg., Bd.42, S.262). Schwab, sagt man von einem recht bösen Menschen: ,An dem ist kei guts Bei4. Kein Bein wird gebraucht für: niemand, berl. auch für: kein Gedanke. Das Gegenteil davon ist alles, was Beine hat: jedermann. In der heute gebräuchl. Bdtg. wird Bein in vielen Rdaa. gebraucht: einem auf die Beine helfen: ihn unterstützen, ihm aus bedrängter Lage helfen; seit dem 16. Jh. belegt, z. B. bei Joh. Fischart im ,Bienenkorb4, 202a; wieder auf die Beine kommen, wieder auf den Beinen sein sagt man bes. von einem Genesenden (schon bei Luther bezeugt). Die Beine übereinandersclilagen: mit gekreuzten (d. h. übereinandergeschlagenen) Beinen sitzen; eine lässige Sitzhaltung einnehmen, die bis heute als ungehörig gilt. Bildquellen erweisen, daß das Beinekreu¬ zen urspr. eine Richtergebärde war, die die Befugnis zur Rechtsprechung öffentl. sichtbar werden ließ. Auf eigenen Beinen stehen: unabhängig sein, keiner Unterstützung bedürfen. Fest auf beiden Beinen stehen: wissen, was man im Leben erreichen will. Seine Beine unter fremdem Tisch haben: keinen eigenen Haushalt führen, schmarotzen; ähnl.: Ersteckt die Beine unter seines Vaters Tisch: er läßt sich von seinem Vater ernähren. Weit verbreitet sind auch: sich auf die Beine (Strümpfe, Socken) machen: sich davonmachen; etw. auf die Beine bringen (stellen): zustande bringen; die Rda. geht wohl vom Heer aus, das man bei der Mobilmachung auf die Beine brachte. Einem Beine machen: ihn wegjagen, ihn zur Arbeit antreiben (schon bei Fischart). ,Dir wer ’k Beene machen!4 droht der Berliner dem an, den er so schlagen will, daß er davonläuft. Sich die Beine vertreten: spazieren gehen; sich die Beine in den Leib stehen: lange im Stehen warten müssen; die Beine in die Hand (auch unter die Arme) nehmen: sich beim Gehen beeilen; viel auf den Beinen sein: viel gehen, keine Zeit haben; sich die Beine ablatif en, um etw. zu erlangen (auch mdal., z. B. schlesw.-holst, ,1k heff mi de Been dorna ut dat Liev lopen4, ich habe keine Mühe gescheut, um es zu bekommen). Das Gegen- ,Die Beine übereinanderschlagenk
Bein teil zu dieser Wndg. ist sich kein Bein ausreißen: sich nicht übermäßig anstrengen, eine Sache träge und langsam tun (,Deshalb reiße ich mir kein Bein aus!4). Bei schwerem Ärger sagt man Es ist zum Beinausrei- ßen!Einer, der große Unordnung sieht und nicht eingreif en darf, sagt: Es ist, um mit beiden Beinen hineinzuspringen. Mit einem Bein bereits im Grabe stehen: todkrank sein, auf dem Sterbebett liegen (/Grube). Mit den (beiden) Beinen auf der Erde blei- ben:sich nicht in Träumen und Spekulationen verlieren, sondern mit realen Tatsachen rechnen. Immer wieder auf die Beine fallen: Glück im Unglück haben, keinen ernstlichen Schaden nehmen. Die Rda. enthält die häufige Beobachtung, daß eine Katze beim Sprung immer auf die Beine fällt und sich auch beim Sturz aus großer Höhe nicht verletzt. Mit dem linken Bein zuerst aufgestanden sein: schon am Morgen schlecht gelaunt sein. Das Aufstehen mit dem verkehrten Bein wurde als schlechtes Vorzeichen genommen (vgl. lat.,sinistro pede profectus1; ndl. ,met het verkeerde been uit het bed stappen4; engl. ,to get out of bed the wrong foot foremost; frz. ,se lever le cul, le derrière le premier4). Kein Bein in etw. finden: keine Bedenken haben. Bein hat hier wieder die alte Bdtg. von Knochen. Die Rda. meinte also urspr. ,keinen Knochen im Essen finden4. Den Gegensatz enthält die Wndg. ,ein Haar in der Suppe finden (/Haar); vgl. auch ndl. ,geen been (graten) in iets vinden4, engl. ,without finding bones in4. Etw. ans Bein binden: tiw. verloren geben, einen Verlust verschmerzen, namentlich von Geldsummen gebraucht, z. B. ,Die 100 Mark binde ich ans Bein4, d.h. ich opfere sie, ich gebe sie verloren. Zur Deutung dieser Rda. hat man verschiedene Vorschläge gemacht; die richtige Erklärung scheint folgende: Man sagte und sagt scherzend ,Ich binde etw. ans Bein, unters Knie4, wenn man es sich nicht zu Herzen gehen lassen will (vgl. die gegenteiligen Rdaa.: ,einem etw. auf die Seele binden4 und Einern etw. ans Herz legen4); z. B. eis. ,Er loßt’s Kritz (Kreuz) nit uwr d’Strümpfban- del auf4, er macht sich keine Sorgen. 1638 heißt es in einer Breslauer Leichenrede: „Er hat nicht einen schlechten oder geringen Kummer, der bald zu vergessen ist oder den man unter den Knien zubindet, wie man im Sprichwort redet44. Ähnl. 1652 in den Gedichten von W.Scherffer (S.656): Ein schön Weib unters Knie des Hauses sorgen bindt, damit ins Antlitz sie nicht runtzeln kriegen mög. Noch älter und deutlicher in dem Liederbuch der Hätzlerin aus dem Jahre 1471: Sie sprach: far hin mein lieber knecht... Laß dir das laid dein haubt auch nit zerbrechen. Der knab der sprach: gern ich das tu, Bei dem knie so bind ichs zu, Das es mir in das herz nit mag geschlagen. Die Rda. ist schon mhd. bezeugt, z.B. bei Walther von der Vogelweide (101,31): „Min leit bant ich ze beine44, ich achtete mein Leid gering. In dem spätmhd. Lehrgedicht ,Die Windsbekin4 heißt es am Schluß von allerlei Ermahnungen: „die rede ze beine nicht enbint44, d. h. achte diese Rede nicht gering. Mdal. sagt man noch heute von etw. Unbedeutendem ,Das binde ich mir erst einmal unters Knie4. Daher auch: noch etw. am Bein haben: bezahlen oder leisten müssen; wenn man es auch - etwa wie ein Schellenband oder eine geringe Last - ans Bein gebunden hat, ist man es doch nicht los. Sächs. ,Das kann noch ans Been loofen4, das wird wohl noch Kosten machen. Im übrigen hat die Rda. ,ans Bein binden4 im heutigen Sprachgebrauch eine weitere und konkreter zu verstehende Bdtg. angenommen: eine Sorge aufbürden, auch: einen behindern. Hierbei ist an die Bestrafungen zu denken, die etwa Festungsgefangene und Wilddiebe erleiden mußten: Man legte ihnen einen eisernen Ring um das Fußgelenk und band daran eine schwere Kugel, um die Missetäter oder Gefangenen an der Flucht zu hindern. Auch die Rda. einen Klotz (Knüppel) am Bein haben heißt: in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt sein. Sie zeugt von dem noch heute üblichen Brauch, Weidetiere durch einen Knüppel, der an einer Kette 112
Bekleckern zwischen ihren Vorderbeinen hängt, am Weglaufen zu hindern (/Knüppel). Einem ein Bein steilen: ihn in heimtückischer Weise zu Fall zu bringen suchen, indem man ihm plötzlich ein Bein vorhält; in übertr. Sinne: jem. hinterlistig Schaden zufügen, z.B. in Grimmelshausens Simplicissimus4 (1,189): ,,wie er ihm ein Bein vorsetzen und zu Fall bringen möchte!44. Auch bei Goethe im ,Faust4 (II.Teil, V. 6792): ,,Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein44 (vgl. ndl. Jemand een beentje zetten4). Jem. Knüppel zwischen die Beine werfen: ihm Schwierigkeiten bereiten, seinen Erfolg hindern. Jem. auf die Beine (Zehen. Hühneraugen) treten: ihn nachdrücklich ermahnen, seine Aufmerksamkeit erregen, ihn unter dem Tisch heimlich anstoßen. Von Kindesbeinen an /Kind. Kalte Beine kriegen: Angst bekommen /Fuß. Vom Storch ins Bein gebissen werden /Storch. Über seine eigenen Beine fallen kann der Ungeschickte, der sich selbst in Schwierigkeiten bringt. Scherzhaft sagt man von einem, der ungelenke oder krumme Beine hat, daß bei ihm die Beine verkehrt eingehängt (ein geschraubt) seien; hat er einen langsamen, wackligen Gang, heißt es sogar: Ergeht, als wenn ihm die Beine in den Arsch gebohrt wären. Ein bes. großer Mensch weiß oft nicht mit seinen Beinen wohin und sagt selbst in gespielter Verzweiflung Ich kann mir doch keinen Knoten in die Beine machen, weil sie zu lang sind. Ist ein junger Mensch zu rasch gewachsen und paßt ihm seine Kleidung nicht mehr, dann hat er die Beine zu weit durch die Hosen gesteckt. Die berl. Rda. ,Det hat noch lange Beene4 meint: es hat noch lange Zeit, denn es hat sich noch nicht auf die Beine gemacht, es hat noch nicht begonnen. Die Wndg. nicht auf einem Bein stehen können gilt als Ermutigung und Aufforderung, ein weiteres Glas Alkohol zu trinken; vgl. ndl. ,Op een been kan men niet loopen (staan)4 oder ,Een goed Monik (Mönch) gaat niet alleen4 und engl. ,Wet the other eye!4. Ich bin nicht auf einem Beine hergekommen sagt der Gast, der noch etw. zu trinken wünscht. In die Beine gehen kann einem der Alkohol, aber auch die Musik zum Tanz. Der Schreck dagegen fährt jem. in die Beine und lähmt ihn. Humorvoll ist die Befürchtung, daß ein Gegenstand Beine kriegen könnte, d. h., daß er abhanden kommt, gestohlen wird. Die Rda. jüngere Beine haben: frisch und beweglich sein und deshalb älteren Menschen eine Besorgung erledigen, einen Weg abnehmen können, wird als vorwurfsvoller Hinweis gegenüber dem Jüngeren gebraucht, wenn er nicht hilfsbereit genug ist (vgl. frz. ,11 a encore ses jambes de quinze ans4). Auf Tiervergleichen beruhen die Wndgn.: sich auf die Hinterbeine stellen: Ach wie ein störrisches Zugtier (Esel) mit aller Kraft gegen etw. sträuben, dagegen sich auf die Hinterbeine setzen: sich anstrengen, bes. in der Schule. Den Schwanz zwischen die Beine nehmen: wie ein furchtsamer Hund rasch davonlaufen. Um einen bei einem Mißgeschick zu trösten, sagt der Berliner ,Det is ja noch lange keen Beenbruch4, es hätte schlimmer kommen können. In Dtl. allg. ist der Ausruf Besser als ein Beinbruch!, /Hals. beißen. Nichts zu beißen und zu brechen (auch nichts zu nagen und zu beißen) haben: nichts zu essen haben, weder Fleisch zum Beißen noch Brot zum Brechen. Ich dachte, was mich bisse: warum nicht gar; umg. vor allem in Norddtl. verbreitet. Bei jem. auf Granit beißen: auf starken Widerstand stoßen. Etw. beißt sich: cs paßt nicht zueinander (z. B. Farben verschiedener Kleidungsstücke). Ich beiße doch nicht! wird zu einem Zaghaften zur Beruhigung gesagt. In den sauren Apfel beißen /Apfel. Ins Gras beißen /Gras. bekleckern. Sich mit Ruhm bekleckern: Mißerfolg haben, sich blamieren. Die jüngere, erst seit etwa 1850 für Berlin bezeugte Rda. ist eine scherzhafte Umformung der Wndg. ,sich mit Ruhm bedek- 113
Bekloppt kenL, ironisch-wortwitzelnd, weil Mißerfolg als Fleck auf der Ehre aufgefaßt wird. - Berl. ist auch ,Bekleckern Se sich man nich!', höhnisch, beim Beginn eines Wortwechsels, auf das ,Begeifern' bei lebhaftem Redefluß anspielend. bekloppt: nicht ganz bei Verstand, verrückt, nach dem 2. Weltkrieg zur sprw. Rda. erweitert:,Selig sind die Bekloppten, denn sie brauchen keinen Hammer' in par- odistischem Anklang an die Seligpreisungen der Bergpredigt. Bellmann. Das soll Otto Bellmann heißen sagt man berl. von etw. ausgesucht Gutem, z.B. ,Nu wer ’k Ihnen mal eenen Kognak jeben - der soll Otto Bellmann heeßen\ In einer großen Zahl von Rdaa. kommen Personennamen vor, und zwar bes. häufig in berl. Wndgn., z.B. ,So muß et kommen, sagt Neumann'; ,Guten Morgen, Herr Fischer!'; ,Da kennen Sie Buchholzen schlecht!'; ,Mein Gott, Frau /Beckmann'; ,Freudenberg, die Strippe reißt!'; ,Grünemann, es kommt ein bös Gewitter' (bei Skatspielern üblich). Es wird nicht immer gelingen, wie bei /Buchholz und ,Freudenberg' (der ein Puppenspieler war), bestimmte hist. Persönlichkeiten für die betr. Rdaa. nachzuweisen. Psychologisch ist die Nennung eines Personennamens so zu erklären, daß der Inhalt der Rda. dadurch an Wahrscheinlichkeit gewinnt, ebenso wie ein Zitat, das man mit dem Namen des Gewährsmannes versieht. Aber hinter der Rda. ,Otto Bellmann' steckt doch eine bestimmte Persönlichkeit, genaugenommen sogar deren zwei: eine Figur der lit. Satire und ein Studentenwitz. Der bisher älteste Beleg für das Vorhandensein der Rda. findet sich in einem Brief, den Rahel Varnha- gen am 21. September 1818 von Baden aus an Auguste Brede in Stuttgart schrieb: gestern weint’ ich, anstatt zu lachen... und nachher bekam ich eine halbe Stunde Krampfmigräne, die hieß Otto Bellmann, sagen die Berliner". Es ist auffallend, daß der zeitlich nächste Beleg bei Rahels Bruder Ludwig Robert vorkommt. Dieser war der Verfasser einer Lokalposse ,Lebende Wachsfiguren in Krähwinkel' (1827): Der Direktor eines Wachsfigurenkabinetts führt den Krähwinklern mit seinen Hebenden Wachsfiguren' eine Reihe von Bildern vor, u. a. eine Figur namens Otto Bellmann. Es ist der Typus eines in Wahrheit ungebildeten, dafür aber um so eingebildeteren, sich unfehlbar dünkenden Alleswissers, eine Anspielung auf bestimmte Vertreter der Berliner Journalistik. Seitdem spielt die Figur Otto Bellmann in der Berliner Presse immer wieder als Personifikation eine Rolle. Sie wurde schnell zu einer stehenden Figur in der Berliner Lokalposse (z.B. ,Otto Bellmann'. Posse mit Gesang von David Kalisch, Berlin 1857; ferner ein Stück von H.Salingré: ,Otto Bellmann auf der Leipziger Messe', Berlin 1858). Willibald Alexis schreibt: „Otto Bellmann, eine alte Berliner Maske, ist nun der stehende Scherzname für einen Kritiker geworden". Daneben hat der Name aber schon vorher doch irgend etw. auch in dem Sinne bedeutet, wie er noch heute gebraucht wird, nämlich: nicht von schlechten Eltern, nicht von Pappe. Dafür spricht schon der oben genannte früheste Beleg bei Rahel Varnha- gen. Der Name muß sich also wohl einmal auf eine wirkliche Person bezogen haben. Wer aber war Otto Bellmann? Die hist. Zeugnisse verweisen in Studentenkreise der (1811 nach Breslau verlegten) Univ. Frankfurt a.d.Oder. Dort lebte ein Schuhmacher namens Otto Bellmann, der rdal. in die Studentensprache einging (z.B. in einem Wortwechsel: ,Das läßt sich Otto Bellmann nicht gefallen!'). Im Häuserregister von Frankfurt a.d.O. fand man nachweislich für das Jahr 1798 einen Schuhmacher Johann Gotthilf Bellmann verzeichnet, der tatsächlich in der betr. Straße wohnte. Offenbar erst von hier aus ist die Rda. auch nach Berlin verpflanzt worden, wo sie dann völlig akklimatisiert und zur spezifisch berl. Rda. geworden ist. Sie ist allerdings auch in Berlin erst sehr allmählich populär geworden. Es ist z.B. auffallend, daß C.F. Trachsel (,Glossarium der Berlinischen Wörter und Rdaa.', Berlin 1873) die Rda. noch nicht verzeichnet; sie fehlt auch noch in den ersten Aufl. des Buches von H.Meyer: ,Der richtige Berliner4. Aber auch außerhalb Berlins hat sich die Rda. vielfach erhalten und ist mdal. weitergebildet worden, z.B. meckl. ,Dat was ’n 114
Berg Musikant, de sed Otto Bellmann4, ein sehr guter Musikant; ,'n Wäder, wat man so Otto Bellmann seggt\ gutes Wetter; ,'n richtigen Otto Bellmann\ starker Knotenstock; ,Dickbuuk Bellmann4 heißt der Daumen im meckl. Fingerreim (/Otto). Lit.: F. Sandvoss: So spricht das Volk (Berlin 1861), S. 7; H. Kiigler: Otto Bellmann. Eine Berliner Rda., in: Willibald-Alexis-Bund. Jb. 1928 (Berlin 1929), S. 29 bis 46. bemoost. Das Wort bemoost begegnet bes. in traditionellen Verbindungen wie bemoostes Haupt, bemooster Herr u. a. Wer Moos anzusetzen beginnt, der wird alt, ist zu lange an einer Stelle gewesen. Bair.- oberpfälz. heißt es: ,Es wachst iehms Mies aufm Mantel. Dieß sagt man von alten Studenten4 (Zaupser, Bair.-oberpfälz. Id., 1789, S.52). In der Studentensprache des 19. Jh. ist der Begriff auf die Studenten der letzten Semester eingegrenzt worden; bekannt ist die Stelle in Goethes ,Faust4 (II. Teil, V.6638): „bejahrt und noch Student, bemooster Herr!“ Beim Abschied von der Universität nach bestandenem Examen erklingt noch heute in Studentenkreisen Gustav Schwabs Studentenlied ,Bemooster Bursche zieh ich aus4. Lit.: W. Fabricius: Zur Studentensprache, in: Zs. f. dt. Wortf. III (1902). S.96; Kluge-Götze, S.64. benedeien. Nichts zu benedeien haben: nichts zu sagen, zu befehlen haben. Diese Rda., die sich an das lat.,benedicere4 = gut reden, rühmen, preisen, Segen sprechen anschließt, ist vornehmlich im Rheinland gebräuchlich.: ,Dä (der) hät nix ze benedeie4, oft auch mit der Vorsilbe ge-: ,Du häs hej (hier) jar nix ze jebenedeie4. Benedicite. Einem das Benedicite machen: ihm eine Strafpredigt halten. Der Bischof las nämlich den kanonischen Geistlichen jeden Tag einen Schriftabschnitt vor und knüpfte daran allerhand Rügen und Ermahnungen (Seiler, S.277). Bei Murner in der ,Schelmenzunft4 (VIII, 37) heißt es: Wer er meyn sun in solchen Sachen, Ich wolt im das benedicite machen! Die Wndgn. seiten zum Benedicite kommen und wenig nach dem Benedicite fragen bedeuten, daß den Gelegenheiten, eine Er¬ mahnung zu erhalten, ausgewichen oder daß solchen Strafreden keine Beachtung geschenkt wird, weil sie zu häufig geschehen. Einem das Benedicimus singen /Placebo. berappen. Berappen müssen: bezahlen (burschikos). Kluge erklärt berappen = bezahlen in Rappen. Dem widerspricht aber, daß das Wort erst 1840 bezeugt ist; das Dt. Wb. verzeichnet es 1854 noch nicht. Der Rappen war aber bereits im 15. und 16. Jh. allg. Zahlungsmittel; er gilt noch heute in der Schweiz. Gerade aber in der Schweiz scheint das Wort berappen urspr. fremd zu sein; erst neuerdings hört man Schweiz. ,Es ist alls berappt4. Das Wort gehört vielmehr urspr. der Studenten- und der Gaunersprache an und ist aus der schwäb. Krämersprache und aus dem Rotw. ins Hd. und in die dt. Mdaa. eingedrungen. Die Berappungsariesingen:den Kellner zur Begleichung der Rechnung rufen, bes. bei Studenten beliebt, schon 1898 als Mode- ausdr. üblich. Eine Scherzbildung zu berappen ist St. Be- rappius, der Schutzheilige des Steuerzahlers, der für Berlin seit 1960 bezeugt ist. Lit.: M. Buttenwieser: Die Herkunft des Wortes berappen, in: Zs. f. Deutschkde. 36 (1922), S. 181 f.; L. Göh- ring, S. 24; Kluge-Götze, S.65; S.A. Birnbaum: Der Mogel, in: Zs. f. d. Ph. 74 (1955), S.249. Berchtesgaden. Laß dirs bei den Berchtesgadenern drachseln; die alte bair. Rda. erinnert noch heute an die Blütezeit der holzverarbeitenden Volkskunst im Berchtesgadener Land. Gemeint ist: Wenn dir etw. nicht gut genug ist, wenn dir dies oder das nicht ansteht, dann laß es dir bei der Berchtesgadener Heimindustrie drechseln. Lit.: M. Bachmann u. R. Langner: Berchtesgadener Volkskunst (Leipzig 1957), S. 14. Berg. Berge versetzen (wollen) ist ein bibl. Gleichnis für eine äußerste Wundertat; schon Hiob 9,5, im N. T. häufig verwendet i. S. v.: das Unmögliche möglich machen, z.B. Matth. 17,20 („Denn wahrlich, ich sage euch: So ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so mögt ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts 115
Berg unmöglich sein“; vgl. auch Matth. 21,21; Mark. 11,23; l.Kor. 13,2). Die Wndg. ist im Dt. erst durch Luthers Bibelübers. heimisch geworden. In der ,Zimmerischen Chronik1 (IV, 329,8) sagt ein Liebender, der vergebens um Erhörung fleht: ,,wenn ich triieg ain großen berk in ain tiefes thal, es hülf mich nit“. Wer sich wirklich vermißt, Berge versetzen zu wollen, ist ein Prahler, ein Großsprecher. Die beiden ital. Renaissancedichter Bojardo und Ariost erzählen in ihren Roland-Dichtungen von einem prahlerischen riesenhaften Mohrenhelden, namens Rodomonte, d.i. ,Bergfortwälzer1, daher: , Rodomontade1 = Aufschneiderei. Goldene Berge versprechen: unglaublich große und darum voraussichtlich nichtige Versprechungen machen; falsche Hoffnungen erwecken (vgl. frz. promettre des montagnes d’or'; engl. ,to promise a person whole mountains of gold'; ndl. Jemand gouden bergen geloven'). Die Rda. ist bereits der Antike geläufig; bei Terenz (,Phormio' I, 2,18) steht: ,,montes auri polliceri“; vgl. Aristophanes (,Acharnes' 82), wo es vom Perserkönig heißt, er sitze „auf goldenen Bergen“. Bei Persius (3,65) heißt es nur: „magnos montes (große Berge) promittere“. Die Kirchenväter brauchten das Bild ebenfalls (Hieronymus: „Cum montes aureos pollicitus fueris“), und durch die geistliche Tradition ging es dann ins MA. über. Im mhd. Kudrun-Epos (Str. 492) drückt Irold seine Begierde, zwei Helden wie Hagen und Wate miteinander kämpfen zu sehen, mit den Worten aus: und wære ein berc golt, den næme ich niht darumbe, so der strit geschæhe, deich Waten mînen œheim bi dem wilden Hagenen nit ensæhe. Über alle Berge sein: weit fort sein, nicht mehr eingeholt werden können. Die Rda. stammt noch aus der Zeit eines unbeholfenen Verkehrs und findet sich zuerst bei Luther: „denn sie fürchteten sich, und we- ren lieber über alle Berge gewesen“. Auch im ,Alamodischen Politicus' (1671): „Obwohl das Fräulein ihm etliche Däncke in wärenden Ritterspielen zuerkannt hatte, so blieb doch alles Übrige in weiten Bergen“. Verhüllend wird dieselbe Rda. ,Dee is oe- wer alle Barge' meckl. auch von den aus dem Leben Geschiedenen gebraucht; der durch den Tod Erlöste ,is ok oewern Barg' (/zeitlich). Im Allgäu sagt man von einem Abwesenden: ,Er ist über Berg und Bühel'. (Noch nicht) über dem Berg sein: das Schlimmste, die Krise (noch nicht) überwunden haben; bes. auch von Kranken gesagt. Urspr. ist dabei an eine mühsame Wanderung über eine Bergeshöhe gedacht. In manchen Seminaren feierten die Schüler früher das ,Bergfest', wenn sie die Hälfte der Zeit hinter sich gebracht hatten; nach dem Fest ging es dann bergab, d.h. dem Examen und der Entlassung zu, vgl. engl. ,fall-semester' = Wintersemester. Es geht mit ihm bergab: seine Kraft, sein Ansehen usw. nehmen ab. Hinter dem Berg(e) halten: etw. Schwerwiegendes verheimlichen; schon von Luther bildl. gebraucht von einem, der seine Meinungen und Urteile nicht ausspricht, der nicht redet, wie er denkt, und überhaupt nicht offen zu Werk geht. Trübner und Borchardt-Wustmann erklärten die Rda. aus der militärischen Fachsprache: Das Geschütz mitsamt den Mannschaften ließ man hinter dem Berg in Deckung halten, um sie erst im günstigsten Augenbliek hervorbrechen zu lassen. In dieser Funktion wird die Wndg. seit dem Dreißigjähr. Krieg gebraucht. O. B. Schlutter hat indessen auf eine andere Deutungsmöglichkeit aufmerksam gemacht; er glaubt, daß die Rda. urspr. gelautet habe:,hinter der Berge (d.h. hinter dem Verbergenden) halten', und erinnert an die Gewohnheit der Frauen, „die schwerlich je etwas über die Gasse tragen, ohne die bergende Hülle ihrer Schürze darüber zu decken“. Sie halten tatsächlich den getragenen Gegenstand ,hinter dem Berge' (mhd. berc, masc. und neutr. = Umschließung, Verbergung). Dieser Erklärung hat sich neuerdings auch K. Spalding angeschlossen. Schlesw.-holst, heißt ,Se hebbt wat achtern Barg', sie haben etw. gespart. Der Berg hat ein Al aus le in geboren: es wurde von einer Sache viel Aufhebens gemacht, aber schließlich ist wenig oder nichts dabei herausgekommen. Schon Phädrus gebrauchte die Wndg. in einer Fabel (4,22), dann auch Horaz: „parturiunt 116
Beschlagen montes, nascetur ridiculus mus" (Ars Poetica, V. 139). Bei Luther heißt es: ,,Die Berge gehen schwanger, und wird eine Maus draus“; er meint damit ungeheure Anstrengungen, denen der Erfolg nicht entspricht. Vgl. auch ndl. ,De berg heeft een muis gebaard'; frz. ,La montagne a enfanté une souris'; engl. ,The mountain has brought forth a mouse'. Den hölzernen Berg hinauf steigen, mdal. in Moers ,den höltern Berg herop gohn': westdt. Scherzwort für zu Bett gehen. Jem. stehen die Haare zu Berge /Haar. Dastehn wie der Ochs am Berge /Ochse. Lit.: F. Seiler: Lehnsprichwort, S. 150, O.B. Schlutter: Glossographische Beiträge zur dt. Wortgeschichte, in: Zs. f. dt. Wortf., 14 (1912/13), S.140L; Spalding 1, S.259; Büchmann, S.91, 499. Berserker. Eine Berserkerwut im Bauche haben: durch außergewöhnlichen Ingrimm erregt sein und deshalb wilde, hemmungslose Angriffslust besitzen. Berserker, aus dem Altnord, entlehnt, war urspr. nur die Bez. für das Bärenhemd (serkr = Hemd, Gewand; ber = Bär), in das sich die skandinavischen Krieger hüllten, um die Kraft des Bären durch das Fell auf sich zu übertragen. Dieser Glaube, daß die Stärke der wilden Tiere auf den Träger ihres Felles übergeht, ist eine bei Naturvölkern weitverbreitete Vorstellung. Berserker nannte man dann in Nordeuropa die Männer, die durch eine Bärenhaut ein solch furchterregendes Aussehen erhielten, daß man von ihnen glaubte, sie könnten zeitweilig wirkliche Bärengestalt annehmen. Ähnl. wie die Werwölfe wurden sie als Wesen zwischen Mensch und Tier mit übernatürl. Kräften gefürchtet. Die altisländ. Sage berichtet von ihrer blinden, tierischen Wut, der nichts widerstehen konnte, obwohl sie ohne Waffen kämpften. Schon in der älteren Edda heißt es: Zu Sorgen und Arbeit hatte die Söhne Arngrim gezeugt mit Eyfura. Daß Schauer und Schrecken von Berserkerschwärmen Über Land und Meer gleich Flammen lohten. Die rdal. Vergleiche wütend wie ein Berserker sein und toben (schreien, kämpfen) wie ein Berserker haben die Erinnerung an den Bärenhäuter bis heute lebendig erhalten (/Bärenhaut). Lit.: HdA. I, Sp. 1093ff., RGA. I, Sp. 206f. Bescheid. Jem. (gehörig) Bescheid sagen oder stoßen: ihn zurechtweisen, ihm nachdrücklich erklären, was ihm zukommt oder zusteht, 1819 bei Julius v. Voss für Berlin bezeugt. Bescheid tun: Anweisung geben, Rede stehen, wird auch bildl. von der Erwiderung des Zutrinkens gebraucht und meint dann eigentl.: die Antwort auf den ausgebrachten Trinkspruch geben; so z.B. 1561 bei Maaler (60a): ,,das freundlich vnd holdsä- lig nöten ze trinken oder bescheid ze thun“, was früher auch schon 1537 in dem ,Dic- tionarium' von Dasypodius vorkommt; ferner 1575 in Joh. Fischarts ,Geschicht- klitterung' (Ndr. S. 148): ,,Schenck ein das Glaß: Thu bescheid“. Bescherung. Da haben wir die Bescherung: das erwartete, vorauszusehende Unglück ist eingetroffen. Die ganze Bescherung: das alles. Da liegt die ganze Bescherung (auch die ganze Pastete) auf der Erde:, Bescheren' und ,Bescherung' werden urspr. religiös verstanden (,,und segne, was Du uns bescheret hast“; ,Weihnachtsbescherung'), dann aber auch häufig iron, im Sinne eines unerwünschten Beschenktwerdens, einer unangenehmen Überraschung gebraucht. So schon 1784 in Schillers ,Kabale und Liebe' (11,5): Miller (lacht voll Bosheit):,,Gottlob! Gottlob! Da haben wir ja die Bescherung!“ (das Unheil). Bescherungen bringen manchmal auch unangenehme Überraschungen, wofür Fritz Reuter in seiner Weihnachtsgeschichte ,Wat bi ’ne Aewerraschung Tute kamen kann' ein ergötzliches Beispiel bietet. beschlagen. Gut beschlagen sein: in einer Sache erfahren, kenntnisreich sein. Die übertr. Bdtg., die erst im 17. Jh. auftritt, ist wohl hergenommen von dem Pferd, dessen Huf der Schmied mit einem Eisen beschlägt, um ihm sicheren Gang zu verleihen. Die Rda. heißt frz. genau analog ,ferré sur quelque chose'. Die Mdaa. haben die Wndg. z.T. noch verstärkt, z.B. siebenb. 117
Beschreien ,Die vier Wände beschreien4 ,Di äs af alle vären beschloen'; ostpreuß. ,Dei ös beschlage wie Bötzke Schömmel'. beschreien. Die vier Wände beschreien: sich dadurch als lebenskräftig erweisen, beruht auf einem alten Rechtsbrauch. Ein neugeborenes Kind mußte die vier Wände des Zimmers beschreien, damit es die Erbberechtigung erhielt. In diesem Sinne illustrieren schon die Sachsenspiegel-Hss. den Vorgang. Die Nachbarn, die das Schreien gehört hatten, galten vor Gericht als Zeugen. Bereits im Jahre 1300 heißt es in einer Aufzeichnung: ,,dat sey eyn Kint tosamen hebben gehat, dat... de wende beschregen hedde". Beschreien hatte urspr. nur einen guten Sinn, es bedeutete: öffentl. ausrufen, bekanntmachen, loben und rühmen. Es nahm jedoch immer mehr die Wndg. zum Negativen hin, denn es hieß auch Anklagen, vor Gericht bringen, verleumden, ins Gerede bringen1, was wir heute als verschreien' bezeichnen. Die Wndg. sich be- schreien war bes. als Tadel für die Ärzte gedacht, die ihre Kunst selbst rühmten. Bis heute erhalten aber hat sich die Furcht vor dem Beschreien, dem Schadenzauber durch das Wort, durch Lob und Bewundern. Die so häufig gebrauchten Wndgn. Man darf es nicht beschreien, Bes ehr eie es nicht! und Unberufen! dienen der Abwehr des möglichen Unheils durch den Wortzauber, da jeder sich selbst oder einen andern beschreien kann. Dies geschieht entweder in voller Absicht durch abfällige Bemerkungen und Zauberformeln oder durch unvorsichtiges Bewundern, das auf verstecktem Neid beruht. Wie Fluch und Segen wird dem Neid im Volksglauben eine große Wirkung zugeschrieben, er kann Krankheit oder gar Tod von Mensch und Vieh herbeiführen. Man spricht deshalb auch von,einem zu Tode Loben'. Zu einem Menschen, dessen Aussehen sich plötzlich verschlechtert hat, sagt man Du siehst aus, wie wenn du beschrien wärest. Die Wirkung des Beschreiens wird aufgehoben, wenn man dem Beschreienden ins Gesicht sagt Du hast mich beschrien/, wenn man ihm etw. Böses wünscht oder in einem Absud von ,Beschreikraut‘ badet. Am besten beugt man dem Unglück vor, indem man sich bei einem Lob sofort verwahrt und dreimal an die untere Seite einer Tischplatte klopft. Daß diese Verwahrung sogar schriftlich erfolgen kann, beweist ein Brief Goethes an Zelter, in dem er schreibt: „Zuerst also ist mir mein Zuhausebleiben für diesmal ganz wohl gerathen, wir wollen es aber nicht beschreien, sondern in stiller Bescheidenheit thätig hinleben". Da der Wortzauber häufig mit dem Blickzauber (,böser Blick') verbunden ist, erscheint er so gefährlich, bes. für Menschen und Tiere in Übergangsstadien (Neugeborene, Kinder, Wöchnerinnen, Brautleute). Lit.: HdA. 1, Sp, 1096ff.; Dt. Wb. I, Sp. 1594ff.; J. Grimm: Rechtsaltertümer, S. 75, 76; Dt, Rwb. (Wb. der älteren dt. Rechtssprache), hg. v. der Preuß. Akad. d. Wissenschaften, 2 (Weimar 1932-35); S. Seligmann: Derböse Blick und Verwandtes, 2Bde. (Berlin 1910); 118
Besen K. Meisen: Der böse Blick und seine Abwehr in der Antike und im Frühchristentum, in: Rhein. Jb. f. Vkde. I (1950), S. 144-177; III (1952), S. 169-225. Besen. Ich freß einen Besen!Diese Beteuerungsformel kennt man seit Beginn dieses Jh. als bes. Bekräftigung einer Aussage; das Versprechen ist ebenso absurd und unmöglich, wie wohl meist der Inhalt der Aussage, der damit bekräftigt wird. Die aus Berlin stammende Rda. wird manchmal abgeschwächt durch den Zusatz ,... aber schön weich gekocht4; andererseits gibt es auch noch groteske Steigerungen. So heißt es in Norddtl. oft: .Wenn das (nicht) wahr ist, freß ich einen Besen, und wenn’s einer aus dem Schweinestall ist4,,... mitsamt dem Stiel4, oder - was man neuerdings hören kann - ,... mitsamt der Putzfrau4. Vielleicht ist die Rda. entstanden in Erinnerung an die Degenschlucker, die einst auf den Jahrmärkten gelegentlich zu sehen waren. Doch ist diese Erklärung nicht wahrscheinlich, weil das Vergleichsmoment dabei zunächst der Stiel wäre ; in der Rda. wird aber, wie der Zusatz .mitsamt dem Stiel4 zeigt, zunächst einmal an den eigentlichen Besen, d.h. an die Borsten gedacht. Auch mdal. schließt das Wort Besen den Stiel durchaus nicht immer mit ein. Eher liegt hier eine sprachl. Neubildung vor in der Art der vielen formelhaften und rdal. Umschreibungen für Zniemals. Eine ganz andere Bdtg. hat die Rda. einen Besenstiel verschluckt haben: steif, ungelenk sein, sich nicht verbeugen können oder wollen; z.B. ,Er geht, als hätt’ er einen Besenstiel (auch: ein Lineal, einen Ladestock) verschluckt4. Die Wndg. steif wie ein Besenstiel kommt z.B. in Viktor Scheffels Lied ,Im schwarzen Walfisch zu Askalon4 ( 1856) vor, aber ein ähnl. Bild kennt sogar schon das Liederbuch der Clara Hätzlerin: Tregt ainer den leib vffgestrackt, man seyt: Im steck ain scheytt ymm ruck, wa er get oder reit. Einen auf den Besen laden: ihn verspotten, zum Narren halten (eigentl. ist wörtl. gemeint: einen beim Kehren mit hinausfegen). Die Rda. ist erst in neuerer Zeit aufgekommen und vermutlich aus der Soldatensprache übernommen. Unter dem Besen getraut: als Unverheiratete wie Eheleute leben. ,Besen4 als Schimpfwort für eine weibliche Person hat ein charakteristisches Arbeitsgerät der Frau pars pro toto einfach zur Person verselbständigt, die in ihrem Wesen rauh und ruppig wie ein Besen gedacht wird (schon gegen Ende des 18. Jh. zurBez. der Magd); ähnl. die Rda. nur mit Besen und Kochlöffel umgehen können. Mit fremden Besen kehren: fremde Kräfte zum eigenen Vorteil ausnutzen. Die Wndg. ,Neue Besen kehren gut4 wird auf den gemünzt, der sich bei Antritt einer neuen .Unter dem Besen getraut4 119
Besenbinder Stellung besondere Mühe gibt, dessen Eifer aber bald nachläßt. Mit eisernem Besen kehren /eisern. Auf dem Besen flöten: seine Wünsche wie ein Geisteskranker als Realitäten nehmen. Die Rda. begegnet bereits im 18. Jh. im Fläm.: ,Hij fluit op den besem\ und wird satirisch für einen Schwachkopf gebraucht. Auch die Kreuznacher Rda. ,Auf eme Bee- seschdiehl (Besenstiel) kammer kee Hup* pepfeif (Horn zum Blasen) mache1 enthält dasselbe Bild. Besenbinder /Bürstenbinder. Besitz, besitzen. Etw. in Besitz nehmen: Dinge, Tiere und Personen als Eigentum erklären. Die Wndg. beruht auf alten Rechtsbräuchen. Bei einem Eigentumswechsel mußte der neue Herr sein Grundstück (meist auf einem dreibeinigen Stuhle) drei Tage hintereinander regelrecht besitzen1. Um sich als Eigentümer zu erweisen, mußte er auf seinem Land sitzen und seine Gäste bewirten, damit seine neue Rechtsstellung allen deutlich wurde. Auch der Erbantritt geschah feierlich vor der Öffentlichkeit durch Umschreiten oder Umreiten des Landes. Fremde zeigten sich als neue Herren durch das Löschen und Wiederan- ziinden eines Feuers auf ihrem Grundstück. Auch mit dem Aufsetzen ihres Fußes auf das Land oder beim Überschreiten der Schwelle ihres Hauses symbolisierten sie ihr Recht. Äcker wurden durch Umhegen und Umpflügen zum Besitz. Von etw. Besitz ergreifen: etw. berühren und sich damit ganz zu eigen machen. Dies geschah auch durch gewisse Besitzergreifungszeichen (Namen, Symbole des Besitzers), womit wichtige Dinge gekennzeichnet wurden, um eine unlösliche, magische Wechselbeziehung herzustellen. Häuser, Ställe und Tiere erhielten Familienzeichen oder christl. Symbole (Kreuz, C, M, B), womit sie gleichzeitig dem Schutz Gottes empfohlen wurden, dem sie angehören sollten. Nicht im Besitz seiner 5 Sinne sein: seiner Sinne nicht mächtig sein, geistig beschränkt sein. Die Übertr. der Rda. auf den abstrakten Bereich zeigt sich auch in den Wndgn. Milt besitzen und das Vertrauen von jem. besitzen. Lit.: HdA., Bd. I, Sp. 1152 £.; P. Geiger: Eigentum und Magie, in: Volkskundl. Gaben. John Meier zum 70. Geb. dargebracht (Berlin - Leipzig 1934), S. 36-44. besser. Das Wort besser wird nicht immer als Steigerung von gut gebraucht, sondern dient in einzelnen Gesprächssituationen sogar dazu, ein weniger Gutes zu bezeichnen, so z.B., wenn ein Genesender sagt: ,Es geht mir besser1. Aus dieser Verwendung des Wortes geht der Gebrauch von besser als selbständigem Adj. hervor, das nicht mehr als Komparativ zu gut empfunden wird. So spricht man von besseren Leuten*; ähnl. ein besserer Laufbursche* und eines Besseren belehren, sich eines Besseren besinnen. Die bessere Hälfte' als Bez. für die Ehefrau (neuerdings auch für den Ehemann) ist eine Übers, des engl, better half*, das Sir Philip Sidney (1554-86) als erster verwandte. Allerdings begegnet besser auch häufig in komparativer Verwendung, z.B. besser als 120
Beste keen HemcT (berl.) oder ,besser als in die Bux geschissen1, besser als nichts. Schon bessere Tage gesehen haben wird von jem. gesagt, dessen soziale Stellung sich stark zum Negativen verändert hat. Meist unverschuldet durch Krieg oder Unglück, auch durch Arbeitslosigkeit und Krankheit kann er in diese Notlage geraten sein. Die Rda. Besser als sein Ruf sein begegnet zuerst als Zitat bei Ovid, der von der Claudia Quinta sagt: „Ipsa sua melior fama“ (Epistolae ex Ponto, 1,2,143); dann bei Beaumarchais ,Hochzeit des Figaro' (III, 5) und in Schillers ,Maria Stuart' (III,4): ,,Ich bin besser als mein Ruf“. Das bessere Teil erwählt haben ist eine Umgestaltung der Bibelstelle: ,,Maria hat das gute Teil erwählt“ (Luk. 10,42). Häufig begegnet der Ausruf Besser ist besser/Er mahnt zur Vorsicht oder begleitet eine vorbeugende oder nochmals überprüfende Handlung. Die Wndg. Das wäre ja noch besser (schöner) enthält sogar negative Bdtg. und meint: es kommt gar nicht in Frage. Beste. Zum besten geben: darbieten, in einem geselligen Kreise einen Beitrag zu leiblichem oder geistigem Genuß spenden; z.B. ,eine Flasche Wein, eine Geschichte, einen Witz zum besten geben'. Die allg. Bdtg. der Rda. ist erst aus einer speziellen hervorgegangen und gehört urspr. nur in den Bereich der alten Wettkampfspiele. Da hieß ,das Beste4 der Preis, der für den besten Mann, d.h. für den Sieger (z.B. den besten Schützen), ausgesetzt war. So erzählt Joh. Fischart im ,Glückhaften Schiff (V.97ff.) von dem Straßburger Schießen im Jahre 1576, daß Züricher Schützen gefahren seien Zu eim hauptschießen schön mit lust Zugleich mit biichsen und armbrust, Zu deren jedem war das best Hundert gulden, on sonst den rest, d.h. abgesehen von den anderen Preisen. So gebrauchen auch Goethe und Schiller ,das Beste4, auf alte Zeiten angewandt; im ,Götz von Berlichingen4 (1,3): „da war ein Schneider von Stuttgart, der war ein trefflicher Bogenschütz, und hatte zu Cöln aufm Schießen das Beste gewonnen“; und im ,TelI4 (IV, 3): Aber heut will ich Den Meisterschuß tun und das Beste mir Im ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen. ,Zum besten geben' bedeutet also eigentl.: bei einem Feste etw. als Preis, dann als Beitrag oder Hauptbeitrag zu den Kosten beisteuern. In Bayern und Tirol heißt noch heute der erste Schützenpreis ,das Best', auch ein ,Kegelbest' gibt es da und eine ,Bestenhalle4. In Norddtl. kommt der Name ,Bestemann4 für den Schützenkönig vor. Etw. zum besten haben: etw. voraushaben, ist seit dem 17. Jh. belegt und in den Mdaa. z.T. noch immer lebendig, z.B. schwäb. ,Er hat net viel zum besten' (von einem Kranken, an dessen Aufkommen gezweifelt wird). Schon im 17. Jh. begegnet die Wndg. ,zum besten haben4 in der Bdtg. ,als Gewinn davontragen'. In ,Jucundi Jucundissimi wunderlicher Lebensbeschreibung', einem Seitenstück zum ,Simplicissimus' vom Jahre 1680, erzählt Jucundus: „Ich war ganz naß und hatte noch zum besten (d.h. den Gewinn, Vorteil), daß mich eine Bauersfrau ins Haus aufgenommen“. Ein Epigramm von Logau lautet: Unsre Magen sind wie Gräber, drein wir manchen Leib begraben, Was isfs wunder, daß von Toten wir den Tod zum besten haben. Erst seit dem 18. Jh. hat die Rda.,jem. zum besten haben4 den noch heute gültigen Sinn angenommen: jem. necken, verspotten, foppen, aufziehen, zum Narren halten. Die Rda. bezieht sich nicht auf ,das Beste4, sondern auf ,den Besten', allerdings meist in iron. Bdtg.: der Beste muß einen Spaß verstehen, er muß es vertragen, die Zielscheibe des Spottes zu sein. In Goethes Gedicht ,Meine Wahl4 (1815) heißt es: Ich liebe mir den heitern Mann Am meisten unter meinen Gästen: Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, Der ist gewiß nicht von den Besten. ln den besten Jahren (im besten Alter) sein: im mittleren Mannesalter, auf der Höhe seiner Schaffenskraft stehen. Die Wndg. geht zurück auf H. Heines Gedicht,Mensch verspotte nicht den Teufel4 (1826), wo es vom Teufel heißt: 121
Besuch Er ist nicht häßlich und ist nicht lahm, Er ist ein lieber charmanter Mann, Ein Mann in seinen besten Jahren. Mit etw. (jem.) steht es nicht zum besten: in finanzieller oder gesundheitlicher Hinsicht gibt es große Schwierigkeiten. Das Beste von jem. im Auge haben: ihm nur helfen wollen, ihm ohne böse Hintergedanken zu seinem Vorteil gute Ratschläge erteilen, die er meist nicht als solche erkennt. Das Beste aus etw. machen: nicht resignieren, sondern jeden kleinsten Vorteil wahrnehmen. Sein Bestes getan haben: alle Kräfte eingesetzt, sich sehr angestrengt haben. Das Beste ist für jem. gerade gut genug sagt man iron, zu einem Unbescheidenen. Goethe gebrauchte die Wndg. in seiner ,Ital. Reise'. Im 2. Brief aus Neapel schrieb er am 3. März 1787: ,,In der Kunst ist das Beste gut genug“. Vergiß das Beste nicht! sagt man heute scherzhaft zu einem, der weggeht, um ihn zu erinnern, sein Geld nicht liegenzulassen. Urspr. begegnet diese Formel in Märchen und Schatzsagen, wo der Habgierige nur an die Schätze denkt und das Wichtigste, den Schlüssel oder die Zauberblume, in der Höhle, im Berg vergißt, so daß er den Eingang nicht mehr finden kann. Iron, gemeint ist die westf. Feststellung ,Du bist de Beste' mit dem humorvollen Zusatz: ,wann de annern nich to Huus sind'. Doppeldeutig erscheinen die Rdaa.: sich von seiner besten Seite zeigen: von seiner schlechtesten und auf dem besten Wege zu etw. sein: im Begriff sein, Gefahr laufen. Lit.: R. Hildebrand: Ges. Aufsätze und Vorträge zur dt. Philologie (1890), S. 45 ff. ; L. Winter: Die dt. Schatzsage (Diss. Köln 1925). Besuch. Wenn Messer oder Gabel beim Herunterfallen im Boden steckenbleiben, sagt man: Es kommt Besuch. Die anderen bei dieser Gelegenheit üblichen Rdaa., die durch den Atlas der dt. Vkde. (Frage 233 d) erfaßt worden sind, lauten: ,Es kommt ein Brief' ; ,Es kommt ein spitzer Bescheid' ; ,Es kommt ein hungriger Gast'; ,Das Glück (Streit, Tod) kündigt sich an'. Die Wndg. Besuch bekommen wird auch umschreibend für den Beginn der Menstruation ge¬ braucht wie die ähnl. Feststellung: ,Die Tante Rosa ist angekommen'. Betrieb. Betrieb machen: sich amüsieren; Fröhlichkeit und Unruhe verbreiten. Ende des 19. Jh. aus der Studentensprache in die städt. Umgangssprache übernommen. Berl. sagt man ,1s ja jakeen Betrieb!', wenn es nicht lebhaft und lustig hergeht. betrinken, betrunken Ztrinken. Bett. Einem sein Bett machen: ihm behagliche Verhältnisse bereiten; heute vor allem sich in ein gemachtes Bett legen (bei einer gesicherten Heirat mit reicher Mitgift der Braut oder bei guter Stellung des Bräutigams); obersächs. ,Er kommt in e gemachtes Bette', er findet alles bereit, er kommt sogleich in günstige Verhältnisse. Anders in Hamburg: ,He is darmit to Bedde brocht', er ist hintergangen, eigentl. wohl: trotz seines Rechtsanspruchs zur Ruhe gebracht. Das Bett hüten: krank sein, auch ans Bett gefesselt sein, bei langer Krankheit. Einem das Bett unterm Arsch wegnehmen: ihm sein letztes Hab und Gut wegnehmen. Sie werden nicht mehr lange in einem Bett schlafen: mit ihrer Freundschaft (Liebe, Ehe) geht es zu Ende. Statt ,zu Bett gehen' sagt man auch mit scherzhaftem Wortspiel nach Bethlehem (auch nach Bethanien) gehen: so schon im 16. Jh. in der ,Zimmerischen Chronik' (III, 233) bezeugt: ,,gleichwol sie bald hernach von einander geen Bethlehem 122
Beutel schieden“; ähnl. noch heute in Südwestdtl. ,nach Bettingen, nach Bettlach gehen'; schles. ,nach Liegnitz machen'. Heute sagt man im gleichen Sinn ,an der Matratze horchen', ,auf den Matratzenball gehen1 (/Matratze). Sich nach dem Bettzipfel sehnen, nach dem Bettzipfel schnappen (oder gähnen): sehr müde und schläfrig sein. Dagegen enthält die Wndg. das Bett schonen wollen eine scherzhafte Entschuldigung des Nachtschwärmers. Sleep you well in your Bettgestell: schlafen Sie gut! Scherzhaftes Gemisch aus dt. und engl. Wörtern um des Reimes willen; zugleich Ironisierung einer engl.-dt. Mischsprache. Das Bett an 5 Zipfeln fassen wollen: mehr, als nötig oder möglich ist, tun wollen. Die nötige Bettschwere haben: genug getrunken haben, auch sehr müde sein, seit Ende des 19. Jh. gebräuchl. Mit den Hühnern zu Bett gehen /Huhn. Von Tisch und Bett getrennt sein /Tisch. Bettelmann. Bei Bettelmanns Umkehr wohnen: in einer kümmerlichen, armseligen Gegend, am äußersten Ende einer Ortschaft wohnen; so z.B. bad. ,Dort ist des Bettelmanns Umkehr!', eine ganz arme Gegend. Die bes. im Schwäb., Bad. und Schweiz, verbreitete Rda. spielt darauf an, daß Bettler manche Gegenden meiden und umkehren, sobald sie sehen, wie ärmlich dort alles ist und auch für den Bettler nichts zu holen bleibt. Von einem ganz ärmlichen Leben sagt man auch Da isTs wie auf der Betteleinkehr. ,Den Bettelsack umhängen' Bettelsack. Den Bettelsack umhängen müssen: in Armut geraten, an den Türen sein Brot erbitten müssen. Pieter Bruegel stellt bildl. dar, daß dabei oft vergeblich angeklopft werden mußte, als wären die Leute taub. Zwei Bet telsäcke in denselben Kochtopf ausschütten heißt es, wenn zwei Arme einander heiraten. Bettelstab /Stab. Beutel bez. in den Rdaa. schon seit dem 15. Jh. meist speziell den Geldbeutel. Sich in den Beutel (oder in seinen eigenen Beutel) lügen: sich einreden, man habe einen großen Gewinn gehabt, wo man doch einen Schaden hatte; auch von einem gesagt, der etw. billiger gekauft zu haben behauptet, als er es wirklich gekauft hat. Es liegt die Vorstellung zugrunde, daß jem. sich vorlügt, er habe nach einem schlechten Geschäft noch mehr im Beutel, als wirklich darin ist. Christoph Lehmann führt 1639 (,Betrügen' 15, S. 91 ) an:,,Einer kaufft vnd sagt, er habs noch (d.h. noch einmal) so wohlfeil, vnd beleugt sich vnd sein Seckel“. .Einem in den Beutel blasen' Einem in den Beutel blasen: ihn mit Geld bestechen (heute kaum noch üblich). Im Jahre 1502 warf man den Leipziger Universitätsexaminatoren Bestechlichkeit vor und sagte von den Kandidaten: „sunder wer Beutelsamen zu säen hat, der mag gut Hoffnung haben; pauper ubique iacet“ (,der Arme liegt überall darnieder'). Ein BeutelscJmeider ist ein Dieb. Der Ausdr. geht auf einen Trick der Taschendiebe zurück, sie stehlen nicht das Geld aus dem Beutel, weil sie dabei viel zu leicht entdeckt werden könnten, sondern schneiden ein- 123
Bewerbchen fach den ganzen Beutel ab. Die Rda. stammt aus der Zeit, in der man den ledernen Geldbeutel außen am Gurt trug; zuerst belegt bei Weckherlin: ,,der beutelschneider hie hätt bald den Strang erhalten“. Ebenfalls der Geldbeutel ist in den folgenden Rdaa. gemeint: einem den Beutel fegen; auf den Beutel klopfen: ihm Geld abnehmen. Das geht an den Beutel; das reißt ein arges Loch in den Beutel; das schneidet in den Beutel, das kostet viel Geld. Den Daumen auf den Beutel halten: nicht gern Geld ausgeben. Aus eigenem Beutel zahlen. Einen gefrorenen Beutel haben: nicht gern etw. ausgeben. Er hat den Beutel immer auf: er ist verschwenderisch, freigebig. Etw. in einen löchrigen Beutel legen: vergebens etw. ausgeben, nicht sparen können. Sein Beutel hat die Schwindsucht (auch ist durchlöchert); sich den Beutel spicken; sie zehren aus einem Beutel: sie machen gemeinsame Kasse; tief in den Beutel greifen: viel ausgeben müssen. Beuteln ist anderen Ursprungs; das Wort ist zuerst 1482 belegt und meint da: das Mehl durch den Beutel, durch das Sieb laufen lassen, z. B. in der Mühle oder beim Bäcker. Beuteln heißt also zunächst: sieben, aussondern. 1707 ist es erstmals in iibertr. Bdtg. belegt: ,den Kopf beuteln1, den Kopf schütteln; später dann auch: ,sich beuteln\ sich schütteln. Wenn wir heute sagen ,jem. beuteln' greifen wir auf die übertr. Bdtg. zurück, während die Rda. einem die Seele aus dem Leibe beuteln noch an die alte Bdtg. des Aussonderns anklingt, aber auch ,schütteln' und ,schlagen' heißen kann. Bewerbchen /Gewerbe. biegen. Es geht auf Biegen und Brechen: es geht ums Äußerste, es geht hart auf hart. Die stabreimende Wndg. kommt in dieser Form im Dt. erst seit der Mitte des 17. Jh. vor, doch ist die Gegenüberstellung von ,biegen' und ,brechen' weit älter; z. B. schreibt Luther (IV, 174,24): „Aber die iungen bewmlin kan man besser biegen vnd ziehen, ob gleich ettliche drüber zubrechen''; ,,Man boygets so lange, bis es bricht“. Weckherlin (,Geistliche und weltliche Gedichte', Amsterdam 1648, S. 117): „Was dan nicht biegen will muß brechen“. (Parallelen aus anderen Sprachen bringt S.Singer II, S.30L). Lügen, daß sich die Balken biegen /lügen. Sich vor Lachen biegen /lachen. Bien, Biehn. Der Bie(h)n muß! (ging es auch ans Leben): der Mann muß das tun; etw. muß auf alle Fälle irgendwie zu schaffen sein. Man gebraucht die Rda. mit oder ohne den Zusatz, um irgendeinen unvernünftigen, widersinnigen, lächerlichen Zwang zu charakterisieren. Die Wndg. ist 1849 zuerst bezeugt, und zu ihrer Erklärung müssen verschiedene Anekdoten herhalten, die aber vermutlich alle erst sekundär und ätiologisch ad hoc erfunden sind. Einmal wird die Rda. auf eine Lügengeschichte von einem ausländischen Reisenden zurückgeführt, der in gewöhnlichen Imkerkörben in Rußland Bienen in der Größe von Enten oder sogar Schafen gesehen haben wollte. Auf die Frage, wie denn diese Bienen durch das Flugloch des Korbes kämen, legte der Düsseldorfer Maler Wilhelm Camphausen in seiner Illustration von 1849 dem Aufschneider die treffende Antwort in den Mund: „Der Bien muß!“. Nach einer anderen Anekdote aus Offenbach wies der Buchhalter eines Geschäftshauses dem Chef der Firma das Konto eines Schuldners mit dem Namen Bien vor. ,Der Bien-Soll', sagte der Buchhalter. ,Was heißt hier Soll?' entgegnete der Chef, ,der Bien muß!' (d.h. zahlen). Lit.: Wander\,$>\). 372; Büchmann, S.344; Wunderlich, S.57; Kruger-Lorenzen I, S.34. Bienenhonig /Honig. 124
Bier Bier. Er braut Bier ohne Malz: urspr. von dem Bierbrauer gesagt, der seinen Kunden ein dünnflüssiges Erzeugnis anbot, dann übertr. von allen Scharlatanen, die eine Sache trügerisch aus dem Nichts hervorzaubern wollen. Bildhaft verwendet die Rda. schon im 13. Jh. der Minnesänger Konrad Marner, indem er gegen seinen lit. Gegner Reginar den Vorwurf des Plagiats erhebt mit den Worten: ,,Du doene diep, du prü- vest âne malz ein bier44. Mehrfach spielt vor allem das ,saure Bier4 als Bild für etwas Unliebsames, Schlechtes oder Schädliches im Sprachschatz eine Rolle: etw. ansbieten (ausschreien) wie sauer (saures) Bier: eine Sache, die keinen Wert hat, mit vielen Worten und zu niedrigem Preis, aber vergeblich anbieten. Schon Hans Sachs sagt im Schwank vom bittersüßen Eheleben: ,,Wer meinst, der saures pier ausschrey?44 Die Rda. ist auch bei Grimmelshausen belegt; in Christian Weises ,Drei Erznarren4 sagt Lieschen im Gespräch mit Chremes iron.: ,,Sie werden sich sehr um dich reißen, wie um das saure Bier“. Die Rda. geht auf die ma. Sitte zurück, das fertig gebraute Bier ,auszurufen4, d. h. öffentl. bekanntzumachen. Daher stammen auch die Rdaa.: Sie rufen einander das saure Bier aus: sie machen sich gegenseitig schlecht, einer enthüllt des andern schwache Seiten, und einem das Bier verrufen: ihn verleumden, üble Nachrede gegen ihn führen. Ein Gesicht machen wie saures Bier: eine verdrießliche Miene machen, mdal. aus Baden und Obersachsen belegt; bair. ,Er hat’s Griß wie’s saure Bier1, niemand reißt sich um ihn, er ist unbeliebt. Beim sauren Bier Zusammenkommen: sich wegen einer strittigen Angelegenheit zusammenfinden. Einen beim sauren Bier finden steht schwäb. für ,ihn bei einer Lüge ertappen4, ähnl. siebenb.-sächs. ,af m soure Bär erwäschen4, erwischen. Von einem trinkfesten Zecher sagt man in Süddtl. ,Der lat’s Bier au net suer were4. Geraten zwei solche Zecher im Wirtshaus miteinander in Streit, so nennt man das: Sie haben sich das Bier ausgeschiittet, rhein. ,Die ham sich en- anner s’Bier ausgesuff4. Die Rolle, die das Bier im Studentenleben spielte, zeigt sich in manchen eigenen Zusammensetzungen, wie Bierjunge, -schis- ser, -verschiß, -bank, -baß, -bauch, -held, -idee (närrischer, verrückter Einfall; erst nach 1900 aufgekommen), -knoten (= Adamsapfel), -leiche (= sinnlos Betrunkener), -ruhe (= große Unerschütter- lichkeit), -tisch, -ulk; vgl. auch Biereifer4 = großer Eifer, namentlich von Studenten, die sich mehr dem Bier als dem Studium zuwenden (2. H. des 19. Jh.). Eitle Bierreise unternehmen: mehrere Wirtschaften nacheinander aufsuchen (19. Jh.). Eine neue Rda. ist das Bier trocken 'runter- wiirgen müssen: Bier ohne Schnaps trinken. Das Bild vom Herunterwürgen trockenen Brotes wurde witzig auf das Getränk übertragen.Auch in zahlreichen anderen Rdaa. spielt das Bier eine Rolle, z. B. sagt man von einem Unpünktlichen: ,Er kommt stets, nachdem das Bier schon getrunken ist4. Er sieht aus wie Weißbier ist eine geläufige Rda., um eine kränkliche, blasse Gesichtsfarbe zu kennzeichnen; berl. noch etwas derber ,Er sieht aus wie Braunbier mit Spucke4. Ndd. ,Dat is stark Beer4, das ist ein starkes Stück. Er hat sich das Bier selbst gebraut: er ist selbst schuld. Ndd. ,Seht, wat dat Beer deit!4 bedeutet spöttische Verwunderung, vor allem, wenn jem. heftig auf braust. Wäre das Bier nur wieder im Fasse ist ein Wunsch, daß etw. nicht geschehen sein möge. Das Bier ist über eine Brücke (durch einen Graben) gefahren: mit Wasser verdünnt. Lit.: E. Huber: Bier und Bierbereitung (Berlin 1926); L. Hermann: Das Bier im Volksmund. Alte Sprww. u. 125
Bild, Bildfläche Rdaa. (Berlin 1930); Lüers: Die wissenschaftl. Grundlagen von Mälzerei und Brauerei (Nürnberg 1950); M. Hoffmann: 5000 Jahre Bier (Frankfurt a.M. - Berlin 1956). Bild, Bildfläche. Im Bilde sein: sich über etw. im klaren sein, den Zusammenhang erfaßt haben. Die Rda. ist erst zu Beginn des 20. Jh. in militärischen Kreisen aufgekommen, zunächst in der verneinenden Form ,nicht im Bilde sein4, d.h. sich bei taktischen und strategischen Aufgaben keine klare Vorstellung von der Sachlage machen können. Erst später ist die Wndg. auf nichtmilitärische Vorstellungen übertr. worden, ebenso die Rdaa.: sich ein Bild von etw. machen: sich eine Meinung bilden, und jem. ins Bild setzen: ihn genau informieren. In Bildern reden: wie in Gleichnissen sehr anschaulich sprechen. Ein Bild ohne Gnade sein: schon, aber unfruchtbar sein, eine Anspielung auf die Gnadenbilder. Die Wndg. begegnet bereits 1447/78 in der Steinhöwelschen Übers, der Aesopischen Fabel ,Von dem Bild und dem Wolf4 i. S. v, schön, aber unwissend. Ein Bild des Jammers sein: einen bes. traurigen Eindruck machen, im Gegensatz zu der Wndg. ein Bild von einem Mädchen (Manne) sein: sehr schön sein. Bild hat hier noch die urspr. Bdtg. von Gestalt. Für die Entwicklung des Begriffes Bild bestehen verschiedene Erklärungen und Ableitungsversuche. So wird das ahd. ,bilidi4 auf die Wurzeln *bil = gleich, gemäß und *bila = Zweiheit, von Jacob Grimm aber auf *bhel = spalten, hauen, gestalten zurückgeführt. Am überzeugendsten ist die Untersuchung Alfred Wolfs, der Bild in den Kreis der zauberkräftigen ,bil-Wörter4 stellt. Ihm bedeutet die Wurzel *bil die Umschreibung einer übergewöhnlichen Kraft, die sowohl positiv als auch negativ zu wirken vermag. Das angelsächs. Adj. bi- lewit = merciful dient als Attribut Gottes, während der im Dt. bekannte Dämon /Bilwis auf Schaden bedacht ist. Bild bedeutet also urspr. gestaltetes Wesen, Gestalt voller zauberhafter Kraft, nicht Abbild (vgl. Mannsbild, Weibsbild, Unbilde). Notker gebraucht den Begriff ,ebanbilidi‘ i.S. v. Vorbild, noch nicht als Abbild oder Nachbildung. In ahd. Zeit überrascht die Weite des Begriffes ,bilidi\ der das Folgende umschreiben kann: 1. die Gestalt, die äußere Erscheinung der Dinge 2. das Bild, das der Mensch mit seinen Sinnen empfängt, 3. die Vorstellung, 4. das Erinnerungsbild, 5. der abgeleitete Begriff, 6. das göttliche Urbild, die Idee. Beim Verbum läßt sich der Übergang vom ,bilden4 = gestalten zum ,bilden4 = nachbilden bes. deutlich beobachten: ahd. ,bili- den4 hieß: einer Sache eine Gestalt, ein Wesen geben, bilden, formen, gestalten. Es wurde verdrängt von dem Verb ,bili- don4 — eine vorgebildete Gestalt nachbilden, etw. abbilden, nachahmen, das im 9. Jh. nur in Oberdtl. nachzuweisen ist. Es besteht überhaupt der Eindruck, als ob die mit zauberhafter Kraft geladene Atmosphäre von Norden nach Süden zu immer mehr abnimmt. Wolfs These, daß ,bil4 zu den Wörtern mit numinosem Inhalt gehört, die urspr. die Kraft zu gestalten, das gestaltete Wesen meinen, wird unterstützt durch den Hinweis auf das ahd. Subst. bili- dari = Töpfer, der Gestaltlosem eine Form gibt. Wenn Gott als Schöpfer ebenfalls als ,pilidari4 bezeichnet wird, soll damit die Vorstellung von seiner ungewöhnlichen Machtfülle verdeutlicht werden, die allen Dingen und Geschöpfen ihre eigene Form verleihen kann. Damit kannst du keine Bilder Jausstecken: darauf kannst du dir nichts einbilden. Die in Berlin aufgekommene Rda. bezieht sich urspr. auf die Auslagen der Straßenbilderhändler. 126
Bilwis Ein schiefes Bild geben /schief. Ein Bild für die Götter /Gott, Götter. Sich ein Bildchen verdienen wollen: sich beliebt machen wollen, einschmeicheln. Auf der Bildfläche erscheinen: zum Vorschein kommen. Die am Ende des 19. Jh. aufgekommene Rda. bezieht sich urspr. auf die Fläche des photograph. Bildes; erst etw. später (Beginn des 20. Jh.) und auf die Filmleinwand bezogen von der Bildfläche verschwinden: sich entfernen. Bildschön ist Dreck dagegen: zur Steigerung werden im 20. Jh. gern Gegensatzwörter verwendet. Lit.: HdA. I, Sp. 1282ff. (Art. ,Bildk von Pfister); PBB. 66 (Halle 1942), S. 291 ff. (Ahd. bilidi von Elis. Karg- Gasterstädt);A. Wolf:T>[e, germ. Sippe bil, in: Spräkve- tenskapliga Sällskapets Förhandlingar (Univ. Upsala 1928-1930). billig /recht und billig. Bilwis. Der Bilwis hat ihn geschossen: er ist krank, geistesgestört. Diese Rda. bezieht sich auf eine Sagengestalt. Der Bilwis galt in seiner frühesten Form vor der christl. Umdeutung im 14. Jh. als menschenfeindlicher Naturdämon, der durch seine Geschosse Krankheiten verbreitete (/Hexenschuß). Den ältesten Beleg für Bilwis gibt Wolfram von Eschenbach in seinem ,Willehalm4 (324,6): si wolten, daz kein pilwiz si da schüzze durh diu knie. Von dem weitverbreiteten Glauben, daß plötzlich auftretende Schmerzen und Krankheiten durch Dämonen erregt werden, die mit ihren Geschossen (Pfeilen) auf die Menschen schießen, berichtet auch der Cod. Vindob. (2817): dä kom ich an bulwechsperg gangen, dä schöz mich der bulwechs, da schöz mich die bulwechsin, dä schöz mich als ir ingesind. Der Name des Dämons erscheint in Dtl. in verschiedener Lautung und Schreibung, er gilt als Substantivierung des engl. Adjektivs ,bilewit4 = wohlwollend. Urspr. wurde er als Epitheton ornans für die heidnischen Götter und als euphemistischer Ausdruck für den schadenbringenden Naturdämon gebraucht, dessen Name tabu war (nach Singer). Im Etymolog. Wb. v. Kluge-Götze wird der Name Bilwis als eine Zusammen¬ setzung von germ. bil- — Wunderkraft mit einem Wort, das zum Stamm von ,wissen4 gehört, erklärt. Die Rda. Er ist ein Pilwiskind: ein Kind des Teufels, spiegelt die theologische Umdeutung des Dämons zu Zauberer und Hexe und seine Gleichsetzung mit dem Teufel. In diesem Sinne verwendet Berthold von Regensburg das Wort ,pilwis‘ in seinen Predigten (II, 70,32). Joh. von Tepl stellt im ,Ackermann aus Böhmen4 (Kap. VI) die ,bilwisse4 neben die Zauberinnen und läßt sie wie die Hexen der Sage auf Böcken und Stäben reiten. So geschieht dies auch im Fastnachtsspiel, wenn es heißt: ,,die do sagen, das sie mit der Perchten und bilbissen oder truten farn auf den Pruckelberg44. (Fastnachtspiele 1463). Noch aus dem 16. Jh. sind Todesurteile aus Schlesien bekannt, die sich gegen ,pilwis- sen4, d.h. Hexen, richten. Gryphius spricht im ,Horribilicribrifax4 von der ,pileweissin4 und in der ,Dornrose4 von ,Büleweesse‘. Die weitere Entwicklung der Gestalt zeigt sich in der noch heute üblichen Rda. vom Bilwis geschnitten sein. Im 16. Jh. begann die Umwandlung des Bilwis zu einem Korndämon. Der Name wurde volksety- molog. zu ,Bilsen- und Binsenschneider4 umgewandelt, indem man an Binsen und Bilsenkraut dachte. Bes. in Ostdtl. entwik- kelte sich die Vorstellung von diesem Dämon, der Sicheln an den Füßen trägt und damit Schneisen ins Kornfeld schneidet. Die Erscheinung der abgemähten Halme an einigen Stellen des Feldes wird nun damit erklärt, daß sich der Bilwis den ihm zustehenden Getreidezehnt in der Nacht geschnitten habe, sie trägt aber auch die Bez. ,Wolfs- oder Hexenschnitt4. Heute ist der Bilwis als lebendige Gestalt eines Korndämons noch bekannt in Bayern, Sachsen, Thüringen und Schlesien; die ältesten Zeugnisse stammen aus Bayern und Oesterreich. Das Verbreitungsgebiet umfaßte auch größere Teile von Nord- und Ostdtl. in früherer Zeit, wie aus den Befragungen zum Dt. Volkskundeatlas hervorgeht. Lit.: HdA. I, Sp. 1308ff.; /. Eiselein: Die Sprww. und Sinnreden des dt. Volks (Freiburg 1840), S.512L; J. Grimm: Dt. Mythologie (4. Ausg. Gütersloh 1876), S.391 f.; W. Deboy:Dei Bilwis (Diss. Marburg 1954); L. Honko: Krankheitsprojektile, FFC. 178 (Helsinki 127
Bimbam 1959); Schönwerth- Winkler: Oberpfälz. Sagen, Legenden, Märchen und Schwänke (Kallmünz o.J.) (1967), S. 29f. Bimbam. Heiliger Bimbam! Dient als Tabuwort zum Ausdr. des Erstaunens und des Schreckens. Bimbam, eine lautmalerische Nachahmung des Glockenläutens, ist der scherzhafte Ersatz für den Namen eines Heiligen, der früher angerufen wurde. Seit Anfang des 20. Jh. meist in Städten verwendet. bimsen. Einen bimsen:ihn mit allen Mitteln in die gewünschte Verfassung bringen. Zum Glätten von Häuten und Pergament wurde schon in der Antike Bimsstein benutzt; später verwendeten ihn die Mönche in der gleichen Weise. Heute ist bimsen ein Fachausdr. aus der Sprache der Maler: mit Bimsstein glätten. Von da kam er in die Soldatensprache in der allg. Bdtg.,putzen4. Hier wurde der Ausdr. noch weiter ausgeweitet; er bedeutete dann auch: den Soldaten herausputzen, in allen seinen soldatischen Eigenschaften. Das geschah durch stetiges Üben. So kam bimsen zu der Bdtg.: ständig üben lassen, drillen. Außerhalb der Soldatensprache hat sich noch entwickelt: jem. verbimsen: ihn verprügeln. Verbimsen heißt aber auch: sein Geld durchbringen, denn Bims ist ein Wort der Gaunersprache für Geld. - Alle Bdtgn. sind seit ungefähr 1850 auch mdal. nachgewiesen. bin. Die Rda. Ich bin nun einmal so, wie ich bin dient der Selbstverteidigung. Der Sorglose und Leichtsinnige gebraucht diese Feststellung über sich selbst, weil er sich nicht verändern lassen will. Derjenige aber, der sich gern bessern möchte, aber bei jedem Versuch scheitert, sagt es resigniert in der Überzeugung, daß er durch seine Erbanlagen in seinem Charakter, Handeln und Denken so festgelegt ist, daß seine Bemühungen fruchtlos bleiben müssen. Ich bin und bleibe: ich lasse mich nicht von meinem Platz verdrängen. Lit.: H. H. Brunner: 24 beliebte Rdaa. (Zürich 19563), S. 62. Binde, binden. Einen hinter die Bifide gießen: ein Glas trinken (von alkohol. Ge¬ tränken, bes. Schnaps), vielfach auch allg.: /trinken, ohne Rücksicht auf die Menge. Er hat zu viel hinter die Binde gegossen: er ist betrunken. Die Rda., die erst um 1850 aufgekommen ist, geht davon aus, daß man unter Binde in dieser Zeit speziell die Halsbinde verstand, die dann bildl. für den Hals selbst gesetzt wird. Die Fassung ,einen hinter die Binde kippen1 zeigt, daß dabei zunächst an ein schnelles Trinken gedacht ist. Einem eine Binde um die Augen legen: ihm die Tatsachen bewußt vorenthalten. Jem. die Binde von den Augen nehmen (reißen): ihm klar sagen, wie die Dinge liegen; ihm zeigen, was er nicht selbst erkennen konnte. Sieht einer den ihm bisher verborgenen Sachverhalt plötzlich selbst, sagt er, daß es ihm wie eine Binde von den Augen gefallen sei (vgl. ,wie Schuppen von den Augen fallen4). Einem etw. auf die Seele binden / Seele; einem etw. auf die Nase binden /Nase. Binse. In die Binsen gehen: verlorengehen, verschwinden; ertrinken und verderben. Bereits Notker versuchte eine Worterklärung und leitete Binse von ,bi nasz4 her: „der binez, pezeichenet immortalitatem, wanda er io gruone ist fono dero nazi, an dero er stät, unde dannan er namon habet44 (Marc. Cap. 104). Obwohl diese Ableitung zweifelhaft ist, erscheint doch die Tatsache, daß Binsen am und im Wasser wachsen, für die Entstehung der Rda. wichtig. Die aus dem 19. Jh. stammende Wndg. geht vermutlich auf die Jägersprache zurück, denn die vor dem Hund flüchtende Wildente rettete sich ins Wasser und versteckte sich in den Binsen. Damit war sie für den Jäger verloren, ähnlich wie das Wild, das ihm ,in die Wicken ging4 und in deren Ranken und Schlingen nicht mehr aufgefunden werden konnte. In iibertr. Bdtg. kann heute z.B. ein Auftrag oder ein Angebot ,in die Binsen gehen4 und eine Sache ,ins Wasser fallen4. Außerdem benutzen wir die Rda. zur Umschreibung für ,ins Wasser gehen4 und sterben. ,He (dat) is in de Binsen gähn4 sagt man z.B. in Schlesw.-Holst., wenn jem. gestorben oder etw. entzweigegangen ist; vgl. ,in die Wicken4, ,in die Rüben4, ,in die Pilze gehen4. Auch mit dem Fischfang kann die Rda. in 128
Birne Verbindung gebracht werden. Bes. in Ostpreußen wurden aus Binsen Reusen zum Fang von Krebsen und Fischen hergestellt. Was sich in den Binsen verfing, war verloren und mußte sterben. Darauf weist die in Preußen bekannte Wndg. ,De es echt in de Binsen', er sitzt in der Klemme, seine Lage ist verzweifelt. Da die Binsen auch zum Ausbessern von schadhaften Stellen an Dächern und Fachwerk benutzt wurden, offenbarte der, der ,in die Binsen gehen' mußte, ebenfalls seine Armut und besondere Notlage. Die Verwünschung Geh hin, wo die Binsen wachsen! (/Pfeffer) macht deutlich, daß mit den Binsen eigentl. das Wasser gemeint ist. - Daß die Binsen allg. bekannt waren, zeigen die rdal. Vergleiche ,den Kopf henken wie ein binz' und ndd. ,A es schlank wie e Bees'. Lit.: L. Röhrich und G. Meine/: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.319. Binsenwahrheit. Die Feststellung Das ist eine Binsenwahrheit bezieht sich auf einen zwar richtigen, aber so selbstverständlichen Satz, daß es sich nicht lohnt, ihn auszusprechen oder gar zu diskutieren. Es ist also eine Wahrheit, die überall so bekannt und verbreitet ist wie die Binsen. Im Gegensatz zu anderen Grasarten besitzen Binsen keine Knoten. Eine Binsenwahrheit ist demnach eine ,glatte Sache' ohne Verwicklungen und Verknotungen, d. h. ohne Schwierigkeiten. Die Rda. Knoten in eitler Binse suchen: Besonderheiten und Schwierigkeiten dort suchen, wo keine vorhanden sind, weist auf die Entstehung unserer heutigen Rda. von der Binsenwahrheit; vgl. ndl. ,In gladde biezen zoekt hij knobbels'. Das zugrunde liegende Bild ist eine gelehrte Übernahme aus dem Lat., wo die Rda. ,nodum in scirpo quaerere', d. h. Stengelknoten auch an der Binse suchen, schon in den Komödien von Plautus und Terentius belegt ist. In Dtl. war die Wndg. schon lange bekannt, ehe sie sich allg. durchsetzte. In der Mitte des 16. Jh. schrieb Jakob Heerbrand: ,,Sucht dieser Mensch einen Knopf an einer Binzen“. Das Schweiz. Idiotikon bringt einen Beleg von 1638: „Sonst find ich die Sach so klar, daß wer nicht will in der Binzen einen Knopf suchen, da nichts wegdisputieren kann“. Verbreitet wurde diese Vorstellung seit Wieland, der feststellte: „Es gehört wirklich eine ganz eigene Liebhaberei, Knoten in Binsen zu finden, dazu, die Sache so außerordentlich schwer zu finden“. Man kann aber auch die Binsenwahrheit als ein Geheimnis der Binsen verstehen, das diese weiterverbreiteten, wie eine griech. Sage erzählt: In einem musikal. Wettstreit zwischen Apollon und Pan entschied sich der phrygische König Midas für Pan. Zur Strafe ließ ihm Apollon Eselsohren wachsen. Als der Friseur das Geheimnis des Königs entdeckte, vertraute er es der Erde an, indem er ein Loch in den Boden grub. Binsen fingen seine Worte auf und erzählten sie überall weiter. Vgl. M. Boskovic-Stulli: Narodna predaja o vladarevoj tajni (König Midas hat Eselsohren), Zagreb 1967. Göhring (S. 30) versucht noch eine andere Erklärung. Er hält das Wort Binsenwahrheit' für die Eindeutschung eines jidd. Ausdr., dessen Sinn man zwar erfaßte, aber dessen sprachl. Bestandteile ähnl. klingenden dt. Silben angepaßt wurden. ,Biene- mes' heißt: die Wahrheit begreifen. Der Nichtjude machte daraus ,Binsen' und fügte dann sinngemäß das Wort,Wahrheit' hinzu, das in dem jidd. Wort enthalten war. Eine sekundäre, aber doch amüsante ätiologische Erklärung versuchte auch A. Kußmaul (1822-1902) in seinen Jugenderinnerungen eines alten Arztes'. Er berichtet aus seiner Heidelberger Studentenzeit von einem törichten Menschen, der der Binsenbub' genannt wurde, weil er den Pfeiferauchern Binsen zum Reinigen der Pfeifen verkaufte. Da er wegen seiner geistigen Beschränktheit bekannt war, nannten die Studenten alles das eine Binsenwahrheit, was sogar der Binsenbub verstehen konnte. Man sieht, daß das Unverständlichwerden der im Altertum geläufigen und zunächst durchaus durchschaubaren Rda. immer neue Sekundärerklärungen provoziert hat. Birne. Die Birne ist neben dem /Apfel in Sprww. und Rdaa. sehr beliebt. Die Birnen satt (dicke) haben: genug von einer Sache haben, ihrer überdrüssig sein. Eine Variante dieser Rda. kennt schon Hans Sachs: „Ich hab der biren gnunck“; Birnen steht 129
Bitte hier für Prügel, wie auch in Schumanns ,Nachtbüchlein4 (26): „als er der byren genug hatte“. In der Ggwt. sagt man dafür auch: ,(Ich) danke für (Back-)Obst (und Südfrüchte)4. Die Birnen reif werden lassen: den günstigen Zeitpunkt für etw. abwarten. Dafür gebe ich keine faule Birne: nichts; auch von einem Taugenichts: Frist keine faule Birne wert: vgl. ndl. ,Hij is geene rotte peer waard4. Von einem Drohenden sagt man: Er hat ihm keine süßen Birnen versprochen. Obersachs. und schles. seine (sieben) gebackenen Birnen zusammennehmen (und abschieben): mit all seinen Habseligkeiten abziehen. Ein ,Backbirnmännel4 ist ein altes, zusammengeschrumpftes Männlein (zu Weihnachten werden aus getrockneten Früchten solche Hutzelmännchen gebastelt). Ein schwieriger Mensch ist ,e kritische Bir4. Im Volksmund wird auch der menschliche Kopf häufig als Birne bezeichnet: ,sich die Birne zerbrechen4; ,eins auf die Birne kriegen (geben)4; Eine weiche Birne haben: unzurechnungsfähig, dumm, beschränkt sein (unter Anspielung auf Gehirnerweichung4). Mehr können als Birnen braten: bes. schlau und gerissen sein, wird von Abraham a Sancta Clara im ,Narren-Nest4 (II, 67) verwendet. Die mdal. Fassung der Rda. ,Der kann mehr as wia Birn siadn4 erhält manchmal den Zusatz ,er kann sie esn a!4 (Carin- thia 143, S. 137). Birnen vom Ulmenbanm fordern: Unmögliches verlangen. Etw. zwischen Birnen und Käse versprechen: in der guten Laune nach dem Essen, beim Nachtisch. Aus teigen Birnen böhmische Feigen machen: tiw. Minderwertiges als bes. gut und begehrenswert hinstellen. Bitte. Einer aus der siebenten Bitte: ein übler Kerl, ein lästiger, unerwünschter Mensch. Die siebente Bitte des Vaterunsers lautete: „Und erlöse uns von dem Übel!44 Daher nennt man ,einen aus der siebenten Bitte4 einen Menschen, den man verabscheut, von dem man gerne erlöst sein möchte. Eine aus der siebenten Bitte: ein widerwärtiges Frauenzimmer, auch eine öffentliche Dirne. Die Rda. ist vielleicht erst abgeleitet aus der älteren Wndg. von der ,bösen Sieben4 (/sieben). Eine gelungene Erweiterung der Rda. findet sich 1803 in Seumes ,Spaziergang nach Syrakus4 (I, 22): „... ein Muster von einem alten häßlichen, keifigen Weibe, die schon seit vierzig Jahren aus der sechsten in die siebente Bitte getreten war44. Mit ähnl. Witz arbeitet auch die Rda. Er versteht unter der fünften Bitte des Vaterunsers den Wirt mit der Kreide (/Vaterunser). Da muß ich doch sehr bitten: Einspruch erheben. Lit.: Zs. f. dt. Wortf. I, S. 363ff. bitter. Einen (seinen) Bittern haben: verstimmt sein; z.B. obersächs. .Wenn ich den Kerl nur sehe, habe ich gleich meinen Bittern4 (sozusagen: getrunken), regt sich mir die Galle, habe ich ein bitteres Gefühl. Ähnl. einen Bittern auf jem. haben: ihm nicht gewogen sein. Das ist bitter, vermuth verkürzt aus Das ist eine bittere Pille: das ist sehr unangenehm (/Pille). Etw. bitter nötig haben: sehr nötig haben. Bitter dient hierbei der Steigerung, wie bei .bitterkalt4, .bitterer Ernst4, .bitteres Unrecht4, .bittere Not4. blank. Die rdal. Verbindung blank und bloß zeigt, daß blank auch .entblößt4 bedeutet. Von hier aus sind mehrere Rdaa. zu verstehen: blank ziehen und mit einem blank stehen: ihm mit entblößter Waffe gegenüberstehen; übertr.: in gespanntem Verhältnis zu jem. stehen, auf dem Kriegsfuß mit ihm leben (bereits im 17. Jh. belegt, doch heute weithin veraltet); blank sein: kein Geld haben, eigentlich: von Geld entblößt sein. In moderner Bdtg. heißt diese Wndg. auch: sein Tagewerk erledigt haben. Blank bezieht sich hier auf den gesäuberten Arbeitstisch nach Fertigstellung der Arbeit (Küpper I, S.69). Jetzt hab’ ich's blank: jetzt verstehe ich es; eigentl.: jetzt liegt es bloß und sichtbar vor mir. Für die letzte Rda. ist allerdings auch eine andere Erklärung möglich: Es fällt auf, daß für Dinge, die Verstand und Geist betreffen, in Rdaa. immer Wörter wie hell, blitzend, klar usw. gebraucht werden (,es wird mir klar4, .Gedankenblitz4, ,etw. leuchtet ein4, ,er ist eine 130
Blasen Leuchte4, ,jetzt geht mir ein /'Licht auf4, ,helle sein4). ,Ich habe es blank4 könnte in der gleichen Weise erklärt werden: es liegt klar vor mir. Ebenso ist vielleicht bei der ,blassen Ahnung4, dem ,blassen Schimmer4 usw. an die geringe Helle gedacht. Blank. Jan Blank /'Hans. Blase. Wohl weil sie hohl ist, erscheint die Blase in verächtlichen Wndgn. Ndd. heißt ,mit 'n Blase vull Bohnen kommen4 mit einem ungenügenden Einschüchterungsversuch keinen Erfolg haben. Bei Luther lesen wir: „einen mit dürren blasen und mit dreien erbeßen jagen44. Als Ausdr. der Verachtung gilt die ganze Blase. Gemeint ist eine unbedeutende Gesellschaft, eine unwürdige Sippschaft, gleichsam zusammengeblasenes, -gewürfeltes Volk. Um die Mitte des 19. Jh. begannen student. Corps andere, weniger straff organisierte student. Verbindungen so zu nennen. Bei dieser Bildung soll (nach Trübner und Küpper) an die Eiterblase gedacht worden sein, die Schlechtes, Ekelerregendes enthält. Denn in dem Ausdr. ,die ganze Blase4 oder auch ,die faule Blase4 schwingt immer etw. Negatives mit, ebenso in der ironischen Bez. einer Menschenansammlung: ,eine nette Blase4. Von den Blasen auf der Haut, die durch Verbrennen oder Ansteckung entstehen, hat man die Rda. abgeleitet: Blasen ziehen: schmerzliche, ärgerliche Stimmung machen, z.B. ,Das zog damals Blasen4, es gab zur Verbitterung und bösen Bemerkungen Anlaß (/'Blut). blasen. Die Rdaa.: Das ist nicht nur so geblasen, Es läßt sich nicht gleich blasen und Man kann es nicht blasen bedeuten: es ist nicht so leicht, wie sich die Sache ansieht, man braucht dazu Mühe, Fleiß und Zeit. Jac. Grimm bringt diese Rdaa. in Zusammenhang mit der Glasbläserei, zu der große Übung und Geschicklichkeit gehört. Vielleicht aber beruhen diese Wndgn. auf der alten Vorstellung, daß die Seele, der Geist, auch das Leben durch Anblasen, Anhauchen übertr. werden kann, wie in Gen. 2,7 und Joh. 20,22. Dieses Blasen war nachweislich schon bei Augustin in den Tauf¬ ritus übergegangen (Ep. 105). Urspr. besaß nur Gott oder ein Dämon die Macht, seine Seele, seinen Geist und Willen durch glasen4 zu den Menschen zu bringen. Da es so leicht aussah, versuchte es auch der Mensch zu erlernen, doch für ihn wurde es zu einer schwierigen Kunst. Er nutzte sie, um seinen Willen auf einen anderen wirken zu lassen, um ihn zu schädigen, um ihm eine Krankheit anzublasen oder um ihn von einer solchen ,angeblasenen4 (angeflogenen) Krankheit zu befreien. Der alte, noch bei Kindern geübte Brauch, auf eine schmerzende Stelle zu blasen, steht hinter unserer noch häufig verwendeten Rda. Etw. war wie weggeblasen: es war plötzlich verschwunden, die zuerst in Herders ,Cid4 vorkommt. Schon 1526 stellte sich Luther gegen den Brauch, Kindern bei Krankheiten in den Hals zu blasen. Wenn wir heute noch sagen, daß ,die Schmerzen (Warzen usw.) wie weggeblasen sind4, bewahren wir sprachlich damit die schon so lange bekämpften Vorstellungen und Praktiken der Volksmedizin. Die Wndg. geblasen sein: weg oder tot sein, ist dagegen dem Damespiel entlehnt. Man spricht dabei von ,Blasen4 (,Pfeifen4), wenn man seinem Gegner eine Dame oder einen Stein wegnimmt, mit dem er hätte schlagen können, es aber versäumte; vgl. ndl. ,ge- blazen zijn4; frz. ,souffler quelque chose à quelqu’un4; engl. ,to blow4 - alles Ausdrücke, die beim Damespiel gebraucht werden. Vielleicht stehen hiermit in Zusammenhang Du kannst mir was blasen! und Ich werde dir gleich was blasen! Diese grobe Ablehnung bedeutet: man wird dich enttäuschen, nicht das tun, was du erhoffst. Nach Küpper bezeichnen diese Rdaa. das Geräusch, das entsteht, wenn jem. ,pöh4 macht. Ähnl. sagt man: ,Ich werde dir gleich was husten!4 oder ganz grob: Jawohl, Biosarsch!4 - Blas mir den Hobel aus! /Hobel, Neue Rdaa. mit erotischer Bdtg. sind: sich blasen lassen:sich fellieren lassen und sich einen blasen: sich selber fellieren. Sie stammen aus dem Sprachbereich von Prostituierten und Homosexuellen. Seit dem 19. Jh. ist mdal. die Wndg. Blas mir auf den Kopf: laß mich in Ruhe, ebenfalls als Ausdr. starker Ablehnung bekannt, 131
Blatt der in Köln lautet: ,Blôs mêr op et Häuv4. Einen blasen: ein Glas trinken. Blasen wurde von der starken Bewegung des Windes auf die heftige Bewegung verallgemeinert und dann nur noch zur Steigerung benutzt. Es bedeutet also hier: ,stark trinken4 und ist so schon im 19. Jh. im Rotw. und in Mdaa. nachgewiesen. Die Rda. Es ist nicht zu blasen: es ist unglaublich und unerträglich, bezieht sich auf ein für Blasinstrumente gesetztes Stück, das zu schwer ist. Die Wndg. ist um 1850 für Berlin bezeugt. Einem den Marsch blasen /Marsch. In das gleiche Horn blasen /Horn. Staub in die Augen blasen sagte Geiler von Kaisersberg für ,Sand in die Augen streuen4. Kalt und warm aus einem Munde blasen: bald so, bald anders reden. Wird von einem Doppelzüngigen gesagt, der ins Gesicht lobt und hinter dem Rücken tadelt. In ähnl. Form kennt diese Wndg. schon Walther von der Vogelweide (29,10): Zwo zungen habent kalt und warm, die ligent in sime rachen. Reinmar von Zweter schreibt: Du blaeses kalt und hüches warm. Im ,Narrenschiff4 (18,17) des Sebastian Brant heißt es: Wer tun wil, das eim jeden gfalt, der muß han otem warm und kalt. Seit Luther steht die Form fest: Das heißt auff deudsch kalt vnd warm aus einem maul blasen. (Warnung an seine lieben Deutschen, 1531) Die Rda. geht zurück auf eine Fabel des lat. Dichters Avian (Ende des 4. Jh. n.Chr.) vom Satyr und Holzhauer, die Erasmus Al- berus und Hans Sachs auch bearbeitet haben. Dieser erzählt, wie im Winter ein Pilgrim zu einem Satyr in die Wildnis kommt; es friert ihn so an den Händen, daß er hineinbläst, um sie mit seinem Hauch zu erwärmen. Der Satyr nimmt ihn gastlich auf und setzt ihm einen heißen Trank vor. Da bläst der Pilgrim diesen an, um ihn abzukühlen. Hans Sachs schließt: Der satirus auch das ersach und sprach zu im: Ich merke, daß deine zung und munt vermag widerwertige werke. Das kalte kannstu machen heiß, das heiß machstu kalt... Wankel und unstet ist dein zung und auf zwu schneit geschliffen ... Weich von mir, ich trau dir nicht mer: Dein will ich wohl entraten. Die Rda. kann aber auch einen positiven Sinn erhalten, wenn damit der Vielseitige, der auf zwei Achseln Tragende gemeint ist; vgl. frz. ,Ne vous fiez point à lui, il souffle le chaud et le froid4. Einen, der erst begeistert tut und dann doch säumig handelt, vergleicht man in Nord- westdtl. mit einem schlechten Hirten: ,He bläst froh und drift late4 (treibt spät aus). Blasen und das Mehl im Maul behalten: viel versprechen und nichts geben wollen oder selbst Vorteile haben wollen, ohne dafür etw. einzusetzen. Die Wndg. ist mdal. in Hessen üblich: ,He wil blose on ds meal im maul behale4, aber auch im Westerwald in ähnl. Form: ,Mer kann net blose on den Wend behalen4. Den ältesten Beleg gibt Notker: Nöh tu nemäht nieht follén münt haben mélues unde döh blasen. (De partibus logicae - Pipers Ausg. I, 595). Einem etw. ins Ohr (in die Ohren) blasen oder einem etw. einblasen: ihn aufhetzen, Verleumdungen und Geheimnisse erzählen (vgl. ,jem. einen Floh ins Ohr setzen4), /Federlesen (Abb.). In der Schülersprache bedeutet ein- oder vorblasen einem Mitschüler helfen und vorsagen. Von Tuteti und Blasen keine Ahnung haben /tuten. Auf dem letzten Loch blasen ist von den Blasinstrumenten her zu verstehen. Die Rda. bedeutet, daß jem. seine letzten Kraft- oder Geldreserven angebrochen hat und kurz vor dem Ende steht, denn das letzte Loch bezeichnet den letzten, höchsten und dünnsten Ton des Instrumentes. Trübsal blasen /Trübsal. Das Lebenslicht ausblasen /Lebenslicht. Sich aufblasen wie ein Frosch /Frosch. Lit.: HdA. I, Sp. 1354ff.; /. Zingerle: Die dt. Sprww. im MA., S. 101; L. Benhold: Ma. Sprww., S. 64f. Blatt. (Sich) kein Blatt vor den Mund neh- meti:s\o\\ ohne Scheu aussprechen, gerade- 132
Blatt ,Kein Blatt vor den Mund nehmen' heraus reden, sich rücksichtslos, unumwunden äußern. Die Rda. spiegelt eine alte Theatersitte wider. Die Schauspieler machten sich unkenntlich, indem sie Blätter vor ihr Gesicht hielten. Sie konnten dann manches Vorbringen, ohne später dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Einen Beleg dafür gibt Francisci im ,Sitten- spiegel4 (S.638b), wo es heißt: „Ehe die Komödianten die Masken erfanden, haben sie das Gesicht mit Feigenblättern verstellet und also ihre Stichelreden vorgebracht". Wer also kein Blatt vor den Mund nimmt, will sich nicht verstecken, sondern offen seine Meinung bekennen. Bei der Rda. kann wohl auch an ein Laub- oder Papierblatt gedacht worden sein, das man zur Abdämpfung der Stimme vor den Mund hält, so wie sonst die Hand, wenn man eine unangenehme Wahrheit nicht zu laut hören lassen will. Ähnl. drückt es Joh. Fischart im ,Gargantua4 aus: ,,sie spotteten durch ein Rebblatt mit abgestollener Stimme44, d.h. mit verhaltener Stimme (vgl. ndl. ,geen blad voor de mond nemen4). Die Rda. findet sich schon mhd. bei Wirnt von Grafenberg in dem Artusroman ,Wigalois4 (V. 10 166): ,,Der rede wil ich dehein blat legen für minen munt44; dann in lat. Form in der Sprww.-Sammlung des Humanisten Heinrich Bebel (Nr.579): „Nullum folium ori apponere; id est: libere loqui44; dt. 1541 bei Seb. Franck: „Der wein nimpt keyn blat für das maul44, und 1534 bei Luther: „Aber David feret heraus vnd nimpt kein blat fur das maul, machts grob vnd unvernunfftig gnug, vnd wil nichts verbeißen44, sowie 1545: „so nimpt Christus kein blad fur den mund44. Ein unbeschriebenes Blatt sein: unwissend, unerfahren, harmlos sein, noch nichts erlebt haben. Die der lit. Sprache der Gebildeten angehörende sprw. Rda. geht auf die Antike zurück. Aristoteles schreibt in ,De anima4 111,4: „oooTiep év Ypappaiekptp |ir|ôèvÛ7iccpxei évreÀexela yeypappivov“ ( = wie auf einer Tafel, auf der in Wirklichkeit nichts geschrieben steht). Plutarch setzt in ,Ausspr. d. Philos.4 (4,11) ,Blatt4 (yaptiov) für ,Tafel4. Auf dieselbe Aristotelesstelle wird auch der lat. Ausdr. ,tabula rasa4 zurückgeführt (vgl. Büchmann, S.486).- Eine etw. andere Bdtg. hat die Rda. ein unbeschriebenes Blatt für jem. sein. Gemeint ist ein nur oberflächlich bekannter Mensch, von dem der andere so gut wie nichts weiß, dessen Fehler und Vorzüge er noch nicht durchschaut hat. Das Blatt (Blättchen) hat sich gewendet: die Verhältnisse haben sich (zum Guten oder zum Schlimmen) geändert. Die Rda. scheint in den meisten dt. Mdaa. üblich und noch allg. lebendig zu sein: Schweiz, ,’s Blettli het si c’chêrt4; schwäb. ,Wenn sich ’s Blättle wende tät!4; siebenb. ,Det Bliet hut sich gedrêt4; ndl. ,Het blad (blaadje) is (om)gekeerd. Es fällt auf, daß der Gebrauch der präteritalen Form bei weitem überwiegt, vor allem in den älteren Belegen: ,Da wandte sich das Blatt4 heißt es gewöhnlich. Es ist außerdem festzustellen, daß die Rda. vorwiegend die Wndg. zum Schlimmen, den Beginn des Niedergangs bezeichnet. Andere Sprachen scheinen die Rda. nicht in entspr. Wndgn. zu kennen, vgl. frz. ,La médaille est renversée4, ,Les jeux sont changés4; engl. ,The tables are turned4; span. ,Volviöse la tortilla4 (der Eierkuchen ist gedreht). Die dt. Rda. ist am frühesten 1534 in Seb. Francks ,Weltbuch4 (Vorrede a 4 a) be¬ 133
Blatt zeugt: ,,Das blätlin wirt sich umbkören“. Johannes Gerling verdeutscht ,Nemesis4 in des Erasmus , Adagia4 mit den Worten: „Es wird sich das blat einmal umbkeren. Er wird der straffe nicht entgehen“. J. J. Müller schreibt 1665: „Der gottlose Schläm- mer empfahet sein Gutes in seinem Leben, der fromme Lazarus aber das Böse, und wirt das Blat erst nach diesem Leben umb- gewendt, daß der Gottlose gepeiniget, der Fromme aber getröstet wird“. In gereimter Form predigt Abraham a Sancta Clara: Wenn das Blätlein sich wendet, und der Wohlstand sich endet. „Wenn sich das Blatt nicht völlig wendet“, so will sich Lessings wackrer Teilheim nicht von seinem Entschlüsse abbringen lassen. Die Rda. ist auf mannigfache Weise erklärt worden. Dabei hat man u. a. an das Kartenspiel gedacht: wer lange eine gute Karte bekommen hat, erhält nun eine schlechte und umgekehrt. Man hat zur Erklärung auch an die Guckkastenmänner gedacht, die, wenn sie auf den Jahrmärkten ihre Moritaten vorzeigten, gerufen haben könnten: ,Das Blatt wendet sich1, um mit dem neuen Bild auf eine neue spannende Wndg. ihrer gruseligen Geschichte aufmerksam zu machen. Aber für eine solche Erklärung ist die Rda. zu alt. Man hat schließlich auch an das Blatt eines Buches gedacht. Dafür spräche, daß es auch rdal. heißt: ,Das steht auf einem andern Blatt4, das ist etw. ganz anderes (s. u.); bad. ist für 1634 die erweiterte Form belegt: „wie hat sich daß blädtlin so bald gewendt und umb- geschlagen“. Doch muß sich die Rda. primär auf ein Blatt bezogen haben, das ,sich\ d.h. von selber, ohne menschliches Zutun, ,wendet'; aber weder das Blatt eines Buches noch ein Kartenblatt wendet sich von selbst. Die Eigenbewegung hat nur das lebendige Blatt eines Baumes. In der Landwirtschaft hat man es zweifellos schon in verhältnismäßig früher Zeit bemerkt, daß um Johannis die Blätter sich etw. senken oder auch auf die Seite legen (bes. die der Pappel). Aus der veränderten Stellung der Blätter erklärt es sich auch, wenn die Bäume nach Johannis den Regen durchlassen. Auch antike Naturkundige, wie Gellius und vor allem Plinius, haben diese Beobachtung schon beschrieben. Theophrast bespricht in der Pflanzengeschichte eine Eigentümlichkeit einiger Laubbäume. Ölbaum, Linde, Ulme und Weißpappel, sagt er da, kehren nach der Sommersonnenwende ihre Blätter um; an den gewendeten Blättern kann man feststellen, daß der längste Tag gewesen ist. In stärkerem oder schwächerem Grad geschieht das bei allen Bäumen: In diese Reihe von Naturbeobachtungen gehören auch einige dt. Wetterregeln, die sich auf den Veitstag (15. Juni) beziehen. So sagt ein hess. Vers: „Sankt Veit legt sich das Blatt auf die Seit“. In der Dahlenberger Gegend sagt man: ,Na Jehanns wen’t sik ’t Blatt na’ n Born4. Hier wird die Wndg. mit der Einzahl ,dat Blatt dreiht sik4 noch von dem Naturvorgang gebraucht. Der Naturvorgang fällt ja mit einem wichtigen Wendepunkt des Jahres zusammen, dem Kürzerwerden der Tage, der Sonnenwende. Auf das Blatt des Baumes paßt also, was auf die papierenen Blätter nicht passen wollte: es dreht sich, und diese Zeit ist eine Zeitenwende: der längste Tag, die beste Zeit war gewesen, der Höhepunkt des Jahres ist überschritten. Der Ausdr. ,Das Blatt hat sich gewendet4, der zunächst nur den Wechsel der Jahreszeit, das Kürzerwerden der Tage bezeichnete, wurde allmählich zur Bez. jedes bedeutsamen Wechsels. Das Blättlein umkehren: sich von einer neuen, meist unangenehmen Seite zeigen. Die Rda. findet sich schon in Murners ,Narrenbeschwörung4, 70 (vgl. ,den Spieß umdrehen4). Seinen Charakter oder seine Gesinnung grundlegend ändern, heißt im Ndl. ,omgekeerd (veranderd) als een blad4. Die westf. Rda. ,dat Bleaeken noa dem Winne dreggen4 entspricht der hochdt. Wndg. ,den Mantel nach dem Winde hängen (tragen)4, /Mantel. Das steht auf einem andern Blatt: das gehört nicht in diesen Zusammenhang, das ist eine ganz andere Frage. Diese Rda. geht im Unterschied zur vorher erwähnten deutlich auf das Blatt im Buch zurück. Mir schoß das Blatt: ich ahnte etwas. Herkunft und Entstehung dieser Rda. sind nicht sicher. Henisch erklärt 1616 in deutsche Sprach und Weißheit4 (S.407): „Das Blatt schoß ihm. Er ward bestürzt, aufgeregt, ahnte Wichtiges44. Er erklärt Blatt mit 134
Blau ,Herzblatt, Diaphragma4, d. i. Zwerchfell. Die Wndg. steht in diesem Sinne schon um 1600 im Tagebuch des Ritters Hans von Schweinichen: „Da schoß i.f.g. (Ihrer fürstlichen Gnaden) das blatt, und wären diese Nacht gern fort gewesen". Frisch (1741) und Adelung (1774) in ihren Wbb. erklären Blatt als den Wirbel auf dem Kopf, der beim Kind offen steht und nur mit dünner Haut bezogen ist. Nun begegnet die Rda. aber gar nicht selten in der Bdtg. aufmerksam werden4, ohne daß dabei an ein Angstgefühl gedacht wird, so z.B. 1801 in J. J. Engels Roman ,Herr Lorenz Stark4 (Kap. 30): „Der Doktorin schoß auf der Stelle das Blatt", und in Kleists ^erbrochenem Krug4 (7. Auftr., V.938ff.), wo Ruprecht sagt: Nun schießt, da ich Glock eilf das Pärchen hier begegne, - Glock zehn Uhr zog ich immer ab - das Blatt mir, ebenso wie bei Fritz Reuter in ,Schurr- Murr4 (Werke, hg. v. Seelmann, Bd. 6, S. 7): „Den Ratsherren schütt dat Blatt bi dere Red". Freilich ist auch aus der Bdtg. Wirbel auf dem Kopf, Fontanelle4 für Blatt kaum eine Erklärung der Rda. zu gewinnen, ebensowenig wie aus dem Blatt an der Scheibe, woran man auch gedacht hat. Es könnte in der Rda. auch ein Zusammenhang zwischen Blatt und Blut bestehen, da beide Wörter auf eine gemeinsame idg. Wurzel *bhlo- (blühen) zurückgehen. Die Germanen hatten eine abergläubische Scheu vor dem Blut und nannten es deshalb euphemistisch ,das purpurrot Blühende4. Verwechslungen zwischen Blatt und Blut sind durch mdal. verschiedene Aussprache (bloat) denkbar. Außerdem besteht in der Rda. ,jem. schoß das Blut ins Gesicht1, die bei einem Bericht über Erregung, Zorn oder Scham eines anderen gebraucht wird, ebenfalls die auffällige Verbindung von ,Blut4 und ,schießen4. Würde man nun Blatt durch Blut in den angeführten Textstellen ersetzen, blieben sie trotzdem verständlich. Die Wndg. Das Blatt fiel ihm läßt an die Bdtg. von Blatt als ,Herz4 oder ,Sitz des Lebens4 denken. In Luthers Tischreden (171a) heißt es: „weil er aber nu sihet, das unsre kirche teglich wechst und seine pfar¬ ren werden wüst, möcht ihm das blatt auch schier fallen,44 In diesem Zusammenhang bedeutet die Wndg.: sich fürchten, bange werden. Sie entspricht damit der heutigen Rda. ,Jem. fällt das Herz in die Hosen\ Wenn der Jäger dem Wild ,aufs Blatt schießt4, gibt er ihm den tödlichen Schuß ins Herz. Vielleicht besteht hierin eine Beziehung zu unserer Rda. ,Mir schoß das Blatt4, die dann inhaltlich der Wndg. ,Es gab mir einen Stich4 nahekäme. Eine Textstelle in der ,Insel Felsenburg4 (1 202): „das herz- blatt begunte mir zu schieszen", weist mit der Zusammensetzung ,herzblatt‘ ebenfalls auf das ,Herz‘. Dieser Text legt aber noch den weiteren Gedanken nahe, daß mit dem ,herzblatt‘ das wichtigste, innere Blatt einer Pflanze gemeint sein kann, das sie unbedingt zu ihrem weiteren Wachstum braucht. Der Vergleich des Menschen mit Wachstum, Blühen und Vergehen der Pflanzen ist ja allg. beliebt und schon in der Bibel bezeugt: Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde (Ps. 103, 15). Von dem Bild her, daß ,der Salat schießt4 oder sogar ,etw. ins Kraut schießt4, wäre auch die Rda. Das Blättchen schoß mir: die Augen gingen mir auf, zu erklären: eine schon vorhandene Ahnung, die nur im Verborgenen da war (wie das Herzblatt, das von den anderen Blättern verdeckt wurde), wird zur plötzlichen Gewißheit und so sichtbar, wie das innerste Blatt einer Pflanze, das auf einmal geschossen ist. Lit.: E. Kitck: Wetterglaube in der Lüneburger Heide (1915), S.72; KMeuli: .Das Blatt hat sich gewendet', in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 30 (1930), S.41-50. blau. Die blaue Farbe hat im volkstümlichen Sprachgebrauch verschiedene Bdtg., wobei blau als Symbol der Treue rdal. merkwürdigerweise keine Rolle spielt. Blau ist zunächst einmal die Farbe der unbestimmten Ferne (die ,blaue Blume4 der Romantik; das ,blaue Licht4 in Schatzsagen und Märchen, z. B. KHM. 116). Wenn man in die Ferne schaut, erscheint der Horizont bläulich, deshalb wird blau oft gebraucht, um etw. Entferntes oder Unbestimmtes zu 135
Blau bezeichnen: Ins Blaue hineinreden (oder handeln)', ohne jeden Plan und Zweck; vgl. den lat. Ausdr. für ein erfolgloses Bemühen: ,in cassum iactare tela4 = die Geschosse ins Leere schießen. Die seit 1933 vielfach in der Werbung der Reisebüros gebrauchte Wndg. eine Fahrt ins Blaue machen: eine Ausflugsfahrt mit unbekanntem oder ungenanntem Ziel unternehmen, ist an sich älter. Schon Zelter schreibt am 8. 9. 1829 an Goethe: „weil ich den Tag noch nicht bestimmen kann und ins Blaue einfahre“. In ähnl. Sinn: blaue Schlösser bauen (/Luftschloß); keine blaue Ahnung von etw. haben (neben ,blasse Ahnung4). Blau ist sodann (vor allem in der älteren Sprache) die Farbe der Täuschung, Verstellung und Lüge. In den älteren bildl. Darstellungen von Rdaa. (so auch in Bruegels Redensartenbild, aber auch bei mehreren anderen fläm. Malern und Graphikern) steht im Mittelpunkt der alternde ,Den blauen Mantel umhängen4 Mann, der von seiner jungen Frau ,einen blauen Mantel umgehängt4 bekommt, d.h. von ihr betrogen wird. Der ndl. Ausdr. ,de blauwe Huik4 bezieht sich nicht nur auf den ungetreuen Ehemann, sondern weist allg. schon auf Lüge, Verstellung, Betrug hin. Blaue Entensmä schon frühnhd. Ausreden, Lügenmärchen. In der ,Zimmerischen Chronik4 (Mitte des 16. Jh.) ist (III, 99) sogar von ,,bloen argumenten“ die Rede. In dieses Bedeutungsfeld von blau gehört an neueren Rdaa.: Das Blaue vom Himmel herunter lügen (oder herunterreden); einen blauanlaufen lassen:ihn betrügen; jem. anlügen, daß er blau wird; sein blaues Wunder erleben (/Wunder); Na, so blau!: Für wie dumm hältst du mich eigentlich (Ausdr. des erstaunten Zweifels an der Wahrheit einer Erzählung); blauen Dunst reden und einem blauen Dunst vormachen (/Dunst); auch nur einem Blaues vormachen: einen betrügen. Im selben Sinne verwendet die Rda. schon Abraham a Sancta Clara: „Du wirst zu Hof sehen lauter Mahler, aber nur solche, die einem was Blaues für die Augen mahlen“. In den Mdaa. hat sich dieser ältere Sinnbereich von blau noch deutlicher erhalten. Im Elsaß lautet ein Reim: ,Enn blonn is nit z trönn4, einem Blauen ist nicht zu trauen, und ,einen blau machen4 heißt dort: ihm etw. weismachen; rhein. ,Du bruksmir ke blau Blömke fürtemake!4; vgl. holl. ,Dat zijn maar blauwe bloempjes4, das sind nur blaue Blümchen. Auch in den rom. Sprachen ist Blau die Farbe der Lügenrede (vgl. frz. ,contes bleues4 - Märchen). Blau sein: betrunken sein. Die neuere Rda. hängt wohl zusammen mit der schon wesentlich älteren Wndg. Es wurde ihm blau vor den Augen (z.B. bei einer Ohnmacht oder eben im Rausch); vielleicht spielt die Rda. aber auch auf die blaue Nase des Trinkers an. Verstärkt hört man auch blau wie eine Strandhaubitze oder blau wie ein (März-) Veilchen: stark betrunken sein, /trinken. Der sprw. Vergleich beruht auf der scherzhaft-wortspielerischen Gleichsetzung der eigentlichen und der übertr. Bdtg. von blau. Jem. grün und blau schlagen: ihn stark verprügeln. Bei diesem Ausdr., den zuerst Ayrer in seinen Fastnachtsspielen 1618 bezeugt („Sam hab man uns plob und grün geschlagen44), ist sicher an blutunterlaufene Flecken gedacht, die alle möglichen Farben annehmen können. Ndl. sagt man ,blond en blow slaan4; engl.,black and blue4. Dabei zeigt sich, daß blau zum festen Bestandteil dieser Zwillingsformeln gehört, während der andere Teil auswechselbar ist. Man kann sich auch blau frieren und blau (oder schwarz) ärgern. 136
Blaustrumpf Mit einem blauen Auge davonkommen Auge). Blau machen: nicht zur Arbeit gehen, ist gekürzt aus: blauen Montag machen (/'Montag). Ganz anders ist das blaue Blut zu verstehen, das Adligen zugesprochen wird. Bei uns ist dieser Ausdr. etwa seit 1810 bekannt und wird meist scherzhaft gebraucht. Er stammt aus Spanien und ist eine Übers, des span. ,sangre azul", das aber durchaus ernst gebraucht wurde, und zwar deshalb, weil die Adligen in Spanien meist einer nördlicheren Rasse angehörten als die meisten Spanier und ihr Blut in den Adern deutlich durch die Haut schimmerte. Vom blauen Affen gebissen sein (/Affe). Auch in anderen Wndgn. und Ausdrücken spielt blau eine Rolle; es sei nur erinnert an: ,blauer Heinrich", dicke Graupensuppe oder (neuer): Magermilch (nach dem Farbton der abgerahmten Milch); ,blauer Brief", Mitteilung unangenehmen Inhalts, z. B. Entlassung, in der Schule: Versetzung zweifelhaft (von der blauen Farbe amtl. Briefumschläge); ,blauer Lappen", (früherer) Hundertmarkschein; ,blaue Bohnen" (-/Bohne); ,der Blaue", Schutzmann (nach den bis 1936 und nach 1945 üblichen blauen Uniformen der Polizeibeamten); /blümerant. Die Rdaa. blau tragen und Es ist nur eine Blaue beziehen sich auf einen in manchen Orten üblichen Brauch: gefallene Mädchen durften keine weiße Schürze mehr tragen und mußten auch bei Prozessionen in einer blauen erscheinen. Die Feststellung ,Es ist nur eine Blaue" enthält deshalb Geringschätzung, denn kein anderes Mädchen wollte mit ihr gehen. Lit.: HdA. I, Sp. 1366ff., Art. ,blau‘ von Schewe; Richter-Weise, Nr. 21, S. 25-27; O. Lauffer: Farbensymbolik, S.42; Küpper, S.70L; L. Röhricht Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, S. 71 f.; L. Lebeer:Deblauwe Huyck, in: Gentsche Bijdragen tot de Kunstgeschiedenis, Bd. VI (Antwerpen 1939-40), S. 161-226; M. de Meyer: ,De Blauwe Huyk\ in: Proverbium 16 (1971), S. 564-575. R. W. Brednich: Die holländisch-flämischen Sprichwortbilderbogen vom Typus ,De Blauwe Huyck‘ (in Vorbereitung). Blaustrumpf. Die Rda. ein Blaustrumpf sein besitzt im Dt. verschiedene Bdtgn., weil sie sich auf einen dt. und einen engl. Spottnamen bezieht. Im 17. und 18. Jh. nannte man die dt. Polizeidiener Blaustrumpf, weil sie farbige Strümpfe trugen. Von hier aus ergaben sich die älteren Bdtgn., wie ,Häscher", ,Verleumder", Angeber" und sogar ,Teufel", die die Mund- artwbb. bei Blaustrumpf anführen. Durch Vermittlung von Leipziger und Hallischen Studenten drang dieser Spottname auch in das Schrifttum ein. Im Sinne von ,Angeber" verwendeten dieses Wort z.B. schon Christian Weise (,Böse Katharina", 1680) und Joh. Christian Günther. In Hinblick auf die Frauen meinte das Schimpfwort bes. Klatschsüchtige, die sich unberufen um alles kümmerten. ,,Der höllische Blaustrumpf"", d. h. der /,Teufel", wird von Schiller gebraucht (,Räuber", II, 3). Als Schimpfwort im Volksmunde ist Blaustrumpf bereits 1688 für Halle bezeugt, wo Lehrer und Schüler des Gymnasiums ,,Schelme und Blaustrümpfe"" genannt worden waren, was öffentl. gerügt werden mußte (Hall. Tageblatt, 1887, Nr. 96, l.Beil.). Mit der Rda. ,A is a rechter Blö- strumpf" meint man noch heute in Nürnberg einen Verräter. Unabhängig davon besteht seit 1797 (Jenaer Allg. Lit.-Zeitung, Nr. 384, 1797) in Dtl. die Bez. Blaustrumpf für ein gelehrtes Frauenzimmer, eine Lehnübers. des engl. ,blue-stocking" (vgl. frz. ,bas-bleu"; ndl. ,blauwkous", dän. ,blaastr0mpe"; schwed. ,blästrumpe"). Aber auch das engl. Wort galt urspr. nicht der Dame mit nur geistigen Interessen, die alles andere vernachlässigte, sondern wurde bereits 1653 für engl. Parlamentsmitglieder gebraucht, die alle gleich gekleidet waren. Für die Verwendung von ,blue-stocking" als Spottname für die gebildeten Damen gibt es verschiedene Erklärungen: Diese hätten blaue Strümpfe tragen sollen, um den Schmutz zu verbergen, weil ihre federgeübten Finger nicht dazukommen konnten, die Strümpfe zu waschen (Wanderl, Sp.397). Nach Büchmann galt ,blue-stocking" zunächst nur der Kennzeichnung von Gesellschaften, deren Hauptzweck nicht Kartenspielen, sondern geistige Unterhaltung war. Der Gelehrte Benj. Stillingfleet (1702-71), der dabei immer in blauen Kniestrümpfen erschien, tat sich bei diesen Gesprächen im Kreis der Damen Montagu, Vesey und Ord als glän¬ 137
Blech, blechen zender Unterhalter bes. hervor. Wahr- scheinl. veranlaßte dies den Admiral Edward Boscawen, Viscount of Falmouth (1711-61), dazu, diese Versammlungen ,Blaustrumpf-Klub' zu nennen, um zu betonen, daß in ihnen nicht die Kleidung, sondern die geistige Begabung der Mitglieder geschätzt wurde. Die Aufzeichnungen der Tochter von Mrs. Montagu von 1816 enthalten noch eine andere Erklärung. Auf einer Abendgesellschaft ihrer Mutter sei Frau von Polignac als Gast aus Paris in blauseidenen Strümpfen erschienen. Alle weibl. Mitglieder des Klubs hätten daraufhin die neueste Pariser Mode nachgeahmt. Sie trugen dann blaue Strümpfe als Erkennungszeichen. In Dtl. wurde der Begriff Blaustrumpf zur Verspottung der Frauen erst vom Jungen Deutschland' eingebürgert (Börne, Pariser Briefe47). Die Wndg. kein Blaustrumpf sein wollen gilt bei gebildeten Mädchen und Damen heute noch zur Verteidigung und Selbstbehauptung. Trotz geistiger Interessen und wissenschaftl. Berufe bemühen sie sich, dem alten Vorurteil und Vorwurf zu entgehen, ihre weiblichen Qualitäten dabei zu verlieren, indem sie beweisen, daß sich Weiblichkeit und Bildung gut vereinbaren lassen. Lit: Richter-Weise, S. 26f.; Wanderl, Sp.397; Kluge- Götze, S. 84; Biichmann, S.642L; Zs. f. dt. Wortf. 1 (1900). S. 73 ff. Blech, blechen. Die Rdaa., in denen das Blech eine Rolle spielt, beruhen alle auf seinem Verhältnis zum Geld. Einerseits wird das Wort Blech selbst in seiner eigentl. Bdtg. gebraucht. Dabei ist an die älteren dünnen Münzen gedacht, z.B. an Goldblech: Es fehlt ihm am Blech: er hat kein Geld. Das Wort Blech für Geld stammt aus der Gaunersprache. Schon 1490 begegnet in rotw. Quellen ,bläch plaphart' und 1510 ,blechlin crützer\ ln Joh. Fischarts Gargantua1 von 1594 heißt es (Bl. 49b): ,,viel ämpter und wenig blech". Auf diese Bdtg. geht auch unser Wort,blechen' - bezahlen zurück, das vor allem dann gebraucht wird, wenn jem. viel oder unrechtmäßig zahlen muß, z.B. Dafür soll er mir blechen: dafür soll er Buße zahlen, büßen (vgl. engl, ,1t will cost him sauce'). Andererseits wird das Wort Blech aber auch als unmittelbarer Gegensatz zu Geld gebraucht. So sagt man in Sachsen ,Mein Geld ist auch kein Blech!', es ist nichts Minderwertiges, wie es das Blech gegenüber dem Edelmetall des Geldes wäre. In der Bdtg. ,etw. Wertloses', ,Unsinniges' wird Blech in allen dt. Mdaa. gebraucht in den Rdaa.: Das ist ja alles Blech! oder Blech reden. Auch bei dem Wort,Blechmusik' ist wohl weniger an eine Musik von Blechbläsern zu denken, als an eine minderwertige Musik, ganz gleich von welchen Instrumenten. Aufs Blech hauen (Blechtrommel): angeben, große Worte machen, prahlen, vgl. ,auf die /Pauke hauen'. Lit.: F. Kluge: Rotwelsch (1901) I, S.20, 53. Blechnapf. Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, der Titel eines Romans von Hans Fal- lada ( = Rudolf Ditzen), wurde zur Rda. in bezug auf Vorbestrafte, von denen der Roman handelt. Die Schüssel der Strafgefangenen, aber auch das Kochgeschirr der Soldaten wird verächtlich als ,Blechnapf' bezeichnet. Lit.: Büchmann, S.379. Blei. Es liegt mir wie Blei in den Gliedern (Knochen) sagt derjenige, der sich müde und erschöpft fühlt, weil ihm die geringste Bewegung nun wie eine ungeheure Anstrengung erscheint. Auch der Schreck kann so lähmen, daß es einem ist, als seien die Glieder wie durch einen Zauber plötzlich schwerer geworden. Man kann nicht von der Stelle, die Füße sind wie Blei: beinahe zentnerschwer. Eine unverdauliche Speise, aber auch eine bevorstehende Auseinandersetzung, ein gefürchtetes Vorhaben kann einem wie Blei im Magen liegen. Ein drückender Kummer lastet bleischwer auf einem, die Sorge oder Herzensnot wird als bleiernes Gewicht bezeichnet. Schon Walther von der Vogelweide klagte (76, 3): der wintersorge han ich dri, des bin ich swer alsam ein blî. Das Bewußtsein, daß Blei ein sehr schweres Metall ist und sofort im Wasser versinkt, spiegelt auch die humorvolle Rda. wie eine bleierne Ente (auf dem Grunde) schwim- 138
Blind men. So wird zu einem unsicheren Schwimmer oder Nichtschwimmer gesagt, der sich trotzdem dieser Kunst gerühmt hat. Der witzige Zusatz ,auf der Landstraße1, der manchmal erfolgt, führt von dem urspr. Bild ab. Die Rdaa.: im Blei (Lot) sein: in der gehörigen Ordnung sein und etw. ins Blei bringen (vgl. ,ins rechte /Lot bringen4) beziehen sich auf das Senk- oder Richtblei, wie es die Handwerker verwenden. Blei für Gold verkaufen: eine offensichtliche Betrügerei Vorhaben oder ausführen. Einem ein Stück Blei (Bleikugeln) in den Leib schicken: ihn verwunden oder erschießen. Bleistift. Einen spitzen Bleistift hat der Buchhalter oder Finanzbeamte, der pedantisch ist und übergenau rechnet, der Händler oder Handwerker verwendet einen langen Bleistift, wenn er den Kunden übervorteilt, zu hohe Rechnungen ausstellt oder geizig ist. Wer jedoch einen dicken Bleistift hat, nimmt es nicht so genau beim Rechnen und überschlägt nur grob. Bleistift tritt in spaßhaften Wndgn. auch an die Stelle von Beispiel: mit gutem Bleistift vorangehen und sich einen Bleistift nehmen (Küpper I, S.71). blind. Für etw. blind sein: etw. nicht sehen wollen, Wichtiges oder Gefährliches nicht wahrnehmen; das, was alle anderen sehen, nicht erkennen können. Das unvernünftige und unverständliche Verhalten eines Menschen wird mit dem eines Blinden verglichen, deshalb sagen wir heute auch: Jem. ist blind für eine Gefahr, er ist vor Liebe blind, er rennt blind in sein Unglück hinein. Die Wndg. mit sehenden Augen blind sein: das eigentl. Notwendige nicht sehen, wird bereits von Hartmann von Aue in seinem ,Iwein4 (V. 7058) verwendet: „mit gesehn- den ougen blint44, ebenso heißt es bei Era- clius, V. 4541. In einem Gedicht vom bilden Mann4 IV, 69 lautet es ahnl.: „mit sindiu ougin ... blint44. Die neuere Rda. Er ist nicht blind, aber er sieht nicht umschreibt den gleichen Sachverhalt, vgl. ndl. ,Hij is niet blind, maar zonder ougen4. Die Wndg. sich die Augen blind weinen: so viel weinen, daß die Augen nichts mehr erkennen kön¬ nen und krank werden, ist in der mhd. Dichtung häufig. So heißt es z. B. im Nibelungenlied4 (988, 4): „ir ougen wurden nazzes blint44 und in Wolfram von Eschenbachs ,Parzival4 (98, 14): „disiu kint wärn von weinen vil näch blint44. Im Spott vergleicht man einen Dummkopf gern mit blinden Tieren, teils mit solchen, die wirklich oder vermeintlich schlecht sehen (Eulen, Hasen), teils mit anderen. Da man die im Fell verborgenen, sehr kleinen Augen des Maulwurfs urspr. nicht sah, glaubte man, er habe keine, und es entstand der rdal. Vergleich so blind wie ein Maulwurf sein; vgl. auch die seit dem 17. Jh. bezeugte ndl. Rda. ,zoo blind als een mol4 und engl. ,as blind as a mole4. Vor allem ist das blinde Huhn sprw. geworden, das auch einmal ein Korn findet, und in derberer Sprache die blinde Sau, die wohl einmal eine Eichel, die blinde Kuh, die einmal eine Erdbeere findet, immer in der Bdtg., daß sich etw. Unwahrscheinliches doch einmal ereignen könnte; vgl. ndl. ,Een blinde kip vindt ook wel eens een graantje4 oder ,Men kan niet weten, hoe een koe een has vangt4 ; engl. ,A blind man may chance to hit the mark4 und ähnl. wie im Ndl. ,A cow may catch a hare4. Er ist ein blinder Hesse /Hesse. Die Rda. Er geht blind drauflos wie ein Hesse: er geht ohne zu überlegen mit offenen Augen in sein Verderben, verbindet die nur noch undeutliche Erinnerung an den Ausdr. ,blinde Hessen4 mit einem neuen Sinngehalt: Der Kurfürst von Hessen verkaufte zu Beginn des 18. Jh. gewissenlos seine Untertanen an die holl, und engl. Regierungen. In blindem Gehorsam ließen sich die Hessen nach Ost- und Westindien in den Krieg und damit in ihren Untergang schicken. Ein blinder Heide sein: ohne das Licht des Glaubens sein, den Weg zur Erlösung nicht sehen können. Das Adj. blind verbindet sich mit verschiedenen Substantiven, um das Zufällige, Unberechenbare auszudrücken. So sprechen wir z. B. davon, daß das Glück blind ist, d. h. unparteiisch, wobei Fortuna mit verbundenen Augen gedacht und dargestellt wurde, vom blinden Zufall, vom blinden Schicksal und blinden Willen, aber auch von blinder 139
Blindekuh ,Das Glück ist blind* Furcht und blindem Lärm. Bes. die Natur wird in ihrem Werden und Vergehen als blind gedacht. Bei Jean Paul findet sich im ,Kampaniertal‘ (71) die Wndg. „der blinde Tritt der Natur“, und Schiller beklagt die „Unvernunft des blinden Elements“. Das Wort blind bedeutet nicht nur ,nicht sehen\ sondern auch ,nichtig4, ,funktionslos4 sein. Wir sprechen von blinden Fenstern und blinden Taschen und meinen nur angedeutete, vorgetäuschte Taschen und Fenster, also Dinge ohne Funktion. In der Rda. Er trägt lauter blinde Taschen am Rock: er prahlt mit Kenntnissen und Fähigkeiten, die er nicht besitzt, erfolgte eine Übertr. des Begriffs ,blinde Taschen4 in den geistigen Bereich. Schon 1537 wird bei Dasypodius (Dicho- narium, 313 a) der Darm ohne jede Aufgabe als ,der blinde Darm4 bezeichnet, ähnl. verwendet Weinsbeke bereits im 14. Jh. (Ausg. Leitzmann 63,2) das Wort blind: „Swaz ich vreuden ie gewan, die sint bi dieser vreuten blint44. In dieser Bdtg. verwenden wir das Wort noch heute, z.B. in dem Ausdr. blinder Alarm, auch die Zusammensetzung Blindgänger ist so zu verstehen: es ist eine Bombe, die nicht explodiert und darum nichtig, ohne Wirkung ist. In der modernen Rda. ein bevölkerungspolitischer Blindgänger sein wird der Jungge¬ selle, der Impotente und der verheiratete Mann ohne Nachkommen verspottet. Außerdem dient blind zur Bez. von Dingen, die man nicht sieht oder die nicht entdeckt werden sollen: eine blinde Grube ist bei Opitz eine verdeckte Grube, der blinde Sand ist die Sandbank, die nicht sichtbar ist und zur Gefahr wird, die Nebel- oder Tarnkappe, die unsichtbar machen kann, nennt man auch blinde Kappe. Ein blinder Passagier sein heißt demnach auch: ein Reisender sein, der sich versteckt hält, weil er kein Fahrgeld bezahlt hat. Die Rda. stammt aus dem Postkutschenverkehr, ist seit 1787 bei Schulz-Basler (Dt. Fremdwb. II, 398) belegt und bereits 1813 in Campes Fremdwb. verzeichnet. H. Heine gebraucht die Wndg. in der ,Heimkehr4 (74): „Zwi- scheh uns saß Amor, der blinde Passagier“. Blindekuh spielen /Blindekuh. Die Rda. etw. blind bezahlen weist auf einen Brauch beim Handwerkerquartal: erhielt jem. eine Geldstrafe, so erkannte er die Verpflichtung zu späterer Zahlung an, wenn er die Hand sichtbar öffnete und schloß (Handwerksakten des Stadtarchivs Bützow). Blind laden hieß: nur mit Pulver laden. Lit.: F. Wiesenbach:Die blinden Hessen (1891); G. M. Kueffner: Die Deutschen im Sprw. (Heidelberg 1899) S. 58 ff. Blindekuh. Blindekuh spielen: wie ein Blinder unbeholfen umhertappen. Die Rda. bezieht sich auf ein Spiel, das bei den Erwachsenen sehr beliebt war und noch heute überall in Europa von den Kindern gespielt wird. Ein Mitspieler erhält mit einem Tuch die Augen verbunden und muß nun versuchen, die anderen zu fangen, die ihn necken und irreführen wollen. 140
Blinder Im älteren Nhd. wurde das Wort getrennt geschrieben, Es gelangte vom Ostmdt. durch Luther 1526 in die Hochsprache: ,,also spielt auch die Vernunft der blinden Kuemit Gott“ (Weim. Ausg. 19, 207). Im Mhd. steht anstelle der Kuh die Maus, so zuerst bei Meister Altswert im Elsaß, der im 14. Jh. schreibt: „zwei spilten blinder miusen“. Im Obd. war die Rda. in dieser Art ebenfalls bis ins 17. Jh. üblich. Möglicherweise hat bereits Otfrid an das Spiel gedacht, als er die Verspottung Christi schilderte: ,,thiu ougun si imo buntun, thaz in zi spile funtun“ (4, 19, 73). Das Spiel ist unter verschiedenen Bez. und Tiernamen allen europ. Völkern bekannt, der Ausdr. Blindekuh ist jedoch nur in Dtl. üblich. Wie die Südslawen kennen wir aber auch die Wndg, ,blinde Maus spielen1. Im Bair. heißt es dafür ,blinde Kätzel fangen4. Blinder. Wie der Blinde von der Farbe reden (urteilen): ohne Sachkenntnis oder Befähigung sich ein Urteil anmaßen. Schon im 16. Jh. wurde dieser Vergleich gebraucht, z.B. in der ,Hildesheimer Chronik4 Oldecops (S.138): „also de blinde von der farve“. Erweitert erscheint diese Wndg. in einem Hochzeitsgedicht Henricis von 1743: Die Lieb ist mir noch unbekannt, drum denkt und schreibt auch mein Verstand als wie ein blinder Mann von einer grünen Farben. Vgl. auch ndl. ,Hij oordeelt erover als een blinde over de kleuren4 und frz. ,11 en juge comme un aveugle des couleurs4. Bei einer klaren, einleuchtenden Sache, die jeder verstehen müßte, heißt es heute: Das kann ein Blinder sehen und ein Ochs verstehen. Häufiger ist jedoch der Ausruf: Das ,Ein Blinder leitet den anderen4 Fuchs, Bock und Geiß geben dem Spiel im Norden seinen Namen, vgl. isL ,skolla lei- kar4; dän. ,blindegied4 und schwed. ,blind- bok4. Die span. Kinder dagegen spielen ,gallina ciega4 = blinde Henne und die ital. wie schon die altgriech. ,mosca cieca4 = blinde Fliege. Auch wo keine Tiernamen üblich sind, ist die Vorstellung von ,blind4 erhalten geblier ben, vgl. ndl. ,blindemannetje speien4 und engl. ,to play at blindman’s buff4. Lit.: Kluge-Götze, S 86, sieht doch ein Blinder! (auch mit den Zusätzen mit dem Fuß, mit dem Krückstock, ohne Laterne, ohne Sonnenbrille). Diese Rda. hat ein hohes Alter, denn bereits Livius kennt eine ähnl. Wndg.: „Apparet etiam satis caeco44. In Dtl. erscheint die Rda. zuerst 1508 bei dem Humanisten Heinr. Bebel (Nr. 97) in lat. Form: „Caeci hoc vident44, in dt. Sprache 1513 beiTunni- cius (Nr. 945): „Dat süt wol ein blinde44, mit der lat. Übers.: „Vel caecus videat, qui nullo lumine gaudet44. Vgl. auch ndl. ,Dat 141
Blitz zou een blinde zonder bril niet kunnen on- derscheiden4 und frz. ,Un aveugle y mordrait1. Findet man etw. zu übertrieben, ,zu dick aufgetragen4 oder unwahr, bemerkt man dazu: Das kann selbst der Blinde mit ,Ein Blinder trägt den Lahmen4 ,Unter den Blinden ist der Einäugige König4 dem Stocke fühlen. Die Rda. Er ist ein Blinder ohne Stock heißt : er ist ein ganz Armer, dem das Notwendigste fehlt, um sich allein forthelfen zu können. Vgl. frz. ,Cest un aveugle sans bâton4. Unnützes Tun um¬ schreiben die Rdaa. einem Blinden den Weg weisen (eine Fackel vortragen, winken) und dem Blinden einen Spiegel verkaufen, vgl. lat. ,Caeco speculum vel pictura4. Die Rda. wie ein Blinder im Dunkeln tap- pen ist bibl. Herkunft und bezieht sich auf 5.Mos.28, 28-29: ,,Der Herr wird dich schlagen mit Wahnsinn, Blindheit und Rasen des Herzens; und wirst tappen am Mittag, wie ein Blinder tappt im dunkeln44. Die Wndg. mit Blindheit geschlagen sein begegnet im selben Text und bei l.Mos. 19, 11, wo es bei der Vertilgung Sodoms heißt: ,,Und die Männer vor der Tür am Hause wurden mit Blindheit geschlagen, klein und groß, bis sie müde wurden und die Tür nicht finden konnten44. ,Ein Blinder leitet den anderen4, blindes Vertrauen in einen Unfähigen führt alle ins Verderben. ,Ein Blinder trägt den Lahmen4, ein Mangel wird durch einen anderen ausgeglichen, wenn sich Behinderte gegenseitig helfen. ,Unter den Blinden ist der Einäugige König4, der Mittelmäßige ist unter Schlechten der Beste; der teilweise Behinderte wird von den völlig Hilflosen bewundert. Blitz, Der Blitz dient in den Rdaa. vor allem zur Bez. höchster Geschwindigkeit, z.B. wie der Blitz, schnell wie der Blitz, blitzschnell, wie der Blitz verschwinden. Schon Luther benutzt den sprw. Vergleich in seiner Bibelübers., Luk. 10, 18: ,,Ich sah wohl den Satanas vom Himmel fallen, als einen Blitz44. Wie ein geölter Blitz, mit witziger, aber sinnloser Steigerung (wie wenn man durch Ölen den Reibungswiderstand des Blitzes verringern könnte). Die Wndg. kam zunächst als Kasernenhofblüte um 1870 auf. Wesentlich älter ist dagegen die Wndg.: Wie ein Blitz(schlag) aus heiterem Himmel; sie findet sich schon in Christoph Lehmanns ,Florilegium politicum oder Politischer Blumengarten4 von 1639 (S.398): „Zu Hof donnerts offt, und schlägt ein beym hellen Himmel, da doch kein Blitz vorher gegangen44. Ebenso hat Schiller die ungeheure Schnelligkeit eines hereinbrechenden Verderbens in den ahnenden Worten Theklas beschrieben (,Piccolomini4 III, 9): 142
Blödsinn O! Wenn ein Haus im Feuer soll vergehn, Dann treibt der Himmel sein Gewölk zusammen, Es schießt der Blitz herab aus heitern Höhn. Auch bei heftigem Schrecken bezieht man sich in Rdaa. gern auf den Blitz: dastehen, wie vom Blitz gerührt, z. B. in der ,Insel Felsenburg1 1,7: ,,Ich fiel nach Lesung dieses Briefs, als ein vom Blitz Gerührter, rückwärts auf mein Bette"; Goethe kennt: „er stand, wie vom Blitz getroffen". Wie ein Blitz einschlagen: Unglück, Verstörung durch eine unerwartete Nachricht hervor- rufen. Den Blitz anbinden wollen bezeichnet ein unmögliches und widersinniges Unterfangen. Ndd.: ,Dem hat der Blötz ons Portma- nee geschlaoge\ er hat kein Geld mehr. Blitz als Interjektion wird ebenso gebraucht wie ,Donnerwetter!1, ,Hagelschlag!' usw., oft mit Zusätzen wie , Blitzelement!" In dem Ausruf Potz Blitz! ist ,Potz' verhüllend aus ,Gottes1 umgeformt (/Bockshorn). Neuerdings wird ,blitz-' auch zur Steigerung von Adjektiven gebraucht, ohne daß dabei das Blitzende (wie noch in ,blitzblank' oder ,blitzsauber') eine Rolle spielen muß, so z.B.,blitzeblau' (völlig betrunken), ,blitzdumm', ,blitzliederlich', ,blitzhäßlich'. Die Wndg. Er ist abgeblitzt heißt, daß er abgewiesen worden ist. Bei dir blitzt es wird scherzhaft zu einem Mädchen oder einer Frau gesagt, wenn ihr Unterrock hervorschaut. Blitzableiter. Der Blitzableiterfür jem. sein: der Zorn wird an ihm ausgelassen, während der Schuldige meist unbehelligt bleibt. Der Unschuldige sagt deshalb auch, daß er nicht als Blitzableiter dienen wolle. Block. Ein Block ist ein kurzer, dicker Stamm, übertr. auch allg. gebraucht für das Große, Ungefüge. Ndd. ,Dat is’n Block von Kerl', ein starker Kerl. Einen Block am Bein haben: vtrheiratet sein. Die Ehe wird in dieser Rda. als Behinderung und lästige Fessel angesehen, vgl. ndl. ,Hij hefft een blök aan et been'. Über Stock und Block wird ähnl. gebraucht wie ,über /Stock und Stein', z.B. bei Rosenzweig: „Über Stock und Block galoppieren". Im Block verkaufen ist frz. ,vendre en bloc' nachgebildet. Blocksberg. Unter den Rdaa., die aus Zaubersagen herausgewachsen sind, stehen solche zum Hexenglauben zahlenmäßig an der Spitze. Bekannt ist die abweisende Antwort Geh zum Blocksberg! (z. B. nie- derrhein. ,Goah na dem Blocksberch'). Jem. auf den Blocksberg wünschen: ihn verwünschen, ihn weit weg wünschen. Der Blocksberg, der Brocken im Harz, gilt seit dem 17. Jh. als berühmter Hexenberg und Hexentanzplatz. Darüber hinaus gibt es in Dtl. noch Hunderte anderer Erhöhungen mit dem Namen Blocksberg, woraus sich die weite Verbreitung der Rda. erklärt: „Daß du auf dem Blocksberg wärest!" (Lichtenbergs Schriften); „Ik wull dat du uppen Blocksberge seetst" (Wander I, Sp. 407). Meckl. z.B. sagt man von einem Schläfrigen ,Dee is wol mit de Hexen nah’n Blocksbarg wäst', und von der stumpfen Sense heißt es ,Dor kann’n up nah’n Blocksbarg riden'. Ähnl. schlesw.-holst. ,Dat Meß is so stump, dor kannst mit’n bloten Ars op na’n Blocksbarg rieden', ,Op sien Meß kann en Hex ahn Ünnerbüx up na’n Blocksbarg rieden'. In anderen Landschaften sagt man von einem stumpfen Messer ,Auf dem Messer kann man nach Breslau (Rom, Paris, Köln) reiten'. Der Messerritt ist unverkennbar ein Hexenritt und bezieht sich auf den Volksglauben: Man darf sein Messer nicht mit der Schneide nach oben legen, weil sonst die Hexen darauf nach dem Blocksberg reiten. Lit.: Küpper I, S.72; Wander I, Sp. 407; L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 260; W. Erich Peuckert u. K. H. Bertau: Der Blocksberg, in: Zs. f. d. Ph. 75, H. 4 (1956), S. 347-356. Blödsinn. Die Wndg. höherer Blödsinn ist ein in der ersten Hälfte des 19. Jh. auf gekommenes Schlagwort. Sie verhöhnt wohl die Sucht der Zeit, alle möglichen Bestrebungen durch das Beiwort,höher' zu heben (z.B. höhere Mathematik, höhere Magie, höhere Akrobatenkunst, vgl. höherer Schwindel). Um übertriebene und selbstgefällige Anpreisungen zu verhöhnen, 143
Blond heißt es in einem Artikel der Jahrbücher f. Wissenschaft und Kunst4 (Leipzig 1854, 1.238): „Wir meinen die Gesellschafts- Schwindel im lieben deutschen Vaterland: temporäre Gefühlsausschwitzungen en gros; Gefühlsaufwallungen, die bis zu gelinder Raserei gehen, wenigstens auf dem Niveau des höheren Blödsinns stehen“. Dann biegt das Witzblatt ,Kladderadatsch1 den Ausdr. dahin um, daß es darunter den zum Ulk gesteigerten Humor versteht; 1856 spricht es vom „Styl des höheren Blödsinns“ und steigert diesen sogar bis zum „höchsten Blödsinn“. R. M. Meyer weist in seinen ,400 Schlagworten4 (Leipz. 1901, Nr. 101) auf Girolamo Savonarolas „maggior pazzia“ hin, wie dieser die von ihm veranstalteten Feste zum Kampf wider die Unsittlichkeit nennt, und auf Herman Grimms Übersetzung dieses Ausdrucks durch „höhere Tollheit“ in seinem Michelangelo4. Lit.: Büchmann, S. 306. blond. Eine kühle Blonde: ein Glas Weißbier, scherzhafte berl. Rda. aus der Mitte des vorigen Jh. Ebenfalls aus Berlin stammt die Rda. blonde Füße haben: gelbe Stiefel tragen. Blondes Gift: blonde, verführerische Frau; Anspielung auf das seit der Mitte der dreißiger Jahre übliche Blondieren des Haares bei Frauen, bes. bei Filmstars. Die Rda. so blond wie ein Zigeuner sein weist durch den in ihr liegenden Gegensatz auf eine bes. dunkle Haarfarbe (vgl. frz. ,Cest un blond d’Égypte'). Blöße, eine unbekleidete Stelle des Körpers; so gebraucht in der Wndg. seine Blöße bedecken, in Frost und Blöße (bei Luther). In der Fechtersprache bedeutet Blöße den unbeschützten, der Klinge des Gegners preisgegebenen Teil des Leibes; daher die Rda. sich eine Blöße geben: einen Fehler machen, eine Schwäche verraten; eigentl.: die Deckung aufgeben und sich dadurch dem Angriff des Gegners aussetzen; so z. B. bei Zachariaein ,Der Renommiste4 (1744), 6, 144: „indessen sieht Sylvan, daß Raufbold Blöße gibt44. Grimm (Dt. Wb. II, 150) verzeichnet außerdem noch die Rdaa.: einem nach der Blöße stoßen und einem in die Blöße fallen: in die Seite, die unbeschützt ist. Seine Blöße nicht verbergen können: seinem Gegner die Schwäche (mangelnde Bildung, schlechte Eigenschaften oder Schuld) wider Willen verraten. Blücher. Die Erinnerung an den volkstümlichen ,Marschall Vorwärts4 der Befreiungskriege lebt in der Rda. rangehen wie Blücher: mutig darauf losgehen, weiter; ebenso kalt wie Blücher: ruhig, unerschrok- ken. Meckl. ,Man ümmer druff! seggt Blücher4 und ,Dee geiht ran as Blücher an de Katzbach4 spielt auf den Sieg Blüchers am 26. August 1813 an der Katzbach über die Franzosen an; vgl. nordd. ,Er haut rein wie Blücher in die Franzosen4. In Berlin sagt man ,Er geht druff wie Blücher4 meist von einem Draufgänger Frauen gegenüber. Der Ruf Ran wie Blücher!dient der Ermutigung. Zur Bekräftigung einer Tatsache heißt es Aber sicher, sagte Blücher. Blümchenkaffee. Blümchenkaffee trinken: dünnen, gehaltlosen Kaffee trinken; ein offenbar in Leipzig aufgekommener Wortwitz. Sächs. ,Blümchenskaffee4, dünner Kaffee, ,aus zwee Buhn sind zehn Tassen bereitet4. Der Ausdr. ist bereits 1729 bekannt und wird folgendermaßen erklärt: „Blümgen-Coffée so nennen die Leipziger den Coffée, wenn er allzu dünne ist, weil man die Blümgen auf dem Boden der Cof- fée-Tasse dadurch sehen kann44 (Orestes, ,Der Dreßdnische Mägde-Schlendrian4, S.47). Lit.: Müller-Fraureuth I, S. 123; Trübner I, S.376. Blume. Durch die Blume sagen: nicht mit gewöhnlichen Worten, sondern verhüllend, andeutend und umschreibend reden (ndd. ,dor de blumme kallen4). Die Herkunft der Rda. von der ,Blumensprache4 ist denkbar, da jeder einzelnen Blume eine bestimmte symbolische Bdtg. zukam, was sich etwa noch in Namen wie Männertreu4 und ,Vergißmeinnicht4 zeigt. Bei der Brautwerbung war es weithin üblich, daß das Mädchen dem Freier eine bestimmte Blume überreichte, wenn sie ihn abweisen wollte. .Durch die Blume4 wurde von ihr in einer angenehmen Verhüllung die schlechte Nachricht gegeben, die sie sich sonst auszu¬ 144
Blumentopf sprechen scheute. In Dtl. und der Schweiz verwendete man dazu meist /Schabab (Nigella damascena) oder die Kornblume, in Lüttich z. B. galt dagegen die Klatschrose als Zeichen der Abweisung. Unsere Rda. ist jedoch auch aus der mit ,Redeblumen1 gezierten Sprache herzuleiten. Schon im Altertum wurde das lat. Wort flosculus = Blümchen zur Bez. des Zierats in der Rede gebraucht. Ein dt. Ausdr. dafür ist schon mhd. bekannt: die redebluome; belegt z.B. bei Frauenlob (370, 3): „mit redebluo- men... volzieren ein lop4\ Später gebrauchte man ,Blümlein4 und ,Wortblume4. Lat. flosculus wurde im 17. Jh. zu ,Floskel4 eingedeutscht. Ebenso ersetzte man im 18. Jh. griech. Anthologie, neulat. Florilegium durch ,Blüten- oder Blumenlese4. ,Etwas durch die Blume sagerr Gleichen Ursprungs ist der Ausdr. etw. verblümt sagen: mit einer Sprache, die durch Blumen und Blümchen verziert ist; z. B. bei Seb. Brant (,Narrenschiff4 19, 63): ,,und reden vil geblümter wort44, oder bei Abraham a Sancta Clara: „Gott sieht nit allein das wahre und bloße, sondern auch das verblümlete. Ihr Sünder, ihr könnt eure Stückl nit besser verblümlen, als mit den Rosen des heiligen Rosenkrantz44. Lessing verwendet,verblümte Reden4 noch in gutem Sinne, aber bereits Luther kannte dafür eine schlechte Nebenbdtg.: „Mit Schreiben meinen sie die Sach zu blümen und die Leut zu schmehen44. Wir verwenden die Rda. heute in dem Sinne: durch Anspielungen einem etw. zu verstehen geben, wobei das Volk solcher geblümten Rede nicht recht traut und sie als Lüge oder falsche Vorspielung bezeichnet. ,Bluemle bla vormachen4 heißt es im Elsaß. Allg. bedeutet jem. blaue Blümchen weismachen ihm unbegründete, phantastische Dinge als Wahrheit darstellen wollen. Einem etw. unverblümt sagen: ihm die Wahrheit ohne Umschweife ins Gesicht sagen. Obersächs. ,durch die Chaisenträger- Blume reden4, eine sehr deutliche Anspielung machen. Wer die Zurechtweisung oder Kritik verstanden hat, sagt deshalb iron. Vielen Dank für die Blumen! Der Reklameslogan ,Laßt Blumen sprechen4 stellt bewußt wieder die alte Beziehung zur ,Blumensprache4 her, die das Wort ersetzen kann und doch die Gefühle ausdrückt. Er steht (blüht) wie eine Blume auf dem Mist: er ist fehl am Platze, paßt nicht in seine Umgebung. - Schlesw.-holst. ,Et regent em in die Bloom4, er hat viel Glück. Rdal. Vergleiche enthalten die Wndgn.: von einer Blume (Blüte) zur andern flattern wie ein Schmetterling, womit der unstete Liebhaber gemeint ist (vgl. ndl. ,Hij is zoo wispelturig als een vlinder, die van de een bloem op de andere vliegt4) und aus jeder Blume (Blüte) Honig saugen wollen: überall seinen Vorteil suchen. Die Rda. Es ist eine Blume, die im Dunkeln blüht bezeichnet die Verborgenheit und Bescheidenheit und steht dem Sinn nach der Rda. ,wie ein Veilchen im verborgenen blühen4 nahe (vgl. ndl. ,Het is eene bloem, die in het duister bloeit4). Lit.: Trübneri S.375 f.; Richter-Weise Nr.22, S.27; Küpper I, S. 73; Krüger-Lorenzen I, S. 38-41 ; H. Bäch- told: Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz (Basel 1914), S. 54, 62. Blumentopf. Bei mir kannst du keinen Blumentopf gewinnen (erben): bei mir kannst du nichts erreichen, damit ist kein Erfolg zu erzielen; berl. Rda., in der Blumentopf vielleicht ironisierend nüchtern für den Blumenstrauß steht, der erfolgreichen Künstlern auf der Bühne überreicht wird. Wahrscheinlicher jedoch geht die Wndg. auf die Würfelbuden der Jahrmärkte zurück, wie die vollständigere berl. Form der Rda. beweist: ,Du kannst doch bei mir kee- nen Blumentopp jewinnen, und wenn du 19 trudelst4. Lit.: H. Meyer: Der richtige Berliner, S.27; Küpper I, S.73. 145
Blümerant blümerant. Mir wird ganz blümerant (vor den Augen): mir wird unwohl, schwindelig. Blümerant (auchplümerant) entspricht frz. ,bleu mourant4 = blaßblau, mattblau (ei- gentl. ,sterbendblau4). Diese Farbe wurde um die Zeit des Dreißigjähr. Krieges von Frankr. her auch bei uns zur Modefarbe. Als man ihrer überdrüssig wurde, stellte sich die übertr. Bdtg. blümerant = schwindelig ein (vgl. ,Mir wird ganz grün und blau vor Augen4). In dieser Verwendung hat sich das Wort umgangsspr. in nahezu allen dt. Mdaa. erhalten; etwa schlesw.-holst. ,Em wor blömerantig to Moot4. Vereinzelt ergaben sich gewisse Bedeutungsverschiebungen, z. B. rhein. ,Et es me ze blümerant, wo de N. et Geld herkrit4, es ist mir schleierhaft; meckl. ,Du bist ’n schönen Blümerant4, du bist ein ganz Übler. Lit.: Trübneri, S.352; Göhring, Nr.48, S.35; Kluge- Götze, S.86. Bluterscheint in den sprw. Rdaa. meist im übertr. Sinne; es gilt als der Sitz des Temperaments: Das liegt mir im Blut: das ist mir angeboren und meiner innersten Natur gemäß, ich tue es unwillkürlich; heißes Blut haben: temperamentvoll sein; mit ruhigem Blut etw. tun; kaltes Blut behalten, oft scherzhaft in der Form ,,Immer kalt Blut und warm angezogen44 (so bei C. Zuckmayer, ,Schinderhannes4 2. Akt). Das macht böses Blut: das erregt Erbitterung und Feindschaft, ndl. ,Het zet kwaat bloed4, frz. ,Cela fait du mauvais sang4, engl. ,to breed ill blood4; schon bei Luther: ,,das vergeblich lange gaffen würde ungedult und böses blut machen44 (Jenaer Ausg. Bd. 5, S. 124a). Auch die gegenteilige Rda. gutes Blut machen ist belegt; Jeremias Gotthelf z.B. erzählt: „Um meinem neuen Meister gutes Blut zu machen, zahlte die Mutter ihm noch eine halbe Wein44. Mach mir das Blut nicht heiß!: erzürne mich nicht! Das Blut kocht in den Adern bei großer Wut. Er hat Blut geleckt sagt man von einem, der einen Genuß gehabt hat und nicht mehr darauf verzichten will. Die Rda. stützt sich auf Realbeobachtungen bei Raubtieren. Ähnl.: nach Blut dürsten: rachedurstig sein. Viele übertreibende Rdaa. mit Blut sind bekannt: Blut schwitzen: vor Angst schwitzen (bereits mhd., vgl. Gesamtabenteuer 1, 12, 279), Blut und Wasser schwitzen: sich sehr anstrengen, Blut weinen, blutige Tränen weinen, schon im ,Nibelungenlied4 (Str. 1069): ,,ir liehten ougen vor leide weinten do bluot44, beim Stricker: ,,Er switzet unde weinet bluot44, bei Erasmus von Rotterdam (1465-1536): ,,sanguine flere“. Einem das Blut (unter den Nägeln) aus sau gen: ihn peinigen, daher auch ,Blutsauger4, ,Blutegel4, vgl. dahinterher sein wie der Egel hinter dem Blut. Ähnl.: jem. bis aufs Blut quälen (reizen, kränken), vgl. treu bis aufs Blut: treu bis zum letzten. Die Wndg. ,bis aufs Blut4 ist bibl. Ursprungs: „Denn ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden in dem Kämpfen wider die Sünde44 (Hebr. 12,4). Wieder zu Blut kommen: wieder auf die Beine kommen, wirtschaftlich hochkommen. Aussehen wie Milch und Blut /Milch. Blut erscheint auch sonst oft in rdal. (oft auch durch den Reim verbundenen) Zwillingsformeln wie ,Fleisch und Blut4 (bibl.), ,Gut und Blut4, ,Leib und Blut4 (Goethe, Schiller). Blaues Blut haben /blau. Blut lassen müssen, kürzer bluten müssen: einen Verlust erleiden müssen, für etw. büßen. Die Rda. kommt wohl von früheren Strafen für schwerwiegende Verbrechen, indem man den Delinquenten eine Ader öffnete und sie bluten ließ; vgl. frz. ,saigner quelqu’un4; ndl. ,moeten bloeden voor iets4; engl. ,to make a person bleed for4. Studentisch heißt ,bluten4 beim Trinken Bier verschütten; vgl. O. Ernst ,Frohes Farbenspiel4 1901 (S.158): „Bluten (ist) nach dem Comment strafbar44. Seit dem 18. Jh. wird die Rda. bluten müssen bis heute auch bes. i. S. v.,zahlen müssen1 gebraucht. Der seit dem 16. Jh. bekannte rdal. Vergleich bluten wie ein Schwein bezieht sich auf den Blutreichtum der Schweine. In Zusammensetzungen wird ,blut-4 auch als Verstärkung angewendet: z.B. ,blutarm4, ,blutjung4, ,blutwenig4. Vielleicht geht ,blut-4 auf das ndd. ,blot\ ,blutt4 zurück, das dem hd. „bloß44 entspricht und die Bdtg. von ganz, völlig, sehr annahm. Die älteste dieser Bildungen ist ,blutarm4 (sehr arm) aus dem 16. Jh., dann entstanden analog: ,blutsauer4, ,blutnötig4. Aber die Zusammensetzung kann auch mit ,blut-4 erfolgt sein, das gleichbedeutend für Leben, Dasein steht. ,Blutjung4 wäre dann jung an 146
Bock Jahren, so wie Hans Sachs die Wndg. ,das junge Blut4 braucht (,Der fromme Adel4 27). Auch das Adj. ,blutig' dient der Steigerung, z.B. in ,blutiger Anfänger1,,blutiger Ernst1, wobei es ebenfalls den Sinn von ,völlig1 besitzt. Etwas ist mir in Fleisch und Blut üb er gegangen /’Fleisch. Die Rda. Einem wird das Blut sauer: seine Geduld ist erschöpft, beruht auf dem Vergleich mit der Milch, die gerinnt. Als Ausruf der Bestürzung Mir wird das Blutsauer! steht die Rda. in der Nähe der Wndg. Mir stockt (gerinnt, gefriert) das Blut. Einem unreines Blut und Brot reden: eine so schwere Beschuldigung aussprechen, die der Sünde, unreines Blut und Brot zum Altar gebracht zu haben, entspricht. Die Rdaa. Blut klebt an den Händen oder Die Hände sind mit Blut befleckt braucht man zur Bez. und Beschuldigung eines Mörders. Neuere Wndgn. sind: Das ist meine Blutgruppe: mein Geschmack, 1930 mit der Blutgruppenbestimmung aufgekommen, und Sie bilden zusammen eine Blutwurst: sie sind unzertrennlich, gleicher Meinung, passen sehr gut zusammen. Nach 1945 wurde scherzhaft von einem Bezechten gesagt, daß er noch zwanzig Prozent Blut im Alkohol habe. Der Sprach- witz beruht auf der Vertauschung der Begriffe Blut und Alkohol und auf der ab- sichtl. Verwechslung von Promille und Prozent. Blüte. Einem eine Blüte stechen: ihn zurechtweisen, eine Blöße an ihm aufdecken. Mit der Blüte ist eigentl. ein kleiner Hautausschlag, eine Pustel gemeint (vgl. ,einem den /Star stechen1). Wenn einer ungerechtfertigte Hoffnungen hegt, so sagt man von ihm Es wird ihm in die Blüte regnen: er wird Pech haben. In der Blüte des Lebens stehen (sterben): in den besten Jahren, im Vollbesitz aller Kräfte. In voller Blüte stehen: auf dem Höhepunkt der Entwicklung angekommen sein. Etw. in der Blüte vernichten: während der ersten Entwicklung und Entfaltung zerstören. Üppige Blüten treiben: immer neue Erklärungen, Geschichten, Anekdoten hervorbringen, wird meist im Hinblick auf große Phantasie gebraucht. Ähnliches meint die Wndg. wunderliche Blüten treiben: seltsame Ereignisse zur Folge haben. Im negativen Sinne bez. man einen jungen Menschen, von dem man wenig Gutes erwartet, als ,eine Blüte1. So gilt die Wndg. Du bist ja eine schöne Blüte! als Schimpfwort. Bock. In zahlreichen sprw. Vergleichen der dt. Sprache begegnen wir den verschiedenen Eigenschaften des Bockes: stinken wie ein Bock, schon im jüngeren ,TitureP um 1270 (Str. 249): ,,und stinkent sam die bocke“; Augen haben wie ein ab gestochener Bock, belegt im ,Narren-Nest‘ von Abraham a Sancta Clara: ,,Die Augen verkehrt er wie ein abgestochener Bock“; außerdem stur wie ein Bock (ein sturer Bock), springen wie ein Bock, dumm wie ein Bock, geil wie ein Bock, scherzhaft keusch wie ein Bock um Jakobi (schwäb.), störrisch wie ein Bock, daher bockbeinig, das erst im 19. Jh. aus der bair. Mda. ins Hd, eingedrungen ist; ähnl. steif wie ein Bock und bocksteif. Schwäb. ,Der Bock ist die Geiß, die Geiß ist den Bock wert1, sie passen zueinander. Den Bock bei den Hörnern fassen: eine Sache tatkräftig anpacken, die Gelegenheit beim Schopfe fassen. Von einer mageren Frau sagt man mdal.: Die ist so dünn, sie kann den Bock zwischen den Hörnern küssen. Sich darauf verlassen wie der Bock auf die Hörner: fest auf etw. vertrauen. Die Böcke von den Schafen zu scheiden ist ein uralter Schäferbrauch; daher das bibl. Gleichnis Matth. 25,32 für die Scheidung der Verdammten und Seligen beim Jüngsten Gericht. Südwestdt. Es kommt ihm, wie dem Bock die Milch: er begreift nur sehr schwerfällig. Nun ist der Bock fett: das Unglück ist da, die Sache hat ihren Gipfel erreicht (eigentl. ,Der Bock ist zum Schlachten reif'). Den Bock melken: etw. Vergebliches, ja Unmögliches versuchen, schon altgriech. und mlat. 1020 in der ,Fecunda ratis' des Egbert von Lüttich (Nr.519); dt. erst seit dem 17. Jh. bezeugt, z.B. in Straßburg 1658: ,,Was ists Wunder, wenn einer ein 147
Bock Bock melcket, der ander hebt ein durchlöchert Sieb unter, das kein Milch und Butter erfolge“; ähnl. auch bei Kant 2,94: „Der belachenswerte Anblick, daß einer den Bock melkt, der andere das Sieb unterhält“. Ndl. ,Het is den bok gemolken4. Wenn die Böcke lammen ist ein bes. in Nie- derdtl. gebrauchter volkstümlicher Ausdr. für,niemals4, z.B.,Blumenpingesten, wenn de Böcke lammet4 (/'Pfingsten). Der Bock stößt ihn sagt man von einem, dessen Oberkörper bei starkem Schluchzen, bei Schluckauf oder bei starkem Lachen ruckweise zuckt, wie mehrmals heftig ins Kreuz gestoßen. Dieser Stoß kann auch schmerzhaft sein und die Bdtg. ,Nachteile erhalten4 annehmen, wie in Hans Sachs’ Fastnachtsspiel4 von Nikolaus und Sophie (339): Sie wirt ein mal stoßen der bock, Wirt nit almal treffen ein Schaff, Sonder ein, der ir unzucht strafft. Übertr. z.B. ndd. ,He es vom Bock je- stoate4, er ist dumm, töricht. Heute hat die Rda. auch den Sinn: der Übermut, das Üppigsein (der Teufel) treibt ihn zu etw. Unvernünftigem. Die seit dem 16. Jh. belegte Verwünschung Daß dich der Bock schände! ist wohl mit dem Teufel in Bocksgestalt zu verbinden; sie ist auch heute noch mdal. verbreitet; schwäb. ,daß mich der Bock stoße!4 und ,Bock, streck mich!4 (/Bockshorn). Den Bock zum Gärtner setzen (machen): den Untauglichsten oder Ungeeignetsten •Jjalte fUU, fprid>( fyift ber SQocf, yd) Derfdjncibc bit bai 3opf. ,Den Bock zum Gärtner machen4 mit einer Aufgabe betrauen, der viel schadet und nichts nutzt. Vielfach ist der Bock abgebildet worden, wie er aufrecht auf einer hohen Staude oder an einem Strauch steht und die jungen Spitzen abfrißt. Die Rda. ist zuerst in einer Priamel des 16. Jh. belegt (A. Keller: ,Alte gute Schwänke4, Leipzig 1847, S.22). Auch bei Hans Sachs (IV, 3, 13b): dasz dir nit nachtnebel klein deine äugen verdunkeln than, sechst ein bock für ein gärtner an. Aus Danzig wird im 17. Jh. überliefert: „Wer den Bock zum Gärtner setzet, den Hund nach schmehr und die Katze nach bradtwürsten schikket, kriget selten etwas heimb“ (Ziesemer, Preuß. Wb. I, 691); /Katze. 1639 verzeichnet Christ. Lehmann in gereimter Sprichwortform (S.70): „Glaub, wo der Bock ein Gärtner wird, die jungen Bäume er wenig ziert“, sowie (S.397): „Man muß den Hund nicht so weit in die Küchen, den Bock nicht in den Garten, die Katz nicht zur Milch kommen lassen“. 1649 verzeichnet Gerlingius (Nr. 182): „Ovem lupo commisisti. Du hast den Bock zum Gärtner gesetzt. Dem Wolff hast du die Schäff befohlen. Der Katzen ist der Keeß befohlen44. Simon Dach reimt 1655 (Gedichte, 2,83): Denn wer Mägde läßt allein Setzt den Bock zum Gärtner ein. Vgl. ,den Habicht über die Hühner setzen4; lat. (Ovid): ,accipitri columbas credere4 = dem Habicht die Tauben anvertrauen; engl. ,to give a wolf the wether to keep4, einem Wolf den Hammel anvertrauen; frz. ,donner la brebis à garder au loup4. Eine ähnl. Bdtg. hat die Rda. den Bock auf die Haferkiste setzen: eine Sache verkehrt anfangen. Ndl. ,De bok stoot op de haver- kist4; schlesw.-holst. ,He geit dorop los as de Bock op de Hawerkist4, er ist emsig. Einen Bock schießen: einen Fehler, eine Dummheit machen; ndl. ,een bok schieten4. Die Wndg. leitet sich von der früheren Sitte der Schützengilden her, dem schlechtesten Schützen als Trostpreis einen Bock zu überreichen. Dieser Brauch ist bereits 1479 in Lenzkirch (Schwarzwald) nachzuweisen. Bock bedeutete urspr. ,Fehler4; ähnl. werden Tiernamen häufig zur Bez. von Verse- 148
Bockshorn hen gebraucht, z.B. Pudel, Ente, Lerche und Schwein. Wolf ist ein alter Organisten- ausdr. für einen Fehler im Orgelbau. Hans Sachs sagt von einem Buhler, den die Frau abblitzen läßt: Der zog davon und ward verdrossen Und hätt der einen Kuckuck geschossen. In seinem Fastnachtsspiel,Papirius Cursor* (270) sagt Hans Sachs: ,,Ir weiber schiest ain ferrn“ und im ,Neidhart4 (495): ,,Die weil ich hab ein trappen gschossen“. Frz. heißt ,faire un loup* schlechte Arbeit leisten, der überspringende Ton einer Trompete ,un canard*. In der Bdtg. Bock = Fehler gebrauchen wir heute noch etw. verbocken, auch tautologisch verstärkt zu Bockmist machen (Zusammensetzung zweier gleichbedeutender Ausdrücke: Bock = Fehler; Mist = Unsinn). ,Das ist gebockt*, sagt der Tiroler von jedem Mi߬ griff. Die Rda.,einen Bock schießen* ist zuerst Ende des 17. Jh. belegt, vgl. Abraham a Sancta Clara .Etwas für Alle* (S. 103): ,,einen groben Bock schießen**. Mdal. heißt ,einen Bock schießen* auch: vorwärts stolpern und fallen (z.B. obersächs.); vgl. dazu ,eine /Lerche schießen*. Wander (I, Sp. 418) gibt eine sekundäre Erklärung der Rda., indem er das Jagdabenteuer eines pomm. Edelmanns anführt, der kurzsichtig war und einen erschreckten Ziegenbock statt einer Schnepfe schoß. Im übertr. Sinn bez. Bock z.B. Arbeitsgeräte, wie Sägebock und Holzbock. Daher in den Bock spannen: auf schmerzhafte Weise bestrafen, in Schwaben schon 1525 belegt: ,,In ein Bock zwingen“. Bei Seb. Franck: „Drum soit man nit so alle Köpf in ein Bock begem zu zwingen“. Die Rda. ist auch in der Form belegt einen ins Bocksfutter spannen (z. B. schwäb. und Schweiz.). Gemeint ist damit eine bis ins 19. Jh. geübte Art der Bestrafung und Folterung, wobei dem Sträfling die Hände zwischen den Beinen durchgezogen und an einem unter den Kniekehlen durchgezogenen Stock befestigt wurden, so daß er weder richtig stehen noch sitzen konnte. Diese Tortur lebt hie und da noch in Knabenspielen weiter. Obersächs. kennt man für diese Strafe die Wndg. ,jem. in den span. Bock spannen* und die Drohung ,Wer wer’n dich in pol’schen Bock spann’*, Androhung der Strafe, ihm den rechten Arm mit dem linken Bein und den linken Arm mit dem rechten Bein nach hinten kreuzweise zusammenzuschnüren, nach Müller-Fraureuth I, 126 eine Erbschaft von den poln. Truppen. Die scherzhafte Frage Ist der Bock gesattelt?die sich erkundigt, ob jem. bereit zum Mitgehen ist, weist noch auf die alte Vorstellung vom Hexenritt auf Ziegenböcken. Lit.: Dt. Wb. II, S. 202f.; Wanderl, Sp. 414-418; Richter- Weise, Nr. 23 u. 24, S. 28-30; Göhring, Nr. 50 u. 51, S.35L; Krüger-Lorenzen I, S.41-43; Kluge-Götze, S.87. Bocksbeutel. Ein alter Bocksbeutel bezeichnet in Norddtl. das strenge Festhalten an alten, lächerlichen Gewohnheiten. Das Wort leitet sich von ,Booksbüdelk her, in dem die Frauen beim Kirchgang ihr Gesangbuch trugen. In einem ähnl. Beutel nahmen die Hamburger Ratsherren ihre Statuten mit ins Rathaus. Da sie mit der Zeit veralteten und sinnlos erschienen, sprach man von ,einer bloßen Booksbüde- lie*. Einem den Bocksbeutel anhangen: ihn lächerlich machen. Der Bocksbeutel ist auch die Bez. für die Flaschenform des Frankenweins. Bockshorn. Es gibt nicht viele Rdaa., die so rätselhaft sind und deren Bedeutungsgeschichte so vielgestaltig und widerspruchsvoll ist wie die: jem. ins Bockshorn jagen: ihn in die Enge treiben, ihn zaghaft machen, einschüchtern. Verwandte Wndgn. 149
Bockshorn sind: ins Bockshorn zwingen, treiben, stoßen, kriechen, blasen. Die frühesten lit. und hist. Belege gehören in das 16. Jh. und lassen erkennen, daß das Bewußtsein für eine alte Bdtg. schon damals verlorengegangen war. Das älteste seither bekannte Zeugnis bei Seb. Brant (um 1500) gibt keinen Hinweis auf die Entstehung: Teutschen seindt unverträglich narren, Thun ehe frydienst den ehrengenosz Dann das man sie in bockshorn stosz (,Narrenschiff4). In den Sprichwörtern4 von Seb. Franck (1541) heißt es: ,,drumb soit man nit so alle köpf in ein bockshorn begern und zwingen44, bei Geiler von Kaisersberg auch: „ich red us keine Bockshorn44, d.h. ohne Finessen, grob heraus; bei Luther: „Alle Welt ist erschreckt und überpoltert, bis sie endlich in ein Bockshorn ist gejagt44. Die Rda. ,in ein Bockshorn treiben4 hat Hans Sachs (1551): Mein Fraw meint, ich wer gar ein Schaff, Stellt sich so fromb vnd keusch (versteht), Sams nie kein Wasser trübet het, Wollt mich nur treibn in ein Bockshorn, Biß ich doch auch bin innen worn Irer frömbkeyt, drein sie sich bracht (Fastnachtsspiele, Ndr. 38, 230). Etwa gleichzeitig steht ,in ein Bockshorn zwingen4 bei Aventin (,Bayer. Chronik4, hg. v. Lexer 1, 809). Dasselbe begegnet ferner bei dem Nördlinger Pfarrer Georg Albrecht, 1665: „will vns denn der Pfaff allenthalben reformirn, vnd gar in ein Bockshorn zwingen?44 (,Fluch-ABC4 34). Bei dem schwäb. Jesuiten Konrad Vetter findet sich in seiner Übers, von Campianus Schräckengast (1599, Bl. A 4a) die Wndg.: „in ein Bockshorn verwickelt44. In Lohensteins ,Cleopatra4 (1661) heißt es von Lepidus: „Der in Bockshorn kroch, als ich den Brutus trieb und Cassius aus Rom44. Die Tatsache, daß gerade Luther „ins Bockshorn jagen44 sagt, hat wohl entscheidend dazu beigetragen, daß mit der Zeit nur ,jagen4 sich erhalten hat. Mit dem Eindringen in den lit. Gebrauch wird die Rda. immer mehr festgelegt. Von den bisher möglichen Verben bleibt nur noch ,jagen4 gebräuchlich (so bei Lessing, Hamann, Goethe): „Kann man euch Hundsvötter so ins Bockshorn jagen?44 (Lessing); „... und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen44 (Goethe). Ganz frei braucht endlich Pestalozzi die Wndg. : „Das ist endlich nicht so gar übel, doch bist du der Mann - sie wird dich nicht wollen in ein Bockshorn hineinschieben. — Nichts weniger, Vogt! ich möchte ihn gern aus dem Bockshorn, darin er steckt, heraus bringen44 (,Lienhard und Gertrud4 §5); sie findet sich bis in die Lit. der Ggwt.: „Der Kerl ist doch viel zu dumm, als daß Sie ihn nicht mit ein paar Kreuzfragen ins Bockshorn jagen können!44 (Zuckmayer: ,Das kalte Licht4). ,Hörnerspie]4 Zu einem alten „Hörner-Spiel“ der Kinder wird folgende Anweisung gegeben: Hoert ihr eins Thiers nammen geben das mit Hoernern ist bewehrt / alßdann ist ein Spiel ermehrt / daß ihr soit die Haend aufheben. Nicht so / wann es hornlos waer: Durch ein Beyspiel faßt die maehr. Auf / auf Bokshorn: Jetz dich strekke / weil der Bokk je hoerner hat und hiemit aufheben statt: Nimmer aber Hand aufrekke wann man ruft: Auf Eselshorn dann du kriegtest schlaeg im Zorn. Es folgt hier ein kurzer Überblick über die Deutungsversuche, die im Laufe der Zeit gemacht worden sind, denn die Rda. ist geradezu ein Musterbeispiel eines sprach-, bedeutungs- und brauchgeschichtl. Problems im Bereich der Wortforschung. 1. Wörtlichnehmen der Rda. Schon früh wurde unter Verzicht auf eine etymol. Er¬ 150
Bockshorn klärung der Vorschlag gemacht, es bei der buchstäblichen Anschauung des Hornes eines Bockes bewenden zu lassen. Vielfach argumentieren die Erklärer mit dem Schrecken, den angeblich der Bock einjagt, bes. wenn das Bockshorn als Teufelshorn aufgefaßt wird. Die Deutungen dieser Art sind sich allerdings meist nicht darüber einig, ob man gegen die Spitze des Hornes oder umgekehrt in sein Inneres gejagt wird: jem. so in die Enge treiben, einen so ,klein kriegen1, daß er in ein Bockshorn schlüpft und sich von dessen breiter Öffnung aus nach dem spitzen Ende verkriechen möchte. Das Schweiz. Idiotikon (II, 1622) erklärt die Rda. mit der Verwendung von Hörnern bei der Wurstbereitung oder beim Backen, wobei der Teig in ein Horn gestoßen wird. Das paßt zwar dazu, daß es in manchen Mdaa. heißt ,ins Bockshorn stoßen4, ergibt aber niemals die Bdtg. ,einschüchtern4. Andere Erklärungen verstehen Bockshorn in übertr. Bdtg. 2. Bockshorn als Raumbez., etwa als Bocksstall. Man hat festgestellt, daß in alten schwäb. (z.B. Augsburger) Schulen der Strafwinkel für eigensinnige Kinder „Bocksställe1 (Bocksställchen) genannt worden ist. Aber daraus hätte niemals die heutige Fassung Bockshorn werden können. 3. Anekdotische Deutung. K. F. Wander (I, Sp. 419) vermutet, die Rda. sei von dem Gelehrten Markus Zubrius Boxhorn herzuleiten, der anmaßende, sehr gelehrt sein wollende Burschen oft gehörig in die Enge getrieben haben soll, so daß man sie wohl fragte, ob sie ins Boxhorn gejagt worden wären. Diese Anekdote scheint aber rein ätiologisch erst zum Zweck der Redensartenerklärung erdacht, und es fehlt dafür jeder hist. Beleg. 4. Deutung aus einer anderen Sprache. Ital. ,dare Ferba cassia4 (altital. auch cac- cia). Da die Pflanze ,cassia fistula4 im Spätmhd. auch Bockshorn genannt wurde, nahm man an, cassia oder caccia (= Jagd) erschienen als „Bockshorn4 und „jagen4 in der dt. Rda. Dagegen spricht, daß a) Bockshorn = cassia (fistula) nur ganz vereinzelt auftritt; b) der Sinn der dt. Rda. von der ital. wesentlich verschieden ist, die ,den Laufpaß geben4, „wegjagen4 bedeutet; c) ins Bockshorn jagen nicht das Ursprüngliche ist, sondern zwingen, stoßen usw. (s.o.); d) es schwer vorstellbar ist, daß die urwüchsige und vielgebrauchte dt. Rda. der seltenen ital. nachgebildet sein sollte. Das Zusammentreffen von cassia = Bockshorn und caccia = Jagd ist nicht mehr als ein hübscher Zufall. Bockshornklee: Trigonella Foenum Graecum L. subsp. culta (Alef.) Gams a Habitus, a> Wurzel, Keimblätter und Primärblatt einer blüh- reifen Pflanze, b Keimpflanze, c Blattspindel mit Gelenken und Nebenblättern, d Blüte von unten, e Junge Hülsen, / Reife Hülse, g Same. 5. Botanische Deutung. In gewissen Gegenden ist der Name Bockshorn für bestimmte Pflanzen gebräuchlich. „Bocks- hörndl4 heißen etwa in Tirol die Hülsenfrüchte des Bockshornklees (Foenum Graecum). Alberus (1540) verzeichnet ,bubuli cornu4 = kühorn, bockshorn. Die Früchte der Pflanze haben nicht nur bockshornförmige Gestalt, sondern auch einen penetranten, nach dem Bock stinkenden Geruch. Dieses Moment würde ausschlaggebend sein: man bringt jem. in eine unangenehme Lage, indem man ihn in das stinkende Bockshorn(feld) jagt. Das Anbaugebiet der Pflanze ist zwar heute auf kleine verstreute Gebiete beschränkt, doch wurde sie in der Zeit, in der unsere Rda. zuerst auftaucht, allg. als Medikament gebraucht und häufig angebaut. Dennoch 151
Bockshorn wird hier nicht der Urspr. der Rda. zu suchen sein. 6. Deutungen aus altem Brauchtum. Mindestens im 16. Jh. war in einigen Gegenden Niederdtls. und im Harz ,Bockshorn4 oder ,Bockshornbrennen4 als Bez. für das Osterfeuer gebräuchl., in das das Vieh gestoßen wurde, um es gegen Dämonen zu schützen und fruchtbar zu machen. Der älteste Beleg stammt aus dem Jahre 1559 und betrifft die Stadt Hasselfelde: Als ,,die Kinder dort kurtz zuvor die Oesterlichen Feyertage über... das Osterfeuer, cder wie man es deß Orts nennet, den Bockshorn, vor dem Flecken brennen und dabey allerley Uep- pigkeit treiben gesehen, solches nachzuahmen, haben die einfältigen Kinder Strohe auf einen Schweinskoffen zusammengetragen und dasselbe angestecket“ (Zeiller- Merian: Topographie von Braunschweig und Lüneburg, 1654, 110). Die Rda. könnte von hier aus ebenfalls worth genommen werden: ins Bockshorn jagen = durch das Osterfeuer treiben. Im 12. Kap. von Johann Letzners ,Historia S. Bonofa- cij4 (Hildesheim 1602) ist die Rede von der Christianisierung: „Nach der bekerung aber, vnd als diese Leut Christen wurden, hat man auff demselbigen Hügel am Ostertage, mit der Sonnen vntergang, noch bey Menschen gedencken, das Osterfewr gehalten, welches die alten Bocksthorn geheißen“. Auch andere Belege für das Osterfeuer aus dem 17. und 18. Jh. verzeichnen ,Bocks-Thorn\ Im Anschluß an diese Form ist von Jac. Grimm, U. Jahn und anderen eine mythologische Erklärung (Zusammenhang mit den Böcken Thors und altgerm. Opferfeuern) entwickelt worden, die jedoch nicht mehr diskutabel ist. Der Ableitung der Rda. aus dem ndd. Osterfeuerbrauch widerspricht jedoch der älteste Beleg für Bockshorn, der sich im obd. Sprachraum (bei Seb. Brant) findet, ferner die Tatsache, daß in der ältesten Zeit auch der Wortlaut ,ins Bockshorn kriechen4 üblich ist, der unter keinen Umständen zum Feuersprung paßt. Der Sprung durch die Flammen des Osterfeuers ist übrigens keine Qual, sondern ein Volksfest. Die Lesart Bocksthorn (mit t) ist für einen Druckfehler gehalten worden. Doch liegt hier der Haupteinwand gegen die Oster¬ feuer-Deutung: Bocks-Thorn war um 1600 nicht nur die gebräuchl., sondern auch die richtige Form. Noch heute nennt man in Teilen des ndd. Sprachgebietes das Osterfeuer ,Paoskefüer4 = Pascha-Feuer; Thum ist der Turm von Abfallholz usw., der für das Feuer aufgeführt wird. In den Elbmarschen heißt das Osterfeuer geradezu Osterturm. Dieses hd. ,Osterturm4 entspricht genau einem ndd. ,Paosk-Thorn4. Aus ,Paosk-thorn4 wurde durch Metathese ,Paoksthorn4, daraus schließlich durch volksetymol. Umprägung Bockshorn, zumal sich die Rda. in die Bildhaftigkeit der Wortbdtg. nicht schlecht einfügte. 7. Deutung aus der ma. Folterjustiz. Es wurde angenommen, Bockshorn sei, in Anlehnung an den Namen ,Bock4, ein Folterwerkzeug gewesen, obwohl dafür bisher hist. Belege fehlen. 8. Deutung aus altem germ. Rechtsbrauch. Beim bair. ,Haberfeldtreiben4, einem brauchtümlichen Rügegericht und alten Rechtsbrauch, wird der Schuldige in ein Hemd gezwungen und ihm sein Sündenregister verlesen. Das Hemd, in dem der Delinquent erscheinen muß, ist an die Stelle eines Bocksfelles getreten, von dem das ganze Verfahren seinen Namen hat; denn ,Haberfeldtreiben4 ist eine volksetymol. Umbildung aus ,Haberfelltreiben4, und das Haberfell ist nichts anderes als ein Bocksfell (haber = lat. caper, der Bock). Bockshorn erklären H. Jaekel und A. Götze als volksetymol. Umbildung von einer allerdings nur erschlossenen Form *Bocksham, ahd. bokkes-hamo = Bockshaut. Gestützt wird diese Deutung dadurch, daß es in der älteren Zeit durchweg ,in ein Bockshorn zwingen4 heißt, wobei der unbestimmte Artikel deutlich auf einen konkreten Gegenstand weist; auch die Verben treiben, zwingen, kriechen usw. passen zu dieser Erklärung. Die Sinndeutung ist gewahrt, denn wenn jem. in ein Bocksfell getrieben wird (oder hineinkriechen muß), so wird er damit in Angst gejagt. Am deutlichsten schimmert noch die alte Bdtg. einer Strafmaßnahme durch in der Stelle aus Höniger von Königsh. ,Narrenschiff4 (199): „die conventsbrüder vermeinten, der apt wolt sie gar in ein bockshorn zwingen, dieweil er sie so heftig strafet44. 152
Boden 9. Deutung aus einer Fluchformel. Der Terminus ,Gottes Zorn4 als ein Wort der religiösen Sprache ist eine der bedeutsamsten Vorstellungen in der Religion der Juden und ist auch ins N.T. übergegangen. Da der Name Gottes ,nicht vergeblich geführt werden' darf, ist er in Flüchen, Verwünschungen usw. im Volksmund durch ähnl. klingende drastische Wortformen, vor allem durch ,Pox\ ,Box\ ,Potz\ ,Botz4 tabuartig ersetzt worden (z.B. in Box Marter, Blut, Kreuz, Sakrament, Blitz usw.). Vom 15. Jh. an finden sich massenhaft die mit Box usw. zusammengesetzten Flüche. Für ,Gottes Zorn' scheint ,Box Zorn' getreten zu sein, woraus in der volksetymol. Umwandlung unter drastischer Konkretisierung ,Boxorn\ ,Boxhorn', ,Bockshorn4 werden konnte. Das Genus machte keinerlei Schwierigkeit, da Zorn in der älteren Zeit Neutrum ist. Die urspr. Bdtg. von Bockshorn = Gottes Zorn ist klar erkennbar in dem bei Michael Lindener (,Katzi- pori4, 1588) bezeugten kräftigen Fluch: ,,boxhorn soll dich schänden, du dicke quadratische, viereckete Wampe!44 Ebenso sagte man: ,Daß dich Bocks Marter schänd4; ,Daß dich Bockshorn (Gottes Zorn) schänd!4. Hans Sachs setzt vergröbernd ,Hoden4 für ,Horn4: „das mich box hoden sehend und blend44. Eine andere groteske Erweiterung ist: ,botz rinderzahn und ochsenhorn4. Zur Popularisierung des Fluches trug gewiß bei, daß mit Bockshorn eine drastische Vorstellung vom /Teufel verbunden war. Keine der genannten Deutungen und Erklärungen kann Alleingültigkeit beanspruchen; vielmehr hat ein schon beim frühesten lit. Beleg nicht mehr verstandenes Wort immer neue Real-Substitutionen erhalten. Die Rda. ist in jedem Fall älter, als man nachweisen kann. Der Sinngehalt ( = verblüffen, in Verlegenheit bringen) hat sich unverändert erhalten; der Anschauungsgehalt des Bockshornes dagegen variiert und ist bis zur Unverstandenheit verblaßt. Trotzdem ist die Rda. noch heute allg. verbreitet und beliebt. Nicht trotz, sondern wegen der mannigfachen volksetymol. Umwandlung erhielten sich Wort und Rda.; und gerade das Rätselhafte, das nicht ohne weiteres Verständliche trug mit zu ihrer Erhaltung bei. Vielleicht hat auch die bewußte oder unbewußte Freude am ausdrucksvollen Wortklang an der Erhaltung und Verbreitung mitgewirkt. Lit.: A. Götze: Alte Rdaa. neu erklärt, in: Zs. f. dt. Wortf. 4 (1903), S. 330 f. ; H. Jaekel: ,Abba Äsega und Rêdjeva\ in: Zs. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. 40, N.F. 27, Germ. Abt. (1906), S. 121 ff.: E. Damköhler, in: Arch. f. Landes- u. Volkskde. d. Prov. Sachsen 22 (1912), S. 57-63: L. Günther: Von Wörtern und Namen (Berlin 1926), S. 9-17: H. Freudenthal:Das Feuer im dt. Glauben u. Brauch (Berlin - Leipzig 1931), S. 250; F. W. Zipperer: Das Haberfeldtreiben. Seine Geschichte und seine Deutung (Weimar 1938); W. Hart- nacke: ,1ns Bockshorn jagen', in: Neuphilologische Monatsschrift 13 (1942), S. 227L; Th. Heinermann: Bockshorn, in: PBB. 67 (1944), S. 248-269. Boden. Der Boden gilt als das Fundament, das Sichere und Feststehende. Die Rda. sich auf den Boden der Tatsachen stellen heißt deshalb: von einer sicheren Grundlage aus alles realistisch betrachten. Dagegen bedeutet die Wndg. sich auf schwankenden Boden begeben, daß unsichere Voraussetzungen mit einbezogen werden, daß man von Vermutungen ausgeht und von Zufällen abhängig wird. Die Rda. Der Boden wankt unter den Füßen hat einen doppelten Sinn: das Fundament einer menschl. Existenz bricht zusammen, aber auch: jem. hat einen starken Rausch. Die alte Vorstellung, daß sich der Boden auftun und den Menschen verschlingen kann, spiegelt sich in mehreren Wndgn. Der Boden tragt’s nit! oder Dieser Boden trägt solche Leute! und in dem Wunsch am liebsten in den Boden versinken zu wollen. Eine Beziehung zu Johannes dem Täufer als Wegbereiter besitzt vielleicht die Wndg. jem. den Boden ebnen (bereiten): Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Auf deutschen Boden kommen, scherzhaft für: die Schuhsohlen durchgelaufen haben. Auf deutschem Boden (deutschen Sohlen) gehen (laufen): barfuß gehen. Hat der Schweizer seine Schuhsohlen durchgelaufen, so sagt er: ,Er goht uf der tütsche Erde4, ,er lauft uf de tütsche Sole4. Obersächs. nicht auf deutschen Boden kommen: vor Geschäften immer in Bewegung sein, gleichsam in der Schwebe bleiben, nie zu einer ruhigen (ndd. ,boddenfesten4) Tätigkeit im Leben kommen. Der Boden brennt ihm unter den Füßen: seine Lage ist gefährlich und unsicher; ebenso der Boden wird 153
Bogen ihm zu heiß, bes. von Flüchtigen und Verbrechern gebraucht. Einer Sache ist der Boden aus: sie ist verloren, zu Ende; in Bayern gesteigert zu ,letz is n Himmel de Boden aus', jetzt ist alles zu Ende. Zu Boden gehen:hinfallen, zugrunde gehen, z.B. 1452 in der preuß. Geschichte von Schütz: „So hatte das gantze Regiment... durch innerliche Uneinigkeit müssen zu boden gehen“. Heute vor allem von Boxern gebraucht, wenn sie k.o. geschlagen sind. Eine Anzahl weiterer Rdaa. mit Boden bedürfen kaum einer Erklärung: den Boden unter den Füßen verlieren; an Boden gewinnen: Fortschritte machen (vgl. ndl. ,Veld winnen', frz. ,gagner du terrain', engl. ,to gain ground'); etw. aus dem Boden stampfen: wie durch Zauberei herbeischaffen. So hatte Pompeius schon geprahlt, es würden Scharen von Fuß- und Reitervolk aus der Erde steigen, wenn er auf Italiens Boden stampfe (Plutarch, Pompeius, cap. 57). Vgl. die Stelle in Schillers Jungfrau von Orleans' (1,3): „Kann ich Armeen aus der Erde stampfen?“ Ebenso ndl. ,légers uit de grond Stampen'. Auf guten (fruchtbaren) Boden fallen, entlehnt aus dem bibl. Gleichnis vom Sämann (Matth. 13,8 u. Mark. 4,8); daher ist diese Rda. auch in anderen Sprachen bekannt: ndl. ,in goede aarde vallen'; engl. ,to fall in good ground'. Von sauber geputzten Räumen sagt man: Darin konnte man vom Boden essen (so sauber ist es in ihnen). Dagegen bedeutet: den Boden leckendes Letzte verzehren, was man besitzt. Am Boden scharren: am falschen Ende sparen. Jem. zu Boden drücke///ihn überaus schwer belasten, so daß er sich wie unter einer Bürde beugen muß. Eine weitere Steigerung enthält die Rda, jem. unter den Boden bringen: ihn ins Grab treiben. Jüngere Rdaa. sind: etw. (jem.) den Boden entziehen: etw. gegenstandslos machen (jem. wirtschaftlich vernichten), einen gemeinsamen Boden finden: Übereinstimmung, ähnliche Ausgangspunkte, Probleme und Argumente haben. Im Zusammenhang mit dem Bombenabwurf im 2. Weltkrieg entstanden die Wndgn.: etw. am Boden zerstören: völlig vernichten, jem. am Boden zerstören: ihn heftig prügeln und völlig am Boden zerstört sein: kraftlos, fassungslos, niedergeschlagen, auch betrunken. Einen neuen Boden ins Glas legen gilt als scherzhafte Umschreibung für erneutes Einschenken. Eine Moral mit doppeltem Boden bedeutet die Anwendung verschiedener Maßstäbe. Bogen. Den Bogen überspannen: eine Sache zu weit treiben, ist wahrscheinl. abgeleitet von dem Sprw.,Allzu straff gespannt, zerspringt der Bogen', oder: ,Wenn man den Bogen überspannt, bricht er', das schon im Altertum bekannt war; bei Plutarch: „Arcus tensus rumpitur", ähnl. bei Phaedrus (III, 14, 10): „cito rumpes arcum, semper si tensum habueris", Dt. im ,Nar- ren-Nest' des Abraham a Sancta Clara: „Wisse, daß das Überspannen gemeiniglich den Bogen, die Faulheit aber das Gemüth bricht“. Vgl. ndl. ,De boog kan niet altijd' gespannen zijn', es muß zwischen Arbeit und Entspannung abgewechselt werden. Die ndl. Rda. ,verschillende pijlen op zijn boog hebben', verschiedene Mittel kennen, um zum Ziel zu gelangen, ist der dt. Rda. verschiedene Eisen im Feuer haben' sehr ähnlich; /Eisen. Große Bogen spucken: prahlen, große Worte machen, daher ,Bogenspucker', Großtuer,Prahlhans;seitdem 1. Weltkrieg bezeugt. Den Bogen heraus haben (auch spitz haben): eine Sache vollkommen beherrschen. Diese ebenfalls jüngere Rda. leitet sich vielleicht vom sportl. Bereich, vom Turnen oder Ballspielen her. Einen Bogen um jem. machen: ihm aus dem Wege gehen. Nordd. ,Das geht noch so durch den Bogen', es dürfte gerade noch genügen; gedacht ist hierbei wohl an den Torbogen, unter dem der hochbeladene Erntewagen gerade noch hindurch kann. Schwab. ,an den Bogen schenken' (von den Hochzeitsgaben, die man im Wirtshaus an einem durch die Feststube gespannten Seil auf- hängte). In Bausch und Bogen /Bausch. böhmisches Dorf /Dorf. Bohne. Da die einzelne Bohne so gut wie gar keinen Wert hat (Bohnen werden öfters als Ersatz für Spielgeld verwendet), bezeichnet sie schon seit dem 13. Jh. das Un¬ 154
BoHNENLIEI) bedeutende, Nichtige. Nicht die Bohne: durchaus nicht, nichts; keine Bohne wert: wertlos. Ähnl. sagte man früher auch: ,Nicht eine Erbse', ,eine Linse', ,eine Wicke gebe ich drum'. Seit dem Mhd. existiert eine Fülle von Belegen: Walther von der Vogelweide gebraucht im Hinblick auf die Freigebigkeit Kaiser Friedrichs: min vorderunge ist üf in kleiner danne ein böne, und im ,Tristan' Gottfrieds von Straßburg (V. 16875 f.) heißt es: sin hæten umbe ein bezzer leben niht eine bone gegeben. Als Tristan vom Riesen Urgan bedroht wird, erwidert er (V. 15989-91): weistuz nu wol, nu vürhte ich dine Stange unde dich niht eine halbe bone. Bei den Minnesängern heißt es von einem dünkelhaften Menschen: „der dunket sich mêr denne drier bônen wert" (Lexer I, S.325), und an einer anderen Stelle (Be- necke-Müller-Zarncke I, S.222): „er dunket sich in sinem schöpfe wol einlif bônen wert". Bei Luther (Heuseier Nr. 367): „Der Walhen (Welschen) Andacht und Deutschen Fasten möchte man beide mit einer Bohne bezahlen"; bei Geiler von Kaisersberg: „man kempfet umb ein sach, die nit einer bonen wert ist". In den heutigen Mdaa. ist die Rda. noch weit verbreitet; Schwab.,keine schimmelichte Bohne wert'; meckl. ,Dor kihr ’ck mi nich ne Bohn’ an', darum kümmere ich mich nicht. Ähnl. ndd. ,Dat sünd min Bohnen', das laß meine Sorge sein; westf. ,Et sind dine Bäunen nit', das geht dich nichts an. Andere schon frühnhd. belegte Wndgn. sind: Erbsen Bohnen sein lassen: etw. nicht sehr genau nehmen, fünf gerade sein lassen, z.B. bei Fischart (,Gargantua' 130a): „er liesz bonen erbsen sein"; aus einer Bohne einen Berg machen: etw. Unbedeutendes aufbauschen, etwa bei Geiler von Kaisersberg: „uszer einer bonen ein berg gemacht", und bei Eberlin von Günzburg: „Da wurd geurteilt, ja aus einer Bon ein Berg gemacht". Geld mir aus den Bohnen /’Bohnenlied. Bohnenspeise verursacht leicht Blähungen (vgl. das Sprw. Jedes Böhnchen - ein Tön- chen'), unter Umständen Beängstigung, Herzklopfen und in geringerem Maße auch Behinderung des freien Denkens. Daher wohl die Rda. Du hast Bohnen gegessen: du bist schwer von Begriff, dumm; vgl. ndd. ,Hast grote Bonen eten' und thür. ,Du hast wohl Bohnen gegessen', du bist wohl taub? (vgl. M. Höfler: ,Krankheitsnamenbuch', S. 115). Etw. anderen Ursprungs ist die am Niederrhein und in Holland verbreitete Rda. in den Bohnen sein: in Gedanken versunken, mit den Gedanken abwesend sein, vgl. ndl. ,in de bonen zijn'. Bohnen in den Ohren haben: schlecht hören können. Eine bes. verachtete Speise sind kalte Bohnen, daher südwestdt. als Abfertigung der Frage nach der Uhrzeit: ,s’isch dreiviertel uf kalte Bohnen!' und ndd. nach Anhören eines törichten Wunsches ,Wenn’t süß nix is als koll Bon un Buttermelk up’n Sünndag!'. Eine Bohne in einer Speise zu verstecken oder in einen Kuchen zu backen, ist ein alter Gesellschaftsscherz, urspr. am Vorabend des Dreikönigsfestes, heute bes. bei Gesellschaften junger Mädchen. Wer die Bohne in dem ihm zugeteilten Stück fand, wurde früher zum König des Festes, zum ,Bohnenkönig' erklärt; heute glaubt man, daß der Finder der Bohne sich als erster der Gesellschaft verloben wird. Daher sprw.: Er hat die Bohne (im Kuchen) gefunden: er hat einen guten Fund gemacht, er hat es getroffen; ebenso frz. ,11 a trouvé la fève au gâteau'. Jüngere Rdaa. sind: einem eine Bohne s tek- ken: ihn zurechtweisen, und Er macht sich durch die Bohnen: er flüchtet, dazu rhein. ,Met dem geht et en de Bohne', er wird bald sterben. Nach der blauen Farbe des Bleis werden seit dem 18. Jh. die Flintenkugeln als blaue Bohnen bezeichnet, z.B. bei E. M. Arndt: „da sät man blaue Bohnen, die nimmer Stengel treiben, bei Kolberg auf der Au". Daher die Wndgn. einem eine blaue Bohne einjagen und er weiß, wie die blauen Bohnen pfeifen; vgl. ndl. ,een blauwe boon' und engl. ,a blue pill (plum)'. Lit.: Wander I, Sp. 425-427. Bohnenlied. Das geht (noch) übers Bohnenlied, das ist mir übers Bohnenlied: das ist unerhört und unglaublich, es übersteigt jedes erlaubte Maß. Das Bohnenlied wird 155
Bohnenstange zuerst in den Fastnachtsspielen des 15. Jh. erwähnt. Das älteste Zeugnis dafür, daß es in Dtl. ein Lied von der Bohne gab, bietet vielleicht Walther von der Vogelweide (17,29) in einem Verspaar: waz êren hat frô Böne daz man so von ir singen soi? Es ist möglich, wenn auch keineswegs sicher, daß Walther hier schon auf die Bohnenlieder anspielt, für die wir die ersten Belege aus der Zeit um 1500 besitzen. Alle Strophen dieser Lieder schlossen mit der Zeile: ,,nu gang mir aus den Bohnen“ = laß mich ungeschoren, was jetzt noch im Elsaß gebräuchl. ist i. S. v.: geh deiner Wege, mit einem solchen Narren will ich nichts zu tun haben. Der Refrain bezieht sich auf den im 16. Jh. üblichen Witz „Wenn die Bohnen blühen, gibt es viel Narren“, wovon auch verschiedene Sprww. zeugen, z.B. ,Die Bohnen blühen, die Narren ziehen4. Vgl. ndl. ,Als de boonen bloei- jen, de zotten groeijen4. Von dem genannten Kehrreim hat das Bohnenlied seinen Namen erhalten. Es schilderte in mehreren Strophen alle möglichen Torheiten und Albernheiten der Menschen; seine Grundstimmung war auf die Fastnachtszeit hingerichtet. Überstieg eine Dummheit das im Bohnenlied gegeißelte Maß noch, so sagte man: ,Das geht noch übers Bohnenlied4. Schon in einem Luzerner Neujahrsschauspiel aus der 2. H. des 15. Jh. heißt es: diser sach bin ich fast müed, es ist mir übers bonenlied. Schon damals bezeichnete das Bohnenlied etw. Veraltetes, Abgeleiertes und Abgeschmacktes. Dieser Begriff der Geringschätzung konnte um so leichter auf das Lied übergehen, weil die Bohne schon seit alter Zeit das Bild des Nichtigen und Wertlosen war (/'Bohne). Als Spottlied ist das Bohnenlied auch in Anshelms ,Berner Chronik4 bezeugt. Danach wurden 1522 zu Bern zwei Fastnachtsspiele des dortigen berühmten Dichters und kunstreichen Malers Nik. Manuel öffentlich aufgeführt, eines, der Totenfresser4, „berührend alle Missbrauch des ganzen Babstthumbs uff der Pfaffen Fassnacht44, „das ander von dem Gegensatz des Wesens Christi Jesu und sines genanten Statthalters, des römischen Babsts uff die alte Fassnacht. Hiezwischen uff der Eschen Mitwuchen ward der römische Ablass mit dem Bohnenlied durch alle Gassen getragen und verspottet“. Auch Uhland benutzte 1859 die Wndg. in einem seiner Gedichte: Ihr fordert, daß ich Lieder singe, Mit Deutschlands Barden Glied an Glied? Der Anblick unsrer deutschen Dinge, Der geht mir übers Bohnenlied. Der Text des Bohnenliedes ist gedruckt bei F. M. Böhme, Altdt. Liederbuch, Leipzig 1877, S.435, Nr. 361; die erste Strophe lautet: Wer lützel bhalt und vil vertüt, der darf nit ston in sorgen, Das man im zletzt vergant sein gut, Kein Jud tût im drauf borgen. Wer nütze ding wil achten ring, sein selbs nit wil verschonen, dem sagt man bald, e daß er alt: nu gang mir aus den bonen! Von der Melodie sei wenigstens der Refrain gegeben: 5ßu gang mir au<o ben Sonnen!1 Die Rda. ,Das geht übers Bohnenlied4 war zunächst in Südwestdtl. heimisch und hat sich von dort allmählich über das ganze dt. Sprachgebiet verbreitet. Eine jüngere veränderte Redewendg. ist jem. das Bohnenlied singen: ihm den Laufpaß geben, ihm sagen, daß er nicht mehr erwünscht ist. Lit.: Wander hSp. 427; A. Kopp: Bohnenlieder, in: Zs. d. Vereins f. Vkde. 27 (1917), S. 35-49. Bohnenstange. Einem einen Wink mit einer Bohnenstange geben: ihm etw. deutlich zu verstehen geben. Die Länge der Bohnenstange führte zu dem übertreibenden Vergleich lang wie eine Bohnenstange, bes. von dünnen und hageren Personen gebraucht. Schwab. ,dümmer als ein Bohnenstecken4 ist wohl aus /Bohnenstroh entstellt oder mißverstanden. Bohnenstroh. Grob wie Bohnenstroh, gröber als Bohnenstroh: sehr grob. Arme Leute benutzten früher aus Mangel an Stroh ein Geschlinge aus getrockneten Saubohnenranken als Unterlage auf der 156
Bolzen Schlafstelle. In Thomas Murners ,Mühle von Schwindelsheim1 (1515) klagt ein Müller, daß ihm die Leute seinen Esel verwöhnten (Vers 1499): Bey mir war er von hertzen vro Wenn ich in legt ins bonen stro., Hans Sachs benutzt das Wort schon in der Rda., z.B. in einem Gedicht von 1558 (I, 541): ,,er ist gröber denn das ponstro“. Bei Lehmann (S. 350) heißt es 1639: „Von ungeschickten Reden und Schriften sagt man: Es seynd grobe Hobelspan. Es ist grob Dieng wie Bonenstroh“. Bei Gerlingius 1649 (Nr.223): „Stupidior Praxillae Adonide. Du bist gröber dann Bonenstro44. Auf Personen angewendet sagt man seit dem 19. Jh. auch dumm wie Bohnenstroh: sehr dumm. Die heutigen Mdaa. bieten noch viele Belege für diese Rdaa.; Schwab, heißt es verstärkt ,grob wie Säubohnenstroh4; schlesw.-holst. ,Hehett nix as Bohnenstroh un Röbenkruut hTn Kopp4, er ist ein Dummkopf; meckl. ,Dee hett up Bohnenstroh slapen4, er ist dumm; rhein. Bohnenstroh dreschen4, eine vergebliche Arbeit tun; vgl. ,leeres /Stroh dreschen4. Böhnhase. In dem Wort Böhnhase lebt ein Stück Erinnerung an das Zunftwesen vergangener Tage weiter. Wer ehemals ein Handwerk ausübte, ohne die Meisterrechte erworben zu haben, wurde mißtrauisch beobachtet und auch verfolgt. Mehrere humorvolle Bez. für solche pfuschenden Handwerker hat vor allem die nordd. Handwerkssprache bewahrt:,Dachhase4 = unzünftiger Zimmermann;,Sülfmeister4 = ein Geselle, der sich selbst zum Meister gemacht hat,,Stümper4 u.a. Für den unzünftigen Schneider begegnen zahlreiche Ausdr.: ,Winkelschneider4,,Schneiderfretter4, ,Störer4,,Hosenkoch4 und Berkenstecher4 ; der bekannteste ist Böhnhase. Dieses Wort war zunächst eine scherzhafte Benennung der Katze, ähnl. wie ,Balkhase4 oder ,Dachhase4, zu ,Böhn‘ = Boden, Bühne, mittelndd. ,bonehase4, ndl. ,beun- haas4, und ist dann auf den unzünftigen Schneider übertr. worden, der heimlich auf dem Dachboden sein unerlaubtes Gewerbe betrieb. Später ist das Wort auch für andere unzünftige Handwerker verwendet worden. Da die Zunftmeister das Recht hatten, die Ausübung eines Handwerks durch Nichtzünftige zu verfolgen, ergab sich die Rda. Böhnhasen jagen: Pfuschern nach- stellen, 1755 in Hamburg erstmals bezeugt. Das von dem Hauptwort abgeleitete Zeitwort böhnhasen bedeutet pfuschen, 1594 in Preußen belegt: „Hat Jemands gebön- haset, der soll 10 mark ablegen, ehe im vergunt wirdt, Meister zu werden44.- Wort und Rda. sind im obd. Raum nicht bezeugt, dagegen noch heute in Niederdtl., z.T. mit veränderterBdtg., z.B. meckl. ,Denn’ heb- ben wi dat Boehnhasen lihrt4, wir haben ihm das Geld beim Kartenspiel abgenommen. Lit.: Göhring, Nr. 53, S.36L; Kluge-Götze, S.89; Undqvist, S. 70 f. bohren /Brett. Bolzen. So schnell wie ein Bolzen: sehr schnell. Die Schnelligkeit des Bolzens dient schon Hans Sachs zum sprw. Vergleich: „so schwind als wie ein polz44. Alles zu Bolzen drehen: überkritisch sein, alles übel auslegen. Die meisten Holzarten dienen friedlichen Zwecken, nur wenige sind geeignet, daraus Bolzen zu drehen. Wenn einer alles zu Bolzen dreht, sieht er überall nur das Schlechte, Negative. So bei Seb. Franck, ,Sprichwörter4 1541 (1, 8a): „Es stelt sich mancher, als kön er nit drei zeln, oder als wolle er den gemeinen Nutz vor Lieb fressen und alles zu Bolzen treen, und kan im niemand gerecht gnüg sein!44 und bei Crei- dius,,Nuptialia41652 (2,300): „Wenn man in der Ee Einigkeiten pflanzen und erhalten will, so muß der Mann nicht alles zu Bolzen drehen, sondern bisweilen durch die Finger sehen44. Nordd. ist ebenfalls im 17. Jh. bezeugt: „Man muß nicht alles zu boltzen drehen, sondern fünff gerad sein lassen44 (Ziesemer I, 716). Bolzen gegen sich selber drehen: sich selbst Schaden zufügen. Seine Bolzen verschossen haben: mit der Weisheit am Ende sein, mdal. auch mit der Ne- benbdtg.: impotent geworden sein, z.B. schlesw.-holst. ,He hett sien Bolten all ver- schaten4. Die Bolzen verschießen, die ein anderer gedreht hat: die Anschläge, Ideen eines anderen ausführen. Das Gegenteil meint die Rda. Er dreht die Bolzen und läßt andere schießen. Schwäb. ,einem den Bol- 157
Bombe zen auf die Stirn setzen4, ihm zusetzen, ihn bedrängen. Heute bedeutet bolzen umg. auch: Fußball spielen. Bombe. Wie eine Bombe einschlagen, von einer unerwarteten Nachricht, bes. bei Unglücks- und Todesfällen. Die Bombe kommt zum Platzen (ist am Bersten): ein Unglück steht nahe bevor; vgl. frz. ,La bombe est près de creper4. Die Bombe ist geplatzt: die erwartete Nachricht ist eingetroffen, das Gefürchtete ist eingetreten; vgl. ndl. ,De bom is gebarsten4 und frz. ,La bombe a éclatée4. Die Rda. ist seit der Mitte des vorigen Jh. bezeugt. Mdal. (z.B. meckl.) gebraucht man ,Nu is de Bomb’ platzt4 auch von erfolgter Geburt. Mit Bomben und Granaten durchfallen: va einer Prüfung völlig versagen, ähnl. wie ,mit Pauken und Trompeten4 (/Pauke). Da schlage eine Bombe drein! hi ein jüngerer Ausruf des Ärgers und der Verwunderung; vgl. ndl. ,Daar zal eene bom springen!4 Zusammensetzungen des 19. Jh. wie Bombenerfolg4, , Bombenrolle4, .Bombengeschäft4, Bombengedächtnis4, Bombenhitze4 usw. entstammen zumeist der Schauspielersprache. Ein bombiger Abend ist ein bes. gelungener Abend, bei dem es Überraschungen und Knalleffekte gab. Das ist bombensicher (bombenfest): ei- gentl. so fest, daß selbst Bomben nicht schaden können, wohl von Gebäuden, Kellern usw. gemeint. Danach vom sinnlichen Begriff ,sicher vor Bomben4 zum unsinnlichen Begriff,ganz sicher4 entwickelt (Küpper I, S.75). Boot. Im gleichen Boot mit jem. sitzen: Freud und Leid mit ihm teilen müssen; wohl von Schiffbrüchigen hergenommen. Vgl. engl. ,in the same boat4, in der gleichen Lage. Jem. in sein Boot kriegen: ihn in seine Gewalt bekommen, daß er anderer Meinung wird. Bord, der oberste Schiffsrand, ist aus der Seemannssprache auch in die allg. Umgangssprache eingedrungen; vgl. die Wndgn. Ballast über Bord werfen: auf Überflüssiges verzichten; alles über Bord werfen: aufgeben, z.B. 1834 bei Raimund (Sämtliche Werke, S.473): ,,die düstern Sorgen werft all über Bord44. Klar Bord machen: Ordnung schaffen, auf- räumen. ,Er ist über Bord gegangen4 sagt man nordd. von jem., der um seinen guten Ruf gekommen ist, aber auch von einem Gestorbenen. Einen über Bord werfen: einen aus seiner Stellung entfernen; über Bord fallen: die Mittel für seine Existenz, seinen Arbeitsplatz verlieren, vgl. ndl. ,Hij valt over boord4; er ist wieder an hohem Bord: er hat sich wieder aufgerafft; sie sind nicht auf einem Bord: sie denken und fühlen verschieden, haben verschiedene Ansichten, leben nicht in gutem Einverständnis; so muß er mir nicht an Bord kommen!: eine solche Behandlung dulde ich nicht; vgl. ndl. ,aan boord körnen4, jem. mit Worten oder Taten lästig fallen. Lit.: W. Stammler: Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß (Berlin 1957), Bd.III. Borke. Zwischen Baum und Borke stecken /Baum. Borste. Mit Borsten werden in sprw. Rdaa. scherzhaft die /Haare bezeichnet, z.B. Mir stehen die Borsten zu Berge; ostpreuß. ,Du mußt en bei e Barschte nähme!4, du mußt ihn hinauswerfen, und sich in die Borsten fassen: sich zanken, streiten. Studentisch: Borsten haben: Geld haben. Bote. Der hinkende Bote kommt nach: hinter der guten Botschaft kommt oft die unangenehme nachgeschlichen, die Wahrheit kommt erst später an den Tag; ebenso ndl. ,De hinkende bode komt achteraan4; dän. ,Det haltende Bud kommer bagefter4; norw. ,Sannaste segni kjem sist4. 1559 zuerst in einer Übers, von Petrarcas ,Zwei Trostbüchern4 (100a) belegt: ,,Der hinkend bot kompt allwegen langsam nach44; ähnl. in Oldecops ,Hildesheimer Chronik4 (S.544): „Ik wachte na de hinkende bo- den44; in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (1,17) : ,,So dÖrfte villeicht auch wol der erste hinkende bote die zu spate reu sein44 und schließlich bei Georg Henisch (1616): ,,Der hinkende bot kompt allzeit hernach vnd bringet die gewisseste zeitung44. Der hinkende Bote ist ein Tabuwort für Unglück4; es hängt vielleicht mit dem unglückbringenden Teufel zusammen, der oft als 158
Braten ,Hinkefuß4 oder ,Hinkebein4 bezeichnet wird. Im Volksglauben bedeutet die Begegnung mit einem Hinkenden (Angang) Unglück. - Die Rda. ist bes. bekannt geworden durch den in Lahr (Baden) verlegten Volkskalender ,Der hinkende Bote4; daher auch schwäb. ,Er hinkt wie der Bote von Lahr4. Brandbrief. Einen Brandbrief schreiben (schicken): einen dringlichen Bittbrief um Geld schreiben; ndl. ,een brandbrief schrij- ven4. Der Brandbrief ist seit dem Spät-MA. in Nord- und Süddtl. bekannt und hat unterschiedliche Bdtg.: nordd. eine Art Fehdebrief, durch den das Abbrennen von Haus und Hof angedroht wird, südd. obrigkeitliche Verfügung, die zum Sammeln von Gaben für Brandgeschädigte berechtigt. Durch die Studentensprache des späten 18. Jh. ist das Wort neu belebt worden; es ist zuerst 1767 in Leipzig und später auch an anderen Universitätsorten nachzuweisen. Um seinen Eltern zu verdeutlichen, daß er völlig ,abgebrannt', d.h. ohne einen Pfennig sei, kohlte der Student die Ecke des Briefes ein wenig über dem Feuer an. Durch die Vermittlung der Studentensprache ist der Brandbrief mit seiner veränderten Bdtg. erneut in Umgangssprache und Mdaa. eingedrungen. Lit.: Kluge-Götze, S.95; Ebel, S.8. brandmarken. Jem. brandmarken: ihn zeichnen, ihm ein Brandmal einbrennen, übertr.: ihn öffentl. bloßstellen. Diese Rda. geht auf den bereits in der Antike bezeugten Brauch zurück, Verbrechern und flüchtigen Sklaven auf die Stirn oder auf den Arm ein Brandzeichen einzubrennen. Dieser Brauch war auch im ma. Dtl. üblich (Grimm, Dt. RA.4, S.298). Neben dem Stadtzeichen wurde dem Verbrecher das Sinnbild seiner Tat eingebrannt, z. B. dem Falschmünzer eine Münze in die Stirn. Schwerverbrecher trugen das Brandmal des Rades oder des Galgens auf ihrem Wege zur Richtstätte, auf dem sie von der zuschauenden Menge verhöhnt wurden. Brenneisen Eine Danziger Verordnung des 15. Jh. besagt: ,,Wer mit Lotterie und Riemenzeichen die Leute um das Ihrige bringt, soll das erste Mal gebrandmarkt, das andere Mal gesäcket und ersäuft werden44 (Ziesemer, Preuß. Wb. I, S.761). In Luthers Bibel- übers. findet sich l.Tim. 4,2: „die, so in Gleisnerei Lügen reden und Brandmal in ihrem Gewissen haben44. Lit.: Richter-Weise, Nr.26, S.31; H Sommer: Kultur- geschichtl. Sprachbilder (Bern 1943); Raab, S.30f. Braten. Den Braten riechen: etw. Angenehmes oder Unangenehmes schon von ferne oder zeitig merken, ahnen, wo eine Sache hinaus will; vgl. lat. ,nasum nidore supinor4 (Horaz, Sat. 2, 7, 37); frz. ,sentir la fricassée4. Schon Luther gebraucht die 159
Bratkartoffelverhältnis Rda. 1524 (,An die Ratherren'): „der Teuffel roch den braten wol, wo die sprachen erfür kernen, würde seyn reich eyn fach gewynnen, das er nicht künde leicht wieder zustopffen“, und an einer anderen Stelle: ,,ei Lieber, rechstu den Braten?“ In der ,Zimmerischen Chronik* (3, 547) heißt es: „Aber wiewol die Königin Leonora sonst keins scharpfen Verstands gewesen, iedoch kunt sie den braten wol schmek- ken“. Lehmann verzeichnet 1639 S.41 (Argwohn 20): ,,Argwohn wület im Dreck, der nich gepfercht ist, vnd kan die Kunst, daß er einen Wind reicht, ehe er ausbricht, vnd den Braten riecht, ehe das Kalb gestochen ist“. Schiller verwendet die Rda. in den ,Räubern4 (III, 2): „Ich rieche den Braten schon44. Auch heute ist den faulen Braten riechen noch sehr verbreitet. In der älteren Sprache hatte die Wndg. den Braten schmecken die Bdtg. ,schmarotzen*. In ß)en brarë fcbnmckë Scbmacfccn brcttlr i(l mcrn tum £5cbmorut5eno icb micb nymtner fcb* tHUe Rircbwibc/bruloift/irten Slno wo man frclicb ift ber wirten Bo kan icb al^eir vornan dort YPcnman bjalr louiftcb oor von Murners ,Schelmenzunft* hat der Schmarotzer den Beinamen ,Schmackenbrettly*. In der Erklärung zu der Illustration „den braten Schmacken** heißt es von ihm: Schmacken brettly ist myn nam Schmorutzens ich mich nymmer schäm Alle kirchwihe / brulofft / irten Und wo man frelich ist bey würten Do kan ich allzeit vornan ston Wen man bzalt louff ich dor von. Das ist Braten für ihn: es kommt ihm sehr gelegen, ist ihm erwünscht. Das ist ein fetter Braten: ein reicher Gewinn; diese Rda. findet sich sinngemäß schon bei Walther von der Vogelweide in einem polit. Lied, in dem er gegen die ungerechte Lehensverteilung Klage erhebt: Wir suln den kochen räten Sit ez in also hohe stê Daz si sich nicht versümen, Daz si der fürsten bräten Sniden groezer baz dan ê Doch dicker eines dümen. Wolfram von Eschenbach spielt auf diese Stelle an, wenn er im ,Willehalm* (286, 19) sagt: her Vogelweide von bräten sanc: dirre bräte was dicke und lanc... Dem Braten nicht trauen: eine Sache für verdächtig halten. Die Rda. steht vielleicht in Zusammenhang mit einer Fabel: Ein Bauer lädt ein Tier zu sich ein, doch dieses kehrt an der Tür um, weil es wittert, daß sein Gefährte bereits in der Pfanne des Bauern schmort. Es traut also diesem Braten nicht und fürchtet, selbst das nächste Opfer zu sein. Der Ausdr. Braten für ein ungünstiges Ereignis wird noch heute verwendet in der Rda. Da hast du den Braten!: die Bescherung, bei Unzufriedenheit, Ärger und Enttäuschung. Sehr gebräuchl. sind außerdem die Wndgn.: schwitzen wie ein Braten und An dem Braten hast du noch lange zu kauen: für die Lösung dieser schwierigen Aufgabe wirst du noch lange Zeit brauchen. Bratkartoffelverhältnis. Ein Bratkartoffelverhältnis haben (unterhalten): ein vorübergehendes Liebesverhältnis haben, das bes. wegen der damit verbundenen guten Verpflegung eingegangen wird. In Soldatenkreisen im 1. Weltkrieg entstanden, dient die Wndg. heute allg. zur Bez. der ,wilden Ehe* (/'Ehe). braun. Jem. braun und blau schlagen (gebräuchlicher ist jedoch: ,jem. grün und blau schlagen*): ihn durchprügeln, bis seine 160
Brei Haut farbig wird, vgl ndl. ,Hij is bont en blaauw geslagen4. Das Braun des Biers und des Kaffees ist in den folgenden Wndgn. gemeint: schwäb. ,den Braunen laufen lassen4, gerne ein braunes Bier trinken; ober- sächs. ,die braune Stunde4, die Nachmittagsstunde, in der Kaffee getrunken wird. .Dasitzen wie ein Brautsar' Brautsar. Dasitzen wie ein Brautsar: steif und unnahbar dasitzen wie die Braut im Hochzeitskleid. In dieser Rda. lebt ahd. saro, mhd. sar = Rüstung weiter. Ähnl. wie im Sächs. heißt es steir. ,dasitzen wie eine Bauernbraut4, behäbig dasitzen. Eine solche steif dasitzende Braut hat z.B. Rembrandt in dem von Simson erwählten Mädchen aus Thimnath auf seinem 1638 entstandenen Gemälde ,Samson, an der Hochzeitstafel Rätsel aufgebend4 dargestellt. Aber auch andere Darstellungen von Bräuten, z. B. auf P. Bruegels .Bauernhochzeitsbild4, zeigen dieselbe Gestik der Braut. Lit: L. Röhrich:Gebärdensprache und Sprachgebärde, S. 127. brechen. Mit jem. brechen: ihm die Freundschaft kündigen, jede Beziehung abbrechen; vgl. ndl. ,met iemand breken4, engl. ,to break with a person4. Die Wndg. brechend voll sein dient zur Steigerung; ein Raum, ein Saal ist so überfüllt, daß das Einbrechen des Bodens zu befürchten ist. Den Stab über jem. brechen: ihn verurteilen (/'Stab). Nichts zu brechen und nichts zu beißen haben: nichts zu essen haben (/'beißen). Etw. übers Knie brechen: eine Sache rasch abtun (/'Knie). Etw. vom Zaune brechen: einen Streit mutwillig herbeiführen (/'Zaun). Eine Lanze für jem. brechen: ihn verteidigen (/'Lanze). Das Eis brechen /'Eis; einem das Herz brechen /'Herz; das bricht ihm den Hals /Hals. Bredouille. In der Bredouille sitzen (sein): in Verlegenheit, in Verwirrung, in Bedrängnis, in der Patsche sein; ähnl. in die Bredouille geraten (kommen) und in Bredouille bringen. Die Rdaa. sind in der ,Franzosenzeit4 zu Beginn des 19. Jh. aus frz. ,être dans la bredouille4 = in der Patsche sitzen, übernommen; frz. bredouille = Matsch, übertr.: keinen Stich im Kartenspiel bekommen. Der Ausdr. ist heute noch in der dt. Umgangssprache und in fast sämtlichen Mdaa. geläufig, z.T. stark lautlich entstellt und in der Bdtg. verändert. Bair. ,in die Bredulti kommen4, in Verlegenheit kommen; meckl. ,in Padoll kamen4, in eine mißliche Lage geraten; ,ick bün mit em enne Perdoll kamen4, ich bin mit ihm in Streit geraten; ,dee is gant inné Perdoll4, er ist stark betrunken. Brei. Brei im Maul haben: undeutlich reden; schon bei Luther belegt: ,,sie mummeln, als hetten sie heiszen brei im maule44. Daher auch das noch heute gebräuchl. Schimpfwort ,Breimaul4. Jem. Brei ums Maul schmieren: ihn mit Versprechungen verlocken, ihn umschmeicheln. Einem Brei zu essen geben: seiner eigenen Kraft zuwenig überlassen. Jem. den Brei versalzen:ihm die Freude verderben, ähnl. wie ,jem. die /Suppe versalzen4. Eine zweite Parallele zur Suppe ist die Rda. Er hat ihm einen schönen Brei angerührt: er hat ihn in eine große Verlegenheit gebracht, vgl. ,einem eine Suppe einbrocken4. Den Brei selbst auslöffeln müssen: die Folgen allein tragen müssen. Brei ist die Lieblingsspeise der Kinder; daher: Laß dem Kind seinen Brei: verdirb ihm nicht seine Freude. Köl. ,Die han jet en der Brei ze brocke4, sie haben etw. zuzusetzen, sie sind wohlhabend. Dagegen: etw. satt haben wie kalten Brei: genug davon haben. Sich in den Brei mischen, seinen Brei dazugeben: sich in fremde 161
Breit Dinge einmischen, ähnl. wie ,seinen /Senf dazugeben4. Ndd. ,He hat in den Bre dan4, er hat dummes Zeug gemacht. Jem. zu Brei hauen: ihn durchprügeln. Um den Brei herumreden: nicht zum Wesentlichen kommen. Wie eine Katze um den heißen Brei herumgehen /Katze. ,In den Brei fallen4 sagt man holst, für: ,mit der Türe ins Haus fallen4. breit. Sich breitmachen: viel Platz beanspruchen, sich nach vorne drängen; ober- sächs. ,Der macht sich breet wie e loof’ger Käse4. Vgl. frz. ,se mettre sur son quant à moi4. Sich mit etw. breitmachen: sich einer Tat oder seines Besitzes rühmen. Etw. breittreten: es mit vielen Worten weitläufig behandeln; so sagt z. B. Goethe: „Getretner Quark wird breit, nicht stark44 (,Westöstl. Divan4). Sich breitschlagen lassen: sich. zu etw. überreden lassen; das Bild ist vom Metall genommen, das man zur Verarbeitung breit schlägt. Meckl. ,Dee is so breit twischen de Schullern as de Hiring4, er ist sehr schmal. Der breite Stein /Stein. Die Rda. vom Breiten leben: vom Kapital zehren, in Sachsen und Bayern bekannt, gehört nicht zu breit; sie heißt eigentl. ,vom Bereiteten (d.h. Ersparten) leben4. brennen. Es brennt: es eilt; hergeleitet von der Eile, die bei einer Feuersbrunst geboten ist. Wo brennt''s denn? fragt man einen, der es so eilig hat wie die Feuerwehr, die zum Feuer eilt; vgl. schon in Wolframs ,Parzival4 (647, 6f.): als du gâhest üzem fiure gebär mit rede und ouch mit siten. Sich brennen: mit Schaden davonkommen, sich gröblich irren; gemeint ist wohl eigentl. das unüberlegte Anfassen eines heißen Gegenstandes (,heißes Eisen4). Es brennt ihm unter den Nägeln (Fingern, Nähten): er hat es sehr eilig. Derber z. B. schlesw.-holst. ,Em brennt der Mors4, er kann nicht still sitzen, er ist unruhig und ungeduldig. Ihm brennt der Boden unter den Füßen: er flieht eilig (/Boden). Sich weiß brennen: sich zu entschuldigen suchen. Diese heute ausgestorbene Wndg. verdankt ihre Entstehung der Beobachtung, daß das ins Feuer geworfene Metall von seinen Schlacken gereinigt und schließlich weißglühend wird. Die äußere Wirksamkeit des Feuers wird in der Rda. auf das innere Leben übertragen, was auf alte religiöse Vorstellungen hindeutet. ,Weiß4 galt und gilt als Farbsymbol für die Unschuld und Sündlosigkeit (vgl. ,eine weiße Weste haben4). Die Läuterung des Schuldigen erfolgt im Fegefeuer, das ihn rein (weiß) brennt. Aber wahrscheinl. bewahrt die Wndg. auch die Erinnerung an die Gottesurteile. Oft war es die letzte Rettung eines Angeklagten, der seine Unschuld erweisen wollte, daß er sich freiwillig der Feuerprobe unterzog. Gelang es ihm, ohne Verletzungen das Feuer mit bloßen Füßen zu durchschreiten, galt er als unschuldig und blieb straffrei. Luther verwendet die Rda. sehr oft, z. B.: „weil sich der geyst so hell und weiß bornet44, oder: „daher auch das Sprichwort komt, so man von solchen entschuldigern spricht: ey wie weiß bornet er sich: es borne dich nicht zu helle44. Bei Andreas Gryphius (1, 293) findet man: „und siehst du nicht, dasz sie sich suchen weisz zu brennen?44 Sehr bekannt ist die Wndg. auch aus Heinrich von Kleists ,Prinz von Homburg4 (III, 1): .. .Eine Tat, Die weiß den Dey von Algier brennt... Das Meer ausbrennen wollen: eine törichte, unmögliche Arbeit verrichten. Nichts zu beißen und nichts zu brennen haben: sehr arm sein (/beißen). Köl. ,Dä kritt es jebrannt4, er wird empfindlich gestraft; /brandmarken. Einem das gebrannte Leid antun /Leid. ,Der brennt dem Tag (auch dem lieben Gott) die Augen aus4 sagt man obersächs. von einem, der abends zu zeitig oder morgens zu lange Licht brennt; ähnl. schwäb. ,ein Loch in den Tag brennen4. Von sehr leidenschaftlichen Menschen (Zorn, Liebe) sagt man Er brennt wie Stroh oder Er brennt, man könnte eine Laterne mit ihm anzünden. Vgl. lat. ,Lucernam accendere possis4. Auf etw, brennen: begierig, ungeduldig, neugierig sein. - Auch zur Steigerung wird brennen benutzt, z. B. in der Wndg. etw. brennend nötig haben: sehr nötig haben. Bresche. In die Bresche springen (treten): für jem. einspringen (in gefährlicher Lage), eine Lücke ausfüllen, mit seinem Körper 162
Brett die Lücke schließen; Bresche legen (schlagen): Bahn brechen. Der Ausdruck Bresche stammt aus dem älteren Kriegswesen und beruht auf frz. ,brèche" = Scharte, Riß, Lücke, Wallbruch, Öffnung in einer Festungsmauer, das, seinerseits germ. Ursprungs (fränk. *breka, zum Verb *brekan = brechen), Ende des 16. Jh. ins Dt. eingedrungen ist, z. B.: „Nachdem die Stadt an etlichen Orten dermaßen beschossen, daß die Bresches groß waren"1 (J. W. Gebhardt, ,Fürstliche Tischreden", 1597, S. 205). Seit dem 18. Jh. erscheint Bresche in mancherlei Übertr., so 1725 bei H. W. von Logau (,Poetischer Zeitvertreib", S. 262): Der Überwinder doch itzt das Vergnügen findet, daß er den Liebessturm auf holde Brechen stellt, und (um 1812) bei Goethe ^Sprichwörtlich"): Eine Bresche ist jeder Tag, die viele Menschen erstürmen. Wer auch in die Lücke fallen mag, die Toten sich niemals türmen. Die Rda. gehört schließlich zu den Lieb- lingsausdr. Bismarcks: „Habe ich nicht seit 1862 kämpfend auf der Bresche gestanden?"" (Reden VI, 116; und IX, 240:) „Jemand, der zwanzig Jahre lang für das Königtum auf der Bresche stand"" und: „Ich werde auf der Bresche sterben, so Gott will, wenn ich nicht mehr leben kann"". Eine Bresche in die Pastete machen: einen Vorrat angreifen. Brett. Das Brett bohren, wo es am dünnsten «/.•sich eine Sache leicht machen; eine Sache da angreifen, wo sie am günstigsten zu bewältigen ist. Die Rda. ist verwandt mit dem Sprw.,Faulheit bohrt nicht gern dicke Bretter"; ähnl. sagt man auch: Der bohrt nicht gern hartes Holz: er macht sich nicht gern viel Mühe. Schon Luther sagt in den ,Tischreden": „man boret nicht gern durch dicke brete""; Seb. Franck 1541: „Er bort nit gerne dicke Bretlin"". Bei Grimmelshausen heißt es im ,Simplicissimus" (II, 267): „Grobe Arbeiten zu verrichten, war mir ungelegen, weil ich nie gerne dicke Bretter gehöret""; in Christoph Lehmanns ,Florilegium politicum oder Politischer Blumengarten" von 1639 (S.40): „Wer sieben vor vngrad kan zehlen, der schneidt die Port am dünnsten Ort. Vnd läßt die grobe Port den Zimmermann bohren""; 1849 bei Justinus Kerner (,Bilderbuch aus meiner Knabenzeit", S. 102): „Ein fauler Geselle, der keine harten Bretter bohren will“. In ihrer heutigen umgangsspr. Form ist die Rda. seit Lessing belegt: „Bohre das Brett, wo es am dünnsten ist“. Ein Dünnbrettbohrer" ist umgangsspr. ein Schüler, der sich die Arbeit gern erleichtert. Die Mdaa. kennen die Rda. z. T. noch in positiver Wndg.; z. B. schwäb. ,Brettle bohre", sich hart und ausdauernd anstrengen, intensiv arbeiten; ,Hartholz bohren", schwere Arbeit tun. Ein Brett vor dem Kopf haben: dumm, beschränkt, verbohrt, töricht, einfältig, engstirnig, begriffsstutzig sein. Die Rda. stammt aus der bäuerl. Wirtschaft. Chr. Lehmann (,Schauplatz der natürlichen Merkwürdigkeiten" 652) schreibt 1699: „Stätige (d.h. störrische) Ochsen werden mit einem vor die Augen hangenden Bret- lein geblendet""; vgl. obersächs. ,mit dem Brete renn’n", dumm sein. Mit dem Brett ist auch das Joch der Ochsen gemeint. Die Annahme liegt nahe, dieses Brett beeinträchtige das Denken, zumal /Ochse ohnehin das Schimpfwort für den Dummen ist. Das Gegenteil zeigt die Rda. Der sieht durch drei (sechs, zehn usw.) Bretter: er ist sehr klug, z. B. Oldenburg. ,He kan dör’n oken (eichen) Brett kücken"; z.T. mit dem einschränkenden ironischen Zusatz: ,wenn ein Loch darin ist". Bretter schneiden: schnarchen; die Wndg. knüpft an das Geräusch der Brettsäge an (/Ast). Hier ist die Welt mit Brettern vernagelt: es geht nicht mehr weiter, wenn man vor einem großen Hindernis steht; hier ist das Ende. Die Wndg. geht auf eine Lügengeschichte zurück: Johannes Olorinus Varis- cus erzählt in seiner ,Ethnographia Mundi" 1608 unter anderen Lügengeschichten, jem. sei bis ans Ende der Welt gekommen und habe sie dort mit Brettern unterschlagen" gefunden. Eine Weiterentwicklung dieser Wndg. ist der Ausdr.,vernagelt sein" (/Nagel). Auf dem Brett liegen: tot sein; aufs Brett 163
Brett kommen; in die Bretter gehen: sterben. Diese Wndgn. sind von den .Totenbrettern4 zu verstehen, auf denen die Toten aufgebahrt wurden. ,,So er uf dem bret leit, so muz er gelten, swaz er sol“, heißt es schon 1406; vgl. die altbair. Rda. ,zum Brett brin- gen\ zum Gehorsam bringen; eis. ,ufs Brett nemmen4, töten. Z.T. ist mit den Brettern auch der Sarg gemeint, der umschreibend z.B. bad. ,die sechs Bretter4 genannt wird. Etw. auf einem Brett bezahlen: in einer Summe, auf einmal, bar bezahlen. Die Wndg. geht zurück auf das ,Zahlbrett4 und ist schon mhd. belegt: „Zellent drizig unze üf daz bret“ (Konrad Fleck, ,Flore4, V. 5073); die Rda. ist dann auch früh in übertr. Bdtg. angewandt worden und hat sich in den Mdaa. erhalten, z.B. holst, ,1k mutt dat to Brett bringen', das Geld an die Kasse abliefern, und nordostdt. in ironischem Sinne ,Eck war di wat op’t Brett legen4, ich werde dir was husten. Ans Brett kommen; (hoch) am Brette sein: eine hohe Stellung erhalten bzw. einnehmen; einen vom Brett schaffen: ihn aus seiner Stellung verdrängen. Diese frühnhd. Rdaa. beziehen sich noch auf ma. Bräuche: Brett ist hier = Tisch. Wenn bei ma. Festen die Gäste so zahlreich erschienen, daß man sie zur Mahlzeit im Burgsaale nicht unterbringen konnte, so wurden im Freien Tische und Bänke, roh aus Brettern gezimmert, aufgeschlagen, und nach dem Range wurden den Gästen die Plätze angewiesen. Wer dabei die Ehrenplätze innehatte, von dem sagte man, er sitze ,hoch am Brette4, alle aber waren wenigstens ,mit am Brette4. Die Wndg. wirkte noch lange nach. Geiler von Kaisersberg sagt in seiner ,Postille4: „Die Kinder Zebedäi lugeten, daß sie auch zu dem Bret kamen44; im ,Simplicissimus4 ist die Rede von der Zeit, da ,,auch geringe und schlechte Leute durch ihre Verdienste erhoben und hoch ans Bret gesetzet“ wurden; Schupp spricht von Leuten, die „mit zusammen gescharretem reichthume hoch an das Bret zu steigen gedenken“ oder die „durch einen heuchlerischen Fuchsschwanz hoch ans Bret gelanget44. In Stumpfs ,Chronik4 wird einmal berichtet: „Von den vorigen Haderleuten um die Ab- tay wurde keiner mehr zum Brett gelassen44, d. h. zum Abt gewählt. In Murners ,Narrenbeschwörung4 ist das 26. Kapitel überschrieben: „an das bret kumen“; darin heißt es: Ist es, als ich hab vernummen, das die stül auf die Bänk sind kummen, so will ich unverzweiflet han, ich kumm ans bret mit andern an. Wer ans bret nit kummen kan, der ist nit ein geschickter Mann. Dich hilft kein frumbkeit noch kein Bet (Bitte), man kumpt mit Schalkheit zu dem Bret. Bei Murner heißt es auch: ,mit brangen oben an dem bret4, d.h. bei Tisch oben sitzen, den Ehrenplatz einnehmen; vgl. auch Joh. Agricola in seinen Sprichwörtern4 (Nr.419): „Er ist nahe am brett, er ist hoch am brett. Das ist, er ist lieb und werdt gehalten, Wir sagen auch, Er sitzt oben am brett, das ist, hoch erhaben, Er ist zu hohen wirden vnd regiment körnen“. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 (72,19) steht die Rda. niemand zu Brette kommen lassen: „Die wüst rott hatt wißheyt vertrungen Vnd laßt sie nyeman zü dem brett44. Niedriges Volk darf überhaupt nicht mit am Tische sitzen; vgl. Lehmanns Erklärung: „Was auff der Banck gemacht ist, das tracht ans Brett44. Im Gegensatz zu diesem langen Tisch oder Brett steht die runde Tafel oder Tafelrunde des Königs Artus (,table ronde4), an der alles gleich im Range sitzt, damit sich keiner zurückgesetzt zu fühlen brauchte. Heute sind diese Rdaa. praktisch ausgestorben, doch finden sie sich gelegentlich noch in der Lit., z.B. „Einem Beschirmer des Landes zu folgen, den man gleich selbst ans Brett gehoben hätte44 (Lohenstein), und noch Goethe: ,, war selber nicht so hoch am Brett44 (,Ewiger Jude4). Ähnl. sagte Bismarck von einer Gesetzesvorlage: „Wenn Sie uns durch eine ganz bestimmte Weigerung nötigen, sie einstweilen vom Brette abzuschieben44. In den ndd. Rdaa. ,He schall vör’t Brett4, er soll vor Gericht, und ,1k will em wull vör’t Brett kriegen4, zur Rechenschaft ziehen, bedeutet Brett den Gerichtstisch; vgl. sächs. ,vorm heißen Brett stehen4, sich als Angeklagter verteidigen müssen. Bei jem. einen Stein im Brett haben. Die Rda. stammt vom Brettspiel (/Stein). 164
Brief Desgleichen die junge Rda. nicht alle auf dem Brett haben: nicht ganz bei Verstand sein. Wer beim Brettspiel nicht alle Figuren im Brett hat, ist dem Gegner unterlegen. Ans schwarze Brett kommen: in ungünstigen Ruf kommen. Das,schwarze Brett1 war zunächst die Tafel, an der in Wirtshäusern angekreidet wurde, was der einzelne Gast zu zahlen hatte. Aber schon seit dem 17. Jh. diente ein schwarzes Brett als Anschlagbrett für amtliche Bekanntmachungen, und zwar zuerst in den Universitäten. Über die Bretter gehen: gespielt werden, z.B. ,Das Stück ging 50mal über die Bretter*. ,Die Bretter* als Bez. der Bühne des Theaters sind relativ jung; urspr. ist dabei an das Gerüst der wandernden Schauspielertruppen gedacht. Wir finden die Wndg. dann bei Goethe (,Faust1 I, Vorspiel auf dem Theater, V. 39): „... die Pfosten sind, tern* wird das Leben des Schauspielers wie des Skiläufers umschrieben. Lit.: Wander I, Sp. 462; Richter-Weise, Nr. 27, S.32L; Büchmann, S, 256; C. Müller-Fraureuth: Die dt. Lügendichtungen (Halle 1881, Ndr. 1965),S.57; F. Lüers: über die Totenbretter in Bayern, in: Heimat und Volkstum 11 (1933), S. 3-40. Brezel. Das geht (nicht) wie s Brezelbacken: (nicht) sehr rasch, eine bes. obersächs. verbreitete Rda., die G.S. Corvinus 1720 in seinen ,Reifferen Früchten der Poesie* S.633 erläutert: Die Bretzeln schiebet man geschwinde In Ofen ein und wieder aus. Der Teig wird augenblicks zur Rinde, Mit Versen sieht es anders aus. Sich brezein vor Lachen: kräftig lachen und sich dabei wie eine Brezel krümmen, eine erst um 1920 aufgekommene Rda., vgl. ,sich kringeln*. ,Brief und Siegel* die Bretter aufgeschlagen** noch nicht als Rda., aber doch schon in einem Zusammenhang, der die Bildung der Rda. begünstigt. Schiller hat das Wort geprägt ,die Bretter, die die Welt bedeuten*. In Anlehnung daran hat O. J. Bierbaum die Kleinkunstbühne ,Brettl* genannt. Noch nicht auf den Brettern gestanden haben sagt man in gleicher Weise vom jungen Schauspieler wie auch vom noch nicht erfahrenen Skiläufer. Mit dem ,Leben auf den Bret- Brief. Einem Brief und Siegel geben: ihm die größte Gewißheit geben. Die Rda. stammt aus der Rechtssprache, wo Brief (von lat. brevis libellus),kurzes Schreiben*, ,Urkunde* (vgl. ,Breve* = Erlaß des Papstes) bedeutete, wie noch in den Ausdr. Adels-, Ablaß-, Meister-, Lehr-, Kauf-, Schuld-, Fracht-, Steckbrief, verbrieftes Recht*. Ein Brief ohne Siegel war als Urkunde rechtsungültig; daher die Formel ,Brief und Siegel* als Ausdr. eines vollgülti¬ 165
Brille gen Rechtsanspruchs. Seit dem 13. Jh. ist die Wndg. als Rechtsausdr. oft belegt; in frühnhd. Zeit erhält sie dann den übertr. Sinn einer,kräftigen Versicherung1, so z. B. in Seb. Brants ,Narrenschiff (76, 21): Vil hant des brieff vnd sygel guot, wie das sie sind von edelm bluot. Bei Luther: „Der Römischen Bann mit Siegel und Briefen zum kalten Bade führen“. Ausführlich erläutert die Rda. 1529 Joh. Agricola in seinen ,Sprichwörtern' (Nr. 369): „Wenn wir einen heymlich lugen straffen, sagen wir, wo er etwas saget, das wir nicht glauben, Ein briefflein were gut darbey, damit man solchs beweysen vnd warmachen mochte, Denn brieffe vnd sigil glaubt man gern, denn es sind viler leute Zeugnis vnd kundschafft darynnen“. Schiller 1803 (,Der Parasif II, 4): „So kann ich das zwar nicht, wie man sagt, mit Brief und Siegel belegen - aber Gott weiß es, die Wahrheit isfs, ich will darauf leben und sterben“. Keinen Brief von etw. haben: keine Gewißheit haben ; die ältesten Briefe zu etw. haben: die ältesten Ansprüche auf eine Sache haben. Den blauen Brief bekommen: die Kündigung im Betrieb bekommen. Schüler- sprachl. bedeutet ,der blaue Brief eine Mitteilung der Schule an die Eltern über schlechte Leistungen des Kindes und über eine gefährdete Versetzung in die nächsthöhere Klasse. Einen offenen Brief schreiben (ausgeben): jem. öffentl. angreifen, zur Rede stellen. König Christian VIII. von Dänemark gab am 8. Juli 1846 einen ,Offenen Brief zur Begründung seiner Ansprüche auf die Elbherzogtümer heraus. Durch,Offenen Brief wurde urspr. zum Kriegsdienst aufgerufen, vgl. Goethe ,Reineke Fuchs' (Gesang 5, V. 106f.): „Braun und Isegrim sandten sofort in manche Provinzen Offene Briefe, die Söldner zu locken“. Brille. Dazu braucht man keine Brille; das sieht man ohne Brille: die Sache ist vollkommen klar, leicht einzusehen; vgl. ndl. ,Dat kan men zonder bril wel zien‘; dagegen nordostdt. ,Ohne Brill is nuscht to moake‘, wenn etw. fehlt, was zu irgendeiner Verrichtung notwendig ist. Etw. durch die ,Durch die Brille der Kirche sehen' Brille (äuch durch eine fremde Brille) anse- hen: eine Sache nach fremder Eingebung, mit einem Vorurteil, einer vorgefaßten Meinung betrachten, z.B. ,durch eine rosige Brille‘, mit günstigem Vorurteil. Die Rda. ist in dieser Form schon lange ge- bräuchl. Luther schreibt: „Darnach nu sie solch gemahlte brillen für den äugen haben“. Noch deutlicher steht es bei Seb. Franck 1568 (,Paradoxa' 16): „Wer blitz- blaw brillen aufhat, dem scheinent alle ding blitzblaw“, d.h„ je nach Art der Brille erhalten die Dinge ein anderes Aussehen. Ohne gelehrte Brille lesen: mit gesundem Menschenverstand urteilen. Einem eine Brille aufsetzen: ihn täuschen. Schon in Murners ,Narrenbeschwörung' heißt es: Die frow gibt antwurt: lieber man, Nit sihe vns für semliche [d.h. so beschaffen] an, Du miest ein ander brill vff setzen. Der Kluge bedarf nach einer volkstüml. Vorstellung, die noch heute lebendig ist, der Brille nicht; er ,sieht mit eigenen Augen' und ,läßt sich keine Brille verkaufen'. Die Wndg. Brillen verkaufenund jem. brillen sind ungebräuchl. geworden, jedoch in den Mdaa. z.T. noch erhalten, z.B. ndd. ,Ik laat mi keen Brillen verkoopen', ich lasse mich nicht anführen. Im Eulenspiegelvolksbuch (Hist. 63) tritt Eulenspiegel u.a. als ,Brillenverkäufer' auf, und er treibt das Wortspiel noch weiter, wenn er darüber klagt, daß sein Gewerbe auf dem absteigenden Aste sei, weil so viele Leute jetzt ,durch die Finger sähen'. Das Wortspiel muß um 1500 sehr geläufig gewesen sein, 166
Brille 1/2 ,Brillen verkaufen^ denn wir besitzen auch eine ganze Reihe bildl. Zeugnisse, nach denen das Brillen- verkaufen offensichtlich als rdal. Wndg. für ,betrügen4 aufgefaßt wurde. Mehrfach kommt das Thema der jungen Frau vor, die PRO ST ITVTT VETVL9 WMMQSIOR AEFE IWENCAM Jemand brillen4 ihren alten Ehemann ,brillt\ um ihn mit einem jungen Mann betrügen zu können: Den kalten alten Mann ich brill, weil er’s doch gern so haben will. Auch Bruegel hat auf einem seiner graphischen Rundbilderden betrogenen Betrüger deutlich als Brillenverkäufer gekennzeichnet. Aus dem 16. Jh. sind auch Rdaa. bezeugt wie: ,es seind Brillen4, es sind faule Fische; ,Brillen reißen1, Flausen machen, Possen reißen. Oldecop erzählt von den Betrügern von Bologna, „dat se de veste, de Julius vor de stat gebuwet, mit underge- brachtem pulver ummegeworpen und den bril von der nese brohten44. In dem 1520 in Hildesheim aufgeführten Spiel ,De scheve klot oder de brilmaker unde de tein boven4 heißt es ganz ähnl. wie im Eulenspiegelbuch: sunder nu is min handtwerck scher gestoruen. dat kumpt van dingen, de nu sehen, dat me so wol kan dor de finger sehen, dar wert min handtwerck mede voracht. In einer Stelle, die Forchem seinem papyrus praetextatus4 (gedruckt in Lübeck um 1551) angehängt hat, finden sich die Verse: Ayn brillenköper wardt ick dar. Ick dachte nu heffstu beter war. Ick vor koeffte dar ock weinich van, Nein veheköper wolde daran. Darna erfor ick an der mehr, Wo eine nye kunst erfunden wer, Nemlick, dat me döerch de vinger sicht. Ick dachte, nu geldt din kramwerck nicht. Nu se so duerch de vinger seen, Moth ick ydt laten gar gescheen. Nu is ydt god pracherye Alle myne brillenkoeperie. ,Brillen verkopen4 = täuschen war dem mnd. Sprachgebrauch geläufig; ,dat bril- lensnîdent is afgekomen4 heißt: man sieht durch die Finger. Auch Faust wird ein ,selt- zamer brillenreißer aber und ebenthewer4 genannt (in der Übers, von Joh. Weiers ,De Praestigiis Daemonum4, dt., Frankfurt 1586). 167
Brimborium Els. ,e Bril vor d’Nas setze4, dem Nachbarn die Aussicht verbauen. Meckl. ,sich die Brille einfetten4, trinken (vgl. ,sich die Nase begießen4). Die Übertr. des Tiernamens Brillenschlange4 (= Kobra) auf die brillentragende weibliche Person gehört erst unserem Jh. an. Wegen seiner Form, und weil er auf die Klosettschüssel gesetzt wird wie eine Brille vor die Augen (Brille bezeich- nete urspr. ja das einzelne Brillenglas), heißt der Aufsatz auf dem Klosett ebenfalls Brille. In dieser Bdtg. steht das Wort in der Rda. ,Das Leben ist eine Brille: man macht viel durch4. Lit.: L. Mackensen: Zur Entstehung des Volksbuches vom Eulenspiegel, in: Germ.-Roman. Monatsschrift Bd. 24 (Heidelberg 1936),S.249f.;Beiträge zur Gesch. der Brille, hg. v. d. Firmen Zeiss und Marwitz (Oberkochen - Stuttgart 1958); L. Röhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, in: Bayer. Jb. f. Vkde. (1959), S.82 und Abb.33. Brimborium. Ein (großes) Brimborium um etw. machen: vieles Gerede, Umschweife, Vorbereitungen; lebendig nur als geflügeltes Wort aus Goethes ,Faust4 (I, 2650), wo Mephisto zu Faust in der Szene auf der Straße sagt: Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos; Doch bitt’ ich, laßt’s euch nicht verdrießen: Was hilft’s, nur grade zu genießen? Die Freud’ ist lange nicht so groß, Als wenn ihr erst herauf, herum, Durch allerlei Brimborium, Das Püppchen geknetet und zugericht’t, Wie’s lehret manche welsche Geschieht’. Das Wort ist mit lat. Endung aus dem frz. brimborion = Kleinigkeiten entnommen, das seinerseits aus dem lat. breviarium = kurzes Verzeichnis, Brevier, umgebildet ist. In dieser Bdtg. ist Brimborion4 schon bei Molière und Voltaire belegt (nach Littré). Das frz. Etymolog. Wb. von Wartburg verweist nicht auf lat. breviarium, sondern sieht in ,brimb4 und allen Zusammensetzungen Schallwörter. Brocken. Für einen die Brocken (Bissen) ans dem Munde sparen: sich alles versagen, gern Not und Mangel leiden, um einem anderen zu helfen, meist von den Eltern gesagt, die unter Entbehrungen ihre Kinder, bes. während der Ausbildungszeit, unterstützen; vgl. ndl. ,voor iemand de brokken uit den mond sparen4. Weder zu brocken noch zu beißen haben: am Notwendigsten Mangel leiden, nicht einmal trockenes Brot zum Einbrocken in eine Suppe besitzen. Die Brocken aus der Suppe fischen: das Beste für sich in Anspruch nehmen. Die Feststellung Das war ein fetter Brocken! meint eine gute Beute, ein einträgl. Geschäft, ebenso die Rda. einen fetten Brocken schnappen, die sich wahrscheinl. auf den Vergleich mit Tieren gründet (Hund, Vogel); vgl. ndl. ,Dat is een vette brok in zijn nest gesleept4. Mit einem dicken Brocken bezeichnet man auch einen Plumpen und Dicken, mit einem gesunden Brocken emen gutaussehenden, kraftstrotzenden Menschen. In Zusammenhang mit der Vorstellung von Brocken als wertlosen Dingen, Bruchstücken und Abfall stehen die Rdaa., die ,Brocken4 und ,Ausdrücke, Wörter4 gleichsetzen, z.B. nur ein paar Brocken einer Sprache können (verstehen, auf geschnappt haben): nur bruchstückhafte Sprachkenntnisse besitzen, oder mit gelehrten (lat. oder frz.) Brocken um sich werfen: gelehrt tun und in prahlerischer Weise Fremdwörter beim Sprechen gebrauchen, aber nur oberflächliche Kenntnissehaben. Jem. ein paar Brocken hinwer- fen:\hn mit wenigen Worten abspeisen, nur widerwillige und knappe Auskunft erteilen. Er teilt gute Brocken aus wird von dem gesagt, der sehr derb redet und sich starker Ausdr. bedient; vgl. lat. ,Lapides loqueris4. Jem. harte Brocken zu schlucken (kauen) geben: ihn tadeln, ihm die bittere Wahrheit sagen, aber auch: ihn vor eine schwierige, unangenehme Situation stellen. Damit in Zusammenhang steht die Wndg. Er wird an diesem Brocken zu kauen haben: er wird es schwer haben, dieses Hindernis zu überwinden; vgl. ndl. ,Daar is wat kaauwen aan zulk een brokje4. Ganz andere Bdtg. hat die Rda. Das ist ein starker Brocken! Sie umschreibt die Lüge und hat eine Geste als Ausgangspunkt: die Hand wird an den Hals gelegt, um dem allzu starken Bissen, der nicht so ohne weiteres ,geschluckt4 werden kann, Platz zu schaffen (/'Mund). Neuere Wndgn. sind: Das sind schwere Brocken: Artilleriegeschosse, sold, seit 168
Brot dem 1. Weltkrieg, und Bröckchen husten (lachen): sich erbrechen. Brot. Einem zum Brote verhelfen: ihm Arbeit und damit eine Verdienstmöglichkeit geben; auch einem Brot geben (verschaf- fen). Einem das Brot in die Hand geben: seine Existenz begründen helfen, ihm eine sichere und bequeme Ausgangsposition schaffen. Dagegen bedeutet einem Brot geben, wenn er keine Zähne mehr hat ihm erst dann helfen, wenn es zu spät ist, wenn er für einen Neuanfang keine Kraft mehr besitzt. Sein gutes Brot haben: sein gutes Auskommen haben, eine Arbeit verrichten, die etw. einbringt. Das Gegenteil meinen die Rdaa. : Das bringt (trägt) kein Brot ins Haus (in die Küche), vgl. lat. ,Non est de pane lucrando1, und Dabei ist kein trocken Brot zu verdienen, vgl. ndl. ,Daar is geen droog brood aan te verdienen'. Die Feststellung Er findet überall sein Brot ist sehr beruhigend und zuversichtlich und charakterisiert einen Menschen als geschickt und fleißig; vgl. frz. ,11 sait son pain manger'. Nicht das liebe Brot zu essen haben: das Notwendigste entbehren müssen. Diese Rda. ist schon bei Agricola belegt (Nr. 707): ,,Er hatt nicht das liebe brot zu essen. / Das brot / darumb wir bitten im Vatter vnser / hatt die gnade vber alle speise / auff erden / daß es niemant muede wirt / wieuil man auch sein neusset / so mä doch sonst alles dings / vberdrüssig vn muede wirt / wie wir wissen Alles fleyschs / alle lust aller speise / wie guet sie auch ymmermer sey / wirt mä sat / des brots aber nit. Zue dem / so wirt von Christo im Vatter vnser / da wir vnser narung vnd alles wz / zum eus- serlichen leben des menschë / dienet / von Gott bitten / alleyn des brots gedacht". Vgl. auch ndl. ,Hij heeft niet dat lieve brood te eten\ Eine Steigerung enthält der rdal. Vergleich aussehen, als ob man nicht das Brot über Nacht hätte: der Mangel und die Sorgen haben das Aussehen des Hungrigen verändert. Jem. kann mehr als Brot essen: er besitzt geheime Kräfte, ist der Magie kundig, er weiß sein Brot auch zu verdienen, er ist sehr klug. Bei dieser Rda. zeigt sich, daß der ur- spr. Sinn, etw. von der ,schwarzen Kunst' zu verstehen, in der städt. Umgangssprache verlorengegangen ist und nur noch auf dem Lande bekannt ist. Daß er früher allg. verständlich war, beweist eine Textstelle aus Gottfr. Kellers ,Grünem Heinrich' (III, Kap. 14): ,,Die blitzartige Schnelligkeit, mit welcher der Zufall spielte... brachte den Eindruck hervor, wie wenn die rosige Bankhalterin mehr als Brot essen könne, das heißt geheimnisvoller Künste mächtig wäre". Die Feststellung Dazu gehört mehr als Brot essen meint: es ist eine große Schwierigkeit zu überwinden, die bes. Kräfte beansprucht und mehr als normale Anforderungen stellt. Vgl. lat. ,Ultra peram sapit' und frz. ,11 fait plus que son pain manger'. Etw. stets zum Brote essen müssen: alle Tage dieselben Vorwürfe anhören müssen. Schon bei Fischart heißt es im ,Ehezuchtbüchlein' von 1578 ähnl.: „und wo sie eyn wenig eynen argwon wider sie schöpfen, müssen sie täglich auf dem Brot essen, wie sie von ihnen zu ehren und gut sint kommen". Heute sagt man auch dafür etw. aufs (Butter-) Brot geschmiert (gestrichen) bekommen; vgl. meckl. ,He givt mi dat up’t Brod to eten' und ndl. ,Hij geeft het hem op zijn brood'. Das Brot im Schweiße seines Angesichts essen müssen: sich sehr darum mühen müssen, ist eine bibl. Rda. und bezieht sich auf l.Mos. 3,19. Ähnl. Bdtg. hat die Feststellung Das ist ein sauer Bissen Brot: es ist sehr schwer verdient; vgl. ndl. ,Het is een zuur stukje brood' und frz. ,Cest du pain dur'. Das bittere Brot der Verbannung essen müssen bezieht sich auf Shakespeares ,König Richard II.', III, 2: „Eating the bitter bread of banishment". Es ist falsch Brot: es ist nur eine vorgetäuschte Freundschaft. Schon viel fremdes Brot gegessen haben: bereits weit in der Welt herumgekommen sein und in der Fremde viele Erfahrungen gemacht haben. Dasselbe meint die Wndg. Er hat von mehr als einem Brote gegessen; vgl. frz. ,11 a mangé de plus d’un pain'. Er ißt sein eigen Brot: er ist nicht von anderen abhängig; vgl. ndl. ,Hij eet zijn eigen brood'. Er ißt sein Brot nicht trocken: er ist 169
Brotkorb reich und kann sich etw. gönnen. Er ist ans Brot gewöhnt: es besteht kein Grund zur Sorge, daß er nicht wiederkommt. Er istfs, der das Brot austeilt: von ihm kommen alle Wohltaten, er verdient die Dankbarkeit. Brot in den kalten Ofen schieben (im kalten Ofen backen wollen) ist die Umschreibung für ein törichtes Beginnen, eine vergebl. Arbeit; vgl. lat. ,In frigidum furnum panes immittere' und ndl. ,Hij steekt brood in een kouden oven'. Das Brot ist schon im Ofen: dit Angelegenheit ist in Angriff genommen worden, eine Sache steht vor der Vollendung; vgl. ndl. ,Het brood is er al weêr in den oven gescho- ten‘. Einem das letzte Brot backen: sein Ende steht nahe bevor; ihm ist sein Brot gebak- ken: er wird bald sterben; sein Brot ist bald aufgegessen: er ist bereits über seine besten Jahre hinaus. Für einen Bissen Brot durchs Feuer gehen: um des Essens willen alles tun; etw. für ein Stück Brot hingeben: sehr wohlfeil verkaufen; vgl. lat.,Frusto panis'. Auch Seb. Brant warnt bereits davor: Der thut nicht recht, wer bei Gericht nach Freundschaft und nach Ansehn spricht, der selbst auch um den Bissen Brot Wahrheit und Recht zu lassen droht. Einem das Brot vor dem Munde abschneiden (wegnehmen): jem. um seinen Vorteil bringen, den er schon sicher zu haben glaubte. Bereits Geiler gebraucht die Rda. in seinem ,Narrenschiff' (24). Vgl. auch lat. ,Bolum e faucibus eripere' und ndl. ,Hij haalt hem het brood voor den neus weg'. Der Getäuschte sagt auch Das Brot ist mir aus den Zähnen gerissen worden; vgl. lat. ,Bolus ereptus e faucibus'. Von einem Geizigen und Mißgünstigen heißt es auch mdal. schwäb. ,Dear tat oim’s Bröckele Broat aus’m Maul, wenn’r könnt'. Von dem Unzufriedenen und Habgierigen sagt man Es ist ihm kein Brot genug; vgl. engl. ,Would you have better bread than is made of wheat?' Das Brot am Laden nehmen: aus Armut sehr wenig auf einmal kaufen können, auch: eine unordentliche Wirtschaft führen. Es ist Brot und Korb dahin: das gesamte Vermögen ist vergeudet. Bei den Alten war es Sitte, das Brot in Körben hereinzubringen; vgl. lat. ,Una cum canistro'. Einem Brot bieten und Steine geben: einen arglistig täuschen; vgl. lat. ,Melle litus gladius'. Er hat Brot für Kuchen genommen: er hat sich täuschen lassen. Das Brot mit Füßen treten: Lebensnotwendiges verächtlich und frevelhaft verschwenden und vernichten. Der Berliner sagt von einer Sache, die keinen Nachteil bringt, die nichts kostet: ,Dat frißt keen Brot'. Redensarten, wenn das Brotwverkehrfliegt. \ Die Frau, Magd ist Herr im Mause. * Du bist ein Sude. Es Kommt ein Jude ins Haus, ui Es gibt Streit. o Du legst das Glück aus dem Haus Es Kommt Unglück • Wenn ein Kind im Feuer (Brunnen) liegt und ein Brot ver • kehrt, Soll man erst das Brot umdrehen und dann das Kind aus dem Feuer liehen Es liegt ein Kind im Feuer + Die Armen Beelen leiden.weinen 'r'Die Mutt.ergottes weint. Enget weinen (Nach M Zender) Wenn das Brot verkehrt liegt, gebraucht man im Rheinl. verschiedene Rdaa., wie die Karte zeigt. Kleine Brötchen backen: bescheiden sein, nach anfänglicher Großsprecherei plötzlich um Verzeihung bitten, kleinlaut werden. Lit.: F. X. v. Schönwerth: Oberpfälz. Sprww. ,Brot‘ betreffend, in: Oberpfalz, 21 (Kallmünz 1927), S.52; M. Währen: Das Brot in den Stimmen der Völker (Bern o.J.). Brotkorb. Einem den Brotkorb höher hängen: ihn knapper halten, strenger behandeln, ihm den Verdienst sauer machen (so wie man dies bei einem übermütigen Pferd macht, dem man weniger Hafer gibt und den Futterkorb oder die Krippe höher hängt). In den ,Facetiae Facetiarum' von 1645 steht (S.408): ,,want in meiner Ge- 170
Brücke wait all stünde, ick wolle öhn den Brodt- korff balle upthain“; bei Gottsched lesen wir: „Wenn nur schindende Kaufleute nicht gemeiniglich den armen Arbeiterinnen ... den Brotkorb so hoch hingen, daß sie sich mit aller Mühe kaum des Hungers erwehren mögen“. In Schillers ,Wallen- steins Lager1 (11. Auftr.) mahnt der erste Kürassier: Lassen wir uns auseinandersprengen, Werden sie uns den Brotkorb höher hängen. Mit einem anderen Vergleich heißt es 1528 im,Laster der Trunkenheit4 (4b): „ Wir sollen den faulen Adam mit sporen reitten, inn zäum halten, das futter hoeher schütten, daz er nit zu geil werde4 4. Die Mdaa. enthalten z.T. verwandte Wndgn., z.B. bad. ,den Brotsack höher hängen4; westf. ,die Brautläupena (Brotschalen) häuger hangen4; schles. ,Ma mussem a Brudt-Kurb hieher hengen4. Die lit. und volkstüml. Belege zeigen, daß die Rda. oft als Drohung gebraucht wurde. ,Den Brotkorb höher hängen4 bedeutete also auch: einen zur Strafe einschränken. So nannte der Volksmund einen Regierungserlaß vom 22. 4. 1875 im Kulturkampf, durch den widersetzlichen Geistlichen die staatl. Zuwendungen gesperrt wurden, ,Brotkorbgesetz4. Vgl. ferner die verwandten Wndgn.: den Brotkorb zu finden wissen; auf dem Brotkorb sitzen und Hunger schreien. Bruch. In die Brüche gehen: zerbrechen, entzweigehen, fehlschlagen, in Schwierigkeiten geraten. Man hat versucht, diese Rda. von Bruch, aus ahd. und mhd. ,bruoch4 = sumpfige Niederung, abzuleiten (vgl. in die Binsen gehen, /Binse). Hierher gehört jedoch nur die Wndg. etw. in die Brüche werfen: als unbrauchbar und wertlos wegwerfen. Unwahrscheinlich ist auch die Ableitung von ndd. ,broke4 = Geldstrafe für den Bruch eines Gesetzes und von der heute ausgestorbenen Rda. in die Brüche nehmen: bestrafen. Die überzeugendste Erklärung hat bereits 1800 J. F. Schütze in seinem ,Holstein. Idiotikon4 (I, 159) gegeben, indem er die Rda. auf die Bruchrechnung bezog: ,,dat geiht in de Brök — es ist nicht gut zu teilen44. So sagt z.B. der Mathematiker Euler in seiner Anleitung zur Algebra4 1770 (II, 297): „Diese Arbeit scheint unserm Endzweck gar nicht gemäß zu seyn, indem wir hier auf Brüche gerathen sind, da wir doch für x und y gantze Zahlen finden sollten44. Der urspr. Sinn unserer Rda. war also: etw. geht nicht glatt auf, später übertr. zu: es wird zunichte, schlägt fehl. Westf. bedeutet ,Dat geiht me in de Brüche4 davon abweichend: es geht über mein Fassungsvermögen, es ist mir zu hoch. Einige jüngere umgangsspr. Rdaa. verwenden Bruch in der Bdtg. ,Körperschaden, Gebrechen4: Du hast wohl einen Bruch:du bist nicht ganz bei Verstand; sich einen Bruch lachen: sehr lachen (vgl. ,sich einen Ast lachen4); schwäb. ,Er schafft sich keinen Bruch4, er überanstrengt sich nicht. Das ist Bruch: das ist schlecht, minderwertig, unbrauchbar. Beim Transport zerbrochene Gegenstände, die nicht mehr verkäuflich sind, werden als Bruch bezeichnet; vgl. auch Ausdr. wie ,Bruchbude4 (baufälliges Haus) und ,Bruchkiste4 (antiquiertes Auto). Lit.: Richter-Weise, Nr. 29, S.33f. ; Trübneri, S.440; Küpper I, S. 78. Brücke. Einem die Brücke treten: ihm in Bedrängnis zu Hilfe kommen, bes.: sich eines Verfolgten oder Beschuldigten annehmen, zu seinen Gunsten sprechen; auch von zweien gesagt, die sich gegenseitig unterstützen und für einander Partei ergreifen: einander die Brücke treten. Unter der Brücke ist hier urspr. die Fall- oder Zugbrücke zu verstehen; sie lag so genau berechnet im Gleichgewicht, daß ein geringer Druck genügte, sie in Bewegung zu setzen. Der Torwächter konnte sie durch Treten auf ein Gegengewicht oder durch Treten auf die Brücke selbst herablassen und so dem, der in die Burg wollte, vielleicht einem Flüchtling, Eingang und damit den Burgfrieden, d.h. die Sicherheit der Burg, verschaffen. Die Rda. ist bereits mhd. im ,Alten Passional4 als „eine brücke treten44 belegt (Ausg. von Hahn, Frankfurt a.M. 1845, 339, 18); seit dem 18. Jh. wird sie in übertr. Bdtg. gebraucht. So begegnet sie u.a. in der am Anfang des 18. Jh. erschienenen Schrift,Sieben böse Geister, welche 171
Bruder heutiges Tages die Küster oder sogenannte Dorfschulmeister regieren1, wo von dem Schulmeister, der sich allerlei hat zuschulden kommen lassen, gesagt wird, er schicke seine Frau zum Pfarrer, „daß sie ihm die Brücke niedertreten solle“. In derselben Schrift heißt es, wenn die Visitation nahe, erwarte der Schulmeister, daß der Pfarrer ihm „den Rücken halte oder die Brücke niedertrete“. Ebenso bei Lessing: „Pfui doch, Lisette, erzürne ihn nicht. - Lisette: Was? ich glaube Sie treten ihm noch die Brücke“. Bedeutungsverwandt ist noch die ndd. Rda. ,1k mot jummer de Brugge dal treden\ das Hindernis beheben. Dem Feinde goldene Brücken bauen: ihm den Rückzug erleichtern; in übertr. Anwendung: ihm entgegenkommen, ihm Zugeständnisse machen; dem Gegner jede Beschämung ersparen, ihm den Weg zur Versöhnung frei halten. Vielleicht war mit der ,goldenen Brücke1 einst Bestechung zum Rückzug oder Übertritt gemeint. Die Rda. ist schon im 16. Jh. bei Joh. Fischart in der ,Geschichtklitterung‘ (1575, Ndr. S.406) belegt: „Thu eh dem Feind Thür und Thor auff, vnd mach jm ein gulden Prucken, daß er fort mög rucken“. Daneben gibt es auch noch die vereinfachte Form der Rda. Er baut andern eine Brücke (vgl. ndl. ,Hij legt de brug voor een ander1). So gebrauchte sie auch Bismarck: „Ich dachte: vielleicht gewinne ich die Herren, wenn ich ihnen die Brücke baue“. Wenn das Wort eine Brücke wäre! Zu ergänzen ist: dann wäre es eine Lügenbrücke, d.h. man könnte nicht darübergehen, ohne sich das Bein zu brechen. So sagt man zu einem Lügner oder Aufschneider. Geliert verwertete diese Wndg. in seiner Erzählung ,Der Bauer und sein Sohn1: Der Junge, der soeben aus der Fremde heimgekehrt ist, will seinem Vater weismachen, er habe einen Hund gesehen von der Größe eines Pferdes. Nach und nach nimmt er immer mehr von seiner Liige zurück, je näher er mit seinem Vater an eine Brücke kommt, von der ihm sein Vater erzählt, ein Lügner, der darüber gehe, breche ein Bein. Gellerts Erzählung beruht auf der 88. Fabel im 3. Buch des ,Esopus‘ v. B. Waldis: ,Vom lügenhaften Jüngling1. Auch die Rda. Über die Brücke möchte ich nicht gehen: das glaube ich nicht, geht vielleicht auf Gellerts Fabel zurück. Vgl. Th. Fontanes Brief v. 29. 1. 1894 an seine Tochter Martha: „auf die Brücke trete ich nicht“; /’Lügenbrücke. Alle Brücken hinter sich abbrechen: sämtliche Bindungen lösen, eine erst in jüngerer Zeit belegte Redewndg., die jedoch wesentlich älter ist und schon im Lat. ihr Gegenstück besitzt: „Pons a tergo abruptus est“ (Wander I, Sp. 485). In den obd. Mdaa. bedeutet ,Brücken machen1: alte Schulden mit neuen bezahlen; /Eselsbrücke. Lit.: R. Hildebrand: Wie die Sprache altes Leben fortführt, in: Zs. f. dt. Unterricht5 (1891), S.260ff.; K. Ranke: Lügenbrücke, in: Festschrift Matthias Zender - Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, hg. v. Edith Ennen u. Günter Wiegelmann, Bd.II (Bonn 1972), S.868-874. Bruder. Das ist mir (auch) der wahre Bruder (nicht) sagt man von einem, der einem nicht vertrauenswürdig erscheint, der kein rechter Gesinnungsgenosse ist, sondern ein falscher Bruder1. In der Bibel wird an einigen Stellen auf diese falschen Brüder angespielt, z.B. Gal. 2,4: „Denn da etliche falsche Brüder sich mit eingedrängt hatten und neben eingeschlichen waren...“ (vgl. l.Kor. 11,26). Bruder wird hier i. S. v. christl. Bruderschaft gebraucht. Welche Bruderschaft in der Wndg. unter Brüdern urspr. gemeint war, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. Die Rda. bedeutet soviel wie ,billig gerechnet1, ,in ehrlichem, freundlichem Handel, ohne Übervorteilung1, z. B. ,das ist unter Brüdern seine 100 Mark wert1; so sagt man unter der Voraussetzung, daß Brüder einander nicht zu übervorteilen suchen. Ähnl. nennt man es eis. ,Bruederlieb\ wenn jeder Spieler einen Stich beim Kartenspiel macht; umgekehrt aber, um anzudeuten, daß keine persönliche Rücksicht genommen werden soll: bair. ,Nix Bruadr in’n Gspil!1. Er ist ein nasser Bruder:ex ist ein Säufer, eine jüngere um- gangsspr. Wndg., ebenso gebildet wie warmer (schwuler) Bruder: Homosexueller; ein lustiger Bruder oder ein ,Bruder Lustig1 (vgl. KHM. 81 ). Neben der leiblichen Bruderschaft wird der Begriff Bruder also vielfach übertr. verwendet auf jede engere Bindung; vgl. die Ausdr. ,Amtsbruder1, ,Bundesbruder1, ,Waffenbruder1, ,Bluts¬ 172
Brunnen brüderschaft', ,Brüdergemeinde4, die Anrede der Mönche als ,fratres'. Brühe. In der Brühe sitzen (stecken): in Verlegenheit, in der Patsche sein. So heißt es 1523 in Königsberg; ,,Seine f.g. (fürstlichen Gnaden)... konten uns andern nie zu Preußen in der brue sitzen lassen"; und in Abraham a Sancta Claras ,Todten-Capelle' (S.249): ,,Wir sitzen in der Brüh". Eitlen in seiner eigenen Brühe kochen lassen: ihm in einer Verlegenheit nicht beistehen; ihn das auslöffeln lassen, was er sich selbst eingebrockt hat. Ähnl. die schwäb. Rda. ,eine Brühe ausessen, aussaufen', die üblen Folgen, bes. fremder Tat, tragen müssen; vgl. ,eine /Suppe auslöffeln müssen'. Ich habe die Brühe davon: ich habe keinen Vorteil davon, ich habe den Schaden davon. Urspr. lautete die Rda. wohl vollständiger: ,ich habe nicht die Brühe davon, geschweige denn das Fleisch'. Die Negation fiel aus; schon im ,Simplicissimus4 (3, 856) ist belegt: „Komm, wir wollen weiters, ich habe die Brüh von diesem groben, undankbaren bauren". Die Brühe verschütten: die Sache verderben, z. B. auch in der Form Er hat seine Brühe bei ihm verschüttet: er hat es mit ihm verdorben. Keine große Brühe mit jem. machen: nicht viel Umstände mit ihm machen, umgekehrt: eine lange Brühe um etw. machen: viel Umstände, unnütze Worte darum machen. Da man mit süßer und saurer Brühe verdorbene Speisen wieder schmackhaft machen kann, heißt es schwäb. ,eine süße Brühe daran machen', eine Sache beschönigen, und ,Da macht man eine saure Brüh’ drüber4 (zu ergänzen: und alles ist wieder in Ordnung). Verbreitet ist auch Die Brühe ist teurer als der Braten: das Beiwerk, das Drum und Dran ist kostspieliger als die Sache selbst. Das wird wenig Brühe geben: es wird wenig helfen; ähnl. in Köln ,Dat mät och de Bröh nit fett', das hilft nicht viel. Einem ein Brühlein geben: ihm einen Beruhigungstrank geben, ist bes. schwäb. bekannt. Weitere Wndgn: alles in eine Brühe werfen: verschiedenartige Dinge gleich behandeln, ihnen nicht gerecht werden (vgl. ,alles in einen /Topf werfen4) und immer dieselbe Brühe auf gießen: die Sache immer in derselben Weise behandeln. Klar wie Kloßbrühe /klar. brühwarm. Etw. brühwarm weitererzählen: eine Neuigkeit sofort weitersagen, sobald man sie vernommen hat, ohne zu überlegen, ob das soeben Gehörte auch der Wahrheit entspricht. Die Rda. ist seit dem 18. Jh. gebräuchl. und findet sich z.B. in Daniel Stoppes deutschen Gedichten4 (1722) S.94: Und trägt (der Pöbel) das balsamirte Wort Sogleich brühsieden warm zum dritten Nachbar fort. In der fränk. Mda. heißt es ,Ar trögt alles brüawarm ’nou (hin)4, er ist ein Ohrenbläser, ein Zuträger. Lit.: A. Birlinger: Lexikalisches, in: Zs. f. d. Ph. 26 (1894), S.239. brüllen wird häufig verwendet in sprw. Vergleichen, bes. brüllen wie ein Löwe, wie ein Ochse, bereits mhd. in Konrad von Würzburgs ,Trojanischem Krieg4; reht als ein ohse brüelen begunde er mit der stimme. Er brüllt wie ein Wolf, vgl. ostpr. ,Da bröllt wie e Lichtmesswulf4, ähnl. ,Da brüllt as an Rohädummel4, er singt laut und schlecht; auch ,Du kannst brölle wie e Storch'. Das ist ja zum Brüllen: sehr erheiternd, sehr komisch. Gut gebrüllt, Löwe!: treffend gesagt, ist ein Zitat aus Shakespeares ,Sommernachtstraum' (V, 1). brummen begegnet häufig in rdal. Vergleichen, z.B. brummen wie ein Bär; vgl. ndl. ,Hij bromt als een nordsche beer'; brummen wie ein Baß (wie eine Baßgeige). Ihm brummt der Kopf: er hat einen schweren Kopf, er hat Kopfweh; seit dem 18. Jh. bekannt. In den Bart brummen /Bart. Jem. muß brummen: eine Strafe absitzen, seit dem 19. Jh. in der Gauner- und Schülersprache. Schles. ,Er wird eine Brummsuppe bekommen', er wird eine Freiheitsstrafe zu erwarten haben. Brunnen. In den Brunnen fallen: zunichte werden; zuerst lit. bezeugt bei Hans Sachs: nun ich hoff seiner freuden schallen werd im plötzlich in brunnen fallen. Etwa zur gleichen Zeit wird die Rda. in einem Wiener Geschichtszeugnis des Jahres 173
Brust 1526 erwähnt; aber schon 1595 wird aus Preußen berichtet: „Haben die drey erbarn Rähte feine Ordenung in Kleidungen und Köstungen gemacht, ... sie ist aber bald in Brunnen gefallen“. Für Wien bezeugt um 1700 Abraham a Sancta Clara die Rda. mehrfach. In Judas der Ertzschelm4 (1692) heißt es: „Ist meine Hoffnung in Brunnen gefallen“; in ,Etwas für alle1 (1699): „Ihr Hoffnung fällt in Brunn“; ebenso in der ,Abrahamitischen Lauber-Hütt4 (1721). In ,Reimb dich oder ich liß dich4 (1708) schreibt Abraham: „Dafern mir nur die Gnad Gottes nit in Brunnen gefallen“, und in einer Erzählung in ,Huy und Pfuy der Welt4 (1707): „Ist also der Ochsen ihr Traum in den Brunnen gefallen44. Diese ausgiebige Verwendung weist jedenfalls auf die vollkommene Volksläufigkeit der Rda. hin, die sich bis heute nicht geändert hat und sich auch auf die Mdaa. erstreckt. Obersächs. ist noch zu Beginn unseres Jh. bezeugt: ,Die Partie is in’n Born gefallen4, sie ist zu Wasser geworden. Es ist bezeichnend, daß die Rda. nicht etwa nur für konkrete Gegenstände, die einfach in Verlust geraten, angewendet wird, sondern mit Vorliebe für abstrakte: Die Hoffnung, der Hochmut, all das kann auch in den tiefen Brunnen fallen, aus dessen schwarzer Tiefe es kein Wiederfinden oder Wiedergewinnen mehr gibt. Den Brunnen zudecken (zuschütten), wenn das Kind (Kalb) hineingefallen ist: zu spät Maßregeln zur Abwendung eines Unglücks treffen. Der Ursprung dieser Redewndg. ,Den Brunnen zuschütten, wenn das Kalb hin- eingefallen ist4 liegt wohl in einer Schildbürgergeschichte. Ähnliche Erzählungen liegen auch den folgenden Rdaa. zugrunde: ,Den Stall zuschließen, wenn das Pferd (die Kuh) gestohlen ist4. Dem Gewohnheitstrinker, der sich zu spät zu nüchternem Leben bekehrt, ruft Hans Sachs zu: So du dann wilt den stal zu machen, so ist dir schon heraus die ku. Auch in anderen Sprachen finden sich derartige Wendungen (vgl. ,Stall4); lat. »Accepto damno ianuam claudere4 = erst nach erlittenem Schaden die Tür schließen; ,grege amisso saepta claudere4 = das Gehege schließen, nachdem die Herde verloren ist; engl.: ,to shut the stabledoor, when the steed is stolen4 = die Stalltür schließen, wenn das Roß gestohlen ist; frz.: ,fermer l’étable, quand les chevaux n’y sont plus, quand les vaches sont prises4 = den Stall schließen, wenn die Pferde nicht mehr darin sind, wenn die Kühe gestohlen sind. In seinem großen Redensartenbild stellt P. Bruegel eine Variante unserer Rda. dar: ,den Brunnen zudecken, nachdem das Kalb ertrunken ist4. Eine unnütze Tätigkeit bezeichnet die nur mehr wenig volkstüml. Wndg. einen Brunnen neben der Quelle graben; wohl aus dem Lat. entlehnt: ,iuxta fluvium puteum fodit4. Eine Sache an allen Brunnen erzählen: sie zum Dorf- oder Stadtgespräch machen; beim Wasserholen gingen früher an den Brunnen die Neuigkeiten von Mund zu Mund. Erzählte man etw. an allen Brunnen, so war es keinem mehr verborgen. Lit.: Wander I, Sp. 492; L. Schmidt: Wiener Rdaa. Der Brunnen der Vergänglichkeit, in: Das dt. Volkslied 45 (1943), S. 61 f.; F. Lauchert: Sprw. und sprw. Rdaa. bei Abraham a S. Clara (Bonn 1893), S. 18; L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, in: Volk, Sprache, Dichtung, Festgabe für Kurt Wagner (Gießen 1960). Brust. Sich in die Brust werfen: stolz tun, sich ein Ansehen geben. Die Rda. ist zunächst ganz wörtl. zu verstehen: den inneren Menschen in die Brust werfen, so daß diese hervortritt. Ähnl. die Brust werfen und bereits mhd. sich brüsten. Dagegen heißt sich vor die Brust schlagen etw. bereuen (nach Nahum 2,8). Frei von der Brust weg reden: aus dem Stegreif, ohne Vorbereitung und falsche Rücksicht reden, vgl. ,frei von der /Leber weg4. Einem vor die 174
Buchholtz Brust springen: ihn sehr heftig anreden. Schwach auf der Brust sein: eigentl. der Lungenkranke, aber übertr.: kein Geld haben, zahlungsunfähig sein, eine jüngere witzige Redewndg., wobei an die leere Brieftasche gedacht ist, die der Mann in der Brusttasche trägt. Ähnlich ist die Rda. an Brustbeutelkatarrh leiden (auch: Portemonnaieschwindsucht): kein Geld haben. Seit dem 1. Weltkrieg üblich, da Geld und Papiere am sichersten im Brustbeutel verwahrt wurden. Einen zur Brust nehmen: einen trinken, studentensprachlich verbreitet und wohl von der Trinksitte herzuleiten, das volle Glas vor dem Leeren an die Brust zu nehmen, um damit jem. zuzuprosten. Etw. in seiner Brust begraben: ein Geheimnis fest verwahren. Die Wndg. etw. im Brustton der Überzeugung sagen wurde nach einem 1870 von Heinrich v. Treitschke geprägten Ausdr. zum geflügelten Wort. Buch. Wie es im Buche steht: mustergültig, tadellos, gebraucht zur Bekräftigung der Bedeutsamkeit und Glaubwürdigkeit einer Aussage oder eines Ereignisses. Diese Rda. bezieht sich auf die Bibel, in der bereits David von sich singt (Ps. 40,8):,,Siehe, ich komme; im Buch steht von mir geschrieben“. Er redet wie ein Buch: er spricht selbstgefällig und ohne andere zu Worte kommen zu lassen, er redet so fließend, als wenn er aus einem Buche abläse. In der bair. Wndg. ,Der redt wia-r-a Buach4 kommt das Mißtrauen zum Ausdr., das die Bauern, die nicht viel mit Büchern zu tun haben, dem Gedruckten und allzu großer Gelehrsamkeit entgegenbringen (s. J. M. Lutz: Bayrisch, 1932, S. 10). Die gleiche Rda. ist auch ndl. (,spreken als een boek4) und engl. (,to talk like a book4) gebräuchlich. Im schwarzen Buche stehen: in ungünstigen Ruf gekommen sein. Das ,schwarze Buch1 ist urspr. das Zauberbuch (so verwendet bei Walther von der Vogelweide 33,7), später das Verzeichnis der Bestraften und Ausgeschlossenen, vgl. nordd. ,We ware ans schwarz Buch komme4, wir sind ins Strafbuch eingetragen worden. Etw. ins große Buch schreiben: einem etw. hoch anrechnen (holst.). Zu einem Advo¬ katen, dem ein Bauer seine Sache vortrug, sagte dieser, da jener in einem kleinen Buch blätterte: „Herr, lest doch ut dem grôten Bôke, min Sâk is en grôte Sâk“ (Wander I, Sp. 499). Bei jem. im Buche stehen: bei ihm borgen, eigentl.: im Schuldbuche stehen. Die Nase ins Buch stecken müssen: tüchtig lernen müssen, /Nase. Das Buch der vier Könige aufschlagen (lesen): scherzhafte Bez. für das Kartenspielen; ndl. sagt man dafür ,Hij heeft den bij- bel von 52 bladden4. Das Kartenspiel wird auch des Teufels ,Gesang- oder Gebetbuch4 genannt, so schon 1568 bei Johannes Nasus und 1572 in Joh. Fischarts ,Aller Praktik Großmutter4 übernommen als Kalenderprophezeiung für den Februar: „Das kalt Wetter wird noch vil zitterens geben, bes. den Barfüßern, sie ziehen dann für Ofen und läsen im Buch der König vom Schellenkönig, wie der Kartenhäuser (,Karthäuser4) Übung ist44. Er liest gern in Büchern, wo man die Blätter mit dem Knie umwendetist eine ältere, vom Beischlaf gebrauchte Wndg., die auch heute noch mdal. weiterlebt, z.B. schwäb. ,in dem Buch lesen, das man mit den Knien aufschlägt4, Unzucht treiben. Ein Buch mit sieben Siegeln: ein geheimnisvolles Buch, auch: etw. Schwerverständliches, Unergründliches, hergeleitet aus der Offenbarung Joh. 5, 1-5. Vgl. engl. ,a sealed book4. Für jem. ein Buch mit sieben Siegeln sein (vgl. ndl. ,voor iemand een geslo- ten boek zijn4): ganz unbekannt, bezieht sich meistens auf einen Menschen, den man nicht durchschauen kann. Faust sagt zu Wagner: Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Fischart gebraucht die Wndg. in umgekehrtem Sinne: „Das Buch mit siben Sigeln aufthun44 (,Bienenkorb4 67a). Buchholtz. Dazu hat Buchholtz kein Geld nicht (sagt der Alte Fritz). Vom Alten Fritz wird erzählt, daß er mit diesem Bescheid Forderungen und Wünsche abzulehnen pflegte, die an ihn herangetragen wurden, bes. nach dem Siebenjähr. Krieg, als die Staatskassen erschöpft waren. Die Rda. 175
Büchse bezieht sich auf den preuß. Hofstaatsrentmeister und späteren Schatzmeister Friedrichs d, Gr. August Buchholtz (1706-98). Die berl. Rda. ,Denn kenn’n Se Buchholt- zen schlecht (flach) !' wird ebenfalls auf die Gewohnheit Friedrichs d. Gr. zurückgeführt, sich bei einem ablehnenden Bescheid auf seinen Schatzmeister zu berufen mit den Worten: ,,Da kennt er Buchholtz schlecht!" Dieser war sehr sparsam und suchte übertriebene Ausgaben daher abzusetzen, unnütze zu hintertreiben. In Berlin erzählt man zu dieser Rda. folgende Anekdote: Ein Geistlicher tröstet einen Sterbenden, er werde droben seine Lieben Wiedersehen. Der Sterbende ängstlich: ,,Herr Predjer, Buchholtzen ooch?" Der Prediger: „Gewiß, wenn Buchholtz als Christ gestorben ist." „Hurrjott, denn jeht det Luderleben daooch wieder los!" ,,0, mein Freund, dort nähren wir uns von himmlischer Speise, und auch Buchholtz wird dort ein himmlisches Leben führen!" „Ach, Herr Predjer, denn kenn’n Se Buchholtzen schlecht!" (Vgl. Büchmann, S. 673). Als Schwank erzählt bei Asmus-Knoop, Kol- berger Volkshumor, Köslin 1927, Nr. 96). Lit.: Mitteilungen des Ver. f. d. Gesch. Berlins (1912), Nr. 2, S. 22; Richter-Weise, S. 231; L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, in: Volk, Sprache, Dichtung. Festgabe für Kurt Wagner (Gießen 1960); H. Meyer: Der richtige Berliner, 10. Aufl. (München 1965). Büchse. In die Büchse blasen war eine vom 16. bis zum 19. Jh. gebräuchliche Rda. Ihr urspr. Sinn ist: sich schminken, in die Schminkdose blasen, so daß sich der feine Staub auf die Wangen legt und sie färbt; bezeugt z.B. bei Geiler von Kaisersberg: „es seind die, die in das Büchßlin blosen, daz sie ein ferblin empfahen". Die jüngere Bdtg. der Wndg. ist: Geld, Strafe bezahlen müssen; so meckl. ,in de Büsse blasen1, eine Summe in die Büchse einzahlen, die für Strafgelder innerhalb einer Zunft bestimmt ist. Belegt bei Ayrer (138a): so musz er uns ind püchsen blasen und ihm ein federn ziehen lassen, dann umbsonst arbeit wir nicht gern. Vgl. ndl. ,in die beurs (bus) blazen\ Zuletzt wird die Rda. gebraucht i. S. v.,bestechen1, wohl unter dem Einfluß der älteren Wndg. mit der goldenen (silbernen) Büchse schie¬ ßen: bestechen, vgl. ,mit dem Judenspieß rennen' (/Jude); /Beutel. Aus einer Büchse geschmiert sein: von gleicher Art sein, aus dem medizin. Bereich der Salbenbüchse hergenommen; z.B. ober- sächs. ,Die sin aus eener Bichse geschmiert1, sie sind gleich und gleichartig zu behandeln, es ergeht dem einen wie dem anderen (Schelte für Weiber). Er ist wie die Büchse Pandoras: allen Lastern ergeben. ,Die Büchse der Pandora' nennen wir etw. Unheilbringendes. Hesiod erzählt (Werke und Tage, 94ff.), daß die Menschen ohne Drangsal lebten, bevor ihnen Zeus zur Strafe für den Raub des Feuers durch Prometheus die Pandora mit einem verschlossenen Gefäß sandte, das alle Übel enthielt. Als sie den Deckel öffnete, blieb nur die Hoffnung in der Büchse zurück; vgl. ndl. ,Dat is de doos van Pandora'. Lit.: Büchmann, S. 109f. Buchstabe. Sich auf seine vier Buchstaben setzen: sich hinsetzen, umschreibend für ,sich auf seinen Popo setzen1, zuweilen mdal. auch derber; in Schlesw.-Holstein drei Buchstaben für ,Ars'; in Nordostdtl. und Süddtl. fünf Buchs tab en für /,Arsch\ Schwäb. ,ein paar Buchstaben fortschik- ken', einen kurzen Brief absenden; ,der sieht die Buchstaben doppelt', er ist betrunken. Sich zu sehr an den Buchstaben halten: sich starr an den Wortlaut halten. Jem. nach dem (toten) Buchstaben verurteilen: sich nur an die Paragraphen halten, ohne selbständig zu denken. Den Buchstaben des Gesetzes erfüllen: etw. formal erledigen und dabei dem eigentl. Sinn des Gesetzes nicht gerecht werden. Buckel hat nhd. vielfach die Bdtg. von ,Riicken' angenommen; mhd. aber war ,buckel' zunächst die erhabene Rundung aus Metall auf der Mitte des Schildes. Die Übertr. des Schildbuckels auf die menschliche Gestalt (vermutlich über die Bdtg. ,Höcker') seit dem 15. Jh. ist sicher zunächst als grober Spaß aufgefaßt worden: Der Buckel juckt ihn: er benimmt sich so, daß er bald Prügel erhalten wird. So bereits bei Luther; in Ludwig Uhlands Volksliedern' (249, 4) spricht der rauflustige Bauer: 176
Bude tut dich der buckel jucken, so lain dich her an mich! Ähnl. schon bei Plautus in seinem Lustspiel ,Miles gloriosus4 (II, 4): „dorsus totus prurit44 = der ganze Rücken juckt. Jem. den Buckel blaufärben: ihn so stark prügeln, daß er blaue Flecken bekommt, lit. belegt in Schillers ,Räubern4 (II, 3): „eine Todesfackel... die ihnen den Buckel braun und blau färben soll44; ähnl. ndd. ,den Pückl smärn, den Pückl fläuen4 (flöhen), durchklopfen. Einen breiten Buckel haben: viel aushalten können, ähnl. wie ,einen breiten /Rücken haben4. Eitlen krummen Buckel machen: vor einem Vorgesetzten demütig Verbeugungen machen, vgl. ,katzbuckeln4, sich unterwürfig benehmen. Etw. auf seinen Buckel nehmen: die Verantwortung für etw. auf sich nehmen, wobei die übernommene Aufgabe als beschwerliche Last empfunden wird. Ähnl. in der Rda. viele Jahre auf dem Buckel haben: eine Last von Lebensjahren auf dem Rücken tragen (alte Leute gehen gebückt); z.B. Achtzig auf dem Buckel haben: achtzig Jahre alt sein. Vom Menschen auf das Auto übertr. auch 100000 auf dem Buckel haben: 100000km gefahren sein. Steig mir den Buckel 'rauf! und Rutsch mir den Buckel ’runter! sind weitverbreitete Wndgn., mit denen man Ablehnung und Verachtung ausdrückt. Der Wiener sagt ,Sie können mich Bucklkraxentragen4, d.h. auf dem Rücken wie einen Rückenkorb tragen. Sich den Buckel voll lachen: kräftig lachen. Beim Lachen krümmt und windet sich der Mensch u.U. so, daß er wie bucklig aussieht; mdal. auch ,sich die Hucke voll lachen4; vgl. ,sich einen /Ast lachen4 und ndl. ,zich een bochel lachen4. Obersächs. ,Där hot sich keen Buckel gefolln4, er ist nicht zu Schaden gekommen. bucklig. Ein bucklig Männlein sein: immer im Weg stehen, Vorhaben hindern und Pläne vereiteln, Schabernack spielen und Schaden zufügen wie ein koboldartiges Wesen, das unberechenbar ist. So erscheint das bucklige Männlein auch im Kinderlied als angeblicher Urheber allen Mißgeschicks, das gern einem anderen, nicht der eigenen Ungeschicklichkeit zugeschrieben wird. Eine eis. Variante lautet: Wenn ich in mein Gärdel geh Will die Zwibwele jädde, Steht e buckli’s Männel do, Will mi alsfurt dredde (treten). Auf der Abb. stellt das Männchen sogar ein Bein, um jem. zu Fall zu bringen. Der Angang krüppelhafter Menschen galt bereits im Altertum als unheilvoll. Hexen und andere dämonische Wesen stellte man sich gern als bucklig vor. Deshalb ging man Buckligen auch sonst aus dem Weg, weil man ihnen mehr Bosheit und Zauberkraft als den Gesunden zutraute. Sich bucklig lachen /Ast. Lit.: HdA. I, Sp. 1700; E. B. I, S. 20ff. Bude in der Bdtg. ,Zimmer, Wohnung4 ist seit 1850 aus der Leipziger Studentensprache in die allg. Umgangssprache vorgedrungen und hat das ältere ,Kneipe4 = Studentenwohnung abgelöst. Hieraus erklärt sich die Rda. jem. auf die Bude rücken: ihn aufsuchen, um ihm die Meinung zu sagen, in der Studentensprache mit dem Nebensinn: ihm die Forderung auf eine Mensur überbringen. Jem. die Bude einlaufen: ihn immer wieder aufsuchen, ähnl. wie das ältere ,ihm die /Tür einlaufen4. Stud, ist ebenfalls die Bude auf den Kopf stellen: Unordnung machen, ein ausgelassenes Fest feiern (/Budenzauber). Aus Berlin stammt die Wndg. Leben in die Bude bringen: für Unterhaltung und Stimmung sorgen, ironisch angewendet in einem Brief 177
Budenzauber Th. Fontanes an seine Schwester am 30. 8. 1859: ,,Zum Glück wurde Emilie ein kleines bißchen ohnmächtig, was wieder eine vorübergehende Tätigkeit in die Bude brachte“. Vgl. ndl. ,Leven in de brouwerij brengen4. Von den Spielbuden der wandernden Schauspielertruppen des 18. und 19. Jh. stammt die Rda. die Bude zumachen mit der übertr. Bdtg. mit dem Geschäft am Ende sein, in Zahlungsschwierigkeiten sein, z.B. nordd. ,He heft de Bood toje- moakt\ er hat Konkurs gemacht. Im Leipziger Juristendeutsch bedeutet die Rda.: die mdl. Verhandlung schließen. Es schneit (regnet) ihm indie Bude: sein Geschäft geht schlecht, z.B. obersächs. ,’s hunt mer in de Bud g(e)räänt\ ich bin in eine üble Lage gekommen. Einem fällt die Bude auf den Kopf: er hält es im Zimmer nicht mehr aus, er kann das Alleinsein nicht ertragen. Eine sturmfreie Bude haben: ein Zimmer mit separatem Eingang, das vom Vermieter nicht überwacht werden kann. Budenzauber. Einen Budenzauber veranstalten: ein fröhliches Fest auf der /Bude eines Studenten feiern, wobei der Raum durch Dekoration, Umstellen von Möbeln und Umhängen von Bildern entspr. hergerichtet wird. Heute versteht man unter Budenzauber mehr den Schabernack, den sich vor allem die Bewohner von Jugendwohnheimen zu nächtlicher Stunde gegenseitig spielen. Lit.: Göhring, Nr. 60, S.40-42 bügeln. Eine Sache ausbiigeln (geradebügeln): einen Schaden wiedergutmachen; das Bild ist hergenommen vom Ausbügeln eines unansehnlich gewordenen Kleidungsstückes. Die verbreitete Wndg. Das kommt beim Bügeln geht wohl auf das Sagsprichwort zurück: ,Das kommt beim Bügeln, sagte der Schneider, da hatte er den Hosenlatz hinten angebracht4. Gebügelt sein /höchst erstaunt sein; /platt. Bündel. Sein Bündel schnüren (packen, nehmen): abreisen, auf Wanderschaft gehen, auch verhüllend für: sich auf den Tod vorbereiten. Mit Bündel ist dabei urspr. das Paket mit den Habseligkeiten der Handwerksgesellen, bes. der Zimmerleute, gemeint. Ebenso frz. ,faire son paquet4. Daher auch Bündel kriegen: ausgezankt werden. Jem. Bündel und Gruß versagen: ihm den ordentlichen Abschied verweigern. War ein Geselle in Schulden geraten oder hatte er sich irgendwie vergangen, so wurden ihm bis zur Klärung der Schuldfrage der Abschiedsgruß und sein Bündel verweigert. Sein Bündel zu tragen haben: seine Sorgen und Note haben, eigene Probleme besitzen. Lit.: Göhring, Nr. 62, S.42f. bündig /kurz und bündig. bunt. Bunte Reihe machen: abwechselnd eine Dame und einen Herrn am Tisch nebeneinandersetzen. Schon die höfische Gesellschaft kannte diese Abwechslung. Erst im 17. Jh. gebrauchte man dafür ,bunte Reihe4; z.B. in Chr. Reuters ,Schel- muffsky4 (1696): „sie hatten nun selben Tag eine bunte Reihe gemacht44. Etw. zu bunt treiben: übertreiben, im Verhalten über das übliche Maß hinausgehen; ndl. ,het te bont maken4; es geht bunt zu: es geht ausgelassen zu; obersächs. ,Es geht bunt überecke4, bunt durcheinander; mir wird es zu bunt: meine Geduld ist am Ende; das ist mir zu bunt: das verstehe ich nicht, das ist zu toll. In diesen Redwndgn. drückt sich das Mißbehagen des Volkes vor allzu Vielfarbigem, Buntscheckigem aus. Bunt bezeichnet darin das ungeordnete, wirre Vielerlei. Deshalb haben auch die vergleichenden Rdaa. bunt wie ein Pfau, bunt wie ein Osterei, bekannt wie ein bunter Hund (/Hund) oft abschätzige Nebenbdtg. Das Wort bunt, erst bei Luther verwendet, ist vom lat. ,punctus4 abgeleitet und bedeutet urspr. im Spätmhd. ,schwarz gefleckt auf weißem Grunde4, da es erstmalig vom Hermelinpelz gesagt wurde. Einem wird es bunt vor den Augen: ihm verwirren sich die Sinne, er wird ohnmächtig, wobei rasch hintereinander abwechselnde Farbwahrnehmungen vorauszugehen pflegen. Für 1828 lit. belegt. Lit.: Raab: Dt. Redewendungen, S.33. Buridan. Dastehen wie Buridans Esel: dastehen wie jem., dem die Wahl zwischen 178
Bürstenbinder zwei Dingen schwerfällt, die gleichwertig sind, und der deshalb zu keinem Entschluß kommen kann. Die Rda. bezieht sich auf den frz. Philosophen Johannes Buridan (1300-58), der die Lehre des Aristoteles vermitteln und erklären wollte. Um zu erläutern, daß ein Mensch bei Wahlfreiheit zwischen zwei gleichen Situationen umkommen muß, soll Buridan in seinen Vorlesungen folgende Parabeln benutzt haben, die in seinen Schriften jedoch nicht verzeichnet sind: „Ein Esel, der, von Hunger gequält, sich zwischen zwei Bündeln Heu von gleicher Entfernung, Größe und Beschaffenheit befände, würde verhungern müssen“. Oder: „Ein Esel, der gleich hungrig und durstig wäre, würde, zwischen einen Haufen Hafer und ein Gefäß mit Wasser gestellt, unbeweglich stehen bleiben und vor Hunger und Durst sterben“. Diese Beispiele sollten den Gegensatz des Determinismus zur Willensfreiheit verdeutlichen und beweisen, daß keine Handlung möglich ist, wenn nicht der Wille durch irgend etw. bestimmt wird. Schopenhauer stellte fest (,Die beiden Grundprobleme der Ethik', Leipzig 1860, S. 58), daß Buridan nicht der Erfinder dieser Fabel ist, wie Bayle in seinem dictionnaire hist, et crit.' (1697) fälschlicherweise angab, sondern sie aus der antiken Tradition übernahm. Er hat sie nur vom Menschen auf den Esel übertragen. Schon Dante eröffnete den 4. Gesang seines paradiso' in der ,Divina Commedia' mit den Worten: Intra duo cibi, distanti e moventi D’un modo, prima si morria di fame, Che liber' uomo l’un recasse a’ denti. (= Zwischen zwei gleich entfernten und gleich anlockenden Speisen würde ein willensfreier Mensch eher sterben, als daß er eine von ihnen an die Zähne brächte.) Buridan entnahm das Beispiel wahrscheinl. aus der Schrift des Aristoteles ,Über den Himmel' (II, 13): „Ebenso was über einen heftig Hungernden und Dürstenden gesagt wird, wenn er gleich weit von Speise und Trank absteht, denn auch dieser muß in Ruhe verharren“, da er ja gerade die Gedanken dieses Hauptvertreters des Determinismus zu erläutern suchte. Manchmal wurde später Buridans Esel mit Bileams Esel (4. Mos. 22) verwechselt, so auch von Jean Paul, der zu der doppelten Freude seines ,Wuz‘ bemerkt: „So hielt er sich, wie der metaphysische Esel, den Kopf zwischen Heubündeln; aber er war kein Esel oder Scholastiker, sondern graste und rupfte an beiden Bündeln auf einmal. Wahrhaftig, die Menschen sollten niemals Esel sein, weder indifferentistische, noch hölzerne, noch bileamische“. Lit.: Büchmann, S. 383. Bürstenbinder. Trinken (saufen) wie ei/i Bürstenbinder. Es ist zunächst unbegreiflich, wieso gerade das ehrsame Gewerbe der Bürstenbinder in den üblen Ruf des vielen Trinkens gekommen ist. Tatsächlich sind sie daran ganz unschuldig. Zur Deutung dieser verbreiteten und heute noch ganz lebendigen Rda. ist auszugehen von dem Verbum ,bürsten', das schon frühnhd. in übertr. Bdtg. für ,trinken', rechen' verwendet wird, wobei etwa an das Ausputzen der Kehle (oder des Glases) zu denken ist. Ludwig Uhland hat dieses Wort aus der älteren Sprache übernommen und in seinen Gedichten mehrfach als Reimwort verwendet, z.B. im ,Schenk von Limburg': Nun macht die Jagd mich dürsten, Drum tu mir das, Gesell, Und gib mir eins zu bürsten Aus diesem Wasserquell, oder in seinem ,Metzelsuppenlied': Es reimt sich trefflich: Wein und Schwein Und paßt sich köstlich: Wurst und Durst, Bei Würsten gilt’s zu bürsten. Im gleichen Sinne wird ,bürsten' noch heute in den obd. Mdaa. gebraucht. Mit den studentischen Gemeinschaften des MA„ den ,Bursen‘, hat dieses Wort nichts zu tun. Durch eine Wortspielerei wird im 16. Jh. einer, der das Handwerk des Bürstens gut versteht, ein Bürstenbinder genannt, wodurch dieses Gewerbe ganz unverdienterweise in schlimmen Ruf geriet. Die Rda. taucht zuerst bei Joh. Fischart auf, der sich „mit züchten eynen unschuldigen Bürstenbinder“ nennt; sein ,Grandgoschier' ruft in der berühmten ,Trunkenlitanei' aus: „Mir zu, ich bin ein Bürstenbinder. Was, hab ich 179
Busch eine tote Sau geschunden, daß mir keiner kein bringt?“ (d.h. ich gehöre doch nicht zu dem unehrlichen Gewerbe der Abdek- ker, daß man mich meiden und sich deshalb hüten müßte, mir zuzutrinken) „Ich hab’ ein Igel im Bauch, der muß geschwummen haben“. Im ,Simplicissimus1 Grimmelshausens findet sich: ,,fluchen wie ein anderer soldat und darneben saufen wie ein bür- stenbinder“. Auch in einem Fastnachtsspiel Ayrers kommt der Ausdr. vor. Nach Abraham a Sancta Claras Zeugnis ist die Rda. zu seiner Zeit schon ganz geläufig; er schreibt in seiner Schrift,Etwas für alle1: „Das Sprichwort ist schon drey Meil hinder Babylon bekannt: Er saufft wie ein Bür- sten-Binder“ (647f.). Ziemlich derb heißt es ebenfalls bei Abraham a Sancta Clara: „Waren Deutsche bei dieser Mahlzeit (nämlich bei der Hochzeit zu Kana) zugegen gewesen, so hätten sie wie die Bürstenbinder gesoffen, wie das die Gewohnheit dieses Volkes ist“. Im 19. Jh. wurde der Bürstenbinder zum wandernden Gewerbetreibenden, der seine Erzeugnisse im Umherziehen verkaufte. Dadurch kam dieses Gewerbe in den Geruch der Unehrlichkeit, und es schlossen sich weitere Rdaa. an die Bürsten- oder Besenbinder an: laufen wie ein Bürstenbinder: sc\\x\c\\ gehen (freilich mußten sich die Bürstenbinder sputen, wollten sie bei ihrem armseligen Geschäft auf ihre Kosten kommen); fressen wie ein Bürstenbinder, weniger harmlos: lügen wie ein Bürstenbinder, z.B. in Zuckmayers ,Schinderhannes1 1. Akt: „Lügt wie zwei Bürstebinder und e Gäulsjud dazu“. Weitere, an sich sinnlose Rdaa. wurden in Analogie zu den älteren gebildet: „Ich fluche und schelte wie ein Bürstenbinder“ (D.v.Liliencron, ,Kriegsnovellen1 1895, S. 205); „Ja, du rauchst wie ein Bürstenbinder“ (H.Reimann, Komponist wider Willen4, 1928, S.75). Lit.: O. Lutsch in: Zs. f. Dtschkde. 37 (1923), S.76f.; Dt, Wb. 2, Sp. 252; Trübner 1, S.477; L. Günther: Wörter und Namen (Berlin 1926), S.54f. Busch. Auf den Busch klopfen: etw. zu erkunden suchen, ist der Jäger- und Vogelstellersprache entlehnt: Durch Schlagen der Büsche und des Unterholzes wird das Wild aus seinem Versteck aufgescheucht. Schon in Strickers ,Daniel von dem blühenden Tal‘ um 1220 heißt es (V. 3647ff.) von Daniels Kampfesweise: Alsam ein jegere Ob eines hasen legere Üf den busch trischet, und der hase hinwischet, also sluoc er üf den man daz diu sêle kûme entran, ,Auf den Busch klopferf und in Joh. Fischarts ,Geschichtklitterung4 1575 (S.199): „schlug in den Pusch vnd fieng kein Vogel“. Eine ähnl. Wndg. verzeichnet Tunnicius 1513 als Nr. 515 seiner ,Sprichwörter4: „Ein ander kloppet up den busch, mer du krichst den vogel“. So noch heute obersächs. ,Der eene kloppt ufn Busch, der andere hascht den Vogel4, du hast die Mühe und ein anderer den Gewinn davon. Ähnl. frz. ,11 a battu les buissons et un autre apris les oissilons4 und engl. ,One beats the bush and another catches the bird\ In Ludw. Uhlands Gedicht ,Der weiße Hirsch4 (1811) ist die Rda. ebenfalls verwendet: Mir hat geträumt, ich klopf auf den Busch, Da rauschte der Hirsch heraus, husch, husch. Neuerdings begegnet die Rda. auch in der Form bei jem. auf den Busch klopfen: vorfühlen, sondieren. 180
Butter Es ist etw. im Busch: im Verborgenen bereitet sich etw. vor; jem. hat die Ahnung, daß er einem Geheimnis auf der Spur ist. Sich seitwärts in die Büsche schlagen: sich nach der Seite entfernen, ist einer Zeile des Gedichtes ,Der Wilde' von Gottfried Seume (1801) entnommen. Mit einer Sache hinter dem Busch halten (achter’n Busch hollen): sie geheim halten, eng verwandt mit ,hinter dem Berge halten1. Obersächs. ,Du siehst den Busch vor lauter Bäämen nicht' (/Wald). Allen Büschen zu ferne sein: sich einer Sache nicht nähern können, sie nicht fassen. So Luther (2,476b); „das weisz ich aber wol, wie fast der geist alles alleine thut, were ich doch allen püsschen zu ferne gewest, wo mir nicht die sprachen geholfen und mich der schrift sicher und gewis gemacht hetten“; sowie (3,68b): „das mein armer rottengeist, wo er hinaus wil, allen püsschen zu ferne ist“. Ndd. bedeutet ,ut’n Busch snacken', hinter dem Rücken eines anderen üble Nachrede führen. Lit.: Zs. f. d. Wortf. 10, S. 101; Dt. Wb. II, S.558; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.313f. Busen steht gleichsam für das Innerste des Menschen in den Rdaa. : es im Busen haben: verschlagen sein; einem etw. in den Busen schieben: es ihm zur Last legen; an seinen eigenen Busen greifen: vor Beurteilung anderer auf seine eigenen Fehler achten, heute meist verdrängt durch die Wndg. ,sich an die eigene /Nase fassen'. Ähnl. die Hand in den Busen stecken, vgl. ndl. ,de Hand in zijn eigen boezen steken', bereits in Luthers Bibelübers. (2. Mos.4,6). Eine ältere rdal. Wndg. ist etw. in den Busen stecken: verbergen, verstecken; vgl. frz. ,mettre quelque chose en son sein'. Hans Sachs verwendet den Ausdr. einen in den Busen blasen für: ihm im Straßenraub Geld abjagen, wobei Busen wohl für ,Beutel' gebraucht wird. Mdal. ist Busen in sprw. Rdaa. heute selten belegt, z.B. meckl. »einen in’n Bussen faten', ihn tätlich angreifen, und ,sick in’n Bussen krigen', eine Prügelei beginnen. Eine Schlange am Busen nähren /Schlange. Butter. Dastehend oder bestehen) wie Butter an der Sonne: nicht standhalten, versagen, vor Scham vergehen. Die Rda. wird bes. auf einen angewandt, der mit seiner Klugheit ratlos dasteht oder mit seinem Prahlen und seinen Unschuldsbeteuerungen vergebens zu bestehen sucht. Sie findet sich schon Öfters bei Luther: „das ich da stehen muste wie butter an der sonne“, später auch in dem Lustspiel ,Hans Pfriem' von Haynec- cius, 1582 (V.2029): Da du mit deiner Weisheit kunst Wie butter an der Sonne bestunst und in Kirchhoffs ,Wendunmuth': „und bestund dieser, der ein procurator sein will, wie butter an der sonn“. So noch bei Goethe (,Götz von Berlichingen'): „Es macht warm in der Nähe, und wir stehen da wie Butter an der Sonne“. Vgl. noch das ndl. Sprw. ,Wie boter op zijn hoofd heefd, moet niet in de zon lopen' und den aus der Rda. verkürzten Ausdr. wie Butter an der Sonne: betroffen, verblüfft. Butter auf dem Kopf haben: etw. angestellt haben und sich daher genieren; ein schlechtes Gewissen haben. Die Rda. hat sich als Kurzform aus dem Sprw. entwik- kelt: ,Wer Butter auf dem Kopf hat, soll nicht in die Sonne gehen' (Die Bauernfrauen brachten früher die Butter in einem Korb, den sie auf dem Kopf trugen, zu Markt). Ihm fällt die Butter vom Brot: er wird enttäuscht, er verliert den Mut und beginnt die Sache für aussichtslos zu halten. Wem die Butter vom Brot auf den schmutzigen Boden fällt, der verliert das Beste von seinem Butterbrot, und es vergeht ihm die Lust, weiterzuessen. So sagt Goethe in seinen ,Zahmen Xenien': Heiliger, lieber Luther, Du schabtest die Butter Deinen Kollegen vom Brot, Das verzeihe dir Gott! Verwandt ist die Rda. sich die Butter vom Brot nehmen lassen: sich übervorteilen lassen. So z.B. bei Bismarck: „Das Kriegsministerium, an dessen Spitze ein Herr stand, der am allerwenigsten geeignet war, sich, wie man sagt, die Butter vom Brote nehmen zu lassen, der Feldmarschall Graf Roon“. Vgl. ndl. ,zich da kaas niet van het brood laten eten'. 181
Butterbrot Auch in anderen bildl. Wndgn. bedeutet Butter das Angenehme, Nützliche: Das ist (war) ein Stück Butter im Brei: unvermutetes, unverhofftes Glück. Butter bei den Fischen haben: gut leben, Geld haben (ndd. ,Hat dai ok bueter bi de fische?', hat er auch Geld?). Die Buttertunke gehört zum Fischgericht hinzu. Wer sie ausläßt, läßt etw. Wesentliches aus; daher die Aufforderung Butter bei die Fische!: mach keine halben Sachen; an der Mosel bedeutet die gleiche Wndg.: Der Wein geht nur gegen Bezahlung aus dem Keller. Jüngere Rdaa. mit Butter sind: jem. die Butter auf dem Brot nicht gönnen: neidisch sein; er verdient nicht die Butter auf dem Brot: er ist faul und nichtsnutzig; einem Butter aufs Brot streichen: ihn umschmeicheln, ihn für sich zu gewinnen suchen; das geht ab (weg) wie Butter: es geht leicht und ebenso schnell, wie Butter in Notzeiten verkauft wird. Es ist alles in (schönster) Butter: es ist alles in bester Ordnung, d.h., es ist alles mit guter Butter zubereitet, nicht mit billigerem Fett. Wahrscheinl. versteckt sich hinter der in Berlin aufgekommenen Redewndg. der Konkurrenzkampf zwischen der Butter und der Margarine, die erst nach 1875 fabrikmäßig in Dtl. hergestellt und vor allem nach dem 1. Weltkrieg im dt. Haushalt eingeführt wurde. Aus der Fülle mdal. Redewndgn. seien erwähnt: eis. ,Dem will i sagn was de Butter giltet', ich will ihm gründlich die Meinung sagen; niederrhein. ,Dat es Botter an den Galgn geschmert', das ist Hilfe für einen Unwürdigen; vgl. ndl. ,Boterje tot de Galg toe'; obersachs. ,Dir wird keene (braune) Butter drangetan', es werden keine besonderen Umstände mit dir gemacht; schlesw.-holst. ,He kriggt Botter in die Brie', er bekommt ein gutes Essen; ost- preuß. ,He ös so flau as ongesolten Botter', er ist fade und langweilig, von der Vorliebe der Ostpreußen für gesalzene Butter herstammend. Er schneidet die Butter bis auf den Teller: er nimmt seinen Vorteil wahr (Eifel). Hand von der Butter! ist eine Entstellung der unverständlich gewordenen Rda. ,Hand von der Butte' (/Hand). Es schneidet wie in Butter: es läßt sich sehr leicht schneiden. Die Rda. Er verspricht mehr Butter als Brot heißt: er verspricht mehr, als er halten kann; vgl. frz. promettre plus de beurre que de pain'. Ist einem das Glück nicht günstig, sagt man Es bleibt keine Butter auf seinem Brote liegen; vgl. engl. ,No butter will stick to my bread'. Lit.: Dt. Wb. II, S. 583; Wander I, Sp. 521-525; Triib- ner I, S. 481; Küpper I, S. 83f. Butterbrot. Etw. für ein Butterbrot hingeben: billig, für einen lächerlich geringen Preis; ähnl. wie: ,für einen Pappenstiel', ,um ein Linsengericht', ,für einen Apfel und ein Ei‘. Ebenso: sich ein Butterbrot verdienen: nur eine Kleinigkeit erhalten, und für ein Butterbrot arbeiten: ohne ent- spr. Lohn. Jem. etw. aufs Butterbrot schmieren (geben): ihm immer wieder den gleichen Vorwurf machen, z. B. berl. ,uf de Butterstulle schmieren', unverblümt vorwerfen. Vgl. ndl. ,iemand iets op zijn brodd geven (smeren)'. Sächs. ,Butterbrote werfen' ist einer der zahlreichen Ausdr. für das im Kinderspiel beliebte Werfen flacher Steine über die Wasseroberfläche. In Schlesien sagt man dafür ,eine Butterschnitte schmieren'. Buxtehude. Der Name dieser Kleinstadt im niedersächs. Kreise Stade hat in Norddtl. eine ähnl. Bdtg. wie mittel- und oberdt. ,Dummsdorf', ,Dingskirchen*, ,Hintertupfingen' u.ä. Buxtehude, oft entstellt zu ,Buxtehusen' oder ,Büxenhusen', erscheint in den Rdaa. als ein irgendwo in blauer Ferne liegender Ort, in dem sich allerlei merkwürdige Dinge ereignen können. Die Brüder Grimm lassen z.B. ihr bekanntes Märchen vom Swinegel und dem Hasen ,,up de lütt je Heid bi Buxtehude" spielen, woraus der Leser schließen könnte, daß nicht nur der Wettlauf, sondern auch der Ort der Handlung erfunden sei. Die Rda. In Buxtehude, wo die Hunde mit dem Schwanz bellen soll das Unglaubwürdige dieser Stadt noch unterstreichen. In Wirklichkeit ist hiermit gemeint: ,wo die Glok- ken mit dem Tau geläutet werden'. Die Glocke einer der ältesten dt. Kirchen aus dem 13. Jh. in Buxtehude wurde mit Tau und Klöppel geläutet. ,Hunte' sind Glok- 182
Chamäleon ken,,bellen4 heißt läuten (vgl. engl. ,to ring the bell4); der ,Schwanz4 ist das ausgefranste Ende des Glockentaus. Auf die Frage ,Wohin gehst du?4 erhält man zur Antwort: ,Nah Buxtehud’, wo de Wust up’n Kohlstrunk wasst4 (Wossidlo-Teuchert II, S. 164). Eine schroffe Abweisung drückt man so aus: ,Gah he na Buxtehude, wo de Hunn mit ’n Mors bellt4 (Mensing I, S. 616). Ebenfalls aus Schlesw.-Holst, ist belegt ,1k bin doch nit ut Buxtehude4, mich kannst du nicht für dumm verkaufen. c Canossa. Nach Canossa gehen müssen und den Gang nach Canossa antreten: sich demütig unterwerfen müssen, einen Bittgang antreten, um seine Reue zu zeigen, seinen Gehorsam zu versichern. Die Rdaa. beziehen sich auf den Büßgang König Heinrichs IV. zu Papst Gregor VII., der ihn nach dieser Selbstdemütigung 1077 in Canossa vom Bann löste. Obwohl der König damit einen persönlichen und politischen Sieg über den Papst errang, indem er seine Handlungsfreiheit und Macht dadurch wiedererhielt, war in Dtl. die Ansicht weit verbreitet, daß diese Erniedrigung nicht nötig gewesen sei. Auch Bismarck war noch dieser Meinung, denn er prägte am 14. Mai 1872 vor dem Dt. Reichstag das Wort: „Nach Canossa gehen wir nicht!44, als er über die Ablehnung des Kardinals Hohenlohe als dt. Botschafter bei Papst Pius IX. zu sprechen hatte. Lit.: Büchmann, S. 718. Chaisenträger. Laufen wie ein Chaisenträger. Chaise ist die frz. Bez. für den Tragstuhl, der auch in Dtl. lange die Dienste der Droschken und Fiaker ersetzt hat: ein hoher Kasten mit einem Sitz war rechts und links mit einer Stange versehen, woran er von zwei Trägern, einem davor und einem dahinter, getragen wurde. Um die Erschütterungen des Kastens möglichst auszugleichen, durften die beiden Chaisenträger nicht im Schritt gehen, sondern mußten gleichmäßig nacheinander auftreten. Da sie an tüchtiges Ausschreiten gewöhnt waren, sagt man noch heute in Sachsen von einem, der tüchtig läuft: ,Er läuft wie ein Chaisenträger4. Chamäleon. Ein wahres Chamäleon sein: ein unzuverlässiger Mensch sein, dessen Ansichten nach den Umständen wechseln und dessen Handlungen von den gegenwärtigen Verhältnissen und dem persönlichen Vorteil bestimmt werden. Die rdal. Vergleiche sich verändern wie ein Chamäleon und wie ein Chamäleon seine Farbe wechseln weisen noch deutlicher auf das auffällige Verhalten dieser Eidechsenart hin, die auf Bäumen wohnt. Der Name des Tieres ist griech. Ursprungs und bedeutet wörtl. ,Erdlöwe4. Er ist wahrscheinl. eine ironische Anspielung auf den furchtsamen Charakter des Tieres. Es vermag, bes. bei Erregung, seine Farbe zum Schutz zu ,Ein wahres Chamäleon’ 183
Charivari wechseln und sich seiner Umgebung dadurch so gut anzupassen, daß es in Ruhestellung von seinen Feinden kaum entdeckt werden kann. In der Übertr. auf den Menschen sind die Rdaa. verächtliche Bez. für jem., der seine Gesinnung (bes. in religiöser oder politischer Hinsicht) mehrmals verändert und sich gewissenlos anpaßt, wenn es ihm Nutzen verspricht. Charivari. Charivari machen (schlagen): einen ohrenbetäubenden Lärm vollführen, eine Katzenmusik verursachen und durch den oft damit verbundenen groben Unfug einen von der Gemeinschaft Verachteten dem allg. Spott preisgeben. Maskierte und mit Lärminstrumenten ausgerüstete Burschen ziehen zum Charivari in der Dämmerung oder nachts vor ein bestimmtes Haus und beginnen dort auf das Zeichen ihres Anführers hin ein Höllenspektakel unter Schreien, Johlen und Pfeifen. Dieser Brauch ist bes. in West- und Süddtl., in Oesterr. und der Schweiz verbreitet, also in Gegenden, die an rom. Länder grenzen. Auch mdal. Wndgn. zeugen davon, z.B. heißt es im Rheinl. und in Westfalen ,den Schalwaari schloon (klopen)' und ,den Scharebari schlagen1. Das Wort hat verschiedene Deutungen erfahren. Die ety- mol. Ableitung von griech. xapr|ßapla = Kopfweh und lat. caribaria ist wohl unhaltbar. Gamillschegg (Etymol. Wb. d. frz. Sprache, Heidelberg 1928) hält es für eine Schallbildung wie das bei Du Cange belegte ,cary-cary\ das in der Normandie zur Verhöhnung der Steuerbeamten diente. Wartburg (Frz. etymol. Wb. 2,1 [1940] 374f.) meint, daß sich die Bdtg. des Wortes von der Wirkung her erkläre, weil nämlich der starke Lärm Kopfschmerzen hervorrufen könne. Aber ein Charivari richtet sich gegen einen bestimmten Menschen; es bezweckt die Vernichtung seines Leumundes, um den Bescholtenen aus der gesellschaftlichen und bürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen. Die Folge war tatsächlich manchmal der Wegzug aus der Gegend oder das Bezahlen einer bestimmten Strafe. Aber auch das Freikaufen vom Charivari war vorher möglich. Charivari ist also urspr. die Bez. für einen altertümlichen und weitverbreiteten Akt der Volksjustiz, um die Acht, die Friedloslegung zu vollstrecken. Die Maskenumzüge verwenden beim Rügegericht noch ähnl. Formen in scherzhafter Weise, und auch manche Heischebräuche der Kinder, die mit Lärm und Unfug verbunden sind, beruhen demnach auf herkömmlichen Bräuchen und alten Rechtsformen. Zum Charivari (Chalivali) gehörte urspr. das Dachabdecken (/'Dach) als erster Akt der Wüstung, wie Gervais Du Bus schon um 1324 im ,Roman de FauveP (ed. v. A. Längfors, Paris 1914) schildert. Auch Fenster und Türen wurden dabei zerbrochen, um dem Missetäter den Frieden zu entziehen und sein Haus der allg. Plünderung preiszugeben. Wie aus verschiedenen Stadtrechten in Süddtl. hervorgeht, war damit oft auch das Löschen des Herdfeuers, das Einschlagen des Backofens und das Zuschütten des Brunnens verbunden. Für säumige Zins-, Renten- und Pachtzahler war dieser Brauch auch in Engl., Frankr., Spanien, den Niederlanden, Sizilien und Rußland üblich und hat den Charakter der Ächterstrafe beibehalten. Ebenso gab es an vielen Orten die Pflugwüstung. Es wurden Fruchtbäume abgesägt, Hecken zerstört, das Vieh ausgetrieben und das Grasland oder ein Stück Straße oder Boden beim Haus umgepflügt, wobei der Geächtete oft selbst diesen Pflug ziehen mußte. Auch Jagdgerichte gehörten zum Charivari. Sie sind als Nachbildung der Hetzjagd auf den Geächteten zu verstehen. Der Verfemte wurde als Tier verkleidet und unter fürchterlichem Jagdlärm durch das Dorf mit Peitschen und Hunden gehetzt, vor seinem Haus symbolisch getötet oder in einen Teich oder den Fluß geworfen. Die dabei benutzten Lärminstrumente lassen sich z.T. als alte Treibjagdgeräte wiedererkennen. Das Wort ,Charivari' selbst ist nicht selten als Hetz- oder Hohnruf bezeugt und wurde zu dem Lärm geschrien. Vielleicht geht es auf einen alten Jagdruf zurück. Anlässe zum Charivari waren: Totschlag und andere Verbrechen, Steuer- und Mietschulden und die Verweigerung einer Gabe an einen Heischenden. Die Volksjustiz richtete sich in späterer Zeit vor allem gegen die Vergehen und Verstöße gegen Sitte und Ordnung, die nicht vor das Gericht ka¬ 184
Christkind men. Dazu gehörten: ein das Ansehen der Gemeinschaft schädigendes Verhalten, Auflösung eines Verlöbnisses, Einheirat in ein anderes Dorf, sexuelle Vergehen, anstößige Hochzeiten wie die zwischen Alten und Jungen und Verwitweten, ehelicher Zank und Prügeleien und Ehebruch. Die nächtliche Musik und der Lärm vor einem Haus konnte aber auch eine bes. Ehrung bedeuten, die bei Hochzeitsfeiern üblich war, z.B. brachte in Baden die Burschenschaft den Neuvermählten eine Stunde nach dem Zubettgehen ,Sharewares1. Lit.: HdA. IV, Sp. 1125 ff. Art. Katzenmusik von Perk- mann; K.Meuli: Charivari, in: Festschrift f. Franz Dornseiff (Leipzig 1953), S.23Iff.; H. Siuts: Bann und Acht und ihre Grundlagen im Totenglauben (Berlin 1959); G. Lutz: Sitte, Recht und Brauch. Zur Eselshochzeit von Hütten in der Eifel, in: Zs. f. Vkde. 56 (1960), S. 74ff. Th. Buhler: Wüstung und Fehde, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 66 (1970), S.l-27. Chrisam ist das am Gründonnerstag geweihte Öl. Von einem, bei dem alle Mühe und Kosten umsonst sind, sagt man An dem ist Chrisam und Taufe verloren; vgl. lat. ,Oleum et operam perdidit". Belegt bei Geiler von Kaisersberg: ,,da ist chrisam und tauf an verloren, hilft kein predigen me, wan sie seind herter weder ein ambosz"". Die Rda. Das hilft wie Chrisam zum Schuhputzen: das hilft gar nicht, ist schon Joh. Fischart bekannt. Christ. Er ist ein toller (wunderlicher) Christ: ein Sonderling, ein wunderlicher Mensch mit einem Stich ins Komische, ebenso wie die Rda. ,Er ist ein sonderbarer, wunderlicher /'Heiliger". Früher (z.B. Wander V, Sp.534) leitete man diese Rda. fälschlich von Herzog Christian von Braunschweig und Lüneburg (1599-1626) her, einer Gestalt, die im Dreißigjähr. Krieg bei den Katholiken allg. als der ,tolle Christian" bekannt war. Vielmehr hat in der Rda. Christ die verallgemeinernde Bdtg. ,Mensch" angenommen, ähnl. wie im Ital. cristiano = Mensch und frz. ,Cest un dur chrétien" = ein schwierig zu behandelnder Mensch, oder crétin = blödsinniger, dummer Mensch (aus lat. christianus). Meckl. ,Dee is nich Christ noch Jud", er ist ein charakterloser Mensch. Er ist ein kalter Christ sagt man in der Eifel von einem, der die Kirche selten besucht. Christbaum. Nicht alle auf dem Christbaum haben: nicht ganz bei Verstand sein, schwachsinnig, verrückt, närrisch, nicht ganz richtig im Kopf sein. Das Licht ist das Sinnbild des klugen Verstandes; so spricht man auch von einem ,Licht der Gelehrtenwelt" oder von einer ,großen Leuchte der Wissenschaft". Das Fehlen von Lichtern auf dem Weihnachtsbaum wird mit Geistesschwachheit gleichgesetzt. Die meisten solcher Redewndgn. entstehen durch Abwandlung der Grundrda.,nicht alle (Sinne) beisammen haben". Entspr. dem Tabu, das über allenernsthaften Krankheiten, insbes. aber gerade über den Geisteskrankheiten liegt, werden die Worte Sinn, Verstand, Geist usw. durch Worte ganz anderer Bereiche ersetzt (/Tasse). Der Christbaum brennt: feindliche Flieger greifen an. Die Wndg. entstand im 2. Weltkrieg. Alliierte Flieger schossen bei nächtlichen Angriffen hell und lang brennende Leuchtkugeln in Bündeln ab, um das Bombenziel zu kennzeichnen. Diese Leuchtzeichen erweckten den Eindruck eines an den Himmel projizierten überdimensionalen Lichterbaums. Der mit beißendem Spott von der Bevölkerung geprägte Ausdr. verbindet den Christbaum als Symbol des Weihnachtsfestes und der Nächstenliebe mit dem Vernichtungswerk eines Bombenangriffs (Krüger-Lorenzen I, S.58L). Der ganze Christbaumschmuck: alle Orden und Ehrenzeichen (/'Lametta). Christkind hat in den Mdaa. verschiedentlich eine Nebenbdtg. angenommen; obd. Das ist ein rechtes Christkind: es ist ein Feigling, jem. ist dumm und ungeschickt, zu nichts zu gebrauchen. Mit Christ- kind(chen) ist eigentlich Christus als neugeborenes Kind gemeint. Die Entwicklung der übertr. Bdtg. ist wohl durch die Vorstellung vom rührend hilflosen, unselbständigen Kind veranlaßt. Schwäb. ,Des ischt a reachts Chrischt- kendle", er ist überempfindlich. Mosel- fränk. ,Das ist ein Christkind", das ist einer, der einen starken Rausch hat und darin allerlei Ungehörigkeiten verübt. 185
Christoph Christoph. Der Name des hl. Christoph ist noch allg. bekannt in der nordd. Rda.: vom großen Christopher reden: prahlen, ein dreistes und zuversichtliches Wesen zur Schau tragen. Bei Fritz Reuter heißt es: „wenn de Herr Ratsherr... em frischen Maud inspraken hadd, denn satt hei hoch tau Pird und redte von den groten Christof- fer44. Verbreitet ist auch der Zusatz zu dieser ndd. Wndg. ,He snackt von groten Christoffer un hett’n lütten noch nich sehn1, er ist ein Prahlhans. Meckl. ,Hei geiht Umher as’n groten Christopher4 hat die gleiche Bdtg. Vgl. Lehm. 439 (Klein7): „Wenn ein kleiner einem großen Christoff auff den achsein sitzt, so siehet er weiter als der groß44. Christophorus war an vielen Kirchen außen riesengroß angemalt, denn es kam darauf an, ihn zu sehen; außerdem ist er nach der Legende ja tatsächlich ein Riese. Im späten MA. bestand der Glaube, daß derjenige an diesem Tage nicht (unge- beichtet) starb, der ihn erblickt hatte. Er hat einen Christof fei, der ihn über Wasser trägt:er hat einen Gönner, der ihn fördert; spielt auf die Legende des Riesen Christophorus an, der den Heiland durch das Wasser getragen hat. Vgl. ndl. ,Hij heeft een Christoffel die hem draagt4. Lit.: K. Richter: Der dt. S. Christoph (Berlin 1896); H.-Fr. Rosenfeld:Der hl. Christophorus, seine Verehrung und Legende (1937); A. Löhr: Der heilige Christopherus und die Wandlungen im christlichen Heili¬ genkult, in: Festschrift O. Casel (1951), S. 227-259; RGG. 1, 1789. Contenance. In den Rdaa. die Contenance verlieren: außer Fassung geraten, sich nicht aus der Contenance bringen lassen: sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, wird ,Contenance4 in der Bdtg. von ,Fassung4, ,Haltung4 gebraucht; dieses Wort ist wohl in spätgalanter Zeit aus dem Frz. ins Dt. übernommen worden und ist in mdt. Rdaa. heute noch gebräuchl.; vgl. obersächs. ,Er kriegte die Kontenangse wieder4, er faßte sich. Cour. Jem. die Cour machen (auch schneiden): ihm den /Hof machen, ihm schmeicheln, bes. Frauen gegenüber gebraucht. Gebildet in Anlehnung an frz. ,faire la cour4, seit dem 18. Jh. im Dt. sehr geläufig. Courage bedeutet Mut. Es ist ein dt. Lehnwort aus dem Frz. und wird in Rdaa. oft scherzhaft verwendet; obersächs. ,Mut ho’ ich schu, ’s fählt mer när an der Korasch4, ähnl.,Gurasch hat er, awer er traut nit4, er ist so voll Courage, daß er sich vor sich selber fürchtet. Einem die Courage abkaufen: ihm den Mut nehmen. Nordd. ,sich Courage holen4, sich betrinken, vgl. die Rda. ,sich /Mut antrinken4. Er hat seine Courage immer bei sich: er ist immer geistesgegenwärtig. D Dach. Einem aufs Dach steigen (kommen): ihn schelten oder strafen. Diese Rda. entstammt einem alten Rechtsbrauch, der sich im MA. herausgebildet hat. Aus der Hauszerstörung als strafrechtlicher Maßnahme gegen Friedlose und Geächtete hat sich das Dachabdecken als selbständige Strafe entwickelt. Die volkstüml. Gerichtsbarkeit wandte diese Strafe bei sittenwidrigem Verhalten in der Ehe an, bes. dann, wenn sich ein Mann von seiner Frau schlagen ließ. Auch andere Vergehen wurden mit dieser Art der ,Partialwüstung4 bestraft; z.B. autorisiert die Coutume von Paris 1317 den Herrn, das Haus des Schuldners abzudecken, wenn ihm bestimmte Abgaben nicht entrichtet worden sind. 1269 wird zur Beschleunigung der Papstwahl das Haus in Viterbo, in dem das Konklave stattfand, seines Daches beraubt. Als unter dem Druck der Landesherrschaft die volkstüml. Gerichtsbarkeit mehr und mehr 186
Dach zurückgedrängt wurde, sank diese ,VoIks- justiz‘ zur Tätigkeit von ,Winkelgerichten1 ab. Aber noch im Jahre 1768/69 wurde eine ähnl. Maßnahme im Fürstentum Fulda „durch sämtliche in fürstl. Livrei stehende Bedienten“, also wohl mit Duldung der Obrigkeit, durchgeführt. In Blankenburg in Thüringen war es das Stadtgericht selbst, das den geschlagenen Mann bestrafte: Er muß „die beiden Stadtknechte mit wullen Gewand kleiden oder da er’s nicht vermag, mit Gefängnis oder sonsten willkürlich gestrafft, und ihme hierüber das Dach auf seinem Hauße abgehoben werden“ (Walch: Vermischte Beyträge zu dem dt. Recht V, 88, Jena 1775). Der Rechtsbrauch des Dachabdeckens ist in Rheinhessen bis ins 17. Jh. geübt und erst um 1670 von den Landesherrn unterdrückt worden. Er wurde von einer Fastnachtsgesellschaft, dem Bubenheimer Geckengericht, ausgeübt, über das wir verschiedene Darstellungen besitzen. Die älteste stammt von einem bekannten Gießener Professor, dem Historiker und Juristen Immanuel Weber (1659-1726): „Dieses Geckengericht war nach vormahligen gebrauch eine Versammlung vieler Gecken, bestehend aus ihrem General, Amtleüten, Gerichtschreibern und Zusammenlauff des losen Gesindels, welche zu Fastnachts Zeiten sich auf einen gewißen tag an dem ort, so ihnen von ihrem general angewiessen worden, versamleten, und dasjenige, was ihnen befohlen worden, ausrichteten... Nichts aber ist so scharff gestraffet worden, als wann ein Mann sich von seiner Frau schlagen laßen; welches folgender gestalten zugieng. Es erschien der General mit andern freywilligen zu Pferd, die Gecken aber öffters bey 2-300 aus den benachbarten Dörfern, mit papiernen Krägen, höltzernen Degen, Sägen, Axt, und beulen, vermummten gesichter und andern narrischen Aufzügen,... es wurde ihnen alsdann vorgehalten, wie dieser oder jener von seiner Frau sey geschlagen worden. Der Geckensfiscal klagte den Mann ordentlich an, und damit ihm nicht zuviel geschehe, wurden die Zeugen ordentlich verhöret, und da alles richtig gefunden, schritten sie doch nicht gleich zur Exekution, sondern zogen ordentlich zum 1. und 2. mahl vor das Dorf, worin der von seinem weibe geschlagne mann wohnte, und kündigten ihm an, er solle sich mit ihnen abfinden, und ihnen zum abstand (Lücke) herausgeben, that er es nicht, so geschähe im dritten aufzug die Execution sodass sie ins Dorf einzogen an des Mannes hauß die Forst einzuhauen; da sie dann die 3. oberste latten und die Ziegel herunter warfen, und solches in ihr protokoll ein- schrieben... Von allem diesem unheil sich zu retten, hatte der Mann kein Mittel, als die gemelte vier ohm wein; nur allein die Frau konte das hauß und den wein sanieren, wan sie nehmlich sich gantz nackend ausgezogen und so nackend auf den Gipfel des Hauses gestiegen, ein glaß wein ausgetrunken, und zwischen die beine hinab geworfen, wie man dan einige Exempel solcher heroischen Weiber aufweisen kan. Dieses Gericht, deßen Anfang unbekant, hat gedauret bis in die Regierung Churfürst Caroli Ludovici ohngefehr umbs Jahr 1667 oder 68, da die Gecken einen Churpfältzi- schen Fauth und Zölner die Förste einhauen wollen, weil er sich von seinem Weibe schlagen lassen“. Eine zweite Nachricht über das Bubenheimer Geckengericht finden wir im Journal von und für Deutschland1 von 1787: „Es ist ein alter Gebrauch hierumb in der Nachbahrschaft, falß etwa eine Frauw ihren Mann schlagen sollte, alle des Fleckens oder Dorffs, worin das Factum geschehen, angrentzende gemärker sichs annehmen, doch würdt die sach uff den letzten Fastnachtstag oder Eschermittwoch als ein recht Faßnachtspiehl versparet, da dann alle Gemärker... dan also baldt sich alle sambt vor des geschlagenen mans Hauß versanden, das Haus umbringen, undt fallß 187
Dach der Mann sich mit ihnen nicht vergleichet undt abfindet, schlagen sie Leitern ahn, steigen auf das Dach, hauwen ihme die Fürst ein undt reißen das Dach biß uff die vierte Latt von oben ahn ab, vergleicht er sich aber, so ziehen sie wieder ohne Verletzung des Haußes ab, falß aber der Beweiss nicht kann geführet werden, müssen sie ohnverrichteter sach wieder abziehen“. Aus Süddtl. und der Schweiz ist das Dach- abdecken namentlich in den Rechten der Zähringerstädte bezeugt. Während das Stadtrecht von Freiburg i.Br. von 1120 ge- phantasievolle Übertreibung. Aber es liegt hier der Niederschlag eines uralten und ernsthaften Gewaltbrauches vor. Was die Knaben noch um 1850 in Läufeifingen scherzweise sangen, ereignete sich mehr als 300 Jahre früher wirklich im gleichen Baselbiet, nämlich in Liestal, wo in den Jahren kurz vor 1500 einem Schultheiß des Städt- leins das Dach abgedeckt wurde. Gleiche Herkunft verraten auch die Rdaa. einem auf dem Dache sein (sitzen): ihn bedrängen, ihn scharf beaufsichtigen; einem zu Dache wollen:ihm etw. anhaben wollen; ,Einem aufs Dach steigen' gen den flüchtigen Totschläger die Hauswüstung vorsieht, kennen seine Tochterrechte außer Bern für diesen Fall nur noch das Dachabdecken. In Kinderliedern des Heischebrauchs leben diese Rechtsbräuche noch als Reliktformen fort. So zogen z.B. in Läufelfingen zur Fastnachtszeit die Knaben maskiert herum und forderten im Heischelied die Gabe mit der Drohung: Wenn der is aber nüt weit geh, So weimerech Küh und Kälber neh, Mer weinech s’Hus abdecke, Mer weinech uferwecke! Die Drohung mit nächtlicher Dachabdek- kung erscheint auf den ersten Blick kindlich jem. recht zu Dache gehen: einen Streit mit ihm anfangen; einem ins Dach reiten: ihm Vorwürfe machen. Jem. den roten Hahn aufs Dach setzen: sein Haus in Brand stek- ken (/'Hahn). Auf einem strohernen Dache fahren: hof- färtig, eitel und ehrgeizig sein, schon bei Seb. Brant im ,Narrenschiff4 (92) bezeugt. Die Bdtg. Dach = Kopf ist bereits mhd. (vgl. das ,Passional4 314, 84: ,,diu hant da mite si sluoc üf sin dach“); noch heute gebraucht man jem. eine aufs Dach geben: ihm eine auf den Kopf schlagen ; eins aufs Dach kriegen: gerügt werden; auf das Dach halten: beim Schießen nach dem Kopfe zielen; 188
Dalles im Siebenb.-Sächs. bedeutet ,af det Doach klopen4 eine Anspielung machen, vgl. ,auf den Busch klopfen4. Etw. im Dach haben: angetrunken sein; einen Dachschaden haben: nicht ganz bei Verstand sein, vgl. die bair. Wndg. ,dem fehlt’s im Dachstuhl4, es fehlt ihm an Verstand; auch: ,bei dem ist ein Dachziegel locker4 (/’Schraube). Eis. ,auf dem Dache sitzen4, ärgerlich sein; ähnl. meckl. ,Dor is glik Füer unner’t Dak4, er gerät leicht in Zorn (ZOberstübchen). Etw. unter Dach bringen: ein Werk (z.B. einen Neubau) im Rohbau fertigstellen, wobei ein Rest von feinerer Arbeit noch zu tun bleibt; häufiger in der Form: etw. unter Dach und Fach bringen: es in Sicherheit bringen, wobei urspr. an die Erntebergung gedacht ist; im ndd. Bauernhaus wird der Zwischenraum zwischen zwei Ständerpaaren der Hauskonstruktion als ,Fach4 bez. Ein Dach über dem Kopfe haben: geborgen sein. Mit jem. unter einem Dache wohnen: im gleichen Hause leben. Etw. auf den Dächern predigen: es laut und offen verkünden, eine Rda. bibl. Herkunft (vgl. Matth. 10,27 oder Luk. 12,3), die in gleicher Weise auch in anderen europ. Sprachen gebräuchl. ist. Die Spatzen pfeifen es von allen Dächern: es ist allg. bekannt. Unterm Dach juchhe!: unter dem Dach, in einer Mansarde. Die Rda., die aus dem lustigen Lied ,Unterm Dach juchhe, da hat der Sperling seine Jungen4 herrührt, vergleicht die Ersteigung einer Dachwohnung mit dem Erklimmen eines Berggipfels, von dem der Bergsteiger sich den unten Stehenden mit einem Jauchzer bemerkbar macht. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer, 4.Aufl., Bd. II (Leipzig 1899), S.319ff.; J.R. Dieterich: Eselritt und Dachabdecken, in: Hess. Bl. f. Vkde. I (1902), S.87-112; A.Coulin: Die Wüstung, Zs. f. vergl. Rechtswissenschaft32 (1914), S. 381 ff.; H. Schneider: Dachabdecken, in: Hess. Bl. f. Vkde. 13 (1914), S. 121-123; E. Baumann: Heimsuchung aus der Zeit der Helvetik, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 37 (1939), S.179ff.; K. Meuli: Hauswüstung in Irland 1848, in: Schweiz. Vkde. (Korr.Bl.) 41 (1951), S. 15-18; ders.: Charivari, Festschrift F.Dornseiff (1953), S.253L; H. G. Wackernagel: Altes Volkstum der Schweiz (Basel 1956), S.222ff., 259ff., 266f.; ders.: Volkskundliches in Zeitungen des 19. Jh., in: Schweiz. Arch. f. Vkde. (Basel 1957), Bd.53, S.31-32; N.Zahn: Die Wüstung im ma. Recht unter bes. Berücksichtigung von Italien und Flandern (Diss. Basel 1956), bes. S.77ff.; E. Fischer: Die Hauszerstörung als strafrechtliche Maßnahme im dt. MA. (Stuttgart 1957), S. 167f.; R. Weiss: Häuser und Hauslandschaften der Schweiz (Erlenbach-Zürich u. Stuttgart 1959), S.62L; Th.Bühler: Wüstung und Fehde, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 66 (1970), S. 1-27. Dachs. Der Dachs ist wegen mehrerer Eigenschaften sprw. geworden, namentlich: schlafen wie ein Dachs: fest schlafen (vom langen Winterschlaf des Dachses); ebenso: faul wie ein Dachs; schlau wie ein Dachs, schon im Mhd. z.B. in Strickers ,Pfaffe Amis4 (V. 1264): „kündic als ein dahs“. Sich wehren wie ein Dachs: starken Widerstand leisten, wie es der in seinem Bau angegriffene Dachs gegen die Jagdhunde tut; dann auch: essen, arbeiten wie ein Dachs; immer zu Hause sein wie ein Dächschen; von seinem eigenen Schmalz (oder Fett) leben wie ein Dachs; z.B. in Schlesw.-Holst. ,He tehrt von sien egen Fett as de Dachs4, er lebt von seinem Vermögen. Während seines Winterschlafes nimmt der Dachs keine Nahrung zu sich, sondern zehrt von seinem eigenen Fett. Mit einem Jungen Dachs4 bez. man einen Burschen, der auch ein ,frecher Dachs4 (,Frechdachs4) sein kann. daheim. In einer Sache daheim sein: darin beschlagen sein, Bescheid wissen, bes. in Oberdtl. gebräuchl. Dazu obersächs. ,nich derheeme sein4, nicht recht klug, nicht bei Verstände sein; und ,Der tut wie derheeme4, er benimmt sich zwanglos. ,Daheim ist er ein Mann4 wird von einem Schwachen und Furchtsamen gesagt. Vgl. lat. ,Extra periculum audax4. - ,Gallus in suo sterquilinio plurimum potest4. Dalles. Den Dalles haben, im Dalles sein (sitzen), sich den Dalles holen: in Geldverlegenheit oder Bedrängnis geraten, Zban- kerott sein. Das Wort Dalles gehört zu hebr. ,dalluth4 = Armut, Geldverlegenheit und ist über das judendt. ,dalüss4 = Armut, Elend und rotw. ,dalles4 in die dt. Mdaa. eingedrungen, wo es heute noch sehr verbreitet ist. Als Ausgangspunkt wird Frankfurt a.M. um 1800 angenommen. Verschiedentlich ist in der Umgangssprache eine Erweiterung der Wortbdtg. eingetreten. Jem. hat einen Dalles meint auch, 189
Dalli daß ein Mensch verrückt ist oder daß Dinge (z.B. das Auto) einen Schaden haben. Schwab, heißt ,Der hat sein Dalles4, er hat sein Teil abbekommen. Rhein. ,em den Dalles gin\ einem den Rest geben; ,den Dalles en de Knoke han4, krank sein. Die Wndg. Bruch, Dalles und Kompanie wird von Unternehmungen gebraucht, die sich in mißlicher finanzieller Lage befinden. Alles Bruch und Dalles: eine Sache hat sich zerschlagen, hat einen unerwünschten Ausgang genommen. dalli. Dalli machen: schnell, flink arbeiten. Das vor allem in den mdt. und ndd. Mdaa. belegte Wort dalli ist aus dem poln. Zuruf ,dalej4 = vorwärts Ende des 19. Jh. übernommen worden. Mit dalli, dalli! wird heute allg. zu schnellerem Arbeiten oder zu rascherer Gangart aufgefordert. Es ersetzt das sprachl. unbequemere dt. ,flink, flink!4 oder ,schnell, schnell!4. Damaskus /Saulus. Damm. Auf dem Damm sein: munter, gesund, tätig sein; von einem Genesenden sagt man Er ist wieder auf dem Damm; einen auf den Damm bringen:ihm forthelfen, ihn in die Höhe bringen. Ältere Zeugnisse für diese bildl. Ausdr. fehlen; sie sind zumeist seit etwa 1850 belegt. Der Damm in diesen Redewndgn. ist der gepflasterte Fahrweg, auf dem man sich sicherer fühlte und besser vorwärtskam als auf den noch unbefestigten Fußsteigen. In dieser Bdtg. wird Damm noch heute in Mittel- und Norddtl. gebraucht (vgl. den Berliner ,Kurfürstendamm4). In Berlin heißt es: ,Der jehört uf n Damm (un nich uf’t Trit- toar)4, er gehört nicht in unsere Gesellschaft. Man sagt auch : Den habe ich gehörig auf den Damm gebracht: ich habe ihn weggejagt. Es ist also nicht nötig, bei diesen Rdaa. an die gegen Überschwemmungsgefahr aufgeschütteten Dämme zu denken, auf denen man vor den Gefahren des Moores, des Sumpfes oder des Meeres sicher war, wohl aber bei den folgenden Rdaa.: jem. einen Damm entgegensetzen und gegen etw. einen Damm aufrichten; sie bedeuten: energischen Widerstand leisten. ,Ein Damoklesschwert über sich hängen haben* Damoklesschwert. Ein Damoklesschwert über sich hängen haben: sich ständig bedroht fühlen, in größter Gefahr schweben. Die Rda. geht auf eine Erzählung Ciceros zurück (Tusc. Disp. V,21,6), die auch Geliert in seiner Fabel ,Damokles4 bearbeitet hat (,Fabeln4, Leipzig 1748, Bd.I, S.94L): „Einst rühmte Damokles, ein Höfling des Tyrannen von Syrakus (Dionys der Ältere 405-367), seinen König als den glücklichsten aller Sterblichen. Dieser wollte ihm eine Lehre über das wirklich gefahrvolle Leben eines Mächtigen erteilen und bot ihm das vermeintliche Glück an. Er wies ihm einen Platz an der königlichen Tafel zu und stellte ihm alle Herrlichkeiten und Genüsse zur Verfügung. Heimlich ließ er jedoch über dem Haupte des Damokles ein Schwert aufhängen. Als dieser sich entzückt umschaute, erblickte er das Schwert, das nur an einem Pferdehaar über ihm hing, und verlor vor Furcht die Freude an den Genüssen der Tafel. Deshalb beschwor er den Tyrannen, ihn zu entlassen, da er seinen Glückes satt sei44 (Büchmann, S.507). Ähnl. sagen wir heute ,Sein Leben hängt nur noch an einem Faden4, was als Rda. auch bereits lat. bezeugt ist, /Faden. Dampf. Dampf hinter etw. machen: zur Eile antreiben; gemeint ist der Wasserdampf als 190
Dampf Treibkraft. Jem. Dampf machen: ihm Angst einjagen, ihn einschüchtern, ,ihn unter Druck setzen'. Jüngere Rdaa. aus dem Anfang des 20. Jh. sind: (seinen) Dampf a blassen: Wut und Ärger abreagieren, wie beim Dampfkessel den Überdruck am Ventil herauslassen; Dampf in der Waschküche meint die Spannung oder die schlechte Stimmung in Familie oder Betrieb, und die Rda. Dampf draufhaben weist auf eine hohe Fahrgeschwindigkeit, wobei eine Übertr. von der Eisenbahn auf das Auto erfolgte. Auch die Mdaa. gebrauchen Dampf vielfach in sprw. Rdaa. Schwab. ,1 schlog di, daß dir der Dampf ausgohf ; nordthür. ,in Dampe si\ betrunken sein; sächs. ,sich dampffeucht machen', sich aus dem Staube machen; meckl. ,dörch den Damp gähn', auskneifen. Scherzhaft sagt man vom Raucher: ,Mit Dampf geht alles besser'. Dampf wird ähnl. wie ,Dunst' auch als Bild der Nichtigkeit gebraucht, so in dem Ausdr. Er ist ein Hans Dampf (in allen Gassen), was heute immer mehr durch das engl. ,Allroundman' ersetzt wird. Jean Paul gebraucht: ,,ein gescheiter Mensch, kein Hans Dampf". Der Titel einer Erzählung von Heinrich Zschokke (1771-1848) lautet: ,Hans Dampf in allen Gassen'. Während die Rda. ,Hans in allen Gassen' schon in Joh. Agricolas Sprichwörtersammlung (Nr. 257) erwähnt wird, ist das allg. Bekanntwerden des Zusatzes ,Hans Dampf in allen Gassen4 auf eine satirische anonyme Flugschrift zurückzuführen, die 1846 in Gotha erschien: ,Die Wirkung des Dampfes oder das Leben auf der thüringer Eisenbahn in Wahrheit und Lügen geschildert und an alle Freunde des Dampfes gewidmet von...' Dort heißt es in der 10. Strophe: Nun kommt auch Hans George, genannt der Hans Dampf, Hat Abschied genommen, überstanden den Kampf, Er will gern mit fahren in die höllische Fremd’, Mit seinen sieben Sachen, zwei Strümpf und ein Hemd; Das Entree bezahlet das Mütterchen fein, Und nun fährt der Schlingel über den Rhein. In Gotha wird behauptet, ein Hans Dampf sei dort im 19. Jh. eine leibhaftige, stadtbekannte Persönlichkeit gewesen. ,Hans Dampf heißt noch heute eine bekannte Gaststätte in Gotha (Büchmann, S.278). Einem Dampf antun: ihn ärgern, quälen oder necken. In dieser Rda. hat Dampf die Bdtg. von Bedrängnis, Pein. So wird Dampf schon im mhd. ,Passional' (283,13) gebraucht: Philippus der herre guot Leit durch got disen camp Unde den bitterlichen damp Der in betwanc so daz er starp. An einer anderen Stelle im ,Passional' (680,76) spricht Christus zur hl. Katharina: Bekenne wol nach rechter gir Dinen schepfer an mir, Durch den du bist zu kämpfe Getreten in disme dampfe, Der angest brenget unde wê. Die Bdtg. von Dampf als Kummer und Pein findet sich noch im ,Venus-Gärtlein‘: Das willig-angetane Kräncken, Das Seufftzen mit entzücktem Muht, Die halb-erloschne Lebens-Funcken, Die seynd es, was uns Dampf antut. In der heutigen Bdtg. (jem. mit Absicht in Ärger und Bedrängnis bringen) wird die Rda. schon von Grimmelshausen im Simplicissimus' gebraucht, z.B. (III,8, S.278): „welche (Dragoner) den unsrigen daselbst vil dampfs anthäten“. Im ,Haushaltungsbuch' des Nostitz heißt es 1515: „Der hab ihm und anderen Abgesetzten den Dampf gethan und das gebrannte Herzleid angelegt". Mdt. heißt die Rda. auch mit Stabreim: ,einem allen Tort und Dampf antun', gleichsam mit bösem Dunst anhauchen oder ihn darin einhüllen, wie z.B. bei Jean Paul: „mir zum Tort und Dampf". Mdal. etwa meckl.: ,einen den Damp daun', jem. den Atem versetzen, übertr.: ihn ins Unglück bringen, auch: ihm einen Streich spielen; ndl. ,iemand de dampen aandoen'. Ähnl. ist die Rda. Dampf haben (kriegen) vor etw.: Angst haben (bekommen); auch in ihr wird Dampf in der bildl. Bdtg. von Bedrängnis, Angst gebraucht. Dasselbe alte ,Dampf steckt auch in der aus Bayern bezeugten Rda. im Dampf bleiben: in der Bedrängnis bleiben, zugrunde gehen, zunichte werden. 191
Dämpfer Dämpfer. Einem einen Dämpfer auf setzen: ihn mäßigen, sein übertriebenes Selbstgefühl mindern. Die Rda. stammt aus dem Bereich der Musik. Der Dämpfer ist eine Vorrichtung, durch die der Klang eines Instruments abgeschwächt werden kann; bei der Posaune oder Trompete besteht er z. B. aus einer trichterartigen Klappe, bei den Streichinstrumenten aus einer Klammer (ital. ,sordino1), die auf den Steg gesetzt wird. Ähnl. Redewndgn. wie im Dt. sind auch in anderen Sprachen gebräuchl., z.B. frz.,mettre une sourdine à ses prétentions4, ,à la sourdine' = heimlich; engl. ,to put a damper on4. Dampfnudel. Auf gehen wie eine Dampfnudel: dick werden, schnell zunehmen, z.B. rhein. ,Do geht em et Herz uf wie e Dampfnudel4. Schwäb. sagt man von einer Schwangeren: ,Sie hat Dampfnudeln gegessen4. Saarländ. ,Et geht mer en Dampfnudel uf4, ähnl. gebraucht wie: ,Es geht mir ein Licht auf, es fällt mir etw. ein. Danaergeschenk. Es ist ein Danaergeschenk: es ist eine verdächtige Gabe, die zwar Vorteile verspricht, aber auch eine unbekannte, tödliche Gefahr in sich bergen kann. Die Rda. bezieht sich auf den Warnruf des Laokoon, der von den Trojanern nicht beachtet wurde. Nach Vergil (Aen.II,49) sagte er, als er das hölzerne Pferd vor den Mauern der belagerten Stadt Troja sah: „Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes44 (= Was es auch sei, ich fürchte die Danaer, selbst wenn sie Geschenke bringen). Die Griechen (Danaer) hatten ihren Rückzug nur vorgetäuscht und das Gerücht verbreitet, daß sie den Göttern dieses Riesenpferd für den Fall ihrer glücklichen Heimkehr gelobt hätten. Als die Trojaner, die allg. als die Beschenkten gelten, das Pferd in ihre Stadt zogen, kamen die verborgenen griech. Krieger daraus hervor und erleichterten den Belagerern die Eroberung und Vernichtung der Stadt. Der Ausdr. Danaergeschenk wurde wohl durch Seneca (Agam. 624) geprägt, der das Pferd „Danaum fatale munus44 (= ein fatales Danaergeschenk) nannte (Büchmann, S.515). Danaiden. Eine Danaidenarbeit verrichten: eine unendlich mühevolle und trotzdem vergebliche Arbeit tun müssen. Ebenso bedeuten die Rdaa.: ins Danaidenfaß schöp- fen und das Faß der Danaiden füllen wollen, daß vergebliche Anstrengungen unternommen werden. Die bis heute üblichen Wndgn. beziehen sich auf eine griech. Sage, die von Hyginus 168 erzählt wurde: Die Danaiden, die 50 Töchter des Königs Danaos, hatten, mit Ausnahme von Hyperm- nestra, auf Befehl ihres Vaters ihre Männer in der Brautnacht ermordet. Zur Strafe wurden sie dazu verdammt, in der Unterwelt beständig Wasser in ein durchlöchertes Faß zu schöpfen. Lucian benannte dieses Faß zuerst (,Timon4 18; ,Hermof 61): „6 tgöv Aavoaôoùv tuûoç“. Auch in anderen Sprachen ist das Danaidenfaß4 in den Volksmund übergegangen, z.B. ndl. ,het vat der Danaiden vullen4; engl. ,the Danaidean tub4 und frz. ,le tonneau des Danaides4. Dasselbe Bild, wenn auch nicht in Verbindung mit dem sagenhaften Namen, war im Lat. gebräuchl.: ,in pertusum ingerimus dicta dolium4 (Plautus, Pseud. 1, 3, 135); auch: ,in vas pertusum congerere4 (Lukrez, 3, 949). Vgl. hierzu unsere Rda.,Wasser in ein Sieb schöpfen4, /Wasser (Büchmann, S. 113). Dank, danke. Einem etw. zu Dank machen: es ihm recht machen, so daß er damit zufrieden ist. Dank hat in dieser Rda. nicht den Sinn von ,Danksagung4, den wir jetzt mit dem Worte verbinden, sondern bedeutet noch wie urspr. anerkennendes Gedenken, Anerkennung4. Im ,Nibelungenlied4 (461,2) ruft Brunhild, von Siegfrieds starkem Speerwurf getroffen, Gunther zu: „Günther, ritter edele, des scuzzes habe danc44. In dem Schwank des Strickers ,Der Pfaffe Amis4 (V.1636) heißt es: Ez ist mir wol ze danke (= sehr lieb), daz ich iwer spräche hän vernomen. Die Verwandtschaft mit,denken4 zeigt sich auch noch in der Wndg. Ich weiß es ihm Dank, in der ,es4 ein alter Genitiv mit dem Sinn ,dafür4 ist ( Trübner II, S.21). ,Dank4 oder ,Habedank4 nannte man in der Turniersprache geradezu den Preis, den die Dame den besten Kämpfern des Tages 192
Daumen überreichte. Diese Vorstellung liegt wohl auch noch den Abschiedsworten des Ritters Delorges in Schillers Ballade ,Der Handschuh1 zugrunde: „Den Dank, Dame, begehr’ ich nicht!“ Mir gehfs danke! Antwort auf die Frage ,Wiegehfs?4 /gehen. Diese Floskel ist ei- gentl. nur eine halbe Antwort, sie enthält zwar den Dank für die Nachfrage, aber keine rechte Auskunft über das Befinden; somit ist sie eine der vielen Tabu-Ausdrücke, vgl. z. B.,durchwachsen1. Die Feststellung Sonst gehfs dir danke! heißt: du bist verrückt. Mit Danke dito!Danke desgleichen! erwidert man die guten Wünsche eines Mitmenschen. Die Rda. fiiretw. bestens danken gilt als Umschreibung für eine Ablehnung, hat also eine Sinnverkehrung erfahren, ebenso wie die Wndg. danke für Obst (und Südfrüchte). dasitzen, dastehen. Wird ein Mensch in einer komischen oder lächerlichen Situation angetroffen, so stellt sich bei seinen Mitmenschen sogleich irgendeine treffende Bemerkung ein, die die Lage des Verspotteten durch einen witzigen Vergleich illustriert. Die Umgangssprache kennt eine Fülle solcher sprw. Vergleiche mit dastehen und dasitzen, die hier unmöglich alle aufgeführt werden können. Auch die dt. Mdaa. wetteifern im Gebrauch solcher Wndgn. mit dastehen, dabeistehen oder dasitzen wie... Überlandschaftlich sind bes. häufig gebräuchl.: Er sitzt da wie eine Katze (ein Affe) auf dem Schleifstein; er sitzt da wie ein Häufchen Unglück, Elend; er steht da wie das Kind beim Dreck: unbehaglich, verlegen; er steht da wie bestellt und nicht ab geholt: unschlüssig; er sitzt da wie geliehen (geborgt); er steht da wie ein Ochs vorm neuen Tor (vor der Apotheke, vordem Berg). Weniger bekannt sind die Rdaa.: ,Er sitzt da, als hätte er eine Laus im Ohr“ ,er sitzt da wie ein Affe im Garnladen“ ,er sitzt da wie ein geschnitztes Bild4 ; ,er sitzt da wie eine Eule im Sterben4; ,er steht da und hält Maulaffen feil4 (/Maulaffe); ,er steht da wie der Esel vor der Schmiede4; ,er steht da wie ein Kind, dem die Hinkel (Hühner) das Brot gefressen haben4; ,er steht da wie ein Klotz4; ,er steht da wie ein zweihenkeli- ger Topf4 (d.h. die Hände in die Seiten gestemmt); ,er steht da wie eine gebackene Birne4; ,er steht da wie eine gebadete Maus4; ,er steht da wie Hans Michel Meerrettich4 (bes. schles.) ; ,er steht da wie Petrus am Kohlfeuer4; ,sie stehen da wie die Gänse, wenn’s donnert4; ,er steht da wie vom Donner gerührt4 (vgl. auch Blitz); ,er steht dabei wie Pique Sieben4, ,wie Trumpf Sechs4 (schwäb. ,wie ein Schellen-Dreier4), unnütz; ,er steht da wie Butter an der Sonne4 (/Butter); ,er steht da wie ein Ölgötze4 (/Ölgötze); ,er steht da wie ein begossener Pudel4 (/Pudel). Einige Beispiele aus dem mdal. Vorrat: ,Er stît do wä en ofgeliese Wangert4 (wie ein abgelesener Weingarten), teilnahmslos (siebenb.-sächs.); ,er steht da wie ein paar neue Schweizerhosen4, breit und wichtig; ,du sitzest da, wie der Veitle auf dem Hafen4; ,er sitzt da, wie wenn er das Vaterunser verspielt hätte4, trübselig; ,er steht da wiedasPfännle ohne Stiel4, ,wie ein hölzerner Herrgott4 (alle schwäb.). ,Hei sittet doa äs de Ule vörm Astlock4; ,se stönnen doa, as de Gänse wenn’tgrummelf (westf.). ,Du stehst da wie ein Napfkuchen ohne Loch4; ,du stehst da, wie wenn du nach Kevelaer gefahren wärst und hättst den Rosenkranz vergessen4 (niederrhein.); ,er sitzt da, wie Matz vor der Essigtonne4; ,sie sitzt da wie eine Braut, die niemand haben will4 (holst.); ,he steiht da, als wenn em de heh- ner dat Brot wechjenoahme hebbe4 (preuß.); ,dear hockt dau, wia de oi- schischte Henna of m Mischt (wia a krank’s Heahle - wia’s Ke(n)d beim Dreck)4; ,dear stauht dau wia d’r Ochs voaram Eva(n)ge- libuach (wia a Kuah im Hennanest)4; ,dear stoht na wia d’r Lauba-Dreier4 = der Laub-Ober im Kartenspiel (nach Schindl- mayr, S.7 u. 9). Die Wndg. Wie stehe ich nun da!mt\nV. was sollen die Leute von mir denken, ich bin blamiert (Wanderl, Sp.559f.). Lit.: W. Widmer: Volkstüml. Vergleiche im Frz. nach dem Typus „Rouge comme un coq“ (Diss. Basel 1929); H. W. Klein: Die volkstüml. sprw. Vergleiche im Lat. und in den rom. Sprachen (Diss. Tübingen, Würzburg 1936); A. Taylor: Proverbial Comparisons and Similes from California (Berkeley, Los Angeles 1954), Folklore Studies 3. Daumen. Jem. den Daumen halten: ihm in Gedanken in kritischen Stunden mit guten, 193
Daumen Unheil abwehrenden Wünschen beistehen; jem. zu einer wichtigen Entscheidung guten Erfolg wünschen. Die Rda. ist identisch mit der Wndg. den Daumen drücken und war urspr. eng mit einer Geste verbunden, die gelegentlich noch heute die Aufforderung: ,Halte mir den Daumen!1 und die beruhigende Zusicherung: ,Ich werde dir den Daumen halten (drücken)4 begleitet. Der Daumen wird dabei zwischen die übrigen vier Finger der Hand eingeschlagen und von ihnen festgehalten oder kräftig gedrückt. Die Rda., die als Ausdr. einer besorgten Anteilnahme zu verstehen ist, kann in Verbindung mit der entspr. Gebärde als Rest eines alten Bindungszaubers angesehen werden. Man will gleichsam den feindlichen, einer wichtigen Sache Schaden bringenden, den Menschen in einer kritischen Situation zusätzlich bedrohenden Dämon festhalten und bannen, so wie man analog den Daumen in die Hand einschlägt. Diese Gebärde ist zugleich obszön und auch in dieser Beziehung von apotropä- ischer Wirkung. Bereits Plinius erwähnt dazu ein Sprw. und schreibt in seiner pistoria naturalis4 (28,25): „pollices, cum faveamus, premere etiam proverbio iube- mur44. (Schon das Sprw. fordert uns auf, den Daumen zu pressen, wenn wir jem. geneigt sind.) Bei den röm. Gladiatorenspielen war es Brauch, daß das Publikum in der Arena den Daumen einschlug (,premere pollicem4), um für einen gestürzten Kämpfer Gnade zu erbitten; der ausgestreckte Daumen aber bedeutete das Gegenteil (,convertere pollicem4). Auch im Volksglauben der germ. Völker werden dem Daumen übernatürliche Kräfte zugeschrieben, die man im Zauber und in der Volksmedizin zu nutzen sucht. Dem Daumen als,Glücksfinger4 wird sogar eine alpartige Natur beigelegt. Besondere Wirksamkeit maß man dem Daumen eines gehenkten Diebes zu (/Diebsdaumen). Vor allem aber wurde das Einschlagen des Daumens als eine Art Bannzauber gegen Dämonen und Hexen angesehen; nach schles. und tirol. Volksglauben soll man während der Nacht den Daumen festhalten, damit einen der Alp nicht drücke. Auch in den DS. (Nr. 81) heißt es: „Wenn er (der Alp) drücket, und man kann den Daumen in die Hand bringen, so muß er weichen44. In seiner ,Dt. Mythologie4 gibt Jacob Grimm mehrere Beispiele für den Volksglauben in Verbindung mit dem Daumenhalten. So kann man sich z.B. vor dem Beschreien wahren, wenn man den linken Daumen einbiegt, ebenso vor den Folgen des Meineids oder vor dem Biß eines wütenden Hundes (Dt. Myth. 3, 457, Nr. 666); die Gebärende muß zu ihrem Schutz nach der Geburt den Daumen einziehen (Dt. Myth. 3, 460, Nr. 732); beim Sprechen des Wurmsegens bestand die direkte Anweisung: „nim den gerechten dü- men in die gerechte hant“ (Dt. Mythol. 3, 500, Nr. XXVIII). In der Volksmedizin spielt das Daumendrücken noch eine Rolle als Mittel gegen Herzschmerzen und Seitenstechen; einem Epileptiker bricht man den eingekniffenen Daumen aus, um die Macht des Dämons zu überwinden. Der Mensch kann zur Not einen, ja mehrere Firiger einbüßen, ohne daß die Hand zur Arbeit unbrauchbar wird; eine Hand ohne Daumen aber kann Werkzeuge, konnte namentlich das Schwert nicht mehr halten. Das altgerm: Recht belegt seine Verletzung daher mit ziemlich hoher Buße, ja er gilt schon im Recht der salischen Franken als der ,Gottesfinger4; von da ist auch die hess. Rda. verständlich Gott hat den Daumen in einer Speise gehabt: die Speise sättigt, sie genügt. Die Kraft des Daumens bez. Macht, Gewalt, Herrschaft. Daumen ist auch nach seiner etymol. Grundbdtg. ,der dicke, der starke Finger4. Ein altes Sprw. sagt, Eltern sollen den Kindern gegenüber den Daumen an der Hand behalten, solange sie können. Schon bei dem Meistersinger Frauenlob findet sich das Wort, das er den Fürsten zuruft, um sie vor falschen Dienern zu warnen: habt iu den dümen in der hant seht üf, wem ir bevelhet lip und êren pfant! Der Daumen als stärkster Finger gilt hier stellvertretend für die ganze Hand. Die Rda. ist nhd. auch in anderer Form bekannt, z.B. einen unterm Daumen halten, vgl. ndl. ,iemand onder de duim hebben4; engl. ,to have a person under one’s thumb4; auch jem. mit festem Daumen bitten: ihn bestechen. Oldenb. ,Man mot den Dumen 194
Daumen stiv holen4, man muß tapfer sein. Verwandte Rdaa. von der Kraft des Daumens sind: den Daumen auf etw. halten:es in seiner Gewalt behalten; den Daumen drauf (auf den Beutel) halten:sparsam, geizig sein (/Beutel). ,Sein Daumen hat die Gicht4 sagt man von einem schlechten, unfähigen Zahler oder einem Geizigen. Einem den Daumen aufs Auge setzen (drücken, legen): ihn durch grobe Gewaltanwendung zu etw. zwingen; die Wndg. stammt aus dem alten Kampfleben und bedeutet eigentl.: einen im Zweikampf überwinden und ihm drohen, daß man ihm mit dem draufgehaltenen Daumen das Auge ausdrücken werde, wenn er nicht um Gnade bitte (daher auch die Rda.: ,einem eins auswischen4, ihm ein Auge ausdrücken). Daß es früher nicht bei dieser Drohung geblieben ist, zeigen z.B. die Worte des zum Räuber gewordenen Meiersohnes Helmbrecht (,Meier Helmbrecht4, V. 1243 ff.), mit denen er sich der Künste rühmt, die er in der Schule der Raubritter gelernt hat, um die Bauern zu quälen: dem ich daz ouge üz drucke, disen hähe ich in den rucke, . disen bind ich in den ämeizstoc. usw. Die Rda. selbst ist z.B. in Schillers Verschwörung des Fiesko zu Genua4 (II, 8) belegt: „Ihr sollt es nicht dulden! Ihr sollt ihm den Daumen aufs Auge halten44. Im Fränk. bedeutet die Wndg. ,Ar setzt’n ’n Dauma ufs Ag4: er betrügt. Zu den friedlichen Beschäftigungen des Daumens gehört es, das Geldausgeben der Hand zu überwachen, indem jedes ausgezahlte Geldstück mit einem prüfenden Druck des Daumens entlassen wird; daher die bekannte stumm-beredte Bewegung von Daumen und Zeigefinger, um anzudeuten: ,Dazu braucht man Geld4. Hierher gehört die aus Bayern und auch sonst bezeugte Rda. den Daumen rühren: zahlen, Geld ausgeben (z.B. lux. ,Hie kann den Daum nët réieren4, er besitzt kein Geld); weitere damit zusammenhängende Wndgn. sind: einen kranken Daumen haben: kein Geld haben; er hat, was vor dem Daumen hergeht: er besitzt Geld, bezeugt schon bei Kirchhoff: „dasz sie des dings das unter dem daumen herlauft, nicht mehr haben44; vgl. die hamb. Rda. ,He hat wat förn Dum4, er hat Vermögen. Ebenso heißt etwas vor den Daumen bringen: Geld haben. In älterer Sprache, z.B. bei Fischart und Kirchhoff, bedeutet die Rda. den Daumen rühren (wenden): lügen, betrügen; vgl. fläm. ,Dese roert den duym4. >*8 ,Den Daumen rühren1 Ebenfalls mit einer Gebärde verbindet man die heute allg. verbreitete Wndg. Däumchen drehen: müßig herumsitzen oder -stehen. Bis zur Einführung des metrischen Systems war der Daumen auch Längenmaß und entsprach ungefähr einem Zoll; daher ist noch landschaftlich (z.B. rhein.) verbreitet: ,so lang wie ein halber Daume4 u. ä. (,Däumling4). Auch beim Abmessen von Tuch mit der Elle wird der Daumen benötigt; dabei besteht die Gefahr, daß durch wiederholtes falsches Ansetzen des Daumens zuviel (oder auch zuwenig) Tuch abgemessen wird; daher die eis. Wndg. ,Er hat viel Ellen gemessen, er het gor e breiten Dumen4, und westf. ,Hä slätt em wot un- nern Dumen4 (vgl. unterschlagen4). ,Er wiegt den Daumen mit4 sagt man oft von einem, der einen beim Abwiegen von Waren übervorteilt. Beim Militär und bei der Marine wird der Daumen als Hilfsmittel beim Abschätzen von Entfernungen gebraucht, woher die Rda. stammt: etw. überden Daumen peilen: ungenau und grob abschätzen. ,Peilen4 heißt in der Schiffahrt und in der Luftfahrt: den Standort bestimmen, die Richtung festlegen. Pieter Bruegel hat auf seinem Rdaa.-Bild die Wndg. ,Er läßt die Welt auf seinem 195
Daumenschraube Daumen tanzen' dargestellt in der Bdtg.: voller Hochmut die Welt nach seinem Willen bewegen wollen, /Welt. Sich in den Daumen schneiden: sich in seinen Berechnungen irren, und etw. aus dem Daumen saugen: sich etw. ausdenken, erfinden (/Finger). Ndd. ,Hei fleutjet uppen Dumen‘, er freut sich. Über den Daumen frühstücken, wobei das Brot mit dem Messer über dem Daumen abgeschnitten wird. Am Daumen lutschen: wenig zu essen haben. Lit.: W. Grimm: Uber die Bdtg. der dt. Fingernamen, Kleinere Schriften, Bd.3 (Berlin 1883), S.428ff.; HdA. II, Sp. 174; L. Mackensen, Kritische Bibliographie, in: Jb. f. hist. Vkde. 2 (1926), S. 188; L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S, 145f.; W. Ebel: ÜberRdaa. u. Recht, S.4; A. Otto: Die Sprww. der Römer (Hildesheim 1965). Daumenschraube. Jem. Daumenschrauben anlegen (oder ansetzen): ihm derb zu Leibe gehen, hart zusetzen, ihn durch moralische Zwangsmittel zu etw. bestimmen. Die Rda. ist von der Folterung entlehnt. Die Daumenschraube war ein eisernes Schraubzeug, das beim Foltern an das obere Gelenk des Daumens gelegt wurde. Die Anwendung dieses Schraubzeugs war die Daumenschrauben anlegen1 196
Decke erste Stufe der Folterung (vgl. Grimm, Dt. Wb. II, 852f.). Die Wndg. ist auch in den dt. Mdaa. (z.B. holst, ,1k sett em de duum- schruv up‘) und in andern europ. Sprachen belegt, z.B. frz. ,serrer les pouces à quelqu’un4; ndl. ,iemandde duimschroeven aanzetten'; engl. ,to put the screw on a person'. Daus. Ei der Daus! Was der Daus! Fluch oder Ausruf des Erstaunens und der Verwunderung. Daus ist wie /tausend eine der vielen euphemist. Entstellungen von /Teufel, vgl. meckl. ,Dus un Düwel!' und ,Potz Dus!'. Damit ist nicht zu verwechseln ,Daus‘ = zwei Augen im Würfelspiel, As der Spielkarte, ahd. u. mhd. dûs, aus frz. dous, von lat. duos = zwei, das ebenfalls in Rdaa. verwendet wird, z.B. preuß. ,Er ist wie ein Daus', er ist stark, kräftig, gesund. dazu. Ihr gebt mir ja nichts dazu! sagt man oft als Entschuldigung bei fehlgeschlagenen Unternehmungen oder als Antwort auf skeptische Ermahnungen. Diese urspr. volkssprachl. Rda. hat auch eine weite lit. Verbreitung gefunden. Der Schlesier Daniel Stoppe veröffentlichte 1735 neun Strophen zum Preise häuslicher Selbstgenügsamkeit, die er jeweils mit sprw. Rede abschließt. Die 7. Strophe lautet: In meinen eigenen vier Pfählen Schmeckt mir der Tobak noch so schön. Die Pfeifen darf mir niemand zehlen Noch drüber in Bedenken stehn. Ich rauch und dampf in guter Ruh, Denn niemand gibt mir was darzu. In Otto Ludwigs Novelle ,Heiterethei‘ heißt es anläßlich der Kritik eines baufälligen Häuschens: ,,... Ich will’s ihm schon sagen ! Das Häusle ist mein. Es gibt mir niemand nix dazu. Und wenn ich die ganzen Wänd’ herausmach’ und nix laß stehn als die bloße Decken .. In Goethes Ballade ,Vor Gericht4 bekennt das schwangere Mädchen vor dem Richterstuhl: Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr, Ich bitt’, laßt mich in Ruh’! Es ist mein Kind und bleibt mein Kind, Ihr gebt mir ja nichts dazu! Goethe hat hier zweifellos eine Wndg. auf¬ gegriffen, die auch einen weitverbreiteten Tanzreim abschließt: Tanze, Gretchen, tanze! Was kosten deine Schuh? Laß mich nur immer tanzen, Du gibst mir nichts dazu! Die Volksliedparallelen entsprechen nicht nur im Wortlaut, sondern auch in der zugrunde liegenden Situation oft der Goethe- schen Ballade. In einem bad. Lied heißt es z.B.: Ei Dändele, was fängst du denn a, Kriegst n klein Kind und k’n Ma! Ei, was fragst du danach? Sing ich die ganze Nacht: Eia popeia, mei Bu! ’s geit mr kei Mensch nix drzu. In dieser Form wiederholt sich die Formulierung in zahlreichen Volksliedern mit dem immer gleichen Inhalt: ein schwangeres Mädchen oder eine ledige Mutter setzt sich mit dieser Trutzformel über Spott und Hohn ihrer Umwelt hinweg. Lit.: H. Schewe: ,Ihr gebt mir ja nichts dazu4, in: Beiträge zur sprachl. Volksüberlieferung (Berlin 1953), S. 28-38. Deck. Wieder auf Deck sein: wieder gesund sein (ostpreuß. ,Hei es frösch op Deck', munter und gesund), nicht auf Deck sein: unpäßlich, krank sein; diese bildl. Ausdr. sind aus der Seemannssprache in die Umgangssprache Norddtls. eingedrungen. Von einem Genesenden sagt man: ,Er ist wieder drei Viertel auf Deck'. Meckl. ,Kumm up’ Deck!' ist eine Aufforderung zum Ausspielen beim Skat. Decke. Sich nach der Decke strecken: seinen bescheidenen Verhältnissen entspr. leben. Wer eine große Decke auf seinem Bett hat, kann sich während des Schlafens frei ausstrecken; wer nur eine kleine hat und doch nicht an den Füßen frieren will, muß eben Zusehen, wie er auskommt. In der Rda. liegt urspr. ein Scherz, der besagt: Man muß sich der Decke anpassen, wenn man nicht frieren will; man darf sich zwar ausstrecken, aber nur so weit, wie es die Decke erlaubt. Dieser Scherz wird heute beim Gebrauch der Rda. kaum noch empfunden, ja, mancher verbindet damit schon nicht mehr die Vorstellung von der Bett- 197
Decke decke, sondern denkt an die Zimmerdecke, nach der es sich auszustrecken gilt. Schon im Mhd. ist die Rda. bekannt: etwa beim Stricker (13. Jh.) heißt es: daz borgen und das gelten diu brachten lihte ein schelten: dä von wil ich mich strecken als ich mich kan bedecken. Sie begegnet auch in der Zimmerischen Chronik (IV, 67). Zu dem Holzschnitt aus Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4 gehören die Worte: Des nym war vnd acht der decken, Das du dich wißst darnach zu strecken. Es stundt gar kalt in dynem huß, Streckstu die füß zur decken vß. Goethe weiß in sprichwörtlich4 (um 1812) noch um den urspr. Bildsinn der Rda.: Wer sich nicht nach der Decke streckt, Dem bleiben die Füße unbedeckt. Noch Bismarck verwendet sie: „Die preuß. Regierung ist dann also in der Lage, sich nach der Decke strecken zu müssen, die Sie ihr zuschneiden44. Mit jern. unter einer Decke stecken: im (geheimen) Einverständnis mit ihm sein. Zu einer rechtmäßigen Eheschließung gehörte im MA. das Zudecken der Jungvermählten mit einer Decke. Dieser Brauch wurde in Ggwt. der Eltern und Verwandten geübt; sie geleiteten das Ehepaar in das Brautgemach und waren Zeugen dieses Vorgangs. Viele Rechtssprww. machen deutlich, daß dieser Brauch als eigentl. Beginn der Ehe aufgefaßt wurde: ,Ist das Bett beschritten, ist das Recht erstritten4, oder ,Ist die Decke über dem Kopf, so sind die Eheleute gleich reich4. Schon im Sachsenspiegel4 (I, 45, 1) heißt es: „it wif trit in -des mannes recht, swenne si in sin bede gat44. Aber nicht nur Eheleute schliefen unter einer Decke; die höfischen Ritterepen erzählen oft, daß die Helden zu zweien schliefen, zumal wenn eine größere Schar zu Besuch auf einem Herrensitz eintraf. Der urspr. Sinn der Rda. ist also zunächst: verheiratet sein, dann: im Einverständnis miteinander leben. Vgl. Lehmann 328 (Gleichheit 50): „Die sich miteinander vergleichen können, die schlagen einander den ballen zu. Sie seynd in eine Schul gangen, sie tragen Wasser an einer Stangen, sie liegen miteinander unter einer Deck44. Andreas Gryphius gebraucht die Wndg. „Mit dem Düwel under einer decken liggen44, gemeinsame Sache mit ihm machen. Abweichend thür. unter die Decke bringen:durchbringen, vergeuden; doch ist es fraglich, ob diese Rda. mit der Bettdecke zusammenhängt. An die Decke gehen: sehr zornig sein; junge Rda. (20 Jh.), wohl gebildet aus ,hoch gehen4. Dagegen: vor Freude an die Decke springen: sich unbän- 198
Denkzettel dig freuen (seit etwa 1850 bekannt). Will jem. andeuten, daß er es in seinem Zimmer nicht mehr aushält, sagt er: Die Decke fällt mir auf den Kopf. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer, 4. Aufl. (Leipzig 1899), Bd.I, S.609, 620; K. Weinhold: Die dt. Frauen in dem MA. (Wien 1882), S.268. Deckel. Den Deckel von den Töpfen heben (ebenso ndd. ,den Deckel von den Pot hören4 oder schwäb. ,’s Deckele vom Hafe lupfe4): mit der Wahrheit herausrücken, jem. aufklären, ihm die Meinung sagen. Die Rda. spielt darauf an, daß sich bei solcher ,Topfguckerei4 u.U. ein schlechter Geruch verbreitet. Nordostd. ,Dat paßt wie de Deckel oppem Topp4, das paßt sehr gut, und ,De send een Topp on een Deckelke4, sie sind ein Herz und eine Seele. In der meckl. Rda. ,Dee kriggt bald ’n Deckel uppe Näs’4, er stirbt bald, ist mit ,Deckel4 der Sargdeckel gemeint. Sonst bez. Deckel vulgärsprachl. den Hut, deshalb: einen auf den Deckel kriegen: gerügt werden (/’Dach, /Hut); ähnl. schwäb.,Einem den Deckel herunter tun4, ihm deutlich die Meinung sagen. Deckmantel. Ein Ding zum Deckmantel machen, etw. zum Deckmantel gebrauchen: eine schlechte Handlung beschönigen. Das Wort Deckmantel wird seit seinem ersten Auftreten in der dt. Sprache bildl. gebraucht. Es erscheint erstmals im Mhd. Ende des 13. Jh. im ,Renner4 Hugos von Trimberg, (V. 17 166-69): gelichsenheit (,Heuchelei4) hät deckemantel und hät ouch so manegen wantel daz niemen weiz an wen er sich mac geläzen; daz ist jam erlich. Bei Nicolaus von Straßburg heißt es: ,piemen ist so übel ern gere daz sin übele ein deckementelin müze haben, daz sin schände niht gar blecke44. Noch heute ist das Wort in verschiedenen Rdaa. gebräuchl.; man sagt z.B. unter dem Deckmantel der Nächstenliebe etw. tun, unter dem Deckmantel der Nacht, der Verschwiegenheit usw.; vgl. das Verbum bemänteln4, beschönigen, verbergen, und die ndl. Rda. ,iemand onder den dekmantel van vriendschap bedriegen4. deichseln. Eine Sache deichseln: eine schwierige Sache meistern, sie geschickt durchführen. Die Wndg. ist seit der Mitte des 19. Jh. mdal. und stud, belegt, bes. in der Form: Das werden wir schon deichseln! Das Zeitwort deichseln bedeutet ,an der Deichsel lenken4; es gehört viel Geschick dazu, einen unbespannten Wagen an der Deichsel rückwärts zu lenken, z.B. in eine Scheune oder eine Toreinfahrt; deshalb hat deichseln den Sinn ,eine Sache geschickt durchführen4 angenommen. denken. Denkste! (sagt der Berliner); Haste gedacht!sind allg. verbreitete Floskeln, mit denen man auf einen Irrtum hinweist oder Ablehnung ausdrückt. Eine Steigerung bedeutet die Wndg. typischer Fall von denkste: ein großer Irrtum. Die Rda. Ich denke nicht daran enthält eine strikte Ablehnung, während der Ausruf Der soll noch einmal an mich denken lernen! eine Drohung ist, wenn sofortige Rache unmöglich scheint. Er denkt, daß St. Peter ein Schüler war ist eine von Seb. Brant gebrauchte Rda. zur Bez. der Unwissenheit. In seinem ,Narrenschiff4 heißt es einmal: „Er denkt nur von der Nase in den Mund“:zY denkt nur an das Nächstliegende. Ähnl. die heute noch gebräuchl. Wndg. Er denkt nur von elf (zwölf) bis Mittag: ex ist vergeßlich, kann nicht weit denken; schwäb. ,Du kannst denken von den Handzwehle bis zur Stubetür (an der sie hängt)4. Bei überraschenden Ereignissen sagt man Ich dachte, Ostern und Pfingsten sollten auf einen Tag fallen. Sich seinen Teil denken: sich eine eigene Meinung über etw. machen, sie aber nicht kundtun. Denken wie Goldschmieds Junge: sich sein Teil denken (/Goldschmied). Denken wie ein Seifensieder (/Seifensieder). Denkzettel. Einefn einen Denkzettel geben: ihm eine fühlbare Erinnerung geben, damit er in Zukunft einer Sache oder einer Person besser eingedenk ist. Das zweite Glied des Wortes Denkzettel ist das mlat. sedula4 = Papierblättchen. Das Wort Denkzettel, das heute einen harmlosen und leicht humoristischen Klang besitzt, war urspr. eine ernst zu nehmende und achtunggebietende Sache. Der Gedenkzettel (ndl. gedenkcedel) war im 15. Jh. 199
Deputat - etwa im hansischen Recht bezeugt - zunächst die schriftl. Mitteilung des Gerichts, die Übermittlung der Ladung oder der Klage. Später nahm es die allg. Bdtg. ,schriftl. Mitteilung4 an. Mit „denkzedel“ übers. Luther 1522 in Matth. 23,5 griech. (puÀccxirjpiov = Gedenkriemen mit Gesetzessprüchen. Der jüd. Denkzettel war ein Pergamentstreifen, worauf nach der Verordnung in 4.Mos. 15,38f. und 5.Mos. 6,8 einige Bibelsprüche verzeichnet waren. Dieser Pergamentstreifen wurde in einem Kästchen aufbewahrt und mit einem Riemen an die Stirn oder an den linken Arm gebunden. Inder Übers. vonMaleachi 3,16 gebraucht Luther schon 1532 „Denkzettel“ für eine Liste dessen, was man nicht vergessen soll: „Aber die Gottesfürchtigen trösten sich untereinander also: Der Herr merkt und hört es, und vor ihm ist ein Denkzettel geschrieben für die, so den Herrn fürchten und an seinen Namen gedenken“. Einige Jahrzehnte später bez. das Wort 1561 bei Jos. Maaler (,Die teütsch spraach4, Zürich 89b) das .Notizbuch4: „denkzädel, gedenkbüchle, darin einer täglich aufschreibt, was er thuon oder auß- richten will / libellus memorialis44. Einen Denkzettel erhielt dann, wer mit einem wichtigen, umfänglichen Aufträge an einen andern abgeschickt wurde, z.B. ein städtischer Ratsherr, der als Abgesandter zum Landesherrn ging. In den Jesuitenschulen wurde früher auch Schülern, die sich irgendwie vergangen hatten oder an denen der Lehrer irgendeine schlechte Neigung bemerkte, ein Denkzettel ausgefertigt, auf dem der betr. Fehler verzeichnet stand und den der Schüler stets bei sich tragen mußte, /Esel. Da den Schüler mit dem Denkzettel oft handgreifliche Ermahnungen und Prügelstrafen erwarteten, bekam das Wort über die Schulsprache seine heute allg. bekannte Bdtg.: körperlich fühlbare Erinnerung, Strafe. Bes. in dieser Bdtg., auch in Form eines ,blauen Auges4, einer Narbe, einer Frostbeule u. dgl„ ist das Wort in unseren Tagen lebendig. An seinen Urspr. und seine älteste Bdtg. denkt der Deutsche jetzt ebensowenig, wie der Schwede sich an den Zusammenhang erinnert, auf den schwed. ,minnesbeta4 anspielt. Dieses gab in der alten Bibelübers. das ,psomion4 des griech. Textes wieder und kommt im Bericht von Jesu letztem Abendmahl mit seinen Jüngern vor. Der Evangelist Johannes erzählt, daß Judas Ischariot das Brotstück, das Jesus ihm reichte, entgegennahm und aß. ,Efter den betan4, nach diesem Bissen fuhr der Santan in ihn, heißt es. Er ging, sein übles Werk zu vollenden. Das Dän. hat in seinem Wort ,Husgekage4 = Erinnerungskuchen ein Seitenstück zum schwed. Ausdr. ,minnesbeta4 ausgebildet. Lit.: Dt. Rwb. II. 783; Richter-Weise, Nr. 40, S.45; Lindqvist, S.71; Ebel, S.9. Deputat. Sein Deputat erhalten (haben): seinen Anteil bekommen, auch: die gebührende Strafe erhalten haben. Obersächs. ,Der hat sein Deputat weg4, er ist gebührend gestraft worden, hat eine gehörige Tracht Prügel gekriegt; schwäb. ,1 hau mei Deputat4, ich habe genug getrunken; alt- märk. ,Dao hät'r sik e schönes Diputoat upn Hals leggt4. Deputat bedeutete den gebührenden Anteil, das Zugewiesene, z.B. alles, was ein Beamter oder Landarbeiter außer dem Gehalt oder Lohn an Naturalien als einen Teil seiner Besoldung bekam (,Deputatholz4, ,Deputatkorn4 etc.). Früher hatten die Bauern ihrem Geistlichen z.B. die ,Deputatswürste4 zu liefern. Das Wort Deputat ist seit 1529 gebucht und findet sich z.B. bei Schweinichen: „demnach jhro f.gnaden eine anzahl weins zum deputat hatten44. Mit dem Wort Deputat selbst verschwindet heute nach und nach auch die Rda. aus unserer Sprache. der. Der und jener; dieser und jener in Wndgn. wie: ,Hol mich d(ies)er und jener!4 ist eine verhüllende Ausdrucksweise für den Namen des /Teufels. Man traut sich nicht, seinen Namen auszusprechen, weil er sonst kommen könnte. Ähnl. Wndgn. bezeichnen etwas Schlechtes überhaupt. l.Kön. 19,2 ruft Isebel aus: „Die Götter tun mir dies und das, wo ich nicht morgen um diese Zeit deiner Seele tue wie dieser Seelen einer44. In Paul Rebhuns Drama ,Susanne4 von 1536 (III, V. 329) finden sich die Worte: „Sagten, wie ich die und dise wer44 (d.h. eine Dirne). dergleichen. Nicht dergleichen tun: so tun, als ob die Sache, um die es sich handelt, 200
Deut nicht vorhanden wäre, keine Miene machen, etw. zu tun, sich unbefangen, unbeteiligt und unschuldig stellen. Dergleichen ist hier alter adverbialer Gen. der Mehrzahl, eigentl.; ,nichts der gleichen Dinge1; dafür auch frühnhd. Gen. der Einzahl: ,desgleichen1, z.ß. bei Konrad von Megen- berg (14.Jh.): ,,So man das zin schlecht, so tut es nit desgleichen, sam es zornig sei“. Kudrun sagt als Wäscherin am Strande zu den beiden sie suchenden Helden, Kudrun sei tot, und bringt sie dadurch zu Tränen (Str. 1244): Do si si beide vor ir weinen sach, diu maget eilende zuo in si dô sprach: ,,ir tuot dem geliche und sit in der gebære, sam diu edele Kûdrûn in vil guoten helden sippe waere“. ln Kirchhoffs ,Wendunmuth4 (123a) heißt es: ,,wiewol nu die herzogin solches hörete, thete sie doch nicht dergleichen“. derjenige. Allemal derjenige (derjenichte), welcher sein: der sein, der die Verantwortung oder die Schuld auf sich nehmen muß. Die Rda. stammt aus Louis Angelys ,Fest der Handwerker1 und kann heute entweder eine positive Bdtg. in der Feststellung besitzen: ,Er ist immer derjenige, welcher4 etw. ausführen kann und sich und anderen stets zu helfen weiß, oder eine negative in einer gewissen Anklage und Empörung: ,Ich muß immer derjenige, welcher sein1, d.h. der, der mit den Schwierigkeiten fertig werden muß, die die anderen gern von sich abwälzen. De(t)z. Jem. eins auf den De(t)z geben (auch Detzkasten): ihm einen Schlag auf den Kopf versetzen, bes. in der nordd. Umgangssprache bei grober Schelte ge- bräuchl. Das Wort De(t)z (Dätz, Deez) ist vermutl. eine Entlehnung aus frz. tête = Kopf; lit. belegt ist es z.B. bei Heinrich von Kleist (,Der zerbrochene Krug4, 7. Auftr.): Als ich die Thür eindonnerte, so reiß’ ich Jetzt mit dem Stahl eins pfundschwer übeEn Detz ihm. Deut. Das ist keinen Deut wert!: das ist nichts wert. Ich kümmere mich keinen Deut darum: ich. kümmere mich nicht im gering¬ sten darum. Er (es) ist um keinen Deut besser: Er (das) ist genauso, nicht im geringsten besser. Deut, mndl. ,duit4 (vgl. altnord. thveit(i) = geringe Münze, urspr. ,abgehauenes Stück4 zu altnord, thveita = ab- hauen), war ehemals die Bez. der kleinsten Münze in Holland, Geldern und Kleve. Die ndl. Kupfermünze im Werte von 2 Pfennigen gab den Anlaß zur Bildung der ndl. Rda. ,1k geef er geen’ koperen duit voor4. Da die Münze auch in Dtl. umlief, wurde diese Rda. zu Beginn des 18. Jh. übernommen und ist seitdem in übertr. Anwendung in der Bdtg. geringste Kleinigkeit, wertlose Sache, nichts4 im Dt. bezeugt. - Zu Deut stellt sich das ältere nordostdt. ,Dittchen\ eine Dreigroschenmünze, die 1528 von Sigismund I. von Polen geprägt wurde. Auch sie lebt noch in Mundartausdr. weiter wie: ,Der hat en Verstand wie e Dittke4 oder ,Dat is nich et Dittke wert4 (Ziesemerll, S.57). Wohl in allen Sprachen besteht die Neigung, die an sich abstrakte Bez. der Verneinung zu verdeutlichen, dem lautlich schwachen Wortkörper ,nichr (,nichts4, ,nein\ ,kein4) ein größeres Gewicht zu geben vor allem durch Hinzufügung von Wörtern, die kleinste, wertlose Dinge oder geringe Mengen bezeichnen. Gerade Münzbez. wie Deut wurden häufig zur Verstärkung der Negation verwendet. Sie wurden zunächst auch ganz wörtl. aufgefaßt: mnd. ,he enhaddes von dem Schatze nicht enen pennink gevunden4; ,er besaß keinen (roten) Heller, keinen Schilling, keinen Pfennig4 usw.; oder bei der Aussteuer: ,ik geev er nick einen deuyt meir mide4. Eine bildl. Übertr. liegt dann schon vor, wenn verneinende Münzbez. auch bei solchen Dingen gebraucht werden, die man nicht nach Geldwert messen kann, z. B. ndd. ,ohlt Deern sünd nich ein Heller werd4; oder ,nicht einen Heller nach etw. fragen4. Das einfache ,nichts4 ist der Volkssprache jedenfalls zu wenig und erfährt deshalb oft eine rdal. bildhafte Verbreiterung. Hist, gesehen, stellt sogar schon das Wort ,nein4 eine solche Verstärkung dar (= nicht ein), wie auch lat. ,non4 auf früheres ,ne unum4 zurückgeht. Ebenso ist das einfache Wort ,nichts4 ahd. häufig belegtes ,ni wiht4, d.h. 201
Deut eigentl. ,nicht ein Ding4, und hat seine Parallele in lat. ,ne hilum1 — nihil; entspr. frz. ,ne-rien\ ,ne-pas4 (—ne passum), repeint' (—ne punctum). Alle diese Ausdr. haben urspr. einen Real-Ausgangspunkt. Dieser ist überall zunächst in der rein wörtl. Anwendung der Ausdr. zu suchen. Bei häufigerem Gebrauch ist dann die worth Bdtg. immer mehr verblaßt. Zum Beispiel ,Ich weiche keinen Fuß von der Stelle4 war zunächst durchaus räumlich gedacht, und ist erst dann übertr. gebraucht worden, wenn man etwa auch von einer Forderung oder gar von einer moralischen Einstellung ,nicht einen Fuß4 abzuweichen gewillt ist. Ebenso hatte etwa die alte Verneinungsformel ,nicht ein Haar4 (mhd. ,niht ein har4, vgl. ,umbe ein här4,,gegen einem häre4, oder als Gen. ,niht häres groz4, ,niht eines hâres mê4 usw.) urspr. einen durchaus wörtl. Anwendungsbereich: In einer ma. Hs. bei Gerhard von Minden bittet der Affe den Fuchs um einen Teil seines langen Schwanzes, um damit die eigene Blöße zu decken. Der Fuchs erwidert: unde bedestu mi ein jar, du scholdest weten dat vorwar, dat ek darut di nicht ein har ne geve. Ganz ähnl. in einer anderen Fabel des ma. Esopus, wo die Krähe sich weigert, dem schlafenden Hunde das Fell zu rupfen: de hunt ne slept ni so vaste, he ne vornemet unde taste, berörde ik one bi enem hare. Hier ist die Wndg. ,bi enem hare4 also noch ganz wörtl. zu nehmen, später nur noch übertragen. Jac. Grimm machte in seiner ,Dt. Grammatik4 (3,728) zuerst darauf aufmerksam, daß schon die mhd. Dichter den verneinenden Ausdr. gern durch ein hinzugefügtes Bild heben. Am häufigsten findet sich mhd. die Verstärkung durch ,här4; z.B. in Gottfrieds ,Tristan4: ern hæte niht gegeben ein här wær es gelogen oder war. In weitem Häufigkeitsabstand folgen ,vuoz4, ,tag4, ,wort4,,stunde4, ,bast4, ,gruoz\ ,brot4, ,trit4, ,phennig4, ,tropfen4, ,vaden4 u.a. Oft sind es kleine Früchte oder alltägliche und gering geachtete Nahrungsmittel, wie /Bohne, Nuß, Beere, Kirsche, Apfel oder das Ei, die zur bildl. Verstärkung der Verneinung dienen, z.B. mnd. ,den fiscal achte ich nicht eine not4 ; ,ich achtete er niht enen sie4 (Schlehe); ,nicht gen einer kirse4; ,um sturm gæbe sie niht ein ber4; ,so ensal dan alle werlt nicht einen appel baten4; mhd. ,sin zorn so up de Juden draf, dat man drizieh umbe ein ei—4 (mdal. rhein. noch heute,nicht für ein Appel und ein Ei!4). Als nichtiges Ding gilt auch der aufsteigende Rauch oder der fliegende Feuerfunke (wie noch in heutiger Umgangssprache ,keinen Funken Ehrgeiz, Verstand!4) oder die Spreu (z. B. bei Konrad von Würzburg: ,,so ahtet ich niht umb ein spriu dar üf, swaz mir geschæhe44). Andere mhd. Verneinungsformeln sind ferner ,niht eines louches kil4, ,niht einer bluomen stengel4, ,niht ein kol4, ,,er ahte alliu dinc als einen stoup44. Als Bild des Unbedeutenden gilt auch das Stroh (,ik geve um ein bök nicht ein strö4) und schließlich Ausdr. für Schmutz, Dreck, Kot. In der ,Kaiserchronik4 heißt es von Ludwig dem Frommen: ,,er furchtet ez (alles Irdische) niht mère denne einen mist44. „Des bichten helpet nicht einen dreck44 meint das ndd. ,Narrenschiff4 (vgl. noch in der Sprache der Ggwt.: ,Das geht dich einen Dreck, einen feuchten Kehricht an!4). Auch kleine, verachtete Tiere dienen als Bez. des Minderwertigen und damit zur Verstärkung der Negation, z.B. die Laus: „se achteden ere viande nych ein lüs44; ,he het nich ’n Luus to frètent ,Ze kümmert sik nich ’n Luus üm en4. Andere Fälle sind: Katzenschwanz (,de hindert my nicht enen Kattenstert4), auch ,Hundsfott4 gehört hierher. Häufig wird der /Teufel nebst seinen verhüllenden Umschreibungen herangezogen, um einen verneinenden Sinn auszudrük- ken. Den Ausgangspunkt für diesen merkwürdigen Sprachgebrauch kann man in Stellen finden wie im ,Nibelungenlied4, wo Hagen auf Kriemhilds Frage, ob er den Schatz bringen werde, mit den Worten erwidert: „ich bringe iu den tiuvel44; oder, ebenfalls dort: „nu swiget: ir haben den tiuvel getan44. Dieser Sprachgebrauch ist in den Mdaa. noch heute geläufig; z.B. ,Sie fragen den Düwel na der Religion4; ,he günnt den Düwel keen Picklicht4 (Licht vom schlechtesten schwarzbraunen Talg); 202
Deut ,Grodmoder is den Düwel dood / se itt noch Speck un Brod!\ Auch für ,niemand4 tritt häufig eine Umschreibung mit«Teufel4 ein, z.B. ,Dat verdenk em de Düwel4, das kann ihm keiner verdenken. Die meisten der im MA. geschaffenen Wndgn. gingen zugrunde, und nur wenige, bes. geläufige und naheliegende Formen retteten sich in die neuere Schriftsprache hinüber. Doch weicht der heutige Gebrauch in mancher Hinsicht vom Mhd. ab, und es ergeben sich vor allem kulturhist. Verschiebungen. Viel häufiger sind aber diese rdal. Verneinungen in den Mdaa. erhalten geblieben, wobei derbe Ausdr. (wie Dreck, Aas, Arsch, Scheiße) oder auch geringwertige Tierbezeichnungen (wie Katze, Hund, Laus, Maus) bevorzugt werden. Die Volkssprache ist unerschöpflich in ihrer Erfindungskraft immer neuer Bilder und Wndgn. Heutige rdal. Ausdr. für ,nichts4 können darum hier nur aufgezählt werden: ,keinen Schimmer4, ,keinen Funken4, ,kein Gedanke4, ,keine Spur4, ,kein Pappenstiel4, «kein Schmarren4, ,kein Sterbenswörtlein4, ,keine Silbe4, ,keinen Mucks4, ,kein (Rattenschwanz4, ,kein Schwein4, ,keinen Furz4, ,keinen Schuß Pulver wert4, ,er hat kein ganzes Hemde mehr auf dem Arsch4, ,keinen guten Faden an jem. lassen4, feinen Hosenknopf4, ,nicht mehr eine Schindel auf dem Dache4, ,er ist nicht das Streichhölzchen wert zum Anzünden4, ,keinen Fußbreit, keine Handbreit, keinen Schritt von der Stelle weichen4, ,nicht ein Wort davon glauben4, ,nicht bis auf drei zählen4,,keiner Fliege etw. zu leid tun können4, ,da kräht kein Hahn danach4, ,kein Auge zutun4, ,sich kein Bein ausreißen4, «nicht den kleinen Finger krumm machen, rühren4, ,kein Blatt vors Maul nehmen4, ,von dem mag ich keinen Bissen Brot4, ,ich habe keinen toten Hund gesehen4, ,das wird keine lahme Katze anlocken4, ,das schert mich nicht einen Katzendreck4, ,es ist nicht drei Läuse wert4, ,es rührt sich kein Mäuschen4. Die bildl. Verneinung findet sich namentlich bei bestimmten Verben wie: nützen, taugen, wert sein, schaden, helfen, fürchten, achten, zweifeln. Bes. gern steht die rdal. bildhafte Verneinung bei Schilderungen des Geizes, z. B. ,Er gönnt ihm nicht das Schwarze unter dem Nagel; nicht so viel, was unter den Nagel geht; was man auf dem Nagel fortträgt4, ,keinen Happen4, ,keinen Bissen Brot4, ,nicht die Butter aufs Brot4, ,nicht ein Körnchen4, ,nicht einen Pfifferling4, ,nicht eine (madige) Pflaume4, ,nicht einen (Kraut-)Strunk4, ,nicht einen Strohhalm4; ndd. ,He günnt em nich dat Witt in t’ Oog4, ,nich dat Swart ünnern Nagel4, ,nich dat Gele von’t Ei4, ,keen Piep Tabak4; ,he kann nich den Schiet ünner de Schoh missen4, ,er gibt nichts mehr ab, eher beißt er sich die Zunge ab4, ,eher läßt er es verfaulen4, «eher schmeißt er es auf den Mist4. Neben der Verstärkung durch Substantive, die in irgendeiner Hinsicht ein Minimum bezeichnen, gibt es eine Verstärkung der Verneinung durch Substantive, die ein Maximum, einen großen oder größten Wert bezeichnen; z.B. ,Er hat in seinem ganzen Leben noch nicht gearbeitet4, ,seiner Lebtag noch nicht4, ,seit Jahr und Tag nicht4, ,ich weiß in aller Welt nicht, was da werden soll4,,nicht um die Welt4, ,um Gottes willen nicht4, ,es wird keine Ewigkeit dauern4. Ein anderes beliebtes Mittel der rdal. Verneinung ist der ironische Vergleich, d. h. die Verneinung durch den Vergleich mit unmöglichen, nutzlosen, unwahrscheinl. Handlungen, Gegenständen und Zeitpunkten, z. B. ,Er kann schwimmen wie ein Sack voll Steine4, ,er weiß soviel von der Kirche, als des Müllers Esel kann die Laute schlagen4, ,man kann sik op em verlaten as up en dode Rott4, ,he is so uprichtig as ’n Kohstert4 (Kuhschwanz), ,he is so fett as ’n Predigtstohl4, ,he süht so vergnögt ut as de Hahn bi’t Regenweder4, ,dat Fruuns- mensch holt dicht as 'n Saatseef4, ,das steht dir, wie dem Schwein das Vorhemdchen4, ,er geht aufs Gebirge Schnee sieben4 (er hat keine Arbeit), ,ihr wärt gut zum Marderfangen4, ,was versteht der Ochse vom Sonntag, wenn er alle Tage Heu frißt4, «kümmere dich nicht um Haseneier, die klappern nicht4, ,er hat ein Interesse wie ein verrosteter Nagel4. Bemerkenswert ist auch die Form dieser rdal. Wndgn. Ein beliebtes Mittel ist dabei die Verbindung zweier (oft einander entgegengesetzter) Ausdr., z.B. ,Das ist nicht gehauen und nicht gestochen4, «nicht gehopst und nicht gesprungen4, «nicht gesto- 203
Deutsch ben und nicht geflogen4, ,da hilft kein Jammern und kein Klagen4, ,kein Singen und kein Beten4, ,kein Fluchen und kein Beten4, ,kein Pudern und kein Schminken4, ,es langt nicht hin und nicht her‘, ,er weiß sich hinten und vorne keinen Rat4, ,er kann sich nicht aufs hinterste und nicht aufs vorderste besinnen4, ,kein nichts und kein gar nichts haben4, ,sich nichts und gar nichts denken4. Vor allem im heutigen Ndd. begegnet diese Form der Verneinung auf Schritt und Tritt: ,Dat geef ni Natt noch Drög4, es gab gar nichts zu essen; ,he sä ni Witt noch Swart4, er sagte gar nichts; ,he rögt ni Hand noch Foot4, er tut gar nichts. Oft sind die beiden Ausdr. noch durch Stabreim miteinander verbunden: ,do is nich Putt noch Pann\ ,he kennt nich Koh noch Kalf4, ,nich Kind noch Küken, nich Küken noch Katt, ni Korn un Kröm, nich Buuk noch Been4, ,er schont nich Vadder noch Fründ4, ,he weet nich hott un hü4, ,he sä nich muh un nich mäh4, ,he hett keen Duld un Dur4, ,he nimmt nich Gift noch Gave4, ,dor wasst nich Heu noch Hawer4, ,dor sünd nich Kisten noch Kasten4. Lit.: /. Zingerle: Über die bildl. Verstärkung der Negation bei mhd. Dichtern, in: Sitzungsber. der K. K. Akademie der Wiss. (Phil.-hist. Klasse), Bd.39 (Wien 1862); J. Haltrich: Negative Idiotismen der siebenbürg. Volkssprache (Hermannstadt 1866); H.Kny: Der Gebrauch der Negation im Kudrunliede (Bielitz 1880); F. F. Fr tische: Der Gebrauch der Negation bei Walther von der Vogelweide (Wismar 1885); R. Hildebrand: Gehäufte Verneinung, in: Zs. f. d. U. 3 (1889), S. 149-161; O. Behaghel: Die Verneinung in der dt. Sprache, in: Wissenschaft!. Beihefte zur Zs. d. allg. Dt. Sprachvereins, 5.Reihe, H.38/40 (1918), S.225-252; G. Louis:,nicht1 und ,nichts1 im Sprachgebiet des Dt. Reiches einst und jetzt (Diss. Marburg 1917); ^4. Zobel: Die Verneinung im Schles., in: Wort und Brauch 18 (Breslau 1928); O. Mensing: Zur Gesch. der volkstüml. Verneinung, in: Zs. f. d. Ph. 61 (1936), S.343-380; J.Arndt:,Nichts1 und .Niemals', in: Rhein.-westf. Zs. f. Vkde. 8 (1961), S.llSff. deutsch. Deutsch (mit jem.) reden; etw. auf gut deutsch sagen: offen, verständlich reden, ohne Umschweife und Hintergedanken geradeheraus und deutlich seine Meinung sagen. Mit dem Wort deutsch verbindet man oft seit frühnhd. Zeit den Begriff des Klaren, Offenen und Ehrlichen, aber auch den des Derben, Groben. Ähnl. deutsch von der Leber weg reden. Schon 1494 begegnet die Wndg. deutsch reden in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (83, 21): Und sag dir tütsch wie ich das meyn, Man henckt die kleynen dieb alleyn. Bei Hans Sachs: ,,Wilt das ichs teutscher sagen soll?44 und in Fischarts ,Gargantua4: „Also daß Grippepinhalt von Strobeldorn ihm gut rund Teutsch vnter die Nasen sagt: Herr...44. In Schillers ,Räubern4 (IV,5) heißt es ähnl. wie bei Hans Sachs: „Wo will das hinaus - rede deutscher!44 Umgekehrt gebraucht Luther ,undeutsch4 geradezu als sinngleich mit unverständlich4 (vgl. 1. Kor. 14,11). Nicht deutsch verstehen (wollen): dumm sein; die Rda. kann aber auch den Sinn haben: etw. absichtlich nicht verstehen wollen, ebenso frz. ,ne pas entendre le français4. In der lux. Mda. sagt man zu einem, der sich undeutlich ausdrückt ,Schwätz däitsch oder schäiss Buschtawen!4. In diesen Rdaa. lebt noch ein Stück vom urspr. Sinngehalt des Wortes deutsch weiter, denn deutsch, ahd. diutisk, geht zurück auf ahd. diot = Volk und bez. urspr. die Volkssprache im Gegensatz zum Lat. der Gelehrten und der Kirche. Vom gleichen Stamm ist unser Zeitwort,deuten4, eigentl. : etw. dem Volke verständlich machen. Den dt. ähnl. Wndgn. kennt auch das Lat., das Frz. und das Engl.: .Latine loqui4, ,parler français4, ,to speak plain English4; diese Rdaa. haben ebenfalls alle die übertr. Bdtg.: unverhüllt und geradeheraus reden. Auf deutschem Boden gehen /'Boden. Lit.: G. M. Kiiffner: Die Dt. im Sprw. (Heidelberg 1899), S. Iff.; W.Krogmann: Deutsch. Eine wortge- schichtl. Untersuchung (Berlin - Leipzig 1936); L. Weisgerber: Der Sinn des Wortes .Deutsch' (Göttingen 1949); ders.: Deutsch als Volksname (Stuttgart 1953); H. Eggers: Nachlese zur Frühgesch. des Wortes .deutsch', in: PBB. 1961, S. 157-173. Dezem. Er hat sein Dezem bekommen: er hat seinen Anteil gekriegt; der wird sein Dezem kriegen: er wird seine Strafe bekommen; ermaß überall sein Dezem dazugeben: er muß sich überall einmischen. Der Dezem, von mlat. decimus, ahd. dezemo, war der ,Zehnte4, eine früher an die Kirche abzuführende Steuer. Der Brauch, den zehnten Teil aller Naturalien als Abgabe zu entrichten, ist in der christl. Kirche seit dem 4. Jh. nach jiid. Vorbild aufgekommen (vgl. l.Mos. 14,20 u. 28,22; 3.Mos. 27,30-33; 4.Mos. 18,21—24 usw.). Auch der Koran 204
Dieb der Mohammedaner bestimmt, daß jeder Gläubige den zehnten Teil seines Einkommens den Armen geben oder zu wohltätigen Zwecken verwenden soll. /Deputat. Der übertr. Gebrauch von Dezem (Däzen) ist bes. in mdt. Mdaa. verbreitet. dicht. Dicht halten: verschwiegen sein, etw. für sich behalten. Urspr. ist an ein Gefäß gedacht, das kein Wasser durchläßt; von da aus auf menschliche Verhältnisse übertr. In Westf. bedeutet die Rda. ,Hei is nit dichte', er ist nicht ehrlich. Ebenso: dicht machen: schließen, z.B. den Laden dicht machen: das Geschäft zumachen. Aus der Sprache der Seeleute ist übertr. Schotten dicht!: Tür zu! Nicht ganz dicht sein: noch die Windeln naß machen. Dichten und Trachten, Denken und Handeln ; diese Verbindung geht auf 1. Mos. 6,5 zurück: ,,Da aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn..."; vgl. 1. Mos. 8, 21: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf". Die beiden Verse werden meist verschmolzen: ,Das Dichten und Trachten des menschl. Herzens../ Durch den Einfluß von Luthers Bibelübers. hat sich die Verbindung ,Dichten und Trachten' bis heute erhalten. dick. Etw. (jem.) dick(e) haben (kriegen): es satt haben, seiner überdrüssig sein. Dick hat in dieser und verwandten Rdaa. noch den Sinn von mhd. dicke — oft, häufig. Ähnl. auch noch in den Mdaa., z.B. berl. ,Det wirste bald dicke kriejen!'; sächs. ,die Birnen dicke haben' (/Birne); ,es dicke zwingen', viel Geld haben. Mhd. dic i. S. v. ,groß‘ lebt auch noch in der Rda. dicke Freunde sein. Die Rda. mit jem. (jedem) dick sein, eine Verkürzung aus ,dicke Freunde sein', ist erst im 20. Jh. aufgekommen. Die Reichen heißen im Volksmund auch ,die Dicken' (auch ,Dickköppe'; vgl. bair. ,die Großkopfeten'); daher (sich) dicke tun:sich aufspielen, prahlen; sich mit etw. dick machen: angeben, sich mit etw. brüsten, sich aufblasen; ebenso ndl. ,zich dik maken'; ,dicke Töne reden', renommieren; ,dick in der Wolle sitzen', ,dick drin sitzen', es sich wohl sein lassen, gute Einnahmen haben, wohlhabend sein; ,es dicke haben', viel Geld haben. Zu dick auf tragen: übertreiben, wie der Maler, der zu viel Farbe für ein Bild verwendet. Durch dick und dünn gehen: rücksichtslos vorwärts gehen, meint eigentl.: durch dicht und dünn; schon in Justus Mosers patriotischen Phantasien' (1,570); „Jetzt geht alles mit seidenen Schuhen und Strümpfen durch dicke und dünne". Ebenso engl. ,through thick and thin' und ndl. ,door dik en dun'. Mit jem. durch dick und dünn gehen: ihm ohne Bedenken folgen, ihn auch in Schwierigkeiten nicht verlassen. Einen dicken Schädel (Kopf) haben (auch ein Dickschädel sein): eigensinnig, unnachgiebig, schwer von Begriff sein; ähnl. ein dickes Fell haben /Fell; dicke Ohren haben: harthörig sein, oder häufiger: sich schwerhörig stellen. Das ist ein dickes Ding /Ding. Das dicke Ende /Ende. Dicke Luft /Luft. Beliebte Verstärkungen sind: knüppeldick und faustdick; es faustdick hinter den Ohren haben /Ohr. Dieb. Er kommt heimlich wie ein Dieb, er kommt wie ein Dieb in der Nacht sind bildl. Redewndgn. bibl. Herkunft (vgl. l.Thess. 5,2 oder 2.Petr. 3,10 u.a.) zur Bez. plötzlich eintretender unerwarteter Ereignisse. 205
Diebsdaumen Das hängt wie der Dieb am Galgen: es hängt schief, schlecht und macht einen liederlichen Eindruck. Schwab. ,Den Dieb vom Galgen nehmen', einem unverdienten Beifall zollen. Sich diebisch freuen: seine heimliche Freude an etw. haben.,Diebisch' kann aber auch zur Verstärkung dienen, z.B. bei ,ein diebischer Spaß'. Eine diebische Elster /Elster. Diebsdaumen. Du hast wohl einen Diebsdaumen in der Tasche? Er trägt einen Diebsdaumen bei sich. Diese Ausdr. wendet man auf einen an, der im Spiel großes Glück hat, allgemeiner auch auf einen, dem alle Unternehmungen glücken. Sie beruhen auf der abergläubischen Vorstellung des MA., daß dem Daumen eines Diebes zauberische Kraft innewohne. Man schnitt deshalb einem Gehenkten den Daumen ab oder stahl die ganze Leiche, um sie später des wichtigen Gliedes zu berauben. Diese Diebsdaumen wurden oft in Gold oder Silber gefaßt und von Spielern bei sich getragen, um so das Glück zu bannen. Wirtsleute glaubten durch den Besitz eines Diebsdaumens Gäste anlocken zu können. Aus den Biitzower Stadtakten (18. Jh.) geht hervor, daß der Diebsdaumen vom Gastwirt in das Bier gehängt wurde. Um seinen Absatz zu steigern, verlangte ihn der Bäcker leihweise, weil er sein Brot damit bestreichen wollte, ln Campes ,Wb. der dt. Sprache' (Bd.l, 1807, S.715a) wird erklärt: „Man sagt daher von einem Menschen, der ungewöhnliches Glück hat, er trage einen Diebsdaumen bei sich“. Später, als der Sinn dieser Rda. nicht mehr verstanden wurde, bezeichnete einen Diebsdaumen haben auch den Hang zum Stehlen (HdA. II, Sp. 197ff., Art. ,Dieb' von Müller-Bergström). Dienst, Diensteid. Über den Dienst nachdenkentim Büro schlafen; eine euphemist. Rda., die seit 1900 gebraucht wird. Einen auf den Diensteid nehmen: Alkohol (Schnaps) trinken; eine in Beamtenkreisen übliche Rda., die wohl darauf zurückgeht, daß den Beamten der Genuß von Alkohol während der Dienstzeit verboten ist. Wer trotzdem ein Gläschen trinkt, verstößt ge¬ gen die Dienstvorschrift und muß den Alkohol auf den Diensteid nehmen. Dienstbare Geister /Geist. Ding. Guter Dinge sein: sich wohl befinden und froh sein; oft in der Verbindung lustig und guter Dinge. Das ältere Deutsch kennt eine ganze Reihe von adverbiellen Ausdr., die mit dem Gen. Plur. von Ding und einem Eigenschaftswort gebildet werden, z.B. ,aller Dinge' — überhaupt (daraus wird mit unbegründetem s allerdings') ,platter Dinge' (glatterdings') und schlechter Dinge' (schlechterdings'). Überall dient Ding hier nur zur Substantivierung des sächlichen Adjektivbegriffs, ähnl. wie in der Rda. Das geht nicht mit rechten Dingen zu: es erfolgt auf geheime, Unrechte oder unnatürliche Weise. Die Rda.,guter Dinge sein' erklärt sich nicht aus dieser unbestimmten Bdtg. des Wortes Ding, sondern ausmhd. gedinge = Hoffnung, Zuversicht, frühnhd. Laune, Stimmung. Der eigentl. Sinn der Wndg. ist demnach: voll guter Hoffnung sein, wie es in einem alten Reim heißt: Guot gedinge machet das, Daß der genißt, der siech was. In einer Münchner Hs. wird überliefert: Den Armen ist nie mer gegeben Denn guot geding und übel leben. In der ,Postille' Geilers von Kaisersberg heißt es: „Dornoch so kümpt die Weynachten, so seynd wir dann wieder froeh- lich. Es heisset yetz guotts dings sein“. Recht anschaulich sagt Jeremias Gotthelf in seinem ,Bauernspiegel': „Er strich alles, was ihm angehörte, heraus, so daß ich voll guter Dinge mit ihm aufbrach''. Ein Ding drehen: einen Einbruch, Raubüberfall oder ähnl. ausführen; die Rda. stammt aus der Gaunersprache und umschreibt ,Verbrechen' verhüllend mit dem neutralen Ding. Davon ist in der Umgangssprache abgeleitet: Das Ding werden wir schon drehen (schaukeln, deichseln, fingern): die Sache werden wir meistern und zum Ziel führen. Ebenfalls tabuistisch: einem ein Ding verpassen: ihm eins auswischen (/ein). Sich mit großen Dingen tragen: große Entwürfe machen, Pläne haben. Ein Ding tun: sich zu einer Handlung ent¬ 206
Doppelt schließen, findet sich schon in Schumanns ,Nachtbüchlein', II: Dieweil that der wirt ein ding und verkaufft die 300 chineysen. Über den Dingen stehen: von den Alltäglichkeiten nicht berührt und belästigt werden. Ein Ding mit 'nem Pfiff: etw. ganz Besonderes. Das ist ein dickes Ding: eine schwerwiegende Sache, eine Gefahr, eine Unverschämtheit, auch als Ausruf des Erstaunens gebräuchlich, /'dick. Den Dingen ihren (freien) Lauf lassen: in ein schwebendes Verfahren nicht eingrei- fen wollen, keine Beeinflussung oder Verhinderung beabsichtigen. Die Rda. Der Dinge warten, die da kommen sollen bezieht sich auf eine Stelle im N.T. (Luk. 21,26). Die Dinge an sich herankommen lassen: in Ruhe die Entwicklung abwarten und sich nicht unnötig schon vorher aufregen. Die Dinge (das Kind) beim rechten Namen nennen: mit schonungsloser Offenheit Vorgehen, Klarheit schaffen. dingfest. Einen dingfest machen: ihn festnehmen, festhalten, verhaften, ist eine Rda. aus dem Rechtsleben. Das Adj. dingfest ist nur in Dtl. und nur in dieser Rechtsformel bezeugt. Lit. ist das Wort auffallend spät, nämlich erst 1852 im Jugendleben' von B. Goltz (1,90) erstmalig belegt. Zweifellos geht es jedoch auf das altdt. Rechtsleben zurück und bildet das Gegenwort zu mhd. dincflühtic = sich durch die Flucht dem Gericht entziehen. ,Ding‘ bedeutet urspr. die Gerichts- und Volksversammlung, die Gemeinschaft der zum Rechtsprechen versammelten Männer, die öffentl. Versammlung, das altnordische Thing. In Dänemark und Norwegen heißt das Parlament noch heute Storthing bzw. Folkething (der Begriff ist auch noch in unserem Wort ,sich verdingen', d.h. eigentl. sich rechtlich verpflichten, enthalten und in dem Sprw. ,Aller guten Dinge sind drei'.). Während das Wort dingfest den dt. Mdaa. fremd geblieben ist, ist das begriffsverwandte ,handfest' seitdem 17.Jh. bekannt; im Bair. bedeutet ,einen handfest (auch handhaft) machen' ihn verhaften, in Ketten legen (/handfest). Doktor. Jem. zum Doktor schlagen wollen: jem. durch äußeren Zwang klug machen wollen. Donnerwache. Auf der Donnerwache stehen, Donnerwache haben sind bes. im Obersächs. verbreitete Rdaa. für das Warten auf die Geliebte oder den Geliebten in der Bdtg.: durch Liebesdienst festgehalten sein; z.B. ,Unsere Marie geht abends auf die Donnerwache', sie schwätzt vor der Haustüre mit ihrem Schatz. Dieselbe Rda. gebraucht man auch, wenn der Ehemann in Erwartung des Klapperstorches das häusliche Heim nicht mehr zu verlassen wagt. Ein ähnl. scherzhafter Ausdr. für dieselbe Sache ist Flanellwache. Donnerwache nannte man urspr. um 1850 in kleinen sächs. Garnisonsstädten die Offizierspflicht, bei einem Gewitter am Ort zu bleiben, um bei etwaigem Einschlagen des Blitzes sofort an die Brandstelle reiten zu können. Der betr. Offizier durfte sich wegen der Donnerwache nicht weit aus seiner Garnison entfernen. Donnerwetter. Zum Donnerwetter nochmal! Fluch, Ausdr. des Unwillens. Donnerwetter Parapluie! Ausruf des Staunens, entlehnt aus ,Preciosa' (Text von Pius Alexander Wolff, Musik von Carl Maria v. Weber, 3. Akt., 3. u. 8. Auftr.). ,Parapluie' = Regenschirm ist im Text entstellt aus ,parbleu', und dieses ist aus ,par Dieu' — bei Gott entstanden. Da soll doch (gleich) ein heiliges Donnerwetter dreinschlagen! Dit Strafe oder Vernichtung sollte sofort erfolgen. Hinter dieser Rda. steht die Vorstellung von der ausgleichenden Gerechtigkeit und dem Zorn Gottes über menschliche Untaten, wie im A.T. berichtet wird. Die Rda. enthält also eine Verwünschung. Wie das leibhaftige Donnerwetter: sehr schnell geschieht etw. Diese Wndg. stammt aus dem 20.Jh. doof /dumm. doppelt. Alles doppelt sehen: betrunken sein, ähnl. schon in Joh. Paulis ,Schimpf und Ernst': ,,Es daucht jhn, was er siehet wer zweyfeltig“. Doppeltgemoppeltist eine 207
Doppelzüngig scherzhafte Bildung, in der eine Verdopplung durch die Doppelgliedrigkeit des Ausdr. bez. wird. Seit Goethe verwenden wir häufig die Verstärkung doppelt und dreifach. Mit doppelter Kreide anschreiben /Kreide. Ein doppeltes Spiel spielen /Spiel. Eine Moral mit doppeltem Boden /Boden. doppelzüngig. Die Wndg. doppelzüngig sein ist eine Übers, von ,bilinguis4, das in der klass. lat. Lit. oft begegnet und sich auf die gespaltene Zunge der Schlange bezieht. Murner nahm dies in seiner ,Schelmen- zunft4 (XV, 15) ganz wörtlich: ,,Zwo Zungen dragen in eim halß“, d. h. bald so, bald anders reden, so daß den Worten nicht zu trauen ist. In der Bdtg. ähnl. sind die Rdaa. ,kalt und warm aus einem Munde blasen4 (/blasen) und ,vorne lecken und hinten kratzen4, /Katze. Dorf. Das sind mir böhmische Dörfer: es sind unbekannte, unverständliche Dinge, davon weiß ich nichts. Die Entstehung der Rda. ist daraus zu erklären, daß viele Ortsnamen des böhm. Gebiets den Deutschen, die die tschech. Sprache nicht verstanden, fremd klangen und bei der Aussprache Schwierigkeiten bereiteten. Die Wndg. tritt bereits 1595 in Rollenhagens ,Froschmeu- seler4 (N. la) auf: ich sagt ihm das bey meiner ehren mir das Behmisch Dörffer weren. Eigentl. Verbreitung hat die Rda. erst seit dem Dreißigjähr. Krieg erfahren, ln ihm wurde Böhmen derart verwüstet, daß un- zerstörte Dörfer dort zur größten Seltenheitzählten. Zweifellos gewann in der Zeit dieses Krieges die Rda. einen doppelten Sinn; vgl. 1621 in Theobalds Hussitenkriege4 (3,108): ,,Es war das Land alles verderbet, also dasz noch ein Spriichwort von einem unbekannten Ding ist: Es seyn bohemische Dörfer44. In Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (Bd. I, S. 25) heißt es 1668 : „Es waren mir nur Böhmische Dörffer, und alles ein gantz unverständliche Sprache44. In Büschings Wöchentlichen Nachrichten4 von 1767 (Bd.2, S. 128) wird der Ausdr. so erklärt: „Davon weiß er, versteht er nicht, das starrt er mit Verwunderung an, c’est du grec, c’est de l’algèbre pour lui44. In seinem Roman ,Insel Felsenburg4 sagt Schnabel: „Ihm kamen alle diese Dinge nicht anders als ungewisse Dörfer vor44. In Goethes ,Werther4 ist die Rda. mit der Wndg. Das kommt mir spanisch vor verschmolzen: „Das waren dem Gehirne spanische Dörfer44. Jiid.-dt. heißt es auch gelegentlich ,Das sen polnische Dörfer für mich4. Die Feststellung Das sind Potemkinsche Dörfer bedeutet: es ist eine trügerische Vorspiegelung, nur äußerlich schön Hergerichtetes, das den wirklichen Zustand verbergen soll. Die Rda. beruht auf einem Ereignis der russ. Geschichte (nach zeitge- nöss. Schilderungen): Fürst Gregory Alex- androwitsch Potemkin, seit 1774 Günstling und politischer Ratgeber der Kaiserin Katharina IL, hatte 1783 die Krim erobert. Als die Kaiserin 1787 das neuerworbene Gebiet besuchte, ließ er schnell Dörfer an ihrem Weg errichten, die nur aus gemalten Fassaden bestanden, um ihr den wahren Zustand des Gebietes zu verdecken, sie zu täuschen und abzulenken. Ungeachtet dieser Attrappen lag jedoch eine beachtliche Kolonisationsleistung Potemkins vor, dessen eigentl. Bdtg. auf seiner mit unbeschränkten Mitteln durchgeführten Bevölkerungspolitik in den siidruss. Gebieten beruht. Er gilt auch als Städtegründer, dessen phantastische Projekte nur teilweise verwirklicht wurden. Die Rda. Potemkinsche Dörfer zeigeti meint auch: Blendwerk errichten, falsche Tatsachen Vortäuschen. Möglicherweise aus dem Hohen Lied Salomos (7,12): „Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld hinausgehen und auf den Dörfern bleiben44 stammt die Wndg. auf die Dörfer gehen: sich mit Geringerem abgeben als bisher, sich an Naheliegendes halten; eigentl. vom Hausierer gesagt, dessen kleiner Kram ihm in der Stadt keine Geschäfte erlaubt. Die Rda. drang in die Kartenspielersprache ein, wo sie das Ausspielen der Nebenfarben bez.; von da aus hat sie sich neu verbreitet. Ebenfalls aus der Skatspielersprache stammt die Rda. aus jedem Dorf einen Hufid haben: Karten jeder Farbe. Über die Dörfer gehen: etw. umständlich, weitschweifend tun oder erzählen. BerHfi ist doch keen Dorf: es ist modern und weltoffen; so wird die Großstadt verschie¬ 208
Drache dentlich iron, mit Dorf bez., z.B. das ,Millionendorf München. Zu Dorfe gehen, zu einem ins Dorf kommen sind bes. in den obd. Mdaa. gebräuchl. Re- dewndgn. für ,in Gesellschaft gehen1. Die Rda. hat sich in den'zerstreuten Ortschaften gebildet, wo Dorf den Mittelpunkt des Ortes mit der Kirche und dem Wirtshaus bez., wo man sich sonntags trifft. Du kommst mir auch noch ins Dorf: dich kriege ich schon noch zu fassen. Er ist nie aus seinem Dorf herausgekommen: sein geistiger Horizont ist beschränkt. Die Kirche im Dorf lassen, die Kirche ums Dorf tragen, mit der Kirche ums Dorf gehen /Kirche. Lit.: Dt. Wb. II, Sp. 1279; Wander/, Sp.677; Zs. f. d. U. 5, S. 157. Dorn wird oft übertr. gebraucht für: Schwierigkeit, Unanehmlichkeit (vgl. ,ein dornenvolles Amt, ein dornenreicher Weg' u.ä.). Schon mhd. heißt es in Freidanks Bescheidenheit' (17,14): „disiu fräge ist ein dorn". Alte Rdaa., die hierher gehören, sind: In den Dorn fallen: in Sünde geraten, z.B. im ,Renner' Hugos von Trimberg (2305): doch vellet manger in den dorn, von swelhem geslehte sie sin geborn. Sehr bekannt ist die Stelle bei Joh. Fischart (,Aller Praktik Großmutter' 1623): „Sie ist in den Dorn getreten, wie die Magd, der der Bauch davon geschwol". Eitlem den Dorn in den Fuß stecken: ihm etw. Böses antun, eine Schuld aufbürden, ebenfalls schon mhd. belegt, etwa bei Ulrich von Türheim: ir woldet uns des schaden dorn hän gestecket in den fuoz: der dorn in iuwern stecken muoz von gotes kraft iuwer tage. Umgekehrt auch: einem den Dorn aus dem Fuß ziehen: ihn von seinem Leiden befreien. Auf Dornen wandern: heimliche Nachstellungen erfahren, unter Dornen sitzen: gedrückt sein; 1513 sagt Tunnicius (Nr.858 seiner Sprichwörtersammlung): „Och, och, ik wone unter den dornen!"; in Luthers ,Tischreden' heißt es: „Wir Sachsen sind schwach, sitzen unter den Dörnen". Im Elsaß hat sich bis in unsere Zeit gehalten ,Man meint, man sitzt uf den Dörnen', man fühlt sich sehr unbehaglich; auch frz. ,marcher sur des épines'. Eitlen Dorn hinter den Ohren haben: heimtückisch sein. Einem ein Dorn im Auge sein: jem. unerträglich, verhaßt sein; diese Wndg. ist bereits den Minnesängern geläufig; bei Konrad von Würzburg findet sich im ,Trojanerkrieg' (V.22 871): Paris was ouch nicht ein dorn Helenen in ir ougen. In Strickers ,Karl' heißt es: er ist ein heit ze handen und sînen vianden in den ougen ein dorn. ,Ein Dorn im Auge sein' Luther hat diese Rda. in seine Bibelübers. mehrfach übernommen: „Werdet ihr aber die Einwohner des Landes nicht vertreiben vor eurem Angesicht, so werden euch die, so ihr überbleiben laßt, zu Dornen werden in euren Augen" (4.Mos. 33,55, vgl. Josua 23,13), von daher auch weiter verbreitet, z.B. ital. ,un pruno negli occhi', ndl. ,een doom in het oog‘. Vgl. auch die bibl. Wndg. ,Den Balken im eigenen Auge nicht sehen, aber den Splitter im fremden', /Balken. Eine Rose unter den Dornen sein /Rose. Drache. Sie ist ein wahrer Drache (Hausdrache), sprw. für ein herrschsüchtiges Weib; auch frz. ,C’est un dragon infernal'. Mit einer scherzhaften Übertr. vom Kinderspiel sagt man auch: Ich lasse meinen Drachen steigen: ich führe meine Ehefrau aus. Die junge Rda. jem. Drachenfutter mitbringen: eine Süßigkeit für die Ehefrau 209
Drachensaat oder Schwiegermutter, bewahrt die alte Vorstellung vom Hausdrachen. Obersächs. Der hat 'n Drachen: der verdankt dem Drachen, d.h. dem Teufel in Drachengestalt, seine Reichtümer. Diese Redewndg. erinnert an den Volksglauben, daß der Drache den Menschen Schätze durch den Schornstein bringt, bei denen er aus und ein fliegt. So sagt man in Schlesien, wenn jem. unvermutet zu großem Wohlstand gelangt ist: ,Inne, dar koan leicht rä- den - dam hots ju doch ock der Trache zur Fieresse runder geschmissen4 (Kühnau: Schles. Sagen, II, Nr. 678). Daher auch die Rda. Bei der fliegt der Drache ein und aus von einer Frau gesagt, die man für eine Hexe hält und von der man glaubt, sie stehe mit dem Teufel im Bündnis. Die Rda. Ein Drach‘ ist ausgefahren verwendet man, wenn der Gießbach von den Bergen stürzt. Sie beruht auf der alpenländischen Vorstellung des Wasserdrachens (DS.I, Nr.217). Lit.: HdA. II, Sp. 364-404, Art. Drache von L.Mak- kensen; R. Knopf: Der feurige Hausdrache (Diss. Berlin 1936). Drachensaat. Das ist eine Drachensaat: das ist eine Saat der Zwietracht. Diese Rda. hat ihren Ursprung in der antiken Argonautensage. Bei Hyginus und Ovid wird berichtet, wie Kadmus die Zähne eines von ihm erlegten Drachens aussät und unterpflügt. Daraus wachsen Krieger hervor, die sich gegenseitig erschlagen. Mit den fünf Übrigbleibenden gründet Kadmus die Stadt Theben. Die Rda. wird auch in der Form Drachenzähne säen gebraucht. Die Drachensaat geht auf: die schlimmen Folgen werden sichtbar. Dragoner. Allg. bekannt ist der rdal. Vergleich fluchen wie ein Dragoner: nord- ostdt.: ,Du moakst e Lepp, als wenn e Schwadron Dragoner drop reide welk, du machst ein ärgerliches Gesicht. Dragoner ist die aus dem Frz. entlehnte Bez. für bewaffneter Reiter4. Von einem großen und plumpen, aller echten Weiblichkeit ermangelnden Frauenzimmer sagt man Sie ist ein wahrer Dragoner. Sie ist ein Küchendragoner: §\z ist ein robustes Weib; auch Scherzname für ,Köchin1. ,Küchendragoner4 war urspr. eine scherzhafte Bez. für drei bran- denburgische Dragonerregimenter, die zwischen 1689 und 1704 zum Hofdienst nach Berlin beordert waren. Draht. Wie am Draht gehen: steif und aufgerichtet gehen wie eine Drahtpuppe im Puppentheater. Die Rda. ist im Aussterben begriffen. Ein ,Drahtzieher4 ist eigentl. der Mann, der im Marionettentheater hinter den Kulissen seine Puppen am Draht führt, übertr.: jem., dessen Lenkungskünste nicht in Erscheinung treten; in neuerer Zeit vor allem als polit. Schlagwort gebraucht. Draht ziehen (ndd. trecken): sich derb und ohne Scheu aussprechen. Die Rda. hat in den Mdaa. öfters auch andere Bdtg., z. B. schwäb. betteln, fechten4, nordd. bes. ,eilig davonlaufen4, vielleicht unter dem Einfluß der Wndg. ,Leine ziehen4 (/Leine). In unserem Jh. sind verschiedene heute sehr beliebte Rdaa. vom Telephon- oder Telegraphendraht, d.h. aus der techn. Fachsprache hergenommen worden, so auf Draht sein: auf der Höhe sein, sich ständig für Aufgaben bereit halten, tüchtig und lebhaft sein; auch: in guter Stimmung sein, die günstige Gelegenheit wahrnehmen, seinen Vorteil geschickt zu nutzen wissen. Jem. auf Draht bringen: ihn in lebhaftere Tätigkeit versetzen; vgl. auch ,drahtig4, tüchtig, straff. Zu jem. einen Draht haben: zu jem. eine unmittelbare Verbindung, Beziehung haben. Solche Wndgn. kommen schon Ende des 19. Jh. auf; Bismarck erklärte z. B. 1891 der Wiener Neuen Freien Presse: ,,Der Draht ist abgerissen, welcher uns mit Rußland verbunden hat44. Der heiße Draht ist die heutige Bez. für die Sofortverbindung zwischen Washington und Moskau im Ernstfälle. Draht in der Bdtg. von ,Geld4 stammt aus der Gaunersprache. Von da ist in die Umgangssprache übernommen: Ihm ist der Draht ausgegangen: er kann nicht mehr bezahlen, aber auch: er kann nicht mehr Weiterarbeiten. dran. Es ist etw. dran sagt man, wenn ein Sachverhalt nicht richtig dargestellt wird, aber trotzdem ,ein Körnchen Wahrheit4 enthält. In Rinckharts ,Eislebischem Ritter4 (V.2485) sagt Polylogus, als das Gerücht, Luther sei vom Teufel geholt worden, im Volke umgeht: 210
Dreck Mein gnädigst Herrn wolln mir verzeyhn, Es muß doch etwas daran seyn. Kann man von einer Sache oder einem Gegenstand sagen: Da ist alles dran, dann ist die Sache vollkommen, es fehlt daran nichts. Von einer Frau mit guter Figur sagt man: ,An ihr ist alles dran4. Sehr häufig wird die Rda. noch erweitert: Da ist alles dran und nichts vergessen. Aus dem südd. Raum stammt die iron. Wndg. Da ist alles dran, nur keine Bremsen. Man will damit sagen, daß die Sache an sich tadellos in Ordnung und vollständig sei, bis auf eine wichtige Kleinigkeit. Höchst minderwertiges Zeug tut man mit der Bemerkung ab Da ist alles dran und nichts vergessen, fehlt bloß der Griff zum Wegschmeißen. Einen drankriegen: ihn überlisten, zum Narren halten, übervorteilen oder ,übers Ohr hauen4, diese Wndg. ist seit dem 18. Jh. bekannt. Feste dran müssen: tüchtig arbeiten, sich plagen müssen, zupacken, helfen müssen, in die Arbeit eingespannt sein. Sich dranhalten /beim Essen tüchtig zugreifen, beim Genuß schöner Dinge der erste sein, das Angenehme im Leben rasch genießen, aber auch: sich bei der Arbeit beeilen, sich über etw. ständig aufregen, immer wieder davon sprechen. Dran glauben müssen: das Opfer sein, sterben müssen. Formelhafte Wndgn. wie drauf und dran sein: im Begriff, gerade dabei sein, etw. zu beginnen, und das Drum und Dran einer Sache beachten (kennen), werden in der Umgangssprache häufig gebraucht. Auf zahlreiche Erfindungen und Neuerungen paßt mit gutem Recht die volksläufige Wndg. ,Das Neue daran ist nicht gut, und das Gute daran ist nicht neu4. Dieser Satz ist eigentl. eine verzerrte Wiedergabe des Distichons ,Auf mehrere Bücher. Nach Lessing4, das J.H. Voß in seinem Musenalmanach4 (1792) veröffentlichte: Dein redseliges Buch lehrt mancherlei Neues und Wahres, Wäre das Wahre nur neu, wäre das Neue nur wahr! Am dran st en sein: an die Reihe kommen, bes. beim Kartenspielen und beim Anstehen in einer Schlange gebraucht. Witzige Steigerung von dran: ,draner, am dransten4. Dreck, ln vielen Kraft- und Scheltworten, in Rdaa. und Ausdr. gebrauchen Umgangssprache und Mdaa. das Wort Dreck; es bedeutet das Wertlose, Nichtige, ist auch oft identisch mit dem Anstößigen oder Unangenehmen, kann aber auch als Synonym für ,Geld4 gebraucht werden. In Bayern kann zu dem Verächtlichsten gesagt werden: ,Du bist dem Dreck sei Dreck4, zugleich aber auch die Liebste zärtlich angeredet werden: ,0 du Dreckei du!4. Nach diesen Gesichtspunkten ergibt sich eine Einteilung der zahlreichen Rdaa. Dreck als Bild des Unnützen und Wertlosen: sich einen Dreck um etw. kümmern: sich nicht darum kümmern; ebenso im Gegenteil: sich um jeden Dreck kümmern; sich an jedem Dreck stoßen: an allem Anstoß nehmen, sich über alles und nichts ärgern, schon bei Fischart: ,,Sorgen macht worgen: vnnd macht euch also vnleidlich, daß jr an ein jeden Treck stoset, der im weg ligt44 (Geschichtklitterung, 75, 1575, Neudr.); sich bei jedem Dreck auf halten: bei Unwichtigem, bei jeder Kleinigkeit; einen Dreck wissen (davon verstehen): nichts wissen; sich um einen Dreck zanken; einen Dreck wert sein: wertlos sein; gegen etw. ein Dreck sein: völlig wertlos im Vergleich; das geht dich einen (feuchten) Dreck (Kehricht) an: das geht dich nichts an; seine Nase in jeden Dreck stecken: sich um alles kümmern, wohl von der Vorstellung des schnüffelnden Hundes hergeleitet. Dreck in der Bdtg. ,Widriges, Anstößiges, Unangenehmes4: Dreck am Stecken (am Ärmel) haben: kein reines Gewissen haben, ein Heuchler sein. Wer durch Dreck gegangen ist und sich die Schuhe abgeputzt hat, um sauber zu erscheinen, der trägt am Stecken (bzw. am Ärmel) doch noch die verräterischen Spuren mit sich herum; an seinem Stecken bleibt immer etw. haften, das gegen ihn spricht. Du hast wohl Dreck in den Augen (Ohren, Händen)? fragt man tadelnd die, welche beim Hinsehen, Zuhören, Zugreifen oder Festhalten nicht aufpassen. Durch Dreck und Speck: durch großen Dreck, ist soviel wie,durch dick und dünn4; ,Dreck und Speck4 (durch Lautgleichheit miteinander verbunden) gehört zu den formelhaften stab- oder endreimenden Wndgn. wie ,Sack und Pack4, ,Saus und 211
Dreh, drehen Braus4,,Schimpf und Schande4, ,Mann und Maus4, ,Kind und Kegel* usw., /ach und /Bausch. Im Dreck sitzen (stecken): in Not und Bedrängnis sein, wie das Fuhrwerk, das im Kot versunken ist und sich ohne fremde Hilfe nicht befreien kann; vgl. Es geht ihm dreckig; aus dem größten Dreck heraus sein: das Unangenehmste hinter sich haben; in den Dreck treten: etw. Unrechtes tun, einen Fehltritt begehen und sich dadurch in Ungunst setzen; jem. in den Dreck treten: ihn unwürdig behandeln, nach Hiob 30,19; etw. (jem.) in (durch) den Dreck (Kakao) ziehen: Häßliches, Verleumderisches über etw. (jem.) sagen; sich um seinen eigenen Dreck kümmern} ähnl. wie die Rda. ,vor seiner eigenen /Tür kehren4; besonderer Dreck ist gemeint in der Redewndg.: den (alten) Dreck rühren, daß er stinkt: alte Dinge wieder aufwärmen; schon bei Geiler ,Den Dreck rühren, daß er stinkt4 von Kaisersberg belegt, dann auch bei Thomas Murner: ,,den dreck rütlen, das er stinckt44. Mit Dreck werfen oder Dreck schleudern: Verleumdungen ausbreiten, vgl. obersächs. ,Der ihr Maul geht wie enne Dreckschleuder4, sie schwatzt ununterbrochen, laut und schnell; steir. Dreckschleuder*, böse Zunge; die Dreckschleuder* war urspr. eine Vorrichtung zum Fortschleudern von Kotklumpen bei Belagerungen. Obersächs. ,einen ins Dreckgässel führen4, ihn in eine Verlegenheit bringen; ,einen ganz und gar zu Dreck loben*, ihn überschwenglich loben und herausstreichen. Westf. ,den Dreck in’t Hüs fegen*, sich selbst schaden. Dreckig lachen*, schadenfroh sein. Dreck steht in neueren Rdaa. als Ausdr. der Verachtung: der letzte Dreck sein: zum Auswurf der menschl. Gesellschaft gehören; sich wie das letzte Stück(chen) Dreck benehmen: äußerst schlecht; jem. wie den letzten Dreck behandeln: unwürdig, voller Verachtung. Aus dem 20. Jh. stammt die Rda.: Etw. wird (wurde) in den Dreck geschmissen: nutzlos vergeudet. Geld wie Dreck haben /Geld. Die Karre aus dem Dreck ziehen /Karre. Dreh, drehen. Den Dreh heraushaben: wissen, wie man etw. macht, geschickt sein. Dreh hat in dieser Rda. die Bdtg. von Täuschungsmanöver, List* und bezieht sich auf ein betrügerisches Verfahren beim Händler. Dieser konnte einem etwas ,andrehen*, d.h. einen nicht ganz einwandfreien Gegenstand beim Verkauf so drehen, daß sein Fehler verdeckt blieb; vgl. auch nordd. ,einen Dreh machen*, lügen. Weitergebildet zu eine Sache drehen: sie absichtlich entstellen. Den richtigen Dreh }rauskriegen (finden):einen richtigen Ansatzpunkt, eine günstige Gelegenheit nutzen, um ein Ziel zu erreichen. Dagegen heißt nicht den richtigen Dreh kriegen etw. verkehrt anfassen, nicht fertigbringen. Im richtigen Dreh sein: mitten in der Arbeit stecken. Ein Ding drehen /Ding. Man kann es drehen und wenden, wie man es will: das ist eine doppelsinnige Rede (oft auch mit dem Zusatz: ,es bleibt immer gleich undurchsichtig* usw.). Den Gegensatz dazu bildet die Feststellung: Daran ist nichts zu drehen und zu deuteln: die Sache ist völlig eindeutig. Seinen Mantel nach dem Wind drehen /Mantel. Durchgedreht sein /durch. Auf den komplizierten Mechanismus im 20. Jh. deutet die Rda.: Jem. muß daran gedreht haben: es verdorben haben oder Verwirrung gestiftet haben, weil er den falschen Hebel oder Knopf drehte. 212
Dreizehn Alles dreht sich um jem. oder um etw.: es bildet den absoluten Mittelpunkt. Bei jem. dreht sich alles: er ist schwindlig oder betrunken. Den Drehwurm haben: schwindlig sein, nicht recht bei Verstand sein, aber auch: nicht verläßlich und wetterwendisch. Die Rda. beruht auf der alten Vorstellung von Würmern als Krankheitsdämonen und auf der Beobachtung von Kälbern, die den ,Drehwurm" hatten, der sich als Parasit in ihren Köpfen befand. Jem. eine Nase drehen /Nase. Jem. einen Strick drehen /Strick. drei. Nicht bis drei zählen können: geistig zurückgeblieben, blöde sein. Eine ganze Anzahl von Naturvölkern kann nicht bis drei zählen, d.h. besitzt nur Zahlwörter für eins und zwei, so daß höhere Zahlen durch kompliziertere Zusammensetzungen ausgedrückt werden müssen. Als Rda. soll die Wndg. ganz besondere Dummheit oder Unterentwicklung ausdrücken; vgl. lat. ,Ne numerare seit". Er stellt sich (tut), als ob er nicht bis drei zählen könnte: er benimmt sich wie ein Dummkopf, ist schon bei Luther bezeugt: ,,Stellet sich also sehr schwach, als kündte er nicht vier zehlen"" (Tischreden, 300a); und in seiner ,Sprichwörtersammlung" (Nr.216): ,,Kan nichtdrey zelen""; auch bei Joh. Fischart: ,,kan nicht trei zelen"", und bei Abraham a Sancta Clara (,Etwas für alle"): ,,Er stellet sich, als wann er nicht könte drey zehlen"". Durch Verstellung und vorgetäuschte Dummheit werden Vorteile gesucht: ,,Als ob er nicht bis drei zählen könne, so konnte dieser Lump sich anstellen, und gerade damit fing er die meisten Gimpel"" (Polenz, Büttenbauer I, 36). Auch mdal. ist die Rda. reich bezeugt: ,Der kann kaum auf 3 (5) zäle" oder ,Mä meint, er könne net (auf) 5(e) zäle" (Fischer VI, 1030). Ehe man auf drei zählen kann: ganz schnell. Drei gerade sein lassen erscheint vereinzelt anstelle der verbreiteteren Wndg. ,fünf gerade sein lassen", es nicht genau nehmen (/fünf). Es drei doppelt nehmen: es dreifach nehmen, ist eine berl. Rda. Auch zur Steigerung wird die ,Drei" verwendet, z.B. für drei arbeiten, Hunger für drei haben. Ein scherzhafter Ausdr. für eine Fehlleistung ist Dreimal abgeschnitten und immer noch zu kurz! Dreier. Der Dreier ist eine früher sehr häufige Scheidemünze von geringem Wert. Man sagt deshalb noch heute: etw. für einen Dreier tun: um geringen Lohn etw. tun, z.B. obersächs. ,Der läßt sich fer ’n Dreier e Loch durch die Nase (ins Knie) bohren"; einen Dreier wert sein: nicht viel wert sein, auch: Der eine ist einen Dreier wert, der andere drei Pfennige: sie taugen beide nicht viel; schwäb. ,Ich gebe keinen Dreier für sein Leben", ich zweifle daran, daß er sich Dreier (,Seinen Dreier dazugeben") von seiner Krankheit erholen wird. Berl. ,Ick laß mir mei1 Dreier wiederjeben", ich spiele nicht mehr mit. Seinen Dreier dazugeben, früher auch ,sein Scherflein dazugeben": seine Meinung zu etw. äußern, so unbedeutend sie auch sein mag. Ähnl. heißt es schon in der ,Zimmerischen Chronik" (Bd.3, S. 457, 36): ,,Do redt ain ieder sein pfenwärt (,Pfennigwert") darzu"". dreizehn. Die,Dreizehn" gilt im Volksglauben als Unglück bringende Zahl. Verbreitet ist die Rda. Jetzt schlägt's (schlägt die Glocke) aber dreizehn: das ist ganz ungewöhnlich, unerhört! Die Uhr schlägt aber nicht dreizehn. Diese Zahl als die gefährlichste und bedeutungsvollste soll deshalb andeuten, daß etw. nicht mit rechten Dingen zugeht und der Teufel seine Hand im Spiel haben muß; denn das Sprw. sagt: ,Dreizehn ist des Teufels Dutzend". Daher 213
Drescher, dreschen auch: Er ist der dreizehnte im Dutzend: er ist überflüssig, und bair. ,alle dreizehn treiben', Liederlichkeiten aller Art treiben. Lit.: O. Weinreich: Triskaidekadische Studien, Reli- gionsgesch. Versuche u. Vorarbeiten XVI (Gießen 1916); C. Puetzfeld: Jetzt schlägt’s dreizehn (Berlin 1937); F. Neumann: Dreizehn bei Tisch, in; Muttersprache (1951), S. 333ff.; J. Kleine: Der Überzählige (Diss. Göttingen 1954); dies.: Der Überzählige. Geschichte und Entwicklung der Sage, in: Zs. f. d. Ph. 74 (1955); L. Kretzenbacher: Freveltanz und .Überzähliger1. Zum Balladen- und Sagentypus vom überzähligen1 Tänzer, in: Carinthia I, 144 (1954), S.843ff. Drescher, dreschen. Fressen wie ein Drescher /Scheunendrescher. Phrasen dreschen, abgedroschenes Zeug reden: leeres Gerede von sich geben; beide Rdaa. berühren sich mit der Wndg. feeres Stroh dreschen (/Stroh). Druck, drücken, Drücker. Im Druck sein; in Druck kommen: in drückender Lage, in augenblicklicher Notlage, Bedrängnis, auch in Geldverlegenheit sein; obersächs. ,Der is egal in Druck', immer in angestrengter Tätigkeit (vgl. ,unter Zeitdruck stehen'). Etw. unter Druck tun: bei einer Arbeit bedrängt werden, sie schneller zu erledigen. Jem. unter Druck setzen: jem. bedrohen, ihn einschüchtern, ihm unter Drohungen etw. abnötigen; nach dem Bild des unter Druck gesetzten Dampfkessels (vgl. ,jem. Dampf machen'). Sich drücken: Qigentl. sich schmal machen, meistens gebraucht i.S.v.: sich davonstehlen, sich unbemerkt entfernen, sich einer Anforderung entziehen. Schon in Seb. Brants ,Narrenschiff‘ (103, 88) ist belegt: sie dunt in selber schad und schand: mancher der drückt sich uß dem Land. Bei Goethe heißt es: Weiß sich in Zeit und Art zu schicken, Bald sich zu heben, bald zu drücken. Wer sich wiederholt erfolgreich einer Pflicht entzogen hat, wird seit dem Ende des 19. Jh. auch,Drückeberger' genannt. In der Soldatensprache sagt man für ,sich vor etw. drücken' auch Druckpunkt nehmen. Jem. an die Wand drücken / Wand. Wissen, wo jem. der Schuh drückt ZSchuh. Auf die Tube drücken: sich anstrengen, sich beeilen. Am Drücker sein (sitzen): an der Macht sein, eine bedeutende Stellung einnehmen, eine sehr junge Rda., die sich wohl von dem elektr. Türöffner herleitet; vgl. rheinhess. ,Der hat den Drücker gleich bei der Schiink (,Klinke‘)!‘. Auf den letzten Drücker kommen: im letzten Augenblick kommen. Wie gedruckt fügen /lügen. Druckposten. Auf einem Druckposten sitzen, einen Druckposten bekleiden: eine ungefährliche und bequeme Arbeitsstelle haben. Diese Rda. bürgerte sich seit 1914/18, von der Soldatensprache kommend, in der Umgangssprache ein. Der Druckposten ist die verächtliche Bez. des Soldaten für eine Dienststelle, auf der man sich vor mutigem und verantwortungsbewußtem Handeln erfolgreich drücken kann (/Druck). drunter. (Unten) drunter durch sein: sein Ansehen oder seinen Besitz verloren haben, sich unmöglich gemacht haben. Die Rda. erinnert an den Ausdr. ,durchfallen' (/Korb), beruht aber wohl doch auf einer allgemeineren Vorstellung. Schon in der ,Zimmerischen Chronik' heißt es (Bd.l, S.49, 20): ,,Die graffen von Lützelstein waren irer gueter halber in deutschen landen hindurch“. Mit ähnl., neuerem Scherz: ,Er ist in der Versenkung verschwunden' (wie auf der Bühne). Es geht alles drunter und drüber: es geht /durcheinander. Drüse. Daß dich alle Drüsen plagen! Die Drüse auf seinen Kopf! sind heute kaum noch gebräuchl. Verwünschungen, in denen das Wort Drüse i.S.v. ,Pestbeule' gebraucht wird. Vom 15.-17. Jh. sind diese Wndgn. oft belegt, z.B. mehrfach bei Joh. Fischart (,,Die trüeß... auff deinen Kopff“), bei Joh. Pauli (,,Daß du die drüss müssest haben") oder bei Joh. Agricola (,,Die drüss gehe dich an")! Auf die Tränendrüse drücken /Träne. Lit.: Dt. Wb. II, Sp. 1458-60; Wander l, Sp. 700; H. Siefart-Gerke: Sprww. und Rdaa. bei Johann Fischart (Diss. München 1953). Dudelsack. Die Volkssprache verwendet den Dudelsack oft zu sprw. Vergleichen; allg. verbreitet ist die Rda.: Er sieht den Himmel (die Welt) für einen Dudelsack an: er ist nicht recht bei Trost. Obersächs. ,Er lebt von der Luft wie ein Dudelsack', er ist bescheiden und anspruchslos. Nordd. ,Da 214
Dumm, Dummheit huckt wie ostpreische Duddelsack\ er sitzt steif und hölzern da, auch: ,Da es besoffe wie e Duddelsack\ Bekannt ist: ,Ich schlage dich, daß du den Himmel für einen Dudelsack ansiehst4 (/Himmel). Auf zwei Dudelsäcken zugleich blasen: mehrere Dinge auf einmaktun. dumm, Dummheit. Die dt. Sprache besitzt einen großen Reichtum an Rdaa. zur Bez. der Dummheit eines Menschen (vgl. die Zusammenstellungen bei Wander I, Sp. 463 u. 704ff., Küpper I, S.98f. u. 373). Meistens handelt es sich hierbei um sprw. Vergleiche, in denen dumm durch einen Zusatz eine Steigerung erfährt: Er ist so dumm wie Bohnenstroh, wie ein Regiment Soldaten: dümmer als die Polizei erlaubt, polizeiwidrig dumm (schwäb.); er ist zu dumm, um einen Eimer Wasser auszugießen; um ein Loch in den Schnee zu pinkeln; er ist dümmer als ein Stück Vieh (als ein Ochse, ein Esel, eine Kuh, ein Kalb; ein 351/immev^u, <^>ar tu- dumm bUil’ft fUt. ,Dumm wie ein Kalb‘ Hinterviertel vom Schafe usw.); er ist dümmer als dumm; dümmer als vorm Jahr; er ist so dumm, daß er blökt, daß er schreit, daß er stinkt, daß ihn die Gänse (Schweine) beißen usw. Er ist dumm wie ein Bund Stroh (vgl. Bohnenstroh); er ist so dumm, man kann ihm die Hose (die Kappe) mit der Beißzange anziehen (allg. obd. verbreitet); er ist so dumm wie Bettelmanns Katze (weil sie bei ihm bleibt). Er ist dumm geboren, dumm geblieben, hat nichts dazugelernt (und auch das wieder vergessen): hoffnungslos dumm, oder: dumm geboren, nichts dazu gelernt und die Hälfte vergessen. ,Wenn du groß warst, wie du dumm bist, könntest du bequem aus der Dachrinne deinen Morgenkaffee trinken4, oder: ,den Mond küssen4. ,Sie denken wohl, ich bin so dumm wie Sie aussehen4. Bes. mdal. Wndgn. werden oft gebraucht, z.B. sagt man in Ostpreußen: ,Er ist nicht so dumm, wie ihm die Mütz’ steht4; ,er ist so dumm wie ein Nagel an der Wand4, und mdal.: ,Wat böst du domm on frettst vêl!4 Schlesw.-holst, mdal. Wndgn.: ,He is man wat dumm kunfermert4; ,he is to’n Starben to dumm4 mit dem Zusatz: ,he mütt erst slacht warm4. Im Schwäb. sagt man: ,Dear isch so domm: wenn dear in Doana nei- guckt, dan verrecket alle Fisch4; ,dear isch z’domm zom Bettla: dear stoht hintersch- gefürvoar d’Häuser na4; ,dear isch dümmer wia d’Nacht und dia siggt nix4; ,dear isch z’domm zomDommsei4;,dear isch dümmer wia zwoi Domme vo(n) Döpshofa4; ,dear isch dümmer wia d’Enta beim Tag: diabuk- kat se, wenn se beim Stadeltoar neigat4; ,dear isch z’domm zom Bollahüata4 (um die Samenkapseln des Flachses beim Trocknen zu bewachen) ;,dear isch dümmer als unsers Herrgotts Gaul, und der ist ein Esel gewesen4. Jem. dumm machen: ihn übervorteilen, die Rda. stammt aus dem Rotw. Ähnl.: jem. dumm und dämlich reden: ihn zur Zustimmung bewegen wollen, aber ihm keine Zeit zum Nachdenken lassen. Jem. wird es dumm (im Kopfe): er wird betäubt, verwirrt. Goethe läßt Gretchen (,Urfaust4 V. 377) sagen: Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum. Etw. wird einem zu dumm: es wird einem überdrüssig, lästig; wenn es zu arg wird, reißt einem die Geduld, man will sich nichts mehr gefallen lassen, oft als ablehnende Antwort gebraucht. Sich nicht dumm kommen lassen: es ablehnen, unverschämt behandelt zu werden. Jem. dumm kommen: ihm frech und mit gespielter Dummheit entgegentreten. Jem. für dumm Verkäufer} wollen: ihn für dumm halten, überlisten, betrügen wollen. Vgl. berl. ,Sie denken wol, sie könn1 mir for dumm verkoofen?4 Sie halten mich wohl für dumm? Sie glauben vielleicht, daß ich nichts merke. Ähnl. schwäb. ,Wer den für 215
Dumm, Dummheit dumm kauft, geit’s Geld umsunst aus‘, er ist unrecht dran; hat sich getäuscht; hat den anderen unterschätzt. Sich dumm stellen: so tun, als ob man von nichts wüßte. Oft wird die Wndg. als Aufforderung gebraucht: Stell dich nicht so dumm an: tu nur nicht so! Zu etw. noch zu dumm sein: zu jung, unerfahren und unwissend sein. Diese Rda. bewahrt den alten Sinn des mhd. ,tumb\ Er ist nicht so dumm, als er aussieht: er ist listig, verschlagen. Das ist wirklich so dumm nicht: es ist ganz verständig, es ist ein brauchbarer Vorschlag. Das sieht gar nicht dumm aus: es sieht gut aus, es paßt, harmoniert zusammen. Ähnl. Wndgn. sind auch mdal. verbreitet, z.B. holst. ,Dat süt nig dumm ut‘ und ,Dat smekt nig dumm4, es schmeckt gut. Der Dumme sein: der Betrogene sein, ähnl. wie die frz. Wndg. ,être la dupe4. Einen Dummen gefunden haben: einen Gutmütigen, Hilfsbereiten ausnützen. Sich einen Dümmeren suchen müssen: durchschaut und abgewiesen werden. Die mdal. Wndgn. enthalten bes. treffende Vergleiche und witzige Zusätze, z.B. sagt man von Dummen im Schwäb.: ,Dear isch beim Professor Muh z’Ochsahausa in d’Schual ganga4; ,dear isch net schuld, daß d’Eisebah fahrt'; ,dear isch net schuld, daß ’s Pulver schnöllt4; ,dear hot’s Pulver o net erfunda4; ,dear isch weaga d’r G’scheide au koi Stiaga nag’falla4; ,dear haut G’scheide au it mit de Löffel g’fressa4; ,deam sei Witz isch mit’m Fengerhuat g’messa4; ,dear isch d’r Ea(r)scht vo hinta rei4 . Man stellt auch fest: ,De Dumme sind noch lang net ausge- storbe, sonst wärest du nimmer da!4 Im Schlesw.-Holst.: ,He is keen vun de gansen Dummen4 oft mit dem Zusatz: ,awer vun dat Slag, wat denn kummt4; und: ,De Dummen ward ni all, sünd man dünn seit, kaamt awer deck op\ Zahlreich sind auch die rdal. Vergleiche für den Dummen, z. B.: ,Der Dumme stellt sich an wie der Esel zum Lautenschlagen4 (schon lat.: asinus ad lyram), ,wie der Ochse zum Tanzen4, ,wie die Sau zum Haarkräuseln4, ,wie ein altes Weib bei der Hasenjagd'; ,er steht da wie der Ochse am Berg', oder ,vor dem neuen Scheunentor4. ,Er macht ein Gesicht, wie die Katze, wenn’s donnert4; ,wie eine Ente, wenn’s wetterleuchtet4. Von Dummsdorf sein: sehr dumm sein. Der Name eines erfundenen Ortes wird eingefügt, so auch Borneo (,borniert4), Dummbach, Dummwitz, preuß. Domnau, ndd. Dummebeck usw. Nicht von Dummsdorf sein:k\ug, listig sein, sich nicht übervorteilen lassen. Mit dem Dummbeutel geklopft sein: durch Schläge angeblich dumm geworden sein. Eine große Dummheit begehen: leichtsinnig und unüberlegt handeln. Den Kopf nur voller Dummheiten haben: immer zu Streichen aufgelegt sein. Er hat die Dummheit mit Löffeln gegessen (gefressen); er ist mit Dummheit geschlagen, wohl der bibl. Redewndg. ,mit Blindheit geschlagen4 nachgebildet; als die Dummheit aus geteilt wurde, ist er zweimal gegangen (hat er zweimal ,hier4 gerufen); wenn Dummheit weh täte, würde er den ganzen Tag schreien (berl. ,hörte man dich von Berlin bis nach Potsdam schreien4). Ober- sächs. ,Dummheit backen4, dumme Streiche machen. Mdal. Übertreibungen sind bes. beliebt. Im Schwäb. z.B. braucht man die folgenden Wndgn.: ,Wenn dear vo(n) sein’r Domm- heit stuira müaßt, no käm ’r ’s ganz Johr aus 's Rentamt (Finanzamt) nemme raus4; /wenn deam sei Dommheit am Hemmel ständ, nau tät ma zom Weat’r läuta'; ,wenn d’ Dommheit weah tät, no tät dear da ganza Tag gradnaus schreia'; ,wenn d’ Dommheit weah tät, nau tät ma dean von Ulam bis Augschburg schreia heara'. ,Dear könnt mit sei’r Domme ’s Augschburger Dom neirompla4; ,dear isch zwoimol g'spronga, wia o(n)ser Herrgett Domme austoilt hot4; ,dear hot zwoimol ,hier!4 g’schriea, wia o(n)ser Herrgett Dommheit vertoilt hot4; ,deam isch Dommheit ans Hira g’schrieba4 ; ,deam guckt Dommheit bei de Oahra (bei alle Knopflöcher) raus4. Die berl. Rdaa. für Dummheit sind bes. zahlreich: ,Bist wol anjeblufft4, ,blau anje- loofen4, ,betrampelt?' ,Du bist wol?4 ,Sie sind wol nich janz jesund?4 ,Mensch, du siehst aus wie bestellt un nich abjeholt4. ,Du hast wol Bohnen jefriehstickt?4 ,Sie sind wol n bissken dumm?4 ,Se sind wol aus Dalldorf entsprungen?4 ,Du kannst wol 216
Dunst nicht davor?' ,Dir ham se wol ’ne Ecke ab- jefahren?' ,Hast wol Frost in’ Kopp?' /n Fimmel?' ,’n Fussel?' ,Se sind wol nich von hier?' ,Hast wol Hitze?' ,Bei dir ham se wol injebrochen?' ,Bist wol nich bei Jroschens?' .Hast wol ’n Keber (= Käfer)?' ,Keberts dir?' ,Dir ham se wol mit ’n Klammerbeutel jepudert?' ,Has wol’n Knall?' ,Wenn eener verrickt wird, wird er’t zuerst in’ Kopp'. ,Du bist wol von de Kuh (von’n blauen Affen) jebissen?' ,Du bist ja manoli'. ,Hast ja ’n Massel'. ,Bist meschugge'. ,Der ham se wol mit de Muffe jeschmissen (jebufft)?' ,Bist wol ’n bissken mall'. ,Kriejen Se det öfter?' ,Du bist wol aus de Paddenjasse?' ,Dir ham se wol mit de Pauke jepiekt?' ,Di pickt et wol?' ,Bei dir piepts’s wol?' ,Bei dir rappelt’s wol?' ,Hast wol ’n Raptus?' ,Bist wol rappelkÖppsch?' ,Er hat Raupen (Re- jenwürmer) in’ Kopp'. ,Bei den is ’ne Schraube los'. ,Du bist wol von de Stadtbahn ieberfahrn?' ,Er hat’n Stich'. ,Hast wol Tinte jesoffen?' ,Er hat ’n Triefei'. ,Er is ’n bißken trieselig'. JBist wol nich bei Trost?',Sonst is Ihnen doch wohl?' ,Sie sind wol nich janz unwohl?' ,Der ham se wol mit kalt Wasser verbrieht?' ,Verdrehte Schraube!' ,Hast woFn Vogel (’n Piepmatz)?' ,Hast wol ’t jrosse Trailer?' ,Bist wol trallig?' ,Er hat ’n Triller (unterm Pony)'. ,Bei dir trillerts wol?' ,Er ist ieber- jeschnappt'. , Verrickt un drei macht neune'. ,Sie ham wol ’n kleenen Webefehler?' ,Dir ham se wol mit ’ner Mohrriebe aus’n Urwald jelockt?' ,Hier riechts so nach Obst ... du hast wol ne weeche Birne?' Ut.: A. Haas: Dummhans im pomm. Sprw., in: Unsere Heimat, Nr. 11, 12 (Köslin 1925); L. Nies: Von den Dummen im Volksmund am Mittelrhein, in: Nass. Blätter 9 (Montabaur 1929), S. 183ff.; J. Schaeffler: Der lachende Volksmund, S. 17ff.; H. Meyer:Der richtige Berliner in Wörtern u. Rdaa. (10. Aufl. München 1965). dünn. Dünn gesät sein: selten sein. In einem Lied aus dem Dreißigjähr. Krieg (F. W. v. Ditfurth, Hist. Volkslieder des Dreißigjähr. Krieges, 1882, S. 135) heißt es von rechten, offenen dt. Biedermännern Str.55: Doch weil man diese Rüben Gar dünn gesäet findt. Bei Gerlingius ist 1649 (,Sylloge' Nr. 188) gebucht: ,,Phoenice rarior. Sy syn dünne gesaeyt"; vgl. den jüngeren sprw. Ver¬ gleich, den Wander (I, Sp. 711) aus Litauen belegt: so dünn wie des Armen Korn. Ein ähnl. Vergleich ist so dünn wie eine Spindel, bes. von Mädchen gesagt, vgl. spindeldürr, eis. ,so dünn wie eine Heringsseele', auch ,so dünn wie Spinneweb'. Dünne Ohren haben: auf alles achten, was gesprochen wird, schon 1616 von Henisch gebucht, lit. bezeugt in Seb. Brants ,Narrenschiff': wann einer dünn und witt hat oren, man halt nit für ein redlich man. Sich dünne machen (scherzhaft verdünnisieren): sich davonmachen, verschwinden, z.B. 1789 bei Jean Paul: ,,Traumulus hat sich dünne jemacht!" Dagegen heißt sich etw. dünn machen: etw. heimlich entwenden. Dünne tun entspricht der Rda. dicke tun; sie bez. zurückhaltendes Benehmen (z.B. in der Gegend von Göttingen), dagegen obersächs. ,dinne tun', hochmütig sein, andere nicht beachten. Dünne bohren (auch ,ein Dünnbrettbohrer sein'): sich eine Entscheidung leicht machen, ist verkürzt aus der Rda. das Brett bohren, wo es am dünnsten ist (/’Brett). Dunst. Einem (einen) blauen Dunst vormachen: ihm etw. Falsches vormachen, etw. vorspiegeln, ihn verleiten oder betrügen. Die Rda. geht auf die alten Zauberkunststücke zurück, bei denen der Zauberkünstler vor seinen Tricks einen blauen Rauch aufsteigen ließ, wie es z.B. auch Klingsor in Wagners Oper ,Parsifal' tut. Die Wndg. wird im 16. Jh. häufig gebraucht und taucht gelegentlich auch im 15. Jh. auf. Einige Beispiele: 1561 bei Hans Sachs: ,,wol machen einen bloben dunst"; 1588 bei Johannes Nas im ,Warnungsengel' (S.84): ,,Daz aber der hochfliegend evangelische glauben nicht nur ein blawer dunst“; bei Joh. Fischart: ,,Daß du im machst ein blawen Dunst". Die Rda. ist heute noch ge- bräuchl.: Er läßt sich keinen blauen Dunst (vor die Augen) machen: er laßt sich nicht betrügen. Keinen (blassen) Dunst von etw. haben: keine Ahnung haben. Nordd. steht Dunst auch für ,Alkoholrausch', daher schlesw.- holst. ,Wat hesst du för Dünst in’n Kopp', du hast lauter Unsinn im Kopf (/blau). Dunst kriegen: gescholten werden, solda- tensprachl.: stark beschossen werden, jem. 217
Durch Dunst geben (machen): ihn an treiben, im Dienst schinden, wird seitdem 1. Weltkrieg gebraucht. In Dunst und Rauch auf gelten: sich nicht verwirklichen. durch. Durch und durch: völlig, z. B.,durch und durch naß sein'. Jem. durch and durch gehen: ihn erschüttern, ihn stark erregen. Scherzhaft sagt man gelegentlich auch dafür: ,einem durch Mark und Pfennige gehen1, wobei der Ausdr. ,Mark' in der Wndg. irreführend mit der Münze in Beziehung gesetzt wird. Durch etw. hindurch müssen: Schwierigkeiten, Anstrengungen und Leiden überwinden müssen, da keine andere Wahl bleibt, kein Zurück möglich ist. (Ganz) durchgedreht sein: überarbeitet, todmüde, gelegentlich auch: verwirrt, verrückt sein. Diese moderne umgangsspr. Rda. ist von technischen Vorgängen abgeleitet und auf das Psychische übertr. worden. Sie kann sich urspr. auf das Durchdrehen eines Wäschestückes in der Mangel, auf den Fleischwolf, die Mühle oder das Walzwerk bezogen haben, /Dreh, /drehen. durcheinander. Gebräuchl. rdal. Vergleiche zur Bez. von Unordnung und Kunterbunt sind: Es geht durcheinander wie in einem Ameisenhaufen, wie in einem Taubenschlag, wie in der Arche Noah, wie Kraut und Rüben, wie Heu und Stroh, wie Hechsel und Kaf wie Kappes und Mus. Einer Erklärung bedürfen diese Wndgn. nicht. Etw. durcheinanderbringen: nicht auseinander halten können, ganz durcheinatider sein: verwirrt sein. durchfallen, ein Examen nicht bestehen, Mißerfolg bei einer Wahl, auf der Bühne haben usw., ist verkürzt aus der älteren Rda. durch den Korbfallen(/Korb); umg., bes. stud, ist durchfallen auch zu ,durchrasseln', ,durchfliegen1, ,durchrauschen', .durchsegeln' usw. umgebildet worden. Lit.: M. u. H. Küpper: Schülerdeutsch (Hamburg- Düsseldorf 1972). Durchstecherei. Durchstechereien treiben (machen): betrügerische Heimlichkeiten treiben, schwindeln. Bei der Deutung dieser Rda. müssen verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. So hat man an die Herkunft von den .Riemenstechern' gedacht, die noch bis in unsere Zeit im Volksmund als Betrüger weiterlebten und als solche schon im Mhd. erwähnt werden. In Zedlers ,Universal-Lexikon' (31, 1550) wird 1742 von ihnen berichtet, und 1741 heißt es in Frischs ,Teutsch-Latein. Wb.‘ (Bd.2, S. 119c): „betrügerische Landläufer auf den Jahrmärckten, so einen Riemen mit gemachten Krümmen zusammenrollen; mag man darein stechen, wie man will, so können sie machen, daß der Stich neben dem Riemen hingeht“. Dieselbe Jahrmarktsgaukelei ist wohl schon in Murners ,Schelmenzunft' (VI, 15) gemeint: Das heißt die rechte meisterkunst Und die rechten riemen zogen: Vmb sunst verraten und verlogen! Eine zweite Erklärung geht von dem als alt bezeugten mnd. Verb ,dörchsteken' aus; es bedeutet ebenfalls soviel wie Durchstechereien treiben', unter Umgehung des Stapels, der Ein- und Ausfuhrverbote, heimlich Waren ein- oder ausführen, durchschmuggeln. Auf eine weitere Möglichkeit der Erklärung dieser Rda. haben Weigand (Dt. Wb.5 I, 395) und Paul (Dt. Wb.5) hingewiesen; sie leiten die Rda. vom Betrug mit durchstochenen Spielkarten ab; es sei ferner erinnert an die Sitte, Urkunden ungültig zu machen oder zu ändern, indem sie durchstochen wurden. Die Rda. ist u.a. 1859 bei Fr. Reuter (,Franzosentid‘) belegt: „Dat nich so licht Döchstekereien passiren kün’n“. In Berlin wird sie wortwitzelnd z.B. angewandt, wenn in einer vollbesetzten Straßenbahn die Fahrgäste ihre Beine durcheinanderstellen, um bequem sitzen zu können. Lit.: Dt. Wb. I, S. 395; Trübner II, S. 114. durchtrieben. Durchtrieben sein wurde zunächst in der Bdtg. erfahren, geschickt sein' gebraucht, nahm aber dann auch den Sinn von ,verschlagen, listig sein' an, so z.B. bei Joh. Ayrer: ein weib ist listig wie ein fuchs durchtrieben wie ein gehetzter luchs. In sprw. Vergleichen der schwäb. Mda. wird durchtrieben noch ganz wörtl. ver- 218
Dutzend tH tet x l lUtif Vütl tffck'ii Î -{ uhl] N*n i}anuttu\ köt * ,Eine kalte Dusche bekommen1 standen: durchtrieben wie eine Erbsensuppe, wie Buttermilch. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 318. durchwachsen. Es geht mir durchwachsen!: Antwort auf die Frage: ,Wie geht es dir?4, d.h., es geht nicht gut und nicht schlecht, sondern mittelmäßig. Ein verbreiteter Ausdr., mit dem man einer genauen Auskunft aus dem Wege geht; der Vergleich ist hergenommen vom Fleisch, das aus fetten und mageren Schichten besteht oder von Sehnen durchzogen ist. Durst. Einen über den Durst trinken: einen zu viel trinken, wird 1561 von Maaler (,Die teutsch Sprach4 95 a) folgendermaßen erklärt: „Man hat über den durst getrunken / excessit sitim potio44. Das ist ein Apfel (eine Birne) für den Durst: eine Ersparnis, ein Notgroschen, eine ungenügende Hilfe; in den dt. Mdaa. weit verbreitet, z. B. rhein. ,De hat en Äppelche for de Dorscht jemat4, er hat sein Schäfchen im trockenen, auch ndl. ,een appeltje voor de dorst4 und frz. ,garder une poire pour la soif4. Gebräuchl. rdal. Vergleiche sind: Durst haben wie ein Fisch, wie ein Spielmann, wie ein Brutmenputzer, /Bürstenbinder: großen Durst haben. Dusche. Eine kalte Dusche bekommen: empfindlich enttäuscht und ernüchtert werden, z.B. lux. ,Dat war eng kal Dusch fir hien4, das war ein Reinfall. Das Wort Dusche ist am Ende des 18. Jh. aus frz. ,douche4 = Brausebad entlehnt worden. Die Rda. erinnert an die in Heilanstalten früher gebräuchl. Dusche mit kaltem Wasser. Dusel. Das Wort Dusel ist aus ndd. ,dusel4 mit ndd. Lautform ins Hd. entlehnt worden. Aus der Bdtg. ,Betäubung, Halbschlaf, Schläfrigkeit4, später Dämmerzustand, Rausch4 erklären sich Rdaa. wie: im Dusel sein: seine Gedanken nicht beisammen haben, etw. im Dusel tun: es nicht bei vollem Bewußtsein tun. Die jüngere Rda. Dusel haben (auch: Saudusel): großes, unverdientes Glück haben, beruht auf der bereits aus der Bibel bekannten Vorstellung, daß es der Herr den Seinen im Schlafe gibt, und auf der volkstümlichen Auffassung, daß Kinder und Betrunkene ihren besonderen Schutzengel haben. Dutzend. Er (es) geht unterm Dutzend: läuft so mit, hat keinen besonderen Wert; was ,im Dutzend4 verkauft wird, ist oft billige Massenware, daher die Rda. ,im Dutzend billiger sein4, auch schwäb. ,Von dene gohn zwelf op en Dotzend4, sie taugen nicht viel. Du mußt aufs Dutzend draufgebunden werden: du bist ein Hauptkerl, eine sächs. Rda., hergeleitet vom Gebrauch der Händler, ein Probestück auf das Paket zu binden (/Ausbund). 219
E Ebbe. Das regelmäßige Fallen des Seewassers wird an der Nordsee Ebbe genannt. Seit dem Ende des 18. Jh. wird Ebbe auch in übertr. Bdtg. angewendet, bes. in der Rda.: Bei mir ist Ebbe (in der Kasse): ich leide an Geldmangel; 1772 bezeugt bei Martin Wieland: „weil seine Finanzen sich dammahls in der niedrigsten Ebbe befanden“, 1801 in Schillers Jungfrau von Orleans4 (I, 2): Die hohe Flut des Reichtums ist zerflossen, Und tiefe Ebbe in deinem Schatz. Bezeichnenderweise kennt die Umgangssprache nicht den Gegensatz ,Flut in der Kasse4. Die ,tiefe Ebbe4 heißt in der schlesw.-holst. Mda. ,holle Ebb4, daher übertr. ,Dat is holl Ebb4, es ist nichts zu machen. Er läßt Ebbe und Flut verlaufen: er läßt die günstige Gelegenheit ungenutzt vorübergehen; der Gegensatz dazu ist: Er weiß Ebbe und Flui wohl zu nutzen; in den Niederlanden sind Rdaa. mit Ebbe und Flut ebenfalls verbreitet; z.B. ,Het komt als ebbe en vloed4, es geht wie Ebbe und Flut, d.h. regelmäßig; ,hij is aan het ebben‘, sein Leben geht zu Ende. Ebene. Auf die schiefe Ebene kommen /schief. Eckart. Der (ge)treue Eckart steht sprw. für einen alten, erfahrenen, treuen Warner, er ist ein Sinnbild der Treue; schon mhd. ist ,getriuw4 sein ständiges Epitheton. Eckart ist eine Gestalt sowohl der schriftl. fixierten Heldendichtung des MA. wie noch der mdl. Volkssage der Neuzeit. Er ist zunächst eine der ältesten Gestalten der germ. Heldensage; er war der treue Hüter der jungen Harlunge. Sein Name ist bis heute lebendig geblieben,-während der seines ungetreuen Widersachers Ermanrich im Volksmund vergessen ist. Vor allem in der Epik um Dietrich von Bern ist Eckart eine wichtige Figur, die umsichtige Ratschläge oder Warnungen an die Haupthelden erteilt. Auch in der Thidreksaga tritt Eckhard bes. als Warner auf. Sodann trug im Nibelungenlied einer der Markgrafen Rüdigers diesen Namen; in der 26. Aventiure erscheint er als Hüter an der Grenze von Rüdigers Mark u. warnt die ankommenden Burgunden vor der Fortsetzung ihrer Fahrt. In der ,Moerin4 des Hermann von Sachsenhausen (Ausg. E. Martin, Tübingen 1878, V. 204 ff., 3906 ff.) tritt der ,Eckart alt4 auf, der sich zum treuen und klugen Anwalt des gefangenen Ritters aufwirft. Hist. Vorbild war wahrscheinl. Eckart I. von Meißen, ein thüring. Markgraf, der sowohl durch seine siegreichen Grenzkämpfe gegen die Wenden und Böhmen als auch durch seine ritterliche Tugend und Treue zum Kaiser Otto III. einer der berühmtesten Männer seiner Zeit und einer der ersten Vasallen des Reiches geworden war. Aber erst auf einen Nachkommen dieses Mannes, auf den Markgrafen Eckard II., wurde zum ersten Mal in der Geschichte der rühmende Zusatz eines ,treuen Ek- karts4 angewandt, bezeugt in einer Schenkungsurkunde des Kaisers Heinrich III. vom Jahre 1041. In der mdl. überlieferten Volkssage begegnet uns der treue Eckart in einer ganz anderen Funktion: er sitzt vor dem Eingang zum Venusberg und warnt im Kleide des Einsiedlers und im Ton eines priesterlichen Beraters. Auch in der Ausg. von Murners ,Geuchmat4 (Basel 1519) erscheint auf dem Bild zum Kap. ,Frouw Venus berg4 ein alter Mann in bürgerlicher Tracht, der das junge Liebespaar, das in den Venusberg eintreten will, mit erhobener Hand warnt. Ebenso sitzt Eckart in der Tannhäuser-Volksbal- lade des späten MA. als Warner vor dem Berg der Frau Venus. Joh. Agricola führt 220
Ecke ,Ein getreuer Eckart1 uns mit der ihm eigenen Gründlichkeit die Sage vor: ,,Nun haben die Deutschen yres trewen Eckarts nicht vergessen, von dem sie sagen, er sitze vor dem Venus berge, und warne alle Leute, sie sollen nicht ynn den berg gehen. Es ist ein fabel, wie der Than- hauser ym Venusberge gewesen sey und habe danach dem Bapst Urbano zu Rom gebeicht . . . Dieweil nu der Tannhäuser also mit leib und seele verdorben ist, sagen die Deutschen, der trewe Eckart sitze vor dem Venusberge und warne die leutte, sie sollen nicht hineyn gehen, es möchte ynen sonst ergehen wie dem Thanheuser“. Daher schreibt sich auch das von Agricola ausgelegte Sprichwort: „Du bist der trewe Eckart, du warnest yedermann44 mit der Erklärung: „Wir brauchen dises wortts, wenn yemand einen andern trewlich vor schaden warnet, vnd wir wollens nach rhu- men, so sagen wir, Du thust wie der trew Eckhart, der warnet auch yederman vor schaden“. Übereinstimmend mit der Auslegung Agricolas haben auch die meisten zeitgenössischen Schriftsteller und Sprichwortsammler die Wndg. wiederholt. Aventin sagt in seiner ,Bayer. Chronik4 von 1526: „ist noch ein Sprichwort: ,ich gewarn dich als der treu Heccard 4 4 4 . Noch in der neuzeitlichen Volkssage warnt der treue Eckart vor dem wilden Heer. Goethes bekannte Ballade ,Der getreue Eckart4 hat die Gestalt nach der Sage (Grimm, DS. Nr. 7) erneuert; Goethes Quelle war eine Stelle in den ,Saturnalia4 des Praetorius (1663): „In Thüringen liegt ein Dorf Schwarza, da zog zu Weihnachten Frau Holle vorüber und vorn im Haufen ging der treue Eckart und warnte die begegnenden Leute..Ganz frei verwendet Goethe das Motiv in dem Epigramm Vergebliche Mühk: Willst Du der getreue Eckart sein Und jedermann vor Schaden warnen, S’ist auch eine Rolle, sie trägt nichts ein: Sie laufen dennoch nach den Garnen. Schließlich hat der treue Eckart auch in Klopstocks ,Gelehrtenrepublik4 Einlaß gefunden, als Urgroßvater des Aldermanns Eckart, eines ,guten Greises4, der recht von dt. Sprww. trieft und sich in seiner belehrenden Art glücklich in dieses altdt. Milieu einfügt. Lit.: HdA. II, 541-544 (Art. ,Eckart1 v. 5. Singer)-, G. Birkenfeld: Die Gestalt des treuen Eckart in der dt. Sage und Lit. (Diss. Berlin 1924). Ecke. Es geht bunt über Eck: es geht wirr durcheinander, es geht unruhig und stürmisch zu; schon im 16. Jh. bei Seb. Franck (im ,Weltbuch4) belegt, dann im Simplicissimus4, auch bei den Schlesiern, z. B. bei W. Scherffer und M. Opitz. In der Chemnitzer ,Rockenphilosophie4 (6, 424, 1705-06) heißt es: „wenn die Gäste schon geschmissen (,geschlagen4) und es bunt über Eck gehet44. Ebenso noch bei Heinrich v. Kleist im Verbrochenen Krug4 (3. Auftr.): „Es geht bunt alles über Ecke mir44. Obersächs. ist auch ein Adj. ,überecke4 — schief, zur Seite geneigt, bezeugt, daher die Rda.: Es ist mir überecke gegangen: die Sache ist mir schiefgegangen. Meckl. ,He is’n lütt bäten oewer die Eck4, er ist nicht ganz bei Verstand. Um die Ecke sein (gehen): verschwinden, sterben. Die Rda. bringt ein höchst anschauliches Bild für schnelles Hinwegsterben4: lautlos verschwindet der um eine Straßenecke Biegende aus dem Gesichtskreis; obersächs. bedeutet die Wndg. außerdem: im Spiel verloren haben, bankerott sein. Ähnl. einen um die Ecke bringen: ihn still aus dem Weg räumen, 221
Effeff heimlich töten. Meckl. ,Dee ward ok bald üm de Eck zoddelt\ er wird bald begraben. An allen Ecken und Enden: überall, auch an allen Ecken und Kanten; ich traue ihm nicht um die Ecke: ich traue ihm nur, solange ich ihn sehe. Um ein paar Ecken miteinander verwandt sein: weitläufig verwandt sein. Verbreitet ist die Rda. Der guckt um die Ecke: er schielt, auch: einen übers Eck anselten: anschielen. Nordd. ,He speit um die Eck\ er betrügt. Sich eckig la- chen:sich einen Ast lachen; es ist zum eckig werden: es ist zum Verzweifeln. Rhein, ist ,en eckiger Kerb ein unbeholfener Mensch. Ecke stehen: als Prostituierte nach Kundschaft Ausschau halten. Effeff. Etw. aus dem Effeff verstehen (können, beherrschen): etw. gründlich können. Eine sichere Entscheidung zwischen drei Möglichkeiten der Deutung ist nicht möglich: 1. In der Kaufmannssprache bez. man seit dem 17. Jh. die Waren mit f, d.h. ,fino' = fein, und mit ff, d.h. ,finissimo' = sehr fein. So scheint u.a. Jer. Gotthelf die Rda. anzuwenden, der einmal sagt, ,daß die Leute Preise stellten aus dem FF'. 2. In der Terminologie der Musik bedeutet f = forte, d.h. stark, ff = fortissimo, d.h. sehr stark. Daran ist offenbar gedacht in der schwäb. Rda. ,Man wird’s dir aus dem ff geigen', etw. Besonderes machen. Wie auch sonst ital. Ausdr. in dt. Rdaa. ge- bräuchl. wurden (z.B. ,in petto haben', ,Fiasko machen'), so kann dies natürlich auch hier geschehen sein. Die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat jedoch eine 3. Herleitung von Pandektenzitaten, die von den ma. Glossatoren mit dem griech. Buchstaben pi (tc) gekennzeichnet wurden. Beim Hinausziehen der senkrechten Striche über den Querbalken dieses Buchstabens ergab sich ein zweifaches f. Man hat auch an ein etw. verzogenes D gedacht, das, zum Zeichen der Abk. mit einem Querstrich versehen, von neueren Abschreibern und Herausgebern mißverstanden und in ff verwandelt worden sein kann. Dieses D meinte die Digesten, den Hauptteil des Corpus juris civilis. Die Glossatoren des 11.-15. Jh. und noch die Juristen des 16. Jh. zitierten jedenfalls die Pandekten mit ff, und diese Zitierung fin¬ det sich sogar noch in Schriften des 18. Jh. Aus diesem ,ff‘ schöpfte der Jurist also ehemals sein Wissen; es war Quelle und Bürge gesicherten Wissens, denn was aus den Pandekten belegt ist, hatte als zuverlässig und gründlich zu gelten. Später erweiterte sich die Bdtg. der Rda. auch auf andere Lebensbereiche; heute bez. sie allg. einen hohen Grad von Zuverlässigkeit und Gründlichkeit. Mdal. verbreitet ist: einen aus dem Effeff verhauen: ihn tüchtig verdreschen; ebenso Prügel aus dem Effeff; eis. ,Dies ist einer us dem FF', ein Pfiffikus; schwäb. ,Er pfeift aus dem FF\ er wird bald sterben. Ganz modern wird ff auch als scherzhafte Abk. für ,Viel Vergnügen!4 gebraucht. Lit.: Wanderl, Sp. 1009; Richter-Weise, Nr.52, S.56; Göhring, Nr. 92, S. 58; Küpper I, S. 111 ; O. Behaghel: Von dt. Sprache (1927), S.27; W. Ebel: Über Rdaa. u. Recht, in: Moderna Sprâk (Stockholm 1960), S.12. Ehe. Da das Wort Ehe in den Mdaa. wenig verbreitet ist, sind auch Rdaa., die diesen Begriff enthalten, selten. In die Ehe tanzen: leichtsinnig heiraten, ohne sich über die Verpflichtungen im klaren zu sein, die man damit eingeht. Schwäb. ist die Wndg. die Ehe brechen witzig abgewandelt worden: von einem, der es mit der Ehe nicht sehr genau nimmt, sagt man: ,Er hat die EIT net broche, aber stark boge'. Verbreitet ist in unserer Zeit die Redewndg. in wilder Ehe leben.wie Mann und Frau Zusammenleben, ohne verheiratet zu sein, /Bratkartoffelverhältnis. Ehre, Ehrenwort. Mit halber Ehre davon- kotnmen: vor Gericht freigesprochen werden, aber dennoch nicht ohne Makel sein. Die schon bei Seb. Franck belegte Rda. lautet im Ndl. ,Hij is met halver eere afge- komen'. Die Wndg. Ehre mit etw. einlegen, ebenfalls schon seit dem 15. Jh. bezeugt, ist nicht mit Sicherheit zu erklären. Allg. ge- bräuchl. ist noch Ehre im Leib haben, z.B. in Schillers .Räubern' (I, 2): ,,Wir sorgten, die Herren werden zu viel Ehr im Leib haben und nein sagen4'. Jem. die Ehre abschneiden: jem. verleumden, lästern, verächtlich machen (vgl. ,Er ist ein Ehrabschneider'). Man mag dabei an eine Ehrenstrafe der Volksjustiz denken, dem Verleumder das lange Gewand oder 222
Ei aber auch Frauen die Haare abzuschnei- den. Einern die letzte Ehre erweisen: ihn zu Grabe geleiten. Ein dunkler Ehrenmann sein: ein Mann sein, der zweifelhafte Geschäfte betreibt. Die Wndg. stammt aus Goethes ,Faust1 (Szene ,Vor dem Tor'), wo Faust zu Wagner sagt: „Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann“. Im Gegensatz zur heutigen Bdtg. hieß das: er war ein ehrlicher Mann, aber nicht berühmt. Das kleine Ehrenwort auf etw. geben: etw. einigermaßen glaubhaft versichern; im Gegensatz zum großen Ehrenwort, das die Bdtg. eines Eides hat und nur in wichtigen Angelegenheiten gegeben wird. Bei unwichtigen und alltäglichen Dingen wird das ,kleine Ehrenwort1 für ausreichend gehalten. Lit.: Trübner II, S. 157; Küpper I, S. 102; Krüger- Lorenzen I, S. 76. Ei. Etw. beim Ei anfangen: von vorne an- fangen, von Grund auf lernen; geht schon auf lat. Wndgn. zurück: ,ab ovo incipere'; ,Omne vivum ex ovo'. In Martin Wielands ,Oberon' heißt es (5,14): „Die gute Mutter fängt beim Ey die Sache an / Und läßt es nicht am kleinsten Umstand fehlen“. Sich gleichen wie ein Ei dem andern: sich völlig ähnl. sein, bereits 1513 in der Sprichwörtersammlung des Tunnicius (als Nr. 474) angeführt: „Eier sint eieren'ge- lyk“; auch diese Rda. läßt sich bis in die röm. Antike zurückverfolgen (Cicero, ,Quaestiones academicae' 4, 18: „Non tam ovo ovum simile4'). Abraham a Sancta Clara hat die Wndg. in ,Gehab dich wohl' benutzt: „Entschuldigungen, welche denen Lugen so gleich sehen, wie ein Ey dem andern''. Sich um ungelegte Eier kümmern: sich um Dinge sorgen, die noch nicht spruchreif sind oder einen nichts angehen; diese Rda. ist in Luthers ,Sprichwörtersammlung' belegt: „Sorgest für ungelegte eyer“, dann 1583 in Sibers ,Gemma gemmarum' als Übers, von lat. curiosus: „der sich umb ungelegte Eier bekümmert“. Bei Lehmann ist 1639 S. 834 (,Ungewiß' 1) bezeugt: „Vngelegte Eier sind ungewisse Hüner. Die Eyer sind nicht gelegt, darauß die Hü¬ ner gebriit werden sollen“. Ähnl. ist die Rda. Das sind ungelegte Eier für mich: das sind im Werden begriffene Dinge, um die ich mich nicht kümmere. Er kackt (scheißt) Eier ohne Schalen: der Narr produziert immer Unvollkommenes. Auf das Ei sehen und das Huhn laufen lassen: für die ungewisse Zukunft sorgen und dabei vergessen, Gegenwärtiges zu genießen, aber auch: die Grundlagen für Zukünftiges vernachlässigen. Im Ndd. heißt die Rda. ,Du wardst das ey vnd lessest die Henne lauffen' (Henisch, 964). ,Er kackt Eier ohne Schalen1 ,Auf das Ei sehen und das Huhn laufen lassen' Einen anfassen (behandeln) wie ein rohes £7: ihm nicht die geringste Verletzung zufügen, weder körperlich noch seelisch, sehr behutsam Vorgehen; wie auf Eiern gehen: sehr behutsam, langsam und vorsichtig gehen, von lauen, ängstlichen Menschen gesagt, die überall anzustoßen fürchten und keines offenen Wortes, keiner entschiedenen Tat fähig sind. Schon bei Luther: „Ei sihe lieber, wie geht der geyst hie auff eyern“. Bei Lehmann steht S.69 ^Behutsamkeit' 20): ,,Der Behutsame geht als wenn er auff Eyern oder Kohlen gieng, geht 223
Ei leiß, er furcht, er trett in ein Glas". Vgl. die frz. Wndg.,passer sur des œufs sans les casser' (/Eiertanz). Ein einzelnes Ei steht sprw. für eine Kleinigkeit, ein Nichts, z.B. schon in der Livland. Reimchronik (V. 3986): „Dar umme gäben sie ein ei".,Nicht eines eies wert' (Stricker, Pfaffe Amis). Noch heute sagt man etwa Er hat es für ein Ei und ein Butterbrot (für einen Apfel und ein Ei) gekauft: er hat es spottbillig erhalten; /Apfel. Meckl. ,Dor sett ick kein roh Ei gegen', auf diese Wette lasse ich mich nicht ein. Die Mehrzahl bedeutet Wohlstand: bereits seit dem Jahre 1430 ist die Rda. belegt Eier im Fett haben, dazu obd. Eier im Schmalz haben. In der Umgangssprache wird ,Eier' heute oft für ,Geldstück, Mark' gebraucht. Deshalb: keine Eier mehr haben: mittellos sein, und: Das hat seine Eier: die Sache hat ihre Schwierigkeiten. Wie aus dem Ei geschält (berl. gepellt): äußerst sauber, appetitlich, reizend, auch: gut gekleidet. Bezeugt etwa bei Abraham a Sancta Clara in seiner ,Todten-Capelle‘: „Sie sehen aus, als wenns erst neulich aus einem Ey wären geschählet worden". Wer weiche Eier schält, faßt sie vorsichtig an; daher in Oldenburg: ,He wet sine Eier god to schellen', er weiß seine Sache geschickt ,Eier spalten' ,Eier dreschen1 224
Eichhörnchen anzufangen, auch im Obersächs. .einem weiche Eier schälen', seine Angelegenheiten zart anpacken, ihm schöntun. Die holst. Redewndg. ,1k heff noch Eier mit di to pellen' bedeutet: ich habe noch mit dir abzurechnen. Das ist das Ei des Kolumbus: das ist eine überraschend einfache Lösung einer schwierigen Frage. Diese Wndg. geht auf die bekannte Anekdote zurück, die zuerst 1565 von dem Italiener Benzoni in seiner ,Historia del mondo nuovo' von Kolumbus berichtet wird: Nach der ersten Reise des Kolumbus gab Kardinal Mendoza dem Entdecker zu Ehren ein Mahl, bei dem der Kardinal meinte, daß die Entdeckung der Neuen Welt eigentlich gar nicht so schwer gewesen sei. Kolumbus nahm darauf ein Ei und fragte, wer von der Tafelrunde das Ei auf eine seiner beiden Spitzen stellen könne. Als alle verneinten, nahm der Admiral das Ei und schlug das eine Ende auf den Tisch - und das Ei stand. Der Sinn der Rda. ist, daß man zur Lösung einer schwierigen Aufgabe im rechten Augenblick eben den richtigen Einfall haben müsse. Die Rda. Das war nicht das Gelbe vom Ei: beinhaltet eine Mißbilligung oder Beanstandung. Weil das Kostbarste und Schmackhafteste vom Ei fehlt, gilt das Übrige als unvollkommen. Eier spalten: übergenau sein, vgl. Haarspalter'. Sein Ei dazwischen (dazu) legen: seine Meinung zu etw. äußern. Rheinhess. Eier dreschen: nachlässig arbeiten, eigentl.: so schlecht dreschen, daß die im Getreide verborgenen Eier nicht zerschlagen werden; heute in der Bdtg.: etw. Unsinniges tun. Es ist bekannt, daß die Hühner ihre Eier oft in das Scheunenstroh legen; daher Auch ein gescheites Huhn legt die Eier neben das Nest: auch ein Erfahrener macht Fehler. Das Ei neben das Nest legen: etw. verkehrt anfangen. Meckl. heißt ,ein Ei vorbeilegen', flüchtige Beziehungen unterhalten. Obd. Dem hat der Teufel ein Ei ins Haus gelegt: dem wird ein uneheliches Kind geboren; diese Wndg. hat Schiller in ,Kabale und Liebe' (II, 4) benutzt und so abgewandelt: „Wem der Teufel ein Ey in die Wirtschaft gelegt hat, dem wird eine hübsche Tochter geboren", /Kuckuck. Wenn man jem. mit faulen Eiern bewirft (früher tat man es wirklich, heute bloß noch bildlich), ist das für den Schauspieler, Redner keine Anerkennung seiner Leistung. Die Eierschalen noch hinter den Ohren haben: noch sehr jung, unerfahren sein. Schwäb. ,Der hat die Eierschale no uf em Buckel', er ist noch ein ,Gelbschnabel', ,grüner Junge'. Er ist kaum (erst) aus dem Ei gekrochen: er ist noch sehr jung. Das Ei will kluger sein als die Henne: die unerfahrenen Jugendlichen halten sich selbst für klüger als ihre Eltern und Lehrer. Vgl. ndl. ,Het ei wil wijzer zijn dan de hen'. Ndd. ,Se sünt een Ei un een Dopp', sie sind ein Herz und eine Seele. - Rhein. ,De hät de Verstangk, wo die Hähner de Eier han'. - lm Schwäb. sagt man von einem Großsprecher: ,Dem seine Eier hänt zwoi Dotter'. Die Wndg. ein Ei mit jem. zu schälen haben (vgl. ndl. ,1k heb een eitje met u te pellen') entspricht der häufigeren Rda.: ,ein Hühnchen mit jem. zu rupfen haben'. Eichel. Gesund wie eine Eichel: kerngesund; wie die Eiche das Urbild der Kraft, so ist ihre Frucht das Bild der Gesundheit und Frische ;zahlr.mdal. Ausdr. weisen auf diese volkstümliche Vorstellung hin: ostmdt.,eichelganz',,eichelgut', unverletzt fest, auch klotzig; bair. ,ein eichelfrisches Kind' usw. Auch in den sprw. Rdaa. der dt. Mdaa. wird die Eichel oft benutzt, z.B. obersächs. ,in die Eicheln ziehen', aufbrechen; schwäb. und darüber hinaus: Da hat eine (blinde) Sau eine Eichel gefunden: er hat unverdientes Glück gehabt. Interessant ist eine andere schwäb. Rda., deren Ursprung wohl in den verbreiteten Volkssagen vom ,Erlöser in der Wiege' liegt: Auf die Frage, ob man bald heirate, sagt man schwäb. ,Da ist’s Eichele no net gfalle, des d’Eich zur Wieg fürs Kind gebbe muß' (F. Ranke: Der Erlöser in der Wiege, München 1911). Da gebe ich nicht eine taube Eichel dafür /Nuß. Eichhörnchen. Flink wie ein Eichhörnchen, z. B. in der Gegend von Leipzig: ,Der Pflug ging wie en Eckerchen', so leicht und schnell. Der hat Ohren wie ein Eichhörnchen: er hört aufmerksam zu. Obersächs. 225
Eid ,Du machst mer weis, der Teifel is e Eech- hernche\ du willst mir etw. weismachen; obdt. sagt man ähnl.: Der Teufel ist Eichhorn! wenn etw. überraschend glatt und schnell geht. Er hat ein Eichhörnchen geschnupft: er hat einen buschig abstehenden Schnauzbart. Beim Skatspiel hört man: Mühsam (er)nährt sich das Eichhörnchen, wenn einem nur kleine Stiche beim Skatspiel gelingen, oft auch mit witzigen Zusätzen, wie: ,klein, schmächtig und blutarm, aber trinkfest und arbeitsscheu'. Allgemeinere Bdtg. hat die Wndg. Mühsam baut sich das Eichhörnchen sein Nest: eine Sache ist mühevoll und geht nur langsam voran. Eid. Einen Eid ablegen, etw. mit einem Eid bekräftigen, einen in Eid und Pflicht nehmen sind Wndgn., die ohne weiteres verständlich und nicht erklärungsbedürftig sind. Der falsche Eid spielt im Volksmund eine große Rolle. Von einem Wortbrüchigen sagt man am Niederrhein und in Holland : Er hält einen Eid wie der Hund die Fasten. Rhein. ,E kuckt dren wie anen, der en falschen Ad geschwor hot‘ und ,Dat es su wohr, als wann en Bur en falsche Eid schwiert'; vgl. die schwäb. Wndg. ,Der nimmt’s auf’s Gewissen wie der Bauer einen falschen Eid1. Die Rda. den Eid ableiten: ihn ungültig machen wollen, wurde mit einer Geste in Zusammenhang gebracht: der Schwörende hielt die Finger der linken Hand nach abwärts gerichtet, während er die rechte Hand zum Schwur erhoben hatte. Lit.: R. Lasch: Der Eid. Seine Entstehung und Beziehung zu Glaube und Brauch der Naturvölker, Studien u. Forschungen zur Menschen- u. Völkerkunde 5 (Stuttgart 1908); F. Thudichum:Gesch. des Eides (Tübingen 1911). Eiertanz. Einen wahren Eiertanz auffiihreti: sich mit schönen Worten um heikle Dinge herumdrücken; sich sehr umständlich und gewunden aufführen. Der hier nur noch bildl. verwendete Eiertanz hat seine wirkliche Entsprechung in einem volkstümlichen Tanzspiel, das noch vor kurzer Zeit in verschiedenen ndl. Landschaften ausgeführt wurde. Auch die ndl.-flämische Genrekunst des 15.-17. Jh. hat diese Tanzform mehrfach dargestellt, z.B. in der Kathedrale von Aarschot. Man legte ein Ei in ei- ,Einen wahren Eiertanz aufführen‘ nen Kreis, oftmals versteckte man es unter einen Topf, und die Tänzer mußten alle hinkend das Ei aus dem Kreis oder unter dem Topf wegholen. Der Eiertanz ist auch zu erschließen aus den Bildern von Johann de Bry und Pieter Aerts, Pieter Bruegel und Franz Huys. Außerdem finden sich lit. Zeugnisse, z.B. in dem ,Lob des Eies‘ des ndl. Humanisten Eurycius Puteanus (van der Putten, geb. 1574: ,Ovi encomium, quo summum et unicum naturae miraculum describitur', 1615 in Löwen erschienen), dann auch ins Dt. übers. (Münchner Ausg. von 1617). Hier wird nun eine andere Beschreibung des Eiertanzes gegeben: ,,In Niderland pflegt man den Ayrtantz also zu halten: Knaben oder Maydlein tantzt jedli- ches auff gewisse manier bsonder und allein umb das Ay herumb, welches auff dem bo- den ligt mit einer hiltzenen Schüssel bedeckt, dise Schüssel rucken sie underm herumbtantzen mit Füssen vom Ay hinweg und treibens Tantzweiss umb das Ay herumb. Nochdem sie alles, was zum Tantz gehörig gethon, decken sie das Ay widerumb darmit zu. Wer es bricht oder beschädiget, muß zur straff das zerbrochene Ay essen". Hier wird die Tanzausführung also anders beschrieben: Der Geschicklichkeitstanz besteht darin, daß das Ei, das im Tanzkreis unter einer Schüssel verborgen liegt, mit 226
Eingefleischt Füßen auf gedeckt, umtanzt und wieder -»deckt werden muß. Die Schüssel spielt -Sine ganz wesentliche Rolle dabei (wie i Eiersuchen ist das Ei zunächst Versen und muß entdeckt werden). Einen tanz gibt es z.B. auch noch im Oden- : : Da wird zu Ostern dasjenige Ei, das Sen Eierspielen der Jugend bis zuletzt h heil bleibt, auf den Boden gelegt und ranzt. Der rein artistische Eiertanz, den sauch Goethe im ,Wilhelm Meister1 be- sibt, ist ein Schautanz von Fahrenden, Btlern oder Zigeunern. Er hätte im ce wohl kaum einen besonderen Wi- sall in einer Rda. gefunden. V. Junk: Handbuch des Tanzes (Stuttgart 1930), K. M. Klier: Der Eiertanz, in: Dt. Volkskunde, WO), S. 86ff.; H. v. d. Au: Zum Eiertanz, in: Das »Dlkslied, 45 (1943), S. 14f. ; L. Schmidt: Der Eier- cind seine Ausführung, in: Volkslied-Volkstanz- nmusik, 48 (Wien 1947), S.26-28; V. New all: An It Easter. A Folklore Study (London 1971). er. In den Eimer gucken: das Nachse- naben, leer ausgehen, ähnl. gebraucht , ,in den Mond gucken1 (ZMond), ,in Röhre sehen' (ZRöhre); die Rda. ist daher zu erklären, daß im (Müll-)Ei- xlie wertlosen Abfälle hinausgetragen een; daher heißt auch umgangsspr. im ’Brsein:zunichte sein; in den Eimer ge- vverloren gehen; in der Studentenspra- ides vergangenen Jh.: auf den Eimer pgen) kommen: zugrunde gehen. Ein 1 erschienener Roman von Erich Kuby den Titel: ,Alles im Eimer4. Iden Toiletteneimer erinnern die fol- een gebräuchl. Wndgn.: auf dem Eimer vn: in Verlegenheit sein, vgl. die aus Tinern bezeugte Rda. ,Du bist auf’n ner!4, du bist auf dem Holzweg; mit etw. i auf den Eimer kommen: eine Sache : zustande bringen; vom Eimer fallen: g überrascht sein. i in Wndgn. zur Kennzeichnung des kens und der Trunkenheit kommt Irfach der Eimer vor; z.B. so voll wie limer: betrunken. Er hat seine achtzig er weg sagt man in Schlesien von einem rischen Säufer. alle wie ein alter Eimer haben: wunder- Einfälle haben. Ein alter, ausgedien- bimer bricht zusammen oder fällt ein. diesem materiellen Einfallen wird in 'einem sprachl. Scherz der plötzliche Gedanke, d.h. der geistige ,Einfall4 gleichgesetzt (/Einfall). ein. Der unbestimmte Artikel ,ein4 steht im Volksmund oft anstelle von Substantiven, die aus tabuartiger Rücksicht (z.B. bei Krankheit, Trunkenheit, Unerlaubtem, Grobem oder Obszönem) ausgelassen werden; z. B. sich einen (Affen) gekauft haben: betrunken sein (/'Affe); sich einen (Schluck Branntwein) genehmigen; sich eine (Zigarre) ins Gesicht stecken /rauchen; einen (Wind) fahren lassen; er wird dem Mädel einsam Kind) hinsetzen; eine um die Ohren hauen; eins auswischen (eigentl. ein Auge). einbinden /anbinden. einbrechen. Bei ihm haben sie eihgebro- chen:tr ist verrückt, dumm. Diese Rda. ist seit Beginn des 20. Jh. umg. belegt. Sie bezieht sich wohl scherzhaft auf Gehirnoperationen. einbrocken /Suppe. Einfall. Aus dem 17. Jh. stammt die Rda. Er hat Einfälle wie ein altes Haus (wie ein alter Eimer): er hat seltsame Ideen. Die Rda. beruht auf der wortspielerischen Vermischung der beiden Bedeutungsbereiche von,Einfall4, nämlich dem ,Gedanken4 und dem ,Einsturz4. Das alte Haus fällt ein, aber dem Menschen fällt etw. ein. Zu einem törichten Menschen, dem nie etw. einfällt, sagt man deshalb scherzhaft oder iron, auch: ,Du hättest Baumeister werden können!4 Aus Holland belegt Harrebomée die Rda. in der Form ,Hij heeft zulke drollige invallen als een boerenkakhuis4; schles. ,Er hat Einfälle wie ein altes Hirtenhaus4; rhein. ,wie ein altes Backhaus4. Das fällt mir nicht im Traume (Schlafe) ein: ich denke nicht daran, das zu tun. eingefleischt. Das Wort eingefleischt (mhd. ingevleischet) ist eine Lehnübers. von lat. incarnatus und bedeutet ,zu Fleisch geworden4; urspr. wurde es nur von Christus, dem Fleisch gewordenen Sohn Gottes, gebraucht. Heute lebt es kaum noch außer¬ 227
Eingefuchst halb der stehenden Wndg. Er ist ein eingefleischter Junggeselle;darin hates den Sinn von; beispielhaft, unverbesserlich, vorbildlich. eingefuchst. Auf etw. eingefuchst sein: eine Sache vollkommen beherrschen, sich gut darin auskennen. Vermutlich ist der Urspr. dieser Wndg. in der Studentensprache zu suchen. In den student. Verbindungen werden die jungen Mitglieder der unteren Semester ,Füchse4 genannt und bei ihrem Eintritt in die Korporation eingefuchst, d. h. mit den Rechten und Pflichten vertraut gemacht; /Fuchs. eingehen. Bei einer Sache eingehen: Mißerfolg haben; eingehen wird hier i.S.v. ,absterben, aufhören1 gebraucht; ähnl. sagt man z.B. von einem Geschäft oder von einer Zeitung: Sie sind eingegangen: sie haben aufgehört zu bestehen. Vor allem in der Jägersprache bedeutet ,eingegangen sein1 soviel wie verendet sein (z.B. ,In einem strengen Winter geht viel Wild ein1). Das Eingehen der Pflanzen wird im rdal. Vergleich auf den Menschen übertragen, z. B. eingehen wie eine Primel (wie ein Kaktus). Eine andere Bdtg. liegt zugrunde bei: Es geht ihm schwer ein: t swill ihm nicht in den Kopf, er versteht es nicht, umgekehrt auch: Es geht ihm ein wie Honig (Öl): er hört es gerne, ähnl. schon in Murners ,Kirchendieb- und Ketzerkalender4: ,,Es geht süß ein, wie Muskatellerwein44. Etw. ist eingegangen kann sich auch auf den Stoff beziehen, der beim Waschen kürzer geworden ist. Auf etw. eingehen: einen Vorschlag an nehmen, sich mit einer Idee auseinandersetzen, sich an etw. beteiligen. einheizen. Einem tüchtig einheizen: einem scharf zusetzen, ihm durch Drohungen Angst einjagen, ihm die Wahrheit sagen, ihn hart ins Gebet nehmen, aber auch: ihn antreiben, ihm durch schwere Aufgaben oder durch Prügel warm machen. Die Rda. bezieht sich auf die Schilderungen von höllischen Folterqualen, durch die die Gläubigen im MA. vom sündhaften Leben abgeschreckt werden sollten. Vgl. hierzu ,Einem die Hölle heiß machen4. Hans Sachs schil¬ derte z. B. in seinem Schwank ,Das Höllenbad4 die Hölle als eine riesige Badestube, in der die Teufel als Bader den Sündern einheizen und sie bis aufs Blut schwitzen lassen, um sie so der ewigen Qual zu überantworten; /Bad. Neuere Rdaa. sind: Jem. (eine ganze Kompanie) verheizen: sinnlos opfern; tüchtig einheizen: viel Alkohol trinken, also: sich von innen her erwärmen. Lit.: M. Landau: Hölle und Fegfeuer in Volksglaube und Kirchenlehre (Heidelberg 1909). einpacken. Du kannst einpacken: schweig still! Entferne dich und gib deine Bemühungen auf. Die Rda. ist wohl vom Hausierer herzuleiten, der seine Waren einpacken muß, wenn er kein Geschäft gemacht hat. Auch von alternden Frauen sagt man: Sie packt ein: ihre Schönheit nimmt ab. Daneben heißt es aber auch: Du kannst dich einpacken lassen mit etw.: deine Vorschläge, deine Waren, deine Arbeiten taugen genausowenig wie du selbst. Von einer überempfindlichen Person sagt man: Sie mußte in Watte eingepackt werden: wie ein zerbrechlicher Gegenstand geschützt werden. einseifen. Jem. einseifen: ihn mit vielen Worten zu gewinnen suchen, umschmeicheln, ähnl. wie der Friseur, der seinen Kunden während des Einseifens beschwätzt, vgl. ,über den /Löffel barbieren4. Heute gebraucht man die Wndg. i.S.v.: jem. betrügen, prellen, auch für: betrunken machen. Obersächs. ,Den hammer aber eingeseeft4, wir haben ihn in Ungelegenheiten gebracht. Eintrag. Einer Sache Eintrag tun: sie beeinträchtigen, ihr schaden; die Wndg. ist aus der Rechtssprache heraus zu verstehen. In der Gerichtspraxis bezeichnete man Einwürfe, Einreden usw. als ,Einträge4; weil Einträge vor Gericht oft für den Angeklagten gefährlich waren, entwickelte sich die Bdtg. von Eintrag tun über ,anklagen, verdächtigen4 zu ,hindern, schaden4. Die Rda. ist bereits 1556 in J. Freys ,Gartengesell- schaft4 bezeugt: ,,Meinethalben soll dir kein eintrag beschehen44. 228
Eis eintränken. Jem. etw. ein tränken: es ihm einschärfen, beibringen; dem werde ich es eintränken:ich werde es ihm vergelten; die urspr. Bdtg. der Rda. ist: einem einen Trank zu trinken geben. Das unbestimmte ,esv steht hier wie so oft verhüllend für etw. Schlimmes, vor allem für Gift. In diesem Sinn erscheint die Wndg. schon mhd., z.B. nach 1200 bei Neidhart von Reuenthal (50, 32): ,,Ein tumplicher muot wart im dä in getrenket" oder in der 2. Hälfte des 13. Jh. im .Renner' Hugos von Trimberg (V. 8363): Der tiufel uns allen vil verhenget (d.h. ,läßt uns vieles nach') Daz er hie nach uns trenket in So wir sicher vor im wellen sin. Doppelsinnig wird die Rda. im 16. Jh. in der ,Zimmerischen Chronik' (Bd. IV, S.280) verwendet: ,,Grave Gottfridt Wernher pflag zu sagen, es sollte ain ieder sein beichtvatter in guten eren haben, desgleichen auch den arzeten, den scherern oder Wundärzten und dann den apotheker; dann es weren vier Sorten leut, die zu fürchten und da sie erzürnt, aim wol kündten was eindrenken, wie man spricht". Im 17. Jh. verbindet sich die Wndg. mit den im Drei- ßigjähr. Krieg geübten Grausamkeiten. Unsere volkstüml. Überlieferung aus alter Zeit, bes. die geistlichen Volkslieder, lehren durch zahlreiche Stellen, daß die Feinde im Kriege einander drohten, das Blut des Gegners trinken zu wollen. Höhnisch wurde darauf geantwortet: „Unser Blut wollt ihr trinken? Euer eignes wollen wir euch zu trinken geben". Die Wörter ,eintränken' und ,einschenken' wurden, da man den Kampf mit einer blutigen Mahlzeit vergleichen konnte, zur Bez. des Blutvergießens verwendet. In einem Lied auf die Villmerger Schlacht (1656) heißt es: Sie panketierten in Übermuth Man schenkt ihnen ein, dunkt sie nit gut, Daran hand sie zu schnaufen. Nach der Niederlage der Türken vor Wien im Jahre 1683 sang man: Jetzund kann man fröhlich lachen, Weil der Türkenhund gestillt, Seinen blutgewohnten Rachen Mit selbsteignem Blut gefüllt und nach der Eroberung von Ofen (1686) sang man vom Sultan: Den Bluthund hat dürstet, man gab ihm zu trinken, ln seinem Blut muß er ganz rauschig hinsinken. Emanuel Kurfürst, der weiß dir einschenken, Den Willkomm und ersten Trunk reicht er dir dar. Was gilt es? Er wird dir’s heur doppelt eintränken. Zur Erklärung der Rda. kann auch noch an den /,Schwedentrunk' erinnert werden, der im ,Simplicissimus' mehrfach erwähnt wird, z.B. 1. Bd. 4.Kap. Gefesselten und wehrlosen Bauern wurde Jauchen- und Schmutzwasser, der schwedische Trunk', gewaltsam eingeflößt, um sie gefügig zu machen, zu quälen oder auch zu töten. Lit.: H. Patrias: Die Türkenkriege im Volkslied (Diss. Wien 1947); S. özyurt: Die Türkenlieder und das Türkenbild in der dt. Volksüberlieferung vom 16. bis zum 20. Jh., in: Motive. Freiburger Folkloristische Forschungen 4 (München 1972). ein wickeln. Jem. einwickeln: ihn mit List für eine Sache gewinnen, übertölpeln. Die Wndg. schließt an den älteren Ausdr. etw. einwickeln: verhüllen, anders erscheinen lassen, an, der seit dem 15. Jh. belegt ist. In neuerer Zeit wird vielleicht auch an das Wickelkind gedacht, das in seinen Windeln und Wickeln stark bewegungsgehemmt ist und nahezu willenlos alles mit sich geschehen lassen muß. Daß bei dem ,Einwickeln' auch an Bräuche bei der Totenbestattung gedacht wurde (Mumien), beweist die Wndg. Man dürft’ ihn nur einwickeln und ins Grab legen, wie man in Nürtingen von einem krank oder sehr elend Aussehenden sagt. Obersächs. bedeutet ,Den hamm se eigewickelt': sie haben ihn verhaftet. Eis. Einen aufs Eis (Glatteis) führen:ihn auf die Probe stellen, ihn mit verfänglichen Worten in Gefahr bringen, überlisten. Die Rda. ist schon mhd. bezeugt, wo sie am Ende des 13. Jh. in der ,Livländ. Reimchronik' (V. 6501) belegt ist (,,einen üf ein is leiten"); ebenso heißt es im mhd. Passional (682, 80): ey, durch waz wiltu vurbaz mich üf ein is hie leiten? 229
Eisen Davon abgeleitet ist die jüngere Wndg. aufs Eis gehen: sich anf[ihren lassen. Ebenfalls bereits mhd. ist die Rda. auf Eis bauen (,ich hân üf ein îs gebûwen4): seine Hoffnung auf den Falschen setzen, heute ersetzt durch ,auf Sand gebaut haben4 (/Sand). Sich auf das glatte (dünne) Eis wagen: sich auf ein gefährliches Gebiet begeben, dem Sinne nach schon im 12. Jh. durch ein lat. Sprw. belegt: ,Qui currit glaciem, se non monstrat sapientem4 (= Wer auf das Eis läuft, zeigt sich nicht weise). Sachte mit der Braut auf dem Eise: Vorsicht bei einer erst eingefädelten Sache, bei bedenklichen Umständen. Auf das Eis tanzen gehen: sich mutwillig in Gefahr begeben, ist abgeleitet von dem verbreiteten Sprw.: ,Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen4. Dem Eis einer Nacht vertrauen: unvorsichtig sein, hat ebenfalls ein Vorbild im Lat. (,Unius fidere noctis glaciei4) und ist auch frz. und ndl. bekannt. Das Eis brechen: den Weg bahnen, eine Sache in Gang bringen, abgeleitet von den Schiffern, die im Winter das Eis der Flüsse durchbrechen müssen, in übertr. Bdtg. z. B. in Joh. Fischarts ,Bienenkorb4: „Christus musz den Verdiensten das Eis brechen“. Noch heute sagt man von zwei fremden Menschen, die sich allmählich näherkommen : Das Eis ist zwischen ihnen gebrochen. Das Eis zum Bruche bringen: eine Entscheidung gewaltsam herbeiführen. Unter das Eis gehen: untergehen, spurlos verschwinden, z.B. bei Pestalozzi: „Endlich ging auch diese gute Landessitte unter das Eis44. Die Rda. ist heute noch in der Schweiz. Mda. gebräuchl.: ,under ds Isch schlöufe4, zugrunde gehen. Neuere Rdaa. sind: auf Eis liegen: in seiner Handlungsfreiheit behindert sein. Jem. auf Eis liegen haben: ihn zunächst zurücksetzen und für eine spätere Aufgabe vormerken. Etw. auf Eis legen: verschieben, nicht weiterführen; auch: Vermögen ansammeln. Ein Herz von Eis haben: ohne Mitgefühl sein, ungerührt und unbarmherzig sein. Eisbeine kriegen (haben): kalte Füße, ist ein Wortspiel mit dem etymologisch unverwandten Wort,Eisbein4, urspr. ,Hüftbein4, des Schweines. Ihm geht der Arsch mit G runde is / Arsch. Eisen. Ein Eisen verloren (abgeworfen ben: zu Schaden gekommen sein, e Fehltritt begangen haben, bes. von N chen: die Jungfernschaft verloren ha ein uneheliches Kind bekommen. Die 1 kommt schon in einem frühnhd. F nachtsspiel vor: Do sprach einer, der mir arges gur ich hett ein eisen abgerant. In einem Schwank von Hans Sachs, in < die Hausmagd und die Wochenmeist miteinander hadern und sich ihre Verj genheit vorwerfen, sagt die eine: Deiner Art steckt auch deine Tochter Die auch ein eysen hat verrent Mit jenem von mir ungenent. In der ,Geschichtklitterung4 Joh. Fisch ist 1575 die Rede von „Jungfrawen, di< lieh Eisen abgeworffen hatten44 (1 S.437). Die Rda. erklärt sich daher, Pferde ein lockeres Hufeisen durch e Fehltritt leicht ganz verlieren und dato Schaden kommen können. Vielleicht steht auch ein Zusammenhang zwisc dieser Rda. und der ,Ballade vom Teu: roß4. Die buhlerische Pfaffenköchin 1 darin in ein Teufelsroß verwandelt muß neue Hufeisen erhalten, weil sie e schon vorher ,die Eisen verloren hat4, ihre Jungfräulichkeit eingebüßt und sündiges Leben geführt hat, so daß sie < Teufel verfallen ist. Einem auf die Eisen sehen: scharf auf achtgeben, ihn überwachen; schon 1500 bei Geiler von Kaisersberg: „Da der eng Weg, da ein Mensch im selbei die Yßen lüget, was er thü44; in der ,2 merischen Chronik4 (III, 50): „Also j im die oberkeit neher uf die eisen une recht gestehet, beclagt und entliehen dem sträng gericht44; in Jeremias Gott! ,Bauernspiegel4: „Meine Mutter nahm alles für bar Geld und merkte nicht, daß Alte nur kam, um ihr recht auf die E zu sehen44. Die Wndg. ist auch in and Form bezeugt, z.B. einem auf den t sein: ihn verfolgen, eigentl.: sehr dicht ter den Hufeisen des fliehenden Pfe sein, oder: einem in den Eisen liegen: nachsetzen, etwa in der ,Zimmeris< Chronik4 (I, 357): „So lagen der graf Leiningen und der Herr von Ochsen« 230
Eisen den Herren von Liechtenberg auf der andern seiten Reins in den Eisen“. Jem. in Eisen legen: ihn in Fesseln legen, einkerkern. Bei der Rda. miteinander im Eisen liegen: uneinig sein, sich zanken (z. B. bei Seb. Franck in der deutschen Chronik1) hat man an eine Herkunft aus dem Doppelpranger des MA. gedacht, doch ist sie wohl eher vom Schwertkampf hergenommen, denn bereits im 17. Jh. (wenn nicht früher) heißt das Schwert kaltes Eisen; daher die Wndg. am kalten Eisen stecken: durch das Schwert ums Leben kommen. Zum alten Eisen gehört, was ausgedient hat, sowohl altmodische Dinge wie Menschen; unter ,Verachtung 184 sagt 1639 Lehmann (S. 780): ,,Man hält offt einen, alß hätt man jhn auffm Grempelmarck kaufft, oder vnter den alten Eysen funden, hält jhn vor ein Noll: vor ein Schuhbürst, würfft jhn hin wie alte Kartenblätter“. 1645 heißt es in den ,Facetiae facetiarum* (S. 255): „Die nunmehr unter das alt Eisen gerechnet wird: oder als man im Sprichwort sagt, Federwisch vor der Hell feyl hat“. Rhein, bedeutet ,bei et alt Ise gehüre4: unverheiratet, Junggeselle sein. Ein heißes Eisen anfassen: an eine kitzlige und delikate Angelegenheit rühren. Die Rda. ist von dem ma. Gottesgericht, der ,Eisenprobe4 entlehnt. Bereits im 12. Jh. wird dieser Rechtsbrauch näher geschildert: „der daz isen gluoet unde ez danne hin treit, einem an die hant leit, ist er rehte dar chomen, daz han wir dicke wol verno- men, daz viur in nine (nicht) brennet“. Auch Hans Sachs ist diese Form des Gottesurteils noch bekannt, ohne daß er davon überzeugt zu sein scheint. Er verspottet sie in seinem Fastnachtsspiel ,Das heiß Eysen4. Ein Ehemann fordert darin seine der Untreue beschuldigte Frau auf: Flucks nimb das Eyssn, weil es ist heiß, vnd trag es sittlich auß dem kreiß, das ich darbey mög nemen ab, was for ein frommes Weib ich hab! Die Rda. Er kann heiß Eisen tragen für die Zieht: er ist unschuldig, weist ebenfalls auf das Ordal. Der zu Unrecht Bezichtigte unterzog sich freiwillig dem Gottesurteil, um seine Unschuld zu beweisen. Das Ndl. verbindet den gleichen Sinn mit dem ,hangij- zer\ einem Gestell über der Feuerstelle füi die Töpfe und Pfannen: ,Dat is een hee hangijzer om aan te vatten4, das ist eint heikle Sache, man konnte sich die Finge: dabei verbrennen. Aus dem Bereich der Schmiede sind di< folgenden Rdaa. entlehnt: einen hauen wi kalt Eisen: ihn tüchtig durchprügeln; kalte Eisen schmieden: etw. Überflüssiges, Un fruchtbares tun; ein Eisen im Feuer haben es mit einer wichtigen Sache eilig haben auch mehrere (zwei) Eisen im Feuer haben gleichzeitig mehrere Pläne verfolgen, einer Ausweg kennen, wenn etwas scheitert vielseitig, tüchtig sein; das Eisen schmie den, solange es heiß ist: den günstiger Augenblick ausnutzen, abgeleitet von dem bekannten Sprw., das z.B. frz. lautet: ,1 faut battre le fer quand il est chaud4. ,Das Eisen schmieden, solange es heiß ist4 Ein Eisenbeißer sein : ein furchtloser, unerschrockener Kriegsmann, Raufbold sein jem., der sich eben zutraut, auf Eisen bei ßen zu können (vgl. ndl. ,ijzenvreter\ engl ,fire-eater4, ,spitfire4). Schon früh sind Be griff und Rda. als Spott auf ruhmredneri sehe Aufschneiderei und Selbstverherrli chung, auf bloße Heldentaten mit de Zunge angewandt worden. Im ,Meie Helmbrecht4 von Wernher dem Gartenaen heißt es (V. 408ff.):
Eisenbahn 0er eyfcnbeyllcr ,Eisenbeißer4 ich bizze wol durch einen stein; ich bin so muotes raeze, hei waz ich îsens vraeze! In der gleichen Weise läßt auch Murner in der ,SchelmenzunfL einen Eisenbeißer auftreten: Ich byn der eyssen beysser knecht, Der weyt vnd breyt groß lob erfecht. Landt vnd leut hab ich bezwungen; Doch thun ichs fast nur mit der zungen. Der rdal. Vergleich wie von Eisen sein bezieht sich auf die Unverwüstlichkeit, die Festigkeit des Eisens. Lit.: H. Nottcirp: Gottesurteile (Bamberg 1949); G. Carnat: Das Hufeisen in seiner Bdtg. für Kultur und Zivilisation (Zürich 1953); K. Jettmar: Der Schmied im germ. Raum (Diss. Wien 1941); L. Röhrich: Die Ballade vom Teufelsroß, in: Der Deutschunterricht (Stuttgart 1963), Jg. 15, H. 2, S. 73ff.; E. Marold: Der Schmied im Germanischen Altertum (Diss. Wien 1967); L. Röhrich u. G. Meine/: Reste ma. Gottesurteile in sprw. Rdaa., S. 343-345. Eisenbahn. Es ist die höchste Eisenbahn: es ist die höchste Zeit. Diese weitverbreitete Rda. ist urspr. ein geflügeltes Wort, dessen Ursprung von den meisten jedoch langst vergessen ist. Es stammt aus Adolf Glass- brenners (1810-76) humoristisch-dramatischer Szene ,Ein Heiratsantrag in der Niederwallstraße\ Darin hält der sehr zerstreute Briefträger Bornike um die Hand der Tochter des Stubenmalers Kleisich an. Als sein zukünftiger Schwiegervater die Höhe der Mitgift verrät, antwortet er: „Diese Tochter is janz hinreichend, ich heirate Ihre Mitgift“. Gegen Ende der Szene bricht Bornike plötzlich auf, da die Leipziger Post eingetroffen sei und die Briefe ausgetragen werden müssen. Er sagt beim Weggehen: „Es ist die allerhöchste Eisenbahn, die Zeit ist schon vor drei Stunden anjekommen“. ,Das hat schon in der Eisenbahnzeitung gestanden1, es ist durch Klatsch verbreitet worden (meckl.). eisern. Eisern sein: fest wie Eisen sein, unerbittlich auf seinem Willen, Vorsatz beharren (vgl. die Bez. Bismarcks als den ,eisernen Kanzler4). Auf dieser Vorstellung beruhen die Wndgn.: eisern sparen, eisern lernen, eisern schweigen, wobei eisern genauso der Steigerung dient wie bei seiner Beiordnung zu Substantiven: eiserner Wille, eiserne Energie, eiserne Ruhe, eiserne Gesundheit. Aber eisern: ganz bestimmt, dient der Beteuerung. Das Letzte, Unantastbare, zur Erhaltung des Lebens Notwendige ist die eiserne Ration: gemeint sind die wichtigsten Lebensmittel für den Notfall, bes. im Krieg. Der eiserne Bestand einer Kasse: der Rest des Geldes, der nicht ausgegeben werden darf, wenn das Geschäft nicht gefährdet werden soll. Der Bdtg. nach verwandt sind die Rdaa.: jem. mit eiserner Faust unterdrücken: mit unerbittlicher Strenge und: mit eisernem Besen kehren: mit Rücksichtslosigkeit Vorgehen, gewaltsam Ordnung schaffen. Nach dem 2. Weltkrieg gewann die Wndg. vom eisernen Vorhang Bdtg. Sie ist aus der Theatersprache entlehnt. Bei Gefahr wird der Bühnenraum durch diesen Vorhang vom Publikum abgeschlossen. Übertr. versteht man darunter die politische Abgrenzung zwischen den sozialistischen Ländern und Westeuropa. Eibetritsche ist der Name eines fabelhaften Vogels, der von außerordentlicher Gestalt sein und sich in den Bergen aufhalten soll. Unwissenden und Dummen macht man gerne weis, man könne das Tier in einem Sack fangen. Daher die im Südwesten Dtl.s verbreiteten Rdaa. und Scherzfragen: EÎ- 232
Elend b e tr its che fangen (jagen); der ist so dumm, mit dem kann man Elbetritsche fangen; gehst du mit Elbtritschen fangen? Der Angeführte muß sich in der Dämmerung oder bei Dunkelheit mit einem offengehaltenen Sack auf das Feld stellen; die anderen versprechen, ihm die Elbtritschen zuzutreiben, entfernen sich und lassen ihn stehen, bis er das Spiel durchschaut hat. Das Elbetrit- sche-Fangen ist ein beliebter Aprilscherz, /April; an der Mosel wird es von den jungen Leuten verwendet, um die bei der Weinlese anwesenden Fremden zum Narren zu halten. Lit.: R. Much: Elbentritschen und Verwandtes, in: Hess. Bl. f. Vkde., 51/52 (1960), S.170ff. Elefant. Sich benehmen wie ein Elefant im Porzellanladen; plump und ungeschickt auftreten (vgl. engl, dike a bull in a china shop*); eine Rda., die sich aufgrund der angedeuteten Situation leicht in eine Erzählung umwandeln läßt, ohne notwendig auf eine solche zurückgehen zu müssen. Von Elefanten schwanger sein und Fliegen gebären; sich mit großen Dingen tragen, deren Erfolg äußerst gering ist. Vgl. ndl. -Hij gaat van een’ olifant zwanger, en brengt eene vlieg voort*. Dem Sinn nach ist diese Rda. verwandt mit der bis auf die Antike zurückgehenden Wndg. ,Der Berg hat ein Mäuslein geboren* (/Berg). Die Rda. geht schon in die Nähe der heutigen Elefantenwitze. Aus einer Mücke einen Elefanten machen /Mücke. Eine Elefantenhaut haben: dickfellig sein, nicht zu rühren und zu verwunden, unzugänglich, auch teilnahmslos und herzlos sein. Lit.: R. D. Abrahams und A. Dundes: On Elephantasy and Elephanticide, in: Psychoanalytic Review 56 (1969), S. 225-241; H. Brix: Da lachen selbst die Elefanten (München 1971). Element. In seinem Element sein: sich wohlfühlen, sich in dem Kreis bewegen, auf den man durch seine Begabung von Natur aus angewiesen ist; z.B. in Schillers Räubern1 (II, 3): „Da ist er in seinem Element und haust teufelmäßig**. Die Rda. knüpft an die alte Lehre des griech. Philosophen Empedokles von den vier Elementen an, aus denen sich alles und auch der Mensch zusammensetzt, wobei in jedem Menschen das eine oder andere überwiegen kann. Ebenso frz. ,être dans son élément*, engl. ,to be in one’s element*, ndl. ,in zijn element zijn*. Ndl. sagt man dafür auch: ,Hij is in zijn knollentuin*, in seinem Rübengarten. Elend, aus ahd. ali-lanti, eli-lenti, bedeutete urspr.: anderes Land, Fremde. Auf diese Grundbdtg. des Wortes geht die früher häufig gebrauchte Rda. das Elend bauen (mhd. ,daz eilende büwen*) zurück; ihr Sinn ist: in der Fremde, im fremden Land wohnen. Belegt bei Hans Sachs: So laszt ein zeit in ziehen hin, die land hin und wieder beschawen, das eilend versuchen und bawen. Ähnl. Wndgn. sind: das Elend räumen: in geistlichem Sinne = sterben, ins Elend fahren :m die Fremde gehen; im lustigen Elend leben: Soldat sein. Goethe war die urspr. Bdtg. des Ausdr. noch geläufig: „Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Elend** (,Hermann und Dorothea*, 5. Gesang, V.99); „Ins Elend übers Meer verbannst du mich** (,Die natürliche Tochter*, V.7); noch deutlicher bei L. Uhland (Bidassoa-Brücke): Jedem ist das Elend finster, jedem glänzt sein Vaterland. In einem früher vielgesungenen Volkslied heißt es: E ich mein Bulen wolt faren lan, E wolt ich mit ir ins Elend gan. Auf die in vielen Ländern auf Abenteuer umherziehenden Ritter bezieht sich die kulturgeschichtlich merkwürdige Bez. einer Mehlspeise: ,Arme Ritter in Elendsfett*, wobei der Witz noch verdoppelt wird durch den Bezug auf das knochig-dürre Elentier, das man früher auch ,Elend* schrieb. Die heutige Bdtg. von Elend als ,Not, beklagenswerter Zustand* ist schon Luther bekannt; sie liegt den in der Ggwt. ge bräuchl. Wndgn. zugrunde:.^ besoffene (trunkene, graue) Elend bekommen: den Zustand des Betrunkenen, in dem er wehmütig wird und zu weinen beginnt, schon 1575 in Gärtners ,Proverbialia Dikteria*: das trunken Elendt weint der vierdt, daß in doch nüchtern wenig irrt. Ähnl.: Man könnte das heulende Elend be- 233
Elf kommen; ein Elend machen: viel jammern; er sitzt da wie ein Häufchen Elend: er sitzt traurig da. Ein langes Elend (Leiden) sein: ein sehr hochgewachsener und magerer Mensch sein, seit Anfang unseres Jh. gebräuchlich. Lit.: W. Ebel: Über Rdaa. u. Recht, S.8. elf. In der elften Stunde kommen: im letzten Augenblick, sehr spät kommen. Die Rda. ist dem bibl. Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20,6) entnommen. Die Arbeiter, die erst um die elfte Stunde in den Weinberg gehen, beginnen nach der jüd. Tageseinteilung um 5 Uhr mit der Arbeit, also eine Stunde vor dem Ende der Arbeitszeit. Heute sagt man bei uns von elfe bis Mittag: sehr kurze Zeit, z.B. obersächs. ,Das hält von elfen bis um zwelfe4, es hält nicht lange. Schwäb. ,Der läßt fünf gerade sein und elf ein Dutzend4, er nimmt es nicht genau (/fünf). Elf zu werfen galt beim Würfelspiel bald als Glücks-, bald als Unglückswurf; die letztere Bdtg. hat schließlich überwogen; schwäb. bedeutet jetzt: ,Er hat ölfe gewor¬ fen4, er ist stark berauscht. In Sachsen Niederdtl. kann man Zusammensetzun wie elfunddreißig, elfundneunzig hören : bezeichnen Unverständliches oder Äul stes, z.B. obersächs. ,Der kommt glei’ eelf’neinz’g heem4, sehr spät. Die Rda. in elftausend Jungfrauen verl sein ist eine scherzhafte Anspielung auf Legende von den elftausend Begleite nen der heiligen Ursula, die bei Köln den Hunnen erschlagen und von den I< nern bestattet worden sein sollen. Die 2 11 000 beruht auf einem Mißverständ Im Heiligenalmanach steht nämlich ne der Ursula eine Undecimilla, also Name. Diesen Namen haben die Mön ,geschlimmbessert4 zu „undecim milia“1 dann zu der Zahl elftausend gemacht. Das elfte Gebot /Gebot. Elias. Als der feurige Elias wird eine ï altete, fauchende und funkensprühe Dampflokomotive bez. Der scherzh; Ausdr. entstand in der Eisenbahnerspra als geringschätzige Bez. der altmodisch kleinen Lokomotiven, die zur Zeit der i dernen Dampfloks für die Fernzüge n .Feuriger Elias‘ 234
Ellenbogen auf Nebenstrecken, Lokal- und Privatbahnen benutzt wurden. Die Wndg. beruht auf der Erinnerung an den feurigen Wagen, der Elias lebend in den Himmel brachte. Der bibl. Bericht (2.Kön. 2,11) lautet: „Und da sie miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden voneinander, und Elia fuhr also im Wetter gen Himmel“. Elle. Alles nach seiner Elle messen: alles vom eigenen Standpunkt aus beurteilen; ndl. ,Hij meet anderen naar zijne eigene el". Diese Rda. hängt zusammen mit der älteren etw. nach der Elle messen (verkaufen): es unterschiedslos behandeln; ähnl. mit gleicher Elle messen (vgl. 3.Mos. 19,35: „Ihr sollt nicht unrecht handeln im Gericht, mit der Elle, mit Gewicht, mit Maß“). Bis 1871 gab es in Dtl. über 100 verschiedene Ellenmaße, die als Naturmaße (Länge des Unterarmes) zwischen 50 cm und 78 cm schwankten. Erzgeb. ,Daar tut, os wen- nersch nuch der Eel bezohlt kriegt", er schwätzt unendlich viel. Das Ellenmaß anlegen: einen zur Strafe schlagen. Elle ist obersächs. auch auf die Zeit übertr. worden: kurze Elle haben: eine kurze Frist zur Verfügung haben. Er weiß; was davon die Elle kostet: er hat Erfahrung darin. Die Rda. Mit der kurzen Elle messen: betrügen, ist schon in einem Holzschnitt aus den ,Acht Schalkheiten4 von 1470 bildl. dargestellt. Sich nach der langen Elle messen: seinen Wert, seine Verdienste überschätzen; sich unter eines anderen Elle begeben: sich von ihm nach seinem Maßstabe beurteilen lassen. Etw. nicht nach der Elle messen: großzügig sein, neben der Quantität die Qualität berücksichtigen. Von einem sehr großen Menschen heißt es Man könnte ihn nach der Elle verkaufen; vgl. ndl. ,Hij is zoo lang, men zou hem met de el verkoopen". Auf den Maßstock selbst bezieht sich: Der hat eine Elle verschluckt: er geht sehr steif und gerade (z. B. berl.). Bei dem ist die Elle größer als das Band: seine Ausgaben übersteigen die Einnahmen. Berl. ,Denn wird ,Mit der kurzen Elle messen4 die Elle länger wie der Kram", die Kosten sind größer als der Gegenstand, das Unternehmen wert ist. Ellenlang steht rdal. für bes. lang; vgl. z.B. Sacharja 5,2, wo es heißt: „Ich sähe einen fliegenden Brief, der ist zwanzig Ellen lang und zehn Ellen breit4" (ein ,ellenlanger Brief"). Ellenbogen. Seine Ell(en)bogen zu gebrauchen wissen:s\cYi rücksichtslos durchsetzen; dagegen: keine Ellenbogen haben: kraftlos sein, sich nicht durchsetzen können. Die Ell(en)bogen frei haben müssen: der Bewegungsfreiheit bedürfen; vgl. dazu das seit dem Anfang des 19. Jh. belegte Wort ,Ellenbogenfreiheit". Mit dem Ellenbogen kann der Mensch oft mehr Kraft entfalten als mit der Hand oder dem Handgelenk; daher die Rdaa. Kopf und Ell(en)bogen zusammennehmen: alle seine Kräfte zusammenraffen; obersächs. sagt man z.B. von einer Rede: ,Do gehört Kopp un Ellbogen derzu"; auch: ,Kopp, Genie und Ellenbogen". Nachts nur auf dem Ellenbogen zu liegen ist ein Zeichen für leichten Schlaf und Wachsamkeit; z. B. schwäb. ,Zur Erntezeit schlafen die Bauren nur auf dem Ellebogen". 235
Elster Sehr verbreitet sind die auf einen Geizhals zielenden Rdaa. : Er hat einen steifen Ellenbogen; er kann den Ellenbogen nicht krumm kriegen; er kann mit dem Ellenbogen nicht in die Tasche kommen: er gibt nur ungern Geld aus, die auch mdal. bezeugt sind. Vgl. ndl. ,Hij kan met zijne ellebogen niet in zijn1 zak körnen4. Bis an (über) den Ellenbogen ist eine beliebte volkstümliche Wndg. zur Bez. von Übertreibung und Unbescheidenheit; z. B. meckl. ,Dee fohrt iimmer beLn Ellbagen in’n Pund Botter rin4, er übertreibt. Schon 1709 bei Joh. Fiedler: ,,Sie sagten bis über den Ellenbogen Gehorsam zu, da sie doch wohl ein Glied am kleinsten Finger zu halten im Herzen gedachten“. Elster. Im Volksglauben gilt die Elster als diebisch, spöttisch, zänkisch und geschwätzig; daher der rdal. Vergleich Er stiehlt wie eine Elster (/Rabe, stehlen). Am verbreitetsten und ältesten ist der Ruf der Elster als einer schimpfenden Schwätzerin; schon in Ovids ,Metamorphosen4 (V, 296ff.) ist von einer Frau die Rede, die in eine Elster verwandelt wird, ebenso in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (64, 19): ,,Eyn frow ist worden bald eyn hätz44, und bei Hans Sachs heißt es: bei jedermann an allen orten konten sie von der Weisheit schwetzen, gleichwie die elstern und die hetzen. Ähnl. sagt man noch heute schwätzen wie eine Elster; obersächs. bedeutet etw. der Elster auf den Schwanz binden: für die Verbreitung einer Neuigkeit sorgen; von der Elster gegessen haben: sehr geschwätzig sein; ,er kann die Elster schwatzen lehren4 sagt man von einem großen Schwätzer, ,er wird noch eine tote Elster betrügen4 von einem sehr Einfältigen; ,der Elster das Hüpfen abgewöhnen wollen4, etw. Unsinniges, Überflüssiges tun; ,die Elster füttern1, seinen Gewinn unbemerkt einstecken. Lit.: HdA. II, Sp. 796ff.; A. Haas. Die Elster im pomm. Volksmunde, in: Heimatbeilage 5 (Pyritz 1926), S.34. Eltern. Nicht von schlechten Eltern sein: tüchtig, stark, kräftig sein, wird um die gute Abkunft, die gute, tüchtige Art auszudrük- ken, zunächst von Menschen gesagt, z. B. bei der Ankunft des Rekruten in Schillers ,Wallensteins Lager4 (7. Auftr.): Zweiter Jäger: Seht mir, das ist ein wackrer Kumpan! (Sie begrüßen ihn) Bürger: Oh, laßt ihn! er ist guter Leute Kind. Erster Jäger: Wir auch nicht auf der Straße gefunden sind. Dann aber auch scherzhaft von allen möglichen Dingen, etwa von einer feinen Weinsorte: ,Der Wein ist nicht von schlechten Eltern4 oder von einer tüchtigen Ohrfeige: ,Die war nicht von schlechten Eltern4. In der Wahl der Eltern vorsichtig gewesen sein: zum Glück wohlhabende Eltern haben. Reiche Eltern sind kein Zufall, sondern in witziger Auffassung das Ergebnis sorgfältigen Aussuchens (seit der Mitte des 19. Jh. bezeugt). Vgl. berl. ,Man kann in der Wahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein4. Seinen Eltern über den Kopf gewachsen sein: sich ihren Anordnungen nicht mehr beugen, das Leben nach eigenem Geschmack und in eigener Verantwortung führen. Ende. Das ist das Ende vom Liede: das ist der unausbleibliche Ausgang der Sache, das ist das unerfreuliche Ergebnis. Die Rda. bezieht sich auf den oft traurigen Ausgang alter Volkslieder. Schon in Wolframs ,Parzival4 (475,18) heißt es ähnl.: ,sus endet sich dins maeres dôn4 (vgl. auch Tit. 17,4). Luther ist die Rda. ebenfalls bekannt, doch bedeutet sie bei ihm einfach: dabei bleibt es, damit hört es auf: ,,vnd ist dieses das Ende vom Liede, wenn sie es theten oder erleubten, so were es Recht, aber weil wirs thun vnd erleuben, so ists Vnrecht44 (Jenaer Ausg. 4, 383 a). Das ist vor seinem Ende: das hat man nicht von ihm erwartet, das ist wider seine Natur; eigentl. : das ist eine so befremdende Handlung von ihm, daß sein Lebensende als nahe vermutet werden darf. Die Rda. ist bes. im Obersächs. verbreitet. Das dicke Ende kommt nach: das Schlimmste kommt zuletzt. Die Rda. nimmt ihr Bild von der Prügelstrafe und der dabei verwendeten Rute oder Peitsche, die man, in immer größere Wut geratend, schließlich umdreht, weil das dicke Ende mehr zieht. Die 236
Engel Rda. läßt sich aber auch vom Durchziehen eines vorne dünnen, hinten dicken Gegenstandes durch eine Öffnung erklären, z.B. eines Fadens durch eine Nähnadel, wobei dann das dicke Ende mehr Schwierigkeiten bereitet als der dünne Anfang. Etw. am richtigen Ende anfassen: es geschickt anfangen; am längeren (kürzeren) Ende ziehen: sich im Vorteil (Nachteil) befinden, vermutlich von der ma. Sitte, einen Streit zu schlichten, indem beide Parteien einen Strohhalm ziehen mußten; wer den kürzeren zog, hatte verloren; vgl. die frz. Rda. ,tirer à la courte paille" und ,den Kürzeren ziehen" (/'kurz). (Da ist) das Ende von weg: das ist ein starkes Stück. Die urspr. berl. Rda. ist ziemlich jung. Am Ende (parodierend auch: am Arsch) der Welt: am äußersten Ende der Stadt, des Landes; in sehr weiter Entfernung. Ein übertreibender Ausdr., der aber auf dem älteren Volksglauben beruht, wonach die Welt irgendwo eine Grenze und ein Ende hat; vgl. ,Hier ist die Welt mit Brettern vernagelt" (/'Brett). Aus Shakespeares ,Sommernachtstraum" (V, 1) zitiert man: Das ist der Anfang vom Ende (,,That is the true beginning of our end""), während frz. ,C'est le commencement de la fin" in den hundert Tagen der Regierungszeit Napoleons I. nach seiner Rückkehr von Elba (1815) Talleyrand zugeschrieben wurde (vgl. Fournier: L'Esprit dans Fhistoire, 4. éd., Paris 1882, S.438). Ein Ende mit Schrecken nehmen ist eine bibl. Wndg. und stammt aus der Übers, von Ps. 73, 19. Eine Erweiterung dieses Ausdr. sind die Worte Ferdinand von Schills (1776-1809) am 12. Mai 1809 auf dem Marktplatz von Arneburg an der Elbe. Der begeisterten Schar, die ihm von Berlin aus nachgezogen war, rief er zu: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!"" (vgl. Büchmann, S.679). Die Wndg. am letzten Ende, die heute schließlich" oder vielleicht" bedeutet, war urspr. eine Umschreibung für das Ende des Erdenlebens, für sterben. In Murners ,Schelmenzunft" (34, 19) heißt es z.B.: Wen einer nach sym letsten endt Uff erden laßt ein bösen namen, Des all syn kindt sich miessent schämen. Die neuere Rda. Es geht mit jem. zu Ende: er stirbt, gehört in den gleichen Zusammenhang, während die Wndg. völlig am Ende sein körperl. Erschöpfung und Verausgabung von aller Kraft in geistigem und wirtschaftl. Bereich meint. Engel. Das hat dir dein guter Engel ein gegeben sagt man zu jem., der, im Begriffe, eine Torheit zu begehen, sich noch im letzten Augenblick eines Besseren besinnt. Diese Rda. geht auf die alte christl. Vorstellung von der Aufgabe der Engel zurück, die Menschenkinder zu behüten. So sagt Tobias von seinem Sohne: „Ich glaube, daß ein guter Engel Gottes ihn geleitet"" (Tob. 5,29). Von Joh. Agricola wird 1529 in Nr. 555 seiner Sprichwörter" die Rda. „Du hast eynen gutten Engel gehabt“ folgendermaßen erklärt: „Wer nun in eynem vngluck vnd schwinden vnfall gewesen ist, vnd yhm wirt geholffen, da alle menschen verzagten, von dem sagt man, Der hat eynen gütten Engel gehabt, der yhm geholffen hat"". Eine ähnl. Deutung findet sich in der ,Zimmerischen Chronik" (Bd.4, S. 129, 12): „Es geschieht etwas wunder- barlich, das die kinder in ihrer jugendt von ihren engein und hüetern bewart werden"", ln Lessings ,Emilia Galotti" (V, 5) sagt Odoardo vom Prinzen: „Das sprach sein Engel"". Der Verstorbene geht nach christl. Volksglauben zu den Engeln ein, daher sagt man schwäb. beim Tod eines Kindes: Es spielt mit den Englein; ist jem. eines sanften Todes gestorben, so hört man: Den haben die Engel in den Schlaf gesungen (vgl. das Zeitliche segnen, /zeitlich). Der Rda. die lieben Engelchen singen (pfeifen) hören liegt die Vorstellung von einem Orchester der Engel zugrunde, das man musizieren hört, wenn sich einem der Himmel auftut (vgl. die antike Vorstellung von der Sphärenharmonie). Das widerfährt ei- gentl. nur den selig Verstorbenen. So singt der Archipoeta, der Meister der fahrenden Kleriker der Stauferzeit: Dem Wirtshaus will ich treu bleiben, donec sanctos angelos venientes cernam, cantantes pro mortuis ,Requiem aeternam", 237
Engel (bis dereinst die Engel nahn, bis mein Ohr vernommen ihren heil'gen Sterbegruß: ,Ew’ge Ruh den Frommen!4) Heute überwiegt die scherzhafte Anwendung dieser Rda. Die Engel hören wir nicht mehr im höchsten Entzücken singen (wenn der Himmel ,voller Geigen hängt4), sondern bei heftigem Schmerz, der uns für einen Augenblick lang betäubt; vgl schlesw.-holst. ,He hett all de Engeln singen hört4, er ist mit knapper Not dem Tode entronnen. Ein Engel geht durchs Zimmer, ein Engel fliegt durch die Stube sagt man, wenn in der lebhaften Unterhaltung einer Gesellschaft zufällig und plötzlich eine allg. Stille ein- tritt, so wie beim Erscheinen eines Engels alles betroffen schweigen würde. Die Rda. ist von hohem Alter. Wander (I, Sp. 821, 43) nimmt an, mit dem Engel sei wahr- scheinl. der Todesengel gemeint, zumal der Bildgehalt anderer sinngleicher Rdaa. öfter Tod und Begräbnis nennt. Außer in Dtl. und in der Schweiz geht auch in Frankreich, England, Schweden, Lettland und Estland ein Engel durch das Zimmer oder am Hause vorbei; frz. ,Un ange vient de passer4; engl. ,There is an angel (a spirit) passing4 ; in Holland ein Priester ,Daar gaat een dominée voorbij4; in Estland ,Der Tod geht hinter dem Hause durch4. Auch für Spanien ist die Rda. bezeugt. In Amerika wird das plötzliche Schweigen mit einer Quäkerversammlung verglichen (,Quaker meeting4); man sagt ,It’s twenty minutes past4; oder ,The cat has stolen your tongue4. In Oesterr. fragt man ,Wer sitzt mit gekreuzten Beinen?4, in Schlesien ,Wer hat denn die Beine verschränkt?4 (verhindernde Gebärde). In Estland heißt es, daß einer, der auf diese Weise sitzt, die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen hat. In Polen, Lettland und Finnland wird das Schweigen in einer Gesellschaft mit einem Begräbnis verglichen oder auch mit einigen Arbeitsvorgängen, die aus Zaubergründen Stille erfordern: mit dem Säen von Mohn (Polen), von Flachs oder Rüben sowie mit dem Biegen einer Schlittenkufe (Finnland). In Finnland gibt es außerdem verschiedene Rdaa. vom Abschneiden, Abfallen oder Verknoten der Zunge (,Der Zungenab¬ schneiderist vorüber gegangen4) bzw. vom Abbrechen oder In-die-Tasche-Stecken des Endes der Rede. Andere rdal. Paraphrasen des plötzlichen Schweigens sind: ,Ein Leutnant (Offizier) bezahlt seine Schulden4 (Dtl., Schweden); ,ein Student bezahlt seine Schulden4 (Polen, Estland); ,ein Leutnant kommt in den Himmel4 (Dtl.); ,ein Oberst starb4 (Rußland); ,jem. stirbt4 (Estland); ,ein Polizist ist geboren4 (Rußland); ,ein Jude ist geboren-4 (Estland). Stehen diese Rdaa. in einem genetischen Zusammenhang, oder gibt es keine Verbindung zwischen diesen verschiedenen Versionen, sind es reine Scherzfiktiönen oder aber Survivals alter Vorstellungen? Eine überraschende Lösung dieser Frage bietet eine Stelle bei Plutarch (46-120 n.Chr.) über die Geschwätzigkeit: „Entsteht in einer Gesellschaft plötzliche Stille, so sagt man, Hermes sei hereingekommen44 ('Eppf)ç 87iEioeÀf|Àuûe). Hermes war der Herold und Bote der Götter, dem die Zungen der Opfertiere verfielen und von dem man glaubte, er habe dem neugeschaffenen Menschen die Zunge gegeben; wenn er zu einer Opferzeremonie kam, mußten alle völlig schweigen. Es ist noch nicht untersucht, wie der während des allg. Schweigens durch das Zimmer fliegende Engel, die Quäkerversammlung und der Zungenabschneider von Hermes abstammen. Aber es zeigt sich, daß diese scheinbaren Scherzrdaa. doch auf eine alte Glaubensvorstellung als Grundlage zurückgehen und daß sich bei genügender Ergänzung des Vergleichsmaterials unerwartete Ideenzusammenhänge ergeben können. Auch in der Lit. wird die Rda. verwendet. Mörike schreibt in seinem Roman ,Maler Nolten4: ,,Ists nicht ein artig Sprichwort, wenn man bei der eingetretenen Pause eines lange gemütlich fortgesetzten Gespräches zu sagen pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?44 K.L. Immermann hat in seinem Münchhausen-Roman die Rda. iron, angewendet: „Der Mythus sagt, in solchen Zeiten fliege ein Engel durch das Zimmer, aber nach der Länge derartiger Pausen zu urteilen, müssen zuweilen auch Engel diese Flugübungen anstellen, deren Gefieder aus der Übung gekommen ist44. 238
Erbe ehmal werden bes. gute Eigenschaften vlenschen mit denen der Engel vergli- „ indem man sagt: Jem. ist schön wie Engel oder Er erscheint als rettender ?/; Er erweist sich als ein wahrer Engel einer Hilfsbereitschaft und Aufopfe- für andere. Ausdr. ein gefallener Engel sein: seine ihuld verloren haben, steht wahr- inl. in Zusammenhang mit Offenb. , wo es heißt: ,,Und es ward ausgewor- xr große Drache, die alte Schlange, die eißt der Teufel und Satanas, der die :2 Welt verführt, und ward geworfen iie Erde, und seine Engel wurden auch n geworfen“. Bez. blauer Engel für ein betrunkenes 3hen leitet sich von dem Titel ,Der s Engeß für einen der ersten dt. Ton- her, unter dem 1929 Heinrich Manns nan ,Professor Unrat4 gezeigt wurde. rill den Engeln ersparen, ihn in Abra- T Schoß zu tragen sagt man von einem, ün schlechtes Leben führt, / Abraham. mst ein Engel mit 'nem B davor: ein e;el (berl. und anderwärts). Iden Engeln lachen: ohne Grund oder imstand (vgl. frz. ,rire aux anges4). iEngel ist ein Bettler sagt man von eider nur in Betteleien Glück hat; ent- aein Engel ist kein Bettler: er wird vom <lkbegünstigt (vgl. jüd.-dt. ,sein Malech Gascht4 bzw. ,is kaan Gascht4). Köhler: Kl. Schriften III (Berlin 1900), S.542; iiz. Vkde. IV (1914), S.95; Grenzboten LXIII, S. 137; Stoen, S. 443; A. Taylor: The Proverb, Re- F Hatboro/Pa. und Copenhagen 1962), S.129E; III, Sp. 832 f., Anmkg. 84; R. Strömberg: Greek î~bs (Göteborg 1954), S.69; M. Kuusi: Regen bei mschein. Zur Weltgesch. einer Rda., FFC 171 mki 1957), S. 388-390. Ulszunge. Mit Engelszungen reden: ein- iillich sprechen, bekannt aus Luthers lübers., in der es l.Kor. 13,1 heißt: im ich mit Menschen- und mit Engeisenredete und hätte der Liebe nicht, so ! ich ein tönend Erz oder eine klin- ■e Schelle44. Seitdem ist die Wndg. sehr ffig und wird bes. mit dem Nebensinn uucht: jem. zu überreden versuchen, >oei Martin Wieland: „. . . der, wenn er a mit Engelszungen redete, nicht eine :ge Seele fände, die ihm zuhörte44. Ente* Von blauen Enten predigen: Lügen, leeres Gerede verbreiten, bes. iron, von der geistl. Predigt gebraucht, ist eine frühnhd. Wndg., die in der Reformationszeit weit verbreitet war, bei Seb. Brant, Thom. Murner oder bei Luther: „so kömpts doch endlich dahin, das an stat des evangelii und seiner auslegung wiederumb von blaw enten geprediget wird44. Mit dieser heute nicht mehr gebräuchl. Wndg. hat die Zeitungsente4 (lügenhafte Nachricht) nichts zu tun. Sie tritt erst nach 1850 als Übers, auf von frz. ,canard4 = Ente, auch Flugblatt, Schnurre und später Falschmeldung; im Frz. hat,donner des canards4 schon im frühen 18. Jh. den Sinn von: einem etw. vorlügen. Die aus dem Schwab, bezeugte Verwünschung daß ihn die Enten vertreten mögen tritt bereits bei Seb. Franck auf: „Ich wolt ehe, daß mich ein Ent zertrette, das were doch ein schendlicher Tod44. Ebenfalls seit Seb. Franck (,Lob der Torheit4) bekannt ist die Rda. warten, bis einem die gebratenen Enten in das Maul fliegen, eine Anspielung auf die Erzählung vom Schlaraffenland (/Taube). Erbe. Lachende Erben machen: im Leben geizig sein und nur an das Zusammenraffen von Geld denken (über das sich später die ,lachenden Erben4 freuen). Die Jachenden Erben4 begegnen schon mhd. (Hartmann, ,Rede vom Glauben4, 2520). In Othos ,Evangel. Krankentrost4 werden sie 1664 so beschrieben: „Freu dich, liebes Mütlein, traure, schwarzes Hütlein, heiszts bei lachenden Erben44. Bekannt ist F. v. Logaus Sinngedicht ,Lachende Erben4 aus dem Jahre 1654: Wann Erben reicher Leute die Augen wäßrig machen, Sind solcher Leute Tränen nur Tränen von dem Lachen. Aber schon in dem 221. Spruch des Publius Syrus (um 50 v.Chr.) heißt es: „Heredis fletus sub persona risus est44 (Das Weinen des Erben ist ein maskiertes Lachen). Die Rda. noch kein Erbe mit jem. geteilt ha- benmzmt, daß man die schlechten Charakterseiten des anderen noch nicht kennt, die bes. bei Erbangelegenheiten offenbar werden können. Vgl. ndl. ,In het deelen der er- fenis Staat de vriendschap Stil4. 239
Erbse Erbse. Einem Erbsen auf die Stufen streuen: ihn zu Fall bringen; übertr.: seiner Ehre hinterlistig eine Falle stellen. 1639 bei Chr. Lehmann bezeugt: ,,Böse Leuth, die sich eines Unglücks freuen, streuen einem Erbsen auff die Stegen, das einer von seiner Reputation herabfalle“. Allg. bekannt ist der Vorgang aus A. Kopischs Gedicht von den Heinzelmännchen zu Köln4. Auf seinem Gesicht hat der Teufel Erbsen gedroschen: er hat Sommersprossen; früher: er ist pockennarbig. Fontane schreibt 1894 in ,Meine Kinderjahre4 (Ges. Werke. 1920, 2. Reihe, l.Bd., S. 155): „Jeder hat einmal von den Blattern heimgesuchte Personen gesehen und dabei den Ausdr. ,der Teufel habe Erbsen auf ihrem Gesicht gedroschen4 mehr oder weniger bezeichnend gefunden. Jedenfalls ist der Ausdruck sprichwörtlich geworden!44 Berl. nennt man ein solches Gesicht auch ,’n abjeknabbert Kirschkuchenjesichte4, oder man sagt: ,Der hat mit’s Jesichte auf’n Rohrstuhl jesessen4. Auf Erbsen zu gehen oder zu knien war eine Strafe; daher noch heute die rhein. Rda.: ,Do heste äver es op Erbse gesatz4, du bist in eine unbequeme Lage geraten. Ebenfalls aus den rhein. Mdaa. belegt sind die Rdaa.: ,ut de Bohnen en de Erbsen kommen4, aus einer Verlegenheit in die andere kommen; und: ,De Erbse komme em en de Bonne4, bei ihm geht alles durcheinander. Eis. heißt: ,eim sagn, was drei Erbsen für ’n Breej geben4, ihm tüchtig die Meinung sagen. Es mögen Erbsen oder. Bohnen sein: es ist mir alles gleich. Eine Erbse um eine Bohne geben: eigennützig etw. von geringem Wert schenken, um mehr dafür zu bekommen. Auf die Frage nach der Uhrzeit hört man (obersächs. und auch sonst) die ausweichende Antwort: Es ist drei Viertel auf (kalte) Erbsen. Die Rdaa. jetn. einen Erbsenkranz geben und mit dem Erbsenkranz sterben beziehen sich auf eine in Polen und Litauen übliche Sitte bei der Brautwerbung. Statt eines Korbes erhielt dort der abgewiesene Freier einen Strohkranz. Die Rdaa. bedeuten also: jem. den Abschied geben und: als Junggeselle sterben. Die Wndg. Er mag Erbsen zählen bedeutet, daß jem. ohne Beschäftigung ist. Wird jem. ein ,Erbsenzäh¬ ler4 genannt, heißt dies, daß er übergenau und geizig ist. Eine Prinzessin auf der Erbse sein: überempfindlich und zimperlich sein. Die Rda. dient der gutmütigen Verspottung eines bes. zarten jungen Mädchens und beruht auf dem bekannten Märchen von H. Chr. Andersen. erpicht. Auf etw. erpicht sein: begierig auf etw. sein, nicht davon lassen können, ei- gentl.: wie mit Pech an etw. festgeklebt sein. Zur Erklärung der Rda. hat man an die Sprache der Vogelsteller und an das Festkleben des Vogels auf der mit Pech bestrichenen Leimrute erinnert. Erpicht ist bereits im 16. Jh. weit verbreitet, im 17. Jh. tritt daneben gleichbedeutendes verpicht sein, z.B. 1639 bei Lehmann S.872 (,Wahrheit4 3): „Die Menschen sind an die Lügen so verpicht, das . . .44 Im Simplicissimus4 Grimmelshausens ist 1669 belegt: „Wer sich dem Spielen einmal ergeben . . . der wird nach und nach ... so verpicht dar- auff, dass ers weniger lassen kann als den natürlichen Schlaff44. Ähnl. bei G. E. Lessing: So äußerst war, nach Tacitus Bericht, Der alte Deutsch aufs Spiel erpicht. In vielen volkstüml. Vergleichen lebt das Wort bis in die Ggwt. weiter: Er ist darauf erpicht wie der Teufel auf eine arme Seele, er ist so erpicht darauf wie die Katze auf die Maus: vgl. auch ,versessen sein4. erstunken. Das ist erstunken und erlogen: es ist völlig unwahr und frei erfunden. In dieser umgangsspr. sehr verbreiteten Wndg. ist das im Infinitiv ausgestorbene Verb ,erstinken4 bewahrt. Die Rda. findet sich 1642 in Arnold Mengerings Scrutinium conscientiae catecheticum4, in Gry- phius' ,Die geliebte Dornrose4 (4. Handlung): „Es ist erstunken und derlogen44 und im ,Judas4 des Abraham a Sancta Clara: „Darumen man insgemein pflegt zu sagen: Es ist erstuncken und erlogen44. Esel. Der Esel, als träges und ungeschicktes Tier mit einer unschönen Stimme, forderte geradezu dazu heraus, seinen Namen in negativer Bdtg. auf den Menschen zu übertr. und ihn als Neck- und Spottwort und in 240
Esel ^imiter luturam Iwmv, läutet; !ßiuiVt#rttatwt/ ! , Eselsritt1 Rdaa. vorwiegend zum Ausdr. minderwertiger Eigenschaften und schlechter Gewohnheiten zu gebrauchen (Tiernamen werden überhaupt fast nur als Schimpfnamen angewandt: vgl. Ochse, Rindvieh, Kamel, Elefant, Schlange u.a.). Esel als Schimpfwort und zur Bez. eines dummen Menschen war schon bei den Römern sprw. (z. B. bei Plautus und Terenz im röm. Lustspiel); im Dt. bereits bei Notker (um das Jahr 1000): ,,er lebet in esiles wise". Hugo von Trimberg stellt um 1300 in dem Lehrgedicht ,Renner1 (V. 1457) „edelinge und eselinge" einander gegenüber. Bei Ulrich Boner heißt es um 1350 im ,Edelstein1 (67, 61): Der mag zeim esel werden wol, bi den oren man in erkennen soi. Der Humanist Heinrich Bebel verzeichnet 1508 in seiner ,Sprichwörtersammlung4 (Nr.513) lat.: ,,Multi sunt asini bipedes"; dasselbe kehrt auf dt. 1541 in Seb. Francks ,Sprichwörtersammlung4 wieder (I, S.88): ,,Es sind vil Esel auff zweyen füßen" (frz. ,11 y a bien des ânes qui n'ont que deux pieds4). Noch heute dient der häufigste Ge- ,Ein gesattelter Esel4 brauch des Wortes Esel zur Bez. der Dummheit und Torheit eines Menschen. Jem. ist ein Esel4; ein ,dummer, alter, störrischer Esel4; ,das würde ein Esel begreifen1 (vgl. frz. ,un âne y mordrait1); ,er ist bei den Eseln in die Schule gegangen'; ,er kann einen Esel nicht von einem Ochsen unterscheiden' ;■,er ist ein gesattelter Esel4, erzdumm. ,,Der Esel ist ein dummes Tier, was kann der Elefant dafür"? lautet ein bekannter Vers der ,Münchner Bilderbogen4. Ausführlicher und umständlicher z.T. in den Mdaa.; z.B. in Köln: ,Dä es noch ze domm, för men Esel ze danze, un wammer im de Stätz en de Häng jitt4 ; schlesw.-holst. ,Den hat der Esel im Trapp, im Galopp verloren4; schwäb. ,Der guckt so dumm drein wie der Esel in eine Apotheke4. Er führt einen Esel im Wappen. Das Wappentier soll einen hervorragenden Charakterzug einer Familie symbolisch ausdrük- ken, also in diesem Falle die Dummheit eines Menschen. Jedoch das Wappen der frz. Stadt Bourges stellt einen im Fürstenstuhlsitzenden Esel dar, der der Überlieferung nach sehr klug gewesen sein soll (frz. ,Les armes de Bourges, un âne au fauteuil4). Eine räumlich auf Nordamerika begrenzte Rda. die ,Esel von Chatanooga4 (Wander I, Sp. 876) bezieht sich auf eine ähnl. Begebenheit, als die Esel von Chatanooga den Einwohnern zu Rettern in letzter Minute wurden, ähnl. den berühmten Gänsen des Capitols. - Eine türkische Rda. für Dummheit ist folgende: ,Der kann nicht einmal an zwei Esel gleiches Maß von Stroh verteilen4. Das Auffallendste an einem Esel sind seine langen Ohren. Der Esel bewegt seine Ohren! sagt man von einem, der verständnisvoll tut, aber nichts verstanden hat. Er kann seinem Esel wohl den Schwanz verbergen, aber die Ohren läßt er gucken. Zum Esel fehlen ihm nur die Ohren, den Kopf hat er (vgl. ndl. ,Om een volmaakte ezel te zijn, heeft hij naar een’ staart noodig4). Dazu das Spottwort: ,Esel Langohr4. Er paßt dazu wie der Esel zum Lautenschlagen: er paßt nicht im geringsten dazu; er ist ein roher, ungeschickter Mensch, der für alles, was Künste und Wissenschaft betrifft, kein Verständnis hat. Schon dem Altertum war diese Rda. (zugleich auch als Fabel: 241
Esel Motiv I. 2413, 1) geläufig: griech. ,ôvoç Tipôc; Àüpav', Iät. ,asinus ad Iyram'. Die Wndg. wurde schon früh ins Dt. übernommen; in der spätma. dt. Didaktik wird sie oft gebraucht, z. B. im ,Renner' Hugos von Trimberg (V.23 548): Ein man mac sich wol selben touben, der ein esel wil herpfen lêren und sô getâne liute bekêren. In dem Streitgespräch ,Der Ackermann und der Tod' des Johannes von Saaz (um 1400) heißt es im 30. Kap.: „Aber als vil als ein esel leiren (die Leier spielen) kan, als vil kanstu die warheit vernemen“. In Seb. Brants,Narrenschiff (1494) wird von jungen Geistlichen gesagt, daß sie soviel wissen „von kyrchregyren, als Müllers Esel kan qwintieren“ (d.h. auf der Quinterne, einem Saiteninstrument, spielen): vgl. auch KHM. 144 ,Das Eselein', wo das Eselein die Laute schlagen muß und es zum Erstaunen seines Lehrmeisters auch so vorzüglich lernt, daß es damit Herz und Hand einer Königstochter erspielt. Für die Rda. vom Musizieren des Esels gibt es die verschiedensten Varianten: ,Dem Esel ein Harpff, ,ein pfeiffen geben' (Franck, Sprww. I, S. 18b); ndl. ,Men geft den ezel de harp'. ,Der Esel beim Dudelsack'; ,ein Esel bei der Sackpfeife, mit der Lauten'; ,der Esel spilt auf der leiren' (Franck, Sprww. II, S.47a); ,der Esel will die Laute spielen'; ,einen Esel singen lehren'; ,es ist, als ob der Esel eine Sackpfeife hört';,einen Esel zum Lautenschläger machen'; ,dat steit em an, as dem Esel dat Orgelspelen'. Dem Esel so etw. beizubringen ist sinnlos, ebenso mitten Esel das Lesen lehren' oder ,den Esel griech. bzw. lat. lehren'. Das letzte kann auch in der Bdtg. von ,niemals' gebraucht werden: ,wenn die Esel werden lat. reden'. - Für den Esel steht bisweilen auch der Bär, wie bei dem mhd. Spruchdichter Spervogel: ,,Sö mac man einen wilden bern noch sanfter harten lêren“ oder bei Wolfram von Eschenbach im ,Titurel' (90, 4): „Man lêrte einen beren ê den salter“ (ähnl. engl. ,a sow to a fiddle' = einer Sau das Geigenspiel beibringen). Ein Esel in der Löwenhaut: ein Dummkopf, der sich ein wichtiges Ansehen zu geben 1 1/2 ,Ein Esel in der Löwenhaut4 ,Einen Esel das Lesen lehren4 versucht, wie der Esel in der äsopischen Fabel, der im Wald eine Löwenhaut fand, sich darin als Löwe verkleidete und Menschen und Vieh erschreckte, jedoch nur kurze Zeit, weil man bald seine wahre Natur erkannte (Mot. I. S. 951, 1 ff., Wander I, Sp. 877). Die sinnverwandte Rda. Er ist wie der hof- färtige Esel kann sich aber auch auf die Fabel von dem Esel beziehen, der Reliquien tragen mußte, vor denen die Bauern die Mützen abnahmen, was der Esel aber auf sich bezog und sich so übermütig gebärdete, daß er keine Last mehr tragen wollte. 242
Esel Aus der Fabel des Phadrus vom sterbenden Löwen, von dem die Tiere Abschied nahmen, wobei der Esel dem Wehrlosen einen Tritt versetzte, ist der ,Eselstritt1 sprw. geworden, d.h. das verächtliche Benehmen gegenüber einem Höheren, der aber wehrlos oder gefallen ist; vgl. sächs. Man muß tun, ,als wenn en e Esel getraten hett\ auf die Beleidigungen eines Toren soll man nicht achten. Den Sack schlägt man, den Esel meint man. Die Rda. findet sich zum ersten Mal in verwandter Form bei dem röm. Satiriker Petronius (f 66 n.Chr.): ,,Qui asinum non potest, stratum caedit" (wer den Esel nicht schlagen kann, schlägt den Packsattel); vgl. ,den /Hund vor dem Löwen schlagen'. Um des Esels Schatten zanken: sich um Nichtigkeiten streiten; aber auch: pedantisch, griffelspitzerisch und rechthaberisch streiten. Vgl. lat. ,De asini umbra', /Schatten. Demosthenes erzählte einst den Athenern folgende Geschichte: Ein Athener habe einen Esel für eine Reise gemietet. Es wurde den Tag über so heiß, daß sich der junge Mann in den Schatten des Esels setzte. Darauf erhob sich zwischen ihm und dem Eseltreiber ein Streit, da der Treiber behauptete, er habe zwar den Esel, nicht aber den Schatten des Esels vermietet. Was von mir ein Esel spricht ... als geringschätzig wegwerfende Rda. und Erwiderung auf eine Beleidigung, ist ein Zitat aus der Fabel .Der Löwe. Der Fuchs' von Joh. Ludw. Gleim (1719-1803), wo es am Schluß heißt: Denn was von mir ein Esel spricht, das acht’ ich nicht. Auf den Esel setzen (oder bringen): ärgern, erzürnen. So z.B. in Luthers ,Tischreden': „mit guten Worten fein betrogen und recht auf den Esel gesetzt''. Ebenso auch in Grimmelshausens ,Simplicissimus' (I, S. 145): „Den dollen Fähnrich zöge ich gleich herüber und setzte ihn auf den Esel". Die Rda. geht auf einen grotesken Rechtsbrauch des MA., auf den ,Eselsritt', zurück. Er scheint weit verbreitet gewesen zu sein; Jac. Grimm hat über ihn Belege aus mehreren Ländern gesammelt, aus Frankr., Italien, Dtl. und selbst aus dem Orient. Auf Eselsritt wurde in den verschiedensten Fällen erkannt. Gefangene wurden ,zum Schimpf auf dem Esel geführt': Das Chorgestühl von Bristol (England) zeigt auf einer Miserikordie den Abt von Canterbury, der verkehrt auf einem Esel reitet, dessen Schwänzer in der Hand hält. In Frankreich wurden Männer, die sich von ihren Frauen hatten schlagen lassen, dazu verurteilt, ,ä chevauchier un asne, le visage par devers la queue dudit asne'; „verkehrt, statt des Zaumes den Schwanz in der Hand", wie es in G. A. Bürgers berühmter Ballade ,Kaiser und Abt' heißt. Im ,Lichtenstein' läßt Wilhelm Hauff den Doktor Calmus auf dem Esel durch Stuttgart reiten, /Pferd. Auch in Dtl. war der Eselritt als Rechtsbrauch bekannt, z. B. in Hessen. H. B. Wenck (Hess. Landesgeschichte, Darmstadt- Gießen 1783, I, S. 521) läßt sich eingehend über diesen Rechtsbrauch aus, der außer in Darmstadt auch in Oberhessen in der Gegend um Homburg a. d. Ohm ausgeübt wurde. „Als sich 1543", schreibt er, „eine Frau zu Maulbach, Amts Homburg a. d. Ohm, gegen ihren Mann ungehorsam erwiesen und ihn sogar geschlagen hatte, so berichtete der dortige Keller, Georg Rüdig, den Vorgang an die Regierung zu Marburg, mit dem unmaßgeblichen Bedenken, daß, wie ihn etliche versichert, in solchem Fall nach altem Brauch die Frau auf einem Esel reiten und der Mann, der sich schlagen lassen, den Esel leiten müsse". Der Esel wurde von den Herren von Frankenstein gehalten und wenn sich der Fall ereignete, mit einem Boten nach Darmstadt, Pfungstadt, Niederramstadt und in andere Orte gebracht. Hatte die Frau den Mann hinterhältig geschlagen, ohne daß er sich wehren konnte, so führte der Frankensteiner Bote den Esel. War er hingegen in offener Fehde von ihr besiegt worden, mußte er den Esel selbst führen. Im 17. Jh. erlosch die Gewohnheit, die hauptsächlich in Oberhessen galt, sich aber auch an anderen Stellen gefunden haben wird. Dieselbe Strafe traf auch die Ehebrecherinnen, Ehebrecher, Meineidige und Verräter. - Eines der letzten öffentl. Eselreiten als Delinquentenschande und -Spott fand Ostern 1814 in Leipzig statt, wo der Stadtkommandant Meßdiebe so durch die Straßen führen ließ. Spätere Belege finden sich nur noch bei Fastnachtsbräuchen. Aber in einem seltsa¬ 243
Esel men Kontrast zu dem Fastnachtstreiben steht die Härte der Strafe, die den davon Betroffenen einen Makel fürs ganze Leben angehängt haben muß. Gerade die Schwere der Strafe spricht dafür, daß wir es hier, ebensowenig wie bei dem Dachabdecken mit einer zufälligen Erfindung fröhlicher Fastnachtsnarren zu tun haben. Die Angelegenheit des Eselsrittes hat deshalb ohne Zweifel einen ernsten Hintergrund gehabt. Entspr. den Esel beim Schwanz auf zäumen: etw. verkehrt anfangen, /Pferd. Aber auch in der älteren Pädagogik scheint man sich ,Ein Esel sein' dieser Praktik bedient zu haben. In den ma. Klosterschulen befand sich ein hölzerner Esel, auf den sich Schüler zur Strafe setzen mußten. Dementspr. heißt es 1652 in Wenzel Scherffers Gedichten (S.429): Wer mit Wirten sich gebießen, mit andern sich geschmießen, der soi zu Tröste wiessen, daß Er um keines büssen werd’ auf den Esel müssen. Immerhin wurde noch im Schulunterricht in der zweiten Hälfte des 18. Jh. dem faulen Schüler zur Strafe ein Bild mit einem Esel umgehängt, /anhängen. Einem einen Esel bohren (oder stechen): ihm andeuten, daß man ihn für einen Esel hält, indem man ihm den Zeige- und den kleinen Finger entgegenstreckt, während die übrigen drei eingebogen werden (vgl. die gehörnte Hand, /Horn); dann auch ohne die Handgebärde: ihn veralbern, einen verhöhnen, äffen. Ein Vokabular von 1735 erklärt die Gebärde in lat. Form: „asini auribus manu effectis illudere“ (durch Darstellung von Eselsohren mit der Hand verspotten). Die Rda. findet sich in Goethes ,Urfaust\ wo Mephistopheles spottet: „Encheiresin naturae nennfs die Chemie, bohrt sich selbst einen Esel und weiß nicht wie“. Die spätere Fassung lautet: „spottet ihrer selbst“; doch ist die heute kaum noch geläufige Rda. bis zu den Romantikern häufig bezeugt. 1541 in Seb. Francks ,Sprichwörtersammlung1 (I, Fol. II b) steht aber bereits: „Den Narren boren / Den spigel (,Hintern1) zeygen, heyst eim das wappen visieren / Und in summa eim den text lesen, sein kolben zeygen, und sagen wer er ist“. In Schillers ,Räubern1 (I, 3): „Und unterdessen, daß Spiegelberg hangt, schleicht sich Spiegelberg ganz sachte aus den Schlingen und deutet der superklugen Gerechtigkeit hinterrücks Eselsohren, daß’s zum Erbarmen ist“. ,Eselsohr1, umgeknickte Blattecke in einem Buch, ist seit 1637 bezeugt. Einen Esel zu Grabe läuten nennt man es, wenn sitzende Kinder mit den Beinen baumeln, also gewissermaßen ein stummes Geläute machen. Die kindliche Unart wird durch die Erinnerung an einenTabubereich getadelt (lit. z. B. in Ruth Schaumanns Ro¬ 244
Esel man ,Amai\ S.24). Die Wndg. ist in Nie- derdtl. bes. gebräuchl. Vgl. die gleichbedeutenden Rdaa. ,Hunde aus- oder einläuten' (/'Hund), ,Teufel ausläuten1 (/Teufel). Daneben die ältere, derbere Rda. ,mit Eselsglocken zu Grabe läuten'. Ihren Ur- spr. hat die Rda. in den ,Eselsbegräbnissen', worunter man die Begräbnisse solcher verstand, die weder an geweihtem Ort noch mit kirchl. Feierlichkeit bestattet wurden, die also verscharrt wurden wie ein verendetes Tier. Keine Glocke wurde bei einem solchen Begräbnis in Bewegung gesetzt; nur der Volkswitz bezeichnete die baumelnden Beine der Kinder als die beim Eselsbegräbnis geläuteten Glocken. Es wurde namentlich bei Exkommunizierten und Ketzern, bei Selbstmördern und bei Verbrechern angewendet, die bei der Ausübung ihrer Missetat erschlagen worden waren. Der Name ist zurückzuführen auf den Spruch Jer. 22,18 u. 19, wo der Prophet von dem König Jojakim spricht: ,,Man wird ihn nicht beklagen: . . . ,Ach Herr! ach Edler!' Er soll wie ein Esel begraben werden, zerschleift und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems“. Im Jahre 900 diente dieser Spruch einem Konzil zu Reims zur Grundlage eines Beschlusses, nach welchem allen Ketzern und Exkommunizierten nur das Eselsbegräbnis ^Sepultura asinina') zuteil werden sollte {Richter-Weise, Nr. 44, S.48f.). In seinem ,Thesaurus paroemiarum' führt Pistorius 1715/25 eine Variante zu dieser Rda. an: ,Wer vom Drohen stirbt, dem soll man mit Eselsnüssen zu Grabe läuten'. In vielen sprw. Rdaa. wird der Esel mit dem Zornigen in metaphorischen Zusammenhang gebracht: sich auf den Esel setzen lassen: zornig werden; ,,laß dich nicht mit geringen Dingen, bald auf einen Esel bringen“ (Ringwaldt); ,,er hat mich in Harnisch gejagt und . . . auf den Esel gesetzt“ (Hans Sachs). ,Der Zorn hat ihn überschnellt und auf den Esel gesetzt'. ,Wer stets im Esel hat die Sporen, der juckt ihm dick bis auf die Ohren'. Auf solche und ähnl. Rdaa. scheint sich die Darstellung von Hans Weiditz zu beziehen. Sie bringt eine Illustration zu dem Kapitel ,von dem zo- ren', und die Einwirkung des Narrenschiff-Kapitels 35 ,von luchtiglich zyrnen' ist unverkennbar. Das Bild zeigt die befremdliche Erscheinung eines Mannes, der wie ein Gaukler über einen Esel schnellt. Während das Tier aushufend vorwärtsstürmt, schlägt er auf dessen Nacken einen Purzelbaum. Dahinter tobt ein furienhaftes Weib, das einen Krückstock über Tier und Reiter schwingt, zugleich den Esel am Schwänze packt, um ihn zu störrischen Quersprüngen aufzureizen. Ein kleiner Kläffer hat sich in dem Rock des bösen Weibes festgebissen. Die dazugehörigen Rdaa. zeigen, daß in dem wilden Weib die Furie des Zornes, die jählings einen Burschen auf den Esel schnellte, dargestellt ist. Nur noch der Sinn des Hundes bleibt zu klären. Soll er das sprw. Hündlein ,Reuel‘ sein, von dem das volkstümliche Sprw. sagt: ,Der Hund Reuel beißt offt die Leut' - ,Es bleibt nicht aus das schwartze Hündlin Reuel', wonach die reuigen Gewissensbisse, die dem Zorne folgen, in diesem Hunde angedeutet wären? Der Narrenschifftext beweist aber, daß nicht der Hund Reue, sondern der Kläffer ,Hederlin', d.h. der Hadergeist geschildert ist, wie er auf volkstümlichen Bilderbogen als bellender Begleiter von Frau Seltenfried erscheint, ebenfalls als ein Sinnbild der Bösartigkeit. ,Eselsfresser' ist ein Spottname für die Schlesier (vgl. Holteis Dichtung ,Eselsfresser'). Der Spottname taucht zum ersten Mal in der Humanistenzeit bei Conrad Celtes auf („Esores asini"). Caspar Sommer hat darüber 1677 seine Dissertation ,De onophagia Silesiorum' geschrieben. Die Schlesier teilen den Namen mit anderen Gegenden und Ortschaften in Dtl. Die Erklärung ist noch umstritten. Einst war Krakau die Univ. der Schlesier. Die Kra¬ 245
Eselsbrücke kauer Gründungssage kennt einen Drachen Olophagus,Vielfraß4. Möglicherweise ist der in Onophagus ,Eselsfresser4 entstellte Name nur ein Humanistenwitz, mit dem die schles. Studenten einst bez. worden sind. Mit dem Pferdefleisch- oder Eselsfleischessen heidnischer Deutscher hat der Name nichts zu tun, ebensowenig wie mit dem ,Goldenen Esel-Stollen4 in Reichenstein (ausführliche weitere Belege bei Wander I, Sp. 88Iff.). Auf einer Ortsneckerei beruht auch die schwäb. Rda. Er ist ein Esel von Rottweil. Die Rottweiler sollen einst einen Kürbis gefunden, für ein Ei gehalten und es auszubrüten versucht haben. Da sich kein Erfolg zeigte, wurde das Ei bzw. der Kürbis weggeworfen. Beim Aufschlag sprang erschrocken ein Hase davon, den die Rottweiler für einen aus dem Kürbis entsprungenen jungen Esel hielten. So erhielten die Rottweiler ihren Beinamen (Wander I, Sp. 878f.; H. Moser: Schwäb. Volkshumor, Stuttgart 1950, S.27). Auf dem selben Esel reiten: dieselben Ziele verfolgen; beim Esel Wolle suchen: da etw. suchen, wo es nicht zu finden ist (schon lat. ,ab asino lanam petere4 bzw. ,asini lanam quaerere4); wenn man sich wirtschaftlich oder gesellschaftlich verbessert, so kommt man vom Esel aufs Pferd, auf den Ochsen, auf die Kuh (Plautus: ,ab asinis ad boves transcendere4). Sich auf den Esel setzen; vom Gaul auf den Esel kommen heißt dagegen: aus einer höheren Stellung in eine niedere absinken. Vgl. auch ,vom Ochsen auf den Esel kommen4 (/Ochse). Den Esel um das Schmer schinden wird gesagt, wenn ein altes Weib des Geldes wegen geheiratet wird. Bei Seb. Brant heißt es (,Narrenschiff4, 52): Wer schleufft in Esel umb das schmer, der ist vernunfft vnd Weissheit lär. Ein Bild der verkehrten Welt ist den Esel krönen. So schon in Freidanks Bescheidenheit4: ,,Swä man den esel kroenet, dä ist das lant gehoenet44, sowie dort auch: „Swä der ohse kröne treit. Dä hant diu kelber werdekeit44 (vgl. Singer III, 102, 100), was in ganz ähnl. Form in Schweiz. Mda. als Sprw. überliefert wird; vgl. ,die Sau krönen4 (/Sau). Ein Esel unter Bienen sein: unter böse, un¬ gestüme Menschen geraten sein; den Esel einen Esel nennen: dit Sache beim rechten Namen nennen, etw. unverblümt sagen (entspr. frz.,appeller un chat un chat4); den Esel für den Miillerknecht ansehen: einem groben Irrtum zum Opfer gefallen sein; rheinhess. ,Er hat mich auf den Esel gesetzt4, er hat mich im Stich gelassen; den Esel hüten müssen: lange auf jem. warten müssen. In der Eifel wird die Rda. von Mädchen gebraucht, die in Tanzlokalen als Mauerblümchen nicht zum Tanz kommen. Den Esel mitten durch den Kot tragen (nach der Fabel von Vater, Sohn und Esel); den Esel suchen und darauf sitzen sagt man von einem Zerstreuten, der etw. sucht, was er in der Hand hält; er ist nicht einen toten Esel wert: er ist keinen Pfifferling wert. Der (graue) Esel fährt (guckt) heraus: es sind die ersten grauen Haare zu sehen. Da hat der Esel ein Pferd geworfen sagt man bei der unerwartet guten Leistung eines Minderbegabten. Von einem unehelichen Kind oder einem Menschen, dessen Herkunft nicht ganz klar ist, wird gesagt, westf. ,Den heat de Jesei ut der Wandslagen4; berl. ,Den hat der Esel im Galopp verloren4 ; eis. ,Dich het ja en Esel an d’Wand gpfuzt, us der Wand geplotzt4. Das wird auch zu einem gesagt, der so dumm ist, daß er nicht gleich sagen kann, woher er stammt und wo er geboren ist. Lit.: R. P. (= Robert Prutz): Der Esel im dt. Sprw., in: Dt. Museum, Leipzig, Okt. 1864; K. F. Flöget: Gesch. des Grotesk-Komischen. Ein Beitrag zur Gesch. der Menschheit, 2. Bde. (München 1914), II, S.370L; J. R. Dieterich: Eselritt und Dachabdecken, in: Hess. Bl. f. Vkde, I (1902), S. 87-112; HdA. III, Sp. 332; R. Ham- pel: Die Rda.,Einen Esel zu Grabe läuten', in: Wiener Zs. f. Vkde., 48 (1943), S.13f.; G. Lutz: Sitte, Recht und Brauch. Zur Eselshochzeit von Hütten in der Eifel, in: Zs. f. Vkde. 56 (1960), S.74ff. Eselsbrücke. Einem eine Eselsbrücke bauen: einem mit erheblichen Hilfsmitteln eine Aufgabe erleichtern. In Oesterr. versteht man aber unter Eselsbrücke den Lehrsatz des Pythagoras, in gleicher Bdtg. gebraucht der Schwabe Justinus Kerner das Wort: ,,Mein Bruder Carl mühte sich ab, mir Unterricht in der Mathematik zu geben; aber er konnte mich nicht weiter, als zur sogenannten Eselsbrücke, dem pytha- goräischen Lehrsätze bringen44 (Bilderbuch 1849, S. 285). Die Rda. an der Eselsbrücke 246
Espenlaub stehen bleiben bedeutet demnach: bei der ersten Schwierigkeit versagen, sich nicht weiterwagen. Die Eselsbrücke treten: gegen die eigene Unwissenheit ankämpfen. Schon 1735 schrieb J. Chr. Günther (,Gedichte', 462) von einem ,,Schulfuchs, der die Eselsbrücke tritt“. In C. F. Haubers ,Chresto- mathia' (Tübingen 1820, S. 195) wird ,pons asini' als Name für den fünften Lehrsatz des Euklid aus dem ,Euclides reformatus1 des Ang. de Marchetti angeführt, neben einem anderen ebenso bezeichnenden Namen: ,fuga miserorum'. Die Namen werden aus den Schwierigkeiten erklärt, die der Beweis gerade dieses Satzes den Anfängern machen soll. In der Mathematik also wird ein Lehrsatz, der dem minder begabten Schüler die ersten ernstlichen Schwierigkeiten bereitet, sei es nun Euklid oder Pythagoras, ,pons asini' genannt. Der Schulausdr. ist zweifellos aus einer Vorstellung der ma. volkstümlichen Zoologie abzuleiten, die ihrerseits auf Plinius zurückgeht. Plinius behauptet, daß der Esel keine Brücke überschreite, durch deren Belag er das Wasser sehen könne: ,,nec pontes transeunt per raritatem eorum translucentibus fluviis“ (,Naturalis historia' 8, 68). Diese Erzählung wurde dann immer wieder übernommen. So heißt es in Konrad von Me- genbergs ,Buch der Natur' (120, 33): „So der esel über ain pruk schol gên, siht er dann in daz wazzer durch die pruk, er gêt nicht leiht hin über“. Und Gesner schreibt in seinem Tierbuch von 1582: „Wo er über brugk gon sol, die luck und durchsichtig, also, dasz das wasser darunder hinfliessend gesehen werden mag, das ist müy, soi man jn darüber nötigen“ (41 b). Es ist nur eine vermeintliche Gefahr, die den Esel abschreckt, also ein Zeichen von Dummheit, daß der Esel nicht über eine solche Brücke geht. So erklärt sich leicht, wie ,pons asini' zu der Bdtg. kommt, die in der Anwendung auf den fünften Lehrsatz des Euklid hervortritt: Schwierigkeit, nicht für den Einsichtigen, nur für den Dummen. Die lebendige Anschauung, die im MA. mit der Vorstellung der Eselsbrücke verbunden war, ging der Neuzeit verloren; die alte sinnvolle Beziehung auf die Natur des Tieres machte unbestimmten Vorstellungen Platz. Wenn jem. heute bei dem Gebrauch des Wortes,Eselsbrücke' i.S.v.,Hilfsmittel für Dumme, Träge' sich überhaupt etw. Bestimmtes vorstellt, so wird er sich eine Brücke denken, die gerade für einen Esel paßt, d.h. bequem ist, also genau das Gegenteil der Vorstellung, die der urspr. Anwendung zugrunde lag. Im Rheinland nennen die Schüler unerlaubte Hilfsmittel, vor allem heimliche Übersetzungen fremdsprachl. Texte ,pons‘ und bilden dazu ein Verbum ,ponzen'. Daß mit ,pons' der ,pons asini' gemeint ist, unterliegt keinem Zweifel. Da wir es hier mit einem Ausdr. der Schule zu tun haben, und zwar der gelehrten Schule, finden wir die Eselsbrücke auch im Rdaa.-Gut anderer europ. Völker wieder. Vgl. ndl. ,Het is eene ezelsbrug' und frz. ,C’est le pont aux ânes'. Die Bdtg. ,bequemes Hilfsmittel für Dumme und Träge' fehlt allerdings im Engl., Frz. und Span.; sie ist ja auch nicht urspr., wie wir festgestellt haben. Im Frz. vollzieht sich eine Umbildung: Das Schwierige, weil es eben nur für Dumme schwierig ist, wird zu etw. Leichtem, Bequemem. Lit.: R. Meissner: Eselsbrücke, in: Zs. d. Ver. f. rhein. u. westf. Vkde. 14 (1917), S. 145 ff. Espenlaub. Zittern wie Espenlaub: heftig zittern; eis. ,Er zittert wie e Flauderespe'. Dabei braucht urspr. nicht - wie die Rda. heute gewöhnlich verstanden wird - Angst die Ursache des Zitterns zu sein. Im ,Meier Helmbrecht' (um 1270, V. 1850) wird von einem der Bauern, die dem blinden Helmbrecht seine früheren Untaten heimzahlen wollen, gesagt: ,,der bidemt vor girde sam ein loup" (= er zittert wie ein Laub vor Gier). Aber dem Mhd. ist auch bereits der heutige Sinn der Rda. ,vor Angst zittern' geläufig: er bibent unde wägete vor sorgen als ein espin loub. So gebraucht sie im 16. Jh. auch Thomas Murner: „zittern wie ein espenloub“, oder der Prediger Mathesius: „der engstiget und förchtet sich und erschrickt vor einem rauschenden Blat oder bebet on Underlasz wie ein Espenlaub“. Im Liederbuch der Hätz- lerin (I, 30, 44) heißt es auch: „Zittern als ain Espinläb“. Die eigentümliche Stellung des langen, feinen, merkwürdig drehbaren 247
Esse Stieles des Espenblattes mit seinem schmalen Fuß auf dem Holze ist die Ursache, daß es beim leisesten Luftzug in Zittern gerät. Die verbreitete Rda. hat auch verschiedentlich sekundäre ätiologische Erzählungenangeregt (Thompson, Mot. A 2762.1.). In Schlesien heißt es, die Espe zittere deshalb, weil sie die Kreuzigung Christi mitangesehen habe. Aber es gibt auch gegenteilige Erzählungen. In der Oberpfalz z.B. erzählt man von der Espe, daß sie deshalb zittern muß, weil sie alleine beim Tode des Heilands teilnahmslos blieb, während alle anderen Bäume bebten. Adalbert Stifter berichtet in seiner Erzählung ,Der Baum, der sich nicht beugte, als der Herr auf Erden wandelte4 von der Bestrafung der Espe mit ewiger Unruhe. In nord- und osteurop. Erzählungen wird oft der Gedanke ausgesprochen, daß die Blätter der Espe zittern, seit sich Judas an einer Espe erhängte oder weil das Kreuz Christi aus ihrem Holze gefertigt worden sei. Noch heute zittern die Blätter der Zitterespe vor Schreck darüber. Der Espe das Zittern lehren wollen ist eine Umschreibung für unnützes Tun. Lit.: L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S.272. Esse (fern.) in der Bdtg. ,Schornstein, Rauchfang1 findet sich in folgenden sprw. Rdaa.: in die Esse schreiben: als verloren betrachten; z.B. eine Geldsumme, die, in der Esse, im Rauchfang angeschrieben, dort bald überschwärzt und unleserlich wird, /Kamin, /Schornstein. Vom Feuerherd des Schmiedes hergenommen ist die Rda. frisch aus der Esse kommen: soeben fertiggestellt sein; schon Luther gebraucht 1541 diese Wndg. (,Wider Hans WorsL): „Zu der zeit war ich prediger allhie im klo- ster und ein junger doctor, newlich aus der esse kommen" (/Feueresse und Schornstein). Im selben Sinne: ,Er geht erst auss der esse4 bei Seb. Franck, II, 34 b. Esse (neutr.) in der Bdtg. ,Wohlbefinden, Behagen4 findet sich in der Rda. in seinem Esse sein: in seinem Element sein, sich wohlfühlen. Das Wort Esse ist vom lat. Verbum esse = ,sein‘ entlehnt und bedeutet urspr. ,Zustand, Bestand1; später ,Wesen4. Schon frühnhd. erscheint die Rda. in seinem Esse erhaltenem gutem Stand erhal¬ ten, z.B. 1568 in einer meckl. Urkunde: „damit das closter bey würden und in esse erhalten (werde)44. ,In gutem esse und Stande sein‘ ist in vielen Urkunden als Formel gebraucht. Ähnl. Wndgn. finden sich bis heute in fast allen dt. Mdaa., z. B. ober- sächs. mit falscher Betonung: ,in seinem Essée sein4; meckl. ,in Ess erholden4, in gutem Zustand; rhein. ,es Esse houwe\ im Gedächtnis behalten; Schweiz. ,en Ess mit etw. han, machen4, große Mühe daran wenden; auch ndl. ,in de es zijn4, sich in seinem Element fühlen. Berl. ist die Rda. scherzhaft verdreht zu: ,Er ist janz in seinem Essig4. Um ein paar Ess zu leicht sein gebraucht man in Schlesien, um damit einen Leichtsinnigen und Charakterlosen zu bezeichnen. Ut.: Zs. f. d. U. 21 (1907), S.64 u. S.578. essen. Übertrieben vieles Essen wird im Volksmund durch zahlreiche sprw. Vergleiche getadelt: Er ißt für sieben; er ißt, als ob er Geld dafür bekäme; essen wie ein Schmied, ein Drescher, ein Scheunendre- scher;Yio\$X. ,He itt, as wenn he hangt warm schall1 erinnert an die /Henkersmahlzeit. Sie muß für zwei essen: sie ist schwanger. So gebraucht es auch Goethe im ,Faust4 I, wenn Lieschen von Bärbelchen in der Szene am Brunnen sagt: „sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt44. Mehr verstehen als Brot essen: sich auf allen Gebieten auskennen; Äpfel nicht essen mögen: zur Liebe keine Zeit oder Lust haben, /fressen. Essig. Zu Essig werden: zunichte werden, mißglücken; urspr. vom Wein gesagt, der bei zu langem Gären sauer, damit ungenießbar und unbrauchbar wird. Ähnl.: Damit ist es Essig: das ist mißglückt; mit dieser Hoffnung ist es aus. Verbreitet sind auch Wndgn. für ,ein saures Gesicht machen4 wie: aussehen wie Essig, rhein. ,en Gesicht machen wie sure Essig (als ob e Essig gedronke hätt)4, obersächs. ,e Gesichte machen wie e Essigtopp4, sauer dreinsehen, enttäuscht sein. etepetete. Sich etepetete benehmen; etepetete sein: geziert, zimperlich, umständlich, 248
Eule überfein oder bedächtig sein. Etepetete ist wortwitzelnd aus dem Grundwort ,öte, ete4 gebildet, das bes. dem nördl. Teil des dt. Sprachgebietes bekannt ist. Das in Meckl. davon abgeleitete Subst. ,Ötigkeit4 bedeutet ,geziertes Wesen4. Ähnl. Bildungen durch Verdoppelung einer oder mehrerer Silben liegen in ,eiapopeia4, ,holterdipol- ter4, ,rumsdibums4 usw. vor. In Schlesw.- Holst. kennt man statt etepetete ,etjerpo- tetjer4, und in Meckl. ist ,Entepetente4 das Schlüsselwort für ,Ei4 im Volksrätsel (vgl. R. Wossidlo, Meckl. Volksüberlieferungen Bd.l, 1897, Nr. 108). Eule. Eulen nach Athen tragen: etw. Überflüssiges tun. In der satirischen Komödie ,vOpviüe<;‘(,Die Vögel4) des größten klass. Komödiendichters Aristophanes (um 445-386 v.Chr.), in der er seine Heimatstadt mit all ihren Schwächen glossierte, läßt der Dichter (V. 301) eine Eule herbeifliegen, worauf gefragt wird: yÀaüx’ AûfjvaÇ’ f)yaye44 (,Wer hat die Eule nach Athen gebracht?' nämlich: wo schon so viele sind). Denn die Eule, und zwar ei- gentl. das Käuzchen, war nicht nur ein in Athen häufig vorkommender Vogel, der bes. in den klüftenreichen Abhängen der Akropolis hauste, sondern, natürlich im Zusammenhang damit, auch ein Attribut der Athene, der Schutzgöttin der Stadt, und galt als Sinnbild der Klugheit schlechthin, weil die Eule auch im Dunkeln zu sehen vermag. Außerdem prangte die Eule auf den athenischen Münzen,4 die (vgl. ,Die Vögel4 V. 1106: „An Eulen wird es nie mangeln44) kurzweg ,Eulen4 hießen. So wurde denn ,Eulen nach Athen tragen4 ein griech. Sprw. ,rÀaüxct eiç Aûf|vaç‘ ent- spr. lat. (bei Cicero z. B.) : „ululas Athenas44 (Büchmann, S.481f.). Weitere gleichbedeutende griech. Versionen sind: ,Fische zum Hellespont bringen4, ,Buchsbaum zum Kytoros-Berg tragen4, ,Getreide nach Ägypten bringen und Safran nach Cilicien4, ,einen Brunnen neben dem Fluß graben4, ,Wasser vom Kanal zum Meer bringen4. Im Dt. sind in gleichem Sinne üblich: ,Wasser in den Rhein (Elbe, Donau, ins Meer, in den Brunnen) tragen4; ndd. ,Water in de See dragen4; ,Bier nach München bringen4; gelegentlich auch ,Holz in den Busch (oder: in den Wald) tragen4; ,Ablaß nach Rom tragen4; ,den Fröschen zu trinken geben4; ,dem Tag ein Licht anzünden4; ,einen Mohren weiß waschen4;,gegen Windmühlen kämpfen; seine Wiese pflastern lassen4; ,Dielen (Sparren) nach Norwegen führen4; ,Windeier ausbrüten4; ,Weiber hüten4; ,den Bäckerkindern Weizenbrot geben4. Der Engländer sagt ,to carry coals to Newcastle4, Kohlen nach Newcastle, dem Hauptstapelplatz und Ausfuhrhafen des nordengl. Kohlengebiets, schaffen; auch,Wasser in die Themse tragen4;,Frauen nach Paris mitnehmen4. In diesem Sinne führen die Russen ,Schnee nach Lappland4, ,tränken die Kuh mit Milch4 und ,säuern den Essig mit Sauerampfer4; die Franzosen ,tragen Muscheln nach Mont Saint-Michel4 und ,Blätter in den Wald4; die Finnen ,tragen Staub in die Mühle4; die Polen ,Kienäpfel in den Busch4 und ,schmieren die Speckseiten mit Fett ein4; die Slowenen ,tragen Wasser in die Drau4; die Italiener /verkaufen dem Bienenpächter Honig4 und die Bosnier ,dem Melonengärtner Gurken4 (Wander I, Sp. 904). Zur Eule machen: zum Gegenstand des Spottes machen; nur vereinzelt üblich. Ähnl. mdal. z.B. obersächs. ,zur Eule machen4, zum besten haben; rhein. ,enen för den Ü1 holde4, zum Narren halten. Er lebt wie die Eule unter den Krähen: er wird geneckt und verfolgt, wie die Eule, wenn sie sich bei Tage sehen läßt. Wer von seiner 249
Eulenspiegel Umgebung verspottet wird und doch seinen Wert hat, der heißt die Eule unier den Krähen. So schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg: „Er ist under inn’n nit anders wie ein kützlein oder ein ul under andern vögeln". Dazu ein späterer Holzschnitt Dürers. Eul' und Käuzlein zu setzen wissen: wissen, wie man eine schwierige Sache anzufangen hat, um sie erfolgreich durchzuführen. Die heute kaum mehr geläufige Rda. stammt aus der Vogelfängerei, wo man ,Lockeulen4 an den Netzen aufstellte. Der Ausdr. ,Lockeule4 war in der Lit. der Reformationszeit eine übliche Bez. des Ablassers. 1562 schreibt der Prediger Mathesius: „Darum hat der Teufel seine Eule auch hierher setzen wollen", d. h. auch hier Jagd machen wollen. Nordd. ,Da hat eine Eule gesessen1, ,da har en Ul säten4 stammt ebenfalls vom Vogelfang durch Eulen und bedeutet: es kommt nicht zu dem, was man erwartet oder beabsichtigt hat. So voll wie eine Eule sein: stark berauscht. Ein Gesicht machen wie eine Eule am Mittag: sehr verschlafen aussehen. Auf der Eule blasen: traurig werden. Lit.: Wander I, Sp. 904; R. Strömberg: Griech. Sprww. (Göteborg 1961), S. 26 f.; L. Röhr ich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.317. Eulenspiegel gehört zu den Figuren, die nicht nur Erzählungen, sondern auch Sprww. und Rdaa. auf sich gezogen haben. Die Schwankfigur Till Eulenspiegels ist heute vor allem noch in unzähligen Sagwörtern volkstümlich. Aus dem Bereich der Rdaa. seien folgende angeführt: Eulenspiegelspossen machen (oder treiben): Schabernack treiben, vor allem: einen Auftrag allzu wörtlich ausführen. Einige wenige Rdaa. spielen auf bestimmte Erzählungen des Volksbuches von Eulenspiegel an, z. B. Ermachts wie Eulenspiegel, er verleidet der Bäuerin das Mus, um es allein zu essen bezieht sich auf die 16. Geschichte des Volksbuches „wie vienspiegel ein weiß muoß alein vß aß, darumb daz er ein klumpen vß der näßen daryn ließ fallen". Ähnl. ein Sagwort aus Hamburg: ,As ’t fallt, säd Ulenspegel, so êt ik\ Etw. drastischer umschreibt ein niederrhein. Sagwort die gemeinte Situation: ,Et is derno, as et fällt, sagg Ulenspiegel, du frug öm de Wertsfrau, die en Dropp en Nas hatt, of he meteten (mitessen) wolP; variiert: ,Dat es dernor, of ek metet, sei Ulenspegel, do hatt sin Moder enen Dropp an de Nös‘. Erspielt (singt) Eulenspiegels Stück: er denkt, daß es einmal wieder anders (besser) werden wird. Eulenspiegel hatte nämlich auf seiner Violine nichts weiter gelernt als: ,Alle Dinge eine Weile4. In anderen Wndgn. ist Eulenspiegel erst später an die Stelle anderer Schwankfiguren (des Riesen oder des Teufels) getreten; schwäb. ,Du bist ein Kerl wie der Eulenspiegel, und der hat seine Mutter mit der Mistgabel zu Tode gekitzelt4. Wenn jem. ,Eulenspiegelei4 beim Nähen zu lange einfädelte, so sagte man im Egerland: ,Bist wei der Eilenspiegel. Huppst beim Fenster raus und wieder ei mit deinem longen Foden4. Hier wird auf den bekannten Schwank vom Wettnähen zwischen Schneider und Teufel angespielt. Die in Ostfriesland notierte Wndg. ,’n Knüp for de Drâd! is Ulenspegels Räd4 bezieht sich auf die Erzählung des Volksbuches, wie Eulenspiegel alle Schneider nach Rostock bestellt, um ihnen den Allerweltsrat zu geben, beim Einfädeln den Knoten nicht zu vergessen. Die Rda. ,einem den /Pelz waschen4, ihm derb zusetzen, spielt eine Rolle in Hist. 30 des Eulenspiegelbuches, wo Eulenspiegel den Frauen die Pelze waschen will. Die Rda. hat sich in diesem Fall allerdings wohl nicht erst aus der Erzählung verselbständigt; sie ist schon vor dem Eulenspiegelbuch bei Geiler von Kaisersberg bezeugt; 250
Fackeln doch der Eulenspiegelschwank realisiert sie und führt sie dadurch ad absurdum. Lit.: E. Kadler: Untersuchungen zum Volksbuch v. Ulenspiegel (Prag 1916); Meridies: Die Eulenspiegelgestalt in der dt. Dichtung (Diss. Breslau 1924); W. Hilsberg: Der Aufbau des Eulenspiegel-Volksbuches von 1515 (Diss. Hamburg 1933); W. Hofmann: Das rhein. Sagwort (Siegburg 1959); L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 250ff.; H. Roller: Eulenspiegel - Zeitspiegel (Diss. Wien 1934); M. Heller: Moderne Eulenspiegeldichtung (Diss. Wien 1940); R. Lauterbach: Die Mythisierung Eulenspiegels in der rhein. Lit. (Diss. Bonn 1952). Ewigkeit, ewig. Das dauert ja eine (kleine, halbe) Ewigkeit, sehr lange. Spaßhaft übertreibend sagt man auch Es dauert ewig und drei Tage (Jahre), z. B. meckl. ,Dat rägent jo woll ewig un drei Dag'. Der scherzhafte Zusatz ,und drei Tage' erinnert an die Zugaben, die seit alter Zeit im Rechtsleben gebräuchl. waren, z.B. ,acht Tage' für ,eine Woche',,über Jahr und Tag' (vgl. Tausend und eine Nacht' und das ,Bäckerdutzend'); sollen bei feierlichen Anlässen hundert Salutschüsse abgefeuert werden, so gibt man zur Sicherheit noch einen Schuß dazu, /dreizehn. Den ewigen Schlaf schlafen: tot sein; der hochsprachl. Euphemismus (/zeitlich) gehtauf Jer. 51, 39zurück („Ich will sie . . . trunken machen, daß sie fröhlich werden und einen ewigen Schlaf schlafen, von dem sie nimmermehr aufwachen sollen, spricht der Herr“). Das berühmte Zitat aus Schillers ,Lied von der Glocke': „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet“ ist auch in der parodierten Form volkstümlich: ,Drum prüfe ewig, wer sich bindet' (oft mit der Fortsetzung: ,ob sich nicht noch was Bessres findet'). Up ewig ungedeelt ist der Wahlspruch Schleswig-Holsteins. In der berühmten ,Handfeste', die König Christian I. von Dänemark nach seiner Wahl zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein am 5. März 1460 zu Ripen ausstellte und die fortan die Grundlage des schlesw.-holst. Staatsrechtes bildete, heißt es: „Desse vor- ben. lande laven (geloben) wy na alle un- seme vermöge holden an gudeme vrede, unde dat se bliven ewich tosamende unge- deld“. Lit.: R. Hildebrand: Vom dt. Sprachunterricht, 14. Aufl. (Leipzig 1917), S.106; Büchmann, S.48, 247, 656. Exempel /Probe. Extrawurst /Wurst. F Fach. Mitetw. zu Fache kommen: mit einer Arbeit zurechtkommen, fertig werden ; bes. in den mdt. Mdaa. verbreitet, z.B. ober- sächs. ,Mit dem komme ich nicht zu Fache', ich kann mich mit ihm nicht verständigen. Zugrunde liegt wohl die allg. Bdtg. von Fach = abgeteilter und unverschlossener Raum, wie in der Rda. unter Dach und Fach bringen (/Dach). Fach i.S.v. .Fachgebiet, Berufszweig' ist gemeint in den Wndgn.: Das schlägt nicht in mein Fach: das gehört nicht in meinen Bereich; sein Fach verstehen, ein Mann vom /öc7/(also ein Fachmann, d.h. ein Spezialist) sein. fackeln. Nicht lange fackeln: nicht zögern, keine Umstände oder Umwege machen; meist in der imperativischen Form: (nur) nicht lange gefackelt: hurtig vorwärts, nicht gezögert! Das Verbum fackeln geht zurück auf das seit dem 14. Jh. bezeugte mhd. vacklen, urspr. ,brennen wie eine Fackel', dann ,unstet sein wie das Licht einer Fak- kel, hin und her schwanken'. Die in den geistigen Bereich übertr. Anwendung läßt sich frühestens 1753 aus Regensburg nach- weisen (B. F. Nieremberger, Dt.-lat. Wb. XX lb): „Nicht lange fackeln / nihil cunctari, morari". In der Prosa des 18. Jh. erscheint die Wndg. öfters, z.B. bei Matth. 251
Faden Claudius: „Wollts nicht mit Lessing verderben. Er fackelt nicht“; oder in Schnabels ,Insel Felsenburg1: „Da ich denn nicht fackeln werde, ihm das Lebenslicht auszublasen“. In diesem fast ausschließlich verneinenden Gebrauch hat sich das Verb bis heute erhalten. Die bejahende Verwendung in Goethes ,Wandelnder Glocke1 (1813, V. 14) steht vereinzelt: „Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr, die Mutter hat gefackelt“ (= gescherzt). In den obd. Mdaa. ist das Wort ebenfalls bewahrt: schwäb. ist ein ,Fackeler* ein unruhiger Mensch; Schweiz, bedeutet ,Fack* eine leichtsinnige Dirne. Faden. Auf antike Wurzeln zurück geht die Rda.: Es hängt an einem (seidenen) Faden: die Lage ist kritisch, bedrohlich oder lebensgefährlich, griechisch éx Tpi%o<; xpepaTCU, lat. z. B. bei Ennius (Fragm. 109): ,,TotaEtruria filo pendebit“; vgl. frz. ,ne tenir qu’à un filet* ; engl. ,to hang by a (thin) thread*; ndl. ,aan een zijden draad hangen*. Nach Ciceros Bericht (Tusc. Disp. V,21,6; vgl. auch Gellerts,Fabeln*, Leipzig 1748, I, 94 f.) lud der Syrakuser Tyrann Dionys der Ältere (405-367 v.Chr.) den Höfling Damokles, der Macht und Reichtum seines Herrn gepriesen hatte, zur Hoftafel, ließ aber über seinem Kopf ein Schwert an einem Pferdehaar aufhängen, um die Gefahr zu versinnbildlichen, die auch dem Glücklichen in jedem Augenblick droht. Doch braucht unsere Rda. nicht notwendigerweise auf die antike Erzählung vom Damoklesschwert zurückzugehen, denn noch heute ist bei uns in vielen Volkssagen von dem ,Mühlstein am (seidenen) Faden* die Rede. Ebensogut kann hier die Vorstellung vom Lebensfaden mit hineinspielen, die ebenfalls schon dem griech. wie auch dem germ. Altertum bekannt ist: die Schicksalsgöttinnen spannen jedem Menschen seinen Lebensfaden und schnitten ihn bei seinem Tode durch (,einem den Lebensfaden abschneiden*; vgl. die Vorstellung vom ,Lebenslicht*). Dasselbe Bild wird beibehalten in ndl. demands levens- draad afsnijden*, frz. ,couper (trancher) le fil de la vie à quelqu’un*, engl. ,to cut the thread of a person’s life*. Ausgeschmückt begegnet uns das Bild bei Wilh. Busch: In der Wolke sitzt die schwarze Parze mit der Nasenwarze, Und sie zwickt und schneidet, schnapp!! Knopp sein Lebensbändel ab. Im Volksglauben ist die Vorstellung des Lebensfadens ziemlich selten erhalten; die Rda. wurzelt mehr in der gebildeten Schicht als im Volk. In Schnabels ,Insel Felsenburg* heißt es: „ich wüste gewiß, dasz mein Leben an einem seidenen Faden hinge**. Die Rda. vom roten Faden, der sich durch alle Ausführungen eines Redners hindurchzieht und den eigentlichen Grundgedanken meint, der alles zusammenhält, ist dagegen nicht volkstümlichen Ursprungs, sondern ein viel gebrauchtes und deshalb anonym gewordenes Zitat aus Goethes .Wahlverwandtschaften* (2. Teil, Kap. 2). Bevor Goethe sie dort zum ersten Mal anwendet, muß er einen Hinweis auf ihre Herkunft einfügen: „Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der engl. Marine. Sämtliche Tauwerke der königl. Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören. Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet**. Der hier geschilderte Brauch besteht tatsächlich seit 1776 in Englands Flotte. Goethe zitiert den ,roten Faden* noch einmal in den .Wahlverwandtschaften* (2, 4) zur Einleitung eines Stücks von Ottiliens Tagebuch: „Manches Eigene von innigstem Bezug wird an dem roten Faden wohl zu erkennen sein**. Zahlreiche Rdaa. sind von der Tätigkeit des Spinnens oder Webens abgeleitet: seinen Faden spinnen: auf seine Weise dahinleben; einen guten Faden spinnen: eine Sache gut ins Werk setzen; Was spinnt denn der für einen Faden?: Wie führt er sein Leben? Die beiden spinnen keinen guten Faden zusammen/sie vertragen sich schlecht; es geht zu Faden: es geht tüchtig und fleißig voran, auch: es geht heiß her bei einem Streite, es geht hoch her bei einem Fest; die Wndg. stammt vom Webstuhl, ebenso wie die fol- 252
Fahrt ,Einen Faden zusammen spinnen4 (,De ene rokkent wat de andere spint4) gende: zu Faden schlagen; sie bedeutet ur- spr. die Kette einrichten. Beim Schneider bedeutet die gleiche Wndg.: ein Kleidungsstück zunächst mit Heftfäden grob zusammenheften; daher auch ihre übertr. An- wendg. i.S.v.: etw. im Groben fertigmachen; den Faden haben: auf dem richtigen Wege sein, den Faden verlieren: aus dem Konzept kommen, verbunden mit Goethes ,rotem Faden4 auch: den roten Faden verlieren, den Faden wieder aufnehmen, den verlorenen Faden wieder anspinnen. Keinen trockenen Faden am Leibe haben: durch und durch naß sein. Einen nach Strich und Faden durchhauen: ihn tüchtig, gründlichverprügeln. Keinen guten Faden an etw. lassen: nur Schlechtes von etw. sagen. Die beiden letzten Rdaa. stammen aus der Zunftsprache der Weber: der Meister hatte das Meisterstück des Gesellen ,nach Strich und Faden4 zu prüfen, d. h. woraus und wie es gewebt war; fiel das Urteil hart aus, so ließ er ,keinen guten Faden4 an dem Stoff, d.h. er fand den Faden nicht gut genug. fadenscheinig4 ist eigentl. ein abgenutzter Wollstoff, an dem man die einzelnen Fäden erkennen kann, nicht vor dem 19. Jh. übertr.: fadenscheinige Gründe: Gründe, die nicht viel taugen, eine fadenscheinige Täuschung: eine Täuschung, die offen zu¬ tage liegt, eine Ausrede, die leicht zu durchschauen ist. ,Fadengerade4 heißt eine grundehrliche und offenherzige Natur, die so gerade vorwärts handelt und so gerade herausredet wie ein straff gespannter Faden. Die Rda. alle Fäden (fest) in der Hand haben stammt wohl vom Puppentheater. Da beißt keine Maus einen Faden ab ZMaus. Lit.: HdA. V, Sp. 965-967 (Art.,Lebensfaden1 v. Aly)\ R. W. Brednich: Volksglaube u. Volkserzählungen von den Schicksalsfrauen, FFC 193 (Helsinki 1964). Fahne. Zur Fahne schwören: sich zu einer gewissen Ansicht bekennen, auch: der Fahne folgen oder bei der Fahne bleiben: einer Sache treu bleiben, z. B. ndd. ,de Fahn nich verlaten4, seinem Dienst treu bleiben. Die Fahne nach dem Wind drehen: häufig seine Meinung ändern, unbeständig sein; schon im 16. Jh. bei Kirchhofer: ,,Er ist wie das Fähnlein auf dem Dach44 (ZMantel). Eine jüngere Wndg. ist eine Fahne haben: nach Alkohol riechen, wohl in Anlehnung an die Rauchfahne gebildet. fahren. Was ist nur in dich gefahren?: warum hast du dich so verändert? Diese Wndg. findet in den krankheitsdämonisti- schen Anschauungen früherer Zeiten ihre Erklärung; man glaubte, daß böse Dämonen (oder der Teufel) in einen Menschen fahren könnten und dort ihr Unwesen trieben, so daß der Behexte nicht wiederzuerkennen sei. Bei heftigem Schreck fährt der Mensch zusammen, daher das obersächs. Wortspiel ,zusammenfahren wie saure Milch4, heftig erschrecken. Aus der Haut fahren ZHaut. Lit.: L. Röhrich: Krankheitsdämonen, in: Wege der Forschung, Bd. LXIII (Darmstadt 1967), S. 283ff. Fahrt. Jem. eine Fahrt hineinmachen: ihm in die Quere kommen, stammt wohl vom Schachspiel her, denn mhd. heißt vart = Zug; die Rda. läßt sich aber auch von ./Fahrwasser ableiten. In Fahrt sein: im rechten Zug, in guter Stimmung sein; ebenso in Fahrt kommen; in Fahrt bringen: jem. aufregen, erbosen (auch mdal., z.B. schlesw.-holst. ,Den heff ik ornlich in Fahrt bröcht4, in Erregung versetzt; ,dor keem he awers in Fahrt4, da wurde er wütend). Diese 253
Fahrwasser jüngeren Rdaa. stammen sicher aus der Seemannssprache. Die letzte Fahrt antreten: seemannssprachl. für sterben. Fahrten machen: mutwillige Streiche machen und Fahrtenmacher: Witzbold, Spaßmacher enthalten wohl das Wort Fahrt in der Bdtg. ,Jagd(fahrt)\ Fahrwasser. Im richtigen Fahrwasser sein: in Schwung, in guter Stimmung sein, sein Lieblingsthema behandeln; jem. ins Fahrwasser kommen: ihm im Wege sein, jem. breites Fahrwasser gestatten: ihm freie Hand, weiten Spielraum lassen. Fahrwasser, d.h. eigentl. die Fahrrinne im Strom, wo das Schiff unbehindert fahren kann, ist aus der Schiffahrt mit Bedeutungserweiterung in die Umgangssprache übertr. worden. Faible. Ein Faible für etw. (einen) haben: eine Schwäche dafür haben; die Wndg. ist nach 1700 aus frz. ,avoir un faible pour quelqu'un1 entlehnt; im Frz. bedeuten faiblesse, faible1 = Schwäche bzw. schwach. Falke. Der Falke war im MA. ein gern gebrauchtes Bild für den ritterlichen Geliebten, der auf Taten auszieht und siegreich zur Dame zurückkehrt, am frühesten im ,Falkenlied1 des Kürenbergers: Ich zöch mir einen valken mère danne ein jär sowie bei Heinrich von Mügeln: Ein frouwe sprach: min falke ist mir enphlogen so wit in fremde lant. Ebenso noch im späteren Volkslied: Ich zempt mir einen falken vil lenger als sieben jahr. Das späte MA. kennt die Rda. den Falken streichen: dem Manne schön tun, schmeicheln. Ein Volkslied des 16. Jh. klagt über die Unbeständigkeit der Frauen: Die Falken können sie streichen Dieweil wir bei ihn’n stahn. Auch Hans Sachs sagt von einem Schmeichler: ,,er kont den falken gar wol streichen“. Ebenfalls seit dem MA. ist der Falke das Sinnbild der Wachsamkeit; so hört man noch heute in den dt. Mdaa.: Augen haben wie ein Falke, er sieht wie ein Falke. Schon in Gottfrieds ,Tristan1 (277.3) heißt es: sie liez ihr ougen umbe gän als der valke üf dem aste. Ähnl. noch bei Goethe: „Da ich gewohnt war, wie ein Falke das Gesinde zu beobachten“. Lit.: Th. Frings: und was im sîn gevidere alröt guldin, in: PBB. 54 (1930), S. 144-155; C. Weste: Das Falken - lied des Kürenbergs, in: Zs. f. d. Ph. 57 (1932), S. 209-215; P. Wapnewski: Des Kürenbergs Falkenlied, in: Euphorion N. F. 53 (1959), S.lff.; L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.322; L. Röhrich u. R. W. Bred- nich: Dt. Volkslieder II, S.336ff. Fall. Das ist mein Fall: das sagt mir zu, das paßt mir. Fall bedeutet urspr. den Fall der Würfel, später infolge von Verallgemeinerung die Art und Lage der Verhältnisse. Diese Bdtg. hat sich erst unter dem Einfluß von lat. ,casusk und frz. ,cas‘ eingestellt. Knall und Fall /Knall. Die Rda. ein hoffnungsloser Fall sein bezieht sich wohl urspr. auf die Verhandlung vor Gericht, bei der kein Erfolg oder Freispruch zu erwarten ist. Falle. Jem. eine Falle stellen: ihm auf hinterlistige Weise nachstellen, ihn ins Verderben zu locken suchen; auch einen in die Falle locken, er ist in die Falle gegangen; ndl. ,He loopt in de val\ meckl. ,Dee lett sick nich in de Fall krigen\ er läßt sich nicht übertölpeln. Alle diese Bilder sind von der Tierfalle genommen. Die Falle ist eigentl. nur die Klappe, die niederfällt, wenn die Maus den Fangbrocken berührt; später ist das Wort dann auf das ganze Gerät übertr. worden. Thomas Murner wendet 1512 den Ausdr. in der ,Schelmenzunft‘ (Kap. 25) auf die Kaufleute an, bei denen das beste Stück, das sie oben auflegen, der Speck an der Falle sei (/Ausbund): Wer nit schmieren kan eyn fall, Mit hunig streichen gifft und gall . . . Saur mit sieß vermischen kan: Der kum in die meß gon Frankfurt gan, Do lernstu wol des kouffmans dandt. Wie mans treibt in allen landt... Wie kan der ietz eyn kauffman seyn, Der seyn fall nit rieht doreyn Und streicht das speckly vornan dran, Do mit man narren fohen kan? Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 316, 321. 254
Fass Fallstrick. Jem. Fallstricke legen: jem. zu einem unvermuteten Fehltritt verleiten, wodurch ihm Schaden entsteht. Die Fallstricke waren im älteren Jagdwesen eine aus Stricken hergestellte Wildfalle, in der sich die Jagdtiere verfingen. Der bildl. Gebrauch rührt von Luther her, der 1523 in seiner Bibelübers. die Beschreibung des Nilpferdes in Hiob 40,19 so beschließt: „durch Fallstrick durchboret man yhm seyne Nasen“. In Luk. 21,35 heißt es vom Jüngsten Tag: „wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen“. Die Rda. selbst begegnet zuerst im 16. Jh„ z.B. in Rollenhagens ,Froschmeuseler4 (2, 23). /Garn. lit.'.L, Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.316. falsch tritt häufig in sprw. Vergleichen auf, etwa: falsch wie Judas, falsch wie eine Katze, schwäb. falsch wie Bohnenstroh; am verbreitetsten ist falsch wie Galgenholz (/Galgen). Da kommst du an den Falschen!: Da bist du an den Unrechten geraten, du irrst dich in mir, du sollst mich mal kennenlernen! Ein falscher Fünfziger /Fünfziger. Farbe. Farbe halten: treu, beständig sein, ist zunächst von gefärbtem Tuch gesagt worden, das auch in der Wäsche die künstliche Farbe behält. Dann aber bald in übertr. Bdtg., so in der ,Zimmerischen Chronik1 (11,253): „die königin, wie wol sie erzürnt, so hielt sie doch färb, erhielt den König beim Leben“. 1639 heißt es bei Lehmann S.88 (Bestehen 18): „Was Farben halten soll, muß man etlich mal tuncken“, und auf S.815 (Unbeständigkeit 2): „Mancher hält nicht Färb. Ist ein Wetterhan, der sich mit allem wind umdrehen läßt. Wetterwendisch . . .“ F. von Logau dichtet: Pferde kennt man an den Haaren, Kleider künnen offenbaren, Wie des Menschen Sinn bestellt Und wie weit er Farbe hält. Der urspr. Sinn der Rda. verblaßt, z. B. bei Schiller (.Wallensteins Tod1 IV, 2): Vom Staube hat er manchen aufgelesen, Zu hoher Ehr’ und Würden ihn erhöht Und hat sich keinen Freund damit, nicht einen Erkauft, der in der Not ihm Farbe hielt. Reden wie der /’Blinde von der Farbe: nichts davon verstehen, die Wndg. ist zuerst 1524 in J. Oldecops ,Hildesheimer Chronik4 belegt: „reden also der Blinde von der Farve“. Schwäb. ,von der Färb schwätze4, unverblümt die Wahrheit sagen. Aus dem Kartenspiel stammen Farbe bekennen: seine Meinung offen darlegen, eigentl.: die von den anderen geforderte Farbe aus der eigenen Hand nachspielen; mit der Farbe herausrücken: seine wahre Gesinnung zu erkennen geben; nicht mit der Farbe herauswollen: mit der Wahrheit hinter dem Berge halten, nichts gestehen. Bismarck hat diese Wndgn. gern in seinen Reden benutzt: „Wir werden jedes Mittel anwenden, um Sie dahin zu bringen, daß Sie cartes sur tables spielen und Farbe bekennen müssen vor Ihren Wählern“ (Reden XI, 82). Fasnacht. In verschiedenen Rdaa. des Rheinlandes und Süddtl.s spielt die alte Fasnacht eine Rolle, z.B. schwäb. ,zu spät (hinter drein) kommen wie die alte Fasnacht4; ähnl. im Saargebiet: ,Er kommt henneno (gefozt) wie die alt Fasenacht4, zu spät; ebd. ,aussehen wie die alt Fasenacht4 u.ä. Wndgn. Die ,alte Fasnacht4 war urspr. die Bez. für den Sonntag Invokavit und damit für den letzten Tag der Fastnachtszeit. Nachdem aber durch das Konzil von Bene- vent 1091 der Beginn der österlichen Fastenzeit auf den Aschermittwoch vorverlegt wurde, war an Invokavit jegliche Lustbarkeit untersagt, und wer an diesem Tag tanzen wollte, kam zu spät. Lit.: Fasnacht. Beitr. des Tübinger Arbeitskreises für Fasnachtsforschung, in: Volksleben 6 (Tübingen 1964); K. Meisen: Namen und Ursprung der Fastnacht, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 17/18 (1966/67), S. 7-47. Faß. Das schlägt dem Faß den Boden aus: das macht das Maß voll, das treibt die Sache auf die Spitze, setzt ihr die Krone auf (daher die beliebte Verballhornung Das schlägt dem Faß die Krone ins Gesicht, eigentl. eine Vermischung aus drei verschiedenen Rdaa.). Gemeint ist, daß der Böttcher die Reifen so stark aufschlägt, daß dem Faß der Boden ausgeht. Schon 1523 ist aus Königsberg belegt: „Der dem vaß den bodemb wolt ausstossen“. 1534 heißt es bei Luther in der Übers, von l.Kor. 15: 255
Fassbinder „denn stosse nur vollend dem Faß den Boden aus vnd sage, das kein Aufferstehung, kein Himel noch Hell, kein Teuffel noch Tod noch Sünd sey". Ähnl. 1639 bei Lehmann S.302 (Gesundheit 20): „Mancher treibt eins vmbs andre so lange, bis dem Faß der Boden ausgehet". Auch die ,Zimmeri- sche Chronik' (I, 376) kennt die Wndg.: „Noch hat der unfahl nit ain ort, sonder mußt dem kibel den boden gar uszstoßen“. Das Faß Zuschlägen: eine Sache erledigen, mit dem Nebensinn: nicht mehr davon sprechen wollen. Dabei ist urspr. wohl wie in der vorangehenden Rda. an das Faß als Packgefäß gedacht. Ein Faß ohne Boden sein: einer, dem man immer wieder Geld geben muß. Es ist vergebliches Tun und Verschwendung, wenn man es zu füllen sucht, es nimmt alles in sich auf, aber es zeigt sich kein Erfolg, wie bei dem ,Faß der Danaiden', das einen zerlöcherten Boden hatte (/Danaiden). Nach dem Faß schmecken: seine Herkunft, seinen Urspr. verraten, übertr. z.B. in Scri- vers ,Seelenschatz' (2737): „alle anderen Lehren schmecken nach dem Faß", ähnl. bereits bei Luther. Diese Rda. bezieht sich auf das Weinfaß. Etw. im Fasse haben: etw. in Vorrat, in Bereitschaft haben, vom Pökelfaß hergeleitet, z. B. in Joh. Fischarts ,Bienenkorb' : „als ob die lieben heiligen nicht auch ein gut wort im fasz hetten". Davon abgeleitet: noch etw. miteinander im Fasse haben: noch miteinander abzurechnen haben; er hat noch etw. im Faß liegen: er muß noch für etw. büßen (/Salz); auch mdal. verbreitet, z.B. rhein. ,Du hes noch wat bi mek in’t Fass', du hast noch etw. auf dem Kerbholz. Deutlich ist die Herkunft vom Pökelfaß bei der ostfries. Wndg. ,Dat is noh lange nich int Fatt, wart suren soll', die Sache ist noch nicht spruchreif, ähnl. rhein., aber in bezug auf das Butterfaß, ,Et es noch nit in’t Fass wor et in bottere sali'. Das Bierfaß ist gemeint in der von Bismarck wiederholt gebrauchten Rda. das Faß angestochen haben: einen Gegenstand zur Sprache gebracht haben. Die schlesw.-holst. Wndg. ,ein anderes Faß anstechen' meint: das Thema (beim Kartenspiel: die Farbe) wechseln. ,Du hast noch kein Faß Salz mit ihm gegessen' (schwäb.), du kannst ihn noch nicht beurteilen (/Salz). Lit.: L. Röhrich: Gebärde-Metapher-Parodie (Düsseldorf 1967). Faßbinder. In Mittel- und Norddtl. finden sich rdal. Vergleiche wie: zechen wie ein Faßbinder, laufen wie ein Faßbinder, arm dran sein wie der ärmste Faßbinder (vgl. Müller-Fraureuth I, 316b, Wossidlo-Teu- chert II, 822). Ein Faßbinder mußte früher tüchtig laufen, wenn er das gefertigte Faß auf der Straße zum Besteller rollte; laufen mußte auch ein unzünftiger Böttcher, der sich nur mit dem Ausbessern alter Fässer beschäftigte, bis er seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Von diesem Vergleich sind die anderen wohl später abgezweigt. Fasson. Aus der Fasson geraten (kommen): die gute Form verlieren, dick werden. Fasson ist nach dem 12. Jh. aus frz. façon = Verarbeitung entlehnt worden und in den Mdaa. weit verbreitet, z.B. rhein. ,enen ze Fassong brenge', ihn zur Vernunft bringen; obersächs. ist eine wortspielerische Vermischung mit ,Fassung' eingetreten: ,Er kommt aus der Fasson', er ist erregt. Jeder kann nach seiner Façon selig werden gilt - meist in dieser Form - als Ausspruch Friedrichs des Großen, obwohl das Zitatbewußtsein heute nicht mehr allg. vorhanden ist. Am 22. Juni 1740 berichteten Staatsminister v. Brand und Konsistorial- präsident v. Reichenbach an Friedrich II., daß wegen der röm.-kath. Soldatenkinder, bes. zu Berlin, röm.-kath. Schulen angelegt wären, die zu allerlei Unzuträglichkeiten geführt, namentlich aber Gelegenheit dazu gegeben hätten, daß wider des Königs ausdrücklichen Befehl aus Protestanten 256
Faust röm.-kath. Glaubensgenossen gemacht worden wären. Dies habe der Generalfiskal berichtet. Sie fragten nun an, ob die röm.- kath. Schulen bleiben oder welche andere Antwort sie dem Generalfiskal geben sollten. Der König schrieb an den Rand: ,,Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abtrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden“ (A. F. Biisching:Charakter Friedrichs II., Königs von Preußen, Halle 1788, S. 118; weitere Parallelen dieses Wortes in der Welt-Lit. vgl. Büchmann, S.667L). faul, Faulheit. Vor Faulheit stinken: arbeitsscheu sein; Wortspielerei mit den verschiedenen Bdtgn. des Wortes faul; vgl. Er ist so faul, daß er stinkt; stinkfaul; stinkend faul. Faulheit laß los! sagt man bes. dann, wenn man sich faul hin und her rekelt, als ob man mit der Faulheit ringe. So faul wie Mist, so faul wie Galgenholz: sehr faul. Der Faule wird in den Mdaa., z.B. in Schwaben, in mancherlei Weise umschrieben; man sagt von einem solchen Menschen: ,Dear ma(g) net geara dicke Brettla boahra4; ,dear ma(g) koi dicke Strick a’reißa4; ,dear tat geara schaffa, aber was bei de Ärmel nausguckt, ma(g) nix tua4; ,dear isch geara dau, wau scho g’schafft isch, aber no it gessa4; ,dear goht d’r Arbet am liabschta aus ’m Weag4; ,dear tat am liabschta d’r Arbet mit d’r Leich gauh4; ,dear g’heart zu deane, dia wo lauter roate Tag im Kalender hau möcht V; ,deam war’s recht, wenn's all ander Tag Sommte war und d’Wuch no a paar Feirte hätt4; ,deam sei liabschta Arbet isch: a verreckt’s Goißle hüata em a ei’gmachta Zau4; ,dear isch so faul, daß ’m ’s Broat im Maul dinn ver- schimmlat4; ,dear isch z’faul, daß T ’s Maul aufmacht4; ,dear isch z’faul zom Schnaufa4; ,dear isch zom Essa z’fauP; ,dear isch z’faul, daß ’r stinkt4. Nicht faul sein i.S.v. schnell bereit zu etw., findet sich bereits in der ,Ehrlichen Frau Schlampampe4 (S.73, 85): ,,Claus ist sonsten nicht faul, Er klopft dich . . .44 Wir brauchen heute die Rda. in appositioneller Kürzung: z.B. ,Er aber, nicht faul, zog den Degen4. Es ist etw. faul im Staate Dänemark, ist eine Zitatübers. aus Shakespeares ,Hamlet4 (I, 4): „Some thing is rotten in the state of Denmark44. Lit.: T. R. K. A. Rose: Ein fauler Kopf, ein faules Ei. Sprichwortsammlung rund um die Faulheit, in: Dt. Bergwerkszeitung (Essen 1927), Nr. 226, S.8; G. Breuer: Der Faule im Volksmund, in: Rur Blumen (Jülich 1941), S.64. Faust. Es paßt wie die Faust aufs Auge: es paßt nicht zueinander; ähnl. schon bei Luther, z.B. in der Auslegung von 2. Mos. 1 : „Es reimt, wie eine Faust auf ein Auge44; 1531 in Seb. Francks ,Chronik4 (336b): „das yr kirch der . . . gantzen Bibel eben so gleich sieht, als ein Faust einem Aug“. Bei Abraham a Sancta Clara (,Reim dich4 231) heißt es: „Ein guter Soldat muß sich reimen, wie ein Faust auff ein Aug44. Lehmann 823 (,Ungereimbt4 1)-schreibt: „Von widrigen vngereimbten Dingen pflegt man zu sagen: Es reumt sich zur Sach, wie ein altes Weib zur Haasenjagt. Wie ein Muschel zum Jacobsmantel. Wie ein Igelshaut zum Küssen. Wie ein Storcken Nest eim Gans Kopff zum Hut. Wie ein Pflug zum Fischergarn44. In des Schlesiers Daniel Stoppe ,Teutschen Gedichten4 (1722) heißt es von alten Weibern: Die schicken sich zur Liebes-Pflicht Beynahn wie die Faust aufs Auge, Wie braunes Wurtzner Bier Und Seiffensiederlauge. Vgl. frz. ,Cela rime comme hallebarde et miséricorde4, engl.,That’s as fit as a shoulder of mutton for a sick horse4, ndl. ,Dat slaat als een tang op een varken4. Sich ins Fäustchen lachen: schadenfroh, verschmitzt lachen, eigentl. verbunden mit einer Gebärde: heimlich hinter der vorgehaltenen Hand lachen. Die Rda. ist seit frühnhd. Zeit belegt, z.B. in den Fastnachtsspielen: „Der teufel in sein feustchen lacht44; bekannt geworden ist sie dann vor allem durch Luther, der die Rda. in Sir. 12,19 benutzt: „Seinen Kopff wird er schütteln, vnd jnn die Faust lachen, dein spotten vnd das Maul auffwerffen44. 1512 verwendet Murner in der ,Narrenbeschwörung4 (19,49) den Ausdruck: „durch syne finger lachen44 (/Finger). Bei dem Predi- 257
Faxen ger Mathesius heißt es: „vergießen unschuldig blutund lachen darzu indie faust44. Vgl. ndl. ,in zijn vuistje lachen4; frz. ,rire dans sa barbe, sous cape‘; engl. ,to laugh in one's sleeve4 und schon lat. ,in sinu gaudere4 (sich im Bausch des Gewandes, im stillen freuen). Von der Faust weg: ohne Umstände, aus freier Hand, erinnert an die alte Tischsitte, ohne Messer und Gabel zu essen; berl. ex faustibus essen, wohl eine aus student. Kreisen herrührende Wndg., wobei an ein Butterbrot zu denken ist. Mit der Faust auf den Tisch schlagen: sich energisch und rücksichtslos Gehör verschaffen, indem man grob gegen die Anstandsregeln verstößt. Die Faust in der Tasche (im Sack) machen: eine Drohung nicht laut werden lassen. Auf eigene Faust handeln: auf eigene Verantwortung. Es faustdick hinter den Ohren haben /Ohr. Faxen. Faxen machen: Streiche, Späße, Possen und Scherze in Worten und Gebärden machen; Grimassen schneiden; in den Mdaa. weit verbreitet. Zugrunde liegt das lautmalende Verbum fickfacken = sich hin und her bewegen, davon abgeleitet die Substantiva Fickesfackes, Fiksfaks, Fackes, Facks = Posse, loser Streich. Seit dem Ende des 18. Jh. ist der Plur. Faksen, Faxen auch als schriftsprachl. anerkannt. Fazit. Das Fazit ziehen: das Gesamtergebnis feststellen; ein alter Ausdr. des Rechenunterrichts. Schon seit dem 14. Jh. ist aus lat. Rechenbüchern ,facit4 = es macht, geläufig. Mitte des 15. Jh. ist es zu Fazit = Ergebnis, Summe substantiviert worden. Durch die gedruckten Rechenbücher seit dem Ende des 15. Jh. wird der neue Begriff verbreitet und volkstümlich. Im 16. Jh. dringt er auch in die Lit. ein; in der Beschreibung des Dreißigjährigen Krieges von B. Ph. von Chemnitz (Theil IV, 272b) heißt es: „hatte sein facit auf die baieri- schen gemacht“. Übertr. erscheint die Wndg. seit dem 17. Jh., z. B. 1669 bei Grimmelshausen: „Zuletzt kam das Facit über den armen Simplicium herauß“ ^Simplicissimus4, Ndr. S. 80). Gleichen Urspr. ist ,die Probe aufs Exempel machen4. fechten. Fechten gehen: betteln gehen; im ausgehenden MA. hatten sich die Handwerker vielerorts zu Fechtgesellschaften zusammengeschlossen, um sich im Gebrauch der Waffen zu üben. Viele Handwerksburschen zogen im Lande umher, zeigten ihre Kunst im Fechten und erwarben damit ihren Lebensunterhalt. Da sie auf Gaben der Zuschauer hofften, nahm der Ausdr. fechten die Bdtg. ,betteln4 an, und die wandernden Handwerksburschen wurden auch ,Fechtbrüder4 genannt. Diese Erklärung des Ausdr. wird bestätigt durch ein Zeugnis aus dem Jahre 1663 (J. Praetorius, ,Mägdetröster4, S.99): „Würde für betteln das Wort garten, fechten, umb Reuterzehrung ansprechen nicht aufgebracht sein, es würden so viel liederliche Gesellen, als sonderlich lose Handwerksbursche nicht faulenzen oder ostiatim (,von Tür zu Tür4) gehen44. Ebenso wie die Handwerker zogen auch entlassene Söldner, die nicht sofort wieder angeworben wurden, von Dorf zu Dorf und zeigten für Speise und Trank ihre Fechtkünste. In der Schweiz sagt man noch heute von einem walzenden Gesellen: ,Die halbi Zit ficht er und die andri duet er bettle4. Von einem, der bes. gut zu fechten versteht, heißt es rhein. ,Derfech dem Düvel en Ben af4. Das Fechten der Handwerksburschen wurde zu Beginn des vorigen Jh. behördlich untersagt; vgl. eine meckl. Verordnung aus dem Jahre 1801: „auch soll ferner das Fechten der Handwerksbursche solchergestalt hie- mit abgestellet sein . . .“. Feder. Sich mit fremden Federn schmücken: sich anderer Verdienste zueignen, mit fremdem Gute prahlen; schon lat. ,alienis se coloribus adornare4; ähnl. auch in vielen anderen europ. Sprachen verbreitet. Die Rda. geht auf die Fabel des Phaedrus (1,3) von der Krähe zurück, die sich mit Pfauenfedern schmückte (AaTh. 244). Die Fabel ist lit. sehr verbreitet. Schon in der ersten Hälfte des 13. Jh. verfaßte der Stricker die Versdichtung ,Der Rabe mit den Pfauenfedern4. 1639 heißt es bei Lehmann S. 15 (Ampt 48): „Man muß einmal der Hatzel (d.i. Elster) die entlehnten Federn aus- rupffen“. Lessings Fassung der Fabel: ,Die Pfauen und die Krähe4 lautet: „Eine stolze 258
Federlesen Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfaue und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzenden Vögel der Juno. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betrügerischen Putz auszureißen. - ,Lasset nach!4 schrie sie endlich, ,ihr habt nun alle das Eurige wieder*. Doch die Pfaue, welche einige von den eignen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: ,Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein!4 - und hackten weiter44 (Fabeln, 2. Buch, Nr.6, 1759). Federn lassen: Schaden erleiden, vom Bild des Geflügels, das in einer Falle oder Schlinge gefangen ist und bei der Befreiung Federn verliert; im ähnl. Sinn: ,Haare lassen4 (/’Haar) und ,Wolle lassen4 (/Wolle). 1538 bei Luther: ,,sie besorgen doch, wo es zum concilio kerne, sie müsten fedder geben oder har lassen44. Bei Hans Sachs: war ist das alt Sprichwort, das redt, wer mit heillosen Leutn umbgeht, dem geht es auch heillos dermaßen, er muß ein federn hindr im lassen. Dann auch positiv: jem. eine Feder ausrupfen: ihn betrügen, schädigen, übervorteilen. Bei Abraham a Sancta Clara (,Sterben und Erben4 13): ,,Als die grassirende Pest der kayserlichen Residenz-Stadt ziemlich die Federn ausgeropft“. Mdal. in Meckl. ,sick bi de Feddern krigen4, in eine Schlägerei geraten. Jem. eine Feder durch die Nase ziehen: ihn belügen, ihm etw. aufbinden; belegt bei Andreas Gryphius: „der herr verzeihe mir, der ihm gesaget, daß wir ihm seine fräulein entführet, hat ihm eine greuliche feder durch die nase gezogen44. Federn in den Wind schütten: Sinnloses tun. Die hess. gebräuchl. Frage Wo wird er seine Federn hinblasen?: wohin wird er ziehen? hat ihre Wurzel in dem Volksglauben, die Richtung der Wanderschaft durch eine in die Luft geblasene Feder bestimmen zu lassen; dies wird schon 1580 in der ,Bayer. Chronik4 (98b) des J. Aventin bezeugt: „Es ist auch sonst ein gemein Sprichwort vorhanden, das gemeiniglich die jenigen brauchen, so frembde Land bauwen wollen oder sollen, die sprechen gern: Ich wil ein Feder ,Federn in den Wind schütten' auffblasen, wo dieselbig hinauß fleucht wil ich nachfahren“; vgl. den Eingang von KHM. 63 ,Die drei Federn4: Der König bläst drei Federn in die Luft und schickt seine Söhne nach den drei Richtungen, die sie einschlagen, in die Welt (vgl. L. Röh- rich: Märchen und Wirklichkeit, 2. Aufl. Wiesbaden 1964, S.103L). In einigen Rdaa. wird der Mensch mit einem Vogel verglichen: ohne Federn fliegen wollen: eXw. wagen, wozu die Mittel fehlen; fliegen wollen, ehe die Federn gewachsen sind, schon im 14. Jh. in der ,Theologia deutsch4, Kap. 13, und mhd. ,ungevëder fliegen4; mit fremden Federn fliegen: mit fremder Hilfe. Die Bettfedern sind in folgenden Rdaa. gemeint: von den Federn aufs Stroh kommen: verarmen; dagegen obersächs. ,zu Federn kommen4, zu Wohlstand gelangen; scherzhaft nach Federnhausen gehen, sich zu seinen Federn versammeln (Wortspiel mit ,Vätern4): zu Bett gehen; ebenso auf den Federball gehen; nicht aus den Federn kommen: lange, schlafen. Lit.: M. Fuchs: Die Fabel von der Krähe, die sich mit fremden Federn schmückt, in der abendländischen Lit. (Diss. Berlin 1886); K. Doderer: Fabeln. Formen, Figuren, Lehren (Zürich und Freiburg i. Br. 1970); A. Taylor: As Light as a Feather, in: Folklore Research Center Studies, Bd.I (Jerusalem 1970), S. 95-96; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.320. Federlesen. Nicht viel Federlesens machen: nicht viel Umstände machen; ähnl. gebraucht wie die Wndgn. ,kurzen Prozeß machen4, ,kurze fünfzehn machen4, ,kurze Geschäfte machen4, ndl.,körte metten machen4. Schon im MA. galt es als niedrige und kriecherische Schmeichelei, Höherge- 259
Federlesen ,Federn lesen1 - ,Honig ums Maul schmieren4 stellten die Federchen von den Kleidern zu lesen, die ihnen angeflogen waren. Daher die ältere Rda. einem die Federn lesen (oder klauben): ihm schmeicheln, ihm gefällig sein; z.B. bei Luther: ,,ein Übertreter und schalksheilige kan fedder lesen und ohren krawen, reden und thun was man gern höret“. Dazu die Spott- und Schimpfworte spätmhd. vëderklûben = heucheln; frühnhd. Federklauber, Pflaumenstreicher = Schmeichler, Heuchler. Im 15. Jh. heißt es in einem Fastnachtsspiel: „Du Federklauber, Orenkrauer“; bei Sebastian Franck (I, 236a): ,,Liebkoser vnnd fäeder- leser, die jren herren die oren melckend, lupffend vnd vnder alle eilenbogen küßlin schübend“; Geiler von Kaisersberg zählt auf: ,,adulatores nominantur multis nominibus: Den falwen hengst streichen: kutzen Streicher: kreidenstreicher: federleser: Schmeichler“. In einem Holzschnitt von Hans Weiditz finden wir alle für die Schmeichler sprw. gewordenen Tätigkeiten zusammen abgebildet. Der Patrizier, der sich selbst beurteilt nach dem, was andere ihm sagen, steht selbstbewußt in der Mitte des Bildes. Die goldene Kette um seine Schultern ist sehr dick, der Rosenkranz, der seine Frömmigkeit dartun soll, ist riesig. Vor ihm steht der junge Mann, der ihm ,das Hälmchen streicht4, ihm also ,Honig ums Maul schmiert4, der eine große Zahl von Insekten anlockt, d.h. von weiteren Schmarotzern, die seinen Kopf umschwirren. Links neben dem umschwärmten Würdenträger sehen wir einen Mann, der, sich in tiefem Bückling niederbeugend, mit 260
Feierabend seiner Linken dem Patrizier den Rücken streichelt und mit der Rechten Federn von dem Boden liest. Es ist der sprw. ,Faltenstreicher4 und ,Federleser4 (vgl. Fraenger: Altdt. Bilderbuch, S. 113). Später sah man dann das Federlesen als närrische Tätigkeit an, z.B. heißt es bei Geiler in den Predigten über Sebastian Brants ,Narrenschiff4: ,,Wann der Narr neben ir sitzet, so lieset er ir heimle oder fe- derlin ab44. An seinem Rock kein Fläum- chen oder Fäserchen zu dulden, war ein Zeichen übertriebener und lächerlicher Sauberkeit; Federlesen erhält also den Sinn von ,unnützer Zeitverschwendung4, was zum heutigen Sinn der Rda. führt: nicht viel Umstände machen. Schon in der ,Flöhhatz4 Joh. Fischarts ist sie 1577 belegt: „Vnd machen nicht vil federlesens44. Der nach viel berechtigte Genetiv tritt verschiedentlich auch auf, wo er überflüssig ist, z.B. in den Gedichten A. F. E. Langbeins (Bd.2, 1813, S.86): ,,Was macht ihr nun so lange Federlesens?44 oder in Thomas Manns Roman ,Lotte in Weimar4 (Frankfurt a.M. 1947, S. 168): „. . . von nüchtern resolutem Verstände, der kein Federlesens machte44. Richtig dagegen bei Goethe im ,Westöstlichen Diwan4:,,Nicht so vieles Federlesen!“ Mdal. erscheint das Wort auch mit Bedeutungswandel, z.B. meckl. ,Met em is keen got Fedderläsen4, mit ihm ist nicht zu spaßen. Im allg. tritt die Rda. jedenfalls nur in der verneinenden Form ,nicht viel Federlesen^)4 auf, so auch in Schillers ,Fiesko‘ (V, 10). Lit.: A. Kuntzemüller: Zur Gesch. des substantivierten Infinitivs im Nhd., in: Zs. f. dt. Wortf. 4 (1903), S. 58-94. Fehdehandschuh. Einem den Fehdehandschuh hinwerfen (auch vor die Füße werfen): mit ihm Streit anfangen. Die Rda. beruht auf der alten Sitte, daß sich Ritter zum Zeichen der Herausforderung zum Kampfe einen Handschuh vor die Füße warfen, was als Sinnbild eines Schlages galt, den auszuführen von der ritterlichen Sitte verboten war. So z.B. in Gottfried von Straßburgs ,Tristan4 (V. 6458f.). Sînen hantschuoch zöh er abe, er bot in Morolde dar. Im 18. Jh. ist die alte Vorstellung durch ge¬ lehrten Einfluß neu belebt worden; 1789 gebraucht Schubart den Ausdr. Fehdehandschuh4 als Überschrift einer Zeitungsanzeige in der ,Vaterlandschronik4 (424), und Schiller wendet die Rda. im ,Tell4 (III, 3) an: Und ständet ihr nicht hier in Kaisers Namen, Den ich verehre, selbst wo man ihn schändet. Den Handschuh würf ich vor euch hin, ihr solltet Nach ritterlichem Brauch ‘mir Antwort geben. In neuerer Zeit lautet die Rda. gewöhnlich den Handschuh aufnehmen. Vgl. frz. Jeter le gant à quelqu’un4 bzw. ,relever le gant4; engl. ,to throw down the glove4 bzw. ,to take up the glove for a person4; ndl. Jemand de handschoen toewerpen4 und ,de hand- schoen opnemen voor iemand4. Das Auf- nehmen des Handschuhs spielt auch in Schillers Gedicht ,Der Handschuh4 eine Rolle. In der ältesten frz. Quelle dieses Stoffes wirft der Ritter am Schluß den Handschuh vor die Dame und antwortet mit einer Herausforderung. Das Aufheben des Handschuhs war das Zeichen der Annahme des Kampfes; daher die Wndg. den Handschuh auf heben: die Herausforderung annehmen. Bismarck sagte in einer seiner Reden: ,,Ich habe noch nie einen Handschuh liegen lassen, den mir einer hingeworfen hat“. Feierabend. Feierabend machen: auf hören zu arbeiten, am Abend die Arbeit einstellen, dann allg.: eine Beschäftigung nicht weiter fortsetzen. Die Rda. ist aus der Handwerkersprache allg. geworden und früh in übertr. Bdtg. angewendet worden. Bei Gerlingius heißt es 1649 unter Nr. 23 seiner ,Sylloge adagiorum4: ,,Ego meum pensum absolvi. Ich hab’ außgespunnen. Ich hab’ feyerabend“. Grimmelshausen hat 1669 die Wndg. ins Boshafte verschoben: „da ich allerdings Feyraband gemacht hatte44 (,fertig war mit Stehlen4; Simplicissimus4 Bd. 1, S.237). In den dt. Mdaa. bedeutet Feierabend machen heute vielfach ,sterben4, z.B. meckl. ,Dor mök he Fierabend4, da starb er; derber Jetzt hat der Arsch Feierabend4, jetzt ist es aus. 261
Feige Feige. Einem die Feige weisen (zeigen): ihn höhnisch zurückweisen, ihn derb verspotten. Unter der Feige ist in dieser Rda. die geballte Faust zu verstehen, aus der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger dem verachteten Feinde entgegengestreckt wurde. Diese im ganzen Abendland bekannte Handgebärde wird eindrucksvoll in einer Federzeichnung Albrecht Dürers von 1494 dargestellt, die sich in der Albertina in Wien befindet. ,Die Feige weisen1 Aus der griech. Antike ist über die Feige als Spottgebärde nichts bekannt, doch die Römer der Kaiserzeit wendeten sie bereits an. Bes. viele Belege für das Weisen der Feige (,far la fica") sind seit dem 13. Jh. aus Italien überliefert. Dante gibt an mehreren Stellen seiner Werke über die Anwendungsweise dieser Geste Auskunft, gegen die sogar Verbote erlassen werden mußten, weil sie als äußerst grobe Beleidigung galt. Die rdal. Wndg., die eng mit der Gebärde verbunden ist, erscheint auch in anderen europ. Ländern, z. B. in Spanien (,dar figas1), Portugal (,dar huma figa"), Frankreich (,faire la figue") und in Holland (demand de vijg geven"). In Engl, heißt die Geste ,give the fig". Shakespeare brauchte die Wndg. häufig, z.B. in ,Wives of Wind¬ sor" sagt Merry: „A fico for the phrase“. Ebenso ist die Feige als Hohn- und Spottgebärde bei den Slawen, in Nordafrika und Kleinasien bekannt; bei den Ostjuden ist sie Zeichen der Geringschätzung oder Abweisung. Die erste Nachricht für das Weisen der Feige in Dtl. findet sich in der Chronik des Heinrich von Erfurt für das Jahr 1178: „Ab antiquissimis temporibus probosum fuit digitum alicui per modum ficus ostendere“. Im Mhd. ist der Ausdr. ,die vigen bieten" bezeugt. Jedoch ist noch im 16. Jh. die Herkunft der Geste aus den roman. Ländern bekannt, wie aus einer Stelle in Thomas Murners ,Gäuchmatt‘ (102) hervorgeht. Wo ich ein klagt der narrheit an, der wolts für ein groß eren han, und bot mir ein welsche Figen dran. Ähnl. in Joh. Paulis ,Schimpf und Ernst" (1552): „Vnnd zeiget jhr die feigen, nach gewonheyt der walchen, da sie den Daumen durch zwen finger stossen, das heysst ein feyg“. In der dt. Lit. wird seit dem ausgehenden MA. die Feige als Hohn-, Wut- und Spottgebärde dann erwähnt, wenn das ungehörige Benehmen pöbelhafter, ungebildeter Personen charakterisiert werden soll, bes. in Schwänken, Landsknecht- und Landstörzerbeschreibungen, bei Schilderungen des ländlichen Treibens, aber auch im Volkslied. Eine Fülle von weiteren Belegen für Gebärde und Rda. bieten die Fastnachtsspiele, Schriften von Luther, Seb. Franck, Joh. Fischart, Hans Sachs und Grimmelshausen. Die bildl. Darstellung der Geste erfolgte im späten MA. vor allem bei der Verspottung Christi nach der Dornenkrönung. Der Wortgebrauch ist heute noch spürbar in mdal. Versionen wie hinein den Daumen stecken" oder oesterr. ,Ja Feign!", ein Zuruf, der einer höhnischen, herausfordernden Verneinung und Abweisung gleichkommt. Nicht einmal eine Feige wert sein oder keine Feige um etw. geben: nichts wert, völlig bedeutungslos sein; nicht das Geringste für etw. (jem.) geben wollen. Diese Rdaa. sind eine Umschreibung für nichts und drücken den höchsten Grad von Verachtung und Geringschätzung aus. Vgl. engl. ,1 don’t care a fig for it". 262
Feld Eine Feige machen: im verborgenen, meist heimlich in der Tasche oder unter der Schürze, eine abwehrende Geste gegen den bösen Blick und schadenbringende Dämonen machen. Diese Vorstellung von der Feigengeste als apotropäisches Mittel findet sich seit der Spätantike, aber auch im babylonischen Talmud und im abendländischen kabbalistischen Schrifttum. Einen frühen Beleg gibt Ovid (,Fasten* 5, 433): ,,signaque dat digitis medio cum pollice iunctis / occurrat tacito ne levis umbra tibi“. Sonst finden sich im abendländischen Schrifttum erst spät weitere Nachrichten über die Feige als apotropäische Geste. In Giovanni Battista Basiles Märchensammlung ,Pentamerone* (1674) heißt es in der 5. Ekloge von ,Terpsichore*: Frate, le voglio fare Na bella fico sotto a lo mantiello, Azzo che lo mal ’nocchio no la pozza. Noch heute wird die Feigengeste in Italien, Spanien, Serbien, England und Schottland als übelabwehrend angesehen, in England gilt sie als bes. wirksam bei jeder Art von Zauberei. Hielt man in Dtl. eine Frau für eine Hexe und fürchtete man ihren bösen /Blick oder das /Beschreien der Kleinkinder, so wies man ihr die Feige. Auch die bildl. Darstellung der Feige hatte beschützende Wirkung, davon zeugen die zahlreichen Amulettfunde, bes. aus Italien, wo dies wohl die beliebtesten Amulette gewesen sind. Sie wurden als Talisman vor allem von verheirateten Frauen als Anhänger an Ketten gegen das Behextwerden getragen. Ihre magische Gestalt galt außerdem für wichtig bei Gegenzauber und Besprechungen. In Dtl. waren im 18. und 19. Jh. vor allem die ,Nymphenburger Händchen* aus der Porzellanmanufaktur bei München beliebt, die als Schmuck von Mädchen und Frauen getragen oder im bäuerlichen Schatzkästlein aufbewahrt wurden. Die Feige als Apotropaion wurde auch an Löffeln, Schnupftabaksdosen, Riechfläschchen, Stühlen, Schlittenkufen und Wein- und Mostpressen angebracht und sogar an Kanonenrohren. Die Feigengeste galt aber auch als Verständigungsmittel zwischen Mann und Frau hinsichtlich einer gewünschten geschlechtlichen Vereinigung, vor allem in Neapel. Das Feigenamulett als Anhänger spielt jedoch auch in einem oberbair. Brauch bei der Liebeswerbung eine Rolle: der Bursche schickt dem Mädchen, das er liebt, einen Feigenanhänger als Angebinde und Anfrage, ob sie mit ihm eine Verbindung ein- gehen wolle. Nimmt sie die Werbung an, schickt sie ihm dafür ein silbernes Herz und trägt von da an die Feige des Bräutigams an ihrem Brustgeschnür. Gleichzeitig dient diese Feige als Schutzmittel gegen die Unfruchtbarkeit. Rettenbeck unterscheidet fünf verschiedene Gebrauchsbedeutungen der Feigengebärde: sie ist erstens die Darstellung von Gefühlsempfindungen wie Wut, Haß, Zorn, Unwillen. Die Feigengebärde ist durch den mit ihr verbundenen ekstatischen Zustand gleichzeitig ein Mitteides Fluches; zweitens ist sie der Ausdr. intentionaler Gefühle gegenüber einem anderen, den sie höhnen, verspotten, schmähen oder schelten will; drittens ist die Geste ein Mittel zweckhafter Verständigung, sie ist eine Antwort heischende Anfrage nach dem Einverständnis zur geschlechtlichen Vereinigung; viertens schützt sie als Aphrodisiakum vor bösen Einflüssen und dient bei Zauber und Gegenzauber; fünftens gewinnt die Geste feste Gestalt in der bildlichen Darstellung, die genauso wirksam wie sie selbst oder das bloße Wort und die Rda. ist. Lit.: S. Seligmann: Der böse Blick und Verwandtes, 2 Bde. (Berlin 1910); L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S. 129f143 f.; L. Rettenbeck:,Feige1. Wort-Gebärde-Amulett (Diss. München 1951). Feile. Die letzte Feile anlegen: eine Sache zum letzten Mal überarbeiten, um Unebenheiten zu glätten und letzte Feinheiten hineinzubringen, vgl. ausgefeilt, da fehlt die Feile, vgl. ndl. ,Het heeft de vijl noodig*, der Arbeit fehlt die Ausgeglichenheit. Diese Rdaa. sind nicht eigentl. volkstümlich und wohl durch Gelehrte aus dem Lat. übernommen worden; vgl. Ovid (Trist. 1,37): „defuit et scriptis ultima lima meis**. Feld. An das Schlachtfeld erinnern folgende Rdaa.: Jem. aus dem Feld schlagen: ihn besiegen; das Feld räumen: abziehen, Platz machen; etw. ins Feld führen: zum Beweis heranführen, z. B. Argumente in einer Diskussion. 263
Fell Das steht noch in weitem Felde: es steht noch nicht nahe bevor, ist noch unsicher. Belegt im ,Simplicissimus4 Grimmelshausens (Buch V, Kap. 20): ,,Ich ließ mich hierzu gar kaltsinnig an, und sagte, daß die Beförderung in weitem Feld stünde“. Dabei ist urspr. an das noch nicht geerntete Getreide gedacht, wie aus der ndd. Wndg. hervorgeht: ,Wat upn Felde steit, höret noch nich meine4. Ein ähnl. Bild gebraucht schon der röm. Dichter Ovid: ,,Et adhuc tua messis in herba est44 (= deine Ernte steht noch im Halm). Älter ist die Wndg. ins lange Feld spielen: aufschieben, verzögern; belegt in Scrivers ,Seelenschatz4 (2, 355): ,,manigmal spielet die ungerechte Welt eine klare Sache, welche die Türken in einer Stunde schlichten würden, ins lange Feld44. Das ist ein weites Feld glauben viele nach dem Schluß von Theodor Fontanes Roman ,Effi Briest4 (1894) zu zitieren. Doch dort heißt es: „. . . das ist ein zu weites Feld44, während wir im 4. Kap. des bereits 1857 in Preßburg erschienenen Romans ,Der Nachsommer4 von Adalbert Stifter lesen: ,,Das ist ein weites Feld, von dem ihr da re- det“ (vgl. Büchmann, S.322). Fell. Seine Felle fortschwimmen sehen: seine Hoffnungen in nichts zerrinnen sehen. Die Rda. stammt aus dem Berufsleben des Lohgerbers: „Ich finde da nur noch den Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen44 (Fontane: ,Frau Jenny Treibei4, 1892, S.257). Bismarck hat in einer seiner Reden (Bd. XII, S. 119) eine treffende Deutung der Rda. gefunden, indem er von Eugen Richter sagte: „Der Herr Vorredner sieht natürlich mit einer gewissen Sorge und Kummer - ich erinnere an das Bild, wie der Lohgerber die Felle fortschwimmen sieht - auf diese Vorlage und deren Annahme“. Fell wird in derber Sprache oft für die menschliche Haut gebraucht: einem das Fell gerben (bläuen): ihn durchprügeln. Gerade bei Ausdr. des Prügelns benützen die Mdaa. meist das Wort Fell, z.B. rhein. ,et Fell versohlen (gerven, schüren, be- sehn)4, ,an op et Fell kommen4, ,wat op et Fell gewen4, ,se op et Fell kriege4; ebenso schon 1577 in Joh. Fischarts ,Flöhhatz4: „Jnen zu gerben das zart feil44; ähnl. einen beim Fell kriegen, einem auf dem Fell sitzen; ihn juckt das Fell: er will seine Prügel haben; ein dickes Fell haben: unempfindlich sein; rhein. ,He stich en kenem gode Fell4, er steckt in keiner guten Haut, ist ungesund. Einem das Fell über die Ohren ziehen: ihn betrügen, bes. von Kaufleuten gesagt, die einen arglosen Käufer ausbeuten und übervorteilen; auch von harten Herren, die ihre Untertanen ,schinden4. Die Rda. stammt wohl nicht aus der Jägersprache, denn der Waidmann spricht nicht von ,Fell4 und ,Ohren4, sondern von ,Balg4 und ,Decke4,,Lauschern4 und ,Löffeln4. Der älteste Beleg aus K. Stielers ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 von 1691 (465) deutet vielmehr auf die landwirtschaftliche Tierhaltung: „Man kan die Schafe wol bescheren, man zieht ihnen darum das Fell nicht stracks über die Ohren“. Vor allem aber ist es der Abdecker, der kleineren Tieren den Balg bis an die Ohren und, nachdem diese gelöst sind, über den Kopf streift. Die Rda. ist auch in den Mdaa. weit verbreitet, was für ihr hohes Alter spricht; z.B. rhein. ,enem et Fell üver de Uhre (de Kopp) trecke4. Der ist nichts als Fell (Haut) und Knochen: er ist so mager, daß das Skelett nur noch durch die /Haut zusammengehalten wird. Sein Fell zu Markte tragen: die Verantwortung mitsamt den Folgen auf sich nehmen; für 1888 bei Wilh. Raabe bezeugt. Wenig gebräuchl. ist die rhein. bezeugte Rda. ,zwischen Fell und Fleisch stecken lassen4, sich nicht klar aussprechen wollen, auch von Krankheiten gesagt, die nicht recht zum Ausbruch kommen. Die Rda. in seinem eigenen Fell bleiben geht vermutlich auf die Fabel von dem /Esel zurück, der sich eine Löwenhaut anlegte und so eine Zeitlang für einen Löwen gehalten wurde. Die Rda. ist bedeutungsgleich mit der Rda. ,bei seinem /Leisten bleiben4. Das Fell versaufen: nach einem Begräbnis (ausgiebig) feiern, trinken, zum Gedächtnis an den Verstorbenen einen Umtrunk halten, einen Leichenschmaus abhalten. Ähnl. ,das Leder, die Haut, den Bast versaufen4 (vertrinken, verzehren, essen usw.); den¬ 264
Fell selben Brauch nennt man rdal. auch ,einen Leichenstein setzen'. Dauert die Sitzung im Wirtshaus nach der Beerdigung sehr lange, so hört man in Lippe gelegentlich die Bemerkung, der Begrabene müsse ein ,zähes Fell' ('n tojen Bas’) gehabt haben. Die Rda. ist im gesamten ndd. und mdt. Sprachgebiet bekannt. In der 1604 zu Rostock erschienenen ,Laienbibel' des Nikolaus Gryse heißt es: ,,etlike ghan van dem grave in de badtstave, onde baden sick binnen vnde buten, edder verfoegen sick in de wyn- vnd beerkroege vnde spreken, se willen de hudt vorsupen vnde de sorgen vordrincken" (Schiller-Lübben, Mnd. Wb. 2,344). Obwohl die Formulierung ,Flaut verzehren' zeitlich zuerst nachweisbar ist, erweist sich doch die Form ,Fell versaufen' als die ältere, ursprünglichere, häufigere und weiter verbreitete. Die gleichbedeutenden obd. Rdaa. lauten: ,den Toten (Verstorbenen, die Leiche) vertrinken'; aber auch ndd. ,se versuupt dat Liek'. Die Züricher wurden wegen ihrer großen Leichenschmause Totenfresser' und ,Totenvertrinker' genannt. Diese Ausdr. sind schon im späten MA. geläufig, wo in der Schweiz der Klerus Totenfresser' genannt wurde, weil er von den Vermächtnissen, die in jeder Ortskirche zum Seelenheil der Verstorbenen gestiftet wurden, lebte. Ähnl. Sprachgebrauch läßt sich auch in den Nachbarländern nachwei- sen: frz.,manger ou croquer la tête du mort' (den Kopf des Toten verzehren); ital. ,mangiar i morti' (die Toten essen). Frühere Erklärungen der Rda. gingen von der Voraussetzung aus, daß mit dem Fell entweder die Haut eines Opfertieres oder, in bildl. Übertr., die des Verstorbenen gemeint sei. Kuhn, Andree, Bächtold- Stäubli, Geiger u.a. wiesen darauf hin, daß in ndd. Dörfern alle paar Jahre der Gemeindestier geschlachtet und von der Bevölkerung verzehrt, das Fell verkauft und der Erlös gemeinschaftlich vertrunken worden sei. Von hier aus sei die Rda. im scherzhaften Sinne auf die Leichenfeier übertr. worden. Dagegen sprechen jedoch die obd. und außerdt. Belege. Andere Erklärer führen den Ausdr. auf alte (Toten-) Opfer zurück, bei denen etwa Herz, Leber und Lunge des Tieres geopfert, das Fleisch verzehrt und der Erlös des Felles vertrun¬ ken wurde. Auch diese Deutungen scheitern an den obd. Wndgn., wie auch diejenigen, die an ähnl. klingende Rdaa. anschließen, z.B. ,He hett sik ordentlich dat Fell besapen'; ,er hat sein Fell verkauft'; ,er versäuft noch das Fell vom Leibe'; ,seine Haut zu Markte tragen' usw. Aufschluß geben aber die obd. Formen. ,Einen vertrinken' bedeutet: auf seine Kosten trinken. Das schwäb. Wb. verzeichnet einen Beleg von 1504: ,,wer aber säumig wurde, den soi man vertrinken umb ein zimblich tage- lohn". ,Den Toten vertrinken' bedeutet also: auf seine Kosten essen und trinken bzw. die Sterbe- oder Erbabgaben verzehren. K. Ranke, auf dessen kleiner Monographie diese Ausführungen gründen, sieht in der ndd. Rda. folgerichtig eine volksetymolog. Entstellung aus den ,Gefällen' oder ,Fällen', mhd. und mnd. ,das (ge)vel(le)', ,die (ge)vel(le)'. Der eigentl. Sinn wäre dann, daß ein Teil des Erbes, und zwar urspr. die Abgaben an den Leib-, Lehens- oder Erbherren oder an die Vertreter der Kirche, verzehrt wird. Analog dem obd. Bedeutungswandel mag auch in Niederdtl. der von diesen Gefällen lebende Teil zuerst die Kirche oder der weltliche Leibherr gewesen sein, und erst später könnte der Ausdr. auf die Leichenfeier innerhalb der Trauergemeinschaft übertr. worden sein. Sicher hat dabei im protestantischen Norden wie auch in der Schweiz die Reformation insofern eine große Rolle gespielt, als sie einen bedeutenden Teil der Sterbeabgaben, bes. die an die Kirche, aufgehoben hat und diese nun den Überlebenden zugute kamen. Hierzu gehört Luthers Forderung: „Wollen wir den brauch, genant den todfall gantz und gar abgethan haben" (Weim. Ausg. 3, 113 a), sowie zahlreiche protestantische Streitschriften der Reformationszeit, wie z. B. - als Gegenposition - ein Gedicht des Schweizers Pamphilus Gengenbach ,Die Totenfresser', in dem ein Pfarrer folgendes spricht: Do mit ichs Luthers nit vergäß So hab ich doch selten kain mäß. Ich entgilt syr tyfelischen leer. Kein paur will ietzund opffren meer. Hät ich ietz nit dry guoter pfründ In meinem hauß ich übel bstünd 265
Fenster Vnd wurd nit wol von todten fressen. Der tüfel hat pauren bsessen. Sie lond in von dem fägfür sagen, Wend aber kein glauben dran haben. Sprechen es sy itel tandt mär, Das kumpt in als vom Luther har. Mhd. ,vel(le)4 ist plur. zu ,val\ masc., häufig auch neutr. und bedeutet in unserem Sinne: Ertrag, Zins, bes. auch Abgaben bei Todes- und Erbfall. Das Wort ist hd. bis in die neue Zeit hinein durchaus üblich, während es mnd. schon im 16. Jh. unter dem Einfluß der Reformation seine alte Bdtg. zugunsten des neuen Sinngehaltes von Rechtsfall, Sachlage vollkommen verlor. Die Beziehung zu den ndd. ,Fellen4 stellt das mhd. ,lipvelP, Leibfall her. Es bedeutet einerseits Abgabe nach dem Tode, andererseits Begräbnis, Leichenmahl, wie z. B. aus einem Gedicht Nik. Manuels hervorgeht, das den Monolog einer ,Seelnonne4 wiedergibt, die gern guten Mahlzeiten bei Beerdigungen und Seelenmessen nachgeht: By kranken Lüten könnt ich wohl Man gab mir Geld und füllt mich voll, Den ich muß viel Weines trunken han, Sechs Maas gewinnen mir nicht viel an. Uf Leipfel, Siebend, Dreißigst und Jarzyt, Do was mir noch nie kein Myl Wegs zu wyt. Diesen Sinn muß auch ,gefelle4 oder das Simplex ,fall4 plur. ,feile4 gehabt, also entweder die Todfallgebühr an die weltliche und kirchliche Obrigkeit oder, in späterer Übertr., die Ab- und Ausgabe zum Leichenmahl der Trauergemeinschaft bedeutet haben. Das beweisen auch dt. und fremde Synonyma, die mit der Bdtg. Abgabe4 das Leichenmahl oder die gebräuchl. Leistungen an das Totengefolge bezeichnen: In Siebenbürgen z.B. schickte man dem Lehrer und den Helfern, die bei der Grabfolge mitgewirkt hatten, ,dat gebir4 (Gebühr) zu Trank und Verzehr. In Salzburg dagegen nennt man die Feier nach der Beerdigung ,das Gsturie vertrinken4, d.h. die Steuer vertrinken. In beiden Fällen wird das Mahl für die Leidtragenden noch als Abgabe, Steuer, Gebühr bez. Auch frz. ,manger la tête du mort4 muß eine ähnl. Bedeutungsverschiebung durchgemacht haben. Mit ,tête4 ist nämlich nicht der ,Kopf4, sondern die ,Kopfsteuer4 gemeint, die beim Todfall geleistet werden mußte. ,Tête4 in dieser Bdtg. entspricht genau dem alten ,besthaupt4 oder dem mlat. ,caput melius4, d.i. dem besten Stück Vieh, Gewand, Möbelstück usw., das dem Herrn aus der Hinterlassenschaft seines Eigenmannes zu- stand. Erst nach der Aufhebung der Sterb- und Kopfsteuer, als der alte Sinn dieser Rechtsformel sich allmählich verlor, konnte ,tête4 die Bdtg. von Kopf und ,feile4 die von Haut erhalten. Während jedoch im Frz. das Grundwort erhalten blieb, fand im Dt. eine Angleichung an ein ähnl. lautendes Subst. (Fell) statt, ein Vorgang, der in der Volkssprache recht häufig ist. Lit.: E. L. Rochholz: Dt. Unsterblichkeitsglaube (Berlin 1867); R. Köhler: Die Haut (das Fell, den Bast) versaufen, in: Kleinere Schriften, Bd. 3 (Berlin 1900), S. 611-615; HdA. III, Sp. 1583 u. V, Sp. 1081 ff., Art. Xeichenmahl1 von P. Geiger; K. Gal: Totenteil und Seelteil nach süddt. Recht, in: Zs. f. Rechtsgesch. 29, 225 ff.; H. Koren .Die Spende. Eine volkskundl. Studie über die Beziehung ,Arme Seelen - arme Leute1 (Graz 1954); Dt. Rwb. 3, 396 ff., 1397ff.; K. Ranke:,Fell versaufen1. Gesch. einer niederdt. Rda., in: Die Heimat 48 (1938), S. 279-282; ders.: Indogerman. Totenverehrung, FFC. 140 (Helsinki 1951); E. R. Lange: Sterben und Begräbnis im Volksglauben zwischen Weichsel und Memel (Würzburg 1955), S.119ff. Fenster. Beim minieren Fenster stehen : eine mittlere, bescheidene Lebenshaltung einnehmen, wobei an die verschieden hohen Stockwerke eines Hauses gedacht ist. Die Rda. ist seit Anfang des 18. Jh. bezeugt, z.B. 1796 in den ,Skizzen4 von A. G. Meißner (Bd.2, S.194): ,,Ich stehe jetzt, wie man sprichwörtlich sagt, am mittlern Fenster44, d. h. gleich fern zwischen Darben und Überfluß, und 1727 bei Picander (I, 411): „Es muß nun, wie du siehst, im mittein Fenster stehn, à la Studentikös, jedennoch nicht ein Luder44. Auch mdal., z.B. in Holstein: ,ut hoge Finsters kiken4, hochmütig sein. Vielleicht ist der Urspr. dieser Rdaa. auch in dem bildl. Gebrauch von Fenster für Auge zu suchen; hierzu bietet die Volkssprache zahlreiche Beispiele, etwa: blaue Fenster davontragen: mit einem blauen Auge davonkommen, berl. ,blaue Fensterladen4, blau angelaufenes Auge; meckl. ,sick de Finstern frisch verglasen4, stark zechen. Auch bei Christian Weise (1642-1708) heißt es: „Wer mich nicht bei meinem Bruder lassen will, dem schlag ich 266
Fersengeld die Fenster ein"". Bereits K. Stieler hat diese Rda. 1691 lexikographisch gebucht. Das schmeißt ihm keine Fenster ein: das schadet ihm nichts, im Gegenteil; von kleinen Opfern gesagt, die man bringt und die vielleicht ein späterer Gewinn mehr als ausgleicht. Bismarck hat diese Rda. anders, aber nicht weniger bildhaft, verwendet: ,,Jedes Land ist auf die Dauer für die Fenster, die seine Presse einschlägt, irgendein- mal verantwortlich, die Rechnung wird an irgendeinem Tage präsentiert in der Verstimmung des andern Landes" (Reden XII, 477). Das Geld zum Fenster hinaus werfen: es zweck- und nutzlos vergeuden, verschwenderisch sein; obersächs. ist auch belegt: ,die /Stube zum Fenster ’nauswerfen", in toller, übermütiger Lust zu allem fähig sein. Da guckt man nicht drum zum Fenster 'naus: das ist nicht der Rede wert; durchs Fenster gehen: auf Umwegen zum Ziel gelangen; einen zum Fenster herein erstechen: von machtlosen oder hohlen Drohungen; entweder durch das Fenster oder durch die Tür: entweder - oder, eines von beiden, es ist kein anderer Ausweg; holst. ,He hett Finster un Dören los", er ist sehr offenherzig; ma dits Fenster auf, laßt sie hinaus: umschreibend: das ist eine Lüge; es sind Fenster in der Stube: unberufene Zuhörer sind anwesend. Lit.: H. W. Nieschmidt: Window-Motifs in German Literature (Waikato, Australien 1969). Ferkel. Ein Ferkelchen machen: einen kleinen Fehler machen; Verniedlichung der Rda. ,eine Sau machen", einen groben Fehler begehen. Schon Luther gebraucht: ,,Und das wir, wie man von den sengern sagt, wenn sie feilen, nur ein klein ferkel gemacht"". Sonst ist Ferkel vor allem in der Volkssprache Nordwestdtls., des Hauptgebiets der Schweinezucht, beliebt; im Hannoverschen sagt man: ,dat Farken inn’n Sack dragen" für: ,die Katze im Sack tragen"; westf. ,mit fisten Fearken locken", mit günstigen Aussichten locken; rhein. heißt es von einem Ausgelassenen: ,Wat lopen da Färkes weer dort körn?" Ebenfalls rhein. ist die Wndg. ,Lot dem Bur dat Ferken, he hät jo nur ent!", laß dem Menschen sein Vergnügen. /Sau. Ferse ist volkstümlich in zahlreichen Wndgn. zur Bez. der raschen Fortbewegung und Flucht: sich auf die Fersen machen, sich auf seine Fersen verlassen, jem. die Fersen zeigen: in älterer Sprache: mit den Fersen hinter sich schlagen, z.B. bei Luther: „nach der schiacht, darin heinz das hasenpanier ergriffen und mit den fersen hinter sich geschlagen hatte"". Einem auf der Ferse (oder den Fersen) folgen, auf die Ferse treten: ihm unmittelbar folgen. Schweiz. ,Me g’sehd-e lieber bi de Fersele als bi de Zeche", wir sehen ihn lieber gehen als kommen. Fersengeld. Fersengeld geben ist eine seit dem 13. Jh. gebräuchl. Wndg. für: fliehen, sich davonmachen, ohne zu kämpfen oder zu zahlen, mhd. ,versengelt geben". Das Subst. Fersengeld erscheint ebenfalls zuerst im 13. Jh. und stammt aus der Rechtssprache. Es bezeichnete eine bestimmte Abgabe, über deren Natur noch keine völlige Klarheit herrscht. Das Dt. Rechtswb. (Bd. 3, Sp. 503 f.) zieht zwei Bdtgn. in Betracht: eine ,die Eigenbehörigkeit beurkundende Abgabe" oder eine ,Buße für rechtswidriges Verlassen des Ehegatten". Schon der älteste Beleg für diesen Rechtsausdr. im Sachsenspiegel" (3.73, §3) nennt eine wirkliche Summe als Entschädigungsgeld für einen Wenden, den seine Ehefrau verläßt: „latet sie ok ire man, also wendisch recht is, sie muten irme herren die versne penninge ge- ven, dat sint dri Schillinge"", d.h. also, die wendischen Frauen konnten nach wendischem Rechte den Mann jeden Augenblick verlassen gegen Zahlung der ,versne penninge". Es ist nicht unmöglich, daß dies der Rest eines viel älteren Rechtsbrauches ist und daß schon das Strafgeld, das z. B. nach alem. Volksrecht der Schlachtflüchtige zahlen mußte (160 Solidi), zuerst den Namen Fersengeld erhielt. So ist die Entstehung der Rda. wohl in einem Volkswitz zu vermuten: Statt mit gültiger Münze zu zahlen, gab der Fliehende Fersengeld, wobei man vielleicht die schnell abwechselnd sichtbar werdenden Fersen eines Entfliehenden mit springenden Geldstücken verglich. Diese witzige Bedeutungsänderung von Fersengeld war um so eher möglich, als die Ferse auch in vielen anderen Ausdr. zur 267
Fest Bez. der Flucht vorkommt, schon mhd. ,mit der vërsen gesëgenen\ nhd. mit den Fersen hinter sich schlagen usw. (/Ferse). Als Rda. kommt,Fersengeld geben4 zuerst in Ottokars ,Oesterr. Reimchronik4 (ed. Perz, 76a) vor: Die Unger gaben Versengelt An die Marich vber Veld. In waz ze fliehen gäch (eilig). Später wird die Rda. auch für das fahrende Volk gebraucht, das den Herbergswirt um die Zeche prellte, z. B. in der Colmarer Hs. des 16. Jh., wo der arme fahrende Sänger im Wirtshaus, da ihm niemand mit einer milden Gabe hilft, sich darein ergeben hat: „dasz ich muost lan dem wirt ein phant mit der verse gesegen44; 1512 heißt es in Thomas Murners ,Schelmenzunft4 (7, 23ff.): Do der wirt wolt haben gelt, Do draff ichs loch weyt vbers feldt, Mit meynen ferßen b’zalt ich das, Was an der kerben zeichnet was. Abraham a Sancta Clara gebraucht die Rda. in seinem ,Kramerladen4 (I, 376). Zwar hat Mengering 1633 in seinem ,Kriegsbelial4 die Rda. als veraltet bez., indem er sagt: „Laufen und Fersengeld geben oder das Hasenpanier aufwerfen ist altfränkisch geredt und heuer nicht mehr in communi loquendi. ,Retterade4 heißt es heutzutage44. Aber trotzdem ist sie bis heute keineswegs ausgestorben und auch in den Mdaa. lebendig geblieben, allerdings in erweiterter Bdtg., d. h. nicht mehr ausschließlich auf die Sphäre des Krieges beschränkt. Überhaupt ist der logische Anwendungsbereich der Rda. in der Ggwt. vielen Sprechern und Schreibern offenbar nicht mehr ganz scharf bewußt. So war vor kurzem in dem Bericht eines Verlegers über die Buchproduktion von jungen Autoren die Rede, „die sich mit ersten kleinen Proben ihr Fersengeld verdienen müssen44. Wahrscheinlich ist dem Berichterstatter dabei eine unbewußte Verwechslung von fersen4 und ,Versen4 unterlaufen. Falsch ist ,Fersengeld verdienen4 allemal. Witziger ist das Wortspiel in dem Ausspruch, der 1948 anläßlich der Währungsreform einem ins Stammbuch geschrieben wurde: „Wer keine Kopfquote bekommt, muß Fersengeld geben44. Fest. Bis heute gebräuchl. ist die Rda. post festum venire, dt. post festum kommen: zu spät, nach dem Fest kommen, wenn alles schon vorüber ist. Die lat. Form der Wndg. ist aber nicht antik, sondern nur eine Übers, der in Piatos ,Gorgias4 erstmals bezeugten griech. Form: ,xaT07uv éopufiç'. Bei Luther und seinen Zeitgenossen bedeutet die Wndg. viel Fests machen: viel Lärm, viel Wesen, viel Aufhebens von etw. machen; z. B. bei Luther: „da hastu wol angezeigt, wie Moses ein unnützer wescher ist, das er von unnützen Sachen so viel fests machet44 (Jenaer Ausg. 1, 116). Im tadelnden Sinn ist der Ausdr. noch heute in den Mdaa. lebendig, etwa schwäb. ,Ist des e Fest!4, ,Der hat e Fest!4, von unnützem Lärm und Kleinigkeiten; oder obersächs. ,De Fraa machet a Fast über dos nausge- schmissene Gald4, sie macht ein großes Gezänk. Aus Goethes Ballade ,Der Schatzgräber4 wird zitiert: Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste! Das ist mir ein Fest: das ist eine große Freude für mich, eine Rda. student. Herkunft, bisweilen gesteigert zu: Es ist mir ein Festessen: es freut mich sehr; berl. witzig erweitert: ,Es war mir ein Festessen mit sieben Jängen - mit Krebssuppe als Einleitung4. Aus der Berliner Lokalposse ,Graupenmüller4 (1870) von Hermann Salingré (d.i. Salinger) wurde die zum Sprw. gewordene Wndg. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen weit verbreitet. Am Fest der Beschneidung Mariä: nie (/Pfingsten). festnageln. Einen auf etw. festnageln: ihn auf eine charakteristische Äußerung oder Handlung für immer öffentl. festlegen. Die Wndg. tritt erst im 19. Jh. auf, so 1835 in Lenaus ,Faust4: Wie sie den Doktor schnell umringen, Wie sie die harten Fäuste schwingen, Die guten Lehren festzunageln, Die brausend auf den Sünder hageln. Sie ist auch belegt in einem Brief Hebbels vom 14. Dez. 1854: „Nageln Sie mich nicht an diese meine Worte, ich bin nicht der Mann der Definitionen44. Obwohl diese Rda. wohl nicht mit dem Brauch des Fest- 268
Fett nagelns von Raubvögeln und sonstigen Schädlingen am Hoftor zusammenhängt, sind Rda. und Brauch oft in nahe Berührung gekommen, so z.B. in einer Reichstagsrede des konservativen Abgeordneten H. v. Kleist-Retzow, der von seinen Gegnern sagte, solche Kerle müsse man auf ihre Lügen festnageln, wie man schädliche Raubvögel an die Scheunentür nagle. In Viktor v. Scheffels ,Lied von der Teutoburger Schlacht' (1848) wird der Rechtskandidat Scävola so bestraft, daß man zugleich die Art seines Vergehens erkennen konnte: Diesem ist es schlimm ergangen; EIT daß man ihn aufgehangen, Stach man ihn durch Zung’ und Herz, Nagelte ihn hinterwärts Auf sein Corpus iuris. Noch einmal ganz im wörtl. Sinne gebraucht Gottfried Keller das Wort. Als eine Zeitung geschrieben hatte, er habe mit dem Zwillingspaar Weidelich im ,Salander' (1886) gewisse Anhänger seiner eigenen Partei gezeichnet, brauste er auf: „Den Kerl will ich wie einen toten Hühnerweih ans Scheunentor nageln" (A. Frey: Erinnerungen an G. Keller, 2. Aufl., Leipzig 1893, S.77). Hier fehlt das charakteristische ,fest‘, und der Ausdr. verliert dadurch etw. von seiner eigentümlichen Prägnanz, wenn er genau überliefert ist. Möglich wäre doch aber auch, daß jenes rasch populär gewordene ,jem. auf etw. festnageln' zu Keller gelangte und von ihm aus seiner kräftigen Anschauung heraus wieder verjüngt wurde. Lit.: Rich. M. Meyer: Vierhundert Schlagworte (Leipzig 1900), S.76L Fett. Sein Fett kriegen (weg haben): die verdiente Schelte oder Strafe erhalten; jem. sein Fett geben: ihm einen Verweis erteilen. Eine früher weitverbreitete Erklärung leitete diese Rda. vom Frz. ab und betrachtete sie als unvollständige Übers, von ,donner à quelqu’un son fait' = ihm tüchtig die Meinung sagen, oder gar von ,faire fête à quelqu’un' = ihm viel Ehre antun. Diese Deutung ist jedoch falsch. In der Rda. liegt wohl ein Vergleich aus gemeinsamer Wirtschaftsgebarung zugrunde, etwa beim Schweineschlachten oder Buttermachen. Das Fürwort ,sein‘ weist auf eine be¬ stimmte, zu erwartende Menge hin. Bei dem Malerdichter Friedrich Müller (I, 26) heißt es z.B.: „Der Amtmann soll dir sein Fett kriegen, hat ohnehin schon etwas bei mir im Salz“. Bei Hausschlachtungen verteilte früher der Hausvater Fett und Fleisch an alle Familienmitglieder, jeder wurde .geschmiert'. ,Einem eine schmieren' nimmt durch iron. Färbung später den Sinn an: eine Ohrfeige geben. Eine ähnl. Entwicklung ist bei den folgenden Rdaa. festzustellen: ,jem. abschmieren', ihn prügeln, ,ihm eine Suppe zu löffeln geben', ,ihm etw. zu kosten geben', ,etw. im Salze haben'. Westf. ,sin Fett hewwen' heißt noch: sein Teil haben, ohne den Nebensinn der Strafe. Erinnert sei auch an das engl.,schoolbutter' = Hiebe. Von seinem eigenen Fett zehren: von seinen Ersparnissen leben; das Bild dieser Rda. ist vom /Dachs hergenommen. Im Fett sitzen .in guten Verhältnissen leben; das Fett von der Suppe schöpfen: seinen Vorteil suchen; vgl. ,den /Rahm abschÖp- fen‘. In der Eifel sagt man von einem Zudringlichen: ,Er schwätzt einem das Fett von der Suppe'. ,Dat Fett von de Gös’ blasen' nannte man in Rostock den Martinsumzug der Stadtmusikanten. Er wird nicht in seinem eigenen Fett ersticken sagt man von sehr Mageren; einen in seinem eigenen Fette backen (bra- 269
Fettnäpfchen ten): ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen; er hat immer Fett in Händen: er zerbricht leicht etw. Fettnäpfchen. Bei jem. ins Fettnäpfchen treten: es durch Ungeschicklichkeit oder durch eine unbedachtsame Äußerung mit ihm verderben; gebucht 1862 in Grimms Dt. Wb. (III, 1515): „es heiszt: damit wirst du ihm schön ins fettnäpfchen treten, damit wirst du es bei ihm verschütten“. Von Müller-Fraureuth (I, 325a) wird die Rda. folgendermaßen erklärt: „Im erzgebirgischen Bauernhaus stand an der Wand zwischen Tür und Ofen ein Fettnäpfchen, aus dem die nassen Stiefel, die der Heimkehrende auszog, sogleich geschmiert wurden; der Unwille der Hausfrau traf denjenigen, der durch einen täppischen Tritt das Fettnäpfchen umkippte und so Fettflecke auf der Diele verursachte". Doch wird urspr. wohl eher an einen Napf mit Speisefett gedacht sein, dessen Vernichtung durch Unbedachtsamkeit noch ärgerlicher war. Das der Rda. zugrunde liegende Bild ist keineswegs auf das obersächs.-erzgeb. Mda.-Gebiet beschränkt; im Norweg. und Dän. ist die Wndg.,komme i fedtefadet' belegt; sie enthält ein ähnl. Bild wie eis. ,bi einem ’s Öl verschütt han\ Schweiz. ,den Kübel umstoßen'; in Schwaben wurde ein täppischer Mensch früher ,Hans tapp ins Mus' genannt, und schon Oswald von Wolkenstein (gest. 1445) nennt einen Bauerntölpel ,Haintzl Trittenprey' (tritt-in-den-Brei). Feuer. Er ist gleich Fetter und Flamme sagt man von jem., der sich schnell für etw. begeistert, dessen Leidenschaft schnell aufwallt, der im Nu Feuer fängt me leicht entzündbarer Stoff; das so entfachte Feuer brennt zuerst lichterloh, halt aber meist nicht lange an. Belegt in Schillers ,Kabale und Liebe' (I, 1): „Wie du doch gleich in Feuer und Flammen stehst". Urspr. ist ,Feuer und Flamme' ein Terminus der altdt. Rechtssprache zur Bez. der Ansässigkeit und der Führung eines eigenen Haushaltes. Die stabreimende Zwillingsformel kommt auch in der Form vor: Feuer und Flamme speien (oder spucken): äußerst aufgebracht und zornig sein, eigentl. wie ein Drache; auch frz. Jeter feu et flamme'. Ino (pnojß jßiajj 'jji ,Wo Feuer ist, steigt Rauch auf4, es bleibt nichts verborgen. Feuer und Schwefel regnenstehl zum ersten Mal l.Mos. 19,24. Ähnl. Bdtg. hat die Rda. Feuer im Dach haben: erzürnt, wütend sein; eigentl. Leidenschaft im Kopf' haben, schon bei Geiler von Kaisersberg gebraucht: „wo das nit geschehe, so wer das Füer im Dach"; später z. B. im ,Judas4 des Abraham a Sancta Clara: „Dahero kommt das Sprüchwort, so jemand gantz erzürnt, es seye schon Feuer im Tach". Seit etwa 1900 kann man diese Wndg. auch hören für: rotes Haar haben. Für jem. durchs Feuer gehen: ihm zuliebe die größten Gefahren auf sich nehmen; ihn verehren und bewundern; 1561 bei Maaler (135) belegt. Die Rda. braucht nicht von dem ma. Feuerurteil (iudicium ignis) abgeleitet zu werden; viel näher liegt es, an den Brand eines Hauses zu denken. In Grimmelshausens ,Simplicissimus' (III, Kap. 2) rühmt der Held seine Knechte mit den Worten: „so waren sie mir auch dermaßen getreu, daß jeder auf den Notfall für mich durch ein Feuer gelaufen wäre"; auch frz. ,se mettre au feu pour ses amis', ndl. ,hij zou voor je door een vuur loopen'. Dagegen erinnert folgende Rda. deutlich 270
Feueresse an ihre Herkunft aus einem Gottesurteil: Dafür will ich meine Hand ins Feuer legen: ich stehe für die Wahrheit der Sache ein. Zwischen zwei Feuer kommen: in doppelte Gefahr geraten, wobei man heute an die Feuer zweier feindlicher Schußlinien denkt und die Rda. gern von einem gebraucht, der zwei Gegner zu versöhnen sucht, es aber mit beiden verdirbt. Urspr. sind mit den zwei Feuern aber zwei Feuersbrünste gemeint. Die Wndg. ist sicher alt; sie begegnet ähnl. im Anord.: ,setja i milli elda tueggja4; vgl. hannoversch ,ut en Für tred ik herut un int andre henin4. In der einen Hand Feuer und in der anderen Wasser tragen: unentschlossen, doppelzüngig sein; ndd. ,He dragt in de ene Hand Für un in de andere Water\ frz. ,11 porte le feu et l’eau4, ndl. ,Hij draagt water in de eene en vuur in de andere hand4. Die Rda. ist von Bruegel und auch sonst in der ndl. Sprichwort-Malerei wiederholt bildl. dargestellt worden. r ,In der einen Hand Feuer und in der anderen Wasser tragen4 Feuer dahinter machen: eine Sache beschleunigen, eigentl. indem man hinter den Beteiligten ein Feuer anbrennt, damit sie sich schneller in Bewegung setzen. In Schillers ,Räubern4 (II, 3): „Haben sie so lang gewartet, bis wir ihnen die Streu unter dem Arsch angezünd’t haben“; ähnl. obersächs. ,Feuer unter den Frack machen4, nordostdt. ,Fuer ön de Socke make4, eis. ,ein Für inger d’Hose mache, inger de Schwanz lege4; vgl. frz. ,mettre le feu sous le ventre à quelqu’un4, engl. ,to make it hot for a person4, ndl. ,iemand het vuur na aan de schienen leggen4; vgl. ,einem die /Hölle heiß machen4. Das Schmiedefeuer liegt vielleicht der Rda. zugrunde etw. nicht aus dem Feuer reißen können: es nicht im Nu fertigen können, weil der Schmied Geduld haben muß, bis das Eisen glüht. Das Herdfeuer ist gemeint: Das ist nicht so ans Feuer gerichtet: die Sache ist nicht so dringlich. Ein Feuer anschüren: Streit stiften; mit dem Feuer spielen: in gewissenloser Weise mit einer ernsten Gefahr umgehen (seit dem 17. Jh.). Von selbst verstehen sich die folgenden Rdaa.: etw. wie’s Feuer scheuen: rhein. ,He stocht sech de Feuer selver4, er ist Junggeselle; mit den Beinen Feuer schlagen: X- Beine haben; Feuer auf der Zunge haben: ein loses Mundwerk führen; Feuer zum Stroh (zum Brand) legen: einer Sache den entscheidenden Anstoß geben; das Feuer mit öl (Stroh) löschen: Unheil nur noch ärger machen (schon lat. ,oleum camino addere4); öl ins Feuer gießen /01. Er würde Feuer vor meiner Tür legen: er ist zu allem fähig. Sein meist es Feuer ist weg: die Lebenskraft ist verbraucht, seine Leidenschaft hat sich ausgetobt, der Zorn ist gedämpft. Die ndd. Wndg. ,ken Füer noch Rök4 meint: es ist eine schlechtbestellte Haushaltung, wo es am Lebensnotwendigsten mangelt. Das Feuer peitschen: etw. Unnützes tun; Kastanien aus dem Feuer holen /Kastanie, /Lauffeuer; ein Eisen im Feuer haben / Eisen. Lit.: H. Freudenthal: Das Feuer im dt. Glauben und Brauch (Berlin - Leipzig 1931); L. Schmidt: Lebendiges Licht im Volksbrauch und Volksglauben Mitteleuropas, in: Volksglaube und Volksbrauch (Berlin 1966), S. 19ff.; L. Röhrich u. G. Meinel: Reste ma. Gottesurteile in sprw. Rdaa., S.345L Feueresse ist obersächs. üblich für ,Esse4, in den Wndgn.: etw. in (hinter) die Feueresse (Schornstein, Kamin) schreiben: es als verloren ansehen (/Kamin), es ist hinter die Feueresse gefallen: es ist unwieder¬ 271
Feuerprobe bringlich verloren; ,du denkst wohl, uns fliegt’s Geld zur Feueresse rein?1, meinst du, wir hätten zuviel davon? Diese Rda. spielt auf den Volksglauben an, daß der ,Drak\ d.i. der feurige Hausdrache, das Geld durch den Schornstein ins Haus bringe. Lit.: A. Knopf: Der feurige Hausdrache (Diss. Berlin 1936). Feuerprobe. Die Feuerprobe bestehen: sich unter schwierigen Verhältnissen bewähren; die Rda. ist nicht, wie Grimm (Dt. Wb. Bd. 3, Sp. 1600) annimmt, auf ein ma. Gottesurteil zurückzuführen, sondern auf die Prüfung der Edelmetalle, bes. des Goldes, durch Feuer. Den Anlaß zur Bildung gibt die Stelle in den Sprüchen Salomonis 17, 3, die im Luthertext lautet: „Wie das Feuer Silber und der Ofen Gold, also prüft der Herr die Herzen“; vgl. ähnl. Stellen bei Sa- charja 13, 9; l.Petr. 1,7 und Offenb. 3,18. Auch dem Altertum war das Bild des durch Feuer geläuterten Goldes geläufig (z.B. Ovid, ,Trist4, 1. Buch, 4. Kap., V.25). In Grimmelshausens Roman Simplicissimus4 (I, Kap. 7) sagt der Held: „Harre mein Herr, ich hab die Prob des Feuers überstanden“. Die Bdtg. ,Gottesurteil4 erscheint erst sekundär 1746 bei Geliert. Feuertaufe. Die Feuertaufe erhalten: im Krieg das erste Schlachtfeuer erleben, auch übertr.: eingeweiht werden. Das Wort Feuertaufe ist nach dem Wort des Johannes in Matth. 3,11 gebildet worden: „der aber nach mir kommt . . ., wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen44. Bevor es im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen gebraucht wurde, bedeutete es (z.B. 1808 bei H. J. Campe) „Ertheilung der übernatürlichen geistlichen Gaben44. Feuerwehr. Wie die Feuerwehr: eiligst. Die bei Bränden ausfahrende Feuerwehr (das Wort ist zuerst 1841 in Meißen belegt) eilt mit höchster Geschwindigkeit zur Brandstätte. Die Rda. ist erst im 20. Jh. aufgekommen. ff /Effeff. Fiasko. Fiasko machen (erleiden): Mißerfolg haben, scheitern, durchfallen, zunächst von mißglückten Bühnenaufführungen ge¬ braucht, dann auch auf das Scheitern geschäftlicher Unternehmungen übertr. Ausgangspunkt der Rda. ist frz. bouteille = Flasche, was in der Schülersprache die Bdtg. von ,Fehler, Schnitzer, Bock4 hat; vgl. die frz. Rda. ,faire une bouteille4 = einen /Bock schießen. Das Ital. hat diese Wndg. mit,far fiasco4 übersetzt. Nach 1837 ist der Ausdr. aus dem Frz.,faire fiasco4 zu uns gelangt; den dt. Mdaa. ist er weitgehend fremd geblieben. Fichte. Einen um (auch in oder hinter) die Fichte führen: ihn hinters Licht führen, täuschen, eine mdt. Rda., die sich bereits 1563 bei dem Prediger Mathesius in seiner Schrift ,Vom Ehestand und Hauswesen4 findet: „wie der Dalila Lippen, die süßer waren denn hönigsam, den thewren held Simson umb die Fichte füret“. Sie lebt auch in den heutigen Mdaa. weiter, z.B. nord- ostdt. ,einen in die Fichten führen4, ober- sächs. ,sich hinter die Fichte führen lassen4, dazu auch: um die Fichte rum sein: etw. verstanden haben; in die Fichten gehen: verlorengehen, ausreißen; alle diese Rdaa. gehen wahrscheinl. auf die Gaunersprache zurück, in der Fichte = Nacht bedeutet, wohl von dem Dunkel des Fichtenwaldes hergenommen. Der Nachtdieb heißt,Fichtegänger4, der Betrogene ,Fichtner4 (ei- gentl.: der ins Dunkel Geführte); dazu die Rda. den Fichtner machen: Mißerfolg haben, einen Reinfall erleben. Durch die Vermittlung der Studentensprache sind diese Wndgn. in die Umgangssprache gelangt. Fiduz. Kein Fiduz zu etw. haben: kein rechtes Zutrauen haben. Lat. fidücia = Vertrauen ist im 18. Jh. mit gleicher Bdtg. ins Nhd. übernommen worden; das entbehrliche Fremdwort fand durch die Vermittlung der Studentensprache überall Eingang in die Volkssprache, greifbar zuerst 1806 in Holstein: ,1k heff kên Fiduz to de Säk4 (Schütze, Holst. Id. I, 315). In den Mdaa. ist öfters eine Bedeutungsveränderung des Wortes eingetreten, z.B. gebraucht man es rhein. auch i. S. v.,Neigung, Lust4: ,Ech han kene rechte fiduz zo der Arbet4. Fiedel, fiedeln. Fiedeln ist gegenüber /geigen das ältere Wort. Im Nhd. hat fie- 272
Finger dein auch den Nebensinn von schlecht spielen' angenommen. Dem ist leicht gefiedelt: wer Neigung zu einer Sache hat, der ist ohne Mühe beredet; auch sprw.: ,Dem ist leicht gefiedelt, der gerne tanzt'. Jem. in die Fiedel spannen: ihn an den Pranger stellen. Hier spiegelt sich ein ma. Rechtsbrauch wider: leichtfertigen Frauen wurde am Pranger ein fiedelähnliches Holz um Hals und Hände gelegt, /'Geige. Einem die Fiedel entzweischlagen: ihn auf derbe Weise zum Schweigen bringen, seiner Hilfsquellen berauben; auch in den Mdaa., z.B. meckl. ,die Fidel intzweislän', jem. das Handwerk legen. Etw. verfiedeln, auch verbumfiedeln, ver- fumfiedeln: sein Vermögen vertun. In der Rda. steckt das niedersächs. ,Funfel‘ = Geige. Lit.: A/. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa., im Schrifttum, in: Die Muttersprache, Jg. 1963 (Lüneburg 1963), S. 201-221. Fiedelbogen. Sitz nicht so krumm wie ein Fiedelbogen! Bei dieser Aufforderung ist an die ältere Form des Bogens zu denken, der konvex gespannt war, nicht konkav wie der heutige Geigenbogen. Ähnl. der rdal. Vergleich gespannt sein wie ein Fiedelbogen. Film. Jem. ist der Film gerissen: ihm ist der logische Zusammenhang verlorengegangen, er kann sich an bestimmte Ereignisse nicht mehr erinnern, er hat ,den Faden verloren' (/Faden); die Rda. entstammt dem 20. Jh. und knüpft an die Erfahrungstatsache an, daß eine Unterbrechung des Handlungsablaufs entsteht, wenn bei einer Filmvorführung der Film reißt. Die Rda. wird zumeist zur Bez. einer Gedächtnislücke infolge übermäßigen Alkoholgenusses gebraucht. Fimmel. Einen Fimmel haben: überspannt, verrückt sein; einen Fimmel für etw. haben: eine Schwäche, eine leidenschaftliche Vorliebe dafür haben. Das Wort kommt in dieser Bdtg. in den Mdaa. nur in Verbindung mit diesen Rdaa. vor; sein Zusammenhang mit lat. femella = Hanf oder dem davon abgeleiteten Verbum ,fimmeln‘ = den Sa¬ men vom Hanf abstreifen, auch: umhertasten, ist unsicher. Finger. Durch die Finger sehen: Nachsicht üben, milde urteilen, eigentl.: nicht mit vollem Blick hinsehen. Diese Wndg., die früher wohl von der entspr. Handgebärde begleitet wurde, hat im heutigen Sprachgebrauch viel von ihrer einstigen Bildhaftigkeit verloren. In der heutigen Verwendung einem durch die Finger sehen kann der Dativ sogar zu der Auffassung führen, hier sei von den Fingern des andern die Rede; Einern' ist jedoch zu verstehen als ,einem gegenüber'. In älterer Sprache verband man mit der Rda. noch die klare Vorstellung vom Vorhalten der gespreizten Finger vor das eigene Gesicht; dadurch wird das Blickfeld durchschnitten und das Sehen folglich erschwert. Der Holzschnitt Nr. 33 in Sebastian Brants ,Narrenschiff (1494) zeigt einen Mann mit der Narrenkappe, der durch seine Finger sieht, während seine Frau ihm mit einem Hälmchen auf der Nase spielt. Darüber steht der Vers: Wer durch die fynger sehen kan Vnd loßt syn frow eym andern man Do lacht die katz die müß süß an. ,Durch die Finger sehen' In der gleichen charakteristischen Pose ist z.B. auch der Kölner Stadtnarr Pankraz Weinstock gen. Worbel von dem holl. Maler Jan Mostaert von Haarlem (1475 bis 1555) dargestellt worden. In lat. Form findet sich die Wndg. 1508 bei Aug. Bebel (Nr.583): ,,Per digitos videre; est surda aure et sciens aliquid praeterire"; Luther gebraucht sie in seiner Bibelübers. (3. Mos. 273
Finger 20,4) und auch sonst, z.B. in dem Spruch (Heuseier Nr.81): „Wer nicht kann durch die Finger sehn, der kann nicht regieren“; sie erscheint ferner bei Hans Sachs („So er heuchlich durcht finger sech“), bei Oldecop S.612 („De prinz mit den sinen sah dar to durch de fingers“), bei Grimmelshausen und bei Abraham a Sancta Clara. Im gleichen Sinne gebraucht sie noch Goethe 1789 im ,Tasso4 (I, 2, Leonore zum Fürsten): „Wir wollen freundlich durch die Finger sehen“. Die Rda. ist in den Mdaa. noch sehr verbreitet und wird in der Volkssprache auch durchaus noch wörtl. verstanden, z.B. eis.,durch die Finger lueje\rhein. ,e guck durch de Finger4, er ist nicht so streng. Thomas Murner gebraucht auch durch die Finger lachen: heimlich lachen; vgl. ,sich ins Fäustchen lachen4. Mit allen (fünf) Fingern nach etw. lecken, sich alle zehn Finger nach etw. lecken: begierig sein auf etw. Der urspr. Sinn der Rda. ist heute verschoben; das Verhältniswort ,nach4 ist eigentl. zeitlich zu verstehen: wer etw. Wohlschmeckendes genossen hat, leckt sich danach noch die Finger ab, um sich nichts von dem Genuß entgehen zu lassen. Daher in dem Studentenlied ,Ça, ça geschmauset4 (um 1720): . Trinkt nach Gefallen, Bis ihr die Finger danach leckt; Dann hat’s uns allen Recht wohl geschmeckt. .. Bei Lehmann 1639, S.51 (Artzney 45): „Zu Kranckheiten hat man keine Artzney, daß man die Finger darnach lecket44. Schon der von der Pilgerfahrt heimkehrende Neidhart von Reuenthal (gest. etwa 1237) trägt dem vorauseilenden Boten auf (13, 36): Bote, nü sage den kinden an der sträze daz si niht enzürnen üz der mäze; wir suln ein niuwez briuwen, dar näch sie die vinger kiuwen. Sich etw. aus den Fingern (Pfoten) saugen: etw. ausdenken, erfinden, gewöhnlich von einer aus der Luft gegriffenen Behauptung. Die Rda. kann einmal zurückgehen auf die Substituierung der säugenden Brust durch den säugenden Finger, die ein uraltes Motiv der Sage, der Legende und des Märchens ist. So wird in der arabisch geschriebenen Chronik von Tabari erzählt, Abraham habe, nachdem er von seiner Mutter ausgesetzt worden war, aus seinem Finger Milch gesogen, denn Gott hatte daraus die Nahrung fließen lassen, die das Kind brauchte. Ebenso wird von Moses erzählt, er habe aus seinem Daumen Milch gesogen. Diese legendären Wunderkinder können sich also wirklich ihre Nahrung aus den Fingern saugen, bei gewöhnlichen Sterblichen jedoch ist das unmöglich. Die Rda. kann zum andern auch zurückgehen auf den alten Volksglauben, nach dem der Finger, der in Blut oder in eine Zauberflüssigkeit getaucht und dann in den Mund gesteckt wird, Weisheit mitteilt; auch glaubte man, daß den Fingern, vor allem dem kleinen Finger, Mitteilungsgabe zukam. Die Rda. ist schon 1512 in Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4 belegt: Das hat gethon das schedlich claffen Des schelmens, der das hat erlogen, Allein uß synen fingern gsogen. In seinem ,Großen Lutherischen Narren4 von 1522 findet sich der Vers (V. 2049): Und ist erdichtet und erlogen Dan ir habts uß den fingern gesogen. Seitdem ist die Rda. häufig in der dt. Dichtung bezeugt, z.B. bei Fischart und Abraham a Sancta Clara. Bei Goethe heißt es: Ihr meint, ich hält mich gewaltig betrogen; Hab’s aber nicht aus den Fingern gesogen. Die Rda. bietet also dem Verständnis keine Schwierigkeiten, andererseits aber reizte sie gerade zur Erklärung durch sekundäre ätiologische Erzählungen. Eine solche Erfindung ad hoc bietet das natur- wissenschaftlich-jagdkundliche Werk von Johann Täntzer ,Der Dianen hohe und niedere Jagdgeheimbnuß4 (1682). In seinem Abschnitt über die Bären und ,was Maße und Ursache solche an den Klauen saugen44 gibt der Verf. eine Erklärung, „Woher ein bekand Sprichwort kommet44. „Solches muß ihn Gott in der Natur eingegeben haben, weil im Winter offters großer Schnee, daß sie nicht viel finden . . . Deßgleichen saugen sie auch an den hindern Tatzen, und wan sie das Saugen thun, so können sie artig Murmeln oder Knorren, umb der Süßigkeit halben, wan auch ein Bähr zahm ist, und 274
Finger man halt ihm eine Hand für, so nimt er sie fort in Mund, und sauget dran, welches einem nicht unsanffte thut. Daher körnt auch daß gemeine und wolbekante Sprichwort, daß man saget, ich habe es nicht aus den Fingern gesogen. Ergo wie die Bahren, den selbige können was auß die Klauen saugen . . (I, S.69). Es ist immerhin bemer¬ kenswert, daß dieses Jägerlatein verschiedentlich auch zur wissenschaftl. Deutung der Rda. herangezogen worden ist (z. B. bei Göhring Nr.96, S.61). Der Glaube, der dem Finger Mitteilungsgabe zuschrieb, dokumentiert sich auch in der Rda. : Mein kleiner Finger hat es mir gesagt: ich habe es auf geheime und bequeme Art erfahren; vgl. frz. ,Mon petit doigt me Ta dit4; ndl. ,iets uit zijn duim gezogen heb- ben4; engl. ,to suck a thing out of one's fingers ends4. In Shakespeares ,Macbeth4 (IV, 1) sagt die zweite Hexe: Juckend sagt mein Daumen mir: Etwas Böses naht sich hier! (Übers, v. Tieck: ,,Ha! mir juckt der Daumen schon, Sicher naht ein Sündensohn -44). Der kleine Finger ist wie der Däumling im Märchen der schlaueste, er kann am tiefsten ins Ohr hineinkriechen und dort die geheimsten Dinge ausplaudern; in Frankr. heißt es darum geradezu d'auriculaire4 (= das Ohrfingerchen). Auch Goethe spielt in dem folgenden Spruch offenbar mit dieser Bdtg. des kleinen Fingers: Wie konnte er denn das erlangen? Er ist auf Fingerchen gegangen! In der Steiermark sagt man von einem Klugen ,Ea hod in kluann Finga mea, wiar ounari in gounza Koupf4. In den gleichen Zusammenhang gehört noch die Redewndg. sich etw. an den (fünf) Fingern abzählen (berl. abklavieren) können: es ohne große Überlegung begreifen können; von einer leichten Aufgabe gesagt, die man spielend, wie ein Schulkind mit den Fingern, lösen kann. Dagegen bedeutet etw. an den Fingern herzählen: es genau wissen und geläufig aufsagen können. Einem die Finger kürzer binden, ähnl. wie ,einem die Flügel beschneiden4: ihn einschränken, in seiner Tätigkeit hemmen; schon im 16. Jh. in Oldecops ,Hildesheimer Chronik4 (S. 134): ,,De wile aver den für¬ sten de fingere korter gebunden sin schol- den44. Das Gegenteil davon ist lange Finger mci- chen:stehlen; in Schillers ,Räubern4 (II, 3) streiten sich Spiegelberg und Razmann, ob Spiegelbergs oder Moors Räubertrupp geriebenersei: Spiegelberg: „Die meinen! die meinen — Pah —44. Razmann: „Nun ja! sie mögen hübsche Fingerchen haben-44. Bei Abraham a Sancta Clara steht dafür auch krumme Finger machen und das Fünffin- gerhandwerk treiben; letztere Wndg. ist noch jetzt im Obersächs. und Oldenburg, gebräuchl., dafür früher auch mit Fünffingerkraut handeln. Ähnl. berl. auf die Frage: ,Wat hat’n det jekost?4 - ,Fünf Finger und een Jriff4. Auch die Finger nicht bei sich behalten können, klebrige Finger haben: stehlen. Einem Dieb muß man daher auf die Finger sehen (passen): scharf auf ihn aufpassen, stärker: auf die Finger klopfen: ihn von einer unerlaubten Handlung abbringen, züchtigen; vgl. frz. ,lui donner sur les doigts4. Sich die Finger verbrennen: schlechte Erfahrungen machen; ndl. ,zijn vingers branden4; engl. ,to burn one’s fingers4; frz. ,se brûler les doigts4; ähnl. auch in Götz von Berlichingens Lebensbeschreibung: „daß ich Sorg hatte, ich schlug die Hand in die Kohlen44. Die Rda. umschreibt einen Alltagsvorgang, dessen übertr. Bdtg. ohne Erklärung verständlich ist. Ein Anknüpfen an die ma. Gottesgerichte, in denen meistens sog. Feuerproben verwendet wurden, ist deshalb nicht notwendig. Ebenfalls keiner Erklärung bedarf die jüngere Wndg. sich in den Finger schneiden: sich selbst schaden, sich verrechnen. Aufjem. mit Fingern zeigen: auf einen, der sich unrühmlich ausgezeichnet hat, der von den Menschen verspottet und verachtet wird, öffentl. hinweisen; gleiche Bdtg. haben frz.,montrer qn. au doigt4 ; ndl. Jemand met de vinger nawijzen4; engl. ,to point or to finger at a person4. Im Lat. dagegen bedeutet die gleiche Wndg. ,monstrari digito4 = allgemein gerühmt werden. In den Satiren des Persius heißt es (I, 28): „At pulchrum est digito monstrari et dici: hic est44 = aber schon ist es doch, wenn mit dem Finger auf einen gezeigt und gesagt wird: der ist es! 275
Finte Den Finger auf etw. legen, z.B. auf eine Wunde, einen wunden Punkt, eine faule Stelle: das Schlechte, Bedenkliche an einer Sache hervorheben; vgl. engl. ,to put the finger on the spot1. Jem. um den (kleinen) Finger wickeln können, sich um den kleinen Finger wickeln lassen; diese Rdaa. bezeichnen die Nachgiebigkeit und Gefügigkeit eines willenlosen Menschen, den man völlig in seine Gewalt zu bringen vermag, wie man etwa einen Strohhalm oder einen Faden um den Finger wickelt. Keinen Finger rühren nach etw., keinen Finger krumm machen: faul und träge sein, kein Interesse an der Sache haben; im Gegensatz dazu: sich alle Finger krumm arbei- fleißig sein; ähnl. sich die Finger wundschreiben. Sich mit dem kleinen Finger auf dem Kopf kratzen: sich geziert benehmen. Etw. nur mit Fingerspitzen (mit spitzen Fingern) an- fassen: vorsichtig sein, sich davor ekeln. Die Finger von etw. lassen: sich nicht damit abgeben, mdal. bes. in der Form (laß die) Finger von der Butter und (bleib) mit die Finger von die Dinger, auch mit dem Zusatz ,die haben Geld gekostet. Der bricht noch den Finger im Arsch ab und der bricht noch den Finger in der Nase sagt nian von einem, der ganz besonderes Mißgeschick hat, sich aber auch bes. ungeschickt benimmt. Der beißt sich eher den Finger ab, ehe er etw. gibt heißt es von einem geizigen Menschen. Sich die Finger vergolden lassen können: sehr reich, aber auch sehr geizig sein; im Spiel: keine brauchbaren Karten herausgeben. Lit.: W. Grimm: Über die Bdtg. der dt. Fingernamen, in: Kleinere Schriften, Bd.3 (Berlin 1883), S. 428ff.; A. Risse:Zs. f. d. U., 31.Jg. (Leipzig 1917), S.362; HdA. II, Sp. 1478 ff.; A. Wesselski: Der säugende Finger, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 144-150; H. Mangin: Die Hand, ein Sinnbild des Menschen (Zürich 1952); L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, in: Volk, Sprache, Dichtung. Festgabe für K. Wagner (Gießen 1960), S.272L; ders.: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967). Finte. Finten machen: einen Vorwand, ein Täuschungsmittel gebrauchen; eigentl.: sich wie ein Fechter benehmen, denn Finte, ital. finta, frz. feinte geht zurück auf lat. fin¬ gere = erdichten und bez. zunächst die List, den Trugstoß beim Fechten; der Gegner wird durch eine Scheinbewegung getäuscht, sich eine Blöße zu geben. Er versucht entweder den angezeigten fintierten4 Stoß mit einer Parade unmöglich zu machen und gefährdet sich dadurch, weil der Angreifer seine Bewegung berechnet und seinen Stoß führen kann, oder der Gegner wird zum Angriff verleitet, was dann auch zum Vorteil ausgenützt wird. Im 17. Jh. entwickelt sich daraus die heutige Bdtg.; das Wort Finte ist auch in die Volkssprache gedrungen, z.B. rhein. ,Dat send de Finte dovon4, er hat scheinheilig gehandelt. Firlefanz. Firlefanz machen: Dummheiten machen, närrisch sein; das in der Volkssprache weitverbreitete Wort geht zurück auf frz. virelai = Ringellied, das unter dem Einfluß von mhd. ,tanz' zu virlefanz umgestaltet wurde. Die heutige Bdtg. von Firlefanz entstand durch Einwirkung der Ableitungen firlefenzen (schon bei Luther), firlefanzen = närrisch sein, die ebenfalls bis heute in den Mdaa. gebräuchl. sind. Fisch. Stumm wie ein Fisch ist seit den alten Ägyptern fast bei allen Kulturvölkern ein sprw. Bild für die Schweigsamkeit. Bei Erasmus von Rotterdam in den ,Adagia' ist der Vergleich noch gesteigert: ,,Magis mutus quam pisces'4 = stummer als die Fische. - Wenn sich der Fisch im Wasser tummelt, sich ,in seinem Element' bewegt, ist er geradezu ein Bild frischen, gesunden Lebens, wie es wenige gibt; daher der rdal. Vergleich gesund wie ein Fisch im Wasser, seltener im Gegenteil: ,Em es tomod (zu Mute) wie em Fisch op em Land'. Schon im 13. Jh. heißt es in Konrad von Würzburgs ,Trojanerkrieg' (V. 10808): er wart gesunt reht als ein visch, der vert in einem wäge (= der sich in den Wogen bewegt), ln Fischarts ,Flöhhatz' ist 1577 belegt: Ich ward dabei so gsund und frisch Als in kaim Wasser ist kein fisch. In Schillers ,Räubern' (I, 1) fragt Franz: „Ist Euch wirklich ganz wohl, mein Vater?" Der alte Moor: „Wie dem Fisch im Wasser!" Auch die lockenden Worte der Nixe 276
Fisch ,Die großen Fische fressen die kleinen4 in Goethes Ballade ,Der Fischer4 umschreiben das Bild: Ach, wüßtest du, wie’s Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst gesund. Die Feststellung Die großen Fische fressen die kleinen: die Mächtigen, Reichen leben auf Kosten der Unterdrückten und Armen, ist häufig bildl. dargestellt worden, so auch von Pieter Bruegel auf seinem großen Rdaa.-Bild und von Hieron. Bosch. Das ist weder Fisch noch Fleisch: es hat keine Eigenart, ist zweideutig und unklar. Die früheste Form findet sich lat. in den ,Adagia4 des Erasmus von 1534. Dort heißt es: ,,Neque intus neque foris . . . simili figura dicunt hodie neque caro neque piscis, de homine qui sibi vivet, nec ullarum est partium44 ( — man sagt heute auch von einem Mann, der nur für sich lebt und nirgendwo Partei ergreift: weder Fisch noch Fleisch). 1586 ist die Rda. in Fischarts ,Bienenkorb4 (85 b) belegt: ,,Sonder ist wederfisch noch fleisch44. In der ^numerischen Chronik4 (III, 370) wird von einem frz. Orator erzählt: „Der hab ain lange und zierliche lateinische redt gethon, die aber so wunderbarlich und varia gewest, daß der verordneten kainer was gründlichs oder bestendigs dorauß hab künden nemmen und weder fisch oder flaisch, wie man sprücht, gewest44. Scherzhafte Anwendung findet die Rda. in einem meckl. Sagwort: ,Nich Fisch noch Fleisch, säd’ de Adebor, donn fratt he ne Pogg4 (Frosch). In Jeremias Gotthelfs ,Bauernspiegel4 lautet die Wndg. ,Nicht Vogel, nicht Fisch4, ähnl. auch in der Schweiz. Mda. bezeugt: ,Das ist weder Vogel noch Fisch, weder Halbs noch Ganzes4. Friedrich Rückert (,An Fischmann und Mannfisch4) wandelt die Wndg. folgendermaßen ab: „Halb Fisch halb Mann ist weder Fisch noch Mann; sei jeder ganz, wozu ist das Gemisch? Hofmönch und Klosterritter mag mir beides nicht behagen44. In der Volkssprache des Niederrheins wird die Rda. zu ,weder Fisch noch Frosch4 entstellt. Mhd. heißt es von einem Unentschiedenen auch: ,Er ist nicht visch unz uf den grät4, er ist nicht Fisch bis zur Gräte, ähnl. noch im 16. Jh. bei Fischart; vgl. frz. ,11 est ni chair ni poisson4; engl. ,He is neither fish nor flesh4; ndl. ,vis nog vlees zijn4.-
Fischen Die erste engl. Notierung ist datiert für 1528: „Wone (one) that is nether flesshe nor fisshe“ ; eine etw. längere Formulierung für 1621: „Neither flesh nor fish nor good red herring“. Um 1700 wurde in Engl, auch häufig die Form ,to make fish of one and flesh of the other1 gebraucht. Seit der Mitte des 16. Jh. findet sich in Engl, noch eine dritte Version unserer Rda.: ,,She is nother fisshe, nor flesshe, nor good red hearyng“ (herring); so bei John Heywood 1546. Eine vierte, seit der Mitte des 19. Jh. aufgekommene Version setzt noch das Wort Jowl' hinzu: ,neither fish nor fowl'. Dies steht nahe auch der bei Jeremias Gotthelf im ,Bauernspieger 1837 zuerst lit. bezeugten Schweiz. Rda. sowie der dän. Form ,hver- ken fugl eher fisk'. Den Fisch schwimmen fassen: trinken, nachdem man Fisch gegessen hat; in Anlehnung an die seit alters bekannte Lehre, daß Fisch schwimmen will; lat. bei Petronius: „pisces natare oportet“. Z.T. auch noch erweitert: ,Der Fisch will schwimmen - der Ochs will saufen'. Faule Fische: verdächtige Sachen, Ausreden oder Lügen; in diesem Sinne schon in Luthers Sprichwörtersammlung (Nr. 104): „Bleib dahymen mit deinen faulen Fischen“. Ebenso auch bei dem Prediger Mathesius: „wer mit renken und faulen fischen umbgehet, der muß doch mit der zeit schände werden“; 1639 bei Lehmann 488 (Lügen 61): „Ein lügner verkaufft faule Fische, hawet vber die Schnur, wirfft das Beil zu weit, da ers nicht kan wieder holen“, ln einem poetischen Gespräch über den Nordischen Krieg (1700-09) sagt der König von Dänemark: Glaubte Schleswig zu erwischen Und noch etwas anders mehr, Doch da waren’s stinkend Fische, So mir gar nicht schmecken sehr. Die Wndg. ist in den heutigen Mdaa. noch sehr verbreitet, z.B. Schweiz. ,Es riecht nach faulen Fischen', rheinhess. Jaule Fische in der Brühe', schwierige Verhältnisse, rhein. ,Der hot faule Fisch gefong', er versucht auf unrechtmäßige Weise etw. zu erreichen. Faule Fische und stinkende Butter sagt man, wenn sich zwei verbinden, die beide nicht viel taugen. Kleine Fische stehen sprw. für bedeutungslose oder leicht zu bewältigende Dinge. Das sind ungefangene Fische: man braucht noch nicht darüber zu sprechen, ehe die Sache nicht entschieden ist; der Fisch hat angebissen: die List ist gelungen; du kriegst Fische: Ohrfeigen; einen kleinen Fisch gehen, um einen großen zu bekommen: nicht nur uneigennützige Geschenke geben; er hört die Fische im Wasser singen: er ist eingebildet, tut überklug; er ist wie ein abgestandener Fisch: matt, schwach, elend. Fische gegessen haben: unrasiert sein (beruht auf der grotesken Vorstellung, daß beim Fischessen die Gräten durch Kinn und Wangen gedrungen sind); die Fische füttern: sich auf See erbrechen (eine umschreibend euphemist. Wndg.). Diese beiden Rdaa. sind noch ziemlich jung. Lit.: W. Stiefmacher: Der Fisch im dt. Sprw., in: Fischwaid, Zs. f. Sportfischerei (Hamburg 1952), 7. Jg., S.26; J. Szôvérffy: Irisches Erzählgut im Abendland (Berlin 1957), S.12H.; A. Taylor: ,Neither fish nor flesh‘ and its variations, in: Journal of the Folklore Institute 3 (1966), Nr. 1, S. 3-9. Wein Sminfc, Gr macht ja ansfjc e&titt'. Set ael?' 3um •ftifctjen; fomm n niii. ,Fischen gehen' fischen. Zum Fischen gehen: seinen Zweck zu erreichen suchen, jem. für sich gewinnen wollen, nach einem Partner Ausschau halten, vgl. die Wndg. ,sich einen Mann angeln'. Im Trüben fischen Ztrüb. Fischer. Die Fischer schlagens uff den Kübelnwar eine altels. Rda. für: die Sache ist in aller Munde, die Spatzen pfeifen’s auf 278
Flandern (von) den Dächern, namentl. von einer Ehebruchsgeschichte: Der Buhle meint, er sei verborgen, so es doch die Fischerknaben auf den Kübeln schlagen; ähnl. in Brants ,Narrenschiff (62, 26): Als heymlich halttet er (der Buhle) syn Sachen, Das yederman davon muß sagen, Die vischers uff den Küblen schlagen. Ebenso bei Murner ,Schelmenzunff : ,,die Kinder es an gassen singen, dfischerknaben am Kübel schlagen“. Fisimatenten. Fisimatenten machen: Umstände, Ausflüchte, nichtige Einwände machen (ähnl. wie ,Kinkerlitzchen4, Sperenzien machen4). Das seltsame Wort ist bis in die Mdaa. hinein verbreitet, z.B. schwäb. ,Mach mir keine Fisimatente4, rhein. ,Du häs nicks wie Fisematenten im Kopf4, berl. ,Mit Fisematenten spiel ick nich4! Seine Entstehung fällt in das 15. Jh. Es handelt sich um eine Wortmischung; zugrunde liegt einmal lat.,visae patentes (literae)4 = ordnungsgemäß verdientes, geprüftes Patent, im 16. Jh. mehrfach als ,visepatentes‘ belegt (vgl. Offizierspatent). Da die Ausfertigung eines solchen Patentes oft lange Zeit in Anspruch nahm, ergab sich die spöttisch gemeinte Bdtg. überflüssige Schwierigkeit4. Im 17. Jh. nimmt das Wort unter dem Einfluß von ,Visamente4 die uns heute geläufige Form an. Visamente (schon mhd. visamente) geht auf altfrz. visement zurück und bedeutet zuerst: Aussehen, Einteilung eines Wappens, später auch: unverständlicher Zierat, Ornament. Als Beispiel volksetymol. Deutung eines nicht mehr verstandenen Wortes sei die in Mainz übliche Erklärung von Fisimatenten erwähnt: Das Wort soll nach dem Volksmund zurückgehen auf,visitez ma tente4 = besuchen Sie mein Zelt, und sei die Aufforderung der frz. Offiziere an die dt. Mädchen zur Zeit der Revolutionskriege gewesen. Ebenso wurde es volksetymol. aber auch als Ausrede verspäteter Passanten bei Kontrollen durch die Wache erklärt: ,Je viens de visiter ma tante4 (ich habe eben meine Tante besucht). Lit.: Risop: Fisimatenten, in: Arch. f. neuere Sprachen (1924), S. 25 Iff.; H. Spitzer: Fisimatenten, in: Teutho- nista I (1924), S.319; G. Schoppe, in: Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde. 29 (1928), S.298; Mainzer Wb., 60f. Fittich. Eitlen beim Fittich kriegen: ihn erwischen, fassen, um ihm den Standpunkt klarzumachen, um ihn zu bestrafen. Fittich, mhd. vëttach, vittich, urspr. ,Gefieder4, doch schon frühnhd. (z.B. bei Luther, 4. Mos. 15,38) zur Bez. des Rockzipfels gebraucht. Ndd. ,enen bi dem Fiddik krigen4: ihn bei den Kleidern ergreifen, auch bei G. A. Bürger: ,,ei, ei! rief Meister Ehrenwort, als er beim Fittich sie erwischte“. In der Hochsprache gilt Fittich heute vorwiegend als dichterischer Ausdr. für,Flügel4, vgl. die Wndg.: jem. unter seine Fittiche nehmen: ihm Schutz gewähren. Luther übersetzt (Ps. 91,4): „Er (Gott) wird dich mit seinen Fittichen decken44. Hier dürfte allerdings Fittich noch die Bdtg. von ,Gefieder4 haben. Doch lebt auch dieser Gebrauch durchaus in den Mdaa., so etwa westf. ,einem de Fittkestüwen (stutzen)4, ihm die Flügel beschneiden, eis. ,Er loßt d’Fittich henken4, er hat die Kraft und den Mut verloren, ,s hat Fittich bekumm4, es ist gestohlen worden, ähnl. ,Es hat /Beine gekriegt4. Mdt. wird für Fittich /Schlafittchen gebraucht. Flagge. Die Flagge streichen: sich überwunden bekennen, sich ergeben. Aus der Seemannssprache übernommen und seit dem 17. Jh. verbreitet: ein Schiff zieht seine Flagge ein zum Zeichen, daß es überwunden und bereit ist, sich dem Feind zu ergeben. Ähnl. auch in anderen Sprachen, z.B. ndl. ,de vlag strijken4, engl. ,to strike the flag (oder colours)4, frz. ,baisser pavillon4. Neuerdings auch euphemist. für ,sterben4 gebraucht, /zeitlich. Unter fremder (oder falscher) Flagge segeln wird auch bildl. gebraucht für: unter fremdem Namen gehen. Flandern. Von (aus) Flandern sein: in der Liebe unbeständig, flatterhaft sein. Die Rda. war früher wohl das beliebteste der zahlreichen Wortspiele mit Ortsnamen; sie vermischt den Ländernamen Flandern mit dem gleichklingenden Zeitwort ,fländern, flandern, flanieren4 = herumflattern, umherschweifen. Flandern in der Bdtg. ,leichtsinniges Frauenzimmer4 ist bereits in Wittenwilers ,Ring4 (um 1450) bezeugt. Auch im 20. Jh. ist dieser Gebrauch noch häufig in den Mdaa. nachzuweisen: In der 279
Flanellwache Eifel ist ein ,Flandrianes4 ein nichtsnutziger Windbeutel, schwäb. ,Flanderer4 = Flattergeist; bair. ,Flanderl4 = flatterhaftes Mädchen; niederschles. ,a is halt vu Flandern4, er ist ein Herumtreiber, ein unzuverlässiger Bursche; böhmisch ,flandra4 = leichtfertiges Weib usw. Es ist möglich, daß die Verbreitung dieses Ausdr. mit der Wanderlust flämischer Kolonisten zusammenhängt. Aber seit dem Frühnhd. wird Flandern häufig im Reim auf ,wandern1 und ,andern4 gebraucht, wenn Treulosigkeit und Unbeständigkeit der Mädchen und Junggesellen ausgedrückt werden soll, so schon bei Hans Sachs: Wann diese bübin ist von Flandern, Si gibt ein buben umb den andern. Ähnl. in einem Fliegenden Blatt um 1620 (Grimm, Dt. Wb. III, 1722) und in Uhlands Volkslied ,Das Liebchen von Flandern4 (Nr. 49): Mein Feinslieb ist von Flandern Und hat einen wankeln Muth. Die Rda. muß auch Goethe geläufig gewesen sein (,Was wir bringen4, 1814, 5. Auftr.): Weil ich so gewohnt zu wandern, Heute hier und morgen dort, Meinen sie, ich wär von Flandern, Schicken gleich mich wieder fort. Flanellwache. Flanellwache stehen: vor dem Fenster der Geliebten warten; eine in Berlin und Obersachsen belegte Rda.; /Donnerwache. Flausen. Flausen machen: Lügen und Ausflüchte gebrauchen; nichts als Flausen im Kopfe haben: närrische Einfälle haben. Das dt. Wort Flause ist zuerst 1595 in Siebenbürgen belegt und erscheint dann wieder 1772 in Pommern bei Hermes (,Sophiens Reise4 4, 78): „Flausen machen44. Gebucht ist es seit 1796 durch Adelung. In den Mdaa. ist es überall verbreitet. Es bez. ur- spr. Wollflocken oder Fadenreste im Gegensatz zum festen Gewebe und ist in der Volkssprache ein Bild für lockere Reden und unzuverlässiges Treiben geworden. Gotthelf gebraucht in seinem Roman ,Uli der Knecht4 die Wndg. „Ihr wollt mit mir nur eure Flausen treiben44. Fleck. Aus älterer Sprache stammt die uns heute nicht mehr geläufige Wndg. einen Fleck schneiden, große Flecke schneiden: aufschneiden, bezeugt z.B. in dem 1654 in Weimar erschienenen ,Complimentir- büchlein4: „Hierher gehören auch alle Aufschneider, die von Schlachten, Reisen und Frauengeneuße große Flecke schneiden44. Vom Schneiderhandwerk rührt die Rda. her: den Fleck neben das Loch setzen: die Sache verkehrt machen, schon im 17. Jh. bei Grimmelshausen belegt und auch heute in der Volkssprache noch lebendig, etwa in dem schwäb. Reim ,Der Schneider von Degerloch setzt den Fleck nebens Loch4 oder in dem rhein. Sagwort: ,Prakessiere es die Kuns, sät de Frau, du hat se de Flecke neven et Loch gesatz4. Der Mittelpunkt der Zielscheibe ist gemeint in der Wndg. auf den rechten Fleck treffen, z.B. bei Chr. M. Wieland: „Ich habe genug dran und finde, daß sie aufs rechte Fleck gestochen haben44, und in Schillers ,Turandot‘ (II, 4): „Tartaglia! Mein Seel! ins schwarze Fleck geschossen. Mitten hinein, so wahr ich lebe44. Bei Goethe (,Dichtung und Wahrheit4 3. Buch): „(Autoren), die nicht immer den rechten Fleck zu treffen wußten44. Fleck bedeutet ,Stelle4 in den Rdaa. nicht vom Flecke kommen: nicht vorwärts, nicht vonstattengehen, vom Fleck weg:sofort (er hat sie vom Fleck weg geheiratet: auf der Stelle); das Herz (den Kopf\ das Maul) am (oder auf dem) richtigen Fleck haben: am richtigen Platz. Vom ,Schmutzfleck4 sind die folgenden Rdaa. abzuleiten: obersächs. sich einen Fleck machen: sich etw. einbilden; berl. ,Machen Se sich man keen’ Fleck!4, zieren Sie sich nicht so ! Einen Fleck auf der weißen Weste haben: kein reines Gewissen haben (/Weste), eine Wndg., die u.a. auch von Bismarck gebraucht worden ist (vgl. Büchmann, S.711); sie hat einen Fleck an der Schürze: sie ist ein Mädchen, das vor der Ehe Mutter geworden ist. Flederwisch. Flederwische feil haben: nicht mehr begehrt werden. Eigentl. ist Flederwisch, mhd. vëderwisch, der Gänseflügel, der zum Abwischen und Kehren benutzt 280
Fleischtopf wurde, eine verachtete Marktware. Die Rda. spielt aber zugleich mit der Bez. Flederwisch für flatterhafte Menschen, bes. für Mädchen und alte Jungfern. Im schwäb. Volkslied heißt es: Aufm Wasn graset d’Hasn, Ond em Wasser gambet d’Fisch. Lieber will i gar koi Schätzle Als en sona Fledrawisch. Die Rda. wurde seit dem 17. Jh. bes. für alte Jungfern gebraucht, so z.B. 1652 in den ,Geist- und weltlichen Gedichten1 von Wencel Scherffer (I, 566): Alter Mägde letzter Wandel Ist der Flederwische Handel. Im ,Crailsheimer Liederbuch1 (hg. v. Kopp, S.159) heißt es von einer alten Jungfer: Mit Körben handelt ich ein Weil, Jetzt aber trag ich Flederwische feil. Über spröde Mädchen, die einen Freier nach dem anderen abweisen und zuletzt zu niedriger Beschäftigung ihre Zuflucht nehmen müssen, spottet A. F. E. Langbein in einem Gedicht (Gedichte Bd.3, 1813, S. 79): Für jede vormals Spröde Wetzte nun der Spott den Pfeil Dieser sprichwörtlichen Rede ,,Sie hat Flederwische feil“. Vereinzelt wird die Rda. auch auf alte Junggesellen gemünzt, so z.B. in einer Simplizianischen Schrift aus dem Jahre 1685: „Wenige lassen ihnen den ehelosen Stand belieben aus Furcht, sie möchten dermaleins (nach dem Sprichwort) Flederwische vor der Hölle feil haben“. Im Obersächs. findet sich noch ein Nachklang der Rda. in der Wndg. ,en Flederwisch wieder mit heem bringen4, beim Ball nicht zum Tanz geholt werden. Fleisch. Sich ins eigene Fleisch schneiden: sich selbst Schaden zufügen; ähnl. gebraucht wie die Rdaa. ,sich in den Finger schneiden4, ital. ,aguzzare il palo in suo gi- nocchio4 (= den Pfahl auf dem eigenen Knie spitzen). Faules Fleisch tragen: scherzhaft für: ein Faulpelz sein. Zu Fleisch kommen: dick werden; vom Fleisch kommen (oder fallen): abmagern. Schweiz, ,’s git-em Fleisch i’s G’mües4, er zieht aus etw. seinen Vorteil. Von einem, der im Ehe¬ bruch lebt, sagt man rheinhess. ,Er ißt zweierlei Fleisch4 (/Holz). Den Weg alles Fleisches gehen: sterben (/Weg, /zeitlich). Der Pfahl im eigenen Fleisch ist bibl. Ur- spr.; 2. Kor. 12,7 heißt es: „Und auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe44. Das ist kein Fleisch für seinen Vogel: nichts für ihn; das ist zähes Fleisch: von jem., der schwer für etw. zu gewinnen ist, der sich nur mit Mühe überreden läßt. ,Fleesch und Suppe, all’s in enem Tuppe4 antwortet die schles. Hausfrau auf die Frage, was gekocht werde, um den sehr einfachen Tisch oder die Ärmlichkeit ihrer Haushaltung zu bezeichnen ; sie hat un geweiht Fleisch gekostet: es ist ein Mädchen, das vor der kirchl. Einsegnung Geschlechtsverkehr gehabt hat. Etw. ist mir in Fleisch und Blut über ge gangen: ich beherrsche eine Tätigkeit, Fingerfertigkeit usw. vollkommen. Weder Fisch noch Fleisch /Fisch; zwischen Fell und Fleisch /Fell. Fleischer. Bei dir guckt der Fleischer ’raus: man sieht das nackte Fleisch durch das zerrissene Kleidungsstück, auch ,der Fleischer guckt durch’n Leineweber4; beides obersächs. Rdaa.; vgl. schles. ,Es guckt der Fleescher durch a Wäber4, noch witziger im Altmärk. .Fleischers Tochter kiekt ut Strumpweber sin Finster4; hamb. ,Fleischmann guckt aus Wollmanns Laden4. Einen Fleischergang tun: einen vergeblichen Gang tun (/Metzgersgang). Fleischtopf. Sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens (nach den ägypt. Fleischtöpfen) (zurück)sehnen: sich eine vergangene, glücklichere Zeit zurückwünschen; vgl. ndl. ,terugverlangen naar de vleespotten van Egypte4; engl. ,to be sick for the flesh-pots of Egypt4; frz. .regretter les oignons d’Égypte4. Die Rda. ist bibl. Herkunft; in 2. Mos. 16,3 murrt das Volk Israel gegen Moses und Aaron: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, da wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten die Fülle Brot zu essen44. Bei 281
Fliege Grimmelshausen sehnt sich Simplicissimus einmal nach dem einstigen Wohlleben zurück: „Solches war mir sauer zu ertragen, Ursach, wenn ich zurück an die ägyptischen Fleischtöpf, das ist, an die westfälischen Schinken und Knackwürst zu L. gedachte“ (Buch IV, Kap. 14). Ähnl. auch schon bei Seb. Brant: Es lüstet sie gar ser das Land, Wo ihre Fleischhafen stant. Fliege. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: einen doppelten Zweck durch ein Mittel erreichen. Diese Rda. ist heute sehr verbreitet und in vielen Mdaa. bekannt, etwa fries. ,diär waad’ tau flüggen mit jen Klaps sleinen4 oder ndl. ,twee vliegen in een klap slaan4. Die dt. Sprache kannte urspr. noch eine ganze Reihe ähnl. Wndgn. zur Bez. einer geschickten Handlung, die doppelten Gewinn erzielt, z.B. ,zween Füchs in einer hole fahen4, ,zween Brey in einer Pfannen kochen4, ,twee Appelen mit eenen Stock afwergen4, ,du wilt mit einer Dochter zween Eydam machen4. Die letzte Rda. ist bereits in einer Hs. des 11. Jh. belegt: „Tu ne mäht nicht mit einero dohder zeuuena eidima machon44, als volkstümlich auch im Schwed. und Ndl. bezeugt. Aus dieser Fülle von Ausdr. ist im heutigen Sprachgebrauch nur unsere Rda. übriggeblieben; sie wird wohl die jüngste aller ihrer Schwestern sein. Bei unseren Nachbarn und schon im Lat. finden sich gleichbedeutende Wndgn. ähnl. Art, vgl. lat. ,uno saltu apros capere duos4, ital. ,pigliar due colombi con una fava4, ndl. ,twee kraeyen met en schoot schieten4, engl. ,to kill two birds with one stone4, frz. ,faire deux coups d’une pierre4. - Wenn man von einem Prahlhans sagt: Er will sieben Fliegen mit einer Klappe schlagen, so handelt es sich dabei um eine Umgestaltung unserer Rda. in Anlehnung an das Märchen vom tapferen Schneiderlein (Grimm: KHM. 20). Sich über die Fliege an der Wand ärgern: sich über jede Kleinigkeit ereifern, nervös sein. Der pietistische Theologe C. Scriver gebraucht 1681 in seinem ,Seelenschatz4 (2,943) diese Wndg. von Kranken: ,,Die Erfahrung lehret, daß solche Siechlinge manchmal, wie man spricht, die Fliege an der Wand irret und eifert44. / Mücke. Wie die Fliege aus der Buttermilch: schwerfällig, unbeholfen, ist schon Geiler von Kaisersberg bekannt in der Form: „er kam gezogen wie die Fliege aus der Buttermilch44. Bei Grimmelshausen heißt es im , Simplicissimus4 (Buch IV, Kap. 20): „Sollte mir wohl jemand raten, hineinzu- plumpen wie die Fliege in ein heißen Brei?44 In der rhein. Mda. ist aus unserer Zeit bezeugt: ,He geiht as en Flieg en de Kernemelk4, er geht sehr unbeholfen, und im Meckl. sagt man von einem, dem es gut geht: ,He läwt as de Flieg’ in de Dickmelk4. ,Fliegen fangen4 ist eine unnütze Tätigkeit und Zeitvergeudung; daher: Ich bin nicht hier, um Fliegen zu fangen: ich habe Wichtigeres zu tun. Von einem schüchternen und gutmütigen Menschen sagt man: Er kann keiner Fliege etw. zuleide tun (vgl. ndl. ,geen vlieg kwaad doen kunnen4; engl. ,He would not hurt a fly4). Aus einer Fliege einen Elefanten machen /Mücke. Matt wie eine Fliege: bei Geliert (Sämtl. Schriften 3, 369): „Ich bin so matt, daß mich eine Fliege umstoßen könnte44; ober- sächs. ,Die nerweesen Weibsen fallen um wie de Fliegen, dann liegen se da wie de toten Fliegen4; schlesw.-holst. ,Se fallt as de Flegen in Nasommer4. Flinte. Die Flinte ins Korn werfen: eine Sache entmutigt verloren geben. Die Flinte, heute im wesentlichen das Gewehr des Jägers, war einst auch die Waffe der Soldaten. Das Bild der Rda., die noch heute daran erinnert, stammt wohl von dem zum Schlachtfeld gewordenen Kornfeld und entspricht älteren Wndgn., wie lat. ,hastam abicere4, die Lanze fortwerfen, übertr.: alles verloren geben (bei Cicero), ,clavum abicere4, das Steuerruder loslassen. Die Flinte ist auch noch in einigen anderen Wndgn. volkstümlich, z. B. obd. Dem hat’s auf die Flinte geregnet (oder geschneit): ein unerwartetes Ereignis hat seine Pläne vereitelt, wie dem Jäger oder Soldaten, dem das Pulver durch Regen oder Schnee feucht geworden ist. Rhein. ,en lang Flint hon4, zu weit schießen; ,der es nich wert, dat me en in de Flint ladt un dem Deuwel et Neujohr anschüt4. Der Ausruf Himmel haste keene Flinte? 282
Flöte, flöten (mit der Fortsetzung ,Schieß mir dausend Daler vor!4) wahrsch. aus altberl. Couplet in die Umgangssprache gedrungen. Floh. Lieber Flöhe hüten als das, oder das ist schlimmer als einen Sack Flöhe hüten: von einer fast unmöglichen, undurchführbaren Aufgabe gesagt, lat. schon 1508 bei Heinrich Bebel Nr. 86: „Difficillima dicitur esse custodia mulierum: adeo ut mille pulices ex proverbio facilius contineantur in uno loco, quam castitas unius mulieris pravae et libidinosae“. Bei Seb. Franck (1,27): „Weiber hüten. Einer wannen vol floh hüten“, und bei Burkard Waldis: ... Wolt lieber jar vnd tag Fünfhundert flöhe in einem sack Zu velde tragen alle morgen Schütten ins graß, vnd dafür sorgen, Das ers brecht wieder all zu mal Vnd jm nicht einr fehlt an der zahl. ,Flöhe (Heuschrecken) hüten4 - ,Wasser in den Brunnen schütten4 Ähnl. in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (32a): Der hütt der hewschreek an der sunn Vnd schüttet wasser jn eyn brunn Wer hüttet das eyn frow blib frum. Die Flöhe husten hören: überklug, spitzfindig sein, schon im 16. Jh. gebräuchl., belegt z.B. bei Seb. Franck (1,78): „Er hört die flöh husten, das graß wachsen44, auch in Abraham a Sancta Claras ,Todten-Capelle4 (28): „Er hört das Gras in den Elisischen Feldern wachsen, und die schwindsüchtigen Flöh, in Seraglio zu Constantinopel, biß auf Paris, husten44. Die Rda. ist noch heute in der Volkssprache verbreitet, mitunter jedoch etw. derber, etwa rhein. ,Er hert de Fleh am helle Dag furze4, meckl. ,Dei is so klauk, kann Flöh bläken sihn4. Jem. einen Floh ins Ohr setzen: ihm eine beunruhigende Mitteilung machen, ihn mißtrauisch machen, wohl lehnübersetzt aus frz. ,mettre à quelqu’un la pouce à l'oreille4; schon in Grimmelshausens Simplicissimus4 (Buch III, Kap. 14): „... denn Springinsfeld hatte mir einen unruhigen Roh ins Ohr gesetzt44. Vgl. ,einem eine /Laus in den Pelz setzen4. Nicht mehr gebräuchl. ist die im 16. und 17. Jh. reich belegte Rda. einem die Flöhe abkehren (oder abstreichen): ihn verprügeln, z. B. in Fischarts ,Geschichtklitte- rung4: „den strichen sie die Floeh ab44. Mdal. weit verbreitet ist Er steckt voller Schulden wie der Hund voller Flöhe; ferner Ihm ist ein Floh über die Leber gehüpft: er ist übel gelaunt, /Laus. ,Mit Flohfett geschmiert4 nennt man erzgeb. einen Witzbold, der sich ernsthaft stellt; um einen Dummkopf zu necken (z.B. am 1. April), schickt man ihn Flohsamen ein kauf en, /April. Flöte, flöten. Eine schöne (die ganze) Flöte auf der Hand haben: scherzhaft beim Kartenspiel für eine zusammenhängende Folge von Spielkarten einer Farbe, die man gleichsam wie eine Tonleiter herunterspie- len kann; in demselben Sinne: die (ganze) Flöte auf den Tisch legen. Mit der Flöte regieren: mild regieren; wie bei der ersten /Geige heißt es auch: ,1hm ist nicht wohl, wenn er nicht die erste Flöte spielen kann“. Das geht wie ein Flötchen: es geht sehr leicht, wie geschmiert. In den süßesten Tönen flöten: sich der höflichsten, schmeichlerischsten Worte bedienen; auch in gereimter Form: Das Pfeiflein macht gar süßes Spiel, wenn es den Vogel fangen will. Flöten gehen: verlorengehen, verschwinden, zugrunde gehen, ist eine vieldisku¬ 283
Flötekies tierte Rda., deren Herkunft noch nicht mit Sicherheit geklärt ist. Im Grimmschen Wb. (III, 1824) wird sie aus dem Dt. abgeleitet als „schwinden, dahin tönen in die Luft, wie der verhallende Laut einer Flöte“; in älteren Aufl. des Borchardt-Wustmann wird die Rda. gedeutet als: „mit einer Flöte davongehen, um sich als Musikant durch die Welt zu schlagen“ (5. Aufl. 1895), oder als „pissen gehen“ (6. Aufl. 1925). Für diese letzte Deutung spricht auch die ndl. Wndg. des 17.Jh. ,weggaan om te fluiten4, wo ,fluiten4 soviel wie,urinieren4 heißt; auch in anderen Sprachen hat sich dieser Ausdr. ausgeweitet zu der Bdtg. ,sich wegschleichen4, z.B. ndd. ,ga wat pissen4, pack dich weg, frz. ,evoyer pisser (chier) quelqu’un4, jem. wegjagen,,pisser à l’anglaise4, heimlich Weggehen, dt. ,sich wegpissen4, ,sich verpissen4, davonschleichen. In Trübners ,Deutschem Wörterbuch4 (II, 396) wird die Wndg. erklärt aus dem hebr. pe- leta = ,Entrinnen, Rettung4, das über ost- jüd. plete auch unser Pleite ergab; ,peleta4 lautete in portugiesisch-hebr. Aussprache feleta, gelangte in die Niederlande, schlug im 17.Jh. in der Amsterdamer Geschäftssprache Wurzel und drang von da aus weiter nach Osten. Dieser Deutung ist neuerdings oft widersprochen worden, indem man auf die urspr. Ableitung von ,flöten4 zurückkam. Ndd. ,fluiten gan4 = verschwinden, durchbrennen, ist bereits 1578 und 1650 nachweisbar, 1755 in Richeys ,Hamburg. Idiotikon4 (63): „Dat Geld is fleuten gähn44, was nicht für die Ableitung aus dem Hebr. spricht, sondern einen ndd. oder ndl. Urspr. der Rda. wahrscheinl. macht; im Ndl. ist die Wndg. heute ebenfalls noch verbreitet, meist in der Form ,fluiten gaan4; in Limburg ,Hä is fleute pipe4, er ist weg. So ist auch der Ausdr. ,Flötepiepen4 allg. verbreitet, um die Ablehnung eines Gedankens auszudrücken, ähnl. wie ,Denkste4 oder ,Pustekuchen4. Lit.: O. Mensing: Schlesw.-holst. Wb. II, S. 148; S.A. Birnbaum: Der Mogel, in: Zs. f. d. Ph. 74 (1955), S.249; Kluge-Götze, s. u.,flöten1; O. Weise: ln die Wik- ken gehen, flöten gehen und Verwandtes, in: Zs. f. hd. Mdaa. 3 ( 1902), S.211-217; M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Muttersprache (1963), S.201 ff. Flötekies. Jo woll, Flötekies/, eine in Mda. und Umgangssprache des Rheinlandes verbreitete Rda., gebraucht als grobe abschlägige Antwort auf irgendein Ansinnen, in ähnl. Sinne wie die Wndgn.: ,einem etw. husten, pfeifen, blasen4. Laut Nachweis des Rhein. Wb. (Bd. 2, 1931, Sp. 657) ist Flötekies = Flötekäse der alte Name für Magermilchkäse, also eine Bez. für minderwertige Käsesorten, ein Neben- oder Ab- fallproduktder Butterherstellung. Der erste Bestandteil dieses Wortes, das ausgestorbene Verbum,flöten4, bedeutete urspr. : die Milch wieder fließend machen, den Rahm abschöpfen; ,flötenmelk4 war entrahmte Milch. Da das Verbum flöten im Rheinl. außer Gebrauch kam, wurde der Ausdr. Flötekies nicht mehr verstanden, seine urspr. Bdtg. ging dem Volksbewußtsein verloren. Deshalb setzte eine volksetymol. Umdeutung ein, indem das nicht mehr verstandene Wort in Zusammenhang mit flöten = pfeifen gebracht wurde. Es entstand die volkstümliche Auffassung, daß man durch den Genuß von Quarkkäse flöten oder pfeifen lernen könne. Im Rhein. Wb. (a. a. O.) heißt es, der Flötekies werde so benannt, „weil man ihn Stubenvögeln gab, um sie zum Singen zu bringen44. Dazu paßt die am Mittelrhein (St. Goar, Bop- pard) bezeugte Rda. ,De pfeift grad, als wenn e Keis gess hätt4. Die abschlägige Antwort ,Jo woll, Flötekies!4 bez. auf der einen Seite also etw. Minderwertiges, Geringes, wozu andererseits noch ein zweites kommt: In der bildhaften Volkssprache will eben derjenige, der eine solche betont abschlägige Antwort gibt, sagen: Ich habe mit Hilfe des Flötekäses gründlich flöten gelernt und bin dadurch imstande, dir kräftig was zu flöten. Lit.: K. Meisen: ,Jo woll, Flötekies!‘ Die Entstehung und Bdtg. einer rhein. Rda., in: Zs. f. rhein.-westf. Vkde. (Bonn - Münster 1954), l.Jg. H.3, S. 169-177. Flötentone. Einem die (richtigen) Flötentöne beibringen: ihn Anstand lehren, ihm das richtige Verhalten beibringen, ihn zurechtweisen; diese Rda. bezieht sich auf die Unterweisung im Flötenspiel.'ln älterer Sprache steht neben ,Flöte4 ,Flötuse4 oder ,Flöduse4, was auf frz.,flûte douce4 zurückgeht; so sagt Christian Weise (1642-1708) von einem Gefangenen, der gefügig gemacht werden soll: „ich will ihm noch die 284
Folter flaute douce pfeifen lernen“. In ihrer heutigen Form ist die Rda. jedoch erst seit der Mitte des 19. Jh. geläufig. /Flöte. flott. Etw. flott machen: in Gang bringen, in Bewegung bringen. Flott gehört zu fließen1 (altsächs. fliotan) und lautet ndd. und ndl. ,vlot4 — schwimmend, das als Schiffswort in der Formulierung ,flott werden4 seit Olearius (Reise, 208) 1647 ins Hd. gelangt ist. Die Wndg. ,flott machen4 ist nicht auf die Seemannssprache beschränkt, sondern heute auch in anderen Zusammenhängen verwendbar, wenngleich der Bezug zur Schiffahrt meist als bekannt vorausgesetzt werden darf. So konnte man z. B. 1963 in einer Zeitung lesen: ,,und versuchte auf diesen Fluten das Lieblingsprojekt seines Verlegers flott zu machen44 (Die Zeit, 22. 2. 1963, S.4, Sp.4). Vielfach wird flott aber auch synonym für ,schnell, sehr beweglich, flink" oder auch ,gescheit4 und ,chic4 verwendet. Eüien flotten Otto haben /Otto. Flügel. Die Flügel über jem. breiten, fern, mit den Flügeln bedecken: ihn in seine Obhut nehmen; ein Bild, das von der Henne hergenommen ist, die ihre Küchlein beschützt. Luther hat es bereits in seiner Bi- belübers. benutzt, z.B. in Ps. 17,8. Zu schwäb. ,Der fliegt höher, als ihm d’Flügel gwachse sind4 gibt es eine sinnverwandte Rda. in älterer Sprache: die Flügel über das Nest hinaus strecken, was 15 61 von J.Maaler (,Die teutsch Sprach4 139b) so erklärt wird: „sich prachtlicher stellen dann vnser Haab vnnd Gut vermöge“. ,,3d) fmfrf mir bem *ti, mir fofge îtadj, b«?r mir flieidi benfri* rief bie ^Mege ftolJ mtb bûî bi<* ïrlii^d fid] am Vict>t ordengt. ,Sich die Flügel verbrennen1 Sonst dient Flügel, weil der Mensch oft mit einem Vogel verglichen wird, zu ähnl. Rdaa. wie /Fittich: einen beim Flügel kriegen; sich die Flügel verbrennen: Schaden erleiden; einem die Flügel beschneiden (oder stutzen)', ihn in seiner Freiheit beschränken, schon in der ,Zimmerischen Chronik4 (IV, 51) und bei Abraham a Sancta Clara: „einem die Flügel stutzen“; die Flügel hängen lassen: den Mut sinken lassen; mdal. bes. in dem Vergleich verbreitet: Er hängt die Flügel wie die Gänse vor der Ernte; schwäb. ,Die läßt d’Flügel net schlecht hange4. Folie. Zur Folie dienen: durch eigene Un- scheinbarkeit den Glanz von etw. anderem neben sich erhöhen und den heller leuchten lassen; auch in der Form: Das gibt eine gute Folie ab. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (IV,7) sagt Luise zu Lady Milford: „Hat Ihre Wonne die Verzweiflung so nötig zur Folie?“ Diese der Volkssprache nicht geläufigen Wndgn. stammen aus dem Kunsthandwerk: der Goldschmied versteht unter Folien (von lat. folia, ital. foglia) die Blättchen, die als Unterlage für die Edelsteine dienen. Bei Mathesius heißt es 1562: „die folien und bletlein, so man unter die edlen gestein legt“. Albrecht Dürer schrieb 1506 aus Venedig an Willibald Pirkheimer bei der Übersendung eines kostbaren Saphirs, der in einen alten Ring gefaßt war: „Die Gesellen sagen mir auch, Ihr sollt den Stein auf einen neun Folig legen lassen, so seih der Stein noch als gut. Wann der Ring ist alt und die Folg verdorben44. Folter. Einen auf die Folter spannen: ihn im ungewissen lassen. Die Folter ist dem germ. Recht urspr. fremd, daher ist das Wort der eigentl. Volkssprache ebenfalls unbekannt geblieben. Das Wort ,Folter4 geht auf lat. ,poledrus4 = Folterbank zurück, es bedeutet die Anwendung körperlicher Qualen zum Erzwingen von Geständnissen. Die Folter wurde im röm. Recht bes. bei Sklaven verwendet. In Dtl. kam sie gegenüber Freien erst im späten MA. auf. Das Beweisverfahren suchte die Wahrheit durch das Geständnis des Angeklagten zu ermitteln. Bei schweren Verdachtgründen war dem Richter die peinliche Befragung4 ge- 285
Form Foltertrog stattet. Bekannte Folterwerkzeuge waren: Daumen- u. Beinschrauben, die Folterleiter zum Zerren der Glieder, der spanische Bock, der Schwitzkasten, die Eiserne Jungfrau, das Rad und Peitschen mit Metallstückchen. In der Aufklärungszeit wurde die Beseitigung der Folter gefordert, die 1740 zuerst in Preußen abgeschafft wurde. Die übertr. Anwendung der Rda. ist seit dem 18. Jh. bekannt, so etwa bei Goethe: O du loses ledigliebes Mädchen Sag mir an, womit hab ichs verschuldet, Daß du mich auf diese Folter spannest Daß du dein gegeben Wort gebrochen. Lit.: T. Mommsen: Röm. Strafrecht (1889); H. Fehr: Gottesurteil und Folter in: Festgabe f. R. Stammler (1926); R. Lieberwirth: Christian Thomasius, Über die Folter (1960). Form. (Gut) in Form sein: gut aufgelegt, gut gelaunt, bei guter Leistungskraft sein. Die Wndg. ist erst in jüngster Zeit aus dem Sportleben und aus dem Engl, übernommen, wo sie zuerst im Pferdesport üblich war. fort. Fort mit Schaden!: um jeden Preis fort damit! Die Wndg. entstammt der Kaufmannssprache; im Geschäftsleben ist es üblich, eine schwer abzusetzende Ware lie¬ ber mit Verlust (= mit Schaden) zu verkaufen, als sie zu einem Ladenhüter werden zu lassen. Frack. Sich einen Frack lachen: unbändig lachen, vgl. ,sich einen Ast lachen1. Einem den Frack verhauen: ihn durchprügeln. Feuer unter den Frack machen: einen antreiben. Einen am Frack haben: ihn festhal- ten; ähnl. ,ihn beim Wickel, beim Schlafittchen, am Bändel haben4 usw. Schwäb. ,Den hat’s am Frack4, es steht schlimm mit ihm. Schweiz. ,Er hat Dreck am Frack4, er hat keinen unbescholtenen Ruf mehr. Fraktur. Fraktur reden (oder schreiben): grob und deutlich gegen jem. vorgehen, ihm unverblümt und ohne Umschweife die Meinung sagen, auch: zu Gewaltsamkeiten schreiten. Mit Fraktur (zu lat. fractüra, von frangere = brechen) bez. man seit dem 16. Jh. die dt. Schrift mit ihren gebrochenen Linien im Gegensatz zur lat. Antiqua. Die übertr. Anwendung des Wortes in der Rda. ist zuerst 1612 bei B. Sartorius (,Der Schneider Genug- und sattsame Widerlegung4 S.5) belegt: ,,auch fein mit grober Fractur hindten auff den Buckel schreiben köndte44, ähnl. auch bei Abraham a Sancta Clara, dann noch deutlicher 1729 bei Daniel Stoppe (,Zweyte Sammlung', S. 113): Er schrieb und zwar Fractur, bis sie zu seinen Füßen Die süße Sterbenslust mit Schmertz verschweren müssen. Um die Mitte des 19. Jh. wurde der Ausdr. als politisches Schlagwort der Sozialdemokraten bekannt. frank und frei. Frank und frei reden: unverblümt, ohne Scheu reden, drisch von der /Leber4 reden. Der Stammesname der Franken gelangte zu den roman. Nachbarn und wurde über mlat. francus = fränkisch als frz. franc, ital., span., portugiesisch franco zur Bez. des freien Mannes: die Franken waren in ihrem nordfrz. Herrschaftsgebiet ,franc et libre de toutes tailles4. Im späten 15. Jh. wird das frz. Adj. zurückentlehnt und in der Formel ,frank und frei4 viel gebraucht. Aus der ital. Formel ,(il) porto (è) franco4 = (das) Tragen (ist) frei, gelangt ,franko4 286
Freiersfüsse zu der Bdtg. ,postfrei\ Das zugehörige ,frankieren1 ist noch vor 1663 dem ital. francare = freimachen nachgebildet. französisch, ln vielen dt. Mdaa. ist die Wndg. bekannt: sich (auf) französisch empfehlen: sich heimlich davonmachen, ohne sich zu verabschieden, namentlich aus einer Gesellschaft; z. B. berl. ,Er hat sich uf franzö’sch jedrückt', rhein. ,sech of französisch denn (= dünn) machen4, südd. französisch Abschied nehmen4. Diese Rdaa. entspringen wie viele andere dem Verlangen des einen Volkes oder Stammes, den Nachbarn Unhöflichkeit und allerlei sonstige Charakterfehler nachzusagen, ln Nordostdtl. sagt man statt dessen: ,sich auf /polnisch empfehlen4, im Nordwesten holländisch abfahren4. Solche spöttischen Ausdr. sind keineswegs auf das dt. Sprachgebiet beschränkt. Der Engländer sagt ,to take a French leave4 für: durchbrennen, ohne zu bezahlen, so auch in Immermanns ,Münchhausen4 (II, Kap. 11): „He took a french leave, d.h. er wollte abziehen, wie die Katz’ vom Taubenschlag, doch unter der Thüre wandte er sich um44; der Franzose sagt wiederum:,s’excuser à l’anglaise4. Französisch hat im rhein. Volksmund in der Wndg. ,et es französisch4 etwa den Sinn: es ist geringwertig, und im Hannoverschen heißt ,franzsch‘ befremdend, seltsam: ,Dat nimt sik franzsch ut4. Wer nur geringe frz. Sprachkenntnisse hat, spricht französisch wie die Kuh spanisch, so auch im Ndl. und im Frz. selbst. Frau. Einer Frau den Apfel reichen: ihr den Preis der Schönheit zuerkennen. Die Rda. bezieht sich auf das Urteil des Paris, von dem Homer in der Ilias (XXIV, 25-30) als erster etw. berichtet. Paris reichte bei einem Streit der Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, welche von ihnen die Schönste sei, den goldenen Apfel (/Zankapfel) der Aphrodite. Die Frau hält Ausverkauf heißt es geringschätzig, wenn eine ältere Frau die letzten Reste ihrer Reize bes. zur Geltung zu bringen sucht. Vgl. frz. ,Cette femme joue de son reste4. Die Frau hat die Hosen an: sie führt die Herrschaft im Hause, ihr Mann hat nichts zu bestimmen. Vgl. ndd. ,De Fro het de Büxe an‘ und frz. ,Cette femme porte les chausses4. /Hose. Er glaubt stets, seine Frau habe auf einem andern Markte eingekramt sagt man von einem argwöhnischen und eifersüchtigen Ehemann, wenn er sich nicht für den Vater des Kindes hält und nur deshalb zweifelt, weil es ihm nicht ähnlich ist. Die weiße Frau ist ihm erschienen: er hat Todesahnungen. Die weiße Frau (meist die Ahnfrau des Geschlechtes) erschien auf einem alten Schloß meist nur dann, wenn ein Unglück oder ein Todesfall drohte. Moderne Wndgn. sind: eine Frau nach Maß sein: eine weibl. Idealgestalt mit körperlichen und geistigen Vorzügen sein und: eine Frau auf Zeit sein: nur vorübergehend eine intime Freundin sein. Lit.: O. v. Rheinsberg-Düringsfeld: Die Frau im Sprw., in: Magazin für Lit. d. Auslandes, Nr. 49 (Sonderdr. Leipzig 1862); P.M. Guitard: Proverbes sur les femmes, Paris o. J. (1889); B.Segel:D\z Frau im jüd. Sprw., in: Ost und West, 3 (1903), S. 169ff.; A. de Cock: Spreekwoorden en Zegswijzen over de vrouwen en liefde en het huwelijk (Gent 1910); M. Wähler: Die weiße Frau - Vom Glauben des Volkes an den lebendigen Leichnam (Erfurt 1931). frech. Frech wie Oskar: dreist, keck, ist ein bes. in Mittel- und Nordostdtl. verbreiteter sprw. Vergleich, dessen Geschichte noch nicht geklärt ist. Wahrscheinl. stammt er aus der Umgangssprache Berlins und hat sich von dort weiter ausgebreitet. Es ist nicht bekannt, ob in diesem Oskar der Name einer bestimmten Persönlichkeit weiterlebt und wer diese war. Andere sprw. Vergleiche mit frech sind ebenfalls sehr gebräuchl., z.B. frech wie Dreck (oder Gassendreck), frech wie Rotz am Ärmel, frech wie eine Mücke (oder Fliege), frech wie ein Rohrspatz (vgl. ,schimpfen wie ein Rohrspatz4, /schimpfen), rhein. ,frech wie ne Bur, der gebicht hät4, ,frech as en mager Ferken4. Freiersfüße. Auf Freiersfiißen gehen: Heiratsabsichten haben. Diese Rda. ist erst sehr spät durch die hd. Schriftsprache in die Volkssprache gelangt und wird zuerst bei Lessing bezeugt. Volkstümlicher ist die Wndg. auf der Freite sein: auf Brautschau sein; schles. ,uf der Freite rümlofen4, schwäb. ,Er ist auf der Freiet4. Zugrunde 287
Fressen liegt das spät bezeugte mhd. vrien = freien, dazu vrîât = Freite; beide Ausdr. haben erst spät Eingang ins Hd. gefunden. In Berlin wird im übertr. Sinne gebraucht: ,Da bin ick schon lange Freier druf, danach trachte ich schon lange. fressen. Das ist ein gefundenes Fressen für ihn: das kommt ihm gerade recht, das ist ihm sehr erwünscht, ein unverhoffter Genuß. Die Rda. erscheint zuerst im 17.Jh. bei Andreas Gryphius, 1731 in Schnabels ,Insel Felsenburg1 (Bd. 3, S.42): „Das war ihnen ein gefundenes Fressen!“ im 18. Jh. bei Goethe im ,Götz von Berlichingen4 (1,1) und in Schillers ,Räubern4 (11,3): „Das gefundene Fressen, über den alten Kaiser zu plündern“. Dabei lag der Ton ur- spr. auf gefunden4; es bez. das, was man nicht zu bezahlen braucht; so schreibt z.B. Dürer an Pirkheimer über einen billig gekauften Edelstein: „Jedermann spricht, es sei ein gefundener Stein, er sei im Teutzschland 50 fl. wert“. Bei Jer. Gotthelf heißt es dafür: „ein rechtes Herrenfressen44 = ein unverhoffter Genuß, und in der schwäb. Mda. ist bekannt: ,Des is e Fresse für en Geißbubein der Ernt4, es ist etw. unerwartet Gutes. Fressen dient ferner zu manchem übertreibenden Ausdr.: ,einen vor Liebe fressen4, ähnl. schon mhd.: ,sam si in well vor lieb zerkiuwen4 (zerkauen, zerbeißen). Neidhart von Reuenthal sagt von dem bäuerlichen Liebespaar Adelhalm und Clara (41,21): Diesen sumer hat er sie gekouwen gar für brot. Schamerôt wart ich, sô si bi einander säzen. Heute sagt man: jem. zum Fressen gern (lieb) haben (vgl. ,zum Anbeißen ausse- hen4). Nicht um ein Fressen aus Liebe handelt es sich dagegen in Rdaa. wie: Den hab ich gefressen: den kann ich nicht leiden, er ist mir unausstehlich, gleichsam unverdaulich. Friß mich nur nicht!: Sieh mich nicht so böse an! Da laß ich mich gleich fressen!: ich wette darauf; da freß ich einen Besen /Besen; etw. mit Löffeln gefressen haben: es verstanden, kapiert haben (/Löffel); einen Narren an etw. (an jem.) gefressen haben /Narr. Friß Vogel oder stirb! / Vogel. Reim dich, oder ich freß dich /Reim. Wer einmal aus dem Blechnapf frißt /Blechnapf. Ich danke dir, daß du mich nicht gefressen hast, sagt man zu einem, der gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu halten. Sehr häufig sind rdal. Vergleiche mit fressen: ,fressen wie ein Scheunendrescher, Bär, Werwolf, Schmiedknecht, Holzmacher, Bürstenbinder, Bernhardiner4; ,er fräße eine Kuh bis auf den Schwanz4,,einen Ochsen mitsamt den Hörnern4, ,er fräße den Teufel und seine Großmutter, wenn sie nicht zappelten4, ,er frißt mich noch zum Haus hinaus, bis es ihm oben wieder herauskommt4. freuen. Sich freuen wie ein Schneekönig /Schneekönig; sich freuen wie ein Stint /Stint. Freund. Alter Freund und Kupferstecher /Kupferstecher; Freund Hein /Hein. Frieden. Dem (Land-)Frieden nicht (recht) trauen: dem äußeren Schein nicht trauen, etw. für bedenklich halten, skeptisch sein; die Rda. bezieht sich wahrscheinl. auf die schon aus dem MA. bekannte Gepflogenheit der Kaiser, gelegentlich einen allg. Landfrieden zu erlassen, der den Fehden zwischen den Fürsten und Stämmen Einhalt gebieten sollte, der jedoch meist unwirksam war, weil keine Macht die Haltung des Gebotes zu überwachen vermochte. Der urspr. gut gemeinte, bibl. Wunsch Zieht hin in Frieden (Richter 18,6) wird heute meist in negativem oder iron. Sinne angewandt. Zieh (geh) hin in Frieden bedeutet danach: mach, daß du fortkommst, an mir soll es nicht liegen, tue, was du nicht lassen kannst, aber laß mich in Ruhe! Friedenspfeife. Mit jem. die Friedenspfeife rauchen, scherzhafte Rda. für eine friedliche Zusammenkunft zweier Parteien nach einem Streit. Die Friedenspfeife (frz, calumet) spielte bei den Friedensverhandlungen der nordamer. Indianer eine wichtige Rolle. Sie wurde von einem Häuptling mit einigen Zügen angeraucht und dann an die übrigen Teilnehmer der Verhandlungen weitergereicht. Sie war das Symbol für 288
Frühstücken die während der Zusammenkünfte herrschende Waffenruhe. Von diesem Brauch der Indianer, an dem auch Europäer teilgenommen haben, stammt die Rda.; sie wurde bei uns vor allem durch die Indianerromane Coopers und Karl Mays bekannt. Doch ist sie schon bei Graf Friedrich Leopold v. Stolberg (1750-1819) bezeugt: „Lad ein den Freund zur Friedenspfeife“. Fritz. Das ist für den alten Fritzen: das ist umsonst, es nützt dir nichts, eine in Norddtl. häufig bezeugte Rda., die auf die verschiedensten Situationen angewendet werden kann; wenn eine Köchin zuviel an Speisen zubereitet hat, kann sie ausrufen: ,Heute habe ich wieder für den alten Fritzen gekocht'; wenn ein Zimmer beleuchtet ist und sich niemand darin aufhält, sagt man: ,Die Lampe brennt für den alten Fritzen4. Heute werden diese Wndgn. gewöhnlich auf Friedrich II. von Preußen (1740 bis 1786) bezogen, doch gehen sie nach der Deutung von Müller-Fraureuth (Wb. Bd. 1, S.361) wohl auf König Friedrich- Wilhelm I. (1713-40) zurück, der während seiner Regierung auf äußerste Sparsamkeit bedacht war und dessen Untertanen in großer Armut lebten. Hierher gehört auch die parallele frz. Rda. travailler pour le roi de Prusse4, umsonst arbeiten. Eine ähnl. Verbreitung weist die Rda. auf: als der alte Fritz noch Gefreiter war: vor langer Zeit; vgl. eine ähnl. Stelle aus dem Gedicht Schlesien4 von Karl v. Holtei: „das war noch unterm alten Fritze, wo der Kalbskopf noch um zwei Gröschel war44. Sold. Herkunft sind offenbar folgende sprw. Rdaa.: sich bei Friedrich dem Gr. melden, den alten Fritzen besuchen, sich beim alten Fritzen im großen Hauptquartier melden, alles Euphemismen für: sterben, /’zeitlich. Front. Front machen gegen jem. (etw.): eine entschiedene Haltung dagegen einnehmen, ist aus der Militärsprache entlehnt und findet sich in der gleichen Form auch frz., ndl. und engl. Im 19. Jh. lautet das Wort in Erinnerung an seinen fremden Urspr. noch ,Fronte4, so bei Goethe (,Wilh. Meisters Wanderjahre4 2.Buch l.Kap.): „Nun steht er stark und kühn, nicht etwa selbstisch vereinzelt, nur in Verbindung mit seines gleichen macht er Fronte gegen die Welt44. Frosch. Sich auf blasen wie ein Frosch: eingebildet, hochmütig sein; Schweiz. ,sich üfblähe wie ne Frosch im Mönschin4, oder ,wie ne Frosch uf-eme Düchel4. Die Rda. rührt her von der Fabel vom Frosch, der einen Ochsen weiden sah. Da er diesen um seine schöne Gestalt beneidete, fing er an, sich aufzublähen, um ihm zu gleichen, bis er jämmerlich zerplatzte; lat. bei Petronius: „inflat se tanquam rana44. Wer Unnützes tut, gibt den Fröschen zu trinken (schon bei Seb. Franck). Ähnl. Frösche statt Fische fangen: etw. Sinnloses tun, belegt schon bei Jakob Ayr er (1543-1605): Meinen oft sie haben gefischt, So haben sie kaum Frösch erwischt. Von einem Einfältigen sagt man: Er ist auch nicht daran schuld, daß die Frösche keine Schwänze haben, bezeugt z. B. bei Jer. Gotthelf: „Sie sagen, ihr seiet ein herzensguter Mann, aber nicht schuld daran, daß die Frösche keine Schwänze hätten44. Sei kein Frosch!: sei nicht feige! aufmun- ternder Zuruf an einen, der ängstlich ist oder sich ziert. Einen Frosch im Halse haben: heiser sein, wohl von dem medizinischen Fachausdr. ,ranula4 = Geschwulst im Halse oder an der Zunge; vgl. engl. ,to have a frogg in the throat4 und,froggy4 = heiser. Frosch nennt man bildl. auch einen verunglückten Ton, den ein Blasmusiker hervorbringt. In Abwandlung der Rda.,weder Fisch noch Fleisch4 (/Fisch) sagt man rhein. auch: ,Dat es net Fisch on net Frösch4, man wird nicht klug daraus. ,Die Arbeit ist kein Frosch4 (mit dem scherzhaften Zusatz: sie huppt uns nicht davon!) sagt man sächs., wenn man keine Lust zur Arbeit hat. Der Frosch erscheint schließlich auch in zahlreichen sprw. Vergleichen: daliegen wie ein geprellter Frosch: erschöpft auf der Erde liegen; dasitzen wie ein Frosch auf der Gießkanne:einsilbig, nachdenklich; hüpfen wie ein Frosch im Mondschein: sich stoßweise fortbewegen. frühstücken. Schlecht gefriihstiickt haben: in schlechter Laune sein. 289
Fuchs Feucht gefrühstückt haben ist eine verhüllende Umschreibung für die alkoholische Wirkung eines Frühschoppens, beide Wndgn. sind erst in neuerer Zeit in der Umgangssprache aufgekommen. Ebenso steht rückwärts frühstücken euphemist. für: sich übergeben. Fuchs. Seine Versessenheit auf Federvieh gab Anlaß zu Rdaa. wie: Er ist darauf aus wie der Fuchs auf die Henne (aufs Geflügel), analog der Rda. ,wie der Teufel auf die arme Seele1 (/’Teufel). Beruhigend soll dagegen die Feststellung wirken: ,Ein schlafender Fuchs fängt kein Huhn'. Nahezu von selbst erklären sich die Rdaa., die ‘injiuj im) iflupl Qtpuß in.jj absurdes, unüberlegtes Flandeln charakterisieren: dem Fuchs die Gänse befehlen, den Fuchs über Eier (,den Flabicht über Hühner') setzen, dem Fuchs den Hühnerstall an- vertrauen; vgl. ndl. ,Men heeft den vos de hoenders te be waren gegeven!'. Die ist eine Kindsmagd, wie der Fuchs ein Ganshirt, und der frißt sie, sagt man schwäb. analog dem Sprw. Man soll den Fuchs nit zum Hennenhüten dingen. Die Rda. erscheint schon im Eulenspiegelbuch: „Dann soi der Fuchs Gäenßhüeter sein“ (LIX, 7893); rhein. ,de Fuss en de Hohnderstall setze4, vgl. ,den Bock zum Gärtner machen' (/Bock). ,Der Fuchs predigt den Gänsen' Ein eigennütziger Ratgeber predigt wie der Fuchs den Gänsen, der vorgibt, ihr Wohl im Auge zu haben, in Wirklichkeit aber sie zu fressen trachtet. Füchse mit Füchsen fangen: List gegen List stellen; die Rda. leitet sich von der Jagdmethode her, bei der man sich einer angeketteten läufigen Füchsin bediente, um die Füchse an und ins Netz zu locken; schon mhd, ist das Sprw. bekannt: Swer vuhs mit vuhse vâhen soi, Der muoz ir stige erkennen wol (Vridanks Bescheidenheit'). Ebenso bei Hans Sachs (ed. A. v. Keller u. E. Götze XIII, 167, 18): Ein Sprichwort saget man vor langen Jaren: wenn man ein fuchß wolt fangen, So müß man ein für Flucken stellen. Auf daß man füchß mit füchß müg feilen. Auch in Treibjagden stellte man dem Fuchs nach, wobei man mit Stöcken den Fuchs aus dem Busche zu klopfen suchte. Die Rda. meint: etw. durch Drängen ans Licht bringen. Vom gleichen Jagdgebrauch stammt wohl auch die sprw. Rda. ,auf den Busch klopfen', um zu sehen, ob sich etw. darunter verbirgt (/Busch). Der dem Fuchs auflauernde Jäger wartete voller Ungeduld auf das Erscheinen des Fuchses am Ausgang seines Baues. Daher sagt man in Holstein ,Der Voß sali to’m Lok herut' und meint damit: die Sache soll endlich zur Sprache kommen. Der Fuchs kommt zum Loche heraus sagt man, wenn 290
Fuchs versteckte Beweggründe erkennbar werden; nun kommt der Fuchs ans Licht: die Sache wird bekannt. Auch in Schlingen und Netzen wurde der Fuchs gefangen. Hatte man einen schlauen Gegner überlistet, so sagte man erleichtert: Endlich ist der Fuchs in der Schlinge. Spielt man jem. übel mit, betrügt man ihn, überlistet man einen Schlaukopf, so gebraucht man das Bild des von den übermütigen Jägern in den Fangnetzen zu Tode geschnellten Fuchses: einen (Fuchs) prellen und daraus dann: ,einen um etw. /prellen*. Es gab wohl recht handgreifliche Gründe, warum man den lebenden Fuchs nicht aus dem Netz holte, um ihn dann totzuschlagen: der Fuchs beißt. Sein Biß galt für gefährlich und sogar für giftig. Daher die Verwünschung daß dich der Fuchs bisse. Auch die Hunde fürchten den Fuchsbiß. Man übertrug das Bild des vor dem in die Enge getriebenen Fuchs zögernden Hundes auf den angriffsunlustigen Menschen: Er will den Fuchs nicht beißen: er will die (schwierige) Sache nicht anpacken. Eine andere Möglichkeit, den Fuchs ins Netz oder in einen Hinterhalt zu locken, bestand darin, daß man ihn durch eine an einer Schnur durch sein Revier gezogene Lockspeise anköderte und dazu verleitete, in die Falle zu gehen. Man nannte das den Fuchs schleppen. Das Bild wurde zunächst in die Bergmannsprache übernommen, wo es träge, langsam arbeiten bedeutet; denn der den Fuchs schleppende Jäger mußte sich schon Zeit lassen, wollte er Erfolg haben. Auch in der Trinkersprache besteht der Ausdr. ,den Fuchs schleppen*: ,,Je drei tun einen Trunk, der Vierte leert das Hin- terfeilige, quae forma potandi vulgo nominatur: den Fuchs schlepfen**. Der letzte muß den Fuchs schleppen erscheint als Sprw. bei Henisch (1274,32). Es scheint wohl möglich, daß der jeweils letzte Trinker wie der Fuchs zuschanden, d. h. hier betrunken, gemacht wurde, doch ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln, warum das Bild in die Trinkersprache eingedrungen ist. Einige euphemist. Rdaa. scheinen ebenfalls von der Fuchsjagd übernommene Bilder zu sein, zumal bei Schuppius (544) und klarer noch im ,Simplicissimus* der Fuchs der Trinkersprache bewußt in Zusammenhang mit Jagdgepflogenheiten gebracht wird. Bei Grimmelshausen heißt es: „ich muß einen fuchs schießen** (— mich erbrechen)... Demnach befahl er mir, den Fuchs hinwegzutragen (und ich) fragte, was ich denn mit dem Fuchs machen sollte. Er antwortet: Narr, gehe und bring ihn dem Kürschner, daß er den Balg bereite**. Es scheint nicht undenkbar, daß diese Rda. den gleichen Urspr. hat wie eine andere, ähnl. lautende: Einen Fuchs machen sagt man im Bergbau, wenn ein Sprengloch so angelegt ist, daß die Ladung wirkungslos aus dem Loch fährt. In beiden Fällen könnte der aus seinem Loch gefahrene, vom Jäger erlegte und tot daliegende Fuchs - auch farbliche Übereinstimmungen mögen hier eine Rolle spielen - die Vorlage für die Anwendung des Bildes in den anderen Lebensbereichen abgegeben haben. Aus der ersten Form einen Fuchs schießen könnten die anderen Versionen der Rda. mit dem gleichen Sinn entstanden sein: den Fuchs streifen oder rupfen. In Abraham a Sancta Claras ,Nar- ren-Nest* (III, 127) lautet sie: ,den Fuchs- Schwanz streichen*. Eine in jeder Weise überzeugende Deutung dieser Rdaa. steht jedoch noch aus. Die äußerlichen Merkmale des Fuchses eignen sich gut für Vergleiche im menschl. Bereich. Vom Rothaarigen sagt man: rot wie ein Fuchs, Haare wie ein Fuchs. Der den Füchsen eigene penetrante Geruch erklärt Rdaa. wie: stinken wie ein Nest voll Füchse; der stinkt drei Stund gegen den Baierwind, wie ein Fuchs, wenn er auf die G äh wind scheißt oder Der stinkt wie ein nasser Fuchs (Rhein-Hessen). Meckl. charakterisiert man einen, dessen Herkunft unklar ist, mit der wenig schmeichelhaften Rda. aus der gleichen Erlebnissphäre: ,Em het de Foss up dei Bült scheten un de Wind tan Dörp weiht*. Auffallendes Merkmal des Fuchses ist sein unverhältnismäßig langer Schwanz, der Anlaß gibt zu Rdaa. wie: Der Fuchs kann seinen Schwanz nicht bergen: Tücke und Falschheit sind zu erkennen, du hast es besser als ein Fuchs, du darfst keinen Schwanz schleifen oder Der Fuchs hat die Meile gemessen (und den Schwanz zugegeben): der Weg ist sehr viel länger als angegeben. Wer, wie der Fuchs, unter die Erde ver¬ 291
Fuchs schwunden (gestorben und begraben) ist, der ist zum Fuchse worden (Agricola I, 510) oder ist den Füchsen zu Theil geworden. Es handelt sich hier um zwei der unzähligen Euphemismen für das Sterben, /zeitlich. Gerne stellt man sich den Fuchs als Urheber verschiedener Rotfärbungen vor. Haben sich die Trauben gerötet, so meint man der Fuchs hat die Trauben beleckt. In der Schweiz und in Schwaben sagt man von angebrannten Speisen: Der Fuchs ist drüber gesprungen (gelaufen). Die Klärung dieser Rda. ergibt sich aus einer in der Schweiz geläufigen Küchenregel: ,Der Fuchs mues de Schwanz dur de Räbe zogen han4 und eis. ,Wenn mr Rümn (Rüben) kocht, soll der Fuchs das Wadel (Wedel = Schwanz) drümer schleife1. Die Rüben nehmen eine rötliche Färbung an, wenn sie leicht angebrannt sind. Auch auf andere Tiere (z.B. Pferde) und auf das Gold (Geld) wurde der farblichen Übereinstimmung wegen die Benennung Fuchs angewandt: Er hat Füchse, Füchse und Schimmel (Silber) sind ihm lieber als der Himmel (Parömiakon, 2882). Von der Mehrdeutigkeit des Begriffes Fuchs profitieren die Rdaa.: die Fuchsie vorreiten: zahlen, und Füchse Vorspannen: mit Geld nach helfen. Die Klugheit, Falschheit, List und Hinterlist des Fuchses finden in zahlreichen Rdaa. teils anerkennend, teils abwertend ihren Ausdr.: Er ist ein (kluger, listiger) Fuchs: den Fuchspelz anziehen: sich der List bedienen; das heißt einen alten (und demnach gewitzten) Fuchs gefangen: sich mit List aus der Affäre gezogen haben ; er will den Fuchs betrügen. Er hat dem Fuchs gebeichtet sagt man von jem., der sich einen illoyalen Mitwisser schafft. Fuchs und Hase werden in Rdaa. öfter als Gegenpole gebraucht. Allerdings ist der durch diese Gegenüberstellung gewollte Sinn nicht immer der gleiche. Fuchs und Hase sein: listig und flink, hinten und vorn zugleich sein. ,,Du must Fuchs und Hase sein, weis und schwarz können" führt Seb. Franck in seiner Sprw.sammlung auf (II,87 a). In demselben Werk findet sich auch: ,,Er ist ein Fuchs und Hass" (1,80b): er wird überall umhergehetzt. Er ist weder Fuchs noch Hase: er ist weder das eine noch das andere, er leistet oder taugt nichts; westf. ,nit Foss, nit Has\ In die gleiche Gruppe von Rdaa. gehören die bekannte Rätselformel sf ist kein Fuchs und s' ist kein Has und die rdal. Frage Ist es Fuchs oder Has?: was will der Sprecher denn wirklich? Ist er harmlos oder gefährlich? (AgricolaI, 343). Die Rda. wo Fuchs (Füchse) und Hase (Hasen) einander gute Nacht sagen: in entlegener Gegend, ist eine Spätentwicklung der Rda. wo die Füchse einander gute Nacht sagen. Im ,Simplicissimus4 (1,1) heißt es noch: ,,im Spessart, allwo die Wölfe einander gute Nacht geben". Urspr. wurde die Rda. also nur auf Tiere derselben Art bezogen. Der Sinn ist jedoch nach wie vor der gleiche; Hase und Fuchs meiden ebenso wie der Wolf die Nähe menschlicher An- siedlungen. Einige Rdaa. können auf Fabeln zurückgeführt werden. Dem Fuchs sind die Trauben zu sauer nach der bekannten Fabel Äsops, (Buch IV, 1). So auch die Variation dieser Rda.: Er macht es wie der Fuchs mit den Trauben: er verschleiert eine Niederlage (/Traube). Ebenfalls auf Äsop geht die Rda. zurück: Fuchs und Kranich laden einanderzu Gast: sie betrügen einander wechselseitig, /Kranich. Andere Rdaa. scheinen von Fabeln herzukommen, ohne daß sich diese nachweisen ließen. Vermutlich liegt der Rda. Der Fuchs mag der byrn nicht eine Variante der Fabel vom Fuchs und den Trauben zugrunde. Dasselbe gilt für die Rda. so leicht als die füchs biren essen. Henisch sagt dazu (1275): 292
Fuchsschwanz Gleich wie der Fuchs der birn nicht mag, So ist der Magd zum Tanz nicht gach. Weiter: Er mag der birn nicht, wie der Fuchs, der mit dem Schwanz an den Baum schlug. Ebenso das Sprw. Wenn der Fuchs die Birn nicht kriegen kann, so sind sie bitter. Woeste (84,64) vermutet auch hinter der Rda. ,Et es gerade as de Foss im Wêin- fat' (Wander, 411) ein verschollenes Tiermärchen. Zwei andere Rdaa., die wohl auf eine Fabel zurückzuführen sind, finden sich bei Henisch: Ein Fuchs jagt einem Ochsen nach und Ein Fuchs treibet einen Ochsen (Henisch, 1272, 6; 1271, 68). Simrock bringt in den ,Dt. Volksbüchern1 (13 S. 283) die Fabel vom Wolf und vom Fuchs: Einem kleinen Fuchs zeigt sein Gevatter Wolf, wie man einen Ochsen reißt. Der junge Fuchs, im unklaren über den großen Kräfteunterschied zwischen sich und dem Wolf, versucht es dem gleichzutun und bezahlt diesen Versuch mit dem Leben. Der Sinn der beiden Rdaa. deckt sich mit dem Sachverhalt der Fabel. Aus Ober-Oesterreich kennt man den Volksglauben, wonach manche Jäger die Macht besitzen, einem den Fuchs zu schik- ken, was nichts anderes heißt, als einem den Teufel auf den Hals schicken. So sagt man statt ,hoFs der Teufel', ,hoFs der Geier', auch hoks der Fuchs. Auch im Zusammenhang mit dem Wetter spielt der Fuchs eine gewisse Rolle. In Schlesien sagt man beim Aufziehen eines Gewitters Der Fuchs braut. Das gleiche hört man in Holstein, wenn Schönwetter kündender Abendnebel entsteht: ,De Voss bruet' (oder ,badet sik‘), auch in Brandenburg scheint der sich badende Fuchs schönes Wetter verkündet zu haben. In Schwaben heißt eine Rda. Die Füchse backen Brot (oder Küchle). In der Oberpfalz ,heizt der Fuchs ein', im Aargau ,siedet' er, und in Bayern ,kocht' er. Lit.: L. Laistner: Nebelsagen (Stuttgart 1879); HdA. III, Sp. 174-197, Art. ,Fuchs4 von W.E. Peuckert; L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.314. Fuchsschwanz. Den Fuchsschwanz streichen: schöntun, nach dem Munde reden, schmeicheln; eigentl. ,mit dem Fuchs¬ schwanz streichen'. Das Streichen mit dem Fuchsschwanz, der sehr weich ist, verursacht keine Schmerzen. Dem urspr. Sinn wird es wohl sehr nahe kommen, wenn Lehmann 1639, S.341 (,Glimpff 9) ver- ,Fuchsschwänzer' zeichnet: „Zu Hoff vnnd im Regiment muß man den staub vnd vnrath mit Fuchs- schwäntz abkehren". Bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg heißt es einmal: „Christus hat den Juden nit den Fuchsschwanz durch das Maul gezogen, sunder ihnen gestrelet mit der Hechel"; hier ist die urspr. Vorstellung schon verwischt, und es spielt die Rda. ,einem das Hälmlein durch das Maul ziehen' (/Halm) herein. Hans Sachs verbindet mit dem Fuchsschwanz die Rda. vom /Federlesen, indem er die Metzen im Venusdienst sagen läßt: Da wir den Armen vnd den Reichen Mit einem Fuchsschwantz die Federn abstreichen. Ein weiterer Beleg findet sich in Hans Sachs1 69. Fastnachtspiel, wo der buhlerische Pfarrer sagt: Die (Messnerin) ligt mir tag vnd nacht im sin. Doch sicht so eben drauff ir mon, Er soit wol das fait uebel hon, Dem ich mich erzaig freuntlich gancz Vnd streich in stez mit dem fuechschwancz, 293
Fuchsteufelswild Wie man spricht: Wer ein frawen schon Wil pueln, mues vor hin pueln den mon. Bei Wenzel Scherffer (,Gedichte* 1652) erscheint die Wndg. einen Fuchsschwanz verkaufen: schöntun, heucheln: ,,Weil Ich wil daß niemand Ihr einen Fuchsschwanz sollt verkauffen, noch zu betteln was vor mich die saurengichten anlauffen“. In Grimmelshausens ,Simplicissimus* (I, 374, 12): „Mit diesem Fuxschwantz“, mit dieser Schmeichelei. Im gleichen Roman tritt auch die Verkürzung der Rda. zu dem Verbum fuchsschwänzen = schmeicheln auf: „ich wüste meinem Rittmeister so trefflich zu fuchsschwäntzen** (III, 15, 29). Später finden sich daneben auch die Ausdr. JFuchsschwänzer* für Schmeichler, ,Fuchsschwänzerei* für Schmeichelei. fuchsteufelswild. Jem. ist fuchsteufelswild: sehr aufgeregt, sehr zornig. Für die Entstehung des zusammengesetzten Adj. gibt es mehrere Erklärungen: Da es bereits im 16. Jh. ein Adj. ,fuchswild* gab, das sich entweder auf die verzweifelten Bemühungen eines Fuchses in der Falle bezieht, seine Freiheit durch wilde Bewegungen oder sogar durch das Abbeißen eines eingeklemmten Gliedes wiederzuerlangen, oder auf die wilde Angriffslust eines tollwütigen Tieres, kann das aus vielen Wndgn. und Flüchen bekannte /,Teufel* zur Verstärkung und Steigerung in die Zusammensetzung gelangt sein. Es ist aber auch denkbar, daß das Wort nichts mit,Fuchs*, sondern mit Jüchsen* — sich ärgern, zu tun hat. Dieses geht auf ein älteres Jucken* = hin und her laufen, reiben zurück, woraus sich studentenspr. im 19. Jh. der neue Sinn von: sich an etw. reiben, wütend, verzweifelt sein, entwickelte. Vielleicht wirkte aber auch die stud. Bez. ,Fuchs* für den jungen Studenten auf die Wortbildung ein, da dieser von den älteren Verbindungsstudenten gern geneckt und geärgert wurde. Dann wäre das Adj. aus der Verbindung von ,Fuchs* und Jeufelswild* entstanden. Fuchtel. Einen unter die Fuchtel nehmen: ihn in strenge Zucht nehmen; unter jem. Fuchtel stehen, unter der Fuchtel sein, unter die Fuchtel kommen: gehorchen müssen. Die Fuchtel ist urspr. ein Fechtdegen mit stumpfer, breiter Klinge, frühnhd. auch fochtel, im 16. Jh. gebildet aus vëhten; sie wurde später zum Sinnbild strenger militärischer Zucht. In Süddtl. sagt man noch heute (z. B. beim Würfelspiel),,Heraus mit der Fuchtel!*. In Frankr. und England ist eine ähnl. Rda. gebräuchl.: ,être sous la férule*, Jo be under a person’s ferule*, worth: unter dem Lineal sein, weil dies in der Schule als Züchtigungsinstrument benutzt wird. Fuge /Schnur. Fuhrmann. Fluchen wie ein Fuhrmann: laut fluchen. Schon in Grimmelshausens Simplicissimus* (Buch IV, Kap. 18) tritt die Wndg. auf: „wenn ich aber fluchte wie ein Fuhrmann, so hieß, ich verstünde es nicht**; vgl. Simrocks Sprichwörter* (1282, 64): „Furleut führen von Mund auf gen Himmel, wenn sie nicht so gern und grausam fluchten“. Von einem, der es sich gern bequem macht, sagt man Er will Fuhrmann werden, wenn es geradeaus geht. fünf. Nicht bis fünf zählen können: ein großer Dummkopf sein. Schon im röm. Altertum kannte man eine ähnl. Rda., so z.B. bei Plautus: „nescit, quot digitos habet in manu“ (= er weiß nicht, wieviel Finger er an der Hand hat). Die fünf Finger der Hand waren dem Naturmenschen der erste Anhaltspunkt für das Zählen. Die Wndg. taucht schon in der spätmhd. Lit. auf, z.B. bei dem Tiroler Dichter Oswald von Wolkenstein (1367-1445): darunder manger ist betäubt das er nit fiinfe zelen kan. Dagegen ist der gar nicht so dumm, „wer wol fünf zehlen“ kann (G. Henisch: deutsche Sprach und Weisheit*, 1616, 1289). Die Dummheit kann auch bloß vorgetäuscht sein, daher eis. ,E Gsicht mache, as könnt mo nit bis uf fünf zähle*. Fünf gerade sein lassen: es nicht so genau nehmen, nachsichtig sein; thür. auch dreizehn gerade sein lassen*. 1639 bei Lehmann S.786 (Vergleichen 4): ,,Man muß das krumme ins schlim (mhd. slimpschief) schlagen, so wirds eben. Man muß bißwei- 294
Fünfzehn Puffspiel oder Tricktrack (,Kurze Fünfzehn machen1 - ,Einen Stein im Brett haben4) len lassen fünff gerade seyn44. In der ,Zim- merischen Chronik4 (II, 300) wird erzählt, daß einem sein Weib untreu geworden sei und daß er sie deshalb hätte anklagen sollen. „Aber derselbig guet herr het ein ver- dewigen magen, sähe durch die finger, ließ fünf gerad sein44. In der heutigen Mda. wird die Rda. oft noch mit Zusätzen versehen wie schwäb. ,Der läßt fünf grad sein und sechse krumm4, oder ,. . . und elf ein Dutzend4; obersächs. ,Das ist mir fünfe4, es ist mir gleichgültig. Fünf steht oft verkürzt für die fünf Finger, die fünf Sinne usw. in den Rdaa.: ,alle fünfe ablecken4, ,alle fünfe danach ausstrecken4, schwäb. ,einem fünfe austun4, eine Ohrfeige geben, ,seine fünfe nicht mehr beisammen haben4, verrückt sein. Setz dich auf deine fünf Buchstaben /Buchstabe. An diese fünf Buchstaben ist ebenfalls gedacht in der mdt. Rda. Du kannst mich funfern: du kannst mich gern haben, bekannt auch mit dem Zusatz: ,dann hast du um sechs Feierabend4. Das fünfte Rad am Wagen /Rad. fünfzehn. Kurze Fünfzehn machen: kurzen Prozeß, nicht viele Umstände machen; eine Sache abkürzen, sie schnell zu Ende bringen; ähnl. auch in den Mdaa., z.B. in Lippe ,Davon willt wi körte fifteggen maken4. Die Rda. ist aber auch in Hessen und am Rhein allerorten geläufig; doch zeichnet sich eine interessante geographische Verbreitung ab. Die Rda. fehlt in den südd. Mdaa., im Schwäb. und Bair. Man hat früher vermutet, sie sei aus einer Vermengung von ,kurzen Prozeß machen4 und fünfzehn Hiebe androhen4 entstanden. Doch hat mehr Wahrscheinlichkeit die Herleitungaus dem,Puff4- oder,Tricktrackspiel4 (mhd. ,wurfzabel4, frühnhd. ,trik- trak4), einem sehr beliebten ma. Brettspiel, das von zwei Spielern mit je 15 Steinen gespielt wurde (mhd. ,der fünfzehen spiln4). Wer Glück hatte, konnte das Spiel mit einem Wurf beenden und alle Steine auf einmal herausnehmen und zu neuem Spiel bereitstellen (,kurzer Puff4). Auch die Wndg. ,bei jem. einen /Stein im Brett haben4 stammt von demselben Spiel. Zahlreiche ma. Künstler haben es dargestellt. Doch nicht aus den Bildern erfahren wir, daß mit fünfzehn Steinen gespielt worden ist. Dies entnehmen wir aus Hartmann von Aues ,Eree4 (V. 867 ff.). Hartmann vergleicht dort den Zweikampf mit einem Spiel, das leicht Verlust bringt: si beide spilten ein spil daz lihte den man beroubet, der vünfzehen üf daz houbet. Es gibt lange und kurze Arten dieses Spiels. Ein Spieler bei Hans Sachs (Fastnachtspiele) beherrscht sie alle: Der gleich dem pretspil ich anhang, Ich kan das kurz vnd auch das lang . . . 295
Fünfziger In den sprw. Gebrauch ist nur die ,kurze1 Art gelangt. In einer Flugschrift von 1523 klagt ein Ritter, ,,wie man mit etlichen vom Adel des kurtzen spilet". Seit dem 16. Jh. ist die Wndg. auch sonst in übertr. Anwendung bezeugt. Die Erhaltung der Rda. ist sicher durch das sinnverwandte ,kurzen Prozeß machen' begünstigt worden (vgl. auch ndl. ,körte wetten ma- ken‘), doch gibt es auch moderne Sekun- där-Erklärungen: Die allzu kurze Frühstückspause von 15 Minuten bez. der rhein-westf. Metallarbeiter heute als ,kurze Fünfzehn machen'. Lit.: A. Hilkau. O. Schumann: Carmina Burana (Heidelberg 1930); A. Götze: Kurze Fünfzehn machen, in: Hess. Bl. f. Vkde. 32 (1933), S. 90-93. Fünfziger. Ein falscher Fünfziger sein: eine unaufrichtige, unzuverlässige Person sein; der Ausdr. meint urspr. wohl eine Fünf- zig-Pfennig-Münze und dürfte erst in diesem Jh. aufgekommen sein. Gebräuchlicher ist die Form falscher Fuffziger', die auf berl. Herkunft deutet. Funke, funken. Bei ihm ist der Funke übergesprungen: er hat es gemerkt, verstanden. Wie ein überspringender Funke plötzlich etw. in Brand setzen kann, so kann ein plötzlich aufkommender Gedanke zu einer bis dahin verborgenen Einsicht führen. Neueren Datums ist die analoge Rda. Bei ihm hats gefunkt, wobei heute zuweilen auch an ein Funkgerät gedacht wird. Ähnl. auch ,Bei ihm hat's geblitzt', /’Licht. Fürstenberger. Den Fürstenberger nicht gerechnet haben, den Fürstenberger vergessen haben: die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben, ein Hindernis (bes. bei einem Geschäft) übersehen haben. Die im Siidwesten Dtls. verbreiteten Wndgn. beziehen sich auf den großen Einfluß der Fürsten von Fürstenberg in Donaueschin- gen. Furz. Aus einem Furz einen Donnerschlag machen:etw. Unwichtiges und Nebensächliches aufbauschen und übertreiben; zuerst 1616 bei Henisch (1315,44) gebucht, 1691 bei Stieler in der Form ,,den furz zum Don¬ ner machen", so auch noch in der sie- benb.-sächs. Mda. des 19. Jh. ,Di moacht gärn de Furz zem Danner'. Auch in anderen Rdaa. steht Furz für etw. Unbedeutendes, Unwichtiges. Rhein, von einem Geizigen ,Der will mit einem Furz einen Morgen Land düngen', Schweiz. ,nid en Furz', nicht das geringste; obersächs. ,Das ist unter allem Furz', unter aller Kritik. Einen Furz im Kopfe (auch gefriihstückt) haben: nicht ganz gescheit sein. Schwäb.,einen Furz auf ein Brett naglen', sprw. für eine unmögliche Aufgabe. Vergleichende Rdaa.: auf fahren wie ein Furz im Bade (z.B. sächs.), 1645 in den ,Facetiae facetiarum' (486) belegt; wie ein Furz in der Laterne: unstet, unruhig. Fuß. Im alten Rechtsleben von besonderer Bdtg. war die jetzt allg. gebrauchte Formel stehenden Fußes (lat. ,stante pede'): augenblicklich, sogleich. Wer mit seinem Urteil nicht einverstanden war, mußte es gleich auf der Stelle, unverwandten Fußes', anfechten (in alter Sprache ,schelten'), sonst wurde es rechtskräftig. In einem Weistum, einer bäuerlichen Rechtssatzung, aus Keuchen vom Jahre 1430 heißt es: ,,Auch waz vor dem dorfgreven (Dorfschulzen) und den nachgeboren (Nachbarn) gewiset wird, wolde sich imant des berufen gein Keuchen an das oberste gerichte, der mag iß thun unverzogelich, unberaden und standen fu- ßes, e er hinder sich trede". Bereits zu Anfang des 13. Jh. schreibt der Sachsenspiegel' vor: ,,Stande sal man ordel (Urteil) scelden". Noch anschaulicher in der ,Zim- merischen Chronik': „gleich im fueßstap- fen", und so noch heute in den obd. Mdaa. Wie so viele Ortsangaben ist auch stehenden Fußes' auf die Zeit übertr. worden (vgl. ,auf der Stelle'). Wir sagen: ,Auf der Stelle kommst du her!' Wer aber auf der Stelle etw. tun soll, soll es eigentl. dort tun, wo er gerade steht, kann also eigentl. nicht herkommen. Und ebenso ist es nur im übertr. Sinn gemeint, wenn Schiller im ,Tell' (I, 2) Stauffacher sagen läßt: ,,Nach Uri fahr ich stehnden Fußes gleich“. - Ebenfalls dem Rechtsleben entstammen die Wndgn. auf freiem Fuße sein, auf freien Fuß setzen, früher auch auf freiem Fuße stehen: 1459 im übertr. Sinne belegt von ei- 296
Fuss nem Gefangenen, der in der Freiheit des Handelns, etwa durch einen gefesselten Fuß, nicht beschränkt ist: „stund he doch sulvest uppe frigen foeten, leddich unde loß“. Auf gespanntem Fuße mit einem stehen; mit einem über den Fuß gespannt sein: sich im schlechten Einvernehmen mit ihm befinden, sich nicht vertragen. ,Fuß‘ wird in dieser Rda. zur Kennzeichnung des Charakters und Grades einer menschlichen Beziehung in der abgeblaßten Bedeutung ,Grundlage4 (so schon bei Stiel er 1691 gebucht) verwendet. Daher auch jüngere Wndgn. wie: auf gutem (schlechtem, vertrautem) Fuß mit ihm stehen (leben). Thomas Mann gebraucht im ,Doktor Faustus' die Wndg. „auf den frère et cochon-Fuß kommen“, sich in Zechgemeinschaften verbrüdern. Auch in der Rda. auf großem Fuß leben: viel Aufwand machen, steht Fuß bildl. für Lebenshaltung, Verhältnisse, Art und Weise. Einem etw. unter den Fuß geben: es ihm heimlich mitteilen, ihn heimlich zu etw. veranlassen. Die der Rda. urspr. zugrunde liegende Vorstellung ist die, daß man etwa einen Zettel unter dem eigenen Fuße bis an den Fuß eines anderen heranbringt, der die geheime Botschaft wiederum sofort mit seinem Fuß bedeckt; dazu stimmt genau das lat. Wort ,suppeditare' = geben, darreichen. In lat. Form wird der Ausdr. noch von Bismarck (Reden II, 139) verwendet: „Daß dieses Wort mir durch einen gefälligen Souffleur suppeditiert wurde“. Einem auf den Fuß zu treten war zunächst im älteren Sprachgebrauch das Zeichen für geheimes Einverständnis, bes. unter Liebenden, so im Volkslied ,Wenn alle Brünnlein fließen' (Str. 2): „Ja winken mit den Äugelein und treten auf den Fuß ..." Erst allmählich verkehrte sich der Sinn dieser Wndg. ins Gegenteil; einem auf die Füße treten bedeutet heute: ihm wehe tun, ihn beleidigen, vgl. ihm auf die große Fußzehe, auf die Hühneraugen treten; vom leicht Beleidigten sagt man auch Er fühlt sich immer auf den Fuß (auf den Schwanz, Schlips) getreten. Jem. den Fuß auf den Nacken setzen; vgl. ,unter den /Pantoffel kommen'. Mit einem Fuß im Grabe stehen: seinem Ende nahe sein, bes. von Todkranken und Altersschwachen gesagt, belegt 1649 bei Gerlingius (Syll. Nr. 33): „Alterum pedem in cymba Charontis habere. Er gehet auff der Gruben. Er gehet auf der Baar. Er hat einen Fuß schon im Grabe. Er gehet auff grabes bort. He stippet nae sinem grave“, /Grube. Auf die Füße fallen: sich immer zu helfen wissen, sich schnell in allen Lagen zurechtfinden; Anspielung auf die Katzen, die beim Fall immer auf ihren Pfoten landen, daher noch deutlicher in der ndl. Rda. ,op zijn potjes terechtkomen'. Schon in Joh. Fischarts ,Geschichtklitterung‘ (Ndr. S. 183/32) ist bezeugt: „Vnnd ful nur allzeit auff den ars, wie die Katzen vnd Herren auff die Fueß“. Auf tönernen Füßen stehen: keine feste Grundlage haben, geht zurück auf den bibl. „Koloß auf tönernen Füßen“ (Daniel 2, 31-34); heute verblaßt zu auf schwachen Füßen stehen; ähnl. gebildet: auf eigenen Füßen stehen: selbständig sein. Festen Fuß fassen: sich an einem Ort niederlassen. Einem Füße machen .ihn zur Eile antreiben (/Bein); sich aus den Füßen machen: sich wegbegeben; die Füße unter anderer Leute Tisch haben, unter einen fremden Tisch strecken: keinen eigenen Haushalt führen. Meckl. ,dei Fäut nah’n Bedd’ strecken', sich nach den gegebenen Verhältnissen einrichten; ndd. schon 1712 belegt. Mit dem linken (falschen, verkehrten) Fuß zuerst auf gestanden sein: übler Laune sein, den ganzen Tag über Pech haben, geht zurück auf den international verbreiteten Aberglauben, daß links die falsche und unglückbringende Seite ist; schon im Lat. heißt es: ,sinistro pede profectus est', vgl. frz. ,se lever du pied gauche'. Kalte Füße bekommen: Angst bekommen, kalte Füße haben: kein Geld haben, geschäftlich schlecht stehen. Gut zu Fuß sein: gut laufen können, im Rheinhess, spaßhaft von einem unmäßigen Esser und Trinker: ,Er ist gut zu Fuß unter der Nas'. Den Heiligen die Füße abbeißen gilt von Frömmlern, wenn sie die Bilder küssen. Zwei Füße in einem Schuh haben: schwanger sein; vgl. frz. ,mettre quatre pieds en deux souliers'. 297
FUSSANGEL Von einem Menschen mit bes. großen Füßen sagt man im rdal. Vergleich: ,Er hat Füße - so groß, damit kann man Elsaß- Lothringen an Frankreich abtreten1. Lit.: Aigremont:Fuß- und Schuh-Symbolik und -Erotik (Ndr. Darmstadt o.J.). Fußangel. Einem Fußangeln legen: ihm versteckte Hindernisse und Gefahren bereiten. Die Fußangel oder das Fußeisen war ein mit Spitzen versehenes Eisen, das so am Boden versteckt wurde, daß eine Spitze nach oben ragte und darauf tretende Tiere oder Menschen am Fuß verletzte und so am Weiterkommen hindern sollte. Es fand vor allem im Kriegs- und Jagdwesen Verwendung. Schon Reinmar von Zweter (75, 11) gebraucht das Wort Fußeisen im 13. Jh. in übertr. Bdtg., wenn er einmal von denen, die der Ehre abgesagt haben, sagt: Sie zihent dich, vuozisen ligen uf dinem hove ze schaden dem ingesinde. futsch. Futsch sein: zunichte, verloren, weg sein, ist ein lautmalender Ausdr., der urspr. nur den mittel- und oberrhein. Mdaa. angehörte, heute jedoch über alle dt. Mdaa. verbreitet ist und um die Mitte des 19. Jh. auch in die Hochsprache eingedrungen ist. Fremdklingende scherzhafte Weiterbildungen wie ,futschikato\ ,futschikara\ ,futschito\ ,futschikato perdutto' verleiteten irrtümlich dazu, rom. Urspr. von ,futsch1 anzunehmen. Nach dem 1. Weltkrieg sagte man in Berlin Kriegsanleihe heißt auf chinesisch: pinke pinke futschi futschi . . .' G Gabel. Die Gabel als Eßgerät hat erst seit dem 17. Jh. größere Verbreitung gefunden und fehlte bis nahe an unsere Tage in mancher dt. Landschaft. Immermann erzählt in seinem ,Münchhausen' vom Hochzeitsmahl auf dem Oberhof: ,,Die Bauern hatten ihre Messer, ein jeder das seinige, aus der Tasche hervorgezogen, womit sie ohne Gabeln fertig zu werden wußten, und sprachen den Hühnern tapfer zu". Deshalb sagt man scherzhaft: mit der fünf zinkigen Gabel essen: mit den fünf Fingern essen; dafür auch noch vereinzelt ,’s Großvaters Gabel neme'. Einen auf die Gabel tiehmen: vor Gericht unter Eid gegen ihn aussagen, von den gabelförmig ausgestreckten Schwurfingern; bair.,gabeln' = schwören; vgl. eis. ,Den haw ick schon lang im Gäbele', ich bin ihm schon lange böse, und ,ewers Gabele lunje', schielen. Atsch Gäbele /Schabab. Gähnaffe /Maulaffe. Gähnmaul. Ein Gähnmaul machen (ziehen): durch eine verächtliche Mundge¬ bärde Hohn und Spott ausdrücken. In Bayern und Oesterreich wird diese Gebärde noch heute vereinzelt von Erwachsenen gebraucht, sonst wird sie meist nur noch von Kindern ausgeübt. Bei dieser Grimasse erscheint der Mund unnatürlich breit gezogen. Die Daumen oder zwei andere Finger werden in die Mundwinkel eingehakt und ziehen den Mund nach beiden Seiten auseinander. Interessante hist. Belege bezeugen, daß diese Gebärde bereits im 15. Jh. schweren Schimpf bedeutete. Sie erscheint als Zeichen der Henker auf Bildern mit der Verspottung Christi im 15. und 16. Jh., z.B. auf der ,Dornenkrönung' an der Außenseite des linken Flügels vom Bamberger Altar von 1429 (Bayer. Nationalmuseum, München). Zur gleichen Zeit tritt diese Gebärde auch bei Masken auf, z.B. auf einer Teufelsgestalt beim Schembartlauf in Nürnberg, und wird auch lit. geschildert. Einen Frühbeleg gibt Rabelais1 Pantagruel' (I. Buch, 18. Kap.). Die wissenschaftliche Disputation zwischen dem engl. 298
Galgen ,Gähnmaul‘ Gelehrten Thaumastos und Panurg, dem Stellvertreter Pantagruels, erfolgte in Paris öffentl. nur in der Gebärdensprache, wobei es heißt: ,,Da legte Panurg die zwei Mittelfinger an beide Mundwinkel, zog den Mund, so weit er konnte, auseinander und zeigte sein ganzes Gebiß, wobei er noch mit beiden Daumen die Augenwimpern so tief wie möglich herabdrückte, so daß er nach übereinstimmendem Urteil der Versammelten eine sehr leidige Fratze schnitt“. Lit.: L. Schmidt: Die volkstümlichen Grundlagen der Gebärdensprache, in: Beiträge zur sprachl. Volksüberlieferung (Berlin 1953), S.240; L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S, 121 u. 131 f. Gala. Sich in Gala werfen: sich sehr gut bzw. festlich kleiden, das beste Kleid anzie- hen; entspr. auch Gala tragen. Gala meint die festliche Kleiderpracht, die im 17. Jh. unter dieser Bez. an den Wiener Hof kam. ,Sich werfen1 steht für ,sich rasch ankleiden4 und dürfte dem student. Sprachgebrauch des 19. Jh. entstammen. Galgen. Mit erstaunlicher Zähigkeit haben sich in den heutigen Mdaa. noch verschiedene Ausdr. der ma. Rechtssprache als sprw. Rdaa. erhalten. Dazu gehört die Wndg. vom Galgen aufs Rad kommen: vom /Regen in die Traufe, aus einer Verlegenheit in die andere kommen, so 1522 bei Thomas Murner im ,Lutherischen Narren1 und heute noch in Aachen: ,Er küt van de Galge op et Rad4, ebd. ,Do steht Galge on Rad drop4, es ist streng verboten; schlesw.-holst. ,Dorbi kümmst je an Galge un Rad4, in des /Teufels Küche. Einander Galgen und Rad vorwerfen: sich gegenseitig der strafwürdigsten Vergehen bezichtigen. Der Tod durch das Rad galt als genauso schimpflich wie der Tod am Galgen, bereits die Hinrichtung durch das Schwert wurde als Begnadigung aufgefaßt. Ein zweiter noch lebendiger Rechtsausdr. ist ein Galgen voll: sieben Stück, entspr. dem Sprw. ,Sechse sind kein Galgen voll4 (Simrock 9430 a), weil an einem Galgen Platz für sieben Verbrecher war; mdal. im Rheinl. ,Nu es de Galge voll4, nun sind 7 Personen beisammen. ,En Galgen vull4 heißt im Hannoverschen: sieben eines Gelichters; im Obersächs. dann allg.: ein Häufchen verächtlicher Gesellen, eine ganze Menge, bereits ohne die Vorstellung von der Siebenzahl. Sonst dient der Galgen in den Rdaa. zur Bez. des Verächtlichen, in Flüchen und Verwünschungen wie geh an den Galgen: bei Agricola ,,auß an galgen“; bei Lessing: „Du kannst mit deinen Büchern an den Galgen gehen44; mdal. im Rheinl. ,Du herrscht gehänkt an de hehgste Galge4; früher oft mit dem Zusatz dichter4 Galgen, so 1573 in Fischarts ,Flöhhatz4: „Und wünschten uns an lichten Galgen44, vielleicht daher, weil der Galgen gewöhnlich auf einer vor der Stadt gelegenen Höhe errichtet wurde. Was verloren ist, ist ,am Galgen4, daher die mdal. öfters belegte Rda. Das ist Butter an den Galgen geschmiert: das ist nutzlose, vergebliche Arbeit. Ebenfalls nur mdal. bezeugt ist die Wndg. am goldenen Galgen hängen: im reichen Elend leben, von Ehemännern gebraucht, die eine Frau ihres Geldes wegen geheiratet haben; im gleichen Sinn auch das mdal. gebräuchl. Sprw., z.B. schwäb. ,Ein goldiger Galge taugt nix, wenn ma dra hange muß4 oder rhein. ,Wat nötz mer ene gölde Galge, wann ich dran hange moßl4 Eis. dagegen ,am silbernen Galgen hängen4, ein mühevolles, aber auch sehr einträgliches Amt haben. Er hangt dran wie der Dieb am Galgen /Dieb. Ähnl. erzgeb. ,Daar hengt drän wie der Leffel em Golchen4, er hält sich sehr ungeschickt, bes. von nicht gut sitzender Kleidung. Wie Galgen selbst früher als Schimpfwort gebraucht wurde, z.B. in Beheims ,Buch der Wiener4 (275, 4): „Grünspanlein, diser mÖrder, der pos diep und henkmäßig galk44, so nennt man einen treulosen, betrügerischen Menschen auch falsch wie Galgen¬ 299
Galimathias holz; schon die Hess. Reimchronik zum Jahr 1414 erzählt von einem Hans Galgenholz: Den Hessen auch das bracht ein Freud, Daß sie fingen in selbem Streit Fritz Galgenholz, ein reisigen Knecht, Der ein geborner Hesse recht Und des Grafen Kundschafter war, Von dem das Land leidt groß gefahr. Auch schwäb. ist ,Galgenholz4 der Name für einen falschen, betrügerischen Menschen. Ndl. ,Hij is zoo slim als het hout van de galg4. In den Mdaa. werden dem Galgenholz noch viele andere Eigenschaften zugeschrieben: ,so krumm, schlecht, frech, zäh wie Galgenholz4. Ähnl. gebildete Scheltwörter sind ,Galgenschwengel4 (bezeugt z. B. im Amadis-Roman), Galgenvogel4, ,Galgenstrick4, ,Galgenaas4, ndl. ,galgestrop\ Die Galgenfrist4 ist der letzte Aufschub vor einem unentrinnbaren Verhängnis, eigentl. die letzte Gnadenfrist für einen zum Galgen Verurteilten; das Wort taucht Anfang des 16. Jh. zuerst auf und wird schon 1639 von Erasmus Alberus bildl. gebraucht. ,Galgenhumor4 hat, wer in verzweifelter Situation noch Witze zu reißen vermag. Lit.: E. Frh. v. Künßberg: Rechtliche Vkde., in: Volk, Bd. 3 (Halle 1936); ders.: Rechtsgesch. und Vkde. (Köln - Graz 1965); K. Frölich: Stätten ma. Rechtspflege auf südwestdt. Boden, bes. in Hessen und den Nachbargebieten, in: Arbeiten zur rechtlichen Vkde. 1 (Tübingen 1938); ders.: Alte Dorfplätze und andere Stätten bäuerlicher Rechtspflege, in: Arbeiten zur rechtlichen Vkde. 2 (Tübingen 1938); K. Rossa: Todesstrafen — Ihre Wirklichkeit in drei Jahrtausenden (Oldenburg - Hamburg 1966). Galimathias. Galimathias reden: sinnlos schwätzen, verworren reden. Frz. galimatias, von neulat. gallimathia, gelehrte Zusammensetzung aus galli- und griech. mätheia, war urspr. ein Fachausdr. in den Diskussionen an der Pariser Sorbonne und gelangte Ende des 17. Jh. als Fachwort der Poetik ins Dt., wo es sich bes. als Schlagwort der lit. Kritik gehalten hat und in die Umgangssprache und Mdaa. Eingang fand. Mdal. belegt ist Schweiz. ,Galli-Matteies4, verworrenes Geschwätz, und schwäb. ,Galimathias4, dummer Mensch und dummes Geschwätz, Unsinn. Lit. z. B. bei H. v. Hofmannsthal im ,Turm4 (4. Aufz.): „Verdeutsch ihnen den Galimathias44. Galle. Die Galle läuft (geht) ihm über(oder steigt ihm auf): er gerät in Zorn, äußert heftig seinen Ärger. Die Rda. ist urspr. ganz wörtl. gemeint: Die Galle, die gelbliche Absonderung der Leber, gerät bei zorniger Erregung in Fluß und ist schon seit alter Zeit das Sinnbild für Bitteres, Unangenehmes, vgl. bitter wie Galle, gallenbitter, schon bei Heinrich von Türlin (,Der Aventiure Crône, V. 17205): ,,dä ist ein bitter galle bî44. Die Rda. selbst ist belegt bei Hans Sachs: denn ist die Gail mir überlaufen, das ich ir thu ein kappen kaufen (= sie schlage). Gift und Galle spucken (speien): äußerst schlechter " Laune sein, in Wut geraten (/Gift). Galle ist auch in den heutigen Mdaa. noch in ähnl. Sinne gebräuchl., z.B. obersächs. ,Galle sein mit jem.4, ihm böse sein; holst, ,1k heff en Gall up em4, ich suche Händel mit ihm. Voller Galle sein: mißgelaunt sein. Schon seit dem Mhd. ist Galle schließlich auch zum Scheltwort für böse und neidische Personen geworden; in Ottokars ,Oesterr. Reimchronik4 redet Adolf von Nassau von seinem Feinde Wenzel von Böhmen als von der „beheimischen gallen44, und in der ,Ku- drun4 (1278,1) ruft Gerlind Kudrun zu: „Nu swîc, du übele galle!44 Gamasche. Gamaschen haben: Angst haben; mdal. z.B. meckl. ,Gamaschen hab- ben4 oder rheinl. ,He hat Gamaschen kre- gen4, er hat Respekt bekommen. Die Rda. ist wohl eine jüngere Umbildung von /Manschetten haben. Dabei mag mitgespielt haben, daß Manschetten mdal. auch Handgamaschen heißen. Auf einen anderen Zusammenhang deutet freilich obersächs. einem die Gamaschen anpassen: ihn durchprügeln, was auf den unbequemen Sitz der steifen Gamaschen anspielt, woher ja auch das Schlagwort vom Gamaschendienst4 für den schematischen und altmodischen Betrieb im preuß. Heer um 1800 stammt. Von einem nicht passenden Kleidungsstück sagt man schwäb. ,Es staht dir a, wie’m Esel Gamaschen4. Gang. Einen Gang mit jem. wagen (tun): einen Waffengang beginnen, es mit jem. auf¬ 300
Gang und gäbe nehmen, z.B. auch beim Spiel. So schon in Hans Sachs1 Fastnachtspiel ,Der bös Rauch1, in dem der Nachbar von der bösen Frau sagt: ,,Ich het ein gangli noch gewagt“. Etw. anderes ist jem. auf (den) Gang bringen: jem. dahin bringen, daß er geht. Um das zu erreichen, muß man ihm bisweilen tüchtig zusetzen, und gerade daraus entwickelte sich die Bdtg., die die Rda. heute hat (vgl. jem. auf /Trab bringen; jem. /einheizen). Der Kraftfahrersprache des 20. Jh. ist die Rda. entlehnt: den vierten Gang einschalten (einlegen): sich beeilen, sehr schnell gehen. Die Rda. erklärt sich daraus, daß die meisten Automobile vier Vorwärtsgänge haben, wobei im vierten Gang die höchste Geschwindigkeit erreicht werden kann. Gängelband. Einen am Gängelband führen: ihn nach seinem Willen leiten wie ein Kind, das noch nicht allein gehen kann; am Gängelband gehen: sich von fremdem Willen leiten lassen. Das Gängelband, im Dt. seit 1716 lexikalisch gebucht, ist das Band, an dem Kinder beim Laufenlernen festgehalten werden. Es ist benannt nach dem seit Luther bezeugten Verbum gängeln' — ein Kind laufen lehren, was ebenfalls im übertr. Kind mit ,Gängelbändern4 ,Am Gängelband führen4 Sinne an gewendet wird. Die Rda. erscheint seitdem 18. Jh., z.B. bei Graf L. v. Stolberg (1750-1819): Leite mich (Natur) an deiner Hand Wie ein Kind am Gängelband, bei Schiller (,Fiesko4 III, 2): „tief unten den geharnischten Riesen Gesetz am Gangel- bandezu lenken“; „Da ihr noch die schöne Welt regieret, an der Freude leichtem Gängelband selige Geschlechter noch gefüh- ret“ (,Die Götter Griechenlands4, V. Iff.); bei A. v. Platen (1796-1835): „daß Nicolette dich an ihrer Launen Gängelbande führt“. Vereinzelt steht für Gängelband auch ,Gängelriemen4, so in der dt. Übers, von Richardsons Roman ,Clarissa4 (erschienen 1748, VII, 531): „sie wollen mit mir umgehen, wie mit einem kleinen Kinde in einem Gängelriemen“. Auch in der rhein. Mda. ist Gängelriemen gebräuchl. Vgl. auch die Rda. ,einen am Bändel herumführen4, /Band. gang und gäbe. Es ist gang und gäbe: es ist geläufig, gebräuchl., üblich. Diese stabreimende Zwillingsformel ist zusammengesetzt aus gang, ahd. gangi, mhd. genge, gemeint ist eigentl.: was unter den Leuten umläuft, und gäbe, mhd. gaebe = angenehm, gültig, eigentl.: was gegeben werden kann. ,Gäng und gäbe4 war urspr. ein Be¬ 301
Gans griff des Münzwesens und bezeichnete die augenblicklich im Umlauf befindliche, gültige Währung, so schon Anfang des 13. Jh. im ,Sachsenspieger des Eike von Repkow „gengund gêve“; 1289 in Süddtl. ,,ain Ko- stenzer pfenninch, der denne genge und gaebe ist“; 1491: ,,425 fl. Rh., so in disem Land zu Swaben gutt, ganng und gab sind“, 1534 bei Luther in l.Mos. 23,16: „vier hundert sekel silbers, das im kauff geng und gebe war“. Später findet die Formel auch in der Geschäftssprache zur Bez. von Waren Verwendung; heute wird sie von umlaufenden Münzen nicht mehr gebraucht, dafür aber in übertr. Anwendung auf alle Bereiche des täglichen Lebens, für alles, was Sitte und Brauch ist oder von der augenblicklichen Mode bestimmt wird. Gans. In den Ausdr. dumme, alberne, eingebildete Gans ist Gans heute ein Scheltwort für dumme Frauen oder schwatzhafte junge Mädchen, wobei an das Schnattern gedacht wird. Früher wurde es auch für Männer gebraucht; Wolfram von Eschenbach läßt dem jungen Parzival, weil er vor dem leidenden Amfortas die rettende Frage nicht getan hat, aus der Gralsburg nachrufen: Ir sît ein gans! möht ir gerüeret hän den vlans (,Flunsch4) und het den wirt gevräget . . . (,Parzival4 247, 27). Kaspar Stieler verzeichnet 1691: „sie ist eine rechte gans - stupida est“. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (I, 2) sagt der erzürnte Stadtmusikus Miller von seiner Frau: „Bleiben sitzen! . . . Herr Sekretarius! Das Weib ist eine alberne Gans! Wo soll eine gnädige Madam herkommen?“ Eine Steigerung dieses Vergleichs bildet die Rda. Er ist so dumm, daß ihn die Gänse beißen, häufig in den Mdaa., abgewandelt rhein. ,der es so dumm, daß em de Gäns nolafe4 (nachlaufen). Eine volkstümliche Verwünschung lautete in Schlesw.-Holst. ,dat die de Gan- ner bitt! ‘ Auch sonst sind unsere Mdaa. reich an sprw. Rdaa. von den Gänsen; viele davon sind durch die Lit. oder in der Umgangssprache bisher kaum bekannt geworden. Er macht ein Gesicht wie die Gans, weniis donnert (wenn’s wetterleuchtet): er sieht verwundert drein, mit reichen mdal. Varianten, z. B. obersächs. ,Er hält’n Kupp wie de Gänse, wenn’s dunnert4, schlesw.-holst. ,He steit un luurt as de Ganner na de Blitz4; schon in der ,Lauber-Hütt4 Abraham a Sancta Claras: „Drähen die Augen gegen den Himmel wie die Ganß“ und bei Pican- der(Henrici) 1723: „nun stehen wir da wie die Gänse, wenn das Wetter leucht“. Älter belegt ist auch Er ist drauf aus wie die Gans auf den Apfelbntzen, sehr verbreitet im Schwäb., bezeugt 1596 bei Josephus Langius (,Adagia4 S.48): „er sihet auff eine Seite wie ein Ganß, die ein Apfel suchet“. Er liegt mit den Gänsen im Prozeß, ob es Haare oder Federn werden sagt man von einem jungen Manne, der sehr stolz ist auf seinen ersten Bartflaum; nahezu sämtliche dt. Mda.-Wbb. bieten zu dieser Wndg. reiche Belege, z.B. ,Heliggt mit de Gösin’n Perzess4 (Wander I, Sp. 1336), rhein. ,Beld der nüs en, du häs der Process mot de Gans noch net gewönne!44 (Rhein. Wb. II, 1013); ebd. Jetzt gehn der Gans die Federe aus4, bei einer schweren Aufgabe. Obersächs. ,Mer hoon auch a Gensei mitnanner zu brüten4. Eis. ,Hafer von dr Gans kaufn4, eine törichte Forderung stellen, ,d’ Gans füetern4, sich erbrechen. (Vgl. ,die Fische füttern4, /Fisch). Utn der Gänse willen, für die Gänse: für nichts und wieder nichts, belegt bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus4: „und weiln er gleich mit Weib und Kindern aufbrach, dachte ich: er wird ja um der Gänse willen nicht hinziehen“ (nach Moskau); vgl. auch ,für die /Katze4. Den Gänsen predigen /Fuchs. Sich die gebratenen Gänse ins Maul fliegeti lassen /Taube. Die Gänse beschlagen: Unnützes tun; obersächs. ,Er will allen Gänsen Schuhe machen4, er ist überklug. 1630 heißt es bei Christoph Lehmann im ,Florilegium politicum4 (Politischer Blumengarten): „Man find Junge dapffere Leut die auff der Weissheit Werckstatt weder Lehrjungen noch Gesellenweiss gearbeitet vnd nie- mahln einem Meister nachgewandert, sondern nur daheim bey der Muttermilch vnd dess Vatters Saltzfass in aller Weissheit Meister werden, können bescheydenlich 302
Gans Fiinff vor Vngerad zehlen, Dreyssig mit GOTT, den Gänssen Huffeysen anziehen, vnd einer jeden Axt ein Stil finden1'. Sailers Sprichwörtersammlung von 1810 bringt als Erklärung zu einem ,Überwitzigen': ,,Er kann einer Gans ein Hufeisen aufschlagen, jeder Laus eine Stelze machen“ (/'Laus). Diese und ähnl. Rdaa. sind in mehreren eu- rop. Ländern bekannt. Im frz. Sprachgebiet findet sich 1461 bei François Villon in seinem ,Grand Testament' die Zeile ,.pour ferrer ouës et canettes“, ln den Dialekten lebt wenigstens die Erinnerung an die Rda. noch fort, z.B.: ,Cau pas qu’un cop enta trouba un hèr d’aouco: Il ne faut qu’une fois pour trouver un fer d’oie'. Im Berner Jura findet sich die Wndg. ,farraie les oûeyes'; als Aprilscherz, als ,Narrenauftrag' sagt man im Berner Jura auch: ,On l’enverrait bien porter une oie au maréchal-ferrant, le premier avril, pour la ferrer'. Ital. lautet die Rda. ,ferrare le oche'; vor allem findet sie sich im Italien des 16. Jh. mehrfach in der Form des Sag-Sprw., z.B.: ,,A una a una, disse colui, che ferrava l’oche“. Die engl. Belege sind im ,Oxford Dictionary of English Proverbs' zusammengestellt. Danach tritt in einem nicht mehr feststellbaren Jahr des 15. Jh. der Satz auf: ,,He schalle be put owte of company, and scho the gose“. Anstelle von ,goose' kann auch die Verkleinerungsform ,gosling' oder der Gänserich ,gander' treten. In diesen Sinnzusammenhang gehört die kleine Geschichte aus Edgeworth, ,Popular Tales', 1804: ,,A blacksmith once said to me, when... asked 303
Gänsehaut why he was not both blacksmith and whitesmith, The smith that will meddle with all things may go shoe the goslings“. Das Barfußgehen der Gänse, das Bedauern mit ihnen, daß sie keine Schuhe haben, daß man ihnen Schuhe machen sollte und ähnl. Vorstellungen treten häufig in Sprww., Rdaa. und vor allem in Kinderreimen auf. Der bekannteste ist : Eia popeia, was raschelt im Stroh? Die Gänschen gehn barfuß und hab’n keine Schuh, Der Schuster hat Leder, kein Leisten dazu, So kann er den Gänschen auch machen keine Schuh. Heinrich Bebel faßte in seinen 1508 erschienenen ,Proverbia Germanica' diesen Gedanken in die Worte: ,,Non curo anseres nudipedes ire; de negligenti dicitur“. Ent- spr. heißt es in Seb. Brants ,Narrenschiff: Wer sorget, ob die gaenss gent bloss . . . Der hat kein frid, ruow vberal. Das Beschlagen der Gänse kommt auch in einer ganzen Reihe von bildl. Darstellungen vor, z.B. auf den Misericordien des Münsters von Beverly (Engl.). Eine Gans in einem sog. Notstand, wie ihn die Schmiede zum Beschlagen von Pferden kennen, zeigt auch eine 111., die sich in einem Manuskript in Oxford befindet. Eine weitere Darstellung findet sich in einer Kirche von Walcourt in Belgien, wo wiederum eine Gans von einem Schmied beschlagen wird. Alle diese Bildzeugnisse fallen zeitlich ungefähr mit den lit. Belegen zusammen: ins Ende des MA. Eine Art,Beschlagen' der Gänse hat es nun indessen tatsächlich gegeben: In einzelnen Teilen Irlands wurden und werden noch Zeichen in die Schwimmhäute der Gänse eingelocht; sie wurden ,tokened'. Das geschieht vor allem dort, wo sie auf gemeinschaftliche Weide gehen oder getrieben werden. Sie werden in diesem Fall mit dem üblichen Besitzerzeichen unterschieden. Viel eigenartiger aber ist eine in Wales angewandte Methode, um Gänse zum Verkauf aus Wales nach England zu treiben, zu einer Zeit, als noch alles zu Fuß ging. Da die Gänse schlecht zu Fuß sind und diese großen Strecken, die eine tagelange Wanderung erforderten, wohl kaum ohne Be¬ schwerden bewältigt hätten, wurden sie .beschuht', d.h. ihre Füße wurden in Pech getaucht. Wo dieser Brauch nicht mehr verstanden wurde, da mag das ,Beschlagen' der Gänse als unnützes Tun erschienen und in diesem Sinne rdal. geworden sein. Lit.: R. Wildhaber:,Die Gänse beschlagen4, in: Home- naje a Fritz Krüger - U.N.C. (Mendoza 1954), Tomo II, S. 339-356. Gänsehaut. Eine Gänsehaut kriegen: frieren, übertr.: einen heftigen Schreck bekommen. Die Rda. ist von der Beobachtung hergenommen, daß sich die Haut infolge niedriger Temperaturen oder bei Erschrecken zusammenzieht und von zahlreichen kleinen Knötchen bedeckt ist, so daß sie der Haut einer gerupften Gans ähnelt. Bei Hans Sachs heißt es: Nach dem hast mich gewelt also, Das mir gleich ein genshaut anfur und bei Kotzebue: Hu! wenn ich dessen gedenk mit Grausen, So überläuft mich eine Gänsehaut. Vgl. frz. ,avoir la peau de poule' (worth ,eine Hühnerhaut haben'). Gänsemarsch. Im Gänsemarsch gehen: dicht hintereinander hergehen, seit den dreißiger Jahren des 19. Jh. bezeugt und vermutlich in student. Kreisen Leipzigs entstanden. Vorher gebrauchte man statt dessen ,Gänsegang'. Dieschweizerdt. Mda. kennt außerdem die Ausdr. .Katzenschwanz' und ,Entenmarsch'. Gänsewein. Gänsewein trinken: Wasser trinken. Die scherzhafte Wertsteigerung des einfachen Trinkwassers zum Gänsewein erscheint vorgebildet in Fischarts ,Podagr.Trostbüchlein' (S.674): ,,träncken die gäns wein, so beschert ihnen gott kain wasser. Das letztere soll eben ihr Wein sein“. In der .Ehrlichen Frau Schlampampe' (S.65) begegnet dann bereits die Zusammenstellung: Hühner-, Tauben-, Gänsewein. Garaus. Einem den Garaus machen: ihn umbringen. Der Begriff Garaus ist die zum Hauptwort erhobene adverbiale Formel ,gar aus' i.S.v. ,ganz, vollständig aus'; er 304
Garn taucht in unserer Sprache zuerst im Frühnhd. auf. Mit dem Ruf ,gar aus!1 wurde im alten Regensburg und bes. in Nürnberg die Polizeistunde in den Wirtshäusern geboten; allmählich übertrug man ihn auch auf die Tageszeit, zu der er erfolgte, und auf den Glockenschlag, der das Ende des Tages verkündete. Bei Hans Sachs sind Wortbildungen wie ,Garausglocke4 und ,Garauszeit4 für Nürnberg bezeugt, z.B. in der ,Wolfsfabel4: Wann man die garaus glocken laut. Dann muß ichs zahlen mit der haut. Der Garaus erscheint im 16. Jh. in den Wndgn. den Garaus spielen, den Garaus singen, zur Bez. des letzten Tanzes und des letzten Liedes am Abend (/Kehraus). Noch im 19. Jh. bezeichnete man in Nürnberg das Abendläuten als gäras. Bildl. Gebrauch des Wortes findet sich zuerst bei Kirchhoff (,Wendunmuth‘ 4, 382): „wenn es auff der großen Uhren, wie zu Nürnberg und anderstwo bräuchlich, nach der Tagläng . . . abendts den Garauß schlägt, soll man sich erinnern, daß auch mit uns allen .. . letzlich der Garauß kommen werde44. Fincelius schreibt 1566 in den ,Wunderzeichen4 (Q 7a): „Welchen allen der Herr Christus mit dem Fewer seines Jüngsten Gerichtes ein Ende und Garauß . . . machen wirdt“. Kaspar Stieler bucht 1691 (,Stammbaum4, S.69): „Garaus, der / ruina, interitus rei, den Garaus mit einem spielen, einem den Garaus machen / funditus aliquem perdere . . .44 Daneben kennt Stieler noch ,Garaussaufen4, trinken, entstanden aus gar austrinken. Vgl. auch den Refrain eines Volksliedes bei Uhland (Alte hoch- und ndd. Volkslieder): „Drincks gar aus, drincks gar aus“. Davon ist abhängig das im Frz. bei Rabelais belegte ,boire carrous et alluz4 und engl. ,a deep carouse4. Lit.: Art. .Garaus1 in Trübners Dt. Wb. 3, S.16a von W. Gebhardt. Gardine. Hinter die schwedischen Gardinen kommen: ins Gefängnis, hinter /Schloß und Riegel kommen, eingesperrt werden. Diese jüngere Rda. entstammt der Gaunersprache. Gardine steht verhüllend für die Gitter der Gefängniszellen; schwedisch heißen die Gardinen vielleicht in Erinne¬ rung an die Gewalttätigkeit der Schweden im Dreißigjährigen Krieg, vgl. den ,Schwedentrunk4 (/eintränken). Wahrscheinlicher ist aber der Zusammenhang mit den Eisenimporten aus Schweden. Der Stahl, der aus Schweden kam, galt als bes. gut und haltbar; er wurde deshalb für die Gefängnisgitter verwendet. Gardinenpredigt. Einem eine Gardinenpredigt halten:ihm eine Strafpredigt halten; diese Predigt ist eigentl. die Strafrede, die die Frau ihrem Manne hinter den Gardinen, d.h. den Bettvorhängen, hält. Schon Seb. Brant nennt 1494 im ,Narrenschiff4 (64. 27 ff.) die nächtliche Strafrede der Gattin ,Predigt4: Die ander kyflet (von ,keifen4) an dem bett: Der eeman selten fryd do hett, Müsz hören predig ouch gar oft, So manch barfuszer lyt vnd schloft. Die Vorstellung des Bettvorhangs tritt im 16. Jh. hinzu; das Wort Gardinenpredigt ist nicht vor 1743 nachgewiesen. Gebucht wird es 1795 von Hupel im ,Livländischen Idiotikon4 72: „Verweis, welchen die Frau ihrem Gatten unter vier Augen, sonderlich bei dem Schlafengehen, giebt44. Ähnl. Ausdr. in den skandinavischen Sprachen und im Engl, sind z.T. früher belegt. Ndl. heißt es von einer zanksüchtigen Frau ,Zij heeft hem de gordijn-metten gelezen4. Garn. Gutes Garn spinnen: redlich und mit Erfolg handeln; so schon 1512 in Thomas Murners ,Schelmenzunft4: Dass jeder mein’, ich red das sein, so würff ich stühl vnd benck drein; noch kann jr keiner das erfarn, vnd meinen all ich spinn gut garn, von einem eigennützigen Vermittler gesagt, der allen Parteien zu Gefallen redet. 1639 bei Lehmann S. 13 (Ampt 25): „Gott hat jedem in seinem Beruff einen Rocken angelegt, daran soll er schaffen und gut Garn spinnen44, und S.216 (Frombkeit 34): „Mancher hat den Nahmen, als spinne er das beste Garn, da er doch nur Sack spinnt44, ln Schnabels Abenteuerroman ,Insel Felsenburg4 (1731/43) heißt es (4,518): „zu sehen was unsere daselbst zu- 305
Garn ,Gutes Garn spinnen4 rück gelassenen Brüder benebst den Portugiesen vor gut garn spönnen“, ln verneinter Form erscheint die Rda. bereits 1578 in Fischarts ,Ehezuchtbüchlein4: ,,Welche nit gut garn, wie man sagt, hie haben spinnen woeilen“. In dieser Form ist sie heute meist gebräuchl.: kein gut Garn miteinander spinnen: sich nicht vertragen, mdal. z. B. schwäb. von zwei unglücklichen Eheleuten: ,Se spinned kei guet Garn mit enand4. Schweiz, auch,grobes Garn4, rhein.,rauhes Garn spinnen4 (/Faden). Einem ins Garn gehen: sich von ihm verlok- ,1ns Garn gehen4 ken lassen, einen ins Garn locken: ihn verleiten; in diesen Redewndgn. steht Garn i. S. v. ,Fischnetz, Netz des Vogelstellers4. Luther gebraucht 1534 zur Übers, der Bibelstelle Hes. 32,3: ,,Ich wil mein netz vber dich auswerffen durch einen grossen häuften volcks, die dich sollen jnn meine gern jagen44. In der Komödie ,Hans Pfriem4 von Hayneccius (1582) klagt der Held beim Anblick der Richter (V.975): Die sind so abgericht auff mich, Das sie mich fangen listiglich, 1st gar ein ausgelegtes Garn. Bei Schiller heißt es in den ,Räubern4 (11,3): ,,Den hab’ ich schön ins Garn gekriegt44, und im ,Fiesko4 (III, 4) läßt Fiesko den ankommenden Mohren befragen: ,,Ist was ins Garn gelaufen?44 Vgl. mdal. (rhein.): ,enen en et Garn kommen4, ins Revier kommen, ,enen achter et Garn verfolgen4, hinter ihm her sein, und das nhd. Verbum ,umgarnen4, bestricken, verführen (/Fallstrick). Das Garn auf dem Boden laufen lassen: es mit einer Sache genau nehmen, energisch und ohne Rücksicht Vorgehen. Die Wndg. ist schwäb. heute noch stellenweise bekannt; sie geht zurück auf die Bdtg. von schwäb. ,Garn4 = das Fischnetz, das gezogenwird. Belegt ist sie z.B. 1545 bei Eberh. Tappius (,Germanicorum Adagiorum4 fol. 89a) oder bei dem Schwaben Luc. Osiander d.Ä. (1534-1604), bei dem es heißt: „Wenn man aber will das Garn auf dem Boden gehen lassen“. Ihre Herkunft ist noch sehr deutlich bei dem schwäb. Mundartdichter Nefflen zu erkennen, der im ,Vetter aus Schwaben4 (S. 132) schreibt: „Er will’s Garn aufm Bode Iaufa lau, und das thuat net guat; mein Aehne hot älle- mool g’sait: doo bleib’s Garn an de Stoa hanga und verreiss“. An älteren, heute jedoch kaum noch gebräuchl. Rdaa. sind außerdem zu nennen: vor dem Garn fischen (d. h. da, wo es nichts zu fischen gibt): sich vergeblich bemühen; bezeugt bei Luther: „darumb acht ich es vordem Garn gefischt, so man umb Verteidigung willen des Evangelii sich wider die Obrigkeit legt44. Ferner einem das Garn verwirren:ihn in seinen Plänen und Handlungen stören, z.B. in Scrivers „Seelenschatz4 (2,S.429): „andern, wie klug und 306
Gasse weise sie sind, läßt Gott ihre beste Rathund Anschläge fehlen, machet ihre Weisheit zur Narrheit, und verwirret ihr Garn ...“. Ein Garn spinnen: Geschichten erzählen, auch Seemannsgarn spinnen: unglaubwürdige Geschichten vortragen; diese Wndgn. entstammen der Seemannssprache; die Matrosen mußten auf See in ihrer Freizeit aus aufgelöstem alten Tau- und Takelwerk neues Garn hersteilen, wobei sie von ihren Abenteuern erzählten. Lit.: Triibner, Dt. Wb. 3 (1939), S. 19b; F. Kluge: See- mannssprache (Freiburg 1911), S. 300; L. Röhrich u. G. Meinel: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.316. Garten, ln seinem eigenen Garten jäten, heute zumeist ersetzt durch: vor seiner eigenen /Tür kehren, schon bei Seb. Franck (,Sprichwörter" 1541, II, S.64b): ,,In seim eygen garten ietten oder krauten gehn“ erklärt er mit:,, An jm selbs die besserung an- fahen“. Quer durch den Garten: Gemüsesuppe, d.h. eine Suppe, in der alle Gartengemüse enthalten sind (20.Jh.). Es ist nicht in seinem Garten gewachsen /Mist; jem. einen Stein in den Garten werfen/Stem. Der Kirchhof (— Totengarten) ist in der schwäb. Rda. gemeint: ,Der gaht de Garte na", er kommt zum Sterben. Gas. Gas geben: sich beeilen; die Rda. entstammt der Kraftfahrersprache des 20. Jh.; Automobile beschleunigt man, indem man das Gaspedal bedient. Mir geht eine ganze Gasfabrik auf/Seifensieder. Gasse. In der älteren Studentensprache bedeutete gassatim gehen: herumschwärmen, lärmend durch die Gassen ziehen. Die Rda. ist gebildet zum lat. Verbum grassäri nach dem Muster der häufigen ostiatim, virga- tim, privatim und lautete zunächst ,grassa- tim gehen"; da die Gasse meist der Ort des lustigen Schwärmens war, wurde daraus „gassatim". Schon um 1600 verstanden die Studenten diesen Ausdr. nicht mehr oder verwirklichten ihn grob witzelnd und falsch worth, indem sie bei ihren nächtlichen Umzügen auf die Gassensteine mit Stöcken und Waffen hieben, wie das die Verse von Moscherosch schildern: bursa studentorum finstri sub tempore nachti, cum sterni leuchtunt, mondus quoque scheinet ab himlo, gassatim laufent per omnes compita gassas cum geigis, cytharis, lautis, harphisque spilentes, haujuntque in steinos, quod feurius springet ab illis. Der Ausdr. ist dann auch in die Mdaa. eingedrungen und findet sich z. B. im Schwab., wo ,gassata gehen" so viel bedeutet wie: zwecklos umherschlendern, Spazierengehen; rhein. ist ein ,Gassatengang" ein erfolgloser Gang. Die bair. Mda. hat nach ,gassatim" das Verbum ,gassieren" gebildet. Im Volkslied des 18.Jh. (Erk, Liederhort 303) heißt es von einem Freier: Ein junger Knab gassaten gieng Wol um der Jungfern willen, Er gieng vor ihr Schlafkämmerlein... Belege für die Rda. finden sich häufig in der älteren dt. Dichtung; Joh. Fischart hat in Anlehnung an ,gassatim" einen ganzen Katalog ähnl. Wörter für unnützes Treiben gebildet: „nach dem nachtessen ... giengen sie herumb gassatum, hispenspilatum, mummatum, dummatum, fenstratum, rau- penjagatum“ (,Gargantua" 17 lb). Bei Grimmelshausen erzählt Simplicissimus von dem Praeceptor: „Daher gieng ich schon bei Nacht mit ihm und seines gleichen gassatim und lernete ihm in Kürze mehr Untugenden ab als Latein“ (1,428). Ein Ausdr. ähnl. Bdtg. war Gassen hauen, wobei ,hauen" urspr. i. S. v. ,beim Gehen schnell und derb auftreten" gebraucht wurde (Belege bei Schmeller I, 1024). Einen solchen Nachtschwärmer und Pflastertreter nannte man einen ,Gassenhauer". Diese Bez. ging später auch auf die Gassentänze und Gassenlieder über; so heißt es 1517 bei Aventin (1,542,12): „gassen- hawer, die man auf der lauten schlecht“. Bis ins 18. Jh. wurde ,Gassenhauer", Massenlied" gebraucht für Volkslied, bis dann durch das von Herder 1773 geprägte Wort Volkslied das Wort Gassenhauer einen tadelnden Nebensinn bekam. Auf die Gassen gehen, Gäßlein gehen, gäs- seln, gassein sind altbair. Ausdr. für das Fensterin, auf nächtlichen Besuch vor die 307
Gast Schlafkammer der Geliebten gehen (ent- spr. alem. ,zur Stubete gehen4, ,heimgarten4, ,auf den Strich gehen4). Für die oesterr. Alpenländer hat Ilka Peter den Gassibrauch in einer methodisch ausgezeichneten Monographie dargestellt. Wenn eine Tatsache stadtbekannt geworden ist, sagt man Das wissen selbst die Kinder auf den Gassen; sprw. schon bei dem Prediger Mathesius: Die kinder auf der gassen wüsten, Das eitel betrug in klöstern war. Rhein. ,De geht de Gass eraf, ,der geht die Gass enunner4, mit ihm geht es zu Ende, er stirbt bald (/Bach). Lit.: H. J. Moser: Der Gassenhauer, in: Faust, Heft 10 (1923/24), S. 8 ff.; I. Peter: Gassibrauch und Gassispruch in Oesterreich (Salzburg 1953); G. Rösch: Das dt. Kiltlied (Diss. masch. Tübingen 1957); E. Klüsen: Volkslied. Fund und Erfindung (Köln 1969). Gast. Dasitzen wie der steinerne Gast: stumm dasitzen, belegt z. B. in Eichendorffs Roman ,Ahnung und Gegenwart4 (Buch 3, Kap. 24): ,,Rudolf war indes auch wieder still geworden und saß wie der steinerne Gast unter ihnen am Tische41. In Schillers ,Piccolomini4 (IV, 6) sagt Isolani, indem er auf Max zeigt: Gebt acht, es fehlt an diesem steinernen Gast, Der uns den ganzen Abend nichts getaugt. In Schlesien legte man ein 13. Gedeck für den .steinernen Gast4 auf, wenn bei einer Mahlzeit zwölf Personen am Tische saßen. Die Rda. geht auf die Sage vom Toten als Gast (Don-Juan-Typus) zurück, in der eine zum Essen geladene Statue als ,steinerner Gast4 bei Tisch erscheint und sich dann an dem Frevler rächt. Lit.: L. Petzoldt: Der Tote als Gast. Volkssage u. Exempel, FFC 200 (Helsinki 1967). Gaudeamus singen /Placebo. Gaul. Mdal. gilt Gaul heute im Gebiet etwa zwischen Kaufbeuren, Birkenfeld, Paderborn und Vohenstrauß (im Süden davon gilt ,Roß4, im Westen und Norden ,Pferd4). Die folgenden Rdaa. dürften daher ihren Urspr. in diesem Gebiet haben: Ihm geht der GauI durch: er läßt sich von seiner Leidenschaft fortreißen; das Gegenteil dazu bildet die schwäb. Wndg. ,Halt den Gaul an4, tu langsam. Mach mir den Gaul nicht scheu: reize mich nicht, lüge mich nicht so an, urspr. vom Fuhrmann gesagt. Alle anderen landschaftlich mit ,Gaul4 belegten Rdaa., wie: ,den Gaul beim Schwanz aufzäumen4, ,einem auf den Gaul helfen4, ,dess brengt ’n Gaul um4, ,einem den Gaul satteln4, .immer auf den höchsten Gaul wollen4, .immer auf einem Gaul reiten4, .wieder aufseinen Gaul kommen4, .sich auf den hohen Gaul setzen4, .dazu bringen mich keine zehn Gäule4 usw., /Pferd. < /. ' L .Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins MauF Ein geschenkter Gaul sein: eine Sache, die man als Geschenk erhielt und deshalb nicht genau prüfen, kritisieren oder gar verurteilen und verschmähen sollte in Rücksicht auf die gute Absicht des Gebers. Die Rda. steht in engem Zusammenhang mit dem bekannteren Sprw. ,Einern geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul\ das sich auf die Methode der Pferdehändler bezieht, die am Gebiß der Tiere ihr Alter feststellen. Gebälk /knistern. geben. Es einem geben: ihm gründlich die Wahrheit sagen, ihm keine Antwort schuldig bleiben; schon in Grimmelshausens .Simplicissimus4 (Bd.3, S.403): ,,Wol ge¬ 308
Gebot geben! sagte jener“. Vgl. auch unser Gut gegeben! Iron, gebrauchte man im 18. Jh. bes. in Leipzig Das gibt sich alles wie das Lateinische: nach und nach bewältigt man das Schwierige; 1746 ist aus Leipzig bezeugt: ,,rnit denen gibt es sich von selber wie mit dem Griechischen“. Auch heute gebrauchen wir noch ohne den Zusatz Das gibt sich (alles): es wird sich einrichten, in Ordnung kommen. Was gibst du, was hast du: sehr schnell; der Urspr. dieser auch landschaftlich sehr verbreiteten Formel (z.B. Schweiz. ,was gisch, was hesch"; rhein. ,wat giste, wat haste", möglichst schnell) ist noch nicht sicher erklärt, doch ist an die Fragen eines drängenden Verkäufers zu denken, der seine Ware sogleich an den Mann bringen will; ober- sächs. in gleicher Bdtg. ,was haste, was kannste", z.B. ,Er riß aus, was haste, was kannste", ähnl. schon 1696 bei Chr. Reuter im ,Schelmuffsky": ,,Was Iäufstu, was ha- stu?“ (/’haben). Sehr alt und verbreitet sind auch die Wndgn. vom Geizigen, der nicht gerne etw. hergibt; 1541 in den ,Sprichwörtern" Seb. Francks: ,,Er gibt gern - seinem maul, wann jm hungert“, 1616 bei Georg He- nlsch: ,,er gibt gern mit dem Mund, aber die Hände halten fest“ und 1630 bei Chr. Lehmann: „er gibts mit dem Mund vnd behelts mit den Händen“. In Anlehnung an das Vaterunser sagt man im Schwab. ,Er ist nicht von Gib-uns-heute‘; rhein. ,Er ist nicht von gib, aber von nimm". Verbreitet sind auch die Ausdr., in denen der Geiz mit Hilfe von fingierten Namen charakterisiert wird, im Mhd. schon bei Heinrich dem Teichner: Swä her Gebhart kumt in d’schrangen, dä her Nemhart rihter is. In den heutigen Mdaa. stehen dafür oft die Namen erfundener oder tatsächlich existierender Orte, die die Silbe Geb- enthalten, z. B. Er ist nicht von Gebenhausen (Gebendorf, Gebersdorf, Gebeningen) (allg. obd.), Geberow (meckl.), Gebiken (Schweiz.), Gebenich (Krs. Euskirchen/ Rheinl.), Gabsheim (Krs*. Oppenheim/ Rhh.), Gebweiler (Eis.), Gibenach (bei Basel), Gebrazhofen (Krs. Leutkirch/ Wttbg.) usw. Ihr gebt mir ja nichts dazu /dazu; /gang und gäbe. Gebet. Einen (scharf) ins Gebet nehmen: ihn zur Rechenschaft ziehen, ihm ins Gewissen reden. Die Herkunft dieser Rda. ist verschieden erklärt worden. Man leitete sie einmal von den ma. Volkspredigern ab, die den Tadel für jem. mit in das Gebet oder in den Text ihrer Predigt einflochten, oder von dem Beichtvater, der nach empfangener Beichte dem reuigen Sünder vorbetete, den Bußfertigen beten lehrte. Auch an eine Ableitung von ndd. ,Gebett" für,Gebiß" hat man gedacht, da man ein störrisches Pferd ,ins Gebett nehmen" kann. Die Rda. wird jedoch ganz wörtl. zu verstehen sein: ,jem. ins Gebet nehmen" bedeutet urspr.: für ihn Sorge tragen, ihn in die Fürbitte mit einschließen, wozu eine Stelle bei Scriver (Gotthold 1067) zu vergleichen ist: „ein vater erzählte Gotthold, daß er willens wäre, seinen sohn reisen zu lassen... bat deshalber ihn mit ins gebet zu nehmen"". Im Anfang des 19. Jh. gebrauchte man in Holstein die Wndg. ,in’t Gebett nehmen" für: eine Schwangere in die öffentliche Fürbitte einschließen. Allmählich erhielt die Wndg. dann den abgewerteten Nebensinn von Tadeln, zurechtweisen". Ndd. verbreitet ist die Rda. ,He höllt dat mit’n kort Gebett un’n lang Wurst" (holst.), er ist für kurzes Gebet und reichlich Essen; ähnl. niederrhein. ,völ holden van et kort Gebett on en lange Metworsch", daher das Sprw. ,Kurz Gebet und lange Bratwürste haben die Bauern gern". Gebot. Von den zehn Geboten sind das vierte und das sechste in sprw. Rdaa. hineingenommen worden, z.B. ndd. ,He geit in’t söste Gebot", er Übertritt es; ,er hat das 6. Gebot schon siebenmal abgeschafft"; ,er hat das sechste Gebot gefressen". Die Zehn Gebote stehen mitunter auch für die zehn Finger; daher einem die 10 Gebote ins Gesicht schreiben: ihm eine Ohrfeige geben, ähnl. auch frz. ,les dix commendements", und ndl. ,met zijn tien geboden"; engl, belegt in Shakespeares ,HenryVI" (2.Teil, 1,3): Could I come near your beauty with my nails, I’d set my ten commandments in your face. Scherzhaft wird oft ein 11. Gebot genannt; 309
Gedanke früher hieß es: Halte dich an das 11. Gebot: laß dich nicht verblüffen; so schon bei J.G. Herder in einem Brief an seinen Sohn: „Schlafe wol, halte dich brav, gib wol Achtung, übereile dich nicht und behalte das elfte Gebot: laß dich nicht verblüffen11. Heute gilt als 11. Gebot allg.: Laß dich nicht erwischen! Erklärungsbedürftig ist auch die im Schwab, sehr häufig gebrauchte Rda. äll- bot. Eigentl. müßte es ,all Bot geschrieben werden, wie ,all Häck4. Beide Rdaa., von der Hochsprache verschmäht, sind in der schwäb. Mda. und Umgangssprache weit verbreitet. Sie enthalten den Begriff des oft, zu oft Wiederholten, manchmal auch den Begriff der vereinzelten Handlungen, also entweder ,alle Augenblicke* oder ,manchmal, hie und da4, Jedesmal4, wofür es auch ,ie bot4 heißen kann:, Allbot bringet se a nuie Stuirt - ,Du wit ällbot ebbes änderest - ,Ä11 Häck stoht en Hausierer da\ Die Herkunft der beiden Ausdr. ist nicht ohne weiteres erkennbar. Die Schreibweise ,all Bot4 weist auf das mhd. ,Bot4 hin, welches Befehl, Verordnung, Gebot bedeutete. Die Zehn Gebote waren ,die zehen Bot4 (1486). Gang und gäbe war ,das Bot4 in der niederen Gerichtsbarkeit, in den Gemeinden. Es meinte einmal die Gerichtsverhandlung auf dem Rathaus, dann das Ge,bot\ zu erscheinen: ,,... es ist ein Bot (Befehl) kommen vom Vogt für heut Mittag44, und endlich bezeichnete man mit ,Bot4 auch die Strafe für Nichterscheinen oder für Übertretungen überhaupt: so einer ungehorsam were, da geherend das erst Bot, so 3 Sch. dem Vogt, das andre Bot, so 5 Sch. wie das dritte, so 1 Pfund Heller, dem Obervogt oder Keller, und werden alle zu Ambts Händen eingezogen44 ( 1582). Die ,Zimmerische Chronik4 (1566) berichtet von einem Schelm: ,,... hiemit erlegt er dem Pauren das Potgeld, schapft seim Roß Wasser (aus dem verbotenen Brunnen!) und ließ es geleich gnug drinken44. Die Bot konnten sich sehr unangenehm häufen, wie aus alten Strafprotokollen über Bagatellsachen ersichtlich ist. Neben dem amtlichen, gerichtsherrlich erlassenen oder verhängten Bot gab es noch das Bot der Handwerksmeister. Ein solches war z.B. das Collegium der Zunftmeister4 in Ulm. ,1m Bot sein4 war eine große Ehre, auf die jeder Zunftvorsteher stolz war, wiewohl die vielen Sitzungen - bis zu vierunddreißig im Jahr - sich keiner großen Beliebtheit erfreuten, wenigstens nicht bei den herdhütenden Ehefrauen, wenn der Mann ,all Bot4 außer Hauses mußte. Wie oft mag auch ein Zunftbot vorgeschützt worden sein, wenn es darum ging,zu einer,Letze4zu kommen! So wurde die Rda. ,all Bot4 zum Adverb ,allbot4, was heute noch dasselbe bedeutet wie vor dreihundertfünfzig Jahren. In einem Bericht über den Spielverlauf beim ,Ringwerfen4 heißt es von einem der Spieler: ,,... sin Ringlin traff allebot den Zweck (Pflock)44 und von einem andern: „... der alle Bot gwan ein Pocall44 (1616). All Häck oder all//tf'c£stammt aus der Handwerkersprache. ,Häck4 sind die harten Schläge des Schmiedes oder des Holzhauers. Da zwischen den einzelnen Schlägen nur eine kleine Spanne Zeit liegt, so formte die Volkssprache für den Begriff ,alle Augenblicke4 die Redewendung ,äll Häck4. Das umlautende ä ist sprachgeschichtlich begründet. Im Gebrauch von ällbot und äll Häck bestehen Unterschiede. So kann man das einemal sagen: ,,... mei Jonger goht wirkli1 et gern i d’Schul4, äll Häck hent s- en andere Lehrer!44 und ebenso: wenn i i d’Näh vom Bah’hof komm, no mueß i ällbot dee’ke, wia-n- es noch vor zehe Johr dort ausg’seha hot!44 Lit.: ew in: Schwäb. Tagblatt, Tübingen, Ausg. v. 31. 1. 1960. Gedanke, ln Gedanken sein: zerstreut, nicht bei der Sache sein. Die Wndg. erscheint in den Mdaa. oft mit Zusätzen oder witzigen Erweiterungen, so westf. ,Hei geit in Gedanken äs de Küe in Flöhen4, oder schwäb. ,Er ist mit den Gedanken im Haberfeld4 (/Gerstenfeld). ,Er hat Gedanke wie e Gans, vom Essen bis zum Trinken4, er denkt nicht weit. Obd. sagt der Zerstreute auch von sich selbst: ,i han i Gedanke an gar nex denkt4. Daran ist kein Gedanke: daran ist nicht zu denken; oft auch verkürzt zu kein Gedanke: keine /Spur, durchaus nicht!, im ablehnenden Sinne gebraucht ähnl. wie ,keine /Idee!4. ,Gedanke4 und ,Idee4 dienen in der Umgangssprache auch zur Bez. einer 310
Gefühl ,Kleinigkeit'; so in der Wndg. ein Gedanke (eine Idee) größer, kleiner. Nach Gedanken: ohne genaues Maß, nach Gutdünken; schon um 1700 bezeugt. Gedeih. Die Formel auf Gedeih und Verderb: um jeden Preis, ist in der nordd. Rechtssprache seit dem 16. Jh. belegt. In einer Dithmarschischen Urkunde aus dem Jahre 1562 ist zu lesen: ,beider karspele dye unde vorderf is under dem vârlicken dÿke gelegen‘ (beider Kirchspiele Gedeih und Verderb hängt von dem gefährlichen Deich ab). Das seltene Subst. Gedeih gehört zum Verb ,gedeihen' und tritt heute nur noch in der oben genannten Verbindung auf. Geduld. In der Geduld stehen (liegen, sitzen): an einer geschützten Stelle sein; sich bei üblem Wetter im Freien befinden, aber gegen Wind und Wetter geschützt sein. Die Wndg. ist sächs., thür. und schles. bis heute gebräuchl. Ausgangspunkt der Rda. ist die Sonderbdtg. von Geduld als ,Gelassenheit', dazu das Adj. mhd. gedultic — gelassen und mnd. dult = Ruhe, Frieden, im Gegensatz zu ungedult = Feindseligkeit, z. B. bëi Walther von der Vogelweide: man soi sin gedultic wider ungedult swen die boesen hazzent âne sine schult. (= Man muß Gelassenheit gegen Feindschaft und Haß setzen, Frieden gegen Unfrieden). Die Bedeutungsentwicklung von Geduld ging weiter über entspannte Stimmung im Leben' zu geschützte Stellung im Raum, Windschutz', in der letzteren Bdtg. 1745 in Chemnitz ,,ein Haus, das in der Geduld liegt“ (J. A. Weber, Teutsch-lat. Wb. 328b). Mit Geduld und Spucke (fängt man eine Mucke): mit Ruhe kommt man eher zum Ziel. Geduldsfaden. Der Geduldsfaden ist mir gerissen: ich habe keine Geduld mehr, warte nicht mehr länger; die Geduld wird als Faden gedacht, der bei zu starker Anspannung reißt. Verkürzt bei Goethe in ,Wilhelm Meisters Lehrjahre' (3,5): „fast wollte seine Geduld reißen, als ein Galanteriehändler hereingelassen wurde“. Gefälle. Die noch heute im Obd. verbreitete Rda. Gefälle haben: Glück, Erfolg haben, geht auf sehr alte Wurzeln zurück. Schon in Gottfried von Straßburgs ,Tristan' (V.9924) steht ,guot gevelle' für ,Glück'. Glück im Spiel heißt im gleichen Werk (V. 16438) ,spilgevelle\ und noch in der Ggwt. gebraucht man die Wndg. ,Gefälle haben' im Schwäb. auch i. S. v.,Glück im Spiel haben', außerdem bei guter Getreide- und Weinernte usw. Schweiz.,Ma mos au s’gfell ha', man muß auch vom Schicksal begünstigt sein. Ein gutes Gefälle haben: scherzhaft für: mitten guten Zug haben', tüchtig trinken können, ist erst aus dem 19. Jh. belegt, bes. mdt. In Berlin sagt man zu einem, der viel auf einmal trinkt ,Du hast ’n jutet Jefälle'; im Oberharz auch in der Form ,än guten Iwerfall ha’n'. In Immermanns Roman ,Münchhausen' (ersch. 1839) heißt es (2,139): „ei, was hat der Schliffei ein Ge- fäll, rief Kernbeißer“. Das der Rda. zugrunde liegende Bild ist vom Bach übertr., der durch sein Gefälle die Mühle treibt; daher noch sehr deutlich im Obersächs.: ,Der hat aber e Gefälle, sei Vater is e Wassermüller'. Gefühl. Kein Gefühl für etw. (jem.) haben: kein Verständnis aufbringen; sich falsch verhalten; eigentl.: kein menschl. Mitgefühl besitzen. Gefühl (Fühlen) war urspr. nur die Bez. des Tastsinns, wurde aber bald auf den seelischen Bereich übertr., wobei Gefühl und Empfindung nicht streng geschieden wurden. Das Wort Gefühl ist ndd. und mdt. Herkunft und fehlte bis zum 17. Jh. Als ein Lieblingswort des ,Sturm und Drang' wurde es durch die Lit. allg. bekannt. Gleichzeitig entstanden viele Zusammensetzungen wie: Fingerspitzengefühl, Selbstgefühl, Schamgefühl, Sprachgefühl, Taktgefühl und Zartgefühl. Kein Gefühl mehr haben: abgestorbene Glieder besitzen; keinen Sinn mehr für seine Umwelt haben, teilnahmslos dahinleben. Ähnl. Bdtg. haben die Wndgn.: ohne Gefühl sein und jeden Gefühls bar sein: hartherzig, mitleidlos sein. Die Feststellung Jem. ist ganz Gefühl meint das Gegenteil: er ist äußerst gefühlvoll, von bes. Feinfühligkeit. 311
Gegend Sich nur von seinem Gefühl leiten lassen: seiner inneren Stimme unbeirrt folgen; mit instinktiver Sicherheit das Richtige tun; aber auch ins Negative gewendet: übereilt, unbesonnen handeln, nicht alles genau abwägen und deshalb einseitig und unüberlegt urteilen; mehr das Herz als den Verstand sprechen lassen. Seinem ersten Gefühl folgen: seinen ersten Eindruck für richtig halten und danach entscheiden, ohne sich später anders beeinflussen zu lassen. Etw. gegen sein Gefühl tun müssen: gegen seine innerste Überzeugung handeln müssen; eine unbegründete Abneigung gegen etw. haben. Das (dunkle) Gefühl von etw. haben: eine schlechte Vorahnung, Angst vor dem Kommenden haben. Etw. im Gefühl haben: etw. Unangenehmes Voraussagen und fürchten, aber auch: durch ständige Übung die richtige Menge, die genauen Maße gleich treffen, ohne erst lange messen und berechnen zu müssen. Ähnl. etw. nach Gefühl tun oder mit einer gewissen Steigerung: tiach Gefühl und Wellenschlag: nur grob geschätzt; ohne genaue Berechnung und Prüfung; ,frei nach Schnauze4. Der Plur. ,Gefühle4 ist eine jüngere Bildung; im ,Sturm und Drang4 nahm er auch die Bdtg. von Leidenschaft an, was einige Rdaa. zeigen. Seine Gefühle verbergen: sich sehr ruhig und zurückhaltend zeigen, seine Erregung und Leidenschaft meistern, andere über seine Empfindungen im unklaren lassen. Dagegen: seine Gefühle verraten und: nicht Herr seiner Gefühle sein: in leidenschaftliche Erregung geraten, sich unbeherrscht zeigen, zeitweilig das rechte Maß für gutes Verhalten verlieren. Etw. mit gemischten Gefühleti betrachten: im Widerstreit zwischen Lust und Unlust sein; nur geringe Begeisterung zeigen; an dem Wert oder Erfolg einer Sache zweifeln. Jem. Gefühle verletzen: jem. beleidigen, kränken. Mit jem. Gefühlen spielen: Liebe und Zuneigung nur heucheln; in einem anderen Menschen Hoffnungen erwecken, aber keine ernsthaften Absichten auf eine dauerhafte Bindung haben. Das ist das höchste der Gefühle: es ist die oberste Grenze, das Äußerste, das möglich ist oder auch nur denkbar wäre. Die Wndg. stammt aus Mozarts ,Zauberflöte4, deren Text von Karl Ludwig Giesecke (eigentl. C. F. Metzler) geschrieben wurde. Emanuel Schikaneder hat das Gieseckesche Buch nur an einigen Stellen verändert und erweitert (Büchmann, S.220). Gegend. Auch eine schöne Gegend! (berl. ,Ooch ’ne scheene Jejend!4) sagt man von einer Landschaft, die man nicht bes. reizvoll findet. Oft erscheint diese Rda. in der verballhornten Form ,Nischt wie Jejend4! In Tiecks Märchendrama ,Der gestiefelte Kater4 (1797) sagt der König (III,5): „Auch eine hübsche Gegend. Wir haben doch schon eine Menge schöner Gegenden gesehen“. Wegen seines indifferenten Aussagewertes eignet sich das Wort Gegend gut dazu, eine bestimmte Landschaft in iron. Weise als mittelmäßig zu charakterisieren. Heinrich Heine verschaffte dieser Rda. weitere Verbreitung, indem er sie im ,Tannhäuser4 (1836), im ,Ex-Nachtwäch- ter4 und in ,Himmelfahrt4 (,Letzte Gedichte4, 1853-55) verwendete. gehauen. Das ist nicht (weder) gehauen und (noch) gestochen /hauen. Gehege. Einem ins Gehege kommen (oder gehen, früher auch fallen): eigentl. in sein umzäuntes Gebiet eindringen, übertr.: sich auf seinem Arbeits- oder Erwerbsfeld zu schaffen machen, überhaupt: ihm in die Quere kommen, bes. in Liebesangelegen- heiten. Die Rda. ist alt; der bisher früheste Beleg findet sich in der ,Sarepta4 des Mathesius 1562: „und feit einer dem andern in sein vierung und gehege“. Von einem auswärtigen Bräutigam, der um ein Leipziger Mädchen freit, sagt Henrici (Pi- cander) 1738: In Zukunft wird man solchen Leuten, Die uns nach unserm Brode stehn Und uns in das Gehege reiten, Flugs an dem Tor entgegengehn. Ähnl. ist noch obersächs. bezeugt: ,een’ ins Gehäge laatschen4, als Nebenbuhler auf- treten. Im Obd. ist diese Rda. mdal. kaum belegt, dafür kennt man z.B. schwäb. ,einem ins Gäu kommen (gehen)4. ,Gäu4 steht darin 312
Geier für freies, offenes, fruchtbares LancT; von den Metzgern, die aufs Land gehen, um Vieh einzukaufen, sagt man: ,Sie gehen ins Gäu'; in einer älteren schwäb. Quelle wird von den Bettelorden berichtet: „Weil die Bettel-München oder Clöster jedes sein gewisses Göw angewiesen hatte, wo sie bettlen durften, so gab es öfters ärgerliche Schlägereyen unter ihnen, wann einer einen Mönchen aus einem andern Closter in seinem Göw antraffe“. gehen. Für gehen als Bewegung kennt die Volkssprache eine Fülle rdal. Vergleiche, z.B. ,Er geht wie auf Eiern4, ,wie eine lahme Ente', ,wie ein Kranich', ,wie ein Storch im Salat', ,wie ein Hund, der einen Knüttel am Schwanz hat', ,wie die Katze auf Nußschalen', ,wie auf Socken', ,wie auf Krücken', ,er geht mit Ebbe und Flut' (d. h. ohne Ziel und Zweck), ,er geht, als ob er die Hacken verloren hätte', ,als ob ihn jeder Schritt einen Dukaten koste', ,er geht auf der Gruben' (d.h. er steht mit einem Fuß im Grab), ,er geht, als wenn ihm die Beine in den Arsch gebohrt wären' (/’Bein), ,er geht wie eine Spitaluhr' (d.h. sehr langsam). Viele synonyme Ausdr. kennt die Umgangssprache auch zur Bez. einer Sache, die flott vonstatten geht, z. B. Es geht wie geölt, ,wie geschmiert', ,wie geleckt', ,wie am Schnürchen' (/Schnur), ,es geht wie der Wind', ,wie der Blitz', ,wie mit dem Teufel', ,wie ein Uhrwerk', ,wie ’s Brezelbacken', ,wie ein Lauffeuer', ,wie aus der /Pistole geschossen', ,wie eine Kugel aus dem Rohr', ,wie ’s Karnickelmachen'; für das Gegenteil der Langsamkeit: ,es geht wie auf der Schneckenpost' (/Schnecke), ,wie auf der Ochsenpost'; für Unordnung, Durcheinander, Vielerlei, viel Betrieb: ,es geht zu wie in einem /Taubenschlag'. Die Frage wie geht's? wird von den meisten Menschen nicht mit der direkten Auskunft ,gut' oder schlecht' beantwortet, sondern sie verwenden in der Regel bestimmte rdal, Ausdr., die das derzeitige Befinden nicht beim Namen nennen, sondern es verhüllen, verschleiern und umschreiben. Die Antworten weisen darauf hin, daß es sich bei der Frage ,wie geht s' um den persönlichen Bereich des Menschen handelt, der einem gewissen Tabu unterliegt. Einige der beliebtesten Antworten seien hier aufgezählt: ,passabel', ,so lala', ,durchwachsen' (wie das Fleisch vom Fett durchsetzt ist),,mäßig (bis saumäßig)', ,mittelmäßig', mittel- prächtig', ,einigermaßen', schlecht und recht', ,so gerade eben', ,mit Ach und Krach',,leidlich', ,mit Mühe und Not', ,bescheiden' (vulgär gesteigert zu Beschissen'), ,wechselnd bewölkt', ,es dürfte besser gehen', ,es ist zum Aushalten', schlecht (gut), bis es besser kommt', ,alle Tage besser',,nicht so gut wie Ihnen', ,lila‘ (lila ist weder blau noch rot, also farben- sinnbildl. weder Hoffnung noch Freude; vielleicht auch weitergebildet aus ,so la la'), auch: ,lila bis aschgrau' (mittelmäßig) usw. Die bekannte Rda. Es geht auch ist durch den Abgeordneten Landrat Wilhelm Leuthold von Meyer-Arnswalde (1816-92) zum geflügelten Wort geworden, nachdem er sie als „den obersten Grundsatz der preuß. Verwaltung“ ausgegeben hatte (vgl. Büchmann, S.730). Je??t. lieber gehen als kommen sehen: nicht gerne seine Gesellschaft teilen. Gegangen werden: zwangsweise entlassen werden. Scherzhafte Passivbildung zur Betonung der Unfreiwilligkeit; seit 1870 lit., seit 1900 schülerspr., oft in der Form: ,er ist gegangen worden'. Um die Ecke gehen: ein Bedürfnis verrichten, eine euphemist. Verhüllung für den skatologischen Bereich. Auf die Dörfer gehen /Dorf. gehupft /hüpfen. Geier. Hol dich der Geier!, Daß dich der Geier (hole)!, Hol mich der Geier!, Pfui Geier!, Weiß der Geier! Der Geier steht in diesen und ähnl. Verwünschungs- und Beteuerungsformeln verhüllend für /Teufel. In üblen Ruf kam der Geier ähnl. wie der Rabe dadurch, daß er ein Aasvogel ist. Schon Hugo von Trimberg (,Renner', V. 19465 ff.) bringt daher den Geier mit dem Teufel in Zusammenhang: Swä groze herren varent über lant, den volgent die gire sä zehant... alsam varent die tiufel gern, swä strit ist, tanz, tabern, wan sie der sêle wartent dä. 313
Geige Die Rdaa. sind seit dem 15.Jh. bezeugt, aber sicher älter. Bei Kaspar Stieler (,Stammbaum4 644) heißt es 1691: ,,Daß dich der Geyer hole / ut te Dii perdant“. Andreas Gryphius (,Dornrose4 59,19) nennt in einem Fluch Geier und Rabe zusammen: „Daß dich bots Geyer, bots Rabe!“ In einem Brief aus dem Jahre 1756 schreibt G.E. Lessing: „Wer Geier heißt Ihnen ein falsches System haben?“ Die Kindsmörderin in der Volksballade von der Rabenmutter verwünscht sich in der Fassung bei Erk-Böhme (Liederhort Nr. 212c) mit folgenden Worten: So wahr, daß ich deine Mutter bin, Komm auch der Geier gleich nach mir! Mdal. sind diese Verwünschungsformeln auch in Landschaften vorgedrungen, in denen der Name des Vogels selbst nicht bekannt ist, so rhein. ,Dat gäf de Geier!4: da hast du wohl recht! ; ,Er froit den Geer der- noch4 (schles.), ,wenn de nuer bim Geier wärscht!4 (eis.), ,a werd ei Geiers Kiche kummen4 (schles.). Auch die früher häufige, heute noch mdal. übliche Rda. ganz des Geiers auf et w. sein: ,Wie ein Geier sein' begierig nach, versessen auf etw. sein, gehört in diesen Zusammenhang, ebenso der rdal. Vergleich wie ein Geiersein (ein Geier sein): habgierig sein. Geige. Nach jem. Geige tanzen müssen: nach seinem Wink handeln, stammt vom Tanzboden: wie die Geiger den Takt streichen, so müssen sich die tanzenden Paare drehen (vgl. Pfeife). Als der frz. König LudwigXIV. mit den Türken gemeinsame Sache gegen das Dt. Reich machte, ließ ihn ein Spottvers zum Sultan sagen: Drum wünsch’ ich dir, daß dein Gewalt Noch höher solle steigen; Singst du den Baß, so sing ich Alt, Tanzen nach einer Geigen. In der Reformationszeit wurden die Alt- gläubigen mit dem Vorwurf verspottet, sie tanzten nach der röm. Geigen: sie seien Diener des Papstes. Die alte Geige war früher sprw. für ,das alte Lied, die alte Leier4: immer die gleiche Geige spielen: ohne Phantasie und Abwechslung das gleiche Vorbringen; schon bei Luther: „es ist die selbe geige, darauf er immer fiddelt“. Jünger ist die Rda. die erste Geige spielen: der geistige Mittelpunkt eines Kreises, die leitende Kraft eines Unternehmens sein, den /Ton angeben; vgl. engl. ,to play first fiddle4. Die Wndg. ist mit der Ausbildung des Streichquartetts im 17. und 18.Jh. aufgekommen: hier hat der Spieler der ersten Geige zugleich die wichtigste, die schwerste und die schönste Aufgabe, und die drei Mitspielenden haben sich vor allem nach ihm zu richten. Ebenso Alles soll nach seiner Geige stimmen (tanzen). Geigen und Tanzen gehören in der Volkssprache zusammen. Diese Zusammengehörigkeit stellt ein thür. Sprüchlein fest: ,In Isenach kann me alles gemach, kann me gefiedel und gedaanz4. Voll Bitterkeit heißt es aber auch: ,Was die Fürsten geigen, das müssen die Untertanen tanzen4. Unter der Bez. Geige war früher auch ein Schandinstrument bekannt, das aus einem geigenförmigen flachen Holz mit Ausschnitten bestand, in welche Kopf und Hände der Delinquenten gesteckt wurden. Diese Art der Bestrafung, die bes. für liederliche Frauen üblich war, spiegelt sich in einigen heute ausgestorbenen Redewndgn. 314
Geigen ,Halsgeige‘ Schon im 15.Jh. ist im übertr. Sinne bezeugt: seine Geige an einen henken: ihn zum Gespött machen; später: in der Geigen rum führen, die Geige tragen: offen tl. gestraft werden. Er liegt (bleibt) immer auf einer Geige: er kommt von seinem Lieblingsthema nicht weg; ebenso Er geigt (klimpert, raspelt) immerzu auf einer Saiten. Entspr. Es ist die alte Geige: es ist die alte /Leier, das alte /Lied. Zur Abkehr von solchem Einerlei wird sprw. gemahnt: ,Man muß eine andere Geige nehmen, wenn man die erste nicht gern hört4. In diesem Sinne heißt es in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (Buch III, Kap. 24): ,,Heimlich aber befahl er ihr, sie sollte nur bei ihrer alten Geigen bleiben“. Spaßhaft heißt es von einem Hungerleider in einem rdal. Vergleich Der ist voll wie die Geigen, die an den Wänden hängen. Geige ist in alten Sprww. und Rdaa. manchmal ein verhüllendes Wort für die Frau, z.B. Er weiß mit der Geige umzuge¬ heny wenn er sie am (unterm) Arm hat; man muß spielen, wie die Geige will; eine kleine Geige ist mit einem Fiedelbogen nicht zufrieden; du fiedelst auf fremder Geigen (/Fiedel). Der Himmel hängt voller Geigen /Himmel. Ferner /Baßgeige. Lit.:A/. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa., im Schrifttum, in: Die Muttersprache (1963), S, 201 ff.; L.Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967), S.55. geigen. Einem die Wahrheit (oder die Meinung) geigen: ihm derb die Meinung sagen, ihm die /Leviten lesen, eigentl.: zur Geige singen, wie es der Spielmann tat. Die Wndg. ist schon mhd. belegt, frühnhd. oft in der Form des Sprw.: ,Wer die Wahrheit geigt, dem schlägt man die Geige (den Fiedelbogen) an den Kopf (Seb. Franck, Sprw. 1, 29a, Lehmann 872, Wahrheit3), auch ,dem schlägt man den Fiedelbogen aufs Maul‘. Obersächs. ist die Rda. verkürzt zu ,jem. geigen4, ihn abkanzeln; schwäb. findet man auch die Form ,einem den Leviten geigen4. Macht sich ein Mensch durch sein Tun lächerlich, so sagt man Laß dich (dir) heimgeigen! hergeleitet von dem Brauch, daß sich Begüterte von Gelage oder Tanz mit Musik heimgeleiten ließen (/heimleuchten). Ein paar andere imperativisch gebrauchte Rdaa. sind als Drohungen leicht verständlich: Der soll mich nicht geigen lehren! und Ich werde ihm (!) geigen lehren! Auf dem Kiefer geigen: sich am Unglück anderer bereichern, ein Kriegsgewinnler sein. Es ist ihm nicht gegeigt worden: es ist ihm nicht an der /Wiege gesungen worden, d. h. davon hat er als Kind nichts gehört. Dir werd' ich 's geigen (auch die Meinung geigen) bedeutet eine Drohung: ich werde dir ungeschminkt die Wahrheit sagen. In dieser Rda. lebt noch die Vorstellung von der alten Wahrheitsgeige fort, von der schon früh gesagt wird: ,,Dieweil der alten Wahrheitsgeigen die Saiten sind gesprungen, muß sie schweigen“. Das unerfreuliche Hinundherstreichen wie bei einem schlechten Geigenspiel wird anderweitig als ,geigen' bez., wenn man etwa mit einem stumpfen oder schartigen Messer etw. abschneiden will und dabei auf der 315
Geiss Wurst oder dem Brot hin und her fährt. An die nutzlose Bewegung und einen sirrenden Ton schließt die Rda. an die Mücken geigen. Geiß. Im Volksmund gilt die Geiß (= Ziege) als minderwertiges Tier. Vom Gaul auf die Geiß kommen: herunterkommen, verarmen; schwäb. ,Der kommt hinte auf d’ Geiß4, er kommt herunter, auch: zu spät (ebenso: ,vom /Ochsen auf den Esel kommen4). Keine Geiß wert sein: wertlos sein. Schweiz. ,uf der Geiß heim müesse4, mit langer /Nase abziehen, speziell von Mädchen, die, ohne getanzt zu haben, vom Tanzboden wieder nach Hause müssen. Verbreitet ist auch die Wndg.: Der hat’s (hatseine Stärke) inwendig wie die Geiß das Fett: er hat es in sich, man sieht ihm seine Stärke nicht an. Häufig hört man die sprw. Vergleiche springen wie eine Geiß; so dürr wie eine Geiß; er ist so dürr, er kann eine Geiß zwischen den Hörnern küssen. Aus der Fülle weiterer landschaftlich verbreiteter Rdaa. seien angeführt: ,die Geiß für die Knotteln hüten4 (rheinhess.), bei der Arbeit wenig Erfolg haben; ,der hat die Geiß in en fremde Stall triebe4 (schwäb.), er hat einem anderen einen Vorteil verschafft; ,springen wie ein Geißbock ohne Euter4, springen wie ein /Bock. Die Schweiz. Rda. ,Er weiß, wie me d’ Geiß schere muess4, die die Superklugheit bespöttelt, geht auf sehr alte Wurzeln zurück. Schon in der Antike gab es einen berühmten Streit um die Frage, ob die Geiß Wolle trage oder nicht. Horaz I, 18 spricht von Menschen, die sich über alles streiten, auch über die nichtigsten Dinge: „alter rixatur de lana saepe caprina44. Dieser Streit um die ,Geißwolle4 war früher auch im Dt. sprw., ähnl. dem Streit um des Kaisers /Bart. In Hugo von Trimbergs ,Renner4 (V. 17 529) heißt es: mit dem sie sich gar selber triegen und umb geizwollen wollen kriegen, und in Seb. Francks Sprichwörtern4 (2,101b) steht: „umb die geyzwoll zanken44. Das Wort ,Geißwolle4 ist dann frühnhd. geradezu zum Ausdr. für Richtigkeit4 geworden, so bei Luther: „Sie fechten für die winkelmesse und sagen selbst, es sei eine nichtige sache und geiswolle44. Geist. Wissen, wes Geistes Kind er ist: ihn und seine Herkunft bzw. seine Gedankenwelt genau kennen, ist eine bibl. Rda. und geht auf Luk. 9,55 zurück. Jesus spricht dort: „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?44 Seinen Geist aufgeben, hochsprachl. Euphemismus für ,sterben4; vgl. ,das Zeitliche segnen4 (/zeitlich). Die Wndg. ist ebenfalls bibl. Ursprungs und kommt zuerst Klagelied 2,12 vor. Von allen guten Geistern verlassen sein: nicht wiederzuerkennen sein, unverständlich und wider alle Vernunft handeln oder sprechen. Die Geister platzen aufeinander steht in Luthers auf das Münzersche Treiben in Allstedt bezüglichem Brief vom 21. August 1524 in der Form: ,,Man laß die Geister aufeinanderplatzen und treffen44 (vgl. Büchmann, S. 125). Die Wndg. Erhebe dich, dusch wacher Geist ist ein entstelltes Zitat und beruht auf einem Weihnachtslied von Johann Rist (1607-67), wo es heißt: „Ermuntre dich, mein schwacher Geist44 (vgl. Büchmann, S. 140). Vom Heiligen Geist beschattet werden: geprügelt werden. Leitet sich entheiligend von der Beschattung Mariens durch den Heiligen Geist her, und ist urspr. obszön gemeint; ähnl. einem den Heiligen Geist schicken (erscheinen lassen): ihn tüchtig verprügeln. Der Ausdr. dienstbare Geister geht zurück auf die Übers. (Hebr. 1,14): „Sind sie (die Engel) nicht allzumal dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um deren willen, die ererben sollen die Seligkeit?44 gelackmeiert /Lack. Gelage. Das Wort ist nordd. Urspr. und seit dem 14. Jh. bezeugt als geloch, gelog, ge- loyg, gelack, gelach und bedeutet urspr. Zusammenlegung4, ,Zusammengelegtes' zu Trunk und Schmaus, wozu jeder sein Teil beiträgt. Die Vorstellung des Liegens bei den Mahlzeiten ist darin nicht enthalten. Das Wort wurde im 19. Jh. als ,Gelage4 ins Hd. aufgenommen zur Bez. gemeinsamer Mahlzeiten. Eine häufige Rda. ist noch das Gelage bezahlen (müssen): wiedas 316
Geld entspr. ,die /Zeche bezahlen müssen1; ein hist. Beleg findet sich um 1590 in Samuel Kiechels ,Reisen4 (390): ,,lagen... unnser acht an Fieber kranck, dovon einer das Gloch zaln muest, der starb“. Eine ältere Form der Wndg. ist auch ins Gelag hineinkommen: in Verlegenheit kommen. In der Komödie ,Meister Pfriem4 von Hayneccius sagt der Held vor seinem Eintritt in die Himmelsgemeinschaft: „da ich rin kam in das Gelagk“, und bei Grimmelshausen fragt Simplicius (111,174): „wie dann Springinsfeld mit ins Gelag kommen wäre“, d. h. wie er unter die Zigeunerbande geraten ist. Von einem Vorwitzigen gebraucht man in Nord- und Mitteldtl. die Rda. Er redet (plaudert) ins Gelage hinein: unbesonnen, unbedacht, etwa schlesw.-holst. ,He snackt so in’t Gelage herin‘. Aus dieser Wndg. hat sich die Prägung ins Gelage hinein verselbständigt und wird häufig angewendet i. S. v. ,ohne Überlegung und Berechnung, aufs GeratewohP, so z.B. im 18.Jh. bezeugt: „Daß ein junger Mensch so ins Gelack hinein heirathet“ ^Politischer Guckguck4, S.364) oder in einer Randbemerkung Friedrichs d. Gr.: „Das Komt dann, da hei- rathen sie so ins Gelach hinein und dann wollen sie pensions haben“. gelb. Er hat noch das Gelbe am Schtiabel, er ist ein Gelbschnabel: er ist noch jung und unerfahren. Die Rdaa. beruhen darauf, daß die Schnäbel junger Vögel mit einer hellgelben Haut überzogen sind. Nie. Gryse spricht 1596 im ,Wedewen Spegel4 (77a) von „junge melkmunde (,Milchbarte4), de dat geel noch nicht von dem Schnabel gewi- schet“. Die Rda. ist ferner belegt bei Luther: „sind gelehrt genug und doch das geel am Schnabel nicht abgestoßen44. In Grimmelshausens ,Simplicissimus4 entstand daraus in Anlehnung an eine andere Wndg. (,Er ist noch nicht trocken hinter den Ohren4): „wann mancher nur kaum das Gelb hinter den Ohren verlohren und buchstabi- ren gelernt, so muß er schon französisch lernen44. ,Gelbschnabel4 ist schon bei Mathesius (Sir. 1,35) 1586 bezeugt. Einem den Gelbschnabel zeigen: ihm seine Unerfahrenheit Vorhalten. Goethe schreibt in ,Wilhelm Meisters Wanderjahren4 (2,3): „Mit der Kühnheit eines waghalsigen Gelbschnabels44, aber dem Rhythmus zuliebe in ,Faust4 II: Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt, Den gelben Schnäbeln keineswegs behagt. Auch in den Niederlanden kennt man den Ausdr. ,geelbek‘, und in Frankr. heißt er ,béjaune4 (aus: bec jaune). Schon im 14. Jh. hießen auf Pariser Lateinschulen die jungen Ankömmlinge ,becani4. Ndd. herrscht allg. eine verächtliche Auffassung der gelben Farbe vor. Die sehr oft belegte Rda. ,Dat fallt int Geele4, es mißlingt, ist bereits in einer Bremer Hs. des beginnenden 18. Jh. belegt. Von einem, der eine eigenartige Aussprache hat, sagt man meckl. ,He sprecht so gäl4, und holst. ,geel snacken4 steht allg. für: hochdeutsch reden. Vgl. Specht, Plattdeutsch (1934), S.110: ,Der Hochdeutsche snackt geel4 (gelb) und ist ein Quiddje4. Es wird ihm gelb und grün vor Augen: ganz jämmerlich zumute, beruht wohl auf einem eintretenden Schwindelgefühl, das diese Farberscheinungen im Auge mit sich bringen kann; vgl. ,sich gelb und /grün ärgern4. In Gottfried A. Bürgers Ballade ,Der Kaiser und der Abt4 heißt es von dem Abt: ... schon kam der Termin! Ihm ward’s vor den Augen bald gelb und bald grün. ,Den gelben Abschied bekommen4 (Schweiz.), mit Schimpf und Schande entlassen werden, beruht angeblich auf dem Abschied auf gelbem Papier, den Söldner bekamen, die sich der Päderastie schuldig gemacht hatten. Das ist (ja) nicht (gerade) das Gelbe vom Ei: nicht das Bestmögliche; hier liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Eidotter das Beste des ganzen Eies sei bzw. am besten schmecke. Lit.: O. Lauffer: Farbensymbolik im Dt. Volksbrauch (Hamburg 1948). Geld. Kein Geld, keine Schweizer: nichts ohne Gegenleistung; auch in der gereimten Form: ,keine Kreuzer, keine Schweizer!4 Ebenso frz. ,point d’argent, point de Suisse4, ndl. ,geen geld, geen Zwitsers4. Die Rda. geht wohl bis in die Zeit zurück, als 317
Geld Schweizergarden an vielen Höfen Europas gehalten wurden und Schweizer als Reisläufer in aller Herren Heeren dienten. Sie waren streng auf pünktliche Zahlung ihres Soldes bedacht und ließen z.B. Franzi. 1521 bei der Belagerung von Mailand durch Karl V. im Stich, als er sie nicht mehr bezahlen konnte. Gebucht ist die Rda. zuerst 1711 in J.Rädleins ,Europ. Sprachschatz4 (I,346b): ,,Kein Geld, kein Schweitzer, wo kein Geld ist, da dient man nicht44. Geld bei etw. herciusschlagen: viel verdienen, geht auf die Zeiten zurück, in denen es noch keine Münzprägemaschinen gab und die Münzen mit der freien Hand aus dem Metall herausgeschlagen wurden. Die Wndg. bedeutet also urspr.: aus einer Metallmenge durch Prägeschlag viele Münzen gewinnen. Vgl. auch die neuere Weiterbildung der Rda. zu ,Kapital aus etw. schlagen4, Gewinn herausholen. Für Geld und gute Worte, meist negativ: nicht für Geld und gute Worte: auf keinen Fall, um keinen Preis; verkürzt aus dem älteren Sprw. ,Für Geld und gute Worte kann man alles haben4. Das lauft ins Geld: es kostet viel; das wächst ins Geld: es steigt im Wert. Viele Rdaa. sprechen vom Verhältnis des Geizhalses zum Geld: Er ist dem Geldegut, er sitzt auf seinem Geld, er ist ein richtiger Geld sack, er sitzt auf dem Geld wie der Teufel auf der armen Seele. Wenn ein Reicher 318
Gelegenheit eine Reiche heiratet, heißt es: Da kommt Geld zum Gelde. Der Reiche hat Geld wie Heu, wie Dreck, er schwimmt im Gelde; schlesw.-holst. ,He sitt stief vull Geld', er kann sein Geld mit Scheffeln messen, wie es der arme Bruder im Grimmschen Märchen vom Simeliberg (KHM. 142) tatsächlich tut; davon abgeleitet auch Geld scheffeln und ,scheffeln', scheffelweise Geld verdienen (vgl. schwäb. ,Bei dem kamr's Geld im Simri messe'). Der Arme dagegen hat Geld wie ein Frosch Haare. Das Geld springen lassen, von der großzügigen Bewegung, mit der das Geld auf den Tisch geworfen wird. Bei Zahlungen schob man das Geld auch geschickt über den Tisch vor den Empfänger, daher jem. Geld vor schießen. Der Kehrreim einer Arie aus dem Schluß der Operette ,Der Bettelstudent' (1882) von Karl Millöcker ,,Alles für mein Geld" ist eine weitverbreitete Rda. geworden, ohne daß den meisten Sprechern der Zitatcharakter der Wndg. noch bewußt wäre. Den Text haben F. Zell (d.i. Camillo Walzel) und Richard Genéé verfaßt. Dazu hat Buchholtz kein Geld /Buchholtz. Die ,Geldschneiderei' zur Bez. des Über- vorteilens geht zurück auf die Tatsache, daß noch bis ins 17. Jh. die Münzen aus dem Silberblech, der ,Zain‘ mit der ,Benehmschere' herausgeschnitten und anschließend geprägt wurden. Die negative Bdtg. verdankt der Begriff allerdings der bes. in den ersten Jahren des Dreißigjähr. Krieges bei Geldwechslern üblichen Praktik, durch Beschneiden der Münzränder den Edelmetallwert der Münzen zum Zwecke des eigenen Verdienstes zu mindern. Auf dem selben Hintergrund ist die Rda. zu sehen: Das schneidet ins Geld: das stellt eine große finanzielle Belastung dar. Der scheißt Geld, der kann Geld scheißen: er verdient, besitzt viel Geld. Die Rda. schließt wohl an die Vorstellung vom Schlaraffenland an, wo auch der Gelderwerb mühelos ist; vgl. auch den Goldesel im Grimmschen Märchen vom ,Tischlein deck dich' (KHM. 36) und die Volksglaubensvorstellung des ,Dukatenmännchens' bzw. ,Dukatenscheißers', entspr. auch den Wunsch ,Einen Geldscheißer (Dukatenscheißer) müßte man haben'. Häufiger findet sich die Rda. Du denkst wohl, ich könnte (das) Geld scheißen: aus dem Ärmel schütteln. Die Wunschvorstellung von einem Tier, das einem bei Bedarf Geld scheißt, ist mehrfach auch bildl. dargestellt worden. Etw. oder jem. ist nicht mit Geld zu bezahlen: sehr wertvoll, unentbehrlich. Das Geld (mit vollen Händen) zum Fenster hinauswerfen: es unnütz vergeuden; die Slowenen sagen statt dessen ,das Geld in die Drau werfen'; ndl. ,het is geld in het water geworpen'; frz. ,jetter l’argent à poignées'. Im Ndd. kennt man die Rda. ,Dat geiht ut’n groten Geldbüdel', das geht auf Staatskosten. Lit.: HdA. Ill, Sp. 1613ff. (Heck[e]taler); G. Schmäl- ders: Pychologie des Geldes (1966); W. Gerloff: Die Entstehung des Geldes und die Anfänge des Geldwesens (31947); ders.: Geld und Gesellschaft (1952). Gelegenheit. Die Gelegenheit beim Schopfe (bei der Stirnlocke) fassen (ergreifen): den günstigen Augenblick wahrnehmen und ausnutzen; ebenso frz. ,prendre Poccasion aux cheveux'; ndl. ,de gelegenheid bij de hären grijpen' ; engl. ,to take time by the forelock'; vgl. Shakespeares ,Ende gut, alles gut' (V,3): ,,Let’s take the instand by the forward top!" (Am Stirnhaar laß den Augenblick uns fassen!). Die Rda. geht darauf zurück, daß im griech. Mythus nach Ion von Chios (f 422 v. Chr.) und Pausanias (V, 14) der in Olympia als Gott verehrte ,Kairos' (,der günstige Augenblick') mit lockigem Vorhaupt und kahlem Nacken (,,Fronte capillata post est occasio calva", Dionysius Cato) deshalb im Davonfliegen geschildert wurde, weil man die gute Gelegenheit erst, wenn sie entschwunden, zu spät zu ergreifen sucht (vgl. Büchmann, S. 111 f.). In gleicher Weise beschreibt auch Joh. Fischart 1594 die Frau Gelegenheit, die nur Locken an der Stirn hat, hinten aber kahl ist (,,Die fraw Gelegenheit hat nur haarlocke an der Stirnen, Übersicht mans, daß man sie nicht vornen dabei erwischt, so ist sie entwischt, dann hinten ist sie kahl und nimmer zu erhaschen überall", .Gargantua' 236 b). Bei Lehmann ist 1639 verzeichnet: „Wer die Gelegenheit nicht vorn ergreift, erwischt sie hernach am Ort, wo man die Hand bescheißt". In Goethes ,Faust' (Vorspiel auf dem Theater, V.227) heißt es: 319
Gelehrt Das Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fassen. Nur selten ist die Wndg. auch wirklich volkstümlich geworden, wie etwa in dem schwäb. Sprw. ,Nimm die Gelegenheit beim Schopf, hinten ist sie kahl am Kopf. gelehrt. Mit dem Begriff gelehrt wird oftmals Dummheit rdal. umschrieben, z. B. in den Wndgn. ,Er ist gelehrt, aber es weiß es niemand4; ,er ist gelehrt bis an den Hals, aber in den Kopf ist nichts gekommen4; ebenso Schweiz. ,Er ist g’lehrt bis an Hals, aber der Chopf ist en Esel4; ,er ist gelehrt wie ein Stier, kann nichts lesen als sein Brevier4; ,er ist ein Geleerter4 (mit zwei e), d. h. eigentl., er hat nichts im Kopf, sein Kopf ist leer. Ähnl. sagt man mit einem anderen Wortwitz ndl. ,Dit is een geleert man4, weil im Fläm. ,leer4 auch die ,Leiter4 heißt. Die ndl. Rda.-Bilderbogen haben den ,geleiterten4 Gelehrten auch im Bild festgehal- ,Er ist ein Geleerter' Darüber sind sich die Gelehrten noch nicht einig; die Wndg. geht letztlich zurück auf V.78 der ,ars poetica4 des Horaz: „Grammatici certant, et adhuc sub iudice lis est44 (Da sind sich die Gelehrten noch nicht einig, und der Streit hängt vor dem Richter in der Schwebe). Gemüt. Die Wndg. sich etw. zu Gemüte führen ist erstarrt. Die ältere Sprache kannte zahlreiche verbale Verbindungen mit ,zu Gemüte4 wie: ,Es kommt, geht, steigt mir zu Gemüte4, ,ich ziehe, führe (mir) etw. zu Gemüte4. Sich etw. zu Gemüte führen besagte: sich etw. zu Herzen nehmen, auch sich an etw. erinnern. Jetzt hält es sich fast nur noch in der scherzhaften Bdtg.: sich etw. zugute tun, vorwiegend im Hinblick auf Essen und Trinken, Adelung verzeichnet schon 1775 als niedrigen Scherz: „sich ein Stück Brot, eine Bouteille Wein zu Gemüte führen44. Das schlägt einem aufs Gemüt: das geht einem nahe, drückt die Stimmung. Ein Gemüt wie ein Fleischerhund haben: seelisch unkompliziert, roh sein. genehmigen. Sich einen genehmigen: ein Glas Alkohol trinken; die Rda. ist erst seit dem Ende des 19. Jh. geläufig. Sie bezieht sich auf den Trinker, der mit sich selbst zu Rate geht, ob er noch ein Glas trinken solle oder nicht, und der seinem eigenen Antrag selbstiron. stattgibt. Georg. Einem den Görgen singen: ihm seine Lümmelei Vorhalten. 1777 schreibt Wieland an Merck: „Hätte nichts schaden mögen, wenn Sie ihm auch über sein Fragment von den Poeten... ein wenig den Görgen gesungen hätten“. Mit dem Namen Georg bez. man oft einen groben, händelsüchtigen Menschen: dumme Jürken (holst.), Görkel = Tölpel, Fasel-Görge (bei Langbein). Die Rda., die hier eine höhnische Kritik meint, hatte urspr. wohl eine andere Bdtg. Den Jürgen singen meinte wohl früher: sich ritterlich herumschlagen wie St. Georg mit dem Drachen. Die Rda. erinnert an ma. Ausdr. wie /Tla- cebo singen, Gaudeamus singen und ähnliche. In der Tat reicht sie in eine frühere Zeit zurück. Schon in einem 1624 gedruckten Streitgedichte zwischen Landsknecht und Bauer heißt es: Und wart fein, bis der Monsieur Till Dir wider klopfet ein Und thut dir den Herrn Jörgen singen, Daß die Bleikugeln durch dich dringen! (v. Ditfurth: Die hist.-polit. Volkslieder des Dreißigjähr. Krieges 1822, S.81, Str.4). Diese Verse klingen in einem bald nach der Schlacht bei Breitenfeld (1631) entstandenen Dialog wieder an, in dem der kaiserliche Feldherr Tilly von seinem Verfolger, dem langen Fritz, einem Rittmeister aus dem Regimente des Rheingrafen, bedroht wird: 320
Geruch Wärst nit so schnell entsprungen, Hätt dir den Jürgen gsungen, Daß dir dein Hiren schwach. (v. Ditfurth, a. a. O., S. 199). Doch bleibt es unklar, warum ,den Jürgen singen' eine Scheltrede und dann übertr. eine tätliche Mißhandlung bez. Wahr- scheinl. liegt eine Verwechslung oder absichtliche Entstellung des im 16.Jh. häufigen Ausdr.,einem den /'Judas singen' vor. Lit.: /. Balte: Einem den Görgen singen, in: Zs. f. dt. Wortf. 1 (1901), S. 70-72. gerädert /Rad. Geratewohl. Etw. aufs Geratewohl tun: auf gut Glück, ohne zu wissen, ob es gut endet, ohne die Richtung zu kennen, auf Verdacht. An den hinter diesem Ausdr. stehenden Wunsch, daß etw. ,wohl (d.h. gut) geraten' möge, wird beim rdal. Gebrauch im allg. nicht mehr gedacht. Als Sprw. findet sich in Christoph Lehmanns politischem Blumen-Garten' (1662): ,,Aufs Geratewohl ist kühn, aber nicht klug". Gerhard. Am Niederrhein kennt man einige Rdaa. mit dem Namen Gerhard. Wenn man einen einfältigen Menschen bezeichnen will, sagt man von ihm: ,Er glaubt, Gott heiße Gerhard', oder, was ebensoviel bedeuten mag: .Er läßt sich aufbinden, Gott heiße Gerhard'. Kinder und abergläubische Leute fürchten sich vor dem un- geborenen Gerhard, weshalb man auch einen Feigling, der im Dunkeln nicht allein umherzugehen wagt, oft schilt, daß er sich ,vor dem ungeborenen Gerhard (Girrat) fürchtet'. Auch in Linz am Rhein kennt man die nächtlich einherschreitende Spukgestalt des ungeborenen Gerhards. Lit.: Montanus: Die Vorzeit der Länder Cleve-Mark, Jülich-Berg und Westphalen, neu hg. v. W. v. Waldbrühl, Bd.l (Elberfeld 1870), S.15. gern. Das Wort gern ist mit,begehren' verwandt und bedeutet eigentl.: was man begehrt; heute hat es viel von seiner urspr. Bedeutungskraft eingebüßt und wird häufig nur noch iron, gebraucht Du kannst mich gern haben: du bist mir gleichgültig, mit dir will ich nichts mehr zu schaffen haben, ,du kannst mir gewogen bleiben'; heute wohl in allen dt. Mdaa. verbreitet und meist als euphemist. Verkürzung aus ,am Hintern gern haben' aufgefaßt (/Arsch). An rdal. Vergleichen sind zu nennen: Er geht so gern wie der Dieb an den Galgen, wie die arme Seele ins Fegfener: er geht ungern; er ist gern gesehen wie ein Wolf unter den Schafen: man sieht ihn so gern wie ein Ferkel in einer Judenküche: er ist unbeliebt. Kaum noch gebräuchl. ist die ältere Rda. einen auf ein Gericht Gerngesehen einfaden: ihn zu einer einfachen Mahlzeit bitten. So sagt J. H. Voß: ,,(einladen) nur auf ein Butterbrot und ein Gerichtlein Gerngesehen" Gerstenfeld. Die Rda. ins Gerstenfeld schauen und die ausführlichere Wndg. mit einem Auge ins Gerstenfeld, mit dem anderen in den Kfeeacker schauen sind euphemist. und scherzhafte Umschreibungen für starkes Schielen. Im Gerstenfeld mit seinen Gedanken sein: geistesabwesend sein, nicht bei der Sache, unkonzentriert sein. Georg Henisch verzeichnet bereits 1616 in seiner deutschen Sprach und Weissheit' (Sp.1522): ,,Er ist im Gerstenfeld mit seinen Gedanken", /Gedanke. Geruch, ln keinem guten Geruch stehen: sich keiner Wertschätzung, keines guten Rufes erfreuen. Schon in einer geschichtl. Urkunde aus Oesterreich aus dem Jahre 1517 (Fontes rer. Austr. I, 1, 128) ist belegt: „Wo aber die fürgenomen praut nyt aines gueten geruechs, so gibt der bischoff dem (diacon) die nit, sonder ain andere, die ain gueten namen hat'. Die Rda. geht auf 2.Mos. 5,21 zurück: ,,Der Herr... richte es, daß ihr unsern Geruch habt stinkend gemacht". Mit ,Gerücht' (das urspr. die ndd. Form zu mhd. geruofte, gerüefte ist, somit zu ,rufen' gehört) hat diese Rda. nichts zu tun; sie geht vielmehr auf den bibl. Sprachgebrauch von dem Gott wohlgefälligen Geruch des Brandopfers zurück (vgl. 2.Mos. 29,18). Die bildl. Anwendung des Ausdr. Geruch zeigen auch die Worte des Don Carlos zu König Philipp (V,4): ,,Dein Geruch ist Mord. Ich kann dich nicht umarmen". Gleichen Urspr. dürfte die Rda. sein im Geruch der Heiligkeit stehen; sie erscheint bei Goethe (29,201): „ein Bettelmönch, 321
Gerührt der aber auch schon im Geruch der Heiligkeit stand“; frz. ,une odeur de sainteté1; engl. ,an odour of sanctity4. Ndd. kennt man auch die Wndg. ,He hett dor Geruch vun kregen4, er hat davon Wind bekommen (/Wind). gerührt. Ik bin jerührt wie Appelmus: seelisch gerührt. Innere Rührung wird aus Wortspielerei scherzhaft mit dem Gerührtsein des Apfelkompotts gleichgesetzt (berl. seit der zweiten Hälfte des 19.Jh.); ähnl. gerührt wie lauter Rühreier und leicht gerührt sein: tief beeindruckt, sehr erstaunt sein. Gesangbuch. Das falsche (verkehrte) Gesangbuch haben: zu einer nur in der Minorität vorkommenden Religionsgemeinschaft gehören, in einer Berufsstellung nicht zum Zug kommen, weil man der entspr. kirchlichen oder politischen Protektionentbehren muß; ähnl. auch aus dem verkehrten Gesangbuch singen. Die Rda. hat sich erst ungefähr seit 1950 in den besonderen Verhältnissen Westdtls. ausgebildet. Aus dem Gesangbuch mit 32 Blättern singen: Karten spielen. Die Rda. spielt auf die Volksvorstellung (vom verbotenen) Kartenspiel als des Teufels Gebet- oder Gesangbuch an. Geschichte. Geschichten machen: Umstände machen, Unannehmlichkeiten bereiten; die Rda. begegnet meist als Aufforderung: Mach keine Geschichten! Man gebraucht sie einem Menschen gegenüber, der entweder lange bzw. unglaubwürdige Geschichten erzählt oder aber von dem man fürchtet, daß er krank werde. Geschirr i. S. v. .Riemenzeug der Zug- und Reittiere4 ist in einer Anzahl bildl. Rdaa. seit frühnhd. Zeit sprw. Am ältesten ist bezeugt aus dem Geschirr schlagen (treten): aus der Art schlagen, untreu werden, bes. von Frauen gesagt; bereits 1541 in Seb. Francks ,Sprichwörtersammlung4 (I, 81 b). ,,Eine Fraw, die auss dem Geschirr schiegt44; dann im .Simplicissimus4: „daß sie solche meine Treu mit Untreu belohnen und mir auß dem Geschirr schlagen wolte44. Schwäb. noch heute ,aus dem Geschirr kommen4, aus der Fassung geraten. Jünger ist die Wndg. ins Geschirr gehen, sich ins Geschirr legen, im Geschirre sein: angestrengt (im eigentl. Sinne ,angesträngt4) tätig sein, von den mit aller Kraft anziehenden Wagenpferden hergenommen (vgl. ,sich ins /Zeug legen4); diese Rda. ist seit dem 19.Jh. lit. zu belegen, z.B. bei G.Freytag (,Soll und Haben4 2,105): ,,du gehst wieder zu sehr ins Geschirr44. Mdal. ist sie sehr häufig vertreten, z.B. schlesw.- holst. ,Se is dormit (mit dem Kinderkriegen) je banni in’t Geschirr4, im Zuge; ,se kaamt sik inT Geschirr4, sie geraten aneinander; ,kumm mi ni in’t Geschirr4, komm mir nicht zu nahe. Schwäb. ,Den hat man net schlecht ins Geschirr genomme4, man hat ihn streng behandelt, dagegen eis. .einen ins Geschirr nehmen4, jem. verspotten. Geschirr in der Bdtg. .Gerümpel, altes Gerät4 war früher gebräuchl. in den Rdaa. unter das alte Geschirr gerechnet (geworfen) werden, ins alte Geschirr schlagen: zu den alten Leuten gezählt werden; so 1669 im .Simplicissimus4 (3,365): „und solte ich so lange (mit dem Heiraten) warten müssen, biß ich unter das alte Geschirr gerechnet würde44; vgl. .altes /Eisen4. geschnappt. Es hat geschnappt /schnappen. geschniegelt. Geschniegelt und gebügelt: geckenhaft aufgeputzt, sehr sorgfältig frisiert, stutzerhaft gekleidet, ein Reimpaar, das erst in jüngerer Zeit zustande gekommen ist als volkstümliche Form der Steigerung, indem einem Wort ein zweites, gleichklingendes - wenn auch nicht unbedingt gleichermaßen sinnvolles - hinzugefügt wurde. Geschniegelt geht zurück auf das mhd. Wort snegel = Schnecke, das zu ostmdt. schnichl wurde und in frühnhd. Zeit die Bdtg. .Haarlocke4 annahm. Zu dem Subst. stellt sich .schniegeln4 als Zeitwort. Zuerst spricht Georg Ritzsch 1625 in seinem .Hoffahrtsspiegel des Leipzigischen Frauenzimmers4 (V.31) von einem „schnieglicht Angesicht44, womit er ein geputztes Haupt meint. 1642 heißt es bei Mengering (.Gewissensrüge4, S.648): „sich schniegeln, spiegeln und gleich den Frawen 322
Geschrei i 1-3 ,Viel Geschrei und wenig Wolle1-,Der eine schert das Schaf, der andere das Schwein1 3 einhertreten". Bis in die 2. Hälfte des 18,Jh. wird schniegeln als Synonym für kämmen verwendet, danach setzt sich die allgemeinere Bdtg. durch: sich ausputzen, sich allg. zu verschönern trachten. Entspr. der Entwicklung in Mitteldtl. tritt zu bair. Schneckl = Haarlocke auch das Zeitwort schneckin = putzen. An die Stelle von gebügelt* können auch andere sich auf geschniegelt reimende Wörter treten; Trier: ,er ös geschniegelt o gestriegelt*. Die aus der Schriftsprache stammende Rda. ist in den Mdaa. nicht recht heimisch geworden. Sie wird fast ausschließlich in der Partizipialform angewendet und ist vorwiegend in Städten gebräuchlich. Geschrei. Viel Geschrei und wenig Wolle: viel Aufhebens um einer unbedeutenden Sache willen; auch in mdal. Formen, z.B. ,me Geschrei als Wulla!* Ndl. ,veel ge- schreeuw maar weinig wob; engl.,great cry and little wool*; frz. ,grand rumeur, petite toison*; ital. ,assai romore e poca lana*. Seb. Franck vermerkt: ,,Vil Geschreis, wenig Woll** (,Clügreden*, Frankfurt 1541); Hans Sachs; ,,Es ist nur vil geschreis und wenig wollen umb euch**. In der ,Zimmerischen Chronik* heißt es: ,,Es ist ein gross geschrai damit gewesen, iedoch, wie man sagt, wenig Wollen**; ,wie man sagt* bedeutet, daß der Ausdr. damals schon als stehende Rda. empfunden wurde. Abgewandelt heißt es bei Abraham a Sancta Clara: ,,Das heist vil Geschrey, wenig Ay*‘ (,Judas*, ,Lauber- Hütt*). Philander von Sittewald sagt in den ,Gesichten*: ,,Je mehr Wort, je minder Werk, je mehr Geschrei, je minder Woll, je mehr Geschwätz, je minder Herz, je mehr Schein, je minder Gold**. Einen Frühbeleg der Rda. bietet ein Fastnachtsspiel des 15. Jh.:
Geschütz Rhetorica die lert einen man, das er mit frauen wo! reden kan, nicht ,viel geschreis und wenig wollen', als oft thun die narren und vollen (A. Keller: Fastnachtsspiele aus dem 15. Jh. II, S. 743). Das Bild der Rda. stammt nicht von der Schafschur, wie frühere Erklärer behaupten. Daß die Schafe beim Scheren nicht schreien, ist schon aus Jes.53,7 zu lernen. Die Rda. ist vielmehr urspr. die Pointe einer Erzählung vom betrogenen Teufel (= AaTh. 1037). Die Colmarer Meisterliederhs. enthält die früheste Fassung dieser Erzählung: Geschreies vil und lützel wolle gap ein sü nu merke ouch dû: der tiuvel schars mit triuwen. do wart ez in geriuwen: ,du häst al gar ertoubet mich, dir selber leit gebriuwen.' er zerret ir ûf dö die hüt, daz was ir ungelücke. Also: Eine Sau machte viel Geschrei und gab wenig Wolle, als der Teufel sie schor. Dieser, darüber ergrimmt, zieht ihr die Haut ab. Der Schluß zeigt Verwandtschaft mit dem Sprw. ,Man soll die Schafe scheren und nicht schinden1. Die Erzählung ist z.T. auch in der Neuzeit noch als Volksüberlieferung verbreitet, so bes. in Nordeuropa und im Baltikum. Mehrere Varianten erwähnt Dähnhardt in seinen ,Natursagen', z.B.: Gott züchtete Schafe, der Teufel Schweine. Einst sah der Teufel daß Gott seine Schafe schor. Er fragte, weshalb er das tue; Gott antwortete: er wolle sich aus der Wolle Kleider weben. Der Teufel versucht nun auch bei den Schweinen sein Glück, jagt sie aber bald zornig in den Kot, indem er ruft: Viel Geschrei, wenig Wolle! Seitdem hat das Schwein auf dem Rücken wenig Borsten (Lettland). Die Erzählung scheint sich zuerst zum Sagsprw. verdichtet zu haben, um dann zur bloßen Rda. zusammenzuschrumpfen. Als Sagwort taucht die Wndg. bereits in einer Sprichwortsammlung aus dem Jahre 1601 auf: ,,Viel Ge- schrey und wenig Wolle, sprach der Teuffel und beschor ein Saw" (Euchar. Eyering: .Proverbium copia', Eisleben 1601, 3.Teil, 355). Nicht nur die Kurzform, sondern auch das Sagsprw. hat eine stattliche Ver¬ breitung über die dt. Sprache hinaus. Wander gibt es schottisch, engl, ndl, frz. und ital. wieder. Volkstümliche mdal. Versionen des Sagsprw. finden sich noch in der Ggwt., z. B. ,Me Gschrei als Wulle, het der Tifel gseit, wo-n-er e Sü b’schore het' (Schweiz); ,vel Geschri und wenig Wull, säd de Düwel un schert ’n Swin' (Ostpreußen). In humoristischer Abwandlung: ,Viel Geschrei und wenig Wolle, sagte der Teufel und zog seiner Großmutter die Haare einzeln aus dem Hintern'. Das Bei- spielsprw. emanzipierte sich von der Erzählung, und damit wurde auch der Teufel vergessen; in anderen hoch- und niederdt. Varianten tritt an seine Stelle der Schäfer, der Schmied oder der Narr. Das dualistische Moment findet sich immerhin noch in Versionen wie frz. ,L’un tond les brebis et l’autre les porceaux', oder ndl. ,1k scheer het schaep en de andere het verken'. Die Illustration dieser Gegenüberstellung findet sich auf dem berühmten Redensartenbild des Pieter Bruegel sowie auch sonst mehrfach in der ndl. Graphik und Plastik. Gegenüber dem Sagsprw. stellt unsere heutige allg.-umg. Rda. eine weitere Schrumpfform dar, alle anderen Teile der ehemaligen Teufelserzählung sind dabei auf der Strecke geblieben. In letzter Linie verwandt ist die bereits antike Rda. von der ,lana caprina', der Ziegenwolle, und der .Wolle des Esels': putres tondoient les asnes, et y trouvoient de lain bien bonne' (Rabelais, .Pantagruel'V, 22). Jem. ins Geschrei bringen: in üblen Ruf bringen. Lit.: O. Dähnhardt: Natursagen (Berlin - Leipzig 1907ff.), Bd.I, S. 192; Bd.III, S. 10; W.Fraenger: Der Bauern-Bruegel und das dt. Sprw. (Erlenbach - Zürich 1923), S. 147; E. Schröder: Rez. der 6. Aufl. v. Bor- chardt-Wustmann, in: Dt. Lit. Zeitung 1925/2, Sp. 2241; A. Meyer: Rund um das Sprw. ,Viel Geschrei und wenig Wolle', in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 41, (Basel 1944), S.37-42; & Singer: Viel Geschrei und wenig Wolle, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 41 (1944), S. 159f.; ders.: Viel Geschrei und wenig Wolle. Nachtrag (Basel 1944), in: Archives Suisses des traditions populaires, Bd.XLI, H.3; L.Röhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, S. 70. Geschütz. Grobes (schweres) Geschütz auffahren: einem Gegner mit groben Worten entgegentreten. Die Wndg. entstammt dem Festungskrieg und ist seit dem 19.Jh. 324
Gesicht bezeugt. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (111,4) sagt Ferdinand zu Luise: ,,Mein Vater wird alle Geschütze gegen uns richten“. Theodor Fontane (,Zwischen Zwanzig und Dreißig4, 1898, S.69) gebraucht: ,,Er wußte das auch und fuhr deshalb gern das schwere Geschütz auf44. Das schwere Geschütz zur Bez. durchschlagender Argumente oder brüskierender Äußerungen ist auch in den Mdaa. allg. gebräuchl.; z.B. ,Das war grobes Geschütz4, das war eine harte Abfuhr, ein starkes Stück. Gesetz. Sein Gesetzei abkriegen: sein Teil abkriegen, sein Gesetzei dazngeben: seine Meinung dazu sagen; ,Gesetz4, ,Gesätz4 wurde früher auch gebraucht in der Bdtg. ,Absatz, Abschnitt einer Schrift (Kapitel)4, oder - schon in der Sprache der Meistersinger - ,Strophe eines Liedes4; bei einem Rundgesang sang jeder sein Gesetz und der Chorus zu jeder Strophe den Kehrreim. Aus diesem Gebrauch entwickelte sich die allgemeinere Bdtg. ,ein bißchen, ein Teil4. Schon Joh. Fischart gebraucht in seiner ,Geschichtklitterung4 (1575, Ndr. S. 125): „sauffen ein gesetzlin“. In Lessings ,Die Juden4 heißt es 1749 (19. Auftritt): „Nicht wahr, Sie lögen selber ein Gesetzchen, wenn Sie so eine Dose verdienen könnten?“ In den dt. Mdaa. hat sich diese Bdtg. des Wortes ,Gesetz(lein)4 bis in unsere Tage hinein erhalten, so eis. ,e Gesetzle schlofen4, eine Weile schlafen, obersächs. ,e Gesätzchen heulen (lachen)4, schwäb. ,am letzten Gesetzlein singen4, auf dem letzten Loch pfeifen. Das ist ein Gesetz (Recht) von Medern und Persern: unumstößliches Gesetz, feste Regel; die Rda. ist bibl. Urspr. In Dan. 6,9 heißt es: „Darum, lieber König, sollst du solch Gebot bestätigen und dich unterschreiben, auf daß es nicht wieder geändert werde, nach dem Rechte der Meder und Perser, welches niemand aufheben darf“ (vgl. Dan. 6,13; Dan. 6,16; Esther 1,19); engl. ,a law of (the) Medes and Persians4; frz. ,une loi des Perses et des Mèdes; ndl. ,een wet van Meden en Perzen4. Gesicht. Für mißvergnügte, verdutzte, ratlose und einfältige Gesichter hat die Volkssprache eine Fülle rdal. Vergleiche, von denen hier nur die gebräuchlichsten aufgeführt werden können: Ein Gesicht machen wie drei (sieben, acht, vierzehn) Tage Regenwetter (und sieben Meilen Dreck): mürrisch, verdrossen dreinblicken (/ausse- hen); ähnl. ein Gesicht machen wie drei Meilen schlechter Weg: wie ein Essigkrug; wie ein Nest voller Eulen: als wenn ihm die Hühner das Brot gestohlen (weggenommen) hatten: ratlos, einfältig, trübselig; ein Gesicht wie ein Abtrittsdeckel (Lokusdeckel): ein breites Gesicht, ein Gesicht zum Rein- hauen haben: ein feistes, widerliches Gesicht haben; ein Gesicht tnachen wie eine Gefängnistür; verschlossen, grimmig, abweisend blicken, wie eine verschrumpelte Kastanie: verdrießlich blicken, als ob ihm die Petersilie verhagelt sei; vielfach auch mdal. ,FIe makt en Gesicht as de Bür, den’t Heu regnet hat4 (Oldenburg); ,dear macht a GTrieß wia d’Maus in d’r Falla4, ,wia d’r Esel voar d’r Schmidde4 (schwäb.). Vom Blatternarbigen sagt man Er hat ein Gesicht, als ob der Teufel Erbsen darauf gedroschen hätte (/Erbse). Ein Gesicht haben wie das kath. Vaterunser (gemeint ist: ohne ,Kraft und Herrlichkeit4); als ob er Saurampfer gegessen hätte: ein säuerliches Gesicht; als wenn er mit Paulus im dritten Himmel wäre: er stellt sich andächtig, spielt den Entzückten und Heiligen; er macht ein Gesicht wie der Teufel in der Chrismacht, wie die Sau auf dem Pflaumenbaum: verdutzt sein. Vgl. die Zusammenstellung weiterer verwandter und ähnl. Ausdr. bei Wanderl, Sp. 1622ff. Das ganze Gesicht eine Schnauze (voll Maul): Mensch mit übergroßem Mund, mit frecher Redeweise. Wenn ich dein Gesicht hätte, würde ich eine Hose drüber ziehen, Rda. auf ein ausdrucksloses Gesicht (/Arsch). Auf sein Gesicht geb’ ich keinen Pfennig: er flößt kein Vertrauen ein, um Kredit zu gewähren. Das Gesicht ging ihm darüber aus dem Leim: die Sache wurde ihm lächerlich. Viel Gesicht zu waschen haben: kahlköpfig sein. Er ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten: er ist ihm sehr ähnlich. Ins Gesicht fallen (springen, fassen) gleichbedeutend mit ,in die Augen (ins Auge) springen4 (/Auge), aber heute seltener. 325
Gestern Mit dem Gesicht in die Butter fallen: Glück haben, eine gefährliche Lage überstellen (etwa seit 1900). Sich eine ins Gesicht stecken (berl. auch rammeln): sich eine Zigarre oder Zigarette anzünden (jung und umg.). Daß du die Nas ' ins Gesicht behältst sind die Lieblingsworte des Inspektors Bräsig in Fritz Reuters ,Stromtid\ nach Gaedertz (,Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen*) eine Lieblingswndg. des Pastors Joh. Gottfried Dittrich Augustin (1794-1862) in Rittermannshagen. Jem. i/is Gesicht schlagen: ihn vor den Kopf stoßen, beleidigen, grob widersprechen; z.B. ,Das schlägt allen Regeln des Anstands ins Gesicht*. Bei Luther heißt es dafür ähnl.: ,in die Backen hauen*. Sein Gesicht verlieren: sein wahres Gesicht zeigen, gleichbedeutend mit ,die Maske fallenlassen* (/'Larve). Lit.: W. Widmer: Volkstüml. Vergleiche im Frz. nach dem Typus „Rouge comme un coq‘k (Diss. Basel 1929); H. W. Klein: Die volkstüml. sprw. Vergleiche im Lat. und in den rom. Sprachen (Diss. Tübingen, Würzburg 1936); A. Taylor: Proverbial Comparisons and Similes from California (Berkeley - Los Angeles 1954), Folklore Studies 3. gestern. Nicht von gestern sein: nicht hinter der Zeit zurückgeblieben sein, auf der Flöhe sein, entlehnt aus der Bibelstelle Hiob 8,9: ,,Denn wir sind von gestern her und wissen nichts**. Entspr. frz. ,ne pas être né d’hier*; engl. ,to be not born yesterday*; ndl. ,niet van gisteren zijn*. gesund. Sich gesund machen (stoßen): zu Vermögen (günstiger Stellung u.a.) kommen, seinem Geldmangel abhelfen, sich bereichern. Die Wndg. stammt aus der Börsensprache: man stößt Aktien ab und ist nach dem Börsensturz wirtschaftlich gefestigter als der Aktieninhaber. Die Rda. ist jung und wird meist in tadelndem Sinn unter Anspielung auf unsaubere geschäftliche Praktiken gebraucht. Sie geht parallel mit der seit der Mitte des 19. Jh. gebräuchl. Übertr. des Wortes gesund auf wirtschaftliche Vorgänge. Gevatter. Gevatter stehen (gekürzt aus mhd. ,ze gevatter stên*) wird vom Studentenwitz des 18. Jh. bildl. von verpfändeten Gegenständen gesagt. So wie die Gevattern Bürgschaft leisten, daß der Täufling als Mensch und Christ seine Pflicht tun werde, so gibt auch die verpfändete Sache Sicherheit, daß der Schuldner seine Verbindlichkeit erfüllen werde. Johann Christian Günther sagt in den ,Gedichten* 1773 (S. 167): Der Stiefel lauft schon von den Füssen Und muss nun zu Gevattern stehn. Aus Dresden wird um 1800 berichtet: ,,Ein junger Herr läßt seine Uhr - nach hiesigem Sprachgebrauch - Gevatter stehen**. Sie hat vor der Zeit zu Gevattern gebeten: sie ist vor der Hochzeit schwanger geworden. Du träumst wohl von Gevattern?: du bist nicht bei der Sache, hegst sonderbare Erwartungen, obersächs. schon im Anfang des 17. Jh. bezeugt; eigentl. wohl zu einer zerstreuten Schwangeren gesagt, als Scherz im Hinblick auf die zu erwartende Kindtaufe. Nicht mit zu Gevattern stehen wollen: bei einer Sache nicht mittun wollen; er hat dabei nicht mit zu Gevatter gestanden: er hat dabei nicht mitgewirkt, er ist unschuldig daran; einen zu Gevatter bitten wird auch spöttisch und iron, gebraucht für: ihm die Freundschaft aufsagen. Gevatter Scfuieider und Handschuhmacher: alle einfachen Leute, das niedere Volk, ist ein Zitat aus ,Wallensteins Lager* von Schiller (11. Auftr.): Laßt sie gehen, sind Tiefenbacher, Gevatter Schneider und Handschuhmacher. Gewehr. Haben ein Gewehr!: Ausdr. des Nichtkönnens. Die Rda. entstammt dem Kinderlied ,Wer will unter die Soldaten, der muß haben ein Gewehr . . .* (von dem Kinderliederdichter Friedrich Güll, 1812-79); schon vor 1900 als Rda. bekannt. Gewerbe. Dem urspr. Sinn von Gewerbe, nämlich: Tätigkeit, bei der man sich umherbewegt (zu ,werben* urspr. = sich drehen, hin und her gehen), steht noch nahe: sich ein Gewerbe (znoüzx ausetw.) machen: eine Beschäftigung, einen Gang vornehmen, wenn auch nur zum Vorwand; seit dem 17. Jh. belegt, heute kaum noch üb¬ 326
Gift lieh. Im ,Venus-Gärtlein' klagt das Mädchen, das keinen Mann erwischen kann: Ich fahr auch offt spatzieren, Steh am Fenster vor der Thüren, Auch mir ein Gewerbe mach, Hilfft doch alles nicht der Sach (Sohns, 636f.) Oft bedeutet es geradezu: etw. zum Vorwand nehmen; dafür älter auch: ,ein blind Gewerbe machen1; noch jetzt obersächs. ,Man macht sich e Bewerbchen\ wenn man jem. zu einem versteckten Zweck besucht. Dem horizontalen Gewerbe nachgehen: verhüllender Ausdr. für: eine Prostituierte sein; neu, umg. Lit.:X Taylor: Prostitution the Oldest Profession, in: American Notes and Queries, VIII (1970), 88-89. Gewicht. Gewicht auf etw. legen: es für wichtig erklären, auch einer Sache Gewicht beilegen (oder beimessen), urspr. von der Waage, in deren eine Schale man noch ein Gewicht legt, damit das Zünglein nach dieser Seite ausschlägt (/'Waage). In bildl. Sinne wird auch die Rda. (schwer) ins Gewichtfallen gebraucht; vgl. Schiller ,Fiesko' (I, 2): (Mohr): ,,Er soll zufrieden sein. - Um Vergebung - Wie schwer möchte ungefähr sein Kopf ins Gewicht fallen?“ gewogen. Jem. gewogen sein: geneigt, wohlgesonnen sein; die urspr. Bdtg. ,Gewicht haben, angemessen sein' (mhd. bewögen*) erhält in Anwendung auf Münzen den Sinn von ,annehmbar, angenehm1 und entwickelt sich daraus zu der heute bekannten Bdtg. Gewogen und zu leicht befunden: nicht würdig, ohne Verdienst; die Rda. geht zurück auf das bibl. ,,Mene, Tekel, U-phar- sin“ (Dan. 5,25). Das Wort ,TekeP bedeutet ,gewogen1 mit dem Ergebnis; zu leicht erfunden. Der Prophet Daniel deutet die an der Wand erscheinende Schrift dahingehend, daß der König Nebukadnezar von Gott bereits gerichtet sei. Gicks. Weder Gicks noch Gacks wissen: ganz unerfahren, dumm sein; weder Gicks noch Gacks sagen: gar nichts sagen. Die Rda. ist seit dem 16. Jh. bezeugt. Die beiden lautmalenden Wörter ,gicks' und ,gacks' kennzeichnen eigentl. das Gänse¬ geschrei (,Gigack' ist noch heute in der Kindersprache die Gans), so daß die Rda. bedeutet: dümmer sein als eine /Gans. In Murners ,Schelmenzunft‘ von 1512 kommt vor (XXXVII, 7ff.): Wenn wir kriechent vnd sindt alt, Vnd ist vns lyb vnd blut erkält, Vnd mügent weder guck noch gack. Die Rdaa. sind auch mdal. oft belegt, so z. B. schwäb. ,Gickes machen', viele Worte machen und nichts Vernünftiges damit sagen; märk. ,De wêt von Kiks und Kaks nieh', ist unwissend und unerfahren; Schweiz. ,Man weiß nicht, ist er gicks oder gacks, hüst oder hott, gehauen oder gestochen'. Schwäb. ist die Rda. noch weiterentwickelt worden zu ,weder gicksen noch gacksen': nichts sagen. Vgl. ndl. ,Hij weet van Teeuwes noch Meeuwes'; frz. ,n1avoir ni bouche ni éperon' ; engl. ,to know neither buff nor stye'. Gift. Gift und Galle zur Bez. von großem Ärger oder Haß ist eine Rda. bibl. Urspr. 5.Mos. 32,33 heißt es: ,,Ihr Wein ist Drachengift und wütiger Ottern Galle“. Die Rda. hat sich aus dem Bibelzitat durch Verkürzung ergeben, z.B. Gift und Galle speien (spucken): sehr zornig, ärgerlich, geladen sein, /Galle. Luther gebraucht auch die Wndg. ,Gift und Geifer'. Vgl. auch die Rda. sich giften: sich heimlich ärgern. Ähnl. voller Giftsein: voller Zorn und Bösartigkeit, dazu auch die Feststellung: Der (die) hat aber Gift: jem. hat einen bösartigen Groll. Auch mdal. z.B. holst. ,He kreeg dat mit de Gift', er wurde wütend. Gift sein mit jem.: uneinig sein, jem. nicht mehr leiden können, eine bes. im Obersächs. häufige Rda. Jem. (etw.) das Gift nehmen: eine Person (Sache) unschädlich machen, die Wndg. bezieht sich urspr. auf die Schlange, der man das Gift entnehmen kann. Die Wndg. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es im Obd. ,einem s’Gift nehmen'; oder ,einem die Giftzähne ziehen'. Darauf kannst du Gift nehmen: darauf kannst du dich verlassen, die Richtigkeit der Aussage ist verbürgt. Diese Beteuerungsformel ist sehr jung und lit. erst seit der 2. H. des 19. Jh. bezeugt. Man hat sie auf die Gottesurteile des MA. zurückfüh- 327
Glacehandschuh ren wollen (/Abendmahl), doch sind Gift- ordalien im germ. Bereich nirgends bezeugt. Wahrscheinlicher ist die Herkunft vom ärztl. Rezept her, auf das hin der Kranke getrost eine gifthaltige Arznei einnehmen kann, ohne einen Nachteil befürchten zu müssen. Als Vorstufe der Rda. führt das Dt. Wb. (4. Bd., 1. Abtlg., 4. Teil, Sp. 7432) aus dem Jahre 1670 den Beleg an; ,,Ja, sagt sie, wanns nicht wahr ist, so soll dieser Trunck Gifft werden in mir" (Agyrtas, Grillenvertreiber, 1670, 75). Die Wndg. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es schlesw.-holst. ,Dor kannst du Gift op nehmen4. Vgl. auch ndl. ,Daar kun je don- der op zeggen4 und engl. ,You can lay your shirt on it‘. Neuere rdal. Vergleiche sind: wie Gift kle- ben:unablösbar haften; wie Gift schneiden: sehr scharf sein- (von Messern gesagt), mdal. rhein. ,dat mess schneid wie gift4. Glacéhandschuh. Der Ausdr. Glacéhand- schuhe ist seit 1827 im Dt. belegt; vorher sagte man (seit der Mitte des 18. Jh. bezeugt) ,glacierte Handschuhe4, nach frz. gants glacés. Einen (oder etw.) mit Glacé- handschuhen anfassen: sehr zart anfassen, (über-)behutsam behandeln, ist seit etwa der Mitte des 19. Jh. lit. belegt. Bismarck z.B. gebrauchte das Bild mehrfach: „Sobald von dem König die Rede ist, müssen die Herren ganz andre Glacéhandschuhe anziehen, wenn sie die Regierung herunterreißen wollen44 (Reden 9, 239). Die Wndg. ist dann auch schnell in die Umgangssprache eingegangen, z.B. berl. ,Dir darf man wol bloß mit Jlasees anfassen?4 Bisweilen wird die Rda. ,Das mag ich nur mit Glacéhandschuhen anfassen4 auch in dem fast entgegengesetzten Sinne gebraucht: Diese unsaubere Angelegenheit mag ich nicht mit bloßen Fingern berühren. Auch in diesem Sinn hat Bismarck die Rda. bereits benutzt: „Überall, wo Fäulnis ist, stellt sich Leben ein, welches man nicht mit reinen Glacéhandschuhen anfassen kann44 (Reden 4, 131). Glanz. Welcher Glanz in meiner Hütte: Ausdr. der Begrüßung eines unerwarteten Besuchers. Die Rda. ist ein entstelltes Zitat aus Schillers Jungfrau von Orleans4 (Pro¬ log, 2. Auftr.): „Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?“ Mit Glanz und Gloria: ausgezeichnet, häufig aber auch iron, verwendet: Man kann eine Prüfung mit Glanz und Gloria bestehen, ebensogut aber auch ,mit Glanz und Gloria durchfallen4. Die Wndg. stammt aus dem 19. Jh. Glas. Auf das Fensterglas beziehen sich die Rdaa. Glas auf dem Dach haben: niemand etw. vorwerfen dürfen, weil man selbst kein reines Gewissen hat; vgl. das zugehörige Sprw. ,Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen4. Es ist ja nicht von Glas:&\z Sache ist nicht so heikel, empfindlich. Du bist doch nicht aus Glas. versperre mir nicht das Licht, die Aussicht! Ähnl. Dein Vater war doch kein Glaser! oder in der Frageform Ist dein Vater Glaser? beruht auf der grotesk-witzigen Vorstellung, daß der Glaser durchsichtige Kinder haben müsse (mdal. seit der 2. Hälfte des 19. Jh. für Berlin und Leipzig bezeugt). Die witzige Antwort lautet dann: ,Nein, Vorsteher!4 (d.h. ein Davorstehender). Auf das Trinkglas bezieht sich tnit jem. aus einem Glas trinken: sehr vertraut sein mit ihm (vgl. frz. ,boire dans le verre de quelqu'un4). Glas kommt mehrfach vor in Wndgn., mit denen Alkoholmißbrauch umschrieben wird: Er hat ein Glas zuviel; er hat lieber ein Glas in der Hand als eine Bibel; aus keinem leeren Glas trinken; kein leeres Glas sehen können: gern trinken (Trinklust erscheint durch den horror vacui verursacht), eine beschönigende Rda. aus dem 20. Jh.; volle Gläser flicht leiden können: gern trinken, ebenfalls eine beschönigende Rda. von einem, der schnell trinkt (20. Jh.); eis. von einem Trinker ,Er ka ke voll un ke leer Glas sehn4; zu tief ins Glas geguckt haben: zuviel getrunken haben, einen Rausch haben, seit etwa 1700 wohl die beschönigend-umschreibende Nachbildung der Rda. von dem Liebenden, der seinem Mädchen zu tief ins Auge geblickt hat. Aus einem Glas ins andere gießen: etw. ständig wiederholen, ohne auf neue Gedanken zu kommen. Bair. ,e Glasl kriegn (gebn)4, einen Korb kriegen (geben); ,furt gehn, als wenn mer e Glasl gfunden hätt4, beschämt fortgehen; vielleicht daher, daß 328
Glauben dem abgewiesenen Werber ein Glas Wein zum Trost gereicht wurde. Wir sind nicht mehr am ersten Glas ist ein Zitat aus Uh- Iands Trinklied* (1812). „Das Glas in der Rechten, die Flasch' in der Linken** ist ein Zitat aus dem Trinklied von Heinrich Hoffmann v. Fallersleben (1829). Vom Brillenglas stammt Er hat sich ein Stück Glas (oder eine Glasscherbe) ins Auge getreten: er trägt ein Einglas, ein Monokel; eine wohl aus dem Berl. stammende Rda. Durch ein trübes Glas sehen: nicht genau beobachten können. Glas bietet sich ferner an als rdal. Vergleich des Glatten, des Zerbrechlichen, aber auch des Geringwertigen (vgl. frz. ,rasé comme un verre à bière*, glatt rasiert sein; ,il ne donnerait pas un verre d'eau*, er ist ein großer Geizhals). Sturm im Wasserglas /Sturm. Glatteis /Eis. glauben. Daran glauben müssen: eine bittere Erfahrung machen, eine schlimme Einbuße erleiden, schließlich auch Umschreibung für ,sterben* (vgl. ,das Zeitliche segnen*); so auch in den Mdaa., z.B. schlesw.-holst. ,He mutt dor wull bald an globen*, er wird wohl bald sterben. Die Wndg. ist urspr. durchaus religiös gemeint; zu ergänzen ist etwa: ,. . . daß es einen stärkeren Herrn gibt, daß Gott den Sünder straft* usw. (vgl. auch verwandte Wndgn. wie ,beten lehren*, ,zu Kreuze kriechen* u.a.). Erst sekundär hat sich dann die um- gangsspr.-iron. Verwendung angeschlossen. Der Hamburger sagt zu einer handgreiflichen Lüge ,1k glob et fas*. Es kommt anders, als man glaubt geht auf ein Zitat aus Wilhelm Büschs ,Plisch und Plum* (1882) zurück: Aber hier, wie überhaupt, Kommt es anders, als man glaubt. Wer's glaubt, wird selig (oft mit dem reimenden Zusatz: ,und wer stirbt, wird mehlig*, auch: ,Wer bäckt, wird mehlig* oder: ,Wer’s glaubt, wird selig, und wer’s nicht glaubt, kommt auch in den Himmel*): das ist unglaublich; parodierende Verwendung des Bibelzitats von Mark. 16,16: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden“. Wenn du 's nicht glaubst, so laß di Es reitern: überzeuge dich selbst! Die Wndg. dient der Bekräftigung, um den Zweifel zu erschüttern, wenn eine Mitteilung von jem. ungläubig aufgenommen wird. Diese Wiener Rda. wird heute vor allem noch von Kindern in Oesterreich untereinander gebraucht. Das Reitern war urspr. ein Orakel. Um einen Dieb zu entdecken, wurde das Reiterl (Reuterl) oder Erdsieb gedreht, ln die Wand des Siebes wurde eine Schere mit beiden Spitzen gesteckt. Die Handhaben hielten gewöhnlich zwei ältere Frauen. Dabei dachten sie an eine des Diebstahls verdächtige Person. Bewegte sich dabei das Sieb, war der Schuldige gefunden, denn das Reiterl sprach immer die Wahrheit. Im Waldviertel dagegen wurde das Sieb gedreht, und alle verdächtigen Personen wurden dabei genannt. Wenn das Sieb bei einem Namen hielt, glaubte man ebenfalls, den Schuldigen entdeckt zu haben. Die Rda. bedeutet demnach: befrage das Sieb, wenn du Bedenken an der Glaubwürdigkeit hast. /Sieb. Wer's nicht glaubt, pappt's: v/ers nicht glauben will, muß es pappen; hess. wie anderwärts recht verbreitet. Leicht abweichende mdal. Formen sind: ,Wann des nit glaabst, un do schmirsch des* (schmierst du es) oder: ,Wenn des nit glaawe wit (glauben willst), dann kanns des (kannst du es) mauern*. Der Sinn dieser Rdaa. ist nicht ohne weiteres verständlich; er wird jedoch sofort klar, wenn man die mdal. Form solcher Gebiete ins Auge faßt, die statt des au oder des daraus entstandenen a in ,glauben* ein ä zeigen: ,Wer's nicht glääbt, der pappt’s*; d.h. die Voraussetzung für die Rda. ist die mdal. Form ,glääben* und das auf ihr beruhende Wortspiel mit ,kleben*. Die Form ,glääben* für ,glauben* setzt ein älteres ,gläuben* voraus, das wir z.B. bei Luther kennen (vgl. auch sein Häupt für Haupt usw.) und das überhaupt mdt. verbreitet ist. Doch deckt sich diese Verbreitung heute nicht mehr mit dem Geltungsbereich jener Rda. Schuld daran mag sein, daß das Gebiet von ,gläuben* früher weiter reichte und heute zurückgedrängt ist; schuld ist aber sicher auch die Tatsache, daß ein solches Sprw. wandert. Seinen Urspr. kann es natürlich nur in einem Gebiet haben, in dem 329
Gleich das Wortspiel einen Sinn hat und wirklich verstanden wird, d.h., wo mdal. ,glääbt4 herrschte. Lit.: F. Maurer: ,Wer's nicht glaubt, der pappt’s*, in: Hess. BI. f. Vkde. XXVI (1927), S.9 und 180; M. Ha- berlandt: ,Laß dir’s reitern4. Sachl. Grundlagen einer Rda., in; Wörter und Sachen 12 (1929), S. 91-92. gleich. Gleiches mit Gleichem vergelten: der Grundgedanke des ,ius talionis4, des Wiedervergeltungsrechts, des ,Auge um Auge, Zahn um Zahn4, wie es aus dem mosaischen Gesetz (2.Mos. 21,24) bekannt ist und alter Rechtsgrundsatz aller Völker ist. So auch bei den Römern: „Par pari respondere (oder: referre)44, z.B. bei Plautus. Vgl. auch die dt. Rda. ,Wurst wider /Wurst4. Gleiche Brüder, gleiche Kappen: gleiche Rechte und gleiche Pflichten bei Personen desselben Standes oder Schlages. Die Wndg. ist hergeleitet von den Mönchen, bei denen in jedem Orden alle Brüder dieselbe Tracht haben. Für,gleich aussehen4 gibt es eine Fülle rdal. Vergleiche, z.B. ,sich gleichen wie ein Ei dem anderen4; ,er sieht ihm so gleich, als wäre er ihm aus dem Gesicht geschnitten4; aber auch in verwandten Wndgn., um einen hohen Grad von Ungleichheit auszudrük- ken, z.B. ,Er sieht ihm so gleich, als wäre er ihm aus dem Gesäß geschlupft4 (vgl. Wander 1, Sp. 1717). Gleis. Im Gleis bleiben: auf dem rechten Weg bleiben, seit dem 16. Jh. belegt, z.B. 1595 bei G. Nigrinus; ,Anticalvinismus4 d 3b: „(die Papisten), welche kein solche Vernewerung erdencken, sondern in ihren . . . alten Gleisen meinstlich bleiben44. Daneben steht die jüngere Wndg. sich in ausgefall reuen Gleisen bewegen: nichts Neues zuwege bringen, unselbständig sein. Aus dem Gleis kommen: vom Wege ab- kommen; bildl. etwa 1713 bei Grimmelshausen: „Ich bin . . . schier . . . aus dem Glaiß meiner Erzehlung kommen44; neuerdings gewendet zu aufs falsche Gleis geraten: auf Abwege geraten. Wieder ins Gleis kommen: auf den rechten Weg zurückfinden; schon rdal., aber noch ganz im Bilde bleibend, verwendet von Mathesius (,Sarepta4, 1571, S. 154a): „Ich hab auch umbgeworffen, ich dank aber Gott, der mir und meinem Wagen wider auffgeholffen und ins Gleis gebracht hat44. Heute sagt man vor allem noch etw. ins rechte Gleis bringen: in geordnete Bahnen bringen; bezeugt bei Goethe: „Er (hat) seinen ganzen Einfluß gebraucht, um die jungen Leute ins Gleis zu bringen44. Alle diese Wndgn. sind also nicht etwa erst seit der Erfindung der Eisenbahn volkstümlich, sondern sie spiegeln die Verkehrsverhältnisse einer Zeit wider, in der der gesamte Verkehr zu Wagen vor sich ging und das Einhalten der ausgefahrenen Wagenspur für den Fuhrmann eine Notwendigkeit war. Glied, Glieder. Das fehlende Glied (in der Kette) suchen oder gefunden haben: den noch fehlenden letzten und überzeugenden Beweis erbringen wollen; die Lücke in der Beweiskette schließen; einen Tater überführen. Das schwächste Glied (in der Kette) sein: die unsicherste, unzuverlässigste Stelle sein, durch die Gefahr droht, eigentl. die Stelle der Kette, an der sie bes. abgenutzt ist und voraussichtlich zuerst reißen wird. Auf den Menschen iibertr., meint die Wndg. jem., auf den man sich im Notfall nicht verlassen kann, vor dem man warnen muß, weil er ein riskantes Unternehmen oder andere Beteiligte verraten und gefährden könnte. Kein Glied rühren können: vor Schmerzen (Schreck) sich kaum bewegen können; aus Furcht wie gelähmt sein. An einem Gliede kalendern: den Wetterwechsel durch das Schmerzen einer alten Wunde (Narbe) schon vorher spüren. Häufiger hört man die Feststellung: Das Wetter liegt einem (wie Blei) in den Gliedern: es macht Beschwerden. Jem. (noch) in den Gliedern stecken (sitzen): seinen ganzen Körper erfaßt haben. Die Wndg. wird bes. häufig auf ein durchdringendes und anhaltendes Kältegefühl, auf eine schwere Krankheit, die den Körper schwächte, oder auf eine Furcht bezogen, die nicht so rasch überwunden werden kann. Jem. in die Glieder (durch alle Glieder) fahren: ihn wie ein Schlag treffen; meist vom Schreck oder einem plötzlichen Gedanken, einer schlimmen Ahnung oder Nachricht gesagt. Ähnl. an allen Gliedern zittern: vor Furcht, Angst, Entsetzen beben. 330
Glocke Glocke. Die Glocke ist gegossen: die Sache ist abgemacht, beschlossen, der Plan ist geschmiedet, eine schwierige Aufgabe ist glücklich gelöst; schon in Luthers Sprichwörtersammlung (Thiele Nr. 124) und in der frühnhd. Lit. sehr häufig. 1595 erscheint die Wndg. in G. Rollenhagens ,Froschmeuseler‘: ,,Endlich ward nach vielem Gezenk die Glock von allen so gegossen". Zusammen mit mehreren anderen gleichbedeutenden Rdaa. steht sie auch in einem Spottgedicht von Burkard Waldis (1490-1556) auf den Herzog Heinrich den Jüngeren von Braunschweig (V. 390ff.): Ich halt's, die glock sei schon gegossen, Die axt ist scharpff vnd woll gewetzt. Dem bawm schon an die wurtzeln gsetzt, Der knüttel drawt den bösen hunden, Vnd ist der besem greyt (bereits) gebunden. In der ,Zimmerischen Chronik^ (II, 582) heißt es: ,,Nach seinem todt wardt die glock gossen, und wie ain alter, erlicher man zu Mößkirch, genannt Conradt Burger, ain spruchwort het; ,User bast macht man Hafensack, was ein karger erspart, wurt aim geuder zu tail, also ging es mit diesem erb auch!1" Bacchi et Veneris facetiae (1617), S. 141: Se tunc bene habebunt res So ist die glock gegossen. Tua corrobata spes, Ich hab sein offt genossen. In Grimmelshausens ,Simplicissimus‘ heißt es: ,,Nach langem Diskurs wurde die Glock gegossen und beschlossen, daz Springins- felt den Schatz suchen sollte^. Die große Glocke läuten: sich mit einer Angelegenheit unmittelbar an den wenden, der die oberste, entscheidende Stimme darüber hat; an die große Glocke laufen: eine Sache vor die Allgemeinheit bringen. Diese Rdaa. hängen mit der Verwendung der Glocke im Rechtsbrauch zusammen. Zu Gerichtsverhandlungen wurden die Dinggenossen durch das Läuten der großen Kirchenglocke zusammengerufen. Wer also etw. vor Gericht brachte, der veran- laßte, daß die große Glocke geläutet werden mußte. In einer Sage von Karl d.Gr. (Grimm, DS. Nr.459) läutet eine Schlange an dem Glockenseil, um den Rechtsspruch des Kaisers zu erfahren. Thomas Murner ,An' die große Glocke laufen (hängen)1 überschrieb das 2. Kapitel seiner ,Mühle von Sch windeiß heim4 (1515) mit ,,An die große Glocke laufen", V. 249 heißt es dann: Lauff hin, stürm an die gröste glocken, Das wir domit zuosamen locken Allen guoten lieben gesellen. Auch an die Strafe des Ausläutens ist zu denken, insbes. an das Ausläuten oder Verlauten der Schuldner, die ihre Gläubiger nicht befriedigen konnten. So spricht Seb. Brant (1494) in seinem ,Narrenschiff (Kap. 82, 8) von dem aufkommenden leichten Sinn der Bauern: Sie stecken sich inn große schulden, Wie wol körn und wyn gilt vil, Naemen sie doch uff borg und zyl Und went bezalen nit by ziten Man muoß sie bannen und verlüten. Altmärkisch lautet die Rda. noch ,an de grote Klocke slaan\ übertreiben, prahlen. Wo die Rda. heute noch verwendet wird, hat sie andere Bdtg. angenommen, z.B. schwäb. ,mit der großen Glocke läuten1, großen Lärm mit etw. machen. ,Einem die große Glocke läuten1, ihn feiern und ehren; allgemeiner auch: viel Lärm um eine nichtige Sache machen. Etw. an die große Glocke hängen: es auspo¬ 331
Glocke saunen, in aller Leute Mund bringen, öf- fentl. bekanntmachen, namentlich von Privatangelegenheiten, die nicht vor die Öffentlichkeit gehören. An die große Glocke kommen: in aller Leute Mund kommen; es ist an der großen Glocke: es ist in aller Leute Mund. Das Zeitwort,hangen4 scheint in dieser Rda. jünger zu sein und auf der Vermengung von Anschlägen4 mit anderen Ausdr., wie ,höher hängen, anhängig machen4 usw. zu beruhen. Rhein. (Köln) sagt man ,Mer muß nit alles an de Domklock hange4; eis. ,Lütt nit mit der Glock!4, fang nicht an, von dieser Sache, in diesem Tone zu reden! Bismarck gebrauchte in einer seiner Reden einmal: „Elsässer Abgeordnete, die alle ihre Klagen an die größte Glocke in Deutschland zu hängen imstande sein werden . . .‘4, d.h. im Reichstag zur Sprache bringen (vgl. ndl. ,ietsaan de grote klok hangen4; frz.,sonner la grosse cloche4; ,entendre les deux cloches4, beide Parteien hören). ,Utpingeln4 heißt: etw. ausposaunen, und einer, der das große Wort führt, heißt ,Pingelpott4; man sagt von ihm ,Hei tüt gern de grauten Klok- ken4 (Kreis Minden). Wenn daher etw. nicht verschwiegen bleibt, sondern ganz sicher allg. bekannt wird, so sagt man ,Dat is so goot, as wenn’t an de groot Klock bun- nen is4. ,Et kümmet doch noch an de Klok- ken4 heißt: es ist nichts so fein gesponnen usw., und, wenn es kund geworden ist, .häfft sei’t an de gruoten Klocken bracht4 (Westf.). Wissen (oder merken), was die Glocke geschlagen hat: durch eine Andeutung genügend Bescheid wissen; schon bei Grimmelshausen mehrfach belegt. Eine Belegstelle findet sich auch in Murners ,Narren- beschwÖrung4 53, 60: Er soi versehen eine statt Und weiß nit, was geschlagen hatt. Die Glocke läuten hören, aber nicht wissen, wo sie hangt: unvollständig unterrichtet sein; beruht auf der Erfahrung, daß die Richtung, aus der fernes Glockengeläut kommt, oft falsch beurteilt wird (/läuten hören). Die Rda. hat in der lit. Kritik früherer Jahrhunderte eine große Rolle gespielt; so gebraucht sie beispielsweise Lessing (13, 381): „Wenigstens hat der . . . nur läuten hören, ohne im geringsten zu wissen, wo die Glocken hängen44 (vgl. auch ndl. ,van klok noch klepel weten4, überhaupt nichts wissen). In Westf. erhält man auf die Bemerkung ,Diu hiärst wuol luien hoart, woißt owwer nit, wo de Klocken hanget4 wohl die Antwort: Dei Klokken hanget im Tappen, Wann se fallt musst diu se schnappen. In Bayern sagt man ,Du hast läuten, aber nicht zusammenschlagen gehört4. Dagegen rhein. ,He wet, wan’t luijt4, er versteht die Gelegenheit wahrzunehmen. Sprw. sagt man ,Wo kine Klock is, da is auk kin Ge- lüd4, mit der Ursache hört auch die Wirkung auf. Wenn der Küster unpünktlich ist und das Läuten nach seiner Bequemlichkeit einrichtet, heißt es ,De Klock geit, äs de Köster de Kopp steit4. Wenn lange geläutet wird, so ,is de Küster mit sien Been in’n Klockenstrang fast4. Er hat nie eine andere Glocke als die seines Dorfes gehört: er ist nie von zu Hause weggekommen. Man hat noch nicht mit allen Glocken geläutet: es hat noch Zeit, wir kommen noch früh genug. Die Glocken tönen noch:die Sache ist noch nicht aus. Viele weitere Bildungen sind nur regional verbreitet; so westf. ,an eene Klock trecken4, an einem Strick ziehen, das gleiche Ziel verfolgen; dagegen ,Sie läuten nicht dieselbe Glocke4, sie sind verschiedener Ansicht, sagen bald so, bald so. ,Nu lüdden de Klocken anners4, jetzt geht ein anderer Wind. Eis. ,Potz Sapperment, leyt nit mit dere Glock4, komm mir nicht mit dieser Sache. Bekannt ist auch: Er geht gern in die Kirche, wo mit gläsernen Glocken geläutet wird (oder: ,wo das Gesangbuch Henkel hat4 usw.): in das Wirtshaus. ,Dicht an den Herrgott sine Kerke hett de Düwel en Ka- pellken gebaut, wo se met gläsernen Klokken lüet4, sagt man in der Gegend von Dortmund, und auch in Mecklenburg heißt das Gasthaus ,de Kirch, wo mit de gläsern Klocken lüddt ward4. Mit der Sauglocke läuten : unsaubere Reden führen, Zoten erzählen; obersächs. ,Sull mer dee erseht mit der Saugluck läuten4, soll man dir erst mit derben Worten kommen; münsterl. ,De lütt met de Swineklock4; auch die Tiroler nennen das Zoten ,die Sauglocke läuten4; /Sauglocke. Eine plauderhafte, sich in den Häusern 332
Glück herumtreibende Person wird im oberen Naabgau als ,Dorfglocke1 (Dorfschelle) bez. Von einer überlauten sagt man ,Die ist wie eine Glocke, sieht man sie nicht, hört man sie doch1. Er kommt bald in die Glocke deutet an, daß einer dem Tode nahe ist (Kreis Iserlohn). Man sagt auch ,Mit dem is nich mär veel los, bi dem schleit de Klocke wänner (bald) twiälfe4 (Dortmund). ,De Klock geten4 heißt: einen Anschlag machen. Hans Sachs gebraucht die Wndg. ,Da wurt die glock gegossen1. Anderswo heißt es Die Glocke war schon über mir gegossen: ich war schon so gut wie verurteilt. Die Wndg. bei Hans Sachs: ,,Wenn man die garauss glocken leut“ meint: wenn mein letztes Stündlein gekommen ist. Ein Kalb, das gleich nach der Geburt geschlachtet ist, ,hat kein Betglockenschlagen gehört1. Von einem elenden Stück Vieh, dessen baldigen Tod man erwartet, heißt es meckl. ,Dee hett de Klocken (School un Klicken) fri‘. Den Kuhdieb läßt Hans Sachs in einem Fastnachtsspiel die Befürchtung aussprechen: Das ich drab auff eim henffen Pferd (nämlich dem Galgen) Ein Schwengl in einr Feldtglocken wert. Die unter dieselbe Glocke gehören, d.h. die Kirchspielgenossen kennen sich am besten und stehen sich am nächsten. Darum heißt es vom Heiraten nach auswärts sprw. ,Wä wegge geht wie ne Klockeklang, dä bereut et sin Lieve lang1 (Kreis Düren). ,Du kürst, als wenn du mit hölternen Glok- ken läutest1, du bist recht dumm (Kreis Iserlohn, Westf.). Aber: ,Wo de Klock vun Ledder is un de Knepel ’n Vosswanz, schall man’t ok so heel wied nich hören4. Wenn ein Kind weint und das Näschen fließt, so sagt man im Rheinl.: ,Ös treckt de Klemp, de Klickeseeler kuemen all4 (Kempen) oder ,Wat häst dau aber wieder for Glockenseile us der Nas raus hänge!4 (Vallendar). Von einem schreienden Kind heißt es in Westf. auch ,Et trecket de Braudklocke4; ,he lüd keene gode Klok- ken\ er hustet bedenklich. Wenn man sich den Ellenbogen stößt, brummt es ,as wenn ne Klock stött4 (meckl.). Die Dreschflegel bez. der Westfale als ,hültene Klocken4. ,Die dreht sich wie eine Glocke4 sagt man im oberen Naabgau von einem raschen Frauenzimmer, das sich beim Tanze herumwirbelt, daß die Röcke glockenförmig abstehen. Der Ausdr. ,bei glockhellem Mittag4 ist im Volksmund nicht selten. Rosegger gebraucht die Wndg.: ,,Die Himmelsglocke lag in mattem Blau44 und redet von der ,,stillen, glühenden Himmelsglocke44. Nun schlägt die Glocke dreizehn /dreizehn. Lit.: J. Pesch:Die Glocke in Gesch., Sage, Volksglaube, Volksbrauch und Volksdichtung (Dülmen i. W. 1919); E. Erdmann: Glockensagen (Diss. Köln 1929), HdA. 111, Sp. 868ff.; P. Sartori: Das Buch von den dt. Glok- ken (Berlin - Leipzig 1932), S. 164ff.; Chr. Mahren- holz: Glockenkunde (1948); W. Ellerhorst: Handbuch der Glockenkunde (1957); N. Kyll: Die Glocke im Wetterglauben und Wetterbrauch des Trierer Landes, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 9 (1958). Glosse. Glossen machen: tadelnde oder spöttische Bemerkungen zu etw. machen. Die Wndg. ist seit dem Anfang des 18. Jh. lit. belegt und auch in die Mdaa. eingedrungen. ,Der muß wieder seine Glossen machen4 sagt man z. B. obersächs. von einem, der immer etw. auszusetzen, zu nörgeln hat. Glosse (griech. glossa = Zunge, Sprache) meint zunächst bei Griechen und Römern ungewöhnliche, dunkle, veraltete oder nur in bestimmten Dialekten vorkommende Wörter. Glossen gehören sodann auch zu den wichtigsten Sprachdenkmälern des Altfrz., Altengl. und Ahd. Erst im MA. wurde es üblich, unter Glossen auch die Erklärung selbst zu verstehen. Man unterschied zwischen Glossen, die über den Textzeilen standen (Interlinearglossen), und solchen, die am Rande eingetragen waren (Marginal- oder Randglossen). Daher versteht man im nichtwissenschaftlichen Sprachgebrauch unter Glossen auch gesprochene Randbemerkungen4, bes. spöttische. In der Sprache der Presse wird Glosse zur kurzen feuilletonistischen Form eines Kommentars. Glück. Damit hast du bei mir kein Glück: damit erreichst du bei mir nichts. Er hat mehr Glück als Vers tan d( scherzhaft: ,als Fer-dinand4). Ähnl. Er ist ein Glückskind (urspr. ein mit einer ,Glückshaube4 oder ,Glückshaut4 - das sind die das Kind noch umhüllenden Eihäute - geborenes 333
Glück Kind), Glückspilz (seit etwa 1800), er hat eine Glückshaut, er ist ein Hans im Glück (nach KHM. 83). Im ,König Ödipus' des Sophokles (V. 1080) nennt sich Ödipus „Ilcàç Tf|ç Tu^pC' (Kind des Glückes), was Horaz in den ,Satiren' (II, 6, 49) mit iortunae filius' und wir mit ,Glückskind' wiedergeben. Auf gut Glück etw. tun: in der Hoffnung, daß es gelingen werde. In dieser Wndg. ist die ältere Bdtg. von Glück noch erkennbar, das noch mhd. den Sinn von ,Zufall' hatte. ,Auf gut Glück' meint also eigentl.: auf einen freundlichen Zufall hin. Das Glück beim Schopf ergreifen: das Glück festhalten. Die Rda. bezieht sich auf die alte Vorstellung von dem in Olympia verehrten Kairos, der nur eine Stirnlocke, aber ein geschorenes Hinterhaupt besaß (/Gelegenheit). Ihm lacht das Glück, das Glück läuft ihm in den Arscli. Hier ist das Glück personifiziert wie bei den Römern die Glücksgöttin Fortuna; ebenso in der gegensätzlichen Rda. Das Glück kehrt ihm den Rücken. Weder Glück noch Stern haben: Unglück, Pech haben (/Stern), in bejahender Form in Joh. Fischarts ,Glückhaftem Schiff' (1576): Gott geb, daß dieser Bund bleib wirig (= dauernd) . . . Gott geb, daß er hab Glück und Stern, Solang die Aar läuft nah bei Bern. Diese Rda. ist auch bei Abraham a Sancta Clara mehrfach bezeugt. Dem Glück im Schoß sitzen: vom Glück ganz bes. und dauernd begünstigt werden. Die Rda. Glück muß der Mensch haben beinhaltet die Erkenntnis, daß der Mensch sich nicht immer nur auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen kann. Glück ^////Dieser Zuruf ist das Gegenstück zu der älteren Grußformel Glück zu, die seit Ausgang des 15. Jh. als Begegnungsund Abschiedsgruß beliebt geworden war. Ihm tritt zuerst in Nürnberg 1597 der ermunternde Zuruf,Glück' mit anfeuerndem ,auf' an die Seite. Im Erzgebirge wird er um 1675 zum bergmännischen Gruß, mit dem sich die Knappen vom ,Glück zu' der städtischen Zünfte absetzen. Die Rda. vom großen Glück bzw. vom Glück der alten Weiber ist euphemist. oder gar iron, zu verstehen. Eulenspiegel „segnet sich", wie die 21. Histori des Volksbuches sagt, „alle Morgen vor gesunder Speiß und vor grossem Glück und vor starckem Tranck". Er meinte die Speisen der Apotheke, die, wie gesund sie auch sein mögen, doch ein Zeichen von Krankheit sind; der starke Trank war ihm das Wasser, das große Mühlräder treibt, an dem sich aber gar mancher gute Gesell den Tod getrunken hat. Vom ,großen Glück' sagt das Schwankbuch: ,,. . . dann wo ein Stein von dem Tach fiel oder ein Balcken von dem Huß, so möcht man sprechen: Wer ich da gestanden, so het mich der Stein oder der Balck zutod gefallen; das war myn groß Glück. Sollichs Glücks wolt er gern entbe- ren". Etw. geändert hat die Geschichte Julius Wilh. Zincgref in seiner zuerst 1626 erschienenen Apophthegmen-Sammlung (deutscher Nation klug-außgesprochene Weißheit', Amsterdam 1653): „Eulenspiegel meinte, wann einer die Stiegen hinein fält, das groß Glück, wie man sagt, daß er den Halß nicht gar gebrochen“. Diese Fassung hat Christoph Lehmann in sein ,Florilegium Politicum' aufgenommen (IV, S. 28 f. ). Derselbe Gedanke vom Glück im Unglück kehrt auch in einem anderen Zusammenhang wieder, nämlich in dem 589. Stück von ,Schimpf und Ernst' des Franziskaners Johannes Pauli: „Wan etwan ein Weib blau und mosecht (fleckig) umb die Augen ist, so sprechen die Nachburen: ,Wie sein ir so blau umb die Augen?' so spricht sie: ,Mein Man hat mich geschlagen'. So sprechen sie; ,Ir haben groß Glück gehabt, das ir nit umb das Aug sein kumen'". In einem Meistergesang von Hans Sachs (II, 271) heißt es: Zumb driten hüt dich vor der alten Weiber Glück; Wan sie sprechen gwencklich zu allem pösen Stück: Es ist gros Glück gewessen pey dem allen; Feit etwan ainer oben von eim Haus herab, Feit ab ain Schenkel, so Sprechens, gros Glück der hab, Das er sich nit gar hab zu Dot gefallen. 334
Gnade Oder so ainer wirt peraubt, So thunt die alten Weiber darzu sagen: Gros Glück hat dieser Mann, gelaubt, Das in die Räuber nit haben erschlagen. Schau! wer des Glücks vil haben thut, Das die alten Weiber teglich ausschreyen, Der köm palt umb Leib, Er und Gut. Drumb. Gsel, thu dich diser drey Stück verseyen! Zur selben Zeit ist das ,Glück der alten Weiber' auch sonst sprw. belegt (z.B. ,Zimmerische Chronik' II, S.346), Joh. Fischart (II, S. 117 f.)* In der Sicht der frz. Sprache ist es schlechthin zum dt. Glück geworden. Wenigstens erzählt das im Jahre 1787 Johanna Schopenhauer in dem erst nach ihrem Tode hg.,Jugendleben' (I, 83): „Die Franzosen pflegten spottend zu behaupten, daß wir Deutschen, wenn irgend jemand etwa ein Bein gebrochen hat, ihn immer noch glücklich preisen, weil er nicht zugleich den Hals brach, was doch leicht hätte geschehen können. Sie nennen das Le bonheur allemand. Leugnen läßt es sich nicht: Diese Bemerkung, die, obenhin betrachtet, nichts weiter als ein artiger witziger Einfall zu sein scheint, ist auf eine tief i'm Charakter unseres Volkes liegende, sehr schätzenswerte Eigenheit begründet, die uns treibt, auch dem schwersten Mißgeschick irgendwie eine leidliche, einigermaßen Trost gewährende Seite abzugewinnen". Lit.: A. Wesselski: Le bonheur allemand, in: Erlesenes (Prag 1928). S. 40-45; G. Heilfurth: Glückauf! Gesch., Bdtg. und Sozialkraft des Bergmannsgrußes (Essen 1958). Glückshaube. Mit der Glückshaube geboren sein: vom Glück begünstigt sein. Die Rda. bezieht sich auf den recht seltenen Vorgang bei der Geburt, daß die Embryonalhaut oder Teile derselben am Neugeborenen hängenbleiben. Diese Haut wurde analog zum Organzauber im Volksglauben dem Glückszauber nutzbar gemacht. Sie wird als zum Kind gehörig betrachtet und hat selbst dann noch, wenn sie von ihm getrennt ist, teil an seiner Lebenskraft. Das Erscheinen der Glückshaube wird allg. und keineswegs nur in Dtl. als gutes Vorzeichen angesehen. Zahlreich sind die Bez. für diese Erscheinung, so schon mhd. ,hüete- lin', und ,westerhuot\ daneben ,batwät‘ (Badegewand), ,afterhäutlein\ ,vasel- borse\ ,kindbälgel', ,kindfei', ,kindsburt- lin\ ,westerwat'; jünger ist der Name ,westerhemd', der sich wie ,westerhuot' an einen Vergleich mit der Taufkleidung anschließt, ferner die Bez. neueren Datums: ,Glückskäppele', ,Labhäublein', ,Wehmutterhäublein', ,Kindsnetzlein', Kapuze'. Gelegentlich finden sich auch kriegerische Namen, wie ,Helm\ ,Sturm- haub', nord. ,Sieghaube', ,Sieghemd'; vgl. ndl. ,met de heim geboren zijn'; frz. ,il est né (tout) coiffé'; engl. ,he is born with a caul'. 1714 sagt der Ochsenfurter Stadtphysikus Seitz: „man vermeint / daß diejenigen Kinder ... die mit einem Helmlein oder Labhaublein / wie man es nennet / auf die Welt gebohren / Zeit Lebens glückseelig leben werden. Darauf sich aber nicht zu verlassen; dann die Erfahrung das Widerspiel bringt" (,Trost der Armen', 84). Lit.: HdA. III, Sp. 890-894, Art. ,Glückshaube1 von Bargheer. Glückstopf. In den Glückstopf greifen: in der Lotterie gewinnen. Der Topf, in dem sich die Lose befanden, hieß früher Glückstopf, z. B. wurde in Leipzig 1498 ,ein Glückstopf auf getan'. So greift auch Schel- muffsky auf dem Markus-Platze in Venedig in einen Glückstopf. Johannes Praetorius nannte seine Sammlung abenteuerlicher Erzählungen, die 1669 gedruckt wurde, ,Der Abentheuerliche Glückstopf'. Lit.: F. Karlinger: Der abenteuerliche Glückstopf. Märchen des Barock (München 1965). Gnade. Gnade vor Recht ergehen lassen. Offenbar hat es schon frühzeitig ein Rechtssprw. gegeben, wonach Gewalt gnädig sein soll. Wir lesen bei Freidank: ,Swä richer man gewaltic sî, Da soi gnade wesen bi', und wir dürfen mit Singer annehmen, daß es schon vor Freidank ein Sprw. mit diesem Gedankeninhalt gegeben hat, etwa in der Form: ,Gewalt ziemt wohl Gnade' (ähnl. Ulrich von Lichtenstein, ,Frauendienst'), ,oder Gewalt soll Gnade han' (so die ,Appenzeller Chronik' 1478). ln gedanklichem Zusammenhang damit steht das Lehnsprw. ,Strenges Recht ist das 335
Gnadenbrot größte Unrecht' und der Satz ,Eitel Gnade ist die größte Ungnade', von dem wir freilich nicht wissen, ob er sprw. ist, ferner die Wndgn., daß die Gnade den Vorgang habe vor dem Recht, und schließlich der ebenfalls einem Sprw. gleichende Satz ,Es ist besser zuviel Gnade, denn zuviel Strafe', was wir alles bei Luther lesen (Luther, Auslegung des 101. Psalms, Werke 51, S. 206). Die uns gewohnte Form ,Gnade geht vor Recht' hat die ,Zimmerische Chronik' (IV, S.314): „die gnade gehet furs recht“. All das reimt sich sehr wohl mit der großen und weitverbreiteten Bdtg. zusammen, die die Gnade, das Richten nach Gnade, das Gnadenbitten im älteren dt. Strafrecht gehabt haben; ebenso lit., insbes. die schöne Stelle über die Gnade bei Shakespeare,,Kaufmann v. Venedig' IV, 1. Man braucht aber keineswegs nur an die Gnade im Strafrecht zu denken, sondern auch an Gnadenbeweise, die der König seinen Getreuen angedeihen ließ (nach Weizsäcker, S.310). Eine schöne, aber kalte und liebeleere Frau ist ein Bild ohne Gnaden, im Gegensatz zu dem Muttergottesbilde, zu dem man betet: ,Du bist voller Gnaden'; /Bild. Lit.: K. Beyerle: Von der Gnade im dt. Recht (1910); K. Schué: Das Gnadebitten in Recht, Sage, Dichtung und Kunst, Zs. d. Aachener Geschichtsvereins 40 (1918); Weizsäcker: Volk und Staat im dt. Rechtssprw., in: Aus Verfassungs- u. Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, 2 Bde. (Lindau u. Konstanz 1954/55), Bd. I. Gnadenbrot. Jem. das Gnadenbrot geben: aus Mitleid den Lebensunterhalt geben; gemeint ist hier die Unterstützung, die man alten, erwerbsunfähigen Menschen für den Rest ihres Lebens zusichert. Betagte Menschen sind häufig auf die Barmherzigkeit ihrer Kinder angewiesen, sie müssen das Gnadenbrot essen. Mit Bitterkeit vermerkt schon der Talmud (3.Jh.): „Wer das Gnadenbrot seiner Nächsten essen muß, dem verfinstert sich die Welt“, ln einem Gedicht Gottfr. Aug. Bürgers (,Mannstrotz', 1788) heißt es: Solang' ein edler Biedermann Mit Einem Glied sein Brot verdienen kann, So lange schäm’ er sich, nach Gnadenbrot zu lungern! Doch tut ihm endlich keins mehr gut, So hab’ er Stolz genug und Mut, Sich aus der Welt hinaus zu hungern. Vgl. auch das Sprw.,Gnadenbrot schmeckt bitter'. Die Rda. wird auch auf Tiere (bes. Pferde) angewendet, die dem Menschen jahrelang treu gedient haben. Gnadenstoß. Jem. den Gnadenstoß geben: die Qualen eines Menschen oder Tieres durch schnelle Tötung abkürzen; die Rda. geht wohl auf die ma. Praxis zurück, nach der der Henker den Leiden eines Gefolterten durch einen raschen und gezielten Degenstich ein Ende bereitete. Sie hat in die Jäger- und die Soldatensprache Eingang gefunden, wo man wegen der heute ge- bräuchl. Waffen jetzt allerdings häufiger vom ,Gnadenschuß' spricht. Vgl. ndl. jemand (iets) de genadeslag geven', frz. ,donner le coup de grace à quelqu'un', engl. ,to give a person the stroke of mercy' oder ,the death-blow'. Im übertr. Sinne sagt man heutzutage von einem Ereignis oder auch von einer Bemerkung, die einen Menschen dazu bringt, daß er seine Fassung verliert: ,Das hat ihm den Gnadenstoß gegeben': bes. hart getroffen, niedergeschmettert, zur Aufgabe gezwungen. Vgl. ,jem. den /Rest geben'. Godersprech. Als Godersprech: als ob, gleichsam, anscheinend, als ob er sagen wollte; in zahlreichen mdal. Varianten (gottsprich, gottwohlsprich, goppelsprich, goppekeit, gottsamtkeit, sam goggala u. v. a. m.) in fast allen Teilen Dtl.s gebräuchl. ,Gott‘ gehört urspr. in diese Rda. nicht hinein, sondern ist mißverstanden aus kode, Konj. des ausgestorbenen Verbums quëdan = sagen, sprechen; mhd. koden oder quëden. Verwechslung von ,kod‘ und ,Gott' konnte vor allem da leicht eintreten, wo sich g und k mdal. kaum unterscheiden. Dem Urspr. der Rda. am nächsten steht heute noch altenburgisch ,als gott her', eine direkte Fortsetzung von ahd. ,als kod(e) er' = als ob er spreche. Ein tieferer Eingriff in die urspr. Gestalt der Rda. ergab sich später dadurch, daß der Begriff des Sprechens aufgefrischt wurde, da das veraltete Verbum quëdan nicht mehr verstanden wurde. So entstand die heute ge- 336
Goldschmied bräuchl. tautologische Bildung, in der man im 15. Jh. kot als ,Gott' mißverstand. Eine andere Gruppe von Formeln, wie Schweiz, und bair.-oesterr. gottmerchit, gottikait, enthalten die Nebenform chit, kait zu quëdan = sprechen. Lit.: G. Franck: Godersprech und Verwandtes, in: Zs. f. dt. Mdaa., 3 (1908), S. 289-302. Gold, golden. Jem. mit Gold aufwiegen, häufiger jem. nicht mit Gold aufwiegen körnten. Die Rda. geht wohl letztlich auf ein Plautus-Zitat zurück (,Bacchides' V.640): „Hunc hominem decet auro expendi". Ähnl. auch (obwohl meist nur iron, gebraucht): ,Man sollte ihn in Gold einrahmen (fassen)', gelegentlich auch mit dem witzigen Nachsatz: ,... er kann nur das Klopfen nicht leiden'. Dem Feind goldene Brücken bauen / Brücke, goldene Berge versprechen ZBerg, den goldenen Mittelweg einschlagen /Mittelweg. Lit: A. Taylor: ,All is not gold that glitters1, in: Romance Philology, XI (1958), S.370-371. Goldschmied. Denken wie Goldschmieds Junge. Die Herkunft der Rda. ist noch nicht geklärt, obwohl ihr Sinn deutlich ist; sie drückt eine derb-unhöfliche Absage aus, etwa wie .Rutsch mir den Buckel runter!' oder ,1. m. i. A.‘ (/'Arsch). Die Rda. ist eine Art ,Götz-von-Berlichingen-Wndg.' des 17. und 18. Jh. und muß sich auf eine evtl, nur lokal erzählte Geschichte von einem Lehrling der Goldschmiedekunst beziehen, die aber noch nicht nachgewiesen ist. Zum Umkreis der Rda. gehört vielleicht die folgende Erzählung: Ein Goldschmid zu N. hatte Anno 1618 einen Lehrjungen/mit Nahmen Vestel (sonsten Sylvester) ein Außbund eines Schalcks/zu disem kompt auff ein Zeit ein grober bayerischer Baur/mit etlichen Lo- then Bruchsilbers/der sprach zu ihm mit sehr lauter vnd starcker Stimm: Mein Jung wo ist dein Herr? der Jung verwundert sich deß schreyens/vnd sagt: Was begehrest du deß Herrn? Der antwortet: Ich wolt ihm diß Silber zukaufen geben. Da sprach der Jung: Ey mein lieber Baur/ich besorg/du könnest nicht mit dem Herrn reden/dann er hörte sehr iibel/vnd du must nur überlaut schrey- en: Ey laß mir ihn hergehen/sagt der Baur/ich wils Maul schon weit gnug auff- thun. Da gieng der schalckhafftig Jung hin- auf/vnd sagt dem Herrn/wie daß ein Baur vor dem Laden wär/so etlich Loth Silber zuverkauffen hätte/jedoch so hörte dersel- bige gar übel/mößte deßwegen der Herr laut mit ihme reden. Der Herr glaubet dem Jungen/gehet hinab/will dem Bauren das Silber abkauffen/hebt gantz laut an zuschreyen: der Baur aber noch mehrer/ also/daß die Nachbauren allenthalben zu Läden vnnd Fenstern heraußschawten/ theils auch gar herzulieffen/dann sie vermeinten nicht anderst/dann dise zwen haderten miteinander/da nun solches der Goldschmit sahe/ward er zornig/vnd sprach zum Bauren: Ey/wie schreyest du so grewlich/du Narr/meinst/daß ich so übel höre/als du? Wie? sagt der Baur/ich höre nicht so übel/wol/hat mich ewer Jung be- richtet/daß ihr nicht wol hörend. Da sähe der Goldschmid den Jungen an/welcher sich deß lachens nicht enthalten möcht/der sprach: ey secht doch wie der Stuckschelm in die Faust lacht/nahme darmit einen Riemen von der Wand/vnnd wolt den Jungen ansalben/aber derselbig machet sich auß dem Staub. Weit von dannen/ist Schutz frey (Johann L. Talitz: Viel vermehrter kurtzweiliger Reyßgespan, Wien 1663, Nr. 89, S. 145-147). In Philander von Sittewalds ,Satyrischen Gesichten' (Frankfurt 1645) heißt es in dem Gesicht ,Ratio status' (3,5): Gar fein und lieblich redt die Zung, Das Herz denkt wie des Goldschmieds Jung. Grimmelshausens ,Simplicissimus' (1669) bringt zwei Belege (S. 139 u. 347):, Jedoch stellete ich mich viel anders, als mirs ums Hertz war bedanckte mich zumal auch sehr vor seine erwiesene Treuhertzigkeit und versprach, mich auff sein Einrathen zu bedencken, gedachte aber bey mir selbst, wie deß Goldschmieds Junge". Bei Ernst Meisner: ,133 gotteslästerliche schändliche etc. Sprichwörter und sammt derselben Widerlegung' (Jena 1705, Nr. 24) finden wir: ,lch dachte wie Goldschmieds Junge unddas Mädchen in der Hölle'. In den ,Getichten‘ J.F. Riederers von 1711 heißt es (S. 124): 337
Goldwaage Zu dem du bist zu klug, als daß dich solches kränkt, Zu höflich, als daraus so vieles Gifft zu ziehen. Du lassest andre gern mit Sticheln sich bemühen, Inmittelst doch dein Herz wie Goldschmieds Junge denkt. ,Ich bin ein Goldschmieds-Jung, deswegen rede ich fein die teutsche Wahrheit, wie es an sich selbst ist1 (Fr. Sambelle, ,Wolausge- polirte Weiber-Hächel4, 1714, S.53). Es gibt sodann mehrere Belege in Volksliedern des 17. und 18. Jh.; z.B. Ich laß michs nit irren Noch laß michs verwirren, Ich rede und lache, Sag: Lache darzu! Laß singen und sagen, Thu nichts darnach fragen, Ich denk mir oft heimlich Wie’s Goldschmieds sein Bu\ (F. W. v. Ditfurth: Deutsche Volks- u. Gesellschaftslieder, 1872, S.275). Die Wndg. ist also seit der Mitte des 17.Jh. lit. und volkstümlich häufig bezeugt, ist aber auch noch heute in der Volkssprache lebendig, z.B. schwäb. ,Der hat gesagt wie’s Goldschmieds Junge und entlief der Lehre4 oder ,Ich denk mein Teil, saits Goldschmieds Junge4; köl. ,Dä denk wie Joldschmitsjung4. Die Rda. findet sich auch im eis. Wb.: ,Er hets gemacht wie des Goldschmieds Jun7 ger4, er hat auf eine heikle Frage oder auf eine Anschuldigung geschwiegen, er blieb auf eine beleidigende Herausforderung die Antwort schuldig. Fragt man nach dem Sinn der Rda., so erhält man zur Antwort: ,’s Goldschmieds Junger het nix gsagt, het awer denkt: du kanst mich../; vgl. auch Wndgn. wie: ,An dem Orte, wo Goldschmieds Junge wollte geküßt sein4. Damit stimmt auch der Rat überein, den schon der Leipziger Poet Henrici (Pican- der) erteilt (,Ernst- und Schertzhafte und Satyrische Gedichte4 1732,3,537): Daher wenn eine falsche Zunge Dir deine Wahl vor Übel hält, So denke nur wie Goldschmieds-Junge: Es ist genug, daß dirs gefällt. Etw. gröber deutet er die Gedanken des Goldschmiedsjungen in einem anderen Gedicht (S. 549) aus: Oft werden die Gemüther hitzig, Wenn sich der falsche Neid entrüst. Und wie der Ermel meistens spitzig Und sehr bequem zum stossen ist, So spricht man zu dergleichen Leuten: Küßt mich im Ermel recht mit Macht! Und das will eben das bedeuten, Was jener Goldschmied hat gedacht. Sogar in den Schlager ist Goldschmieds Junge eingegangen: ,Mach’s wie Goldschmieds Jung, der Jung war schlau4... Lit.: C. Müller: Goldschmieds Junge, in: Zs. f. hd. Mdaa. 4 (1903), S.8-9; Müller-Fraureuth I, S.429L; J. Boite: Ich denke wie Goldschmieds Junge, in: Zs. f. dt. Wortf. 11 (1909), S.302f. Goldwaage. Die Goldwaage war früher eine empfindliche Waage zum Abwägen von Goldmünzen. Seine Worte (nicht) mit der Goldwaage wägen (oder auf die Goldwaage legen): seine Worte (nicht) genau prüfen, ob sie nicht etwa kränkend oder sonst befremdend wirken. Das Bild findet sich schon bei den Römern: In einem Fragment des Varro (Buch2, Ausg. Bücheier Nr. 419) kommt der Ausdr. in der Form „unumquodque verbum statera auraria pendere44 (ein jedes Wort auf der Gold- ,Auf die Goldwaage legen1 waage wägen) vor. Cicero ,De oratore4 (II, 38, 159) sagt: „aurificis statera... examinantur44 (sie werden auf der Waage des Goldarbeiters geprüft). In die dt. Umgangssprache ist die Rda. aber durch Luthers Bibelübers. von Sir. 21,27 und 28,29 gekommen: „Du wägest dein Gold und Silber ein; warum wägest du nicht auch deine Worte auf der Goldwaage?44 Seit dem 16. Jh. ist die Rda. dann oft belegt; gebucht ist sie 1639 bei Lehmann S.953 (Zweif- 338
Gott, Götter fei27): ,,Mancher wigt alles auf der Goldwag, vnd so das Gewicht gleich stehet, so weiß er doch nicht, was er wehlen soi44. Bismarck gebraucht die Wndg. (Reden 3, 302): ,,Weil ich nicht glaubte, daß die Formfrage so genau auf die juristische Goldwage gelegt werden würde, wie es schließlich geschehen ist“. Goethe hat die Rda. in Sprichwörtlich1 geistreich ergänzt: Das Glück deiner Tage Wäge nicht mit der Goldwaage. Wirst du die Krämerwaage nehmen, So wirst du dich schämen und dich bequemen. Görgen /Georg. Gosse. In der Gosse kommt der ganze Straßendreck zusammen. Daran haben sich einige Rdaa. angeschlossen: jem. durch die Gosse ziehen: ihm übel nachreden; jem. aus der Gosse auflesen (ziehen): ihn seiner Verkommenheit entreißen ; in der Gosse enden: verkommen; in der Gosse liegen: heruntergekommen sein; sich in der Gosse wälzen: sich im Schmutz, in der Verkommenheit wohl fühlen; aus der Gosse kommen: zweifelhafter Herkunft sein. Alle diese Rdaa. dürften frühestens seit dem 19. Jh. geläufig sein, denn Gosse in der Bdtg. von ,Straßenrinne1 ist nicht vor 1775 bezeugt. Gott, Götter. Einige hierhergehörige rdal. Wndgn. beziehen sich auf Bibelstellen: So Gott von defi Fiißen nehmen; /Bart. 1. Kor. 4,19, Hebr. 6,3 und Jak. 4,15. Von Gott geschlagen (Jes. 53,4); von Gott gezeichnet (nach l.Mos. 4,15; vgl. Jes. 49,16); von Gott verlassen (Ps. 8,6). Mann Gottes! steht 5.Mos. 33,1 und sonst noch sehr oft im A.T. (/gottlos). Groß ist die Zahl der rdal. Beteuerungsformeln, in denen Gott genannt (oder auch durch eine Umschreibung vermieden) wird (vgl. ,ins Bockshorn jagen1), z.B. Bei Gott! oder Bei Gott und allen Heiligen! Da schlag Gott den Teufel tot!: Ausruf des Erstaunens. Du bist wohl ganz von Gott verlassen!: Ausdr. des Unwillens, des Erstaunens. Gott hab ’ ihn selig; Gott laß ihn ruhen von einem Verstorbenen, bes. zur Verbrämung übler Nachrede. Leben wie Gott (wie der liebe Herrgott) in Frankreich: ohne Sorgen, herrlich und in Freuden leben (vgl. frz.,vivre comme Dieu en France1). Nach der ,Revue des deux mondes4 ist hier mit Gott die frz. Geistlichkeit des MA. gemeint, der es außerordentlich gut ging. Das ,Spruchwörterbuch4 von Lipperheide (S.496) gibt an, der Spruch stamme von Kaiser Maximilian I. (reg. 1493-1519), nennt aber leider keine Quelle dafür. In Zincgref-Weidners ,Apophthegmata4 (Leipzig 1693) ist dieser angebliche Ausspruch Maximilians wiedergegeben: „Als er (MaximilianI.) auf eine Zeit gar vertrauliche Gespräch hielte mit etlich seiner Leuten von einem und anderem Land und Königreich, fället er unter andern auch dieses Urteil: ,Wenn es möglich wäre, daß er Gott sein könnte und zween Söhne hätte, so müßte mir der älteste Gott nach mir und der andere König in Frankreich sein4.44 Dieser Satz hat im Munde des Kaisers einige Wahrscheinlichkeit, denn manche ähnl. Aussprüche sind von ihm überliefert; gerne verglich sich Maximilian mit dem König von Frankreich, den er wegen seiner ,gottähnlichen4 absoluten Herrschaft beneidete. Freilich trägt die Überlieferung anekdotenhafte Züge. Die Rda. wird sonst gewöhnlich aus der Zeit erklärt, wo Gott in den ersten Jahren der Republik in Frankreich abgesetzt, wo der Kultus der Vernunft an die Stelle des Christentums gesetzt war. Damals habe der liebe Gott in Frankreich nichts mehr zu tun, nichts zu sorgen gehabt, und so sei zwischen 1792 und 1794 für einen, der es sich bequem macht, die Rda. aufgekommen, die darauf abzielt, die Dinge in Frankreich zu persiflieren. Der Vernunftkultus dauerte in Frankreich kaum länger als ein Jahr; dann ließ Robespierre wieder das Dasein eines höchsten Wesens dekretieren (Mai 1794). Damals schrieb Pfeffel die Verse: Darfst, lieber Gott, nun wieder sein. So will’s der Schach der Franken. Laß flugs durch ein Paar Engelein Dich schön dafür bedanken. Weniger wahrscheinl. ist die Erklärung, daß man von einem, der herrlich und in Freuden lebt, auch sagt ,Er lebt wie ein Gott4, oder ,Er hat ein Leben wie ein junger Gott4. Der Zusatz ,in Frankreich4 sei nur eine Steigerung dieses Ausdr. und erkläre sich daher, daß es sich nirgends so gut leben 339
Gott, Götter lasse wie in dem schönen Frankreich. Vielleicht liegt aber auch eine Vermischung der beiden älteren Rdaa. vor: ,leben wie ein Gott' und ,leben wie ein Herr in Frankreich4. Aus dieser Rda. erklärt sich auch sehr wahrscheinl. die in Wien übliche scherzhafte Erwiderung auf die Klage, daß Gott so etw. zulassen könne: ,Gott ist nicht zu Hause, er ist in Frankreich4. Auch ,lit. Belege der Rda. gibt es4, z.B. in Heinrich Heines ,Reisebildern4 (II.Teil): ,,Man lebt in lauter Lust und Pläsir, so recht wie Gott in Frankreich44. Er weiß nicht, wo Gott wohnt: er ist dumm; ähnl. auch in denMdaa.: ndd. ,Hei weit von Gott un de Weid nix4, er ist ein beschränkter Mensch; ,he weit von Gott un sien Steenstraat nix af4; ,dei glöwt nich an Religion un Gott un Vater4 und ähnl., rhein. ,Dat es eine Gott (Jott) un ei Gebott (Jebott)4, eine dicke Freundschaft, enge Gemeinschaft, eine Meinung. Dies ist gleichbedeutend mit der anderen rhein. Rda. ,ene Gott on ene Pott4. Gott einen strohernen Bart flechten: religiöse Dinge unehrerbietig behandeln; als Heuchler seine Gottlosigkeit mit dem Mantel der Frömmigkeit zudecken ; vgl. frz. ,faire barbe de paille à Dieu4.,Barbe4 dürfte Entstellung aus ,jarbe4,,gerbe4 sein und die Rda. sich auf die frühere Abgabe des Zehnten an die Geistlichkeit beziehen, bei der oft kornlose Garben in betrügerischer Absicht abgeliefert wurden. Ähnl. etw. Gott vom Altar nehmen (ndl. ,hij zou het van Gods altaar nemen4) odel auch etw. Gott von den Füßen nehmen; /Bart. Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen: unbekümmert um die Zukunft dahinleben. Wer unbekümmert, sorglos und in Freuden lebt, denkt sich Gott nicht als Rachegott, sondern als friedfertigen guten Mann, der dem fröhlichen Weltkind sein Verhalten nachsieht. Die Rda. ist mdal. und lit. seit dem 18. Jh. belegt, sie erscheint 1878 bei Gottfried Keller im ,Landvogt von Greifensee4: ,,Im übrigen ließ jeder den Herrgott einen guten Mann sein44. Ähnl. in den Mdaa., z.B. rhein ,De lit Gott ene gode Mann sen4, er ist gleichgültig, träge, lebt in den Tag hinein; schlesw.-holst. ,He lett Gott ênen gôden Mann sin4, er läßt alles gehen, wie es geht; Schweiz. ,Er lod der liebe God e guete Ma si4, er lebt leichtsinnig fort. Diese weitverbreitete Rda. geht sicher bis ins 18. Jh. zurück und wird bei Gottschalk als Übers, für das frz. ,laisser courir Peau (par le plus bas)4 angesehen, obwohl die gleiche Rda. worth auch im Dt. vorkommt: Er läßt Gottes Wasser über Gottes Land gehen, mdal. ,He lött Gotts Water öwer Gotts Land laupen4; ,den lit Gottes Wasser iwer Gottes Buadem lofe4, ndl. ,Hij laat Gods water over Gods akker loopen4. Ähnl. dem lieben Gott die Zeit (ab)sfehlen: müßig gehen. Gott sei's gepfiffen und getrommelt! (oder gelobt, getrommelt und gepfiffen): Gott sei Dank! Eine burschikose Verlängerung und Vergröberung der alten Formel ,Gott sei Dank!4 (lit. 1867 bei Moritz v. Schwind). Laß dich nicht vom lieben Gott erwischen: geh bei deinem unehrlichen (oder sonst nicht ganz einwandfreien) Vorhaben vorsichtig vor! Die Rda. bezieht sich auf Gottes Allwissenheit (wahrscheinl. noch vor 1900 aufgekommen). Grüß Gott, wenn du ihn siehst (ihn triffst): scherzhafter Abschiedsgruß (wohl im 19.Jh. aufgekommen), wobei Gott irreführend als Akkusativobjekt aufgefaßt wird, während die urspr. Form des Grußes meint: ,Gott grueze dich!4, wiê es in der mhd. Formulierung des Grußes immer heißt. ,,Es ist bestimmt in Gottes Rat“ ist der Titel eines Liedes von Ernst Frh. v. Feuchtersieben (1806-49), vertont von Felix Mendelssohn. „Behüt dich Gott! Es wär zu schön gewesen (Behüt dich Gott! Es hat nicht sollen sein44) ist ein Zitat aus dem .Trompeter von Säckingen4 (1854) von Joseph Viktor v. Scheffel (1826-86). Verschiedene andere Rdaa. bedürfen keiner bes. Erläuterung, wie z.B. auf Gottes Boden gehen: barfuß oder in Schuhen ohne Sohlen gehen. Dem gibt’s Gott, er darf bloß das Maul auf halten: jem. erreicht etw. ohne Mühe. Den lieben Gott in die Schule nehmen wollen sagt man von jem., der alles besser weiß und namentlich auch seine Umgebung schulmeistern will. Er ist Gottes Wort vom Lande: scherzhafte Bez. eines Dorfgeistlichen. Von Gott im Zorn erschaffen: widerlich, häßlich (von Personen gesagt); was nicht schön ist, muß von Gott wohl im Zorn erschaffen worden sein (1838 340
Gott, Götter bei Heinrich Heine bezeugt). Er hat Gott im Munde und den Teufel in den Händen sagt man von jem., der heuchelt. Gott und den Teufel in ein Glas bannen: gleichzeitig zwei Herren dienen; ebenso Gott und dem Teufel ein Licht anzünden, oder Gott eine Hand bieten und dem Teufel die andere (vgl. frz. ,11 donne une chandelle à Dieu et au diable"; /Teufel); er möchte dem lieben Gott die Fiiße küssen: er ist ein Kriecher. Ein Schauspiel (Bild, Anblick) für Götter: ein bes. schöner Anblick, ln Goethes Singspiel ,Erwin und Elmire" (1,1) heißt es: Ein Schauspiel für Götter, Zwei Liebende zu sehn! Ähnl. 1883 bei Fontane. Das ,Schauspiel für Götter!" geht weit ins Altertum zurück. Die Vorstellung, daß der tapfere, mit dem Schicksal ringende Mann ein solches bietet, ist bei den späteren Stoikern beliebt. Seneca ,De providentia" (2,7 ff.) sagt von solchem Kampf mit dem Schicksal: „Ecce spectaculum dignum ad quod respiciat intentus operi suo deus"" (Das ist ein Schauspiel, wert der Betrachtung des auf sein Werk achtenden Gottes). Die Kirchenväter übernahmen das Bild ins Christliche und trugen dadurch zu seiner Erhaltung und Verbreitung bei; vgl. Cyprianus (t258), Epist. 56,8 (Migne IV, 366) und 1. Kor. 4,9: Denn wir sind ein Schauspiel worden Der Welt und den Engeln und den Menschen. Der junge Goethe dürfte sich aber wohl kaum von solchen erbaulichen Gedanken geleitet haben lassen, sondern eher an die Stelle der ,Odyssee" (VIII, 266ff.) gedacht haben, wo Aphrodite und Ares, von des Hephaistos Schlingen auf buhlerischem Liebeslager festgehalten, den Göttern ein bedenkliches Schauspiel liefern (Büchmann, S. 175 f.). Mit Gott und der Welt verwandt sein: eine große Verwandtschaft haben; Gott und die Welt kennen: viele Leute kennen. Gott helf!, helf dir Gott! Dieser Zuruf beim Niesen wird heute ganz gedankenlos getan und hat doch einmal einen bestimmten Sinn gehabt. Andere Formeln beim Niesen lauten: Schweiz. ,Helf dr Gott in Himmel ufe, wenn d' Zit nahe ist"; ,helf dr Gott is ewig Lebe"; scherzhaft schwäb. ,Helf dr Gott von Siinda, vom Geald kommscht von selber!"; vgl. frz. ,Dieu te bénisse". Den auf Gott bezogenen Nies-Wünschen antwortet man nicht nur mit dem alltäglichen ,Danke", sondern in gesetzter Form, würdig dem eigentl. Segenswunsch. Bes. feierlich und altertümlich ist: ,Das tüe Gott, helf is Gott aliéné"; ,danke, helf-is Gott alle is ewig Lebe im Himmel". Die Sitte, jem., der niest, Glück, Gesundheit und Gottes Segen zu wünschen, ist, wie zahlreiche Darstellungen zeigen, uralt und weit verbreitet. Sie läßt sich bei außer- europ. Völkern ebenso aufzeigen wie bei uns, in der Antike ebenso wie in der heutigen Zeit, ln den rdal. Formeln wirken allerlei Vorstellungen nach, warum man dem Niesenden Glück wünscht. Allen diesen Ansichten liegen, wie Sartori ausführt, zwei gegensätzliche Glaubensvorstellungen zugrunde: einmal die, daß beim Niesen etw. Dämonisches oder etw. vom Seelenstoff des Menschen aus ihm herausfahre; zweitens die, daß etw. Böses in ihn hineingeraten könne. Wie auch immer die glaubensmäßigen Grundlagen gewesen sein mögen, heute handelt es sich nur noch um rdal. erstarrte Formeln, die aus Höflichkeit gebraucht werden. Unbewußt mag vielleicht dabei, wie bei allen Wünschen, die sehr persönliche Absicht mitschwingen, dem Niesenden wirklich zu Segen und Gesundheit zu verhelfen. Zum Teil werden diese Wünsche mit spaßhaften rdal. Zusätzen erweitert, denen meist die bildhafte Vorstellung zugrunde liegt, der Niesende solle die Stube verlassen, das Weite suchen, sich im Himmel aufhalten und hier auf Erden nicht mehr stören, z. B. Schweiz. ,Helf dr Gott in Himmel ufe, so chunsch-mer us der Stube use", oder ,Helf dr Gott ins Paradiis, so chunsch de Lütte ab dr Spiis", oder ,Helf dr Gott in Mehlsack ie, daß chast wiiss i Himmel ie". Im euphemist. Sinne sagt man ,Helf dr Gott is Grab", worauf die rdal. Antwort lautet ,Helf dr Gott o drii, ohni dii chame o sii". Solche Erweiterungen sind sicher nicht als Spott aufzufassen, sondern sie wollen vielleicht das Altertümliche, beinahe Feierliche, das in den religiösen Formeln zum Ausdr. kommt, abschwächen. Man mindert ihren Wert herab, denn man möchte doch nicht als fromm oder gar 341
Gotteslohn als altväterisch erscheinen. Der ältere Wunsch ist durch den jüngeren ,Gesundheit1 abgelöst worden. Auch dieser Wunsch wird gelegentlich spaßhaft erweitert: ,Gsundheit isch au guet bim Hueste4. Das aus dem lat. stammende Wunschwort prosit4 i. S. v. ,es soll nützen4 und das entspr. dt. ,Zum Wohl4 ist nicht so häufig. Lit.: W. Unseld: Der Herrgott in schwäb. Sprww. und Rdaa., in: Alemannia (Bonn 1892), Jg. 20, S.290-293; P.Saintyves: L’éternuement et la bâillement dans la magie, l'éthnographie et le folklore médical (Paris 1921); P.E. Schramm: Der König in Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. bis zum 16.Jh. (Darmstadt 1960); HdA. VI, Sp. 1072ff.; Atlas der Schweiz. Vkde. II, S. 241 f. und der dazugehörige Kommentar von W. Escher. Gotteslohn. Um (einen) Gotteslohn arbei- ten:nicht um einen Lohn, wie ihn Gott gibt, sondern den Gott geben soll statt des Menschen, der zunächst lohnen sollte; umsonst, also indem der Arbeiter entlohnt wird mit einem bloßen ,Vergelt’s Gott!4. ,,Und solcher verdient ein groß Gotteslohn, patriae et amicis consulit44 (,Facetiae facetiarum4, 1645, S.458). Gottlieb Schulze. Das ist mir Gottlieb Schulze: das ist mir völlig gleichgültig. Küpper (I,S. 139) vermutet hinter dieser Rda. eine noch nicht identifizierte Person dieses Namens, die um 1900 irgendwo zur Sinnbildgestalt der Gleichgültigkeit geworden sein mag. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß wir es bei,Gottlieb4 und ,Schulze4 mit zwei urspr. anders und offenbar drastischer lautenden Wörtern zu tun haben, die euphemist. umgeprägt wurden; ähnl. Vorgänge lassen sich nämlich auch anderweitig beobachten (vgl. z.B. ,jem. durch den /Kakao ziehen4). gottlos. Der Rest ist für die Gottlosen; die Gottlosen bekommen den Rest (auch die Neige), sagt man im Scherz, wenn in einer Gesellschaft beim Einschenken von Wein, Bier oder auch beim Verteilen des Essens für den letzten nur noch ein kleiner Rest übrigbleibt; ndd. ,Die Gottlosen kriegen de Barm4 (Hefe, Bodensatz); obersächs. auch ,den Gottlosen machen4, den letzten Rest aus der Schüssel essen. Die Rda. ist bibl. Ursprungs und geht zurück auf Ps. 75,9, wo es heißt: „Denn der Herr hat einen Becher in der H and und mit starkem Wein voll eingeschenkt und schenkt aus demselben; aber die Gottlosen müssen alle trinken und die Hefen aussaufen44. Mit ,Hefe4 ist hier der Bodensatz, die Neige gemeint (/Hefe). Dazu das gereimte Gegenstück: An die Frommen Soll die Neige kommen (vgl. engl. ,the rest for the best4). Gottes Gaben erscheinen im A. T. oft unter dem Bilde eines Trankes; Ps. 60,5: ,,Du hast uns einen Trunk gegeben, daß wir taumelten44; Jes. 51,17: „Wache auf, stehe auf, Jerusalem, die du von der Hand des Herrn den Kelch seines Grimmes getrunken hast; die Hefen des Taumelkelches hast du ausgetrunken und die Tropfen geleckt44, vgl. auch Jes. 51,22; Jer. 8,14; Kap. 25,15 reicht der Herr dem Jeremias den „Becher Weins voll Zorn44 zum Ausschenken an alle Völker. Grab. Sich im Grab umdrehen, z.B. ,Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüßte4, das ist nicht im Sinne des Verstorbenen. Die Rda. ist seit dem 18.Jh. lit. belegt (Geliert, Lessing), dürfte aber sicher wesentlich älter sein, denn sie geht auf alte und - nicht nur bei primitiven Völkern - noch heute lebendige volksglaubensmäßige Vorstellungen zurück, wonach die Autorität der Vorfahren gebietet, möglichst wenig von dem zu verändern, was von den Toten geschaffen oder gebraucht wurde. Die heute als grotesk-komisch empfundene Wirkung der Rda. wird dadurch erzielt, daß sie von einem rationalistischen Standort aus mit der irrealen Möglichkeit der alten Vorstellung vom lebenden Leichnam rechnet. Sich selbst das (sein) Grab graben (schaufeln): an seinem eigenen Untergang arbeiten. Mit einem Bein im Grabe stehen /Bein; /Grube. Graben. Noch nicht über den Graben sein: noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden, noch nicht gewonnenes Spiel haben; seit dem 16. Jh. belegt. Man gebraucht die Rda., um jem. vor allzu kühnen Hoffnungen zu warnen, während es noch Schweres zu bewältigen gibt. 342
Gras Granat(e). In einem Lustspiel von Heinrich Clauren (1817) begegnet die Wndg. „Wahrscheinlich andern ehrlichen Leuten die Uhren in tausend Granaten zu zerschlagen“. Ob dieser Vergleich und ebenso die Rda. zu tausend Granatstückchen (Gra- natbißchen) zusammenhauen (kurz und klein schlagen) auf die mit Samenkörnern gefüllte Frucht des Granatapfels oder auf das im 17. Jh. danach benannte Sprenggeschoß zurückgeht, ist nicht geklärt. Auf das Geschoß bezieht sich der rdal. Vergleich voll wie eine Granate (auch granatenvoll^); wie die Granate bis zum Äußersten mit Bleikörnern gefüllt ist, so ist es der Bezechte mit Alkohol. Gras. Gras wächst auf etw.: dieser Ausdr. beruht auf der Vorstellung, daß auf wenig oder gar nicht genutzten Flächen Gras wächst. Zunächst wird er ganz wörtl. gebraucht: 1540 schrieb Luther (,Briefe4 9,115 WA.): „Gnediger Herr! Ich habe lange nicht umb ettwas gebeten, ich mus auch einmahl kommen, das die Strasse der Vorbitte nicht zugar mit Grase vorwachse“. Später findet die Wndg. im übertr. Sinne Eingang in die Lit.: 1861 Holtei (,Erz. Schriften1 5,35): „Sämmtliche Portrait- zeichner am Orte haben traurige Ferien; es wächst dem Winter zum Trotze Gras auf ihren Brettern44. Verwandt ist Das Gras wächst ihm auf dem Herde: es steht schlimm mit seiner Küche. Frz. ,L’herbe croît chez eux4 (Gras wächst bei ihnen), man hat sie im Stich gelassen, niemand geht mehr hin, es sieht schlimm bei ihnen aus. Darüber ist (das) Gras gewachsen sagt man rdal. von einer längst vergessenen bösen Geschichte oder von einem alten Zank, der längst aus dem Gedächtnis gelöscht ist. Die Entstehung des Vergleichs wird deutlich aus Lehmann (905, Widerwertig 14): ,,Wer große Stümpff will auswurtzeln, der verderbt das Geschirr, und thut sich selbsten wehe, es ist besser, man läßt das Gras darüber wachsen44. Man kann eine allmähliche Entwicklung vom worth zum übertr. Sinn dieser Rda. verfolgen. Wörtl. gemeint ist sie noch 1541 bei Seb. Franck ^Sprichwörter4 1,36a): „Drumm ist die best Schwi- ger..., die einn grünn Rock an hat..., das ist, uff dero Grab Grasz wechst“ oder 1605 bei Petri (,Die Teutsch Weiszheit4 Gg 8a): „Grosse Stöcke soi man auszschleiffen, und grobe Leger Wende (festes Gestein) versenken, unnd begraben, unnd lassen Grasz darüber wachsen“. Ein Übergang zu deutlich übertr. Sinn findet sich dann schon 1669 bei Grimmelshausen (,Simplicissimus4 295): „(Ich) bat beydes meinen Schweher und den Obristen, dasz sie vermittels der Militiae das Meinige zu bekommen unterstehen wolten, ehe Gras darüber wachse44. Zeitlich später liegen schließlich die Beisp. übertr. Verwendung: ,Dt. Erzähler d. 18.Jh.‘ (Fürst): „Alle drei gingen bald hierauf nach Italien, um über diese Geschichte Gras wachsen zu lassen“. 1852 Brentano (Ges. Schriften 5,13): „Herr Schwab ... ermahnte mich, im Stillen meine Ansprüche auf das Ländchen Vaduz fallen und Gras über diese kahlen Phantasien wachsen zu lassen44. In der Ggwt. hat man die Rda. scherzhaft erweitert; Wenn über eine dumme Sache Nun endlich Gras gewachsen ist, Kommt sicher ein Kamel gelaufen, Das alles wieder ’runterfrißt. Rhein, sagt man ,Do weßt en Brambeere driwer4 (da wächst ein Brombeerstrauch darüber), das gerät in Vergessenheit. Da wächst kein Gras mehr. Zugrunde liegt die Vorstellung, daß auf vielbetretenen oder verwüsteten Plätzen kein Gras wächst; zunächst noch oft in wörtl. Anwendung: 1622 Lehmann (,Floril. Polit.4 I, 284): „Da jedermann gehet, waechst kein Grasz4 (vgl. engl. ,in market grows no grass or grain4). Mit gezielt abwertender Bdtg. 1715 bei Pistorius (,Thes. Paroem.4 1077): „Auf dem Weg, darauf viel Leute gehen, wächst kein Grasz“ - im Hinblick auf Dirnen; (entspr. engl. ,There grows no grass, at the market cross4 - eine Schmähung auf die Unfruchtbarkeit der Huren; frz. ,à chemin battu il ne croît d’herbe4). Die Prägung wird sehr häufig rdal. gebraucht im Hinblick auf Verwüstungen und Gewalttaten, die einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zur Folge haben; 1662 bei Präto- rius (,Philos. Colus4 85): „Das kein Gras wachsen soll, wo der Türke hinkömt“ (vgl. engl. ,Where the Turk’s horse once does tread the grass never grows4). 343
Gras Eine andere Ursache des Nichtwachsens findet sich in Murners ,Narrenbeschwörung1 (Ndr. 185): Wa Gensz hin schyssen, als ich hör, do waszt kein griin Grasz nymmermer. Ferner in Verbindung mit dem alten Volksglauben, daß nie wieder Gras wächst, wo Teufel, Geister, Hexen hingetreten haben (vgl. HdA. Ill, Sp. 1115); 1668 Präto- rius (,Blockes-Berges Verrichtung' 331): „(Die Hexen) tantzen auch den Boden oder auch das Erderich offtmahls so tieff hinein ..., dasz weder Laub noch Gras mehr daselbst wechst“. Wo der hinhaut, da wächst kein Gras mehr: er schlägt tüchtig zu; von Berlin aus verbreitete Rda. Noch weiter bildl. gesteigert bei Scheffel (1907,,Ges. Werke' II, S.80): „Cappan war übel zugerichtet. Auf einem Rücken, den alemannische Fäuste durchgearbeitet, wächst jahrelang kein Gras“. Der rdal. Vergleich Es bekommt ihm wie dem Hunde das Gras, geht davon aus, daß sich der Hund übergibt, wenn er Gras gefressen hat; gesagt von jem., der sich durch unvernünftige und verwerfliche Handlungen selbst schadet, sich in irgendeinem Sinne übernimmt, z.B. 1510 bei Geiler von Kaisersberg (,Granatapfel' B3d): ,,Nym dir ain leer von dem hund. der ist ain unvernünftig thier. Wenn er etwas schedlichs in seinem leib innwendig empfindet, so iszt er grasz, dadurch er von jm auswirft und seinen gesund wieder gehaben mag“. Luther (,Werke', 20,334 WA.): „(Der Satan) frist den Christum und verschlinget in, aber es bekompt im, wie dem Hund das Gras“. Goethe (IV, 3,142 WA.): „Die große Welt ist mir bekommen gestern wie dem Hunde das Gras“. Kein Gras unter den Fußen wachsen lassen. Diese Rda. beruht auf der Vorstellung, daß Gras zum Wachsen Zeit braucht und währenddessen nicht gestört werden darf. Bdtg.: man gönnt jem. keine Ruhe, oder: jem. ist sehr fleißig. Die Rda. ist engl, etwa 160 Jahre früher belegt als in Dtl.: ,No grass grows on his (my) heel'. In Dtl. ist sie 1716 zuerst belegt bei Dentzler: „Kein Grasz einem unter den Füssen wachsen lassen: non permittere otium alicui“. Ähnl. sagt man schwäb. von einem schnell gehenden, rastlos tätigen Menschen: ,(Er) laßt sich kei Gras unter de Füß wachse'. Jer. Gotthelf (,Sämtl. Werke', 14,81): „Hans Joggi und Anne Marei... gehörten noch der alten Schule an, wo man das Gras nicht unter den Füßen wachsen, die Kelle nicht an der Pfanne kleben ließ“. Einem das Gras unter den Füßen wegschneiden: jem. eines sehr naheliegenden Vorteils berauben, ihm etw. vor der Nase, vom Munde wegnehmen (vgl. frz. ,couper l’herbe sous le pied à quelqu’un'; engl. ,cut the grass (ground) (from) under a person’s feet') ; ndl. Jemand het gras voor de voeten wegmaaien'. Das Gras wachsen hören: sehr scharf hören, dann: sich äußerst klug dünken. Die Rda. wird abschätzig und iron, auf einen Überklugen bezogen. Sie ist zum erstenmal 1488 belegt in der Städtechronik (Nürnberg) 3,133: „Der was als witzig, dass er sach das Gras wachsen, und het geerbt von Salomon all seine Weisheit und von Aristoteles alle Subtilligkeit“. Heinrich Bebel gibt 1508 die Rda. in lat. Form (Nr. 85): „Ille audit gramina crescere; dicitur in eos, qui sibi pru- dentissimi videntur". 1539 bucht Tappius (Nr. 34): „Scit quomodo Jupiter duxerit Junonem. Erhört auch das Graß wachsen“; 1541 Seb. Franck (1,78): „Er hört die flöh huosten, das graß wachsen“. In seiner ,Todten-Capelle' (28) schreibt Abraham a Sancta Clara: „Er hört das Gras in den Eli- sischen Feldern wachsen, und die schwindsüchtigen Flöh, in Seraglio zu Constanti- nopel, biß auf Paris, husten“. Ritzius bringt im ,Florilegium Adagiorum' (Basel 1728, S.614) sogar die Steigerung: „Er hört das Gras wachsen, den Klee besonders“. In Bürgers Gedicht ,Der Kaiser und der Abt' von 1785 heißt es: Man rühmet, Ihr wäret der pfiffigste Mann, Ihr hörtet das Gräschen fast wachsen, sagt man. Andere Ausdrücke, um Überklugheit zu verspotten, sind: ,die Spinnen weben hören', ,die Mücken zur Ader lassen können'; siebenb. heißt es ,E hirt de Kripes (Krebse) nesen'. Lehmann führt S.914 (Witz 11) an: „Witz ist nicht blind und sihet doch nicht... hÖrts Gras wachsen, die Flöh hupffen, die Mücken an der Wand niesen“. Von Heimdall, dem treuen Wächter der Götter, er¬ 344
Gras zählt die Jüngere Edda1 (,Gylfaginning\ Kap. 27): „Er bedarf weniger Schlaf als ein Vogel und sieht bei Nacht ebensogut wie bei Tage hundert Meilen weit. Er kann auch hören, daß das Gras auf der Erde und die Wolle auf den Schafen wächst, sowie überhaupt alles, was einen Laut von sich gibt“. Wachsen wie das Gras im Winter: schlecht zunehmen; von den Leipziger Universitätstheologen wird schon 1502 gesagt: „Also wachsen unsere Theologi wie das Gras im Winter“. Auf dem letzten Gras gehen: dem Tode nahe sein (vgl. ,auf dem letzten /’Loch pfeifen1). 1541 schrieb Seb. Franck (,Sprichwörter 2,57‘): „Alles Volk lief zum Pischof Jadduch, der war nun auch ein vast alt Man, ging auf dem lesten Gras“. Bei Aventin (,Bayer. Chron.* 5/7, 49b) heißt es: „Was soll ich aber sagen von etlichen alten und betagten Priestern, welche mit ihrem eignen Alter ringen, und albereit auf das letzte Gras gehen und dennoch der Unkeuschheit dermassen seind ergeben“. Die Rda. wird aber auch von jem. gesagt, der wirtschaftlich zugrunde geht, so bei Hans Sachs (12,439): Unserm Junckherr widerfert gleich das. Er geht jetz auff dem letzten Gras. Die Schuler wollen nimmer bey im singen, Die Fronboten umb sein Hausz sich dingen. Das Gras von unten betrachten: gestorben sein. Ausgehend von der Vorstellung, daß der im Sarg Begrabene sich unterhalb der Erdoberfläche befindet und das Gras sozusagen aus der verkehrten Perspektive anse- hen kann. Heute im Volksmund gebraucht in der Form: ,die Radieschen von unten an- sehen (bekieken)\ vgl. frz.,manger les pissenlits (Pherbe) par la racine1 (den Löwenzahn bzw. das Gras bei der Wurzel anfangen aufzuessen); engl. ,going to grass with his teeth upwards* (mit nach oben gerichteten Zähnen zu Grase gehen). Durch Gras und Stroh (Korn) gehen: sich in einem Vorhaben durch nichts behindern lassen. 1842 schreibt Möser (,Sämmtl. Werke4 3,23): „Wenn sie (die böse Welt) an einer Person, die auf alles Anspruch macht, die auch denen von höherem Stande Vordringen will, und durch Gras und Korn geht, wenn sie nur glänzen kann, alle Fehler aufsucht**. Schlesw.-holst. ,He is’n Kerl, de mit een dör Gras un Stroh geit*, auf ihn ist Verlaß. Den will ich Gras fressen lehren: jem. zur Ordnung rufen, ihm Anstand beibringen, ihm die eigene Meinung aufzwingen; vgl. ,Den will ich /Mores lehren*, ,dem will ich die /Flötentöne beibringen*. Ins Gras beißen: im Kampf fallen. Die Wndg. gebrauchen wir heute schlechthin für ,sterben* (vgl. ,das Zeitliche segnen*, /zeitlich) und gerade hierbei zeigt sich das Verblassen des urspr. Bildes bes. auffällig, wenn z.B. niemand den Widerspruch merkt bei einer Erzählung etwa von dem Heldentod einer Schar tapferer Seeleute, die sämtlich ,ins Gras beißen* mußten. Es handelte sich mithin um eine Verallgemeinerung des Soldatentodes auf dem Festlande. Lit. z.B. bei Lessing in dem 87. Sinngedicht auf den Lupan: Des beissigen Lupans Befinden wollt ihr wissen? Der beissige Lupan hat jüngst ins Gras gebissen. ,1ns Gras beißen1 Die Rda. kann nicht getrennt werden von rom. Rdaa. wie frz. ,mordre la poussière* (worth: in den Staub beißen); ital.,mordere la terra*; span. ,morder la tierra*. Im Dt. ist an die Stelle von Erde und Staub auffallenderweise das Gras getreten, was die Erklärung dieser viel gedeuteten Rda. sehr erschwert hat. Die Rda. findet sich zuerst im 13.Jh„ hat aber dort noch nicht den Sinn von ,sterben*, sondern wird von Schafen gebraucht, die weiden, bedeutet also soviel wie ,Gras fressen*. In der Bdtg. ,sterben* kommt sie erst im 17.Jh. bei Opitz und 345
Gras Olearius vor. Bei Olearius (,Persianischer RosenthaP 1,19) heißt es: ,,Viel haben müssen in der Frembde Hungers halben ins Grasz beißen/dasz man nicht weisz/wer sie gewesen seynd: Ihrer viel sterben umb denen keine Thränen vergossen werden“. Es läge nahe, zwischen den Worten ,Hungers halben1 und ,ins Grasz beißen4 einen Zusammenhang herauszufinden und diese Stelle zur Erklärung der Rda. zu verwenden, etwa in dem Sinne, daß man annimmt, ,ins Grasz beißen4 sei urspr. von Menschen gebraucht worden, die in größter Not wie die Tiere Gras essen und erst allmählich von der Todesgefahr auf den Tod selbst ausgedehnt worden (so auch Wander, s. Gras). Die Stelle bei Olearius berechtigt indes zu einem solchen Schlüsse nicht, zumal andere Stellen, die auf diese Erklärung hinweisen, nicht bekannt sind. Unserem ,ins Gras beißen4 entspricht engl. ,to go to grass4, das sonst von Tieren i. S. v.,weiden4, ,auf die Weide gehen4 gebraucht wird, gerade wie unser ,ins Gras beißen4 bei seinem ersten nachweislichen Vorkommen im 13. Jh. Neben .to go to grass4 gebraucht der Engländer i. S. v. ,sterben4 auch ,to go to the ground4, ,do bite the ground4 und ,to bite the dust4, also die rom. Rdaa. (vgl. ndl. ,in het zand bijten4). Man hat die Rda. bisher auf vierfache Weise zu erklären versucht; einmal mit der sog. Notkommunion. Es war im MA. üblich, daß Menschen, denen durch Mord oder im Kampf ein schneller Tod drohte, Erdbrocken ergriffen und sie statt des Leibes Christi als letzte Wegzehrung zu sich nahmen. Es wird auch Öfter erzählt, daß Laien Sterbenden, denen das heilige Abendmahl nicht mehr gereicht werden konnte, Erdbrocken in den Mund steckten, in der Überzeugung, daß die Wirkung dieselbe sein werde wie beim Genüsse des Sakraments. In dem Gedicht von ,Meier Helmbrecht4 wird erzählt, daß die Bauern dem Räuber, den sie an den Baum hingen, einen ,,brosemen von der erden44 gaben, „zeiner stiuwer (Steuer) für daz hellefiu- wer“. In dem Lied von der Ausfahrt des Riesen Ecke wird berichtet, daß Ecke einen verwundeten Ritter fand, dem er einen Brocken Erde in den Mund gab mit dem Wunsche: Der glaub der werd an dir volleyst (vollendet) Für das hellisch e fewre, Gott Vatter, Suon, heyliger Geyst Kum deiner seel zu stewre, Das dir der hymmel sey bereyt. Ähnl. wird erzählt in den Gedichten von der Ravennaschlacht und von Wolfdietrich. In einem altfrz. Gedicht auf die Schlacht von Roncevalleswird von dem Helden Olivier berichtet, daß er, zum Tode verwundet liegend, drei Grashalme genommen habe, um damit für sich das heilige Abendmahl zu feiern. Statt der Erdbrocken werden also auch Grashalme erwähnt. Diese Erklärung ist jetzt wohl allg. mit Recht aufgegeben worden. Grashalme werden bei der Notkommunion nur äußerst selten erwähnt, so daß es ganz unwahrscheinlich ist, daß sie Anlaß zu einer sprw. Rda. gegeben haben sollten. Die zweite Erklärung geht davon aus, daß das Wort ,beißen4 nichts anderes ist als mhd. beizen, ahd. beizen = abstei- gen, dann auch soviel wie unterliegen. In mhd. Epen wird öfters erzählt, daß ein Ritter ,in daz gras erbeizt4, d.h. vom Pferde absteigt (beizen heißt eigentl.: essen lassen, also: um das Pferd fressen zu lassen, ins Gras absteigen), z.B. Heldenbuch 442,28: da beist wolfdietreiche da nider in das gras und 361, 18: er beiste von dem rossen hin nyder auff das lant. Dieses ,beißen4 ist später Gebrauch für erheizen4 der gebildeten mhd. Lit. So heißt es z.B. im .Nibelungenlied4 Str. 200,3: Dô si in hêt empfangen, er si hiez üf daz gras erbeizen mit den frouwen, swaz ir da mit ir was. Aber weder erbeizen noch das in gleichem Sinne verwendete beißen wird in charakteristischer Weise mit Gras in Verbindung gebracht, ja, das Gras fehlt oft gerade da, wo wir es am ersten erwarten müßten, wenn die Rda. auf dieses ,erbeizen4 zurückginge, nämlich, wo es sich um im Kampf Verwundete oder Getötete handelt, wie z.B. im Nibelungenlied4 32,7: ,,In dem starken sturme erbeizte manec nider von den rossen44. Sprw. Rdaa. pflegen nicht auf mißverstandene Worte zurückzugehen. Hier ist 346
Grazie das um so unwahrscheinlicher, als ,beißen4 für ,erbeizen4 doch nur ausnahmsweise und gewiß nur dialektisch gebraucht wurde. Die dritte Erklärung'ist hergenommen von der Tatsache, daß tödlich verwundete Krieger häufig im letzten Todeskampfe Sand, Erde oder Gras mit dem Munde erfassen. Dafür beruft man sich auf zahlreiche Stellen in der Lit. von Homer an. So ruft z. B. Agamemnon (,Ilias4 II, 412ff.) den Zeus an: Laß doch die Sonne nicht sinken und sende nicht früher das Dunkel, Ehe nicht niedergerissen des troischen Königs verrußtes Deckengebälk und das Tor mit loderndem Feuer beschüttet, Eh’ nicht des Hektor Gewand an der Brust ich in flatternden Fetzen Riß mit dem ehernen Speer und um ihn viele Gefährten Häuptlings gestürzt in den Staub, den Sand mit den Zähnen zu beißen!44 Und im 19. Gesang (V.61) heißt es: ,,Ehe so viel Achäer den Staub mit den Zähnen gebissen“. Ähnl. sagt Vergil (,Aeneis4 XI, 418): „procubuit moriens et humum semel ore momordit44, (X,489): ,,et terram hostilem moriens petit ore cruento44, und Ovid (^Metamorphosen4 IX,61): „arenas ore momordi“. Daraus sind die rom. Rdaa. ,mordre la poussière4 u.a. entstanden. Auch gegen diese Erklärung scheint zu sprechen, daß nur äußerst selten in dem erwähnten Falle vom Grase die Rede ist. Erde und Staub sind leicht verständlich, Gras nicht in demselben Maße. 4. Deutung: R. Pischel glaubt den Urspr. der Rda. in einem Brauche zu finden, der sich praktisch bei allen idg. Völkern findet, nämlich in der Sitte, in bestimmten Fällen Gras in den Mund oder in die Hand zu nehmen. Pischel sagt: Für Indien steht ganz fest, daß ,ins Gras beißen4 nicht ,sterben4 bedeutete, sondern im Gegenteil ein Mittel war, um sich bei Lebensgefahr vor dem Tode zu retten. Aber wer ins Gras biß, gab damit zu erkennen, daß er mit seinen Kräften zu Ende war und sich fremder Gewalt überließ. Das Gras war das Symbol der Schwäche und des Schutzheischens. Statt in das Gras zu beißen oder es in den Mund zu nehmen, nahm man es auch in die Hand wie bei den Römern, Germanen, Slawen, und bei den Indern das Schilfrohr. Man könnte versucht sein anzunehmen, daß der Ausdr. von den Kriegern im Kampfe allmählich auf alle Menschen überhaupt ausgedehnt worden sei, die ,mit dem Tode ringen4. Dafür bringt Pischel Belege aus der indischen Lit., wo das Gras als Zeichen der Unverletzlichkeit galt. Aus dem Sinn: Ich beiße ins Gras, d.h. ich bin mit meinen Kräften zu Ende, und der Vermischung mit einer Rda. wie frz. ,mordre la poussière4 habe sich die heutige Bdtg. entwickelt. Doch befriedigt auch diese Deutung nicht völlig. Das Begräbnis unter dem Rasen, das ja auch sprw. ist, wird jedenfalls noch nicht zur Erklärung der Entstehung der Rda. ausreichen. So wird man sie noch am ehesten wohl als naturalistische Schilderung des Verhaltens zu Tode getroffener Krieger auffassen dürfen. Lit.: E. Hoffmann-Krayer, in: Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen u. Lit., Bd. 117, S. 142; L. Günther: Wörter und Namen, S.45; R. Pischel: Ins Gras beißen, in: Sitzungsberichte der Kgl. Preuß. Akademie d. Wissenschaften 23 (1908), S.445-464; Seiler: Sprichwörterkunde, S. 233; Richter-Weise, Nr.67, S.69-71. grau* Alles grau in grau malen: etw. pessimistisch darstellen, durchgehend negativ beurteilen; hinter dieser Rda. ist weder irgendeine bestimmte Maltechnik zu suchen, noch verbergen sich dahinter bestimmte Volksglaubensvorstellungen. Die Rda. ist recht jung und wird bes. auf die Beurteilung einer politischen Lage und ökonomischer Zustände angewandt. Graupen. Große Graupen (auch Raupen) im Kopf haben: sich mit hochfliegenden Planen tragen, große Erwartungen hegen (vgl.,Grütze4,,Rosine4). Schles. ist bezeugt ,Er ist ein richtiger Graupenzähler4, ein Geizhals; ähnl. ,Erbsenzähler4 (bei Grimmelshausen), ,Kümmelspalter4, ,Kaffee- bohnenzerbeißer4. Grazie. Die Grazien haben nicht an seiner Wiege gestanden: sie haben ihm nicht die Eigenschaften als Patengeschenk verliehen, wodurch sie sich selbst auszeichnen, Anmut und Liebreiz. Gewöhnlich braucht 347
Griebe, Griefe man diese kaum ins Volk gedrungene, sondern fast nur lit. Rda. nicht nur, um diesen Mangel angenehmer Gaben auszudrücken, sondern geradezu, um einen häßlichen oder groben, unhöflichen Menschen zu bezeichnen. Goethe verwendet das Bild in den Worten Tassos zur Prinzessin (,Tasso' 11,1): Doch, haben alle Götter sich versammelt, Geschenke seiner Wiege darzubringen? Die Grazien sind leider ausgeblieben, Und wem die Gaben dieser Holden fehlen, Der kann zwar viel besitzen, vieles geben, Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn. Außerdem nennt Goethe den griech. Lustspieldichter Aristophanes einen „ungezogenen Liebling der Grazien“. Diese Bez. ist später auf Heinrich Heine übergegangen. Griebe, Griefe. Grieben, ndd. Grêben, sind würfelförmige, ausgebratene Speckstückchen. Bei Luther findet sich die Rda. „Eine gute griebe auff meinen kol“, es nützt meinem Vorhaben (Thiele Nr.239). Dazu eine heute noch geläufige südd. Wndg. ,Dem ist auch wieder e Griebe ins Kraut gfalle', ihm ist unverdientes Glück widerfahren. Geiler von Kaisersberg gebraucht die Redewndg. ,von allem die gryeben wollen1, immer das beste Teil haben wollen. Die Griebe spielt auch in volkstümlichen Vergleichen noch eine gewisse Rolle, so schwäb. ,Der ist unruhig wie die Grieb in der Pfanne', ,dem steigg d’Hitz wie d’ Griebe in der Pfann\ er wird schnell zornig. Griebe bez. außerdem, bes. in den Mdaa., die Überreste eines Hautausschlages am Munde von Kindern. Daher scherzhaft Du hast Griefen genascht (gegessen, gestohlen): du hast einen Ausschlag am Mund, ober- sächs. ,Du hast in den Griefentopf geguckt'; deutlicher schwäb. ,Der ist ge Griebe stehle gange, da ist ihm eine am Maul hange bliebe'. Griff. Etw. im Griff haben (auch mit dem Zusatz wie der Bettelmann die Laus): es aus Gewohnheit richtig machen, wie z.B. der Handwerker soundso viele Handbewegun¬ gen und Griffe bei seiner Arbeit tausendmal am Tage ohne Nachdenken richtig ausführt. Urspr. ist bei der Rda. freilich meist an die ,Griffe' des Musikers gedacht worden, so 1530 bei Luther: „Nicht gewissers haben sie jr lebtag gehabt, denn solche jre eigen Weissagung, sie hattens am griffe wie die fiddeler“; ebenso bei dem Dichter Jörg Wickram (tum 1560): „wie luthenschla- gen hab ichs im griff“. Griffe kloppen (klopfen): am Gewehr exerzieren. ,Klopfen' bezieht sich auf das feste Zugreifen und Zuschlägen mit den Händen. Der soldatenspr. Ausdr. ist auch auf das erotische Gebiet übertr. worden und meint dann: ein Mädchen abtasten (20. Jh.). Grille. Grillen (haben) fangen.-launisch, eigensinnig, mißvergnügt sein, auch: unter Langeweile leiden und sich wunderlichen Einfällen hingeben, sich die Zeit mit unnützen Dingen vertreiben. In einer Aesop. Fabel hat die Wndg. noch reale Bdtg.: Eine Grille wird gefangen und auf ihre Bitte wieder freigelassen.,Grille', die Bez. für eine kleine Heuschreckenart, wird erst seit dem 16. Jh. in übertr. Bdtg. gebraucht für Laune, närrische Handlung, Schrulle. Sie wird in übertr. Sinne nicht unmittelbar mit dem Namen des Tieres in Zusammenhang gebracht, sondern als eine Anknüpfung an lat. grilli = Gebilde der Groteskmalerei erklärt, eine Bdtg., die erst durch humanistische Kreise des 16. Jh. bekanntgemacht worden sein kann. (Hübner im Dt. Wb. Bd. 4, 1. Abteil. 6, Sp. 318ff. u. Kluge - Götze, S. 280). Dieser ältere Gebrauch des Wortes findet sich aber nur bei Joh. Fischart: Ja malen selsam grillen dar Wie die Welt gar à retours fahr (,Die Gelehrten d. Verkehrten' 331,10). Bereits im 16. Jh. ist das Wort ,Grille' in der Rda. vom Volksbewußtsein mit dem Tier (Heimchen) identifiziert und in die Nähe anderer Wndgn. gerückt worden, so z. B. bei Seb. Franck (,Sprichwörter' 1541,60): „er hat vil hummeln, mucken, tauben, meusz oder grillen im kopff“. Lit. ist die Rda. seit dem Ende des 17. Jh. häufiger bezeugt, wobei der Zusammenhang mit dem Tiernamen deutlich ist, wie 348
Grille die folgenden Belege zeigen: ,,Ich will lachen... andre mögen Grillen fangen!" (Christian Günther [1735] Gedichte, 179); „Wer wird bei vollen Flaschen die Stirn in Falten ziehn und magre Grillen haschen" (Wieland, Idris, 1,Teil. V.66); ,,Ich habe über dieses Gedicht einige Grillen gefangen" (Lessing); „Fang eine Grille ein, die klüger singt" (Hebbel: Siegfrieds Tod\ IV, 6). Die Rdaa. Von Grillen geplagt werden und Grillen im Kopfe haben weisen auf die Vorstellung von Grillen als Krankheitserregern hin. Man sprach sogar von einer ,Grillenkrankheit\ die den Menschen quälen konnte (vgl. HdA. Ill, Sp. 1164f., Artikel ,Grille' von Riegler). Auch Grimmelshausen gebraucht in seinem Simplicissimus' (III, 135) eine ähnl. Wndg.: Wiewol ich dieses Possens halber Noch lange hernach grandige Grillen im Capitolio hatte. Daman auch davon spricht, daß ,einem die Gedanken durch den Kopf schwirren4, daß ,einem der Kopf brummt' oder daß es ,bei jem. im Kopfe rappelt', mag dabei die Empfindung gewisser Blutbewegungen im Kopfe auch der Anlaß zum Vergleich mit Schwärmen von kleinen, unangenehmen Tieren im Kopf gewesen sein. Eines der ältesten Zeugnisse für diesen Sprachgebrauch bringt die ,Zimmerische Chronik' (1,121) aus der Ursperger (um 1220): „Marchiam quoque Anconae et principatum Ravennae Conrado de Lützelhardt contulit, quem Italici Muscam-in-cerebro nominant eo, quod plerumque quasi demens videretur". An anderer Stelle (111,244) heißt es: „so im dann die dauben ussgeflogen". Noch heute sagt man ähnl. im Ndd. ,sik bunde vügel (hoffärtige Gedanken) in den kopp setten', und in Thüringen heißt ein eigensinniger, widerspenstiger Mensch ,Mottenkopf‘. Lehmann (442, Kopff 31 ) schreibt ebenso in diesem Sinne: „Wer Mäuss im Kopff hat, dem muß man ein Katz drein setzen, wer Tauben hat, dem muß man sie abfangen, wer Mücken hat, dem muß man mit Mückenpulver verhelfen: aber Narren wollen sie stracks mit Schwertern und Degen vertreiben". Auch Schnaken, Schnurren und Schnickschnack (lustige Einfälle) gehören hierzu. Henrici sagt von einem Mädchen mit Zahnschmerzen: Fiekchen hat im hohlen Zahn Ein halb Schock wilde Hummeln und von einem mit Staatsgeschäften Überbürdeten heißt es: Da muß der Kopf nicht anders sein Als wie ein Bienenschwarm. Haller warnt: Und wer aus steifem Sinn, mit Schwermuth wohl bewehret, Sein forschend Denken ganz in diese Tiefen kehret, Kriegt oft vor wahres Licht und immer helle Lust Nur Würmer in den Kopf und Dolchen in die Brust. In Ifflands Jägern' (111,8) sagt die Wirtin von Anton: „Es ist ein junges Blut, und wenn denen die Ratte durch den Kopf läuft Auch heute noch kommen andere kleine Tiere in der Wndg. vor, z.B. kann man Motten, Mücken (obd. Mucken), Hummeln oder Raupen im Kopfe haben. Das HdA. (Ill, Sp. 1166 f.) verweist aber auf die bes. ungünstige Bdtg. der Grille hin: namentlich das Gezirpe der Grille gilt im Volksglauben als tod- und unheilkündend. Vgl. auch in gleicher Bdtg. ital. ,avere de’ grilli per il capo' und frz. ,avoir des cigales en tête'. In Schlesw.-Holst, aber steht Grille kaum für das Insekt, sondern für wunderlicher Einfall, Laune, z.B. sagt man dort: ,De April heft Grill' und: ,Em stiegt de Grillen to Kopp', er wird zornig. Einern eine Grille ins Ohr setzen, gleichbedeutend mit ,einem einen /Floh ins Ohr setzen'. Sich die Grillen aus dem Kopf schlagen: be¬ 349
Groschen wußt die trüben Gedanken vertreiben, guter Laune sein, vgl. schles. ,Schlag der de Grillen ossem Hête* (Haupt). Die ähnl. Rda. (jem.) die Grillen vertreiben ist seit dem ausgehenden 17. Jh. belegt, z.B. bei Abraham a Sancta Clara im Judas* (IV, 330), und wird meist ebenfalls im Sinne des Tiernamens aufgefaßt. Im 17.Jh. entwik- kelte sich aber auch die bes. Bdtg. von Grillen zu trübseligen Gedanken, grundlosen, der Einbildung entsprungenen Sorgen, die manchen Rdaa. vom Vertreiben, Verscheuchen und Verjagen von Grillen zugrunde liegen kann. Goethe braucht solche Wndgn. mehrmals, z.B. im ,Reineke Fuchs1: Reinekes Freunde blieben zusammen die Nacht durch und scheuchten Seine Grillen durch muntre Gespräche. Auch im ,Faust‘ (V. 1534) schreibt er: Denn dir die Grillen zu verjagen Bin ich, ein edler Junker, hier. ,Grillen vertreiben1 Stereotyp erscheint die Wndg. im Studentenlied: ,,Laßt uns fort die Grillen jagen“, und Hölty dichtet: ,,Wer wollte sich mit Grillen plagen“ (Ged. 1869, 203). Seine Grillen füttern: seinen wunderlichen Launen und Einfällen gern nachhängen und folgen, eigentl. die elbischen Geister speisen und verehren, die in Grillengestalt den Menschen plagen und ihn auf trübsinnige Gedanken bringen (vgl. Riegler, Tiernamen für Rausch, S. 196). Ein Grillenfänger sein: ein Griesgram, Sonderling sein, launisch sein, sich einer trüben Stimmung hingeben, unter hypochondrischen Einbildungen leiden, ein Misanthrop sein. Göhring (Nr. 122) weist auf die Herkunft aus dem Ndd., wo ,Grilk Laune bedeutet und nicht das Insekt bez. Auf Grillenfang gehen: selbst nach neuen Gründen für seine Launen suchen. Gottfried Keller hat sogar das 15. Kap. des III. Teils seines ,Grünen Heinrich* der ,Grillenfang1 genannt, in dem von unnützen Kritzeleien auf der Leinwand die Rede ist. Lit.: /. Manninen: Die dämonistischen Krankheiten im finnischen Volksaberglauben. Vergleichende volksme* dizinische Untersuchung, FFC.45 (Lovüsa 1922); L. Röhrich: Krankheitsdämonen, in: Volksmedizin, Probleme der Forschungsgeschichte, hg. v. Elfriede Grab- ner, Wege der Forschung LXIII (Darmstadt 1967), S. 283-288. Groschen. Bei Groschen sein: bei Verstand sein; nicht recht bei Groschen sein: nicht recht gescheit, nicht ganz richtig sein. Die Rda. istim 19. Jh. weit verbreitet und meint urspr.: kein Geld haben; in ähnl. Weise wird sie z.T. auch noch heute verwendet, z. B. Groschen haben: Geld haben, sehr auf die Groschen sein: geldgierig, geizig sein; aufs Geistige übertr. meint die Rda.: geistig unbemittelt sein. Schwäb. ,Der kriegt sein Grosche gewechselt*, er macht eine Geldheirat. Schlesw.-holst. ,He hett keen Groschen op de Naht*, er ist ganz ohne Bargeld. Endlich ist der Groschen gefallen: endlich hat er verstanden, endlich hat er es kapiert. Die junge Rda. kommt von der Verwendung eines ,Groschens* (Zehnpfennigstük- kes) zur Ingangsetzung eines Verkaufsautomaten: der Groschen muß erst fallen, ehe der Mechanismus ausgelöst wird - was dann dem Denkmechanismus gleichgesetzt wird, ln abgewandelter Form sagt man auch (20. Jh.): ,Bei ihm fällt der Groschen fix*, er begreift rasch, ,der Groschen fällt langsam*, er begreift langsam, ,der Groschen fällt pfennigweise*, ,er hat einen Groschen mit Fallschirm*, er begreift sehr langsam, ,bei ihm klemmt der Groschen*, er begreift den Zusammenhang noch nicht, ,der Groschen ist kein Stuka* (= Sturzkampfflugzeug), ich kann nicht so schnell begreifen. Grube, ln älterer dt. Sprache war Grube ein Synonym für, Grab*; daher die Rda. auf der 350
Grün TTi'ett'o? bergrüBencjan pj' *Onb bas fcfjyntmcfjfer jm ari $an * MacJ jcÇ mfn narrfjcytSocf mit Un ^9 on alten narren* MynnarrÇeyt fofjt miefjnit fin cjryf aft/$oeÇgant} vntvyf ijÆynBôfes fym von Çunbm jor -Öen jungen traej icfj Sic (cÇcllen vor ,Auf der Grube gehen1 Grabe stehen' ,Mit einem Fuß im Grube gehen: dem Tode nahe sein, noch heute z.B. in der obersächs. Mda. ,Mein Nachbar geht, fürchte ich, auf der Grube herum4, doch schon friihnhd. bei Murner (,Narrenbeschwörung4 234): ,,wie vast wir lauffen uff der grub, schenk yn“; und in Brants ,Narrenschiff4 findet sich der Reim: wie wol jeh vff der grüben gan Vnd das schyntmesser jm ars han Mag jeh myn narrheyt doch nit lan. Ebenso einen in die Grube bringen: seinen Tod herbeiführen; in die Grube fahren: sterben (vgl. Luthers Übers, von l.Mos. 37,35); jem. eine Grube graben: auf seinen Fall hinarbeiten. Die Rda. ist durch die Bibel volkstümlich geworden (vgl. Sprüche Salomonis 26,27), ist aber schon mhd., z.B. bei dem Spruchdichter Spervogel, bezeugt: Vil dicke er selbe drinne lit, der dem andern grebt die gruoben. Verbreiteter als die Rda. ist das Sprw. ,Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein4. Lit.: L. Röhrich u. Ç. Meinet Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.322. Grummet (aus mhd. gruonmät = grüne Mahd) heißt der zweite Grasschnitt, der nach der ersten Mahd, der eigentl. Heuernte, eingebracht wird. Daher kommen die obersächs. Rdaa. Sie haben Grumt gemacht, ehe sie Heu machten: sie haben eher Kindtaufe gehalten als Hochzeit; da gehfs Grumt vorn Heu weg: die jüngere Schwester heiratet vor der älteren. grün bez. in seinem urspr. Sinn das Wachsende, Frische in der Natur und steht damit im Gegensatz zum Trockenen, Welken, aber auch zum bereits Ausgewachsenen, Ausgereiften. Daher die Rdaa. ein Ding zu grün angreifen und etw. zu grün abbrechen (sächs.): eine Sache nicht zur Reife kommen lassen, etw. übereilt, unvorbereitet tun oder davon sprechen; dazu kommt die Bdtg. des kecken, unverschämten Auftretens, in der die Rda. schon 1582 in der Komödie ,Hans Pfriem4 des Hayneccius vorkommt: Ey lieber Pfaff,. und bistu kün, Und darffst es abbrechen also grün, So nimb den Pfahl aus deinem hertzen, Und steck ihn in das meine mit schmertzen. Grün im Sinne des Unzubereiteten, Rohen begegnet in der ndd. Rda. ,Dat kan ik gliks sau greun wegputzen4 als Ausdr. der Vorliebe für eine Sache. Die Bdtg. des frischen Grüns wird aus dem pflanzlichen Bereich auch in den des Menschen übertr., wo grün oft mit ,frisch4 und ,jung4 gleichzusetzen ist. Sich grün machen: sich viel Zutrauen, sich frisch zeigen; vgl. das Sprw. ,Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen4. Seit dem 17. Jh. bez. grün auch ,Unerfahrenheit4, ,geistige Unreife4, so z.B. Heu- pold (1620): ,,einen grünen, unweisen, ungerechten Narren44; daher die umgangsspr. Ausdr. ,grüner Junge4, ,Grünschnabel4 u. ä.; vgl. engl. ,greenhorn4, womit urspr. die Amerikaner die neuen Einwanderer bezeichneten, später allg. für unerfahrene Menschen gebraucht. Im 20. Jh. kam der Ausdr. ,Grünzeug4 als Parallelbildung zu Junges Gemüse4 auf, womit junge, unerfahrene Leute bez. werden; die Rda. ist auch in Luxemburg geläufig: ,esou grengt Gemeis4. ,Frisch4, unbearbeitet4 meint auch das ,griin4 in den Zusammensetzungen ,grüner Hering4, ,grüner Speck4,,grüne Häute4. Grün in der ausgesprochen positiven Bdtg. von ,gün¬ 351
Grün stig\ ,gewogen4 findet sich in der Rda. von der grünen Seite (die Herzseite); urspr. ist wohl die ,frische, lebendige Seite1 gemeint, die der Sitz der grünenden Lebenskraft ist, dann auch die günstigste, liebenswürdigste Seite' eines Menschen. Jedoch sei auch an die Farbensymbolik in der Kleidertracht des 15.Jh. erinnert sowie an die Blumensprache des MA., in der grün ausdrücklich den Anfang einer Liebe meint und in einer letzten Steigerung als Symbolfarbe für die Liebe selbst gilt; so heißt es in der ,Jagd4 von Hadamar von Laber (1335-40): Gruen anefanges meine heile wünschet dem anefange, so daz sich lieb vereine mit lieb und daz es lieblich were lange. Populär geworden ist die Rda. durch das schwäb. Volkslied aus Friedrich Silchers Volksliedern 1836 ,,Mädle ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite“ (E.B. II, 348); als frühester Beleg darf gelten ,,kum grad zu mir, mins Cordelin, sitz an die grüene siten min“ (Manuel Weinspiel 470, 1548). Die Rda. ist auch im Ndl. bekannt demands groene zijde\ im Frz. sagt man bestimmter ,s’asseoir du côté du cœur de quelqu'un4. In der gleichen Bdtg. ,günstig4, ,gewogen4, ,wohlgesinnt4, jedoch in der Regel nur verneinend, steht grün in der Rda. jem. nicht grün sein: ihm nicht gewogen sein; ndl. ,niet groen zijn op iets4. Der älteste Beleg findet sich im mhd. Passional (675, 74), in dem es von der heiligen Katharina heißt: sus gienc die edele gotes dirn so hin uf den palas, da die samenunge was gegen ir vil ungrune. Grün als Farbe, meist in Verbindung mit ,gelb4 oder ,blau4, erscheint in der Rda. Es wird einem grün und gelb vor Augen, ndl. ,Het wordt mij groen en geel voor de ogen4, wobei wohl urspr. an grün als die Farbe der Galle, an gelb als die des Neides zu denken ist; diese Beziehung wird deutlich aus einer Stelle im ,Simplicissimus4:,,... diesem ward (vor Zorn)... grün und gelb vor den Augen, weil ihn die Eifersucht ohn das zuvor eingenommen44. Ebenfalls auf die Gemütsverfassung beziehen sich die Rdaa. sich grün und gelb ärgern und vor Neid grün und gelb werden. Die Verfärbung der Haut meint die Wndg. jem. grün und blau schlagen. Von zweien, die sich streiten und sich nicht einigen können, heißt es, Sagt er grün, sagt sie gelb. ,He snackt gel mit gröne Pricken4 sagt man in Schlesw.-Holst, von einem, der hd. mit einzelnen plattdt. Ausdrücken spricht, ebenso ,He snackt gel un grön4, er spricht ein Gemisch aus Hd. und Plattdt. Sehr bekannt ist der Ausdr. ,grüne Minna4 für den Gefängniswagen; diese Farbbez. grün kann sich vom Anstrich des Berliner Wagens herleiten, jedoch darf auch ein Einfluß von rotw. grün = unangenehm, nicht geheuer angenommen werden. So ist die ,grüne Minna4 nicht so sehr äußerlich nach der Farbe benannt (obwohl diese zufällig grün sein konnte), sondern weil sie im rotw. Sinne grün ist; daß es sich wirklich um das Grün in diesem Sinne handelt, wird aus der Bez. für das Berliner Gefängnis in der Antonstraße deutlich: ,grüner Anton4. Zudem werden auch in Schwaben und in Oesterr. die Polizeiwagen als grün bez.: ,grüner August4 und ,grüner Heinrich4, Das ist dasselbe in Grün: das ist fast genau dasselbe, ähnl. wie ,Das ist /Jacke wie Hose4; die Rda. mag sich von der Gleichheit zweier Kleidungsstücke herleiten, die sich nur durch die Farbe unterscheiden. Wie diese, so stammt auch die folgende Rda. erst aus dem 20. Jh.: grünes Licht für eine Sache (eine Person): es steht ihr nichts mehr im Wege, die Person besitzt völlige Handlungsfreiheit; dieser Ausdr., der sich von der Verkehrszeichensprache herleitet, ist auch im Engl, bekannt: ,He has a green light4, er hat freie Fahrt. Eine Sache, die vom grünen Tisch aus behandelt wird, ist zwar theoretisch begründet, in der Praxis jedoch meist nicht durchführbar. Die Rda. mag von dem grünen Filzbelag kommen, der auf den Verhandlungstischen lag. Bei Mutter Grün schlafen (übernachten): im Freien, /Mutter. Auf keinen grünen Zweig kommen /Zweig; etw. über den grünen Klee loben /Klee; er ist grün Holz /Holz; ach, du grüne Neune! /neun. Lit.: O. Lauffer: Farbensymbolik im dt. Volksbrauch (Hamburg 1948). 352
Gurke Grund. Aus einem (diesem) kühlen Grunde: aus einem (diesen) sehr einfachen naheliegenden Grunde, aus einem zu verheimlichenden Grunde; die Rda. ist dem Volkslied „In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad" entnommen und zur jetzigen Form entstellt worden. Sie ist etwa seit 1900 mit ,kühl4 = leidenschaftslos, nüchtern verquickt worden. Jem. in Grund und Boden hinein verdammen: ihn völlig, heftig, mit Nachdruck verdammen. Daß die Zwillingsformel ,Grund und Boden4 hierfür ,Hölle4 gebraucht wird, läßt sich nicht beweisen; die Möglichkeit, daß sich hinter der Rda. ein alter Rechtsbrauch verbirgt, dürfte aber mit Sicherheit auszuschließen sein. Grundeis. ,Wenn ’t bi Grundeis dunnert4 gebraucht man ndd. für: niemals, /Pfingsten. Ihm geht der Arsch mit Grundeis / Arsch. Grütze = Verstand, und entspr. ,Grützka- sten‘ = Kopf, Gehirn, Verstand, ist mdal. weit verbreitet. Grütze heißen eigentl. die von den Hülsen, den Spelzen, befreiten und dann klein geschnittenen Getreidekörner; Grütze im Kopf haben: gescheit sein, ist also der Gegensatz zu ,Spreu, Stroh im Kopf haben4. Die Rda. ist sehr anschaulich, denn sie meint: wer Grütze hat, besitzt den wertvollen Kern, hat also keine haltlose Spreu im Kopfe. So deutet die Wndg. schon Joh. Christian Günther (Gedichte, 1742, S.374): „Ein Kopf, der von Natur mehr Spreu als Grütze führet44. Vgl. auch berl. ,Er hat Jrütze in’ Kopp4, er ist intelligent. Unsere Nachbarländer kennen ähnl. Wndgn.: frz. ,avoir quelque chose dans le ventre4; ndl. ,veel in zijn mars (Marktkorb) hebben4 und engl. ,to have something in one’s wallet4. Rudolf Hildebrand (Dt. Wb. der Brüder Grimm Bd.5, Sp.2342) leitet die Rda. dagegen von ,Kritz4 (zu ,kritzen4, ,kratzen4) ab; ,Kritz in der Nase4 bedeutete zunächst,Krabbeln in der Nase4, dann Verstand, Scharfsinn, Witz. Bereits Sebastian Franck brauchte öfter die Wndg. „vil Kritz in der Nasen haben44 in der Bdtg. von Schlauheit, Vorwitz, naseweises Besserwissen. Bes. in Thür. u. Sachsen sind Rdaa. wie ,Gritz oder Kritz im Kopfe haben4 häu¬ fig. Die Wndg. „weder Witz noch Kritz44 ist schon in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 belegt; die Anlehnung an Grütze = Gemahlenes wäre dann erst nachträglich erfolgt, und zwar zu Beginn des 18. Jh., denn Rädlein bringt 1711 im ,Europäischen Sprachschatz4 (415a) die Rda. weder Grütz (Gritz) noch Witz haben: weder gicks noch gacks wissen. Große Grütze im Kopfe haben: sich viel einbilden, /Graupen. Das seit dem 17. Jh. bezeugte Subst. ,Grütz- kopf4 geht auf das urspr. ,Kritz- kopf4 = kluger Kopf zurück und wurde mißverständlich in seiner Bdtg. ins Gegenteil zu Dummkopf verkehrt. Gurgel. Durch die Gurgel jagen: trinken (bes. Schnaps); ist seit dem Ende des 16. Jh. geläufig; dem späten MA. galt die Gurgel als Sitz der Trinklust. Abraham a Sancta Clara braucht die Wndg. „Das Seinige durch die Gurgl jagen44 (Judas4 II, 19). Die Gurgel (Kehle) schmieren: trinken, damit die Kehle nicht rauh wird. Jem. an die Gurgel springen (gehen): ihn heftig anfahren, meist in der Formulierung ,Er wäre ihm fast an die Gurgel gesprungen4. Gurke. Sich eine (große) Gurke herausnehmen: sich eine Freiheit erlauben, unverschämt sein; auch sich eine Gurke zuviel herausnehmen, eigentl.: aus der gemeinsamen Eßschüssel zuviel entnehmen; schon 1663 bei J.B. Schupp: „Sichbey jemandem eine Gurke zu viel herausnehmen44. In Mit- teldtl. häufig belegt, z.B. 1749 in Leipzig: „Es scheint, er nehme sich zu große Gurken raus44. So noch heute mdal., z.B. berl. ,Wat nimmt sich der Mensch for’ne Jurke raus!4; thüring. ,Das ist eine alte Gurke4, das ist nichts Neues; ,die Gurke ist alle4, die Sache ist zu Ende; schles. ,eine Gurke voraushaben4, eine Bevorzugung bei jem. genießen; schles. ,Das bringt eine saure Gurke ums Leben!4 Gurke nennt man umg. die /Nase, die pars pro toto auch für den ganzen Menschen stehen kann, z.B. sächs. ,enne putz’ge Gorke4, ein Spaßvogel, ,enne verhauene Gorke4, ein lebenslustiger, zu allen losen Streichen aufgelegter Mensch. ,Gurkenhandel4 wird im Spott für ,Hand- 353
Guss lung, Verhandlung' gesagt, so obersächs. ,Er sieht sich den Gurkenhandel eine Weile mit an'; ,da hört der Gurkenhandel auf, da hört sich doch alles auf, das geht zu weit! ,Gurkensalat' steht rdal. für eine Speise, die grober Geschmack nicht zu würdigen weiß; z. B. Was versteht der Bauer vom Gurkensalat, mdal. in Schlesw.-Holst. ,Wat fraagt de Buur na Gurkensalat' mit dem Zusatz: ,dat itt he mit de Mistfork (Heugawel)'. Der Ausdr. Sauregurkenzeit hat mit sauren Gurken nichts zu tun; er ist dem Rotw. entnommen, lautete urspr. ,zöress- und jökresszeif (von hebr. zaröt und jakrüt, jidd. zoro und joker) und bez. die Zeit der Leiden und der Teuerung. Bei ihm ist Sauregurkenzeit bedeutet: seine Geschäfte gehen z.Z. schlecht. Da das Bewußtsein um die Herkunft und die Bdtg. des Ausdr. bald verlorenging, bildete sich die volksetymol. Deutung heraus, der Ausdr. bezöge sich auf die geschäftsarmen Sommermonate, in denen die Gurken reifen und eingelegt werden. Mit diesem Verständnis hat die Sauregurkenzeit' auch ins Ndl. Eingang gefunden: ,Het is in den komkommer-tijd'. Guß. Aus einem Gusse sein: in einem Zug gearbeitet sein, ein nahtloses, einheitliches Ganzes bilden. Die Rda. ist im 19. Jh. entstanden und dem Bereich des Metallgießens entnommen. Die meisten Metallgußarbeiten wurden früher in einzelnen Teilen hergestellt und diese dann zusammengeschweißt, wobei die Nähte sichtbar blieben. Im Gegensatz dazu lobt die Rda. ein Werk, das keine Nähte erkennen läßt, einen vollkommen einheitlichen Eindruck macht. Bei dem Historiker J.v. Müller heißt es: „Schöner, was aus einem Gusse kömmt, als woran täglich geflickt wird". In übertr. Bdtg. wird die Wndg, vor allem zur Wertung lit. oder künstlerischer Werke gebraucht. gut, Güte. Gut sein (gut sagen) für jem.: bürgen. Beide Ausdrücke haben sich entwickelt aus einer alten Bdtg. von gut = sicher. Einer von ihnen findet sich schon in ,Schlampampes Tod': „Vor den Hausknecht bin ich gut, das ers nicht gesagt hat". Daraus hat sich dann die Bdtg. des kaufmännischen gut = zahlungskräftig entwik- kelt. Er hat des Guten zuviel getan: er hat übertrieben gesprochen, gehandelt usw., beschönigend für: er ist betrunken. Sich eine Güte (ein Gütchen) tun: sich’s schmecken, sich’s wohl sein lassen ; seit dem 18. Jh. bezeugt. Du meine (liebe) Güte!: Ausruf der Verwunderung, Überraschung; zerredet oder absichtlich entstellt aus der Anrufung Gottes ,Du mein Gott!' oder ,lieber Gott!1, denn Gottes Namen soll man nicht mißbräuchlich anrufen; seit dem 16.Jh. bezeugt, aber vor allem im 19. Jh. gebräuchlich (z.T. erweitert in der Form ,Meine Güte, soviel Bonbons in einer Tüte!'). Gutes mit Bösem vergelten: ist eine Rda. bibl. Urspr. nach l.Mos. 44,4 (vgl. entspr. ,Böses mit Bösem vergelten' nach Röm. 12,17 u.ö.). Jenseits von Gut und Böse ist der Titel eines Werkes von Friedrich Nietzsche (Leipzig 1886, Werke Bd.7). 354
Haar. Die Rdaa., die mit dem Wort Haar gebildet sind, beziehen sich meist entweder auf die Feinheit oder auf die Menge des Haares: haarklein erzählen (schon bei Grimmelshausen), haarscharf nachweisen, sich nicht um ein Haar bessern (schon mhd. ,umbe ein hârk: s. ,Iwein4 V. 4607 und 6063), kein Haarbreit (nicht um Haaresbreite) nachgeben, einem kein Härchen krümmen. ,,Er hett jm nicht gekrümpt ein haar44 heißt es schon bei Joh. Fischart. ,Um ein Haar4, ,bei einem Haar wäre er gefallen, . . . hätte er sich das Bein gebrochen4 usw. meint immer: fast, beinahe. Hierzu auch das rhein. Sagwort ,Um en Haar, sat de Zimmermann, do hatt e de Balken om e halwe Fuß zu kurz geschnid4. Eis. ,Mer kann dem Mann glauwe uf s’ Haar genau4. ,Er verruert sich keis Haar4 will beteuern, daß er sich gar nicht rührt (Schweiz.). Wenn man etw. nicht so genau nehmen will, sagt man: ,s'chunnt uf e Zimmermanns Haar nüd a4 (eis.); Schweiz. ,s’ chunnt nüd uf es Haar a4. Vgl. engl, ,1t will come to me straight as a hair4 (Es wird mir einleuchten so genau wie ein Haar), ,true as a hair4 (haargenau) und ,we shan’t give back a hair4 (wir wollen um keine Haaresbreite nachgeben). Das engl. Sprw. ,No hair so small but has his shadow4 deutet wieder auf die Wichtigkeit des kleinsten Details und der Exaktheit hin. Auch Haarspalterei i. S.v. Kleinigkeitskrämerei4 gehört in diesen Vorstellungskreis. Schon in der ersten Hälfte des 16. Jh. schreibt Burkard Waldis in dem Spottgedicht ,Der wilde Mann von Wolfenbüttel4 (V. 105 ff.): Eyn glatten aal beim schwantz kan halten, Vnd in vier teyl eyn härlin spalten, Das graß hört auß der erden wachßen, Steckt vier reder an eyne achßen . . . Ebenso frz. ,fendre un cheveu en quatre4 und engl. ,to split hair4. Gemeint ist damit immer Spitzfindigkeit oder Kleinigkeitskrämerei. Ähnl. Es hängt an einem Haar: es kommt auf den kleinsten Zufall an, die Entscheidung hangt von dem kleinsten Umstand ab (/Faden). An die antike Erzählung vom Damoklesschwert braucht bei unserer Rda. nicht notwendig gedacht zu werden, da Haar i.S.v. Kleinigkeit4 schon mhd. durchaus geläufig ist; ,,niht ein har44 findet sich im ,Iwein4 (V. 579) und im ,Tristan4 (V. 16537). - Haare meinen das Geringwertige auch in dem hess. Sprw. Korze Hoorn sei bale geberschd4 (kurze Haare sind bald gebürstet), d.h. eine geringe Angelegenheit ist bald erledigt; auch: karge Mahlzeiten sind bald eingenommen. Das Sprw. findet sich auch in Thomas Manns ,Budden- brocks4 und in Heinrich Schaumbergers bekannter Dorfgeschichte ,1m Hirtenhaus4. Das ist gegen die Haare (vgl. ,gegen den /Strich kämmen4): kommt von der unangenehmen Empfindung, die es verursacht, wenn man den Kamm gegen die Haare führt. Es wird von Personen gesagt, die von Widerspruchsgeist erfüllt sind. Im Solothurnischen sagt man ,Er hat d’Haar de lätz Wäg g’strählt4. Es kann aber auch bedeuten, daß er die Sache verkehrt angefangen, sich verrechnet hat oder daß es nicht seinem Wunsch gemäß gegangen ist. Die Haare stehen einem zu Berge: bez. den höchsten Grad von Schauder oder Entsetzen beim Ansehen oder Anhören von etw. Schrecklichem. In der Tat hat man bei großem Grauen ein Gefühl, als ob einem die Haare emporstiegen (daher haarsträubend). Die Rda. findet sich auch in der Bibel: ,,Und da der Geist an mir vorüberging, stunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe44 (Hiob 4,15). Auch das Altertum 355
Haar ,Sich die Haare raufen* kennt sie; Homer braucht sie in der ,Ilias‘ (24,359), und bei Vergil (70-19 v.Chr.) steht in der ,Aeneis‘ (2. Buch, V. 774): „Obstipui, steteruntque comae et vox faucibus haesit“ (ich war starr, und mir sträubt1 sich das Haar, und die Stimme versagte). Im Heinrich Wittenwilers ,Ring" (V. 5250-5255) heißt es: Bertschin dem was also we Daz im die härel giengen zperg. Im 69. Fastnachtsspiel von Hans Sachs sagt der Pfaffe: Wen ich denck an seine trowort gar. So stent mir gen perg all mein har. Bes. anschaulich findet sich das Bild in Gellerts Fabel ,Die Widersprecherin“ Ihr Haar bewegte sich, stieg voller Zorn empor Und stieß, indem es stieg, das Nachtzeug von dem Ohr. Frz. heißt es: ,Les cheveux m’en dressent à la tête\ und ndl. ,Dat is eene vervlocking, waar van de hären op het hoofd te berge rijzen\ ,Es tuet mir d’Haar lüpfe‘ bedeutet auch Schweiz.: entsetzt sein. Sich die Haare raufen: entsetzt, verzweifelt sein, urspr. eine alte Klagegebärde. Darüber lasse ich mir kein graues Haar (keine grauen Haare) wachsen: darüber rege ich mich nicht auf, darüber gräme ich mich nicht; schon 1529 von Joh. Agricola (Nr. 163) gebucht: „Laß dir kein graw har darumb wachsen, sorge nicht, trawre nicht, du wirst sonst graw“. Seb. Franck erklärt 1541: „Wer vil sorget, der wird leichtlich grau. Es geschieht aber das Grauen aus dreierlei Ursach, als: die aus Weisheit sorgen, die grauen auf dem Haupt; die um die Nahrung und zeitlich Gut sorgen, die grauen am Bart; die aber für ander Leut sorgen, die . . . Die mag man mit diesem Sprichwort warnen, daß sie ihnen kein grau Haar darum sollen wachsen lassen“. An den Haaren herbeiziehen: die Logik vergewaltigen; mit einem Argument kommen, das überhaupt nicht zur Sache gehört; z.B. wenn ein Redner absonderliche, weit abliegende Beispiele einflicht. 1649 bucht Gerlingius unter Nr. 63: „Capillis trahere. Bey oder mit den Haaren herzu ziehen". Die heutige Färbung der Rda. ,mit Gewalt1 hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Gerade weil etw. durchaus zur Sache gehört, zieht man es trotz allen Widerstandes (,mit Gewalt) an den Haaren herbei. Die heutige Bdtg. dankt ihre Entstehung der Ironie, die in allen diesen Rdaa. eine so große Rolle gespielt hat und noch spielt. ,An den Haaren herbeiziehen1 356
Haar Zur urspr. Bdtg. vgl. Hans Sachs1 Fastnachtsspiel: ,Petrus und seine Freunde auf Erden1 (363): Weil sie durch woldat von mir fliehen, Muß ichs (= sie) mit dem har zu mir ziehen. In älterer Zeit ist außerdem das feinere Gegenstück an einem Härleul heranziehen: leicht heranziehen, bezeugt, so 1541 bei Seb. Franck (1,84): ,,Man mag den willigen leicht winken. Mit eim härlin zöh man jn darzu“. 1639 bei Lehmann S.907 (Will 16): ,,Wer willig ist, den kan man leicht erbitten, mit eynem Härlein herbey ziehen“. Sich in die Haare geraten (fahren): sich streiten. Urspr. als Kampf gemeint, bei dem man sich tatsächlich an den Haaren raufte; dann bildl. übertr. auf jeglichen Streit gemünzt, auch auf den mit Worten. Dazu gehören noch die folgenden Varianten: Einern in die Haare wollen1, eine Gelegenheit suchen, Streit mit ihm anzufangen oder sich an ihm zu rächen; Schweiz. ,frömd Händ i’s Haar übercho\ gerauft werden; ,einem in die Haare wachsen1, mit ihm in Streit geraten; ,den Leuten die Haare zusammenbinden1, sich in Streit verwickeln. Die ähnl. engl. Version befaßt sich jedoch eher mit der psychischen als mit der physischen Seite dieses Gedankens. So würde man ,This fellow is beginning to get in my hair4 mit fieser Kerl geht mir so langsam auf die Nerven4 übersetzen. Diese Ausdrucksweise ist so beliebt geworden, daß sie sogar in der modernen Operette ,South Pacific1 aufgegriffen wird, wo es heißt: „Im going to wash that guy right out of my hair“. Haare lassen: zu Schaden kommen, im Streit den kürzeren ziehen, ist von Raufereien entlehnt; mit dem altgerm. Rechtsbrauch, daß der aus dem Stande eines Freien ausgestoßene Verbrecher geschoren wurde, hat die Rda. kaum etw. zu tun. Sie ist schon bei Luther bezeugt und findet sich z. B. auch in der ,Zimmerischen Chronik1 (I, 546): „Aber die Schweizer truckt ir fur- nemen hinauß, und mußt Hagenbach har lassen. Der ward enthauptet“. In Jörg Wickrams ,Rollwagenbüchlein4 von 1555 heißt es: ,,Die lagen einanderen für und für im har und konten nit miteinander gestehen“. Aus der gleichen Zeit (1523) stammt ein Schweiz, hist. Beleg: ,,Ir Verrä¬ ter von Zürich habent den Eidgenossen das har an einandern g’knüpft und lâchent jetzt durch die finger“. 1649 übersetzt Gerlin- gius unter Nr. 200 das horazische „Quid- quid delirant reges, plectuntur Achivi“ (das wahnwitzige Beginnen der Könige büßen die Achäer) mit: „Wann die Herrn einander rauffen wollen, so müssen die bawren die haar darleihen“. Anders leitet 1639 Lehmann die Rda. ab: „Wo sich der Esel walzet, da muß er Haar lassen“. Dies scheint jedoch nicht sinngemäß zu sein, denn es deutet nicht auf Kampf oder Streit hin, bes. da sich im Engl, noch eine weitere selbständige Rda. gleichen Inhalts findet: ,Where the horse lies down, hair will be found4. Das frz. Gegenstück heißt: ,11 y a laissé des plumes4, was aber möglicherweise vom Hahnenkampf abzuleiten ist. Ndl. ,Hij heeft daar haar gelaten4. - Falls ein Streit beendigt werden soll, heißt es sprw. ,Es ist besser, einige Haar lassen als den ganzen Balg verlieren*. Entspr. wird für ,Friedenmachen4: ,die Hände aus den Haaren lassen* gebraucht. Schweiz, bedeutet ,Er hät müesse Haar la4, er ist in Konkurs gekommen. ,Er läßt nicht gern Haar gehn4 sagt man von einem geizigen Mann. Wenn einer unverschämt bei Tische zugreift, sagt man von ihm, daß er ,nimmt, bis ihm d’Haar a de Fingeren abbrönne4. Nur in der Lit. des 16. u. 17. Jh. nachzuweisen ist ,har vff har machen4, Streit erregen, bei Seb. Franck einmal anschaulicher ausgedrückt als „krieg anrichten, das haar vff yhenes haar reitzen“. Das Haar steht hier urspr. als Charakteristikum für das Tier. Die Jäger unterscheiden Haarwild und Federwild; ,haar um haar handeln4 meinte den Tauschhandel mit Tieren (Schwäb. Wb. 3, 1168), Joh. Fischart erwähnt ein Gesellschaftsspiel ,har vf har4, das er wohl zutreffend von der Fuchsjagd herleitet, und so wird auch unsere Rda. sich in diesen Zusammenhang einfügen. Rupf ein Haar aus, wo keines ist: Warnung vor unnützem Unternehmen; wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren; mdal. hess. ,rob e hur aus, wu ka ies4 (Gießen). So schon mhd.: wer roufet mich, dä nie dehein har gewuohs, innen an miner hant? der hât vil nahe griffe erkant. 357
Haarbeutel Der frißt mir die Haare vom Koppe weg: er geht mich fortwährend um Geld an (ober- sächs.). Im Schwab, bez. man mit derselben Rda. einen Gefräßigen oder Heißhungrigen. Jemandes Haar loben: ihm Schmeicheleien sagen (früher geläufig, jetzt veraltet). Da blondes Haar bes. geschätzt war, sagte man auch ,Das geschieht nicht um deiner blonden (gelben) Haare willen4. Das Gegenteil davon ist kein gutes Haar an jem. lassen:ihn über alle Maßen tadeln. „Es ist kein gutes Haar an ihm“ findet sich schon bei Grimmelshausen; ebenso: ,,Bist du der Haare?44 Bist du so gesinnt? Dasselbe Haar haben: meint eine Familienähnlichkeit, Verwandtschaft; und ins Negative gewendet, wird festgestellt: ,Der Knabe hat kein Haar von seinem Vater4, entspr. Schweiz. ,kes Hörli vom Vater ha4. Bemerkenswert ist im Engl, die gleiche Wndg. bei Shakespeare (Heinrich IV.): „The quality and hair of our attempt brooks no division44 und ,, A lady of my hair cannot want pitying44. Den gleichen Zusammenhang zeigt die Feststellung: ,den Vogel erkennt man an den Federn4; vgl. engl. ,It’s all hair of the same dog4. Haare auf den Zähnen (auf der Zunge) haben: energisch sein, sich nichts gefallen lassen, rigoros sein Recht verteidigen (bes. gern von Frauen gesagt). Die Rda. ist wohl eine Weiterbildung von Ausdrücken wie ,Haare haben4, ,ein haariger Kerl sein4, d. h. sich der vollen Männlichkeit erfreuen (vgl. frz. poilu, worth = behaart, dann tapfer; im 1. Weltkrieg Name für den Frontkämpfer). Das Äußerste solcher ,Haarigkeit4 wäre, wenn sogar auf den Zähnen Haare wüchsen! Es handelt sich also um eine übertreibende Rda. Die Beziehung zur Werwolfsage, die frühere Erklärer zur Deutung der Rda. herangezogen haben, ist sicherlich irrig. Die ältere Schicht der Rda. kennt die Formulierung ,Haare auf der Zunge4; so schon ein Beleg in Seb. Francks ,Weltbuch4 (1534): ,,Es ist kein pfaff frumb, er hab dann haar auf der zungen44. Noch in Schillers ,Räubern4 (II, I) redet Franz den Bastard Hermann an: „Du bist ein entschlossener Kerl - Soldatenherz- Haar auf der Zunge!44 Ein Haar in etw. finden: eine Schwierigkeit oder Unannehmlichkeit in einer Sache entdecken, durch eine unangenehme Entdek- kung abgeschreckt werden; urspr. von der Speise, so noch heute ein Haar in der Suppe finden. Bei Grimmelshausen heißt es im ,Simplicissimus4 (4,234): ,,Weil er auch in einem Ey ein Haar finden könnte, so sollte er sagen, was dieser Tafel mangele44; bei dem Prediger Abraham a Sancta Clara: „Es gibt Koch, die so säuisch mit den Speisen umgehen, daß man zuweilen einen halben Spülhader unter dem Kraut findet und bisweilen so viel Haar in der Suppe, als hätten zwei junge Bären darin gerauft. Pfui!44, und: „Soldaten, die ein Grauen haben vor dem Streit, als hätten sie einmal ein Haar darin gefunden, verdienen nichts44, und auch: „Ich hab1 noch nie ein Haar in der Arbeit gefunden, daß mir darvor grausen sollt44 (Judasder Erzschelm4 III, 155). Anstelle der Suppe heißt es in der Schweiz auch: ,Es ist ein Haar in der Milch4 oder ,Es ist Haar unter der Wolle4, die Sache ist nicht sauber. Die engl. Version ,a hair in one’s neck4 bedeutet ebenfalls: Ärgernis verursachen; auch mit frz. ,il y a un cheveu4 ist das gleiche gemeint. Mehr Schulden als Haare auf dem Kopfe haben, sagt man wohl in Anspielung auf Ps. 40, 13, wo dies von den Sünden gesagt wird: „Ihrer sind mehr denn Haare auf meinem Haupt44. Sechs (drei) Haare in sieben Reihen: erster spärlicher Bartwuchs. Das rdal. Bild ist von dünner Aussaat hergenommen. Einem die Haare beschneiden: einem die Leviten lesen. Jm Haar ha4 heißt in der Schweiz: betrunken sein, was eis. mit geschwollene Haare haben4 (auch ,Katzenjammer haben4) ausgedrückt wird. Mit Haut und Haar ZHaut. Haarbeutel nannte man im 18.Jh. den Beutel, dessen sich die Männer bedienten, um die langen Hinterkopfhaare darin zusammenzufassen, woraus sich dann der künstliche Zopf des friderizianischen Zeitalters entwickelte. Mit dem Gewicht dieses Beutels wurde im Scherz die Empfindung des schweren Hinterkopfes verglichen, die man bei einem Rausch hat, daher: einen Haarbeutel haben: einen Rausch haben 358
Haben (auch ,Zopf' kommt in der Bdtg. ,Rausch1 vor). Vielleicht ist die Rda. auch gekürzt aus ,einen unter dem Haarbeutel haben1. Nach Adelung (,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches1, 1775, Bd. 2, Sp. 866) soll die Rda. sich einen Haar- beutel trinken: ,,eine Anspielung auf einen gewissen Major bey der alliirten Armee im letzten Kriege sein, der den Trunk liebte, und alsdann gemeiniglich in einem Haarbeutel, an statt des Zopfes, vor dem com- mandirenden Generale erschien“; doch dürfte diese Anekdote erst nachträglich und ätiologisch zur Erklärung der Rda. entstanden sein. Von Joh. Peter Hebel (1760-1826) stammt das Rätsel: Ratet, lieber Leser, was hab’ ich im Sinn? Einer hat’s am Kopfe, ein andrer hat’s drin. Wilhelm Busch hat 1878 eine seiner Dichtungen ,Die Haarbeutel' betitelt. Heute ist die Rda. nur noch mdal., bes. in Schleswig-Holstein, geläufig. Habchen und Babchen. Sein Habchen und Babchen verlieren: all seine Habseligkeiten einbüßen, all sein Hab und Gut verlieren. Die Rda. ist eine bes. in den mdt. Mdaa. geläufige Reimformel, deren erster Teil die Verkleinerungsform von ,Habe' ist, während der zweite, ähnl. wie in ,Hackemack1, ,Happenpappen\ seine Entstehung nur dem Reimbedürfnis verdankt. Habe. Hab und Gut: alles Besitztum. Das Subst. Habe bez. Besitztum jeder Art im allgemeinsten Sinne; z. B. in Luthers Bibel- übers. :,, Also nahm Abram sein Weib Sarai und Lot . . . mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten . . .“ (l.Mos. 12,5). Formelhaft mit Habe verbunden werden ,Fahrt1 und,Gut1, so Klinger (1, 421): ,,Sich mit Hab und Fahrt, mit Herz und Seele hingeben“, und Fleming (116): ,,Ich bin um Hab und Gut, und allen Vorrath kommen“. Es ist versucht worden, den Unterschied zwischen ,Hab' und ,Gut' so festzulegen, daß man unter Habe das bewegliche, unter Gut das unbewegliche, liegende Eigentum verstand, jedoch läßt sich diese Unterscheidung nicht aufrechterhalten. Zwar bez. ,fahrende Habe' (ahd. faranti scaz, ndd. rorende have) die res mobiles (urspr. den Viehbestand), jedoch findet sich daneben auch ,liegende Habe', und umgekehrt findet sich schon mhd.,varende guot' (Walther 8,14; Parzival 267,10) sowie auch ,unfahrende habe' (Haitaus 767). Der fahrenden Habe' setzte man ,liegende Gründe' gegenüber. Bis auf wenige Ausnahmen hat sich die rdal. Zwillingsformel Hab und Gut eingebürgert und meint den Besitz überhaupt. Die Habe seines Nächsten beschneiden: sich von seinem Eigentum auf unrechtmäßige Art etw. aneignen; Hab und Gut durchbringen, Hab und Gut durch die Gurgel jagen: alles vertrinken; vgl. frz. ,il a mangé tout son frusquin à la débauche'; ndl. ,have en goed'. haben. Das Verb haben kann sehr Verschiedenes ausdrücken. Im Laufe der Zeit hat es einen Bedeutungswandel von fassen', ,packen', zu ,halten',,besitzen' durchgemacht; in den Rdaa. ist es oft urspr. Hilfsverb gewesen und erscheint nur durch die Verkürzung des Satzes wie ein Vollverb. Sich haben, vor allem in der Wndg.: Hab dich nicht so: zier dich nicht, gebärde dich nicht so auffallend, wurde früher i. S. v. ,sich verhalten' verwendet, ohne jegliche Wertung; so gebraucht es schon Hartmann von Aue (,Büchlein' 1, 101): gein ir gruoze ich dicke neic und het mich do als einen man, dem ein wip ir hulde gan. Ebenso auch noch im 18./19. Jh.: ,,Der Junge hatte sich so züchtig, artig und mädchenhaft . . .“ (Zelter an Goethe). Die beliebte Rda. (Es) hat sich was! findet sich schon im 17. Jh.: ,,Es hat sich was zu Baronen und Edelmannen“ (,Ehrliche Frau Schlampampe', S. 42); in dieser Rda., die einen Ausdr. der Ablehnung darstellt, wird der Gedanke des ,Besitzens', den das ,haben' ausdrückt, iron, zurückgewiesen. In neuerer Zeit wird die Wndg. häufiger mit Verben als mit Substantiven gebildet, wobei der Infinitiv meist unterdrückt wird und aus dem vorangegangenen Satz zu ergänzen ist; Schiller: „Rat, Majestät? Hat sich da was zu raten!“, verkürzt bei Goethe (8, 359
Haber 175): „Wir sollen glauben, es sei um der Religion willen. Ja, es hat sich". Es hat ihn: er ist verrückt, er ist verliebt, er ist in der Klemme: verkürzt aus: ,es hat ihn gepackt1 oder ,ergriffen1, nämlich die Verrücktheit oder die Liebe. ,Es' steht neutral-verhüllend für das Unangenehme, insbes. bei den tabuierten Geisteskrankheiten. Ähnl. Da haben wir es: das Unangenehme ist, wie erwartet, eingetroffen. Dieses ,es‘ oder ,etwas1 kann aber auch für viele andere Substantive stehen; hier seien nur ein paar Rdaa. herausgegriffen: Der hat's (der steht nicht wieder auf): er ist tot; es haben: vermögend sein, ,es' steht hier für ,Geld'; eine Sache hat's auf sich: es ist etw. Besonderes an ihr, das ,etwas' wird in äußerlicher Weise gesehen; es in sich haben (von Dingen): mehr sein als nach außenhin scheinen; es mit jem. haben: in heimlichen Liebesbeziehungen zu ihm stehen, ebenso auch nichts mit jem. haben, das aber zugleich heißen kann: keine Feindschaft zu ihm haben; sich mit jem. haben, hier ist zu ergänzen: ,in der /Wolle'; noch zu haben sein: noch ledig sein; eigentl. ,noch verkäuflich sein', dann i.S.v.: noch zum Ehepartner zu haben sein; ähnl. auch die Rdaa. nicht zu haben sein für etw., für alles zu haben sein. Damit hat sich's: mehr gibt es nicht, mehr wird nicht getan, das war das letzte. An dem hat man aber auch gar nichts: er ist ein langweiliger, zu nichts zu gebrauchender Mensch; hier wäre vielleicht zu ergänzen: man hat keinen Freund, keinen Gesellschafter, keinen Helfer an ihm. Die Bez. für ein schnelles, überstürztes Davonlaufen finden wir in den mehrfach variierten Rdaa. was hast du, was kannst du (obersächs. ,was haste, was kannste'), hast du nicht gesehen: von Grimm (Dt. Wb.) wird die Rda. auf ,hasten' zurückgeführt, was jedoch durch die gleichbedeutende Formel ,was gibst du, was hast du‘ (rhein. ,wat gefschte, wat haschte1) fraglich scheint; /geben. Einen zum besten haben /Beste. Haber, Haberfeldtreiben, Habermann /Hafer. Hacke. Mit Hacke kann 1. das Werkzeug gemeint sein. Dazu gehören die Rdaa.: der Hacke einen Stiel finden: eine schwierige Sache richtig anzufassen wissen, Ordnung in eine Angelegenheit bringen, auch: leicht einen Vorwand, einen Ausweg finden (im 17. Jh. ganz gebräuchl.), z.B. bei Abraham a Sancta Clara: „Wie er dieser Hacken möchte ein Stihl finden" (,Judas' I, 136); „Hätte er der Hacken wohl einen andern Stiel gefunden" (,Gehab dich wohl', 409). Ähnl. Er ist nicht Hack im Stiel: er ist nicht ganz gesund; das ist eine Hacke auf deitien Stiel: es paßt genau in deine Pläne. Auf die alte Hacke!:schles. Trinkspruch, soviel wie: Auf die alte Treue und Redlichkeit! Von der alten Hacke reden: immer wieder zum gleichen Thema zurückkehren; die Hacke in den Winkel legen (oder auch die Hacke unterstellen): nichts mehr tun. Mit Hacke kann 2. die Ferse gemeint sein. Dazu gehören die Rdaa.: Sich die Hacken ab laufen : viele Wege machen; jem. auf den Hacken sitzen:ihn verfolgen, ihn antreiben; die Hacken auf den Rücken nehmen: sich beeilen; einem Hacken machen: ihn antrei- ben. Holst. ,van den Hacken bet to’m Nak- ken (nichts dögen)', von den Füßen bis zum Kopf (nichts taugen). Hackelberg. Der wilde Jager Hackelberg gehört zu den Gestalten des Sagenkreises von der Wilden Jagd. Der Name dieses ehemaligen Jägermeisters soll von dem ,Hak- kel' herrühren, einem Forst in der Nähe von Halberstadt bei Magdeburg. Hackelberg hat sich der Sage nach erbeten, bis zum Jüngsten Tage im Solling jagen zu dürfen, was ihm dann auch gewährt wurde (Grimm, DS. 172,311,312). Wie alle Gestalten der Wilden Jagd, so tritt auch er mit großem Getöse auf, daher die mdt. Rda. Hackelberg komtnt (wohl) angezogen für großen Lärm. Näher bez. wird das Geräusch Hakkelbergs in der Wndg. Hackelberg fatscht, die man braucht, wenn die Füße der Pferde im zähen Kot oder Moor schnalzen. Lit.: //. Meyer. Hackelberg (Diss. Göttingen 1954). Häcker, Schluckauf (mdal. obd.). Durch Sprüche und verschiedene Maßnahmen versucht man, den lästigen Schluckauf loszuwerden. Sowohl das Sprechen von Formeln als auch die Zuflucht zu besonderen 360
Häcksel Praktiken gehört zum großen Teil in das Gebiet psychologischer oder magischer Krankheitsbehandlung, wie sie für die Volksmedizin typisch ist. Das Hersagen eines Spruches gehört zum Bereich der Heil- und Zaubersegen, durch deren Kraft das Übel gebannt werden soll. Solche Heilformeln sind beim Schluckauf allerdings in die Kindersphäre abgesunken, entbehren heute jeglichen Glaubens, haben sich aber als volkstümliche Reimereien und Rdaa. halten können; z.B. ,Häcker, Häcker, spring über de Necker4 oder ,Häcker, Häk- ker, reit über d'Äcker, reit über die Brach, reit den alten Weibern nach1; ähnl. ndd. ,Hiickup, loop’t Stück up, loop linge längs den Redder (eingezäunter Weg), kumm mien Leewdag nich wedder\ In der dt.- schweiz. Formel bittet der vom Schluckauf Befallene, das geheimnisvolle Hitzgi- Hätzgi - es kann auch ein männliches Wesen sein (Hitzger-Hätzger) - möge ihm das Übel wegnehmen: ,Hitz gi Hätz gi hinder em Hag, nimmer au de Hitz gi Hätz gi ab1. Es lebt in der volkstümlichen Vorstellung die wohl scherzhaft gemeinte Ansicht, daß ein unsichtbares Männchen komme und einem den Schluckauf abnehme. Bei den entspr. frz. Formeln kommt vor allem die Ergebenheit in Gottes Willen zum Ausdr.: ,Tai le boquet, Dieu me Fa fait, je ne Tai plus, vive Jésus\ Gott, in seltenen Fällen le petit Jésus, hat den Schluckauf gesandt, er wird ihn aber auch beseitigen, und dafür sei Jesus gelobt. Vorschriften, daß man diese Sprüche mehrmals, z.B. drei-, fünf- oder siebenmal, drei- oder siebenmal ohne zu atmen hersagen müsse, sind bezeichnend für die Wortmagie. Eng verbunden mit der Magie des Wortes, dem ,Tun mit Worten4, ist die Magie der Tat, die zauberische Handlung. Solche Handlungen, wie sie im ganzen Bereich der Volksmedizin überaus häufig sind, treten bei manchen Praktiken gegen den Schluckauf deutlich hervor. Zweifellos werden sie nicht mehr als Zauber empfunden, sondern als traditionelle, beinahe spielerisch angewandte Mittel, um sich Linderung zu verschaffen. Zu ihnen zählen z.B. Angaben wie: man müsse sich bücken und ein Kreuz auf die Schuhe zeichnen; es sei nötig, an jem. zu denken oder einen Gegenstand zu fixieren; es erweise sich als heilkräftig, einen Stein aufzuheben und darunterzuspuk- ken. Der Schweiz. Volkskunde-Atlas hat für die Schweiz diesen rdal. formulierten Aberglauben erfragt (,Gibt es bes. Sprüche und Verhaltensmaßregeln, um sich vom Schluckauf zu befreien?1) und verkartet. Dort sind auch Rdaa. über Ursachen und Bedeutung des Schluckaufs verzeichnet. Nach volkstümlicher Auffassung verursacht Mißgunst den Schluckauf. Irgend jem., der dem vom Übel Betroffenen schlecht gesinnt ist, hat ihm dieses angetan. ,Öbber vergönnt eim öbbis4, sagt man z.B. in Therwil. Jem. ,vergönne4 einem das Essen, heißt es präziser in Pratteln. oder Andermatt. In Interlaken glaubte man früher, es habe jem. einem das ,Gluxi‘ angewünscht, um den Betreffenden am Sprechen zu hindern. Häufiger ist die Meinung, daß der Schluckauf denjenigen plage, der genascht, zuviel Zwiebeln gegessen oder eine heimliche Sünde begangen habe. Diese Ansicht ist ziemlich verbreitet in der Nordwestschweiz (Baselland bes.), dann an verschiedenen Orten des Kantons Bern. Lit.: O. Ebermann: Segen gegen den Schlucken, Zs. f. Vkde., 13 (1903), 64ff.; /. Hampp: Beschwörung, Segen, Gebet (Stuttgart 1961); O. v. Hovorkaw. A. Kron- feld: Vergleichende Volksmedizin Bd. 2 (Stuttgart 1909, S. 198E); HdA. 7, Sp. 1223f. Art. Schlucksen (Ohrt); Atlas der Schweiz. Volkskunde II, 243-244. Hackfleisch. Aus dir mache ich Hackfleisch! ist eine rdal. Drohung; analog zu ,Frikassee4 und,Gulasch4. In den zwanziger Jahren dieses Jh. hieß es in einem Bänkel- lied auf den Massenmörder Haarmann: Warte, warte noch ein Weilchen; Bald kommt Haarmann auch zu dir, Macht mit seinem Hackebeilchen Hackefleisch aus dir. Aus jem. Hackfleisch machen: ihn bis zur Unkenntlichkeit zerbomben, ist rdal. im 2. Weltkrieg aufgekommen (Küpper, Bd. I, S. 145). Häcksel. Häcksel im Kopf haben: (stroh-) dumm sein. Häcksel ist das zum Füttern des Viehs kleingeschnittene /Stroh. Aus jem. Häcksel machen: ihn vernichten; meist in Drohreden: ,Wart, ich werd' aus dir Häcksel machen!4 361
Hafen Hafen. Obd. Hafen = Topf liegt vor in den Rdaa.: Das ist nicht in seinem Hafen gekocht: er schmückt sich mit fremden Federn. Er will jedem aus einem Hafen an- richten: er versucht, es allen Leuten recht zu machen, was aber unmöglich ist. Für jeden Hafeti einen Deckel wissen: alle Fragen beantworten können, auch: für jedes Mädchen einen Mann wissen (Jedem Hafen gehört sein DeckeF; mdt. JederTopf findet seinen Deckel1 u.a.). Dem Hafen den Dek- kel heruntertim: einen beschimpfen, jem. desillusionieren; dazu das Sprw. ,Man muß dem Hafen den Deckel ablupfen'. Guck in (deinen) eigenen Hafen!: kümmere dich um deine Angelegenheiten, kehre erst vor der eigenen Tür! Schwab. ,Er guckt in neun Häfen zumal und noch d’ Stieg hinab1, er schielt stark. Aus einem hohlen Hafen reden: gehaltloses Zeug schwatzen, Worte reden, die man selbst nicht versteht; frühnhd., so 1512 in Murners ,Schelmenzunft‘ als Überschrift des 10. Kapitels mit entspr. Bild: „Lesen, Beten ohn1 Verstand und aus einem hohlen Hafen klaffen; was können sie mit Beten schaffen". Eine ähnl. Verwendung der Rda. kennt auch noch Grimmelshausen (,Das wunderliche Vogelnest'): „Mein Gebein müsse in meiner eygenen Haut wie in einem Mörser zerstossen vnd zermalmt werden, hat auch dessfalls aus keinem lären Hafen geredet". $1*5 em bolen baffe reoeii ,Aus einem hohlen Hafen reden' Der Hafen für die Schiffe (portus) steht bildl. in zahlreichen Rdaa., die aus der Seemannssprache stammen. Mit Hafen ist der Begriff der Ruhe und Sicherheit verbunden, was auch in den Rdaa. zum Ausdr. kommt. Einen Hafen suchen: eine Zuflucht suchen; in einen sicheren Hafen kommen: in Sicherheit und Ruhe, auch ndl. ,hij komt in behouden haven', ,men is daar in eene veilige haven'; den Hafen verlassen: sich aus der Sicherheit hinaus ins Ungewisse begeben, ebenso ndl. ,hij zeilt de haven uit‘; vgl. auch das Bild Schillers: „In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling; still auf gerettetem Boot treibt in den Hafen der Greis". Er hat den Hafen (nicht) erreicht: er hat das Ziel seiner Wünsche (nicht) erreicht, vgl. frz.,arriver à bon port'; auf den konkreten Fall bezieht sich die Rda. in den Hafen der Ehe einlaufen: er ist in einem fremden Hafen gewesen heißt es dementspr. von unerlaubten sexuellen Beziehungen vor allem bereits Verheirateter; auch ndl. ,hij is op eene vreemde haven geweest'. Er ist in einen schlechten Hafen gekommen, ndl. ,hij is daar in eene siechte haven verzeild', er ist an einen schlechten Ort, eine schlechte Stellung, eine schlechte Ehe geraten. Schiffbrach im Hafen (er)leiden, vor dem Hafen untergehen: Unglück nehmen, wenn man sich schon in Sicherheit glaubt; so bei Goethe (21, 213): daß wir, bei so schönen Hoffnungen, ganz nahe vor dem Hafen scheitern". Diese Rda. ist auch ndl. bekannt ,in het gezigt van de haven en nog vergaan', sowie auch frz. ,au premier port faire bris',,faire naufrage au premier port' und auch schon lat. ,in portu naufragium pati'. Man kann keinen Hafen mit ihm besegeln: mit ihm ist nicht auszukommen, bezieht sich auf die Tatsache, daß das Segeln in einem Hafen einfacher ist als auf dem offenen Meer, also nicht ganz soviel Übereinstimmung unter den Seglern benötigt wird: die Rda. ist also so zu verstehen: ,man kann nicht einmal einen Hafen mit ihm besegeln'. Lit.: R. Eckart: Niederdeutsche Sprichwörter und volkstümliche Redensarten (Braunschweig 1893); W. Stammler .-Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß, 29. Lfg. (1965), Sp. 1815-1880. 362
Hafer Hafer. Obwohl die eigentl. ndd. Form des Wortes Hafer sich schon seit dem 15. Jh. in mdt. Quellen findet, hat sie sich nur langsam Eingang in die Schriftsprache verschafft und sich gegen die obd. Form ,Haber' durchsetzen müssen. Noch im 18. Jh. verwendet eine Anzahl Schriftsteller gerade aus dem mdt. Raum die Form ,Haber1, wie z.B. Lessing, Goethe, Fichte, Geliert. Hier ist gut Hafer säen sagt man, wenn in einer Gesellschaft plötzliche Stille eintritt; die Rda. geht darauf zurück, daß beim Säen des leichten Hafersamens Windstille herrschen muß. Diese Wndg. ist in leicht abgewandelter Form schon im 17. Jh. belegt: ,,Es war so still, daß man hätte können Haber säen'1 (Grillandus politische Hasen- köpf\ 1683); Joh. Fischart erwähnt in seinem ,Gargantua' (1575) ein Gesellschaftsspiel: „den haber säen". Die Rda. ist vor allem im Ndd. bekannt: ,hier is good haver seijen' sowie auch dän. ,det er en god haver saed' und ndl. ,it is hier goed om haver te zaain\ Seinen Hafer versäen, ehe man auf den Ak- ker kommt: seine Kräfte vertun, ehe man zum eigentl. Ziel gelangt; rhein. ,manichen versât sein Hafer, ihr er zum Acker kemmt'. Auch diese Rda. ist schon im 17. Jh. bekannt: „Es verseet mancher seinen Habern ehe er zum rechten Acker kommt" (Petri II, 302, 1605). Seinen Hafer auf dem eigenen Acker nicht ganz versäen können: überschüssige Kräfte haben. Seinen wilden Hafer noch lange nicht gesät haben: stmt Wildheit noch nicht ausgetobt, sich die Hörner noch nicht abgelaufen haben (vor allem in sexueller Hinsicht); die Rda. ist seit der Mitte des 18. Jh. in Dtl. bezeugt als Übers, des gleichbedeutenden engl. ,to sow one’s wild oats', das seit dem 16. Jh. belegt ist und in dem ,wilder Hafer' im Gegensatz zu ,gutem Korn' steht. Der Hafer ist vor dem Korn reif geworden: die jüngere Tochter heiratet vor der älteren: deutlicher wird die Mißbilligung dieser Tatsache in der Wndg. ,man schneidet den Hafer nicht vor dem Korn, gibt die Rahel nicht weg vor der Lea'. Er hat den Hafer gut verkauft, die Mütze sitzt ihm schief: er hat Erfolg gehabt, er sieht zufrieden und vergnügt aus. In der Schweiz sind noch drei weitere Formeln bekannt: ,händ er de Habr verchauft?' fragt man müßig Herumstehende; ,mer händ de Habr verchauft' antwortet man auf neugierige Fragen, wenn man nicht wissen lassen will, wovon gerade die Rede war; ,was gilt de Habr' oder ,wie tür hast din Habr verchauft?'; diese Frage wird gestellt, wenn man eine Person beschämen will, die mit in die Hüften gestützten Händen dasteht oder die Ellbogen auf den Tisch stützt. In Schlesw.-Holst, sagt man ,Hand ous ’m Sack, der Hawr is verkouft (is min)', laß deine Finger davon, das ist meine Angelegenheit, gehört mir; urspr. eine Formel nach abgeschlossenem Kauf. Er weiß, was der Hafer gilt: er ist kein Kind mehr, er hat Erfahrung, läßt sich nicht übers Ohr hauen. Den Hafer von der Gans kaufen: etw. sehr teuer, unvorteilhaft kaufen: die Gans frißt den Hafer lieber selbst und gibt ihn ungern her. Für diese Rda. gibt es schon einen Beleg aus dem 16. Jh.: ,,denne begeit he ein dürer kopenschop, als wen men de katten eine worst schöl affhandeln edder de ha- wern von de gösen borgen" (Nie. Gryse: ,Spegel des Pavestdomes', 1593). Die Wndg. ist auch im Schlesw.-Holst. bekannt ,he köfft ok den Hawer von de Gäs' sowie in Dänemark det er ondt at kiobe havre fra gaasen, kull af smeden, körn af bageren, klod af katten, poise af hunden. Er schreit seinen Hafer gut aus: er weiß Nutzen zu ziehen aus seinen Gaben; auch frz. ,il ne perdra l’avoine faute de brailler'. Obersächs. ,s’ is ne Hober lus worn', sie hat den Hafer verkauft, hat auf dem Tanzboden wenigstens einen Tanz gehabt. ‘ In anderen Rdaa. wird das Bild des Füt- terns mit Hafer gebraucht; langen Hafer geben o der jem. den Haber schwingen: Prügel geben; urspr. bedeutete ,haber schwingen'Futter geben; so bei Seifr. Helbling (1, 391): „swing im (dem Pferd) vuoter, mach ez rein..." Diese Rda. ist weit verbreitet und findet sich auch schon in Kirchhoffs ,Wendunmuth' (1563-1603): „Wie dem ersten so ward auch dem andern der haber geschwungen und die flöhe abgekehrt" 363
Hafer Rabere1 hat im Schweiz, verschiedene Bedeutungen, u.a. auch stürmisch etw. tun, recht dreinschlagen\ ,abhabere\ ausschelten, züchtigen u.a. Den Haber beim Seiler kaufen, seinen Gaul mit Steckenhaber füttern: ihm Prügel statt Futter geben; ebenfalls ,prügeln4 bedeutet die Rda. den Hundshabern ausdreschen; so schon bei Hans Sachs (II, IV, 18): ,,Dass nicht dein Mann komb in das Haus und dresch mir den Hundshabern aus“. Auf die Haberhälm kommen: ins Verderben, in bedrängte Lage geraten; ,Haberhälm4 ist bair. und bedeutet soviel wie ,Haferstoppeln4, die Stoppeln aber sind ein Bild des Nichtigen; zugleich aber könnte eine Erinnerung an das Haberfeldtreiben anklingen. Einen auf die Haberweide schlagen (vor allem südwestdt.): ihn seinem Verderben überlassen; das Vieh wurde vor der Winterstallung noch einmal auf die Stoppeln des Haferfeldes getrieben, wo es die letzten Reste abweiden sollte; daher ,jem. kümmerlich versorgen', später ,ihn zurücksetzen, vernachlässigen4. Übertr. kommt es schon bei H. Sachs vor (1, 508): den wart wir lang auf guten bscheid, so schlugt ir uns auf dhaberweid, wurft uns den strosack für die thür, nambt euch ein weil ein andern für. Es jem. in seinen Hafer mischen: ihm die Schuld an etw. geben, eigentl.: ihm etw. zu essen geben, was nicht gut schmeckt; vgl. ,jem. etw. in die Schuhe schieben4. Die Rda. ist auch im Ndl. bekannt ,het iemand in zijn hawer mengelen4, abgewandelt auch im Engl. ,to lay a thing in a person’s dish\ Den Hafer (sack) höher (hoch) hängen; diese Rda. kann sich einmal auf das Pferd beziehen und bedeutet dann: das Tier bekommt nicht genug Futter, es ist mager; so z.B. rhein. ,dem Gaul hon se de Hawer hoch gehängkt4; zum andern aber steht sie in Bezug zum Menschen und meint dann die Maßnahme gegen einen Übermütigen; vgl. ,den /'Brotkorb höher hängen4. Die Tatsache, daß Pferde von zu reichlicher Haferfütterung übermütig werden, ist auch die Grundlage für die Rda. ihn sticht der Hafer. Diese Rda. war schon früh bekannt, wurde aber zuerst nur auf Pferde angewandt: ,,Der Haber pfleget diejenigen Pferde gemeiniglich zu stechen, welche im Stalle stehen und nichts zu tun haben44 (Ca- stimonius: politische Hofmädgen4, 30); jedoch wird schon bei Grimmelshausen das Bild auf menschlichen Übermut übertragen: ,,Ebenso hatte auch allhier der Ha- bern . . . den Simplex zimlich gestochen44 (,Simplicissimus41, 3; 9. Kap.). Diese Rda. ist im gesamten deutschsprachigen Gebiet verbreitet; so heißt es rhein. ,dat Hafer- koenche steckt en4, schlesw.-holst. ,em stickt de Hawer4, in Siebenbürgen ,de Ho- wer kêkt en4; Schweiz. ,de Hab’r stickt einen4. Im Amer, ist das gleiche Bild beibehalten worden ,he feels his oats4, engl, ist es leicht abgewandelt ,his provender (Viehfutter) pricks him4, im Ndl. ist die Rda. aus dem menschlichen Bereich genommen ,de broodkruimels steken hem4, jedoch existiert daneben auch die Wndg. ,de haverkorrels steken hem4. Auch die folgende Rda. ist aus dem tierischen Bereich in den des Menschen gelangt: seinen Hafer verdient haben: seinen Lohn verdient haben, frz. ,gagner son avoine4. Hafer in der Bdtg. von ,Schnaps4 meinen vereinzelte, meist mdal. begrenzte Rdaa.; so z.B. rhein. ,Hafer hole gehn, sich beha- vern4, sich betrinken, schwäb. ,Hafer im Kopf haben4, angetrunken sein, aber auch: überspannt, hochmütig sein; von dieser Bdtg. des Hafers stammt wohl auch der Ausdr. ,Hafernarr4 für einen Schwätzer (Marburg). Aus dem Hafer in die Gerste geraten: von einer mißlichen Situation in eine andere, evtl, schlimmere kommen. In jem. Hafer gehen:sich in fremde Angelegenheiten (vor allem Liebschaften) mischen, rhein. ,einen in de Hawer hüden4. Eine Reihe von Rdaa. beschreibt das- meist nicht gerade vorteilhafte - Aussehen eines Menschen; so rhein. ,den hat de Hafer dönn gesiht4, er hat spärlichen Bartwuchs, bair. ,ins Haberfeld schauen4, schielen (aber ,mit seinen Gedanken im Haberfeld sein4, zerstreut sein); schwäb. ,Hafer im Leib haben4, stark sein, ganz ähnl. auch rhein. ,Hafer in de Knoche (Kneje)4, Schweiz.,Hafer in de Chneune ha4, feststehen. Noch nicht viel Hafer gedroschen haben: nicht sehr kräftig, nicht an schwere Arbeit gewöhnt sein. ,Hej dritt de Hawer 364
Hagel ganz' sagt man rhein. von einem kränklichen Menschen, und in Mitteldtl. heißt es .de Hawer pröckelt em on Arsch'. Meckl. weist man ein schmutziges Kind zurecht ,di waßt de Hawern in de Uhren'. Rhein. ,de Hawer us de Perdsköttele lese', nichts schaffen, seine Zeit vertun; vgl. frz. ,écouter à l’avoine'. Der Hafer ist nicht nur das bevorzugte Futter für das Pferd, sondern auch für die Ziege, daher die meckl. Rda. ,dee geiht dor up los as de Buck uppe Hawergarw', ungeschickt, wagemutig; rhein. ,he fällt drop as de Bock op de Hawerkist', er fängt die Sache mit einem Eifer an, der nicht bis zum Schluß anhält; ,he gringt wie eine Bock op en Hawerkist', er ist ärgerlich, bei der Arbeit gestört zu werden; ndd. ,he sitt upn Geld as de Buck up de Haberkiste', holst, .he settet den Buck up de Haberkiste', er macht den /Bock zum Gärtner. Als ,Hawermaus' wird im Rheinl. die Hausgrille bez.: ,er singt wie en Hawer- maus', er singt sehr schlecht; ,me ment, de kräch (kriegte) alle Karfreidag en Hawer- maus geback' sagt man da auch von einem mageren oder schlecht aussehenden Menschen. Die Spreu und das Stroh des Hafers sind sehr leicht und von geringem Wert: durcheinander gehen wie der gemäht Habern: drunter und drüber gehen; er ist weg wie Haberspreu: er ist spurlos verschwunden; mit Haberstroh loh nen /schlecht lohnen; für eine alte Schuld soll man Haberstroh nehmen, weil eine alte Schuld nur selten bezahlt wird; dieses Sprw. ist schon mhd. bekannt: „man muoz an boesem gelte haberstro für guot nemen" (Br. Berthold 386, 4); meckl. ,vör eene ungewisse Schuld moet man Hawer-Kaff (Spreu) nehmen', ,ungewiß Schulden un hawerkaff wägen lik väl' ; dort sagt man auch von einem wohlgenährten Menschen ,de is nich met Hawerkaff mästet'. Um Haferspreu streiten: um Geringfügiges streiten, ndl. ,zij twisten om haverstroo'. Umg. spricht man heute von einem Hafermotor: Pferd sowie von einer Haferschleimvilla: Krankenhaus. Vergehen, die sich nicht gerichtlich verfolgen ließen (z.B. Verstöße gegen das Brauchtum und die Sitte), wurden früher in Bayern und Tirol mit dem Haberfeldtreiben geahndet, wobei der oder die Schuldige in ein Hemd, urspr. in ein Ziegenfell, gesteckt und umhergetrieben wurde (/Bockshorn). Dieses ,Haberfeldtreiben' war also eigentl. ein ,Haberfelltreiben'; ,Haber' aber hat hier nichts mit Hafer zu tun, sondern ist verwandt mit lat.,caper' = (Ziegen-)Bock und griech. ,kapros' = Eber, bedeutet also ,Ziege', ,Bock'; im dt. Sprachgebiet ging ,Haber' = Ziegenbock wegen der lautlichen Gleichheit mit,Haber' = Hafer unter. So wurde also das ,Haberfelltreiben' volksetymol. umgedeutet zu ,Haberfeldtreiben', und auch der Brauch änderte sich, indem nämlich der Schuldige nun wirklich mit Geißelhieben in ein Haferfeld getrieben wurde. Ebenfalls auf lat.,caper' geht das Wort Habergeiß zurück, mit dem man in Bayern ein leichtsinniges Mädchen, im Elsaß ein langes hageres Mädchen und im Alem. einen Kreisel bez., der sich lärmend dreht. In anderen Gegenden ist es die Bez. für versch. Vögel. ,Habergeiß' wurde ebenfalls mit Hafer in Verbindung gebracht, weshalb auch die Strohpuppe so genannt wird, die dem Bauern auf den Dachfirst gesetzt wird, der zuletzt mit dem Einfahren des Getreides fertig wird. In manchen Gegenden schreckt man Kinder vom Korn fort, indem man ihnen sagt, der Habermann hause darin mit großem schwarzen Hut und einem gewaltigen Stock. Jedoch ist nicht dieser Habermann gemeint in der folgenden Rda. Er liest seinem Gaul net fleißig aus 'm Habermann vor:er gibt dem Pferd zu wenig Futter, oder allg.: er ist sehr geizig. Joh. Habermann (1520-90) war der Verfasser eines einst weitverbreiteten Gebetbuches; die Rda. macht sich die lautliche Gleichheit des Namens mit dem Futtergetreide zunutze. Lit.: Panizza: Das Haberfeldtreiben im bayer. Gebirge (1897); G. Queri: Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern (1911, Ndr. 1969), bes. S.59-265; Adl- maier: Der Oberländer Habererbund (1926); F. W. Zippe rer: Das Haberfeldtreiben. Seine Geschichte und seine Deutung (Weimar 1938). Hagel. Die Vorstellung des zerstörenden Hagels liegt vielen Rdaa. zugrunde: Der Hagel hat geschlagen: der Schaden ist geschehen, es ist aus mit etw.; schlesw.-holst. 365
Hagestolz ,dat sleit hin as Hagel in’t Finster1; ,er chund wie der Hagel id’ Haber1 (schweiz.) sowie auch einen schlägt der Hagel her, drücken das Überraschende, Plötzliche eines Hagelwetters aus. Kommt einer aber wie der Hagel in die Stoppeln, so kommt er zu spät, vergebens, wenn kein Unheil mehr anzurichten ist; diese Rda. ist schon recht alt, wie die Stelle bei Murner (,Mühle von Schwindelsheim1 12, 16) zeigt; ,,der hagel kumbt in die stupffeien“, und auch Grimmelshausen kennt sie (,Simplicissimus1 IV, 328, 20): ,,Gehe nur hin, du wirst willkommen seyn wie die Sau in eines Juden Hausz und so wenig richten als der Hagel in den Stupf- len“. Beliebt sind die Rdaa., die die Überraschung und Bestürzung des Menschen über ein Hagelwetter zum Ausdr. bringen; von einem, der mürrisch oder verdutzt aussieht, sagt man: Dem ist wohl die Petersilie (der Weizen) verhagelt oder, im Rheinl. ,Et is em e Hagelwetter in de Erwes geschlah'; ,nu sind em ower de Erzen (Erbsen) verhagelt' heißt es ebenfalls rhein., wenn einem die Freude verdorben ist: ganz ähnl. frz. ,La grêle est tombée sur son jardin'. Der Hagel als bildl. Bez. dessen, was dicht und schwer auf uns niederfällt, findet sich in den Ausdrücken vom Pfeil- oder Geschoßhagel sowie in den Wndgn. Es hagelt Strafen (Prügelu.ä.). Den gleichen übertr. Sinn hat meckl. ,Hüt hett ’t in de Baud hagelt', heute hat es Schelte oder Prügel gegeben; anders dagegen in der Rda. Es hagelt eitlem in die Bude, hier soll die Dürftigkeit der Behausung ausgedrückt werden, also: es geht ihm schlecht. Hagel, Blitz und Donner sind Manifestationen Gottes oder des Teufels, daher werden diese Ausdrücke oft anstelle des tabuierten Gottes- oder Teufelsnamens genannt, vor allem in rdal. Flüchen, wie z.B. ,der Hagel schlag ihn!' ,daß der Hagel!' ,Da soll doch der Hagel ’nein schlagen'; ndl. ,Daar slaat de hagel door!' ,Daar zal nog hagel op volgen'. Verblaßt zu einem bloßen Ausruf der Verwunderung in: ,alle Hagel!' So erlangt das Wort auch die Bdtg. von Verwünschung überhaupt: eitlem alle Hagel an den Hals fluchen, den Hagel an den Hals wünschen. Hagel als Fluch wort war vor allem bei den Seeleuten beliebt, daher der Übername ,Jan Hagel', der seit dem 17. Jh. das gemeine (Boots-)Volk bezeichnete, später mit dem Zusatz ,un sin Maat'. Einen Hagel sieden (kochen): ein Unheil zusammenbrauen; diese Rda. stammt aus der Zeit, in der man glaubte, die mit dem Teufel in Verbindung stehenden Hexen brauten das Wetter zusammen: ,,0 koent ich jz ein Hagel kochen“ (Fischart: ,Flöh- hatz\ 1577, S. 13/365). Der Hagel als Umschreibung für Unglück tritt uns auch in der eis. Rda. entgegen ,de Mann het dr Hagel im Hus', er hat das Unglück, eine verschwenderische Frau zu haben. Von den Verstorbenen heißt es meckl. ,dei möt Snei un Hagel schrapen', wobei die kindliche Vorstellung zugrunde liegt, daß im Himmel Schnee und Hagel erst geformt werden müssen. Un wenns Katze hagelt sagt man, um einen entschiedenen Widerstand zu betonen. Hagestolz. Eristein alter Hagestolz: ein unverbesserlicher Junggeselle; er will nicht heiraten. Lange Zeit wurde der zweite Teil des Wortes an ,stolz' = superbus angelehnt, wodurch sich die Etymologie ,einer, der auf seinen Hag stolz ist' ergab. Im Ahd. jedoch heißt das Wort ,hagastalt' und ,ha- gustalt', dessen letzter Teil sich in dem got. Adj. ,gastald-s' wiederfindet, was soviel wie der ,Stellung Habende, der über eine Sache Gesetzte' bedeutet. ,Hagastalt' ist also der, der einem Hag vorsteht, ihn besitzt. Der Hag aber ist im Gegensatz zu dem Herrenhof ein kleines umfriedetes Stück Land, das dem jüngeren Sohn im alten dt. Erbrecht zufiel und das erst noch urbar gemacht werden mußte. Der älteste Sohn erhielt das Hauptgut des väterlichen Eigentums, den Herrenhof, und mit ihm die väterliche Macht und die Hofgerechtsame. Da das Nebengut im allg. zu klein war, um darauf einen Hausstand zu gründen, und da außerdem der älteste Bruder die Vormundschaft über den jüngeren hatte, mußte der Hagbesitzer oft unverheiratet bleiben. Diese alten Rechtsverhältnisse haben bis in jüngere Zeit nachgewirkt; so konnte es in Westf. geschehen, daß noch im vergangenen Jh. der jüngere Bruder der 366
Hahn Dienstbote des älteren war, da sein Hag, die ,Hagestolle\ zu klein war, um ihn zu ernähren. Diese rechtlichen Anschauungen sind auch der Grund dafür, daß in einem Teil Schwabens die unehelichen Söhne ,Hagestolze" genannt werden. Im Nhd. bez. das Wort einen Mann, der über das gewöhnliche Alter hinaus ledig geblieben ist, wobei die Bestimmungen des Alters, in dem ein Mann zu einem Hagestolz wird, zwischen 25 und 60 Jahren schwanken. In der neueren Sprache verbindet sich mit Hagestolz ausschließlich die Vorstellung von einem älteren, unverheirateten Mann, wie ihn z.B. E.T.A. Hoffmann (4, 45) charakterisiert: „ein alter Hagestolz, alle Gebrechen seines Standes in sich tragend, geizig, eitel, den Jüngling spielend, verliebt, geckenhaft“. Hagestolzenkram, Hagestolzenwirtschaft bez. ein großes Durcheinander, da ja die ordnende Hand der Frau fehlt. Lit.: F. Sarasin: Die Anschauungen der Völker über Ehe u. Junggesellentum, in: Schweiz. Archiv 33 (1934). Hahn. Hahn im Korbe sein: unter lauter weiblichen Personen der einzige Mann sein; Hauptperson, Liebling sein, viel gelten. ,Korb" meint hier entweder den ganzen Hühnerhof oder den Korb, in dem die Hühner zu Markt getragen werden. Man mag auch an die heute noch in rom. Ländern üblichen Hahnenkämpfe denken, bei denen die Favoriten vorher im Korb dem Publikum gezeigt werden. Die ältere Form der Rda. ist der beste Hahn im Korbe sein; so bei Hans Sachs und bei Johann Fischart 1579 im ,Bienenkorb" (131b) sowie in der Fabelsammlung ,Esopus" (111,28) des Bur- kard Waldis: Es hat ein biirger etlich han zusammen in ein korb getan. In der ,Zimmerischen Chronik" (II, 243) steht: „der alwegen hievor vermaint hat, er were an dem ort allain der han im korbe"" und in den ,Facetiae facetiarum" von 1645 (S.46): „qui primas partes apud amicam tenet, appellant Hahn im Korb""; vgl. ndl. ,hem dunkt, de beste haan in den korf te zijn"; dän. ,som vil voere den fornemste hane i kurven"; frz. ,coq en pâte". Dt. sind noch die Nebenformen ,Hähnchen im Korb" und ,Hahn oben im Korb" belegt. Das Bild vom Korb wird auf das Dorf iibertr. in der Rda. ,er ist Hahn im Dorfe"; vgl. frz. ,c’est le coq du village" und engl. ,to be cock of the walk". Hahn sein auf seinem Mist: Herr sein auf seinem — wenn auch noch so kleinen — Besitz. Ähnl. ,stolz wie ein Hahn auf seinem Mist", ,er ist ein wackerer Hahn auf seinem Mist"; ndl. ,hij is een haan, maar op zijn mest"; ostfries. ,elker hän is konink up sin êgen mesfolt". Diese Rda. ist bereits bei Seneca belegt (,De morte Claudii"): „Gallus in suo sterquilino plurimum potest"". Dem entspricht frz. ,être hardi comme un coq sur son fumier" und engl. ,the cock is master on his own dunghill". $>cU)u gevn E>en Qfflfgeti ifrevvYi. ,Hahn auf seinem Mist1 Das Bild des fremden Hahns, der in einen Hühnerhof eindringt, bedeutet, auf den menschlichen Bereich angewendet, soviel wie Eingriff in Privatrechte. In E. W. Happels Akademischem Roman" von 1690 heißt es: „W. mußte das Gelag bezahlen, weil dieser ein Fremdling, und sich erkühnet hatte, in eines andern Hahns Nest seine Eier zu legen"". In der Bdtg. der verletzten ehelichen Treue wendet Abraham a Sancta Clara das Bild eines fremden Hahnes auf dem Mist an. In diesen Zusammenhang gehören die Rdaa.: Es scharrt ein fremder Hahn auf seinem Mist, ,et war ’ne fremde Hahn op der Meß", fremde Hähne auf seinem Mist kratzen sehen (lassen): merken oder zugeben, daß sich andere Eingriffe in seine Privatrechte erlauben. Ebenso Er kennt den Hahn auf seinem Mist. 367
Hahn \ ,Stolz wie ein Hahn' 2 ,Aufeinandergehen wie zwei junge Hähne1 3 ,Hahnenkampf1 4 ,Wenn der Hahn Eier legt An rdal. Vergleichen ist zu nennen: stolz wie ein Hahn; rhein. ,Da jeit (stolzeet) wi ne Hahn‘; schlesw.-holst. ,He is so krötig as en Hahn un en Snieder\ ,su frech wie nen jungen Hahn1; bair. ,dahersteign wia da’ Gogkl in’n Werhh',,wiera Ha’ in der Balz1. Entspr. den kämpferischen Eigenschaften des Hahns werden für kräftiges mannhaftes Auftreten folgende Rdaa. gebraucht: Er ist ein Hahn mit doppeltem Kamm: er ist heftig, draufgängerisch, zornig und Er ist ein Hahn mit Kamm und Sporen, entspr. ndl. ,Het is een haan met een dubbelen kam' und ,Het is een haan met kam en Sporen'. Von zwei streitenden Menschen sagt man Die gehen aufeinander wie zwei junge Hähne. Aber man sagt auch, daß jem. dasteht wie ein betrübter Hahn oder wie ein nasser oder begossener Hahn, wobei die letzte Rda. in den Kreis der Rdaa. um nasse Tiere gehört, vgl. ,naß wie eine Katze', ,wie ein Pudel', ,wie ein Mops, dem es ins Gesicht regnet', ,rot wie ein Zinshahn'. Du bist wohl vom Hahn betrampelt: du bist wohl nicht recht bei Verstand (etwa seit 1900 aufgekommen). Daß dich der Hahn hacke!: Drohung bes. gegen Kinder; ,ich denke, mich soll der Hahn hacken!', Ausruf des Erstaunens (obersächs.). Die Widernatürlichkeit, daß ein Hahn Eier legt, nehmen eine Reihe von Rdaa. zum Anlaß, etw. Unmögliches oder Absurdes auszudrücken: Wenn der Hahn Eier legt: niemals. Wenn etw. verkehrt ge¬ 368
Hahn gangen ist, sagt man schlesw.-holst. ,dor hett de Hahn en Ei leggt\ und von einem Aufschneider heißt es rhein. ,dem seine Hahn legt Eier!' Sagt aber jem. ,meinet- wege kann der Hahn de Eier lege', so meint er damit, daß ihm eine Sache sehr gleichgültig ist. Auch ndl. sind entspr. Rdaa. bekannt. Eine Reihe von Rdaa. knüpft an das Hahnengeschrei an. Das Krähen des Hahnes ist Anlaß zu Vergleichen wie rhein. ,Der har e Stemm wie e Hahn, do sollt mer die Hinkel anbenne' oder schlesw.-holst. ,He quinkelert as en jungen Hahn, de dat Kreihn noch ni lehrt hett', er singt schlecht. Der aus einem Hahnenkampf hervorgehende Sieger verkündet seinen Triumph durch lautes Krähen. In einigen Rdaa. wird dies auch von einem Prahlhans gesagt; rhein. ,der hät wedder singen Hahn am Krähen\ ,sein Hahn muß König krähen', vgl. ndl. ,haar haan krait koning'; frz. ,il chante victoire' und engl. ,to cry cock'. In diesen Zusammenhang gehören auch: Solche Hähne hab ich schon viel krähen hören; der Hahn kräht mir zu hoch oder einfach der Hahn hat gekräht; diese letzte Rda. ist schon 1531 bei Carolus Bovill (,Samar- oberini vulgarium proverbium' 1,85) belegt: ,,Gallus cantavit'*. Von einem, der nachlässig und gleichgültig ist, sagt man Er ist ein Hahn, der nicht kräht. Der hört keinen Hahn mehr krähen ist eine euphemist. Rda. für: er ist tot; rhein. heißt es von einem, der bald stirbt ,der hert de Hahnen net mih dak (oft) krihen', /zeitlich. Wo ein Dorf ist, krähen auch Hähne. Daher sagt man: ,Die Hahnen krähen, das Dorf ist nicht mehr weit' ; dem entspr. frz. ,revoir le coq de son clocher', die Heimat Wiedersehen. Von einem Feld, das zu weit vom Dorf abliegt und daher schlecht bewirtschaftet wird, heißt es rhein. ,dat Feld huert de Hahn net krihe*. Sehr weit verbreitet in allen Mundartgebieten ist die Rda. Da (es) kräht kein Hahn (da) nach: darum kümmert sich niemand; die Sache wird kein Aufsehen erregen, weil sie entweder völlig bedeutungslos und ohne Interesse ist oder äußerst heimlich und unbemerkt geschieht. Die Rda., in der ,danach' nicht zeitlich, sondern ursächlich (= deswegen) oder be¬ absichtigend zu verstehen ist, hat keinen mythologischen Hintergrund (etwa daß der Hahn durch sein Krähen eine Untat angezeigt habe, wie die Kraniche in der Sage von Ibykus); sie bedeutet urspr. vielmehr: Ein Hahn auf dem Hühnerhof würde die Sache für so unbedeutend halten, daß er ihretwegen nicht einmal krähen würde. Die Wndg. findet sich bereits 1534 bei Luther: ,,aber da tausend gülden dafür (für den einen gewonnenen) sind verfaulwitzt, da krehet kein han nach". Hier kommen ein Unrecht oder ein Verlust in Frage. So wird die Redewendung oft bezogen auf geschehenes oder beabsichtigtes Unrecht, das nicht ans Licht kommt, das nicht geahndet wird. Im 16. Jh. heißt es bei Joh. Mathesius: „Wenn er schenket und füllet jeder man die hende (bestechen)... do krehet kein hahn mer nach, ob er schon mit gewalt fert (verfährt)". Ähnl. im ,Simplicissimus' 1684: ,,Wie? wan dich der gleichen Kerl ermordeten ..., was würde wol für ein haan darnach krähen? Wer würde deinen Tod rächen?" Es kann aber auch Sehnsucht nach einem Verlorenen, Melancholie des Verlustes, des Abschieds ausgedrückt werden. Im schwäb. Volkslied, bei Erk im ,Liederhort' heißt es: ,,fragt auch niemand (mich) wie es geht, weil kein hahn mehr um mich kräht". Auch das nächste Haustier kümmert sich nicht mehr um den Vergessenen. Dieses Vermissen tritt auch schon deutlich im 16.Jh. hervor: „niemand warnet ihn (den Hagestolz) mit trewen, und wan der hahn tod ist krehet kein henneke nach ihm". 1561 findet man bei H. Sachs ebenso: „so kreet doch kein han nach mir". Im Märchen ist oft von jem. die Rede, den man verwünscht „so tief, dasz kein Hahn nach dir kräht", oder „die so tief versinken, dasz kein hahn mehr danach krähte" (J. Grimm, ,Myth.‘ 904f.). Die Rda. ist auch stabreimend erweitert worden: ,weder Huhn noch Hahn', woraus mißverständlich ,weder Hund noch Hahn' geworden ist, z.B.: ,dar worde weder hunt oder hane na kreien' (Oldecop, S. 290), oder ,daa kreit nich Hund or Han na', ndd. ,da kreiet weer Hahn (Huhn) noch Häneke nae'. Latendorf (Fromann II, 222) bemerkt zu dieser Erweiterung: „Die Ähnlichkeit der 369
Hahn Aussprache zwischen Hon (Huhn) und Han (Hahn) hat wol allein dazu verführt, den Hund, lautlich, an die Stelle des Huhns zu setzen. Jedenfalls wird an den Hund dabei kaum gedacht, wenn man auch überhaupt von solchen Zusammenstellungen wird sagen müssen, daß sie stets mehr dem Sprachgefühle als dem Sprachbewußtsein ihren Ursprung verdanken“. Zum Hund gehört aber polar die Katze, daher dann auch z. B. in Kleists ,Hermannschlacht1 (III, 3) aus dem Jahr 1808 die sinnwidrige Variante: „Danach wird weder Hund noch Katze krähen“ und weiter gekürzt bis zu „danach kräht keine Katze“. Im Ndl. tritt auf: ,da kraait noch haan noch hen4 (Harrebomee). Im Schles. sagt man ,do kret ke Hon dernoch4, im Rheinl. ,do krahnt kene Hahn no4 und in der Schweiz ,es chrait kein Guggel dernach4. Die Rda. wird also in verschiedenen Mdaa. sehr häufig gebraucht. Ebenso findet man sie in der Lit., z.B. 1781 bei Schiller (,Die Räuber4, 1,2): „Kann man nicht auf den Fall immer ein Pülverchen mit sich führen, das einen so in der Stille über den Acheron fördert, wo kein Hahn danach kräht44. Wo kein Hahn kräht (ist), da ist (kräht) die Henne ist ein Rechtssprw., das die weibl. Erbfolge meint (vgl. Otto Lehmann, Zs. f. d. Ph., 70. Bd., S. 178). Der Hahn als Morgenkünder und Frühaufsteher veranlaßte folgende Rdaa.: Mit dem Hahne munter sein (.. .aufstehen) und ehe der Hahn kräht: sehr früh. Für einen eitlen Menschen, der auf sein Geld nichts gibt und auf seine Rechnung andere frei zehren läßt, gibt es die Rda. Er hängt den gebratenen Hahn heraus. Daneben gibt es noch den gebratenen Hahn spielen ;vg\. ndl. ,den gebraden haan uithangen4 und ,den gebraden haan speien4. Die dt. Rdaa. vom ,gebratenen Hahn4 sind nur bei Wander zu finden und wahrscheinl. nicht weit verbreitet. Weitere Rdaa. gehen auf alte Bräuche um den Hahn zurück: einen Hahnen ertanzen oder ertanzen wollen oder Er hat seinen Hahn ertanzt(das Beste erreicht) haben ihren Urspr. indem Hahnentanz,einem alten Kirmesbrauch. In den Fastnachtsspielen aus dem 15.Jh. heißt es: „dorfmaid und baurnknecht/die wollen tanzen umb den ,Einen Hahnen ertanzen' han;/und von welhem baursman/das pest wird getun un alls Gef er.../dem wirt der han gegeben“. Von Franz von Sickingen stammt der Ausspruch: „Ich bin nit der Han, darum man tanzt44. Einem den roten Hahn aufs Dach setzen: sein Haus in Brand stecken; der rote Hahn kräht auf dem Dach: das Gebäude brennt. Auch in Engl, ist die Bez. ,red cock4 für Feuer bekannt. Die Rda. findet sich 1663 bei Schottel (,Teutsche Haubt-Sprache4, 1116b) in der Form: „Den roten Hahnen zum Gibel ausjagen“. In einer Breslauer Hs. vom Jahre 1560 lautet die Redewendung: „das her im einen rotten hann aufsetzen wolde“. Nach F. Kluge (,Zs. des Allg. Dt. Sprachvereins4, 1901, Sp.8) rührt sie von einem Gaunerzinken (Gaunerzeichen) her, einem mit Rötel gezeichneten Hahn, der Brandstiftung bedeutet habe. Dieser Erklärung widerspricht F. Seiler (,Dt. Sprichwörterkunde4, S.245), weil die Gauner eine beabsichtigte Brandstiftung doch nicht vorher kundgetan haben würden; außerdem werde das ,aufs Dach4 nicht erklärt. Aber in den Breslauer Malefizbüchern, so hat G.Schoppe festgestellt, wird oft berichtet, wie Fehde- und Absagebriefe, um ihnen mehr Nachdruck zu geben und die Bedrohten zu ängstigen, mit einschüchternden Zeichen versehen worden sind. So malte man auf ihnen Besen, Armbrüste, Schwerter ab. Die Erklärung Kluges wird also zu Recht bestehen. Hierzu paßt auch sehr wohl folgende Vorstellung: 370
Hahnrei Der Hahn kräht in der Frühe und kündet den Tag an; deshalb ist er ein altes Sinnbild des anbrechenden Lichtes, der auflodernden Flamme; bes. der rote Hahn bedeutet das flackernde Feuer. Schon in der altnordischen Göttersage spielt ein roter Hahn diese Rolle; er heißt Fjalar und verkündigt mit seinem Krähen das Anbrechen der Götterdämmerung (Völuspa Str. 29f.): Dort saß auf dem Hügel Und schlug die Harfe Der Riesin Hüter, Der heitre Eggdir; Es krähte bei ihm Im Kiefernbusch Der hellrote Hahn, Der Fjalar heißt. Doch Güldenkamm Bei den Göttern kräht: Er weckt die Helden Bei Heervater; Unter der Erde Ein anderer kräht, In Hels Halle, Ein braunroter Hahn. H. Pröhle gibt in seiner Sammlung deutscher Sagen4 eine Würzburger Überlieferung wieder: ,,In der Dominikanergasse in Würzburg steht ein Haus, das den Namen ,Zum roten Hahn4 führt. Auf das Dach dieses Hauses wurde von den Leuten des Wilhelm von Grumbach nach dessen Überrumpelung der Stadt Würzburg ein roter Hahn gesetzt und das Haus angezündet. Der rote Hahn krähte und flog von einem Dach zum andern; das Feuer verbreitete sich weiter auf andere Häuser; nach seiner Wiedererbauung erhielt dieses Haus den Namen ,Zum roten Hahn 4 4 4 . In dieser Erzählung gehen bildl. und wörtl. Bericht nebeneinander her. Ein am ganzen Mittelrhein bekanntes Gasthaus ,Zum roten Hahn4 liegt in dem bekannten Wallfahrtsort Arenberg, in der Nähe von Koblenz. - Wenig Wahrscheinlichkeit hat die von Eduard Stemplinger (,Neue Jahrbücher4 1918, 2, S. 85 f.) vorgebrachte Deutung der Rda. Er leitet die Vorstellung vom roten Hahn aus dem Altertum ab: die Germanen hätten den Hahn, wie einst die Griechen, als Abwehrer von Feuers- und Blitzgefahr auf Dächer und Kirchen gesetzt. Dann wäre der rote Hahn in sein Gegenteil verkehrt und aus dem Abwehrmittel gegen die Flamme die Flamme selbst geworden. Lit.: HdA. III, Sp. 1325 ff.; L. Rudolph: Stufen des Symbolverstehens auf Grund einer volkskundl. Untersuchung in Berlin über drei Symbolformen (Christopherus, Hahn, Johanniterkreuz), Berlin 1959; L.Kret- zenbacher: Der Hahn auf dem Kirchturm. Sinnzeichen, Bibelexegese und Legende, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 9 (1958), S. 194ff. Hahnrei. Ein Hahnrei sein, auch: Hahnreifedern tragen: ein betrogener Ehemann sein, Hörner tragen, /'Horn. Vgl. frz. suivre la bannière de Vulcain4. Der Ausdr. ist verschieden gedeutet worden. Richter- Weise glaubt an einen Zusammenhang des Wortes mit ,Reihen4 oder ,Reigen4 und meint, daß ein Hahnrei den Reigen der Hähne mitmache, die als geile Vögel das Sinnbild unzüchtiger Menschen abgäben. Die von ihm angeführten lit. Belege stützen diese Theorie, z.B. nennt Herzog Heinrich Julius von Braunschweig in seiner Komödie ,Weiberlist einer Ehebrecherin4 den genarrten Ehemann ,,Gallichorea44, und Pistorius erläutert in seinem Thesaurus par- oem.4 5,396: ,,Hahnrey est vocabulum ratione originis mere germanicum, quod a voce Hahn et reye hoc est chorea, Tanz descendit44. Auch eine Stelle in Seb. Brants ,Narrenschiff4 ist in dieser Weise zu deuten: „wer lyden mag, daz man in goich oder man in die schuoch im seich oder setzet hörner uf die oren, der hat ein reygen mit den do- ren44. Dagegen hat Dünger (,Germania4 29,59f.) auf den Brauch hingewiesen, jungen Hähnen, wenn sie zu Kapaunen gemacht wurden, die unten abgeschnittenen Sporen in den Kamm zu setzen. Sie wuchsen dort fest, bildeten eine Art von Hörnern und dienten zur Unterscheidung von Hähnen und Kapaunen in einer größeren Hühnerschar. Kluge schließt sich dieser Deutung an und kann sie durch die Etymologie des Wortes bestätigen: im 15. Jh. ist für das Mnd. ,hanerei4 und ,hanreyge4 bezeugt, das im 16. Jh. von Niedersachsen aus als ,hanrey4 und ,hanreh4 ins Frühnhd. gedrungen ist. Die Ausgangsbdtg. ist verschnittener Hahn, Kapaun. Auf den Menschen übertr. wurde der Ausdr. zur Schelte für den in sexueller Hinsicht untüchtigen Ehemann, der von seiner Frau wie ein Kastrat behandelt und deshalb verspottet und 371
Hahnrei ÖvT ViuuNin «-'AV ki) <r%J^nutnùt * ♦ * ^cé(i*n nvlfauiu't i Ùé Öcbutf i \ii<v #ifa* Wn'u / <£tvir buij bas bw mvÿî fair attriti, WÀmcrSfltyïii* Audj |%'U1 ^r: buftf iWtf: u rt> /n;iVn i'a\: A?r;iflna A>t«aiu j bVhi ' lyu ftdjnSfyt} bp f5* n,r‘‘iü I ifb KK'Ur oir »inner 0?wm—7 . ich n;t\ri aiiFf bem /^öilPi, \Svbj*ttijf an bram «hurt irrtrtri x ^ ^mvM a\\(i) cm^riff aûn bwTUs« Tatfc <%ni )t(bn i«ö* ftätfr. rtwl nrr /♦* fie* ici? tttfiï wwfmt fort. ^Kün Nv<i(' *\< nnli <* /UK .haia—i 5o Wf ÙH is ajtrh 3itrmauta ftaqn« X fl<b bß; n*a? Warner ich mien ■>yjai«bt ihrer bocf) îweb mdirrtte «h. jfrcMfbf wifi? baä-ffd) m<i)t biitftfcr-t c ‘iVr -vanrt reift« rrcf fVmbnrf f<»—î . ,Hahnrei4 betrogen wird. ÄhnL heißt der Gatte einer untreuen Frau im Frz. ,beließ = Widder (verschnittener Schafbock) oder ,cerf = Gehörnter (eigentk Hirsch). Der zweite Wortteil von Hahnrei muß also Kastrat bedeuten und hat nichts mit Rei¬ gen zu tun. Dies läßt sich über das ostfries. ,hänrüne‘ = Kapaun, betrogener Ehemann klären. So sagt man dort z.B. von einem Ehemann mit vielen Kindern, dessen Vaterschaft fraglich ist, er sei ,’n Hahnrun mit niuggen Sjuken\ Im Ndl. bedeutet ,ruin‘ 372
Halm, Hälmlein das verschnittene Pferd. Daraus sind in den ndd. Mdaa. Formen mit ,öi4 und entrundete Wortteile wie ,-rein4 entstanden, die das verschnittene männl. Tier und den untüchtigen Ehemann bezeichnen. In der Volksetymologie wird jedoch Hahnrei mit ,Hahnreiter4 verbunden, wie auch Bildbelege erweisen, z.B. ein Kupferstich von 1650 stellt einen gehörnten und mit Hahnenfedern versehenen Mann dar, der auf einem Hahn reitet. Er macht zudem noch die Gebärde der gehörnten Hand, obgleich diese eigentl. ihm selbst gelten sollte. Einen zum Hahnrei machen; einem Hahnreifedern auf setzen: ihn betrügen; Ehebruch verüben. Lit.: H. Dünger: .Hörner aufsetzeiE und .Hahnrei1, in: Germania. 29 (1884), S. 59 L; Richter- Weise: Dt. Rdaa. (Leipzig 1910); F. Kluge: Etymol. Wb. (Berlin 1963), S. 282; L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachge- bärde, S. 121-149. Haken, Die Sache hat einen Haken: die Sache hat eine versteckte (oder plötzlich auftauchende) Schwierigkeit. Da steckt der Haken!: darin liegt eben die Schwierigkeit. Das Bild der Rda. stammt vom Angelhaken: wie der Fisch wohl den Köder, aber nicht den Angelhaken sieht, so sieht der Mensch zunächst nur den Reiz des Vorteils bei einer Sache und nicht ihre schädlichen Folgen. Diese Erklärung wird durch eine Stelle aus Joh. Fischarts ,Geschichtklitte- rung4 von 1575 gestützt: ,,Derhalben muß es ein ander häcklin haben, daran der fisch behäng“. Die Rda. kommt schon mhd. vor, so im ,Seifried Helbling4 (1,1092) in der Form: Ich achte daz sie biderbe si und doch nicht arger liste vri: da si vil lihte ein haekel bî. Die Rda. findet sich gelegentlich auch in erweiterter Form: ,Es hat noch einen Haken, wie bei jenem Bauernburschen4. Diese Formulierung spielt auf eine weitverbreitete Anekdote an: Ein Bauernbursche kam zum Pfarrer, um das kirchliche Aufgebot zu bestellen. Die Sache, bemerkte er, hat aber noch ein Häklein. Und auf die Frage des Pfarrers, worin dies bestehe, erwiderte er: sie mag mich nicht. Aber, lieber Freund, sagte der Pfarrer, das ist kein Häklein, das ist ein Haken. Haken an den Fingern haben: krumme Finger haben, fremde Sachen mitnehmen, stehlen. Ein Häkchen auf jem. haben: ihm etw. nachtragen, einen Pick auf ihn haben; bes. in ostmdt. Mdaa., eigentl. wohl: ihn an einem Haken noch festhalten. ,Se mot en Häksken springen laten4, sagte man in Hamburg zu einem Frauenzimmer, das, als noch das Einschnüren und Häkeln Mode war, nicht viel essen konnte. halblang. Mach es halblang!: übertreibe nicht. Die Rda. geht wohl auf die iron. Anspielung hinsichtlich einer übertriebenen Längenangabe zurück und ist gegen Ende des 19.Jh. von Berlin ausgegangen. halbmast. Die auf den halben Fahnenmast gesetzte Trauerbeflaggung ist bildl. auf die verschiedensten Dinge übertr. worden, z.B.: seine Gesichtszüge auf halbmast setzen .-traurig blicken; die Hosen auf halbmast tragen: die Hose zu hoch ziehen; die Krawatte auf halbmast tragen: die Krawatte unterhalb des Kragen Verschlusses tragen. Diese Rdaa. gehören erst der Gegenwartssprache an. Halbzeit. Nun mach aber Halbzeit!: rede nicht weiter! Der Ausdr. ist vom Fußballsport hergenommen. Hallo. Großes Hallo von (um) etw. machen: viel Lärm um etw. machen (/Geschrei). Hallo war eigentl., ebenso wie Holla, der Ruf an den Fährmann, einen Wartenden übers Wasser zu holen. ,Halen4 ist die ndd. Form für ,holen4 und bedeutet eigentl. erschallen lassen, dann herbeirufen, und das ,o4 steht klangvoll am Ende wie bei ,Mordio schreien4; das ,a4 von holla dient zur Schallvermehrung beim Imperativ und Ruf wie in ,hopsa4, ,hurra4. Halm, Hälmlein. Halm in der urspr. Bdtg. als Stengel von Gräsern oder Getreide findet sich in folgenden Rdaa. nach einem (Stroh)halm greifen, sich an einen Strohhalm klammern: wer in Schwierigkeiten geraten ist, versucht alles, auch wenn es noch so aussichtslos ist, um sich aus seiner Lage zu befreien, ebenso wie der Ertrin¬ 373
Halm, HÄlmlfin kende versucht, sich durch das Greifen eines Strohhalms zu retten. Die Rda. ist auch engl, bekannt ,to grab at a straw' sowie schwed. ,gripaefter ett râddande halmsträ'. Der Ausdr. ,Mann ohne Ar und Halm' wird dem Reichskanzler von Caprivi zugeschrieben; bei ,Ar' wird hier jedoch nicht an das Flächenmaß gedacht worden sein, das damals (1893) in Dtl. noch durchaus ungebräuchlich war, sondern an das ndd. ,Ahr' = Ähre; vgl. die ndd. Rda., die ein unfruchtbares Gebiet kennzeichnet ,doa waßt nich Ahr, nich Halm'. Früher weit verbreitet war die Rda. einem das Hälmlein vorziehen oder einem das Hälmlein (süß) durch den Mund (das Maul) streichen (ziehen): jem. schmeicheln, ihm schöntun und ihn dabei betrügen, jem. um seine gemachten Hoffnungen betrügen. Diese Rda. kann nicht erst, wie meist angenommen wird, aus dem 16.Jh. stammen, denn schon in den mhd. Minnereden (Die Heidelberger Hss. 344, 358, 376 und 393, hg. v. Kurt Mathaei, Berlin 1913) steht: Beide nu und zu aller stunt Zühet sie uns den halm durch den munt: Spätere Belege finden sich in der ^imme- rischen Chronik' (3,578): „Die kunten dem gueten herren das helmlin durch das Maul streichen"; bei Hans Sachs (5,1579, 388): „bawer, du hast mich betrogen, das helmlein durch das maul gezogen" und bei Grimmelshausen (,Simplicissimus' 1,1,2 S. 8): . will er damit das hälmlein durchs maul (wie man im Sprichwort redet) ziehen, und ihnen solcher gestalt einen lust machen, was für eine gesegnete und edle nah- rung sie haben". Die Erklärung der Rda. ist umstritten. Es scheint ein Scherz mit einem mit Honig bestrichenen Halm zugrunde zu liegen, was gestützt wird durch einen Beleg aus der ,Margarita facetiarum' von 1508: „Calamus factus est, quem trahere tibi nituntur per os, si dumtaxat mei haberent, quo liniretur" (ein Rohrhalm ist gemacht worden, den sie dir durch den Mund zu ziehen sich bemühen, wenn sie nur Honig hätten, ihn damit zu bestreichen). Auf einem Holzschnitt zu Kap. 33 von Seb. Brants ,Narrenschiff' sieht ein Narr durch die Finger, während ihm die Frau das Hälmlein durch den Mund zieht (/Abb. bei Finger). Andere Deutungen beziehen sich auf ein Kinderspiel, bei dem dem Neuling ein Hälmchen durch den Mund gezogen wird, wobei ihm die Rispen in den Zähnen hängenbleiben; am weitesten entfernt scheint die Erklärung Wanders zu liegen, der die Rda. von den Hühnern herleiten will, denen bei Erkrankung eine Feder zur Heilung durch den Schnabel gezogen werde. Die Rda. ist heute noch z. B. in der erzgebirg. Mda. zu finden sowie auch Schweiz. ,eim 's Hälmli durch’s Mul ziehn' und schwäb. ,der weiß, wie ma de Leut ’s Hälmle durchs Maul streicht'. Das Frz. kennt eine ähnl. Rda.: ,passer à quelqu’un la plume par le bec' (worth: einem die Feder durch den Schnabel ziehen; übertr.: ihn um die gemachten Hoffnungen betrügen). In anderen Rdaa. bedeutet Halm etw. Geringfügiges, Kleines, um Größenunterschiede bes. deutlich zu machen (/Haar), so bei Klopstock: „um keinen Halm", um nichts; über ein Hälmlein fallen: sich an einer Kleinigkeit stoßen; Schweiz. ,es ist mer kei Halm drum', ich gebe nichts dafür, vgl. frz. ,je n’en donnerais pas une paille'; häufiger ist das Bild Bäume wie (Stroh-)Halme umknicken. Früher gebräuchl. war die Rda. sich leiden (d. h. Geduld haben) wie der Halm auf dem Dache: wie das Stroh auf dem Dach, das alle Unbilden des Wetters ertragen muß, die des Lebens ertragen; so bei Seb. Franck, ,Sprichw.' (1541) 2,76: „disz allein seindt arm leut, die leiden sich etwa... wie der halm auf dem tach". Ebenfalls ungebräuchl. geworden ist rhein. ,einen op de Hälm legen', einen Toten aufs Stroh legen. Die Hälmlein aus dem Stroh lesen ist eine verbreitete Rda. für eine unnütze Arbeit, aber auch für eine Arbeit, die niemanden etw. angeht ; z. B. rhein. ,Hälm ut dem Strüh söken'; vgl. auch ,Hafer aus Pferdeäpfeln lesen'. Der Halm als Mittel bei einem Losentscheid ist vor allem in der elliptischen Wndg. ,den /kürzeren ziehen' noch zu finden; das auf ein altes den kürzeren Halm ziehen zurückgeht. Die vollständigere Form begegnet uns noch rhein. ,et gröttste Hälmke trecken', das größte Glück haben, 374
Hals schwäb. ,’s best Hälmle', der beste Teil bei der Heirat, also schon in sehr spezieller Bdtg. und fast völlig von. der urspr. Loshandlung gelöst. Hals wird in vielen bildl. Rdaa. gebraucht, die zumeist ohne weiteres verständlich sind, z.B. einen langen Hals machen; den Hals recken: spähend ausblicken; sich einem Manne an den Hals werfen: sich ihm aufdrängen (von einem Mädchen gesagt); um den Hals falleti (aus zärtlicher Liebe); rhein. sagt man von einer Person, die die Liebeswürdigkeit übertreibt: ,Sie feilt em met den Benen om den Hals\ Jem. mitetw. vom Halse bleiben: ihn mit einer unangenehmen Sache verschonen; jem. einen auf den Hals schicken: ihm einen lästigen Besucher zuschicken; oder der drastische rdal. Vergleich aus dem Hals riechen (stinken) wie die Kuh aus dem Arsch: üblen Mundgeruch ausströmen. Es geht über Hals und Kopf\ meist abgekürzt Hals über Kopf: in toller Hast. Dem Bild dieser Rda. liegt die Stellung des Halses gegenüber dem Kopf zugrunde; sie meint eigentl. den Hals vor den Kopf setzen und sich so überschlagen. Grimmelshausen schreibt im Simplicissimus1 (11,273): ,,daß ich nicht unbehend auf den darbey stehenden Tritt sprang, aber in einem Hui über Hals und Kopf herunter purtzelte“; in anderer Form 1696 bei Chr. Reuter im ,Schelmuffsky‘ (S.27): „Wie sprung mein Herr Bruder Graf nackend aus dem Bette heraus und zog sich über Halß über Kopff an“. Vielleicht liegt der heutigen Form der Rda. aber auch eine frühere derbere Form zugrunde, wie folgende Wndgn. vermuten lassen: „über ars und köpf bürzlen“ (bei Joh. Fischart), westf. ,Ärs öewer Kopf1, Schweiz. ,Häupt über Arsch', meckl. ,Oever Kupp un Nars'. Vielleicht ist das anstößige Wort, das sich in allen mdal. Formen der Rda. noch findet, erst hochsprachl. durch Hals ersetzt worden; vgl. engl. ,heels over head'; /’Arsch. In vielen Wndgn. ist der Hals als der Träger einer Last, eines Joches zu verstehen: etw. (jem.) auf dem Halse haben: mit etw. Unangenehmen (mit jem.) beladen sein; ,sich etw. auf den Hals laden\ ähnl. einem auf dem Halse liegen. Die Rda. tritt z.B. bei Luther auf, auch bei Oldecop (S.44): „De frocht (Furcht) hadde de Türken lange up dem Halse gelegen“. Dieser Zustand, daß man etw. auf dem Hals hat, kann verschiedenen Ursachen entspringen. Man kann z.B. sich selbst etw. auf den Hals ziehen; ndl. ,hij heeft het sich zelven op den Hals ge- haald\ er hat sein Unglück selbst verschuldet. Schuppius (,Lehrreiche Schriften‘ 1684, S. 165): „Indem er sich vielleicht mit Huren geschleppt und dadurch diese Krankheit an Hals gezogen hab“. Oder sich etw. an den Hals saufen; Schoch (1657, ,Comedia vom Stud.leben', Lpz.): „daher er ihm eine Krankheit an den Hals gesoffen“. Oder sich etw. an den Hals ärgern; Lessing (1,355): „Ich fürchte, daß ich mir noch die Schwindsucht über dein Plaudern an den Hals ärgern werde“. Das ist ein Halsstreich des Teufels szgi man von einem unerklärlichen Übel. Luther (III 460): „Das ist nicht eine natürliche Krankheit, sondern ein Halsstreich des Satans“. Auch: Es kommt einem über den Hals: es überrascht einen unangenehm, es ist unwillkommen. Die Wndg.,einem über den Hals kommen' gebraucht bereits Luther in seiner Bibelübers., sie ist auch mdal. bezeugt, z.B. schles. ,es kommt über den Hals wie ein groß Wasser'. Die entschiedene Ablehnung: Bleib mir vom Halse!ist ebenfalls bei Luther und später vielfach belegt, z.B. bei Kotzebue (Werke 9, 170-1790): „bleib mir mit den vornehmen Verwandtschaften vom Halse“. Die Rda. sich etw. vom Halse schaffen\st auch lit. z.B. von Schiller (,Kabale und Liebe' 1,5) verwendet worden: „daß er sich seinen Nebenbuhler gerne vom Halse geschafft hätte, glaube ich ihm herzlich gerne“. Der Hals ist einer der für Leben und Gesundheit wesentlichsten Körperteile. Haisund Beinbruch! wünscht man jem. iron., wenn man abergläubisch ein solches Mißgeschick abwenden will. Der unverhüllt ausgesprochene Glückwunsch dagegen würde Unglück bringen. ,Hals und Bein' steht oft formelhaft zusammen. Trotz des Volksglaubens, wonach man das Gute nur herbeibeschwören kann, indem man scheinbar das Böse herbeiwünscht, kommt die Zwillingsformel aus dem Hebr. und heißt urspr. ,hazlöche un broche' (hazlachâ 375
= Glück, b’racha = Segen). Sie wird auch heute noch von den Juden in dieser Form hebr. sowohl wie jidd. oft verwendet (S. Landmann, S.87). Hals und Hand ist eine alte Rechtsformel bei Verurteilungen. Auf die Todesstrafe des Hängens und Köpfens - beide werden am Hals des Menschen vollzogen - beziehen sich die Rdaa. Das bricht ihm den Hals; es geht ihm an den Hals, es kostet ihm den Hals: das richtet ihn zugrunde, das bringt ihn zu Fall, damit ist er einer Schuld sicher überführt. Die Wndg. ist schon mhd. bezeugt: ,,daz ez im an den hals gät, swer ein kint ze tôde slät“. Ähnl. sich um den Hals reden: sich verteidigen; den Hals aus der Schlinge ziehen: sich aus einer Affäre herausreden; das wird (ihm) den Hals nicht kosten: es ist nicht sonderlich schlimm. Bildl. übertr. kann man auch dem Radio den Hals abdrehen: das Rundfunkgerät ausschalten oder einer Flasche den Hals brechen: sie entkorken, öffnen. Von einem stark Verschuldeten sagt man wie von einem beinahe Ertrinkenden die Schulden gehen ihm bis an den Hals (/Hutschnur). Der Hals als oberster Teil der Ernährungsorgane ist gemeint in den Wndgn.: Er kann den Hals nicht voll genug kriegen: nicht genug bekommen können (nicht nur an Speise, sondern auch an Lohn, Vergnügungen usw.), geldgierig sein; etw. bis zum Halse haben: einer Sache gründlich überdrüssig sein; das steht mir bis hierher (wobei man die Halshöhe mit der Hand andeutet): ich bin einer Sache überdrüssig; etw. in den falschen (verkehrten) Hals (bekommen) kriegen: etw. gründlich mißverstehen; die Rda. bezieht sich auf die Luftröhre, die heftig reagiert, wenn Speiseteile versehentlich hineinkommen; etw. hängt (wächst, kommt, steht) einem zum Halse heraus: einer Sache gründlich überdrüssig sein. Es kommt tatsächlich vor, daß Tieren, die sich überfressen, das letzte Stück zum Halse heraushängt; wenn das Federwild das zuviel Gefressene wieder ausspeit, so nennt das der Jäger ,das Geäs aushalsen\ Schwäb. ,den Hals strecken müssen', zum Brechen gereizt werden; Schweiz. ,en lange Hals iibercho', lange warten müssen, ,eim .en lange Hals mache', ihn lange warten lassen; vgl. frz. ,allonger le cou'. Der Hals als Sprachorgan ist gemeint in Rdaa. wie einem den Hals stopfen: ihn zum Schweigen bringen; das Wort blieb ihm im Halse stecken; in seinen Hals lügen: sich selbst mit einer Lüge betrügen, z. B. 1536 in Paul Rebhuns Drama ,Susanna': Gots vrteyl soi dich recht erhaschen, dann du in deinen hals thust liegen, damit du dich wirst selbst betriegen. Doch gilt die Wndg. auch nur als Verstärkung des Begriffes ,lügen'; so in Lessings Sinngedicht, Veit und Polt': ,,Das leugst du, Polt, in deinen Hals“. Meckl. ,He ritt den Hals allerwärts äwer apen', er meckert über alles. Kleine Sprachhemmungen oder -fehler haben in den Mdaa. viele verschiedene bildl. Rdaa. bewirkt, z.B. rhein. ,e Krott im Hals haben', eine rauhe Stimme, einen belegten Hals haben, oder einfach es im Hals haben: Halsweh haben; ,ä Rädche im Hals haben', das ,,R“ schnarrend aussprechen, köl. ,en Ädäppel im Halse haben'. Eine Halsuhr bei sich tragen: einen Kropf haben. Ein Ausdr. aus der Jägersprache, mit Hals und Horn jagen bedeutet: mit Rufen und Blasen jagen. Laber (Jagd 446): vom hals und mit dem horne jag ich so mangen stunden in Sun und auch mit zorne. Schles. ,’n helle hals haben', eine laute Stimme haben; hd. ,lauthals' schreien. Schles. ,den Hals opslagen', sehr weinen. Von einem Großmaul sagt man schles. ,Hel het de Hals jümmer apen'. Schwäb. sagt man von jem., der ständig zum Fenster hinausschaut ,Er hat’s Fenster am Hals' oder alem. ,’s Hus an Hals henke!' Euphemist. meckl. ,n’hämpen Halsband umkriegen', gehängt werden. So bei Abraham a Sancta Clara (Judas' II, 4): ,,Mit des Seilers Hals-Tuch beschenkt werden“. Dann steh ich da mit dem gewaschenen Hals: dann ist alles umsonst, dann bin ich der Blamierte, der Bloßgestellte, der Dumme. Die Rda. ist der Schlußsatz eines jüd. Witzes, in dem die Mutter den kleinen Moritz auffordert, sich den Hals zu waschen, weil die Tante zu Besuch komme. Der Sohn antwortet darauf: „Und wenn die Tante nicht kimmt, steh ich da mit dem gewaschenen Hals!“ 376
Hammel Hammel. Um wieder auf besagten Hammel zu kommen: um nach einer Abschweifung wieder auf den eigentl. Gegenstand der Unterhaltung zurückzukommen. Die Rda. ist eine Übers, von frz. ,Revenons à nos moutons!' und geht über die altfrz. Farce .Maître Pathelin4 eines unbekannten Verfassers (15. Jh.) auf den röm. Dichter Martial (l.Jh. n.Chr.) zurück (.Epigramme4 VI, 19): In einem Prozeß wegen veruntreuter Hammel (bei Martial sind es Ziegen) sucht der Richter den abschweifenden Kläger mit dem genannten Zuruf zur Sache zu bringen. Fischart übersetzt 1575 in seiner .Geschichtklitterung4 (Ndr. S.37) das Ra- belaissche ,.Retournons à nos moutons!“ durch: ,,Aber laßt vns wieder auf vnsere Hammel kommen!“ Wir wenden die Rda. heute in der Form an. die ihr Kotzebue 1803 in den .Deutschen Kleinstädtern1 (III, 7) gegeben hat: ,.Wiederum auf besagten Hammel zu kommen“. Heinrich Heine: ,,doch, um wieder auf besagten Hammel zurückzukommen, im Collegium des Herrn geheimen Rates Schmalz hörte ich das Völkerrecht44. Oder bei Castelli (im ,Musicalischen Anzeiger4, Wien 1831): „besagten Hammel anlangend, hat uns die Solostimme recht freundlich angelächelt“. Auch im Engl, findet sich das Wort. Es heißt in .German Home Life' (London 1876,17): „But to return to our sheep“. Eigentl. volkstümlich ist die Rda. nicht geworden. Einen bei den Hammelbeinen nehmen (kriegen): ihn drankriegen, ihn ergreifen, zur Verantwortung ziehen; einem die Hammelbeine langziehen: ihn scharf herannehmen, schinden. Beide Rdaa. sind erst in jüngerer Zeit aus der Soldatensprache in die allg. Umgangssprache übergegangen. Das zugrunde liegende Bild ist vom Metzger genommen, der dem geschlachteten Hammel die Beine langzieht, um sie zu enthäuten. In den Mdaa. gibt es eine große Zahl von Vergleichen, Schimpfworten und Rdaa. mit Hammel. Die meisten von ihnen sind jedoch nicht über die engen Grenzen eines Dialektes oder sogar nur eines Dorfes, einer Stadt hinaus gebräuchl. geworden und geblieben. Mit dem Hammel verbindet man vor allem folgende Eigenschaften: Unreinlichkeit, Gutmütigkeit, Geistesschwäche und Einfältigkeit. An rdal. Vergleichen findet sich dumm wie ein Hammel, geduldig wie ein Hammel (/Lamm), grob wie ein Hammel lm ndd. Raum mit seinen großen Schafzuchtgebieten wird der Hammel in vielen Vergleichen, Sprww. und Rdaa. genannt. So sagt man von einem Verrückten ,Der hätt sick mit’n narrschen Hammel stött\ er ist mit einem tollgewordenen Hammel zusammengestoßen. Auf O-Beine spielt die Rda. an ,Dei geht keinen Hammel ut’n Wäg, dei löppt der mank dörch4. Von einem, der ohne sein Dazutun zu einer Weisheit gekommen ist, sagt man ,Hei kümmt der achter as Thoms hinner (achter) dei Hammel4 (er kommt dahinter wie Thoms hinter die Herde). Thoms, der Schäfer, pflegte, weil er ein schlechter Schäfer war, stets vor seiner Herde zu gehen, bis diese eines Tages über ihn hinwegging. So kam er .achter dei Hamei4. Von einem, der sein Schäfchen ins Trockene zu führen weiß, sagt man ,He wet sinen Hamel to leiden wo Gras wasst4, er nimmt seine Vorteile wahr. ,Dei nimmt fif Poten up’n Hamei4 sagt man von einem, der unverschämte Forderungen stellt; ,he is ook ein von dei Oort, dei’n Hamei mit fif Bein söcht4 von einem, der gierig ist. Diese Rda. findet sich in den rom. Sprachen wieder; hier wird sie auf einen übergenauen Menschen bezogen, einen der Schwierigkeiten sucht, wo keine sind. ,Chercher cinq pattes à un mouton4 oder chercher un mouton à cinq pattes4 heißt die Rda. frz., ,cercare cinque piedi al montone4 ital. Eis. ,loß de Hamel brunse!4, laß die Dinge nur ungehindert ihren Weg gehen, es wird schon von selbst zu einem guten Ende kommen. Das Rhein, kennt die Rda. ,Der sieht vor Woll de Hammel nit!4 Sie wird angewendet auf einen, der vor lauter Drumherum das Wesentliche nicht sieht, und steht parallel zu der Rda. ,vor Bäumen den Wald nicht sehen4. Auf die Eigenschaft der Schafe .ihrem Hammel blind nachzufolgen, bezieht sich die frz. Rda. .comme les moutons de Panurge!4 Der Schafhändler Didenault hatte Panurge beleidigt. Panurge kaufte ihm daraufhin den schönsten Hammel ab und warf 377
Hammer ihn ins Meer. Die ganze Herde folgte nun dem Leithammel nach und ertrank. Der Schafhändler und seine Gehilfen, die die Herde aufhalten wollten, kamen gleichfalls im Meer um. Dazu paßt die pfälz. Rda. ,Der laaft mit wie e Hammel\ der hat keinen eigenen Willen, der läuft überallhin mit. Auf die Sanftmut und Wehrlosigkeit der Hammel bezieht sich die frz. Rda. ,se laisser égorger comme un mouton1. Sie geht auf die erste Protestantenverfolgung in Frankreich zurück, als sich die Hugenotten regelrecht abschlachten ließen. Pi,e Abstimmung durch Hammelsprung ist ein parlamentarischer Abstimmungsvorgang, bei dem die Abgeordneten den Saal verlassen und durch die Ja- bzw. Nein-Türe wieder eintreten. Der Ausdr. ist nicht vom Leithammelprinzip abgeleitet, sondern von der Beobachtung, daß beim Überspringen eines Grabens, einer Hecke usw. ein Schaf nach dem anderen springt; das Nacheinander wird betont. Er wird dann durchgeführt, wenn beim Präsidium Zweifel über die Mehrheit der Ja- oder Neinstimmen herrschen. Der Ausdr. wurde im alten dt. Reichstag geprägt, weil dort als Sinnbild der Stimmenzählung ein Schäfer über der Tür abgebildet war, der die Schafe zählte, in dem er sie durch seine Beine laufen ließ. Lit.: Th. Hornberger: Der Schäfer, in: Schwab. Vkde., N.F. Bd. 11/12 (Stuttgart 1955); W. Jacobeit: Schafhaltung u. Schäfer in Zentraleuropa bis zum Beginn des 20. Jh. (Berlin 1961). Hammer. Zwischen Hammer und Amboß: in sehr bedrängter Lage; die Rda. hat eine griech. Entsprechung schon bei Origenes (ca. 200 n.Chr.) ,p£Ta£ù tou axpovoç xorï Tf|Ç ocpüpocç4 ; in lat. Form wird sie von Erasmus von Rotterdam gebraucht (,inter malleum et incudem1). Goethe gebraucht das Bild dichterisch in seinem 14. venezianischen Epigramm: Diesem Amboß vergleich ich das Land, den Hammer dem Herrscher, Und dem Volke das Blech, das in der Mitte sich krümmt. Wehe dem armen Blech! wenn nur willkürliche Schläge Ungewiß treffen und nie fertig der Kessel erscheint. Auch mdal, ist die Rda. geläufig, wie so viele, die vom Handwerk hergeleitet sind, z. B. ndd. ,he sitt twischen (mank) Hammer un Knieptang', rhein. ,de sätt ärg onger den Hammer1; vgl. auch frz. ,être*placé entre l’enclume et le marteau1; ital. ,essere tra l’ancudine e il martello'; ndl. ,tussen den hamer en het aanbeeld'; dän. ,han staaer mellem hammer og ambolten'. Vgl. auch zwischen /Tür und Angel stehen'. Hammer oder Amboß sein: entweder der Schläger oder der Geschlagene, der Bedrückte oder der Bedrücker, der Herr oder der Diener sein. Im zweiten ,Kophtischen Liede' Goethes heißt es: Du mußt steigen oder sinken, Du mußt herrschen und gewinnen Oder dienen und verlieren, Leiden oder triumphieren, Amboß oder Hammer sein. So auch in den Mdaa., z.B. schwäb.: ,wer net Hammer sei will, muß Amboß sei'. Bei der Rda. ,Er will wissen, ob Hammer oder Amboß eher gwesen ist' handelt es sich um eine Variante der ,Huhn-Ei'-Frage. Von einem Menschen, der viel angibt, kann man ndd. sagen ,groot Hammer - lütt Ambolt'. Sachlich kann man dazu folgendes feststellen: Das griech. Wort für Amboß ^xpcov1 hat wohl die gleiche Wortwurzel wie in Hammer, beide haben urspr. die Bdtg. ,Stein', es gab also eine Zeit, in der man Hammer und Amboß nicht unterschied. Etw. unter den Hammer bringen: öffentl. von Gerichts wegen versteigern; häufiger unter den Hammer kommen: öffentl. versteigertwerden, weil hierbei der ,Zuschlag' mit einem Hammer erteilt wird, wodurch der Verkauf erst rechtskräftig wird. Der Hammer hat zwar eine alte rechtssymbolische Bdtg.: durch Herumsenden eines (hölzernen) Hammers wurde früher die Gemeinde berufen oder das Gericht angesagt; der Wurf mit dem Hammer (häufiger freilich mit dem /Beil) diente zur Grenzbestimmung; so geboten die Herren von Mainz den Rhein hinauf und hinab so weit, als sie mit einem Hammer werfen konnten, nachdem sie zuvor in den Rhein geritten waren. Es lag für frühere Erklärer dieser Rdaa. nahe, den Hammer als Gerichtszeichen mythologisch mit dem Hammer des Gottes Thor (dt. Donar) in Verbindung zu bringen, mit dem der Gott Verträge, z.B. 378
Hand auch den Ehevertrag, weiht. Aber daß der Hammer des Versteigerers auf den Hammer Thors zurückgeht, laßt sich durchaus nicht beweisen, zumal die Rda. ,metten ha- mere vercopen' erst im Mndl. (Brügge) und ,mit dem hammer schlachen' = öffentl. verkaufen 1532 im Schweiz, belegt ist. Älter, und zwar schon im 14. Jh. bezeugt, ist die Wndg. ,mit der hant dar slähen' für den Abschluß eines Kaufes, aber nicht in der Form einer Versteigerung. Hammer wird schließlich auch mit dem /Teufel in Verbindung gebracht: Daß dich der Hammer schlag (treff); ähnl. Verwünschungen sonst vor allem mit Blitz und Donner. Die Rda. ist auch mdal. weit verbreitet, so z.B. ndd. ,di schall de hamer!', schwäb. ,daß di der Hammer verstupf!'; vgl. ndl. ,wat hamer'. Auch andere Fluch- und Scheltworte werden häufig in Verbindung mit dem Donner gebraucht: ,bim Dünner Hammer' (schweiz.). Zum Ausdr. der Verwunderung wird der Hammer oft mit ,Botz‘ verbunden. So finden wir ,Botz Hammer!', ,Botz Dummer Hammer' und euphemist. verdeckend ,Botz Dummei Hammel'. Seit dem späten MA. ist die Bez. des Teufels, dann auch des Todes und des Henkers, als ,Meister Hämmerlein' belegt. Der älteste Beleg findet sich im ,Ambraser Liederbuch' (Ndr. 142): Welchs meister hemerlein wol gefeit, das sich die Welt so greulich stellt. Meckl. heißt es ,dor kümmt jenner mit’n widen Hammer', um den Tod zu umschreiben; dagegen Schweiz. ,er ist ein rechter Meister Hämmerli', er ist ein überkluger, lästig-geschäftiger Mensch. Auch für diese Bdtg. gibt es sehr frühe Belege: ,,Er sye nun bisher für ein doctor und für ein meister he- merli geachtet, hat doch auf den hochen schuelen nichts anderes gelernt, dann den Narristotelem" (Johannes Kesslers Sabbata, Chronik d. Jahre 1523/39, hg. v. E. Götzinger, St. Gallen 1902). ,,Von dannen ist in den Eidgenossen ein Spriichwort entstanden, dass, wenn wir von einem reden, der sich Etwas unternommen, das er nicht glücklich ausgeführt und doch etwas ist und sein will, auf den aber nit Jedermann viel hat, dass man spricht: das ist Meister Hämmerli" (Schweiz. Idiotikon). Eine Reihe fester Wndgn. stammt aus der Handwerkersprache; sie sind jedoch meist über einen kleinen Sprachraum nicht hinausgekommen. Aus dem Vergleich ,so dumm, daß man meint, er wär mit dem Hammer gehauen', rhein. ,esu domm, dat mer ment, e wär met dem Hammer ge- haue', stammt der gebräuchlichere Ausdr. er ist behämmert: er ist geistig nicht ganz vollwertig. Daher auch die Parodierung des Bibelspruches Matth. 5,3 „Selig sind, die da geistlich arm sind" zu: ,Selig sind die Bekloppten, denn sie brauchen keinen Hammer mehr'. Das ist ein Hammer: das ist großartig, es übertrifft alle Erwartungen, findet sich heute in der Umgangssprache vor allem der Jugendlichen (vgl. ,det is ’ne Wolke'). Aus der Schweiz ist noch eine besondere Variante bekannt: ,so g’schwind red’n, daß me mit kei’m Hämmerli derzwüsche (schlagen) chÖnt'. Lit.: E. Marold: Der Schmied im germanischen Altertum (Diss. Wien 1967) S.127. Hanau. Es abwarten wie die Hanauer. Der rdal. Vergleich bezieht sich wahrscheinl. auf den bayr. General Wrede, der Napoleon nach der Völkerschlacht bei Leipzig mit 40000 Mann in der Nähe von Hanau auflauerte und ihm den Weg zum Rhein verlegen wollte, aber am 30. und 31. Oktober 1813 von dem überlegenen Heere der Franzosen geschlagen wurde. Hand. Hand und Fuß haben (bildl. auch von Sachen, Gedanken, Vorschlägen, Plänen gesagt): gut durchdacht, vernünftig begründet sein: Wenn eine Sache ,Hand und Fuß' hat, so fehlt ihr nichts Wesentliches; sie ist so, wie sie sein soll. „Es hat hende vnd fuesse was der man redet" (Namenlose Sammlung von 1532, Nr. 510). Ausführlich erklärt Joh. Agricola 1529 die Rda. (Nr.445): „Ein gerader, vngestummelter leib hat sein art an henden vnd an fuessen. Mit den henden richtet er aus, was er zu schaffen vnd zu handeln hat, die fuesse tragen den leib vnd hende, wo der leib hyn wil, daß hende vnd fuesse souil geldte bey uns Deutschen, als wolgestalt, wolgeziert, wol- gethan, volkommen, vnd da kein mangel an ist. Also brauchen wir nun diß wort zum 379
Hand lobe vnd zur schände, zum lobe, Es hat hende vnd fuesse, was der thut vnd redet, das ist, es ist rechtschaffen, es hat einen bestand, es ist wolgestalt vnd wolgethan, zur schände, Es hat weder hende noch fuesse, es ist unvollkommen, es hat kein art noch bestandt, es ist flickwerck vnd gestummelt ding". Ähnl. Ausdrücke finden sich schon im klassischen Altertum, z.B. bei Plautus, Cicero, Livius. Vermutlich spielen ältere rechtliche Vorstellungen mit in die Bedeutungsentwicklung hinein: Die rechte Hand und der linke Fuß waren von besonderer Bdtg., denn mit der rechten Hand wurde das Schwert geführt, und den linken Fuß setzte der Mann zuerst in den Steigbügel. Das Abhauen der rechten Hand und des linken Fußes war im MA. eine bes. schwere Strafe. In dem Gedicht vom ,Meier Helmbrecht' wird dem Sohne des Meiers, dem der Henker nach einem ihm zustehenden Rechte unter zehn Übeltätern das Leben schenkt, eine Hand und ein Fuß abgehauen. Der Zwergkönig Laurin fordert ebenfalls Hand und Fuß von jedem, der seinen Rosengarten zertritt, aber ganz bestimmt den linken Fuß und die rechte Hand. Die rechte Hand und den linken Fuß noch haben bedeutete demnach zunächst: ein kriegstüchtiger Mann sein. Später wurde ,Hand und Fuß haben' auf jede Art von Tüchtigkeit übertragen. ,,Ein Brief, der Hände und Füße hat", heißt es in ,Wallensteins Tod' 1,5. ,Was ihr fehlt, wird mit Händ' und Füß’ an den Tag kommen' sagt man rheinhess. von einer Schwangeren. Mit Händen und Füßen ist eine feste Verbindunggeworden in Wndgn. wie: ,sich mit Händen und Füßen wehren (sträuben)'; danach z. B. Moscherosch: ,,Man wird nicht zu allen Zeiten mit Händen und Füßen angehalten", d.h. inständig gebeten. - Zwei, die sich an der Hand gefaßt haben, gehen Hand in Hand, doch können bildl. übertr. auch zwei Bestrebungen ,Hand in Hand gehen', d.h. sich vertragen und ergänzen. Z//r(oder an die) Hand gehen: freiwillig zu Gebote stehen. Für einen die Hand ins Feuer legen: für ihn bürgen, gutstehen. Das Bild der Rda. stammt von den ma. Gottesurteilen, bei denen der Beschuldigte die Hand ins Feuer zu legen hatte; blieb sie unversehrt oder heilte sie rasch, galt seine Unschuld als erwiesen. Stellvertretend konnte sich auch ein anderer dieser Probe für den Angeklagten unterziehen, wenn er von dessen Unschuld überzeugt war. In denselben Zusammenhang verweist die Rda. Deshalb verbrenne ich mir die Hätide nicht: ich lasse die Finger davon. Die Wndg. beruht wahr- scheinl. auf dem ,Kesselfang' (Greifen in kochendes Wasser) oder auf der ,Eisenprobe' (vgl. ,ein heißes /Eisen anfassen'). Hand aufs Herz! rufen wir heute jem. zu, wenn wir ihn ermahnen wollen, ehrlich seine Meinung, seine Überzeugung auszusprechen. Die Rda. hat sich auch noch im Kinderbrauch als Form der eidesstattlichen Versicherung erhalten; hier liegt auch ihr Urspr.: Im MA. war es eine symbolische, eigentl. die innersten Kräfte aufrufende und herbeiziehende Handlung bei der Eidesablegung, bes. von Geistlichen und Frauen, die Hand auf die linke Brust zu legen. ,Etwas mit Kußhand annehmen' Etw. mit Hand und Kuß annehmen, gewöhnlich zusammengezogen mit Kußhand, volkstümlich auch mit geschmatzten Händen: es äußerst gern annehmen, eigentl. indem man dem Geber dafür die Hand oder beide Hände kiißt, dann auch indem man die innere Seite der eigenen Finger küßt und diesen Kuß dem andern gleichsam zuwirft (Kußhand). Der Handkuß ist vermutlich, ebenso wie etwa auch die Umarmung zwischen Männern, aus der Antike zu uns gekommen. In den rom. Ländern finden sich diese Gebärden noch heute bei bes. festlichen Anlässen, wie bei Ordensverleihungen, Staatsbesuchen usw. Sie leben auf dem Weg über das span. Hofzeremo- 380
Hand niell noch in bestimmten Bräuchen aristokratischer oder diplomatischer Etikette, haben sich aber sonst ins Gebiet der bloßen Rda. verflüchtigt. Von der Hand in den Mund leben: das eben verdiente Geld immer wieder gleich für das tägliche Brot ausgeben müssen, nichts zurücklegen können. Die Heinde in den Schoß legen: untätig sein; ist zunächst wörtl. gemeint. Jem. rechte Hand sein: sein tätigster Helfer sein. Die Bdtg. der rechten Hand ist früh rdal. verwendet worden. Schon Wolfram von Eschenbach nennt im ,Willehalm1 (452,20) den verlorenen Rennwart „min zeswiu (rechte) hant44. In Goethes ,Götz von Berlichingen4 (1,1 ) wird Weislingen als „des Bischofs rechte Hand" bez. Die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: sich höchlich verwundern. Die Rda. ,Die Hände über dem Kopf zusammenschlagen1 verweist auf eine alte Gebärde, als Zeichen höchsten Staunens und Erschreckens. Auf alten Darstellungen z. B. des Jüngsten Gerichts, wie in Dürers ,Apokalypse1, finden sich Menschen mit dieser Gebärde, die wohl urspr. den Kopf nach oben hin schützen sollte. Die Gebärde ist heute zur bloßen Rda. abgeblaßt. Dies gilt auch für andere Handgebärden. Alte Trauer- und Klagegebärden, z.B. das Raufen des Haares oder das Ringen der Hände, als Gebärden der Totenklage aus antiken Schriftstellern und Darstellungen ganz geläufig, sind auch in Mitteleuropa noch bis in die beginnende Neuzeit in Trauerbräuchen geübt worden. Das zeigt z. B. ein Holzschnitt aus dem An- ,Händeringend1 fangdes 16. Jh. Heute aber sind Ausdrücke wie händeringend usw. nur noch rdal. erhalten. Die Hand ist leicht beweglich, daher ndd. ,as man de Hand umkihrt\ im Nu; hd. im Handumdrehen. Sie ist geschickt zu allerlei ,Handwerk4, je nachdem, was man in die Hand nimmt; einer hat manchmal alle Hände voll zu tun, aber wenn die Arbeit von der Hand geht, kann man bald an dies oder jenes die letzte Hand anlegen: die Sache zum letztenmal vornehmen, um ihr den letzten Schliff zu geben (vgl. Feile); schon lat. ,ultimam manum addere4. Von einem Ungeschickten und Faulen sagt man er hat zwei linke Hände oder (z.B. obersächs.) ihm sind die Hände bei der Arbeit im Wege; von einer gewandten Arbeiterin ihre Hände machen, was ihre Augen sehen. - Die Hand gibt und nimmt; daher auch übertr. nicht mit feeren Händen kommen; westf. ,de Hand in der Taske hewwen4, zum Geldausgeben bereit sein. - Jem. die Hände schmieren, ihm die Hände versilbern: ihn bestechen. Ebenso sagt man von einem Bestechlichen er hat eine hohle Hand; dazu das alte Seitenstück in einer Klage über die Leipziger Universitätslehrer längst vergangener Zeit: ,,(Welcher Student) nicht eynen yden in sünderheyt griist mit zugeschlossener hant, der muß in eynem guten zeychen geporn seyn44. Nicht in die hohle 381
Hand Hand auf keinen Fall, ausgeschlossen! Die Rda. gehört wohl zur hohlen Hand des Bestechlichen. Sie will besagen, daß der Betreffende keinem Bestechungsversuch zugänglich ist. Mit den Worten Nich in de Hand! lehnt man ein Anerbieten ab, ei- gentl. ein Kaufangebot, von dem man auch bei augenblicklicher Barzahlung nichts wissen will. ,Besser offene Hand als geballte Faust4. •l}u»S 3JJ1PQ afc gjo qut>(J jujJJo «jfaß: Hand von der Butte!: Rühre nicht daran! Laß die Finger davon! Gewöhnlich von einer heiklen Angelegenheit gesagt, bei der man sich leicht die Finger verbrennen kann. Das Bild der seit dem 18. Jh. bezeugten Rda. geht zurück auf die Weinbutte, in der die Trauben gesammelt werden; die Rda. wird eigentl. dem zugerufen, der naschen will: ,,Die Hand von der Butte! Es sind Weinbeeren drin44 (so bei Abraham a Sancta Clara, ,Totenkapelle4, 1710, Ndr. S.94); in dieser vollständigen Form findet sich die Rda. noch bair.: ,d4 Hand von de Buttn, es san Weibeerln drinn!4 In Gegenden, in denen man den Ausdr. ,Butte4 für das hölzerne Traggefäß nicht kennt, ist die Rda. mißverständlich entstellt worden zu Hand von der Butter! Verwandte Rdaa. sind nordostdt.: ,Hand vom Sack! Ös Ha- wer bön4, oder ,Et sönd Fösch drin4; auch ,Hand vom Sack! Der Haber ist verkauft!4 Lat. entspricht: ,Manum de tabula!4 (die Hand von der Tafel!), hergenommen von Schülern, die in Abwesenheit des Lehrers allerlei auf die Tafel malen. Einem die Hand im Sack erwischen: ihn auf frischer Tat ertappen; eigentl.: den Dieb bei der Hand ergreifen, die eben aus dem Sack (der Tasche) stehlen will; seit dem 16. Jh. belegt, aber schon ganz abgeblaßt in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (IV, 77): ,,ruckte sie aus ihrem Hinderhalt hervor und erwischte der so schmerzlich weynenden Mademoisellen die Hand im Sack, als sie weder den Lauff ihrer Seuftzer, noch den Fluß ihrer übermächtigen Zähren hemmen konnte44. In Holstein ist von einem Dieb gebräuchl. klebrige Hände haben, d.h. solche, an denen leicht etw. kleben bleibt (/Finger); das Gegenteil reine Hände haben ist allg. verbreitet. Einen auf (den) Händen tragen: ihn aufs liebevollste behandeln; vgl. Ps. 91, 12, Matth. 4,6 und Luk. 4,11. Dort wird von den Engeln gesagt, die dafür sorgen, daß der Fuß des Getragenen nicht an einen Stein stoße. Schon der mhd. Spruchdichter Spervogel (12. Jh.) kennt diese Wndg.: Stirbet er, sie sehent den tac, si trüegen in üf handen. Seine Hände in Unschuld waschen. Die Rda. ist bibl. Ursprungs und darum auch in paralleler Weise in den anderen europ. Sprachen in gleicher Weise vorhanden (frz. Je m’en lave les mains4; ital. ,Me ne lavo le mani4). Die Rda. geht auf einen Brauch und ein altes Siihneopfer zurück, das schon im mosaischen Gesetz eine Rolle spielt: 5.Mos. 21, 1-9 wird angeordnet, es sollen, wo ein von unbekannter Hand Erschlagener liege, die Ältesten der nächsten Stadt über einer jungen Kuh, der der Hals abgehauen ist, ihre Hände waschen und dabei sagen: ,,Unsere Hände haben dies Blut nicht vergossen, so haben’s auch unsere Augen nicht gesehen; sei gnädig deinem Volke Israel, das du, Herr, erlöst hast, lege nicht das unschuldige Blut auf dein Volk Israel usw.44 Ps. 26,6 singt David: „Ich wasche meine Hände in Unschuld44. Matth. 27,24 wäscht sich Pilatus vor der Verurtei- 382
Hand ,Seine Hände in Unschuld waschen1 lung Christi die Hände, um dadurch anzuzeigen, daß er an dem Blute des Verurteilten unschuldig sei. In neuerer Zeit wird die Rda. auch in parodierter Erweiterung gehört: .Ich wasche meine Hände in Unschuld und Schmierseife1. ,Eine Hand wäscht die andere1, eine Gefälligkeit hat eine andere zur Folge, auch: unerlaubte Handlungen bleiben unbestraft, weil sich die Täter nicht gegenseitig verraten oder weil um des Vorteils willen geschwiegen wird. Hand bedeutet als Rechtswort sogar: beherrschende Gewalt, ln jemandes Hand ,Eine Hand wäscht die andere1 stehen: in seiner Gewalt sein, früher auch von Personen gesagt, zunächst von Unmündigen: sie stehen in der Gewalt des Vaters oder von Verwandten, denen sie unterworfen sind. Der rechtliche Ausdr. für dieses Verhältnis war neben Hand das Wort ,Mund" (ahd. munt = Schutz), daher Vormund, Mündel, mündig. Die Hand auf etw. legen bez. sinnbildlich die Besitzergreifung. Er hat eine lange Hand (oder ,einen langen Arm"): er vermag viel, hat große Gewalt; dazu der Gegensatz: er hat eine kurze Hand. Seb. Brant schreibt im ,Narrenschiff" (19,76): ,,Dann herren hant gar lange hend""; Seb. Franck 1541: „Fürsten vnd herren habend lang hend""; in gleichem Sinne bei dem rÖm. Dichter Ovid: „An nescis longas regibus esse manus?"" (Weißt du nicht, daß die Könige lange Hände haben?). Die Hand über jem. halten: ihn beschützen, ihm Beistand leisten, helfen, zur Seite stehen. Die Rda. meint urspr. eine Rechtsgebärde: Wem das Begnadigungsrecht Zustand, konnte die Hand über Angeklagte oder Verurteilte halten und sie so außer Verfolgung setzen. Auch im Zweikampf genügte es, wenn der Sekundant die Hand über seinen Paukanten hielt, um den Kampf zu unterbrechen oder zu beenden und den Kämpfer vor weiteren Angriffen 383
Hand zu schonen (so noch heute im Boxkampf). Einen kurzerhand abfertigen; ebenso lat. ,brevi manu'. Dagegen etw. von langer Hand vorbereiten, auch frz. ,de longue main1. Unter der Hand: heimlich, im verborgenen; hergeleitet vom betrügerischen Kartenspieler, der unter seiner Hand die Karten vertauscht (belegt seit dem 17. Jh.). Handgreiflich werden: zur Prügelei übergehen. Vorderhand: zunächst, einstweilen, meint eigentl. nur den Teil einer Angelegenheit, der sich wirklich unmittelbar ,vor der Hand4 befindet und darum am besten zuerst anzugreifen ist. Überhandnehmen ist eine Betonungsveränderung aus älterem ,(die) Überhand nehmen4, mhd. ,überhant gewinnen4, den Sieg erringen. Auf den Händen sitzen: keinen Beifall spenden. Die Rda. stammt aus der Theatersprache und ist seit der 2.H. des 19.Jh. belegt. Auf der Hand liegen: offensichtlich sein. Die Wndg. ist genauso wie die Rda. etw. ist mit Händen zu greifen wörtl. und bildl. zu verstehen. Jem. um die Hand seiner Tochter bitten; jem. die Hand seiner Tochter geben: die Tochter an der Hand dem Manne zuführen; vgl. lat. ,in matrimonium ducere4, seine Braut in die Ehe führen. Mit der einen Hand geben, mit der anderen Hand nehmen illustriert das Bibelwort (Matth. 6,3): „Laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut44. ,Die rechte Hand nicht wissen lassen, was die linke tut‘ Ein Händchen für etw. haben: geschickt dafür sein; ndl. ,een handje van iets heb- ben4, frz. ,avoir le tour de main (Fhabi- tude) de quelque chose4; ,etw. im Griff haben4; engl. ,to have the knack of a thing4. Jem. aus der Hand fressen: ihm hörig, treu ergeben sein. Die Hände dabei im Spiele haben: heimlich dabei mitwirken. Einem etw. in die Hand spielen : ihm die Erwerbung einer Sache leicht machen. Etw. aus sicherer Hand wissen: aus zuverlässiger Quelle. Etw. unter den Händen haben: in Arbeit haben. In sicheren (guten) Händen sein: bei zuverlässigen Leuten. Etw. unter die Hände bekommen: in seine Gewalt bekommen. Einem die Hände binden: seine Macht beschranken. Aus eigener Hand etw. unternehmen: ohne Unterstützung eines anderen. Die Hand von jem. abziehen: die bislang gewährte Hilfe ihm nicht ferner zuteil werden lassen. Im Rheinhess, kennt man die rdal. Vergleiche: ,Hände wie ein Apotheker4, ,wie ein Nähmädchen4. Von einem Faulenzer sagt man rheinhess. ,Er ist kitzlich um die Hand4. Schwäb. heißt es von einem Geizigen ,Dear hot d’Händ scho zua g’hött, wia ’r uf d’Welt komma isch4. ,Dear hot bloaß zwoi Händ: oina zom Neahma und oina zom B’halta; dia zom Geaba fehlt ’ml. Modern vulgärsprachl. ist besser als in die hohle Hand geschissen besser als nichts. Die Reichhaltigkeit des Redensartenfeldes Hand zeigt noch einmal die folgende Kurz¬ 384
Handwerk geschichte (Krüger-Lorenzen, S. 122L); „Willy Winter hielt um Sophie Sommers Hand bei ihrem Vater an. Der aber schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: ,Hand aufs Herz! Sie leben doch von der Hand in den Mund, darum kann ich Ihnen meine Sophie nicht in die Hand geben4. ,Das stimmt nicht4, antwortete der Freier, ,ich werde nicht mit leeren Händen kommen, denn ich habe alle Hände voll zu tun. Ich bin nämlich die rechte Hand meines Chefs. Wir legen nicht die Hände in den Schoß, sondern wir arbeiten fabelhaft Hand in Hand. Wir sind keine Leute, die zwei linke Hände haben, im Gegenteil: uns geht das Tagespensum leicht von der Hand. Ich werde Ihre Sophie buchstäblich auf Händen tragen!4 ,Das sagen sie alle!4 ent- gegnete der Vater. ,Diese Heiratsanträge nehmen wirklich überhand. Alle wollen sie Sophie mit Handkuß nehmen. Mir sind übrigens die Hände gebunden. Ein anderer hat die Hand im Spiele. Sophies Verlobung mit Friedrich Frühling ist von langer Hand vorbereitet. Er hat mir unter der Hand mitgeteilt, daß er sie kurzerhand heiraten werde.4 ,Hand von der Butter!4 rief nun Willy Winter empört, ,sonst werde ich handgreiflich! Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß keiner außer mir Sophie freien wird!4 ,Nun denn!4 kapitulierte der Vater. ,Mit hohler Hand stehe ich vor Ihnen und lasse mich bestechen: eine Hand wäscht die andere. Hier mein Handschlag! Aber wenn Ihr nicht glücklich werdet, wasche ich meine Hände in Unschuld!444 Lit.: K. Sittl: Die Gebärden der Griechen und Römer (Leipzig 1890); R. Lasch: Der Eid (Stuttgart 1908); E. v. Künßberg: Schwurgebärde u. Schwurfingerdeutung (Freiburg 1941); H. Marigin: Die Hand, ein Sinnbild des Menschen (Zürich 1952); L. RÖhrich: Gebärdensprache und Sprachgebärde, in: Humaniora... honoring Archer Taylor (New York 1960), S. 121 ff; L. RÖhrich u. G. Memel: Reste ma. Gottesurteile in sprw. Rdaa., S. 345 f. handfest. Einen handfest machen: einfangen. Handhabe. Keine Handhabe finden: nicht wissen, wo und wie man eine Sache anfassen oder beginnen soll. Als Antwort auf die neugierige Frage: ,Was machst du?4 heißt es mdal. im Obd. ,e Handhebe an e Mehlsack4 und ähnl. im Schweiz. ,e Handhebi a-n-e-n alten Mehlsack4. Vom Antwortgeber ist damit eigentl. eine unsinnige Antwort beabsichtigt, doch gab es dieses Gerät in den alten Mühlen tatsächlich zum Transport schwerer Mehlsäcke. Handschuh. Den Handschuh hinwerfen, aufnehmen /Fehdehandschuh. Das ist meine Handschuhnummer: das sagt mir zu, das entspricht meinen Wünschen, meinem Können (Gegenwartssprache). Jem. mit (Samt-) Handschuhen an fass en: ihn schonend, behutsam behandeln. Der Handschuh dämpft den Zugriff der Hand; vgl. engl. ,to handle with gloves4. Handwerk. Das Handwerk grüßen, urspr. ein Ausdr. der auf der Wanderschaft befindlichen Handwerksgesellen, später auch 385
Hanf der Fachgenossen, die auf der Reise Meister, Berufskameraden oder Innungsherbergen aufsuchten. Einem ins Handwerk pfuschen: mit ungeschickter Hand in sein Tätigkeitsgebiet eindringen. ,Pfuschen4 bezeichnete urspr. die Ausübung eines Handwerks von einem, der nicht der Zunft zugehörte; älter auch (so bei Grimmelshausen) einem ins Handwerk stehen. Einem das Handwerk legen: ihn an der Ausübung einer Beschäftigung oder an einer Handlungsweise hindern, bes. ihm die unerlaubten Machenschaften unterbinden. Wer sich gegen gewisse Vorschriften der alten Innungsordnungen verging, dem konnte für immer oder auf eine gewisse Zeit ,das Handwerk gelegt4 (früher auch: niedergelegt) werden, d.h. die Innung konnte ihm die Ausübung des Handwerks verbieten. Eine alte Handwerksformel ist es auch, wenn Goethe in ,Dichtung und Wahrheit4 (5.Buch) sagt: ,,Sieht es doch aus, als wolltet ihr mir ins Handwerk greifen und mir die Kundschaft entziehen“. Lit.: R. Wissell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 2 Bde. (Berlin 1929); L.Röhrich u. G.Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alemannisches Jahrbuch (Bühl/Baden 1973). Hanf. Im Hanf sitzen: sich’s wohl sein lassen, nämlich wie ein Vogel im Hanffeld. Sprw. ist wohl auch in Goethes ,Götz von Berlichingen4: „Du kannst mehr als Hanf spinnen44. Hanf heißt nicht nur die Pflanze, sondern auch das daraus hergestellte Gespinst: sich nicht aus dem Hanfe finden können: nicht klug werden aus etw., auch: verworren reden (bereits im 17. Jh. bezeugt): ,,Ohne das Französische wird man sich schwerlich aus dem Hanfe finden44 (Lessing, ,Hamburgische Dramaturgie4). Durch den Hanf gucken: sich erhängt haben (obersächs.); ahnl. eis. ,er ist im Hanf erstickt4; ,Hänfners Fenster4, ,Hänfners Halsband4, ,Hänfnerkragen4 sind Ausdrücke für die Schlinge beim Erhängen. Wer gestohlen hat, ,der verdient eine gute Krawatte aus Hanf4 (frz. ,11 mérite une bonne cravate de chanvre4), d.h. daß ihm die Schlinge um den Hals gelegt werden soll. Von einem, der henkenswert ist, sagt man Er geht nicht gerne an einem Hanffelde vorbei. Ähnl. das Sprw.: ,Besser den Hanf in den Händen als am Halse4. Manchem Übeltäter steht der Galgen schon von früher Jugend an bevor, er muß seinem Lebenswandel nach für den Hanf gewachsen sein. Hangen, Hängen. Die Formel Hangen und Bangen ist ein verballhorntes Zitat aus Clärchens Lied in Goethes ,Egmont‘ (III,2). Im richtigen Zusammenhang heißt es dort: Freudvoll Und leidvoll, Gedankenvoll sein; Langen Und bangen In schwebender Pein, Himmelhoch jauchzend, Zum Tode betrübt, Glücklich allein Ist die Seele, die liebt. ,Langen4, das hier die Bdtg. von ,Verlangen tragen4 hat, wurde oft in ,Hangen4 verändert. Mit Hängen und Würgen: mit großer Mühe, mit knapper Not. Das Bild bezieht sich auf das Ersticken des Gehängten am Galgen (19. Jh.). Einen hangen haben: betrunken sein; verkürzt aus der Vollform: ,einen /Haarbeu- tel oder /Zopf hängen haben4. Hannemann. Hannemann, geh du voran!: eine Aufforderung zum Vorangehen; sie stammt aus dem Schwank von den sieben /Schwaben, der seit dem Anfang des 16. Jh. bekannt ist. Angesichts eines furchterregenden unbekannten Tieres, das aber in Wirklichkeit ein gewöhnlicher Hase ist, wird der eine der sieben Schwaben, der bald ,Gelbfüßler4, bald ,Jockele4, ,Hänsele4 oder ,Veitli4, auch ,Hahnemann4 heißt, aufgefordert: Hannemann geh du voran! Du hast die größten Stiefel an, Daß dich das Tier nicht beißen kann. Lit.: M. Radlkofer: Die sieben Schwaben und ihr hervorragendster Historiograph Ludwig Aurbacher (Hamburg 1895); A. Keller: Die Schwaben in der Gesch. des Ÿolkshumors (Freiburg 1907). Hannes. So kommt Hannes in et Warn mes: immer mit der Ruhe; nach und nach bringt 386
Hans einer doch etwas fertig; allmählich wird er begüterter. Die Wndg. warnt vor Übereilung und ist wohl auch iron, gemeint, wenn sich jem. gar nicht aus der Ruhe bringen läßt. Sie ist mdal. verbreitet. In Osnabrück und der Altmark lautet sie z.B. Allna groade kummt Hans int Wams1. Liselotte von der Pfalz gebraucht in ihren Briefen als eines ihrer Lieblingssprww.: ,,Mit der Zeit kam Jean ins wames, er zog aber 7 jahr ahn eine mau“. Vgl. auch ndl. ,A1 doende kwam wambuis in Härmen, en hij mouw de zeven jaar over eene trok4. Simrock (7261) verzeichnet die hd. Wndg. Nachgerade kommt Hans ins Wams, die aber nicht sehr gebräuchl. ist. Lit.: R. Lochmann: Volkskundliche Belege in den Briefen der Liselotte von der Pfalz; masch.-schriftl. Staatsexamensarbeit (Freiburg 1969). Hans als Kurzform von Johannes (Hannes) war früher, namentlich vom 14. bis zum 17. Jh.,der verbreitetste aller dt. Vornamen (vgl. Steinhausen in: Zs. f. d. U. 7, 621 ff.). So kommt es, daß Hans, ähnl. wie Peter, Matz (Matthias), Barthel (Bartholomäus), Grete, Liese in Ausdrücken wie Heulpeter1, ,Hemdenmatz1, ,Dreckbarthel1, ,faule Grete1, ,dumme Liese‘ u.a. als Gattungsname gebraucht wurde: ,Große Hansen4 (= große Herren), ,Faselhans1, ,Plapper- hans\ ,Gaffhans\ .Knapphans4 (für einen Sparer) und ,Prahlhans4. Da war (ist) ySchmalhans Küchenmeister; die Rda. ist schon seit dem 17. Jh. bezeugt; bei Schupp heißt es: „Wo man Holz umb Weihnachten, Korn umb Pfingsten und Wein umb Bar- tholomäi kauft, da wird Schmalhans endlich Küchenmeister44. Dem Tilly spottete man nach der Schlacht von Breitenfeld nach: Ein anders mal Bleib Hannes Schmal Und nit so gierig schaue; Denn wer zu voll Das Maul nimmt wol, Hat übel zu verdauen. Gern verwendet Goethe solche Ausdrücke: „Du sprichst ja wie Hans Liederlich44 (,Faust4 I, V.2628), ,,Hans Ohnesorge44 (,Erste Epistel4), „Hans Adam44 (,Westöstlicher Diwan4). ,Hans Urian4 (oder Musche Urian) ist eine volkstümliche Bez. des Teufels, ,Meister Hans4 wird der Scharfrichter genannt, ,Hans im Glück4 (nach KHM. 83) ist ein mit allem Zufriedener, ein Glückspilz. Den ,blanken Hans4 nennt man das Meer, vor allem die Nordsee. Hans wird auch zum Typus der Dummheit: ,Hans Dumm4, Hansnarr4, Hansaff(e)4, ,Hans Affenschwanz4 (älter: ,Affenzagel4). Hans (Dampf; dieser Zusatz erst seit dem Anfang des 19. Jh.) in allen Gassen führt Joh. Agricola 1529 an (Nr. 257) mit der Erklärung: „Er ist Hans ynn allen Gassen, Ein Steyn, den man hyn vnd wider waltzet, bewechst selten, also lernet nichts redliches, er gebe sich denn auff eines allein, vnd lerne das wol, Denn der ynn allen gassen wonet, der wonet vbel44. Hans Dampf in allen Gassen4 ist schließlich der Titel einer Erzählung von Heinrich Zschokke (1771-1848). In Gotha wird behauptet, ein Hans Dampf sei dort im 19.Jh. eine leibhaftige, stadtbekannte Persönlichkeit gewesen, und man beruft sich dabei auf die 1846 anonym in Gotha erschienene Dichtung: ,Die Wirkung des Dampfes oder das Leben auf der Thüringer Eisenbahn...4, wo es in der 10. Strophe heißt: Nun kommt auch Hans George, genannt der Hans Dampf, Hat Abschied genommen, überstanden den Kampf, Er will gern mit fahren in die höllische Fremd4, Mit seinen sieben Sachen, zwei Strümpf und ein Hemd; Das Entree bezahlet das Mütterchen fein, Und nun fährt der Schlingel über den Rhein. Hans Dampf4 heißt noch heute eine bekannte Gaststätte in Gotha. In Holstein nennt man einen, der alles aufschiebt, ,Hans Namiddag4 und einen, der alles aufwühlt, ,Hans Röhrup4. Hänschen im Kellerwwü im Scherz ein zu erwartendes Kind genannt (seit dem 18. Jh. belegt); vor allem in dem Trinkspruch: Hänschen im Keller soll leben!4 Ähnl. engl. Jack in the cellar4. Am bekanntesten ist Hanswurst, zuerst 1519 belegt, eine ndd., danach obersächs. Schelte des unbeholfenen Dicken, dessen 387
Harfe ,Hanswurst4 Gestalt einer Wurst gleicht. Der Name erinnert an den frz. ,Jean potage4, den ,Maccaroni4 in Italien, den Jack Pudding4 in England, den ,Pickelhering4 in Holland. Deutlich sind diese Namen nach den Lieblingsgerichten der unteren Volksklassen der verschiedenen Völker gegeben worden. Der Name Hanswurst erscheint zuerst in der ndd. Bearbeitung des ,Narrenschiffs4 (Brant selbst hat dafür ,,Hans myst44). Dann findet sich der Name in einer gegen den Herzog von Braunschweig-Wolfen- büttel gerichteten Schrift Luthers: ,Widder Hannsworst4 (Wittenberg 1541); darin heißt es: „Wohl meinen etliche, ihr haltet meinen gnädigen Herrn darum für Hannsworst, daß er von Gottes Gnaden stark, fett und Völligs Leibes ist44. Bei Luther ist die Bdtg. also auf,Tölpel4 erweitert. Die heute übliche Form ,Hans Wurst4 steht erst in Fischarts ,Gargantua4 1575 (Kap. 8, Bl. K 6b): „Trink allzeit for dem durst, so tringt dich kein durst Mein Hans Wurst44. In der zweiten H. des 16. Jh. wird der Hans Wurst zur Gestalt des Narren im Lustspiel, von da aus zur Bez. jedes närrischen, albernen Menschen. Daher die Rda. den Hanswurst (für jem.) spielen (machen): sich zum Narren halten lassen; ich bin doch nicht dein Hanswurst: ich lasse mich von dir nicht zum Narren halten; vgl. auch mit jem. das Häns¬ chen machen: ihn veralbern, als dumm behandeln. Lit.: A. Bach: Dt. Namenkunde, 3 Bde. (Heidelberg 1952-56), bes. Bd. 1: Die dt. Personennamen; F. v. Radler: Der wienerische Hanswurst (Wien 1894); W. Meyer: Werden und Wesen des Wiener Hanswurstes (Diss. Leipzig 1932 ); F. Heyck: Hanswurst (1928); H. Hohenemser: Pulcinella, Harlekin, Hanswurst (Diss. München 1940); O. Rommel: Die Altwiener Volkskomödie (Wien 1952). Harfe. Schon Luther kennt den sprw. Vergleich geschickt als der Esel zur Harfe; es ist vergebliche Mühe, dem Esel das Harfenspiel beizubringen. Schon mhd. „Ein man mac sich wol selben touben (betou- ben = betören), der ein esel wil harpfen lêren44. Statt des Esels erscheint auch der Bär als unmöglicher Schüler: „So mac man einen wilden bern noch sanfter herpfen lêren44. Dazu gehört das warnende Sprw.: ,Wer die Harfe nicht spielen kann, greife nicht hinein4 (/Esel). Lit.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Die Muttersprache (1963), S.20Iff. Harke. Ehiem zeigen, was eine Harke ist (,Ick wer dir zeigen, wat ’ne Harke is!4): es ihm begreiflich machen in einer Weise, daß er daran denken soll; jem. gründlich die Meinung, die Wahrheit sagen; den Standpunkt klarmachen, ihn derb und handgreiflich belehren. ,He kennt de Hark nig!4 (er kennt die Harke nicht) sagt man in Holstein von jem.. der zu Hause so tut, als ob er fremd sei. Die Rda. ist schon im 16. Jh. bezeugt: ,Itzt weistu, was ein harke heist4 (J.Ackermann: ,Der ungerathene Sohn4, 1540, S. 116). Obwohl das Wort Harke = Rechen auf den Norden Dtl.s beschränkt ist, bezieht sich die Rda. deutlich auf einen weitverbreiteten Schwank von dem aus der Fremde heimkehrenden Sohn, der die Sprache seiner Angehörigen nicht mehr verstehen will und in fremden Zungen redet: Ein Bauernsohn stellt sich bei seiner Rückkehr aus der Stadt (aus dem Ausland, aus der Lateinschule) so, als ob er nicht mehr wisse, was eine Harke ist. Als er aber aus Versehen auf die Zinken tritt und die Harke ihm mit dem Stiel an den Kopf schlägt, ruft er aus: ,1 du verflökte Hark!4 (z. B. Firmenich: ,Germaniens Völkerstimmen4 I,76f.). Ausführlich in dieser 388
Hase Form erzählt den Schwank zuerst Montanus in seiner ,Gartengesellschaft1; doch ist er bereits 1512 in Murners ,Narrenbeschwörung' erwähnt: „Wa doch dyn vatter bzale das, Do soltu nit vil darnach fragen. Wolt er denn darüber clagen, So mach dir selber ein latinum: Mistelinum gebe- linum!44 Die Heimkehr des jungen Helmbrecht (,Meier Helmbrecht4 V. 697 ff.) beweist, daß der Schwank auch im MA. bereits bekannt und volkstümlich gewesen sein muß. Vgl. die obersächs. Rda.: ,Er kennt die Harke nicht mehr4, er hat seine Muttersprache verlernt. Lit.: G. Polivka: Eine alte Schulanekdote und ähnliche Volksgeschichten, in: Zs. f. Oesterr. Vkde. 11, S. 158-165; dazu Nachträge von J. Boite, in: Zs. d. Ver. f. Vkde. 16 (1906). S. 298; F. Panzer: Zum Meier Helmbrecht, in: PBB. 33 (1908), S. 391-398; Wander II, Sp. 361 (,Harke' 4); Müller-Fraureuth 1, 477. Harnisch. Einen in Harnisch bringen: ihn zornig machen; die Wndg. ist schon 1626 bei Julius Wilhelm Zincgref belegt, ln Harnisch geraten: zornig werden. Eigentl. ist, wer im Harnisch ist, gerüstet und bereit zum Waffenkampf, dann übertr.: bereit, mit Worten zu kämpfen. Im wörtl. Sinne noch z. B. im 15. Jh. in Behaims ,Buch von den Wienern4 (S. 185, V. 8): All weg warn wir peraitet, so man anslug und sturm lautet do, jm harnusch waren wir das meist. Schon halb übertr. und doch auch real vorstellbar z.B. in einem Volkslied von 1688 gegen die Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen: Kaiser, kannst die Not du sehen, Und ihr Fürsten in dem Reich, Daß solch Schandthat kann geschehen, Und fahrt nicht in Harnisch gleich? „Im Harnisch sein44 bucht als sprichwörtlich 1561 Agricola, ebenso 1649 Gerlingius (Nr. 121): „Er fert leicht daher, wie ein zerbrochen Schiff. Er ist wenig zu heiß gebadet. Er ist bald im Harnisch44 (ebenda Nr. 129: „In den harnisch jagen44 für: zornig machen). Das worth Gegenteil dazu ist eigentl. ,entrüsten4 = die Rüstung auszie- hen. Über die abgeschwächte Bdtg. ,aus seinem geordneten Zustand bringen4 entwickelt dies dann aber, vor allem reflexiv gebraucht, den Sinn: aus der Fassung kommen, aufgebracht sein. Hase. Ich dachte, es hätte mich ein (oder der) Hase geleckt: ich meinte, mir wäre ein bes. Glück zuteil geworden. Eine seit dem 17. Jh. bekannte Rda„ die auch heute noch mdal. weit verbreitet ist. Obersächs. meint: ,Daar hat a Gesicht gemacht, als wenn’n der Hos gelackt hett4, er schmunzelte. Vielleicht ist die Rda. ganz wörtl. zu nehmen (ZFuchs), die freudige Überraschung, die sich als richtig erweist, wäre damit gut ausgedrückt, oder es steckt hinter dem Hasen etw. Dämonisches, da er ja im Volksglauben eine wichtige Rolle spielt. Wissen, wie der Hase läuft: gut Bescheid wissen; sehen, wie sich eine Sache gestaltet. Der Hase ist bekannt wegen seines Hakenschlagens, wenn er vom Hund aufgestöbert wird. Der erfahrene Jäger läßt sich von den .Wissen, wie der Hase läuft4 einzelnen Haken nicht beeindrucken und achtet nur auf die Hauptrichtung seiner Flucht. Auf dieser Beobachtung beruht schon die folgende Stelle in der .Hildesheimer Chronik4 von Oldecop aus dem 16. Jh.: „Tom lesten (zuletzt) dede de markgraf einen hemelichen afsprunk, also de hase deit, und vorlor sie44. Bei einer Sache mit zweifelhaftem Ausgang wartet ein Kluger ab, wohin der Hase läuft, in welche Richtung sie sich entwickelt; engl, sagt man im gleichen Sinne: ,to see how the cat jumps4 (sehen, wie die Katze springt). Goethe gebraucht im 4. Buch von .Dichtung und Wahrheit4 die Wndg. „einen Hasen nach dem andern laufen lassen44 und bemerkt dazu: „Dies war unsre sprichwörtliche Re¬ 389
Hase densart, wenn ein Gespräch sollte unterbrochen und auf einen andern Gegenstand gelenkt werden“. Den Hasen laufen lassen: das Geld mit vollen Händen ausgeben. Bereits Grimmelshausen schreibt im ,Simplicissimus4 (III, Kap. 11): ,,Ich war aber ein schröcklich junger Narr, daß ich den Hasen so lauffen ließ“, d.h. daß ich die Sache so begann, mein Geld so verschwendete. Merken, wo der Hase liegt: genau Bescheid wissen, den Kern der Sache erfassen, nämlich urspr. wo sich der Hase im Feld versteckt hält. ,,Ha, ha, nun merk ich wo der hase liegt“ sagt A. Gryphius (1698). Nur scheinbar eine Erweiterung ist die Rda. da liegt der Hase im Pfeffer: das ist der Punkt, auf den es ankommt; da ist die Schwierigkeit; da hakt es (vgl. ,da liegt der /Hund begraben4). Hier dreht es sich nicht um den lebenden, sondern um den toten und sogar schon fertig zubereiteten Hasen. Unter Pfeffer muß man eine früher allg. beliebte und oft bereitete Brühe oder Soße verstehen, die mit Pfeffer und anderen Gewürzen abgeschmeckt wurde und in der man Fische, Hasen und anderes Fleisch anrichtete (,Hasenpfeffer4). Die Rda. ist seit dem 13. Jh. schriftlich belegt. Bei Philander heißt es: ,,Keiner aber weiß, wo der Has im Pfeffer liegt, als der ihn angerichtet oder helfe essen“. ,,Da liegt der Haas im Pfeffer“ heißt es bei Schiller (,Kabale u. Liebe4 1,1). Geiler von Kaisersberg (gest. 1510) betitelt sinnbildl. einen Predigtzyklus: ,,Ain geistliche bedeutung des häßlins, wie man das in den pfeffer bereyten soll44, und in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (71,12ff.) wird von streit- und prozeßsüchtigen Leuten gesagt, sie verließen sich darauf, das Recht zu ihren Gunsten zu drehen: Nit denckend, das sy sint der has, der ynn der schriber pfeffer kumt. Der urspr. Sinn der Rda. ist wahrscheinl.: da sitzt der Unglückliche in der Patsche, und ihm ist nicht mehr zu helfen. Ähnl. ist das Bild von der eingebrockten Suppe, die ausgelöffelt werden muß. Deutlich geht dieser Sinn hervor aus der ,Zimmerischen Chronik4 (Bd. 4, S. 165): „Den (König) fieng erst an sein fürnemen zu rewen, jedoch so war der has im pfeffer, er kem gleich darauß, wie er weite44. Möglich ist auch, daß die Rda. ,Der Hase liegt in jem. Pfeffer4 (d.h. Der Gegenstand oder die Person ist einem andern zur Beute, zum Gegenstand des Genusses geworden) vermischt worden ist mit der oben genannten: ,Er weiß, wo der Hase liegt4 (d.h. wie die Sache zu machen ist, worauf es ankommt). Die heutige Form der Rda. ist seit dem 17. Jh. oft bezeugt. Mir ist ein Hase über den Weg gelaufen: ich bin heute vom Pech verfolgt und überzeugt, daß mir nichts gelingen wird. Bes. im ,Angang4 (erste Begegnung am Morgen) bedeutetein Hase Unglück im Volksglauben. Dieses Vorurteil ist so stark, daß es noch heute den Jäger zur Umkehr bewegt. Nicht anders ist es, wenn einem eine Katze, bes. im Dunkeln, über den Weg läuft, und ebenso ist das Zusammentreffen mit Hinkenden und Einäugigen bedenklich, auch mit alten Weibern und Priestern; Bär, Wolf und Eber dagegen bedeuteten einstens Glück. Man sah die Begegnung mit kampflustigen Tieren als gute Vorbedeutung für den Ausgang eines bevorstehenden Kampfes an, die mit unkriegerischen dagegen als schlechtes Zeichen. Außerdem gelten Hase und Katze als Verwandlungsgestalten der Hexe. Lit. Belege berichten von diesem Volksglauben oder verurteilen ihn, z.B. heißt es: „1289 verloren die wider die Dithmarschen kriegenden Grafen von Holstein eine Schlacht, weil ihrem Heer ein Hase entgegenlief44 (Ber. ein Schriftst. d. 17. Jh. - Wander II, Sp. 372); in Albertinis ,narrenhatz4 (München 1617) wird gespottet: „abergläubig stocknarren erschricken, wenn ein haas über den weg, darüber sie gehen oder reiten müssen, laufet, denn sie vermeinen, daß sie an selbigem tag ein Unglück ausstehen müssen“. 1646 heißt es: ,,Item, wann einer morgens ausgeht, und ihm zum ersten ein weyb begegnet, oder ein haas über den weg läuft... dass ihm etwas widerwärtiges desselben tages zuhanden stossen werde44. Auch die Rockenphilosophie warnt: „Es ist nicht gut, wenn man über Land reist, und läufft einem ein Haase übern Weg44. Noch im Kinderlied klingt dies an: Läuft ein Häslein übern Steg Fahren wir nen andern Weg. Die Furchtsamkeit des Hasen war Grund 390
Hase zu mehreren Rdaa., wie etwa einen Hasen im Busen haben: sich fürchten; hasen- schreckigsein: Angst haben. „Ich bin nicht hasenschreckig44 heißt es bei Seb. Franck um 1570. Bair. meint ,derhasen4 furchtsam werden, den Mut sinken lassen; vgl. engl. ,to hare4 (in Angst geraten). In der ,Zim- merischen Chronik4 (Bd.l, S.200) findet sich: ,,Do überkamen sie ainsmals den ha- sen im busen, wie man sprücht, und beratschlagten, das in der nacht sie haimlich mit allem kriegsvolk abziehentind in iren vorteil sich legern wolten44. ,Den Hasen im Busen haben4 hatte im 16. und 17. Jh. auch die Bdtg. von ,närrisch sein4, so wie oftmals der Hase als närrisches, dummes Tier in den Rdaa. auftaucht. Hase nannte man im 16. Jh. einen albernen Gecken; im Siegerland sagt man von einem, der eitel und eingebildet ist: ,Er hat einen Hasenfuß in der Tasche4; ebenso in Westf. Die Ausdrücke Hasenfuß und hasenfüßig enthalten ebenfalls oft den Begriff des Närrischen, Albernen und Geckenhaften. Bei Goethe (,Mitschuldige4) sagt der Wirt seinem Schwiegersohn eine Menge schlimmer Dinge nach und faßt das zusammen mit dem Wort: ,,Der König Hasenfuß44. Vor dem 14. Jh. galt der ,Hasenfuß4 (mhd. ha- sen vüz) als rascher Läufer, erst später verschob sich die Bdtg. zur Bez. eines Furchtsamen. Engl. ,hare-foot4 meint heute noch lediglich den guten Sportler. Bei Schiller heißt es: ,,Hat ers Kourage nicht, so ist er ein Hasenfuß44 (,Kabale und Liebe4 1,2). Das Hasenpanier ergreifen: davonlaufen, fliehen. Das Panier des Hasen (auch Hasenbanner ist bezeugt) ist sein Schwänzchen, das er bei der Flucht in die Höhe reckt. Daher sagte man von Ausreißern auch: ,Sie werfen das Hasenpanier auf4 (so schon 1564 belegt) oder ,der hasen paner aufstecken4 (1548 in der Fabelsammlung ,Esopus4 von Burkard Waldis). Die Form ,das Hasenpanier ergreifen4 steht seit Luther fest. ,Ergreifen4 wurde wahrscheinl. aus ,die Flucht ergreifen4 übernommen. Im Bilderbogen von Paul Fürst um 1650/60, ,speculum bestialitatis4, heißt es: Der haß der ist ein forchtsam thier, Gar bald wirfft er auff sein panier. Neben ,Hasenfuß4 und ,Banghase4 ist ein Angsthase sein eine seit 1500 gemeindt. Rda. - Andere Rdaa. für ,fliehen4 sind: den Hasenkurs nehmen; sich auf seine Stärke verlassen wie die Hasen; einen Hasen machen; standhalten wie der Hase bei der Trommel; den Hasen bauen; Hasenschuhe anziehen. Hasenherznennt man den Feigling. So etwa heißt es in Schillers ,Räubern4 (1,2): „und das schreckt dich, Hasenherz?44 und Grillparzer spricht vom „hasenherzgen Schuft44. Hase ist schon in der ,lex salica4 ein zu bü¬ 391
Hase ßendes Schimpfwort: ,,si quis alterum leporem clamaverit...“ (wenn einer einen anderen einen Hasen gescholten hat...). Im ,Armen Heinrich" des Hartmann von Aue (um 1200) steht: „ir sint eines hasen genöz“. Er ist kein heuriger Hase mehr sagt man von einem erwachsenen, erfahrenen, kampferprobten Menschen. Der alte Hase, der schlau und rasch genug war, dem Jäger immer wieder zu entwischen, weiß sich zu helfen. Hasenbrot wird allg. ein Butterbrot genannt, das man unberührt von einer Reise oder vom Gang zur Arbeit wieder mit nach Hause bringt, wo man es den Kindern mit den Worten gibt, man habe es einem Hasen abgenommen. Meist fügt man hinzu, man habe vorher dem Hasen Salz auf den Schwanz gestreut, wodurch er nicht mehr habe fliehen können. Diese Art, einen Hasen zu fangen, wird den Kindern allg. angegeben. Dem habe ich einen Hasen in die Küche gejagtsagt man im Rhein, für ,einen Gefallen getan1. Wem der Hase von allein in die Küche läuft, der muß ihn nicht mühsam erjagen. Denn Hasen zu fangen ist nicht einfach. Ich bin dem Hasen nachgelaufen sagt, wer tüchtig gearbeitet hat. Das ist doch keine Hasenjagd Huit man einem ungestüm Davoneilenden nach, und von einem, der immer alles zugleich tun will, sagt man er läuft zwei Hasen nach. Aber: wer zwei Hasen will, kriegt keinen. Von jem., der gut hört, sagt man, er habe Hasenohren, denn die langen Ohren des Hasen legen den Gedanken nahe, er müsse bes. gut hören. Der Hase hat große hervorstehende Augen und kleine Augenlider, so daß er gewöhnlich beim Schlafen die Augen nicht ganz schließt. Man glaubte daher, das furchtsame Tier wolle nur den Anschein erwek- ken, als ob es schlafe, in Wahrheit aber sei es stets auf der Hut. Daher die alte Rda. den Hasenschlaf schlafen {oder haben), gebucht in lat. Form seit 1508 bei H. Bebel (Nr. 547), in dt. 1541 bei Seb. Franck (11,73): „Er schiäfft den Hasenschlaff. Er schiäfft mit offnen äugen wie ein Hase“, /Auge. Sich um den Hasenbalg zanken: sich um Kleinigkeiten streiten, die des Zankens nicht wert sind; früher wurde nur wenig für das Fell eines Hasen gezahlt. Arbeit und Schulden sind keine Hasen: sie laufen nicht davon, man kann sie auch später noch erledigen. In ,Sprichwörtlich" reimt Goethe: Lief’ das Brot, wie die Hasen laufen, Es kostete viel Schweiß, es zu kaufen. Hasenrein ist der Jagdhund, der für die Hühnerjagd abgerichtet wurde und keinen Hasen angreift. ,Er ist nicht ganz hasenrein" sagt man heute im Sinne von: nicht einwandfrei, politisch nicht ganz unverdächtig. Ein blinder Hase ist ein in der Pfanne gebratener Hackfleischkloß. Falscher Hase oder Dachhase nennt man die Katze. Angeblich sollen findige Gastwirte früher ihren Gästen statt des gewünschten Hasenbratens eine Katze zubereitet haben. Goethe schließt sein parabolisches Gedicht ,Katzenpastete" mit den Worten: Die Katze, die der Jäger schoß, Macht nie der Koch zum Hasen. An einem entlegenen Ort sagen sich die Hasen (auch: Fuchs und Hase) gute Nacht, /Fuchs. Der gespickte Hase war ehedem ein gefürchtetes Folterinstrument. Bönhasen hießen im Spott Handwerker, die ohne Vollmacht der Zunft heimlich in oberen Kammern arbeiteten. Urspr. hieß es ,Bodenhase" oder ,Bühnenhase" (für Bühne ,Dachboden"); hierhin mußten sich nämlich die nicht anerkannten Handwerker flüchten, um nicht entdeckt zu werden. Da solche Leute oft schlechte Arbeit lieferten, bedeutet ,Bönhase" soviel wie / ,Stümper", /,Pfuscher". Die Rda. mein Name ist Hase, ich weiß von nichts wird auf den Heidelberger Studenten Viktor Hase zurückgeführt, der einem Kommilitonen, nachdem dieser einen andern im Duell erschossen hatte, durch absichtliches Verlieren seines Studentenausweises zur Flucht nach Frankreich verhalf. Seine Antwort auf die Generalfragen des Universitätsgerichts (1854/55) machte bald die Runde durch die Universitäten und ging von da in den allg. Sprachgebrauch über. Der Osterhase ist zuerst 1682 bezeugt, und zwar in einer lat. Schrift von Georg Frank (,Von Oster-Eyern", §9, S.6). Es heißt 392
Hasel dort, man sage in Westoberdtl. und Westf. den Kindern, der Hase verstecke zu Ostern im Garten die farbigen Ostereier, die ja nicht von einer gewöhnlichen Henne stammen konnten. Noch älter ist der Hase als Ostergebildbrot mit eingebackenem Ei, offenbar eine unverstandene Umbildung des Osterlammes. Noch im 19. Jh. war der Osterhase nicht allg. bekannt. Dem Has läuten meint einen Osterbrauch in Hessen: Am Morgen des ersten Ostertages setzt sich ein Bursche an die Tür der Kirche und fängt an zu rufen: .bomm, bomm\worauf es in allen Höfen, erst in der Nähe, dann in der Ferne ,bomm, bomm‘ ertönt. Daran schließt sich ein Umtrunk an. Der Brauch beruht auf der legendären Überlieferung, daß die Glocken an den drei letzten Tagen der Karwoche in Rom sind und dort neu geweiht werden. Man ersetzt also die Glocken durch die menschliche Stimme, /'Karfreitagsratsche. Lit.: C. E. v. Thüngen: Der Hase... dessen Naturgeschichte, Jagd und Hege (Berlin 1879); W. Lindenstruth: Dem Has läuten, in: Hess. Bl. f. Vkde., Bd. VIII, S. 187-190 (mit mehreren hist. Belegen aus der Pfarr- chronik von Beuren/Hessen); H.Hepding: Ostereier und Osterhase, in: Hess. Bl. f. Vkde., 26 (1927), S. 127-141; W. Jesse: Beiträge zur Volkskunde und Ikonographie des Hasen, in: Volkskunde-Arbeit. Festschrift Otto Lauffer (Berlin - Leipzig 1934 ), S. 15 8-175 ; A. Becker: Osterei und Osterhase (Jena 1937); L.Röh- richu. G.Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.319L, 321. Hasel. In die Haseln (Haselnüsse) gehen: sein Liebchen aufsuchen, heimlichen Umgang pflegen, verbotene Liebe genießen. Der Haselstrauch und die Haselnuß besitzen erotische Bdtg. Sie gelten als Symbole der Lebenskraft und der Fruchtbarkeit, wahrscheinl. deshalb, weil der Strauch zäh und kräftig ist, bereits im Vorfrühling blüht und sehr viele Früchte hervorbringt, die sich oft gepaart vorfinden. Das Haseldik- kicht wird außerdem als ein geheimnisvoller Ort der Kinderherkunft angesehen, die Haselstaude selbst spielt im Volksglauben als Kinderbaum eine Rolle. Die seit dem 16. Jh. bezeugte Rda. ist als metaphorische Anspielung auf unerlaubte voreheliche Geschlechtsverbindung zu verstehen, denn in der Umgangssprache werden direkte Bez. für sexuelle Vorgänge und Schwangerschaft meistens vermieden. Man um¬ schreibt sie durch verhüllende sprachl. Bilder, wie dies vorzugsweise im Volkslied und ganz bes. häufig im Liebeslied zu beobachten ist. Die Rda. ist also gleichbedeutend wie die im Lied bevorzugten Metaphern: .Brombeeren pflücken1, ,Gras (Korn) schneiden', ,ins Heu fahren' und ,Rosen brechen'. Sie begegnet selbst auch im Lied, z.B. als Aufforderung an das Mädchen: Ei, du lewi Dordee-Lie.s, Geh mit mir in die Haselniß oder es heißt von einem Mädchen, das sich heimlich mit dem Geliebten treffen will: Es geht ein Mädel Haselnuß klaub’n Frühmorgens in dem Taue. Noch versteckter ist die Anspielung in einem Volkslied (Nr. 74 B, Str. 8) aus Uh- lands Sammlung: Sein Pferdlein das tet im Strauchen Wol über ein Haselstauden. Auch andere Wndgn. mit der Haselnuß besitzen eine übertr. Bdtg., so meint z.B. die einfache Feststellung: Es gibt in diesem Jahr viele Haselnüsse, daß viele uneheliche Kinder geboren werden, und die bair. Rda. ,Die Haselnüsse sind heuer geraten4 bedeutet ebenfalls: in diesem Jahr gibt es viele schwangere Mädchen. Wander (II, Sp. 378f.) vermutet, daß die Rdaa. auf den verbotenen Umgang anspielen wollen, der hinter den schützenden Büschen unbeobachtet stattfindet, oder daß die heranwach- senden unehelichen Kinder mit den wild wachsenden Früchten der Haselnußsträu- cher verglichen werden sollen. Wahrscheinlicher ist jedoch der Bezug zur allg. Fruchtbarkeit und zur frühen Blüte der Hasel, womit die vorzeitige und unerlaubte sexuelle Beziehung und die voreheliche Schwangerschaft verglichen werden. Auch das Sprw. ,Wenn es über die kahlen Haselstauden donnert, gibt es viele gefallene Jungfrauen' gehört in diesen Sinnzusammenhang, wobei noch eine Verstärkung durch die Vorstellung vom fruchtbarmachenden Gewitter hinzukommt. Außerdem wurden die Haselstauden zum Liebes- und Eheorakel benutzt, sie wurden z.B. in der Mettennacht geschüttelt. Vgl. auch die frz. Wndg. .année de noisettes, année d’enfants' und den alten und weitverbreiteten Hochzeitsbrauch, den Neuvermählten Ha¬ 393
Hasel selnüsse zu schenken als Zeichen guter Vorbedeutung für Liebe und große Nachkommenschaft. Allg. galten auch Haselnüsse als Geschenk zu Weihnachten und Neujahr als Zeichen der Liebe. Voraussetzung für die Entwicklung zum erotischen Symbol ist wohl auch die hodenähnl. Gestalt der paarigen Haselnüsse. Die Wndg. aus einer Haselstaude entsprungen sein diente zum Vorwurf unehelicher und niedriger Geburt. Sie wurde als große Beleidigung aufgefaßt, gegen die man sich zu verwahren hatte. So heißt es z. B. in Christian Reuters ,Schelmuffsky" (1, 50): „ichmüste noch weit was Vornehmers sein, denn meine Augen die hätten mich schon verrathen, dasz ich aus keiner Haselstaude entsprungen wäre“. Die erotische Bdtg. der Hasel erklärt auch ihre Funktion als warnender Baum in der Volksballade. In Volksliedern begegnen Zwiegespräche eines Mädchens mit der ,Frau Hasel (Haselin)", die mit den folgenden Versen eröffnet werden: Nun grüß dich Gott, Frau Haselin! Von was bist du so grüne? (E. B. r, Nr. 174a). Der Haselstrauch warnt vor dem Verlust der Ehre. Dies geschieht bes. ausführlich in einer Variante des Liedes ,Mädchen und Hasek aus Schlesien: Und ’n Mädel die wille Ehre hab’n, Zu Hause muß sie bleiben, Sie muß sich zeitig schlafen leg’n Mit ihrem zarten Leibe. Zum Tanzen kann sie dennoch gehn In Züchten und in Ehren, Bei Sonnenschein dann wieder heim: Das kann ihr niemand wehren. Bei Mondenschein und finster Nacht Ist keine Ehr vorhanden. Es giebt der falschen Knaben viel. Die setzen dich in Schande. (E. B. I, Nr. 174b, Str. 5-7). Offenbar wurde die Schande eines gefallenen Mädchens beim Maibrauch, wenn ihr die Burschen Haselnußzweige vor das Fenster oder die Türe setzten, was sie dem allg. Spott preisgab. Die Wndg. mit Haselruten ist gut schlagen weistaufeine Zauberpraktik, denn die Hasel spielt auch sonst als Zauberpflanze im Volksglauben und -brauch eine wichtige Rolle. So gelten die Haselruten als Lebensund Wünschelruten, sie werden zum Schlagen beim Fruchtbarkeitszauber benutzt, z. B. bei einer bisher kinderlos gebliebenen Frau (Anhalt) oder auch beim ersten Viehaustrieb. Die zu Pulver verbrannte Haselrinde diente bereits im 15. Jh. als Aphrodisiakum. Haselstöcke und -ruten besaßen aber auch apotropäische Eigenschaften, sie schützten z. B. vor Geistern, Hexen, Vampiren, vor Schlangen und Ungeziefer, aber auch bei Gefahren auf einer langen Wanderung und im Kriege und selbst vor Blitzschlag. Eine in Süddtl. verbreitete Legende erzählt, daß Maria mit ihrem Kind Schutz bei einem Gewitter unter der Hasel gefunden habe. Tatsächlich wird die Hasel nie von einem Blitz getroffen, da sie anscheinend wegen ihrer glatten Rinde ein guter Elektrizitätsleiter ist. Auch im Märchen ist die Hasel Zauberpflanze und Grabesbaum (KHM. 21: Aschenputtel), sie bietet Zuflucht, Hilfe und Zaubergaben; oft sind unter ihr Schätze verborgen. Verschiedene Rdaa. verwenden die Haselnuß als Bild des Kleinen, Wertlosen und Nichtigen: etw. ist keine gelöcherte (hohle) Haselnuß wert; es bringt nur taube Haselnüsse; jem. ist eine hohle (taube) SNuß. Geiler von Kaisersberg braucht die Wndg. noch ohne den heute üblichen und steigernden Zusatz ,hohl" oder ,taub": ,,ich geb dir nitt ein bon oder ein haselnusz umb ein sentenz und umb ein urteil“ (,Marie Hi- melfahrt", 3a). Schiller dagegen schreibt in .Kabale und Liebe" (I, 2): „einem Liebhaber, der den Vater zu Hülfe ruft, trau' ich - erlauben Sie - keine hohle Haselnuß zu“. Euphemist. Umschreibungen für tüchtige Prügel sind bis heute in den Wndgn.: einen mit Haselsaft erquicken; jem. mit Haselöl (Haselsalbe) einschmieren und bes. im Obersächs. ,ein häselnes Frühstück kriegen", gebräuchlich. Lit.: K. Weinhold: Uber die Bedeutung des Haselstrauches im altgermanischen Kultus u. Zauberwesen, in: Zs. d. Ver. f. Vkde., 11 (1901); E. M. Kronfeld: Die Zauberhasel, in: Mitt. d. Dt. Dendrolog. Ges., 31 (1921), S. 249-271; HdA. 111, Sp. 1527ff., Art. Hasel v. H. Marzeil: L. Röhrich: Gebärde- Metapher- Parodie (Düsseldorf 1967), S.66; L. Röhrich: Liebesmetapho- rik im Volkslied, in: Folklore International... in honor of Wayland Debs Hand, ed. by D. K. Wilgus u. Carol Sommer (Hatboro/ Pennsylvania 1967), S. 187-200. 394
Hauen Hau. Einen Hau (mit der Wichsbürst’) (weg-)haben: geistig beschränkt, nicht ganz gescheit sein. Geistesverwirrung wird rdal. häufig mit einem Schlag in Zusammenhang gebracht im Sinne einer Gehirnerschütterung; vgl. ,bekloppt4. Haube. Von der Haube als Kopfbedeckung des Kriegers (,Sturmhaube4, ,Pickelhaube4) leiten sich zahlreiche Rdaa. her: einem auf die Haube greifen (auch klopfen, fassen, kommen): einen kämpfend angreifen, ihn heftig verfolgen, ihm auf den Leib rücken. Schon Luther benutzt diese Rda. im übertr. Sinne: „darumb soll die Obrigkeit solchen auf die hauben greifen, das sie das maul zuhalten und merken, dasz es ernst sei44. Einem auf der Haube sitzen (oder hocken): genau auf ihn achthaben, ihn scharf beobachten, ihm durch allzu große Nähe lästig werden; eine bes. im 16. und 17. Jh, ge- bräuchl., heute wohl verschollene Rda. Rhein, sagt man für jem. schlagen: ,ihm die Haube bügeln4, und vom schlecht Gelaunten heißt es: ,es ist ihm nicht gut in der Haube4. Ein Nachklang dieser Rdaa. ist mdal. Haube für ,Ohrfeige4, ähnl. wie hinein etw. auf die Kappe geben4, ihn schlagen. In neuerer Sprache versteht man unter Haube gewöhnlich die früher übliche weibl. Kopfbedeckung, vorzüglich die der verheirateten Frau; daher eine unter die Haube bringen: verheiraten. Am Hochzeitstage setzte die Braut zum erstenmal die Haube auf; unter die Haube kommen: einen Mann bekommen, geheiratet werden. Schon bei den Römern war die Verhüllung des Haars ein Zeichen der verheirateten Frau. Nach germ. Sitte durfte die verheiratete Frau das Haar nicht mehr lose tragen, sondern mußte das,gebende4 anlegen. Daher sprach man auch von einer ,gehaubten Braut4 (1691 von Stieler gebucht). Bei Rückert heißt es: Und wenn ich mit Scherzen raube Ihren Kranz der Schäferin, Bring ich ihr dafür die Haube, Hält sie es noch für Gewinn. Mit Haube werden oft die Frauen bez. Hier steht das Kleidungsstück für die Trägerin, wie es auch bei ,Schürze4 der Fall ist. ,Er läuft den Hauben nach4 sagt man im Rhein. Haubenlerche nennt man allg. eine Nonne oder Krankenschwester; der Name des Vogels mit spitzer Federhaube wird auf die Haubenträgerin übertr. ,Alte Haubenlerche4 sagt man schles. von einem alten, verhutzelten Weiblein. Haubenstocksteht oft bildl. für einen dummen, hohlköpfigen Menschen, wie etwa bei Platen: „Die Staatsperücke der Manierlichkeit bedeckt gewöhnlich einen Haubenstock statt eines witzigen Gehirns44 (,Schatz des Rhampsinit4). Der Haubenstock ist ein rundlicher Klotz, auf den man die Haube setzte, damit ihre Form erhalten blieb. Lit.: R. Meringer:Die Haubung, in: Wörter und Sachen 5 (1913), S. 170f.; weitere Lit. /’Hut. Haubitze. Voll wie eine Haubitze: schwer betrunken; vgl. ,voll wie eine /Kanone4, ,kanonenhagelvoll4. Haubitze im Sinne einer Kanone dient als Steigerung. hauen. Das haut (hin), auch mit dem Zusatz in die Äpfel: das kommt erwünscht, trifft sich gut. ,Das hat nicht hingehauen4 sagt man umg. für: es ist nicht geglückt. Sehr häufigist: das haut einen hin! ( auch das haut einen in sämtliche Winkel oder vom Stuhl, das haut den stärksten Neger von der Palme) als Ausdruck starken Erstaunens, aus der Studenten- und Soldatensprache in die Umgangssprache übergegangen. Hauen bedeutete in der Soldatensprache einen schneidenden Hieb. Ein Haudegen war daher im Gegensatz zum Stoßdegen ein zum Hauen benutzter Degen. Der Ausdr. wurde übertr. auf den Mann, der ihn zu führen verstand, und heute hat die Wndg. ,ein alter Haudegen4 die Bdtg.: alter, kampferprobter Krieger. Das ist weder gehauen noch gestochen: nichts Ordentliches, Entschiedenes; das tadelnde Urteil stammt aus der Fechtersprache und bedeutete eigentl.: Die Waffe ist so ungeschickt geführt, daß man nicht weiß, ob es Hieb oder Stich sein soll. Man hat die Rda. von den verschiedensten Seiten herzuleiten versucht; so etwa sollte sie aus der Zeit der Erfindung des Schießpulvers herrühren, wo man bei den durch die Schußwaffen verursachten Wunden gesagt haben soll, sie seien weder durch Hieb noch durch 395
Haufen Stich verursacht worden. Nach anderer Meinung soll sie sich auf ungeschickte Metzger bezogen haben, die das Vieh nicht kunstgerecht zu schlachten wußten. Fr. Seiler (Dt. Sprichwörterkunde, S. 234) äußert die Vermutung, die Rda. sei zuerst von plastischen Holz- oder Metallarbeiten gebraucht worden, die so ungeschickt angefertigt waren, daß sie ohne die üblichen Werkzeuge zum Hauen und Stechen gemacht zu sein schienen. Am einleuchtendsten scheint jedoch die Herleitung aus der Fechtersprache zu sein. So steht in der ,Zimmerischen Chronik1 (Bd.4, S.203): „Der groß hauptman Lumplin, der gern gehawen oder gestochen het, ward wol darob verspottet und verlacht“, was sich hier zweifellos aufs Fechten bezieht. Älter ist die Verbindung von ,hauen4 und ,schlagen4, so in Brants ,Narrenschiff4 (67, 56): „Es sy gehowen oder geschlagen44. Der früheste Beleg für die Rda. im übertr. Sinne steht wohl bei Grimmelshausen im Simplicissimus4 (3. Bd., S.50): „Und damit heu- lete sie immer forth, also daß ich mich in ihre Rede nicht mischen noch begreifen konnte, ob es gehauen oder gestochen, gebrant oder gebort wäre41. Eine ähnl. Rda. findet sich in Siebenb.: ,Ich wiß net, ben ich gekocht awer gebroden4, ich weiß nicht, woran ich bin. In Kleists Verbrochenem Krug4 (9. Auftr.) ruft der Gerichtsrat Walter dem Dorfrichter Adam zu: Wenn Ihr doch Eure Reden lassen wolltet. Geschwätz, gehauen nicht und nicht gestochen. ,Dat es gehaue wie gestoche4, das kommt auf eins heraus, ist ganz gleich, sagt man im Rheinland. Ebenfalls aus der Fechtersprachc übernommen ist die Rda. einen übers Ohr hauen: übervorteilen (/Ohr). Wer Pfuscharbeit leistet, haut die Arbeit übers Ohr. Zahlreiche andere Rdaa. unserer Zeit seien hier nur kurz angeführt: sich hinhauen, in die Falle, in die Klappe hauen: sich schlafen legen. Jem. anhauen: ihn um etw. ansprechen; sein Geld auf den Kopf hauen: es restlos und verschwenderisch ausgeben; danebenhauen: sich irren, z.B. beim Beantworten einer Examensfrage. „Laszt uns das Gesindel völlig in die Pfanne hauen44 heißt es schon bei Kleist (,Käthchen von Heilbronn4 4, 1), und Hans Sachs sagt: durch ire arglistige duck, vil schendlich schelmenstuck durch nachred in den kessel hawen. Zu Kochstücken oder zu Kraute hauen führt das Dt. Wb. 4, 2 als allg. Rdaa. an. Der Gaunersprache entstammt in den Sack hauen: davonlaufen, die Arbeit im Stich lassen. Wer sich davonmacht, haut ab. Hau ab!sagt man zu einem Unerwünschten. Ein leicht Verrückter hat einen Hau, /Hau. Eine flüchtige Arbeit ist zusammengehauen, und was man lieblos zusammenschreibt, ist hingehauen. Sich eine ins Gesicht hauen: sich eine Zigarette anzünden. Ein beliebter Aprilscherz ist es, Haumichbfau in der Apotheke holen zu lassen. ,Hau mär drop, et es ene Jüd\ sagt man in Aachen, eine Rda., die an das allg. bekannte Sprw.,Haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden4 erinnert. Den ersten lit. Beleg für die Anwendung dieses Wortes, allerdings in Darmstädter Dialekt, bietet der hess. Dialektdichter Niebergall in seinem 1841 erschienenen Lustspiel ,Der Datterich4, wo es (1. Szene, 6. Bild) heißt: „Haagste mein Judd, da haag ich dein aach4\ Ut.: J. G. Pascha: Verschiedene Fechtbücher (1659-66); G. Hergesell:Die Fechtkunst im 15. u. 16. Jh. (Prag 1896); L. Giinther:\on Wörtern und Namen (Berlin 1926). S.33; H. Helwig: Die dt. Fechtbücher, in: Börsenbl. f. d. dt. Buchhandel, Frankfurter Ausg., 55 (1966); W. Hävernick: „Schläge“ als Strafe (Hamburg 41970). Haufen. Über den Haufen werfen (auch schießen, stoßen, fallen) geht zurück auf die Bdtg. von Haufen als etw. regellos übereinander Liegendem, so daß die Rda. meint: Übereinanderwerfen, daß alles wie ein unförmiger Haufen aussieht. Am 4. 11. 1499 lautete eine Mahnung des Mainzer Domkapitels an die Bewohner der Kurien: daß die „Herrenhoiffe und Vikariehusen nit über den hufen fallen44 (A. L. Veit, Mainzer Domherren, Mainz 1924, S.98). ,,. . . dar- umb müssen sie fallen über einen Haufen“, heißt es Jer. 6, 15. Obersächs. ist 1727 belegt: „Alles fället über einen Haufen44. Zunächst auf Personen angewendet, ge- 396
Haupt- und Staatsaktion brauchte man die Wndg. dann auch für Abstraktes, wie etwa Schiller (,Fiesko4 1, 3): ,,Wenn die itzige Verfassung nicht übern Haufen fällt“. Kant spricht von ,,sein System über den Haufen fallen sehen“, und bei Goethe heißt es: „Wenn er endlich nach verschiedenen Jahren seinen Schaden einsah, so fiel das Werk mit einmal über den Haufen“. Die Rda. bedeutet,zunichte machen, vereiteln1; heute geläufig in der Form Pläne über den Haufen werfen. Ein Häufchen Unglück nennt man einen verängstigt dahockenden Menschen, nord- ostdt. ,e Hupke Onglöck4, ein elender, betrübter Mensch. In der älteren Soldatensprache bedeutete Haufen soviel wie ,Kämpferschar1. Der verlorene Haufen war der Trupp der Landsknechte, der den Kampf eröffnete und von denen der Großteil im Angriff fiel. Ihm folgte der helle oder gewaltige Haufen, der Haupttrupp; heller Haufen ist der ,hele (ganze) hope4 des Ndd. Die noch heute benutzte Wndg. ,in hellen Haufen4, in großen Scharen, ist für uns losgelöst vom Begriff der taktischen Einheit. Wieder beim Haufen (auch: bei der Bande) sein: bei der Truppe sein, wird bes. von Verwundeten gesagt, die nach ihrer Genesung wieder zur Truppe zurückkehren. Ebenfalls aus der Soldatensprache übernommen ist der Ausdr. zum alten Haufen fahren: sterben. Mit ,Haufe4 verband sich der Nebensinn Streitbarkeit, Kraft4. Hieraus erklärt sich wohl die in Halle übliche Rda. da bin ich nicht der Haufe dazu: das kann ich nicht. Haufen als unbestimmte Maßeinheit, gleichzusetzen etwa mit ,eine Menge4, erscheint in zahlreichen Rdaa. „Wir werden glücks den häufen han“ heißt es in einem Berner Fastnachtsspiel von 1522, und Grimmelshausen läßt seinen Simplicissimus „noch einen häufen dings darzu“ lügen. Man spricht von einem ,Haufen Geld, Schulden oder Arbeit4. „Verzage nicht, du Häuflein klein44 beginnt ein Kirchenlied des Jakob Fabricius (1593-1654), und bei der Einweihung der Schloßkirche zu Torgau bezeichnete Luther die Gläubigen als den „christlichen Hauff4‘. Haupt- und Staatsaktion. Eine Haupt- und Staatsaktion ausetw. machen, auch verkürzt Üi. H<giming Unb 2Dirb £ur ?nJmjnfrrt(KSnfoß<n ÿflfcbt unb ©<$ulb «Çk&dftuiiû eine (Seiend Söutbige unb bortrtflifcfiaimtfAdion S^ie ^iegenbe ttnfclm ber ^ftfof;n bec Ufïaftfcfjcn ANISE $)0!t ge&ann Sîcmricfj Sgruniutf/ SgÇurfurftficfa $)fàlQifd)en f)of* Commœdianten -Principa/cn SRif beç fïct) bflbenberipod^XeutfcberCompagnic, £)ntertfcâm<jffc # offer in unb dédient. ©rûç/ gebeuettbcpben^ibroflnpittenf^enCrben/ iyi2- ,Eine Haupt-und Staatsaktion aus etwas machen1 vÊinec jgo4>(66(i(fjcn zu: eine Staatsaktion daraus machen wollen: etw. künstlich hochspielen und dramatisieren, eine unwichtige Angelegenheit als brennendes Problem darstellen, seine persönlichen Belange überbewerten, etw. zu wichtig nehmen. Die Wndg. begegnet auch häufig in negierter Form als Warnung: Nun mach nicht gleich (keine) eine Haupt- und Staatsaktion daraus! Der Ausdr. wurde als kritischer Terminus für die Stücke der dt. Wanderbühne durch die polemischen Auseinandersetzungen Gottscheds und seiner Zeitgenossen geprägt. Er bez. das unliterarische Schauspiel und stellt es in den Gegensatz zum Kunstdrama der Hofbühne. Die Schauspieler mußten sich um die Wende des 17. Jh. mit ihrem Repertoire ganz nach dem Geschmack des Publikums richten, der noch wenig entwickelt war. Sie nannten die Stücke ernsten Inhalts ,Haupt-Aktionen4, denen dann die burlesken Nachspiele folgten. Wegen ihres politisch-historischen Inhalts wurden solche Spiele auch als ,Staatsaktionen4 bez., oder beide Begriffe erschienen in einer Verbindung, die später zum literaturgeschichtlichen Terminus wurde. Im Zeitalter des Absolutismus wollte auch das Kleinbürgertum am höfischen Glanz etw. teilhaben, deshalb ließ es sich mit Vorliebe von den Wanderbühnen etw. vom Leben am Hof, 397
Haus, Häuschen von Festpomp und Kriegslärm, von Leidenschaft, Intrigen und Schicksalsschlägen der Großen in effektvoller Übersteigerung Vorspielen. Stoffe aus Ereignisdramen waren für diesen Zweck am besten geeignet, aber auch ital. Opernstoffe wurden für die Wanderbühne umgestaltet, d.h. gekürzt, um die Handlung krasser zu gestalten und Gegensätze und Konflikte stärker hervorzuheben. Dem Schaubedürfnis kamen Effektszenen entgegen wie Triumphzüge, Siegesfeste, Krönungen, prunkvolle Hochzeiten und weihevolle Totenfeiern, das Schauerbedürfnis dagegen befriedigte man durch Szenen von Gericht, Hinrichtung, Mord und Selbstmord und durch die Darstellung von wilden Leidenschaften, Wahnsinn und Geisterspuk. Die Stoffe wurden also vom Kunstdrama übernommen: das eigentl. Unterscheidende und Trennende ist der Stil der Haupt- und Staatsaktion: die Prosa erscheint durch Floskeln, Wndgn. in Kanzleideutsch, geblümten Ausdr., aufdringliche Umschreibungen und Vergleiche, aber auch durch Fremdwörter, Witze, Zoten und resümierende Sprww. wirkungsvoll, doch für den Geschmack der Gebildeten unfein und übersteigert. Lit.: W. Flemming: Haupt- und Staatsaktion, in: Reallexikon der dt. Literaturgeschichte, Bd. 1, S.619ff. (Berlin 1958). Haus, Häuschen. Haus steht rdal. oft für einen Menschen, wie in den Ausdrücken altes Haus: alter Freund; fideles Haus: lustiger Mensch; gelehrtes Haus: kluger Mensch; tolles Haus: überspannter Mensch. Auf jem. Häuser bauen: ihm vollkommen vertrauen (oft in der irrealen Form gebraucht: ,Auf den hätte ich Häuser gebaut4), ist eine seit dem 17. Jh. belegte Rda. Wahrscheinl. geht sie zurück auf Matth. 16, 18: „Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich bauen meine Gemeinde“. Wer sich in seinem Vertrauen getäuscht sah, der hatte ,auf Sand gebaut4 (s. Matth. 7, 26). Nach Jes. 38,1 „Bestelle dein Haus, denn du mußt sterben“ sagen wir für ,sein Testament machen4: sein Haus bestellen. Volkstümlich geworden ist diese Rda. wahrscheinl. erst durch das Kirchenlied ,Wer weiß, wie nahe mir mein Ende4 (1688), in dem es heißt: „Laß mich beizeit’ mein Haus bestellen“. Haus steht für seine Bewohner, für die Familie, das Geschlecht, vor allem bei adligen, fürstlichen Familien, wie etwa ,das Haus Habsburg4. Daneben spricht man vom ,Haus Rothschild4, ,Haus Krupp4 usw., und bei Luther heißt es „so wirstu und dein haus selig44. „Junge Leute von gutem Hause und sorgfältiger Erziehung44 sagt Goethe. Hier bedeutet Haus soviel wie Herkunft, Abstammung, ebenso wie 2. Mos. 2,1 : „ein Mann vom Hause Levi“. So schreiten keine ird’schen Weiber, Die zeugete kein sterblich Haus heißt es bei Schiller (,Kraniche des Ibikus4). Im Parlament spricht man vom Ober- und Unterhaus, vom Hohen Haus. Ein volles Haus hat das Theater, wenn es ausverkauft ist. Die Kirche nennt man Gottes Haus oder Haus des Herrn. Als irdisches Haus bez. man den Leib des Menschen, wahrscheinl. zurückgehend auf 2. Kor. 5,1: „Wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütte zerbrochen wird44. Auch den Sarg nennt man Haus oder letztes Haus des Menschen. Man verwahrte früher die Asche verbrannter Leichenteile in Hausurnen, und das Grab wurde wie ein Haus gebaut und ausgestattet. „Ruhig schläft sich’s in dem engen Haus44 sagt Schiller in seiner ,Elegie auf den Tod eines Jünglings4 (V. 50). Aus der Studentensprache wurden die Rdaa. wie altes Haus, braves Haus usw. allg. übernommen. Bei A. Kopisch (,Als Noah aus dem Kasten war4) heißt es: Derweil du so ein frommes Haus, So bitt dir eine Gnade aus. ,Haushalten1 398
Haut Der Ausdr. ,haushalten\ klug und sparsam wirtschaften, wird in der bildl. Darstellung ganz wörtlich genommen. Zu Hause sein: heimisch sein; so spricht man übertr. davon, man sei in einer Wissenschaft zu Hause, wenn man ausdrücken will: ich weiß gut Bescheid, verstehe mich von Grund auf darauf. Eine Erweiterung dieser Rda. ist: ,Er ist dort zu Hause wie die Laus im Grind1. Mit etw. zu Hause bleiben: zurückhalten, z. B. mit einer Meinung, mit Weisheiten oder Ratschlägen, die falsch am Platze sind. Meist angewandt wie bei Lenz: „Mit euren Einsichten solltet ihr doch zu Hause bleiben“. Die Rdaa. Er ist nicht recht zu Hause oder Er ist aus dem Häuschen gehen wahr- scheinl. auf den menschlichen Körper als Haus des Verstandes und der Seele zurück. Warum bist du gleich außerm Haus, Warum gleich aus dem Häuschen, Wenn einer dir mit Brillen spricht? heißt es bei Goethe (,Feindseliger Blick4, um 1825). Müller-Fraureuth (Bd.l, S.486L) erklärt die Rda. daher, daß es früher in den Städten kleine Narrenhäuschen, Tollhäuschen gab, die kurz ,Häuschen1 genannt wurden, wie auch frz. ,Petites Maisons4 der Name eines ehemaligen Irrenhauses in Paris ist und ,échappé des Petites-Maisons4 ein entsprungener Tollhäusler. Als ältester dt. Beleg ist 1776 bezeugt: „Der Narr ist aus dem Häusel kommen, welches von einem ausgelassenen Menschen pfleget gesaget zu werden“. Es kommt (geht, führt) zu bösen Häusern: es gibt ein Unglück, geht schlecht aus, eine Rda., die sich wohl auf die früheren Strafanstalten, wie die Spinnhäuser, bezog. Sehr häufig von J. P. Hebel gebraucht. Fürstliche Diener von Haus aus waren früher jene Diener, die nicht am Hofe, sondern daheim in ihren Schlössern lebten. Im modernen Sprachsinn verstehen wir darunter etw. Eigenes, Angeborenes, Überkommenes: „Du scheinest mir ein künftiger Sponsirer, / so recht von Haus aus ein Verführer44 (Goethe). Einfälle haben wie ein altes Hausi st eine seit Theodor Gottlieb v. Hippel (1741-96) belegte wortspielende Rda. Haus undHofisX eine alliterierende Formel für den gesamten Besitz, die in der Aarauer Urkunde von 1301 zuerst lit. nachweisbar ist: „ze hüse und ze hove44. Zahlreiche Synonyma für ,sich betrinken4 oder ,seinen Besitz vertrinken4 sind mit ,Haus und Hof4 verbunden, so z.B. Haus und Hof ist ihm im Wein ertrunken oder Er hat Haus und Hof durch die Gurgel gejagt. Ähnl. benutzt werden die Formeln ,Haus und Heim4 und ,Herdstatt und Habe4. Zu Haus und Hof kommt, was einem zugute kommt. Mit der Tür ins Haus fallen /Tür. Hausbacken war das im Hause gebackene Brot, das im Gegensatz zu dem vom Bäcker gebackenen grober und dunkler war. Der Ausdr. wird seit Goethe und Niebuhr übertr. für ,alltäglich, nüchtern, schwunglos4 gebraucht. ,Vor dem Haus im Kübel stehen4 war eine altels. Rda. für verachtet sein, eigentl. so wie der Unrat, den man in einen Kübel vor dem Haus warf. Murner gebraucht diese Wndg. lit. in seiner ,Schelmenzunft4 und wünscht allen Verleumdern zur Strafe: Vor dem huß im Kübel ston Und dorvon weichen nit eyn drit, Bis daß man sy mit dreck beschmit. Auch mdal. Wndgn. sind bezeugt, die nicht in der Hochsprache geläufig sind. Der Niederdeutsche sagt z.B. ,He ward di dat to Hus bringen4, er wird sich rächen, wird es dir heimzahlen, und der Sachse meint mit der Feststellung: ,Der kann Heiser feel tragen4, er ist ein großer, kräftiger Mensch. Lit.: C. Ranch: Kulturgesch. des dt. Bauernhauses (Leipzig - Berlin 31921); A. Taylor: ,No House is Big Enough for Two Women1, Western Folklore XVI (1957), S. 121-124; R. Weiss: Hauser und Landschaften der Schweiz (Erlenbach-Zürich und Stuttgart 1959); B. Schier: Hauslandschaften und Kulturbewe- gungen im östl. Mitteleuropa (Göttingen 21966); Wohnen - Realität und museale Präsentation, hg. im Auftrag der Arbeitsgruppe: Kulturgesch. Museen v. Gerd Spies (Braunschweig 1971). Haut. Haut und Haar ist eine stabreimende Zwillingsformel, die in dieser Form ein hohes Alter hat und auf einen alten Rechtsbrauch zurückgeht: ,einem Haut und Haar abschlagen4, ihn mit Rutenstreichen strafen, daß es über Haut und Haar geht (Jac. Grimm: ,Dt. Rechtsaltertümer4 2, 287). Unsere Abb. aus der Heidelberger Sach- 399
Haut ,Mit Haut und Haaren4 senspiegelhs. zeigt: Eine Frau in guter Hoffnung darf nicht höher gestraft werden als zu Haut und Haar. Sie steht am Pranger und wird gestäupt und geschoren. Das Haupthaar fällt zu Boden; der Oberkörper ist blutig geschlagen. Noch an drei weiteren Stellen begegnet die Wndg. im Sachsenspiegel4. Dabei steht in einem anderen Zusammenhang ,hût unde här4 als Variation für lif, womit im MA. sowohl Leib als auch Leben gemeint sein kann: Kämpfer (d.h. Berufskämpfer), Spielleute, unehelich Geborene, ,die ir lif oder hut unde har lede- get\ sind alle rechtlos. Jetzt bedeutet mit Haut und Haaren: alles in allem, ganz und gar, mit allem, was drum und dran hängt. Ähnl. spricht Luther einmal von einem Wiedertäufer, „der den heiligen Geist mit Federn und mit allem gefressen44 habe, wobei er an die Taube denkt. Die Rda. ist auch in den Mdaa. lebendig, z. B. Schweiz. ,Eine vo Hut und Haar nüd kenne4; ,vo Hut und Haar nüd ha4; ,vo Hut und Haar nüd chönne4. In der Haut, in die Haut hinein: durch und durch; z. B. ,ein Schelm sein in der Haut, bis in die Haut hinein4. Nichts als Haut und Knochen sein: sehr mager sein; vgl. Klagelieder Jer. 4,8: „Ihre Haut hängt an den Gebeinen, und sind so dürr wie ein Scheit44. Wenn solch ein Magerer auch noch kraftlos ist, dann sagt man ndd. von ihm ,He kann kum in de Hut hangen4. Die Haut gilt als letzter Besitz, daher Ich kann mir das doch nicht aus der Haut schneiden: ich habe wirklich kein Geld dafür. Hierher gehört auch das Sprw. ,Aus andrer Leute Haut ist gut Riemen schneiden4. Etw. mit der (eigenen) Haut bezahlen müssen, seine Haut dransetzen; seine Haut für etw. aufs Spiel setzen, oder wie in einem Schwank von Hans Sachs der Storch dem Frosch droht: Ich will dir heimzahlen Dein untreu und die falsche dück Vberflüssig auf deinem rück, Vnd mußt mir gelten mit der Haut. Ähnl. auch schon mhd.: ,Er muoz sin hout darumbe geben44 (Heinrich von Neustadt, ,Gottes Zukunft4, V. 1448). Den gleichen Sinn hat seine Haut zu Markte tragen. Eine altmärkische Lehre sagt: „Du mußt die Hut sulvst to market draogn un so dür verkopn as’tgaon will44. L. Günther (,Dt. Rechtsaltertümer in unserer heutigen dt. Sprache4, S.53) knüpft zur Erklärung dieser Rda. an die ,Germania4 des Tacitus (Kap. 12) an: Vieh oder Viehhäute galten als Bußgeld; dann sei das Wort Haut in dieser Bdtg. nicht mehr verstanden und auf die menschliche Haut iibertr. worden. Dies ist jedoch wenig wahrscheinl. Häute sind ja tatsächlich eine zum Markt getragene Ware. Die iron. Übertreibung mit der eigenen Haut meint eben: noch das allerletzte Eigentum einsetzen. In der Umgangssprache der Ggwt. meint die Rda. auch: aus Erwerbsgründen sich nackt produzieren, prostituieren, Call-Girl, Striptease-Vorführerin sein; ähnl. die Haut in großen Stücken zu Markte tragen: tief dekolletiert sein. 400
Haut Einem auf die Haut kommen: ihn angreifen; ihn auf die Haut legen: ihn ums Leben bringen;so altbair.; ähnl. schon in Behaims ,Buch von den Wienern4 (S.75, V. 25): Derselben ungetreuen leut Sy gar vil warffen auff die heut. Statt ,das /Fell über die Ohren ziehen4 hieß es früher bisweilen auch einem die Haut über die Ohren ziehen: ihn übervorteilen, ausnützen. Mit seiner Haut bezahlen müssen: sterben, /zeitlich. In keiner guten Haut stecken: immer zu Krankheiten neigen, oder übertr.: sich immer in mißlichen Umständen befinden. So schon bei Abraham a Sancta Clara (,Judas4 II, 195): ,,Er steckt in keiner guten Haut44; anders in ,Reim dich4 (313): „Ob etwas Guts in seiner Haut abgestecke44. Aus der Haut fahren: sich sehr ärgern, wütend sein: ,Es ist zum Ausderhautfahren4, Ausdr. der Verzweiflung; nach dem Bild der sich häutenden Schlange. Mdal. wird die Rda. noch durch Zusätze verstärkt, wie z. B. obersächs. ,Damechte mer glei aus der Haut fahrn, wemmer nur wißte, wohin4 oder ,Da mechte mer aus der Haut fahrn un sich dernaam setzen4. Entspr. in die Haut fahren: sich nach einem Zornesausbruch wieder beruhigen; erst neuerdings aufgekommen. Nicht aus seiner Haut können: seinen Standpunkt nicht aufgeben, sich eben nur innerhalb seiner charakterlichen Veranlagung verhalten können. Die Wndg. ist ver¬ wandt mit dem bibelsprachl. ,den alten Adam ausziehen4, ,den neuen Adam anzie- hen4 (/Adam). Ich möchte nicht in seiner Haut stecken: nicht an seiner Stelle, in seiner Lage sein. Inderselben Haut stecken: sich in derselben (üblen) Lage befinden. Haut steht in dieser und anderen Rdaa. pars pro toto für den ganzen Menschen, ebenso wie in den Ausdrücken anständige Haut: zuverlässiger, charaktervoller Mensch; arme Haut: bedauernswerter Mensch; brave Haut: redlicher Mensch; ehrliche Haut: ehrlicher Mensch; lustige Haut: gutmütiger, umgänglicher Mensch. Grimmelshausen macht den Wortwitz: „Ich weiß, ihr seyd eine alte gute Haut, der Balck aber taugt nicht viel44. Mit heiler (oder ganzer) Haut davonkommen; c igentl.: unversehrt aus dem Kampfe kommen; abgeschwächt: ohne nachteilige Folgen aus einer mißlichen Lage hervorgehen. Aus heiler Haut (bair. ,von heiler Haut4) bedeutet: aus freien Stücken; dann auch: unversehens; eigentl.: ohne daß einem die Haut geritzt worden wäre. Von einem Zählebigen heißt es er hat neun Häute. Wenn dem körperlichen oder sonstigen Wohlbefinden eines Menschen ein dauernder Schaden zugefügt worden ist, heißt es, es sei ihm eine Haut abgezogen. Hans Sachs hat danach den Schwank ,Von den neunerlei häut eines pösen weibs4 gedichtet. Einer seiner Gesellen erzählt ihm, er sei abends vom Weintrunk nach Hause gekommen, und seine Frau habe ihm nicht geantwortet. Da dacht ich pei mir selbest eben: Ich hab oft ghört von alten Leuten: Etlich weiber sind von neun heuten. Also ergrimmt er und bleut ihr die Stockfischhaut, dann die Bärenhaut, worauf sie brummt, dann die Gänsehaut, daß sie schnattert, dann die Hundshaut, wo sie zu bellen anfängt. Auf der Bärenhaut liegen, ebenso auf der faulen Haut liegen: müßig gehen, faulenzen; nichts tun, /Bär. Moderne umg. Wndgn. sind: auf die Haut gearbeitet: räumlich eng, z.B. von einer Wohnung gesagt; auf die Haut gespritzte Hosen: hauteng anliegende Hosen; nur mit der Haut kostümiert sein: scherzhafte Umschreibung für: nackt sein. 401
Havas Havas. Das ist ein Havas: das ist eine Lüge, Unsinn oder Schmarren. Diese Rda. ist vor allem in der Schweiz gebräuchl. Die frühere frz. Nachrichtenagentur Havas lebt noch heute in vieler Munde wegen ihrer Falschmeldungen während des ersten Weltkrieges unrühmlich fort. Vgl. dem Sinn nach die Wndg. ,lügen wie gedruckt4. Lit.: IV. Heim: Neuere Zeitungsfabeln, in: Schweiz. Vkde., Korrespondenzblatt 44. Jg. (1954), S.68ff. Hebel. Den Hebel (an der richtigen Stelle) ansetzen: den richtigen Weg, das richtige Mittel finden. Alle Hebel in Bewegung setzen: alles aufbieten, um etw. zu erreichen, eigentl.: um eine schwere Last in die Höhe zu bringen. Vor dem 18. Jh. scheint die Rda. im Dt. nicht gebräuchl. gewesen zu sein. Es entspricht ihr jedoch die schon lat., bei Cicero stehende Wndg.: „omnes adhibere machinas44. Els. ,Heb de Hewl am dickn Teil!4, fasse die Sache am richtigen Ende an. heben. Einen heben :tin Glas Alkohol (bes. Schnaps) trinken. Man hebt das Glas, um es zu leeren oder um jem. zuzuprosten. Er hat einen zuviel gehoben: er ist betrunken; stud, seit der Mitte des 19. Jh. ,Heb di, Schöberl, sunst bleibst a Dâlken!4 Aufforderung zum Aufstehen, wenn jem. die Absicht hat zu gehen, im Gespräch aber noch verweilt und nun scherzhaft an seinen Aufbruch gemahnt werden muß. Stammt aus der Küchensprache: Ein ,Schöberl4, das sich in der Küche nicht ,heben4 würde, bliebe ein Dalken, d.h. eine ungegangene Teigmasse. In Wien noch heute gebräuchl. und in lit. Quellen seit der 1. H. des 18. Jh. belegt. Lit.: L. Schmidt: Wiener Rdaa. VI, in. Das dt. Volkslied, 46 (1944), S.17f. Hebräisch. Das ist hebräisch für mich: das ist zu hoch für mich, ich verstehe es nicht, /spanisch; entspr. Er spricht hebräisch wie eine Kuh französisch: er hat miserable Sprachkenntnisse. Er (sie, es) lernt hebräisch: er ist im Pfandhaus versetzt; z. B. ,Mein Rock lernt hebräisch4; so schon bei Abraham a Sancta Clara: „Ihre Kleinodien und Silbergeschirr zu den Juden schicken, Hebräisch zu lernen44 (,Mercurialis4, 153); stud, noch im 19. Jh. Hechel. Einen durch die Hechel ziehen (ihn durchhecheln):in seiner Abwesenheitseine schlechten Eigenschaften bereden, ihn ,durch den /Kakao ziehen4; verstärkt: ,ihn durch eine belgische Hechel ziehen4 (so bei Jeremias Gotthelf), in älterer Sprache auch:,einen über die Hechel laufen lassen4. Ndl. Jemand over de hekel halen4; engl. ,to Hechel heckle4; frz. ,déchirer quelqu’un à belle dents4. Die Hechel ist ein kammartiges Werkzeug mit Drahtspitzen zur Flachsbearbeitung, durch das die verwirrten Fäden geglättet und geradegezogen und vom kürzeren und gröberen Werg gesondert werden. Lit. schon bei Luther: ,,Das wörtlein mein will ich durch der schwermer hechel ziehen auf das ja kein bein an dem text ganz und ungemartert bleibe44, und in seinen Tischreden4 heißt es: ,,er sei denn wol versucht vnd durch die hechel gezogen44. Grimmelshausens .Simplicissimus4 berichtet von alten Weibern, die „allerlei leut, ledige und verheirathe ... durch die hechel zogen44. Im Sinne von .scharf tadeln, verurteilen4 heißt es bei Logau: „der nun mehr 402
Hecht ist als ein Mensch, mag mich durch die Hechel ziehen“. Heute spricht man meist nur noch von hecheln oder durchhecheln, so wie es etwa Keller in seinen ,Leuten von Seldwyla4 (1856) benutzt: ,,Obgleich sie sattsam durchgehechelt wurde in der Stadt, so flößte sie doch Achtung ein, wo sie erschien“. Das Durchhecheln ist also ein Klatschen über andere in deren Abwesenheit, oft zum Schaden des guten Rufes der ,Durchgehechelten\ In diesem Sinne prägte der Nationalsozialismus für den alten Reichstag das Wort ,Hechelmaschine\ Seit 1910 gebucht ist Hechelkränzchen für die Lehrerkonferenz; vorher wurde dieser Ausdr. schon für die Tee- und Kaffee.- kranzchen der Frauen benutzt. Alte oder böse Hechel nennt man eine unverträgliche, zänkische Frau, die unaufhörlich über andere herzieht. Sächs. wird durchhecheln zu einer auch positiven Aussage im Sinne von: etw. genau nehmen, z. B. ,die alte Scharteke müssen mer mal durchhecheln\ ganz genau durchlesen. Der Ausdr. ein gehechelter Mensch entsprach um 1600 der heutigen Wndg. geschniegelt und gebügelt1. Bair. sagt man, wenn einem etw. wenig Angenehmes begegnet im rdal. Vergleich: ,Das freut mich wie den Hund das Hechellecken'. Thür. ,aufpassen wie ein Hechelmann (Heftelsmann)4 beruht wohl auf einer Verwechslung mit /Heftelmacher. Wie auf Hecheln sitzen: wie auf glühenden /Kohlen sitzen. Eine Realisierung erfährt das rdal. Bild in Hans Sachsens Gestaltung des Märchenstoffes von den drei Wünschen ,Die wuenschent pewrin mit der hechel4, worin der Bauer seiner unvernünftigen Frau die Hechel in das Hinterteil wünscht: Ich wolt, das dir die hechel doch Zw hinterst steck in dem arsloch! Die hechel, weil er redet noch, Ir in der kerben stacke. Hechel hieß auch ein oben tellerförmig mit Eisen- und Drahtstiften versehener Kirchenkerzenstock, der angeblich zur Bestrafung böser Kinder benutzt wurde. ,Wart, du kommst auf die Hechel4 oder ,Man setzt dich auf die Hechel4 sagte man daher in Schwaben, wenn ein Bube unartig war oder zur Beichte ging. In der älteren Sprache heißt die Hechel auch ,Riffel4; daher auch: ,ihn durch die Riffel ziehen4. Von dem Verbum ,rüffeln4 ist dann im 19. Jh. das neue Subst. ,Rüffel4 = scharfer Verweis abgeleitet worden. Dem gleichen Vorstellungskreis ist die 1639 bei Lehmann S.81 (,Beschwerden4 24) vermerkte Rda. entsprungen: „Wer mit Beschwernissen geplagt wird, von dem wird gesagt: ,Man hat ihn wüst abgestrelt4 4 4 . Hecht. Der Hecht im Karpfenteich sein: eine aufrüttelnde, führende Rolle in einer tragen Masse spielen. Der Hecht jagt die Karpfen hin und her und läßt sie nicht fett werden. Das sprw. Bild stellt den lebhaften Fisch inmitten anderer, langsam und träge sich bewegender Fische dar. Der Hamburger erweitert und variiert das Bild: ,Wenn de Hekt in de frei Elw schwärmt, denn bitt he un fritt, wat em in de Quer kummt, wenn he awer bi’n Amtsfischer in Kasten sitt, ,Hecht (bzw. zwei Hechte) im Karpfenteich4 denn lat he Karpen un Karuschen heranko- men und deit ju nix4. Schon mhd. wird Hecht in bildl. Sinne gebraucht: ,,Pei dem hecht verstën ich alle wütreich, die arm läut frezzent und auch ir aigen mäg (,Verwandte4) und freunt verderbent“, schreibt 1350 Konrad von Megenberg in seinem ,Buch der Natur4 (hg. von Pfeiffer, S. 254). Die Rda. vom ,Hecht im Karpfenteich4 ist vielleicht alt, lit. aber erst nachweisbar seit 1787: „Er war in Vetter Kornelius’ Hause der Hecht im Karpfenteiche, der die trägen friedlichen Haustiere der Handelsbedienten und des Gesindes immer aufstörte und in Schreck setzte44 (Musäus, ,Straußfedern4 Bd.l, S.147). Jean Paul (1763-1825) 403
Hecke schreibt im Titan': ,,So trifft meine Bemerkung hier ein, dasz ein guter filou immer der motivierende Hecht wird, der den frommen Karpfensatz der Stillen im Teiche zum Schwimmen bringt“. Jos. v. Görres wandte die Rda. 1804 ins Politische. In den sechziger Jahren des 19. Jh. wurde Napoleon III. der ,Hecht im europ. Karpfenteiche' genannt. 1867 bildete der kladderadatsch' auch Bismarck in der Karikatur als Hecht ab, und Bismarck selbst nahm in seiner berühmten Reichstagsrede vom 6. Febr. 1889 das Bild auf, um die Stellung Dtl.s zwischen Frankreich und Rußland zu kennzeichnen: „Die Hechte im europ. Karpfenteich (Franzosen und Russen) hindern uns (Deutsche), Karpfen zu werden. Wir müssen dieser Bestimmung der Vorsehung aber auch entsprechen, indem wir uns so stark machen, daß die Hechte uns nicht mehr tun als uns ermuntern“ (Reden XII, 456). Hecht übertr. auf den Menschen bedeutete zuerst soviel wie zauberischer Mensch', blaßte dann später zu ,Kerl, Bursche' ab. „Gesperrt zu einem solchen Hechte“, sagt Wieland. Man spricht von ,armen', Dürren', ,langen', ,drolligen' Hechten. ,Ein doller (toller) Hecht' ist ein Draufgänger, Lebemann, Weiberheld, krummer Hecht' wird allg. als Schimpfwort gebraucht. ,Ein gelungener Hecht' ist im Rhein, ein Bursche, der Witze und Streiche macht. „Verbrennt diesen Brief, damit es nicht dermaleinst offenbar werde, was für drollige Hechte wir sind“ schrieb Bürger am 1.3. 1789 an F. L. W. Meyer. In den Ausdrücken ,’n netter Hecht' (berl.) oder ,ein gemütlicher Hecht' (thür.) ist der eigentl. Charakter des Raubfisches ganz vergessen. Hecht in der Bdtg. ,dicker Tabaksqualm im Zimmer' stammt aus der Studentensprache. Der Ausdr. ist vielleicht substantiviert aus dem ndd. Adj. ,hecht‘ = dicht zur Kennzeichnung der dicht lagernden Tabakswolken oder fußt auf dem Adj. hechtgrau'. Unklar ist der Urspr. der Rda. Hier zieht es wie Hechtsuppe, vom Luftzug gesagt. Vielleicht beruht sie auf einem Wortspiel: Fischsuppe muß lange ziehen, um schmackhaft zu werden. Eine andere Erklärung leitet,Hechtsuppe' von jidd. ,hech supha' = wie eine Windsbraut, ein Orkan, ein Sturm her. Diese Rda. ist wahrscheinl. erst seit dem 19. Jh. in Gebrauch. Hecke. (Schnell) bei der Hecke sein: gleich bereit, gleich zur Stelle sein, gerüstet, vorbereitet sein; so auch in den Mdaa., z.B. köl. ,Hä es glich bei der Heck'; hess. ,hä wor rasch bei d’r Hecke', er war rasch bei der Hand, als es etw. zu sehen, zu gewinnen oder auch zu helfen gab. Nach der Rda. will man bei der Hecke nicht etwa Schutz suchen. Es scheint aber doch dies der urspr. Sinn gewesen zu sein. Die Eile, mit der man davon und hinter eine Hecke lief, wurde auf die Eile übertragen, mit der man herbeikam. Auf die Hecke klopfen: auf den /Busch klopfen; entspr. Schweiz. ,Er isch em uff der Hegg', er ist ihm auf der Spur. Ul.: Göhring, Nr. 147; Hartnak, S. 140f. Heer. Der rdal. Vergleich mit dem sagenhaften Wilden Heer zur Bez. eines starken Lärms kommt in fast allen Mdaa. vor; z.B. Schweiz. (Kt. Glarus, St. Gallen) ,Tuen wie’s Wüetiher', wild lärmen, sich jagen, ausgelassen sein; ungebärdigen Kindern ruft man zu: ,Tüent doch nit so wild, me meint jo ’s Wuetisher chömm!'; schwäb. ,fahren wie das Muotisheer (heilige Heer)' ; Allgäu: ,Ihr thond bi Gott wie’s Wuetas!'; rhein. ,do küt da wel Jag!', da kommt die wilde Jagd; ebenfalls für lärmendes Heranstürmen gesagt. Ut.: K. Meisen: Die Sagen vom wütenden Heer und vom wilden Jäger (Münster 1935), S. 144. Hefe. Auf die Hefe(n) kommen: aufs äußerste herunterkommen, mit seinem Vermögen fertig werden. Die Hefe, eigentl. ,das Hebende', weil sie bewirkt, daß der Stoff, dem sie beigemischt wird, sich hebt, sich aufbläht, bleibt doch selbst am Boden des Gefäßes sitzen und ist dann eben als Bodensatz eines Getränkes ungenießbar und deshalb verachtet. Den Kelch (Becher) bis auf die Hefe leeren: alle Widerwärtigkeiten bis zum bitteren Ende auskosten müssen, ist eine Rda. bibl. Ursprungs (Ps. 75,9), vgl. ,Der Rest ist für die Gottlosen' (/gottlos). Es geht auf die Hefen: es geht zu Ende. 404
Heide Die Hefe als Treibmittel in der Bäckerei ist gemeint in der in mdt. Mdaa. bezeugten Rda. auf der Hefe (oder Plur. auf den Hefen) sitzen bleiben: nicht vorwärtskommen, keinen Erfolg haben, eigentl. wie ein nicht aufgegangener Teig; auch von einem kleinen Menschen gesagt; vgl. Jer. 48,11 in Luthers Bibelübers.: ,,Moab ist von seiner Jugend auf sicher gewesen und auf seinen Hefen still gelegen...“ Er hat Hefe in den Schuhen wird von einem Aufgeblähten, Hochmütigen gesagt. Sich mit Hefen waschen: beim Waschen noch schmutziger werden, als man vorher war. Heft. Das Heft in der Hand haben: so viel Gewalt besitzen, daß der andere schwerlich etw. dagegen ausrichten kann. Die Wndg. bezieht sich urspr. auf den Waffenträger, der das Heft seines Schwertes fest in der Hand hat und die Waffe gut zu führen versteht. Er ist den Waffenlosen, den schlecht Bewaffneten, den Unsicheren und Ungeschickten dadurch überlegen. Vgl. auch die ähnl. fremdsprachl. Wndgn.: ndl. ,Het heft (hecht) in handen hebben4; frz. ,tenir la queue de la poêle4 und engl. ,to hold the reins4. Das Heft als Haltegriff des Schwertes oder eines Messers ist auch in den folgenden Rdaa. gemeint: einem das Heft in die Hand spielen: ihm Hilfe leisten, ihm das Mittel zur Verteidigung geben; das Heft nicht aus der Hand geben wollen: sich die Herrschaft, die Befehlsgewalt nicht nehmen lassen; einem das Heft aus den Händen winden: ihm mit Gewalt die Mittel zu seiner Verteidigung nehmen. Vgl. die lat. Wndg. bei Plautus ,,eximere e manu manubrium“. Heftelmacher. Auf passen wie ein Heftelmacher: scharf achtgeben; eine bes. thür. und obersächs., aber auch im Steirischen bezeugte Rda., der die rasche und dabei sorgfältige Arbeit des Herstellens von ,Hefteln4, d.h. kleiner Häkchen und Ösen zum Zusammenhalten von Kleidern zugrunde liegt. Das Auge vermag den raschen Bewegungen geübter Finger kaum zu folgen. Der Schnelligkeit des Fabrikationsvorgangs entspricht auch der rdal. Vergleich Das geht wies Heftelmachen: sehr rasch; im gleichen Sinne ,wie’s Brezelbak- ken4, /Brezel. Hehmann. Umhertollenden und lärmenden Kindern wird im bair.-oesterr. Raum oft von den Müttern zugerufen: ,Douts niet sue wie d’Hehmanner und schreits niet sue wie a Zohnbrecher4, womit auf die regionale Sagengestalt des Hehmanns angespielt wird. Lit: E.Rath: Der Hehmann. Herkunft und Bdtg. einer Sagengestalt (Wien 1953); U. Benzei: Sudetendt. Volkserzählungen (Marburg 1962). Heide. Gemäß dem lat. ,paganus4 ist der Heide der Landbewohner. Daraus hat sich vielleicht erst die Bdtg. ,Nichtchrist4 entwickelt, weil die Christen zumeist in Städten wohnten. Wahrscheinl. ist Heide keine Übers., sondern germ. Ursprungs imd bedeutet ,wild4, ,niedrigstehend4, erst später ,Nichtchrist4. Heide wurde dann zu einem Sammelwort für alle Erscheinungen, die außerhalb des Rahmens der Christenheit in räuml. und zeitl. Hinsicht stehen. Einen Heiden zu einem Christen machen: ein Kind aus der Taufe heben. ,En4 Heiden han w’r fortgetroen, en Christen bringen w’r wieder4 sagen ndd. die Paten, wenn sie mit dem Täufling aus der Kirche zurückkommen. ,Die Heiden sint inebruoken4 sagte man früher im Kreis Iserlohn, was be- ©ec ^efffelmadjer. ,Aufpassen wie ein Heftelmacher1 405
Heidelberg deutete: Die Frau ist ins Wochenbett gekommen. Diese Rda. bezieht sich auf die kirchliche Aussegnung der Wöchnerin. Eine Heidenangst haben: große Angst haben wie die Christen vor den Ungläubigen, z. B. vor den Türken. Heiden ist hier objektiver Genetiv, wie ,Gottes1 in Gottesfurcht1. In mehreren Wortzusammensetzungen bedeutet ,Heiden-1 eine Verstärkung, wie in den Ausdrücken Geidenarbeit4 (mühsame, umfangreiche Arbeit), ,Heidenbammer (große Angst), ,Heidengeld4 (sehr große Geldsumme), ,Heidenkrach4, ,Heidenspektakel4 (großer Lärm, heftige Auseinandersetzung), Geidenspaß4 (großer Spaß), ,heidenmäßig4 (sehr groß, sehr viel). Ähnl. auch in der Rda. ,das möcht einen Heiden erbarmen4, d.h. sogar einen Menschen, der nicht unter dem christlichen Gebot der Nächstenliebe steht. Lit.: Hoops: Die Heiden, in: Aufsätze zur Sprach- u. Lit.-Gesch. Wilh. Braune dargebracht (Dortmund 1920); HdA. III, Sp. 1634 ff., Art.,Heiden4 von Winkler; RGG. II, Sp. 141 ff. Art. .Heidentum1 von C.G. Diehl; R. Beitl: Kinderbaum. Brauchtum und Glauben um Mutter und Kind (Berlin 1942). Heidelberg. So groß wie das Heidelberger Faß sein: ein unvorstellbar großes Fassungsvermögen besitzen, riesengroß sein. Der rdal. Vergleich bezieht sich auf die bestaunenswerte Sehenswürdigkeit im Heidelberger Schloß, die noch heute Touristen anlockt. Das erste ,Große Faß4 ließ Pfalzgraf Kurfürst Friedrich IV. (1589-91) bauen, wie Merian berichtet: „Zu dem er- wehnten Faß ist ein Stiege von 27 Staffeln und alsdann ein kleines Brücklein, hinauff zu gehen. Es sollen zu den 24 großen eisernen Reiffen, die herumb seyn, 122 Centner Eisen seyn gebraucht worden. Und fasset Heidelberger Faß (1589-91) solches 132 Fuder, 3 Ohmen und 3 Viertel und hält 1 Fuder, 10 Öhmen, 1 Ohm aber 48 Maß, so sich fast mit den Oesterreichi- schen Maßen vergleichen. Das Wahrzeichen ist eine Nachteule, ein Aff und ein Löw ohne Zungen. Und ist solches so hoch, daß einer mit einem Rennspieß auffrecht darinn stehen könte“ (Matthäus Merian: Topographia Germaniae. Beschreibung der Untern-Pfalz am Rhein. Faksimile der vermutlich 1672 erschienenen vermehrten 2. Ausg. Neue Ausg. Kassel und Basel 1963, S.42, Sp.l). Liselotte von der Pfalz, die das berühmte Faß in ihren Briefen erwähnt, kannte das zweite Faß. Es wurde 1648-80 von ihrem Vater Karl Ludwig aufgestellt, nachdem das erste während des Dreißigjähr. Krieges baufällig geworden war. Zu ihrer Zeit enthielt es noch Wein, denn sie schreibt: „Im großen Faß hatt man nie keinen Rheinwein gethan, nur lautter Neckerwein44 (A3, S.347). Sie erinnert sich auch noch an den Spruch, der auf dem Faß stand und der sich auf die Darstellung an der alten Neckarbrücke bezieht: Waß thust du mich hir ahngaffen? Hast du nicht gesehen den alten affen Zu Heydelberg? Sich hin undt her, So findstu woll meines gleichen mehr.4 (Cl, S.342, 383) Bis zu den Niederlanden reichte die Kenntnis von diesem Faß, was die Wndg. ,het hei- delberger wijnvat4 beweist. Eine phantastische Übersteigerung enthält die Feststellung Das Heidelberger Faß ist ein Fingerhut dagegen, denn das heutige (dritte) Faß, das 1751 von Karl Theodor aufgestellt wurde, könnte immerhin 221726 1 in sich aufnehmen. Vor dem Heidelberger Fasse knien: keinen höheren Genuß als das Trinken kennen, den Wein als seinen Gott verehren. Lit.: K. Christ: Das erste Heidelberger Faß. Eine Jubi- läums-Studie (Heidelberg 1886); Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden (Tübingen 1913), Bd.8, S.97 u. 466L; R.Lochmann: Volkskundliche Belege in den Briefen der Liselotte von der Pfalz, masch.-schriftl. Staatsexamensarbeit (Freiburg 1969). Heidelerche. Singen wie eine Heidelerche: laut, hell oder ausdauernd singen. Die Rda. läßt sich bis um 1700 zurückverfolgen, bes. in obersächs. Mda. Der Name der Heide- 406
Heim lerche (Lullula arborea) ist dabei vielleicht in Verbindung gebracht mit dem Jubelruf ,heidi, heida!\ Die Mda. kennt die Aussprache ,Heetellerche\ d.i. ,Häutel-, Haubenlerche1 (Galerida cristata). Die Heidelerche ist selbst in den Gegenden noch zu finden, in denen sonst alles Tierleben erstorben scheint und überall wegen ihres vortrefflichen Gesanges geschätzt. Auch als Stubenvogel ist sie sehr beliebt. heidi. Im heidi: im Handumdrehen, sehr schnell; eine Interjektion, die schnelle Bewegung, aber Jubel und beschwingte Freude ausdrückt. Heidi gehen: verlorengehen, davongehen; seit dem 18. Jh. belegt; ähnl. heidi sein: verloren sein, eigentl. aus achtloser Lust dahinsein. heilig, Heiliger. Ein wunderlicher (komischer, seltsamer) Heiliger ist ein Sonderling, ein Mensch mit unüblichen Gewohnheiten; vgl. ndl. ,een rare, vreemde, ruwe Apostel4. Der Ausdr. beruht auf Ps. 4,4: „Erkennet doch, daß der Herr seine Heiligen wunderbar führet“. ,Wunderlich4 meint wunderbar4, d. h. auf wunderbare Weise, dann auch wundertätig4 und schließlich absonderlich4. Die Rda. ist seit dem 17. Jh. bezeugt, z. B. bei Abraham a Sancta Clara (Judas4 III, 174): ,,Für einen selzamen Heiligen halten44; vgl. ebd.: (IV, 157): „Es gehet ihm nichts ab, als der Schein, sonst wäre er Heilig44. Die Rda. spielt darauf an, daß im volkstümlichen Denken das Hauptinteresse gern auf äußere und sinnfällige Tatsachen, mehr auf die Wunder eines Heiligen, als auf sein asketisches Leben und heroisches Sterben gelegt wird. Eine ähnl. Wndg. findet sich bei Luther im ,Sendbrief vom Dolmetschen4: „Es ist dolmetzschen ja nicht eines iglichen kunst, wie die tollen Heiligen meinen44; vgl. die Wndg. ,ein toller (wunderlicher) /Christ4. Er ist kein Heiliger: er führt ein lockeres Leben; ähnl. ,Er ist nicht gar so heilig, wie er tut4. Iron. ,Er ist heilig wie eine Wolfsklaue4, ,er ist nicht so heilig wie jener Einsiedler, der den Hintern von Hornissen fressen ließ4. ,Er will noch heilig werden bei lebendigem Leib4 ist ein Spott auf einen Frömmler und Scheinheiligen. ,Er ist so heilig, daß man ihm ein Kreuz vorträgt4, er wird begraben. Die Heiligen vom Himmel herunterschwö- r en : sehr viel schwören (vgl. ,das Blaue vom Himmel herunterlügen4, /blau). Seine Heiligen aufgezählt kriegen: in der Schule durchgeprügelt werden (z.B. in Gotthelfs ,Bauernspiegel4), geht ebenso wie bair. ,seinen Heiligen kriegen4 (einen Verweis erhalten) darauf zurück, daß Priester und Lehrer den Kindern die Bilder ihrer Namenspatrone mit einer pädagogischen Ermahnung zu schenken pflegen. ,Dir geht’s noch mal wie den Heiligen Drei Königen4 ist eine lokale Kölner Verspottung und Drohung. Lit.: H. Schauerte: Die volkstümliche Heiligen Verehrung (Münster 1948). heim. Einen(m) heimgeigen: ihn derb abfertigen, ihm eine Abfuhr erteilen. Du kannst dich (dir) heim geigen lassen: mach, daß du fortkommst! In früherer Zeit ließen sich angesehene Leute, die ihren Reichtum zeigen wollten, von einem Tanzvergnügen oder Gelage von spielenden Musikanten nach Hause begleiten. Aus Bayern kennen wir die Sitte der Bauernburschen, sich nach Tanzbelustigungen mit Musik nach Hause bringen zu lassen. Erst später verband man mit der Rda. den Sinn der derben Abfertigung und Zurechtweisung, denn auch zum Spott wurde einem kläglich Abziehenden eine Musik dargebracht. Als Wallenstein vergeblich Nürnberg belagert hatte und unverrichteter Dinge abzog, jubilierten und musizierten die Nürnberger und sangen und spotteten: Du kannst den Göcker (Hahn) nit krähen hören, Und willst der Nürnberger Stadt verstören? Geh, laß dich geigen heim! 407
Heimat ,Heimleuchten‘ Auf einen ahnl. Urspr. ist die Rda. zurückzuführen: einem heimleuchten: ihn zurechtweisen, nachdrücklich abweisen, hinauswerfen, verprügeln. Früher wurde einem späten Besucher ein Diener mit einer Laterne mitgegeben, um ihn nach Hause zu begleiten, da es keine Straßenbeleuchtung gab. Aus dieser friedlich-bürgerlichen Sitte ist die Wndg. wohl hervorgegangen, und der höhnische Sinn ist erst spater hineingelegt worden. Immerhin ist die Wndg. im 16.Jh. schon ein Spottausdr. Nach der Chronik von Wigand Lauze haben Fritzla- rer Bürger Fackeln und Strohwische angezündet und dem vergeblichen Belagerer, dem Landgrafen Konrad von Thüringen, „zum Abzug geleuchtet“ (Lange: Alte Geschichten aus dem Lande Hessen, 1899). Einem etw. heimzahlen wurde zunächst im Sinne von ,zurückzahlen4 gebraucht, dann aber zu der heutigen Bdtg. von ,rächend vergelten4 umgeändert; vgl. bair. ,’s kimmt der Greis wider harn4, es wird dir vergolten, /daheim. Heimat. Unrasiert und fern der Heimat, Landserwort und Volkslied, schon aus dem 1. Weltkrieg, wahrscheinlich zurückgehend auf Platens Gedicht: ,Das Grab im Bu- sento4 (um 1830): ,,Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben44. heimlich. Heimlich, still und leise: völlig unbemerkt (vor allem in Beziehung zu unerlaubten Tätigkeiten wie Diebstahl usw.). Die Wndg. stammt aus der Operette ,Frau Luna4 von Paul Lincke (1899): ,,Heimlich, still und leise kommt die Liebe über Nacht44. Hein, Heinrich. Hein ist wie Heinz und Hinzeine Kurzform von Heinrich. Da dieser Name ungemein häufig vorkam, hat er seine Bdtg. als Eigenname verloren und ist z.T. ganz allg. zur Bez. männlicher Personen angewendet worden, deren eigentl. Namen man nicht kennt oder nicht nennen will (/Hinz und Kunz), z.B. ,ein fauler Heinz4. ,Heinz Narr4 ist die Inschrift eines Bildes in Seb. Brants ,Narrenschiff4, womit eben die Jedermanns- oder Allerweltstorheit bez. wird. Hagedorn nennt (schon vor Claudius) einen x-beliebigen Bauern Gevatter Hein4. Ndd. ist ,isern Hinnerk4 ein starker, mutiger Mensch, ,holten Hinrek4 ein klotziger, vierschrötiger Mensch, ein ,sanfter Heinrich4 ein gutmütiger, schüchterner oder überhöflicher Mensch. Die Soldatensprache kennt ,blauer Heinrich4 (Graupen), ,stolzer Heinrich4 (Reisbrei). Heinrich und die Nebenformen dieses Na- ,Freund Hein‘ 408
Heinzelmännchen mens treten auch als Namen für solche gefürchtete Wesen ein, deren eigentl. Namen man zu nennen sich scheut. ,Heinzei', ,Heinzeimann', /Heinzelmännchen sind Koboldnamen, Schon Luther nennt einen Hausgeist ,Heinzlein'. Freund Hein als Bez. für den Tod ist durch M. Claudius und Lessing weithin bekanntgeworden. Allerdings ist sie mindestens ein Jh. älter, denn sie findet sich bereits auf einem Flugblatt kurz nach 1650. Dort heißt es: ,,Freund Hain läßt sich abwenden nit Mit Gewalt, mit Güt, mit Treu und Bitt“. In Theobalds ,Hussitenkrieg‘ (1623) heißt es: ,,Mancher höret ein solches Vöglein, oder wie sie reden Heintzlic singen, daß er den Vor-Reigen am Todtentanz springen muß“. Hein ist ein schon ma. bezeugter Übername für den /Teufel: ,,Er siehet eben als hab er holzöpfel gessen ... wie Henn der Teufel“. Auch die obd. Mdaa. kennen verwandte Versionen. So heißt der Tod Schweiz, gelegentlich ,Beinheinrich', was dem ndd. ,knökern Hinrik' entspricht. Heinz und Hein sind vermutlich also schon vor Claudius volkstümliche ndd. Tabubez. Dennoch hielten die Zeitgenossen Claudius für den Erfinder des Wortes. Wenn Lessing den Ausdr. schon im Jahre 1778 in ,Freund Heink einem Brief an Claudius braucht (,,Bei Gott, lieber Claudius, Freund Hein fängt auch unter meinen Freunden an, die Oberstelle zu gewinnen“), so will er dem Einführer dieses Wortes in die Schriftsprache nur andeuten, welchen Gefallen auch er daran hatte. Die Wndg. ist dann schnell populär geworden. Heinr. Heine dichtet: Da flucht ich den Weibern und reichen Halunken, Und mischte mir Teufelskraut in den Wein, Und hab mit dem Tode schmollis getrunken, Der sprach: fiducit, ich heiße Freund Hein! Daß der seit M. Claudius lit. bekanntgewordene ,Freund Hein' als Kurzform zu .Heinrich’ gehöre, wird freilich z.T. bestritten. Andere Erklärer führen das Wort auf ein altes Wort für ,Tod' und ,Toter' zurück: Hunne, Hinne, Heune, Hein (vgl. Hünengrab, das Hühnerloch im Volkslied). Alle Deutungen aus der Mythologie scheinen indessen zu weit hergeholt. Es ist viel wahrscheinlicher, daß für den Tod ein Hüllwort gebildet wurde, das durch die Verwendung eines sehr häufigen Vornamens das Ungeheure des Todes in den Bereich des Geheuren und Vertrauten ziehen sollte. Durch die Verbindung mit ,Freund' wird dies in unserem Ausdr. noch besser erreicht als in den mdal. Verbindungen. Wenn sich auch hierfür bis jetzt kein eindeutiger Beweis erbringen läßt, so wird diese Erklärung doch gestützt durch zahlreiche ähnl. Hüllwörter und Euphemismen in den verschiedenen Sprachen. Im Engl, kommt z.B. in gleicher Bdtg. ,01d Henry' vor. Vgl. auch ,das Zeitliche segnen', /zeitlich. Lit.: J. Grimm: Dt. Mythologie (4.Ausg. Gütersloh 1876), Bd. II, S.710; Th.Siebs: Von Henne, Tod und Teufel, in: Zs. f. Vkde. 40 (1930), S. 49-61. Heinzelmännchen. Die Rda. Das haben die Heinzelmännchen getan, wenn man eine Arbeit schon vollbracht vorfindet, hat sich wohl erst im Anschluß an August Kopischs Gedicht von den Heinzelmännchen zu Köln' herausgebildet. Volkstümlicher ist der rdal. Vergleich wie die Heinzelmännchen leben: allein leben (bes. rhein.) oder 409
Heiss die Drohung Du wirst (noch) die Heinzelmännchen singen hören, sowie Dich mach ich zum Heinzelmännchen: ich schlage dich ebenso klein. Lil.: W. Marwede: Die Zwergsagen in Dtl. nördl. des Mains (Diss. Köln 1933). heiß. Du bist wohl (als Kind) zu heiß gebadet worden oder dich haben sie (als Kind) wohl zu heiß gebadet: du bist verrückt, /Bad. Die Rda. ist erst im 20.Jh. aufgekommen und spielt auch im Schlager eine Rolle: Du bist als Kind zu heiß gebadet worden, Dabei ist dir bestimmt geschadet worden. Ein heißes Eisen anfassen /Eisen. heißen. Mit der rdal. Formel ,Da heißt’s4 werden oftmals Sprww. zitiert; z.B. ,Da heißt’s: Augen auf!; ,Da heißt’s: Vogel friß oder stirb!4 (weitere Beispiele: Wander II, Sp. 484). Ich will Hans (Meier etc.) heißen, wenn das nicht wahr ist, in älterer Sprache ich will ein Schelm heißen, scherzhafte Form der Selbstverfluchung, ähnl. wie ,ich will tot Umfallen4, ,ich laß mich hängen4, vgl. engl. ,Fm a Dutchman if4, frz. ,je veux être pendu, si4, ndl. ,ik ben een boon(tje), als’t niet waar is‘ etc. Daß der Schwörende sich dabei selbst die Strafe setzt, gehört zur Tradition dieser Formeln, die älterem Rechtsbrauch entsprechen. Lit.: HdA. II, Sp. 659ff. und VI, Sp. 111 ff., Art. ,Eid‘ und ,MeineicT von H. Fehr. Heiler. Die Münze Heller trägt ihren Namen nach der Stadt Schwäbisch Hall, wo der ,Haller pfenninc4 wohl schon im 12. Jh. geprägt worden ist. Ähnl. wie /Deut und in neuerer Zeit /Dreier wird auch Heller oft als Bez. eines geringen Wertes in Rdaa. gebraucht: auf Heller und Pfennig bezah- Heller len: genau bis auf den kleinsten Rest bezahlen (schon bei dem Straßburger Prediger Geiler von Kaisersberg im 15.Jh.); keinen roten Heller bezahlen (wert sein): nichts bezahlen (wert sein), schon 1632 in der Form ,keinen Heller wert sein4; ,rot4 bezieht sich auf die Kupferfarbe (vgl. frz. ,pas un rouge liard4); seine drei (fünf) Heller überall dazugeben: überall hineinreden; in der leipziger Landkutsche4 von 1724: „er gab seine fünf Heller auch dazu44, d.h. er äußerte auch seine (unbedeutende) Meinung. Obersächs. ,Vun eich is enner an Haller un der anner an weißen Pfenk wart4, ihr taugt alle beide nicht viel. Lit.: F. v. Schröder: Wb. der Münzkunde (Berlin - Leipzig 1930); F. Wielandt: Der Heller am Oberrhein, in; Hamburger Beiträge zur Numismatik 5 (1951), S. 32-61; ders.: Probleme der Hellerforschung, Wissenschaftliche Abhandlungen des Dt. Numismatikertages in Göttingen (1951 ), hg. v. E. BÖhringer (Göttingen 1959); L. Veit: Das liebe Geld (München 1969). Hemd steht in zahlreichen Rdaa. für einen letzten, elementarsten und lebensnotwendigen Minimalbesitz: jem. bis aufs Hemd aus ziehen: ihn arm machen, ihm alles (oder fast alles) wegnehmen; urspr. von Räubern gesagt, die ihren Opfern nur das Hemd auf dem Leib ließen. Im Wiener Stadtrecht von 1434 als Recht demjenigen zugestanden, bei dem der andere Spielschulden hat. Sich bis aufs Hemd ausziehen: seine letzten Ersparnisse hergeben. Das zieht einem das Hemd aus: das ist unerträglich, urspr. ganz konkret gemeint. Eine 111. des Hausbuchmeisters zeigt, wie dem Bauern das Hemd über den Kopf gezogen wird, wenn die Ritter durch seine Felder reiten. Ebenso sich 410
Henkersmahlzeit von jem. das Hemd aus ziehen lassen: sich von jem. übertölpeln, ausnutzen lassen; kein ganzes Hemd mehr haben: sehr ärmlich sein; kein Hemd vor dem Arsch haben: sich nur sehr ärmlich kleiden können, sehr arm sein; das Hemd auf dem Leibe dransetzen: das Äußerste und Letzte wagen; das Hemd auf dem Leibe ist nicht sein: er hat eigentl. überhaupt nichts eigenes; das Hemd vom Leibe verschenken: sehr freigebig sein; einem aufs Hemd knien: ihn aufs äußerste bedrängen; einem das Hemd vom Leibe herunterfragen: ihn gänzlich ausfragen; und wenns das letzte Hemd kostet: selbst wenn der letzte und höchste Einsatz gewagt werden muß. In andere Zusammenhänge verweisen die Rdaa.: ein zu kurzes Hemd anhaben: leicht beleidigt sein, keine nervlichen Reserven haben, ihm flattert das Hemd: er hat Angst, sowie die Drohrede, Ein Schlag, und du stehst im Hemd da!( Die Wndg. soll 1898 in Berlin von der Schwerathletin Kätchen Brumbach (,Sandwina‘ genannt) geprägt worden sein (Küpper I, S.224). Henker. Der Henker wird auf seiner Hochzeit tanzen: er wird gehängt werden, wird von Henkershand sterben, eine euphemist. Umschreibung für die Todesstrafe, /Seiler. Jem. zum Henker wünschen: ihn zum Teufel wünschen. Henker steht in zahlreichen Rdaa. und Flüchen für das tabuierte Wort /Teufel, z. B.: ,zum Henker\ ,beim Henker', ,der Henker', ,was Henker!', ,daß dich der Henker!', ,das mag der Henker glauben!', ,geh zum Henker und lern das Hexen!', ,der Henker soll ihm die Augen ausstechen!', ,des Henkers Großmutter ein Bein abschwören', ,der Henker schlägt seine Großmutter' (= es regnet und gleichzeitig scheint die Sonne), ,dem Henker beichten', ,der Henker ist los'. Lit.: A. Keller: Der Scharfrichter in der Kulturgesch., in: Bücherei der Kultur, 21 (o.O. 1921): E. Angstmann: Der Henker in der Volksmeinung, seine Namen u. sein Vorkommen in der mdl. Überlieferung, in: Teuthoni- sta, Zs. f. Dialektforschung u. Sprachgesch., Beiheft 1 (Bonn 1928); A. Steinegger: Handwerker, Henker u. Galgen im alten Schaffhausen, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 44 (1947). Henkersmahlzeit. Der Brauch, daß einem zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung noch ein gutes Mahl nach seinen Wünschen bereitet wurde, ist seit dem 15. Jh. bezeugt; der Ausdr. ,HenckermoI‘ findet sich seit 1575 bei Joh. Fischart, ,Henkersmahlzeit' seit 1691. Im Scherz sagt man seine Henkersmahlzeit halten für jede letzte Mahlzeit vor einem Abschied; entspr. ndl. Jemands galgemaal'. Der Brauch einer letzten Mahlzeit vor der Hinrichtung läßt sich bis heute bei vielen Kultur- und Naturvölkern nachweisen. Den Delinquenten steht die uneingeschränkte Wahl der Speisen und Getränke zu. Die hauptsächlich gewählten Speisen sind Huhn, Fisch, Fleisch, Obst, Süßigkeiten, aber auch Rauschmittel, Alkohol und Nikotin. Das letzte Mahl erhalten alle Hinzurichtenden, gleichgültig, ob sie durch das Schwert oder den Strang umgebracht, ob sie lebendig vergraben, eingemauert, ausgesetzt oder ausgewiesen werden. Diese Sitte gilt auch für andere Arten der Tötung: Krieger, Menschenopfer, die alten Leute, der Sündenbock usw., sie alle erhalten ein letztes Mahl oder ein Viaticum, bevor sie in den Tod gehen. Und nicht nur das Mahl gilt als letzte Gunst. Ganz generell wird die letzte Bitte des Todeskandidaten erfüllt: das letzte Wort wird bewilligt, ebenso die letzte sexuelle Befriedigung, die gut ausgestattete letzte Zelle, die festliche Kleidung zum letzten Gang, die gelöste Fessel. All diese Vergünstigungen dienen dazu, die 411
Henne Macht des Sterbenden, die er als bedrohliches Moment mit ins Jenseits nehmen kann, zu entschärfen, den Sterbenden also mit seinem gewaltsamen Schicksal zu versöhnen und ihm den Gedanken der Rache zu nehmen. Dahinter steht die Grundidee der jäh unterbrochenen, also nicht voll ausgelebten und aufgebrauchten Lebenskraft der vorzeitig Getöteten, die es noch vor deren Ableben zu beruhigen gilt. Auch die Gewalttat, die am Hinzurichtenden begangen wird, kann den Toten zu bedrohlichem Tun reizen. Die Furcht vor dem Groll des Sterbenden provoziert diese und andere Maßnahmen. Die Ergebung in Gottes und des irdischen Gerichtes Willen, die Bereitschaft also zu einem wirklich sühnenden Tod soll herbeigeführt werden. Es ist bedenklich, wenn der Delinquent obstinat ist. Er soll willig, unter Verzicht auf Rache und Vergeltung aus dem Leben scheiden. Deshalb wurden Verbrecher, die alle letzten Gunsterweisungen ausschlugen, in älterer Zeit oft von der erregten Menge befreit. Der Fluch des Sterbenden, die Vorladung seiner Gegner vor Gottes Gericht, der letzte grollende Blick, das alles war eine unzweifelhafte Gefahr. Daher hat man es gern, daß der Sterbende allen Prozeßteilnehmern verzeiht, daß er dem Henker die Hand reicht, den Richter umarmt, daß er die Menge der Zuschauer segnet usw. Die Grundlage des Henkersmahls liegt also ganz eindeutig im Willen der Lebenden, den sterbenden Verbrecher zu versöhnen, ihm den Groll zu nehmen, ihm sein Ende in der wahrsten Bdtg. des Wortes schmackhaft4 zu machen. Lit.: HdA. Ill, Sp. 1746ff. Art. ,Henkersmahl‘ von Mackensen; H. v. Hentig: Vom Ursprung der Henkersmahlzeit (Tübingen 1958); vgl. die Rez. dieses Buches von K. Rankem: Zs. f. Vkde. 55 (1959), S. 136-142. Henne. Da wird keine Henne danach krähen: es wird sich niemand darum kümmern (/Hahn); sie ist eine Henne mit Sporen: sie ist ein durchtriebenes, verschmitztes Frauenzimmer (vgl. ndl. ,het is eene hen met Sporen4); die Henne legt nicht mehr: die Einnahmequelle ist versiegt, übertr.: die Frau hat aufgehört, Kinder zu bekommen; die Henne samt den Küchlein essen (genießen): Mutter und Tochter zugleich lieben; die Henne töten, um ein Ei zu gewinnen (vgl. frz. ,tuer la poule pour avoir Bœuf4) sagt man von einem großen Aufwand für geringfügige Dinge; eine Henne melken wollen von einem unmöglichen Beginnen; er wird seine Henne nicht bei Regen wetter verkaufen: er versteht seinen Handel. Er ist ein Hans Henne; durch diese witzige Zusammenstellung eines männlichen mit einem weiblichen Namen bez. man eine männliche Person, die sich mit Dingen beschäftigt, die sonst in den Bereich weiblicher Tätigkeit gehören. Laß die Henne erst auf ihre Eier kommen: warte die Zeit ab. Er ist ein rechter Hennen greif er: er ist ein Schürzenjäger. Die Rda. vom ,Hennengreifer4, die ,Er ist ein rechter Hennengreifer' inderfläm.-ndl. Rdaa.-Malerei des öfteren dargestellt worden ist, hängt zusammen mit älteren Sprww. wie: ,Dem Hennengreifer ist eine rechte Frau nicht hold4. Der Henne den Schwanz hinaufbinden ist ein rdal. Bild für eine gänzlich überflüssige Anstrengung, denn die Henne trägt den Schwanz von Natur aus oben. Hep Hep! ist ein Spottruf aus den Zeiten der Judenverfolgungen, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben des lat. Satzes: Hierosolyma est perdita = Jerusalem ist verloren (Wunderlich, S. 130). 412
Hering Herangehen. Der rdal. Vergleich (Herangehen wie Hektor an die Buletten: schwungvoll, bedenkenlos, unverzagt Vorgehen, bezieht sich eigentl. auf einen Hund namens Hektor, der die Buletten ohne Zögern frißt. Berlin seit dem ausgehenden 19. Jh. (Küpper I, S.224). heraus. Heraus damit, daß dir's keine/i Kropf drückt sagt man, wenn jem. mit der Sprache nicht heraus will. Heraus mit der wilden Katze, auch mdal. ,raus mit d’r welle Katz\ heraus mit dem Trumpf, eine Rda. beim Kartenspiel, aber auch allg. ,Heraus muß es, und wenn’s ihm zum Arsch naus pfupferte6 sagt man schwäb. von einem, der nichts verschweigen kann. Schön (oder fein) heraus sein: allen Schwierigkeiten enthoben sein. Das ist noch nicht ’raus: es ist noch nicht abgemacht, noch nicht sicher, vielleicht vom Kartenspiel stammend wie: mit dem Einsatz ’raus sein, ’rauskommen beim Lotteriespiel. Etw. ’raus haben: die Rechenaufgabe gelöst haben, übertr.: etw. gut verstehen, wohl verkürzt aus: herausgefunden haben, wie man am geschicktesten verfährt. Sich (gut) herausmachen: sich gut entwickeln; z. B. ,er hat sich nach seiner Erkrankung wieder gut herausgemacht6; auch sich wieder herauskrabbeln: wieder genesen; der Genesende krabbelt langsam und mühsam aus seinem Krankenbett. Das gleiche unbestimmte heraus liegt auch anderen Rdaa. zugrunde: sich etw. herausnehmen: sich eine Freiheit nehmen, die einem nicht zusteht, seit dem 17. Jh. belegt; urspr. ist wohl an dreistes Zulangen beim Essen aus gemeinsamer Schüssel zu denken (/Gurke). Einen herausstreichen: ihn sehr loben; vielleicht von dem ,Herausstreichen6 oder ,Anstreichen6, d.h. Kolorieren, von Holzschnitten und Federzeichnungen hergeleitet; bei Wilwolt von Schaumburg (95): „pfeifern, trumenschlagern und ander zue- gehörung, alles einer färb herausgestrichen66 = bunt zugeputzt; bei Martin Opitz im ,Buch von der deutschen Poeterey6 (1624, S.50): „wann sie (alexandrinische Verse) nicht ihren Mann finden, der sie mit lebendigen Farben herauszustreichen weiß66. Herausrücken: etw. widerstrebend hergeben. ,Rücken6 drückt dabei die langsame und widerstrebende Bewegung aus, mit der z.B. Geld hergegeben wird. Geld bei etw. herausschlagen: bei einer Sache viel Geld verdienen. Die Wndg. hängt mit dem Prägen von Münzen zusammen: Die Münzen wurden aus dem Metall herausgeschlagen; je dünner das Metall gewalzt war, um so mehr Münzen ließen sich herausschlagen. Herbst steht in den Rdaa. allg. für ,Ernte6, insbes. für den Ertrag der Traubenlese: einen vollen (halben, schlechten, armen, mageren usw.) Herbst machen. ,Dat gift en neidijen Herest6 (das gibt einen neidischen Herbst) sagt man an der Mosel bei ungleichmäßigem Ertrag, der je nach dem Spritzen in einem Wingert gut, im Nachbarwingert aber schlecht ausfällt. Herbst steht aber auch übertr. für ,Erfolg6: Ihm ist schon der Herbst verfroren: er hat schon den Mut verloren, ehe er die Sache angreift. Sein Herbst wird ihm schon kommen, worin er zeitig wird: seine Strafe wird nicht aus- bleiben. Lit.: H. Honold: Arbeit u. Leben der Winzer an der Mosel (1941), bes. S.82 u. 98. Herculanum. Herculanum (und Pompeji) ist eine rdal. Fluchformel, bei der der durch das bibl. Gebot ,Du sollst nicht fluchen6 tabuierte Gottesname (,Herrgott6) in einen anklingenden Namen umgeprägt wurde, ähnl. wie in den Formeln ,Potz Blitz6 statt Gottes Blitz, ,Potz Sapperment6 statt Gottes Sakrament, ,0 Jemine!6 statt Jesus Domine, und ähnl.: Jekus, Jegerl, Jerum, Jes- sas, Jesses, oder ,Mein!6 (bair.: ja mei!), wobei einfach Gott ausgelassen wird, ,Herrjeh6 statt Herr Jesus, ,Herrschaft nochmal6 statt Herrgott nochmal! ,Verflixt (und zugenäht)!6 statt verflucht, oder kruzitürken!6 statt Kruzifix,,Heiliger Bimbam6 oder,Heiliger Strohsack!6 statt des Namens eines Heiligen, /auch ,Bockshorn6. Lit.: HdA. II, Sp. 1636-52, Art. ,Fluch1 von K.Beth; RGG. V, Sp. 1648-52, Art. .Segen u. Fluch‘; J.Scha- bert:,Fluchen4 und ,Segnen1 im A.T., in: BibJica 39 (1958), S. 1-26. herein /Schneider. Hering steht in Rdaa. öfters als Bild des Geringwertigen und Kleinen, z.B. er brät den Hering um den Rogen: er bemüht sich 413
Herr um wenig oder nichts. Er ist ein schmaler Hering: er ist mager, dürr; ähnl. er ist wie ein ansgeweideter (ausgenommener) Hering: so hohl, so hungrig vom Fasten. Hier wird er keinen Hering braten: hier wird er nicht zum Zug, Erfolg kommen. Er ist ein Hering vor Johannis, ndl. ,Haring voor Sint Jan'. Gesetzlich durfte in Holland der Heringsfang erst am 24. Juni, dem Tage Johannes des Täufers, beginnen. Man kann sich also vor Johanni, d.i. bevor man den Hering im Netz hat, über den Fang nicht freuen. Der rdal. Vergleich aufeinandergepfercht wie Heringe: dicht gedrängt wie die gelagerten Heringe im Faß, findet sich schon bei Abraham a Sancta Clara (,Judas' IV, 390): „Gleich den Häringen aufeinander liegen“ ; ähnl. ,wie die Ölsardinen'. Hering ist auch ein Verweis; wohl entstellt aus frz. harangue' = Ansprache, heftige Rügerede, mit Einfluß von frz. hareng' = Hering. Bei Friedrich II. meint harangue' soviel wie aufmunternde Worte; vgl. frz. haranguer' = abkanzeln (Sachs-Vilatte 4, 475, KüpperI, 155). Herr. Die Rda. Herr im eignen Haus sein gehört zu dem weitverbreiteten Rechts- sprw. Jeder ist Herr in seinem Haus'. „Wir wellen auch, daz einem ieglichen purger sein haus sein veste sei“ steht bereits im Haimburger Stadtrecht von 1244. Es handelt sich um ein Rechtssprw., das durch verschiedene Länder verbreitet ist. ,Cascun est roy en sa maison' heißt es im Altfrz.; engl. ,a man is king in his own house' und ,a man’s house is his castle' (vgl. Singer 1,10). Der Herr steckt ihm schon im Kopfe: er will sich nicht unterordnen, er will hoch hinaus. Er ist der Herr von Habenichts (und Kuh- dreck ist sein Wappen): er ist arm. ,0 Herr im Hemd, die Frau ist (ganz) nackt', ist schles. ein Ausdr. des Staunens, der Verwunderung. Eristim Herrn entschlafen:er ist gestorben, vgl. ,das Zeitliche segnen', /zeitlich. Das Sprw. Des Herren Auge macht das Pferd (Vielt) fett(/Auge) findet sich in den verschiedensten Sprachbereichen,z. B. ndl. ,de beste mesting is des heeren oog'; lat. ,oculus domini saginat equum'; frz.,l’œil du maître engraisse le cheval' (weitere Varianten s. Wander II, Sp. 54 lf.). Den Herrn auf den Bettler setzen: nach einem einfachen Essen noch etw. Feineres genießen; auch umgekehrt, eis. Die Wndg. ,... ist Herr' dürfte eine rheinhess. Eigentümlichkeit sein, z.B. ,Chaussee und voll- gesoffe ist Herr', seitdem die Autos die Landstraßen unsicher machen. Herr werden eines Dinges oder einer Sache Herr werden (vgl. obersächs. ,etw. herre- kriegen'): etw. in seine Gewalt, Geschicklichkeit bekommen. Im Mhd. gab es das Sprw. ,Zwêne sint eines her' = einer ist gegen zwei verloren, er wird von ihnen überwältigt. Vgl. lat. ,duo sunt exercitus uni'. Herrgott. Unser Herrgott hat mancherlei Kostgänger oder Herrgott, wie groß ist dein Tiergarten; vgl. ndl. ,onze lieve Heer heeft rare kostgangers'; scherzhafter Ausdr. für: es gibt wunderliche Menschen auf der Welt. In aller Herrgottsfrühe: sehr früh. Den Herrgott einen guten Mann sein lassen /Gott. Dem ist unser Herrgott auch schon in Zivil begegnet, d.i. strafend, rheinhess. Einige spezifisch schwäb. Rdaa. sind: .Herrgott von Bentheim, got’s do zua‘, es geht sehr laut und ungeordnet zu; ,dear schtiehlt unserm Herrgott da Tag a‘, er ist den ganzen Tag untätig und faul; gleichbedeutend: ,dear ischt unsers Herrgotts Tagdieb'; ,Unser Herrgott wurd doch net grad dahoim gwea sei, wo da des gsait hoscht', was du sagst, ist gelogen. Lit.: IV. Unseld: Der Herrgott in schwäb. Sprww., in: Alemannia 20 (1892), S. 290-93. herrlich. Herrlich und in Freuden leben: sorglos, unbekümmert leben. Beruht auf dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus, Luk. 16,19: „Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden...“ Wir haben es herrlich weit gebracht: wir haben viel geleistet, besitzen eine bewundernswürdige Kultur etc.; nach Goethes Faust 1,19; meist iron, gebraucht. herumreiten. Auf etw. herumreiten: immer wieder auf dieselbe Sache zurückkommen. 414
Herz Leitet sich her vom /Steckenpferd, auf dem die Kinder reiten, und das - in iibertr. Bdtg. - den Erwachsenen zur Lieblingsbeschäftigung in der dienstfreien Zeit wird; vgl. engl ,hobby4; frz. ,être à cheval sur ses principes4; aufgekommen durch einen Erlaß von Heinrich, Fürst von Reuss-Loben- stein-Ebersdorf, am 18. 9. 1845, worin der Ausdr. vorkommt: ,,seit 20 Jahren reite ich auf einem Prinzip herum44 (Küpper I, S. 157). Herz. Zahlreiche Rdaa. beruhen auf der alten Auffassung des Herzens als Sitz der Empfindung, auch des Mutes: einem ans Herz gewachsen sein; ihn sehr lieb haben; ähnl. jem. im Herzen tragen. Das Herz ent- ziinden:Liebe und Leidenschaft entfachen. Einem sein Herz schenken: ihm seine Zuneigung und Liebe geben. Das Herz verstricken: unlösbar gebunden, in Liebe, Leidenschaft, auch: Schuld oder Haß gefangen werden. Sich etw. zu Herzen nehmen; etw. nicht übers Herz bringen; es drückt ihm fast das Herz ab; nicht an Herzdrücken sterben: offen heraussagen, was man denkt, was einen wurmt. Seinem Herzen einen Stoß geben: die ängstliche oder vorsichtige Natur in sich durch einen plötzlichen Entschluß überwinden; das Herz in die Hand (oder in beide Hände) nehmen: sich zusammennehmen (ebenso frz. prendre son cœur à deux mains4); sich ein Herz fassen:Mut zeigen; dagegen das Herz in der Hand tragen: offenherzig4 sein; dafür gewöhnlich das Herz auf der Zunge tragen: alles verraten, was in einem vorgeht. So heißt es schon lat. in der Bibel (Prediger 21,29): ,,in ore fatuorum cor illorum, et in corde sapientium os illorum44. In der Übers, bei Luther: ,,Die Narren haben ihr Herz im Maul, aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen44. Ganz ähnl. meint schon um 1300 Hugo von Trimberg in dem Lehrgedicht ,Renner4: Toren herze lit im munde, der wisen munt im herzen gründe. Goethe dichtet: Die Lust zu reden kommt zu rechter Stunde, Und wahrhaft fließt das Wort aus Herz und Munde. Mit doppeltem Tadel sagt 1639 Lehmann S.719 (,Schwätzer4 8): „Mancher hat sein Hertz im Maul, mancher hat sein Maul im Hertzen44. Vgl. frz. ,avoir le cœur sur les lèvres4. Das Herz auf dem rechten Fleck haben: ein tüchtiger, braver, uneigennütziger und hilfsbereiter Mensch sein. Dem Feigling fällt (rutscht) das Herz in die Hosen (oder in die Stiefel); ähnl. schon lat.: ,animus in pedes decidit4. Als die Studenten auf der Wartburg eine Ulanenfigur nebst Korporalstock, Haarzopf und Schnürleib, den Zeichen teils der Unfreiheit, teils welscher Sitte ins Feuer warfen, sangen sie dazu die Verse: Es hat der Held- und Kraftulan Sich einen Schnürleib angetan. Damit das Herz dem guten Mann Nicht in die Hosen fallen kann. Die Hose als Richtungsangabe, wohin der Mut sinkt, hängt mit der umg. Gleichsetzung von Mutlosigkeit (Angst, Feigheit) mit Durchfall oder beschmutzter Hose zusammen. Ihm fällt das Herz in die Schuhe: er wird mutlos; die Rda. ist eine im 19. Jh. (1856 bei Wilh. Heinrich Riehl) aufgekommene steigernde Parallelbildung zu dem vorigen Ausdr. Der Mut ist noch tiefer gesunken, als im vorhergehenden Fall. Sein Herz ausschütten: sich aussprechen, alles heraussagen, was man auf dem Herzen hat. Hier ist das Herz als ein Gefäß gedacht, wie man ja auch von einem Tiberquellenden Herzen4 redet und wie es Matth. 12,34 heißt: „Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über44. Ähnl. schon l.Sam. 1,15: „Nein, mein Herr, ich bin ein betrübtes Weib. Wein und starkes Getränk habe ich nicht getrunken, sondern habe mein Herz vor dem Herrn ausgeschüttet44. Aus seinem Herzen keine Mördergrube machen: offenherzig sein; vgl. Matth. 21,13: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht44 (ähnl. schon Jer. 7,11: „Haltet ihr dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Mördergrube?44); vgl. Goethes ,Götz von Berlichingen4 I, Bischofszene. Auch am Herzen, auf dem Herzen liegen und lasten die Gedanken; schon der griech. Dichter Äschylus (525-456 v. Chr.) hat die Sorgen „Nachbarn des Herzens44 genannt, 415
Herz und Wolfram von Eschenbach beginnt seinen ,Parzival4 mit den Worten: Ist zwivel herzen nâchgebûr, daz muoz der sêle werden sûr. Von ganzem Herzen und von ganzer Seele steht zum ersten Male 5.Mos. 4,29. Bei Matth. 23, 37 finden wir den Ausdr. dann in der noch volleren und vielleicht häufiger zitierten Form: „Von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemiite“. Wenig, aber von Herzen sagt man nach Tobias 4,9: ,,Hast du viel, so gib reichlich; hast du wenig, so gib doch das Wenige mit treuem Herzen“; ähnl.: ,wenig, aber mit Liebe4. Einen ins Herz schließen. Der Vergleich des Herzens mit einem Schrein und das dazugehörige Bild vom Herzensschlüssel spielt in Volkslied, Märchen und Rda. eine große Rolle. Eines der ältesten dt. Liebeslieder (aus einer Tegernseer Hs.) lautet: Dû bist min, ich bin din: des soit dû gewis sin. Dû bist beslozzen in minem herzen; verlorn ist daz sluzzelin: Dû muost immer drinne sin. Nach 2. Sam. 12,5 sagen wir jem. das Herz stehlen und nennen den, der es tut, Herzensdieb. Einen auf Herz und Nieren prüfen: von Grund aus prüfen; die Rda. ist bibl. Ursprungs und beruht auf Ps. 7,10 (vgl. auch Jer. 11,20 u.ö. sowie Offenb. 2,23); das Herz wiegen: die Gesinnung prüfen (vgl. Schillers Soldatenlied aus ,Wallensteins Lager4, wo es heißt: ,,Da wird das Herz noch gewogen44). Ein Herz und eine Seele sein: von gleicher Gesinnung und Meinung sein, beruht auf Apostelg. 4,32. ,Sie hat ihr Herz entdeckt4 ist der Titel eines 416
Hesse 1 Jem. im Herzen tragen' 2 ,Das Herz entzünden' 3 ,Das Herz verstricken' 4 ,Einem sein Herz schenken' 5 ,Das Herz abdrticken' 6 Jem. das Herz stehlen' 7 ,Das Herz wiegen' Lustspiels (1865) von Wolfgang Müller von Königswinter (1816-73). Häufig ist auch Herz in rdal. Vergleichen: ,ein Herz wie ein Stein4, ,wie eine Drossel', ,wie ein Schnebersbrot', ,wie eine kalte Wassersuppe4, ,wie ein Taubenhaus4, ,wie ein Lämmerschwanz4. Es geht ihm handhoch über dem Herzen weg: der Mund spricht das Gegenteil von dem, was das Herz fühlt. Ndd. ,Rüm Hart, klor Kimmung!4, weites Herz, klare Sicht!; stammt aus der Seemannssprache. Lit.: H. Niedermeier: Die Herzsymbolik in der Volksfrömmigkeit des MA., in: Bayer. Jb. f. Vkde. (1968), S. 58-64; E. Boehringer: Das Herz - im Umkreis des Glaubens - Im Umkreis der Kunst - im Umkreis des Denkens, 3 Bde. (Biberach o. JJ Hesse. Ein blinder Hesse, altes Scheltwort für einen (geistig) Kurzsichtigen. Die Rda., von der sich wahrscheinl. das Sprw. ablei¬ tet: ,die Hessen können vor neun nicht sehen4, geht schwerlich weit über das 16. Jh. zurück. Grimm und ihm folgend Vilmar fassen diese spöttische Bez. als letzten Nachklang einer sonst unbezeugten Stammessage auf, wonach der Stammesahnherr für das blindgeborene Junge eines Hundes oder einer Katze ausgegeben worden sei (vermut!, aus dem lautlichen Anklang von ,Chatten4 und ,Katzen4). Daher habe man wohl auch die Hessen blinde Hunde oder blinde Hundehessen genannt, wie man (im 16. Jh.) den hess. Wappenlöwen eine Katze schalt. 1584 sagt Leonhard Thurneisser, ein Arzt, Alchimist, Astrolog und Verleger zugleich, von der ,,schwebischen art44: „welche geschlecht der menschen nach der gebürt, wie man vermeint, neun tage als die hunde blind ligen sollen44. Vielleicht bezieht sich hierauf die Vorstellung, der Hesse könne vor neun nicht sehen. 417
Heu Der Ruf geistiger Verblendung und zäher Störrigkeit haftet unter den dt. Stämmen vor allem den Hessen und Schwaben an, daher heißen auch die Schwaben ,blind4, namentlich bei den Thüringern, die die Hessen öfter ,taub4 als ,blind4 nennen. Schon 1541 ist die Rda. von Seb. Franck (Sprww. 2,49b) gebucht worden: „ ,Du bist ein blinder Hesse!4 wolt einen groben döl- pel und fantasten damit anzeigen. Wir brauchen ,ein grober Algewer bauer, ein blinder Schwab, ein rechter dummer Jan, der teutsch Michel, ein teutscher baccalau- reus4 “. J.-B. Rousseau meint: ,,Die Hessen heißen deshalb blind, weil sie stets kühn und unverrückt in die Schlacht gingen. Und ihre Tapferkeit hat sich auch bei verschiedenen Gelegenheiten bewährt. Oder vielleicht auch deshalb, weil sie nicht fragen, wofür sie in den Kampf gehen, ob als verkaufte Soldner oder als Kämpfer für die höchsten Güter eines Volkes44. Drauflos, wie ein blinder Hesse ist daher zur allg. Rda. geworden. Rhein, sagt man von einem leicht zornig werdenden Menschen: ,den hät en Hessekopf4. In Pommern, Preußen und wohl auch anderswo ruft man jem., der einen auf der Straße anrennt, zu: ,Blinn’ Heß, kannst nich sehn?4 Lit.: Fr. Wiesenbach: Die blinden Hessen (1891). Heu dient sprw. zur Bez. einer großen Menge: Er hat Geld wie Heu (Lessing, ,Minna von Barnhelm4 III, 5); sein Heu herein (auch im Trocknen) haben: sein Geschäft gemacht, viel Geld verdient haben. In einigen anderen Rdaa. kommt Heu in Beziehung zu unsinnigem Tun und in Bildern für eine ,verkehrte Welt4 vor, z.B. ,as ’t Hoi blÖit4 (wenn das Heu blüht), d. h. niemals, am St. Nimmerleinstag; das Heu zwischen die Hörner legen: etw. Unsinniges tun; ebenso das Heu läuft dem Pferd nach. Da wird kein Heu diirr: man gibt sich vergebliche Mühe; das Heu auf dem Ofen trocknen. Er weiß das Heu auf seine Gabel zu bringen: er nutzt seine Vorteile aus. Er ist besser als lang Heu zu laden: er läßt sich leicht überreden, für einen Zweck gebrauchen. Heu und Stroh im Kopf haben: sehr dumm sein. ,Das Heu läuft dem Pferd nach4 Er hat Heu an den Hörnern: nimm dich vor ihm in acht! Ähnl. in Fischarts ,Gargantua4 (153a): „du hast uns recht das heu zwischen das horn gelegt44. Eigentl. von einem bösen Ochsen gesagt, dem der Treiber, um die Vorübergehenden zu warnen, ein Bündel Heu an den Hörnern befestigt hat. Ebenso schon lat. ,foenum habet in cornu4. Wenn jem. gähnt, sagt man iron, übertreibend: ,Hu, da kann doch ein Heuwagen ’reinfahren!4 Heuchel. Ohne Heuchel und Schmeichel: etw. geradeheraus und ohne Verstellung sagen. Die Zwillingsformel ist in gleicher Zusammenstellung schon bei Hans Sachs zu finden (,Der Affenkönig mit den zwei Gesellen4): Deshalb wil die weit, das man auch Ir heuchel, schmeichel, lob’ und schmir (= besteche). Hexe. Unter den Rdaa., die aus Volkssagen herausgewachsen sind, stehen solche zum Hexenglauben zahlenmäßig an der Spitze. Nicht hexen können: Unmögliches nicht vollbringen können; nicht noch schneller arbeiten können (,ich kann doch nicht hexen!4). Die Rda. ist im 18. Jh. im Geiste der Aufklärung aufgekommen. Meckl. sagt man von einem Schläfrigen: ,Dee is wol mit de Hexen nah’n Blocksberg wäst!4; vgl. die abweisende Antwort: ,Geh zum Blocksberg!4, ,Daß du auf dem Blocksberg wärest4. Von der stumpfen 418
Hieb Sense heißt es meckl. ,Dor kann’n up nah’n Blocksbarg rident; ähnl. schlesw.-holst. ,Das Meß is so stump, dor kannst mit’n bloten Ars op na’n Blocksbarg rieden4, oder ,Op sien Mess kann en Hex ahn Ünnerbüx up na’n Blocksbarg rieden4; hess. ,Auf dem Messer kannst du von hier bis Paris (auch: nach Rom, Köln) reiten4. Dieser Messerritt ist unverkennbar ein Hexenritt und bezieht sich auf den Volksglauben: man darf sein Messer nicht mit der Schneide nach oben legen, weil sonst die Hexen darauf nach dem /Blocksberg reiten. Die /Katze als Verwandlungsgestalt der Hexe und als Hexentier der Sage kommt in einigen Rdaa. vor. Wenn eine Katze Brot frißt, sagt man Schweiz. (Kt. Uri): ,Das isch ämel kei Häx\ denn Brot ist heilig, an Brot würde eine Hexe nicht gehen. Ostfries. ,Dan is Kat ’n Heks4 bedeutet: dann tritt die größte Verlegenheit ein. Nach der Hexensage wird eine zwanzigjährige Katze zur Hexe und eine hundertjährige Hexe wieder zur Katze. Die Teufelsbuhlschaft der Hexe begegnet in Volksglauben und Sage nicht mehr, aber die sprachliche rdal. Wndg. zeigt noch den Zusammenhang von Hexe und Teufel, z. B. ,Was sich hext, deiwelt sich4, was sich liebt, das neckt sich. ,Verklage die Hexe beim Teufel4, du bekommst dein Recht doch nicht, weil eine Krähe der andern kein Auge aushackt. ,Aussehen wie die Hexe von Binzen4 ist eine Basler Rda. für eine Frau mit zerzausten Haaren. Die Hexe von Binzen war die Frau eines Knechtes von Graf Dietrich auf Schloß Rotteln. Eines Tages krepierte der Lieblingshund des Grafen, vermeintlich infolge ungenügender Pflege durch den Knecht. Der Graf war darüber so erbost, daß er den Knecht von seinen Hunden zerfleischen ließ. Hierauf verfluchte dessen Frau das Schloß und seine Bewohner, und die Folge dieses Fluches war, daß der Bräutigam des Schloßfräuleins beim Schloß zu Tode fiel. ,D’ Hex gronet4 sagt man schwäb. bei rekonvaleszenten Frauen. Schwäb. ist ferner der rdal. Fluch: ,Kotz Mahra und a Hex!4 sowie das Sprw.: ,Es tut keine Hex mehr, als sie kann4. Es ist eine Hexe im Feuer sagt man, wenn es im Feuer knistert. In Sagen und Märchen erscheint die Hexe öfters in irgendeiner Weise mit dem Feuer verbunden. Einen Hexenschuß habeti: plötzliche und starke Schmerzen empfinden. Die Rda. bewahrt die Vorstellung, daß Krankheiten ,Hexenschuß1 mit Pfeilen auf die Menschen von übernatürlichen Wesen abgeschossen werden, wie z. B. auch die Pest, /Bilwis. Lit.: A. WiUmann: Die Gestalt der Hexe in der dt. Sage (Diss. Heidelberg 1933); G. Emrich: Formen und Grundlagen gegenwärtigen Hexenglaubens (Diss. Mainz 1953); J. Kruse: Hexen unter uns? (Hamburg 1951); L. Berthold: Sprachliche Niederschläge absinkenden Hexenglaubens, in: Volkskundliche Ernte (Gießen 1938), S. 32-39; E. Hoffmann-Krayer: Die Hexe von Binzen, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 14 (1910), S. 170; W. E. Peuckert: Der Blocksberg, in: Zs. f. d. Ph. 75 (1956), S.347ff.; L. Röhrich: Sprww. und sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 260f.; L. Honko: Krankheitsprojektile. Untersuchungen über eine urtümliche Krankheitserklärung, FCC. 178 (Helsinki 1967). Hieb. Einen Hieb haben (auch: ,einen /Hau haben4): nicht ganz richtig im Kopf sein, einen Rausch haben, eine wunderliche Angewohnheit (Charaktereigentümlichkeit) haben. Ein ,Hieb4 ist seit der Mitte des 19. Jh. auch ein Schluck Alkohol; daher einen Hieb vertragen: viel trinken. Diesen Rdaa. liegt der Vergleich der Trunkenheit mit einem erhaltenen Schlag zugrunde. Die Zwillingsformel hieb- und stichfest ( = 419
Hier, hierher unangreifbar, einwandfrei, absolut sicher und nachprüfbar) gehört zum zauberischen Brauch des,Festmachens4, einer magischen Handlung, die Unverwundbarkeit gegen Hieb, Stich und Schuß verleiht. ,,Die Welt pflegt zu sagen, wenn einer schußfrei, stichfrei, hiebfrei, und weder Gabel noch Säbel eingeht, er sei gefroren“ (Abraham a Sancta Clara, ,Reim dich4, 1684, 10). Wundsegen, wie sie noch bis in den 2. Weltkrieg hinein gebräuchl. waren, sollten ihre Träger ,hieb- und stichfest4 machen. Wer ,festgemacht4 oder ,gefroren4 ist, ist unverwundbar durch gewöhnliche Kugeln, feuerfest, gefeit gegen Stich und Hieb, er schneidet sich nicht, selbst wenn er auf Schwertschneiden tanzen müßte. Lit.: O. Berthold: Die Unverwundbarkeit in Sage und Aberglauben, RW. XI, 1 (Gießen 1911); HdA. II, Sp. 1353ff. Art. ,festmachen‘ von W.-E. Peuckert; A. Spanier: Romanusbüchlein. Hist.-Phil. Kommentar zu einem dt. Zauberbuch (Berlin 1958); E. Wagner: Hieb- und Stichwaffen (Prag 1966). hier, hierher. Ein bißchen hier sein: geistig beschränkt, verrückt sein. Die Rda. wird mit einer Gebärde verbunden, indem man bei ,hier4 Schläfen oder Stirn berührt, um anzudeuten, daß es dem Betreffenden ,hier4 gebricht. Die Sache steht mir bis hier: ich will nichts mehr davon wissen, ich habe genug davon. Die Rda. ist ebenfalls mit einer Gebärde verbunden, wobei die Hand, sozusagen als ein Zeichen der übermäßigen Sättigung, quer an den Mund gelegt wird. Bis hierher und nicht weiter: das ist die äußerste Grenze, mehr ist nicht möglich, zulässig. Diese Rda. bezieht sich auf die Worte Gottes an das Meer bei Hiob 38,11 : Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter, hier sollen sich legen deine stolzen Wellen! Gewöhnlich wird, wie in Schillers .Räubern4 (II, 1), verkürzt zitiert: Bis hierher und nicht weiter! Bei Dante heißt es in der ,Divina comme- dia4 (.Inferno4 26, V. 107-109): ,,Quando venimmo aquella foce Stretta ov’ Ercole segno li suvi riguardi, Accio che lTiom piü ol- tre non si metta44. (,,. . . Da war mein Schiff am engen Schlunde dort, wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!44) Dante be¬ zieht sich auf das ,,non plus ultra44 der griech. Schriftsteller. Der thebanische Dichter Pindaros (518-442 v. Chr.) schrieb in seinem 3. ,Nemeischen Siegeslied4: „oiweu, Tipoocu aßaxav àXa xiovcov ÛTrèp'HpaxÀéoç rcepàv eù|iap8<;“= Nicht weiter als über die Säulen des Herkules hinaus darf man das unwegsame Meer befahren. Lit.: Büchmann, S.30,472; L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachgebärde. Himmel. Die Rda. den Himmel offen sehen stammt aus dem N.T. (Joh. 1,51), wo es heißt: ,,Und er sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ihr werdet den Himmel offen sehen44; ähnl. Apostelg. 7,56. Von daher sagt man von einem glücklichen Menschen ,er sieht den Himmel offen4; in profanem Sinne z.B. bei Schiller (,Glocke4): Das Auge sieht den Himmel offen, Es schwelgt das Herz in Seligkeit; vgl. auch Uhland .Schäfers Sonntagslied4, Str. 3. Daß das vollkommene Glück nach altem Glauben im Himmel seinen Sitz haben muß, zeigt die Rda. im Himmel sein, die man auf jem. bezieht, der sich in einem solch glücklichen Zustand befindet, der auf Erden kaum erreichbar erscheint. Diese Wndg. ist bereits bei Cicero in einem Brief an Attilus (2, 19, 2) belegt: ,,Bibulus in caelo est, nec quare scio, sed ita laudatur44 (auch Cic. ad Att. 2, 20, 4). In Lothringen sagt man ,Er mänt, er wär bim Herrgott im Himmel4. Mit der aus jüd. Tradition stammenden Vorstellung von den verschiedenen Himmelssphären, die auch im N.T. ihren Niederschlaggefunden hat (2. Kor. 12,2): ,,Ich weiß einen Menschen in Christus, der . . . entrückt wurde bis in den dritten Himmel44, hängt auch die Rda. jem. in den Himmel he- ben:ihn übermäßig loben, zusammen (vgl. lat. ,aliquem in coelum efferre4 bzw. .aliquem ad astra tollere4). Der oberste, siebente Himmel war als Sitz Gottes gedacht, im siebenten Himmel sein ist daher gleichbedeutend mit: in höchster Wonne schweben. Die Rda. wird vor allem als Ausdr. der Liebesseligkeit gebraucht (vgl. den Schlager: „Ich tanze mit dir in den 420
Himmel • Himmel hinein ... in den siebenten Himmel der Liebe“) und ist auch frz. (,être au septième ciel4) und engl. (,to be in the seventh heaven4) bekannt. Die christl. Vorstellung vom Himmel als Aufenthalt seliger und erhabener Geister hat auch zu der Rda. geführt Der hat seinen Himmel hier, oder häufiger: den Himmel auf Erden haben: ein angenehmes Leben führen; ndl. ,hij geniet eenen hemel op arde4. Für die Wndg. ,Himmel auf Erden1 bietet „a heaven on earth“ in Miltons ,Paradise lost' (1667) den ältesten nachweisbaren lit. Beleg. 1706 erschien in Amsterdam in dt. Übers, ein Buch des ndl. Predigers Fredericus van Leenhof mit dem dt. Titel ,Der Himmel auff Erden oder eine Kurze und Klahre Beschreibung der wahren und beständigen Freude . . Ebenso kennt das Frz. eine Wndg. in diesem Sinne: ,11s font leur Paradis en ce monde4. Einen Rest der alten Vorstellung von dem festen Himmelsgewölbe zeigt die Rda. Ich hätte eher des Himmels Einsturz erwartet, mit der man das Eintreten eines für unmöglich gehaltenen Ereignisses begleitet. Die ältere Form ist: „Ich hätte mich ehe des hymelfalls versehen“ (so 1529 bei Joh. Agricola Nr. 436 u. a.). In der ,Namenlosen Sammlung4 von 1532 steht dabei die Erklärung: „Dieses Worts brauchen wir zu den dingen, die jemandt widerfahren, on all seine vordanken, und die er für unmöglich geachtet hette, das sie geschehen solten“. Schon im alten Rom war sprw.: „Quid, si nunc coelum ruat?44, was, wenn jetzt der Himmel einstürzte? (Terenz), dasselbe auch bei dem Humanisten Erasmus von Rotterdam (,Adagia4 1, 5.64). Als es im Herbst 1806 in Weimar infolge der Aufregung über Napoleons Anrücken keine Lerchen zu essen gab, rief Goethe: „Nun, wenn der Himmel einfällt, so werden viele gefangen werden44; in einem späteren Vers (,Sprichwörtlich4, um 1810) tröstet er: Laß nur die Sorge sein. Das gibt sich alles schon; Und fällt der Himmel ein, Kommt doch eine Lerche davon. Die erstere Wndg. ist auch mdal. bezeugt. So heißt es im Rheinl. ,Wenn der Himmel enfällt, bliwen alle Mösche dot4 und im Saarland: ,Wenn der Himmel einfällt, han die Spatze all die Kränk4. Da man es im Grunde jedoch für unmöglich hält, daß der Himmel einstürzt, wird die Rda. ,wenn der Himmel einfällt4 als volkstümliche Umschreibung für ,niemals4 gebraucht. Jes. 13,13 heißt es: „Darum will ich den Himmel bewegen, daß die Erde beben soll von ihrer Stätte durch den Grimm des Herrn Zebaoth“, und der Prophet Haggai verkündet: „Denn so spricht der Herr Zebaoth: Es ist noch ein kleines dahin, daß ich Himmel und Erde, das Meer und das Trok- kene bewegen werde44 (2, 7). Danach sprechen wir von Himmel und Erde in Bewegung setzen: sich intensiv um etw. bemühen, alles mögliche versuchen. Stabreimend sprechen wir auch von Himmel und Hölle in Bewegung setzen: alles auf bieten, um etw. zu erreichen; vgl. engl. ,to move heaven and earth4; frz. ,remuer ciel et terre4. Bei Vergil (,Aeneis4 VII, 312) heißt es „flectere si nequeo superos, Acheronta movebo44 = Wenn ich die Himmlischen nicht bewege, ruf ich den Acheron zu Hilfe. Wie aus dem Himmel (auch aus allen Himmeln, aus allen Wolken) gefallen sein: sehr überrascht, auch stark enttäuscht sein. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen sagt man tröstend, wenn ein Versuch nicht gleich gelingt. Rhein. ,Et is noch ken Geährter vom Himmel gefalle4; meckl. als Sagwort ,dor is noch kein Meister von’n Himmel fallen, säd der Schusterjung4. Das Blaue (die Sterne) vom Himmel herunter lügen : dauernd lügen, stark übertreiben; ,’s Blaue vom Himmel Tab schaffen4 (auch: sparen, lernen, singen, stricken, lügen u.ä.); /blau. Vom Himmel fällt dem Menschen das Gute zu, die Himmelsgabe, vgl. Goethe, ,Faust4: Es ist eine der größten Himmelsgaben, So ein lieb Ding im Arm zu haben. Der Gedanke, daß Wertvolles vom Himmel herabfällt, findet sich schon im Lat. (Cicero, ,de fin4, 1, 19, 63): „Tum... illa, quae quasi delapsa de caelo est ad cognitionem omnium regula44; vgl. auch Livius, 10, 8, 10 u. Lactantius, ,Institutiones4, 1, 11, 55). Der Himmel ist nach christl. Vorstellung auch der Sitz des Weltgerichts. Es schreit zum Himmel sagt man deshalb von einer schrecklichen Tat, für die das menschliche 421
Himmel Gefühl so dringend nach einer Sühne verlangt, daß die Sache gleichsam selbst den Himmel um Rache anruft (vgl. l.Mos. 4,10 nach dem Brudermord Kains: ,,Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde“). Im gleichen Sinne sprechen wir von himmelschreiendem Unrecht. Die alte Dogmatik hat hiernach den Begriff der schreienden Sünden4, der ,peccata clamantia4 gebildet und diese in folgendem Vers aufgezählt: clamitat ad caelum vox sanguinis et Sodomorum vox oppressorum, viduae, pretium famulorum. Dem Sprw. Der Himmel ist hoch, man kann sich nicht dran halten liegt die resignierende Vorstellung zugrunde, das Recht habe seinen Sitz im Himmel und es sei manchmal schwer zu erreichen. In Burkard Waldis7 Werk ,Der verlorene Sohn4 heißt es: Mannich gudt geselle dorch die Lande ferth: Wann ohm de suke bosteydt szo bolde, Kan he sick nicht amm himmel holden. Hierher gehört auch die Rda. seine Rechnung mit dem Himmel machen: sieh auf sein Ende vorbereiten, die meist im imperativischen Sinne gebraucht wird; entspr. den Zitaten: Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt... (Schiller, .Wilhelm Teil1) und Schließt Eure Rechnung mit dem Himmel ab (Schiller, ,Maria Stuart4). Eine weithin bekannte Rda. heißt Der Himmel hängt voller Geigen. Belege finden sich vor allem in der Barockdichtung. So heißt es bei Abraham a Sancta Clara (1644-1709) ,,Wann der Himmel, wie man sagt, voller Geigen hänget . . ,44 (,Reimb dich4 18). An anderer Stelle (,Abrahami- sche Lauberhütt4 III, 10) gibt er auch eine Erklärung der Rda., die er fälschlich als Sprw. bez.: ,,Es ist ein gemeines Sprichwort, wann einige Welt-Menschen die große Himmels Freuden wollen zu erkennen geben, so pflegen sie zu sagen: Der Himmel ist voller Geigen44. In einem Weihnachtsspiel aus Kärnten singen die Hirten, wenn sie den Gesang der Engel hören: Potz tausend, Bue! was spricht so toll, Was hör i nit für Klang! Der Himmel hängt mit Geigen voll, Es ist a Engelsgsang. Mit dieser bibl. Erzählung von der Verkündigung der Hirten auf dem Felde verbindet auch Casper von Lohenstein (1635-83) die Wndg.: Der Himmel tut sich auf und hänget voller Geigen, Die Cherubinen mühen sich die Geburt zu zeigen Den armen Hirten an. Auch Luther kennt das Bild, das schon im 15. Jh. vorkommt: ,,Und weil ihr so gerne an diesem Reigen tanzt, dunkt euch, der Himmel hänge voller Geigen44. Später hat die Rda. zu scherzhaften Umformungen Anlaß gegeben: ,,Mancher meinet, der Himmel hang voller Geigen, so seynds kaum Nußschalen44 (Lehmann, 1639, S. 161). In Grimmelshausens Abenteuerlichem Simplicissimus4 (1669) findet sich bei der Beschreibung seiner zweiten Hochzeit die folgende Stelle: ,,Ich ließ trefflich zur Hochzeit zurüsten, denn der Himmel hing mir voller Geigen44. In dem selben Werk findet sich die Rda. im schwankhaften Vergleich gebraucht, als Simplicissimus in ein Pfarrhaus einbricht, um Schinken und Würste zu stehlen: ,,Als er das Nachtschloß aufmachte, da sähe ich, daß der schwartze Himmel auch schwartz voller Lauten, Flöten und Geigen hieng; ich ver- meyne aber die Schinken, Knackwürste und Speckseiten, die sich im Kamin befanden44. Wahrscheinl. geht die Vorstellung der Rda. auf die Malerei der späten Gotik bzw. Frührenaissance zurück, als man den Himmel mit musizierenden Engeln belebt darstellte. So schmückt die Festtagsseite des Isenheimer Altars von Matth. Grünewald ein farbenprächtiges Engelskonzert. Auch Raffaels Bild ,Krönung Mariens4 zeigt den Himmel mit geigenspielenden Engeln erfüllt. Ebenso könnte die Rda. alle Engel im Himmel singen hören, durch die die Größe eines Schmerzes ausgedrückt werden soll, auf diese Vorstellung zurückgehen. In der Volkssprache wird die Rda. schließlich drastisch verändert und aus der Geige eine Baßgeige. So heißt es eis. ,Ich schlag dir uf 422
Hinaus d’Ohren, daß d’meinst, der Himmel ist e Baßgig'; ,er sieht den Himmel für ’ne Baßgeige (auch: ,‘nen Dudelsack') an', er ist besinnungslos betrunken (berl.). Vgl. auch die Drohung Jch hau dich auf den Kopf, daß du den Himmel für eine Baßgeige (einen Dudelsack) ansiehst1. Meckl. sagt man von einem Hoffnungsfrohen, der noch keine Enttäuschung erfahren hat: ,dem hängt der Himmel noch vull Fideln: paß up, wenn dei Brummbaß man ierst kümmt'. Obersächs. kennt man als Ausruf bei einer unangenehmen Überraschung die Rda. ,Ei Himmel, hast du keine Geigen!' Das Wort Himmel steht schließlich oft verhüllend für ,Gott\ wie in zahlreichen anderen Ausrufen, Bitten und Fragen oder auch Flüchen, die zwar an den Himmel gerichtet sind, im Grunde jedoch Gott meinen: So sagt man tun Himmels willen oder du lieber Himmel\ das möge der Himmel verhüten und das weiß der Himmel, Himmel nochmal! In den folgenden Fluch- und Ausrufeformeln ,Himmel Arsch und Zwirn', ,Himmel Arsch und Wolkenbruch', ,Himmel und Donner nochmal!', himmeldonnerwetter!', ,Himmelherrgottsakrament', ,Him- nielherrgottssapperment!', ,Himmelkreuzbombendonnerwetter', ,Himmel, Kreuz, Millionen, Bomben, Element!', ,Himmel- kruzitürken' dient Himmel als superlativische Verstärkung für Begriffe, die das Weite und Hohe, das Laute und Große, auch das Unflätige und elementar Eindrucksvolle bezeichnen. In anderen Rdaa. tritt Himmel tabuierend für ,Hölle' ein, z.B. ,Du kommst in den Himmel, wo die Engel wauwau schreien'; ,einen in den Himmel schicken (wünschen), wo die Äpfel auf den Simsen braten' (Geiler von Kaisersberg, ,Narrenschiff'). Schließlich sei noch auf Goethes Scherzgedicht ,An Uranius' hingewiesen, das er 1807 in Karlsbad schrieb. In den ersten beiden Strophen flocht Goethe mehrere Rdaa. in Verbindung mit Himmel ein, da das Gedicht dem Berliner Komponisten Himmel gewidmet war: Himmel ach, so ruft man aus, Wenn’s uns schlecht geworden. Himmel will verdienen sich Pfaff- und Ritterorden. Ihren Himmel finden viel In dem Weltgetümmel; Jugend unter Tanz und Spiel Meint, sie sei im Himmel. Lit.: L. Schmidt: Wiener Rdaa. IV, in: Das dt. Volkslied, 44. Jahrg. (1942), S. 108-111. hin. Hinsein: entzwei, verloren sein; in salopper Redeweise auch: tot sein, jedoch auch auf einer Grabinschrift: Hin ist hin. Anna Maria Fiedlerin. Die Rda. findet sich schon im 14. Jh.: ,,si mir nit der bache hin", d.h. wenn uns nicht das Schwein verloren ist (Laßbergs ,Liedersaal' I, 287); ferner 1519 in Murners ,Geuchmatt‘: Ja, sprach sie, lieber tiltap (,Hanstapps‘) min, din trüw zu mir ist gar do hin. Luther: ,,Hin ist hin, laß laufen, was läuft". Häufig auch in rdal. Vergleichen, z.B. ,Es ist hin, als in den Rhein geworfen';,.. .wie des Juden Seel' u. a. Umg.: (in ein Mädchen) ganz hinsein: ganz verliebt, verschossen sein. Das ist hin wie her: eines wie’s andere; es ist so lang hin wie her: so lang wie breit. Nicht hin- und nicht herreichen: beim besten Willen nicht genügend sein. Wo denkst du hin: was hast du für komische Gedanken, das ist doch ganz anders. Hin drückt in dieser u.a. Wndgn. die Richtung auf ein unbekanntes Ziel aus (/hinaus). Das haut hin: das geht, wie es soll, das paßt gut, ist sehr erfreulich; auch: das ist erstaunlich, unglaublich. Es hätte mich beinahe hingesetzt: ich war völlig überrascht. Da schlag einer lang hin: (oft mit dem Zusatz: ,und steh kurz wieder auf'): das ist einfach toll, ganz unglaublich. ,Wenn der hinschlägt, ist er gleich zu Hause', sagt man berl., aber auch sonst für einen bes. großen Menschen. hinaus. Wo will das hinaus?: was soll daraus werden? Die Rda. begegnet bereits in der Lutherischen Bibelübers., z.B. Ruth 3,18: „sei still, meine Tochter, bis du erfährst, wo es hinaus will" („quem res exitum habeat" in der Vulgata), und Matth. 26,58: „auf daß er sehe, wo es hinaus wollte". Goethe spinnt die Rda. weiter: 423
Hinken Was fragst du viel: wo will’s hinaus? Wo oder wie kann’s enden? Ich dächte, Freund, du bliebst zu Haus Und sprächst mit deinen Wänden. hinken wird oft in übertr., bildl. Sinne gebraucht auch von Sachen oder von Gedanken; z. B. ein Vergleich hinkt, er hinkt am Gehirn, er hinkt auf beiden Seiten (d.h. er hält es mit allen Parteien), wörtl. dagegen ndd. ,Ick heff dat Hinken in de Schinken4, ich kann nicht gut gehen. Der hinkende Bote kommt nach /Bote. hinten. (Von) hinten und vorn: in allen Einzelheiten, durch und durch, überall. Von hinten bis vorn: ganz und gar, von Anfang bis Ende. „Wenn die Frau nicht hinten und vorne ist, so kommt doch nichts zustande44 (Goethe ,Was wir bringen4, 1807, 1. Auftr.). Obersächs. ,’s is ihm hinten und vorne nicht recht4, es gefällt ihm gar nicht. Hinten und vorn nichts haben: völlig mittellos, arm sein, nichts besitzen. Jem. von hinten ansehen: ihm den Rücken zukehren, ihm Nichtachtung, Verachtung zeigen. Hinten ein paar drauf kriegen: Schläge auf das Gesäß erhalten. Jem. hinten hineinkriechen: ihm würdelos schmeicheln (/Hintern). Es jem. vorn und hinten reinstecken: ihn mit Geschenken verwöhnen, überhäufen. ,Hinten schenkt man Weißbier4 ist in der Niederlausitz ein Scherzwort, wenn einem Kind das Hemd hinten herausguckt. Hinten Augen haben: alles sehen, sehr aufmerksam sein, alles schnell bemerken. Etw. hinten(he)rum besorgen: auf Umwegen, heimlich, illegal, bes. während der Nachkriegsjahre: ohne Lebensmittelmarken, ohne Bezugsschein, im Schwarz- oder Schleichhandel. Hinterbeine. Sich auf die Hinterbeine (Hinterfüße) stellen (setzen): sich sträuben, sich weigern, sich wehren. Die Rda. ist von dem sich bäumenden Pferd des Reiters auf den Menschen übertr. Auch der Bär stellt sich auf die Hinterbeine, wenn er sich wehrt. 1775 bucht Adelung (Versuch eines grammatisch-kritischen Wb. II, Sp. 1191) die Rda. in der Form: „Auf die Hinterbeine treten". Bei Goethe ist belegt: „Nun aber hat er sich auf einmal auf die Hinterbeine gesetzt44; bei Langbein: „Halt ihn beim Wort, ehe er wieder - mit Respekt zu sagen - auf die Hinterbeine tritt44. Auch ndd. sik up de Achterpoten setten4. Hinterhand. In der Hinterhand sein: der letzte sein, sich zu äußern oder zu handeln; vom Kartenspiel übertr., wo der, der zuletzt ausspielt, in der Hinterhand ist. „Wenn man nun in der Hinterhand sitzt und der Feind bekömmt die Matadore44 (Ludwig Tieck, Schriften, 1828f., Bd.5, S. 17). „Es ist außerordentlich bequem, die Regierung immer sozusagen herauskommenzu lassen, sich in die Hinterhand zu setzen und alles anzugreifen44 (Bismarck, Reden IX, 410). hinterlistig. Etw. zu hinterlistigen Zwecken verwenden: sich mit etw. das Gesäß reinigen. Hinterlistig ist hier scherzhaftes Adj. zu /Hintern. Hintermeier. Die bair. Rda. sich bekehren wie Hintermeiers Kuh: sich nicht bessern, beruht auf einem Wortspiel mit der Doppeldeutigkeit des Wortes ,bekehren4. Sie bezieht sich iron, auf die Tatsache, daß die Kuh des kleinen Bauern, für den stellvertretend der Name Hintermeier steht, hinten nicht am reinlichsten abgekehrt zu sein pflegt. Hintern. Einem in den Hintern kriechen (oft mit dem Zusatz: ,und den Eingang verteidigen4): ihm schmeicheln. Jem. in den Hintern beißen: ihn heimtückisch überfallen. Ich könnte mich vor Wut selber in den Hintern beißen, umg. Übertreibung für: ich ärgere mich sehr. Du hast wohl Hummeln im Hintern? sagt man zu einem, der nicht ruhig sitzen bleiben kann. Den Hintern betrügen: sich erbrechen. Alles an den Hintern hängen: sein Geld für Kleidung ausgeben, /Arsch. Hintertreffen. Ins Hintertreffen kommen (geraten): hintangesetzt werden, in Nachteil geraten, übertroffen, zurückgesetzt werden. Hintertreffen ist die Reservetruppe, die nicht am Kampf beteiligt war und im Fall des Sieges keinen Anteil an der Beute hatte; in dieser Bdtg. seit der 2. H. des 18. Jh. belegt. 424
Hirsch Hintertür. Sich eine Hintertür (ein Hintertürchen) offen lassen: sich die Möglichkeit des Rückzugs offenhalten. Durch die Hintertür wieder hereinkommen: sich nicht abweisen lassen und auf unüblichem Weg wieder vorsprechen. Etw. durch die Hintertür (ein Hintertürchen) versuchen: versuchen, etw. unbemerkt, illegal zu bekommen; ähnl. ndl. ,een achterdeur(tje) open- houden‘; frz. ,se ménager une sortie4; engl. ,to keep (oneself) a backdoor open4; /hinten. Hinz und Kunz: alle möglichen x-beliebi- gen Leute; jeder beliebige; jedermann. Hinz und Kunz als Bez. der urteilslosen großen Menge stammt aus dem MA., wo diese Namen sehr verbreitet waren; Hinz = Heinrich, Kunz = Konrad. Die Reihe der Heinriche und Konrade auf dem dt. Kaiserstuhl hat wesentlich zur Beliebtheit dieser Taufnamen beigetragen. Schon um 1300 ist die Wndg. formelhaft und nimmt im 15. Jh. spöttischen oder geringschätzigen Charakter an. Bei Joh. Fischart (.Praktik4, 1572, S.7) lautet sie: ,,Es sey Heintz oder Bentz44; ähnl. noch heute eis. ,Kunz und Benz4. Wenn Matthias Claudius in einer Fabel zwei Bauern miteinander streiten läßt, heißen sie immer Hinz und Kunz. Zwei seiner Geschichten sind sogar mit diesen Namen überschrieben; die bekannteste beginnt: Was meinst du, Kunz, wie groß die Sonne sei? - Wie groß, Hinz? Als ein Straußenei. Goethe schreibt in den ,Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des Westöstlichen Diwans4: ,,Diese beiden Namen (Seidon und Amran) stehen aber hier zu allgemeiner Andeutung von Gegnern, wie die Deutschen sagen: Hinz oder Kunz44. Es handelt sich um den Jedermann4, für den jede Volkssprache ihre eigenen Namen hat; vgl. ndl. ,Jan Alleman4, Jack ende Toon4; engl.,every man Jack4, ,Brown, Jones and Robinson4, ,all the world and his wife4; frz. .monsieur tout le monde4,,Pierre et Paul4. Lit.: O. Meisinger: Hinz und Kunz (Dortmund 1924). Hiob. Eine Hiobsbotschaft (älter Hiobspost) bringen: eine traurige oder unange¬ nehme Nachricht überbringen, nach Hiobl, 14-19; engl. Jobs news4. Goethe verbesserte in seinem Briefe an Zelter vom 21. Nov. 1830 „Hiobspost44 in „Hiobsbotschaft44 (Weim. Ausg. Abt. 4, Bd. 48, S. 20). Die alttestamentarische Hiobgestalt spielt verschiedentlich in den dt. Redensartenschatz hinein: Er ist ein zweiter Hiob: er hat viel Pech, Unglück. Eine wahre Hiobsge- dnld haben: außerordentlich geduldig, langm ütig sein ; vgl. frz. ,1a patience de Job4 ; engl. ,the patience of Job4; ndl. Jobsgeduld4. Arm wie Hiob (Job): arm wie eine Kirchenmaus, frz. .pauvre comme Job4; engl. ,as poor as Job4 (Büchmann, S.27). Hirn. Sich das Hirn zermartern: äußerst angestrengt nachdenken; nicht seinem Hirn entsprungen sein: es kann nicht seine Idee sein. Ein weiches Hirn haben: bescheuert, verrückt sein. Dem hat der Teufel (Affe) ins Hirn geschissen (oft mit dem iron. Zusatz: ,und umzurühren vergessen4): er ist verrückt. Schwäb. ,Mr sot em im Hirn vergante4, man sollte sein Hirn wegen geistiger Pleite versteigern. Nicht aufs Hirn gefallen sein: nicht dumm sein; .schreib dir's aufs Hirn4 sagt man oberoesterr. zum Vergeßlichen. Hirsch. Die Schnelligkeit des Hirsches kommt in verschiedenen rdal. Vergleichen zum Ausdr., wie z.B. frisch, flink, munter wie ein Hirsch; laufen, springen, tanzen wie ein Hirsch. „Ich spring und tanze wie ein Hirsch44 heißt es bei Hölty. Seit 1900 wurde Hirsch auch auf das Fahrrad, später das Motorrad (.schneller Hirsch4) übertr., doch hängt dies wohl nicht so sehr mit der Geschwindigkeit zusammen, sondern eher mit der Gabelform der Lenkstange. In weiterer Übertr. nennt man dann den Motorradfahrer selbst ,Hirsch4. Ebenfalls um 1900 aufgekommen ist Hirsch für den jungen Mann. Das Schwergewichtliegt in Bayern, doch ist der Ausdr. in ganz Dtl. und auch in Oesterr. verbreitet. Ein flotter Hirsch ist ein Draufgänger, ein Mann, der seine Geliebte häufig wechselt (für Berlin seit 1920 bezeugt). Die Bez. Hirsch für den jungen Mann entspricht dem engl. ,stag4 (Hirsch) für .lediger junger Mann4. Wolf tritt für eine Entstehung der 425
Historisch Bez. aus jidd. ,hivresch sein4, sich absondern, ein, doch erscheint einleuchtender, daß es sich eher um eine Anspielung auf die Geschlechtskraft des Hirsches wie auf die des jungen Mannes handelt. Alter Hirsch nennt man den altgedienten Soldaten, den im Dienst Ergrauten, und seitdem ausgehenden 19. Jh. auch den erfahrenen Flugzeugführer. Der Ausdr. ist der Jägersprache entnommen, wo er das überständige Tier bez. - Auch eine Predigt, einen Vortrag, die schon vor Jahren gehalten worden sind und aus Verlegenheit noch einmal dargeboten werden, nennt man einen alten Hirsch (für Hannover seit 1900 belegt). Als Hirsch bez. man auch den betrogenen Ehemann, wohl wegen des Geweihs, das ja als Symbol des /Hahnrei gilt (/Horn). Eine langwierige, aber dennoch erfolglose Verfolgung nennt man den weißen Hirsch jagen, wohl nach der Sage vom weißen Hirsch, der den Jäger immer tiefer in den Wald lockt, ohne sich erjagen zu lassen. Von einem entlegenen Ort sagt man wo die Hirsche ihre Geweihe abwerfen. Das Sprw. Wenn Hirsche nicht kommen, sind Hasen auch gut, hat die Bdtg. : etw. ist besser als nichts. Es ist belegt bei Jeremias Gotthelf (,Käthi4, I, 130). Aber auch die Neger in Surinam sagen: „Kannst du keinen Hirsch erlegen, und du erlegst ein Kaninchen, so ist’s auch gut“. Von jem., der sich streckt und die Arme spreizt, sagt man er mißt dem Hirschen seine Hörner (bair.). Dem Hirschen auf die Hörner binden: eine Person oder Sache der gewissesten Gefahr des Verderbens aussetzen (vielleicht nach einer alten Wildererstrafe?), ist ebenfalls eine vor allem bair. Rda. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 315, 318. historisch. Historisch werden: jem. seine kleinen Verfehlungen und Unterlassungen aus früherer Zeit Vorhalten; etwa seit 1910 (Küpper I, 236). Hobel. Jem. den Hobel ausblasen (blasen): ihn derb, rücksichtslos behandeln. Dazu: ,Du kannst mir den Hobel ausblasen4, ,du kannst miram Hobel blasen4, ,blas mir den Hobel aus!4, was alles eine derbe Abfertigung bedeutet. Dabei werden die Seitenteile des Hobels mit den Gesäßbacken verglichen; vgl. jidd. ,hoibel‘ = Afterkerbe. Auch meint Hobel zuweilen die vulva. Die Rda. ist in den meisten Mdaa. bekannt, zuerst 1850 für Berlin gebucht. Dem Hobel zuviel Eisen geben: eine Sache rauh, grob behandeln; wenn man dem Hobel zuviel Eisen gibt, macht er zu große Späne. Er hat den Hobel im Kopf: er ist närrisch; er kommt unter den Hobel: verliert durch leichtsinniges oder verkehrtes Verhalten sein Vermögen. Er ist ein ungehobelter Mensch: er ist ungeschliffen, schlecht erzogen. Die Rda. wird erstmals bei Hans Sachs auf einen rohen, ungesitteten Menschen übertr. ln ,Äsop der Fabeldichter* heißt es (327): „ein ungehobelt grober püffel44. Gleiche Bdtg. haben in Hochsprache und Mdaa.: ungeschliffen, unbehauen, unge- glättet, ungekämmt, ungekocht, ungeschoren, ungestriegelt, ungewaschen und zahlreiche Synonyme. Die bildl. Vergleiche gehen auf die Handwerkssprache zurück, und es liegt nahe, eine Gleichsetzung des Menschen mit dem Material des Handwerkers als Urspr. der Wndgn. anzunehmen. Tatsächlich war es in früheren Jhh. Brauch, bei der Aufnahme in Zünfte und sonstige Organisationen den Anwärter, der zum vollberechtigten Mitglied aufsteigen wollte, einer besonderen Zeremonie, der ,Taufe4, zu unterziehen. Durch verschiedene, teils scherzhafte Handlungen, wie wir 426
Hochzeit sie heute noch bei der ,Äquatortaufe1 und bei student. Korporationen finden, sollte er symbolisch von Untugenden befreit werden. Hier wurde häufig der Ausdr. schleifen1 angewendet. ,Ein ungeschliffener Kerb war folglich derjenige, der die Zeremonie noch nicht überstanden hatte. 1578 werden für eine student. Aufnahmezeremonie an der Universität Erfurt „Säge, Brechaxt, Knüttel, Schere, Kamm, Bohrer, Meißel, Feile, Hammer und Zange“ benutzt (W. Fabricius, Schochs ,Comoedia" vom Studentenleben, 1658, 106). Aus dem Jahre 1713 stammt die Schilderung des Hobelns eines Studenten mit bildl. Darstellungen. Schon früh wurden die Vergleiche, oft als Scheltworte, auf das Benehmen ungesitteter Menschen übertr. Häufig finden sich auch Belege in der Lit., wie bei Schiller (Anthologie 1782,,Rache der Musen" 21): Pfeift wohl gar - wie ungeschliffen! Andre Schläfer wach. Mit dem großen Hobel darüberfahren: etw. oberflächlich glätten, grob verfahren. Lit.: R. Wissell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 2 Bde. (Berlin 1929) II, S.32ff., bes. S.37; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alemannisches Jahrbuch (Bühl/Baden 1973). hoch. Das ist mir zu hoch: das übersteigt mein Auffassungsvermögen, das kann ich nicht begreifen. Die Rda. ist wahrscheinl. der Bibelsprache entlehnt; Hiob 42,3: „Darum bekenne ich, daß ich habe unweise geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe"", sowie Ps. 139,6: „Solche Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch; ich kann sie nicht begreifen"". Aber auch die äsopische Fabel vom Fuchs mit den /Trauben mag in die Tradition mit eingegriffen haben. Lit. noch im bibl. ernsten, eigentl. Sinne bei Paul Gerhardt: Das ist mir kund, und bleibet doch Mir solch1 Erkenntnis viel zu hoch. Heute wird die Rda. meist in iron. Sinne verwendet. Da geht es hoch her: da herrscht lebhaftes Treiben, ein verschwenderischer Lebenswandel. In diesem Sinne in Schillers Gallensteins Lager" (8. Sz.). ,Hoch" meint hier ebenso wie in ,Hochzeit" die Festzeit als eine ,hohe Zeit". Hoch hinauswollen: ehrgeizig, anspruchs¬ voll sein, hochmütig auftreten. ,Hoch hinaus" meint entweder das hochgesteckte Ziel oder das Hochrichten der Nase, oder die Absicht ,hoch zu Roß" hinauszuwollen. Ähnl. hochgeschoren sein: eingebildet sein, urspr. nur von kath. Geistlichen wegen ihrer bes. Haartracht gesagt (Tonsur). Von den Pfaffen heißt es schon in Hartmann von Aues ,Erec" (V.6631F): swie hohe er waer beschorn er wart dö lützel uz erkorn, ez waere abt oder bischof. Wenig später wird die Rda. als Geringschätzung gegen die Polen mit ihrem kurzen Haarschnitt angewendet, z.B. in Ottokars ,Oesterreichischer Reimchronik" (V. 16207 f.): die da als die torn waren hoch beschorn, die man Polan nant, mit den tungten sie daz lant. Etw. hoch und heilig versprechen: etw. fest versprechen. Hoch bezieht sich hier auf das Erheben der Schwurfinger. Einen hochgehen lassen: ihn verhaften, an- zeigen, verraten. Die Rda. kommt aus der Gaunersprache. Einen hochnehmen: ihn übervorteilen (von ,hohen Preisen" abgeleitet), sold.: jem. bei der Ausbildung stramm herannehmen, dann allg.: ihn scharf zurechtsetzen, ihn auszanken (Küpper I, S.237). Höherer Blödsinn /Blödsinn. Hochtour. Jem. auf Hochtouren bringen: ihn antreiben, zu intensiver Arbeit veranlassen, auch: ihn wütend machen. Entspr. auf Hochtouren kommen, auf Hochtouren sein: anfangen, intensiv zu arbeiten, wütend werden. Das rdal. Bild ist erst im 20. Jh. vom Automotor auf den Menschen übertr. worden. Hochwasser. Hochwasser haben: die Hosenbeine zu hoch gezogen haben, zu kurze Hosenbeine haben. Sie erinnern an die aufgekrempelten Hosenbeine beim Waten durch Hochwasser; ausgehendes 19.Jh. (Küpper I, S. 238). Hochzeit. Auf zwei Hochzeiten tanzen: zwei verschiedene, sich im Grunde ausschließende Dinge gleichzeitig tun wollen; auf allen Hochzeiten tanzen: überall dabeisein 427
Hochzeitsstrumpf wollen; auf der fatschen Hochzeit tanzen: aufs falsche Pferd setzen; auf einer fremden Hochzeit tanzen: sich in Dinge mischen, die einen nichts angehen. Ich werde auf deiner Hochzeit tanzeti ist eine Entschuldigung, wenn man einem anderen auf den Fuß tritt. Das ist eine schöne Hochzeitbzz. einen großen Lärm. Er schreit vor der Hochzeit Juch!:er nimmt die Hoffnung für die Wirklichkeit, ist voreilig; ebenso er hat zu früh Hochzeit gemacht. Die Hochzeit hat ein Loch: sie ist zu Ende. Jiid. Es ist Hochzeit und Beschneidung zugleich: eine Überfülle von Freude. Er macht Hochzeit mit des Seilers Tochter in einem Haus mit vier Säulen: er stirbt am Galgen. Lit.: B. Deneke: Hochzeit (München 1971). Hochzeitsstrumpf. Das Schenken von Hochzeitsstrümpfen ist in der Schweiz schon im 17. und 18. Jh. bezeugt und in einer bes. Weise rdal. geworden: ,Da häscht no Öppis in Hosstigsstrumpf4 sagt man im Schweiz, noch heute bes. häufig, wenn der Gast der Bedienung ein Trinkgeld gibt, eben ,öppis in Hosstigstrumpf4. Fragt man nun den Gast oder die Bedienung, ob sie je einen Hochzeitsstrumpf gesehen hätten, so verneinen sie dies in den meisten Fällen. Die meisten denken an einen überlieferten Scherz, weshalb auch die gelegentliche Antwort der Bedienung zu verstehen ist: ,Min Hosstigsstrumpf hat ä Loch4, oder ,1 tu’s i d’Scheidekasse4. Zahlreiche Belege für die Rda. ,einem näbis in’n Hochzitsstrumpf gen1 finden sich im Schweiz. Idiotikon II, 2282. Von einem Patengeschenk sagt Jeremias Gotthelf: „Im Papier waren zwei Fünffrankenstücke gewesen, eine große Summe für die arme Frau... Die beiden Stücke wanderten alsbald in den Hochzeitsstrumpf4. Lit.: W. Seeger: ,Öppis in Hosstigsstrumpf gee\ in: Schweiz. Vkde., 53 (1963), S.98. Hof. Jem. den Hof machen: sich um seine Gunst bewerben, sich zum Verehrer machen. Die Rda. ist eine wörtl. Übers, von frz. ,faire la cour à quelqu’un4 und entstammt dem Zeitalter, in dem das frz. Hofleben die Sitten der Gesellschaft bestimmte. Unter Hof verstand man früher, auf einen Fürsten bezogen, seine ganze Umgebung; was ihm diente, machte seinen Hof aus, machte ihm den Hof. So schreibt Goethe im 5. Buch von ,Dichtung und Wahrheit4 bei der Schilderung der Krönung Josephs II.: „Und wie der Nachtisch aufgetragen wurde, da die Gesandten, um ihren Hof zu machen, wieder hereintraten, suchte ich das Freie44. Von der diensteifrigen Artigkeit der Höflinge gegenüber ihrem Herrn wurde die Wndg. dann bald iibertr. auf die werbende Huldigung um die Gunst der geliebten Dame. Auch mit Beibehaltung des Fremdworts ,cour4 kommt die Wndg. seit dem 18.Jh. vor: ,die Cour machen (auch: schneiden)4. Sebastian Brant braucht in seinem ,Narrenschiff4 (32,25ff.) die ähnl. Wndg. Hofworte treiben: jem. verbindliche Worte sagen: Ir ougen schlagen zu der erd Und mit hoffwort mit yederman Tryben vnd yeden gaefflen an. Hoffnung. Seine Hoffnung ist in den Brunnen gefallen: seine Pläne sind mißglückt, vereitelt worden (vgl. ndl. ,daar ligt nu al mijne hoop in de asch4; ,de hoop ligt in het zand4). Veraltet sind die Rdaa. ,Hoffnung nicht vmb Geldt kauften4 (Eyering I, 308) und ,Hoffnung vmb Geldt kauften4 (Eye- ring III, 32 u. 214). Aus dem Buche ,Die Weisheit Salomos4 12,19 stammt der Ausdr. ,Guter Hoffnung sein4. Vergils ,Aeneis4 bietet,Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend4 („Spemque metumque inter dubii44). ,Er lebt am Kap der Guten Hoffnung4 sagt man scherzweise von einem, der sich begründeter oder unbegründeter Hoffnung überläßt. Ein Holzschnitt von Hans Weiditz gehört vermutlich in diesen Zusammenhang: Dargestellt ist ein Mann in Handwerkertracht, der am Meeresufer steht. Er hat Taue um seine Arme gebunden und möchte gerne Wolken und Wogen an sich ziehen. Dem Sturm, der ihn anbläst, schleudert er selbst aus dem Munde Feuerbrände entgegen. Wahr- scheinl. handet es sich um folgende Sprww. : ,Die Hoffnung ist ein langes Seil, darin sich viele zu Tode ziehen4, sowie vor allem: ,Hoffen heißt Wolken fangen wollen4. Höhe. Das ist (ja) die Höhe!: das ist unerhört, kaum noch zu überbieten, ganz unverständlich. Die Rda. ist wohl verkürzt aus 428
Hokuspokus älterem ,Das ist die rechte Höhe4 (so noch bei Schiller ,Kabale und Liebe4 1,1) und bezieht sich auf das Messen und Einpassen, wobei das rechte Maß verfehlt wurde. Heute meist iron, gebraucht; stud., mit einem Wortspiel ins Mathematische, auch Das ist die Hohe h. Auf der Höhe sein: mit den neuesten Errungenschaften (wissenschaftlichen Erkenntnissen usw.) vertraut sein; mit den anderen mithalten können. Nicht auf der Höhe sein: abgespannt, mißgestimmt, nicht voll leistungsfähig sein, kränkeln, heute statt dessen meist: ,(nicht) in Form sein4 (Küpper I, S. 238). Höhle /Löwe. Hokuspokus. Hokuspokus machen: unnötige Umschweife, überflüssiges Beiwerk, Gaukelei machen, Unsinn treiben. Man bez. damit vor allem die Handgriffe und Rdaa. der Taschenspieler, womit sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer von der Hauptsache abzulenken suchen. Der älteste Beleg des Wortes stammt von 1624 aus England, 1634 erscheint es im Titel eines in London erschienenen Lehrbuches der Taschenspielerkunst: ,Hocus Pocus junior the anatomie of legerdemain4, das 1667 ins Dt. übers, wurde. Das Wort hat sich seit dem Anfang des 17.Jh. von Engl, über Holland auf dem Kontinent ausgebreitet. Es bez. den Taschenspieler, begegnet aber bereits 1632 auch als Zauberformel. In diesem Sinn steht es z.B. in Bekkers ,Die bezauberte Welt4 von 1693: ,,Denn sehet, sie (die Besessenen) sind daselbst (im Pabstthumb) nötig, den Geistlichen Materie zu Mirakuln zu geben und zu zeigen, welche Krafft ihr Okusbokus auff den Teuffel habe44. Einige Forscher (Dt. Wb. und Weigand) nehmen an, daß das Wort auf einen Taschenspielernamen - unter Jakobi. nannte sich ein Hoftaschenspieler Hocus Pocus - zurückgehe. Die frühere Erklärung, es sei Entstellung der Konsekrationsformel ,,Hoc est corpus meum44 wird heute meist abgelehnt. Kluge nimmt an, der Urspr. des Wortes sei dunkel. Wahrscheinl. handelt es sich um die bekannte Formel ,,Hax pax max44, Zauberworte, die in mancherlei Varianten oft begegnen und schon seit dem 14. Jh. Vorkommen, z.B. in einem Blutsegen 44 + pax nax + pax + tecum ... + max + nax + pax44. Es handelt sich um das ,pax tecum (vobiscum)4, das durch Klangworte erweitert ist. Dabei mag die Vorliebe für solche auf x ausgehende Worte und Namen im Zauber, die sich seit alters nachweisen läßt, miteingewirkt haben. In ,Hax pax4 wird das a verdumpft, nach .Hoffen heißt Wolken fangen wollen1 429
Holland engl. Art ausgesprochen, zu o geworden sein; vgl. 1625 die Form ,Oxbox4. Da diese Formel, auf Hostien geschrieben, gegen Fieber und andere Schäden gebraucht wurde, so ist die Möglichkeit einer Verstümmelung aus ,Hax Pax Max4 nicht ausgeschlossen. Lit.: HdA. III, Sp. 1586f., Art. ,Hax pax max‘ und IV, Sp.l83f. .Hokuspokus4 von Jacoby; I.Hampp: Beschwörung. Segen. Gebet (Stuttgart 1961). Holland. (Da ist) Holland in Not (oder in Noten): es ist große Not, es herrscht arge Bedrängnis, große Ratlosigkeit, meist iron, gebraucht gegenüber nur vermeintlichen oder unnötig hochgespielten Dingen; auch ndl.,Holland is in last4. Der Urspr. der Rda. ist nicht mit Sicherheit bekannt. Sie könnte aus den Zeiten der span. Herrschaft in den Niederlanden stammen, wo viele Holländer auswanderten, oder aus der Zeit des Krieges von 1672-79, als Ludwig XIV. mit seinem überlegenen Heer in die Niederlande eingefallen war und die Holländer, um sich zu retten, die Dämme durchstachen und das Land unter Wasser setzten. Stoett widerspricht mit dem Hinweis auf den ersten ndl. Beleg bei Sartorius (III, 4, 82), der von 1561 stammt und auch noch vor der Überschwemmungskatastrophe von 1562 liegt: ,,Bijt hem een vloo, soo is Holland in last: in eos, qui quamtum libet levi de re graviter perturbantur, perinde ut in maxima“. Durchgehen (auch los gehen) wie ein Holländer: rücksichtslos Vorgehen, aber auch: in feiger Weise fliehen. Den Holländer machen: sich davonmachen, durch- brennen; auch in den Mdaa., z. B. preuß. ,De geiht dörch wie e Holländer1, er arbeitet sich aus einer verwickelten Sache ohne Schaden heraus (Frischbier, Sprw. 1, 673). Die Rda., die schon bei Grimmelshausen (,Simplicissimus4 II, 7, S. 123) belegt ist, bezieht sich vermutlich auf holländische Söldner in fremden Heeren (Stoett I, S. 350, Nr. 916). Holle. Frau Holle schüttelt das Bett (oder die Betten, die Kissen) aus, auch schüttelt die Federn herunter sagt man, wenn es schneit. Wenn weiße Schäfchenwolken am Himmel stehen, heißt es: ,Heute treibt Frau Holle die Schafe aus4. Wenn es während eines großen Teils der Woche geregnet hat, so erwartet man am Ende schönes Wetter; denn ,Frau Holle muß zum Sonntag ihren Schleier trocknen4; ,sie hängt ihn auf Rosensträucher, und darum blühen die Rosen so schön4. Entspr. sagt man: ,Frau Holle hält Kirmes4, es regnet. Ist ein Berg von Nebel umwölkt, so,macht Frau Holle darin Feuer4. Alle diese, bes. in Mitteldtl. heimischen Rdaa. gehen auf den Volksglauben von Frau Holle zurück. Frau Holle, Holda, Hollefrau usw. ist eine dämonische Über- wacherin der Spinnstubenruhe sowie die Anführerin der Hollen oder Huldren, einer Schar von Nachtdämonen. ,Die ist mit der Holda gefahren4 sagt man für das zerzauste Aussehen einer Frau. Am frühesten ist sie bei Burchard von Worms (um 1000) erwähnt. Nur im Grimmschen Märchen (KHM.24) hat sich die zuerst angeführte meteorologische Rda. zu einer Erzählung konkretisiert. Frau Holle gehört aber nicht als konstitutives Motiv zu diesem Erzählkreis und fehlt in anderen Varianten desselben Typs (AaTh. 480). In anderen Landschaften werden meteorologische Erscheinungen mit anderen übernatürlichen Wesen verknüpft, z.B. eis. ,d’Engele hans Bed gemacht, d’Federe fliege runder4; aus dem Osnabrückischen meldet schon ein Beleg von 1752: ,,De aule Wijvers schüd- det den Pels ut: es schneyet44. Lit.: V. Waschnitius: Percht, Holda und verwandte Gestalten, Sitzungsber. d. Kaiserl. Akademie d. Wiss. zu Wien 174 (Wien 1913), S. 173ff.; Handwb. d. dt. Märchens II, 215 ff. Art. ,Frau Holle' von Lincke; W. E. Ro- berts: The Tale of the Kind and the Unkind Girls, Fabula, Suppl. Bl, (Berlin 1958); L.Röhrich: Märchen und Wirklichkeit (2.Aufl. Wiesbaden 1964). Holle. Einem die Holle heiß machen: ihn durch Drohungen in Angst versetzen. Die Rda. geht auf die grellen Schilderungen der höllischen Folterqualen zurück, durch die früher die Geistlichkeit auf ihre Zuhörer, namentlich auf solche, die dem Tode nahe waren, einzuwirken suchte. Die Wndg. begegnet schon bei Luther: ,,Wie man jetzt spricht, sie machen uns die hellen heis und den teufel schwarz44 (Jenaer Ausg. 3, 228), während mhd. nur das Adj. ,helleheiz4 bei Walther von der Vogelweide vorkommt. In Karl Simrocks Gedicht ,Eichelsaat4 heißt es: 430
Holz Man schürt’ ihm von der Kanzel die Hölle so heiß; Er dacht’: Ich will bezahlen das Lügengeschmeiß. Man hat zur Erklärung der Rda. auch auf den Namen ,Hölle" des Winkels zwischen Ofen und Wand im alten dt. Bauernhaus hingewiesen, wo die ,Hellbank, Höllbank" stand. Wurde nun kräftig eingeheizt, so wurde dem dort Ruhenden die Hölle zu heiß. Doch denkt bereits Luther, wie die oben angeführte Stelle zeigt, an die Hölle des Fegfeuerglaubens. Ebenso die folgenden Rdaa.: Aus der Hölle ins Fegfeuer: vom Regen in die Traufe (/'Regen). ,Dem brennt die Hölle aus dem Kopf" sagt man bair. von einem Rothaarigen. ,Der ist aus der Hölle auf Urlaub gekommen" heißt es oberoesterr. von einem schlimmen Gast. Er hat die Hölle zu Hause sagt man von einem Mann, der mit einer bösen und schlimmen Frau verheiratet ist. Von der entspr. Frau heißt es Sie ist aus der Holle entlaufen, als der Teufel schlief (/Teufel). In der Hölle ist Kirmes /Kirmes. Lit.: R. Neubauer: Einem die Hölle heiß machen, in: Zs. f. Vkde. 17 (1907), S. 325-328; M. Landau: Hölle und Fegfeuer in Volksglaube, Dichtung und Kirchenlehre (Heidelberg 1909); RGG^ III, Sp.402ff. Art. ,Hölle1; L. Röhrich: Teufelsmärchen und Teufelssagen, in: Sagen und ihre Deutung (Göttingen 1965). Holz. Holz auf sich hacken lassen: sich alles gefallen lassen, gutmütig sein. Die Rda. hat bereits Luther in seiner Sprww.-Sammlung angeführt. Holz vorm Haus (vor der Hütte, vor der Tür, vor der Herberge, bei der Wand) ha- ben: vollbusig sein. Das sprachl. Bild ist von den an der Außenwand der Bauernhäuser aufgestapelten Holzvorräten hergenommen; mdal. nordostdt. ,se häft god Holt vor de Dör"; ,Holz in der Butten haben" sagt man bair. von einem Mädchen, das ,gut bepackt" ist; meckl. ,sei hett wat vor sick bröcht". Holz sägen: schnarchen (/Ast). Holz in den Wald tragen /Eulen nach Athen tragen: etw. Überflüssiges tun; so schon in Joh. Fischarts ,Ehezuchtbüchlein" (S. 123-126): „Holz inn Wald tragen“. Aus demselben (dem gleichen) Holz (geschnitzt) sein: von derselben Art sein, denselben Charakter usw. haben. Holz steht in dieser und mehreren anderen Rdaa. für den Menschen, z. B. ,aus gutem Holz (geschnitzt) sein", von guter Art, gutem Charaktersein; ,aus anderem Holz (geschnitzt) sein", ein Mensch von anderem Charakter (besseren Nerven usw.) sein; ,ich bin nicht aus Holz", auch ich bin ein fühlender Mensch aus Fleisch und Blut mit allen seinen Wünschen und Trieben usw.; ,aus hartem Holz (geschnitzt) sein", ein hartes, unnachgiebiges, unfreundliches Wesen haben. ,Aus dem Holz sein, aus dem man die Minister macht", sich zum Minister eignen. ,Wenn das am grünen Holz geschieht, was soll am dürren geschehen?"; ,dasitzen wie ein Stück Holz", stumm und steif dasitzen; ähnl. ,sich hölzern benehmen", ungeschickt und steif wie ein Klotz sein. ,Es ist, als wenn man zu einem Stück Holz redete", man kann überhaupt nichts erreichen bei ihm, er läßt sich nichts einreden. s&Äre .Oohhaucti ein Orfccn, % 3o luäroi nittjl fo tncic äKÖiubr ßeiuorbni. Holzhauen besitzt auch erotische Bdtg.: ,Nix verhackt, an ander Holz her!" ist ein oesterr. Ausruf, wenn eine Liebschaft in die Brüche geht (,Carinthia" 143, S. 137). Ebenso zu verstehen ist das Sprw. Ungebrannt Holz geht bald wieder an". ,Drög Holt in de Eck smieten" ist schlesw.- holst. eine scherzhafte Umschreibung für ,kegeln". Das ist Holz ins Feuer, vgl. öl ins Feuer gießen, bei Hans Sachs von einer Klatschbase 431
Hölzchen gesagt: ,,sie dregt nur Holcz zum Fewer44, sie schürt die Zwietracht. Dasist viel Holz:das ist viel Geld (um einen teuren Preis zu bezeichnen). Kein hart Holz bohren: sich nicht bes. anstrengen wollen (/Brett). Er hat hartes Holz zu hobeln (bohren): er hat harte Arbeit zu verrichten. Hölzchen. Vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen: vom Hundertsten ins Tausendste kommen, zu ausführlich werden, vom Thema dauernd abschweifen; bes. rhein., auch mdal., z.B. westf. ,hei kümt vom Höltken upt Stöcksken4, d.h. von einem aufs andere. Dagegen bair. ,ein Hölzlein im Maul haben1, undeutlich sprechen. ,Grobe Hölzlin4 ist bair. 1577 für den Bauernlümmel bezeugt; damit hängt zusammen eis. (Geiler von Kaisersberg),einen übers Hel- zel werfen4, ihn betrügen, eigentl. ihn als einen ungebildeten Kerl behandeln, den man übertölpeln darf. Einen zum Hölzchen machen: zum Spielzeug, zur Zielscheibe des Witzes, zum Narren halten; köl. ,hä lauf mem Hölzche4, er ist verrückt. Holzhammer. Auf jem. mit dem Holzhammer schlagen: seine Forderungen an jem. grob Vorbringen. Der Holzhammer ist etwa seit 1900 ein rdal. Bild für plumpes, rücksichtsloses Vorgehen. Eins mit dem Holzhammer (ab)gekriegt haben: nicht recht bei Verstand, beschränkt sein. Der Holzhammer gilt auch sonst als Bild gewaltsamer Einbleuung einer Ansicht. Wollen in der Schule gar keine didaktischen Methoden mehr fruchten, um den Schülern den Stoff beizubringen, ist der Lehrer genötigt, zum allerletzten Hilfsmittel Zuflucht zu nehmen: man muß die Holzhammermethode anwenden. In zahlreichen Karikaturen und Witzzeichnungen wird seit Mitte des 20. Jh. die Holzhammernarkose dargestellt; sie bedeutet im heutigen Sprachgebrauch auch eine Gesinnungsbeeinflussung mit primitiv-rohen Mitteln (Küpper). Holzmann. Mit dem Holzmann (Strohmann) spielen: spielen mit einem Spieler, der nicht tatsächlich vorhanden ist, sondern nur markiert wird. Dem Holzmann werden Karten gegeben, wie jedem der beiden üb¬ rigen Spieler, und diese Karten dienen dann demjenigen Spieler als ,Aide\ der sie (den Holzmann) nimmt. Holzweg. Auf dem Holzweg sein: im Irrtum sein, fehlgehen. Holzwege heißen schon mhd. die schmalen Wege im Walde, die nur zur Beförderung des Holzes angelegt sind, aber zu keinem Ziel führen, wie es der Wanderer im Auge hat. So bekommt Holzweg bald die Bdtg. ,Abweg\ ,Irrweg4: ,,Man findt under tausent nicht einen, der dem rechten weg nachtrachtet, sondern sie gehn alle dem holzweg nach und eilen heftig, biß sie zu der hellen kommen“, sagt 1495 Geiler von Kaisersberg in einer Sittenpredigt. Luther verzeichnet die Rda. in seiner Sprww.-Sammlung; 1639 heißt es bei Lehmann S.418 (,Irren4 42): „Wer jrret, der ist im Lerchenfeld, im Holtzweg, von der Landstraße, vom rechten Weg kommen: Er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht44. Die Rda. ist heute in Umgangssprache und Mdaa. allg. geläufig; schlesw.-holst, sagt man von Eheleuten, die sich nicht vertragen können: ,Wenn de een de Holtweg geit un de anner de Soltweg (d.h. die dem Salzhandel dienende Straße), denn kümmt dar nix na4. Dies ist allerdings sicher nicht die urspr. Gegenüberstellung von ,Holzweg4 und ,Salzweg4; ostpreuß. heißt es: ,Jener geit den Holtweg, de andre den Soltweg4. Im Unterschied zum Holzweg, der zu nichts führt, wurde früher z. Zt. des Salzhandels auf den Salzstraßen viel Geld verdient: Lit.: M. Heidegger: Holzwege (Frankfurt a.M. 1950). Homer. Ein homerisches Gelächter loslas- sen:schallend und lange lachen. In Homers ,Ilias1 (1,599) und in der ,Odyssee4 (VIII, 326 u. XX, 346) steht der Ausdr. „Aaßeoiog yéÀüx;44 = unauslöschliches Gelächter. Daraus wurde „Homerisches Gelächter41, das sich vielleicht als ,rire homérique4 zuerst in Frankreich findet. Zum Beispiel heißt es in den achtziger Jahren des 18. Jh. in den ,Mémoires de la Baronne d’Oberkirch4 (Paris 1853, chap. 29): ,,0n partit d’un éclat de rire homériqué44 = man brach schallend in ein homerisches Gelächter aus. Vgl. auch ndl. ,een Homerisch gelach4 und 432
Hopfen engl. ,a Homeric laughter' (Büchmann, S.455). Honig. Einem Honig ums Maul (oder um den Bart) schmieren: ihm schmeicheln; schon mhd. ,honic in den munt strichen*. Im /Tristan* Heinrichs von Freiberg z.B. klagt Curvenal (V.6626) die Welt an: du strichest in honic in den munt, den alten und den jungen: swan sie dan mit den zungen dar nach grifende sin, so trautest du in galle dar in. Ähnl. schreibt um 1600 Ritter Hans von Schweinichen in seinen Denkwürdigkeiten*: .. schmierte ihm derowegen honig ins maul, und gab ihm galle zu trinken**. Und 1639 heißt es bei Chr. Lehmann 775 (,Vberreden*8): ,,Mancher streicht einem Honig vmbs Maul, vnnd ein Dreck darein**. Vielleicht beruht die Rda. auf einem chinesischen Brauch, der durch Seefahrer bekanntgeworden ist: Seit ältesten Zeiten wird in China, gewiß in Anlehnung an den noch älteren Feuerdienst, der Herdgeist verehrt, der zum Küchengott geworden ist. Gerade dieser Gott war bis in die neueste Zeit beim Volke eine der populärsten Gottheiten Chinas. Es wurden ihm reichliche Opfer dargebracht. Und diese Opfer nahmen bes. am 25. des letzten Monats ein erhebliches Ausmaß an. An diesem Tage sollte nach dem Volksglauben der Küchengott in den Himmel hinaufsteigen, um dort über die Hausbewohner Bericht abzustatten. Zu diesem Zwecke wurde, um ihn günstig zu stimmen, besonders eifrig geopfert und ihm Honig auf die Lippen gestrichen, damit er freundlich aussage (s. auch Abb. bei Federlesen). Aus Honig eitel Essig machen (z.B. in Luthers ,Tischreden*): einem eine Sache vergällen. Schon in Hartmann von Aues ,Armem Heinrich* (V.152) heißt es: „sin honec wart ze gallen“. Dem Honig verkaufen, der Bienen hat, ebenso Den Honig mit Zucker bestreuen /Eulen nach Athen tragen. Honig im Maul und ein Schermesser in der Hand: freundschaftliche Gesinnungen nur heucheln. Bei Gottfried von Straßburg heißt es im ,Tristan* (V. 15061): „Wan der treit alle stunde daz honec in dem munde“. Das ist kein Honiglecken, ebenso Das ist nicht der reine Bienenhonig: eine Angelegenheit bringt Unannehmlichkeiten. Man läßt also besser die Finger davon. Grinsen (strahlen) wie ein Honigkuchen- pferd: über das ganze Gesicht strahlen, grinsen. Ein ,Honigkuchenpferd* ist ei- gentl. ein Backerzeugnis aus Honigkuchen in Pferdeform; auf den Menschen übertr.: ein energieloser, dummer, einfältiger Mensch. Hopfen. An (bei) ihm ist Hopfen und Malz verloren: er ist unverbesserlich; da ist alle Mühe vergeblich. Hopfen und Malz als Hauptbestandteile des Bieres erscheinen schon im 9. Jh. in fester Verbindung. In einer Urkunde des Abtes Adelhard von Corvey aus dem Jahre 822 und in einem alt- sächs. Glossar des 10.Jh. werden Hopfen und Malz nebeneinander erwähnt. Dennoch ist die Rda. in der heute üblichen Form erst seit Beginn der Neuzeit belegt. In einem Gesellschaftslied des 16. Jh. lautet ein Vers: Ist einer ohn sehen ein Bruder Lüderlich, Der in der Schmauserey allein nur hält den Sich, So spricht man: an ihm ist so Hopp als Schmaltz vertorben. Auch Burkart Waldis kleidet die Rda. in Zusammenhang mit anderem unmöglichem Tun in dichterische Worte: Wer einen Zigel will Wäschen, Das leere Stroh im Tenne dreschen, Dem Wind das Wehen will verbieten, Vnd einer vnkeuschen Frawen hüten, Ein fliessend Wasser wil verstopffen, Deshalb verleusst beid Maltz vnd Hopffen. Von Goethe stammen diese Verse: Denn oft ist Malz und Hopfen, An so viel armen Tropfen, So viel verkehrten Toren, Und alle Müh verloren. In einer Komödie August Kotzebues heißt es: Doch Männer sind ganz unverbesserlich geboren, An ihnen ist der Hopfen wie das Malz verloren. Die Zwillingsformel reicht bis in die volks¬ 433
Hops tümliche Gebrauchspoesie der Ggwt. Auf den Maßkriigen in Bayern findet sich z.B. häufig der Spruch: ,Hopfen und Malz, Gott erhalFs!* Uber den ganzen dt. Sprachraum hinweg führt die Rda. auch in den Mdaa. ein reiches Leben, z.B. schles. ,Bei dam is Huppe und Malz verturben*.; ndd.,Dar is Hoppen un Molt bi verlaren*. Die weite Verbreitung erklärt sich daraus, daß früher die Bierbrauerei kein selbständiges Gewerbe war. sondern jede Hausfrau für den Bedarf ihres Hauses selbst braute. Wenn der Trank trotz aller Mühe nicht gelang, dann war Hopfen und Malz wirklich verloren. In einzelnen kath. Gegenden Dtl.s ist im selben Sinne gebräuchl.: ,Da ist Chrisam (Salböl) und Taufe verloren1, was sich schon 1512 in Murners ,Schelmenzunft‘ (26,17) findet: Douff vnd Crisam ist verloren, Sy bleyben in den alten ioren, Wie sy in iungen sindt erzogen. Den rdal. Vergleich dürr wie eine Hopfenstange gebraucht man von einem langen hageren Menschen. Lit.: F. Huber: Bier und Bierbereitung (Berlin 1926); L. Hermann: Das Bier im Volksmund (Berlin 1930); Lüers:Die wissenschaftl. Grundlagen von Mälzerei und Brauerei (Nürnberg 1950); M. Hoffmann: 5000 Jahre Bier (Frankfurt a.M. u. Berlin 1956). Hops. Hops oder hopp ist eine Interjektion, eigentl. die Befehlsform zu ,hopsen1 bzw. ,hoppen‘, was lustiges Springen oder Hüpfen bez. Lit.z.B. in G. A. Bürgers ,Lenore*: Und hurre, hurre, hop, hop, hop! Gings fort in sausendem Galopp! Von diesem Ausdr. wurden in jüngerer Zeit zahlreiche Wortbildungen und sprw. Rdaa. abgeleitet: hops gehen: verloren-, entzwei gehen; auch: bankrott gehen. ,Das Geld ist hops*. In der Tragikomödie ,Trau- mulus* von Arno Holz und Oskar Jerschke heißt es: ,,... daß mein Alter rettungslos hopps geht, wenn das rauskommt“. Schon im ,Deutschen Gilblas* wird die Rda. in diesem Sinne gebraucht: „Ich setzte einen Taler: husch war er weg! Noch einen, auch der ging hopps!“ In der Soldatensprache ist ,hops gehen* eine Umschreibung für ,sterben4, in der Gaunersprache für ,verhaftet werden*; entspr. ,hops nehmen*, verhaften. Obd. sagt man von einem Betrunkenen: ,der ist hops!* Dazu gehört auch bair. Hops = Rausch. Wenn jem. beim Kartenspiel unterliegt, ,ist er hops* (bes. eis. u. rhein.). Der ganze dt. Sprachgebrauch kennt ferner die Rda. im Sinne von: geistig nicht normal, nicht recht bei Verstand sein. Schwäb. u. bair. bedeutet ,eine Frau hops machen*, sie schwängern; ,sie ist hops*, sie erwartet ein Kind. Ostpreuß. kennt man dafür die Umschreibung: ,sei hewwt Hoff- mannsdröppe gedrunke*. Der Elsässer schließlich kennt ,Jo hops!*, ,jo hopsa!*, ,jo hopsasneiel!* als rdal. Verneinung. hören. Das läßt sich hören: das klingt durchaus annehmbar, das ist gut. Jem. vergeht Hören und Sehen: er weiß nicht mehr, was los ist; er ist äußerst überrascht, sehr betroffen, eigentl.: gleichsam betäubt. Oldecop (S.458): „Do sint de splitteren dem konige to Frankrichen in dat vorhovet gewischert, dat ome beide san und hören vergen was**. Zu einem Schwerhörigen sagt man: ,Du hörst wohl heute mit dem linken Bein nicht gut*, von einem Unfolgsamen oder Vergeßlichen: ,er hört gut, aber behält schlecht*. Da muß man,Hören Sie' sagen:das ist nicht so einfach, bedarf eigentl. einer gefälligen Anrede als Einleitung; bes. obersächs. ,Große Leite mußmer Heernse heeßen*, d. h. vorsichtig behandeln. Auch auf Sachen angewendet: ,Da mußmer Heernse sagen*, damit muß man behutsam umgehen, das muß man mit ZGlacéhandschuhen anfassen. Auch ndd. ist die Rda. bezeugt: ,Dat ös man nich so, dat ös hörn se*. Horizont. Das geht über seinen Horizont: das übersteigt sein Auffassungsvermögen. Die Rda. ist seit dem 17.Jh. vom räumlichen auf den geistigen Gesichtskreis übertr. worden. Horn. Von einer Frau, die die eheliche Treue bricht, sagt man: Sie setzt ihrem Manne Hörner auf , sie pflanzt ihm Hörner auf; der betrogene, ,Hörner tragende* Ehemann heißt /,Hahnrei*. Zur Erklärung dieser Rdaa. sind mancherlei Vermutungen aufgestellt worden, ohne daß eine völlig 434
Horn befriedigende Lösung gefunden worden wäre. Die Rda. kommt im Dt. in verschiedenen Fassungen vor. Man sagt: Hörner setzen, aufsetzen, ansetzen, auf pflanzen, geben, machen oder mit Hörnern krönen; auch ein Zeitwort hörnen oder hörnen kommt in dieser Bdtg. vor. Neben der Mehrzahl begegnet auch die Einzahl: ein Horn auf setzen oder aufpflanzen; Abraham a Sancta Clara sagt dafür: „einem Manne ein lateinisches Y aufsetzen“. Der hintergangene Gatte ,trägt Hörner', ,kriegt Hörner von seiner Frau4, ,wird mit einem Hörnerschmuck beehrt4 (Goethe), ,ihm wächst ein Horn auf seinem Haupt4; man nennt ihn .HÖrnerträ- ger, Hornträger, Hornhans, Hornbock4. Entspr. heißt es frz. ,porter des cornes4, ,avoir des cornes4, .avoir des bois sur la tête4. Von der treulosen Frau sagt man .planter des cornes4, .mettre des cornes à qu\ Der hintergangene Ehemann heißt cornard, Hörnerträger. Molière nennt ihn im Scherze .Seigneur Cornelius4 mit Benutzung eines früher häufig angewendeten Wortspieles. Engl. ,to horn4, ,to hornify4, ,to cornute4 heißt: jem. Hörner aufsetzen. Es kommt auch die Rda. vor: ,to bestow a pair of horns upon one’s husband4. Der betrogene Gatte heißt ,cornuto4, Hörnerträger; ,he wears horns4. Der, der ihn zum Hahnrei macht, heißt .cornutor4. Im Ndl. sagt man wie im Dt. .Hoornen op zeten4 und .horendrager4. Ital. heißt es ,avere le corna4, .far le corna4, ,porre le corna4; für Hahnrei: .cornaro4 und .cornuto4; ebenso span. ,cornudo4; das Hörnersetzen heißt hier .cornudar4, .encornudar4, .poner cuer- nos4. Den Hahnrei verspottet man, indem man zwei Finger der Hand, meist wohl den zweiten und fünften, in Form von zwei Hörnern gegen ihn ausstreckt, oder man hält zwei Finger an die Stirn. Die Gebärde heißt ebenso ,den Esel bohren4 oder ,den Gecken stechen4. Dieselbe Handgebärde wird bei den Italienern auch zur Abwehr des bösen Blicks und andern Unheils gebraucht. Ein solcher stummer Vorwurf gilt als ausgemachte Ehrenkränkung. In früherer Zeit dachte man bei der Erklärung dieser Rdaa. an die Erzählung von Aktaion, der von Artemis in einen Hirsch verwandelt wurde, als er die Göttin im Bade überraschte. Daher wird zuweilen von dem Aufsetzen eines Geweihs anstatt der Horner gesprochen, wie in Kleists .Zerbrochenem Krug4: „Noch wachsen dir die Hirschgeweihe nicht44, oder bei Christ. Günther: „An diesem wächst der Hirsch durch jeden Ritz heraus44. Dieser Deutungsversuch ist ganz verfehlt, denn die jungfräuliche Göttin ist nicht die Gemahlin des Aktaion, sie kann ihn also auch nicht hintergehen; sie setzt ihm auch nicht nur Hörner auf, sondern verwandelt ihn völlig in einen Hirsch. Im Grimmschen Wb. hat Moritz Heyne die Rda. vom gehörnten Mann auf eine ma. Legende zurückführen wollen. Doch wissen wir heute, daß Gebärde und sprw. Rda. schon im Altertum existierten, z.B. auf einem Wandbild in Pompeji, das vermutlich eine Komödienszene darstellt; es gibt ebenfalls schon an¬ tike Amulette dieser Art. Einen gehörnten Sprachmeister (ypappocTixov xepaocpô- pov verspottet schon der unter Nero lebende griech. Dichter Lukillios in einem Epigramm der ,Anthologia Palatina4 (11,278): Draußen lehrest des Paris und Menelaos Verdruß du, Deiner Helena drin dienen der Parise viel -. Um das Jahr 1000 erscheint dafür die Bez. xepcmaç; nach der dem Kodinos zugeschriebenen Schilderung der Bauwerke von Konstantinopel stand dort nahe der Werft eine Statue mit vier Hörnern, die sich wunderbarerweise dreimal um sich selbst drehte, wenn ihr ein Hahnrei nahte. Von dem 1185 ermordeten Kaiser Androni- kosl. Komnenos erzählt sein Biograph, daß 435
Horn er die Geweihe der von ihm erlegten Hirsche an den Eingängen zum Marktplatz zu Konstantinopel aufhängte, um damit die Ehemänner leichtfertiger Frauen zu verspotten. Nach Sittl (,Die Gebärden der Griechen und Römer1, 1890, S. 103) sollen die zwei ausgestreckten Finger auf zwei Männer der einen Frau hinweisen, wie der eine vorgestreckte Mittelfinger den Phallos bezeich- nete (Sittl, S.101), und erst aus diesem Sinnbilde der Bigamie hätte sich die Vorstellung von Hörnern entwickelt. Dieser Entwicklungsweg erscheint etw. zu künstlich. Glaublicher ist ein direkter Vergleich des Ehemannes mit einem gehörnten Tier, etw. dem Ochsen oder dem Ziegenbock. Beim Ochsen wäre das tertium comparationis seine Dummheit, die indes im Altertum seltener betont wird als bei uns. Für den Ziegenbock ließe sich die spätere ital. Bez. ,becco cornuto4 (gehörnter Bock) des Hahnreis anführen; obwohl nun die hervorstechende Eigenschaft des Bockes, die Geilheit, vielmehr auf den Ehebrecher zu passen scheint als auf den Ehemann. Eine Bestätigung für diese Ableitung sieht Joh. Boite in einer Stelle des lat. Sittenromans Petrons. Bei dem Gastmahl des Trimalchio nämlich hält der Gastgeber einen Vortrag über die Bilder des Tierkreises und ihren Einfluß auf die in jedem Zeichen geborenen Menschen und rechnet den Steinbock unter die unglückbringenden Sternbilder, unter denen geplagte Leute geboren werden, denen vor lauter Kummer Hörner wachsen (,,In capticorno aerumnosi, quibus prae mala sua cornua nascuntur44). Dazu stimmt die Angabe der Clementinischen Recognitiones, daß auch die unter dem Zeichen des Steinbocks geborenen Frauen von der Liebesgöttin zu Üblem verleitet werden. Beziehen sich nun die zwei Hörner auf die Zweiheit der Männer, oder liegt ein phalli- sches Zeichen vor? Bedeuten die Hörner einen Vergleich des betrogenen Ehemanns mit einem gehörnten Tier, also soviel wie: ,du bist ein Rindvieh!4, oder bedeuten sie, daß der Gehörnte unter dem Sternzeichen des Steinbockes geboren und zu ehelichem Unglück bestimmt ist? Es ist auch gesagt worden, die Rda. sei aus einer Volksglau¬ bensvorstellung erwachsen, wonach die Untreue der Frau sich durch ein Horn zeige, das ihrem Mann aus der Stirn wachse. Im ,Kolmarer Meisterleben4 aus dem 14. Jh. (55,14) heißt es: swelch frouwe ir ê zebrach, als bald ez was geschehen, wie schier daz an irs mannes stirne wart ersehen! im wuohs ein horn, das wil ich in der wärheit jehen. In einer anderen poetischen Bearbeitung der Sage (,Germania4 4,237), ebenfalls aus dem 14. Jh., ist es eine Kaiserin, die ihren Mann betrügt: alsä zehant man an dem Keiser wachsen sach, üz sinem houbt ein horn, das muot in sere (V. 19ff.). Aber für alle diese Deutungsversuche fehlen wirklich überzeugende hist. Belege. Wichtiger als die fast unlösbar erscheinende Ursprungsfrage der gehörnten Hand erscheint zunächst die Tatsache der Mehrdeutigkeit der Gebärde. Sie kann sowohl eine Ehrenkränkung mit erotischem Sinn meinen wie auch als magisches Abwehrzeichen gegen den bösen Blick gelten. Es erscheint zweifelhaft, ob die Gebärde der gehörnten Hand überhaupt eine Art Entwicklung4 von einer zauberischen Abwehrgebärde zur Spottgeste durchgemacht hat, denn 1. hat diese Gebärde z.T. bis heute noch den magischen Abwehrsinn zum Schutz gegen den bösen Blick, 2. scheint die gehörnte Hand andererseits z. B. schon auf etruskischen Grabmalereien des 6. vor- christl. Jh. eine profane, aufs Erotische zielende Bdtg. gehabt zu haben. Abwehrund Spottgesten schließen sich nicht aus, sondern erweisen immer wieder ihre innere Verwandtschaft. Vielfach haben Spottgebärden noch eine geschlechtliche Nebenbdtg. Die sexuelle Komponente gehört aber keineswegs nur zum spöttischen Teilsinn der Gebärde. Vielleicht beruhte gerade auf ihr urspr. auch ein Teil der magischen Abwehrkraft, und vielleicht wollte man urspr. die magische Abwehrkraft der Gebärde gerade durch ihre geschlechtliche Bdtg. hervorrufen. Von der Abwehr zum Spott ist also nur ein kleiner Schritt, und die Doppelbdtg. wird dann beibehalten. 436
Horn ,Einem Hörner aufsetzen* Eine Zeichnung des ndl. Malers Georg Hoefnaghel (1569) zeigt einen Hahnrei, wie er mit einem mächtigen Hirschgeweih mit Glöckchen auf dem Nacken, die Hände gebunden, auf einem Esel sitzt, den seine Frau, bis zum Gürtel entblößt, auf einem zweiten Esel reitend, mit einem Pflanzenstengel zu schnellerem Laufe antreibt; dabei ein Herold mit einer Trompete. Ein solcher Eselritt, und zwar meist ,verkehrt, statt des Zaumes den Schwanz in der Hand4, wie es in Bürgers Ballade heißt, war schon im griech. Altertum und bei den Indern eine Strafe für Ehebrecher und Ehebrecherinnen und ist auch im MA. und später häufig vorgekommen. In Neapel ließ der span. Statthalter Herzog von Ossuna einen vorsätzlichen Hahnrei „auf einen Esel rückwärts setzen, zwey grosse Hörner auf das Haupt binden und in der Stadt herumb führen und durch den Diener sein Vergehen ausruffen“ (Harsdörffer: ,Schauplatz lustreicher Geschichte4, 1660). In die Lit. haben den Hahnrei erst der Braunschweiger Herzog Heinrich Julius und der brandenburgische Pfarrer Ringwald (,Lautere Wahrheit4, 1586) eingeführt. Durch die Schauspiele des Herzogs, der engl. Komödianten und die Hamburger Posse ,Hanenreyerey‘ vom Jahre 1618 war der Hahnrei eine wirksame, allgemeines Gelächter erregende Bühnenfigur geworden. Die Etymologie ist umstritten. Aus- gangsbdtg. ist ,verschnittener Hahn4, ,Ka¬ paun4, /Hahnrei. Die Volksetymologie freilich verbindet den Hahnrei mit dem Hahnenreiter, wie er in der volkstümlichen Ikonographie häufig vorkommt, (s. Abb. bei Hahnrei). Sich die HÖrtier noch nicht abgelaufen (auch abgestoßen) haben: noch im Jugendübermut stecken, noch keine Erfahrungen (bes. in der Liebe) gesammelt haben. Die Rda. stammt aus dem student. Brauch und bezieht sich auf die während des 16. und 17. Jh. auf allen dt. Universitäten an den neu eintretenden Studenten vollzogene, oft recht rohe Aufnahmefeier. Bei dieser Reposition4 spielten Hörner eine Rolle: Der Neuling, der Bacchant oder Beanus (Bec jaune) wurde als ein Bock, eine ,bestia cornuta4, mit Hörnern, Zähnen und Bart verkleidet, und dann wurden ihm unter besonderen Zeremonien die Hörner abgesägt, die Zähne ausgezogen und der Bart abgeschnitten. Hier bedeutete also der Hörnerschmuck des angehenden Studenten, den Eselsohren der Narrenkappen vergleichbar, die tierische Vorstufe seines Daseins, der er durch jenen symbolischen Weiheakt ,Die Hörner abstoßen* entrückt werden sollte. „Wenn sie die Hörner abgeworfen haben, werden sie schon von sich selbsten geschmeidig44 (Joh. G. Schoch: ,Comedia vom Studentenleben4, 1657). Christ. Weise schreibt 1673 in dem Roman ,Drei Erznarren4 (Neudruck S.79): „Es würde sich auch mit diesen jungen Liebhabern schicken, wenn sie die Hörner etw. würden abgelauffen haben44. Zum Teil 437
Hornberg war dieser Brauch der student.,Deposition4 noch bis spät ins 18.Jh. in Geltung. Das Gesicht der Kandidaten wurde z.T. geschwärzt, auf dem Hut trugen sie Hörner, die Ohren wurden künstlich verlängert. Bei der Initiation mußten sie sich dann die Hörner abstoßen, indem sie mit dem Kopf gegen eine Türe oder Säule rannten. Aus dem Jahre 1713 stammt eine Schilderung des Deponierens eines Studenten mit bildl. Darstellungen. Zu der daraus wiedergegebenen Abb. gehört der Vers: Mit dem Bacchantengeist Solls jetzund seyn schabab, Deßwegen schläget man Die stolzen Hörner ab. In anderen Rdaa. ist das Horn einfach ein Zeichen der (tierischen) Kraft, z.B. einem die Hörner zeigen: ihm kräftig entgegentreten (vgl. ,die Zähne zeigen4), wie Stier oder Hirsch, wenn sie gereizt werden, den Kopf senken, als ob sie dem Gegner zunächst ihre Waffe zeigen wollten. Oft bei Luther. Ebenso lat. ,cornua obvertere alicui4 = einem die Hörner zuwenden (Plautus). Sich mit Hörnern und Klauen zur Wehr setzen: sich hartnäckig bis zum Äußersten verteidigen. Einem die Hörner schaben: seine Waffen unbrauchbar machen. So bei Luther (,Tischreden4 4, 277 b): „Aber es sollen ihm die hörner geschabt werden, da er nicht wirt aufhören44. Er steckt die Hörner auf: er fängt an zu drohen. Den Stier bei den Hörnern fassen (oder packen)', eine Sache mutig bei ihrer gefährlichsten, schwierigsten Seite anpacken; seit der zweiten H. des 19. Jh. bezeugt. Etw. auf seine Hörner nehmen: die Folgen einer Sache auf sich nehmen (heute dafür meist: ,etw. auf seine /Kappe nehmen'); schon im 17. Jh. in übertr. Sinne belegt; eigentl. vom Zugvieh. Zu viel auf seine Hörner nehmen: sich mit Arbeit überhäufen. Horn steht auch als pars pro toto für ,Rind4, wie ,Huf4 für ,Pferd4 steht. So heißt es bei Uhland: „In eure Stadt soll kommen kein Huf und auch kein Horn44. Schwäb. sagt man von einem Vielfraß: ,er frißt einen Ochsen bis an die Hörner4, und ,horndumm4 ist eine Steigerung von ,dumm4. Das Horn als Blasinstrument ist gemeint in der Rda. in jemandes Horn blasen: genau reden wie er, ihm beistimmen; richtiger ist eigentl. die Form ins gleiche Horn blasen( in der Frühentwicklung unserer Blasinstrumente hatte jedes Horn nur eine Tonart); gemeint ist also kein ,Ventilhorn4, sondern ein Horn wie das des Nachtwächters, das nur einen einzigen Ton von sich gibt. Das zeigt sich bes. gut an der siebenbürg.-sächs. Rda. ,Se blösen än i Loch4, sie halten zusammen, haben dieselbe Meinung. Schon Luther gebraucht die Wndg.: „Nicht mit ihnen heulen und in ein Horn blasen“, und 1649 steht in ,Augenmerk und Rebellionsspiegel4 (13): „Allen particulir Haß und Nutz sollen die Potentaten itzo billich auff eine Seit setzen, Friede machen, und in ein Horn blasen (wie man zu sagen pflegt) zum Verderb dieser Sectierer und Unchristen44. Lit.: H. Dünger:,Hörner aufsetzen‘ und ,Hahnrei4, in: Germania, Vierteljahrsschrift für Dt. Altertumskunde 29 (1884), S.59-70; Flöget-Bauer: Gesch. des Grotesk-Komischen, Bd.II, S. 186 ff.; Joh. Boite: Der Hahnrei, Bilderbogen des 16. und 17. Jh., in: Zs. d. Vereins f. Vkde/l9 (1909), S.63-82; HdA. Ill, Sp.332; L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachge- bärde, S. 129ff.; P.Falk: Le couvre-chef comme symbole du mari trompé, in: Studia Neophilologica, 33, Nr. 1 (1961), S.39-68. Hornberg. Ausgehen wie's Hornberger Schießen sagt man von einer Sache, aus der nach vielem Lärm nichts wird; wenn ein großer Aufwand aufgeboten wurde, ohne eine Wirkung zu erzielen, oder wenn man von einer Sache, die lange in aller Munde war, plötzlich nichts mehr hört. Die Rda. bezieht sich auf eine volkstümliche Schildbürgergeschichte, die sich an das Schwarzwaldstädtchen Hornberg im Gutachtal anschließt. Der Schwank wird auf verschie- Jum Cuftfurort goruberq, burd) bas C5utacf)tal ,Ausgehen wie’s Hornberger Schießen4 438
Hornberg cZ?it Sagt pom^omßerger ^ie^ca. Jlacf) berübcriicftrung tjaben Die 0nroohn?röes brhmûrztDûlùftaùfchens SyuMq, als jle im Mre 1564 furfllidjen Bejucb ermartetm, folange Bofer/chülTc erprobt bis ihnen öqs üuloer ausgiug. fils nunùerfurfl nniraf, mußten ßt bas Bollern burcb Brüllen erfeteen.Diefe Sage joli ùerlirfprungber Rebensaft fein:'Es geht aus rote bas Nürnberger Schießen!-'" ^eùœeùes (ünö auf öenoeiten Erb d. Nürnberger Srhiessen schon tjat gehört,öas Buber ging auszur scbönfteu Stunö, so Dass man rächt meljr sctjiessea kurait ! Jlano 1564 ,Ausgehen wie’s Hornberger Schießen' dene Weise erzählt. Zwei sich widersprechende Aufzeichnungen seien deshalb hier wiedergegeben; Einstens als die Hornberger noch gut schwäbisch waren, sagte der Herzog einmal seinen Besuch an. Das gab eine nette Aufregung im Städtchen, und alles bereitete sich vor, den Landesvater würdig zu empfangen. Vor allem aber wurde ein Faß Pulver gekauft und die alten Kanonen aus Vätertagen auf den Schloßberg geschleppt, damit sie mit donnerndem Gruß den Fürsten empfingen. Als der große Tag anbrach, war schon seit dem frühen Morgen alles in Bewegung. In der hellen Morgensonne blinkten die blanken Bronzerohre, und die Schützengilde stand dabei und wartete auf den großen Augenblick. Sorgsam hatten die Feuerwerker das Pulver eingefüllt und ordentlich Papier nachgestopft, die glimmende Lunte war auch parat, aber es zeigte und zeigte sich nichts im Tal. Die Sonne stieg höher und höher, zu der brennenden Ungeduld kam der noch brennendere Durst, aber da gab’s kein Weichen und Wanken, galt es doch den Herzog würdig zu empfangen, und nachher, ha, da wollte man sich schon gütlich tun in den kühlen Schenken. Endlich war die schwere Arbeit getan, das letzte Pulver verschossen und der Wagenzug drunten ins Städtchen eingerückt. Stolz zogen sie hinab im freudigen Gefühl der erfüllten Pflicht. Doch, o weh, der Herzog hatte nur sein Gefolge vorausgeschickt, er selbst rückte einige Zeit später sang- und klanglos in Hornberg ein. Drum sagt man seit jener Zeit, wenn eine mit viel Lärm angekündigte Unternehmung leer ausgeht: ,Das geht aus wie’s Hornberger Schießen' (Schwarzwald-Sagen, hg. v. Joh. Künzig, Jena 1930, S.290). Eine zweite, mdl. Überlieferung stellt die Geschehnisse anders dar: Das kleine Dorf Hornberg im Schwarzwalde wollte einstmals ein großes Schießen halten und machte gewaltige Zurüstungen und lud alle Welt zu diesem Feste ein. Wirklich hatten die Hornberger auch für alles, was bei einem solchen Schießen erforderlich ist, wohl gesorgt; nur eins hatten sie vergessen - das Pulver (Ernst Meier: Dt. Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852, Nr. 406, S.364). Nur relativ wenige solcher lokalen Schildbürgerstreiche haben eine allg. Gültigkeit in der Umgangssprache erlangt. Um so 439
Hose auffallender ist die große Resonanz, die die Erzählung vom Hornberger Schießen gefunden hat. Die vom Hornberger Schießen aufgezeichneten Schwanksagen sind rein ätiologischer Art und machen einen relativ jungen Eindruck. Es scheint fast so, als ob die Rda., nachdem sie sich einmal durchgesetzt hat, ihrerseits wieder neue Sproßsagen gezeitigt habe. Durch ein alljährlich vom Historischen Verein Hornberg angeführtes Volksschauspiel (Historisches Heimatspiel in 4 Aufzügen von Erwin Leisinger), bei dem das von der Ortsfeuerwehr inszenierte Böller-Schießen den Hauptspektakel bildet, dient nicht nur zur Hebung des Fremdenverkehrs (Sonderzüge von Mannheim, Karlsruhe, Freiburg), sondern trägt noch heute ständig zur weiteren Verbreitung von Sage und Rda. bei. Lit. kommt die Rda. z. B. in Schillers ,Räubern' (1,2) vor. Dort erzählt nämlich Spiegelberg, wie Karl Moor zur Vergeltung für seinen erschossenen Hund der Stadt ein unfreiwilliges Fasten auferlegt. „Magistrat und Bürgerschaft“, heißt es weiter, „düsselten Rache. Wir Bursche frisch heraus zu siebzehnhundert, und du an der Spitze, und Metzger und Schneider und Krämer hinterher, und Wirt und Barbierer und alle Zünfte, und fluchen, Sturm zu laufen wider die Stadt, wenn man den Burschen ein Haar krümmen wollte. Da ging’s aus, wie’s Schiessen zu Hornberg, und mußten abzie- hen mit langer Nase“. Ausführlich behandelt Pfarrer Konrad Kaltenbach in den Nummern 3,4 und 5 der ,Heimatklänge aus alter und neuer Zeit' (Beilage zur,Freiburger Tagespost', 1915) die Rda. Sein Erklärungsversuch verweist auf einen Feldzug von 1000 Bürgern der Stadt Villingen gegen Hornberg im Jahre 1519, der in Heinrich Hugs ,Villinger Chronik' (1495-1533, Bibliothek des Lit. Vereins Stuttgart, Bd. 164) ausführlich geschildert wird. Die Villinger verhandelten mit den Bürgern und den Besatzungen des vorderen und hinteren Schlosses der Stadt. Die Verteidiger des hinteren Schlosses verweigerten die Übergabe und begannen ein mörderisches Schießen, daß die Äste von den Bäumen spritzten, doch schoß er (der Haufen) nicht über zwei Schüsse gefährlich. Die anderen gingen alle über die Berge hinaus, über die hundert Schüsse. Danach kapitulierte auch die Besatzung des hinteren Schlosses am Montag nach Palmsonntag, und die Villinger besetzten die Stadt und beide Schlösser, weil wohl der vorhandene Schießvorrat verbraucht war. Ob aus diesem hist. Anlaß die Entstehung der Rda. herzuleiten ist, bleibt freilich nach wie vor unsicher. Lit.: Büchmann, S. 657 f.; L. Röhrich: Sprw.-Rdaa. aus Volkserzählungen, S.256. Hose. Die Hosen anhaben: der Herr im Haus sein, das häusliche Regiment führen; gesagt aber meist von einer Frau, die sich das anmaßt, was nach Sitte und Herkommen dem Mann zusteht; sie trägt bildl. die Hose, d.h. das vorzugsweise männliche Kleidungsstück. Entspr. engl. ,she wears the breeches'; frz. ,porter les chausses, les culottes', ,Madame a la culotte'; ital. ^or- tare le brache'; ndl. ,de broek aan hebben'. Das vermutlich älteste Zeugnis für diese Rda. findet sich im ,Ring‘ des Heinrich von Wittenwiler (V. 50 77ff.): ,Die Hosen anhabenk Daz sag ich dir vil recht her aus: Bis du herr in deinem haus! Wiss, und trait dein weib die pruoch, Sei wirt dein hagel und dein fluoch Wider got und sein gepott! Hier zuo wirst der leuten spott. Dar umb so sitz ir auf dem nak Und halt sei sam den fuchs im sak! Im Volkslied heißt es: Weiber lieben Kommandieren, haben an die Hosen gern. In dem Fastnachtsspiel ,Der böß Rauch' (d.h. das böse Weib im Hause) von Hans 440
Hose Sachs rät der Nachbar dem geplagten Ehemann (V. 50ff.): Beut ein kampff an deinem weyb, du wölst dich weidlich mit jr schlagen, weliches soll die Bruch (Hosen) tragen. Grimmelshausens ,Landstörtzerin Courage4 (Kap. 7) ,,schreitet zur dritten Ehe und wird aus einer Hauptmännin eine Leutnantin, triffts aber nicht so wol als vor- hero, schlägt sich mit ihrem Leutenant umb die Hosen mit Prügeln, und gewinnet solche durch ihre tapffere Resolution und Courasche; darauf sich ihr Mann unsichtbar macht und sie sitzen lässt“. In der fläm.-ndl. Tradition der Rdaa.-Darstellung kommt sehr häufig das Thema der Frau vor, die die Hosen anhat, während der Mann in Weiberkleidern daneben steht, als satirische Anspielung auf die Familien, in denen die Frau die Herrin ist: ,Kwaeye Griet heeft de broek aen, haer man heeft de rock aen4. In gleicher Weise findet sich in den Rdaa.-Darstellungen die Szene des Kampfes der Frauen, die sich um die Hose eines Mannes streiten: ,hier vechten seven vrouwen om een mans broeck4. Der überaus populäre ,Kampf um die Hose4 wird in der Graphik und an Miserikordien ma. Chorgestühle dargestellt. Er geht auf ein picardisches Fabliau von Huon Piucele aus der ersten H. des 13. Jh. zurück. Es ist dies ein spaßhafter Schwank eines Ehepaares, das einen Faustkampf um das Regiment und um die Hosen führt, wobei über die widersetzliche Frau der gutmütige Mann siegt, nach dessen Vorbild zu verfahren allen Ehemännern geraten wird. Eine Mi- serikordie in der Kathedrale von Hoogstraeten (16. Jh.) zeigt diese Szene. Der Stand der geflickten Hosen: der Ehestand, in dem der Mann nicht mehr mit un- geflickten Hosen zu gehen braucht wie vorher als Junggeselle. So lit. in ,Schlampam- pes Tod4: ,,Dass wirs versuchen, wie es im Stande der geflickten Hosen zugehet44. Die Hosen stramm ziehen: Schläge auf das Gesäß geben. Sich auf die Hosen setzen: fleißig lernen. Der sollte in meinen Hosen sitzen: der sollte in meiner Lage sein. 441
Hosenträger Die Hosen liegen ihm hart an: er kann sich nicht rühren; er lebt in sehr beengten Verhältnissen, in bedrückter Lage. Die Hosen werden ihm zu eng: es wird ihm angst; die Sache wird ernst. Ein paar Hosen aus hängen; von einem Witwer, der sich bemüht, eine Frau zu bekommen. Er hat seine Hosen lassen müssen: er hat sein Leben lassen müssen. Die Hosen (gestrichen) vollhaben: Angst haben; dazu ,Hosenscheißer' (17. Jh.). Ihm geht die Hose mit Grundeis: er ist sehr ängstlich, beklommen; gemilderte Parallelbildung zu; ,ihm geht der /Arsch mit Grundeis'. Modern umg. (Küpper) sind: Ein Benehmen haben wie eine offene Hose: sich sehr schlecht benehmen; die nicht geschlossene Männerhose gilt als unanständig und sittenwidrig. Nicht aus der Hose kommen können: an Verstopfung leiden. Machen wir die Hose wieder zu!: Ausdr. der Verzichtleistung nach Abweisung; spielt urspr. wohl auf Abweisung durch den Geschlechtspartner an. Das kannst du einem erzählen, der die Hose mit der Kneifzange (Beißzange) zu macht (an zieht): das kannst du einem Dummen erzählen, aber nicht mir. Das Herz fällt einem in die Hosen /Herz. Das ist Jacke wie Hose /Jacke; vgl. auch ,Spendierhosen'. Lit.: A. Schultz: Dt. Leben im 14. u. 15. Jh., 2 Bde. (Wien 1892) II, S. 196f. Hosenträger. Ihm platzen die Hosenträger: er braust auf. Grotesk-übertreibendes Bild für den Umfang der Wut, die nach volkstümlicher Auffassung ihren Sitz im Leib hat; rhein. Mitte des 20. Jh. (Küpper I, S. 242). Hosianna. Heute heißt es Hosianna, morgen kreuzige ihn sagt man bei einem raschen Meinungswechsel und Stimmungs- umschwung (vgl. ndl. ,vandaag Hosanna, morgen kruist hem'). Die Rda. bezieht sich auf die Leidensgeschichte Jesu und seinen Einzug in Jerusalem (Matth. 21, 9). hü. Etw. ist nicht hii und nicht hott: es ist unbestimmt, unklar. Die Rda. ist bes. nordd. verbreitet und leitet sich von den al¬ ten Fuhrmannsrufen an die Zugpferde her (,hü4 bedeutet links; ,hott' rechts); „Denn is es auch man immer so so, nich hü un nich hott“ (Fontane: ,Irrungen Wirrungen4, 1888, 3. Kap.); schlesw.-holst. ,dat geit iimmer hü und hott', durcheinander; ,nicht hott und nicht har wissen4, gar nichts wissen; nicht wissen, was man beginnen soll. In anderer Form („hothin - schwothin4') bildl. schon bei Luther. Auch: ,er weiß weder Hott noch Hist'; vgl. ndl. ,van hot noch haar weten'; engl. ,not know chalk from cheese' oder ,a hawk from a handsaw'. Hucke. Jem. die Hucke vollhauen: ihn heftig verprügeln. Hucke ist eigentl. die auf dem Rücken getragene Last, der Riicken- tragkorb, dann auch der Rücken selbst. Sich die Hucke vollachen: übermäßig lachen (/Buckel). Jem. die Hucke volliigen: ihn gründlich belügen; sich die Hucke vollsaufen: sich betrinken, eigentl. so viel trinken, wie man eben tragen kann, 19. Jh. (Küpper I, S. 242f.). Hufeisen. Schmunzeln wie ein Bauer, wenn er ein altes Hufeisen gefunden hat: ohne Grund fortwährend lächeln. Hinter der Rda. steht der Volksglaube, daß der Glück - und eben Anlaß zum Schmunzeln - hat, der ein Hufeisen findet. Schles. und siebenb. sagt man von einem Sterbenden, daß ihm ,die Hufeisen bald abgerissen' werden, und im Frankenwald vergleicht man die Beichte des Todkranken mit dem Abreißen der Hufeisen, die man den Pferden nicht mit ins Grab gibt. Ein Hufeisen verloren haben: ein uneheliches Kind haben (von einem Mädchen). Es handelt sich hierbei um eine scherzhafte Übertr. von dem nach Verlust eines Hufeisens lahmenden Pferde auf die unverehelichte Wöchnerin. Lit.: Lawrence:The magic of the horseshoe (Boston - New York 1898); HdA. IV, Sp. 437ff. Art. .Hufeisen4 von H. Freudenthal: F. Liebrecht: Das verlorene Hufeisen, in: Zur Volkskunde. Alte u. neue Aufsätze (Heilbronn 1879), S. 490-493; V. v. Geramb: Zum Sagenmotiv vom Hufbeschlag, in: Beiträge zur sprachl. Volksüberlieferung (Berlin 1953), S.78 ff., bes. S.82; (7. Carnal: Das Hufeisen in seiner Bdtg. für Kultur u. Zivilisation (Zürich 1953). Hufschlag. ,Gank em Hoffschlag, dann be- gähnt dir nü’s Kotts', gehe im Hufschlag, 442
Huhn, Hühnchen dann begegnet dir nichts Böses. Diese Jiili- cher Rda. bezieht sich auf einen alten Brauch der Hufschmiede. In früheren Zeiten war es üblich, den Pferden und Ochsen, ebenso den Kühen, soweit sie als Zugtiere in Frage kamen, vor dem ersten Beschlag ein Kreuz in den Huf zu brennen; fortan waren die Tiere dem Schutze Gottes unterstellt. Wo sie nun gingen, da war der Weg gleichsam gesegnet, und dem einsamen Wanderer konnte hier nichts Böses zustoßen. Die Jülicher Rda. stimmt inhaltlich mit der Warnung überein, die auch von dem Warner des Wilden Heeres in einer Sage ausgesprochen wird: Metzern em Wäg geht et dir net schlach. Wo Köh on Paed dir begähnt (begeg- do ös et gesahnt. nen) Lit.: G. Henssen: Rhein. Volksüberlieferung in Sage, Märchen und Schwank (= Rhein. Volkstum, Heft 2), S.18L Huhn, Hühnchen. Huhn ist eine beliebte, harmlose Schelte, z.B. ein armes, blindes, krankes, dummes, verrücktes Huhn, auch einfach Bez. für einen Menschen: ein fideles, gemütliches, gelehrtes Huhn. Das Huhn rupfen, ohne daß es schreit: mit Geschicklichkeit erpressen und ohne Klagen zu erregen. Das Huhn, das goldene Eier legt, schlachten: sich seiner eigenen Lebensgrundlage begeben; sich selbst den Ast absägen, auf dem man sitzt; vgl. dazu das Märchen ,Das Huhn, das goldene Eier legt, schlachten KHM. 60 sowie die ndl. Rda. ,de kip met de gouden eieren slachten4; frz. ,il en fait comme de la poule œufs d’or‘. Jean de La Fontaine (1621-95) erzählt dazu folgende Fabel über ,Die Henne mit den goldenen Eiern4: Wer alles haben möcht\ muß alles oft verlieren. Euch ein Exempel statuieren Will ich an jenem Mann nun aus dem Fabelreich. Dem täglich hat sein Huhn ein goldenes Ei gelegt. Er glaubt, daß einen Schatz in sich die Henne trägt. Und schlachtet sie, doch sieht, daß innen sie ganz gleich Ist jedem Huhn, von dem wertlose Eier kommen. So hatte er sich selbst sein schönstes Gut genommen. Für Knicker eine gute Lehre! Wie hat in letzter Zeit man doch so oft erlebt, Daß über Nacht verarmt so mancher, der gestrebt, Daß sich zu schnell sein Reichtum mehre. Grüße die Hühner: scherzhafte Bemerkung bei der Verabschiedung (seit dem 18. Jh. belegt). Alle Hühner und Gänse von jem. wissen: seine Verhältnisse genau kennen, bes. obersächs., seit dem Anfang des 19. Jh. bezeugt. Meiner Hühner wegen können meine Gänse barfuß gehen: rdal. Umschreibung von meinetwegen (vgl. ,Gänse beschlagen4). Er sitzt da, als ob ihm die Hühner das Brot gefressen hätten: niedergeschlagen und ratlos. Mit den Hühnern zu Bett gehen: sich zeitig, mit Sonnenuntergang, schlafen legen; dazu das Sprw. ,Wer mit den Hühnern zu Bette geht, kann mit dem Hahn aufstehen4; auch in gereimter Form: Früh mit den Hühnern zu Bette, Auf mit dem Hahn um die Wette. Da(rüber) lachen ja alle Hühner (oder: die ältesten Hühner, Suppenhühner): das ist ja töricht, lächerlich. Die Wndg. ist erst in neuerer Zeit aufgekommen. 443
Hühnerauge ,Der muess bald em Mesner sei Hühner hiete4 sagt man schwäb. von einem Sterbenden; ähnl. im Kt. Wallis: ,Willst du St. Michaels Hennen hüten?4 (vgl. das /Zeitliche segnen). Die Hühner melken wollen: etw. Vergebliches unternehmen wollen. Die Rdaa. von der,Hühnermilch4 (auch: Bocksmilch) sind weit verbreitet und gehen bis auf die Antike zurück (Singer I, 173). Ndl. ,de hennen melken4; sowie das vlämische Sprw.: ,Dat hy dan ook de hanen melken ga4. Luther schreibt „Ein ander von blaw enten, ein ander von hünermilch44 im Anschluß an das antike lac gallinarum (Plinius: nat. hist, praef. 24; Petron, cap. 38), entspr. griech. yâXa öpvlücov; ,Gänsemilch4 schon 1478 bei Hans Folz in dem Spiel von einem griech. Arzt: ,,Zwen drünck aus einr leren krawsen Gemischt mit aliter gens milch44 (,Fastnachtsspiele4 S. 1201). Mit jem. ein Hühnchen zu rupfen (auch zu pflücken) haben: noch etw. mit ihm auszutragen haben, ihn noch wegen einer Sache, die nicht so hingehen soll, zur Rede stellen wollen. Die Rda. ist seit den dreißiger Jahren des 19. Jh. belegt, doch kommen verwandte Wndgn. schon wesentlich früher vor, z.B. bei dem Dichter Christian Weise (1642-1708; ,Böse Catharine4): „Hilf mir Lerchen pflocken. Wer dich nicht zufrieden läßt, dem schmeiß die Federn in die Augen44. Gleichbedeutend sind die Rdaa.: ,ich habe mit ihm noch ein Ei zu schälen4, ,eine Rübe zu schaben4, ,ich habe einen Apfel mit ihm zu schälen4 (ähnl. frz. ,nous avons un pomme à peler ensemble4; engl. ,to have a crow to pluck with some one4, 1460 bei Towneley Myst. XVIII 311: ,,Na, naabide, we haue a craw to pull44; 1590 bei Shakespeare Com. Err. III. i. 83: ,,If a crow help us in, sirra, wee’l plucke a crow together44); ,ich habe eine Krähe mit ihm zu pflücken4; rhein. ,ich han mit dem noch e Nößche zu krachen4, ,,Doch nächstens pflücken wir ein Sträußchen44 (Hebbel), und, allerdings mit abweichender Bdtg., „wie ... sie sich zu beth fügten und mit einander das genßlein ropfften“ (Montanus, ,Schwankbücher4, hg. von Boite, 80). Den Anlaß zum bildl. Gebrauch aller dieser Rdaa. hat die gemeinsam geübte scharfe, verletzende Tätigkeit gegeben (pflücken, schälen, schaben, knacken). Bei der Erklärung der Rda. ist auch davon auszugehen, daß das Wort rupfen in früherer Zeit häufig im Sinne von tadeln, schelten, schmähen (carpere) gebraucht wurde. „Lass mich ungerupft44 ruft bei Hans Sachs die Hausmagd der Wochenwärterin zu. Bei solcher Bdtg. des „rupfen mot Worten und wercken“ (H. Sachs: ,Heinz Widerborst4, 92) mußte der Gedanke an das Huhn naheliegen. Er sieht aus wie ein krankes Hühnchen: kümmerlich; er nährt sich wie Müllers Hühnchen: er lebt auf Kosten anderer (wie die Hühner des Müllers, die angeblich von fremdem Korn leben). Lit.: J. Franck: Die dt. Sprww. und sprw. Rdaa. über das Geflügel seit den ältesten Zeiten, in: Tauben- und Hühner-Zeitung (Berlin 1861); A. Götze: Alte Rdaa. neu erklärt, in Zs. f. dt. Worf. 4 (1903), S.331E; A. Haas: Huhn und Hahn im pommerschen Sprw., in: Pommerscher Heimatkalender (Greifswald 1924), S. 59 ff. Hühnerauge. Jem. auf die Hühneraugen treten: ihm allzu nahe treten, ihn beleidigen. Die Rda. ist eine vergröbernde Parallelbildung zu ,jem. auf den Fuß, auf den dicken Zeh treten4 usw. (vgl. frz. ,marcher quelqu’un sur le pied4; engl. ,to tread on a person’s toes4; ndl. ,op zijn tenen getrapt zijn‘). Einem die Hühneraugen operieren: einem herbe Wahrheiten sagen, ihm den Standpunkt klarmachen. Er hat Hühneraugen am Hintern: er ist überempfindlich. Hühnerleiter. Das Leben ist eine Hühnerleiter: kurz und beschissen (o. ähnl.) von oben bis unten; ebenso das Leben gleicht einer Hühnerleiter: man kann vor lauter Mist nicht weiter; das Leben ist eine Hühnerleiter: man macht viel durch (wobei ,durchmachen4 doppeldeutig zu verstehen ist). Diese Wndgn., mit denen man die Un- erquicklichkeiten des Alltags, Mißstände und Schwierigkeiten meint, sind frühestens seit der zweiten H. des 19. Jh. aufgekommen (vgl. Küpper II, S. 142f.). Hülle. Etw. in Hülle und Fülle haben: etw. im Überfluß haben. Die Zwillingsformel ,Hülle und Fülle4, die urspr. ,Kleidung (Obdach) und Nahrung4 bedeutete und dem lat.,victus et amictus4 entspricht, wird über die Bdtg. notwendiger Lebensunter¬ 444
Hund halt4 zum Inbegriff des Überflusses, wobei sich die gewöhnliche Bdtg. von ,Fülle4 durchsetzt und auf Hülle überträgt. Früher sagte man auch wohl anstelle der reimenden Formel: ,Futter und Hülle haben4. Sebastian Franck verbindet z.B. noch: „Gott hat futer und deck, hüll und füll44, und bei Luther findet sich: ,,da er keinen Lohn verdient hatte, denn Hülle und Fülle44, d.h. er bekam kein Geld, sondern nur Kleidung (Obdach) und Nahrung. Paul Gerhard dichtet: Darum so gib mir Füll und Hüll, Nicht zu wenig, nicht zu viel. Bald aber verstand man Hülle nicht mehr, sondern verband mit der Formel lediglich den Begriff des Überflusses. So bucht 1691 Stieler: „Hülle und Fülle haben, victu et amictu abundare“, d.h. an Nahrung und Kleidung Überfluß haben. 1779 heißt es bei Bürger in ,Des Pfarrers Tochter von Taubenhain4 (Str. 5): Da trieb es der Junker von Falkenstein In Hüll’ und Füll’ und in Freude. Die Bdtg. des Wortes Hülle trat schließlich ganz zurück, so z.B. bei Th. Fontane in ,Mathilde Möhring4 (Inselausg. S.33): „Bücher seien ja da die Hülle und Fülle44; man kann heute sogar die mißverstandene Form hören: ,Er hat Geld in Hülle4, im Überfluß. Die Hülle ehelichen: eine Frau wegen ihres guten Aussehens oder wegen ihrer günstigen Vermögenslage heiraten (etwa seit 1930 üblich). Die sterbliche Hülle4 ist ein euphemist. Ausdr. für Leiche. Hummel. Eine wilde Hummel nennt man ein ausgelassen umherschwärmendes Mädchen; lit. schon 1729 in Orestes ,Der Dreßdnische Mägde-Schlendrian4: „solche junge wilden wüsten Hummeln44. Bei dem schwäb. Dichter Wilhelm Hauff heißt es: „Das Haar, das . . . der wilden Hummel in unordentlichen Strähnen und Locken um den Kopf flog“ (Werke, hg. v. Mendheim, 1825, Bd.3, S. 13). Hummeln im Kopf haben: unruhig sein (/Grille); einen solchen Menschen nennt 1565 Hans Wilhelm Kirchhoff ein „Hummelhirn“. Derber sind die Wndgn.: Hummeln im Gesäß, im Huttern, un Steiß, im Hosenboden haben: nicht ruhig sitzen bleiben können; schon in Luthers ,Sprichwörtersammlung4 ist verzeichnet: „Er hat humel ym arse“. Von einem Musikstück von Richard Strauss sagte dessen Vater, es sei ihm beim Anhören, als wenn er die Hosen voll Hummeln hätte. Der Erkennungsruf der Hamburger Hummel! Hunimellhat nichts mit dem Insekt zu tun, sondern soll auf ein altes Hamburger Original gleichen Namens zurückgehen. Hund. Der Name unseres ältesten Haustieres hat auch in den sprw. Rdaa. größte Verbreitung gefunden, wobei der Bedeutungsspielraum sehr weit reicht: der Hund ist im rdal. Ausdr. ebensosehr das Bild des Elenden, Niederträchtigen und Untermenschlichen wie auch das Symbol der Treue, Wachsamkeit usw. Mit Recht sagt M. Kuusi, daß eine vergleichende Erforschung der überlieferten Rollenverteilung in der Tiersymbolik gerade im Bereich der Sprww. und Rdaa. äußerst interessante Probleme aufweisen würde. Die Rdaa. mit Hund bieten dafür gute Beispiele. Am häufigsten ist Hund in Schimpfwörtern: Lumpenhund, Himmelhund, blöder Hund, feiger Hund, frecher Hund, falscher Hund, scharfer Hund (strenger Vorgesetzter, strenger Richter). Alter Hund bedeutet eine grobe Abfertigung (nach dem rauhen Ton des Beilens?), ferner: alte Sache, alter Prozeß; einen alten Hund totmachen: die Sache erledigen (aus der Leipziger Juristensprache bezeugt). ,Alter Hund4 ferner in der Bdtg.: alter Wertgegenstand; altbair. ,in dem Hause steckt noch ein alter Hund4, es ist noch Geld von den Voreltern da. Blinder Hund: eine Wassersuppe, aus der kein (Fett-)Auge herausguckt, auch: Kaffee ohne Milch. Da wird der Hund in der Pfanne verrückt ist ein Ausdr. ratloser Verwunderung. Das jammert einen (toten) Hund: das findet schärfste Mißbilligung. Ebenso das ist unter dem (unter allem) Hund: das ist höchst minderwertig, unter aller Kritik. Dicker Hund: grober grammatikalischer oder orthographischer Fehler (so in der Schülersprache), sonst allgemeiner: große Frechheit, eindrucksvolle, schwierige Sa¬ 445
Hund che, auch: unglaubwürdiger Vorgang. Einen dicketi Hund ausbrüten: eine völlig verfehlte Maßnahme mit entspr. bösen Folgen treffen; einen schweren Irrtum begehen. Einen dicken Hund haben: beim Skat ein gutes Spiel in der Hand haben. Mach keinen dicken Hund los: reg dich nicht auf! Einen ganz dicken Hund am Schwanz packen: eine sehr heikle Sache erörtern. Alle diese Rdaa. sind erst in der Umgangssprache des 20. Jh. bezeugt (Küpper II, S. 143), doch mag dabei daran erinnert werden, daß es im MA. als schwere Beleidigung galt, einem als Gabe einen fetten Hund hinzuwerfen (Grimm, Dt. Wb. III, 1570). Wie man sagt ,vom Pferd auf den Esel kommen1, so auch auf den Hund kommen: herunterkommen, in schlechte Verhältnisse geraten, wobei die Tierrangfolge noch weiter nach unten fortgesetzt - vom Pferde- zum Esel- und schließlich zum Hundefuhrwerk - oder der Hund einfach als etw. Verächtliches im Vergleich zum Menschen gebraucht ist. Im Jahre 1664 riefen die siegreichen dt. Soldaten dem bei St. Gotthard an der Raab geschlagenen Türken zu: „Körnst aufn Hund und nit aufn Gaul!“, und in einem neueren Volkslied, 1867 auf den unglücklichen Habsburger Max in Mexiko gedichtet, heißt es: Von dem Tag an und der Stunde War der Kaiser auf dem Hunde. Noch einen weiteren sozialen Abstieg bez. die Rda. Dann kommst du vom Hund auf den Bettelsack. Aus der verächtlichen Bdtg., die so an dem Hunde haftet, erklären sich die vielen geringschätzigen Zusammensetzungen wie Hundeleben, Hundewetter, hundemüde, auch das hunzen (aus-, herunter-, verhunzen), das nach seiner Herkunft eigentl. ,hundsen4 geschrieben werden müßte. Auf das,Hundeleben4 spielt auch Goethe im Faust an: „Es möchte kein Hund so länger leben“. Ein Mensch muß sehr verachtet sein, wenn man von ihm sagen kann: Es nimmt kein Hund eitlen Bissen Brot von ihm. Schon bei Hans Sachs klagt einer über seine Frau als seinen Fegteufel: Der rennt mir nach offt ins Wirtshaus vnd hollüpt (lästert) mich mit Worten auß: Ein hund ein brot kaum von mir nem. Der große Hund ist ein ähnl. rdal. Bild wie ,das große (hohe) Tier4, worunter man einen vornehmen Mann von hohem Rang versteht. Von einem Eingebildeten sagt man obersächs.: ,Er denkt, daß der große Hund sein Pate wäre, derweile ist es Bettelmanns Spitz4; auch: ,wie dem großen Hund sein Bruder auftreten4, anmaßend auftre- ten; ndd. ,ok de größte Hund mot sek schämen4 u. dgl. - ,De grote Hund4 ist für den Seemann eine Verkörperung des Meeres. Mit diesem Bild wird die Raffgier der See gekennzeichnet; wenn der Koch Speisereste über Bord schüttet, spricht er dazu: ,Dat is wat för’n groten Hund4. Aus gleicher Anschauung heraus werden gischtende Brandungsseen ,weiße Hunde4 genannt (Stammler, Aufriß Sp. 1876). Brot im Hundestall suchen oder den Hund nach den Bratwürsten schicken: einen verkehrten Weg bei einer Handlung einschla- gen, etw. Törichtes tun. Bekannt wie ein bunter (oder scheckiger Hundvj'wä von einem gesagt, der allenthalben, aber nicht gerade rühmlich bekannt ist; auch von Frauenzimmern, die sich gemein machen. Der Leipziger Amaranthes (Corvinus) sagt 1711 von einer Frau: Die es mit keinem redlich meint, Die man, es weiß es jedes Kind, Pflegt einen bunten Hund zu nennen, Den man auf allen Straßen findt. Die meisten Hunde sind einfarbig; ein Hund in mehreren Farben fällt darum auf. Die Rda. findet sich in der allg. Umgangssprache ebenso wie in den Mdaa., z.B. holst. ,Se is so bekannt as de bunte Hund4; ostfries. freilich heißt es: ,Dar siint mehr bunte Hunne as een4, einzelne Kennzeichen reichen nicht aus, Personen oder Sachen genau zu bestimmen. Nach dem auffälligen Zittern neugeborener Hunde heißt es: frieren wie ein junger Hund. Junge Hunde und Schoten ist in Sachsen eine der rdal. Antworten auf die Frage neugieriger Kinder, was es zum Mittagessen gebe, wohl mit Anspielung auf das ungeduldige Zappeln der Fragenden; doch in Oberbayern heißt eine Mehlspeise tatsächlich ,nackte Hündlein4. Damit lockt man keinen Hund vom Ofen (vor): um Erfolg zu haben, muß man mehr 446
Hund Klugheit, gewichtigere Gründe aufbieten. Die Rda. ist seit Luther öfters belegt; in der Ballade ,Der Kaiser und der Abt4 läßt G. A. Bürgerden unwissenden, aber schlauen Schäfer Hans Bendix sagen: Versteh’ ich gleich nichts von lateinischen Brocken, So weiß ich den Hund doch vom Ofen zu locken. Urspr. hieß es ,den Hund aus dem Ofen locken1, was seine Erklärung in der alten Bauart der Öfen findet: Der Ofen stand auf Beinen, zwischen denen sich der Hund zu Hause gern lagerte; oder es ist auch das Ofenloch, die ,Hölle4 gemeint, in die der Hund nach dem Ausgehen des Feuers hineinkroch. Auf das gereimte Sprw. Zwei Hunde an ,Zwei Hunde an einem Bein kommen selten überein1 einem Bein kommen selten über ein beziehen sich sowohl das Detail aus P. Bruegels Rdaa.-Bild wie auch plastische Darstellungen an Kirchengestühlen. Meist lebt der Hund in Feindschaft mit der Katze, so daß wie Hund und Katze leben ,Wie Hund und Katze leben1 sprw. für fortwährendes Gezänk zweier aufeinander Angewiesener ist. So schon mhd. in Freidanks Lehrgedicht Bescheidenheit4 (138, 15): Bî hunden und bi katzen was bizen ie und kratzen. Ähnl. heißt es im Liederbuch der Hätzlerin (S. LXXII, 36): Sy liebt sich mir zu aller stund, Als by dem tische katz vnd hund. Anders 1639 bei Lehmann S.881 (Uneinigkeit4 23): „Vneinige sind in gutem Ver¬ nehmen wie der Fuchs vnd Han, Katz vnd Mauß44. Eine unangenehme Eigenschaft des Hundes sind seine vielen Flöhe; daher der rdal. Vergleich: Er steckt voller Unarten wie der Hund voll Flöhe. Er ist voller Freude wie der Hund voller Flöhe \si eine sehr geläufige Rda., der etw. Ironisches anhaftet und die durchaus nicht jung ist, sondern bereits vorgebildet erscheint in den Satiren gegen Murner (,Sendbrief von der Meßkrankheit4): ,,Ich mein44, sagt Frümesser, ,,ir seyt voller fan- tasten (wunderlicher, krauser Sinn), denn ein zotteter Hund flöch im Augsten (August)44. Daß rnan auch ebenso voll von freudloser Stimmung sein konnte, beweist Hans Sachs’ Fastnachtspiel vom Pfarrer mit den ehebrecherischen Bauern (2): 447
Hund ,Mit allen Hunden gehetzt' Ich steck unmuts und angst so vol Und ge gleich in den sinnen umb, Wie der hund in den flöhen krumb. Eine sehr lästige Beschäftigung vergleicht man mit Hundeflöhen. Von der Jagd stammt: mit allen Hunden gehetzt sein: so schlau, so erfahren sein, daß man sich allen Gefahren zu entziehen weiß. Den Hund bös (wütend) machen: jem. reizen, aufstacheln; ndl. ,Zij maekt den hond boes4; dazu die Abb. des 18. Jh., die sich satirisch gegen diejenigen Frauen wendet, die ihre sanftmütigeren Männer aufreizen; ähnl. schlafende Hunde wecken: die Gefahr selbst herbeiführen; auf sich aufmerksam machen, unvorsichtig sein. Ebenfalls auf die Jagd bezieht sich der rdal. Vergleich, den Carl Zuckmayer (,Schin¬ ken Hund bös machen' derhannes4, 4. Akt) bringt: ,,Die Kerl sinn ihr nachgemacht wie die Hund hinnerm Schweiß“. Wenn der Hund zum Springen und zum Laufen unlustig ist, rutscht er auf dem Hintern; daher den Hund hinken lassen: faul, falsch, unzuverlässig sein; die Rda. ist bereits im 16. Jh. ganz geläufig (z.B. ^imme- rische Chronik4 I, 287 und bei Luther). Das ist so echt wie Hundehinken: wenn ein Hund einem größeren begegnet und sich von ihm bedroht glaubt, fängt er an zu hinken, um sich seiner Gnade zu versichern, indem er seine eigene Ungefährlichkeit manifestiert. Vor die Hunde gehen: verkommen, entzweigehen, zuschanden werden; die Rda. ist vielleicht hergeleitet von krankem und schwachem Wild, das leicht den Jagdhunden zum Opfer fällt (seit dem 17. Jh.). Wahrscheinlicher als diese Herleitung aus der Jägersprache ist aber wohl die Geringwertigkeit des Hundes, die für die Wahl der Metapher ausschlaggebend gewesen ist (vgl. ,das ist für die Katz4, ,in die Wicken gehen4, ,flöten gehen4 und verwandte Rdaa.). Einer breiteren Erklärung bedarf die Rda. Hunde tragen (oder führen), landschaftlich mit verschiedenen Zusätzen, z.B. in Sachsen: ,bis Bautzen4, im Elsaß: ,nach Lenken- bach4, in Gießen: ,nach Endebach4, in 448
Hund Franken: ,nach Buschendorf, in Schwaben: ,bis Ulm1, Ortsbez., die heute alle nur noch bedeuten: sehr weit. Der Sinn der Rda. ist: eine unangenehme, beschwerliche, langwierige, nicht einträgliche Arbeit ausführen. Man hat zur Erklärung an verschiedene alte Rechtsbräuche erinnert: ,Hunde tragen' war eine Strafe, zu der Edelleute, die geraubt oder den Landfrieden gebrochen hatten, verurteilt wurden; damit sollte ausgedrückt werden, daß sie eigentl. verdient hätten, aufgehängt zu werden wie ein Hund. Die Rda. ,Hunde führen' dagegen wird zurückgehen auf eine alte Untertanenpflicht, dem Herrn, zumal dem Gerichtsherrn, Hunde zu halten: eine sicherlich als beschwerlich empfundene Aufgabe. Möglicherweise haben die genannten Orte dabei eine bestimmte Bdtg. als Grenzangabe; so war Bautzen der Grenzort zwischen Meißen und der Lausitz; auch für Ulm an der Donau gilt eine solche Grenzlage. In dem Bannteiding von Podersdorf (Neusiedel am See) findet sich aus dem 16. Jh. folgende Bestimmung: Wenn einer nach Podersdorf kommt und niemals früher hier gewesen ist, so soll man den größten alten Hund in dem Gemeindegebiet nehmen, ihn in einen Sack gut einbinden, daß er nicht beißen kann, und soll ihn dann dem Ankömmling auf die Achsel legen. Dieser soll ihn von des Richters Haus bis zu einem Kreuz tragen. Dort kann er rasten. Dann hat er den Hund ungesäumt wieder bis zu des Richters Haus zurückzutragen ... Wer aber den Hund nicht tragen will, kann sich mit einem Eimer Wein freikaufen. Mit der Strafe des Hundetragens hängt möglicherweise die Rda. ,auf den Hund kommen' zusammen, wenn hier nicht doch an den Hund als Zugtier der Ärmsten oder auch an den Hund als Nahrungsmittel ärmerer Leute zu denken ist. Jem. einen Hund antun: einen bitteren, kränkenden Spott zufügen (vor allem in Niederoesterr.). In dieser Rda. lebt die Erinnerung an alte Rechtsbräuche fort: an das Mithängen eines Hundes am Galgen als bes. schimpfliche Hinrichtungsart oder an die Strafe des Hundetragens. Die Rechtsstrafe lebt als Hänselbrauch weiter und ist verschiedentlich durch Weistümer belegt. Wie sehr die alten Rechtbräuche fortwirkten, zeigt eine Kabinettsordre Friedrich Wilhelms I. von Preußen vom 5. November 1739, die aus dem Widerwillen gegen die Wiederaufnahme überlebter Sachen entstand: „Von morgen über acht Tage ab, wenn ein Advokat oder Prokurator oder andererdergleichen Mensch seiner Königlichen Majestät Memoralien in abgetanen und abgedroschenen Prozeß- oder Gnadensachen einreichen zu lassen sich unterstehen wird, als dann seine Königliche Majestät einen solchen ohne Gerede aufhängen lassen wird und neben ihn einen Hund". Hunde aus- (oder ein-)läuten nennt man es, wenn unruhige Kinder beim Sitzen den einen oder den anderen Fuß beständig vor- oder rückwärts bewegen, auch: den Hunden Schiedung (Scheidung) läuten; die heilige Glocke darf nur einem Menschen beim Tode ausläuten, nicht aber einem Tier; bei einem Tier wird sozusagen stumm geläutet, wie die Bewegung der Kinderbeine zeichenhaft andeutet. Hunde hinten haben: einen heimlichen Schatz besitzen. Dazu wohl auch die Rda. Da liegt der Hund begraben: das ist’s, worauf es ankommt; das ist die Ursache der ÏÛLsîà *u* <J«r P*ro«ii« FAUST UND MARGARETHE für PIANO vor» J, ROEHL. S“ 34 r. g*n*k«l* _ IV * « Kit ,Da liegt der Hund begraben' 449
Hund Schwierigkeiten, des Übels; vgl. frz. ,voilà le chien4; ndl. ,daar ligt de hond begraven4. Wander (II, Sp. 879 f.) bringt gleich mehrere, allerdings ganz verschiedene und sich widersprechende Erzählungen, die die Entstehung dieser Rda. zu erklären versuchen; sie alle sind aber erst sekundäre ätiologische Deutungsversuche, denen keine Wahrscheinlichkeit zukommt. Wieder eine andere, aber vermutlich auch nur ätiologische Erklärung gibt Büchmann (S. 663). Er erinnert an das Grabmal eines treuen Hundes, das sich in der Nähe der Schloßruine von Winterstein in Thüringen, zwischen Friedrichroda und Eisenach gelegen, befindet. Die beinahe 1 m hohe Steinplatte trägt die Inschrift: Ano 1630 Jar dr 19 Marci ward Ein Hund hieher Begrawen das in nicht fressen die Rawen war sein Name Stuczel genant Fürsten Cd Hern wol bekät geschah Ob seiner grosse Treulichkeit die er Seine Her üd Frauen beweist. Die Rda. bezieht sich aber wahrscheinl. auf den in der Erdentiefe verborgenen Schatzhüterhund der Volkssage. Oft ist es der Geizige selbst, der nach seinem Tode als Hund die Schatzgräber abschreckt. Mephistopheles spottet in Goethes ,Faust4 (II, 1, V. 4977ff.) über die Menge, die an seinem Schatzgräbertum zweifelt: Da stehen sie umher und staunen, Vertrauen nicht dem hohen Fund; Der eine faselt von Alraunen, Der andre von dem schwarzen Hund. Hans Sachs läßt einmal einen jungen Menschen, der Geld in der Tasche zu haben glaubt, daran klopfen und sprechen: „Da ligt der hunt44. Bei Abraham a Sancta Clara (,Mercurialis4, 82) heißt es: ,,Vermerkte gar bald, wo der faule Hund vergraben lag44. Christian Weise (1642-1708) sagt in der Komödie,Tobias und die Schwalbe4 (I, 15): „Es ist ein verständiger Hund, ich halte immer, es ist einmal ein Schatzgräber darein verbannt worden44. Offenbar hat man also den schwarzen Hund, der den verborgenen Schatz urspr. hütete, mit dem Schatz selbst gleichgesetzt. In dem ,Carmen de Bruns- bergo4 stehen die Verse: Horrendus canis est tenebrosum cinctus ad antrum Thesauri custos, qui latet imus ibi, Igneus est visus, color atque nigerrimus illi Os patulum et cunctis halitus, usque gravis. Der schwarze Hund der Schatzsage steht vielfach anstelle des Teufels als Schatzwächter, wie der Teufel ja auch sonst vielfach in Hundegestalt auftritt. Um den Namen des Teufels zu verhüllen, sind dann wohl auch andere Ausdrücke eingesetzt worden, z.B.: ,Da liegt ein Musikant begraben4 oder, wie in der angeführten Stelle aus dem ,Faust4: „Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz“. Goethe schreibt auch in einem Brief vom 6. 6. 1809 an Charlotte von Stein: „Ist doch alles, was mich in Jena umgibt, so trümmerhaft gegen vorige Zeiten, und ehe man sich's versieht, stolpert man über einen Erdhöcker, wo, wie man zu sagen pflegt, der Spielmann oder der Hund begraben liegt (deren Gedudel oder Gebell gleichsam in die darüber schreitenden Füße fährt)44; vgl. ferner das Liedchen ,Hier liegt ein Spielmann4 aus ,Des Knaben Wunderhorn4, wo es in der 9. Str. heißt: Da laufen die Schwaben Und fallen in Graben, Liegt ein Spielmann begraben Mit der kleinen Killekeia, Mit der großen Kum, Kum. Der Hund hat das Leder gefressen: wenn man jem. etw. anhaben will, findet man leicht einen Grund. Diese Rda. reicht in das Altertum zurück bis auf Theokrit (Id. 10, 1 l):„XaÀ8Ttôv xopito xövce yeuoai44(es ist schlimm, den Hund vomxöpiov kosten zu lassen); %öpiov ist die feine Haut um die Eingeweide, die von den Griechen samt den Eingeweiden getrocknet, mit Milch gefüllt ans Feuer gesetzt, geröstet und so gegessen wurde. Xöpiov bedeutet aber auch die Hülle, die die Frucht im Mutterleibe umschließt und ihr bei der Geburt als Nachgeburt folgt. Diese Nachgeburt nun wird von Hunden, Schweinen und anderen Tieren gern gefressen. Wenn man Hunde zähmen wollte, hielt man ihnen dieses %6piov vor. Man soll also keinen Hund davon kosten lassen, er kann dann nicht mehr davon lassen. Im weiteren Sinne muß aber 450
Hund Xöpiov auch Haut bedeutet haben. Da Häute zu Leder verarbeitet werden, ergab sich die Bdtg. Leder von selbst. Sie drang nun auch in die Rda. ein. Hier beginnt das Mißverständnis, das über Lukian z.B. auf Horaz überging (Sat. II, 5, 83): „Ut canis a corio nunquam absterrebitur uncto“. (Wie der Hund nie vom gefetteten Leder abzubringen ist, ebensowenig Penelope am Gewinn.) Von Horaz aus hat sich die Rda. weiter verbreitet. Z.B. bei Notker Labeo (952-1022): ,,Fone démo limble so beginnt tir hunt leder ezzen“ (Von dem Riemen beginnt der Hund Leder zu fressen): Kleine Übertretungen führen mit der Zeit zu größeren Vergehen. Genauso haben wir den Spruch noch bei Luther: „An den lappen lern der hund ledder fressen“. Er versteht es aber in dem Sinn: „Wem das kleine verschmäht, wird das großer nicht“. - Dieses Sprw. erfuhr später noch einmal eine Umdeutung: Der Hund darf kein Leder fressen, tut er es doch, wird er gestraft. Hier beginnt nun wieder im Anschluß an Stellen wie Theokrit und Horaz die spätere Fassung ihre Bestätigung zu bekommen: ,Cams assuetus corio4 und ,axuTouç ëvexa öepeioa xüoov, éxeïvoç ôè oxiruoiopeï4 (Wenn man einen Hund prügeln will und will einen Grund haben, so muß er das Leder gefressen haben). Gemeint ist mit dem Leder fressenden Hund das Sichlosmachen von eingegangenen Verpflichtungen; das Tertium comparationis dürfte der lederne Riemen sein, an den der Hund gebunden war und den er nun zerbeißt. So z.B. in Freidanks Bescheidenheit1 (138, 17): Der hunt hat leder gezzen Do man dienstes vil vergezzen. Im ,Renner4 heißt es (V. 18365): swer triuwen und dienstes wil vergezzen / der spricht sin hunt hab leder gezzen. Bei Luther findet sich die Rda. wiederholt: „Aber es geht, wie man sagt, wenn man dem Hund zu will, so hat der Leder gefressen“. G. T. Pistorius bucht in seinem ,Thesaurus paroemiarum4 von 1715/25 „An Riemennagen lernen die Hunde Leder fressen“. Und J. H. Voß dichtet: „Hans, der Hund, den hängen man will, hat Leder gefressen“. Dagegen sagt das Sprw.: „Von geschmiertem Leder scheiden Hunde nicht gern, d.h. wer in einer günstigen oder scheinbar günstigen Abhängigkeit ist, wird sich nicht frei machen wollen. Den Hund vor dem Löwen schlagen: einen Schwächeren in Ggwt. eines Mächtigeren bestrafen, damit dieser sich eine Lehre daraus ziehe; später und sekundär: etw. Unsinniges tun. Varianten: Wenn man dem Löwen eine Lehre geben will, schlägt man den Hund auf die Schnauze (Wander II, Sp. 883, Nr. 1464 und III, Sp. 242, Nr. 108); frz.,battre le chien devant le lion4; ndl. ,Om den leeuw te bedwingen, slaat men het hondje klein4. Auf die Rda. bezieht sich auch eine Darstellung vom Brunnen auf dem Domplatz zu Perugia, von Niccolö von Pisa und seinem Sohne Giovanni 1277-1280 errichtet. Die Wndg. scheint zuerst bei dem hl. Ambrosius (,de Cain et Abel4 I, 13) vorzukommen: „caeditur canis, ut pavescat leo“. Von hier aus hat sich die Rda. in alle Sprachen Europas verbreitet. - Frühe Belege finden sich ferner in der ,Fecunda ratis4 des Egbert von Lüttich (um 1023): „Ceditur, ut feritas paveat, canis ante leonem44; bei Thomasin von Zercläre (1216) (,Der wälsche Gast4, ed. Rückert 1852, V. 12385): Der lewe der hät einen site, daz man im vüert einn hunt mite. Wan ob er ze deheiner stunt unreht tuot, man sieht den hunt; dâmit ist er gezühtigt wol, daz er tuot, daz er soi. In Freidanks Bescheidenheit4 heißt es: „Vohrhte machet lewen zam, êren beseme daz ist schäm44; in Lassbergs ,Liedersaal4 (III, 493, V. 37): Ir zürnen fircht ich alle tag, alsam der lew des hundez slag. Der andere Morolf (v. d. Hagen-Büsching: Dt. Gedichte des MA. 1, 5, 46) schreibt: Der hunt wirt czu wilen geschlan umb daz der lebe hat getan. Suchensinn, ein bair. fahrender Sänger gegen Ende des 14. Jh., schildert den Vorgang: Ein edler lewe an missetät die natüre in hertzen hät, wan sin meister vor im stät und siecht ein hündlin sere, zehant der lewe im vorchten tuot, dacz im betrüebet wirt sin muot (E. Pflug, Suchensinn, Breslau 1908, S.78, Nr. 6). 451
Hund Das in einer Karlsruher Hs. des 15. Jh. erhaltene Gedicht ,Von der Treu und Untreu1 faßt die vielen Schädigungen, die ehrenhafte Leute durch die Untreue erleiden, als eine Warnung auf, die Gott der ganzen Welt vorhält: Man siecht den hund dem lewen vor. Das geschieht durch dro: Got siecht also die werlt, Die mit mangen Sachen Die do ginnent swachen (A. v. Keller: Erzählungen aus altdt. Hss. 1855, S.631, 16). Auch in Luthers ,Sprichwörtersammlung* ist die Wndg. ,Hund fur dem lawen schla- hen4 verzeichnet. Shakespeare (,Othello4 II, 3) schreibt: „Ihr seid jetzt nur in seiner Heftigkeit kassiert; eine Strafe mehr aus Politik als aus Erbitterung, just als wenn einer seinen harmlosen Hund schlüge, um einen dräuenden Löwen zu schrecken“ und Chaucer (,Canterbury Tales4): „Um durch mein Beispiel andere zu bewahren, so wie den Löwen einst gewarnt der Hund“. Wo die Rda. in der neueren Lit. bezeugt ist 452
Hundert (z. B. bei Fischart u. a.), hat sie meist schon den Sinn eines unnützen Tuns angenommen, aber urspr. handelte es sich um einen tatsächlichen Realvorgang. Es gibt eine Abb. des 13. Jh. aus dem Skizzenbuch des frz. Baumeisters Villard (Album de Villard de Honnecourt, architecte du XIIIe siècle, Paris 1906, Blatt 24), die zeigt, wie man damals wilde Tiere domestiziert hat: Der Tierwärter schlägt angesichts des Löwen die beiden Hunde, um den noch wilden Löwen zur Raison zu bringen. Dressuren von wilden Tieren durch Hundegeheul hat es sogar schon in der röm. Kaiserzeit gegeben ; dieser Vorgang ist dann in die christl.-theologische Lit. übergegangen als rdal. Bild zur Warnung der Pflegebefohlenen durch das Beisp. bestrafter Sünder. Diese geistliche Auslegung verschaffte dem urspr. konkreten Vorgang eine bis ins 19. Jh.- reichende Popularität in den sprw. Rdaa. verschiedener europ. Völker. Aber zunächst hatte auch diese Rda. deutlich einen realen Vorgang als Ausgangspunkt. Wenn die Hunde mit dem Schwänze bellen: nie, niemals, /Buxtehude. Eine Fülle speziell schles. Sprww. und Rdaa. hat K. Ro- ther zusammengetragen, die nicht im einzelnen erörtert werden können. Nur eine kleine Auswahl soll hier ihren Platz finden: ,A bieder Hund werd salda fett4; ,a fragt an tuten Hund dernooch4; ,a frissts nei wie der Hund ’s Gespeite4; ,das kann ihm bekommen wie dem Hund das Grasfressen4; ,das mag der Hund nicht, und wenns mit Butter beschmiert ist4; ,Dr Hund werd dir was scheissa (niessa)4; ,Ich bien doch kee Hund, soo ichs riecha kennde4; ,ich bin em gram, wie anem Hund4; ,ich kann nicht allen Hunden Schuhe machen4. Ferner /Hundshaare, Hundeschnauze. Lit.: O. Weise: In die Wicken gehen, flöten gehen und Verwandtes, in: Zs. f. hd. Mdaa., 3 (1902), S. 211-217; J. Boite: Den Hund vor dem Löwen schlagen, in: Zs. f. Vkde. 16 (1906) S. 77-81; 32 (1922), S. 145; 37/38 (1927/1928) S. 19; A. Koskenjaakko: Koira suomalai- sissa ynnä virolaisissasanalaskuissa — Der Hund in den finn. und estnischen Sprww. (Helsinki 1909); K. Ro- ther: Hund, Katze und Maus im schles. Sprw., in: Mitteilungen d. schles. Gesellschaft f. Vkde. 26 (1926), S. 247-251; F. Brinkmann: Dev Hund in den rom. Sprachen und im Engl., in: Herrigs Archiv Nr. 46, S. 425-464; Singer III, 21, 99; M. Kuusi: Parömiolog. Betrachtungen, FFC 172 (Helsinki 1957), S.7ff.; B. Allen Woods: The devil in dog form, Folklore Studies 11 (Berkeley - Los Angeles 1959); W. Dickertmann: Auf den Hund kommen, in: Muttersprache, 69. Jg. (1959), S.287L; L. Röhrich u. G. Meinel: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S. 315, 317 f. hundert. Vom Hundertsten ins Tausendste kommen sagt man, wenn jem. bei einer Erzählung von seinem Stoff abspringt und abschweift und auch den neuen Faden wieder fallen läßt, um von etw. Drittem zu reden, was ihm gerade durch den Kopf geht, bis er nicht mehr weiß, wovon er eigentl. hatte sprechen wollen; als ob er nicht nur auf hundert, sondern schließlich gar auf tausend Dinge zu reden gekommen wäre. In Wirklichkeit ist etw. anderes mit den Worten gemeint, nämlich ein Irrtum beim Rechnen mit der vom Ende des 15. bis ins 17. Jh. viel benutzten Rechenbank, auf der waagrechte Linien gezogen waren, die den aufgelegten Marken (Rechenpfennigen) einen um je eine Dezimalstelle steigenden Wert gaben (,Rechnung auf den Linien4). Die Rda. lautet eigentl.: ,das Hundert in das Tausend werfen4. In dieser Form verzeichnet sie 1529 Joh. Agricola (Nr.429): „Er wirfft das hundert in tausent. Er mengt es in einander, Hundert sind das zehend teyl von tausent, vnd tausent ist ein größere zal denn hundert. Wer nun hundert zu tausent wirfft, vnd rechnet nicht darzwischen die andern hundert, als zwey, drey, vier, funff, sechsß, sieben, acht, neun hundert vnd als denn tausent, der macht es also, daß niemand weyß, was er rechnet oder redet. Darumb wirt diß wort gebrauchet widder die, so vil gewesch machen, vnd sagen vil, sie aber selbs wissen nicht, wo es hat angefangen, oder wo sichs endet, die es hören, auch nicht44. So gebraucht die Rda. auch Luther und bucht sie 1663 Schottel. Erst als man das Bild nicht mehr verstand, kam die heutige Form auf: „Da fieng er wieder an zu wüten und das tausendste ins hundertste zu werffen44 (Grimmelshausen, Simplicissimus4 I, 336); oder: „weil ich auch sonst in meinem Diskurs das Tausend ins Hundertste warf44 (ebd. II, Kap. 19, S. 154). „Doch lassen sie uns nicht das Hundertste ins Tausendste schwatzen44 (Lessing). Hundertfältige Frucht tragen beruht auf Matth. 13, 8. Auf hundert sein: sehr erbost sein; ähnl. auf hundertzehn sein: hergenommen aus der 453
Hundeschnauze Kraftfahrt: 100 bzw. 110 km Stundengeschwindigkeit entwickeln. Er ist ein Hundertfünfundsiebziger: Homosexueller; bezieht sich auf den § 175 des Strafgesetzbuches. Hundeschnauze. Er ist kalt (kühl, gleichgültig) wie eine Hundeschnauze ist eine erst in neuerer Zeit aufgekommene bildl. Rda. Eine Schichttorte aus Keks, Palmin und Schokolade heißt ,kalte Hundeschnauze4. Hundshaare. Hundshaare auflegen: einen Katzenjammer durch neues Trinken bekämpfen. Die Rda. entspricht urspr. tatsächlicher Volksmedizin: gegen den Biß eines tollwütigen Hundes soll das Auflegen des Hundehaares helfen, und zwar zunächst von demselben Hund, der gebissen hat. Nach dem Sympathieheilverfahren wird Gleiches durch Gleiches geheilt. Schon Plinius erwähnt: ,Aliqui . . . intus ipsius caudae pilos combustos insuere vulneri4. Die Anwendung dieses Heilmittels, das bereits in der Edda empfohlen wird (Hundehaar heilt Hundebiß), ist heute noch allg. verbreitet. Der Unterpfälzer Pfarrer Johannes Rhode aus Bischleben schreibt in seinem ,Neidhard4 (1582), nachdem er ausgeführt hat, wie der Neid- hard manchen unschuldigen Menschen mit seinen Hundszähnen beißt: ,,Etliche, damit sie iren Schaden heilen mögen, zausen sie dem neidischen Hunde den Beltz wider- umb redlich, und nemmen seiner Haar, drücken sie in ire Wunden, das soi auch helffen, dass die Wunde desto ehe heile. Ich habe solcher Hundeshaar, die den heissenden Hunden aussgeraufft sind, viel gesehen, aber zu Franckfurt auff der Messen sind ir viel zu verkäuffen“. Man hielt also damals Hundshaare feil. So scheint auch Luther den Heilvorgang aufzufassen, der in der Auslegung des 3. Kap. Joh. sagt (WA. XLVII, 67): ,,Wen man von einem tollen Hunde gebissen wird, so muss man Hundshaar wider aufbinden, so wird der Biss geheilet44; und ebenso steht in Christoph Lehmanns ,Florilegium Politicum4 (430): ,,Wer von Hunden wird gebissen, der heilts mit Hundsharen44. Noch im 19. Jh. schreibt Sachse (,Der deutsche Gilblas4, 1822, S. 163): ,,Ich fand, daß mich der Hund blu¬ tiggebissen hatte. Zum Glück fand sich unter den Gästen ein Balsamhändler, welcher mir seine Hülfe anbot, mir die Wunde auswusch, und, nachdem er Hundshaare mit Balsam darauf gelegt hatte, verband44. Die Rda. erhielt ihre heutige Bdtg. durch den Vergleich der Folgen unmäßigen Alkoholgenusses mit dem Biß eines tollen Hundes. Eine nette Schnurre erzählt Mel- chor de Santa Cruz de Duennas in seiner zum ersten Mal 1574 erschienenen ,Flore- sta espanola4: Ein Stadtschreiber von Toledo besuchte einen Kranken, der in dem Rufe stand, viel zu trinken. Er fragte, was zu seiner Heilung geschehe, und ihm wurde geantwortet, man habe ihm ein Pflaster von Weinlaub aufgelegt; da antwortete er: „Recht so; das ist das Haar von dem Hunde, der ihn gebissen hat“. Hier haben wir die Verwendung der Rda. in dem übertr. Sinne, den wir ihr auch heute noch geben. Aber schon bei Hans Sachs heißt es in seinem 1554 vollendeten Fastnachtsspiel ,Sant Peter leczet sich mit sein Freunden . . / (V. 63ff.): O wie war ich nechten so vol! Drumb thut mir hewt der Kopff nit wol. Kan mich schir weder puckn noch regen. Wil gleich des Hars heint überlegen Vom Hund, welcher mich nechten pais. Kain pessre Erzeney ich wais, Den ein Füll mit der andern vertreiben. Auch J. F. Jünger schreibt 1807 (,Fritz4, Bd.3, S.23): „Weißt du nicht, daß das den Hundsbiß kuriert, wenn man von dem Hunde, der einen gebissen hat, Haare auf die Wunde legt? Mit dem Weine muß mans auch so machen44. Die Rda. ist im Dt. bes. stark verbreitet, und sonderbar mutet uns an, daß Clemens Brentano in der ,Gründung Prags4 (1815) erklären zu müssen glaubt: „Von neuem trinken, um den Katzenjammer zu iiber- teufeln, heißt in derselben Sprache (nämlich in der der vollen Brüder) Hundshaare auflegen44. Hermann Kurz freilich scheint den Kontrast zwischen Hundshaaren und Katzenjammer zu fühlen, indem er dichtet (,Genzianen4, 1837, 225ff.): Ein Haar von der Katze, Die dich gebissen hat, Eine Kralle von der Tatze, Die dich gerissen hat, 454
Hunger Das nimm am frühen Morgen, Zu stillen deine Sorgen, Sei es nun Bier, Schnaps oder Wein, Nimm es zum Morgenessen ein. Hlindshaare einmengen, einem Hundshaare unter die Wolle schlagen: ihn betrügen; ei- gentl. den Stoff, den man für reine Wolle verkauft, durch Einmischung von Hundshaaren schlechter machen. Luther braucht in seinen Tischreden1 (479a) die Wndg. ,,Allerley Hundshaare mit hineinhacken44 in der Bdtg. etw. verderben, verschlimmern. Die mdal. ndd. Rdaa. ,Doar sünd Hunn’nhoar mank hackt4 und ,he hat Hunnehör tortwisken hackt' (Lippe) meinen: es ist Unfriede gebracht, Streit und Händel sind verursacht worden. Wie man am besten auf diese Weise Zwistigkeiten erregen zu können glaubte, wird in einer Hs. des Germ. Museums (Nr.3015a) aus der Zeit um 1600 beschrieben, wobei die Verwendung von Katzen- und Hundehaaren empfohlen wird: „Recipe katzenhaar, die langen, die vmb den mundt sind, vnd hundshaar desselbigengleichen, vnd wüerff sie zwyeschen die zwey wan sie essen oder mit eynander trincken vnd sprich darneben: ich beschwere euch bey alle den helli- schen Geistern, das ihr seit gute Freunde als katz vnd hundt“. Lit.: O. v. Hovorka u. A. Kronfeld: Vergleichende Volksmedizin (Stuttgart 1909), II, S.425L; A. Wesselski: Hundshaare und Katzenjammer, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 13-17. Hundshafer. Einem den Hnndshafer ausdreschen: ihm seine Grobheit durch eine entspr. derbe Behandlung austreiben. Urspr. war der ,Hundshafer1 die Bez. einer bes. Getreideabgabe, die zur Unterhaltung der herrschaftlichen Jagdhunde diente, für die Brot daraus gebacken wurde. (Campe, Wb., II, 804b). In der Rda. haben sich verschiedene Vorstellungen gemischt: das Pferd und den Übermütigen ,sticht der Hafer'; bes. Grobheit wird nun auf den Genuß von Hundshafer zurückgeführt. Das Dreschen des Getreides erhält die übertr. Bdtg. von derber Züchtigung, wie z.B. bei Hans Sachs, der den Furchtsamen sagen läßt: „Das nicht dein Man kom in das Hauss vnd dresch mir den hundshabern auss44 (,Fabeln und gut Schwenck4, IV, XVIII, 1). Hundsloden. Hundsloden bekommen (kriegen): grobe Vorwürfe, Scheltworte zu hören kriegen, derb ausgescholten, gede- mütigt werden. Die vor allem ostmdt. Rda. ist seit dem Ausgang des 16. Jh. belegt und zuerst als,Loden eintragen4 bezeugt. Unter Loden sind bereits Grobheiten, böse Worte, die man einem anhängt, zu verstehen. Die Übertr. erfolgte vom groben Stoff, der aus Hundshaaren gefertigt ist, auf die Rede. In Konrad Vetters Übers, von Cam- pianus ,Schräckengast4 (B. C 3b) kommt schon Loden allein in verächtlichem Sinne vor: „so bald jhr auß solcher Gesellen eigner Bekandtnus jhre Practigen höret rauschen, vnd vermercket, wie sie disen gant- zen Loden vnnd witzlosen gespunst, zu ewerm selbs eignen Verderben geworcken, wurdet jhr als hertz- vnd gewissenhafte Männer, Haspel vnd Streu, Loden vnd Weber, Lehr vnd Lauren zusammen nemmen, vnnd jhnen das Ofenloch fürderlich zeigen vnd weisen lassen44. Bei Hayneccius erfolgt dann zuerst die Steigerung zu ,Hundsloden4. Lit.: A. Götze in: Mitteilungen des Vereins für sächs. Vkde. (1898), Nr.6 (einige Belege); ders.: Alte Rdaa. neu erklärt, in: Zs. f. dt. Wortf. 4 (1903), S.332. Hunger. Zur Kennzeichnung eines starken Hungergefühls gibt es in Umgangssprache und Mdaa. eine Fülle von rdal. Vergleichen, von denen hier nur eine Auswahl geboten werden kann: ,Hunger haben wie ein Löwe4, ,Bär4, ,Wolf4, ,Werwolf4, ,wie eine Kirchenmaus4, ,wie ein Geißhirt4; ,Hunger ausstehen, daß einem die Schwarten krachen4 (Abraham a Sancta Clara); ,er hat Hunger wie ein Offizier und Tractament wie ein Gemeiner4,,Hunger wie ein Staar4 ; ,er könnte sich selber vor Hunger auffressen4; ,das ist ein Hunger, der einen Panzer (Harnisch) bricht4; ,der Hunger guckt ihm zu den Fenstern (Augen) heraus4; ,der Hunger treibt ihn aus dem Bett4; ,er hat Hunger für zehn4; ,er kann vor Hunger nicht kacken4; ,Hunger bis unter beide Arme4; ,Hunger bis in den dicken Zeh4. Das Sprw. .Hunger ist der beste Koch4 läßt sich schon in Freidanks .Bescheidenheit4 (124, 17) nachweisen. ,Der Hunger treibt’s rein!4 sagt man iron, bei gutem Essen. 455
Hungerpfote Hungerpfote. An den Hungerpfoten saugen: Hunger leiden; zuerst 1775 von Adelung gebucht (,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches1, II, 1329) mit der Erklärung: ,,eine vermuthlich von dem Bär entlehnte Figur, der im Winter seine Nahrung aus seinen Tatzen sauget“. In Seb. Brants ,Narrenschiff1 (70,21) wird von einem, der den Sommer über faul gewesen ist, gesagt, daß er sich den Winter hindurch schlecht behelfen müsse: und an dem doppen (,Tappen1) sugen hert, biß er des Hungers sich erwert. Hans Sachs verwendet das Bild: ,,die be- renklewen saugen“ (,sich etw. aus den /Pfoten saugen'). 17, S.79f.) heißt es:,,Darin (in der Fastenzeit) eszen sie 40 tag kein fleisch, auch nit milch, kesz, ayr, schmalz, dann vom remi- schen stuel erkaufft. Da verhüllt man die altar und hayligen mit einem tuech und last ein hungertuech herab, daz die syndige leut die götz nit ansehen“. In den Predigten Geilers von Kaisersberg über das ,Narrenschiff heißt es: ,,Dich soll leren das Hungertuch, so man ufspannt, Abstinenz und Fasten!“ Der liturgische Brauch, während der Fastenzeit in den Pfarr- und Klosterkirchen des Abendlandes große, oft mit Passionsbildern geschmückte Tücher urspr. vor, später über den Hauptaltar zu hängen, ist bis auf das Jahr 1000 zurück nachweisbar. Das Volk nannte diese Velen ,Hun- |V £>£**' fwvir luvM i « M#WMiN7»! UV* N0V* , j !vj vi.Mjvrii VNCOttNT A UCf 1 m it: Hg ' * vvr !»fv m c m r- J r.% .. t iS» ;Ü| Br Söff mmm Hungertuch (,Am Hungertuch nagen') Hungertuch. Am Hungertuch nagen: hungern, darben, ärmlich leben, sich kümmerlich behelfen. Das Wortbild geht auf das ma. Fastenbrauchtum der Altarverhüllung durch ein Fastenvelum zurück, das sich später zum Symbol des Fastens und der Buße wandelte. Wenn am Mittwoch der Karwoche das Wort aus der Passion erklang: ,et velum templi scissum est medium' - und der Vorhang des Tempels riß mitten durch -, wurde das Hungertuch - ein blauer oder schwarzer Vorhang - herabgelassen. In einer alten Beschreibung dieses Brauches aus Augsburg (,Germania' gertiicher', ndd. ,Smachtlappen', weil sie am Aschermittwoch den Beginn der Fastenzeit, die früher tatsächlich eine Hungerszeit war, anzeigten. 1472 stiftet der Zittauer Gewürzkrämer Jakob Gürtler zum Andenken an die jüngst verflossene Hungersnot der Johanniskirche ein Tuch, das gleichfalls den Namen ,Hungertuch' erhält. Im 16. Jh. treten die Wndgn. auf: ,am Hungertuch flicken' oder ,nähen'. In einer Schrift über die Geldnöte in Dtl. nach dem Dreißigjährigen Kriege steht: ,,So hab ich auch ehrliche Freund, die wol ein stuck 456
Hut Brod zehren vnd anderen mittheilen kön- den, wann jhnen anderwerts mit der Schuldigkeit auch beygehalten wurde, in deren verbleibung müssen Sie an dem hungertuch nähen“. Auch bei der heutigen Form: ,am Hungertuch nagen4, die schon Hans Sachs und Fischart brauchen, ist,nagen4 wohl aus ,näjen4 = nähen verdreht. Der Gedanke an die urspr. kirchliche Verwendung des Hungertuchs geht dann verloren: ,,denen an dem Hunger-und Kummertuche nagenden creditoribus44 (Eisenachische wöchentliche Nachrichten, 1753, Stück 25) und in Freiligraths Gedicht ,Aus dem Schlesischen Gebirge4 von 1844: Dann trät’ ich (der Weberssohn) froh ins kleine Zimmer Und riefe: Vater, Geld genug! Dann flucht’ er nicht, dann sagt’ er nimmer: Ich web’ euch nur ein Hungertuch. Während das kirchliche Fastenbrauchtum nach der Reformation in allen dt. Landschaften allmählich einging, hielt man in Westfalen zäh an der Überlieferung fest, ja im Münsterland und am benachbarten Niederrhein begann noch Ende des 16. und Anfang des 17. Jh. eine neue Blütezeit der Hungertücher. Sie sind ein charakteristischer Beitrag Westfalens zur dt. Volkskunst. Das Wort ,Hungerdoek4 wird in Münster erstmalig bereits im Jahre 1306 erwähnt. Der westf. Volksmund sagt ,dat Hongerdoek ist fallen4, die Fastenzeit ist beendet. Lit.: K. Brunner: Das Hungertuch in Telgte in Westfalen, in: Zs. f. Vkde. 21 (1911), S. 321-332; J. Emming- haus: Die westf. Hungertücher aus nachmittelalterlicher Zeit und ihre liturgische Herkunft (Diss. Münster 1949); P. Engelmeier:Vtzs\l. Hungertücher vom 14. bis 19. Jh. (Münster 1961). hüpfen. Das ist gehupft, wie gesprungen: da ist kein großer Unterschied, das bleibt sich gleich, eins wie's andere; meist in mdal. Formen, z. B. ndd. ,Das ist gehuppt wie gesprungen4, schwäb. ,des isch ghopft wie gsprunge4. Auch andere Rdaa. drücken aus, daß zwei Wege zur Erlangung eines Zieles gleich gut oder gleich schlecht sind: ,Das ist Jacke wie Hose4 (/Jacke), ,das ist Wurst wie Schale4 (/Wurst). Bei dem ,,Dreimalheilig44 im Gebete Ke- duscha wird nach rabbinischer Vorschrift ein wenig in die Höhe gehüpft. Der Magen Awraham § 125 schreibt im Namen des Tanchuma: ,,Es heißt (Jesaja 6,2): ,Mit zweien schwebt er4 (der Seraph): Daher haben die Weisen vorgeschrieben, daß man, während man kadösch (heilig) sagt, auf den Füßen sich schwebend halten soll, aber nicht wie die tun, welche hüpfen und springen44. Der Volkswitz benutzte dieses, und um zu sagen, daß es einerlei sei, ob etw. so oder so geschehe: ,Kodausch gehuppt, kodausch gesprungen!4 (hüpfen und springen ist so ziemlich einerlei). Drauf huppen gebraucht der Volksmund für das Annehmen eines betrügerischen Vorschlags, wobei urspr. wohl an einen Vogel gedacht ist, der auf die Leimstange hüpft und daran kleben bleibt (/Leim). Lit.: Eiselein: Die Sprww. und Sinnreden des dt. Volkes (Freiburg 1840). husten. Auf etw. husten: etw. verachten, mit Gleichgültigkeit behandeln; die Wndg. findet sich schon bei Luther. Einem etw. husten: ein Verlangen abweisen; ,,Hust ihm was; pfeif ihm was, pfui ihm was44 (Lenz: ,Der Hofmeister4, 1774, V, 6). Man darf nicht einmal husten: man muß sich äußerst vorsichtig, ruhig verhalten. Hut. Volkskundlich bedeutsam sind die Funktionen der Kopfbedeckung oder die Bdtg., die man ihr beimißt, sowie auch die Werte und Glaubensvorstellungen, die sich mit ihr verbinden. Mit der Kopfbedeckung kann vieles ausgedrückt werden: die soziale Stellung, das Amt, das Alter, das Geschlecht, die Religionszugehörigkeit, ja sogar die Gefühle von Freude und Schmerz (Wildhaber). Aus diesem unbewiesnen Grunde Hat alle Zeit und jedes Land Witz, Vorrecht, Herrschaft, Ruhm und Freiheit Allein dem Hute zuerkannt. (Joh. Christian Günther, 1695-1723) Der Hut vertritt gewissermaßen die ganze Person, wie z. B. in den Sprww. und Rdaa.: ,Sieh dir den Hut an, den ich trage, ehe du um meinen alten bittest4, d.h. was soll ich dir geben, da ich selbst nichts habe. Einen geborgten Hut tragen: in Schulden stecken, Der Hut gehört nicht auf einen solchen 457
Hut Kopf: was er sich anmaßt, steht ihm nicht zu. Jetn. eins auf den Hut geben, derber einem auf den Hut spucken: ihn zurechtweisen; eins auf den Hut kriegen: getadelt werden. Hut steht in diesen Wndgn. bildl. für ,Kopf\ wie auch Lehmann S.201 anführt: „Man schlägt den Hut und meint den Kopf“; vgl. ,eins auf den Deckel kriegen4; ,einem auf den Deckel spucken4 usw. Nicht richtig unterm Hut sein: geistesgestört, verrückt, nicht recht bei Verstand sein. Ein alter Hut: eine altbekannte Tatsache, Langgewohntes; Bekanntes, als Neuigkeit vorgebracht; ein veralteter Witz. Etw. aus dem Hut machen: etw. improvisieren. ,Das kannst du einem erzählen, der den Hut mit der Gabel aufsetzt4, das erzähle einem Dummen, aber nicht mir. Im Rechtsbrauchtum hat der Hut eine wichtige Stellung. Er ist ein Wahrzeichen der Herrschaft, ist Feld- und Hoheitszeichen. Daß der Hut schon in früher Zeit das Zeichen und Vorrecht des freien Mannes war, wissen wir. Es trugen ihn die Könige, die Adeligen und die Priester, und so war er zunächst ein Rang- und Standesabzeichen. Für den Hut als Symbol der Herrschaft ist der Geßlerhut das kennzeichnendste Beispiel geworden. In seinem ,Chronicon Helveticum4 berichtet der Schweizer Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi (1505-72): Der Landvogt Gessler „ließ umb S. Jacobstag zu Altdorff am Platz bi den Linden / da mengklich für gon mußt / ein Stangen uffrichten / und ein Hut oben druff legen / und ließ gebieten mengklichen / im Land wonhafft / bi Ver- lierung des Guts und einer Lib-Straff / daß jeder so da fiirgienge / sölte mit Neigen und Paret abziehen Eer und Reverentz be- wisen / als ob der Kiinig selbs / oder Er an siner statt persönlich da wäre / und hat dabi ein stäten Wächter und Hüter bi Tag Zit sitzende / uffzesechen / und die anzege- ben / die dem Gebott nit statt tättind“. Das Hutabnehmen gilt nach alter Auffassung als ein Zeichen der Lehenshuldigung. Der Hutgruß ist also urspr. Demütigung des Untergebenen. Es gilt als besonderes Vorrecht, den Hut in Gegenwart des Herrschers aufbehalten zu dürfen. Schiller in ,Piccolomini4 (IV, 5): Des Menschen Zierat ist der Hut, denn wer Den Hut nicht sitzen lassen darf vor Kaiser Und Königen, der ist kein Mann der Freiheit. Schiller denkt hier an das wohlverbriefte Recht ma. Adliger, bedeckten Hauptes vor ihren Fürsten zu erscheinen. Die Sitte des Hutabnehmens beim Gruß blickt auf ein relativ junges Alter zurück. Der älteste Beleg scheint eine Stelle im ,Wigalois4 des Wirnt von Grafenberg aus dem Jahre 1204 zu sein, in der es von der Begegnung zwischen einem Edelknaben und einem Junker heißt (41, 12): Und als er im so nähen quam, sinen huot er abe nam; hie mit êret er in also der junkherre gruozt in do. R. Hildebrand hat das Aufkommen dieser Grußsitte aus dem höfischen Brauchtum des MA. abgeleitet, wonach der Lehensmann bei seinem Lehensherrn die Rüstung und Wehr, also auch den Helm abzulegen hatte. In der bürgerlichen Kultur des ausgehenden MA. wurde diese urspr. kriegerische Helmsitte auf den friedlichen Filzhut übertragen. Mit diesem höfisch-ritterlichen Brauchtumselement verband sich aber doch wohl noch eine religiös-kultische Forderung, die bereits bibl. vom Apostel Paulus folgendermaßen formuliert worden war (1. Kor. 11,4): „Ein jeglicher Mann, der da betet oder weissagt und hat etwas auf dem Haupt, der schändet sein Haupt“ und (1. Kor. 11,7): „Der Mann aber soll das Haupt beim Beten nicht bedecken, sintemal er ist Gottes Bild und Ehre44. Das Ablegen von Hut, Handschuhen u. Mantel wird schon um 1270 von Konrad von Haslau in seinem Jüngling4 als Höflichkeit empfohlen; von einem jungen Mann ohne Bildung heißt es dort: Handschuoh, swert, mantel, huot treit er bi den gesten und bi künden . . . ez waer im êrsam unde guot, züg er abe mantel unde huot. Das Abnehmen des Hutes schwächte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer reinen Höflichkeitsbezeigung ab. Durch Ziehen des Hutes grüßte man bald nicht nur den 458
Hut Vorgesetzten, sondern auch den Gleichgestellten, und schließlich dankt man auf diese Weise sogar für den Gruß des Untergebenen. Das Sprw. rühmt den stets Grußbereiten: ,Hut in der Hand, hilft durchs ganze Land4; ,Mit dem Hut in der Hand kommt man weiter als mit dem Hut auf dem Kopf. Joh. Balthasar Schuppius faßt die Volksmeinung bereits 1684 in die Worte zusammen: ,,Gute Worte im Mund und den Hut in der Hand, das kostet kein Geld und bringet einen ehrlichen Kerl oft sehr weit“. Wie bereits im 17. Jh., so rät auch heute noch das Sprw. ,Greif geschwind zum Hut und langsam zum Beutef. Er hat Vögel unterm Hut sagt man spöttisch von einem, der zu faul oder zu tölpelhaft ist, durch Abnehmen des Hutes zu grüßen; öfter noch: Er hat Spatzen, Sperlinge, Schwalben unterm Hut (erst aus dem 17. Jh. belegt). Man muß den Hut vor ihm abnehmen, ebenso Hut ab!: man muß Respekt, Achtung vor ihm haben. Vor dem nehm ich den Hut nicht ab!: ich habe keine Achtung vor ihm. Andererseits warnt die sprw. Rda., den Hut vor jedem Laternenpfahl abzunehmen: unterwürfig zu sein. uaup aajuit j(piu uajjoct a)do$ ajjjg (Alles) unter einen Hut bringen (wollen): alle Meinungen und verschiedene Ansichten zu vereinigen suchen; unter einen Hut kommen: einig werden. Man braucht hier Hut nicht als bildl. Bez. für ,Herrschaft1 aufzufassen (wie es der von Geßler im ,Tell4 aufgesteckte Hut ist und wie dies von hier aus wohl auch in den Sprachgebrauch des 19. Jh. eingegangen ist; z. B. H. v. Treitschke ,Dt. Geschichte im 19. Jh/, II, 376: ,,Die bigotten Kurtrierer kam es hart an, dass sie mit den protestantischen Kat- zenellenbogern unter einen Hut gerieten“). Hut ist hier ein Bild für die gemeinsame Zusammenfassung vieler Köpfe; ähnl. wie es schon in Wolfram von Eschenbachs Epos ,Willehalm4 (29, 10) zur Bez. einer geringen Anzahl von Streitern heißt: die der marcgräfe fuorte, die möht ein huot verdecken. Wie im öffentl. Leben, so war der Hut auch in der Ehe ein Wahrzeichen der Herrschaft. Im älteren Hochzeitsbrauchtum bekam die Braut gelegentlich den Hut des Mannes aufgesetzt zum Zeichen, daß sie in seine Gewalt überging, oder die Braut gab dem Bräutigam bei der Hochzeit einen Hut zum Zeichen, daß der Mann in der Ehe den Vorrang haben solle. In Schwaben trug an einigen Orten der Bräutigam am Hochzeitstag einen hohen Hut, den er den ganzen Tag aufbehielt, außer wenn er in die Kirche ging. In den Rdaa. wird dieser Zustand mit der Feststellung umrissen: Die Frau hat den Hut auf: sie hat die /Hosen an, d. h. sie verfügt über die Herrschaft in der Ehe. Der Dichter Friedrich Hagedorn (1708-54) berichtet darüber: Der Mann ward, wie es sich gebühret, Von seiner lieben Frau regieret, Trotz seiner stolzen Männlichkeit! Die Fromme herrschte nur gelinder! Ihr blieb der Hut und ihm die Kinder. Jedenfalls gilt der Hut auch im privaten Leben als ein Zeichen sozialen Prestiges und der Männlichkeit. Das Sprw. sagt ,Ein Hut ist mehr als hundert Hauben4, oder ebenso: ,Hut geht vor Haube4. Eine alte Form der Einsprache gegen die Ehe war das Werfen des Hutes oder der Mütze. Wenn im Ha- nauischen bei einer Eheverkündigung von der Kanzel eine Frau Einsprache erheben wollte, mußte sie ihre Mütze abnehmen 459
Hut und in die Kirche werfen. Die Rda. ,'s Hüetl eini werfen4 bedeutet: die Heirat rückgängig machen. Eines Hütchens (etwa wie man es noch als Würfelbecher benutzt finden kann) bedienten sich einst die Taschenspieler bei der Ausführung ihrer Kunststücke, weshalb sie Johann Fischart ,,blindmeuß und hiitlinspiler44 nennt. Das ,mit eim huetlin decken4 von betrügerischen Kunstgriffen der Gaukler und Spielleute findet sich schon bei Walther von der Vogelweide (37, 34): genuoge hêrren sind gelîch den gouglaeren, die behendeclîche kunnen triegen unde vaeren, der spricht: ,sich her, waz ist under disem huote?4 nu zucke in üf, da stêt ein wilder valke in sinem muote. Zuck üf den huot, so stêt ein stolzer pfawe drunder, nu zucke in ûf, dâ stêt ein merwunder; swie dicke daz geschieht, so ist ez ze jungest wan ein kra. Das Wort begegnet auch bei Luther und bes. in Murners ,Narrenbeschwörung4 (55, 3): „Sy kynnent under dem hütlin spilen“; und (55, 19): Der Herren untrüw ist zu vil, Die nennent sy des hütlin spil. Ach gott, wer der im pfeffer landt, Der das spil zuerst erfand. Daß diese ,Spieler4 die zur Täuschung bestimmten Sachen mit dem Hute, der ja auch bei heutigen ,Zauberern4 noch seine Rolle spielt, zudeckten, erhellt aus Murners ,Narrenbeschwörung4 (67, 17): Wie wol sy es alles anders nenten Und kynnents mit eim hütlin decken, Das nit die wucher zen (Zähne) erblecken (sichtbar werden). Die im 16. Jh. sehr gebräuchl. Rda. unterm Hütlein spielen: betrügen, findet sich auch bei Luther. Abraham a Sancta Clara schreibt (Judas4 I, 45): „Du wirst zu Hof sehen lauter Hüter, aber nur solche, die unter dem Hütel wissen meisterlich zu spielen44. Ähnl. altbair.: „ein Richter, der das recht verkürzt und ein hütlein darüber stürzt44; etw. abweichend: „wenn man einen armen das recht verquent und im ein hütlein für die äugen went44. Eine andere Deutung versucht G. Jungbauer im HdA.: Danach war der Hut auch ein Sinnbild der Übertragung von Gut und Lehen. Der Übertragende oder an seiner Statt der Richter pflegte den Hut zu halten, der Erwerbende hineinzugreifen oder einen Halm hineinzuwerfen. Das .Greifen in den Hut4 scheint aber noch früher auch den Sinn des Verschwörens gehabt zu haben. Die miteinander ,in den Hut griffen4, verschworen sich zusammen. Daher entspricht auch die Rda. .unter dem Hütlein spielen4 dem lat. .conspirare inter se4. Sich etw. an den Hut stecken können: etw. aufgeben müssen; auf etw. keinen Wert legen. Das kannst du dir auf den Hut stecken!: das kannst du behalten, Ausdr. einer groben Abweisung. Die erst seit dem letzten Drittel des 19. Jh. aufgekommene Rda. kommt vermutlich von der Sitte der zum Militärdienst ausgemusterten jungen Leute, sich Papierblumen auf den Hut zu stecken. Andererseits spielt der mit Bändern, Liebeszeichen, Trophäen, Erinnerungsstük- ken besteckte Hut im älteren Festbrauchtum schon eine weiter zurückreichende Rolle, wofür lit. Zeugnisse sprechen: Wilhelm Hauff (1802-1827) erzählt: Als ich zur Fahne fortgemiißt, Hat sie so herzlich mich geküßt, Mit Bändern meinen Hut geschmückt. Ähnl. schon bei Joh. Heinrich Voss (1751-1826): Mit Eichenlaub den Hut bekränzt! Wohlauf und trinkt den Wein! Ebenso auch bei Ludwig Uhland: 460
Hutschnur Wohl jauchzen die andern und schwingen die Hüt\ Viel Bänder darauf und viel edle Blüt\ Bezeichnend ist auch, wie einer den Hut aufsitzen hat. Aus der Art, wie ein Hut getragen wird, kann man auf die Gesinnung des Trägers schließen: ,,Wie einem der Hut stehet, so stehet ihm auch der Kopff" (Lehmann, 429, 10). Wer ein schlechtes Gewissen hat, sich nicht sehen lassen will oder sich schämt, zieht den Hut tief ins Gesicht. Den Hut nach dem Wind rücken: den /Mantel nach dem Wind kehren; den Hut nicht recht aufgesetzt haben: einen kleinen Formfehler begangen haben. Den Hut auf elf (halb acht, halb zwölf, halb dreizehn) setzen (aufhaben): etw. getrunken haben. ,Dem steit de Haut op halwer achte1 sagt man in Westf. von einem Betrunkenen; in gleicher Bdtg. obersächs. ,Den Hut schief aufhaben, auf dem Ohre, auf der Dam- michseite sitzen haben4. Da geht einem der Hut hoch ist eine junge Rda. zur Bez. großen Erstaunens (in ähnl. Sinne wie: ,Da platzt einem der Kragen'). In einem Lobgesang auf die Kunst der Leineweber aus dem 17./18. Jh. findet sich die Aufforderung: Setzt den Hut frei nach der Seiten! Fragt, wo ist das beste Bier? Ein Böhmerwälder Volkslied bringt diese verschiedenen Möglichkeiten, den Hut aufzusetzen, in anschauliche Verse: Und wann i mai Hüaterl grad aufsitzen hab, Da woas ’s schon a jeder ganz gwiß: Da bin i net freundli, da bin i net grob, Grad daß mir halt alles oans is. Und wann i mai Hüaterl am Ohr sitzen han Und juchez hellauf über d’Höh: Da wissen’s die Deandla weit und broat schon, Dass i heut no fensterlen geh’. Aber hab i mai Hüaterl ins Gsicht einizogen, Gottswilln fangts mit mir nix an! I tua’s a mit zwoa Dutzat Buama glei wagn Und hauat in Teufl davon. Doch wann i amol stirb, gelts, dös oani tuats ma no, Dös Hüaterl, dös grabts aa mit ein! Dann halt i’s in Händn und klopf halt drobn an, Liaba Petrus, mach auf, lass mi ein. Ferner /Haube, /Kopf. Lit.: O. Timidior: Der Hut und seine Gesch. (Wien - Leipzig o. J.); HdA, IV, Sp. 513-543 Art. ,Hut‘ von G. Jungbauer; Ciba-Rundschau Nr. 31 (1938): Der Hut; R. Hadwich: Die rechtssymbolische Bdtg. von Hut und Krone (Diss. Mainz 1952); B. Schier: Der Hut als Spiegel der sozialen Stellung u. seelischen Haltung seines Trägers, in: Zs. f. Vkde. 50 (1953), S. 261-270; M. Harrison: The history of the hat (London 1960); R. Wildhaber: Kopfbedeckungen aus Europa, Führer durch d. Museum f. Völkerkde. u. Schweiz. Mus. f. Vkde. (Basel 1964). Hut. Die Hut bedeutet u.a. die Soldatenwache im Felde außerhalb des Heeres; /Vorhut. Dazu eigentl.: auf der Hut sein, und weiter verschoben: auf seiner Hut sein: vorsichtig handeln. Einem Hut und Weide aufsagen: einem kündigen. Hutschnur. Das geht über die Hutschnur: das ist zu arg, das geht zu weit, ist zu toll; das geht über das erträgliche Maß hinaus; z.B. (thür.) ,bis über die Hutschnur in Schulden stecken4. Die sinngleiche Wndg. ,bis über die /Ohren in Schulden stecken1 weist auf die Vorstellung, daß man in einem Sumpf versinkt. Frühere Erklärer faßten dementsprechend auch ,über die Hutschnur' auf als komische Steigerung von ,es geht bis an den Hals'. Gemeint sei wohl eigentl. die unter dem Kinn herumlaufende, den Hut am Kopf festhaltende Schnur. Inzwischen ist aber zu dieser Rda. ein interessanter alter, allerdings bis jetzt vereinzelter Beleg aufgefunden worden: Eine Urkunde aus Eger vom Jahre 1356 enthält einen Vertrag über die gemeinsame Benutzung einer Wasserleitung, die durch mehrere Grundstücke geht. Die ersten Anlieger, so heißt es dort, sollen nicht mehr Wasser nehmen, als sie zum Trinken und Kochen nötig haben ,,vnd des selben wazzers schol in niht mer noch dicker auz den roeren gen, danne ein hutsnur“. Die Hutschnur ist hier also ein Dicke-Maß: Die Stärke einer Hutschnur dient als Maß für fließendes Wasser, und wenn es ,über die Hutschnur geht', so handelt der Nutznießer gegen die Verein¬ 461
Hütte barung, also unrecht. ,Über die Hutschnur* meint schon in dieser alten Urkunde: über das Rechtmäßige hinaus. Die heutige Auffassung denkt bei der Rda. freilich an eine wirkliche Hutschnur; das beweist die abgeleitete Nebenform ,das geht über den Hutrand*; vgl. ,das geht über den /Span*. Lit.: K. Gleissner: Das geht über die Hutschnur, in: PBB. 58 (Halle 1934), S.296f. Hütte. Hütten bauen: sich niederlassen; verkürzt aus der längeren Wndg.: Hier ist gut sein, hier laßt uns Hütten bauen. Es handelt sich hierbei um ein volkstümlich vereinfachtes, d.h. verballhorntes Zitat nach Matth. 17,4: ,,Herr, hier ist gut sein; willst du, so wollen wir hier drei Hütten machen; dir eine, Mose eine und Elia eine**. Er hat seine Hütte niedergebrannt, damit ihn die Flöhe nicht beißen: er hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die ndl. Wndg. ,he heft alle Hött on Pött voll* bedeutet: er hat Hütte, Haus und alle Räume voll besetzt. u i. Der i-Laut kann in der Volkssprache verschiedene Stimmungen ausdrücken. In der ndd. Rda. ,dat is nich i un nich fi* (d.h. nichts Entschiedenes) meint i Freude und fi Abscheu. Da fehlt auch nicht das Pünktchen auf dem i: es ist alles vollkommen und vollständig. Ebenso bez. das Tüpfelchen auf dem i* einen hohen Grad von Genauigkeit. Bis aufs letzte i-Tüpfelchen: bis aufs letzte, sorgfältig, genau; ähnl.: ,kein Jota* oder: ,nicht ein Jota*. Die Wndg. beruht auf Matth. 5, 18: ,,Denn ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel (= Strichlein) vom Gesetz, bis daß es alles geschehe** (griech.: ,,iu)ia ëv fj pia xepccla“; Vulgata: ,,iota unum aut unus apex“). ich. Das liebe Ich wird iron, der Urheber egoistischer Bedürfnisse und Wünsche genannt. Einen engen Freund nennen wir lat. unser ,Alter ego* = das zweite Ich. Nach der ,Vita Pythagorae* von Porphyrius ist der antike Philosoph, Mathematiker und Physiker Pythagoras aus Samos (580-500 v.Chr.) der Schöpfer des Wortes (weitere antike Belege bei Büchmann, S.471). Davon wieder abgeleitet ist das bessere Ich. Doch sind beide Wndgn. nicht recht volkstümlich geworden; in dem Lied (1725) Sind wir geschieden Und leb1 ich sonder dich, Gib dich zufrieden. Du bleibst mein ander Ich ist die letzte Strophe volkstümlich umgesungen worden zu: Du bist mein einz’ges Ich. Idee. Keine Idee!: durchaus nicht! Starke Ablehnung wie: ,kein /Gedanke!*, seit der zweiten H. des 19. Jh.; verstärkt: keine Idee von einer Idee! ausgeschlossen. Eine Idee: eine Kleinigkeit, ein wenig; z. B. ,eine Idee weiter*. Keine Idee von eitler Ahnung haben: nichts wissen.,,Diese Menschen haben keine Spur von der Idee eines Gedankens“ (D. Kalisch, ,Die orientalische Frage*, 1853, S. 6). Das ist eine Idee von SSchiller: das ist ein guter Einfall. Scherzhaft-burschikose Profanierung des Schillerschen Ideenbegriffs; Erweiterung der Rda.: das ist eine Idee!. Ideen wie ein alter Eimer haben: wunderliche Einfälle haben; Parallel- bildungzu ,Einfälle wie ein alter /Eimer*. Igel. Das paßt wie der Igel zum Taschentuch (oder zum Handtuch)’, das eignet sich sehr schlecht zu einem bestimmten Zweck; die Rda. ist die höflichere Form für einen weit derberen Vergleich, der schon im 17. Jh. bezeugt ist: Passen wie der Igel zum Arschwisch: durchaus nicht passen; ebenso: pas- 462
Jahr sen wie der Igel zur Türklinke (20. Jh.). Höchstens landschaftlich noch gebräuchl. ist die seit dem 17. Jh. bezeugte Rda. Was hast du wieder für Igel zu bürsten?: was hast du für eine Beschäftigung vor?; rhein. ,Hast du all din Igel gebörstelt?', hast du deine kleinen Obliegenheiten geregelt? Saufen wie ein Igel, wohl mißverstanden aus: ,wie ein (Blut-)EgeI\ doch schon bei Joh. Fischart (1546-90): „Ich hab ein igel im bauch: der muß geschwummen haben“ (,Gargantua1 85a). Er hat einen Igel im Magen (der will immer schwimmen und stachelt, wenn es trocken ist): er ist immer durstig; frz. ,il a un hérisson dans le ventre, s’il ne boit, il le pique\ Aus einem Igel ein Stachelschwein machen: eine Kleinigkeit auf bauschen; viel Aufhebens machen. Innung. Die Innung blamieren: als einzelner durch schlechte Arbeit oder Verhalten die Kollegen bloßstellen. Die Innung, eigentl. der Zusammenschluß der Angehörigen eines bestimmten Handwerks, meint hier in übertr. Bdtg. auch die kleinere Ar- beits- und Berufsgemeinschaft; 20. Jh. (Küpper I, S.250). intus. Etw. intus haben: etw. im Magen haben; verstanden haben. Dem lat. ,intus' = innen, drinnen entlehnt; meint hier das, was einer im Magen oder Gehirn hat. Die Rda. ist wohl student. Herkunft und durch Berliner Vermittlung seit dem Ende des 19. Jh. (lit. bei Fontane) volkstümlich geworden (Küpper I, S.250). ja. Zu allem ja und amen sagen: mit allem einverstanden sein. Die Rda. ist ein abgewandeltes Bibelzitat aus 2. Kor. 1,20, wo es heißt: „Denn alle Gottesverheißungen sind Ja in ihm und sind Amen in ihm, Gott zu Lobe durch uns“; vgl. auch Matth. 5,37 und Offenb. 22,20. Ja und Nein an einem Spieße braten: ständig wechselnden Sinnes sein, was man heute verspricht, morgen zurücknehmen. Vgl. frz. ,11 a son dit et son dédit'. Jacke. Das ist Jacke wie Hose: eins wie’s andre; das macht keinen Unterschied. Die Wndg. ist schon im 17. Jh. belegt: ,,Erbar und Tugendhofft wird wul Jacke wie Hose seen“ (E. Herrmann: ,Goldenes Fließ1, 1676, S.72). Die Mdaa. kennen z.T. abweichende Varianten, z.B. ostpreuß. Jack wie Pigg (Wams)'; dort auch: ,een Jack, een Pack', gleiche Brüder, gleiche Kappen; schles. ,’s ist Jacke wie Hose und Strumpf wie Niederschuh'. Einem die Jacke vollhauen (auch aus klopfen, auswaschen): ihn verprügeln; ebenso auch Jackeîifett kriegen; /Wams. Sich die Jacke begossen (oder vollgesoffen) haben:sich betrunken haben. Ebenso einen unter das Jackett brausen: trinken. Es ist eine alte Jacke: eine alte, bekannte, veraltete Geschichte, abgedroschene Rede. Gemeint ist wohl, daß eine tagaus, tagein getragene Jacke schließlich eine gewohnte Erscheinung wird; ähnl. sagt man neuerdings ,das ist Harzer Käse', stinkt von allen Seiten. Aus der Jacke gehen: sich auf regen; aufbrausen; Parallelbildung zu: ,aus dem Anzug gehen'. Jaffa. In Jaffa liegen: ohnmächtig, krank oder tot sein. Die Rda. scheint in Dtl. auf Ostfriesland beschränkt zu sein (,he ligt in Jaffa'; vgl. aber ndl. ,hij gaat naar Jaffa'; ,hij is al in Jaffa'). Vermutlich liegt ein Wortspiel vor, wobei einerseits die Hafenstadt dieses Namens gemeint ist, in der viele dt. Orientfahrer früherer Zeiten gestorben sind; andererseits ein Wortanklang an ,jap- pen' = nach Luft schnappen. Jägerlatein /Latein. Jahr. Jahraus, jahrein: dauernd, immer; eigentl.: vom Ende des einen, des laufenden Jahres und weiter vom Anfang des folgenden Jahres an. Ähnl. Jahr für Jahr. Nach Jahr und Tag wird jetzt meist in dem allg. Sinn: nach geraumer Zeit, ziemlich lange danach gebraucht (Knut Hamsun hat einen Romantitel daraus gemacht), ist aber urspr. eine ma. Rechtsformel, die eine Frist von einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen festlegte, die verflossen sein mußte, um in den unangefochtenen Besitz einer durch Erbe oder Kauf erworbenen Sache zu gelangen. Es war eigentl. die Jahresfrist, innerhalb deren ein Recht verjährte, wenn 463
Jakob nicht Klage erhoben worden war. Da das ordentliche Landgericht (Echteding) seit der Zeit Karls d.Gr. alle 6 Wochen stattfand und jedesmal drei Tage dauerte, konnte die Klage längstens in einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen nach Entstehung des Anspruchs noch rechtzeitig erhoben werden. Daher auch das alte Rechts- sprw.: ,Jahr und Tag soll ewig gelten1. Jahr und Tag' war auch die Verjährungsfrist für der Herrschaft zu leistende Dienste. Der alte Rechtsspruch lautet: ,Versäumt die Herrschaft Jahr und Tag, so ist ihre Gerechtigkeit aus\ Solche Zugabefristen stek- ken auch in Wndgn. wie ,über acht Tage' — in einer Woche (7 + 1 Tag); frz.,quinze jours' = zwei Wochen (14+1 Tag). Dreißig Jahre und ein Tag überschritten die Dauer der Vollkraft der Mannesjahre, daher in Freidanks Bescheidenheit': nieman ritter wesen mac drîzec jär und einen tac, im gebreste muotes, lîbes alder guotes. Erst wer fünfzig Jahre und einen Tag gelebt hat, ohne gefreit zu haben, galt als Hagestolz; ,hundert Jahre und ein Tag' bedeutete soviel wie ewig; auf derselben Vorsicht, durch eine Zugabe das eigentl. Maß zu gewährleisten, beruht die Ehrensalve von 101 Schüssen, vgl. auch ewig und drei Tage (/Ewigkeit); Tausend und eine Nacht'. Zu (seinen) Jahren kommen: alt werden; die Wndg. ist urspr. ebenfalls eine Rechtsformel, die ,mündig werden' bedeutete; so schon im Sachsenspiegel'. Die altdt. Rechtssprache, genauer als die der Dichter, unterscheidet zuweilen und nimmt ,ze sinen jaren körnen' für das geringere, ,ze sinen tagen körnen' für das volle Mündigwerden. Von den ,sieben fetten Jahren und den sieben mageren Jahren' spricht man rdal. im Anschluß an den Traum Pharaos von sieben schönen fetten Kühen' und von ,sieben häßlichen und mageren Kühen', der von Joseph im Sinne der Rda. gedeutet wird (1. Mos. 41 ); vgl. engl. ,the fat years and the lean years'; frz. ,les bonnes et les mauvaises années'; ndl. ,vette en magere jaren'. Zwischen den Jahren: während der ruhigen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr; eine ungenaue Zeitangabe, die den Jahres¬ wechsel meint und sich auch auf die Zwölften (25. Dezember bis 6. Januar) beziehen kann. Jem. das neue Jahr abgewinnen: ihm mit den Glückwünschen zum Jahreswechsel zuvorkommen. Die im 19. Jh. aufgekommene Rda. fußt auf der Volksglaubensregel, daß man am 1. Januar etwaigen Unheilsanwünschungen zuvorkommen muß, damit man im neuen Jahr Glück hat. Diese Grundvorstellung ist bis zur Unkenntlichkeit überlagert von dem dörflichen Brauch, am Neujahrstag die Glückwünsche so rasch anzubringen, damit man das dem ersten Glückwünscher zustehende kleine Geschenk erhält. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer I, 306 f.; Ebel S. 7; HdA. IV, Sp. 593ff., Art. Jahr* u. Jahresanfang* von G. Jimgbauer; Küpper I, S.252. Jakob. Das ist der wahre Jakob: das ist der richtige Mann, das einzig Richtige, Gesuchte, das rechte Mittel. Die Rda. geht möglicherweise zurück auf den Apostel Jakobus, den Schutzpatron Spaniens, dessen Grab in Santiago de Compostela verehrt wird, eine der größten Wallfahrten vom MA. bis zur Ggwt. Die Spanienpilger mögen nun mit Geringschätzung auf diejenigen herabgesehen haben, die zu den Gräbern anderer gleichnamiger Heiligen pil- gerten (es gab auch falsche Jakobsgräber), weil sie die beschwerliche Wallfahrt bis nach Spanien scheuten. Möglich ist aber auch ein Bezug auf den als Esau verkleideten Jakob, der sich nach 1. Mos. 27,6ff. das Erstgeburtsrecht und den Segen seines blinden Vaters erschlichen hat. Iron, prägte man später die Rda. um: Du bist mir der wahre Jakob! Belegt ist die Rda. freilich erst seit dem 18. Jh.; Jacob Michael Reinhold Lenz (1751-92) sagt von sich selbst in einem Epigramm: Ich bin ihr wahrer Jakob nicht Und auch ihr deutscher Michel nicht, So rein und hold nicht wie der Lenz, Ich: Jacob Michael Reinhold Lenz, und Gottfried Keller schreibt in der Novelle ,Pankraz, der Schmoller' 1856: „Man dachte unverweilt, diese (Lydia) wäre der wahre Jakob unter den Weibern und keine bessere gäbe es in der Welt". Bekannt geworden ist die Wndg. dann auch 464
Johannes dadurch, daß sich Jahrmarktsverkäufer als ,wahren (oder: billigen) Jakob1 bezeichne- ten. Den Redeschwall ihrer Anpreisungen beschreibt anschaulich Georg Quiri 1912 in .Kraftbayrisch4 (S. 164ff.). Den billigen Jakob abgeben: sich als bequeme, unverdächtige Begründung darbieten. Bisweilen wird Jakob auch für ,Kopf gebraucht, so obersächs. ,eins auf den Jakob kriegen4. In Hamburg ist eine bekannte Rda.: ,dat is der nee Jakob mit der nee Mütz4; auch: ,dat is de ole Jakob met de nee Mütz4. Die Rda. hat ihren Urspr. darin, daß die alte Jakobskirche um das Jahr 1820 mit einem neuen Turm versehen wurde. Die Rda. meint Neuerungen oder Änderungen, die doch keine durchgreifende Verbesserungbedeuten. In Sachsen hört man auf die Frage: Jakob, wo bist du?4 die Antwort: .Hinterm Ofen und flick' Schuh!4. In Bayern nennen die Schmiede den alten großen Eisenhammer, den vor dem Niederschlagen viele hochziehen müssen, Jakob. Dt.: HdA. IV. Sp. 619ffArt. .Jakobus d.Ä.‘ v. A. Wrede: RGG3 III, Sp. 517ff. Art. Jakob' v. A. Weiser (mit weiterführender Lit.); Richter-Weise Nr.47, S. 50f.;/. Hüffer: Sant Jago. Entwicklung undBdtg. des Jacobuskultes in Spanien und dem Röm.-Dt. Reich (München 1957). Jan. Die ndd. Form für Johann hat sich in der Zusammensetzung Janhagel im 18. Jh. von Hamburg aus über Dtl. verbreitet. Janhagel4 ist seit dem 17. Jh. in Niederdtl. nachzuweisen, anfangs noch in zwei Wörtern geschrieben, auch der Hans Hagel, unter anderm mit der besonderen Bdtg.: gemein Bootsvolk4; der zweite Wortteil spielt auf das Fluchen des gemeinen Mannes an (Hagel!). Schon im 16. Jh. hat sich dummer Jan verbreitet, und bis ins 15. Jh. geht ,Schlendrianus4 zurück (Seb. Brant: .Narrenschiff4 110a, 163), ein humanistischer Wortscherz, zunächst abstrakt gemeint; vgl. .einen Schlendrian einreißen lassen4, bummelnde Gewohnheiten dulden, wobei aber doch auch wohl Jan schon Gevatter gestanden hat und woran sich bald Grobian, Stolprian, Urian, Dummrian usw. anschlossen. Joch. Im Joche sein: seiner gewohnten, festen Tätigkeit nachgehen; im Gegensatz zu freien Tagen und Ferien gesagt. Das Bild ist vom Zugvieh, dem Joch der Ochsen entlehnt. Ebenso auch: ins Joch der Arbeit ein- gespannt sein. An demselben Joch zieheti: dasselbe Schicksal mit jem. teilen; Gegensatz: das Joch abschiittehi. Im selben Sinne spricht man auch vom Joch der Minne4 und vom ,Ehejoch4 (vgl. den lat. Ausdr. für Ehe: .coniugium4, d.h. worth: Zusammen- jochung, die Vereinigung zu einem Paare); entspr.: ,sich ins Ehejoch, ins Joch der Ehe spannen lassen4. Nach Matth. 11,30 ,,Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht44 spricht man rdal. auch von einem .sanften Joch4; Gegensatz: ,ein schweres Joch4. Johannes. Dasiehen wie ein hölzerner Johannes /steif, plump und unbeholfen dastehen. Die heute nicht mehr geläufige Rda. bezieht sich auf die Holzbilder von Johannes dem Täufer, die in früheren Jhh. am 24. Juni in Stuben und auf Straßen gezeigt wurden und dem Volk bekannte Erscheinungen waren, auch, z.B. in Leipzig, Johannismännchen4 genannt wurden. Es ist allerdings auch nicht völlig ausgeschlossen, daß die Rda. in Beziehung zu dem weitverbreiteten Schwank vom ,hölzernen Johannes4 (AaTh. 1510) zu bringen ist, einer westeurop. Redaktion der .Matrone von Ephesus4, worin eine Frau den Körper ihres verstorbenen Mannes in Holz nachschnitzen läßt, um sich daran zu wärmen, wobei in den einzelnen Varianten der Name Johannes überwiegt. In denselben Zusammenhang mag dann auch der volkstümliche Spruch gehören: ,Wie die Nase des Mannes, so ist auch sein Johannes4, wobei Johannes hier das männliche Glied tabuiert umschreibt. Da der Johannistag durch die an ihm veranstalteten umfangreichen Feiern bes. für Kinder ein erlebnisreicher Tag war, kam in Sachsen die Rda. auf: laug wie ein Johannistag, zumal der 24. Juni ohnehin zu den Tagen mit der längsten Tageslichtdauer gehört. Diese Rda. wurde dann von der zeitlichen Ausdehnung bildl. auch auf die räumliche übertr.: ,er machte e Gesichte so lang wie der Johannistag4. Er ist immer Johannes in eodem /Matthäus. Dt.: K. Ranke: Der,hölzerne Johannes1, in; Rhein. Jb. f. Vkde. 4 (1953). 465
JOTT WE DE Jott we de /J. w. d. Jubeljahr. AUe(r) Jubeljahr einmal: in großen Zeitabständen; sehr selten. Das Jubeljahr oder ,Halljahr1 kehrte bei den Israeliten alle fünfzig Jahre wieder; es wurde durch Posaunenschall (hebr. jöbel = Widderhorn, dann: Freudenschall) dem ganzen Lande angekündigt (3.Mos. 25,8ff.). Es hatte den Zweck, gänzliche Verarmung zu verhüten, denn es stellte durch den Erlaß aller Schulden die annähernde Gleichmäßigkeit des Grundbesitzes sicher. Im Jahre 1300 stiftete Papst Bonifatius VIII. in Anlehnung an den alttestamentlichen Brauch ein Gnaden- oder Jubeljahr (Jubilaeus annus4 nach dem hebr. Namen mit Anlehnung an lat. iubilum = Jauchzen, Jodeln, wovon mittellat. jubilare = jubilieren stammt), das einen bes. hohen Ablaß brachte. Urspr. sollte sich dieses alle 100 Jahre wiederholen, doch verkürzte sich dieser Zeitraum bald auf 50, dann auf 33 und schließlich auf 25 Jahre. Später wurde der Ausdr., der auch die Bildung des Wortes Jubiläum4 mitbestimmte, auf andere Feiern übertr., die in größeren Zeitabständen wiederkehrten, und volkstümlich entstand die Rda. ,alle(r) Jubeljahre einmal4: ,,Ich sitze alle Jubeljahr hier, laßt mich nur sitzen; künftiges Jubeljahr will ich euch nicht mehr hindern44 (zum Jubelfest der Leipziger Universität 1609; ,Taubmanniana4 133). Lit.: RGG3 III, Sp. 799f., Art. Jobeljahr4 von E. Kutsch; ders.: Das Herbstfest in Israel (Diss. Mainz 1955). Judas. Der bibl. Judas Iskarioth aus der Leidensgeschichte Jesu (Matth. 26,25; 48f.) ist mit den Begriffen Judaskuß4 und Judaslohn4 sprw. geworden. Einen Judas nennt man danach einen falschen, verräterischen Menschen. Der Judaskuß4 ist schon früh lit. belegt. In Wolframs ,Parzival4 heißt es (321, 10): ime gruoz er mincn herren sluoc ein kus den Judas teilte, im solhen willen veilte und in der ,Zimmerischen Chronik4 (IV, 326): ,,Sic gab mir zu letst ain Judaskuß, als die frawen sein gewon44, d. h. sie verriet ihren Gatten an mich, ihren Liebsten, indem sie mich küßte. Alter Brauch ist das Judasjagen4, die lär¬ mende Jagd der Gassenbuben in der Osternacht, eigentl. hinter dem Judas des Passionsspiels herjagen; daher die Rda.: ,wie’s Judasjagen4; vgl. ,wie’s Teufelhaschen4. Ähnl. das Judasverbrennen4: ,Der Judas wurde verbrannt4 sagt man eis. beim Verbrennen alter Meßgewänder, Chorröcke und dgl. Die vor allem im Schrifttum des 16. und 17. Jh. sehr häufige sprw. Rda. den armen Judas singen (auch einem den Judas singen) bedeutet soviel wie: einen höhnisch schelten, verspotten, jem. die Hölle heiß machen. Den armen Judas singen müssen: in Armut, Not, Elend, in einen Zustand geraten, in dem man Klagelieder anstimmt. Zwei Belege enthält allein das Faustbuch von 1587: „Es ist hie zu sehen des Gottlosen Fausti Hertz und Opinion, da der Teufel jhm, wie man sagt, den armen Judas sang, wie er in der Hell seyn muste44; und: „ ,Als nu der Geist Fausto den armen Judas genugsam gesungen, ist er wiederum verschwunden, und den Faustum allein gantz melancholisch und verwirrt gelassen 4 44 . Die Wndg. ,den armen Judas singen4 bezieht sich auf ein einst wirklich gesungenes Lied: O du armer Judas, Was hast du getan. Dass du deinen herren also verraten hast? Darumb so mustu leiden Hellische pein, Lucifers geselle Mustu ewig sein. Kyrieeleison. Es handelt sich um die Übers, der Schlußstr. eines lat. Osterhymnus: O tu miser Juda, quid fecisti, quod tu nostrum dominum tradidisti? ideo in inferno cruciaberis, Lucifero cum socius sociaberis. Die dt. Übers, und parodistische Umbildungen des Liedes zu satirischen Zwecken erfreuten sich seit dem Ende des 15. Jh. mehrere Jhh. lang größter Beliebtheit. Der ,arme Judas4 (wobei ,arm4 ebenso gebraucht wird wie in ,armer Teufel4, ,armer Sünder4) kommt zwar schon in verschiedenen hochma. Belegen vor, aber noch ohne Bezug zu einem Lied. Den frühesten Beleg für das Lied bietet ein hist. Anlaß: Als Kaiser Maximilian am 26. Mai 1490 zu Schiff auf der Donau an der mit Zuschauern 466
Jude dichtbesetzten Mauer der widerspenstigen Stadt Regensburg vorbeifuhr, verhöhnte er die Regensburger wegen ihres Abfalls vom Kaiser dadurch, daß er seine Musiker das Lied ,0 du armer Judas, was hast du getan4, .carmen illud maledictionis1, aufspielen ließ. Schon dieser Beleg bezeugt das Judaslied als eine Satire. In der Reformationszeit wurde es dann vorwiegend in parodistisch- satirischer Absicht häufig wiederholt und oft auch auf andere Personen umgedichtet, z. B. ,Ach du armer MURNarr, Was hastu getan.. .\ und zu zahlreichen politischen Liedern bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges diente diese urspr. geistliche Str., so daß bald ,einem den Judas singen4 den Sinn erhielt: ihm seine Treulosigkeit höhnend Vorhalten. In einem Spottgedicht auf Friedrich von der Pfalz als (Winter-)König von Böhmen heißt es: „Den armen Judas mußt du singen gar bald, mein lieber Fritz“. Das Judaslied hat sich im Kinderbrauch regional noch bis zur Ggwt. erhalten (z.B. als Drohvers im Fleischebrauch). Vgl. .einem den Görgen singen4, ,Placebo singen4. Lit.: Creizenach: Judas Iscariot in Sage und Legende des MA., in: PBB. 2 (1876), S. 185 f.; Erk-Böhme III, 670, Nr- 1963 f.; R. Hildebrand: Materialien zur Gesch. des dt. Volksliedes I, in: Zs. f. d. U„ Ergänzungsheft 5 zu Bd. 14 (1900), S. 63 ff.; A. Taylor: ,0 du armer Judas1, in: The Journal of English and Germanic Philology 19 (1920), S. 318-339; K. Liiihi: Judas Iskarioth in der Gesch. der Auslegung von der Reformation bis zur Ggwt. (1955); RGG3 III, Sp. 965L, Art. Judas1 v. E. Fascher. Jude. Haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden;wie du mir, so ich dir. Der erste lit. Beleg für die Anwendung dieses Wortes findet sich bei dem hess. Dialektdichter Niebergall in seinem 1848 erschienenen Lustspiel,Der Datterich4 (VI, 1): „Haagste mein Judd, da haag ich Dein aach44. Auf der Juden Christtag (Weihnacht): niemals; lit. z.B. schon in Joh. Fischarts ,Ge- schichtklitterung4: ,,Das Urtheil soll auff nechste Griechisch Calendas, d. i. auf der Juden Christtag vnd der Genffer Lichtmess ausgesprochen werden44; vgl. ,zu Pfingsten auf dem Eise4. Daraus kann kein Jude gescheit werden: das versteht niemand. Das kann ein kranker Jude essen sagt man, um eine Speise als unschädlich oder sehr gut zu empfehlen. Den Juden in den Acker stecken hat nichts mit antisemitischer Judenverfolgung zu tun, sondern ist ein Schutzmittel gegen den Bilwis; angebranntes Holz vom Verbrennen des Judas wird am Karsamstag in den Acker gesteckt, um sich vor dem Bilmesschnitter zu schützen (F. Schönwerth: Aus der Oberpfalz Bd.l, Augsburg 1857, S. 434); ZBilwis. Wenn man sich die Hände über Kreuz schüttelt, sagt man: Dann stirbt ein Jude; vermutlich ist dabei an das Christi. Kreuzeszeichen gedacht. .Rechter (besser) em Jud de Darm geplatzt4 sagt man an der Mosel, wenn bei der Arbeit im Keller Wein verschüttet wurde. ,Hie werd en Judd verschnere4; die Rda. wird gebraucht, wenn Leute neugierig zusammenlaufen, sich gespannt erkundigen, was los sei, und man nicht Auskunft geben kann oder mag (Hartnack, S. 136). Läßt jem. beim Essen sein Eßbesteck fallen, heißt es, er müsse mit der Mahlzeit auf- hören, wenn er ein Jude ist. Diese Begründung für das Aufhörenmüssen ist bes. in Nord- und Mitteldeutschland häufig, wie die Befragung für den Atlas der dt. Volkskunde (ADV-Frage 233c) ergeben hat. Ein ewiger Jude sein; wie der ewige Jude sein (AaTh. 777): in ständiger unruhvoller Bewegung, immer unterwegs sein, nicht zur Ruhe kommen können, vgl. frz. ,Cest le juif errant4. Ähnl. umherlaufen wie der tolle Jud: ziellos umherwandern. Diese Rdaa. beziehen sich auf die Sage von Ahasvérus, dem ewigen Juden. Die .Chronica Maiora4 des engl. Mönches Mathäus Parisiensis aus dem 13. Jh. erzählen von einem Türhüter des Pilatus, Joseph Cartaphilus, der den kreuztragenden Jesus zur Eile antrieb. Auf Jesu Prophezeiung „Ich werde gehen, aber du wirst auf mich warten, bis ich zurückkomme44 verjüngt sich der zu ewigem Erdenwandel Verdammte alle hundert Jahre. Er bekehrt sich jedoch zum Christentum und lebt als Büßer in Armenien. Diese Erzählung wurde zur Quelle für das 1602 erschienene Volksbuch ,Kurze Beschreibung und Erzählung von einem Juden mit Namen Ahasvérus4. In ihm fiel das Wiederkehr- und Erlösungsmotiv weg, und der Fluch lautete nun: „Ich will stehen und ruhen, du aber sollst gehen44. Johann J. 467
Jude Der ewige Jude Schudt gibt 1714 in seinen Jüdischen Merkwürdigkeiten4 (Bd. I, V. Buch, 14. Kap., S. 488f.) die Legende in folgender Gestaltung wieder: „Als Christus unser werthester Heyland zum schmälichen Creutzes Todt verurtheilet und solche neue Zeitung unter die Leute zu Jerusalem/de- ren bey dem instehenden Oster-Fest ein fast unzahlbare Zahl waren/gekommen/ist jederman die Execution, wie es in der gleichen Fällen üblich ist/zu sehen zugelauf- fen/wie auch aus der Evang. Historie Matth. 27, 39ff. Marek 15, 29ff. Luc. 23, 27.24, 18 genugsam abzunehmen. Da seye unter andern ein Jude Namens Ahasvérus, ein Schuster seines Handwercks/der nahe an dem Thor/wodurch Christus zur Richtstatt muste gefuehret werden/wohnete/aus seiner Werckstatt herausgelauffen/auch sein Gesinde/es mit anzusehen/geruffen/ da nun der Heyland gantz mued und abgemattet mit der schweren Creutzes Last vor deß Juden Ahasveri Thür etwas still gestanden und ruhen wollen/da habe es dieser Jude nicht wollen zugeben/sondern den Herrn mit dem Leist/so er in der Hand ge- habt/geschlagen/fortgestoßen und heißen fortgehen; worauff ihn Christus mit zornigem Angesicht angesehen und gesagt: Ich zwar will hier ruhen/du aber solst gehen/ biß ich wieder komme! Darauff der Jude sofort sein kleines Kind /so er auff dem Arm gehabt/niedergesetzet/Christo zur Richtstatt nachgefolget/sein jaemmerli- ches Leiden/schimpffliche Creutzigung undschmertzlichen Todt selbst mit angese- hen/nach deren Verrichtung er nicht wieder nach Jerusalem kehren können/ habe also sein Weib und Kind nicht wieder zu sehen bekommen/sondern seye in der Welt herumgereiset, habe sich auch tauffen lassen und seye ein Christ worden/wandere auch noch biß auff den heutigen Tag umher“. Da hat ein Jude drauf gespuckt sagt man scherzhaft zu einem Kind, das ein Loch im Kleid oder Hemd hat. Der Jude kommt ferner in zahlreichen rdal. Vergleichen vor, die fast immer negativ sind, z. B. rhein. ,Dä ess wie 'ne Jüd, wa mer den viir erauswirp, da körnt a hengen wieder erenn4; rheinhess. ,Ängste wie ein Ju- dengaul4; ,schmecken wie ein toter Judd4. Die Feststellung Eher würde man bei einem Juden Speck finden (als bei ihm Geld, Verstand, Witz usw.) bezieht sich auf das jüd. Gebot, kein Schweinefleisch zu genießen. Schon bei Abraham a Sancta Clara heißt es (Judas* 1, 45 f.): „Du wirst zu Hof sehen, daß alldort so viel Treu zu finden, wie viel Speck in den Juden-Kuchlen“; und (,Etwas für Alle4,452): „Die Arbeit fliehen, wie der Jud den Speck44. Verlöreti wie eine Juden- seele; dtx rdal. Vergleich geht aus von der Ansicht, daß die Seele eines Juden nicht in den Himmel kommen kann, also verloren ist. In Murners ,Narrenbeschwörung4 (1512) heißt es (42, 89): Kündt einer yetzund Salomons kunst Und kem on schenk (= Geschenk), es wer umb sunst Und als eins Juden sei verloren - und ebd. (51, 63): Wann die frowen nider fait, So hilfft kein hut noch kein gewalt; Verloren ists als eins Juden sei. Nur keine jüdische Hast!: nur keine übertriebene Eile, Geschäftigkeit. Den Juden sagt man Eile bei Verhandlungen und Geschäftsabschlüssen nach (Küpper I, S. 253). Lit.: Joh. Juc. Schudt: Jüdische Merckwürdigkeiten (Franckfurt - Leipzig 1714); S S. Tilles: Der Jude im Citat und im Sprw. Ein Bädeker für Anti- und Philo-Se- 468
J. W. D. miten,. Berlin o.J. (ca. 1890); E. Frenzei: Stoffe der Weltliteratur (2. Aufl. Stuttgart 1963); G. K. Anderson: The Legend of the Wandering Jew (Providence, Rhode Island 1965). Judenschule. Es geht zu (oder hier herrscht ein Lärm) wie in einer Judenschule: es herrscht ein lautes Durcheinander. Bei den rechtgläubigen Juden führte die Synagoge den Namen ,Schule4. Judenschule als Verdeutschung für Synagoge ist seit dem 14. Jh. bezeugt; ostfries. ,’t geit derber as in’n Jödenkark"; ndl. ,’t is hier een Jodenkerk". Von dem Gewirr der Stimmen beim Gebet, das wegen der hebr. Sprache dem Laien unverständlich war und von leisem Gemurmel oft zu lautem Anruf anschwoll, ist die Rda. hergeleitet, die in übertr. Sinne seit dem 18. Jh. bezeugt ist, so z.B. 1778 bei Bürger (Gedichte, hg. v. Contentius II, 77) zur Beschreibung eines unverständlichen Stimmengewirrs: Auf Welsch, Französisch und Latein, Gleich einer Judenschule. Judenspieß. Mit dem Judenspieß rennen: wuchern, betrügen. Die Rda. war im 16. und 17. Jh. häufig, ist dann aber in Vergessenheit geraten. Sie wird erklärt aus der Tatsache, daß damals den Juden das Waffentragen verboten war; auch die Ausübung eines Handwerks war ihnen zunächst versagt, so daß sie sich dem Geldverkehr und Handel zuwandten. Übertr. wird die Rda. auch auf nichtjüdische Geschäftsleute angewendet, so von Grimmelshausen im ,Simplicissimus1 (I. Buch, 25. Kap.): ,,Die Handels-Leute und Handwerker ranten mit dem Juden-Spieß gleichsam um die Wette und sogen durch allerhand Fünde und Vörthel dem Bauersmann seinen sauren Schweiß ab“; ebenso an anderer Stelle (IV. Buch, Kap. 17): ,,Wenn mancher Wucherer die ganze Woche keine Zeit nimmt, seiner Schinderei nachzusinnen, so sitzt er unter währendem Gottesdienst in der Kirch, und dichtet, wie der Judenspieß zu führen sei“. jung. So jung kommen wir nicht wieder zusammen, Rda., mit der man zur Verlängerung eines gemütlichen Zusammenseins auffordert; seit dem 18. Jh. auch lit. belegt (Küpper 1, S.253). Er ist noch jung, er hat noch den ersten Kopf sagt man scherzweise, wenn alte Leute behaupten, sie seien noch gar nicht sehr alt. Junge. Aussehen wie der dumme Junge von Meißen: ein sehr dummes Gesicht machen. Dieser rdal. Vergleich wird zurückgeführt auf eine große Porzellanfigur, die bis gegen 1840 am Eingang des Formhauses der Meißner Porzellanmanufaktur aufgestellt war und mit ihrer lakaienhaften Tracht und ihrem dummen Gesicht den Besuchern sofort in die Augen fiel. Müller-Fraureuth (1, 573) lehnt diese Erklärung freilich ab. Er hält die Wndg. für eine Entstellung aus: ,der dumme Jude von Meißen" und bezieht sie auf den Judenkopf mit dem einer Narrenkappe ähnl. spitzen Hut, der sich im Wappen der Markgrafen von Meißen seit der Erwerbung Thüringens durch Heinrich den Erlauchten als Zeichen der Belehnung mit der Schutzgerechtigkeit über die Juden befindet. Die Rda. begegnet obersächs. auch in den Formen: ,wie der dumme Junge von Dresden, von Mutzschen, vom Neu- marchte". Denken wie Goldschmieds Junge /Goldschmied. Jungfrau. Er ist in die elftausend Jungfrauen verliebt: er verliebt sich in jedes Mädchen. Die Rda. bezieht sich auf die Legende der heiligen Ursula und ihre elftausend Jungfrauen. Rheinhess. ,Du streckst ja de Nabel vor wie die schwangere Jungfrau von /Buxtehude"; lit. bei Zuckmayer, ,Schinderhannes" (3. Akt). Lit.: O. Schade: Die Sage von der Heiligen Ursula und den Elftausend Jungfrauen (Hannover 1854). Junggeselle /eingefleischt. Jürgen /Georg. J. w. d. ist eine recht junge, aus Berlin stammende Abk. für ,janz (ganz) weit draußen", d.h. weit entfernt, außerhalb der Stadt. Der Ausdr. taucht vornehmlich stud, in Wndgn. auf wie: ,er wohnt j. w. d. im Norden (Süden usw.)‘, heute z.T. schon unverstanden gebraucht: ,er wohnt j. w. d. da draußen". 469
K Kachel. Eine Kachel einsetzen: sich bei einem in Gunst setzen, einschmeicheln; umgekehrt: einem eine böse Kachel einsetzen: ihn anschwärzen, verleumden; so lit, bei Franck (,German. Chronik', 1538, 19b): ,,Sie (die Höflinge) setzten aus böswilligem Gemüt Seneca dem theuren man bös Kacheln (bei Nero) ein“. Kachel steht in mehreren Rdaa. umschreibend für ,Frau\ Er ist in derselben Kachel gebacken: ZT hat die gleiche Herkunft. Bes. alte Kachel steht als Schimpfwort für eine alte Frau:,Du olle Kachel!' und wurde auch lit. verwendet, z. B. „Meine alte Kachel starb in Kindesnöthen“ (Weise, Erzählungen); „Abraham, der Sara, die alte Kachel, zum Weibe gehabt“ (Luther), Fischart (.Geschichtklitterung'): „Ein Kachel für ein baslerische köchin ansehen“. Lit.: R. Meringer: Beiträge zur Gesch. der Öfen, in: Wörler und Sachen 3(1912); R. Franz: Der Kachelofen (Graz 1969). Kachelofen. Der Kachelofen steht in Rdaa., ebenso wie /Ofen und /Herd für die Häuslichkeit, das Hauswesen selbst. Er ist nicht weit vom Kachelofen w egge kommen: er hat keine Erfahrungen in der Welt gesammelt. Schuppius: „Ich habe nicht allezeit hinter dem Kachelofen gesessen, sondern bin unter Leuten gewesen“. Ndd. ,achtern Kachelofen Iiggen\ faulenzen, oder: Arbeit in der Kälte scheuen. Einen Kachelofen für ein Bier gl as ansehen: betrunken sein, zu viel getrunken haben. Lit.: R. Franz: Der Kachelofen (Graz 1969). Kacke, ln die Kacke greifen: Mißerfolg haben, ein schlechtes Geschäft machen. Kacke ist Kot (zu lat. cacare). Alles Kacke, Deine Elli: sehr große Unannehmlichkeit, zur Rda. gewordene Schlußformel eines fiktiven derb-vulgärsprachl. Briefes; ähnl. wie ,Aus, Dein treuer Vater' (Küpper I, S.254L). Ndd. ,De kacken alle op einen Häup\ sie stecken miteinander unter einer Decke; vgl. auch ndl. ,twee schijten door een gat' /scheißen. Käfer. Einen Käfer haben: eine Schrulle, eine fixe Idee haben; ähnl. wie .Mücken (/Hummeln usw.) im Kopf haben', /Grille; auch: einen Schwips haben, betrunken sein; so schon bei Seb. Franck 1528 in seiner Schrift .Vorn dem Laster der Trunkenheit' (Cb): „Daher ich vestiklich glaub das der zehent (Säufer) kains rechten tods sterb, wann sie gleich nit all in der fülle voll weins sterben, so haben sie doch die Natur verderbt und die Käfer bei dem wein verschluckt“. Aus dem Trunkenen redet also der Käfer, den er verschluckt hat. In der Teenagersprache der Ggwt. ist ein Käfer ein Mädchen: .flotter, kesser, süßer Käfer' usw. Der Ausdr. ist immer anerkennend gemeint und bezieht sich auf Aussehen und Kleidung. Im Elsaß ist .Käferle' neben .Herzkäfer' ein allg. beliebtes Kosewort. Kaffee. Das ist (ja) (alles) kalter Kaffee: das ist dummes, abgestandenes, veraltetes Zeug, das interessiert niemanden. Jem. kommt der (kalte) Kaffee hoch: ihm wird übel. Da kommt einem (ja) der (kalte) Kaffee (wieder) hoch!: das ist widerlich, abscheulich. Alle genannten umg. Rdaa. sind erst im 20. Jh. aufgekommen. Älter sind: Das geht über schwarzen Kaffee: das ist die Höhe; lit. bei Jer. Gotthelf (.Bauernspie- gel'). Von einem sehr schwachen, dünnen Kaffee sagt man ndd.: ,Tau den Koffee hett Simson dat Water edragen un Lazarus de Bohnen ebrocht'; und von einer sehr reichen Gegend: ,Wo se den Kaffee möt Lä- pels ête . . .' 470
Kaiser grau Srametteff, 8?fl* flftiAt Sir, rM« SSo^mtnfaft? Srinft mm fpfcan, J^ons ^mmcriurf ßja ifl cm Stvanf/ ter (ôt$t trafic $r*ltf Äonnwi S3wr ju S5rcS jwfc TOurfî, Öen $taf<£ra fimtft 9*6»n2 Hrifr iw« AB«, ,Kaffeetante4 Eine Kaffetante sein: eine leidenschaftliche Kaffeetrinkerin sein. Die im 20. Jh. auch lit. bezeugte Wndg. ist sogar auf Männer anwendbar; sie hat den seit dem 18. Jh. üblichen Ausdr. ,Kaffeeschwester4, der analog zu Betschwester4 gebildet worden ist, heute weitgehend verdrängt. Kahn kann in der Umgangssprache der Ggwt. Schiff, Auto, Flugzeug, Schuhe, Bett, Gefängnis u.a. bedeuten (Küpper I, S.256), aber auch Kopf oder im weiteren Sinne den menschlichen Körper: Jem. eine vor den Kahn hauen (knallen): ihn auf den Kopf schlagen; /Hals, /Latz. Einen im Kahn haben: betrunken sein. Ndd. ,got im Kahne stan4, bei Frauen beliebt sein; ähnl.: ,Der kann im Kahn stehen4. In diesem Sinne ist Kahn auch in den Sprww. fast immer doppeldeutig: ,Es hat mancher einen Kahn, aber er weiß ihn nicht zu lenken4; jeder Kahn will seinen Mann4; jeder Kahn führt ins Meer, aber nicht jeder wieder her4; ,wer in zwei Kähnen zugleich fährt, kann leicht Schiffbruch erleiden4; ,zu einem kleinen Kahn braucht man nur kleine Ruder4 (Wander II, Sp. 1092). Kaiser. Um des Kaisers Bart streiten: um Nichtigkeiten streiten, /Bart. Auf den alten Kaiser dahinleben: unbesorgt darauf losleben; eine im 17. u. 18. Jh. bezeugte Rda., die wohl aus den Zeiten der Schwäche des Röm. Reiches Deutscher Nation stammt, wo zwischen dem Tode des alten und der Wahl des neuen Kaisers manchmal eine lange Zeit verfloß und vieles zu Unrecht auf den Namen des alten Kaisers geschehen konnte. Denkbar wäre auch eine Zurückführung der Rda. auf den Volksglauben an die Wiederkehr des schlafenden Kaisers Friedrich, von der man eine neue Ordnung der Dinge erhoffte. Grimmelshausen schreibt im ,Simplicissimus4 (I. Buch): „Jetzt glaub1 ich erst recht, daß er ein kühnes Soldatenherz habe, sein Leben wacker dranzuwagen, weil er gleichsam ohne Religion und Gottesdienst auf den alten Kaiser hinein dahinleben und seine Seligkeit in die Schanz schlagen darf44. Ähnl. auch: ,Auf den alten Kaiser hinein!4, ,auf den alten Kaiser heiraten, stehlen, warten, sündigen, borgen, beten4 usw. (lit. Belege bei Wander II, Sp. 1093 ff.). Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist: der Obrigkeit gegenüber seine Pflichten erfüllen, nach Matth. 22, 21: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist44. Engl. ,render unto Caesar the things which are Caesar’s4; frz. ,il faut rendre à César ce qui est à César4; ndl. ,geeft de keizer wat des keizers en Gode wat Gods is4. Noch ganz worth genommen, veranschaulicht die Sachsenspiegel-Illustration das Jesuswort. Daraus abgeleitet erscheint ,Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist4 das Sprw.: ,Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren4; scherzhaft parodiert zu: ,Wo nichts ist, hat’s der Kaiser recht verloren4. 471
Kakao Wo selbst der Kaiser zu Fuß hingeht. . ., Umschreibung der tabuierten Worte Abort, Toilette, Lokus usw. Entspr. setzt man kleine Kinder ,aufs Thrönchen4, und von einem, der darauf sitzt, heißt es: ,er regiert gerade1. Kakao, In mehreren Rdaa. steht das •scheinbar kindertümlich-harmlose Wort Kakao verhüllend für das gleichanlautende tabuierte Wort /Kacke, ln den Kakao fahren: in den Straßengraben, d.h. in den Dreck fahren; Kakao in der Hose haben: vor Angst die Hosen vollgeschissen haben; im Kakao sitzen: in Not, Verlegenheit stek- ken. Jem. durch den Kakao ziehen: über einen Abwesenden abwertend, kritisierend, spöttisch sprechen, jem. verhöhnen, veralbern, über jem. lästern. Das Wort ,ziehen4 ist der älteren Rda. ,durch die /Hechel (oder: den Dreck)ziehen4 entnommen. Die Rda. ist etwa um die Jahrhundertwende aufgekommen. Um 1930 dichtete Erich Kästner: Nie dürft ihr so tief sinken, Von dem Kakao, durch den man euch Zieht, auch noch zu trinken. Kaktus wird in einigen Rdaa. verhüllend für ,Kot4 gebraucht, was bei dem Gleichklang von Kaktus und /Kacke naheliegt. Einen Kaktus pflanzen (setzen) :( im Freien) Kot ausscheiden; die Rda. ist seit Beginn des 20. Jh. bekannt und entstammt dem großstädtischen Wortschatz, wahrscheinl. aus Berlin. Gelegentlich findet sich auch die Version einen Kaktus drehen, wobei an die spiralenförmige Aufschichtung des Kotstranges gedacht ist. (Aussehen) wie ein Kaktus \s\ ein rdal. Vergleich für den Unrasierten. Kalb. Mit fremdem Kalbe pflügen: andere für sich etw. tun lassen, sich zunutze machen, was ein anderer gefunden hat, sich mit fremden /Federn schmücken. Die Rda. ist bibl. Urspr. Im Buch der Richter wird in Kap. 14 Simsons Rätsel durch eine List gelöst, worauf Simson in V. 18 sagt: ,,Wenn ihr nicht hättet mit meinem Kalb gepflügt, ihr hättet mein Rätsel nicht getroffen“. Entspr. engl. ,to plough with another man’s heifer4; frz. ,labourer avec la génisse d’autrui4; ndl. ,met een ander mans kalf ploegen4. Ebenfalls bibl. ist das goldene Kalb anbe- ten: nur auf Reichtum aussein, geldgierig sein; entspr. frz.,adorer le veau d’or4; engl. ,to worship the molten (golden) calf4; ndl. ,het gouden kalf aanbidden4. Der Tanz ums goldene ATzz/Z?.* alles, was der Mensch um des Reichtums willen tut (oder auch: infolge seines Reichtums). 2.Mos. 32 wird berichtet von dem goldenen Kalb, das die Juden ,Der Tanz ums goldene Kalb4 am Fuß des Berges Sinai anbeteten. Die Hauptsache dieses Kultes war nicht das Gold, sondern das Tier. In den sprw. Rdaa. liegt die Hauptbetonung auf ,golden4 mit der Bdtg. der abgöttischen Liebe zu Geld und Gut. Ein ,goldenes Kalb4 kann in der gegenwärtigen Umgangssprache auch die heiratsfähige Tochter aus reichem Hause meinen. Kalb Moses: ungeschickter, dummer Mensch; wieder unter Bezug auf 2.Mos. 32ff., aber auch auf 4.Mos. 12,3: ,,Mose war sehr sanftmütig44. Das fette Kalb schlachten: bei einer festlichen Gelegenheit einen besonderen Lek- kerbissen bereitstellen. Die Rda. kommt vom bibl. Gleichnis vom verlorenen Sohn, Luk. 15, 23-27; entspr. frz.: ,tuer le veau gras4; engl. ,to kill the fatted calf4; ndl. ,het gemeste kalf slachten4. 472
Kalbfell Das Kalb ins Auge schlagen: Unwillen, Anstoß erregen. Die Rda. ist schon seit dem 16. Jh. bezeugt, z. B. bei Hans Sachs: ,,Wer hat das kalb ins aug geschlagen?“; 1629 erschien eine Streitschrift unter dem Titel: ,Wer hat das Kalb ins Aug geschlagen d. i. ob die Augsburgischen Convessionsver- wandten Prediger oder die Jesuiten den Religionsfrieden umbstürzen\ 1672 bei Grimmelshausen in dem Novellenzyklus .Vogelnest' (hg. v. Schölte, S.33): ,,SoItest du dich nun auch unterstehen, diesen wie die vorige Freier zu verhindern, so wirst du das Kalb ins Aug schlagen“. Rudolf Hildebrand meint im Dt. Wb. der Brüder Grimm (Bd.5, Sp. 52), der Ausdr. stamme ,,wohl von bes. ungebärdigem Tun des Kalbs in diesem Falle“. Vielleicht ist aber auch an den Metzger gedacht, der das Kalb mit einem ungeschickten Schlag ins Auge trifft, statt es gleich zu töten. Die Rda. ist auch in den Mdaa. weit verbreitet, z.B. ober- sächs. ,das Kalb ins Auge treffen', einen wunden Punkt treffen; meckl. ,dat Kalw int Og steken (stechen)'; schlesw.-holst. ,he sloog dat Kalf dat Oog ut', er verdarb die Sache, die Stimmung; schwäb. ,"s Kälble ins Aug schlage'; eis. ,im Kälwel ins Aug schaun', ohne Absicht etw. sagen, das jem. beleidigen kann. Augen machen (glotzen, gucken, stieren) wie ein (ab-)gestochenes Kalb: vor Verwunderung große, blöde Augen machen. Schon 1588 bei Joh. Fischart in der Satire ,Bienenkorb' (174a): ,,Warumb der Pfaff alsdan (wenn er während der Messe aufs Knie fällt) so jämerlich und barmherzig anfangt auszusehen wie ein gestochen kalb“. Ein Kalb anbinden (äbbinden, machen, setzen): sich erbrechen. Die Rda. meint entweder, daß Kälber übermäßig trinken, bis ihnen der Trank aus Maul und Nase läuft, oder sie beruht auf der Schallnachahmung der Würgelaute beim Erbrechen. Das Kalb beim Schwänze nehmen: eine Sache verkehrt anfangen; ähnl.: ,Den Brunnen zudecken, nachdem das Kalb darin ertrunken ist', eine Rda., die P. Bruegel d. Ä. in seinem Rdaa.-Bild realisiert hat und die auch im Ndl. noch heute lebendig ist: ,as het kalf verdronken is, dempt men de put'; /Brunnen. In anderen Sprachen braucht man hierzu andere Bilder, z. B. lat. ,clipeum post vulnera sumere' (zum Schild greifen, nachdem man bereits verwundet ist); engl. ,when the steed is stolen, the stable door is locked'; frz. .fermer récurie quand les chevaux se sont échappés'. Das Kalb (Kälbchen) austreiben: ausgelassen sein, sich austoben, wie ein Kalb, das man auf die Weide treibt, wo es seine Sprünge machen kann. Eis. ,s Kalb ab- losse', lärmen, Zoten reißen. Der Schlesier Wenzel Scherffer schreibt 1640 in seiner Dichtung ,Der Grobianer' (S. 105): Es soi doch allezeit der Lust ein Merkmal bleiben zu sehn, wie gestern aus das Kalb man konnte treiben. In neuerer Sprache heißt es dafür auch einfach (herum-)kälbern, kalbern: sich albern, mutwillig, kindisch benehmen, wie ein junger, unerfahrener Mensch auch als Kalb bez. wird. Obersächs. ,Er ist noch Kalbfleisch', er ist noch unerfahren, kindisch; ähnl. schon bei Luther: ,,Ihr habt noch viel Kalbfleisch“; westf. ,et is noch en hopen Kalfflusk darann'. Picander (Christian Friedrich Henrici) sagt 1737 zu einem Freunde: Du weißt, wo wir beysammen saßen, Wie wir dasselbe mal gehaust Da wir noch liebes Kalbfleisch aßen Und manches Gläschen Wein geschmaust. Bei Seb. Brant (,Narrenschiff', Einleitung): „uf kalbsfüß gehen“ = Narreteien treiben. Das Kalb verkaufen, ehe es geboren ist: etw. Voreiliges tun. Einem ein Kalb auf binden: einen /Bären aufbinden. Das Kalb durchs Wasser ziehen: sein Glück machen, seinen Wohlstand begründen, lit. bei Gottfried Keller im ,Grünen Heinrich' (IV. Teil, 16. Kap.): „Als aber das Kalb durch den Bach gezogen, das Gedeihen begründet ..." Kalbfell. Dem Kalbfell folgen (nachlaufen, nachgehen): zum Kalbfell schwören: Soldat sein, werden. Kalbfell steht hier pars pro toto für die (Werbe-)TrommeJ, die mit Kalbfell bespannt ist. Lit. Zeugnisse gehen bis ins 17. Jh. zurück: „Es giengen die Werbungen stark fort. Wer Vater und Mutter nicht hat folgen wollen, der nahm einen 473
Kaldaunen Ducaten und folgete einem Kalbsfelle“ (Schuppius, ,Lehrreiche Schriften', 1663, S.335); aber die Belege reichen noch bis in die Ggwt.; z. B. heißt es bei Thomas Mann (,Zauberberg', Kap. 3 ,Frühstück'): „Na, will er denn auch zum Kalbfell schwören?“ sagt der Arzt zu Hans Castorp. Entspr. ndl. ,het kalfsvel folgen'; engl. ,to have taken the queens (kings) shilling', ,to follow the drum'; frz. ,suivre le tambour'. Kaldaunen sind eigentl. die Eingeweide der Tiere; vom Menschen nur in derben Rdaa. gebraucht, z.B. bei großem Schmerz: ,ich denke, ’s reißt mr de Kaldaunen raus'; sächs. ,einen bei den Kaldaunen kriegen', ihn bei der Kehle packen. Ferner: da mochte man aus der Kaldaune fahren: aus der Haut fahren; die Kaldaunen aus dem Leibe speien: sich sehr stark erbrechen; die Kaldaunen ausspülen: stark trinken; es ist ihm in die Kaldaunen gefahren, sich die Kaldaunen vollärgern; sich die Kaldaunen voll fressen (schlagen): sehr viel essen; dementspr. das Schimpfwort du vollgestopfter Kaldaunensack (Kaldaunenfresser), kaldaunenvoll: übersatt, schwerbezecht. Kalendas Graecas. Ad Kalendas Graecas: etw. wird bis zum St.-Nimmerleins-Tag verschoben, es geschieht niemals, /Pfingsten. Kalender. Kalender machen (auch kalen- dern): grübeln, seinen Gedanken nachhängen, in sich versunken über etw. nachsinnen, Grillen fangen. Die Rda. ist seit dem 17. Jh. belegt. Einst war der Kalender neben der Bibel und dem Gebetbuch das einzig Gedruckte. Er gab Auskunft über das Wetter, Ratschläge für Haus, Feld und Wald und war Nachschlagebuch für Festtage, Messen u.a. Der Kalendermacher mußte also viel und tief nachdenken. Die alten Kalender enthielten außer den Tagesangaben noch astrologische Hinweise auf angeblich glückliche und unglückliche Tage, Ratschläge über Aderlässen, Kindbadtage, Haar- u. Nagelabschneiden sowie Wetterprophezeiungen für das ganze Jahr. Durch deren Unzuverlässigkeit kam die „Kalenderei'', die Goethe im ,Faust' II, 1 (V. 4974) neben „Chymisterei“ nennt, sehr bald in Mißkredit. „Drum haben unsre lieben Alten gesagt: ,Du leugest wie ein Kalendermacher"', sagt Andreas Gryphius. Und Grimmelshausen im ,Simplicissimus‘ (II, Kap. 21): „Daraus urteilte ich . . ., daß er Kalender machte, wie er ihm ein Bein vorsetzen und zu Fall bringen möchte“. J. G. Schnabel schreibt in dem Roman ,Insel Felsenburg' (1731 ff., Bd.5, S.335): „Was sitzt Ihr so traurig da? Es scheint, Ihr wollet Kalender machen oder auspunktieren, ob wir auch guten Wind und Wetter auf unserer Reise haben werden“. Kalender machen für das abgelaufene Jahr: nachdem eine Sache vorbei ist, wissen, wie man es hätte besser machen können; vgl. engl. ,to make almanachs for the last year'. Den Kalender verbessern wollen: klügere Leute tadeln und zurechtweisen. Ich will seinen Kalender nicht: ich will auf seinen Rat nicht achten, mich nicht nach ihm richten. In seinem Kalender ist immer Quatember: er hat immer Fasttag, lebt in großer Dürftigkeit; ebenso in seinem Kalender ist nur ein Fasttag (mit dem Hintergedanken: aber der dauert das ganze Jahr): sein Tisch ist nur kärglich besetzt. In seinem Kalender ist nichts als Vollmond: er lebt herrlich und in Freuden. Schweiz. ,s Kalendermache niid erdenkt ha‘, das Pulver nicht erfunden haben. Im Kalejider rot anstreichen /rot. Lit.: F. Bork:Kalender-, Mythen- und Weltbildstudien. Heft 1 u. 2 (Leipzig 1942); F. H. Burmester: Calender erzählen (Bielefeld 1966); L. Röhrich: Joh. P. Hebels Kalendergeschichten (Lörrach 1972). Kalmäuser, kalmäusern (klamüsern). Die Feststellung Er ist ein Kalmäuser kann mehrere Bdtgn. besitzen. Sie dient zur Charakterisierung eines Vielwissers, eines pedantischen Gelehrten, eines lichtscheuen Grüblers und Grillenfängers, kann aber auch den verschlagenen Schulmeister, einen verkommenen bettelnden Studenten in der Nebenbdtg. eines pfiffigen Schlaukopfes, einen Schmarotzer und den Geizhals meinen. Der Ausdr. ist im 16. Jh. aufgekommen und bis heute in verschiedenen Schreibweisen gebräuchl. Neben Kalmäuser', ,Kalmeiser‘, ,Kahlmäuser', Kalmäuser' und ,Kalmüser' steht das ndd. ,Klamü- ser'. Über die Herkunft des Wortes sind die 474
Kalt Meinungen geteilt: Nach Adelung und Heyse soll es eine Zusammensetzung aus ,kalm‘ (= stille, ruhig) und ,Mäusen' sein und einen Menschen bezeichnen, ,der im stillen mause', der in Einsamkeit und im verborgenen fruchtlosen Grübeleien nachhänge. Kluge führt den 2. Wortbestandteil auf mhd. ,müsen‘ (= in diebischer Absicht schleichen) zurück und vergleicht mit der Wortbildung von ,Duckmäuser'. Grimm (Dt. Wb. V, 72) vermutet hinter Kalmäuser1 den ,kahlen Duckmäuser', im Sinne von armem Schlucker, Schmarotzer u. Stubenhocker. Im ,Preuß. Hausfreund' (Berlin 1810, S.427) stand sogar folgende Erklärung: ,,Das Wort Kalmäuser ist aus dem alten Scholmester (Schulmeister) mit Umwandlung des Schol in Kol und Kal, wie des Meister in Mäuser entstanden, ähnl. wie Duckmäuser aus Tücke und Meister". Da sich die Rda. vor allem auf einen Menschen bezieht, der Schwieriges herauszubringen sucht, der grübelt und über Zusammenhänge nachsinnt, der bes. geistige Fähigkeiten besitzt, ist auch an den Einfluß von lat. calamus ( — Schreibrohr) zu denken. Das Schreibgerät wurde dann stellvertretend für den Schreiber genannt und schließlich zu einer Art Spottname für ihn. Joh. Fischart brauchte den Ausdr. in solcher Weise in seinem ,Gargantua' (S.255), wo es heißt: ,,solch Ding lehrnet man ohn den einörigen Dorfkalmäuser". Er meinte damit den Dorfschulmeister, der oft der einzige im Dorfe war, der lesen und schreiben konnte. Da die Mißtrauischen glaubten, daß er dieses Wissen zu eigenem Vorteil anwende und manchmal zum Nachteile anderer mißbrauche, erhielt das Wort Kalmäuser' bald den Sinn von einem listenreichen, verschlagenen Mann, der immer einen Ausweg finden konnte. Ebenfalls in Fischarts ,Gargantua' (S. 31 ) ist das Wort in dieser Bdtg. überliefert: ,,Sind nicht ein gut theil Päpst Kalmäuser?" Fischart bez. aber auch den Schmarotzer damit: „Wappenbrieff usw. müssen Eselle- risch jedem Kalmeuser, der das Grass durch den Zaun isst, für eine Löwenhaut dienen" (,Aller Praktik Großmutter', Kloster, VIII, 580). Daß ein Zusammenhang zw. Kalmäuser und lat. calamus (= Kalmus) bestehen kann, zeigt eine berl. Rda.:,An den Kalmus piepen wir nich!', darauf fallen wir nicht herein, die das in Dtl. angebaute Schilfrohr Kalmus in übertr. Bdtg. für Schwindel verwendet. Möglich wäre aber auch die Herkunft des Wortes aus der Gaunersprache, wo es bis heute lebendig ist. Von der jidd. Wurzel ,komaz' = nehmen und ,kamzon‘ = ein mit voller Hand Nehmender, Einsammler, Bettler, Schmarotzer, Geizhals wurde im Rotw. das Wort Kammesierer' = gelehrter Bettler, verkommener und verschlagener Student abgeleitet und wahrscheinl. unter lat. Einfluß von ,calamus' Kalmäuser' gebildet. In Berlin und Mitteldtl. ist noch im 20. Jh. ,calmüsern' = umhersuchen und ,ausklamüsern' = ausfindig machen in der Kundensprache üblich und in die Umgangssprache eingedrungen. Etw. ist eitel Kalmäuserei: es ist Pedanterie, Stubengelehrsamkeit, unbrauchbares Wissen, auch: Knauserei, Geiz. Er kalmäusert: er ist ein einsamer Stubenhocker, ein Stubengelehrter und Federfuchser. Im Mansfeldischen meint die Wndg. jem. kalmiisert, daß er eifrig nachforscht. Hier zeigt sich eine deutliche Übereinstimmung mit der Gaunersprache (calmüsern = umhersuchen). Etw. ausklamüsern (herausklamies ern): etw. schwer zu Entdeckendes durch Pfiffigkeit und Nachdenken herausfinden, etw. Verborgenes nach langen Bemühungen ausfindig machen, vgl. oldenb. ,ütkalmüse- ren'. Lit.: Dt. Wb. V, 70f.; Wander\\. Sp. U\1\S.A. Wolf: Wb. d. Rotwelschen (Mannheim 1956), S. 150, Nr. 2435. kalt. Jem. kaltmachen: verhüllend für: ihn töten, umbringen, ermorden; hergeleitet vom Erkalten der Leiche. Von der Wirkung wird euphemist. auf die Tat geschlossen. Jem. kaltstellen: ihn um seinen Einfluß bringen, ihm seine Stellung nehmen, ihn in eine Lage bringen, in der er nicht wirken kann; zuerst von Speisen gesagt, die man vom Feuer nimmt und auf Eis setzt, damit sie nicht verderben; seit dem 19. Jh. bildl. mit negativer Bdtg.; z. B. Bismarck in einem Brief an seine Schwester von 1858 über seinen Petersburger Gesandtschafts¬ 475
Kamillen, Kamellen posten: „kalt gestellt an der Newa“. Und Bismarcks Gemahlin schreibt am 4. 2. 1862: „Aber wir rühren uns nicht von Petersburg, wo wir so angenehm kalt und weit weg stehen“. Daneben besteht auch ein mdal. ,kalt stellen4 für frisch erhalten, z. B. sagt man eis. zu einem ängstlich um seine Gesundheit für den nächsten Tag Besorgten: ,Stand in dr Keller, daß de frisch blibst bis morn!4 Jem. kaltlassen: nicht erregen, aufregen, interessieren, keinen Eindruck machen; bezieht sich auf das Fehlen der Gemütswärme (,kaltes Blut4, ,kühler Verstand4). Halb so kalt!: halb so schlimm! Die Rda. ist abgeleitet von dem Sprw. ,Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird4. Auf kaltem Wege: ohne Umstände, unauffällig; ohne den vorgeschriebenen Weg streng einzuhalten. Die Rda. leitet sich wohl her von chemischen Verfahren, bei denen Extrakte ohne Erhitzung hergestellt werden (Küpper I, S.257f.). Jem. kalt ablaufen lassen: ihn schroff abweisen. Kalt und warm aus einem Munde /’blasen: zwiespältig, doppelzüngig sein. Im rdal. Vergleich sagt man: ,kalt wie Eis4, ,hundekalt4, ,kalt wie ein Schneider4 (Fisch, Frosch, in einem Hundestall, Hunde- schnautze usw.). Kamillen, Kamellen. Alte Kamillen, ndd. ,Dat sünd olle Kamellen4 (oft mit dem Zusatz: ,de rükt nich mehr4): alte, längst bekannte Sachen, abgenützte Phrasen; ein vorwiegend in Norddtl. gebräuchl. Ausdr.; er ist seit der zweiten H. des 18. Jh. in Pommern nachgewiesen. Bei langem Lagern büßen die Kamillen ihren würzigen Geruch und auch ihre Heilkraft ein. Fritz Reuter erläutert seinen Buchtitel ,OIle Kamellen4 1863 brieflich so: ,,dat heit so vel ungefihr, as ,Meidinger4 (Anekdoten), de halw ver- getensünd, un stammt sick von de Kamel- Ienbleumen her, dei ock nich recht mihr för bukweihdag (Leibschmerzen) helpen will, wenn sei äwerjährig worden sünd“. Die ndd. Form ,Kamellen4 hat sich gegenüber der hd. durchgesetzt. Dabei ist interessant zu beobachten, daß den Menschen, die nicht dem ndd. Sprachraum angehören oder ihm entstammen, die Verwandtschaft von Kamellen und Kamillen zum weit überwiegenden Teil unbekannt ist. Diese Tatsache erklärt sich im Rheinl. daher, daß dort das Wort,Karamell4 = Bonbon in der Mda. ,Karmelle4 heißt, das ,r4 aber nur ganz vereinzelt ausgesprochen wird. Die so entstandene Homonymie hat bewirkt, daß unser Ausdr. sich rhein. an die Karamellbonbons angeschlossen hat: ,dat es en al Ka(r)- meir, bzw. ,dat sen ale Ka(r)melle4. Bei der entspr. Rda. olle Kamellen aufwärme ///erledigte, abgetane Dinge wieder zur Sprache bringen, wird der alte Sachzusammenhang nicht mehr recht eingesehen; sie ist eher an die Rda. ,alten Kohl aufwärmen4 angelehnt. Schließlich ist in der bedeutungsgleichen Rda. alte Kamellen ausgraben das Wort Kamellen bereits Synonym für ,Sachen4, ,Dinge4 oder ,Geschichten4. Kamin. Etw. in den Kamin schreiben: etw. verlorengeben; mit Rückzahlung einer Geldschuld nicht mehr rechnen; 19. Jh. /Schornstein. Kamm. Alles über einen Kamm scheren: alle(s) gleichmäßig, nach einem und demselben Schema behandeln; seit dem 16. Jh. bezeugt, so 1579 in Joh. Fischarts Satire ,Bienenkorb4 (S.248a): „welchen allen zugleich über einen Kamm geschoren würd“. Die Rda., die auch in anderen Sprachen vorkommt (z. B. schwed. ,skära alla öfver en kam4), geht wohl auf die Praxis der früheren Baderstuben zurück, wo der Bader für alle Kunden denselben Kamm benutzte, und nicht davon aus, daß ein Schafzüchter grobe und feine Wolle über denselben Kamm schert. Obersächs. ,etw. mit seinem Kamm streichen4, es durchnehmen, besprechen, /Hechel. Bei jem. (dort) liegt der Kamm neben (auf, bei) der Butter: bei jem. (dort) geht es schmutzig, unordentlich zu; dort herrscht ein unsaubres Durcheinander. Jem. schwillt der Kamm (auch ihm geht der Kamm hoch): er gerät in Zorn, er wird wütend; aber auch: er wird eingebildet, übermütig, herausfordernd; vom Hahn hergeleitet, dessen Kamm tatsächlich anschwillt und sich tiefer rot färbt, wenn er in Zorn gerät: „Die Lippe bebt, schon fängt der Kamm sich an zu roten44 (Wieland, ,Per- 476
Kanone vonte4, 3. Teil, V. 435). Auch lat. ,cristae alicui surgunt4 wird in übertr. Sinne gebraucht. Ähnl. ndd. ,he sett en Kamm up\ er wird böse. Den Gegensatz drückt aus: Einem den Kamm stutzen (beschneiden): seinen Übermut zügeln, ihn dämpfen; jem. die Geilheit austreiben; beruht auf dem Volksglauben, daß der Haushahn unfruchtbar wird, wenn man ihm den Kamm abschneidet. Einen auf den Kamm treten und: ihn über den Kamm beißen: ihm gehörig zusetzen, eigentl. wie es der Hahn mit der Henne tut. Einen über den Kämm hauen: ihn hart anfahren, eigentl.: ihm einen Schlag über den Nacken geben. /Kanthaken. Kanal. Den Kanal voll haben: genug haben, einer Sache überdrüssig, angewidert sein. Kanal bezieht sich dabei auf den Magen- Darm-Trakt; sold, seit dem 1. Weltkrieg. Entspr. sich den Kanal vollaufen lassen: sich betrinken. Kandare. Einen an (in) die (bei der) Kandare nehmen (kriegen, legen): ihn streng(er) behandeln,straff halten; eigentl.: ihn schärfer zügeln. Kandare ist die Gebißstange am Zaumzeug des Pferdes, die ein scharfes Zügeln ermöglicht, da sie über der Zunge des Pferdes liegt. Diese Zaumtechnik wurde zuerst von den Ungarn (magyarisch kantar = Zaum) zusätzlich zur einfachen Zäumung, der Trense, benutzt. Im 18. Jh. wurde die Kandare in Dtl. eingeführt; ihr Gebrauch im übertr. Sinne entstammt aber erst dem ausgehenden 19. Jh. ln Gerhard Hauptmanns .Biberpelz4 II heißt es: ,,Dem (Gastwirt Fiebig) wolFn wir mal bißchen Kandare anlegen44. Zuweilen lautet die Rda. auch im gleichen Sinne, aber deutlicher: jem. auf Kandare reiten, d.h. mittels einer Kandare zügeln. Entspr. auch: einen Ruck an die Kandare kriegen: zur Ordnung gerufen werden; sich an die Kandare nehmen: Selbstbeherrschung üben (sold.); vgl. frz. .serrer la bride à quelqu’un4; ndl. demand op de stang rij- den4, wobei mit ,stang4 die Gebißstange, d.i. die Kandare, gemeint ist. Kanne. Zu tief in die Kanne gucken (blik- ken, schauen);synonym zu: ,zu tief ins Glas schauen4, sich betrinken; schon im 16. Jh. bei Joh. Fischart (.Geschichtklitterung4 S.212). Entspr. die Kanne nicht lange leer stehen lassen: gerne und häufig trinken. Kannegießer nennt man einen Bierbankpolitiker, Stammtischstrategen, d.h. eine Person, die in Gasthäusern ohne den gehörigen Sachverstand politisiert; dazu das Verb .kannegießern4. Kannegießen war einst die wichtigste Arbeit im Handwerk der Zinngießer, die deshalb auch Kannengießer genannt wurden. Zu sprw. Gebrauch kam das Wort durch lit. Einfluß. 1722 wurde in Kopenhagen Ludwig v. Holbergs Lustspiel ,Der politische Kannegießer4 (.politiske kandestöber4) aufgeführt. Das Stück wurde nach der Übers, von Delhar- ding 1742 auch in Dtl. sehr beliebt, und die Verbreitung der Rda. zeigt, welchen Eindruck es damals gemacht hat. Fortan hieß ein Stammtischpolitiker, ein leidenschaftlicher, aber beschränkter Zeitungsleser ein politischer Kannengießer. Man übertrug das Wort später auch auf leeres oder gemütliches Geschwätz in anderen Dingen und sprach von ästhetischen, theologischen u.a. Kannengießern. Seit der 2. H. des 18. Jh. sind diese Begriffe im Dt. geläufig. Kanone. Das ist unter aller Kanone: unter aller Kritik, schlecht, wertlos, unter dem Strich, unter aller Sau, spottet jeder Beschreibung. Während Kanone = Geschütz aus ital. cannone, d. i. die Vergrößerungsform von canna = Rohr, abgeleitet ist, kommt unsere Rda. vom lat. Schulausdr. Kanon = Maßstab, Richtschnur. (,sic satis; male; pessime4). Was unterhalb dieses Kanons (des Maßstabes zur Bewertung von Schülerarbeiten) lag, war sehr schlecht: ,sub omni canone4. Die erst im 19. Jh. bezeugte Rda. ist wohl eine aus Schülerkreisen stammende scherzhafte Übers, dieser Wndg. Sie wird mdal. noch weiter verdreht zu: ,unter aller Kanallje4 (Gerhart Hauptmann: ,Rose Bernd4). Von der Kanone leitet sich dagegen her: mit Kanonen nach Spatzen schießen: großen Aufwand um einer geringfügigen Sache willen treiben; besoffen wie eine Kanone: wie ein schwer geladenes Geschütz (dazu: ,Kanonenrausch4), /Strandkanone. Die Kanonen sprechen lassen, verhüllend für: den Krieg beginnen. 477
Kante (Ach du) heiliges Kanonenrohrist ein Ausruf komischer Verzweiflung, der Verwunderung, des Erstaunens und Erschreckens; scherzhafte Umbildung eines Heiligennamens, der nicht mißbräuchlich oder im Fluch verwendet werden soll, ähnl. wie ,Heiliger Strohsack', ,Heiliger Bimbam', ,Heiligs Blechle'. Lit.: E. Schwabe, in: Zs f. d. U. 19 (1905), S.528f. Kante. Etw. (Geld) auf die hohe Kante legen: sparen, beiseite legen, zurücklegen. Entspr. etw. auf der hohen Kante haben: Ersparnisse zurückgelegt haben. Die Rda. wird meist so erklärt, daß Geld in größeren Mengen in Rollen verpackt wird und die einzelnen Geldstücke dann auf die Kante zu stehen kommen, also ,hoch‘ stehen. Doch könnte mit der ,hohen Kante' auch ein Wandbrett, Sims, Schrank usw. gemeint sein, auf den man das Geld zur Aufbewahrung legte. Auch mit einer ätiologischen und vermutlich erst sekundär entstandenen Anekdote wird die Rda. in Zusammenhang gebracht. Von dem Kutscher Pfund Friedrichs des Großen, der auch als ,Pfundskerl' rdal. weiterlebt, wird folgende Gesch. erzählt: Als der König überraschend Stallrevision hielt, fand er auf der Kante eines Brettes lauter Talerstücke. Das Geld lag, zu silbernen Säulchen gehäufelt, so arglos da, als wäre dieser Platz der rechte für ein kleines Vermögen in bar. Also rief Friedrich seinen Kutscher mit Namen Pfund und examinierte ihn: ,,KerI, was hat Er da?" „Lauter Talers, Majestät!" „Sehe ich selber. Aber was tun die hier?" „Ick hab se uff die hohe Kante jelegt, für wenn ick mal vor die Tür jesetzt werden sollte!" „Aber Pfund, traut er mir das zu -?" „Majestät, neulich wäre et bald soweit jewesen . . ." Hier schüttelte Friedrich den Kopf, ritt zum Stall hinaus und dachte daheim über des Mannes Worte ausgiebig nach. Schickte am nächsten Morgen den Leibdiener Freders- dorff mit zehn blanken Talern los, zu des Kutschers Wohnung hin, muß man wissen, und gab dem Gelde noch einen lakonischen Zettel bei: „Lege Er es ebenfalls auf die hohe Kante. Aber mache Er sich keine unnützen Flausen". Nach allen Kanten (z.B. loben) bedeutet dasselbe wie: nach allen Seiten, in jeder Beziehung. An allen Ecken und Kanten: an allen Ecken und Enden, überall. Ndd. ,dat stet so up de Kante', es kann leicht herunterfallen; ,es ist mit ihm up de Kant', es steht kritisch mit ihm, es geht mit ihm zu Ende; ,gah an de Kante', geh deiner Wege;,einen an die scharfe Kante kriegen', ihn zur Entscheidung zwingen. Kanthaken ist der eiserne Haken, mit dem beim Verladen der Schiffe im Hafen die Fässer und Kisten angefaßt, auf die Kante gestellt und gehoben werden. Daher die seit dem Ausgang des 17. Jh. bezeugte Rda. einen beim Kanthaken packen (nehmen, kriegen):ihn am Genick, beim Kragen, am /Schlafittchen nehmen. Vielleicht ist die Rda. aus der Seemannssprache in die Umgangssprache übergegangen. Dann müßte es aber eigentl. und logisch heißen: ,jem. mit dem Kanthaken fassen'. Diese Formulierung ist jedoch nicht gebräuchl. Nun hält bereits Adelung 1775 in seinem ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches' (Bd. 2, Sp. 1497) das Wort Kanthaken, dessen Bdtg. ja sehr wenig zu ,Genick' paßt, für eine Entstellung aus ,Kammhaken', das er in der Bdtg. ,Genick' anführt. Und in der Tat ist die ältere, seit dem 16. Jh. bezeugte Form der Rda.: ,einen beim Kamm nehmen', wobei ,Kamm' urspr. den Teil des Halses von Pferden usw. bez., auf dem die Mähne wächst, dann auch den Nacken, Schopf von Menschen; /Kamm. Kantonist. Ein unsicherer (fragwürdiger) Kantonist sein: ein Mensch, auf den man sich nicht verlassen kann, ein Mensch von zweifelhaftem Charakter. Unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. wurde Preußen durch ein Reglement vom Jahre 1733 in Aushebungsbezirke, sog. Kantone, eingeteilt. Nach der bis 1841 geltenden Regelung ist ein Kantonist dementsprechend ein Dienstpflichtiger, Angehöriger eines Kantons. Ein unsicherer Kantonist' ist ein Dienstpflichtiger, der sich der Aushebung zu entziehen sucht, dann verallgemeinert: ein unzuverlässiger Mensch. Der Ausdr. wurde dann auf andere Berufe und Verhältnisse übertr.: „obgleich Doktoren 478
Kappe wegen ihrer Praxis ziemlich unsichere Kantonisten sind“ (Stinde, ,Familie Buchholz", 1885, Bd. 2, S. 72). Kanzel. Ein Brautpaar von der Kanzel werfen (herunterschmeißen, springen lassen): es kirchlich aufbieten; eine schon seit dem 17. Jh. bezeugte Rda., die sich davon herleitet, daß die Namen der Verlobten drei Sonntage hintereinander von der Kanzel aus verkündigt wurden. Lit. z. B. in Grimmelshausens ,Simplicissimus" (II): „Dass sie umb acht Tag ehender als sonsten dürften Hochzeit halten, weiln sie in acht Tagen dreimal nach einander über die Canzel geworfen werden konnten"4. Entspr. von der Kanzel fallen: in der Kirche aufgeboten werden; auch in den Mdaa., z.B. schwäb. ,von der Kanzel ra schmeisse"; pomm. ,se sind all van de Kanzel fallen". Schweiz. ,d Chanzla n’ufstella", bei der Besetzung einer Pfarrstelle die freie Bewerbung eröffnen, so daß der Bewerber eine Probepredigt halten kann. Einen von der Kanzel auswaschen; z. B. bei Burkard Waldis: „Mit solchen Worten un- gelaschen, uns von der Kanzel auszuwaschen""; /abkanzeln. Kapee. Schwer von Kapee sein: schlecht begreifen, eine lange Leitung haben; zu ,kapieren" (vgl. lat. capere) = begreifen, verstehen, gebildetes franzosisierendes Subst., seit etwa 1900, rhein. und sold. (Küpper). Kapital. Aus etw. Kapital schlagen: aus einer Sache für sich Vorteile, Gewinn herausholen. Die Wndg. ist eine moderne Steigerung von ,Geld (heraus)schlagen", /Geld; vgl. engl. ,to make capital out of a thing"; frz. ,battre monnaie avec quelque chose"; ndl. ,geld (munt) uit iets slaan". Kapitel. Das ist ein Kapitel für sich: darüber läßt sich viel (Merkwürdiges, Unerfreuliches, Ungünstiges) sagen. Die Rda. geht von der Einteilung der bibl. Schriften in Kap. aus. Entspr. Das ist ein ganz anderes Kapitel: das steht auf einem anderen Blatt; rhein. ,Dat es en ander Kapitel1, eine andere Sache; nun verstehe ich dich; Joss mer en aner Kapitel ufänken", ,um auf ein an¬ deres Kapitel zu kommen", von etw. anderem reden; ,das ist ein dunkles (trauriges usw.) Kapitel". Einem die Kapitel lesen oder ihn abkapi- teln: ihm Vorwürfe machen, ihn /abkanzeln, die /Leviten lesen, ihn ins /Gebet nehmen. kapores. Kapores gehen (machen): sterben, entzweigehen, bankrott gehen, vernichtet sein, stud, seit dem Ende des 18. Jh. Das Wort stammt aus hebr. ,kapporeth", das Sühneopfer, Sühnung, Versöhnung, Genugtuung bedeutet. Am Vorabend des Versöhnungsfestes wurden Hühner ,kapores" geschlagen, nämlich als Sühneopfer um den Kopf geschwungen; /Sündenbock. Kappe. Etw. auf seine (die eigene) Kappe nehmen: die Verantwortung (auch: die Unkosten, die Folgen) für etw. übernehmen. Etw. auf eigene Kappe machen: etw. ohne Auftrag auf eigene Verantwortung machen. Es kommt auf seine Kappe: dafür trifft ihn die Verantwortung, es geht auf seine Rechnung. Die Kappe ist an die Stelle des Kopfes getreten, der die Verantwortung übernommen hat; /Hut. Diese erst seit Heinrich v. Kleist belegte Rda. geht vielleicht auf die Bdtg. der Kappe als Teil der Amtstracht (z.B. eines Richters, eines Beamten) zurück, sagt man doch rhein. ähnl.: ,Se schuwen alles op seng Kapp", sie machen ihn für alles verantwortlich. Entspr. Das kann ihm die Kappe kosten: das kann ihn sein Amt, seine Stellung kosten. Doch könnte Kappe auch den Mantel (engl, cape) bedeuten, auf den einer Prügel bekommt, denn einem etw. auf die Kappe geben (ähnl.: auf die Mütze) heißt: ihn verprügeln, und mit gleicher Übertr. ist zu ,Wams" das Verb ,verwamsen" = verprügeln gebildet. In älterer Sprache bedeutete ,Kappen" geradezu ,Prügel", so Kappen ge- ben bei Grimmelshausen; dann gemildert: ,es wird Kappen setzen", es wird Vorwürfe geben. Die Kappen aufklauben: die Vorwürfe ruhig hinnehmen, einstecken. Lit. bei Seb. Franck (,Chronik" 1501, B. 449b): „Wer ein Christ will sein, muß Verfolgung leiden, herhalten, die Kappen aufklauben"". Schon bei Luther ist belegt: eine Kappe schneiden (kaufen): ein Unglück bereiten; 479
Kapriolen Waatrçt ?{pi3)S 'inddög aipHlfs) auch mdal. ndd. ,di is ene Kappe tosneden\ dir ist etw. Schlimmes zugedacht. Einem die Kappe aufsetzen: ihn zum Mönch machen; entspr. das Sprw.,Gleiche Brüder, gleiche Kappen4 mit der auf die Narrenkappe gemünzten Fortsetzung: ,gleiche Narren, gleiche Lappen4. Er hat die Kappe an den Zaun gehängt: er ist aus dem geistlichen in den weltlichen Stand getreten. Einem eine Kappe kaufen: ihm hart zusetzen, bezieht sich in der Sprache des 16. Jh. auf die Narrenkappe. Bei Hans Sachs sagt ein zorniger Mann, der seine Frau geschlagen hat: Dann ist die Gail mir iiberlauffen, Das ich ihr thu ein Kappen kauffen. Dazu: ,Er könnte sich die Kappe sparen4, man hält ihn so schon für einen Narren. Lit.: /Kopf. Kapriolen. Ital. ,capriola4 = Bocksprung (von lat. caper = Bock) ist in der zweiten H. des 16. Jh. als Name der kunstvollen Sprünge ital. Tänzer ins Dt. gedrungen. Dazu die Rda. Kapriolen machen: tolle Stückchen machen, Unsinn, Narreteien treiben, aber auch: Seitensprünge machen. Im 17. Jh. statt dessen auch Kapriolen schneiden: Faxen machen. In einem hist. Volkslied auf die Erwerbung der poln. Königskrone durch den sächs. Kurfürsten heißt es: Nämlich Conti, dieser Franze, So ganz listig capriolt, Daß er, gleich als wie zum Danze, Vor sich eine Krone holt. Hierher gehört auch der Beleg in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (IV, 462): „Ohne was die Lateinischen Handwerks- Gesellen, mit ihrem Vestra Dominatio, recommando me und permaneo für Capern daher schneiden44 i. S. v.: Fratzen schneiden. Durch den Schlager der dreißiger Jahre „So was nennt man Kapriolen . . .4‘ hat die Rda. in unserem Jh. wieder neues Leben erhalten. kaputt, entzwei, erschöpft, tot, bankrott. Kaputt gehen: zugrunde gehen, entzweigehen, zerbrechen, sterben, bankrott gehen. Entspr. kaputt machen (hauen, sein), aber auch sich kaputt lachen: heftig lachen, sich tot lachen, sich vor Lachen ausschütten; sich kaputt arbeiten: sich bei der Arbeit überanstrengen; Was ist kaputt?: Was ist los? Was ist geschehen? Bei dir ist wohl etw. kaputt!: du bist wohl nicht recht bei Verstand. Rasen wie ein kaputter D-Zug ist ein anschaulicher, aber hinkender rdal. Vergleich. Kaputt ist urspr. ein frz. Fachausdr. des Pikett(karten)spiels, wo man ,être, faire capot4 (von capoter = kentern, zu lat. caput = Vorderteil des Schiffes) sagte, wenn ein Spieler alle Stiche, die übrigen keinen gemacht hatten. Im 17. Jh. drang das Wort ins Dt.; während des Dreißigjährigen Krieges nahm ,kaputt spielen4 die übertr. Bdtg. ,einem alles abnehmen4 an (Grimmelshausen), in der Soldatensprache wurde ,kaputt machen4 sogar ein übersteigernder Ausdr. für,erschlagen4. Schließlich wurde kaputt ein Allerweltswort der Umgangssprache für ,zerstört4, .entzwei4. Nicht verwandt mit kaputt ist das seit dem 18. Jh. in gleicher Bdtg. gebrauchte Wort /kapores. Kapuziner. Er ist zu keinem Kapuziner zu gebrauchen: er ist ein gründlicher Taugenichts. 480
Karnickel Einen Kapuziner (samt der Kutte) geschluckt haben: heiser sein. Diese bair.- oesterr. Rda. geht vielleicht auf die rauhhaarige Tracht des Kapuzinerordens zurück, wahrscheinlicher aber auf die derben Büßpredigten, die dessen Angehörige hielten; vgl. die Kapuzinerpredigt in Schillers ,Wallensteins Lager' (8. Auftr.). Rhein. ,sone kleine Kapuziner met na Hus brenge\ einen kleinen Rausch mitbringen. Bair. ist ein ,Kapuzinerrausch' ein tüchtiger Rausch, wobei einen, wie man sagt (vgl. Schmeller-Frommann, I, 1270), ,,zwei an der rechten, zwei an der linken Seite führen und ein fünfter hinten nachschieben muß'. Das Bild ist wohl von den Umzügen der Kapuzinermönche genommen, /trinken, Karbol« Du hast wohl lange nicht mehr Karbol gerochen? ist eine Drohfrage, sold, seit dem 1. Weltkrieg bezeugt. Der Fragende droht dem damit Befragten, ihn krankenhausreif zu schlagen, weil dort Karbol als Desinfektionsmittel benutzt wird; vgl. auch die Ausdrücke Karbolmäuschen: Krankenschwester, medizinisch-technische Assistentin; Karbolkaserne: Lazarett, Karbolfähnrich: Sanitätsoberfeldwebel (Küp- per). Karfreitagsratsche. Sein (ihr) Mundwerk geht wie eine Karfreitagsratsche sagt man von einem gern und viel redenden Menschen, insbes. von Frauen. Eine Ratsche ist ein hölzernes Instrument, an dem sich um einen Stiel eine Klapper dreht, die ein star¬ kes Geräusch verursacht. Die Ratsche wird gebraucht als Lärminstrument im Weinberg, um die Vögel zu verjagen, als Kinderspielzeug, aber auch als Brauchgerät in kath. Gegenden, um während der Karwoche, in der die Kirchenglocken schweigen, den Beginn des Gottesdienstes anzuzeigen. Karfunkel. Das glänzt (blitzt) wie ein Karfunkel vorm (im) Ofenloch sagt man ober- sächs. spöttisch von unechten Schmucksachen u. dgl. Bisweilen, so eis., bedeutet die Rda. auch: gar nicht glänzen. Im übrigen spielt bei der seit dem 17. Jh. bezeugten Wndg. wohl auch der Anklang des Edelsteinnamens ,Karfunkel' (von lat. carbunculus = kleine glühende Kohle) an funkeln' mit herein. In dem obersächs. Witzwort ,Er hat einen Karfunkel unter der Zunge, wenn er das Maul auftut, so leucht (lügt) er', ist ebenfalls der Edelstein gemeint, wobei der Witz auf der mdal. Aussprache beruht, so daß leuchten und lügen gemeint sein kann. Karnickel, der Verantwortliche, eigentl. Urheber, der Schuldige; Reststück der ur- spr. berl. Rda. (der) Karnickel hat angefangen. Mit diesen Worten wird in einer Streitsache der unterliegende Schwächere vom Stärkeren auch noch ins Unrecht gesetzt; vgl. auch wer ist das Karnickel?/wer hat die Veranlassung (zu einem Streit) gegeben? Die vor allem berl. noch viel gebrauchte Rda. ist nicht ohne weiteres verständlich, denn die Rolle des Friedensstörers paßt 481
Karnickel eigentl. schlecht zur Wesensart des Kaninchens. Die iron, gemeinte Wndg. bringt die Pointe einer ziemlich jungen Berliner Lokal-Erzählung, die sich als sprw. Rda. verselbständigt hat. Den frühesten greifbaren Beleg enthält ein Gedicht von Friedrich Förster, dem Freund Theodor Körners, das im Berliner Konversationsblatt für Poesie, Literatur und Kritik 1827 unter der Überschrift ,Karnikkeltod4 erschien: Ein junger Maler schlendert mit seinem Windspiel Presto über den Markt. Der Hund bleibt bei einem Gärtner stehen, der unter einem ,Karnickel hat angefangen4 Grünkohl ein ,KarnikkeP mitgebracht hat, und fängt an, diesem ,den Pelz zu befühlen4. Karnikkel denkt: er will,backe Kuchen4 spielen, Macht ein Männchen und in allem Spaß Tatscht es dem Hund so auf die Nas. Kaum aber tut Presto so was spüren, Er gleich darauf los, ohne Pariementieren, Treibt den (!) Karnikkel zwischen die Körbe zurück Und bricht ihm erbärmlich das Genick. Auf das Geschrei des Gärtners kommt die Polizei und nimmt den Herrn fest. Ein Refrendarius tritt herfür, Ruft: ,quadrupes pauperiem4 heißt es hier. Die Weiber mit Fisch und Gemüse schrein, Alle Welt stürmt auf den Maler ein. Und ein Schusterjunge, schmutzig und keck, Steht eben auch mit auf dem Fleck. Der spricht: hier gilt kein Bangemachen. Lieber Herr, Sie können dreist lachen, Nur immer mit auf die Polizei gegangen, Ich hab' es gesehen: Karnikkel hat angefangen. Guter Ibrahim, so ist es dir ergangen, Es wird heißen: Karnikkel hat angefangen. Der Schluß des Gedichtes nimmt Bezug auf 482
Karren die Seeschlacht von Navarino: Als die Engländer unter Codington am 20. Oktober 1827 die türkisch-ägyptische Flotte unter Ibrahim Pascha in den Grund bohrten, gaben sie vor, die Türken hätten den ersten Schuß getan. Es war aber nur ein Salutschuß gewesen. In der Ausg. seiner Gedichte (1838) gab Förster dem Gedicht den Titel ,Karnikkel hat angefangen1, weil die Wndg. inzwischen schon zur sprw. Rda. geworden war, wie überhaupt dieses Gedicht eine große Wirkung gehabt hat; auf ihm beruhen auch einige künstlerische Darstellungen der Erzählung. Es ist allerdings auch möglich, daß die Geschichte schon vorher Volkserzählung war, ehe sie Förster bearbeitete und sich auf ein damals viel diskutiertes weltgeschichtliches Ereignis bezog. Die Erzählung ist jedenfalls auch Wandergut geworden, und andere mdl. Versionen verlegen den Schauplatz der Geschichte nach Magdeburg oder auch nach Braunschweig. Wenn auch der Franzose sagt ,Le lapin a commencé1, so stammt das aus dem Dt. Die Erzählung von der angeblichen Schuld des schwachen Kaninchens liegt ja im allg. Gedankengut der Fabel und ist im Grunde ein Analogiefall zur Fabel vom Wolf, der das Lamm frißt, und diesem die Schuld an seinem Untergang zuschreibt. Das plattdt. Sprw. sagt: ,Ick ward keen Narr sin, sä de Wulf, un lat mi vont Schap biten4 oder auch: ,Ick kann’r nich vor, sä de Wulf, da drog he dat Schap weg4. Lit.: O. Pniower: Das Karnickel hat angefangen, in: Mitteilungen des Vereins für die Gesch. Berlins 42 (1925), S. 110-112; Chr. Rogge: Karnickel hat angefangen, in: Zs.f.d. Ph. 53 (1928), S. 189-191; H. Krüg- ler: Zu .Karnickel hat angefangen\ in: Zs. f. d. Ph. 57 (1932), S. 178-180. Karre (n). Den Karren (die Karre) aus dem Dreck ziehen: eine verfahrene Sache wieder in Ordnung bringen; seit dem 17. Jh. bezeugt, doch spricht vom ,,Karren im Schlamm" als von einer .verfahrenen Angelegenheit4 schon Luther. Zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges ließ protestantischer Siegesübermut in einem Spottlied die kath. Geistlichkeit ausrufen: Thu dich (o Papst) hortig besinnen Und schick uns Hülf in kurzer Zeit, Denn der Karn in der Pfitze leit, Niemand kann ihn herausschleppen. Die Wndg. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es westf.,de Kar ut’m Dreck trecken4, sich aus widerwärtigen Verhältnissen befreien. Das Bild vom Karren wird oft iibertr. gebraucht für eine Sache, die vorangetrieben wird oder werden soll. Geiler von Kaisersberg redet sogar von der ,Karr Gottes4 und sagt sprw.: „man kan nie- mandts helfen den Karren ziehen, der nit selbst auch ziehet44. Die gegensätzliche Wndg. ist: Den Karren in den Dreck (Kot) schieben (führen): eine Sache gründlich verderben. Gleiche Bdtg. hat die Rda. den Karren verfahren, meist als Feststellung gebraucht, wenn das Unglück geschehen ist: die Karre (der Karren) ist (gründlich) verfahren. Ähnl. den Karren ins Dickicht gezogen (gefahren) haben: sich selbst in Verlegenheit gebracht haben. Holtei braucht diese Wndg. im .Eselsfresser4 (1, 82): „ Wird nicht jeder Kritiker ausrufen: Er hat sich verrannt, hat die Karre in das Dickicht gezogen, und nun läßt er sie stehen44. Den Karren stehen lassen (im Kot stecken lassen): sich nicht weiter um eine unerfreuliche Angelegenheit kümmern, eine anstrengende Beschäftigung, ein mühevolles Amt aufgeben, kein Interesse mehr am Fortgang oder Gelingen von etw. haben, das wahrscheinl. doch zu nichts führen wird. Die Wndg. ist mehrfach lit. bezeugt, z.B. sagt in Schillers .Kabale und Liebe4 (III, 2) der Präsident frostig zum Hofmarschall: „Sie haben vollkommen recht. Ich bines auch müde. Ich lasse den Karren stehen44. Die Karre einfach laufenfassen: in eine Entwicklung nicht eingreifen, tatenlos Zusehen, gleichgültig und leichtsinnig handeln, resignieren. An einem Karren mit jem. ziehen: gemeinsame Interessen, Ziele haben, das gleiche Schicksal erdulden müssen. Vgl. lat ,idem jugum trahere4. In Leipzig kennt man einen Reim mit der gleichen Bdtg. Sie ziehen beide an einem Karren, Der eine tut keuchen, der andere schnarren. Alle vor den gleichen Karren spannen: seine Mitarbeiter und Helfer für eine große Aufgabe einsetzen, mit den Kräften anderer ein Ziel zu erreichen suchen. Den Karren schmieren: tint Sache fördern. 483
Kartause ,Mit dem Kärrlin fahren4 wenn nötig durch Bestechung; an seinem eigenen Verderben oder an dem anderer arbeiten. Murner braucht in der ,Narrenbeschwörung1 (42, Kloster, IV, 750) die Rda. in der 2. Bdtg.: „Wo Einer yetz verderben will, so hilft man im fols (vollends) zu dem zil, vnd schmiert am karren jedermann“. Von dem Karren gefallen sein: unehelich geboren sein. Die Wndg. ist bereits bei Sebastian Franck (II, 62a) bezeugt und bis heute mdal. verbreitet, z. B. sagt man westf, ,Hei is van der Kar fallen4. Vgl. auch ndl. ,hij is achter von de kar gevallen4. Unter den Karren (Schlitten, unter die Räder) kommen: einen Mißerfolg haben, untergehen, verkommen. Ans der Karre in den Wagen gespannt werden: in eine üblere Lage kommen, eine größere Bürde bekommen, eigentl. statt eines leichteren zweirädrigen Karrens einen schwereren vierrädrigen Wagen ziehen müssen. Murner braucht diese Wndg. mehrmals, z. B. im ,Narrenschiff4 (47, Kloster I, 482) und im ,Lutherischen Narren4 (Kloster, X, 13), wo es heißt: ,,IchmagwoI erst vom vnfal sagen, daß ich in meinen alten tagen von dem karren kum erst in den wagen44. Jem. an den Karren fahren (kommen): ihm zu nahe treten, ihn belangen, zurechtweisen; gleichbedeutend in der Gegenwartssprache auch: ,jem. an die Karre pinkeln4; ,er kann mir nicht an den Karren pissen4 usw. Unerklärt ist die vom 16. bis 18. Jh. bezeugte Rda. einen Karren machen (oder anlegen): einen heimlichen Plan schmieden; ein angelegter Karren: ein abgekarte¬ tes Spiel. Seinen Karren ins trockene schieben: sein Schäfchen ins trockene bringen, /"Schaf. Mit dem Kärrlin fahren bedeutet in älterer Sprache: gepfändet werden. Lit.: Schweiz. Vkde., Korr.-Bl. 42 (1952), S. 73, Kartause. Jem. bei der Kartause kriegen: ihn an der Gurgel (oder: im Genick) pak- ken; eine seit dem 16. Jh. belegte, noch heute mdal. verbreitete Rda.; wahrscheinl. nach der herabhängenden Kapuze, wie sie zuerst die Kartäusermönche trugen, gebildet. Wander (II, Sp. 1149) gibt noch eine andere Erklärung für die Entstehung der Rda.: Die Schlacht bei Pavia zwischen Karl V. und Franzi, wütete 1525 bes. in der Nähe einer berühmten Kartause, einem Kartäuserkloster, wo Franz gefangengenommen wurde. Die Rda. bedeutet demnach, daß man einen angreift und überwältigt, wie dies bei der Kartause geschehen ist. Kartäuser. Ein Kartäuserleben führen: ein entbehrungsreiches Leben haben, weltliche Vergnügen meiden. Die Rda. bezieht sich auf die strengen Ordensregeln. Vgl. auch ndl. ,hij heeft een Carthuizers leven4. Nach der Kartäuser regel leben: kein Wort miteinander reden, da den Kartäusermönchen ständiges Stillschweigen vorgeschrieben war. Die Rda. wird meist auf Eheleute angewendet, die nach einem Streit längere Zeit nicht miteinander sprechen. Hans Sachs verwendete die Rda. auch lit. (I, 476b): ,,Wir halten auch carthauserregl, sie munkt und redt denn nichts mit mir, so meul ich mich und spräch nichts zu ir44. 484
Karte Karte. Der Urspr. des Kartenspiels liegt im dunkeln. Wahrscheinl. stammt es aus China, denn dort lassen sich um 1200 die ersten Spielkarten überhaupt feststellen. Sie verbreiteten sich von da aus über ganz Asien; im 16. Jh. finden wir sie auch in Indien. Nach Europa müssen die Spielkarten mit den zurückkehrenden Kreuzfahrern gekommen sein. Seit dem Ende des 14. Jh. finden wir sie überall in Europa und auch bald schon die Zunft der Kartenmacher. 1463 erließ England ein Einfuhrverbot für Spielkarten, um seine Kartenmacher vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Wenn auch das Kartenspiel vor allem die Lieblingsbeschäftigung der Landsknechte wurde, so scheint es doch auch sonst sich großer Beliebtheit erfreut zu haben. Der Bischof von Würzburg sah sich 1329 genötigt, den Klerikern das Kartenspiel zu untersagen, weil die geistlichen Herren allzu eifrig der Spielleidenschaft gefrönt hatten. Die Stadt Basel erließ 1367 sogar ein generelles Spielverbot. Kein Wunder, daß der bei den Männern so beliebte Zeitvertreib seinen Niederschlag auch bald in Sprww. und sprw. Rdaa. fand. Wir finden sie seit dem 15./16. Jh., und bald wurden sie auch in übertr. Bdtg. gebraucht. Die Karten mischen (mengen): die Ereignisse im eigenen Sinne beeinflussen, herbeiführen, die Angelegenheit in Gang bringen. Die Karten gut mischen: ,mitmi- schen4, Ereignisse geschickt mitgestalten, ohne selbst in den Vordergrund treten zu müssen. „Ich will die Karten besser mischen11, d.h. einen neuen, besseren Plan entwerfen, findet sich bei Ulrich v. Hutten um 1500. Eine heute nicht mehr gebräuchl. Rda. steht bei Grimmelshausen: „Ich warff meine Karten mit unter“ (,Simplicissimus4 III, 160), was bedeutet: ich mischte mich in das Gespräch. Vor allzu starkem Mischen warnt eine oldenb. Rda.: ,Du schürst de Korten ja de Ogen aus4. Im Volkslied heißt es: Die Karten habt ihr zwar gemischt, Doch ist das Stichblatt euch entwischt! Einem die besten (schönsten) Karten geben: einem allen Vorteil zukommen lassen; umgekehrt eine böse (falsche) Karte geben (auswerfen). ,Sie haben die Karten miteinander gemischt4,d.h. etw. miteinander ver¬ abredet, bzw. in der gereimten Form des Sprw.: Wie sie die Karten mischen, Mich solFn sie nicht erwischen sind gleichfalls Rdaa., die vom unredlichen Kartenmischen herkommen. „Die Karten sind noch nicht ganz vergeben44, es ist noch nicht alles entschieden, findet bei Schiller Eingang in die Lit. (,Kabale u. Liebe4 III, 1). Wenn aber ,die Karten vergeben sind4, dann ist nichts mehr zu ändern. Wilde Karten auswerfen:vi\\d oder zornig werden, gebraucht schon 1530 Seb. Franck. Joh. Schütz spricht 1580 von „unnützen Karten auswerfen44. Er hat gute Karten, vgl. engl. ,he has good cards to show4, ndl. ,hij heeft eene schoone kaart4, Schweiz. ,er cha de Charte rûeme4, frz. ,avoir beau jeu4. Im übertr. Sinne wollen diese Rdaa. sagen, daß einer in einer günstigen Lage ist und bei seinem Unternehmen Glück hat. Im gleichen Sinne werden auch es paßt in meine Karte odtx Karten jeder Farbe haben gebraucht. Seine Karten auf decken: seine Absichten zu erkennen geben. Die Karten offenlegen: bisher verheimlichte Gedanken und Absichten äußern; vgl. ndl. ,met open kaarten speien4, frz. Jouer cartes sur tables4. Ferner: Die Karten auf den Tisch legen oder seine Karten über den Tisch halten: nichts verhehlen. Mit verdeckten Karten spielen: vorsichtig sein, seine Pläne nicht offenbaren. Bismarck gebraucht dieses rdal. Bild gern, wenn auch teilweise in frz. Form (,Reden4 X, 190): „Sie können von einem auswärtigen Minister nicht verlangen, daß er über alle schwebenden Verhandlungen mit Ihnen cartes sur table spielt44 (d.h. ouvert); ein andermal: „Spielen Sie die deutsche Karte aus, werfen Sie sie auf den Tisch - und jeder weiß, wie er sich danach einzurichten oder sie zu umgehen hat44, und schließlich: „Ich kann der göttlichen Vorsehung nicht so in die Karten sehen, daß ich das vorher wüßte44. Wer mit offenen Karten spielt, dem kann man in die Karten sehen (gucken): seine Pläne zu erfahren suchen, seine geheimen Absichten erkennen; vgl. frz. ,voir dans le jeu (les cartes)4; ndl. Jemand in de kaart kijken4. Bei Goethe (,Wilhelm Meisters 485
Karte Lehrjahre1 4, 15): „Der Schluß der Darstellung läßt uns noch etwas tiefer in die Karten sehen", oder: „ehe wir zugeben, daß sie uns in die Karten sehen". Sich nicht in die Karten gucken lassen: seine Absichten (seine Lage) geheimhalten. Geiler von Kaisersberg 1508: „sieh in dein eigen Kartenspiel“. Ebenso imperativisch ist auch die eis. Rda. gebraucht: ,Lug dir in dein Kartenspiel1. Von einem, der alles voraussehen möchte, sagt man rhein.: ,de well osen Herrgott in de Karte kike4. „Er kendt die Karten" findet sich in der Sprw.-Sammlung von Joh. Agricola aus dem Jahre 1548 im Sinne von: er weiß Bescheid. Er weiß zu karten, d. h. so zu spielen, daß alles nach seinem Wunsch läuft; schwäb. ,er weiß seine Karte z’stecke4. Eine Karte sticht: eine Maßnahme ist erfolgreich, im 19. Jh. allg. in Dtl. belegt. Umgekehrt diese Karte sticht (diese Karten stechen) heute nicht mehr: diese Argumente überzeugen nicht mehr. Die Karte nicht vertieren:sich nicht irremachen lassen, seinen Vorteil wahrnehmen. Alle Karten (Trümpfe) in der Eland behalten: sich den entscheidenden Entschluß bis zuletzt aufsparen, die Macht, Leitung erhalten. Beim Kartenspiel endigt möglicherweise das Glück, und die Karte wechselt sich. So schreibt G. Rollenhagen 1591 im ,Frosch- meuseler4: „Wo wir aber in diesen Sachen noch lange vollen Anstand machen, so wird sich bald wechseln die Karten". Oder ähnl. die Karte hat sich gewendet (/Blatt). Der Wechsel im Glück ist damit verbunden, wie die Karten fallen, eine Rda„ die sich auch bei Goethe findet: „Der arme Landmann harrt das ganze Jahr, wie etwa die Karten fallen über den Wolken". Das Kartenspiel nicht mehr in der Hand haben: in einer Sache keine freie Entscheidung mehr haben, schon bei Luther. Die fetzte Karte ausspielen: zur letzten Möglichkeit greifen. Auf die fatsche Karte setzen: tin Mittel wählen, das sich als nicht erfolgreich herausstellt. Schon früh müssen allenthalben Betrügereien beim Kartenspiel aufgekommen sein, denn bezeichnenderweise sind die am frühesten bezeugten Rdaa. über das Kartenspiel solche, die von betrügerischem Spiel reden. So bei Geiler von Kaisersberg 1508: „In seinem Kartenspiel sind viel böser Stein", 1566 im ,Theatrum Diabolorum4: „Er wirft bös Kart mit unter44, 1576 „Bös Karten auswerfen44, bös oder übel reden, oder „Da ist die ganze Karte falsch44. Noch heute allg. verbreitet ist jem. die Karte in die Hand spielen: jem. helfen; vgl. ndl. ,in de Kaart von de Gegenparty speien4, engl. ,to play into a person’s hand4; frz. ,donner beau jeu à quelqu’un4. Es einem karten: einen anführen. Es sind viel böse Karten im Spiel: es sind Leute beteiligt, die es bös meinen. Es ist eine angelegte Karte: ein fein gesponnener Plan. Mit der Rda. ein abgekartetes Spie! treiben wird der Vorwurf ausgedrückt, jem. habe die Karten zu seinen Gunsten gemischt, d.h. auf betrügerische Weise Tatsachen geschaffen, die dem Mitspieler zum Nachteil gereichen. Im Simplicissimus4 (IV, 27) schreibt Grimmelshausen: „Möchte das Glück diß Spiel karten, wie es wollte44. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (III, 1) fragt der Präsident: „Wie war das zu machen?44 Darauf Wurm: „Auf die einfachste Art - und die Karten sind noch nicht ganz vergeben44. Alles auf eine Karte setzen: mit einem kühnen Schlage etw. entscheiden wollen, alles riskieren, um etw. Bestimmtes zu erreichen, das Letzte wagen, einsetzen; auch in den Mdaa., z.B. köl. ,alles op ein Kaat setze4; engl. ,1 would cheat my own father at cards4, ,to have all one’s eggs in the same basket4; frz.,risquer sa dernière carte4; ndl. ,alles op een kaart zetten4. Wie ein Kartenhaus zusamtnenfallen (Zusammenstürzen): sich als Phantasie erweisen, zu einem Nichts werden. Kartenhäuser bauen: Spielereien treiben, Luftschlösser bauen; entspr. es ist nichts als ein Kartenhaus; vgl. frz. ,c’est un vrai château de cartes4. Der rdal. Ausdr. stammt von der Spielerei, aus Karten Häuser zu bauen, die beim geringsten Luftzug einfallen. Daher wird der Ausdr. Kartenhaus zur bildl. Bez. einer Phantasterei, eines Wahngebildes, ähnl. wie /Luftschloß. Lehmann meint (S.204,,Freund4 43): „Ein Hauß von Kartenblättern, vnnd ein Pferd von Krautstiel, und ein Freund mit dem Maul, seynd so viel werth als ein Mückenfraß". Sehr zahlreich sind die rdal. Vergleiche, bes. in den Mdaa.; z.B. schwäb. ,diinn wie 486
Käse ein Kartenspier. ,A Kart ist wie a Hür4 findet sich bei den Juden in Warschau. ,Er blättert mehr in den Karten als im Brevier1 sagt man von einem pflichtvergessenen Geistlichen. Die Karten werden sogar als ,des /Teufels Gebetbuch4 bezeichnet, weil man das Spiel für sündhaft hielt. *q>nq*3i5 ’3® $)3jn3£ ill 31 <£ ,Hat man keine Karte, so spielt man ein Scheit Holz aus4; entspr. die mdal. Rdaa. ,ne Kart oder ne Klob Holz4, ,e Kart oder e Stück Holz4 (eis.), ,e Kaart oder e Schtigg Holz4 (pfälz.); ähnl. auch ,en Kart oder en Beischt Stroh4 (Eifel). /Spiel, /Trumpf. Lit.: Tylor: History of Playing Cards (London 1865); Breitkopf: Versuch über den Ursprung der Spielkarte (Leipzig 1874); Bierdimpfl: Die Sammlung der Spielkarten des bayr. Nationalmuseums (München 1884); M. Lehrs: Die ältesten dt. Spiele des königlichen Kupferstichkabinetts zu Dresden (1885); K. Bachmann: Die Spielkarte (1932); ders. in; Forschungen und Fortschritte 26 (1950), S. 63-68 (mit Lit.-Verz.); ders. in: Beiträge zur Sprachwissenschaft u. Vkde., Festschrift f. E. Ochs (Lahr 1951), S. 308-373; F. Rumpf in: Jb. f. Hist. Vkde. 3/4 (1934); O. Reisig: Dt. Spielkarten (Leipzig 1935); A. I. Norrer: Was die Kartenspieler quatschen (Redewendungen), in; Atlantis 1936, S. 543-545; W. L. Schreiber: Die ältesten Spielkarten (Leipzig 1935); K. Wehrhan: Zum Aberglauben der Kartenspieler. Mitteilungen d. Schles. Gesellschaft f. Vkde. 37 (1938), S. 148-158; H. Appel: Die Skatspra¬ che (1950); L. V. V. Hermansen: Spillekort 1350-1950 (Kopenhagen 1950); H. Rosenfeld: Münchener Spielkarten um 1500 (München 1958); ders.; Das Alter der Spielkarten in Europa und im Orient, in: Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 2 (1960), S. 778-86; ders. u. E. Kohlmann: ,Die schönsten dt. Spielkarten (Insel-Bücherei Nr. 755); P. G. Brewster in: Southern Folklore Quarterly 23 (1959), S. 196-202; K. Weigel: Kartenspielfragmente. Libri 14 (1964), S. 40-43. Kartoffel. Rin in die Kartoffeln, raus aus den (die) Kartoffeln: mal soll es so gemacht werden, mal anders, ist ein Ausruf der Verärgerung über Unentschlossenheit, bes. wenn eine bisher gültige Arbeitsanweisung durch eine völlig entgegengesetzte abgelöst wird. Die seit 1881 bezeugte Rda. geht auf militärische Kreise zurück: Im Manöver wurde nicht selten angeordnet, daß eine Truppe in einen Kartoffelacker einrücken sollte, während bald darauf der Befehl kam, daß der Kartoffelacker zur Vermeidung von Flurschäden wieder geräumt werden müsse. Lit. bei Friedrich Wülfing 1881 (.Fliegende Blätter4 Nr. 1885), zunächst in der Umgangssprache der Großstädte, berl. u. köl.. später allg. umg. Eine Kartoffel im Strumpf haben: ein Loch im Strumpf haben: auch in der Form einer scherzhaften Frage: ,hast du Kartoffeln gepflanzt?4 oder: ,die Kartoffeln sind reif4, ,die Kartoffeln blühen4, ,die Kartoffel guckt heraus4; vgl. engl. ,potato-hole4. ,Du grote Kartoffel, wan du man nich barstest4 sagt man ndd. von Prahlern und Großsprechern. Es sind kleine Kartoffeln: kleine /Fische. Karton. Wie aus dem Karto/i: wie aus dem Schächtelchen, wie aus dem Ei gepellt, d. h. sehr sauber, wie neu gekleidet. Gemeint ist, daß der Betreffende so sauber und tadellos gekleidet aussieht, als käme er mitsamt seiner Kleidung aus der Pappschachtel, in die man neugekaufte Kleidungsstücke verpackt (Küpper I, S. 177). Karussell. Mit jem. Karussell fahren: ihn um den Exerzierplatz jagen, sowie allg.: ihn heftig rügen. Sold, in beiden Weltkriegen, wohl schon seit dem ausgehenden 19. Jh. Käse. (Kaum) drei Käse hoch sein: (noch) ganz klein sein, spöttisch vor allem von ei- 487
Kassel nem kleinen Gernegroß gesagt, einem (Drei-)Käsehoch; schon 1767 im ,Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs" (Bd.2, S.762): ,,Een Junge twe Kese hoog: ein kleiner kurzer Junge“, ähnl. im Pariser Argot: ,gros comme deux liards de beurre (et ça pense déjà aux femmes)". Käse gilt, vor allem auf dem Land, als ein billiges, leicht selbst zuzubereitendes Nahrungsmittel, bes. in Form von /Quark, allg. für Wertlosigkeit, übertr. für Geschwätz, Unsinn, dummes Zeug, Wertloses, Nichtigkeit. So ein Käse!: solch ein Unsinn; das ist alles Käse: das ist alles unbrauchbar; Käse machen: Unsinniges tun; mach doch nicht solchen Käse!: mach keine lange Rederei; das geht dich einen Käse an: das geht dich überhaupt nichts an; erzähle (quatsch) doch keinen solchen Käse: rede keinen solchen Unsinn; sich über jeden Käse auf regen: sich über jede Kleinigkeit aufregen. Alter Käse: altbekannte Sache; großer (harter) Käse: großer Unsinn; das ist mir Käse: das ist mir gleichgültig. Er hat davon keinen Käse gegessen: er weiß nichts von der Angelegenheit; vgl. ndl. ,hij heeft er keene Kaas van gegeten". Andererseits spielt Käse in verschiedenen Rdaa. als Grundnahrungsmittel und Brotbelag eine Rolle: Den Käse ohne Brot essen: sich das Beste nehmen; sich den Käse (die Butter) nicht vom Brot nehmen lassen: sich zur Wehr setzen, sich nicht alles gefallen lassen; seinen Standpunkt verteidigen. Er hat den Käse zu dick geschnitten: er hat verschwendet, ist mit seinem Vermögen am Ende. Mit Käs und Brot fiirlieb nehmen: mit einfacher Bewirtung zufrieden sein. Zum Käse (recht) kommen: zu spät, weil der Käse erst am Schluß der Mahlzeit gereicht wird. Muß man Käse und Brot auch anbeten? sagte man früher, wenn man sich das Tischgebet ersparen wollte, wo es sich bloß um Butterbrot und Käse handelte. Krümel käse machen: Ausreden gebrauchen; sächs. In die Käse fliegen: Schlimmes erleben, Unglück haben; obersächs.: ,Da hammern’n Käse!", d.h. die schlimme Bescherung. Rhein. ,sich Kees gewe", sich wichtig machen; /Flötekies. Kassel. Ab nach Kassel /ab. Kastanie. Die Kastanien (für jem.) aus dem Feuer holen: einem anderen zuliebe etw. Gefährliches ausführen, sich für einen anderen die Finger verbrennen; vgl. frz. ,tirer les marrons du feu"; engl. ,to make a cat’s paw of". Die Rda. stammt aus einer Tierfabel, die bes. durch La Fontaines Gestaltung bekannt geworden ist. Der früheste Beleg der Fabel findet sich in dem zuerst 1584 erschienenen ersten Buche der Serées von Guillaume Bouchet. Der Verfasser läßt einen Teilnehmer der 8. Serée so herzlich lachen, daß er daran zu sterben fürchtet „aussi bien que le Cardinalin, voyant un Singe qui s’aidait de la patte d’un chat pour tirer des chastaignes du feu"" (,Les Serées", éd. C. E. Roybet, Paris, 1873 f., II, 108). Woher Bouchet Kenntnis von dieser so kurz ausgezogenen Schnurre gehabt hat, ist nicht festzustellen; vielleicht hat er sie nur erzählen hören. Vier Jahre später aber sind die ,Dies caniculares" von Simon Majoli erschienen, und darin ist sie ausführlich berichtet (Ausg. Frankfurt 1642, S. 100): Die Kämmerlinge von Papst Julius II. pflegten sich in der Wartezeit, bis ihr Gebieter zu Bette ging, Kastanien zu braten. Als sie nun einmal aus irgendeinem Grunde weggegangen waren, wollte sich ein Affe, der am Hofe gehalten wurde, an den Kastanien gütlich tun. Eingedenk aber, daß die Hofleute die Kastanien mit einem Eisen oder einem Holz aus der Asche nahmen, dachte er bei sich, da ihm kein solches Werkzeug zur Verfügung stand, einen bewundernswerten Rat aus. Mit der einen Hand nahm er eine Katze und preßte sie an seine Brust, mit der andern nahm er ihre rechte Pfote und benützte den Teil vom Ellbogen bis herunter zu den Krallen, um damit anstatt des Holzes die Kastanien herauszuscharren. Auf das Geschrei der Katze eilten die Diener herbei, und jeder gab dem Affen von seinem Anteil. Schon drei Jahre nach dem Erscheinen von Majolis Buch verzeichnet John Florio als sprw. die Wndg. ,Fare come la nostra cimia, che levava le castagne dal fuoco con la zampa del gatto". In der dt. Sprache taucht die Fabel zum erstenmal auf in einem sehr seltenen Buch, in dem ,Theatrum morum", das der berühmte Kupferstecher Aegidius Sadeler 1608 in Prag hat erscheinen lassen. Unter 488
Kastanie ,Für einen anderen die Kastanien aus dem Feuer holen4 - ,sich die Pfoten verbrennen4 der Nr. 218 heißt es unter der Überschrift ,Vom Affen und der Katz4: Ein Weib im Asschen Kesten bradt. Welche ein Aff geschmecket hadt; Gedacht: Wie thet ich diesen Dingen Die Kesten aus dem Fewr zubringen? Nimpt gleich darauff ein junge Katzen, Greifft in die Asch mit ihren Tatzen. Sie schrie, biß er sie springen lies, Weil die Glüt brennet ihre Fiiß. Also schickt manch starker Man Ein schwachen in Gefahr voran. Es muß mancher gepeinigt sein, Nur daß die andern frölich sein. Als nächste dt. Niederschrift ist Christoph Lehmanns ,Florilegium4 zu nennen: ,,Es tragen sich offt Händel zu, daß mans muß machen wie jener Aff, der gern Kesten auß der Pfann überm fewr hett gessen; der erwischt ein Katz, und mit derselben Pfoten bracht er die Kesten herauß“. Neben dieser Tradition läuft noch eine zweite, jüngere Überlieferung, wo an die Stelle der Gewalt die Klugheit und List tritt. Höhepunkt dieser Überlieferung ist La Fontaines Fabel (IX, 17): ,Le Singe et le Chat4: Durch Überredung gelingt es dem schlauen Bertrand, den fast ebenso schlauen Raton dazu zu bringen, daß er ihm die Kastanien mit vorsichtigen Pfoten aus der Asche spielt, und als die Magd kommt, da ist es Raton, der keinen Grund mehr hat, zufrieden zu sein. Er wird das Opfer des durchtriebenen Gesellen. Diese Auffassung, wo der Affe nicht zwingt, sondern schmeichelt, überlistet, befiehlt, findet sich lange vor La Fontaine aber auch schon in Lehmanns ,Florilegium4: ,Herren stellen offt ein Diener an, wie der Aff die Katz, daß sie mit der Pfoden die gebratene Keste außm Fewer muß scharren; drumb mag der Diener wo! auff Vortel gedencken44. In einem Volkslied, wohl noch aus der zweiten H. des 18. Jh. (v. Ditfurth, Hist. Volkslieder, 1877, S.309) heißt es: aus dem Feuer, dir aufzuwarten, die Kastanien gar noch hol. Lessing, der den Diener seines ,Jungen Gelehrten4 zu Lisette sagen läßt: ,,Ja, ja mein Äffchen, ich merk1 es schon; du willst die Kastanien aus der Asche haben, und brauchst Katzenpfoten dazu44 (III, 1), hat sowohl Lehmann als auch Molière und La Fontaine gekannt. Goethe, bei dem Faust zu Mephistopheles sagt: Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze, Dir die Kastanien aus dem Feuer kratze, hat wohl nur von La Fontaine und Molière 489
Kasten gewußt. Bismarck sagt einmal: ,,Wenn aber andere Leute sich dazu hergeben, die Kastanien für Sie aus dem Feuer zu holen, warum soll man ihnen das nicht gern überlassen?44 Daß man in Dtl. schon im hohen MA. Kastanien im Feuer briet, lehrt ein rdal. Vergleich Wolframs von Eschenbach im ,Par- zivak (378, 15 ff.): dä erhal (erscholl) manc richiu tjoste guot (kräftiger Zusammenstoß), als (als ob) der würfe in groze gluot ganze castäne. Lit.: A. Wesselski: Der Affe, die Katze und die Kastanien, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 108-114; L. Röh- rich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S.269f. Kasten. Etw. auf dem Kasten haben: gescheit sein, viel können; nicht alle auf dem Kasten haben: nicht ganz bei Verstand sein; wenig auf dem Kasten haben: wenig können, ein Versager sein; diese Rdaa. spielen auf den Kopf als Verstandeskasten (Hirnkasten4) an; spätestens seit 1900, zunächst in den Großstädten. Im Kasten hängen (sein): als Heiratswillige öffentl. angekündigt sein; hergenommen vom Aushängekasten, in dem der Standesbeamte das Aufgebot anbringt; 2. H. 19. Jh. (Küpper I, S. 178). Kater. Nachwirkungen eines Rausches, ,Katzenjammer4 kommt in mehreren Rdaa. vor. Das Wort stammt aus der Leipziger Studentensprache und war dort bes. beliebt in der Wndg. seinen Kater spazieren fuhren; einen Kater ausführen: an den Folgen eines Rausches leiden. Wie ,Kneipe4 und ,kneipen4 hat das Wort Kater, das in Sachsen schon seit der Mitte des 19. Jh. bekannt war, aus der Studentensprache den Weg ins bürgerliche Leben gefunden. Das Wort selbst gilt als die vulgäre sächs. Ausspracheform des Wortes Katarrh, das in der Volkssprache soviel wie Schnupfen, allg. Unwohlsein und Kopfweh bedeutet. Anfänglich sollte also dieser Kater mit der männlichen Katze oder mit Katzenjammer in der übertr. Bdtg. nicht den mindesten Zusammenhang haben, sondern dürfte erst später als eine scherzhafte Verwendung des Tiernamens aufgefaßt worden sein, was in den Gegenden bes. nahe lag, wo die erwähnte volkstümliche Aussprache nicht gebräuchl. oder verständlich war. Aber diese Erklärung, die von Friedrich Kluge herrührt, überzeugt nicht vollkommen. Denn schon in Laukhards Lebensbeschreibung, also in den Jahren zwischen 1780 und 1790 kommt der rdal. Vergleich besoffen wie ein Kater vor; offenkundig bedeutet Kater in dieser Wndg. das Katzenmännchen. Die Ausdrucksweise selbst erinnert an die schwed. Rda.: ,full som en kaja4, ,full som en alika4 = betrunken wie eine Dohle. Nun kann man sich gewiß über den Vergleich wundern: warum gerade wie ein Kater? Aber dieselbe Frage gilt für die erwähnten schwed. Ausdrücke; sie gilt ebenso für die Rda. ,besoffen wie ein Besenstiel4 und viele andere dieser Art, z.B. ,saufen wie ein Bürstenbinder4. Tatsächlich gebrauchen wir in der Rede derartige Vergleiche mit Vorliebe rein mechanisch und in Zusammenhängen, wo sie eigentl. sinnlos sind und wo sie einzig der Verstärkung und Auslösung unseres Gefühls dienen. Die Rda. ,besoffen wie ein Kater4 kann daher durch mechanische Nachbildung des Ausdr.,verliebt4 oder ,geil wie ein Kater4 zustande gekommen sein. Sobald es einmal die Rda.,besoffen wie ein Kater4 gab, begünstigte das den Gebrauch von Kater = Katarrh in der Bdtg. Hatzenjammer4. Katzenjammer tauchte seinerseits zu Beginn des 19. Jh. in den akademischen Kreisen Heidelbergs mit dieser Bdtg. auf. Zuerst ist es aus der Sprache der baltischen Studenten bekannt. Görres, Brentano, Eichendorff und andere gleichzeitige Romantiker haben den Ausdr. ins Schrifttum eingeführt. Katharine. Die schnelle Kath(e)rin(e) haben: Durchfall haben; bair. ,’s laffend Kat- tel4; lausitzisch ,das hurtige Kätchen4. Die Rda. beruht auf einem alten Schulwitz, der den medizinischen Fachausdr. griech. x&üappot = Reinigung, Auswurf verhüllend umgestaltet hat. Schon in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (2. Buch, 9. Kap.): ,,Ist er (ihr Leib) nicht so zart, schmal und anmutig, als wan sie acht gant- zer Wochen die schnelle Catharina gehabt hätte!44 490
Katze katholisch. Es ist zum Katholisch werden: es ist zum Verzweifeln; Rda. in ev. Landschaften, wie bes. in Sachsen und Thüringen, wo man früher in gleichem Sinne auch sagte: ,Das ist zum Preußischwerden4. In protestantischen Kreisen ferner: katholisch gucken: hinterhältig, mißtrauisch blicken; katholisch lachen: hämisch, voller Heimtücke grinsen; katholisch sein: nicht aufs Wort glaubwürdig, unaufrichtig sein; er wird noch katholisch: er weiß sich vor Ärger nicht mehr zu helfen. Mit katholisch bez. man in protestantischen Gegenden auch etw. Unverständliches, z. B. katholisch daherreden, während umgekehrt in Bayern und Oesterr. da geht's nicht katholisch zu bedeutet: da geht es nicht recht geheuer zu. Kattun. Kattun kriegen: Schelte, Prügel beziehen (bes. ostdt.), sold.: Beschuß kriegen. Wie der Name des Baumwollstoffes zu dieser Übertr. gekommen ist, bleibt ungeklärt. Vgl. ndl. ,em van katoen geven4, einem gehörig die Meinung sagen, und ,(van) katoen geven4, etw. in vollem Maße tun, flink bei der Arbeit sein, sich tüchtig anstrengen, sein Bestes geben. Katze. Ebenso wie der Hund kommt auch die Katze in zahlreichen bildl. Rdaa. vor, so daß Hans Sachs im Schwank vom Katzenkrämer dichten konnte: ,,Der hat fünf Katzen feil, eine Schmeichelkatze, eine nasse Katze, eine Haderkatze, eine Naschkatze und eine faule Katze“. Wanders ,Sprichwörterlexikon4 zählt sogar über 1000 Sprww. und Rdaa. auf, in denen die Katze vorkommt. Die Katze im Sack kaufen: unbesehen kaufen (ebenso frz. ,acheter le chat en poche4 und ital. ,comprare la gatta in sacco4; ndl. ,een kat in de zak kopen4). In der Umgangssprache der Ggwt. wird die Rda. vielfach in Beziehung auf die sog. ,Probenächte4 und zur Rechtfertigung vorehelichen Geschlechtsverkehrs angewandt (,Man kauft doch keine Katze im Sack!4); so auch in den Mdaa., z.B. eis. ,i will kei Katz im Sack käufe4; ndd. ,ik köp keen Katt in Sack4. Das Volksbuch von ,Till Eulenspiegel4 bringt zum ersten Mal den Schwank von der Katze im Sack, die als Hase verkauft wurde. Hans Sachs hat denselben Eulenspiegelschwank zu einem Standesspott auf die Kürschner umgestaltet (,Ewlenspiegel mit der kaczen4, I. 354f.): Seit her thuet mon noch faczen Die kuersner mit der kaczen. Die frühesten schon im MA. geläufigen Formen der Rda. sprechen nur vom Raufen in einem Sack4, z.B.: Man koufet daz vil selten In dem sacke und ungesehen Des man ze gewinne miige jehen (Stricker, ,Kleinere Gedichte4); „Wir koufen in dem sacke niht“ (Wins- beke 63, 6); Swer in dem sacke koufet Und sich mit tören roufet Und borget ungewisser diet. Der singet dicke klageliet (Freidank, Bescheidenheit4 85, 5). ,Die Katze im Sack kaufen4 Auch Luther gebraucht noch die ma. Form der Rda. ,im sacke keuffen4; ,im sacke ver- keuffen4. Die Katze ,im4 bzw. ,aus4 dem Sack gehört jedoch erst dem Eulenspiegelschwank an, und das Zusammentreffen von Schwank und Rda. ist hier nicht verwunderlich, weil in den Eulenspiegelschwänken (ebenso wie etwa im Redensartenbild Bruegels) die sprachl. Ausdrücke wörtl. genommen werden. Die urspr. Rda. ist dann erweitert 491
Katze worden zu der Form, die sich bei Fischart findet: ,,Ir werd mir kei katz im sack verkaufen“. Beide Wndgn. kombiniert finden sich noch bei Thomas Mann (,Die Entwicklung des Dr. Faustus4, Frankfurt a.M. 1949, S. 16): ,,Ist es leichtsinnig, ,die Katze im Sack zu kaufen4, so ist, sie darin zu verkaufen, noch weniger empfehlenswert44. Dazu das schwäb. Sprw.: ,Narren und alte Weiber kauft man in einem Sack4. Verwandt ist die Rda. die Katze aus dem Sack lassen: die Wahrheit, die bisher verheimlichte wahre Meinung aussprechen. Wer die Katze aus dem Sack läßt, kann niemandem mehr einreden, daß sie ein Flase ist. Die Erklärung der Rda. braucht sich aber nicht unbedingt auf den oben erwähnten Eulenspiegelschwank zu beziehen. Man steckt die Katze in einen Sack, um sie zu ersäufen. Läßt sie der Träger aus Unvorsichtigkeit vorher aus dem Sack, ist damit die Absicht, weshalb er sie eingeschlossen hatte, vereitelt, und er weiß auch nicht, was die losgekommene Katze noch alles anstellen kann. Die Anwendung der Rda. reicht noch bis in die politische Karrikatur der Ggwt. ,Raus mit der Katze aus dem Sack4 heißt es bair. und schwäb. statt bloßem: ,Heraus damit!4 ,Heraus mit der Sprache!4 Dafür eis. ,Erus mit de wilde Katze!4 Holst. ,Nu kümmt der Kater to’n Sack rut4, nun ,Die Katze aus dem Sack lassen4 zeigt es sich, wird es offenbar; und ,Nu mutt de Katt to’n Sack rut!4, nun muß die Wahrheit ans Licht kommen; rhein. ,Loss mol de Katz aus em Sack4, zeige, was du verbirgst; schwäb. ,Der glotzt, wie wemad’ Katz vom Sack ’rausläßt4, er macht erstaunte Augen. Daneben: ,Schwätz mir kei Katz in Sack4, versuche nicht, mir etw. einzureden, und ,die Katz im Sack haben4, das Schäfchen im trockenen haben. Das ist für die Katz(e)!, auch das ist der Katze.'àzs ist vergeblich, wertlos, zwecklos. Ndd. ,dat ös för de Katt to Boxe4, rhein. ,dat warförde Katzjedon4,,för de Kattsin4 (vgl. ndl. ,voor de poes zijn4; frz. ,c’est de la bouillie pour les chats4). Alles für die Katz!: alles vergebens, umsonst. In einem Klagelied, das Burkard Waldis in seinen Streitgedichten gegen Herzog Heinrich von Braunschweig dem Herzog in den Mund legt, jammert dieser, daß er vergebens auf sein Schloß Wolfenbüttel gebaut habe, vergebens auf sein Roß: Dahinder ich zu fuß mus gähn, Die Schwerter hants zerhauwen, Die Katz frist jizt davon. Derselbe Burkard Waldis verwendet die Rda. 1548 in seiner Fabelsammlung Asopus4 (IV, 62) zu der Erzählung ,Vom Schmied und seiner Katze4: Ein Schmied nahm sich vor, von seinen Kunden nichts für seine Arbeit zu verlangen, sondern die Bezahlung ihrem eigenen Willen anheimzustellen; sie begnügten sich aber mit einem bloßen Danke. Nun band der Schmied eine fette Katze in der Werkstatt an, und wenn ihn die Kunden mit bloßen Dankesworten verließen, sagte er: ,Katz, das geb ich dir!4 Die Katze verhungerte, und der Schmied beschloß, es zu machen wie die andern Handwerker, d.h. seine Bezahlung selbst festzusetzen. Die Geschichte ist z.T. auch in die mdl. Volkserzählung übergegangen und findet sich in rdal. Anspielung auch in den Mdaa. z. B. schlesw.-holst. ,A Tak, däh döj ä Smej sin Kat a4 (= Von Dank, davon starb die Katze des Schmiedes). - Ähnliches findet sich u. a. bei dem Prediger Abraham a Sancta Clara (1644-1709): Einer, der vom Fürsten bloße Versprechungen erhält, gibt seiner eingesperrten Katze nichts zu fressen, so 492
Katze daß sie Hungers stirbt; als ihn der Fürst wieder seiner Gnade versichert, sagt er, seine Katze sei daran gestorben. In denselben Zusammenhang gehört ein schlesw.- holst. Sprw.: ,Was einer spart mit dem Mund, das ist für Katze und Hund'; gemeint ist eine nur unbedeutende Ersparnis, aus der sich der Begriff ,vergeblich' leicht entwickeln konnte. JFür die Katz' ist auch der Titel einer Bauernkomödie des Ol- denb. Heimatdichters August Hinrichs. Meckl. ,Da, Katt, hest ok en Fisch!'; diese Worte begleiten ein Gegengeschenk, aber auch einen Gegenhieb. Wenn etw. verschwunden ist, seien es Lebensmittel oder irgendwelche Gegenstände, so gebraucht man häufig die scherzhafte Entschuldigung: ,Die Katz hat es gefressen'; ,die Katz hat es getan'. Man bedient sich dieses Satzes aber auch, wenn man keine Auskunft über den Verbleib einer Sache geben will, entweder weil man keine Lust für weitschweifige Erklärungen hat, oder weil sie von jem. verlangt wird, den sie nichts angeht. Meistens dient er aber dazu, Kindern klarzumachen, daß sie etw. nicht haben können. Im Elsaß sagt ein naschhaftes Kind, das wegen des Verschwindens eines Leckerbissens zur Rede gestellt wird: ,D’Katz hat’s gfressn!', worauf es zu hören bekommt: ,Ja, die wu zween Füeß hatt'. So schon bei dem Volksprediger Geiler von Kaisersberg (15. Jh.) von einer naschhaften Magd und den verschwundenen ,Gastbiß- len': ,,So ist es von der Katzen mit zweyen Beinen gefressen und verschlucket". Die Rda. spielt deutlich an auf den damals sehr bekannten Schwank von der naschhaften Köchin (AaTh. 1741; Mot. 2137; ebenso KHM. 77; vgl. L. Röhrich: Erzählungen des spaten MA. I, S. 192ff., 291 ff.). ,Die Katze hat vom Käse genascht!'; ,sie hat die Katze über den Käs kommen lassen'; ,sie hat die Katze drüber gelassen'; ,der is och de Katz an de Käs gewest'. Mit diesen Wndgn. deutet man an, daß ein Mädchen sich hat verführen lassen. Tut jem. so, als wenn er seine Lieblingsspeise nicht mehr möge, sagt man ,Die Katze mag die Fische nicht'. Außer Fischen, Mäusen und Vögeln gehören Käse, Speck und Schmer zu den Lieblingsspeisen der Katze; wer ihr etw. davon zum Bewa¬ chen gibt, macht den ,Bock zum Gärtner'. Diesen Sinn haben auch die folgenden Beisp. der zahlreichen mdal. Belege: ,Die Katze anstellen, um die Milch zu bewachen'; ,die Katze in die Milchkammer treiben'; ,die Katze nach dem Speck schicken'; ,das heißt der Katze den Hering anvertraut'; ,das heißt die Katze zum Speck gesetzt' (vgl. ndl. ,Dat is de Kat bij het spek gezet'); ,der Katze die Maus zu hüten geben'; ,do hammer de Katz be et Fleesch ge- satt'; ,das heißt der Katze den Käs anvertraut' (frz. ,laisser le chat au fromage'); schwäb. ,der setzt die Katze zum Schmer und den Wolf zum Schaf; Schweiz. ,d’ Chatz iiber’s Schmer setzen'. ,Das soll mir keine Katze fressen' sagt man, wenn man einen guten Bissen für sich selbst aufhebt. In Norddtl. heißt es von einem, der gut gegessen hat: ,Dem wird auch die Katze den Magen nicht verschleppen' (,de Katz ward de Mag nich wegtrecken'; ,dem geht de Katz mem Magen net lofen'). Bair. ,der woaß, wo d’ Katz in Toag langt' bez. einen bes. listigen Menschen, der die Schliche der anderen genau kennt. Der Katze den Schmer abkaufen: einen unvorteilhaften Handel abschließen, übervorteilt werden; speziell auch: etw. beim letzten Händler kaufen, also da, wo es am teuersten ist; kaufen oder etw. kaufen wollen, was gar nicht angeboten ist. Der Grundgedanke ist wohl der, daß der Schmer der Katze nicht feil ist. Den Urspr. dieser Schweiz. Rda. hat Gottfried Keller in der Erzählung ,Spiegel, das Kätzchen' auf eine angebliche Seldwylaer Sage zurückgeführt. Goethe reimt unter Sprichwörtlich' (um 1810): Freigebig ist der mit seinen Schritten, Der kommt, von der Katze Speck zu erbitten. Dazu das Sprw.: ,Der Katze ist nicht gut Schmer abkaufen', mit geizigen Leuten ist nicht gut handeln. Um etw. herumgehen, wie die Katze um den heißen Brei: Ausflüchte machen, ein Problem umgehen, das Wesentliche nur mit vielen Umschweifen berichten. Das anschauliche Bild leitet sich von der Vorsicht und dem Mißtrauen her, mit dem die Katzen den dampfenden Freßnapf umkreisen. So auch mdal. holst. ,he slickt sik ümbi as 493
Katze de Katt iim de Mehlbrie'; ,iim de Semp‘; Schweiz. ,tapen (bedächtig Vorgehen) wie die Katze um ein frisches Mus1; frz. heißt es: ,tourner autour du pot\ Lat. gilt in gleichem Sinne: ,Lupus circa puteum saltat1 = der Wolf tanzt um den Brunnen. Im Dt. findet sich die Rda. bei Luther: „Drumb geht er umbher wie die katz um den heißen brey“. ,Dat ös Katt un Hund vergäve!' Mit diesem Ausruf gibt man seiner Unzufriedenheit über schlechtes Essen Ausdr. Der Sinn ist klar: Dieser Schlangenfraß würde sogar Hund und Katze, die doch das Schlechteste gewohnt sind, vergiften. Wie Katz(e) und Hund zusammen leben: verfeindet sein, sich nicht vertragen, sich nicht leiden können (vgl. engl. ,to fight like cats and dogs'; frz. ,ils s’accordent comme chiens et chats'). Nach weitverbreiteter Ansicht können Katze und Hund nicht friedlich Zusammenleben. Die Wirklichkeit widerspricht dieser rdal. Meinung oft, denn früh aneinander gewöhnte Hunde und Katzen kommen meistens sehr gut miteinander aus. Die Rda. wie Katz’ und Hund miteinander stellen wird durch zahlreiche und ganz verschiedenartige Erzählungen begründet (AaTh. 200). Darin allerdings gleichen sich fast alle diese ätiologischen Erzählungen, daß sie von einem ehemaligen guten Einvernehmen zwischen Katze und Hund sprechen (Kontrakt, gemeinsame Wirtschaft, gemeinsame Jagd, Verwandtschaftsverhältnis usw.), das durch ein einmaliges Ereignis sich ins Gegenteil verkehrte. Wie ,Hund und Katze' rdal. Gegensätze sind, so auch ,Katze und Maus'. Am häufigsten ist die Rda. spielen wie die Katze mit der Maus. Das Spiel der Katze mit der Maus gründet sich durchaus auf reale Naturbeobachtung: Katzen spielen tatsächlich mit der gefangenen Maus, bevor sie sie fressen. Die bildl. Anwendung der Rda. hat sich vermutlich in Frankr. zuerst ausgebildet. Auf frz. Boden ist die Rda. auch schon früh in lat. Sprache bezeugt: ,Sic alacer cattus, dum prenso mure iocatur, raptum de- ponuit depositumque rapit'. Dt. zuerst: „Als die katze mit der mus spilten die Ose- lêre" (,Livländische Reimchronik' 1230); „Dy speien mittenander alzo dy katze mit der mauß“ (Prov. Fridanci 112); „Und mit inen als ein katz mit einer mauß spylen" (Geiler von Kaisersberg); „Vnd die magd mit den schüsseln spilt als ein katz mit der mauß“ (Seb. Franck, Sprww. 209). Bis zur Ggwt. ist die Rda. in zahlreichen, vorwiegend ndd. Varianten lebendig, z.B. ,hei springt’r midde umme as de Katt mit’r Mus'; ,de spellt grad med dem we de Katz met der Maus'. Es geht ihm wie der Katz mit der Maus sagt man von jem., der mit langweiligen Menschen nichts zu tun haben will. Goethe erweiterte die Rda. zu folgendem Zweizeiler: Es geht ihm wie der Katz mit der Maus, Für einen Leichnam ist er nicht zu Haus. Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Zusatz wirklich den urspr. Zusammenhang zum Ausdr. bringt. Wahrscheinlicher ist, daß sich die Rda. auf die Beobachtung gründet, daß eine unbewegte Maus der Räuberin viel weniger ins Auge springt als eine laufende. Da greifen zehn Katzen nicht eine Maus; ,dau findet siebe Katze kä Maus'; ,neun Katzen können nicht eine Maus drin fangen', sagt man von einem gänzlich durchlöcherten Kleidungsstück, wo die Mäuse zu viele Wege zum Herausschlüpfen fänden. 494
Katze wenn die Katze dort Jagd auf sie machen müßte. Die Rda. ist hauptsächlich im Norden verbreitet (vgl auch Wilh. Büschs ,Katze und Maus'). Setz die Katzen an und jag die Maus voraus!: mach schnell! Die Rda. geht auf einen Spruch aus dem Beginn der Neuzeit zurück: Wer mit Katzen ackern will, Der spann die Maus voraus, So geht es alles wie der Wind, So jagt die Katz die Maus. Auch das Sprw. ,Wer mit Katzen ackern will, der eggt mit Mäusen zu' hängt damit zusammen. Er will andern Katzen fangen und kann sich selbst keine Maus fangen heißt es von einem, der anderen in wichtigen Angelegenheiten Ratschläge erteilen will, obwohl er selbst schon bei kleineren Aufgaben versagt. Mit den Worten ,Wenn die Katz satt es, schmecke de Müs better' weist man einen zurecht, der über das Essen nörgelt. Dieselbe Bdtg. hat auch das Sprw.: ,Wenn die Maus satt ist, schmeckt das Mehl bitter'. Aus der Tierfabel (AaTh. 110) stammt die Rda. der Katze die Schelle nicht um hängen wollen. Die Mäuse beschließen, der Katze, um von ihr nicht beschlichen zu werden, eine Schelle umzuhängen. Als es aber an die Ausführung des trefflichen Beschlusses geht, findet sich keine Maus, die das heikle Geschäft übernehmen will. Die Fabel kommtim Dt. schon 1350 in Ulrich Boners ,Edelstein' vor. Dort heißt es (V. 19 ff. ) von den Mäusen: si rieten alle üf einen sin, wie si wol möchtin körnen hin, und vor der katzen zorn genesen, sie muosten alle in sorgen wesen; gröz was der katzen gewalt. der miusen rät was manigvalt. ze jungest kämens über ein mit gemeinem räte, daz ir ein sölt der katzen henken an ein schallen, die si sölte hän und tragen, einzeklîch dur daz, daz si sich möchtin deste baz gehüeten vor der katzen list, dô antwurt in der selben vrist ein altiu müs, und sprach also „des rätes sin wir alle vro! der rät mag uns wol troestlîch wesen; wil got, wir mugen al genesen, rätent, und koment über ein, wel under uns diu si allein, diu daz getürre wol bestän, daz si der katzen henken an welle die schallen (daz dunkt mich guot); so wirt gevrîget unser muot, und mugen âne sorge leben", enkein müs wolt sich selber geben an den tôt. ân ende stât und âne nutz der miusen rät . . . Boners Quelle war Odos 26. Fabel ,de muribus et cato'; aus dieser ist vermutl. auch ein lat. Gedicht einer Pariser Hs. des 14. Jh. abgeleitet. Im 16. Jh. kehrt die Fabel bei Arlotto, Joh. Pauli und Hans Sachs wieder und reicht von hier bis in die Volksüberlieferung des 19. und 20. Jh. La Fontaine hat ihr im Frz. die klassische Form gegeben. Entspr. häufig finden sich rdal. und sprw. Anspielungen auf die Fabel, ln Hans Rosenplüts,Klugem Narren' heißt es: Der der katzen die schellen anpunde Vnd fröhlich die warheit getorst gesprechen. Seb. Franck verzeichnet in seiner Sprww.- Sammlung: ,,Wer wil der katzen die schellen anhencken?" Anders Lehmann S.32 (,Anschläg' 13): ,,Wenn die Katzen mausen, hengen sie keine Schellen an". Der junge Goethe übernahm die Rda. in die erste Fassung seines ,Götz‘ : „So ist doch jetzt, da es zur Sache kommt, niemand als der getreuherzige Gottfried von Berlichingen, der der Katze die Schelle anhängen mag". Bismarck sagte in einer Rede (Reden VIII, 387): „Gerade in der Stellung, in der ich bin, halte ich es für meine Pflicht, der Katze die Schellen anzuhängen, die Sache offen zu besprechen". Vgl. mittellat. ,feli tintinnabulum annectere'; engl. ,who shall hang the bell about the cat's neck?'; ndl. ,de kat de bel aanbinden'; frz. ,attacher le grelot (au chat)'; ähnl. ital. und span. Eine weitere dt. Variante ist: Die Katze hängt sich auch keine Schelle um, wenn sie auf Mäusejagd geht: ich muß doch nicht alles verkünden, was ich vorhabe. Rda. bzw. Fabel sind - als Sinnbild für den Kampf der Tugend gegen das Laster - oft bildl. dargestellt worden, insbes. in der ndl.-fläm. Tradition. Die Mi- 495
Katze 1-3 ,Der Katze die Schelle umhängen4 serikordien-Skulptur von Kempen am Niederrhein zeigt genau die Fabel: vier Mäuse gruppiert um eine Katze; ein Schellenhalsband liegt am Boden, und man ersieht aus dem diffusen Verhalten der Mäuse, daß es offenbar unmöglich ist, der Katze die Schelle umzuhängen. Dem Sinn der Fabel entspricht zunächst auch die Bdtg. der Rda. ,Der Katze die Schelle nicht umhängen wollen'. Sie meint zunächst eben: ein gefährliches Unterfangen nicht übernehmen wollen, entspr. noch im modernen engl. Sprachgebrauch: ,it is well said, but who will bell the cat?' In späteren Darstellungen wird der Katze tatsächlich die Schelle umgehängt, aber es ist nicht eine Maus, die dies besorgt, sondern entspr. der bildl. Übertr. ein Mensch. In dieser Weise vermenschlichtfindet sich die Rda. ebenso auf P. Bruegels Rdaa.-Bild wie in den späteren ndl. Bilderbogen. Die Übertr. aus der Welt der Tierfabel in die Welt menschlichen Tuns hat notwendigerweise auch eine Sinn- und Funktionsveränderung mit sich gebracht. ,Der Katze die Schelle umhängen4 wird jetzt zu einem rdal. Bild der üblen Nachrede. Positiv gewendet, bedeutet ,der Katze die Schelle umhängen4 nun: ein Gerücht über jem. ausstreuen, böse Nachrede über jem. führen, jem. bemäkeln, eine Fleimlichkeit offenbaren. Dadurch, daß diese Rda. nun nicht mehr zwischen Maus und Katze, sondern zwischen Mensch und Katze spielt, hat sie ihre urspr. Realwelt der Fabel verlassen und ist nun außerdem auch zum Bild unsinnigen Tuns geworden; d.h. es kommt nun noch eine dritte Bdtg. hinzu. Folgerichtig ist es nur noch der Narr, der so etw. tut, was in Seb. Brants ,Narrenschiff auch seine bildl. Demonstration gefunden hat. Der dazu gehörige ,Narrenschiff-Text lautet: Manch narr der rieht vß yederman Vnd henckt der katzen die schellen an Vnd will sin doch keyn wort nit han. So können uns die Bilder helfen, den Bedeutungswandel von Rdaa. zu erläutern; zugleich entwickelt sich die Darstellungsabsicht von der abgebildeten Fabel zur abgebildeten Rda. Mdt. (die) Katze (aus-)halten: stillhalten, auch: sich Übles gefallen lassen müssen; ähnl.: der muß die Katz halten, die Katze heben; die Katze in die Sonne halten müssen. Der älteste Beleg für die Rda. stammt aus dem Jahre 1525. Aber noch in Lessings ,Minna von Barnhelm' (III, 10) sagt Franziska: „Ja, ja; im Wagen muß der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns nicht entwischen". ,Die Katze aushalten' bedeutet auch: er muß zu Hause bleiben, oder: er muß für den anderen die Strafe auf sich nehmen. In der Leipziger Gegend sagt man: ,Du mußt die Katz1 aushalten', du 496
Katze mußt dich in dein Schicksal fügen. Möglicherweise geht die Rda. auf einen älteren Rechtsbrauch zurück (vgl. ,Hundetragen4). Das gleiche gilt auch für die Rda. die Katze durch den Bach ziehen; ,der muß die Katz durch’n Bach schleiffn4; ,es geht mit der Katz durch den Bach4; ,er muß die Katze übers Wasser tragen4. Die Rda. ist schon für die Reformationszeit belegt. In Joh. Fischarts ,Flöhhatz4 heißt es: „. . . und wer da ist am meisten schwach, der zieh die Katz dann durch den Bach44. Aus der gleichen Zeit stammt folgende Stelle: ,Wenn in Verbundnussen der fürnembsten einer noth leidet, müssen die geringeren hernach, jedermann fallt auff sie und müssen die Katz durch den Bach ziehen4. Die Rda. ist im Südwesten Dtls., bes. längs des Rheins, verbreitet. Sie bedeutet im allg.: für jem. anderen die Suppe auslöffeln, entweder indem man für einen Schaden, den man nicht selbst verursacht hat, bezahlen muß, oder indem man eine gemeinsame Rechnung allein zu begleichen hat. In denselben Zusammenhang gehört auch schwäb. ,mit der Katz durch de Bach!4, mach schnell, sowie ,d' Katz isch scho de Bach na4, die Sache ist schon schief gelaufen. Die seit dem 16. Jh. bezeugte Wndg. mit einem die Strebekatze (mdal. auch: die Strangkatze, die Strabelkatze) ziehen: in Zank mit ihm leben, hat ihren Urspr. entweder ebenfalls in einer alten Ehrenstrafe, wo zwei sich vor der Menge um eine Katze reißen mußten, oder im Spiel des,Katzenstriegels4, einem ma. Kraftstück, ähnl. dem Tauziehen: zwei Spieler, um deren Hälse eine Seilschlinge gelegt ist, hocken sich gegenüber und haben die Hände auf dem Boden aufgestützt. Beide versuchen, durch Zurückbiegen des Kopfes, den Gegner zu sich herüberzuziehen. Ähnl. heißt engl. ,to tear the cat4 = wüten, toben, z.B. in Shakespeares ,Sommernachtstraum4 (I, 2). Bei Christian Weise: „Ich habe noch mit niemand gezankt, nur mit meinem Mann ziehe ich manchmal die Strebekatze; aber solch ein Ding gehört zum Haushalten44. Auch miteinander im Katzenbalg liegen, sich katzbalgen: sich streiten, gehört hierher. So steht bereits bei Aventin: „und hat Julianus vier jar an einander sich mit den Teutschen gekatzbalgt44. Von falschen Menschen (falschen Katzen4) sagt man auch, daß sie wie die Katzen vorn lecken und hinten kratzen/lecken, so auch z.T. in den Mdaa., z. B. schles. ,daar ies wie de Kotza, die vorna lecka un hinda krotza4. Schon Luther kennt das Sprw. „Das sind böse Katzen, die vorne lecken und hinten kratzen44. Hans Sachs bringt das Sprw. mit dem Judaskuß zusammen; es gibt dazu eine sehr eindrucksvolle 111. von Hans Weiditz. Thür, bedeutet ,mir war, als hätt’ mich das Kätzchen geleckt4, ich war ganz vergnügt, ich wiegte mich in behaglicher Sicherheit; dagegen schlesw.-holst. ,dat lickt di de Katt nich af4, das bleibt auf dir sitzen, bes. von Prügeln, die einer bezogen hat. Aus dem Erzgebirge ist bezeugt: ,Do muß mer de Katz Miezei häßen4, gute Miene zum bösen Spiel machen. Die Katze ist im Aberglauben Begleiter von Teufel und Hexe. Sie kann fast lautlos schleichen und sieht auch nachts mit phosphoreszierenden, grünen Augen. Das machte sie den Menschen unheimlich. Da sie mit dem Teufel im Bunde ist, bedeutet ihr Erscheinen etw. Schlechtes; sie ist der Bote drohenden Unheils. Bes. die schwarze Katze war gefürchtet. Will eine Sache gar nicht gedeihen, so sagt man deshalb: Da ist die schwarze Katze zwischen gekommen. In allen Mdaa. finden w^r entspr. Wndgn. Ndl. heißt es: ,Daar is eene zwarte kat tusschen gekomen4. Mit der Rda. sieht doch die Katz den Kaiser an pflegt sich jem. zu entschuldigen, der wegen seiner Dreistigkeit getadelt wird. 1513 bucht Tunnicius unter Nr. 86: „It süt wol eine katte up einen konnink (Adspicit et felis magna corpora regum)44. Zur Entstehung der Rda. wird eine geschichtl. Sage oder Anekdote überliefert. Die Erzählung sucht den Urspr. der Rda. in einem Besuch Kaiser Maximilians in der Werkstatt des Holzschneiders Hieronymus Resch, wo eine sehr zahme, anhängliche Katze fast stets auf dem Arbeitstisch des Meisters zu finden war. Diese Katze soll nun trotz des Kaisers Anwesenheit ihren Platz behauptet und den Kaiser beständig mißtrauisch angesehen haben. Daher, so sagt man, stamme die Rda. Aus den Kreisen der Hofleute wäre sie dann allmählich in den Volksmund übergegangen. Doch handelt 497
Katze es sich sicher hierbei um eine nachträglich erfundene ätiologische Anekdote. Das Datum des Kaiserbesuches ist für 1517 genau fixierbar; doch spricht gegen die traditionelle Erklärung der Rda. aus dem hist. Anlaß die Tatsache, daß die Rda. schon 1514 in Niederdtl. gedruckt erscheint. Auch in Engl, findet sich schon um die Mitte des 16. Jh. die Wndg. ,A cat may look on a king4. Noch ein anderes Moment spricht gegen die Anekdote als Ursache der Rda.: Neben der ,Kaiser4-Redaktion erscheint in den Belegen schon früh die ,Bischofs‘-Version (vgl. auch frz. ,un chien regarde bien un évêque4), z.B. schon in einem Fastnachtsspiel von Hans Rufold Manuel von 1548: Ä, wilt dich dann nit bschowen lan, Sicht doch ein katz ein Bischoff an! In der gleichen Form kennt man die sogar durch einen Reim gestützte Rda. noch im heutigen Wien; vor allem auf die Frage: ,Was schaust mi denn an?4:,Schaut die Katz den Bischof an, und dös is a geweichter Mann!‘ So ist die Rda. in mancherlei obd. und ndd. Versionen noch heute geläufig, z.B. schwäb. ,Ma wurd de dürfe au no angucke, därf jo d’Katz de Kaiser au angucke4, oder holst. ,De Katt fätt doch wohl den Kaiser an, un seggt nich erst: ,Gnädiger Herr4. Die Abwehr des starren Anschauens hängt wohl mit der Furcht vor dem bösen Blick zusammen; zumal die Katze als Hexentier galt. Man nahm sich also auch vor dem Angeschautwerden durch die Katze in acht. Daraus erklärt sich der Grundgedanke der Rda., wenn der Ermahnte meint: Mein Anschauen ist harmlos, sieht doch die hexenartige Katze vermessenerweise sogar so bedeutende Personen wie Kaiser oder Bischof an, und doch schadet es ihnen nichts. Nicht auf einen bestimmten Kaiser oder Bischof bezieht sich also die Rda., wie die geschichtl. Sage glauben lassen möchte, sondern auf den geweihten Herrscher als solchen. Wenn einer seine Katze schickt, so kümmert er sich nicht selbst um eine Angelegenheit, sondern läßt sie von einem unbedeutenden Untergebenen erledigen. Bevor die Katze Junge wirft, verliert sie Haare; die mdal. reich belegte Rda. Jetzt geht der Katz das Haar aus bedeutet: jetzt geht es hart her, jetzt wird es ernst. ,,Erst da gieng der katzen ’s har uss; forcht, schrecken, zittern mängen grus empfien- gend wir on underloss44, schreibt R. Schmid 1579. Das kostet der Katze den Schwanz; das kostet der Katze das Fell: nun ist’s aber genug! Die Katze am Schwanz haben: eine Sache fest im Griff haben (/Katzenschwanz). Da beißt sich die Katz in Schwanz: das ist ein circulus vitiosus, eine sich im Kreis drehende Kausalität. Er kann die Katze am Arsch lecken: Ausdr. derber Abweisung; gemildert durch die Einfügung der Katze. Vgl. die dazu gehörigen Verse: Wer nie die Katze am Arsch geleckt. Weiß nicht, wie Katzenscheiße (auch: Affenscheiße) schmeckt. Immer noch besser als der Katze am Arsch geleckt: besser als nichts (Küpper II, S. 154f.); /Arsch, /lecken. Bei überraschenden Ereignissen kann man den Ausruf hören: Da möchte doch die Katze Kaviar scheißen! Da ist der Katze gleich gestreut; so auch in den Mdaa., z.B. schwäb. ,Jetz isch dr Katz gstreut4, der Übelstand ist beseitigt, die Sache ist zur Zufriedenheit erledigt. Die Rda. bezieht sich urspr. wohl auf die geschwinde Beseitigung von Katzendreck durch Bestreuen mit Sand. Nur ein Katzensprung: es ist nicht weit. Um die Geringfügigkeit einer Angelegenheit darzutun, sagt man: darum bekommt die Katze keinen Klaps. Dieselbe Bdtg. hat auch die Wndg. davon wird keitie Katze den Schwanz verlieren. Das macht der Katze keinen Buckel: das ändert nichts an der Sache, das tut der Liebe keinen Abbruch. Mdal. ,das macht der Chatz kei Buggel4; ,dat micht der Katz kän Bockei, wann se käner hot4. Kein Katzendreck: keine Kleinigkeit. Wenn man einen Besuch machen will und trifft niemand an, so sagt man wohl es war keine Katze da und drückt damit aus, daß nicht einmal das geringste, aber notwendig zum Haus gehörende Lebewesen daheim war. Um etw. Unwahrscheinliches auszudrük- ken, sagt man: das geschieht, wenn die 498
Katze Katze ein Ei legt. Wenn die Katze kräht: es ist sehr spät. Belegt ist diese Wndg. schon 1650: ,,Ein solches Schreien und Lüejen (der Zechbrüder) währet oft bis gar spät in die Nacht bis die Katzen, wie das Sprw. lautet, kräjen!44 Ehe die Katze ein Ei legt: schnell; und ehe die Katze vom Backofen kommt (auf dem sie die Nacht über geschlafen hat): sehr früh. Wo die Katzen Eier legen ist eine Umschreibung für nirgends. Das mach einer Katz weis! (ndd. ,Dat mak der Katte im Drome nit wis4!) ruft man aus, wenn einer etw. völlig Unglaubwürdiges erzählt. Mehrfach kommt Katze vor in scherzhaften Antworten auf die vorlaute Frage: ,Was4?; z.B. schwäb. ,Katz4 isch dei Bas, Hund isch dei Vetter, morgen wird gut Wetter4; oder ndd. ,Wat4? Swart Katt, bunt Hund, slap gesund!4 Nur regional notierte Wndgn. sind: schles. ,das wird keine lahme Katze anlocken4. Rheinhess, sagt man von einem, der Heimweh hat: ,er will seines Vaters Katz noch einmal sehen4 ; vor allem in Oesterr. ist verbreitet: ,die Katze putzt sich, wir kriegen Gäste4. ,Merke wo Chatz im Stau hockt4 sagt man Schweiz, für: ,wo der Hase im Pfeffer liegt4. ,De Katt öss em möt dem End weggerennt4 heißt es ndd., wenn ein Rednermitten in seinem Vortrag steckenbleibt. ,Dat is de erste Katt, die mi van Dage die Poten gift4, sagt man in Norddtl., wenn man von unerwarteter Seite gegrüßt wird, und drückt damit aus, daß man von der freundlichen Gesinnung des Grüßenden etwa so viel hält wie von dem Schnurren der falschen Katze. Gebräuchl. rdal. Vergleiche sind: ,Er fällt immer wieder auf die Füße wie eine Katze4. Mdal. finden sich reiche Belege dieser Rda., so Schweiz. ,er fallt allwil uf d’Füess wie d'Chatze4; rhein. ,er fällt wie de Katz op de Föss\ Dagegen: ,Wann et Onglöck sin sali, fällt de Katz van Stuhl un brecht de Start. Es geht wie das Katzenficken (Katzenmachen): es geht sehr schnell (19. Jh.). Von einem übertrieben unterwürfigen Menschen sagt man er krummbuckelt wie eine Katze; er katzbuckelt. Der gekrümmte Rücken nach Katzenart gilt als Zeichen von Dienstfertigkeit und Schmeichelei. Lessing verwendete das sprachl. Bild vom ,Katzen- buckl4 zuerst 1767 lit. in seiner ,Minna von Barnhelm4 (3,1). Rheinhess. ,ein Buckel wie e Katz, wenns dunnert4; rheinhess. ,nass wie e Katz4! ,Katzbuckeln4 Rhein. ,de mach en Gesich wie en Katz, wann et donnert4, ,wann et bletz4, ,wann et wedderlöch4, ,wann se Donnerwedder sieht4, ,die möm Arsch Nöss krach4, ,die en hete Wotzel in de Mond hot4, ,die Destele kaut4, ,die Bretzele friß4; wie en Katz no Fastelovend4,,wie en Katzom Schleifstein4, ,wie en Katz, die se op de Sterz getrodde hant4, ,wie en Katz em Kellerloch4, ,wie en Katz, wo Heu roppt4, ,wie en Katz, die en de Brei hät geseck4, ,wie en besächt Katz4, ,de mach en Gesich, als wenn alle Katze Köh möte werde4. Schlesw.-Holst. ,enStemm, as wenn mer de Katz op de Start tritt4; ,en Stemm wie en Katz, der de Schwanz geklemp wird4. Holst. ,he geit as de Katt in Dau4, ,wie der Storch im Salat4; schles. ,a hood a zäh Laba wie de Kotza4; ,a war verschwunda wie a schwatze Kotz4; ,heimkommen wie eine gebrühte Katze4 ; ,er schleicht davon wie die Katze vom Taubenschlag4. Schon Joh. Fischart (1546-90) gebraucht die iron.-satirische Wndg.: ,,Daselben ziehen wir mit ehren ab wie die Katze aus dem Taub- hauß44. Ndd. und rhein. gibt es den rdal. Vergleich: 499
Katzenschwanz ,Katzenmusik4 ,er ist so klug as Salomon sin Katt4; ,su klok äs Salomons Katz, de geng drei Dag fürm Regn heim un word doch nat (weil sie in einen Bach fiel)1; ,su klok äs Salomons Katz, de vor Wisegheit de Trapp affel\ Die Zusätze lassen auf eine Herkunft aus einer zusammenhängenden Erzählung schließen. Wir finden sie z.B. in der Sprww.-Sammlung Joh. Agricolas unter der Überschrift ,Art lest von art nicht, die Katze leßt yhres mausens nicht4 (Nr. 131): „Man sagt, daß Marcolfus mit dem weisen Salomon disputiert habe, vnd gefragt, ob art vnd einge- pflantzte natürliche neygung mehr sey denn gewonheyt, die durch fleiß der menschen vber die natur eingefueret wirt, vnd da Salomon schloß: Wes einer auffs newe gewo- net, das hange yhm gleich so hart an, als daß er von natur empfangen hatt. Nun ließ ko- nig Salomon Marcolfus diß nicht gut sein, sonder wolte, wie es auch war ist, art gieng fur gewonheyt. Vnnd dieweil Salomon eyne Katzen hette, die ym nach gewonheyt das liecht hielte bey nacht, brachte Marcolfus etliche meuse zuwegen, vnd kam des abends zu Salomon, vnnd ließ erstlich eyn mauß lauffen, vnnd als bald die katz der mause gewar ward, tapt sie eyn wenig mit der pfoten, vnd ließ doch das liecht nicht fallen. Do aber die ander vnnd dritte maus furüber lieffen, ließ sie das liecht fallen vnd lieff den meusen nach. Darauß hernach Marcolfus beweisete, Art gieng fur alle gewonheyt“. Die sog. ,Klugheit4 der Salomonischen Katze ist also nur angelernt, ist nur Dressur. Jem. als Katzenpfote gebrauchen: jem. ,die /Kastanien aus dem Feuer holen lassen4. Katzenmusik: mißtönende Musik; wird hergeleitet vom nächtlichen Geheul der verliebten Katzen. Katzentisch: der abseits stehende Tisch für die Kinder oder verspätete Gäste; eigentl. der Fußboden in der Stube; in der heutigen Bdtg. nach 1750. Vom Katzentisch übertr. auf die Schulverhältnisse ist die Katzenbank: die Sitzbank für die Klassenschlechtesten; spätestens seit 1900. Katzenjammer /Kater, /Klosterkatze. Lit.: A. Wesselski: Die Schwänke und Schnurren des Pfarrers Arlotto, Bd. 2 (Berlin 1910), S.64f., 226-228; O. Dähnhardt: Natursagen IV, 2 (Leipzig - Berlin 1912), S. 145 ff., 299f.; Joh. Boite in seiner Ausg. von Johannes Pauli: Schimpf und Ernst, 2 Bde. (Berlin 1924), Bd.2, S.393L (Nachweise für: ,Der Katze die Schelle umhängen4); K- Bother: Hund, Katze und Maus im schles. Sprw., in: Mitteilungen d. Schles. Gesellschaft f. Vkde. 16 ( 1925), S. 247ff.; D. Lämke:Ma. Tierfabeln und ihre Beziehungen zur bildenden Kunst in Dtl. (Diss. Greifswald 1937); L. Schmidt: Die Katze und der Bischof, in: Das dt. Volkslied, 42 (1940), S.73L; Singer LS. 121,145f., III, S. 47f., 99; L. Röhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, S. 269 f. ; ders.: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 74 f.; U. M. Meisser: Tiersprww. und Verhaltensforschung, in: Studium Generale 22 (1969), S. 861-889. Katzenschwanz. Den Katzenschwanz streichen: schmeicheln. Das Sprw. ,Wenn man den Kater streichelt, so reckt er den Schwanz aus4 (ndd. ,je mer man de Katte striket, je höcher hilt se den Swans4) ist in die ,Zimmerische Chronik4 (III, 66f.) als obszöner Schwank eingeflochten. Das trägt die Katze auf dem Schwanz weg (fort):das ist nur eine Kleinigkeit. Auf dem Katzenschwanz ist kein Platz für große Mengen. Oberoesterr. ,streiten um da Katz san Schwaf4, sich um eine Kleinigkeit streiten. „He hyndert my nicht eynen kattensterd44 (,Reinke de Vos4, Lübecker Ausgabe v. 1498, Str. 2978). Goethe (,Reineke Fuchs4, 6, 267 f.): ,,... das kann mich keinen Katzenschwanz hindern!44. Hau der Katz den Schwanz ab!: rnach’s kurz. Ndd. ,hei fot de katt bei den Stärt4, er weiß eine Sache recht anzufangen. 500
Kauf, kaufen Es geht der Katze um den Schweift jetzt gehen dem Katzenschwanz d’ Haar aus4; ,jez got der Chatz de Stil us4): es steht auf Spitz und Knopf. Schlesw.-holst. ,he löppt as’n Katt, de keen Stert hett\ so schnell wie möglich (die schwanzlose Katze schämt sich ihrer Häßlichkeit); schlesw. Einkommen, wo de Katt den Stert opstickt4, Hans Dampf in allen Gassen sein. Rdal. hört man als Antwort auf die Frage: ,Wo wohnst du?4 schlesw.- holst. ,Wo de Katt mifn Stert Kantüffeln schellt4 (,mit 'm Stert slappt4). An einen Halbwüchsigen, der gerne rauchen möchte, richtet sich der Rat: .Rauch der Katz ihrn Schwanz!4 Lit.: G. Lauffs-Ruf: ’s Kätzle hat e Schwänzle, in: Zs. f. Vkde. N.F. 7 (1935/37), S. 230-268. Katzenwäsche. Du machst wohl Katzenwäsche? fragt man, wenn sich jem. zu wenig oder gar nicht gewaschen hat. Katzen scheuen das Wasser und können nicht wie Hunde gebadet werden; sie lecken sich nur das Fell ab. Kauderwelsch. Kauderwelsch reden bez. sowohl eine durch schlechte Aussprache, verkehrte und falsche Formen, Vermengung mit fremden Ausdrücken unverständlich gewordene Sprache als auch verworrene, unlogische Sätze. Bislang ist der Ausdr. zuerst bei Hieronymus Emser (1521, ,Quadruplica4 Cb.) nachgewiesen, dann bei Mathesius (1566,,Historien, Von des Ehrwirdigen ... Manns Gottes, Docto- ris Martini Luthers anfang, lehr, leben und sterben4, 177b): ,,Gott behüt unsere nach- kommen vor der kauderwelschen, oder Churwallen kalen glosen vnd Theologey“. Mathesius will das Wort aus Luthers eigenem Munde gehört haben. Hiernach bedeutet also Kauderwelsch urspr. churwelsch; Fischart (1572 ,AIIer Practick Großmutter411 ) versteht unter den ^kuder- welschen“ einen Handelsmann, er nennt sie im Zusammenhang mit Taglöhnern „hundsentwenern, landzetlern, kettlern, melkäuflern, kornscheuflern“. Das Wort wird also entstellt sein aus churwelsch entweder mit Anklang an kaudern = undeutlich reden, plappern, ein Wort, das auch Schiller einmal verwendet: albern wie ein Stutzer plaudern, wie ein Waschweib wirst du kaudern, oder aber es wird in Verbindung gebracht sein mit kaudern = Zwischenhandel treiben. Kauderwelsch ist dann also die Sprache der fremdländischen Hausierer und Händler. Denn im MA. zogen die Chur- welschen, d.h. die Italiener, vielfach als Hausierer durch das Reich; ihre Sprache war den Deutschen oft unverständlich. Kauf, kaufen. Etw. (mit) in (den) Kauf nehmen: Unangenehmes (wegen Vorteils oder aus Rücksicht) hinnehmen (oder ertragen), als ob das Schicksal ein Händler wäre, der beides nur zusammen abgeben will. Seltener ist die umgekehrte Wndg. etw. mit in (den) Kauf(oder: ,in Tausch4) geben, abgekürzt: dreingeben. Der Ausdr. bez. eine Zugabe des Verkäufers über das Gekaufte hinaus; zu vergleichen ist frz. ,donner pardessus le marché4 und engl. ,to give into the bargain4. Der übertr. Gebrauch beider Wndgn. ist im Dt. seit dem 18. Jh. belegt. Leichten Kaufs davonkommen: mit geringem Schaden, ohne hohe Strafe davonkommen. Heute kaum mehr üblich ist die Wndg. nicht jedermanns Kauf sein: nicht jedermanns Sache; so schon bei dem bayr. Geschichtsschreiber Aventinus (Turmair, 16. Jh.): ,,Die Wahrheit ist nicht jedermanns kauf44. Jem. kaufen: ihn durch Bestechung für sich gewinnen; seit dem 17. Jh. sich jem. kaufen: ihn ernstlich vornehmen, um ihm den Standpunkt klarzumachen; urspr.: ihn durch Bezahlung, Bestechung für die eigene Meinung gewinnen; so 1561 bei Maa- ler (241b): „einen mit gaben an sich kaufen44. Heute meist in der Formulierung Den werd ich mir mal (oder schon noch) kaufen: ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen, ich werde ihm gehörig die Meinung sagen. Jünger ist die Wndg. sich einen (Affen, Spitz) kaufen: sich betrinken, /trinken. Berl. Urspr. (seit etwa 1860 bezeugt) ist die Rda. ,Wat ik mir dafor koofe!4, das macht auf mich gar keinen Eindruck. Ähnl. dafür kann ich mir nichts kaufen: davon habe ich keinen Nutzen, das bringt mich nicht weiter. Kaufen, wenn niemand im Laden ist, eu- 501
Kauz phemist. für: Ladendiebstahl begehen; Hehlerausdr.; Berl. um 1890; bes. in der Form: ,Das hast du wohl gekauft, als keiner im Laden war\ das hast du wohl gestohlen. Ähnl. die ältere Wndg.: ,das ist nicht auf der Leipziger Messe gekauft*, es ist gestohlen. Von unverhältnismäßig teurem oder unvorteilhaftem Einkauf handeln die folgenden Rdaa.: ,bei reichen Jungfern Seide kaufen4, ,das Brot im Laden kaufen4 (d.h. dort, wo es am teuersten ist), ,eine Krähe für eine Nachtigall kaufen4, ,in der Apotheke kaufen4. Kauz. Ein komischer Kauz sein: als merkwürdiger Außenseiter, als harmloser Sonderling gelten, der mitleidig belächelt und geduldet wird. Erst seit dem 15. Jh. wurde in Dtl. die Bez. (stein) küz(e) für eine bestimmte Eulenart gebräuchl., die sich von mhd. küze = Schreihals herleitet. Dieser Nachtvogel, der gern gegen das Licht der Krankenstuben fliegt, wurde im Volksglauben zum Unglücks- und Totenvogel, den man ängstlich meidet. Im 16. Jh. entwickelte sich der Name dieses lichtscheuen und bei Tage unsicheren Vogels zur Schelte für den menschenscheuen Sonderling und diente gleichzeitig zur treffenden Kennzeichnung seines ungewöhnlichen Verhaltens, seiner andersgearteten Beschäftigun- ,Ein philosophischer Kauz4 502 gen und Liebhabereien. Die Verbindung der Rda. mit dem Adj. ,komisch4 ist heute wohl am gebräuchlichsten, es kann dafür aber auch drollig, kurios, merkwürdig, närrisch, schnurrig, sonderbar, wunderlich u. a. eintreten. Die Wndg. ein philosophischer (gelehrter) Kauz sein dient der bes. Charakterisierung des nachdenklichen Grüblers und weitabgewandten Stubengelehrten. Grandville hat in seiner 111. dabei den Ausdr. ,Kauz4 ganz wörtl. genommen, und bereits Fischart braucht in seiner ,Ge- schichtklitterung4 die Wndg. lit.: ,,Es wird ein gelehrter Kautz werden, wenn er under die Stossvögel kompt44. Goethe läßt Faust (Szene in Frau Marthens Garten) feststellen: ,,Es muß auch solche Käuze geben44. Den Käuzen streichen, auch: ein Kauzenstreicher sein:jem. schmeicheln, bes. im 15. bis 17. Jh. beliebte Rdaa., die bei Sebastian Brant und Geiler von Kaisersberg bezeugt sind und die wahrscheinl. auf das Verhalten des Voglers zu seinen Jagdvögeln zurückzuführen sind, die er beruhigend streichelt. Kaviar. Kaviar sein für jem. : q in nicht zu erreichendes Gut, ein zu teurer Genuß für jem. sein, zu hoch für ihn sein, über seinen Horizont gehen, so daß er es nicht zu würdigen weiß. Kaviar ist bekanntlich eine teure Delikatesse. Das ist Kaviar fürs Volk ist ein Zitat aus Shakespeares .Hamlet4 (II, 2): ,,’t was caviare to the general44; auch in anderen Sprachen sprw. geworden, z. B. ndl. ,Kaviaar voor het volk4. Kegel /Kind. Kehle. Die Kehle spielt eine Rolle in mehreren Rdaa., die sich auf trinken und sich betrinken beziehen, z.B. sich die Kehle an- fenchten: trinken, zechen; eine trockene Kehle haben: viel Durst haben; (alles) durch die Kehle jagen: sein Gut vertrinken (/Gurgel); die Kehle schmieren: zechen (Küpper); die Kehle waschen (ausspülen): viel trinken, /trinken. Einem das Messer an die Kehle setzen: einen zu etw. zwingen, indem man ihm droht. Kehraus. Den Kehraus machen: etw. zum Abschluß bringen. Der Kehraus (auch ,Kehrab‘) ist urspr. der Schlußtanz bei einem Fest; eigentl. handelt es sich um eine
Kerbelsuppe imperativische Bildung: ,Kehr, d.h. feg, den Tanzsaal aus!1 Eine ähnl. Bildung ist /Garaus. Als letzter Tanz ist der Kehraus freilich erst 1734 von dem Schlesier Steinbach verzeichnet: ,,den Kehraus machen, finem choreis facere“. Häufig findet sich die Wndg. bei Abraham a Sancta Clara: „Wenn bereits all sein Glück den Kehraus tanzen will“ (,Reim dich\ 257) - „Biß der tobende Wind den Köhraus pfeiffe“ (,Ge- misch-Gemasch", 11) - „Laß sie nur zum Tantz gehen, du wirst einen seltzamen Köhraus erleben“ (ebd. 31) und an vielen anderen Stellen. Im 16. Jh. bez. Kehraus auch den letzten kräftigen Trunk, der dem Zecher ,den Rest gibt". In übertr. Anwendung begegnet die Rda. seit der 2. H. des 18. Jh.: so heißt es in einem Volkslied von 1792 (F. W. Ditfurth, Hist. Volkslieder, 1877, S. 87): Wir woll’n dir’s zeigen, Dir einen Kehraus geigen. In der Bauernkriegsszene in Goethes ,Götz von Berlichingen" (V, 1 ) antwortet Link auf Metzlers Frage: „Wie geht’s Euch, Link?“ mit den Worten: „Drunter und drüber, siehst du, du kommst zum Kehraus“, d.h. eigentl. zum Schluß des Festes, denn als solches betrachtet Link den Kampf der Bauern gegen den Adel. An das urspr. Auskehren aber hat Arndt gedacht in seinem Lied auf den Feldmarschall Blücher: Da ist er’s gewesen, der Kehraus gemacht, mit eisernem Besen das Land rein gemacht. Den allerletzten Kehraus macht der Tod; er wird in den Totentänzen des ausgehenden MA. dargestellt als Tänzer, der den Menschen aus dem Tanzsaal des Lebens hinaustanzt. Deshalb den Kehraus tanzen auch euphemist., z.B. schwäb., für sterben. Kehricht. Das gellt dich einen (feuchten) Kehricht an: das geht dich nichts an. Feuchter Kehricht ist eine beschönigende Umschreibung für /Dreck. Ähnl. das interessiert mich einen feuchten Kehricht: das interessiert mich überhaupt nicht. Keller. Sich das Kellerrecht ausbehalten: das Recht, in einem Keller den eigenen Wein zu lagern; dazu das Sprw.: ,Dreifach Trunk ist Kellerrecht? Kellerrecht ist das (frühere) Recht der Küfer, bei einem Weinkauf vom Weinhändler eine bestimmte Menge Wein zu verlangen. ,De Kellertür is Bürg" sagt man an der Mosel, d.h. der Wein geht nur gegen Barzahlung aus dem Keller. Die Rda. schließt eine Reihe von Bedingungen ein, die den Winzer beim Weinverkauf schützen. Lit.: H. Honold: Arbeit und Leben der Winzer an der Mosel (1941), S.86. Kellertreppe. Eingemachte Kellertreppen (eingelegte Kellerstnfen), alte Neugierde mit Butter gebraten usw. gehört zu den häufigsten scherzhaft-rdal. Antworten auf die neugierige Frage: ,Was gibt’s heute zu essen?" Im Obersächs. sagt man dafür auch: ,einen Topf im anderen und Topflappen dazwischen, damit nichts anbrennt". Kerbe. In dieselbe (oder gleiche) Kerbe hauen (schlageti) wie jetn.: dieselbe Ansicht vertreten wie jem., dasselbe Ziel erreichen wollen, ihn bei seiner Arbeit oder in seinen Anschauungen kräftig unterstützen, auf dasselbe Ziel hinarbeiten. Die Rda. ist vom Baumfällen übertr., wobei die Holzfäller am schnellsten zum Ziel kommen, wenn sie immer in dieselbe Kerbe hauen. Eine Variante bringt Bismarck in seinen Reden (XI, 38): „Ich würde an Herrn Rikers Stelle den Reichskanzler erst in die Lage gesetzt haben, noch einmal in dieselbe Kerbe die Axt einzusetzen"". Ich will dir eine Kerbe ins Ohr machen; rhein. ,mach der en Kerb eiTt Ohr!": das Merkzeichen, das sonst ins /Kerbholz geschnitten wird, soll dem Vergeßlichen ins Fleisch geschnitten werden. Auch an das Kennzeichnen der Rinder oder Schafe durch Einschnitte am Ohr hat man zur Erklärung erinnert. Jem. auf die Kerbe einladen: ihn einladen, ihn am /Arsch zu lecken. Die Rda, spielt mit dem Gleichklang von Kerbe, Kirbe = Kirchweih und der Gesäßkerbe. Im 17. Jh. scheute selbst eine hochgeborene Gräfin von Leiningen sich nicht, „auf die schmutzige Kirwe“ einzuladen. Kerbelsuppe. Rhein. ,He het Kerbelsuppe gegessen", er sieht nicht richtig. ,Kerbelsuppe gegessen haben" ist ein Wortspiel 503
Kerbholz und meint im rhein. einen schwachsichtigen, dummen Menschen. Die Rda. spielt mit dem Wort ,Kerbel4 = schwacher, untauglicher Mensch, während Kerbelsuppe sonst eine mit Körbelkraut (Anthriscus ce- refolium) angemachte Suppe ist, nach deren Genuß man alles doppelt sehen soll. Kerbholz. Das Kerzbholz oder der ,Kerbstock4 war vor der Einführung schriftlicher Rechnungslegung das wichtigste Gerät zur Aufzeichnung von Lieferungen und Arbeitsleistungen. Aus dem modernen Wirtschaftsleben ist der Gebrauch von Kerbhölzern freilich verschwunden. Wenn auch das Wort ,kerb‘ für Kerbholz oder Kerbstock und ,kerben4 erst im Mhd. nachweisbar ist, so kann doch an dem hohen Alter des Kerbholzgebrauchs nicht gezweifelt werden. Das Kerben aufs Kerbholz ist ein Rest ältester Buchführung. Es ist seit vor- geschichtl. Zeit in Europa bezeugt und noch heute bei vielen Naturvölkern verbreitet. Ein Kerbholz bestand in der Regel aus zwei Teilen, die man durch Längsspal- m&kàsM* ,Kerbhölzer4 (Walliser Tesseln) ten eines Holzstabes gewann. Der größere Teil mit dem Griff hieß im Dt. ,Stock4 und der kürzere abgespaltene Teil ,Einsatz4. In die beiden genau aneinandergehaltenen Teile wurden Kerben, die je nach ihrer Form bestimmte Mengen oder Leistungen ausdrückten, eingeschnitten. Den einen Teil des Kerbholzes erhielt der Gläubiger, den anderen der Schuldner (bzw. der Tagelöhner und der Arbeitgeber). Bei jeder Abrechnung wurden die beiden Teile schließend aneinandergelegt, wobei sich die Kerbschnitte genau entsprechen mußten. Die Kerben wurden eingeritzt, eingeschnitten, eingefeilt, eingesägt oder auch eingebrannt, sooft der Gebrauchsfall ein¬ trat, und von Zeit zu Zeit durch gemeinsame Abrechnung und Bezahlung erledigt. Alsdann wurde das Holz ,abgekerbt4, d.h. mit Messer, Hobel oder Feile wurden die Striche beseitigt. Justus Möser spendet 1778 in seinen patriotischen Phantasien4 (Bd. 2, S. 144) dieser einfachen, aber altbewährten Einrichtung hohes Lob. Im Geschäftsverkehr zwischen Bauern und Handwerkern, z.B. dem Schmied, war sie auf dem Lande bis ins 19. Jh. hinein noch vielfach im Gebrauch. Zur Berechnung von Leistungen und Verpflichtungen im Sennereiwesen, etwa über den Milchertrag, ist sie z.T. noch bis ins 20. Jh. in Benützung gewesen. - Neben dem doppelten Kerbholz gab es auch das einfache Kerbholz, einfach ein Stab, in den jedesmal eine Kerbe gemacht wird, wenn eine Leistung usw. vollzogen ist. An die Verwendung des Kerbholzes zur Abrechnung von Schulden erinnern Wndgn. wie: einem etw. an ein Kerbholz schneiden: es ihm zur Schuld anrechnen; es ihm ankerben: einem etw. ankreiden (/Kreide); sein Kerbholz ist voll: sein Sündenregister, das Maß seiner Schuld(en) ist voll; bei jem. auf dem Kerbholz stehen: ihm etw. schuldig sein. Bei Hans Sachs heißt es: ,,Borgen und schneiden und kerben, des möcht ein reicher Wirt verderben44. Die weitaus am häufigsten bezeugte Rda. ist etw. ( viel, allerhand usw.) auf dem Kerbholz haben: große Schulden haben, übertr.: ein Vergehen begangen, etw. ausgefressen haben, nicht schuldlos sein. Ähnl. in den Mdaa., z.B. rhein. ,he hät noch jet bei mir om Kerwholz (stöhn)4; schlesw.-holst. ,he steit bi em op’n Karfstock4, wobei der Ausgangspunkt wohl der Gebrauch des Kerbholzes durch den Kredit gewährenden Gastwirt gewesen ist, was durch Wndgn. wie an ein Kerbholz trinken: auf Rechnung trinken, bestätigt wird. Vgl. alem. ,uf de Bengel sufe4, im Wirtshaus auf Kredit trinken. Jem. auf dem Kerbholz haben: jem. auf dem Gewissen haben, aber auch im Sinne von: jem. auf dem /Kieker haben. Nicht mehr üblich ist die aus dem 16. Jh. bezeugte Rda. aufs Kerbholz reden: etw. versprechen, ohne ernstlich an die Erfüllung zu denken; auch: blind darauf losreden. In Th. Mur- 504
Kien sïii e>'ii hcrbboltjreoen Ibtc bin icb fcbt micb frolicb an 5 cb oarlt'nocb wot jftn fcbdmm fhn 5cb bab orft an ern Kerb bolts geresr "00 niemand Kef n bejalüg oetc ^lerbcflTcn-ouncKtm cbaolicbfern So leütcn gaor in pauren fcfxrn IfâNÉâ ners ,Schelmenzunft4 von 1512 handelt das 7. Kap. von solchen ,Kerbrednern\ die namentlich beim Adel, bei Kaufleuten und Kriegsknechten häufig seien, und bringt auch eine Abbildung dazu. Auch Wndgn. wie aufs Kerbholz losleben, aufs Kerbholz lossündigen sind aus früherer Zeit bezeugt, d.h. die Wndgn. sind von einer urspr. Vielheit erst allmählich zur heutigen Form der Rda. erstarrt. Lit.: K. Brunner: Kerbhölzer und Kaveln, in: Zs. f. Vkde. 22 (1912), S. 337-352; R. Weiss:Das Alpwesen Graubündens (Erlenbach-Zürich 1941), S.230ff.; K. Weule: Vom Kerbholz zum Alphabet (20. Aufl. 1920); E. v. Künssberg: Rechtliche Volkskunde (Halle 1936). Kerl. Das ist ein Kerl: das ist ein tüchtiger Mann, ein ganzer Mann. Kerl wird gern in volkstümlichen Verbindungen gebraucht: ,ein ganzer Kerl1, ,ein guter Kerb, ,ein fixer Kerb, ,ein patenter Kerb; an der Ostseeküste: ,ein Kerl auf Deck4, urspr. ein Ausdr. der Schiffersprache, doch auch geringschätzig, z.B. obersachs. ,e Kerl wie e Quärb, ,ein Kerl wie gar keiner4; ,ein Kerl wie durch ein Wursthörnchen gedrückt4 sowie ,ein Kerl wie ein Pfund Wurst4; schwäb. ,ein Kerl wie e Häslaus4, d. h. man wird ihn nicht mehr los, ,ein Kerl wie der Antichrist4, d.h. ein arger Wildfang; ,du bischt e Kerl wie David, nu kannscht net Harpfa schla4, d.h. im Grunde zu nichts nutz; ,einen solchen Kerl freß ich im Sauerkraut4, d.h. ich kann ihn nicht leiden (zahlreiche weitere rdal. Vergleiche s. Wander II, Sp. 1245 ff.). Kerze /Licht. Kesselflicker. Sich hauen (zanken) wie die Kesselflicker: sehr grob miteinander verfahren, sich über Gebühr erregen, wegen einer Kleinigkeit schon in Streit geraten, /wie. Kieker. Jem. auf dem Kieker haben: sein Augenmerk auf jem. richten, jem. beobachten, überwachen. Kieker gehört zu ndd. ,kieken4 = sehen und bez. ein Fernrohr, Fernglas oder auch eine Lupe. Die Rda. ist also eine Parallelbildung zu ,jem. auf dem Korn haben4 (/Korn) und ,jem. unter die Lupe nehmen4, ,unter der Lupe haben4 (/Lupe); sie ist seit dem 18. Jh. vor allem im ndd. Sprachbereich zu Hause. Kielwasser. In jem. Kielwasser fahren (oder laufen): jem. nachfolgen, jem. nachahmen, von jem. abhängig sein. Der Ausdr. entstammt der Seemannssprache und bezieht sich auf den Vorgang, daß ein Schiff der Spur aufgewirbelten Wassers folgt, die die Schraubendrehungen eines vorausfahrenden Schiffes verursacht haben. Das größere, stärkere Schilf bahnt (bes. im vereisten Wasser) dem kleineren den Weg und schützt es dadurch vor möglicher Gefahr (vgl. ndl. ,in iemands kielzog varen4). Die Rda. ist etwa seit Beginn des 17. Jh. bekannt. Die hat aber ein Kielwasser! sagt man von einer Frau, die starken Parfümduft verströmt. Kien. Auf dem Kien sein, höllisch auf den Kien passen: scharf aufpassen, sehr vorsichtig sein; berl. vielleicht zu ,Kien4, ,Kienholz4 gehörig, das als Feuerholz verkauftwurde. Möglich ist auch die Herkunft aus jidd. ,kiwen4 = aufmerksam, beflissen, geschäftig, oder aus engl. ,keen4 = scharf von Blick, Verstand, oder auch frz. ,quine4 = unverhofftes Glück, Treffer (Küpper I, S. 180). Obersachs. ,Rede doch nicht solchen Kien!4, d.h. solchen Unsinn. 505
Kind Kind. Das Kind beim (rechten) Namen nennen: eine Sache unverblümt bezeichnen, seine Meinung unbeschönigt äußern; ähnl. die frz. Rda.,appeler un chat un chat1 (Boileau, Satiren I, 52); ebenso ital. ,chiamare la gatta gatta' ( = die Katze eine Katze nennen). Im Dt. taucht die Rda. erst im 17. Jh. auf, so 1643 bei Moscherosch in den gesichten Philanders von Sittewald' (1. Teil, 8. Gesicht): ,,Nimmermehr aber kann etwas Redliches sein, wo man sogar hinder dem Berge haldet, wann man Brei im Mund hat und dem Kind nicht will den rechten Namen geben". Recht geläufig wurde die Rda. erst durch Goethes,Faust (I, V. 589): ,,Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?" Eine genaue Erklärung des Urspr. dieser Rda. fehlt noch. Lieb Kind bei jem. sein: in großer Gunst bei ihm stehen; schon in mhd. Zeit und bei Luther geläufig; früher auch: gut Kind sein und, von einem allg. Beliebten: jedermanns Kind sein. Dazu ferner: sich bei jem. lieb Kind machen: sich, bei ihm einschmeicheln; eigentl.: es erreichen, daß man mit ,liebes Kind' angeredet wird. Ein Kind des Todes sein: dem Tod verfallen sein. Die Rda. ist bibl. Urspr.; l.Sam. 26, 16, 2 heißt es: ,,So wahr der Herr lebt, ihr seid Kinder des Todes, daß ihr euren Herrn, den Gesalbten des Herrn, nicht behütet habt" (vgl. 2. Sam. 12,5). Nach Luk. 9,55 ,,Welches Geistes Kinder ihr seid?" sagt man wes Geistes Kind. Kind Gottes ist eine gemütliche Anrede, die gern auch auf die Einfältigkeit des Angeredeten gemünzt wird; sie betrifft eigentl. die Vaterschaft Gottes und die Gotteskindschaft aller Christen. Die Wndg. wird seit dem 19. Jh. in verweltlichter Bdtg. gebraucht; modern oft auch erweitert zu ,Kind Gottes in der Hutschachtel'. Mit Kind ünd Kegel: mit der ganzen Familie. Eigentl. meint die stabreimende Formel: mit ehelichen und unehelichen Kindern, denn ,Kegel' wird in einem Vokabular von 1482 als uneheliches Kind' erklärt. Die Formel ,kint und kekel' ist am frühesten in Breslau 1422 bezeugt, dagegen kommt ,kindes kegel' schon im 13. Jh. vor: irdenke, wie ich bî si kome, dins kindes kekel sal iz vrome (,nutzen'). Noch nicht sicher erklärt ist aber die Bdtg. uneheliches Kind' für,Kegel', das zunächst ,Pfahl', ,Pflock', dann den Kegel im Spiel bedeutet; denn um das gleiche Wort Kegel handelt es sich in der Rda. wohl sicher. Rudolf Much hat darauf hingewiesen, daß Kegel auch ,Knüppel', ,Stock' bedeute (eis. wird ein Taugenichts ein ,grober, fauler Kegel' genannt, und einen ähnl. Bedeutungswandel erlebten ,Bengel' und ,Stift'). Kegel sei also zunächst eine verächtliche Bez. für ,Kind', woraus eine für uneheliches Kind' hervorgegangen sei. Alfred Götze knüpft an die mhd. Bdtg.,Eiszapfen' für Kegel an; in dem altschwäb. Schwank ,Modus Liebinc' erzählt die untreue Frau, sie habe, während ihr Mann verreist war, Schnee gegessen und davon sei ihr das Kind gewachsen; so sei aus ,Eiszapfen' die Bdtg. ,Bastard' entstanden. Diese zweite Erklärung hat aber weniger Wahrscheinlichkeit für sich (vgl. ndl. ,kind noch kraai hebben', keine Blutsverwandten haben, für niemand zu sorgen haben; frz. ,n1avoir ni enfants ni suivants'; engl. ,to have nor chick nor child'). Die Kinderschuhe ausgezogen haben: alle kindlichen und kindischen Gewohnheiten abgelegt haben, herangewachsen sein. Die Rda. ist schon im 16. Jh. bezeugt. 1639 führt Lehmann S. IO (,Alf 9l) an: „Mancher ist alt von Jahren vnd steckt doch in der Buben-Haut, vnd gehet sein Lebtag in Kinderschuhen"; S.64 (,Begierd' 20) ist die Rede von alten Leuten, die „ob sie schon die Kinderschuhe und -Röck abgelegt, doch ihr Lebtag in der Kinderhaut stecken bleiben". Die Rda. steht sicher in Zusammenhang mit altem Brauchtum. Bes. bei rom. Völkern werden z.T. noch heute vor der Trauung die alten Schuhe ausgezogen, was der Bräutigam in der Regel selbst tut. Im lothringischen Berry z. B. versuchen es alle Eingeladenen, jedoch nur dem Bräutigam gelingt es. Das ist kein Kinderspiel: das ist nichts Leichtes, sondern schwere Männerarbeit. Auch oft herabsetzend: Das war ja Kinderspiel: das war ja gar nichts! So schon in Wolfram von Eschenbachs ,Parzival‘ (557, I2f.): swaz ie gestreit iwer hant, daz was noch gar ein kindes spil. 506
Kind Und ganz ähnl. ruft der alte Kämpe Ludwig in der ,Kudrun4 (Str. 858, V. 2): ez was gar ein kintspil swes ich ir began: nu muoz ich aller êrste mit guoten helden striten. Noch drastischer drückt sich Michel Be- haim im ,Buch von den Wienern1 (S.301, V. 5 ff.) aus: Mit schiissen, schiegen, Stichen groß was gar ain überlauter toß (Lärm), si spilten mit der tocken (Puppe): ain zager wär erschrocken. Nach der Schlacht bei Lützen 1632 sangen die Soldaten Gustav Adolfs: Keine solche Schlacht ist in hundert Jahren geschehn, Die vorm Jahr (bei Breitenfeld) ist Kinderspiel gewesen. Joh. Agricola erweitert die Rda.: „Es ist keyn kynderspill, wenn eyn alts weib tanzet .. . das ist wol zweyerley torheyt, das die alten thun, was den jungen gebueret, das ist, es ist nichts denn torheyt, vnd spot, vnd luegen44. Auch holst, ist die Rda. in erweiterter Form bezeugt: ,Dat is keen Kin- nerspel, wenn Vadder op’n Stockritt (oder: wenn ole Wiewer danst)4. Von Berlin ist die umg. Rda. ausgegangen: Wir werden das Kind schon (richtig) schaukeln: wir werden die Sache schon fertigbringen. Die Rda. ist urspr. wohl als ermunternde Redewendung an eine Mutter gerichtet, die mit dem Hinweis auf ihr Wiegenkind das Haus nicht verlassen mag (20. Jh.). Gleichbedeutend sind die Rdaa. ,wir werden den Zaun schon pinseln4, ,wir werden das Schwein schon töten4, wiewohl es im bildl. Gebrauch weder um Zaun noch um Kind, noch um Schwein geht. Das Kind im Manne sagt man, wenn ein Mann zu spielen anfängt. Die Rda. beruht auf einem Zitat aus Friedrich Nietzsches ,Also sprach Zarathustra4 (Leipzig 1883): Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen, Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne! Unter Berufung auf das Nietzsche-Wort widmete auch Christian Morgenstern (1871-1914) seine ,Galgenlieder4 „dem Kinde im Manne44 (Büchmann S. 366 u. 376). Das Kind muß einen Namen haben: die Sache muß irgendeine Bez„ ein Firmenschild usw. haben, wenn auch nur in verhüllender oder entstellter Absicht; die Rda. bezieht sich auf die Notwendigkeit der Namengebung, weil ohne einen Namen das Kind bürgerlich-rechtlich undenkbar ist. Du bist verrückt, mein Kind stammt aus der Operette ,Fatinitza4 von Franz von Suppe (1820-95), wo es heißt: Du bist verrückt, mein Kind, Du mußt nach Berlin. Wie sag1 ich's meinem Kinde?: wie sage ich es am geschicktesten, insbes. bei peinlichen Nachrichten. Die Rda. bezieht sich urspr. auf die geschlechtliche Aufklärung, dann übertr. auf jede Mitteilung einer heiklen oder unangenehmen Sache (20. Jh.). ,Was is mich das mit dich mein Kind4 (Stettin); ungemein häufig und vielseitig angewandte Rda. ganz oder halb scherzhafter Verwunderung, Warnung, Besorgnis. Wie das ndd. ,mi4, ,di4 Akkusativ und Dativ ist, so hat die Mda. der pomm. Städte, bes. Stettins, für beide Fälle nur mich und dich. Die Rda. ist eigentl. nur der Anfang eines Neckspruchs, mit dem z.B. ein Betrübter gehänselt wird: „Was is mich das mit dich, mein Kind? Du ißt mich nich, du trinkst mich nich, du stippst mich in den Kaffee nich; du bist mich doch nicht krank?44 Das Kind an die Brust nehmen: aus der Flasche trinken; sold, seit dem 1. Weltkrieg. Ein Kind von Lumpen (Puppenlappen) kriegen: sich sehr wundern; sich sehr ärgern. Mit der Rda. war urspr. wohl eine aus Lumpen hergestellte Schandpuppe gemeint, die vor das Haus oder Fenster einer liederlichen weibl. Person gestellt wurde (Küpper II, S. 157). Dasitzen wie das Kind vorm (beim) Dreck: hilflos sein. Gemeint ist der Gesichtsausdruck eines Kindes, dem bei der Verrichtung der Notdurft ein Mißgeschick unterlaufen ist (um 1900). Das Kind mit dem Bade ausschütten /Bad. Lit.: O. r. Reinsberg-Düringsfeld: Das Kind im Sprw. (Leipzig 1864); R. Much: Holz und Mensch, Wörter und Sachen Bd. 1 (1909), S.39ff.; H. Ploß: Das Kind in Brauch und Sitte der Völker, 2 Bde. (Leipzig 31911, 1912); H. Boesch: Kinderleben in der dt. Vergangenheit, in: Die dt. Stände in Einzeldarstellungen, Bd. 5 (Jena 21924); L.Röhrich: Erzählungen des späten MA., 1 (1962). 507
Kinken Kinken. Aus dem Kinken treten: sich aus der Gefahrenzone begeben; Kinken ist eine Schlaufe in der Schiffstrosse, die sich bei einer Bewegung des Schiffes zusammenziehen kann, wobei derjenige, der darin steht, schwer verletzt wird. Kinkerlitzchen. Kinkerlitzchen machen: dummes Zeug machen; meist in imperativischer Form: ,Mach doch keine Kinkerlitzchen4, ziere dich nicht, weigere dich nicht, z.B. schlesw.-holst. ,Maak mi man keen Kinkerlitzchen .vor!4. Kinkerlitzchen sind nicht ernst zu nehmende Nichtigkeiten, unnötige Dinge, Verkehrtheiten. Das Wort begegnet in der Form ,Ginkerlitz- gen4 zuerst 1775 im Dt.; es ist aus frz. ,quincaille4 = Kurzwaren unter Anhängung der beiden Verkleinerungssilben -litz und -chen gebildet (sog. doppelte Verkleinerungssilbe wie bei ,Sächelchen4, ,Frettchen4). Auch ein Einfluß von funkeln4 = blenden, täuschen ist denkbar. Die einfache Form ,Kinkerlitzen‘ ist im Schles. und in der Altmark bezeugt. Kippe. Auf der Kippe stehen: in der Schwebe sein, schwankend, unsicher, unentschieden sein, gefährdet sein, kurz vor der Entlassung stehen, sich in einer Krise befinden, nahe vor dem /Bankrott stehen, gefährlicherkrankt sein, im Sterben liegen. Die Rda. ist seit der 1. H. d. 18. Jh. bezeugt und geht auf ,Kippe4 (zu ,kippen4 = das Übergewicht bekommen) in der Bdtg. Spitze, Kante, Ausschlagspunkt der Waage zurück, d. h. auf den Punkt, an dem etw. aus dem Gleichgewicht kommt. Ndd. heißt Kippe die Wippe. In wörtl. Sinne begegnet mdal., z.B. erzgeb. ,dos liegt of der Kepp4, es kann jeden Augenblick herunterfallen. Von Kippe in der Bdtg. /Goldwaage stammt der in den Jahren 1619-1622 (,Kipperjahre4) vielgebrauchte Ausdr. Kipper und Wipper: Münzverschlechterer, Münzbetrüger. Gustav Freytag hat dies in seinen ,Bildern aus der deutschen Vergangenheit4 (II, 134) ausführlich dargestellt. ,Wipper4 bezieht sich auch auf die bei der Aussonderung und Umschmelzung der Münzen benutzte Goldwaage, die ,Wippe4. Die betrügerischen Münzherren ,kippten4 die Münzen, d.h. sie schnitten sie ab und ,wippten4 sie, d.h. sie warfen sie mit Schwung auf die Waagschale, damit diese rascher sank und man nicht merkte, daß noch etw. am Gewicht fehlte. Dieses Münzunwesen herrschte bes. im Dreißigjährigen Krieg und zur Zeit der Kriege gegen Frankreich und die Türken zwischen 1676 und 1690. Die geringhaltigen, zu leichten Münzen nannte man ,Kippergeld4. ^(r^fhftMDlirkiDVippcrcrrnDÄippcrcr/alööcIt/^ano unfcïcuWWrtcr&«ï{ÇriitiH|lcr. ,Kipper und Wipper4 Kippe machen: (bei Handel oder Spiel) gemeinsame Sache machen; bes. in den Mdaa. des Südwestens verbreitet, auch in die Umgangssprache eingedrungen, stammt dagegen über das Rotw. aus dem neuhebr. ,kib’ oh4 = Bestimmtes. Kippe, frühnhd. ,Kipfe\ ist auch das Endstück der Zigarette; vor allem sold, seit dem I. Weltkrieg. Entspr. ,Kippen quälen4, Zigaretten so weit zu Ende rauchen, daß nicht einmal ein kurzes Stück übrigbleibt. Lit.: O. Lauffer: Zwei Lieder des 17. Jh. gegen die Kipper und Wipper zu Hamburg, in: Mitteilungen des Vereins f. Hamburg. Gesch., Bd. 11 (1914), S. 82-92; L. Veit: Das liebe Geld - zwei Jahrtausende Geld- und Münzgesch. (München 1969), S. 137ff.; H. Ertel: Die Münzen der dt. Kipperzeit (1924); E. Rahnenführer: Die kursächs. Kippermünzen (1963). 508
Kirchenmaus Kirche. Die Kirche im Dorf lassen: sich an das Gegebene halten, an Gebräuchen nichts ändern, nichts übertreiben. Wie die Kirche ihren rechten Platz mitten im Dorf hat, so soll man auch mit seinen Ansichten (Preisen u. Forderungen) im Rahmen bleiben. Welch große Ordnungsfunktion die Kirche besaß, spiegeln vor allem die zahlreichen mdal. Wndgn., z. B. luxemb. ,maach, daß d’Kürche am Duerf blift4; westf. ,maken, dat de kerk im dorpe blitt‘; meckl. ,blif man mit de Kirch int Dörp4; Schweiz. ,luegen, daß d’Chilche (z’mitzt) im Dorf blibt\ Obersächs. oft: Jch wer’sch schon machen, daß de Kärche in Dürfe bleibt', ich werde dafür sorgen, daß alles zur Zufriedenheit geregelt, daß niemand übervorteilt wird. Vgl. ndl. ,de kerk in’t midden (van het dorp) laten‘. Mit der Kirche ums Dorf gehen: verkehrt, umständlich handeln. Nach Wander (II, Sp. 1345) ist hierbei unter Kirche die Kirchengemeinde zu verstehen, die bei ihren Prozessionen einen langen Weg um das Dorf wählt. Daraus habe sich dann die Bdtg., einen Zweck auf dem umständlichsten Weg erreichen, entwickelt. Die Rda. ist mdal. im Vorarlbergischen, im Schwäb. und in der Schweiz verbreitet, wo es heißt: ,Mit der Chilche urn’s Dorf ummen gan‘. Die Kirche ums Dorf tragen: unnötige Umwege und Umstände machen; eis. sprw. ,De Kirch is ka Frosch, die huppt net wack4; rhein. ,Wann de den Weg gehscht, drägscht die Kirch urn’s Dorf erum‘. Seltener ist die gleichbedeutende Wndg. ums Dorf in die Kirche gehen. Die Formeln Kirche und Straße und Kirche und Markt umfassen den ganzen Bereich der Öffentlichkeit und gründen sich auf alte Rechtsbräuche. Wenn sich Mann und Frau zusammen sehen lassen, erweisen sie sich damit als rechtlich zusammengehörig, als Eheleute. Neuvermählte machten nach der Trauung einen feierlichen Gang durchs Dorf. An diesen Brauch war im 14. Jh. im Stadtrecht von Orlamünde sogar das Erbrecht gebunden. Die ndd. Rda. ,eine Frau to Kark un Markt führen4 bedeutet heiraten. Schlesw.-Holst. ,he geit nich to Kark no to Mark4, er lebt völlig zurückgezogen. Die Wndg. zu Kirchen gehn meint auch die Einsegnung der Wöchnerin. Schweiz, sagt man dazu: ,z’Chinds z’Chirchen gan\ wenn die Wöchnerinnen 6 Wochen nach der Niederkunft den ersten Kirchgang tun. Dieser Brauch geht auf die in 3. Mos. 12 beschriebene jüd. ReinigungsVorschrift zurück, die in der röm. Kirche in ähnl. Form als löbliche Sitte zur bes. Segnung beibehalten wurde, teilweise sogar in den reformierten Kirchen. In der Lüneburger Heide sagt man dazu: ,se huit Karkgang4 und in Schlesien ,ter Kerchen goehn4. In die Kirche läuten und dann schlafen gehen: andere zur Frömmigkeit auffordern, selbst aber zu bequem sein. Daß der sonntägliche Kirchgang vielfach nur als Pflichtübung betrachtet wurde, erweist die Feststellung: Der kann die Kirche auch zu Gevatter nehmen, wobei der seltene Kirchenbesuch mit einem pflichtgemäßen Verwandtenbesuch verglichen wird. Lit.: RGG3 III, Sp. 1296-1327, Art.,Kirche^; Lexikon f. Theologie u. Kirche V, Sp. 968 ff, Art. ,Kirche1. Kirchenlicht /Licht. ,Kirchenmaus4 Kirchenmaus. Arm wie eine Kirchenmaus: sehr arm; in der Kirche gibt es keine Vorräte, deshalb ist die Kirchenmaus die allerärmste; /arm, /wie. Die Wndg. ist seit dem 18. Jh. bezeugt. Vgl. frz. ,gueux comme un rat d’église4. 509
Kirchweih Kirchweih. Jem. auf die Kirchweih laden: jem. seine Mißachtung dadurch bezeugen, daß man ihn mit ,leck mich am Arsch" oder ähnl. Ausdrücken bedenkt; der Sinn der Rda. besteht also in einer groben Ablehnung. Die verhüllende Metapher dürfte mindestens bis ins 17. Jh. zurückgehen. In Ludwig Aurbachers ,Volksbüchlein4 (1827) ladt eine Bauerntochter in den Abenteuern der sieben Schwaben" den aufdringlichen Blitzschwaben ,auf die Kirbe". Die Rda. ist vornehmlich im süd- und südostdt. Sprachbereich zu Hause, in Bayern und der Oberpfalz, in Franken und Schwaben, aber auch im Egerland und in Sachsen; so etw. bair. ,Du kimm fei in Kirta!". Im Bad. lautet die iron. Aufforderung ,Kanscht mr uf d'Kirbe kumme!". Anstelle einer Beleidigung setzt der Spötter euphemist. eine Ehrung. Mancherorts ist es dem so Angeredeten erlaubt, die Einladung- bes. wenn sie eindeutig spaßhaft und nicht im Zorn vorgebracht wurde - ernst zu nehmen und sich als Gast auf dem kommenden Kirchweihfest zu betrachten. Jedoch dürfte dieser (z.B. aus Schwaben bekannte) Brauch erst neueren Datums sein, denn er ist offensichtlich eine Schutzmaßnahme gegen das unbedachte .Kirchweihladen". /Kirmes. Lit.: R. Kubitschek: ,Auf die Kirchweih laden1, in: Suddt. Zs. f. Vkde. 3 (1930), S. 113 f.; A. Birlinger:Zum alem. und schwäb. Wortschatz, in: Alemannia 10 (1882), S. 168-216. Kirmes. Eine große Zahl von sprw. Rdaa. bez. den Sonnenregen. Man sagt, wenn es regnet und die Sonne scheint: ,Dann ist in der Hölle ein Festtag" (Oldenb.), ,Hochtid" (Friesl.), ,Kirmes" (Westf., Rheinl.). Diese Version bestätigt auch der älteste seither bekannte hist. Beleg: ,Wenn die Sonn scheinet vnnd zugleich regnet, so ist in der Hölle Kirchweih" (Christ. Lehmann: ,Flo- rilegium Politicum", 1630, 334: 32; J. M. Sailer: ,Die Weisheit auf der Gasse", 1810, 179). Andere Versionen sind: ,Man backt in der Hölle", ,De Düwel backt Pannkok" (Oldenb.), ,Der Düwel hält Schottelplak- ken feil" (Rheinl.), ,Frau Holle hat Kirmes" (Niederrhein), ,Die Heiden haben Hochzeit" (Schweiz), ,De Düwel danzt mit sin Grotmudder" (Kreis Winsen), ,De Düwel hat Hochtied" (Der Teufel hat Hochzeit; Schlesw.-Holst.), ,Der Teufel stattet seine Töchter aus4 (Mecklenb.). Den Sonnenregen hat man vielfach als ein Ringen zwischen Regen und Sonnenschein gedeutet, und in verschiedenen Gegenden sind verschiedene Bilder zur Illustrierung dieses Kampfes entstanden; in Dtl.: ,Der Teufel prügelt sein Weib, seine Großmutter, Schwiegermutter4 (Bayern, Oesterr.). ,... s kröigt d’Teufelin Schläg" (Die Teufelin kriegt Schläge; Egerland), ,Der Düwel stickt sin Wif mit ’n Dägen" (Der Teufel sticht sein Weib mit einem Degen; Celle), ,Der Teufel hat seine Mutter erhenkt" (Mosel), ,De Düwel kloppt sin Grossmud- der" (Lüneburg). Das geschlagene Objekt war urspr. die Frau des Teufels (nicht die Großmutter; /Teufel). Sie erscheint in dieser Stellung in der Überlieferung von 26 Völkern, wobei es für die Tradition aufschlußreich ist, daß es sich gerade um einen Ehestreit handelt. Schon Joh. Praetorius kennt die Wndg. ,,Donnerts und die Sonne scheint dazu: der Teufel schlägt seine Mutter, daß sie öl (= Bier) gibt"" (J. Praetorius: .Blockes Berges Verrichtung", Leipzig 1668, 2, 113). Die Redaktion ,Der Teufel schlägt seine Frau", schon im 17. Jh. sowohl in Frankr. (,1e diable bat sa femme"), Holland (,de duivel slaat zijn wijf") als auch in Dtl. feststellbar, dominiert heute in der ganzen engl.-sprechenden Welt (,the devil is beating his wife"), ebenso im Gebiet des alten Oesterr.-Ungarn; dennoch ist es nur eine späte, allerdings außergewöhnlich expansive Redaktion der Teufelshochzeits- Tradition. In Schlesw.-Holst, und in Oldenb. hat sich (ebenso wie in Dänemark) anscheinend auf der Grundlage der scherzhaften Rda. ,He is dem Düvel üt der Bleke lopen", die eine braune Gesichtsfarbe meint, die örtliche Redaktion ,Der Teufel bleicht seine Großmutter" herausgebildet (,De Düvel bleket sin Möm", ,De Düwel hett sin Grôtmûder up de Blêk"). Zum Bleichen von Wäsche gehört wiederholtes Anfeuchten im Sonnenschein, so daß dieses Bild gut zu der Naturerscheinung paßt. Andere Rdaa. bringen den Sonnenregen in Beziehung zu einer Hexe: ,Die Hexen tanzen", ,De ool Hex backt Pannkoken" (Die alte Hexe backt Pfannkuchen; Schlesw.- 510
Kirmes Holst.), ,Die Hexen buttern' (Schlesien), ,Die Hexen werden am Ende der Welt begraben4 (Nordfriesl.). Man könnte glauben, daß die Wndgn. von Teufelshochzeit und Hexentanz mit den Vorstellungen vom drastischen Hochzeitsritual des Teufels und der Hexen, d. h. mit dem sog. Hexensabbat, verflochten seien. Aber es ist bemerkenswert, daß, obwohl Hexe wie Teufel äußerst häufige Subjekte in der Sonnenregentradition des europ. Festlandes sind, keine einzige Variante auf eine Buhlschaft zwischen ihnen hindeutet. Vielleicht darf man daraus folgern, daß die Dämonenredaktionen der Sonnenregentradition bereits entstanden und in der Hauptsache herausgebildet waren, bevor die Vorstellung von der Teufelsbuhlschaft eine zentrale Stellung in der christl. und volkstüml. Dämonologie erlangt hatte. In Mecklenb. sagt man ,Nu ward ’n Hur- kind makt oder süss ward en döfft4 (Nun wurde ein Hurenkind gemacht oder getauft). In Westfinnl. heißt es, daß eine Hure Hochzeit feiert. Die Hurenhochzeit- oder Hurenkindredaktionen beschränken sich auf den Ostseeraum. Humoristisch ist die rhein. Version: ,Ene Leutenant bezahlt seng Scholde4 (Ein Leutnant bezahlt seine Schulden); ähnl. in Lüneburg: ,s kummt ’n Edelmann in ’n Himmel4 (Ein Reicher kommt nach der Bibel bekanntlich schwerer in den Himmel); ,Nu kümmt ’n Snider in 'n Himmel4 (Es kommt ein Schneider in den Himmel; Schlesw.-Holst., Sachsen); ,De Düwel kriggt ’n Advokatenseel4 (Ol- denb.). In völlig andere Anschauungen verweist: ,Der Wolf hat das Fieber4, ,Nu deiht den Wulf de Buk weih4 (Nun tut dem Wolf der Bauch weh), ,Nu pissen de Wülw4 (Mecklenb.). Ähnliche an die Situation des Sonnenregens gebundene Paraphrasen gibt es in den verschiedenen Erdteilen in erstaunlicher Gleichheit des Strukturschemas und doch mit großer Variabilität innerhalb eines und desselben Landes: In Japan, Brasilien und Finnland heißt es, daß bei Sonnenregen der Fuchs Hochzeit feiert. In der Türkei sowie in Mexiko und Estland spricht man vom Gebären der Wölfin. Auf den Philippinen sowie in Chile und Rumänien sagt man, daß der Teufel schlägt oder sich prügelt, ln Polen, Irland und Schweden buttern die Hexen. In der Türkei spricht man vom Schakalregen, in Finnland vom Fuchsregen, in der Ukraine und in Oesterr. vom Sauregen, in Dtl. vom Hasenregen, in Japan vom Hochzeitszug der Füchse. Die Spanier nennen den Sonnenregen ,Zigeunersonne4, die Weißrussen und die Finnlandschweden ,Zigeunerregen4. Kulturhist. bes. interessant sind die rdal. Paraphrasen bei den skandinavischen Völkern; man sagt: ,Die im Wasser Ertrunkenen trocknen ihre Kleider4 (Dänemark, Norwegen, ebenso Polen), ,1m Totenreich trinkt man bei der Hochzeit4 (Finnland), ,Die Mause feiern Hochzeit4 (Südfinnland). Auch in Nordeuropa findet sich vielfach eine Dämoni- sierung der Tradition: ,Die Trolle tanzen, waschen, baden, buttern usw.4 (Schweden), ,Der Fuchs badet4 (Finnland), ,Die alten Jungfern werden geheiratet4 (werden begraben, schlagen sich, werden gebadet, verjüngt, baden auf dem Blocksberg (südl. Finnland). Diese Redaktionen darf man wohl mit dem Brauch der ,Totenhochzeit4, d.h. den Bräuchen bei der Bestattung von Ledigen, in Verbindung bringen. Der finn. Forscher M. Kuusi hat etwa dreitausend Varianten von Rdaa. gesammelt, die alle die seltsame scheinbare Naturwidrigkeit illustrieren, in einer weltweit verbreiteten Widerspruchssymbolik. Es ist die Frage: Was ist in diesem reichen Material primär, was sekundär? Woher kommt diese merkwürdige Einheitlichkeit und zugleich Unterschiedlichkeit? Handelt es sich um eine genetisch zusammengehörige Tradition, oder ist Polygenese zu vermuten, d.h. daß die gleiche Menschennatur überall gleiche Vorstellungen schafft? Die Chronologie der hist. Belege ergibt keine Verbreitungshinweise, da die Streuung der Sonnenregentradition schon zu Beginn der Neuzeit fast ebensoweit entwickelt war wie im 20. Jh., und daß somit hinter den ältesten europ. Aufzeichnungen höchstwahr- scheinl. ein tausendjähriger, vielleicht vieltausendjähriger Weg der Ausbreitung und Wandlung der Überlieferung steht. Kuusi hat erstmals die „Weltgeschichte einer Redensart44 versucht, da offensichtlich die große Mehrzahl der Varianten einen ge¬ 511
Kirsche meinsamen Stammbaum hat. Außergewöhnliche Naturerscheinungen (so auch Wirbelwind, Hagel, Regenbogen, Nordlicht, Sternschnuppen) werden rdal. mit seltsamen Situationen zusammengebracht. Neben bloßen Scherzfiktionen, wie dem Schuldenbezahlen eines Leutnants und anderen neckenden Kommentaren zu unglaublichen Ereignissen, gruppieren sich bestimmte Motive, die die Idee einer paradoxen Verbindung illustrieren, wie sie dem Sonnenregen als einer Kombination entgegengesetzter Naturelemente eigen ist: Streit und Kampf, gleichzeitiges Verheiraten der Tochter und Schlagen der Frau, Hungersnot eines Königs, gemeinsames Bad von Teufeln und Engeln, Heirat ungleicher Partner, wie zwischen Fuchs und Nachtigall, Lächeln durch Tränen mit verschiedenen Anpassungen an regionalen Volksglauben (Frau Holle, Trolle, Hexen usw.). Die theriomorphen Redaktionen dominieren in Asien und Afrika, außerdem aber im Mittelmeerraum und nordwestl. der Ostsee. Und zwar dominieren die Tierhochzeitsredaktionen zahlenmäßig und verbreitungsmäßig: Fuchs- und Schakalhochzeit, Bären- und Wolfshochzeit. Zu den altertümlichsten Versionen gehören die Fuchshochzeit- und Totenhochzeitredaktionen. M. Kuusi versucht den Nachweis der urspr. Zusammengehörigkeit aller Sonnenregen-Paraphrasen, von denen sich eine aus der anderen entwickelt hat, wobei die Vorstellung von der Fuchshochzeit zum ursprünglichsten Bestand gehört. Kuusi vermutet, daß Indien das erste Gebiet war, wo der Sonnenregen als Fuchshochzeit gedeutet worden ist. Daß der Ausdr. Kirmes in der Hölle in Dtl. noch im anderen Sinnzusammenhang ge- bräuchl. gewesen sein muß, beweist seine Verwendung in einem Brief Martin Luthers (Dr. M. Luthers Briefe, hrsg. v. De Welte u. Seidemann, Bd. IV, S.618): ,,Oder wird etwa Kirmes in der Hölle sein, daß der Teufel so lüstern ist mit larven?44 Ut.: J. Grimm:Dt. Mythologie, Nachdruck der 4. Ausg. (Tübingen 1953), Bd.II, 842L, III, 297; M. Kuusi: Regen bei Sonnenschein. Zur Weltgesch. einer Rda., FFC. 171 (Helsinki 1957). Kirsche. Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen: mit ihm ist nicht gut auszukommen; er ist ein unbequemer, unverträglicher, wohl auch: hochmütiger Mensch. Das der Rda. zugrunde liegende Bild ist z. T. so abgeblaßt und unverständlich geworden, daß es auch auf Dinge übertr. werden kann (z.B. ,mit dem kranken Knie ist nicht gut Kirschen essen‘). Die vollständige Form der warnenden Rda., die heute aber weitgehend abhanden gekommen ist und die man nur selten noch hört, wäre: ,Mit großen (hohen) Herren ist nicht gut Kirschen essen: sie schmeißen (spucken) einem die Kerne (Steine) ins Gesicht4. Im Volksmund ist im allg. nur die Kurzform der Warnung geläufig. Der Urspr. der Rda. fällt in eine Zeit, wo der Anbau der Kirsche noch auf die Klostergärten und die Baumgärten der vornehmen Herren beschränkt war; und so warnt die Rda. vor dem vertraulichen Verkehr mit den übermütigen, launenhaften Herren. In Steinbachs Wb. von 1734 lautet die Wndg.: ,,Es ist nicht gut mit großen Herren Kirschen essen, sie werfen einem die Kerne ins Gesichte44. In den älteren Belegen überwiegt jedoch das Werfen der Stiele (vielleicht weil man einst die Steine auch ohne weiteres mitgeschluckt hat). So heißt es schon in Ulrich Boners ,Edelstein4 (um 1350): und ist nicht güt Mit herren kriesin essen, Sie liant sich des vermessen: Der sich da nicht hüten wil* Sie werfen im der kriesin Stil In diu ougen. Der gleiche Reim wil: stil findet sich auch noch in einem Fastnachtsspiel des 15. und in einem Volkslied des 16. Jh.; die Belege sind sämtlich obd. Herkunft. Wo aber der 512
Klapper Reim aufgegeben wurde, konnte ein Mißverständnis aufkommen; wie bei Eucharius Eyering in seiner großen Sprww.-Sammlung ,Copia proverbiorum' von 1604 (III, S.552), der, indem er ,die Stil' als ,diestih verlas, nun druckte: Grosser Herrn ist gut müssig gehen (d. i. aus dem Wege gehn), Dann sie werffen eim Distel unter Augen. Der Beleg beweist zugleich, daß dem ko- burgischen Verfasser die Wndg. offenbar noch nicht in mdl. Überlieferung geläufig war, die sich vom Obd. offenbar erst langsam ausgebreitet hat. Bei G. A. Bürger heißt es: Mit Urian und grossen Herrn Ess' ich wohl keine Kirschen gern; Sie werfen einem, wie man spricht, Die Stiel’ und Stein1 ins Angesicht. „Wie man spricht" bedeutet, daß Bürger noch die Vollform des Sprw. gekannt hat. Lit.: E. Schröder: Aus der Gesch. einer sprw. Rda., in: Hess. BI. f. Vkde. 32 (1933), S. 94-97. Kissen. Den Teufel aufs Kissen binden, /Teufel. Kiste. Fertig ist die Kiste: die Sache ist erledigt, durchgeführt; ähnl. wie ,fertig ist die /Laube'. Eine faule Kiste ist eine unsaubere, unredliche Unternehmung. Eine Kiste bauen: eine Amüsierreise unternehmen, in gegenwärtiger Umgangssprache auch: mit dem Fahrrad stürzen. Kiste kann ein (älteres) Modell jeglichen Fahrzeugs meinen (Fahrrad, Auto, Flugzeug) und wird auch sonst vielfach, bes. berl., in übertr. Sinne gebraucht, so für Bett ^Flohkiste'), Gefängnis (wie ,Kasten'), Fußballtor (,den Ball in die Kiste kriegen'). Ober- sächs. nennt man ein starkes, kräftiges Mädchen ,eine stramme Kiste'. Kitt. Der ganze Kitt: die ganze Menge, alles; z. B. ,den ganzen Kitt bezahlen', die gesamten Kosten, die ganze Zeche bezahlen. Die Wndg. ist erst in neuerer Zeit bezeugt; vielleicht als eine Weiterentwicklung aus: ,alles, was da zusammenklebt'. Doch hat man auch einen Nachklang von mhd. kötte, kitte = Haufen, Schar vermutet; zugehörig ist: eine ,Kette' Rebhühner. Klammerbeutel. Dich hat man wohl mit dem Klammerbeutel gepudert: du bist wohl nicht ganz bei Verstand; die Rda. ist erst zu Beginn dieses Jh. aufgekommen. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, daß jem., der statt mit der Puderquaste mit einem Beutel für Wäscheklammern gepudert ist, durch die Schläge auf den Kopf einen geistigen Defekt davongetragen haben muß. Klappe, klappen. Klappe wird in mdt. und nordd. Mdaa. vielfach für ,Mund‘ gebraucht. Daher Wndgn. wie Fiait die KlappeI: sei still; die große Klappe habeti (auch schwingen, riskieren): das große Wort führen; die Klappe einrasten lassen: den Mund schließen; die Klappe auf machen: sich äußern; die Klappe aufreißen: anmaßend, prahlerisch reden. Klappe kann aber auch das Bett meinen. Dann bezieht sich der Ausdr. wohl auf das in Haftanstalten übliche Bett, das tagsüber an die Wand geklappt wird. In die Klappe kriechen, sich in die Klappe hauen: zu Bett gehen; die Klappe bauen: das Bett richten, machen. An der Ausbreitung dieser Rdaa. ist bes. das Berl. beteiligt gewesen. Zum Klappen kommen: zu gutem Abschluß, zur Entscheidung kommen; eine Sache zum Klappen bringen: zum Erfolg führen. Diese Wndgn. gehen von dem ndd. Verb. ,klappen' aus, das lautmalend das Geräusch beim Schließen eines Deckels u. dgl. wiedergibt. Klapper. Hat jem. ein unheilbares Leiden, so sagt man z.B. im Taunus Er hat die Klapper. Die Rda. hängt vermuth nicht mit ,klapprig' (= hinfällig) und ,zusammenklappen' (= zusammenbrechen), sondern mit der Klapper des Aussätzigen zusammen. Die Aussätzigen durften die Stadt, wenn überhaupt, nur betreten, wenn sie sich durch ein Zeichen ankündigten, damit die Gesunden ihnen aus dem Wege gehen konnten. In den ,Sieben weisen Meistern' macht sich der Aussätzige heimlich auf „mit synem stabe vnd klepperlyn“ (1471). Geiler von Kaisersberg läßt die zehn Aussätzigen, die sich Christus nahen, nach dem Bericht zwar rufen, bemerkt aber, daß sie „villichter ire kleppern zuo hilff genum- 513
Klaps men, . . . den ein maltz (Aussätziger) kan nit vast schryen44. Die Klapper wurde zum Attribut der Aussätzigen. ,Mit Klappern gehen4 hieß: als Aussätziger wandern. Die Rda. für einen unheilbar Kranken ,Er hat die Klapper4 meinte also urspr.: er ist aussätzig, und im weiteren Sinne: er hat ein schweres Leiden. Lit.: A. Martin: Die Aussätzigenklapper im heutigen Voiksmund, in: Zs. f. Vkde. 37/38 (1927/28), S. 117. Klaps. Einen Klaps haben: nicht recht bei Verstand sein; Klaps bez. einen leichten Schlag, hier also einen Schlag an den Kopf, wodurch das Gehirn zu Schaden gekommen ist. Die Rda. ist seit dem 19. Jh. geläufig. Das Irrenhaus nennt man Klapsmühle, wobei ,Mühle4 auf die intensive Behandlung des Geisteskranken und auf Ausdrücke wie ,durchgedreht4 usw. anspielt. klar. Klar wie Kloßbrühe: ganz klar, offensichtlich, unleugbar, deutlich, ist ein rdal. Vergleich, bei welchem klar einmal das Durchsichtige, zum anderen das Einleuchtende meint. Die Rda. ist eigentl. scherz- haft-iron., denn Kloßbrühe ist stets trübe. Ähnl. Vergleiche sind: ,klar wie dicke Tinte4, ,klar wie Klunkertunke4 (schles.), ,klar wie Sirup4, ,klar wie Zwetschgen- brüh4, ,wie Schuhwichs4 (unterfränk.), ,wie Mehlsuppe4 (eis.), ,wie dicker Kaffee4 (schlesw.-holst.) usw., oder auch nur wortspielerisch: ,klar wie Klärchen4. Abzulehnen ist P. Forchheimers Versuch (,Modern Language Notes4, Nov. 1949), Kloßbrühe als Verdrehung von ,Klosterbrühe4 = dünne Klostersuppe zu deuten; /klipp und klar. Die Sache geht klar: die Sache nimmt den gewünschten Verlauf; entspr. eine Sache (schon) klar kriegen: eine Sache meistern, ein Problem bewältigen; klar steht hier in der Bdtg. problemlos4, ,in Ordnung4. Wie diese, so gehört auch die folgende Rda. dem 20. Jh. an: Nun rede mal im Klartext: drücke dich deutlich aus, sprich offen; ein Klartext ist ein dechiffrierter Text, der also jedermann verständlich ist und keine Geheimnisse mehr birgt. Klavier. Im Eis. sagt man zu jem., der sich eigentl. etw. selbst am besten ausrechnen, die Folgen vorstellen kann: ,Dis kanns dr vorstellen ohne Klavier4, ohne künstlichen Nachweis im einzelnen. Allg. verbreitet ist die sinngleiche Wndg. sich (etw.) abklavie- ren: an den Fingern abzählen. ,Das kannst du dir an den Fingern abklavieren4 (auch: abklafünfern, abklafünfen). Die Übertr. erfolgte von der technischen Bewältigung der Klaviatur, wie bei der Rda. die Klaviatur beherrschen: sich die äußere Technik, die notwendigen Fertigkeiten zu einem Amt erworben haben, so daß man sie spielend ausüben kann. Sich aufklavieren. Die Studentensprache sagt von einem Mädchen, das sich übermäßig putzt: ,Es klaviert sich auf4. kleben. Jem. eine kleben: ihm eine Ohrfeige versetzen; in der seit dem vorigen Jh. geläufigen Rda. meint kleben = anheften, so wie man eine Briefmarke aufklebt. Jem. bleibt kleben, wenn er in der Schule nicht versetzt wird; der schülersprachl. Ausdr. hängt mit der Vorstellung zusammen, daß ein solcher Schüler an seinem Sitzplatz haften bleibt, statt in eine andere Klasse überzuwechseln. Kleben oder ^leben bleiben4 meint auch: den schicklichen Zeitpunkt zum Weggehen nicht finden, länger als beabsichtigt verweilen. Klee. Jem. (etw.) über den grünen Klee loben: ihn (eine Sache) über Gebühr loben, ihn in übertriebener Weise rühmen und seine guten Eigenschaften bes. heraussteilen, eigentl. jem. oder etw. noch höher schätzen als den grünen Klee, der bereits in mhd. Zeit zum Inbegriff des Frischen und Lebensvollen und des kräftig Gedeihenden geworden war. Die mhd. Dichter verwandten den Klee in zahlreichen Vergleichen, z.B. ,grün wie Klee4 und ,grüner als Klee4. Schon früh wurde der mit Kleeblumen gezierte Rasen im Volksmunde und von den Dichtern kurz als ,Klee4 bez. und gewann in der Liebeslyrik die bes. Bdtg. von Früh- lingshaftem, erster Liebe und Schauplatz der Begegnung und des Abschiedes. Unsere Rda. bezieht sich wahrscheinl. auf diesen dichterischen Lobpreis des Klees im MA., der späteren Zeiten bereits als zu übertrieben erschien, so daß etw., was noch darüber hinausging, als groteske Steigerung aufgefaßt werden mußte. Als Walther 514
Kleid von der Vogelweide (28,9) um ein Lehen bittet und sein Wandertum ohne eigenen Besitz beklagt, meint er im Gegensatz dazu von einem, der ein eigenes Haus und ein blühendes Anwesen dabei hat: „So mac der wirt wol singen von dem griienen klê44. Die kräftige grüne Farbe des Klees wurde im Vergleich bes. hervorgehoben, z. B. rühmt Neidhart (36,7) an einer Frauentracht aus Barchent deren Farbe: Diu ist von barkäne grüene also der klë. Bes. im Volkslied wurde der Klee seit dem 16. Jh. sehr beliebt und erhielt verschiedene symbolische Bdtg. Die Geliebte selbst konnte als „des Herzens Klee44 bez. werden, der ,grüne Klee4 wurde wie der Garten oder der Rosengarten zum Ort der Liebes- begegnung, z. B. heißt es in einem Lied aus dem Odenwald (E. B. II, Nr. 530h, Str.2): Komm zu mir in Garten, Komm zu mir in Klee, und in einem Abschiedslied aus Westfalen (E. B. II, Nr. 766a, 3. u. 4) folgt der Wechselgesang: Von der Lieb zu scheiden, das thut sehr weh; Im Rosengarten Will ich dein warten Im grünen Klee. Brauchst meiner nicht zu warten im grünen Klee; Frei dir eine Reiche, Die deines Gleichen, Laß mich Arme stehn. Häufiger ist die formelhafte Verbindung mit bestimmten Blumen. Zum Beispiel sind ,Batenke (Schlüsselblumen) und Klee4 im Strauß ein Zeichen verschmähter Liebe. So klagt das verlassene Mädchen im Schwarzwald (E. B. II, Nr. 703, 1): Batenka muß i breche, Schön Sträußele d’rauß mache Aus lauter Batenka und Klee: I han jo koi Schätzele meh. Die Wndg. ,in Veiel und grünen Klee4 begegnet bereits 1535 in den ,Graßliedlein4 (15), wo es heißt: Ich hab mir ein Bulen erworben In Veiel und grünen Klee. (E. B. II, Nr. 678a) Kränze von Veiel und grünem Klee symbo¬ lisieren auch den Abschied (vgl. E. B. II, Nr.752, 4). Vielleicht wegen des glücklichen Reimes ,Schnee-Klee und wehv wurden Schnee und Klee zu einem wirksamen Gegensatzpaar verwendet. Der Schnee bedeutet Winter und Leid, der Klee dagegen Sommer, Liebe und Freude. In dem allg. verbreiteten Lied ,Ade zur guten Nacht4 (E. B. II, Nr. 768, 1) heißt es im Kehrreim: Im Sommer wächst der Klee, Im Winter schneits den Schnee, Ich muß dich meiden. Oft wird ein ähnl. Reimpaar auch verwendet, um den recht ungewissen Zeitpunkt der Rückkehr anzudeuten. In älteren Liebesliedern und Balladen ist die Formel,unter Rosen und Klee4 sehr beliebt, z.B. will das Mädchen im Nachtjäger4 unter ,Rosen und Klee4 begraben werden, um nicht zu vergehen. Auch bei dem Lied ,Schöns Meidelein, wie bin ich dir hold4 (E. B. II, Nr.500) wünscht sich das sterbende Mädchen ein Grab unter Rosen und Klee. Möglicherweise liegt auch hierin ein Anlaß zur Entstehung unserer Rda. War der Klee früher eine beliebte Grabespflanze wegen seines frischen Grüns, wie heute z. B. Immergrün und Efeu, so liegt es nahe, daß auch Klee und Grab im Sprachgebrauch gleichgesetzt wurden. Lobt man jem. über den grünen Klee, so hieße das auch: man lobt ihn wie einen Verstorbenen. Da die Grabreden fast immer den Toten bes. rühmten und man sich hütete, etw. Nachteiliges von ihm zu sagen, erhielten sie leicht etw. Übertriebenes und Unwahres. Von hier aus könnte die Rda. auch so erklärt werden, daß jem. so gelobt wird, als sei er bereits gestorben. Lit.: B. v. Wulffen: Der Natureingang in Minnesang u. frühem Volkslied (München 1963); L. Röhrich: Lie- besmetaphorik im Volkslied, in: Folklore international ... in honoring of W. D. Hand (Hatboro/Pa. 1967 ), S. 187-200. Kleid. Etw. aufs Kleid gekriegt haben: einen Tadel, auch Prügel bekommen haben. Das ist ihm nicht in den Kleidern (hängen, stecken) geblieben: das hat ihn innerlich stark mitgenommen, tief getroffen; man vergleiche dazu die sinnverwandte Rda. ,Das geht unter die /Haut4. Ndd. sagt man ,Dat is ’m net in de Kleer besitten bleven4, 515
Klein außerdem: ,Dat kumt mi nich an min kollen (= kalten) Kleer\ das berührt mich nicht, geht mir nicht nahe, geht mich nichts an. Die Rda. ist seit dem 18. Jh. mdal. bezeugt. Aus den Kleidern fallen: abgemagert, heruntergekommen sein, ist eine groteske Vorstellung, daß nämlich dem Abgemagerten die Kleider so weit geworden sind, daß sie ihm keinen Halt mehr geben. Ent- spr. sich tüchtig in die Kleider tun müssen: reichlich essen müssen. Der Abgemagerte soll so viel essen, bis ihm die Kleider wieder passen (Küpper I, S. 186). Sein Kleid ist mit Hasenfell gefüttert: er ist sehr ängstlich und vorsichtig, furchtsam oder gar feige, /Hase. Seine Kleider lernen Hebräisch: sie sind in der Leihanstalt, urspr. sie sind beim Juden verpfändet worden. Die Wndg. brauchte man auch lit., z.B. ist sie im ,Theatrum Diabolorum1 (404a) bezeugt. klein. Klein beigeben: nachgeben, sich fügen. Die Rda. ist vom Kartenspiel hergenommen und beschreibt urspr. die Situation, in der ein Spieler den hohen Karten seines Gegners, da er sie nicht zu übertrumpfen vermag, nur kleine, d.h. geringwertige beigeben kann. Etw. (nicht) klein kriegen: es (nicht) verstehen, es (nicht) begründen oder begreifen können; gemeint ist, daß man einen geistigen Sachverhalt (nicht) in seine Bestandteile zu zerlegen versteht. Urspr. ist die Rda. vom Holzhacken entlehnt (vgl. ,etw. kurz und klein schlagen4, /kurz). Dagegen ist die Wndg. jem. kleinkriegen: ihn gefügig machen, kaum von dort herzuleiten; eher ist hier schon an einen in einer Auseinandersetzung unterlegenen Kämpfer zu denken, dessen Hochmut durch die Niederlage gedämpft, der also gedemütigt, ,kleingemacht4 worden ist (vgl. ndl. Jemand klein krijgen4 oder Jemand klein maken4); ent- spr. die Wndg. Er ist nicht klein zu kriegen. Eine Rda. des 20. Jh. ist klein und häßlich werden: gefügig, unterwürfig werden, zurückstecken. ,Häßlich4 bezieht sich hier wohl auf den kläglichen Gesichtsausdr., vielleicht auch auf die ,geknickte4 Haltung eines Menschen, der eine energische Vorhaltung über sich ergehen lassen muß. Klein, aber oho: von kleiner Gestalt, aber sehr leistungsfähig; ,oho‘ als Ausdr. der Verwunderung ist hier als lobende Äußerung zu werten. Klein haben bzw. nicht klein haben sind Verkürzungen aus ,Kleingeld haben4 bzw. ,kein Kleingeld haben4. Klein müssen: harnen müssen, ist ebenfalls eine Verkürzung, und zwar steht es statt ,kleine Notdurft4 bzw. ,kleiner Wunsch4 oder ähnl. verhüllender Redewendungen. Kleinholz. Kleinholz aus etw. machen: etw. zertrümmern, zerstören. Der Ausdr. ist vom Holzhacken hergenommen, am geläufigsten ist er in der Form einer Drohung: ,Ich mache Kleinholz aus dir!4 oder ,Aus dem mache ich Kleinholz4. Von Kleinholz machen spricht man auch bei der Fliegerei und meint damit, daß jem. beim Landen das Flugzeug zu hart aufsetzt, so daß es zu Bruch geht. Hier ist zunächst an die Segelflugzeuge zu denken, die aus Holz gefertigt sind; später allg. zur Umschreibung von Bruchlandungen. Klemme. Inder Klemme sitzen /sich in einer schwierigen Lage befinden, in Not und (Geld-)Verlegenheit sein; ndd. ,in'e Kniep sitten4. Die Rda. stammt wohl ebenso wie mdt. ,in die Kloppe (d. i. ,Kluppe4 = gespaltenes Stück Holz) kriegen4 vom Vogelfang, bei dem neben Leimruten auch gespaltene Holzstäbchen benutzt wurden; vgl. Wilhelm Busch 1872 in der ,Frommen Helene4: Schlupp sitzt er (der Frosch) in der Butterbemme Ein kleines Weilchen in der Klemme. Vgl. ,auf den Leim gehen4, /Leim. Während für .Kluppe4, .Kloppe4 diese Herleitung gesichert erscheint („Sie worden dutzendweise gehenckt, wie man die Vogel in Kloppen henkt an die Bäume44, Wintzenberger, .Wahrhaft Geschieht4, 1583, S. 22), ließe sich bei Klemme auch an eine Übertr. der Bdtg. ,geklemmter Zustand4 denken, vgl. erzgeb. ,lch stak in der Klemm wie a Schrutsag4 (Schrotsäge). Andere Abwandlungen der Rda. sind: in die (oder eine) Klemme geraten und jem. aus der Klemme ziehen;\g\. ,jem. aus der /Patsche ziehen4. Lit.: L. RÖhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.321. 516
Klipp Klette. Jem. wie eine Klette anhängen, sich wie eine Klette an jent. hängen sind rdal. Vergleiche, die man auf eine Person anwendet, die durch ihre große Anhänglichkeit belästigend wirkt (vgl. ndl. demand aanhangen als een klis4; engl. ,to stick to a person like a bur\ ,to hang on a person like a bur4). Die Schwierigkeit, eine Klette abzustreifen, die sich mit ihren hakenförmigen Stachelspitzen in einem Kleidungsstück verfangen hat, ist hier auf einen Menschen bezogen. Ebenso: aneinanderhängen (zusammenkleben) wie die Kletten: fest zueinander stehen, unverbrüchlich befreundet sein, Zusammenhalten. Vgl. ndl. ,Zij hongen als küssen aan malkander\ Wenig bekannt ist die Rda. jent. eine Klette anhängen:ihm etw. Übles nachsagen, ähnl. einem eine Klette in den Bart werfen. Klinge. Eine gute Klinge schlagen: gewandt, wendig sein, auch: seinen Mann stehen beim Reden, beim Essen usw.; eine scharfe Klinge führen (oder schlagen): in Wort und Schrift scharf auftreten; mit jem. die Klingen kreuzen: eine Auseinandersetzung mit je.m. haben; bei der Klinge bleiben: bei der Sache bleiben; alle diese Rdaa. entstammen der Fechtersprache. Der Bezug kommt noch deutlich zum Ausdr. in Lessings ,Nötiger Antwort4 (Schriften, hg. v. Lachmann, Bd. 10, S.239): ,,Endlich scheinet der Herr Hauptpastor . . . nach so langem ärgerlichen Aufheben, welches nur bei der schlechtesten Art von Klopffechtern im Gebrauch ist, zur Klinge kommen und bey der Klinge bleiben zu wollen44. Jem. über die Klinge springen lassen: ihn töten; diese grausam-humorige Umschreibung verwendet das Bild der Hinrichtung durch das Schwert. Strenggenommen ist es nur der Kopf, der über die Klinge springen muß, während der übrige Körper darunter bleibt. Luther trifft den Vorgang des Köpfens noch genauer, wenn er schreibt: . . die ihm den Kopf über eine kalte Klinge hatten hüpfen lassen“. Der urspr. Sinn der Rda. wurde offenbar schon zu Beginn des 18. Jh. gelegentlich mißverstanden, denn in einem fröhlichen ,Feld- und Bauernliedlein4 aus dem Span. Erbfolgekrieg heißt es: Mit der Klingen Mach ich oft springen Franzosen gar vil . . . Sie stehen nit still. Vgl. ndl. Jemand over de kling jagen4; frz. ,faire passer quelqu'un au fil de l'épée4; engl. ,to put a person to the edge of the sword4. Die Rda. ist in gleicher Form und mit gleicher Bdtg. auch für Dänemark und Schweden bezeugt. klingeln. Es hat geklingelt: es hat sich etw. Wichtiges ereignet, man ist gewarnt; auch i. S. v. ,Bei ihm ist der /Groschen gefallen4. Ähnl. ,Jetzt hat's geklingelt4, jetzt ist die Geduld zu Ende. Bei ihr hat es geklingelt: die Frau ist schwanger geworden. Die erst im 20. Jh. aufgekommene Rda. ist eine Variante zu ,Der Storch hat angerufen4. Klinke. Klinken putzen: betteln gehen. Die Rda. entstammt dem Rotw. des ausgehenden 19. Jh. Die scherzhafte Wndg. besagt, daß durch das häufige Erscheinen der Bettler die Türklinken blankgewetzt werden. Eine Herleitung von urspr. ,Klingen putzen4 im Zusammenhang mit dem ,Fechten4 oder ,Fechtengehen4 der wandernden Handwerksburschen wirkt dagegen zu umständlich. Die schles. Wndg. ,Klinken schlagen gehen4 bedeutet: Geld borgen, aber auch: beschäftigungslos umhergehen, müßig gehen. Damit in Zusammenhang stehen auch die Rdaa. ein Klinkenputzer, ein Klinkenschlager sein. Mathesy (357b) verurteilt solche Bettler und schreibt: „Klingschlaher, Miissigganger, die nichts studieret, noch sonst etwas redliches gelernt haben44. klipp. Die stabreimende Zwillingsformel klipp und klar ist eine Verstärkung des Wortes /klar und bedeutet: ganz klar, sehr deutlich, unmißverständlich. Die Formel ist ' in der Schriftsprache so jung, daß sie Rud. Hildebrand 1873 im Dt. Wb. der Brüder Grimm noch nicht anführt. Doch ist sie um die gleiche Zeit bei Paul Heyse bezeugt: „Die (Erbfolge) ist doch klipp und klar44 (Ges. W., 1873ff., Bd. 10, S.298). Schon im Ausgang des 18. Jh. ist sie dagegen in ndd. Mdaa. nachweisbar: 1781 ,klipp un klaor4. Im Schlesw.-Holst, begegnet neben 517
Kloss ,klipp und klaar4 häufiger ,klapp un klaar4, völlig fertig, in Ordnung, das wohl auf den Zuschlag beim Viehhandel zurückgeht, wobei in die Hände geschlagen wird. Die ältere Verbindung von ,klipp1 und ,klapp4, die schon Luther geläufig war, ist heute u. a. noch im Köl. bekannt. Klipp gehört zu ,klippen\ das wiederum eine Ablautform zu ,klappen4 ist; so auch in der Wndg. Es will nicht klippen und nicht klappen: es will ganz und gar nicht gelingen; /klappen. Kloß. Einen Kloß im Hals (stecken) haben: eine gutturale Singstimme haben, gepreßt singen, schlecht singen, undeutlich sprechen; die Rda. ist seit dem Ende des 19. Jh. theatersprachl. bezeugt. Statt der Rda. gebraucht man jedoch meist das sinngleiche Verb ,knödeln4; einen Tenor mit gutturalem Akzent nennt man entspr. ,Knödeltenor4. Jem., der ein durch die Erregung verursachtes würgendes Gefühl in der Kehle spürte, kann aber auch sagen: Mir war zumute, als hätte ich einen Kloß in der Kehle. Kloßbrühe /klar. Klosterkatze. Sprww. und Rdaa. von der Klosterkatze sind im 16. Jh. sehr geläufig gewesen, z. B. ,Die Klosterkatz hat’s von den Herren gelernt, sie frißt mit beiden Backen4; ,Klosterkatzen haben besser zu leben als viele Kinder4;,Klosterkatzen sind geil und lassen nicht lange bus, bus rufen4. Schon Seb. Brant hatte in seinem ,Narrenschiff4 von 1494 beißende Kritik am Kirchenwesen seiner Zeit geübt; Kap. 73 heißt es dort ,vom geystlich werden4: ,Klosterkatze4 Solch Klosterkatzen sind gar geil, das schafft, man bindt sie nicht an Seil. Auch Hans Weiditz hat eine Klosterkatze gezeichnet. Mit riesigem Rosenkranz zwischen den Pfoten schnurrt sie ihre Gebete ab, bewundert vom Mönchlein und von gutgläubigen Frauen. Niemand schenkt der Schlüsselübergabe an Petrus Beachtung, von der doch Papst und Priesterschaft ihren Machtanspruch ableiten. Klotz. Einen Klotz am Bein haben: stark behindert sein, in der Bewegungsfreiheit gestört sein, auch: verheiratet sein (von einem Mann gesagt), ein uneheliches Kind haben (von einer Frau gesagt); der Klotz oder ,Block4 ist ein unförmiges Stück Holz, das man Tieren ans Bein bindet, damit sie sich nicht vom Weideplatz entfernen können (vgl. ndl. ,een blök aan het been heb- ben4). Dieses Bild wurde dann auf den Menschen übertragen, /Knüppel. Kluft. Sich in Kluft werfen (schmeißen): sich gut kleiden, sich herausputzen; das Wort Kluft leitet sich aus dem Jidd. ,Keli- phas4 (= Schale) her und bedeutet rotw. auch ,Kleidung4 (vgl. ,Gala4 und ,Schale4). Klump. Etw. in Klump (en) hauen (oder schlagen, schießen usw.): etw. zerstören, vernichten, völlig unbrauchbar machen; Klump ist ein ndd. Wort und bedeutet ,Klotz4 oder ,Kloß4. Die Rda. meint also ei- gentl.: etw. völlig zusammenschlagen, /,Kleinholz aus etw. machen4, ,etw. kurz und klein schlagen4; sie ist seit dem 19. Jh. bekannt. Knall. Der Ausdr. Knall und Fall: augenblicklich, äußerst schnell, plötzlich, unerwartet, entstammt der Jägersprache; gemeint ist: so schnell, wie das vom Jäger getroffene Wild nachdem Knall der Büchse niederfällt. ,,Es machen wie die Wildschützen, da Knall und Fall ein Ding ist44 (Joh. Balth. Schuppius, Schriften, 1663, S.21). Im urspr. Zusammenhang finden wir die Rda. noch in Grimmelshausens Simplicissimus4 (Kap.9): ,,Aber ehe er sich’s versähe, hatte ich die Pfanne offen und wieder angeschlagen, hieß ihn auch dergestalt willkommen sein, daß Knall und Fall eins 518
Knistern war“. Und an anderer Stelle (Kap. 18): * • da prasselten die Kerl haufenweis her- unter, Knall und Fall war eins“. Lessing muß der Realursprung der Rda. noch geläufig gewesen sein, wenn er in der ,Emilia Galotti‘ (IV, 1) schreibt: ,,Er schoß Knall und Fall den einen nieder“. Allerdings finden wir die Rda. in Lessings ,Nathan* (III, 10) bereits in übertr. Bdtg.: Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall Huch aus dem Staube machtet? Der Urspr. der Rda. ist heute allg. in Vergessenheit geraten. Das beweisen Wndgn. wie ,jem. Knall und Fall entlassen* und ,es kam alles Knall und Fall* oder gar ,Knall auf Fall* in Anlehnung an den Ausdr. ,Schlag auf /Schlag*. Einen Knall haben: verrückt sein. Diese Rda. ist bes. in Mittel-, Nord- und Westdtl. gebräuchlich. Berl. ist die Rda. ,Hast wol ’n Knall?4, du bist wohl verrückt. Knall als kurzer, lauter Schall meint hier wohl einen kräftigen Schlag gegen den Kopf und den dadurch bewirkten Gehirnschaden; davon abgeleitet ist das Schimpfwort Knallkopf für einen dummen, verrückten Menschen. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 313-323. Knalleffekt. Das ist der Knalleffekt bei der Sache: das ist das Überraschende, die verblüffende Wirkung, die überraschende Wndg., der Höhepunkt, das Entscheidende bei der Sache; der Ausdr. ist seit dem frühen 19. Jh. lit. bezeugt, er ist von Feuerwerksvorführungen hergeleitet. Knie. Etw. übers Knie brechen: etw. schnell, gewaltsam erledigen, etw. rasch abtun. Die Rda. beschreibt den Vorgang, daß man dünnes Holz oder Reisig, wenn man es rasch zerkleinern will, über dem gebogenen Knie zerbricht, statt erst nach einer Axt oder Säge zu greifen. Die übertr. Bdtg. der Rda. leuchtet sogleich ein, wenn man bedenkt, daß bei einem solchen Verfahren eine genaue Teilung des Holzes nicht möglich ist. Es entsteht dadurch der Nebensinn: etw. flüchtig bearbeiten. Bei Abraham a Sancta Clara lautet die Rda. noch „alles über die Knye abbrechen** (,Reim dich4 247), sie ist jedoch wahr- scheinl. noch erheblich älter. In seiner ,Clavis germanico-latina* (173b) erklärt J. Dentzler 1697 „über ein Knie abbrechen/ abrupte facere, praecipitanter agere4*; mit ,abbrechen* führt auch 1796 Adelung die Rda. an, und in bair. Mda. ist sie so noch in neuerer Zeit bezeugt. Dagegen meint die Feststellung Das läßt sich nicht Ubers Knie brechen: es ist nicht so leicht und rasch zu erledigen, Vorbereitungen und Anstrengungen sind nötig. In die Knie gehen (brechen): schwach werden und zusammensacken, aufgeben, auch: in Ehrfurcht niederknien; in Zuckmayers ,Schinderhannes4 (2. Akt) heißt es rhein- hess. „Hebst aus der falsche Schulter, un mußt in die Knie breche44. Einem Menschen, der in einer bestimmten Situation einen dummen Vorschlag macht, was zu tun sei, antwortet man: Du kannst dir auch ein Loch ins Knie bohren und mit Blei zugießen. Bei dieser Redewndg. an urspr. Foltermethoden zu denken, ist sicher verfehlt; vielmehr soll die phantastische Aufforderung die Unsinnigkeit des gemachten Vorschlags charakterisieren. Im Obersächs. umschreibt man mit der Wndg. ,jem. ein Loch ins Knie bohren* die bes. Hartnäckigkeit, die man aufwenden muß, um einen anderen zu überzeugen, um ihn zum Kauf, zu einem Vertragsabschluß zu überreden. Kniphausen. ln Ostfriesland dient der Name eines Schlosses bei Wilhelmshaven zur Charakterisierung eines Geizigen in dem Scherzausdr. ,He is von Kniphausen und Holtfast4. ,Kniphausen4 wird mit dem Adj. ,kniepig* = geizig, sparsam, um den Preis feilschen in Zusammenhang gebracht. ,Holtfast4 = Haltefest enthält ein Wortspiel mit den vielen ndd. Ortsnamen, die mit ,HoIt* = Holz beginnen. knistern. Es knistert im Gebälk: ein Krach oder der Ausbruch einer Krise steht unmittelbar bevor, eine peinliche Affäre steht kurz vor ihrer Aufdeckung. Bei dieser Rda. wird an das Knistern und Knacken gedacht, das dem Einsturz eines Holzgebäudes unmittelbar vorausgeht. Die Wndg. mutet altertümlich an, da sie sich offensichtlich auf Holzbauten bezieht. Ungeklärt ist jedoch 519
Knochen noch, ob sie nicht vielleicht der Sprache der Bergleute entlehnt ist, denn das Knistern der Holzausbauten in der Grube bedeutet heftigen Gesteinsdruck und signalisiert äußerste Gefahr. Knochen. Mit Knochen bez. man die menschlichen Beine, die Hände und auch allg. das Innerste, den Sitz der Kraft des Menschen. Bis auf die Knochen: völlig, durch und durch, so z.B. in der Wndg. ,bis auf die Knochen naß werden4. Die Knochen zusammenreißen: strammstehen, militärische Haltung annehmen, ist ein sold. Ausdr. ahnl. der Rda. ,die /Hacken zusammenschlagen4. Eine wüste Drohung ist jem. die Knochen zusammenschlagen (oder entzweischlagen) wollen, ebenso jem. verhauen, daß er die Knochen im Sack nach Hause tragen kann: ähnl. die Mahnung vor Beginn einer Schlägerei: ,Laß deine Knochen numerieren!4 Das ging mir in die Knochen, das ist mir in die Knochen gefahren: das hat mich tief, im Innersten getroffen, tief beeindruckt; hier haben wir eine Parallelbildung zu ,in die /Glieder fahren4 vor uns. Das liegt mir schon lange in den Knochen sagt man von einer körperlichen Krankheit oder Beschwerde, bei Rheumabeschwerden heißt es sogar: ,Das Wetter (oder der Wetterumschwung) lag mir schon lange in den Knochen4. Die Rda. Die alten Knochen wollen nicht mehr will deutlich machen, daß man nicht mehr auf der Höhe seiner Kraft ist. Hier werden die Knochen gewissermaßen als innerster Sitz der Kraft verstanden, ebenso in der Wndg. Knochen ansetzen: Kraft anwenden müssen; vgl. ndd. ,de Knaken angripen4, angestrengt arbeiten. Im gleichen Sinne nennt man schwere Arbeit ,Knochenarbeit4, sie ist ,knochenfressend4. Im Rheinhess, sagt man von einer Schwangeren scherzhaft: ,Sie hat Knochen im Leib4; von einem seit langem Verstorbenen heißt es dort: ,Mit seinen Knochen kann man (schon) die Äpfel (von den Bäumen) abwerfen4. Eine ähnl. Wndg. gilt als Drohung: Mit deinen Knochen schmeiße ich noch Birnen vom Baume. Nichts als Haut und Knochen sein /Haut. knödein /Kloß. Knopf. Knöpfe auf (vor) den Augen (statt der Augen) haben: nicht genau hinsehen, nicht gut beobachten, so als ob die Augen zugeknöpft wären, womit sich auch die Aufforderung ,Knöpf deine Augen auf!4, paß besser auf, erklärt. Vielleicht ist auch an die Knopfaugen der Stofftiere für Kinder zu denken, die nicht funktionsfähig sind. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es rhein. ,De hätt Knöpp op de Oge4. Ähnl. Knöpfe in den Ohren haben: etw. nicht hören (wollen). Knöpfe im Kopf haben: durchtrieben sein, /Grütze. Sich (einem) einen Knopf in (an) die Nase machen: ein Erinnerungszeichen machen, damit man etw. Wichtiges nicht vergißt. Vgl. die Wndg. ,sich einen /Knoten ins Taschentuch machen4. Knöpfe haben: viel Geld besitzen, vermögend sein. Die Knöpfe sind ihrer ähnl. Form wegen zur umg. Bez. für Münzen geworden. Vielleicht stammt der Vergleich aber auch von den Silbermünzen, die früher von Wohlhabenden als Knöpfe an der Kleidung (Tracht) getragen wurden. Etw. für einen Knopf und einen Klicker abgeben: etw. für einen geringen Gegenwert, für nichts abgeben, ist mdal. in Rheinhess, bezeugt (vgl. ,für einen /Apfel und ein Ei4). Den letzten Knopf springen lassen: den letzten Pfennig ausgeben. Der Knopf steht oft auch für das Nichtige, Wertlose, daher: keinen Knopf wert sein: gar nichts wert sein, bedeutungslos sein. Den Ktiopf auf dem Beutel haben: die eigene oder auch die fremde Kasse beherrschen, die Mittel besitzen, um sich zu sichern. Ähnl. einem den Knopf auf den Beutel halten: ihn am leichtsinnigen Geldausgeben hindern. Eins hinter die Knöppe gießen: einen hinter die /Binde gießen, trinken. Sich etw. an den Knöpfen ab zählen: eine Entscheidung, die Bestätigung durch ein Orakel gewinnen. Dieser Brauch hat auch im modernen Schlager seinen Niederschlag gefunden: Ich zähl1 mir’s an den Knöpfen ab, Ja - nein, ja - nein, ja, Ob ich bei dir Chancen hab1 . . . Umg. steht Knopf oft für ,Mensch4, ,Kerl4, z.B. ,ein ulkiger (gediegener etc.) Knopp4. Die obersächs. Beteuerungs- und Verwun¬ 520
Knüppel derungsformel ,Weeß Kneppchen' ist aber wohl eine Entstellung aus ,(Das) weiß Göttchen!1 Unter Knopf versteht man meistens den kleinen, dicken Kerl, den heran- wachsenden Buben. So bedeutet die schwäb. Rda. ,Der Knopf geht auf\ der Kleine wächst, wobei Knopf auch anstelle von Knospe stehen kann. Dies ist der Fall bei der Schweiz. Wndg. ,Er hat der Chnopf uf tho\ er fängt plötzlich an zu wachsen, eigentl. die Knospe entfaltet sich. Die oberoesterr. Rda. ,Der Knopf is iem af- gange' bedeutet dagegen: es ist ihm klargeworden, er beginnt zu begreifen. Knopfloch. Aus allen Knopflöchern schießen ist eine scherzhafte Redewndg. aus der Soldatensprache und bedeutet dasselbe wie .aus allen Rohren schießen'; sie ist spätestens seit dem 1. Weltkrieg geläufig. Später wurde aus allen Knopflöchern auch in anderem Zusammenhang allg. gebräuchl., z.B. ,vor Faulheit aus allen Knopflöchern stinken', ,aus allen Knopflöchern grinsen', ,aus allen Knopflöchern schwitzen' usw. (/weinen). ,Bei ihm blinzelt der Zaster aus allen Knopflöchern', er ist sehr wohlhabend; ,ihm guckt die Dummheit aus allen Knopflöchern', er ist sehr dumm; ,ihm guckt der Kohldampf aus allen Knopflöchern', er ist sehr hungrig. Knoten. Die Sache haï einen Knoten: ist schwer zu lösen, hat eine Schwierigkeit. Der Ausdr. ist sinnverwandt mit der Rda. ,Die Sache hat einen /Haken'. Die Wndg. ,Da liegt der Knoten', d.h. die Hauptschwierigkeit, erscheint bereits in der Erlanger Ausg. (25, 66) von Luthers Schriften. Den (gordischen) Knoten durchhauen (oder lösen): eine Schwierigkeit, ein Hindernis durch eine energische Handlung beseitigen, ein Problem ,mit einem Schlag', auf gewaltsame Weise lösen; die Rda. geht auf einen Bericht von den Taten Alexanders des Großen zurück. Ein bes. kunstvoll verschlungener und für unentwirrbar gehaltener Knoten lag im Jupitertempel der Stadt Gordium in Phrygien. Einem Orakel zufolge würde derjenige, der den Knoten zu lösen verstünde, die Herrschaft über Asien erlangen. Diesen Knoten soll Alex¬ ander 333 v.Chr. mit dem Schwert zerhauen haben (Curtius, Hist. Alexandri Magni III, i, 15ff.; vgl. Justin IX, 7, 13ff.). Vgl. engl. ,to cut the Gordian knot'; frz. ,trancher le nœud gordien'; ndl. ,de knoop doorhakken'. Der Knoten reißt (ist gerissen): die Schwierigkeit löst sich, der Verstand bricht durch, die Hemmung im Wachstum, in der geistigen Entwicklung ist überwunden; das Gegenteil meint die Wndg. Der Knoten ist noch nicht gerissen. Sich einen Kfioten ins Taschentuch machen (Schnupftuch binden): sich ein Erinnerungszeichen machen, indem man eine Ecke des Tuches verknotet, um beim Gebrauch sofort an etw. erinnert zu werden, was man nicht vergessen darf. Die Rda. kann heute isoliert von dieser Handlung gebraucht werden und meint dann, daß man sich bestimmt erinnert, daß man etw. Wichtiges auf keinen Fall vergessen wird (soll). Die Wndg. begegnet deshalb zumeist in der imperativischen Form: ,Mach dir einen Knoten ins Taschentuch!' oder als Beruhigung: ,Ich werde mir einen Knoten ins Taschentuch machen'. Sich einen Knoten in die Beine machen: die Beine einziehen, oft als scherzhafte Bemerkung von einem gebraucht, dessen lange Beine andere stören, und dann meist in der Negation und in gespielter Verzweiflung: ,Ich kann mir doch keinen Knoten in die Beine machen!' Lit.: HdA. V, Sp. 16ff., Art. ,Knoten1 von Aly; L. Schmidt: Der gordische Knoten und seine Lösung, in: Antaios Bd. I, 4, S. 305-318. Knüppel. Jem. einen Knüppel zwischen die Beine (in den Weg) werfen: jem. hemmen, ihm Schwierigkeiten machen, jem. (im übertr. Sinne) am Fortkommen hindern. Das Bild dieser Rda. ist deutlich und bedarf keiner weiteren Erklärung. Der Knüppel (Knüttel) ist an den Hund gebunden: eine Sache geht schlecht voran, ist gehemmt, ,hat einen /Haken'; ähnl. wie dem Vieh auf der Weide, so band man auch dem Hofhund ein grobes Stück Holz mit einer Leine an den Hals, das ihm beim Laufen fortwährend an die Beine schlug und verhinderte, daß er etwa den Hühnern oder der Katze nachstellte, er war ,gebengelt'. 521
Kober Ähnl. zu verstehen ist die Rda. Der Knüppel liegt heim Hund: es gibt ein Hindernis, denn eine Sache hat eine notwendige Folge, so wie der Knüppel, der neben ihm liegt, für den Hund eine drohende Strafe darstellt. Luther kennt die Wndg. „Es wird der Knüttel bei den Hund gelegt“. Burkard Waldis (gest. 1556) schreibt in einem Streitgedicht gegen Herzog Heinrich den Jüngeren von Braunschweig: Sein bestes Haus des griff wir an Vnd des do heißet Wolffenbüttel; Beim Hund do lag schon der Knüttel; und in seiner Fabel vom Wolf und dem Lamm (,Esopus4 2, 35f.) heißt es sprw.: Wenn man gern schlagen wolt den Hundt, Findt sich der Knüppel selb zur Stundt. Vgl. ,den /Hund vor dem Löwen schlagen1. Einen Knüppel am Bein haben ist eine Parallelbildung zu ,einen /Klotz am Bein haben4, oft scherzhaft für: eine Ehefrau haben und deswegen etw. nicht dürfen. Einen flotten (oder unerhörten) Knüppel schlagen: das Schlagzeug hervorragend spielen; diese Rda. ist in den fünfziger Jahren dieses Jh. in Teenager-Kreisen aufgekommen. Knüppel dient als modische Verstärkung in manchen modernen Ausdrücken, wie in ,knüppeldick4,,knüppelhart4,,knüppelsatt4 usw. Kober. Zu tief in den Kober greifen: anmaßend sein, sich zuviel herausnehmen, aufschneiden. Kober ist ein altes Wort für Korb und Tasche, mit seiner Ersetzung durch neue Ausdrücke schwand auch die Rda., die heute fast unbekannt ist. In einer Zwickauer Chronik von 1633 steht: „Dieser unverschembte Mönch greift auch al- hier zu sehr im Kober, wie man sagt, daß er an der küpfern Tafel sagt, welche doch bleiern gewesen44. Einen Kober auf dem Rücken haben: euphemist. Umschreibung für bucklig sein. Einem ein Koberlied singen: ihn tüchtig verprügeln. Kobold. Einen Kobold haben: einen heimlichen Helfer besitzen, der alle Arbeit rasch und gut vollenden hilft, der für Gedeihen, Wohlstand und Glück im Hause sorgt. Nach dem Volksglauben ist der Kobold ein Hausgeist, der gern einen Schabernack spielt, lärmt und poltert, der aber auch das Haus bewacht, Diebe und Unheil ankündigt, gute Ratschläge erteilt, das Vieh versorgt und gedeihen läßt. Er verrichtet bestimmte Arbeiten im Haus und im Stall und muß für diese Dienste belohnt werden. Von einer Magd, der die Arbeit bes. rasch von der Hand geht, sagt man deshalb noch heute scherzhaft, daß sie einen Kobold haben müsse, ebenso heißt es von einem, dessen Wohlstand sichtlich zunimmt. Lit.: HdA. V, Sp. 29ff., Art.,Kobold1 von Weiser-Aalt; R. Knopf: Der feurige Hausdrache (Diss. Berlin 1936); A. Johansons: Der Schirmherr des Hofes (Stockholm 1964). Kobolz. Kobolz schießen: einen Purzelbaum schlagen; Kobolz leitet sich von frz. ,(se) culbuter4 = (sich) stürzen, (sich) herabstürzen her. Nachdem die Herkunft des Wortes in Vergessenheit geraten war, wurde in Anlehnung an ,Bolzen4 das Wort ,schießen4 hinzugefügt, ähnl. wie man im Rheinl. einen Fußball ziellos in die Gegend ,bolzt4, d. h. schießt.. Mit dem Wort Kobold hat unsere Rda. nichts zu tun. Koch, kochen. Nicht wissen, wer Koch oder (und) Kellner ist: nicht wissen, wer die Ordnung im Hause aufrechterhält, urspr.: nicht wissen, wer für die leiblichen Bedürfnisse zu sorgen hat. Die stabende Wndg. ist lit. bezeugt im ,Eislebischen Ritter4 (2138): . . . Daß man wisse zu aller frist, Wer hinfort Koch oder Keiner ist. Sie ist nicht allg. verbreitet. Die Rda. vor Wut kochen, häufiger kochen vor Wut: sehr wütend sein, veranschaulicht treffend die starken Gefühlswallungen eines im Zorn Erregten. Eine grobe Drohung ist jem. zu Kochstük- ken zerhacken (oder zerhauen) wollen. Eher als Spargel kochen: sehr leicht in Zorn geraten, da Spargel eine sehr kurze Kochzeit benötigt. Für sich kochen: zurückgezogen und einfach leben; in einem Topf (Hafen) kochen: gemeinsame Ziele verfolgen, Zusammenhalten. Kohl. Den Kohl wieder auf wärmen: eine schon erledigte Angelegenheit erneut auf¬ 522
Kohle tischen; entspr.,aufgewärmter Kohr,,alter Kappes4, alte Geschichte, abgedroschenes Zeug; dt. seit etwa 1700 geläufig, aber schon im Altertum sprw. Dies geht aus einem Vers des röm. Satirikers Juvenal (7. Satire, V. 154) hervor, in dem er schreibt: „Occidit miseros crambe repetita magistros“, was etwa bedeutet: ,Immer wieder Kohl (bei den Mahlzeiten zu) wiederholen, das ist euer Tod, ihr armen Lehrer4; vgl. hierzu etwa das Kinderlied, das sinngemäß ähnl. meint: Die Rüben, die Rüben, Die haben mich vertrieben, Hätt’ meine Mutter Fleisch gekocht, So wär ich noch geblieben. Ital. heißt es: ,Cavolo riscaldo non fui mai buono4, und aus dein Engl, wird eine ähnl. Rda. in Lilys ,Euphues4 (1580) zitiert: „I set before you colewortes twise sodden44. Jem. verkohlen: ihm im Scherz eine Unwahrheit erzählen (vgl. ,einen /’Bären aufbinden4; rhein. ,Kappes reden4). Von einem, der dies tut, sagt man auch einfach: er ,kohlt4. Dieses ,kohlen4 geht möglicherweise auf jidd. ,kolen4 = reden, erzählen zurück (von hebr. quoi = Stimme). Im Rotw. wird unterschieden zwischen: ,kolen4 = Wahres und ,bekolen4 = Falsches erzählen. Im Nordd. ist gebräuchl. zu sagen: Das macht den Kohl (auch) nicht fett: das nützt nichts, schafft die Sache auch nicht; die Rda. ist schon Luther bekannt, er gebraucht sie mehrfach. Wenn man nicht weiß, ob jem. seine Rede ernsthaft oder scherzhaft meint, heißt es ndd.: ,Me weet nich recht, of me et em in’n Käule of in’n Röwen is4; westf. ,Wenn wi innen Käule sind, dann is hei in de Strünken4; /Kraut, /Senf. Kohldampf. Kohldampf schieben: Hunger haben. Kohldampf ist eine Tautologie, es ist zusammengesetzt aus zwei gleichbedeutenden Wörtern: ,Kohl4 aus rotw. ,Koll4 und rotw. ,Dampf4, die beide Hunger meinen. ,Schieben4 ist eingedeutscht aus rotw. ,scheffen4 = sich befinden, sein, sitzen und fußt auf hebr. ,jaschab4 = sitzen bleiben; seit dem 19. Jh. bei Gaunern, Handwerksburschen und Soldaten verbreitet (Küpper I, S. 193). Kohle. Feurige (glühende) Kohlen auf jem. Haupt sammeln: in jem. durch Verzeihen oder Großmut Scham erwecken, ihn beschämen; vgl. engl. ,to heap coals of fire on a person’s head4; ndl. ,vurige kolen op ie- mands hoofd hopen (stapelen)4. Die Rda. ist bibl. Urspr. In den ,Sprüchen Salomonis4 (25,21 f.) heißt es: „Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser. Denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der Herr wird dir’s vergelten44. Indem der Apostel Paulus im Rom. (12,20) das Wort von den feurigen Kohlen, die der wohltätige Mensch auf das Haupt seines Feindes häufe, aus dem Dunkel eines bloß lit. Daseins im Spruchbuch (25,22) an das Licht der christl. Lebensöffentlichkeit rückte, hat er dem Bewußtsein des modernen Bibellesers eine antike Merkwürdigkeit einverleibt. Die Kommentatoren des Spruchbuches wie des Röm. heben im allg. nur das Sinnbildliche dieser Stelle hervor, daß sie eben Beschämung, Bedauern oder Reue des Betroffenen zum Ausdr. bringe. Es liegt aber urspr. ein kulturgeschichtl. Faktum zugrunde:,Feurige Kohlen4 sind urspr. nicht bildl., sondern wirklich aufs Haupt gehäuft worden, und wer sie trug, befand sich in einem Ritus der Sinnesänderung, der Reue, Buße oder Beschämung. Ein Hinweis auf den Lebenszusammenhang der Wndg. findet sich z.B. in der demotischen Erzählung vom Seton Chaemwese: Chaemwese ist in das Grab des Noferkap- tah eingedrungen und entwendet dem Grabinhaber dessen wirkungskräftiges Zauberbuch, auf dessen Besitz er kein Recht hat. Der Bestohlene unternimmt trotz Betreibens seiner Frau nichts gegen den Dieb. Er sagt, er werde Chaemwese zwingen, das Buch, das ihm nur schaden wird, wiederzubringen, „indem44 - so heißt es worth (IV, 35, 6) - „ein gegabelter Stab in seiner Hand und ein Kohlenbecken von Feuer auf seinem Haupte ist44. Kaum hat Chaemwese mit dem Buche Oberwelt und Residenz erreicht, als ihn der Pharao, sein Vater, zur schleunigen Rückgabe auffordert, andernfalls ihn der Zauberer zwingen werde, es zurückzubringen. Nach schwerem Unglück begibt sich Chaemwese ritusgemäß mit gegabeltem Stab in der Hand 523
Köhlerglaube ,Auf glühenden Kohlen sitzen4 und Kohlenbecken von Feuer auf dem Haupt zu Noferkaptah. Er bringt so das widerrechtlich Angeeignete dem bestohlenen Eigentümer zurück, der ihn lachend empfängt, zugleich der tatsächliche und der moralische Sieger. Was im Spruchbuch sentenzenhaft und dementspr. abstrakt gesagt ist, geschieht hier wirklich. Ein tatsächlicher brauchtüm- lich-ritueller Gestus und Ritus der Sinnesänderung hat sich dann erst zur Bildrede und Metapher verflüchtigt. (Wie) auf (heißen, glühenden) Kohlen sitzen (oder stehen): ttw. vor Ungeduld kaum erwarten können, sich in einer unangenehmen Lage befinden; diese Rda. geht vermutlich entweder auf ein Gottesurteil oder eine Folterung dieser Art zurück; man denke nur an Wndgn. wie ,der /Boden brennt ihm unter den Füßen4 oder ,ein heißes /Eisen anfassen4 oder ,wie auf /Nadeln sitzen4 usw. Luther weiß den Trost: „Wenn ihr auch auf feurigen Kohlen ginget, so soil’s euch dünken, als ginget ihr auf Rosen44. Im 17. Jh. ist unsere Rda. lit. bezeugt, so mehrfach sprw. bei Lehmann: „Auff heißen Kohlen ist böß still sitzen44 (837, ,Unglück4 11) und „Wer auff heißen Kohlen sitzt, kan nicht ruhig seyn44 (82, Beschwerden4 48). Auch Pieter Bruegel d.Ä. hat sie in seinem berühmten Rdaa.- Bild dargestellt. Vgl. ndl. ,op hete (oder gloeiende) kolen zitten (oder staan)4. Wie der Hahn über die Kohlen laufen: sehr flüchtig, eilig, schon seit dem 12. Jh. bezeugt. Die Kohlen unter der Asche anblasen: alte Leidenschaften neu entfachen, eine vergessen geglaubte Sache wieder Aufwärmen4; erst im 19. Jh. dürfte diese Rda. aufgekommen sein, Bismarck bediente sich ihrer (,Reden4 1,247): „Ich möchte Sie also bitten, alles zu tun, was in Ihrer Macht steht, damit dieser Blasebalg der Demokratie nicht in den Händen verbleibe, um die Kohlen unter der Asche anzublasen44. Luther kennt noch eine Redewendung (Weimarer Ausg. IV, 673), die uns heute nicht mehr geläufig ist: „Es ist ausz, dasz man speck auf kolen brate44. Die Rda. bedeutet: Es ist kein Geheimnis mehr, man braucht diese Sache nicht mehr zu verheimlichen, denn daß man Speck auf Kohlen brät, ist allg. bekannt. Lit.: S. Bartstra: Kolen vuurs hoopen op iemands hoofd, in: Nieuw Theologisch Tijdschrift 23 (1934), S. 61-68; 5. Morenz: Feurige Kohlen auf dem Haupt, in: Theolog. Lit.-Zeitung 78 (1953), S. 187-192. Köhlerglaube. Der Köhlerglaube ist in den Rdaa. und Sprww. der blinde Glaube, der der eigenen Überzeugung entbehrt, d.h. 524
Können die Leichtgläubigkeit. Wo der Ausdr. noch gebrauch!, ist, wird er mehr oder weniger abschätzig und verächtlich für einen unterentwickelten, primitiven Menschen gebraucht. Joh. Fischart (,Geschichtklitte- rung4 S. 251) sagt von einem solchen: ,,Er zeigt des koelers glauben". Die Rda. ist heute wohl kaum mehr gebrauch]., weshalb die letzte Aufl. des Borchardt-Wustmann sie fallengelassen hat. In älteren Aufl. dagegen wird an dieser Stelle eine Teufelserzählung zur Erklärung wiedergegeben: Der Teufel habe in Bischofstracht einen sterbenden Köhler gefragt, was er glaube. Der Köhler soll geantwortet haben: „Was die Kirche glaubt44. Um ihn zu prüfen, habe der Teufel weitergefragt, was denn die christliche Kirche glaube? Die Antwort des Köhlers soll gewesen sein: „Das, was ich glaube". Durch diesen einfältigen Glauben sei der böse Feind überwunden worden. Auch eine Variante dieser Erzählung, mit der Joh. Agricola die Rda. kommentiert, hat noch keinen abschätzigen Sinn. Unter der Überschrift ,Ich will glauben wie der koler glaubt' schreibt Agricola (Nr. 234): „Diß ist ein gemeyn Sprichwort in Deutschen landen: Des kolers glaub ist der beste glaub. Man sagt daß eyn mechtiger Bischoff eynen koler, der im walde weyt von leutten, nicht vil predigen gehöret, hab gefraget, was er doch glawbe? Hatt yhm der koler geantwortet: Er glaube was die Christliche Kirche glaubt. Der Bischoff fragte, was denn die Christliche Kirch glaube? Der koler antwortet: Daß uns Christus Jesus durch sein blut vom tode erlöset hat. Dises kolers glaub ist ja der beste glaub . . . Diser koler hatt freylich disen Bischoff nit fur eyn stuck der Christlichen kirchen, die inn aller weit ist gehalten, sonst hett er gesagt: Ich glaub wie yhr vnd der Bapst, vnnd wie vns die Pfaffen weisen vnd leeren . . ." Für Agricola bedeutet der Ausdr. Köhlerglaube4 also nur die einfache kindliche Frömmigkeit, namentlich im Gegensatz zu papistischer und geistlicher Überheblichkeit, wie er in einem langen Passus anschließend noch ausführt. Nach neuerer Erklärung (Göhring S. 115) ist Köhlerglaube eine Leichtgläubigkeit, die sich ,ankohlen4 oder ,verkohlen4 läßt; wahr- scheinl. in Anlehnung an jidd. ,kolen4 = reden, erzählen, schwätzen. Vgl. auch ndl. ,Het is een kolenbranders geloof4 und frz. ,11 a la foi du charbonnier4. Kolbe. Jem. die Kolbe (den Kolben) lausen: ihn derb zurechtweisen, ihn tüchtig verprügeln; Kolbe hieß früher eine Flaartracht, bei der man das Haar über der Stirn hochkämmte und nach hinten legte. Das Wort erfuhr dann eine Bedeutungserweiterung zu ,Kopf4; so gebraucht es Wieland ^Abderiten4 3. Buch, 9. Kap.): „Er gab ihm ein- oder zweimal tüchtig auf die Kolbe44. In diesem Sinne ist auch unsere Rda. zu verstehen. Einem die (eine) Kolbe scheren: ihn als närrisch oder unfrei kennzeichnen. Seit dem 13. Jh. wurde den Narren, Leibeigenen und Sträflingen das lange Haar, das Zeichen der Freien, geschoren. Auch die Tonsur der Mönche wurden bisweilen Kolbe genannt. Luther gebrauchte die Wndgn. in gesteigerter Form (Briefe V, 540): „Es ist ihm aus dieser Schule Verdienst genug geschehen und die Kolbe mit einer schartigen Sichel geschoren". König. Das Kartenspiel nennt man zuweilen auch das Buch der Könige, wobei man iron, auf die gleichnamigen Bücher der Bibel anspielt. In Joh. Fischarts ,Gargantua4 (S.258) begegnen wir dem Ausdr, in dem Satz: ,,. . . wan es ihm mit eim buch der König nicht wolt glücken44, und in ,Aller Praktik Großmutter4 heißt es: „. . . und lesen im buch der König vom Schellenkönig44. Königreich. Ein Königreich für ein Pferd! ist ein Zitat aus Shakespeares ,Richard IIP (V, 4). Jedoch wird in seiner rdal. Anwendung das Wort ,Pferd4 durch den jeweils gewünschten Gegenstand ersetzt, z.B. ,ein Königreich für ein Bier4 usw. können. Können vor Lachen oder ja, aber erst können vor Lachen: das ist unmöglich. Dies sagt man, wenn man gutgemeinte Ratschläge wohlwollend entgegennimmt, an ihrer Verwirklichung aber durch banale Umstände gehindert wird. Auf diese Weise wird die bittere Ironie der Situation zum Ausdr. gebracht. Können muß man (halt) ist eine verächtliche Bemerkung einem Menschen gegenü- 525
Kontenance ber, der sich vergeblich mit einer Sache abmüht. Hier nimmt eine Rda. schon fast die Form eines Sprw. an. Du kannst mich (mal) beinhaltet eine derbe Ablehnung. Die Rda. ist verkürzt aus ,Du kannst mich (mal) am /Arsch lecken4; sie ist 1846 bei Moritz von Schwind lit. belegt, wahrscheinl. aber älter. Uns (oder mir) kann keiner: wir (ich) sind (bin) unübertrefflich. Die Rda. stammt aus Berlin, sie wird auch außerhalb Berlins häufig im berl. Dialekt gebraucht: ,Uns kann keener4. Es handelt sich wohl um eine Verkürzung aus ,Uns kann keiner übertreffen4 oder ,uns kann keiner etw. vormachen4 (etw. anhaben). Ich kann Ihnen sagen . . . (berl. ,Ick kann Ihnen sagen4) wird als Einleitung einer vermeintlichen Neuigkeit gebraucht und bedeutet: das Folgende steht zweifelsfrei fest, Sie können mir glauben. Kontenance /Contenance. Konto. Jem. etw. aufs Konto schreiben: ihm etw. anlasten, jem. etw. als Schuld anrechnen, ist eine der Kaufmannssprache entlehnte Rda., die sich seit dem 18. Jh. lit. nachweisen läßt. J. Chr. Edelmann schreibt 1740 in seinem ,Moses4 (I, 79): ,,Ich werde ihm fort mehr nicht viel auf sein Conto glauben44. Bismarck (,Reden4 14, 148) verwahrt sich gegen Angriffe mit folgenden Worten: ,,So komme ich nachgerade darauf hinaus, daß man im Inlande und Auslande alles, was den Leuten unangenehm ist, mir aufs Konto schreibt44. Entspr. bedeutet etw. (viel) auf dem Konto haben: etw. schuldig sein, etw. Schlimmes begangen haben, Schuld tragen, schuld sein (vgl. ,etw. auf dem /Kerbholz haben4); häufiger ist die Wndg. Das geht auf dein Konto! Diese Rda. ist auch in Mdaa. geläufig: köl. ,Dat könnt (kommt) op di Konto4 oder ,dat jeht op di Konto4, auch ,de (der) hätt voll (viel) op J Konto4; obersächs. ,viel of m Konto ha’m4, ein großes Sündenregister haben. Neueren Datums ist der im übertr. Sinn gebrauchte Ausdr. aus dem Bankwesen: sein Konto überzogen haben: seine Fähigkeiten überschätzt haben, seine Kreditwürdigkeit eingebüßt haben, ,übers /Ziel hinausgeschossen sein4. Kontor /Schlag. Konzept. Aus dem Konzept kommen (geraten): bezieht sich auf jem., der seine Rede schriftlich aufgesetzt (konzipiert) hat, um sich beim Vortrag darauf zu stützen; die Rda., die seit dem 17. Jh. gebräuchl. ist, bedeutet also zunächst ganz konkret: das schriftliche Redekonzept verlieren und deswegen in der Rede steckenbleiben, später dann allg.: ,den /Faden verlieren4, verwirrt werden. Wenn dies durch das Verschulden eines anderen Menschen geschieht, dann gebraucht man die Rda. in transitiver Form: jem. aus dem Konzept bringen (vgl. ,jem. aus der Fassung bringen4) oder jem. das Konzept verderben (vermasseln) und auch jem. ins Konzept pfuschen. In Schillers ,Räubern4 (II, 3) heißt es: ,,Du verdirbst ihm ja das Konzept - er hat seine Predigt so brav auswendig gelernt44. Kopf. Jem. den Kopf waschen: ihm die Meinung sagen, jem. tadeln, wird meist in übertr. Bdtg. gebraucht (ebenso wie ,auf einen grindigen Kopf gehört scharfe /Lauge4). Die Rda. taucht in der zuerst angeführten Form verschiedentlich bei Abraham a Sancta Clara auf (,Judas4 IV, 127, 192); auch in der Form „mit einer scharfen Laugen den Kopff waschen44 (Judas4 IV, 363) und „auff solche Köpff gehört kein andere Laugen44 (Judas4 IV, 231; ,Kramer-Laden4 I, 414). In dem Fastnachtsspiel von Hans Sachs ,Der böß Rauch4 heißt es (V. 175): Droll dich! Wilt du das Fewer leschen; so will ich umb den Kopff dich weschen. In diesem Zusammenhang kann die Rda. sowohl in ihrem eigentl. als auch in übertr. Sinne verstanden werden. Aus dem 11. Jh. stammt das Sprw. ,Wer für die Seife seinen Kopf hergibt, macht ein schlechtes Geschäft4 (,Pro sapone dato capite haec carissima merx est4; Singer 135). Das Sprw. soll aus der Zeit der Kreuzzüge stammen, als die heimkehrenden Kreuzfahrer jerusalemische Seife mitbrachten. Da aber nur wenige zurückkehrten, wurde das Hingehen bald mit Sterben gleichgesetzt und im Volksmund zu der Rda. verkürzt: ,Er geht nach Seife4 (Wander IV, Sp. 516, 9), /zeitlich. 526
Kopf ,Mit dem Kopf durch die Wand‘ Mit dem Kopf durch die Wund wollen: trotz unüberwindlicher Schwierigkeiten seine Absicht durchsetzen wollen. Die übertr. Bdtg. kleidet Bismarck in ein falsches Bild: ,,Ich werde mit meiner Meinung nicht durch die Wand gehen“ (,Redenk VII, 185). Zu den welfischen Adligen sagt er: ,,Sie werden sich den Kopf an der Mauer einrennen“, sie werden ihre Pläne und Absichten nicht verwirklichen können. Sich etw. in den Kopf setzen: sich etw. vornehmen, was in seiner Ausführung auf große Schwierigkeiten stoßen muß, in der Absicht, es doch durchzusetzen. Jem. den Kopf zurechtrücken: ihn zu einer anderen, richtigen Meinung bekehren, manchmal auch i. S. v. ,den Kopf waschen1 gebraucht. Wenn man jem. etw. verweigern will, bekräftigt man die Ablehnung oft noch mit der Rda. und wenn du dich auf den Kopf stellst (du bekommst es trotzdem nicht, was du haben willst). Luther gebraucht in gleichem Sinne die Rda. den Kopf aufsetzen. Jem. auf den Kopf spucken: ihn grob anfassen, anrempeln. Wenn man jem. beleidigt oder brüskiert, hat man ihn vor den Kopf gestoßen. Wer in Verlegenheit ist oder Sorgen hat, sitzt mit eitlem dicken Kopf da oder läßt den Kopf hängen. Wer sich in Schwierigkeiten besonnen verhält und die Hoffnung nicht aufgibt, behält den Kopf oben, er wird den Kopf nicht verlieren. Ein schmollendes Kind, das nicht auf gutes Zu¬ reden reagiert, macht einen Dickkopf, vgl. ndl. ,koppig zijn\ Wer seinen Vorteil zu wahren oder schlagfertig zu antworten weiß, ist nicht auf den Kopf gefallen. Nicht wissen, wo einem der Kopf steht sagt man, wenn die Arbeit oder die Sorgen überhandnehmen; ähnl. heißt es den Kopf von etw. voll haben. Es geht nicht nach seinem Kopf: eine Sache entwickelt sich nicht nach seinen Plänen. Der Kopf steht mir nicht danach: ich bin dazu nicht aufgelegt. Eine unglaubliche Begebenheit will jem. ,Einen Dickkopf haben‘ 527
Korb nicht in den Kopf\ und ein schwieriges Problem macht ,Kopfzerbrechen'. Jem. über den Kopf wachsen bedeutet allg. : ihn übertreffen. Wenn jem. die Arbeit über den Kopf wächst, fehlen ihm die Kräfte, sie zu bewältigen. Jem. wird ,kopfscheu\ d.h. unsicher; ist von scheuenden Pferden übertr., denen man mit der Scheuklappe die Sicht nach den Seiten verwehrt. Ebenso kann man jem. ,kopfscheu machen', indem man ihn mit einem Problem konfrontiert, so daß er unsicher wird. Will man jem. einer Schuld überführen, so muß man es ihm auf den Kopf Zusagen; es bleibt ihm aber die Möglichkeit, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem er sich auf geschickte Weise herausredet. Das Bild stammt aus der Jägersprache. Die meisten dieser Rdaa. beziehen sich auf den Kopf als Sitz des Verstandes. Ein kluger (heller) Kopf wird als pars pro toto für einen klugen Menschen gebraucht, als Werbeslogan für eine Tageszeitung abgewandelt heißt es: ,Dahinter steckt immer ein kluger Kopf. Jem. den Kopf verdrehen: jem. verliebt machen. Jem., der leichtsinnig handelt, riskiert seinen Kopf oder bringt sich um Kopf und Kragen. Die letztere Rda. stammt aus der Rechtssprache bzw. der Praxis der Hinrichtung mit dem Schwert, ebenso wie die ,Den Kopf unter’m Arm tragen' Rdaa. jem. einen Kopf kürzer machen, einem den Kopf vor die Füße legen und den Kopf unter dem Arm tragen. Letztere Wndg. beruht auf dem Volksglauben, daß Märtyrer ihren abgeschlagenen Kopf auffangen und noch ein Stück vor sich hertragen konnten, um ein sichtbares Zeichen ihrer Unschuld und Heiligkeit zu geben, was z.B. auch bildl. in einer Plastik des hl. Dionysius dargestellt worden ist. Scherzhafte Vergleiche und Umschreibungen für den Kopf sind zahlreich und in einzelnen Landschaften verschieden: ,Birne', ,Kürbis', ,Wirsing' usw. stammen aus dem Bereich der Botanik; an der Küste sagt man: ,Er hat einen Kopf wie eine Boje\ in Rheinhessen wird er mit einem Hohlmaß verglichen: ,Er hat einen Kopf wie ein Viernsel'. In Anlehnung an Terenz1 „Quot homines, tot sententiae" (,Phormio' II, 4, 14) wurde gebildet: ,Soviel Köpfe, soviel Sinne'. Dieses Sprw. wurde auch schwankhaft zu einem Wellerismus umgebildet: ,Viel Köpfe, viel Sinne, sagte der Bauer, da rollten ihm die Rüben vom Wagen herab'. Eine scherzhafte Umschreibung für eine beginnende Glatze ist die Rda. einem wächst der Kopf durch die Haare. Die Köpfe zusammenstecken: sich heimlich unterhalten, miteinander tuscheln. Köpfchen haben ist eine jüngere, wohl vom Berl. ausgegangene Wndg. für Verstand haben. Ähnl. sagt man als Aufforderung: ,Immer Köpfchen!' nur gut nachgedacht, und derjenige, der sich über einen guten Einfall, eine glückliche Lösung eines Problems freut, sagt selbstgefällig: ,Köpfchen, Köpfchen!'. Lit-: G. Augst: ,HaupC und ,Kopf‘ - Eine Wortgesch. bis 1550, Diss. Mainz (Gießen 1970). Korb. Einen Korb bekommen, auch sich einen Korb holen: bei einem Liebes- oder Heiratsantrag abgewiesen werden. Lit. bei C. F. Meyer (,Der Schuß von der Kanzel', 1877): ,,Das Mädchen also gab Euch einen Korb". Die erste Rda. (vgl. Abraham a Sancta Clara, ,Etw. für alle', 206) setzt die ältere Wndg. ,durch den Korb fallen' voraus. In der Bdtg. ,mit einem Liebesantrag abgewiesen werden' erklärt sie sich aus der ma. Sitte, daß ein Mädchen einem ihr nicht genehmen Freier einen Korb, dessen Bo- 528
Korb 1 ,Durch den Korb fallen4 2/3 ,Im Korb hängenlassen4 den gelockert war, von ihrem Fenster an einem Seil hinunterließ. Wurde er nun in diesem Korb hinaufgezogen, so mußte er zwangsläufig ,durchfallen4; ,durch den Korb fallen4 kennt auch Luther (Erlanger Ausg. 47, 225). Vgl. hierzu den bekannten ma. Schwank von Virgil (GSA. II, 518), den die Tochter des Kaisers dem öffentl. Spott preisgibt, indem sie ihn unter Vorspiegelung eines Liebesabenteuers in ei- 529
Korn nem Korb sitzend zu sich heraufziehen will, ihn jedoch auf halber Höhe bis zum Morgen hängen läßt. Auch Thomas Murner erzählt dieses Abenteuer Virgils in der Satire ,Geuchmatt4 (V. 4641): Virgilius bült eine schöne magt, Die hat jn vff ein nacht vertagt Und jm ein solchen bescheidt gesagt: Er soit zu einem fenster gon, Da wolt sy ein korb aber Ion, Daryn soit er sich setzen schon. Er thet das selb on allen argwon. Als sy in halber vff hyn zoh, Das lustig wyb von dannen floh Vnd ließ ihn hangen an der wend. Das er offlich da wardt geschendt Vnd yederman das selber seyt, Das er do hing, vmb wybs bescheid. Von Studenten auf das Examen übertr., findet sich in den ,Facetiae facetiarum4 (1657, 334) vulgärlat. ,corbissare‘ = durchs Examen fallen. Im Schles. gebrauchte man statt der Rda. ,einen Korb bekommen4 das Zeitwort ,korbisiren4 (Wencel Scherffer, ,Gedichte4 568, 609). Im 17. und 18. Jh. findet sich die Sitte nur noch mit der Abschwächung, daß das Mädchen dem unbequemen Werber als abweisende Antwort einen bodenlosen Korb ins Haus schickte, was dieser als ,bodenlose4 Gemeinheit (Frechheit) auffassen konnte. In abgeschwächter Form sagt man auch ,ein Körbchen flechten4, wenn man jem. etw. auf zarte Weise abschlagen will (vgl. auch Abraham a Sancta Clara, ,Reim dich4 20, wo es heißt: „Einem ein Körbel geben44). In der Oberpfalz wird dem Zurückgewiesenen ,ein Korb gesteckt4, d.h. aufgesteckt, mit einer Strohfigur darin; in der Eifel muß einer, der ein Mädchen sitzenläßt, durch einen alten Korb kriechen, und in verschiedenen Gegenden Dtls. kann man noch heute auf den Bericht: ,Ich habe einen Korb gekriegt4, die Replik hören: ,Einen Korb kann man schon kriegen, aber einen Boden muß er haben4. In der Komödie ,Amantes amentes4 (I, 5) von 1609 bei Rollenhagen heißt es ähnl.: ,,dor den korff stiegen44, d. i. durch den Korb (ohne Boden) steigen und durchfallen, einen Korb bekommen. Ebd. I, 5: ,,Heffe gy de kype (d. i. Korb) gekregen44, habt ihr einen Korb bekommen, und III, 4: ,,de kype geben44. Hier findet auch der Ausdr. ,durchfallen4 seine Erklärung, von einem Prüfling gesagt: wen der prüfende Teil nicht für gut befindet, den läßt er durchfallen wie das Mädchen den unwillkommenen Werber. Schon bei Joh. Pauli: ,,Also fiel der gut Herr (der Prüfling im Examen) durch den Korb44. In der ,Historie vom reichen Mann und armen Lazarus4 (1555) erzählt der Verfasser von seinem Studium: Da ich nun meint zu promovirn, Setzt mich in Korb, ließ mir hoffieren, Platsch, fiel ich durch den Korb hinweg Und lag hienieden in dem Dreck. Das Wasser geht über die Körbe ist eine volksetymol. Umdeutung von ,Korven4. ln den ,Proverbia communia4 heißt es: Wenn das Wasser über die Korven geht, soll man das Schiff osen (ausschöpfen). ,Korven4 ist ein Lehnwort aus dem Lat. curvus und bezieht sich auf die gekrümmten Spanten im Schiffsboden. Die Rda. stammt aus' dem Seewesen und bedeutet, daß man in der Gefahr mit Rettungsmaßnahmen nicht zögern soll. Die übertr. Verwendung der Rda. findet sich bereits bei Geiler von Kaisersberg: ,,wann ein rad über ein bein gat oder das Wasser über die Körb, so wird man witzig44 (= klug). Auch Luther kennt sie: ,,die weil das Wasser will über die Körbe gehen und Untugend mit untüchtigen untergehen44. Eine andere Erklärung ließe sich aus dem Flechtwerk zum Schutz der Dämme herleiten, das auch als ,Körbe4 bez. wird. Für die Bdtg. der Rda. ergibt sich hieraus jedoch keine Änderung, denn die Gefahr ist ebensogroß, wenn das Wasser die Schutzwehr überflutet. Zu tief in den Korb greifen: sich zuviel herausnehmen, anmaßend sein, aufschneiden; ist heute kaum mehr gebräuchl.; früher hieß es /,Kober4 statt ,Korb4. Ins Körbchen gehen: Zu Bett gehen; die Rda. bezieht sich urspr. wohl auf den Hund, dessen Schlafstelle ein Körbchen ist, oder auf die Hühner, deren /Nest wie ein Korb geflochten war, vgl. /,Hahn im Korbe4. Lit.: HdA. V, Sp. 241 ff., Art. ,Korb‘ v. Haber la mit; Röhrich-Brednich: Dt. Volkslieder I, S. 272 ff. Korn. Etw. aufs Korn nehmen, etw. auf dem Korn haben: seine Aufmerksamkeit auf etw. richten, etw. scharf beobachten. Die 530
Krach,krachen Rdaa. entstammen der Sprache der Jäger oder Schützen, die mit Hilfe von Kimme (Visier) und Korn, die auf dem Gewehrlauf befestigt sind, ihre Waffe genau auf das gewünschte Ziel ausrichten können. Wenn man mit einem Blick über die Kimme hinweg feststellt, daß sich das Ziel mit dem Korn exakt deckt, das Ziel ,aufs Korn genommen ist\ dann kann man mit Sicherheit annehmen, daß der Schuß trifft. Ähnl. Rdaa. sind ndd. und mdt. ,etw. auf dem Kieker ( = im Visier) haben1, obd. ,etw. auf die Muck (= Mücke, Visier) nehmen1, z. B. bei Hermann Kurz in seinem Roman ,Der Sonnenwirt' (1854, S. 18): ,,Habt ihr mich auf der Muck? Wollt ihr mich ins Gerede bringen?" Alle diese Rdaa. können erst in einer Zeit entstanden sein, in der Schußwaffen schon in Gebrauch waren, sie gehen also höchstens bis ins 15. Jh. zurück. Spater wurden sie dann auch auf Menschen bezogen und in ihrer Bdtg. erweitert: jem. auf dem Korn haben, jem. aufs Korn nehmen: sich seine Vergeltung gegen einen mißliebigen Menschen Vorbehalten, jem. nicht leiden können, einen Angriff planen. Von altem Schrot und Korn /Schrot. Korn i. S. v. Getreide begegnet in zahlreichen Rdaa., die sich meist von selbst erklären, wie z.B. Das ist so gut wie Korn auf dem Boden: das ist wie bares Geld; das Korn essen, ehe es gesät ist: den Lohn verzehren, bevor die Arbeit gemacht ist, auf zukünftigen Gewinn hin Schulden machen; das ist Korn aufseine Mühle {/ Wasser); er mißt alles Korn mit seinem Scheffel: er beurteilt andere Leute nur nach sich: sein Korn grün essen: ein schlechter Hauswirt sein, keine Vorräte mehr besitzen; sein Korn ist reif: sein Verdienst ist gewiß, sein Einkommen ist gesichert, seine Unternehmung steht vor dem günstigen Abschluß. Die im Volkslied häufige metaphorische Umschreibung der sexuellen Beziehung als ,Korn schneiden1 wird rdal. auch noch zum ,Korn dreschen4 abgewandelt. Die Wndg. Er drischt Korn in fremder Scheune meint daher: er verletzt die eheliche Treue, er begeht Ehebruch, ,er geht fremd4. Vgl. ndl. ,Hij dorscht koren in eens anders schuur4. Lit.: L. Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967), S. 65; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S. 320. Korsett, Sich nicht in ein Korsett zwängen lassen: sich in seiner Handlungsfreiheit nicht einengen lassen; die Rda. bezieht sich auf die Gepflogenheit korpulenter Damen, ihrer Figur durch Anlegen eines Korsetts eine ansprechendere Form zu verleihen, wodurch jedoch ihre Bewegungsfreiheit gemindert wird; berl. ,Nu tu dir man keen moralisches Korsett an4, sei nicht prüde. Kostnitz. Hier ist nicht Kostnitz (Kostnix): hier erhalt man nichts unentgeltlich. Das Wortspiel mit der seit dem späten MA. ge- bräuchl. Namensform der Stadt Konstanz am Bodensee deutet scherzhaft an, daß man nicht so ohne weiteres davonkommt, daß man zu bezahlen hat. In Holst, sagt man dagegen von Sachen, die nichts kosten, die man geschenkt erhielt: ,se sünt vun Kostnitz4. Kotzebue. Kotzebues Werke studieren: sich erbrechen; der lautliche Gleichklang des Wortes,kotzen4 mit dem Namen des Dichters hat zu dieser scherzhaften Verhüllung geführt. Die Rda. ist noch zu Kotzebues Lebzeiten aufgekommen; sie wird um 1800 für Berlin bezeugt. Gleiche Bdtg. hat die Wndg. an Kotzebue schreiben. Krach, krachen. Krach machen (schlagen): laut, energisch protestieren, sich beschweren, sich erregt äußern, lärmend streiten, schimpfen; Krach mit einem haben (kriegen): Zank mit ihm haben (bekommen). Diese Rdaa. dürften neueren Datums sein; der Verweis auf ein älteres ,Rumor machen4 (1. Sam. 5, 11 ; vgl. Biichmann) überzeugt nicht. Bei jem. ist Krach im Hinterhaus sagt man, wenn man auf einen Familienstreit in der Nachbarschaft verweist. Der Ausdr. geht auf den Titel eines Bühnenstücks von Maximilian Böttcher ,Krach im Hinterhaus4 zurück, das 1934 in Berlin uraufgeführt wurde und wenig später auch als Roman erschien. Von Krach spricht man auch bei einer Krise, so vom Börsenkrach4 oder vom .Großen Krach4 1873 in Wien; vgl. engl. ,crash4 = Autozusammenstoß, aber auch finanzieller Zusammenbruch; dazu .verkracht4, z.B. .eine verkrachte Bank4, ,ein 531
Kragen, Kragenweite verkrachter Student4; sich mit jem. verkra- chen: sich mit ihm entzweien, Streit mit ihm bekommen. Jem. kann schon einen Krach aushalten: einen derben Stoß vertragen. Von ,krachen4 in der Bdtg. ,gebrechlich sein4, ,kränkeln4 leitet sich das rotw. ^rachen gehen4, sterben, her. Mit Ach und Krach /Ach. Kragen, Kragenweite. Kragen bedeutet ur- spr. ,Hals\ ,Nacken4; die meisten Rdaa. mit diesem Wort sind nur von dieser Bdtg. her zu verstehen. Im Ndl. ist der alte Sinn noch ganz offenkundig: ,,een stuk in zijn kraag hebben4, betrunken sein. Ähnl. alles durch den Kragen (die Gurgel) gejagt haben: sein Vermögen vertrunken haben. Es geht ihm an den KragenvatinV. er geht seiner Bestrafung entgegen, er befindet sich in großer Gefahr. Gleichbedeutend damit ist Es kostet seinen Kragen; Mi. schon 1577 in Joh. Fischarts ,Flöhhatz4. Beide Rdaa. beziehen sich wahrscheinl. auf das Erhängen als Hinrichtungsart; sinnverwandt ist auch die stabreimende Formel Es geht um Kopf und Kragen oder Kopf und Kragen daransetzen. Jem. den Kragen herumdrehen: ihn töten, wie man einem Vogel den Hals abdreht; ähnl. jem. den Kragen strecken. Jem. beim Kragen nehmen (packen): ihn zur Rede stellen, angreifen; jem. beim Kragen haben: in der Gewalt haben, in Goethes ,Faust4 (Auerbachs Keller) sagt Mephisto: Den Teufel spürt das Völkchen nie, Und wenn er sie beim Kragen hätte. Wir denken heute dabei an den Rockkragen, obwohl urspr. der Hals gemeint war. Geizkragen zur Bez. eines habgierigen Menschen steht als Synonym für ,Geizhals4, den schon Luther als pars pro toto verwendet. Ihm platzt der Kragen: er ist sehr erregt, wütend, außer sich vor Zorn; hier ist Kragen schon eher in der heute gültigen Bdtg. zu verstehen, dazu ist an die schwellenden Zornesadern am Hals zu denken, die das Gefühl erzeugen, daß einem der Kragen zu eng wird. Das ist (nicht) meine Kragenweite: das sagt mir (nicht) zu, ist (nicht) mein Geschmack, paßt mir (nicht); der zu enge oder zu weite Kragen gibt das Bild für die Rda. ab. In der üblichen Kragenweite: in der gewohnten Weise; bei der alten Kragenweite bleiben: den Partner (Freund, Freundin) nicht wechseln; bei der Kragenweite ist ein rdal. Ausdr. der Ablehnung. Krähe. Die Krähe soll kein Vogel sein (wenn das geschieht); diese Rda. bez. einen absurden Zweifel an einem unbezweifelba- ren Tatbestand. Oft wird sie verwendet als Beteuerungsformel, als Bekräftigung des Gesagten, wie es auch im Sprw. heißt: ,Die Krähe ist auch ein Vogel4. Finn, sagt man: ,Auch die Krähe ist da, wo andere Vögel sind4. Die Rda. ist zuerst bei Joh. Fischart (,Bienenkorb4, 1588, 1 17a) bezeugt: „Eigen ist der Zweifel ob die Krähe auch ein Vogel sei: und es musz darbei bleiben und soit’ auch die Krähe kein Vogel sein44. Vgl. ndl. ,al soude craey gheen voghel zijn4. Das ist eine weiße Krähe. Man will damit die Seltenheit einer Sache zum Ausdr. bringen. Möglicherweise ist die Rda. aus einem Sprw. verkürzt, das mdal. lautet: ,Ke Tag i minem Lebe ha ni mit e so gseh: e schneewysse Kräie und schwarze Schnee4. Vgl. ndl. ,Dat is eene witte kraai4; engl. ,a white crow4. Vgl. Weißer Rabe /Rabe. Eine Krähe waschen ist Ausdr. für den Widersinn einer Sache, eines Unternehmens, das schon von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Wahrscheinl. kam die Rda. zustande durch Verkürzung des Sprw. ,Die Krähe wird nicht weiß, wenn sie sich auch noch so oft wäscht4. Vgl. engl. ,He is washing the crow4, bezeugt bei Bohn (London 1857). Es wird's keine Krähe aus kratzen. Hier ist eine aussichtslose Situation gemeint oder eine abgeschlossene Sache, an der nichts mehr zu andern ist, die sich auch nicht bereinigen läßt; lit. belegt bei Sutor in ,Der Hundertaugige blinde argos und zwey gsichtige Janus . . .4 (Augsburg und München 1740): „es ist dahin geschrieben (d.h. in den Kamin), daß es kein kuh ableckt und kein kro auskratzt44. In Agricolas Sprww.- Sammlung: „Kein kro wirds auskratzen44 (Nr. 339) 1582 für Wittenberg bezeugt. Das ist keine Krähe von gestern, gebraucht i. S. v.: das ist ein alter Fuchs, ein Schlaukopf, .geht von der Schlauheit der Krähe aus. Dieselbe Bdtg. hat auch die Rda. ,Diese Krähe ist gestern nicht mit dem Fin¬ 532
Kram ger gezäumt und mit Brei gefüttert4, er ist ein durchtriebener, gewandter Bursche. Davon soll die Krähe fett werden. Die Krähe als Aasvogel frißt alles. In diesem Fall ist gemeint, daß man etw. dem Aasvogel überläßt, das nicht viel wert ist. Mit der Rda.,Davon wird die Krähe auch nicht fett werden4 wird eine Situation charakterisiert, in der selbst ein Aasvogel keinen Bissen findet, der fett macht. Schles. heißt es ,die Kroe wat fet wan\ die Krähe wird fett werden, hier also im positiven Sinne gebraucht, nämlich: es wird besser werden, es geht bergauf. Die Rda. ist in Drechslers Schlesiens Vogelwelt in der Sprache und im Glaubender Heimat4 (Mitt. 10, 87, 1908) bezeugt. Einer Krähe die Augen aushacken, lat. cornicum oculos configere4 (Cicero). Die Rda. kommt wahrscheinl. von dem älteren Sprw. ,Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus'. Mit den Worten: ,Ich wolt, daß dir die kraen die Augen auspflucken4 wünscht man jem. den Tod, wobei wieder an die Krähe als Aasfresser gedacht ist; so schon bei Hans Sachs. Die Krähe will mit dem A dler streitet i; dam it bringt man ein ungleiches Kräfteverhältnis zum Ausdr., die Aussichtslosigkeit eines Kampfes, den ein ungleich Schwächerer mit einem Starken führen will (vgl. lat. ,Aquilam cornix provocat4). Den frühesten Nachweis finden wir bei Seybold ^Lustgarten von auserlesenen Sprww.4, Nürnberg 1677). Die entspr. Sprww. lauten: ,Die Krähe darf den Adler nicht herausfordern4 und ,Wenn die Krähe mit dem Adler streitet, so verliert sie den Kopf4. Die Rdaa. eine Krähe für eine Nachtigall kaufen oder Krähen für Tauben halten bezeichnen ein krasses Fehlurteil, falsche Einschätzung eines Gegenstandes. Die Krähe als freches Tier wird den sanften Tauben, ihr mißtönendes Geschrei dem wohlklingenden Gesang der Nachtigall gegenübergestellt. Sachlich gemeint ist dabei Tausch oder Kauf einer negativen, minderwertigen Sache für eine positive, wertvolle. Bei Schlegel (,Sommernachtstraum4 2, 2, Gedichte, Tübingen 1800) in eine rhet. Frage gefaßt: „Wer will die Krähe nicht für die Taube geben?44 Engl, bei Shakespeare: „change a raven for a dove44. Die Wndg. eine Krähe mit Pfauenfedern, beruht auf einer Fabel, vgl. ,sich mit fremden /Federn schmücken4; in lat. Form (,calvus comatus4) belegt in den ,Desid. Erasmi Roterdami Adagiorum Epitome.. (Leipzig 1678); ndl. ,Het is eene kraai in paauwen-vederen4. Mit den Rdaa. Das sind zwei Krähen auf einem Schuß und Er hat zwei Krähen auf einmal geschossen wird, ähnl. wie durch die Redewndg. ,zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen4, der glückliche Fall umschrieben, daß mit einer Aktion zwei Ziele gleichzeitig erreicht werden (vgl. ndl. ,twee kraeyen met een schoot schieten4). Eule unter deti Krähen /Eule. krähen /Hahn. Krähwinkelei. Das sind Krähwinkeleien: engstirnige, beschränkte Ansichten; der Ortsname ,Krähwinkel4 wird zuerst von Jean Paul in seiner Satire ,Das heimliche Klagelied der jetzigen Männer4 (1801) gebraucht, wenig später (1803) wird er dann in Kotzebues Lustspiel ,Die deutschen Kleinstädter4 zur allg. Bez. für räumlich beschränkte Ortsverhältnisse, für kleinstädtische Gesinnung; danach ist jede daraus hervorgehende kleinliche und törichte Streiterei eine Krähwinkelei. Der Ortsname und seine Abarten sind in Bayern, Baden, Württemberg, im Rheinl. und in Thür, häufig anzutreffen, sie beruhen auf dem ahd. ,chräwinchil‘ = abgelegene Einzelsiedlung, wo Krähen nisten. Es ist wie in Krähwinkel: hier herrschen ähnl. verkehrte Ansichten, Engherzigkeit und kleinliches Verhalten wie in einem kleinen Ort aus der Provinz. Kram bez. schon mhd. die Ware eines Händlers, die in einer Bude (ahd. cram = Marktbude) verkauft wird, später dann mit Blick auf die mindere Güte solcher Ware alles Minderwertige schlechthin; so kann Kram in verächtlichem Sinne sogar anstelle des unspezifizierten Wortes ,Sache4 gebraucht werden: der ganze Kram: das alles. Von einer Sache oder einer Tat, die weder gut noch schlecht zu nennen ist, spricht man als von halbem Kram. Alter Kram sind veraltete Gegenstände. Das paßt mir (nicht) in 533
Kranich den Kram:das kommt mir (un-)gelegen, ist also eigentl. aus der Sicht des Kaufmanns gesagt, der dazu Stellung nimmt, ob eine Ware in sein Sortiment aufgenommen werden kann oder nicht (vgl. ndl. ,in iemands kraam te pas körnen'). Ein Lied des Jahres 1688 verspottet Ludwig XIV. als einen frz. Kaufmann, der spricht: Das reiche schöne Amsterdam Sammt ihren Port und Landen Taugt mir gar wohl in meinen Kram. Lit. weiterhin belegt bei Lessing (VIII, 337): ,,Die gemeine Meinung hierüber taugte in ihren Kram ganz und gar nicht". Goethe gebraucht die Wndg. in ,Hans Sachsens poetischer Sendung' (V. 100ff.): Unser Meister dies all ersieht Und freut sich dessen wundersam Denn es dient wohl in seinen Kram. Jünger sind die Rdaa. Da wird nicht viel Kram gemacht: nicht viele Umstände, eigentl. wohl: darum wird nicht lange gefeilscht; den (ganzen) Kram hinschmeißen; jem. den Kram vor die Füße schmeißen: von einer Verpflichtung zurücktreten; jem. in den Kram reden: ihm in seine Geschäfte dreinreden; oberoesterr. warnt man mdal. ,Dapp ma nöd ön Kram', eigentl.: tritt mir nicht auf meine ausgelegte Ware; in übertr. Bdtg.: verwirre meine Angelegenheiten, meine Pläne nicht, mische dich nicht ein. Vgl. auch ndl. ,kom niet in mijne kraam, voor dat ick uitgepakt ben'. Kranich. Beim Kranich zu Gast sein: sehr wenig oder nichts zu essen bekommen, schlecht bewirtet werden; die Rda. knüpft an die Äsopsche Fabel von Fuchs und Kranich an. Der Fuchs lädt den Kranich zum Essen ein und setzt ihm auf einem flachen Teller das Essen vor, so daß er wegen seines spitzen Schnabels kaum etw. zu sich nehmen kann. Daraufhin revanchiert sich der Kranich, indem er, als der Fuchs bei ihm zu Gast weilt, diesem das Essen in einem Krug mit engem Hals serviert, aus dem nur er, der Kranich, zu essen vermag. Diese Szene ist häufig dargestellt worden, z.B. auch auf einem Fresko des 16. Jh. im Innenhof der Churburg/Vintschgau (Südtirol) und in der frühen Holzschnittkunst. Den Kranich machen (spielen): lange auf einem Fleck stehen und warten müssen. krank, Krankheit. Das macht mich ganz krank:das bedrückt, beunruhigt mich sehr; dagegen sich krank lachen: heftig lachen, ebenso Das ist zum Kranklachen! Der muß krank sein, der davon stirbt sagt man scherzhaft von gutem Essen. Du bist wohl krank: du bist nicht ganz richtig im Kopf. Die Krankheit soll ihn (dich) holen! ist eine ärgerliche Verwünschung, wobei zum Zwecke der Verhüllung statt des genauen Namens der Krankheit nur das anonyme Wort Krankheit selbst benutzt wird (auch mdal. bezeugt), /’Kränke. Krank am Brotschrank sein wird von solchen Menschen gesagt, die sich für krank erklären, dabei aber sehr guten Appetit haben; doch verwendet man es auch in der Bdtg. von: nichts zu essen haben. Kränke. Da soll man (nicht) die Kränke kriegen und Es ist, um die Kränke zu kriegen:es ist zum Verzweifeln, zum Verrücktwerden; eigentl.: es ist so arg, daß man vor Ungeduld oder Ärger krank und schwach werden könnte. Die Wndgn. sind auch mdal. verbreitet, z.B. hess. ,Ich krieg die Kränk' und meckl. ,sich gegenseitig die Krank an den Hals ärgern'. Mit Kränke bez. man bereits im 16. Jh. Schwäche und Krankheit. Luther gebrauchte das Wort (Werke 1, 493b), und Melanchthon (,Luthers Leben', übers, von Ritter, S.81) schrieb 1561 über Luther: „am mitwoch den 17 tag des hornungs hat d. Martinus sein gewöhnlich kränk bekommen, nemlich ein flusz im herzgrüblin". Im 17. Jh. dichtete Friedrich v. Spee im Sinne der mystischen Versenkung in die Leiden des Herrn (,Trutznachtigair 300): 534
Kranz ich nun denke seiner kränke, weil ich dich verwundet seh. Auch mdal., z. B. fränk., schwäb., eis., vor- arlbergisch und kärntnerisch, aber auch meckl., ist ,Kränke4 noch heute die allg. Bez. für Krankheit, speziell meint man damit aber vor allem Epilepsie, Fallsucht und Krämpfe. Früher galt Kränke auch als verhüllender Ausdr. für Pest und andere schwere Seuchen, was sich in den Verwünschungen und Flüchen bis heute bewahrt hat, die bes. im 18. Jh. häufig waren, z.B. Daß du die Kränke kriegst! und Daß dich die Kränke! ln diesen beiden Formen sind die Verwünschungen noch mdal. verbreitet, z.B. meckl. ,Dat du de Kränk kriggst!4 odereis.: ,Daß du die Kränk kriegsch!4 und allg. im Ndd. ,Dat du de Krenke!4 Lit. sind ähnl. Wndgn. aus dem 18. und 19. Jh. belegt. Nicolai gebrauchte die Verwünschung in einem Gedicht: ,,ei, kriegtest du die Kränke!44 (Verm. Ged. 1792, 1, 159), und Immermann schrieb 1839 in seinem Roman ,Münchhausen4 (4, 35 [60]): ,,ich wills euch allen zuvor thun, daß ihr Seelenverkäufer die Kränke vor Ärger kriegt44. Noch 1870 reimte W. Kreusler (,Lieder zu Schutz und Trutz4): Haut ihn, daß die Lappen fliegen! Daß sie All’ die Kränke kriegen In das klappernde Gebein. Einige mdal. Wndgn. haben übertr. Bdtg. angenommen, z.B. schles. ,Die Kränkt haben4, krank spielen und schwäb. .Der hat die Kränke4, er steckt voller Bosheit, was durch den Ausdr. ,Höllenkränke4 noch gesteigert werden kann. Lit.: Dt. Wb. V, Sp. 2029; Küpper I, S. 198. Kranz. Den Kranz erhalten (gewinnen): siegen, Ruhm erwerben, für seine Mühe und Leistung belohnt, auserwählt werden, eigentl. als Sieger im sportlichen Wettkampf, bei Turnieren oder auch beim Kranzsingen geehrt werden. Jem. den Kranz reichen: ihm den Sieg zusprechen, ihn belohnen, eine Liebeszusage geben, aber auch: sich selbst geschlagen erklären. Diese Mehrdeutigkeit der Rda. beruht auf verschiedenen Bräuchen, die sich z.T. bis zur Antike und ins MA. zurückverfolgen lassen. So war es bei Wettläufen üblich, daß der Unterlegene dem Sieger einen Kranz reichen mußte, womit er dessen Leistung anerkannte, sich selbst aber als Verlierer kundtat. Bei den ma. Turnieren wurde dem Sieger von einer vornehmen Dame des Hofes, von seiner Herrin, der er durch seinen Mut, seine Kraft und Tapferkeit gedient hatte, oder durch eine Jungfrau der grüne Kranz gereicht. Der Lorbeerkranz galt bereits in der Antike dem Dichter und Sänger als erstrebenswertes höchstes Ziel. Goethe schildert im ,Torquato Tasso4 (I, 3) die Bekränzung des Dichters, der soeben seinem Gönner ein gelungenes Werk überreicht hat. Als er bescheiden die ihm zu groß erscheinende Ehrung zurückweisen will, sagt ihm die Prinzessin: Jemand den Kranz reichen4 So lern1 auch diese Zweige tragen, die Das Schönste sind, was wir dir geben können. Wem einmal würdig sie das Haupt berührt, Dem schweben sie auf ewig um die Stirne. Sprw. geworden ist das Schillerzitat aus dem Prolog zu ,Wallensteins Lager4, wo festgestellt und bedauert wird: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze44. Seit dem MA. ist der Kranz aber auch als 535
Kranz Symbol der Gunst einer hochgestellten Dame und als Liebeszeichen bezeugt, vor allem durch zahlreiche Bildbelege. Das Volkslied bewahrt Erinnerungen an das Kranzsingen, das bereits zur Zeit Nithards zu Anfang des 13. Jh. beliebt war. Es steht in Zusammenhang mit den Rätselwettkämpfen. In einem Rätsellied (E. B. Nr. 1062), das im 16. und 17. Jh. bes. beliebt war, singen beim Reigen Gesellen verschiedener Handwerke um den Kranz der Jungfrauen, indem sie Rätselfragen lösen oder stellen. In Str. 16 und 17 wird geschildert, wie ein Bursche den Kranz gewinnt: Jungfrau, sagt mir zu dieser Frist, Welches die mittelst Blum im Kränzlein ist? Der Blumen aber gar viel seind, Die umher in dem Kränzlein stehnd. Da diese Frage nicht zu beantworten ist, weil der Kranz geschlossen ist und nicht Anfang und Ende und deshalb auch keine Mitte besitzt, gibt der Bursche seine überraschende Lösung: Ich hör ein großes Schweigen, Das Kränzlein will mir bleiben. So merkt mich, liebe Jungfrau mein: Ihr mögt wol die mittelst Blum im Kränzlein sein! Er versteht hier unter dem Kranz den Kreis der Tanzenden. Auch in vielen Mailiedern erscheint der Brauch, daß der auserwählte Bursche von seinem Mädchen den Kranz, der sie beim Tanz geschmückt hat, als Zeichen ihrer Zuneigung erhält. So heißt es z. B. in einem Schweiz. Lied (E. B. Nr. 967): Der Tanz, der Abedtanz! Mi Mitli treit e Chranz. (Str. 3) Den Chranz, den mueß i ha, Sus blib i en arme Ma. (Str. 4) Als ihm das Mädchen den Kranz überreicht hat, jubelt der Bursche in Str. 6: Juhê! nun e Chranz und ’s Meitle derzue: Juhê! was bin i e glückliche Bueb! Die Rda. einem ein Kränzlein auf le gen (aufsetzen): gehört deshalb in diesen Brauchzusammenhang. Sie bedeutet die allg. Ehrung eines Mannes, vor allem aber das Einverständnis der Geliebten, die Lie- beszusage oder sogar das Eheversprechen des Mädchens. Daß das Kranzaufsetzen tatsächlich einen rechtskräftigen Charakter hatte, ist durch den Brauch des Losbittens eines Verurteilten bezeugt. Der zum Tode Verurteilte oder auch ein Verbrecher, dem die Hand abgeschlagen werden sollte, konnte begnadigt und als straffrei entlassen werden, wenn ihn eine ehrbare Jungfrau vom Henker losbat und ihn zu ihrem Ehemann begehrte. Im Dt. Wb. der Brüder Grimm wird ein solcher Fall geschildert: Im 16. Jh. sollte einem Manne in Stralsund die rechte Hand abgeschlagen werden. Da trat ein Mädchen aus der Menge der Zuschauer und ,,settete em einen kranz up und dede ein erdfall vor den heren und wollt em los- bidden“. Das Kranzaufsetzen ist hierbei als Zeichen des öffentl. und rechtmäßigen Verlöbnisses zu verstehen. Die Rdaa. den Kranz verlieren und ums Kränzlein kommen sind metaphorische Umschreibungen für den Verlust der jungfräulichen Unschuld und Ehre. Bereits in Wittenweilers ,Ring' heißt es in übertr. Bdtg.: Minner werch schol sei nicht kiesen, Wil sei daz krentzel nicht Verliesen. Die Wndgn. beziehen sich auf das Hochzeitsbrauchtum. Nur die jungfräuliche Braut durfte den grünen Jungfernkranz aus Rosmarin, Myrten oder Rauten tragen. Er galt als Zeichen ihrer Ehre und Würde und war gewissermaßen der allen sichtbare äußere Nachweis ihrer Unschuld, ihrer Standhaftigkeit und ihres Sieges und Triumphes über die Versuchungen zur vorehelichen Geschlechtsverbindung. Das unrechtmäßige Tragen des grünen Kranzes bei der Trauung wurde von der Kirche als frevelhaft verfolgt. In der Ballade von der ,Rabenmutter* (E. B. Nr. 212b), einer Variante aus Schlesien, führt der Teufel selbst die Bestrafung durch. Auf den Vorwurf des geretteten ausgesetzten Kindes fragt die Braut: Wie kann ich deine Mutter sein? Ich trag ja von Raut ein Kränzelein. (Str. 9) Das Kind antwortet: Trägst du von Raut ein Kränzelein, Du kannst gar wohl meine Mutter sein: Du hast geboren drei Kindelein. (Str. 10) Als die Mutter sich verschwört, wird sie vom Teufel geholt: 536
Kraut Ja wenn das wirklich Wahrheit war, So wollt ich, daß der Teufel käm Und mir das grüne Kränzlein nahm! (Str. 13) Das Wort war kaum aus ihrem Mund, Der Teufel in der Thüre stund. (Str. 14) Der Kranz als Symbol der Reinheit diente auch zur Grabbeigabe jungfräulich Verstorbener, vgl. die poln. Wndg. ,mit dem Kranz sterben1, als Junggeselle begraben werden. Der Verlust des Kranzes wird von dem Mädchen im Volkslied häufig reuevoll beklagt, während der Bursch nur leichtfertig die verschlafene Ehre bezahlen will. In einem Lied aus dem Kuhländchen (E. B. Nr. 436b) erhält das Mädchen sogar den spöttischen Rat: Und ist dir hin dein Rautenkranz, Und den du thatst verlieren: Am Dienstag ziehn die Krämer ins Land, Schöns Lieb, kauf dir ein neuen! (Str. 4) Sie weiß jedoch, daß dies völlig nutzlos wäre: Was hilft mir denn der neue Kranz, Wenn ich ihn nicht darf tragen? Lit: HdA. V, Sp. 381 ff.. Art. ,Kranz1 v. Meschke; A. Walzer: Liebeskutsche, Reitersmann, Nikolaus und Kinderbringer (Stuttgart 1963), S. 11-16; Röhrich- Brednich: Dt. Volkslieder, Bd. 1 (Düsseldorf 1965), S. 55ff.; Bd. II (Düsseldorf 1967), S. 140f.; Dt. Volkslieder mit ihren Melodien, hg. v. Dt. Volksliedarchiv (Freiburg 1967), V, 2, S.263f. kratzen, Kratzfuß. Das kratzt mich nicht: es berührt, betrifft, stört mich nicht; ähnl. ,das juckt mich nicht\ ,das kann mich nicht kratzen? Sich gekratzt fühlen: sich geschmeichelt fühlen (vgl. ,sich gebauchpinselt fühlen4). Die Rdaa. sind in ganz Dtl. bekannt, reichen aber wohl kaum weiter als ins 19. Jh. zurück. Kratzen gehen: sich eilig davonmachen; gleichbedeutend die Kurve kratzen; i.S.v. .sich davonmachen4, ,sterben4 gebraucht man abkratzen. Vielleicht ist hier zunächst an das Pferd zu denken, das, wenn es sich schnell in Bewegung setzt, den Sand aufwirft, dann an das Auto, das beim raschen Anfahren Staub aufwirbelt und in der Kurve beim Schleudern Bäume oder Häu¬ ser zu streifen (kratzen) scheint. Eine heute nicht mehr geläufige Rda. verwendet Thomas Murner (,Narrenbeschwörung4 1,10; 58,11 u.ö.): ,,Vnd kratzen do mich nien- dert beisz44 i. S. v. durchprügeln. Kratzfuß (-fuße) machen: eine übertriebene Verbeugung machen, sich unterwürfig gegen jem. verhalten; der übertr. Sinn dieser Rda. beruht auf dem realen Vorgang einer früheren Höflichkeitsbezeigung, bei der ein Fuß nach hinten genommen wird und dabei den Boden streift. kraus. Ein Krauskopf sein, krause Reden führen: verworren und eigensinnig reden und denken, es geht kraus, wunderlich zu. Vgl. das Sprw. ,Krauses Haar, krauser Sinn!4 Schon in der Mitte des 14. Jh. lesen wir von Trusen Worten4 der Rabulisten, im Gegensatz zu »schlecht und recht4. Die Rda. Warte, Krause! meint wohl eigentl.: nimm dich in acht, du Krauskopf, dich will ich zur Vernunft bringen! Kraut. Ins Kraut schießen: rasch zunehmen; bes. von Schlechtem, Gefährlichem gesagt. Eine Pflanze, die ins Kraut schießt, vergeudet ihre ganze Kraft in den Blättern, verspricht keine gute Blüte, geschweige denn eine reiche Frucht. Durcheinander wie Kraut und Rüben sagt man zur Bez. einer argen Verwirrung. Es liegt nahe, dabei an ein gemischtes Gemüsegericht (,Mischmasch4) zu denken, wie in ähnl. Sinne auch der Pole sagt: ,groch z kapusta4 (,Erbsen und Kohl4). Kraut und Rüben werden aber kaum wirklich zusammen gegessen. Auch der alte Auszählreim (E. B. Ill, S. 598) Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, Sauerkraut und Rüben, die haben mich vertrieben. Hätf meine Mutter Fleisch gekocht, wär’ ich bei ihr geblieben meint zwei verschiedene Speisen, die freilich immer wiederkehren (vgl. ,Kohl und Rüben4). Man kann freilich auch an ein Durcheinanderwachsen von Kraut und Rüben auf dem Felde denken. Man hält sie ja auf dem Feld ebenso getrennt wie in der Küche. Dementspr. heißt es auch oft: ,es steht wie Kraut und Rüben4; vgl. schwäb. 537
Kraut ,Der ist so wenig wert wie die Rübe im Kraut". Ins Kraut hinein!: tapfer drauflos (so z.B. in Fischarts ,Gargantua" 43b). Raus aus dem Kraut!: Hinaus damit! Fort damit! Eigentl. Zuruf der Bauern an die unbefugten Eindringlinge im Krautfeld, dann verallgemeinert. Schwab. ,Kräutle zähle", das Wachstum in Feld und Garten besichtigen (vgl. frz. ,regarder Fherbe"). Ndd. ,Dat ess e Krock, dat wiss net in jidden gaden", das ist etw. Besonderes, etw. Seltenes. Das macht das Kraut (nordd. den /Kohl) nicht fett: das hilft nicht viel; schon im 17.Jh. gebräuchl. Zu einem Krautgemüse gehört ein fettes Stück Fleisch. Deshalb sagt in der mhd. Dichtung ,Seifried Helb- ling" (Ende des 13. Jh.) die Frau von einem schönen Stück Fleisch: Ez ist so smalzhaft, vier krüten gibt ez kraft. Schwab. ,Dem ist auch wieder eine Griebe ins Kraut gefallen", er ist sehr sparsam ; ,der muß ’s Kraut schmälze", er hat nicht genug; ,zu mager für das Kraut", zu arm für diese Heirat. Die Rda. findet sich gelegentl. auch in posit. Wndg.: ,Das Kraut fett machen", Wesentliches leisten, einer Sache die Krone aufsetzen, aber auch in iron. Bdtg.: das hat gerade noch gefehlt. Ums Kraut reden: das Essen tadeln; dann allgemeiner: Kritik an etw. üben, unzufrieden sein, z.B. bei Ringwald (,Lautere Wahrheit" 108): und redt umbs Kraut, wenn man nicht gibt, was ihm an Trank und Speis gebricht. Zu der ausgestorbenen Rda., Iß auch Kraut mitunter" (,wider die, so das Fleisch verschlingen, aber das Kraut verschmähen") erzählt Heinrich Bebel einen ätiologischen, allerdings sehr obszönen Schwank, der den angeblichen Urspr. dieser Rda. beschreibt (Heinrich Bebels Schwänke, hg. von Albert Wesselski, Bd.II, München u. Leipzig 1907, Nr. 135, S.61 u. 143). Das Kraut fertig machen: das Maß voll, den Becher überfließen machen. Daß z.B. ein Schuldenmacher noch Wechsel fälscht, ,macht das Kraut vollends fertig". Bair. ,’s beste Kraut derzue tue", nach Kräften alles dazu beitragen. Das Kraut verschütten: ,ins Fettnäpfchen treten", d.h. durch eine Un¬ vorsichtigkeit, eine unbedachte Äußerung o.ä. es bei jem. verdorben haben. Das Kraut versalzen: etw. verderben; oft auch als Drohung: ,Ich will dir das Kraut schon versalzen!" (z.B. bei Hans Sachs). Das Kraut ist angebrannt: die Sache ist verdorben, es hat einen Haken. Schwäb. ,Mach mir keine Würmer ins Kraut!", reiz mich nicht; Schweiz. ,einem ins Kraut scheißen", seine Pläne stören, Verdruß bereiten. Das Kraut einschneiden: die nötigen Vorbereitungen treffen. Zu Kraut hacken: einen verächtlich machen, übel von jem. reden (vgl. ,einen in die /Pfanne hauen"); dazu die Schweiz. Beteuerungsformel: ,Ich will mi lo z’Chrut un z’Fetze verschlo, wenn..."; ,sich selber Chrut ins Füdli hacke", Übles, das man andern zugedacht hat, an sich selbst erfahren. ,Das Kraut aus’m Arsche lesen", ein Schmeichler und Kriecher sein; ebenso ,einem Kraut um den Bart schmieren", schmeicheln (vgl. ,jem. /Honig um den Bart schmieren"; hier bedeutet Kraut soviel wie Mus. Einige Wndg. mit Kraut beziehen sich eigentl. auf das ,Unkraut", z.B. ein rechtes Krautsein: ein Taugenichts, lästiger, übermütiger Mensch sein; so auch in den Mdaa., z.B. schwäb. ,ein frühes (sauberes, schönes) Kräutle"; ,die zieht sich auch ein schöns Kräutle an dem Bube!"; obersächs. ,e schens (e lästig) Kraut"; ,dat ös e Kröck- che!\ ein Mädchen, das durch sein vorlautes Wesen auffällt; Schweiz. ,a schlechts (liederlichs, böses, süber) Chrütli"; .so einer muß still si, wo’s Füdle no so noh bi de Chrütere hed\ Abfertigung eines kleinen, naseweisen Menschen. ,Dich kann man ins Kraut setzen", als Vogelscheuche, so häßlich bist du. ,Herumkrautern" (bes. rhein.), langsam und mühsam arbeiten wie beim Ausreißen des Unkrauts. Wer mit der Arbeit nicht recht vorwärts kommt, ist ,ein (alter) Krauterer". In der Operette ,Der Vogelhändler" heißt es in einem Lied: Als mei Ahnerl siebzig Jahr Und a alter Krautrer war. ,Krauter" ist auch ein kleiner Unternehmer, ein unbedeutender Handwerksmeister. ,Krauter" nannten die Gesellen früher mitunter ihren Meister, weil er ihnen ,Kraut", d.h. Kost, gab. Kraut bedeutet darum vielfach auch etw. Geringes, Wertloses, Unbe¬ 538
Krebs deutendes (/Bohne); verstärkt: ,kaltes Kraut' (vgl. ,kalter /Kaffee'). Schweiz, (zur Verstärkung der Verneinung) ,Wir gend um niemand nit ein Kraut'; ,es schint wie Chrut und Bolle' (Zwiebel), es ist eitle Pracht und Hoffart; .einem verleidet sein wie chalts Chrut', wenn man etw. bis zum Ekel satt hat; ,sich kei chalts Chrut inbilde', sich nicht wenig einbilden; schwäb. ,Kei hundert Kraut is net hi', wenn etw. nicht sehr Wertvolles verlorenging, oder wenn ein Mensch sich in Gefahr begibt, um den es nicht schade ist: ,Für den ist kei hundert Kraut schad!' Auf Kraut im Sinne von .Heilkraut' beziehen sich folgende Rdaa.: Dagegen (oft: gegen den Tod) ist kein Kraut gewachsen: da ist nichts zu machen; da ist nicht mehr zu helfen; das ist ein hoffnungsloser Fall (schon bei Hans Sachs belegt); lux. ,1t ös kä Krockt für e gewuess', er wird sterben; ebenso ndl. ,Daar is geen kruid voor ge- wassen'. Die Wndg. ist offenbar eine Übers, entsprechender mlat. sprw. Rdaa., wie .Contra vim mortis non est medicamen in hortis'; vgl. aber auch schon Ovid (.Metamorphosen' I, 523): „nullis amor est sanabilis herbis" (Liebe ist durch kein Kraut zu heilen); vgl. engl. ,No herb will cure love'. Nur im Märchen gibt es ein .Kraut des ewigen Lebens' (vgl. KHM.44). Das müßte doch mit Kräutern zugehen: auf sonderbare Weise, nicht mit rechten Dingen; eigentl. mit Zauberkräutern; so 1555 in Jörg Wickrams Schwanksammlung .Rollwagenbüchlein': „Bei dem die Frau abnahm, daß es mit Kräutern zugangen war, wie man spricht"; heute noch mdal., z.B. obersächs. ,Do müßfs doch mit Krei- tern zugieh'. Er hat schon alle Kräuter als Tee getrunken: er hat alle Mittel angewandt, um seine Ziele zu erreichen (vgl. frz. .employer toutes les herbes de la Saint- Jean'). Über böse Kräuter gehen: Unglück haben (vgl. frz. ,11 a marché sur une mauvaise herbe' und ,Sur quelle herbe avez- vous marché?', was ist Ihnen über die Leber gelaufen?). Ein .Kräutchen' ist ein empfindsamer, empfindlicher, leicht verletzlicher Mensch, meist gesteigert als .Kräutchen Rührmichnichtan', was eigentl. der volkstüml. Name der Mimose ist, deren Blätter und Fieder¬ bällchen sich bei geringster Berührung schließen. In einer letzten Gruppe bedeutet Kraut Schießpulver, vor allem in der Zwillingsformel .Kraut und Lot' = Pulver und Blei: .Man hat es ihm mit Kraut und Lot gesegnet', er ist getroffen worden. Grimmelshausen (.Simplicissimus'I, 414): „daß er ihm mit Kraut und Loth zubringe"; P.Heyse (5,332): „Du verpuffst bloß das Kraut". Kraut in dieser Bdtg. ist abgeleitet von dem veralteten Verb .kruten' (gru- sen) = zermalmen, Kraut ist dann ein gepulverter Körper. Zu erwähnen sind ferner noch die folgenden Ausdrücke aus dem Rotw.: .Kraut', Flucht; .Krautsuppe', Fluchthilfsmittel; .Krautsuppe essen', flüchten; .Kraut bak- ken' (essen etc.), fliehen; .krauten' und .mitkrauten', fliehen. Krawatte. Einen hinter die Krawatte gießen: ein Glas Alkohol trinken; die Rda. ist eine Analogiebildung zu .einen hinter die /Binde gießen'. Im Rotw. heißt ein Wucherer Krawattenmacher, in gleicher Weise wird der Henker bez.; Krawatte steht hier euphemist. für .Strick'. Entspr. jem. an der Krawatte (beim Krawattl) nehmen (packen): ihn würgen. Lit.: E. Angstmann: Der Henker in der Volksmeinung (Bonn 1928), S.33. Krebs. Die Krebse füttern: seekrank sein; Krebse sieden: vor Scham feuerrot werden. Den Krebsgang gehen (oder nehmen): rückwärts gehen, einen Rückschritt machen, sich verschlechtern, herunterkommen. Schon die Römer sagten: .Transvor- sus non provorsus cedit, quasi cancer solet' = er geht schräg, nicht geradeaus, wie es der Krebs (vermeintlich) tut. Die Rda. ist schon dem späten MA. bekannt. Bei Abraham a Sancta Clara, Seb. Brant, bei Luther, Grimmelshausen usw. ist sie vielfach belegt, z.B. Luther: „Das gehet denn sehr fein für sich, wie der Krebsgang". 1639 auch bei Lehmann (S.858, ,Vorgang' 1 ): „Er gehet für sich, als wenn Krebs am Schlitten ziehen, wie die Hühner scharren, wie die Krebse kriechen, wie Bech von Händen, wenn man mit Katzen wolt Hasen fangen, es geht als hätt es das Podagram, 539
Kredit es geht als den Kindern, wenn sie aus Kartenblättern steinern Häuser bawen". Auch im Volkslied wird dieses Bild verwendet: „Und wenn du auch den Krebsgang gehst..." (E. B. II, Nr. 521,3). Scherzhaft auf das Sternbild des Krebses bezogen ist die Rda. in einem Soldatenlied von 1683, wo der besiegte Türke mit Blick auf den Mond als Sinnbild auf der Fahne klagt: Mein Mond, sonst toll, Wird nimmer voll, Im letzten Viertel stehet; Verkehrt sein Lauf, Nimmt ab, nit auf, Zurück im Krebsen gehet. Immer liegt hier die Vorstellung zugrunde, daß der Krebs sich nicht vorwärts, sondern rückwärts fortbewegt. Das Sprw. ,Den Krebs straft man nicht mit Ersäufen' bezieht sich auf den Inhalt der bekannten Schildbürgergeschichte. Jem. hat schwer zu krebsen: er hat Mühe, etw. Bestimmtes zustande zu bringen, um seinen Lebensunterhalt zu kämpfen; es ist nicht leicht zu entscheiden, ob dabei an den mühselig anmutenden Gang des Krebses gedacht wird oder an das beschwerliche Werk des Krebsefangens, wahrscheinl. ist letzteres das Ursprünglichere. Mit etw. krebsen gehen: durch Berufung auf eine Sache einen Vorteil für sich herauszuschlagen suchen, was ähnl. schwierig wie ,krebsen' (= Krebse fangen) ist. Kredit. Kredit bei jem. haben: gut angeschrieben sein, Vertrauen genießen; ent- spr. das Gegenteil: den Kredit verlieren. In Dtl. (im Gegensatz zu Frankr.) nicht mehr so bekannt ist die Rda. Kredit ist tot: es wird kein Kredit mehr eingeräumt. Wirtshausschilder und -Sprüche bringen noch heute gelegentlich die Anzeige vom Tod des Kredits, zuweilen sogar in der Form einer Todesanzeige. Verschiedene Bildfassungen stellen das Leichenbegängnis des Kredits dar. Diese scherzhaft-satirischen Darstellungen sind jedoch verhältnismäßig jungen Datums, weil sie den allg. Gebrauch ernsthafter Todesanzeigen voraussetzen. Rdaa. wie ,Der Herr Pump (Borg, Schenker) ist gestorben', ,der Onkel Schenker ist tot' und dgl. haben das Wort Kredit und die mit diesem Fremdwort gebildete Rda. zurückgedrängt, und auch das Sagwort ,Kredit ist mausetot, sagte der Fuchs, da wollte ihm der Bauer kein Huhn borgen' dürfte nur noch vereinzelt anzutreffen sein. Die Formel ,Kredit ist tot' tritt uns in Dtl. erstmals bei Abraham a Sancta Clara entgegen, dagegen ist das Wort,Credito' obd. 540
Kreide schon 1547 bezeugt und wird 1597 durch das aus dem Frz. entlehnte prédit* abgelöst. Die Scherzbilder vom Tod des Kredits in unseren heutigen Wirtschaften werden aber wahrscheinl. auf dt. Bildgedichte aus der ersten H. des 17. Jh. zurückgehen. Zuvor war dieses Motiv in Frankr. verbreitet, von wo uns mit dem neuzeitlichen Geldwesen sowohl das Wort Kredit (von credere) als auch das Bildgut überkommen ist. Bereits im 16. Jh. finden sich ital. Flugblätter, die neben bildl. Darstellungen auch Verse vom Tod des Kredits bieten; solche Bilderbogen dienten sicherlich als Wandschmuck in Geschäften. Auf der Abb. tritt Credenza (Kredit) als Persönlichkeit dramatisch auf. Schauplatz der Handlung ist der Laden eines wohlhabenden Stoffhändlers, auf dessen Ware Schubladen mit Knöpfen, Spitzen, Atlas, Brokat, Seiden- und Taffetstoffen, mit Leinwand, Netzen und Garn verweisen. Hinter dem mit Stoffstücken und Stoffrollen belegten Verkaufstisch stehen die Kaufherren, vermutl. Vater und Sohn, denen sich von rechts entblößten Hauptes der Kauflustige naht und Kredit haben will. Zwei weithin sichtbare Inschriften über den Schubladen und an dem Verkaufstisch geben diesem Ansinnen die grundsätzliche Antwort: Chi da in credenza spaza robba assai Perde gli amici e denar non ha mai. Das ist der gleiche Spruch, der auch heute noch, gedruckt und handschriftlich, in vielen dt. Geschäften, bes. in Fleischerläden, in mannigfachen Abweichungen der Textgestaltung hängt: ,Kredit ist tot‘ Das Borgen ist ein schlecht Geschäft, Das hab ich oft empfunden. Zuerst wirst du die Ware los Und hinterher die Kunden. Links von der Hauptszene spielt sich das traurige Schicksal der Credenza ab, das eine kurze Inschrift in einer Kartusche umschreibt: Credenza e morta / il mal pagare Fvcise. Darunter sieht man im Bild die auf dem Boden liegende Credenza, die der schlechte Zahler an den Haaren festhält, um ihr mit einem Schwert den Kopf abzuschlagen. Dieses Blatt gehört zu den Klagegedichten (lamenti), die von Italien aus in Flugblattform über ganz Westeuropa wanderten und sich bis heute in zahllosen Abwandlungen größter Beliebtheit erfreuen. Im 17. Jh. wird auch in Dtl. und Frankr. das Motiv vom Tod des Kredits allg. Die Stelle der ital. Credenza vertritt jetzt der männliche Kredit (le crédit). Die erweiterte Fassung ,Crédit est mort, les mauvais payeurs Font tué‘ dürfte erst durch die Bilderbogendarstellungen zur geflügelten Redewendunggeworden sein. Die Blütezeit des Schlagwortes vom Tod des Kredits war wohl das 17. und 18.Jh., wo sich dieses Motiv bis zu Theaterstücken auswuchs. Bes. interessant ist das wechselnde Zeitgewand des Motivs und sein Wandern durch die verschiedenen Gesellschaftsschichten. Lit.: A. Spanier: Kredit ist tot. Zur Gesch. eines volkstümlichen Scherzbildes, in: Volkskundl. Gaben, John Meier zum 70. Geburtstag dargebracht (Berlin u. Leipzig 1934), S.223ff. Kreide. Mit Kreidestrichen auf einer schwarzen Tafel werden z.T. noch heute im Wirtshaus die Schulden der Zecher notiert, daher in der Kreide stehen: Schulden haben, in die Kreide kommen (geraten): zum Schuldner werden; davon abgeleitet in übertr. Sinne: jem. etw. ankreiden: jem. etw. nachtragen, d.h. wie eine Zechschuld aufschreiben, damit sie nicht vergessen wird. Schon in einem Lied aus dem 15.Jh. heißt es: ,,Er (der Wirt) nem die kreiden in die hand und schreib die Orten (Zeche) an". Zu Beginn des 16. Jh. schreibt Ludwig Hätzer: 541
Kreis ... Der dennocht niemand zalen wil, Der richts als auß mit Kreiden. Auf Kreide (eben: von Kredit leben; Kreide haben: Kredit haben. Scherzhaft verwendet die Rda. Viktor v. Scheffel 1854 in seinem Gaudeamuslied ,Der Ichthyosaurus' vom Übergang aus der Lias- in die Kreideformation: Die (die Saurier) kamen zu tief in die Kreide, da war es natürlich vorbei (d. h. sie starben aus). Mit doppelter Kreide schreiben: Zechschul- den doppelt buchen, unlautere Preise verlangen, betrügen; zunächst vom Wirt gesagt, der einem Gast eine zu hohe Rechnung ausstellte, indem er dem Kreidestück zwei Spitzen gab und statt eines Striches zwei machte; leicht konnte er auch, solange man röm. Zahlen schrieb, eine II in eine III abändern oder aus einer V (5) eine X (10) machen (vgl. ,ein /X für ein U vormachen'). Bei Hans Sachs heißt es (,Der gute und der böse Wirt' 26): Nichts ist da wolfeil, dan ir kreiden: Darmit sinds gar fertiger hand, Schreyben für zwe drey an die Wand. In der Minne-Allegorie ,Meister Altswert' (um 1380) finden sich die Worte (248,4): Nit schrîb mit zwîfalt kriden, Sag mir die Wahrheit ganz! Vgl. ndl. ,met dubbel krijt schrijven', ,bij iemand in het krijt staan'. Kreis. Ein Ereignis zieht (immer weitere) Kreise: es erlangt über den Ort des Geschehens hinaus Bdtg. Das der Rda. zugrunde liegende Bild ist dies, daß ein ins Wasser geworfener Stein Wellen erzeugt, die sich konzentrisch ausbreiten. In dem Werk ,Idea de un principe politico Christiano' (1659) von Diego de Saavedra Fajardo findet sich eine Abb., die dieses Sinnbild verdeutlicht. Von gesellschaftlichen Gruppen spricht man als von ,Kreisen' (z. B. von feinen, intellektuellen, politischen usw., aber auch von armen, niedrig gestellten Kreisen, meist jedoch in Wortverknüpfungen wie z. B. in Wirtschafts-, Fach-, Finanzkreisen usw.). In der Regel sind es sozial gehobene Schichten, die so bez. werden; so bezieht sich etwa die wien. Rda. ,z’ Kroas (Kreis) ,Immer weitere Kreise ziehen' renna', den Hof machen eben auf höfische Kreise (Hofkreise). Die Worte ,,Störe meine Kreise nicht" (Noli turbare circulos meos) schreibt man Archimedes zu, der sie einem röm. Soldaten zugerufen haben soll, welcher im Jahre 212 v.Chr. bei der Eroberung von Syrakus in seinen Garten eindrang, wo der Mathematiker gerade damit beschäftigt war, Figuren in den Sand zu zeichnen. Kren (Meerrettich) ist eine bes. in Oesterr. beliebte Speisezutat. Seinen Kren zu etw. (zu allem) geben: sich in etw. ungebeten einmischen, zu etw. überflüssigerweise seine Meinung äußern; ähnl. in alles seinen Kren reiben. Diese regional begrenzten Rdaa. entsprechen dem sonst geläufigeren ,seinen /Senf zu etw. (zu allem) geben'. Mdal. Wndgn. sind ,en Kren machen', Umstände machen und die in Wien häufig zu hörende Feststellung ,Der gibt sich an Kren', der macht sich (aber) wichtig. Krethi und Plethi. Es ist Kretlii und Plethi beisammen (geladen): eine bunt zusammengewürfelte Volksmenge, Leute verschiedenen Standes, heute meist in sozial abwertendem, verächtlichem Sinne: allerlei Gesindel, Pöbel. Noch ohne abschätzi- 542
Kreuz gen Sinn begegnet die Wndg. zuerst im A.T. (2. Sam. 8,18) und ist durch Luthers Bibelübers. bekannt geworden. Es handelt sich urspr. sogar um die Elitetruppe des Königs David, die in den Berichten von seiner Thronnachfolge mehrfach genannt wird (2. Sam. 15,18; 20,7; 1. Kön. 1,38; 1,44). Da der Führer der Krether und Ple- ther, Benaja (2.Sam. 8,18; 20,23; l.Chron. 18,17), auch als Anführer der Leibwache Davids genannt wird (2.Sam. 23,23), kann man die Krether und Plether mit dieser Leibwache gleichsetzen. Man hielt bisher die beiden Wörter für Namen verschiedener Volksstämme und glaubte, daß ,Krethi4 die Bez. der Südphilister und ,Plethi4 die der Nordphilister gewesen sei. Aus dieser allg. Anschauung erklärt sich die heutige Bdtg. der Rda., die ein Völkergemisch, eine Volksmenge niederer Schichten oder aus mehreren Ländern Zusammengewürfelte meint, denen man alles mögliche zutraut. Diese bisherige Erklärung der fremd anmutenden Wörter als Stammesnamen ist jedoch unhaltbar. Vermuth deuten die Wörter auf die Funktionen der Männer in der Umgebung König Davids, der sich seine Leibwache kaum aus Fremdlingen zusammengestellt haben wird. Im Hebr. bedeutet .krethi4 nämlich ausrotten, töten und ,plethi4 entfliehen, forteilen. Die Krethi und Plethi waren demnach urspr. die Scharfrichter und Eilboten des Königs, die Todesurteile zu vollstrecken (l.Kön. 2,34) und königliche Befehle und Briefe an entfernte Orte zu bringen hatten (vgl. 2.Chron. 30,6). Als solche Helfer des Königs, die seine Macht festigten, wurden sie gefürchtet und gemieden und wohl als Boten auch als Fremdlinge verachtet, so daß eine Bedeutungsverschlechterung der Bez. für sie eintrat. Seit wann die Wndg. im heutigen Sinne rdal. gebraucht wird, ist jedoch nicht mit Sicherheit festzustellen. Lit.: Büchmann, S. 24; R.Bach in: RGG3 IV (1960), Sp.43. Kreuz. Das Wort Kreuz wird in vielen Rdaa. und in den verschiedensten Bedeutungsgehalten gebraucht. Sein Kreuz, tragen, sein Kreuz auf sich nehmen: seine Last, sein Leiden geduldig tra¬ gen. Der rdal. Gebrauch dieser Wndgn. geht auf Matth. 10,38, Luk. 14,27 und andere Stellen zurück: ,,Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“. An der allg. Verbreitung des Wortes war Joh. Schefflers (1624-77) Kirchenlied ,,Mir nach, spricht Christus, unser Held“ weitgehend mitbeteiligt. Aber schon mhd. seit dem 13. Jh. erlangt Kreuz die iibertr. Bdtg. Leid, Trübsal, z. B. bei Rud. von Ems (,Barlaam und Josaphat1 96,27): ,,du soit din kriuze han enbor als es dir treit dein schepher vor“. Die Rda. verliert jedoch immer mehr ihre urspr. Bdtg. des von Gott geschickten Leidens. Kreuz wird allg. zum Ausdr. für Ärger, Sorgen, Plagen; z. B. bei Geiler von Kaisersberg (,Irrig Schaf 4,65a): ,,solliche gedenk bringent inen keinen lust, sondern sind inen ein kreuz“. Luther setzt deutlich wörtl. und iibertr. Bdtg. voneinander ab: ,,darumb thun uns geringer Kreutze mehr wehe denn Christus Kreutze“. Sehr verbreitet (auch in allen Mdaa.) ist die Rda. sein Kreuz haben: seine Not, seine Sorgen haben. Jeder hat sein Kreuz: mit diesen Worten tröstet man einen in Not Geratenen, d.h. jeder hat seine Sorgen, nicht nur du (vgl. engl. ,each cross has its inscription4; frz. ,chacun porte sa croix4; ndl. ,elk draagt zijn kruis op de wereld4; ital. ,ognun porta la sua croce4). Schon bei den Römern bedeutete ,crux4 = Plage, Unglück. So auch heute oft noch umg. gebräuchl.: ,Es ist eine crux mit ihm4, ,es ist ein Kreuz mit ihm4, jem. bereitet einem Schwierigkeiten, es ist eine dauernde Not mit ihm, man hat mit ihm ständig eine Last. Sich ein Kreuz auf den Hals laden: sich selbst Unannehmlichkeiten verschaffen. Dementspr. nennt man in der Volkssprache die Ehe häufig auch ,ein Kreuz4 bzw. ,das Ehekreuz4; dies findet sich auch in Rdaa., z. B. bair. ,er ist Kreuzträger geworden4, er hat geheiratet. Grimmelshausen (,Simplicissimus4 II, 395): ,,nachdem ich und mein weib ihnen nun mit dieser feinen manier ins creutz geholfen44. Zu erwähnen ist auch die häufige Verwendung des Wortes Kreuz in Ausrufen und Flüchen, z. B. ,Kreuz Bomben-Element nochmal!4, ,Kreuzhimmelbombendonnerwetter!4, ,Kreuzhimmelherrgott!4, ,Kreuz¬ 543
Kriegen millionendonnerwetter!4, ,kreuzsakra!\ .Kreuzschwerenot!1; obersächs. ,Ei Kreiz!4; ferner Kreuz als Verstärkung in Ausdrük- ken wie: .kreuzbrav4, ,kreuzehrlich4, .kreuzunglücklich4, .kreuzfidel4, .kreuzelend4. Zn Kreuze kriechen: nachgeben, sich demütigen. Die Kirche des MA. richtete es als eine Form strenger Buße ein, am Gründonnerstag oder Karfreitag kniend an das Kruzifix hinzukriechen. Der Brauch ist in England seit 1200 nachweisbar (engl, .creep to cross on Good Friday4); vgl. Zs. f. dt. Wortf. XII, 21 Off. 1588 schreibt Joh. Fischart im .Bienenkorb4 (195b): „(Maria hat) befohlen, daß man auff den Karfrey- tag... das Creutz stattlich und andächtig, auff der Erden, auff bloßen Knien herzu kriechend, solle anbeten44. Bereits in übertr. Sinne z.B. bei Luther: „Zu Augsburg mußte ich mich demütigen, da mei- nete der Cardinal, ich kröche zu Creutze (mit Widerrufen), und rief schon io Triumph44. Auch bei Oldecop (S.252): „to dem Crutze krupen“. In Schillers .Räubern4 (11,3) kündigt der Pater dem Räuber Moor an: „Höre dann, wie gütig, wie langmütig das Gericht mit dir Bösewicht verfährt: wirst du itzt gleich zum Kreuz kriechen und um Gnade und Schonung flehen, siehe, so wird dir die Strenge selbst Erbarmen, die Gerechtigkeit eine liebende Mutter sein44. Im Falle dieser Rda. ging die ur- spr. Bdtg. der Bußvorschrift völlig verloren und nur die erstarrte übertr. Wndg. blieb. Das Kreuz über etw. schlagen, eigentl.: sich mit dem Zeichen des Kreuzes segnen, daß man vor Schlimmem bewahrt geblieben oder es losgeworden ist; auch drei Kreuze hinter jem. machen: froh sein, daß er weggegangen ist. Schon im großen .Wolfdietrich4, 15. Jh. (1167,3): „da sprang sie von dem Bette ... eines Zaubers sie begann wie balde Wolfdietrich das Kriuz dagegen schreib44. Abweichend z.B. in den Mdaa.: rhein. .schlag mer es Kreuz druever4, die unangenehme Sache ist erledigt, aber auch: gib die Hoffnung auf; schlesw.-holst. ,e kruz vor em make4, er wird bald sterben; ,ik heft mich krüzt und segent4, ich bin in großer Verwunderung; obersächs. .sich kreuzigen4, sich verwundern; eis. ,es Krutz vor einem machen4, ihn verabscheuen. In vielen mdal. Wndgn. beliebt ist der Vergleich mit Christus am Kreuz, wenn man die Armseligkeit oder das schlechte Aussehen einer Person zum Ausdr. bringen will, z. B. rhein. ,He suht ut wie uesen Herrgott aje Kreiz4, er sieht armselig, bedürftig aus; ebenso schwäb. .aussehen wie der Heiland am Kreuz4. Kreuz i.S.v. Rückenkreuz ist gemeint in den Redewndgn. aufs Kreuz fallen: auf den Rücken fallen; Chr. Weise (.Isaaks Opferung4 3,11): „wie bin ich auf mein Kreuze gefallen“; Goethe: „oh weh, oh weh, nun ists vorbei, die Last bricht mir das Kreuz entzwei“. Es im Kreuz haben: Rückenschmerzen haben, Ischias haben etc.; einen Stecken im Kreuz haben: sich übertrieben gerade halten. Jem. aufs Kreuz legen: ihn zu Boden werfen, bezwingen. Die Wndg. leitet sich vom Ringkampf her, wo der Ringer seinen Gegner so zu Boden zu werfen sucht, daß beide Schulterblätter gleichzeitig den Boden berühren; rhein. ,jem. das Kreuz aushenken, brechen4, ihm eine tüchtige Tracht Prügel verpassen; ,er hat enen am Kreuz4, er ist betrunken; schwäb. ,ebes aus em Kreuz habe4, etw. los sein, von einer unangenehmen Sache befreit sein; fränk. sagt man von einer Sache, für die man sich nicht anzustrengen gewillt ist: .Dafür beiße ich mir kein Kreuz in den Arsch4. kriegen. Das werden wir schon (hin-)kriegen: das werden wir geschickt bewerkstelligen, diese Sache werden wir erledigen. Zuviel kriegen: sich sehr auf regen, die Beherrschung verlieren; einer Sache überdrüssig werden. Es mit jem. zu tun kriegen: mit jem. Schwierigkeiten bekommen, Zusammenstößen. Ein paar kriegen: Schläge, Prügel beziehen; sich kriegen: ein Paar werden. Kriegen Sie das öfter?: Haben Sie solche Anfälle von Dummheit öfter? Alle genannten Rdaa. sind ziemlich jung (Küpper I, S. 200). Kriegsbeil. Das Kriegsbeil (seltener: ,die Streitaxt4) begraben (vergraben): Frieden schließen, Streitigkeiten beenden. Das Kriegsbeil war unter der Bez. .Tomahawk4 eine Nahkampf- und auch Wurfwaffe der nordamer. Indianer (engl. ,to burry the to¬ 544
Krokodilstränen mahawk'), bekannt geworden durch die Lederstrumpferzählungen von J.F. Cooper. Zum Zeichen dafür, daß ein Krieg beendet war, begrub man das Kriegsbeil. Die übertr. Bdtg. schließt sich also an einen realen Vorgang an. Die Rda. ist schon bei dem Grafen Friedrich Leopold v. Stolberg (1750-1819) bezeugt, ebenso wie die umgekehrte Rda. das Kriegsbeil ausgraben: einen Krieg oder einen Streit erneut beginnen. Kriegsbemalung, ln voller Kriegsbemalung: mit allen Orden angetan, geschminkt. Die Rda. beruht auf der Sitte der Eingeborenen und Indianer, sich vor Beginn des Kampfes Gesicht und Brust zu bemalen; vgl. engl. ,war-paint\ Die iron. Verwendung entstammt wohl erst dem 20.Jh. Kriegskasse. Der trägt die Kriegskasse auf dem Rücken weg: der hat einen Buckel. Die Rda. ist wohl von Berlin ausgegangen; danach bedeutet obersächs. ,Kriegskasse1 Buckel. Kringel. Sich einen Kringel lachen: laut lachen, herzlich lachen. Kringel ist ein ringförmiges Gebäck; der Lachende biegt sich wie ein Kringel; vgl. ,sich einen /Ast lachen1. Den letzten Kringel scheißen: sterben, /zeitlich. Krippe. An der Krippe stehen (sitzen): gut zu leben haben, bes. von Beamten gesagt, denen das Gehalt wichtiger ist als die zu leistende Arbeit; daher auch ,Futterkrippe1 für eine einträgliche und gesicherte Stellung. Einem die Krippe ausstreichen: (bes. erzgeb.) ihn um seinen Vorteil bringen; wie man es bei einem Pferd zu tun pflegt, wenn es nicht weiterfressen soll. Ein Krippenreiter sein: ein umherschmarotzender Adliger (Junker) sein, der von Flof zu Hof, von Krippe zu Krippe reitet und sich überall als Gast gut versorgen läßt, der aber selbst keinen Besitz hat und die erwiesene Gastfreundschaft nicht erwidern kann. Der Ausdr. hat sich seit dem Dreißigjährigen Kriege verbreitet und ist bes. in Ostdtl. häufig. Bei Schickfuß heißt es 1625 in der ,Schles. Chronica1 (4,39): „Krippenreiter. Stänker und Knoblauchsgäste/ Schiller verwendet den Ausdr. in seiner ,TurandoF (2,1): Und mancher jüngre Sohn und Krippenreiter, Der alle seine Staaten mit sich führt Im Mantelsack, lebt bloß vom Körbeholen. Krips. Jem. beim Krips holen (kriegen, nehmen, packen): ihn am Hals greifen, ergreifen, dingfest machen. Hergenommen von ,Grieps' = Kerngehäuse; auf den Kehlkopf übertr., weil nach volkstümlicher Deutung Adam das Kerngehäuse (,Adamsapfel') des ihm von Eva gereichten Apfels im Kehlkopf steckenblieb (Küpper I, S. 200). Lit.: L. Röhrich: Adam und Eva (Stuttgart 1968), S. 59. Krokodilstränen. Krokodilstränen weinen (vergießen): Rührung Vortäuschen, erheuchelte Tränen vergießen. Die Rda. beruht auf der seit dem MA. weitverbreiteten und in Sagen geäußerten Meinung, wonach das Krokodil wie ein Kind weint und damit Menschen anlockt, um sie zu verschlingen. Die Sage ist von den Harpyien, räuberischen Wesen aus der griech. Mythologie, auf das Krokodil übertr. und wohl in den Zeiten der Kreuzzüge, wo derartige Wundererzählungen vielfach verbreitet wurden, in weitere Kreise getragen worden. Dieselbe Bdtg. haben die Megarertränen, von denen Herodot (VI,58) spricht. Das Sinnbild vom tränenvergießenden Krokodil erscheint schon in dem um 1210 verfaßten ,Bestiaire Divin de Guillaume' und ist später immer wieder lit. bezeugt, so in Rollenhagens ,Froschmeuseler‘ (159): Wie der Krokodil weinet, Wenn er einen zu fressen meint. Aus der listigen Träne ist schon bei Luther die heuchlerische geworden, ebenso bei Leonh. Thurneysser 1583 (,Onomasticon polyglosson', S. 106): „... wann der Croco- dil einen Menschen fressen will, weint er vorhin: also begint man auch von etlichen Leuten Crocodillen Threnen oder Zehren zu spüren, die einem gute wort geben, als ob sie mitleiden mit jhm haben, aber darnach (wann sie jhm die Zung aus dem Hals mit jhren gleißnerischen Worten gezogen) einen verrahten und verkauften“. Gehäuft 545
Krone in einem alten volkstümlichen Zwiegespräch zwischen Tilly, dem Feldherrn der Kath. Liga im Dreißigjährigen Krieg, und der 1631 von ihm erstürmten Stadt Magdeburg: Juw (,Eure4) Crocodillen Thränen, Juw söte Sinons Wort, Juw Judaskuß und Stehnen Wird b’kannt werden hier und dort. Auch die Emblematiker haben sich des Bildes vom weinenden Krokodil angenommen; so hat es Joachim Carnarius 1604 in seinem Buch ,Symbolorum et emblematum ex aquatilibus et reptilibus desumptorum centuria quarta1 (Nr. 67) als Sinnbild heuchlerischer Freundschaft dargestellt. Im ,Mariamne4-Trauerspiel des Barockdramatikers Johann Christian Hallmann tritt zu dem verzweifelten König Herodes, der seine Verbrechen unter Tränen beklagt und bereut, der Geist der Mariamne, die er enthaupten ließ, und spricht: Verbluehme wie du wilt das Mord-Beil unsrer Glieder; Bau Thuerm auff unser Grab; stimm’ an die Todten Lieder; Doch hilft/du Crocodil/dich nichts diss falsche Leid. Dir wird Gewissens-Angst und Schimpff und Spott bereit! Der Ausdr. Krokodilstränen ist auch in außerdt. Sprachen bekannt (ndl. ,Kroko- dilletranen4; engl. ,crocodile tears4; frz. ,larmes de crocodile4). Li*.: Le Bestiaire. Das Thierbuch des normann. Dichters Guillaume le Clerc, hg. v. R. Reinsch (Leipzig 1892), Altfrz. Bibi. 14, S. 294L, V. 1651-1670. K. Schmidt-Nielsen u. R. Fange: Salt Glands in Marine Reptiles, in: Nature. A Weekly Journal of Science, Vol. 182, S. 783-785, Sept., 20 (1958); A. Schoene: Emble- matik und Drama im Zeitalter des Barock (München 1964), S. 69ff. Krone. Das setzt der Sache die Krone auf: das ist die Höhe, der Gipfel einer Sache (Frechheit, Gemeinheit), das ist das letzte, was geschehen konnte, was geduldet werden darf. Die Wndg. begegnet im ahnl. Sinne bereits im Griech. ,xopu>vr|v stutiüc- vca‘ = den Schluß machen, ist aber im Dt. als Rda. erst seit dem 18. Jh. bezeugt. Die dt. Rda. konnte auch aus der Sprache der Bauleute und Zimmerer stammen, die eine Krone als ,Richtkrone4 und höchsten Schmuck auf den Dachfirst des Hauses setzen, wenn der Rohbau beendet worden ist und dies gefeiert werden soll. Die Wndg. erscheint auch häufig parodiert durch die Verknüpfung mit den Rdaa. ,Das schlägt dem /Faß den Boden aus4 und ,Das ist ein /Schlag (mitten) ins Gesicht4, woraus sich die Rda.-Mischung Das schlägt dem Faß die Krone (mitten) ins Gesicht gebildet hat, die häufig als Ausruf der Überraschung und Empörung zu hören ist. Die berl. Rda. ,Das ist die Krone von’s Janze4, das ist der Höhepunkt, kann auch im positiven Sinne gebraucht werden. Die Rda. jem. die Krone abnehmen (rauben) geht vielleicht auf die Bibelstelle bei Hiob (19,9) zurück, wo es heißt: „Er (Gott) hat meine Ehre mir ausgezogen und die Krone von meinem Haupt genommen44. Die Wndg. hat also den Sinn: jem. seines Ansehens, seiner Stellung berauben, ihn demütigen. Das bricht dir keine(n) Zacke(n) aus der Krone: damit vergibst du dir nichts, das ist nicht unter deiner Würde; auch in imperativischer Form : Brich dir nur keinen Zacken aus der Krone! Daraus entstanden die Verkürzungen: ,Brich dir nur ja keinen Zacken ab4 und,Brich dir keinen (nichts) ab!4 Diese Rda. mutet alt an, ist es aber ebensowenig wie die Wndg. Da fällt dir keine Perle (kein Stein) aus der Krone. Die Herleitung von der mit Perlen geschmückten Brautkrone, bei der das Herausfallen einer Perle ein böses Vorzeichen gewesen wäre, erscheint zweifelhaft; sie kann zumindest nicht lit. gestützt werden. 546
Krumm Er ist wie die Perle in der Krone: er hat eine bevorzugte Stellung. In manchen Wndgn. steht Krone auch für ,Kopf4: Es ist ihm etw. in die Krone gefahren: das ärgert ihn, das hat er übelgenommen, aber auch: er ist von Sinnen, das hat ihn verwirrt. Jem. ist etw. in die Krone gestiegen: er bildet sich etw. darauf ein; er hat etw. zuviel (auch: einen) in der Krone: er ist betrunken, oft heißt es dafür auch einfach: Er hat eine Krone. Sich in die Krone legen: sich lebhaft verteidigen. Lit.: L. Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967), S. 198. Krug. Zu tief in den Krug gesehen haben: betrunken sein; den Krug immer am Munde haben: immer durstig sein, /trinken. Einem auf den Krug klopfen: ihn prüfen, vgl. ,einem auf den /Zahn fühlen4. Krüge und Hafen brechen: sich unbeherrscht zeigen, ,einander mit gleicher /Münze heimzahlen4. Seb. Brant schreibt über das schlechte Beispiel der Eltern (,Narrenschiff4, 49): So werdent kynd den eitern glich Wo man vor jnn nit schämet sich Und krueg vor jnn/vnd haefen bricht. In einem ma. Fastnachtsspiel (Zingerle, 85) heißt es: ,,Dann ikliches hab am andern genüg, wenn prech ich hafen, so prechst du krüg“. Ohne Krug zum Brunnen gehen: ohne die nötige Ausrüstung sein, einen erfolglosen Gang unternehmen. Das Sprw. ,Der Krug geht so lange zum Brunnen (Bach, Wasser), bis er bricht4, alles geht einmal zu Ende, jedes Unrecht wird schließlich doch einmal bestraft, ist in vielen Sprachen bekannt und bereits bei Seb. ,Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er brichU ,Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht' Franck in seinen Sprichwörtern4 (I, 76b) verzeichnet. Je nach Anwendung bedeutet es eine direkte Warnung, sich nicht zu sicher zu fühlen, oder es drückt die beruhigende Gewißheit Unbeteiligter aus, daß etw. nicht auf die Dauer gutgehen kann, daß ein plötzlicher Wandel eintreten muß, wenn der rechte Zeitpunkt gekommen ist. krumm. Etw. krumm nehmen: etw. übelnehmen; krumm steht hier in den Bdtgn. böse, schlimm, ungünstig, verdreht, verkehrt. So schon bei Luther: ,,Wer weiß, warumb unser Sachen so krumb gehen44, d.h. so schiefgehen. Noch ganz im wörtl. Sinn 1785 in Ifflands ,Jagern4 (1,1 ), wo Rudolf zu dem abgehenden Matthes sagt: ,,Hör er - das muß ich ihm noch sagen - nehm er’s krumm oder gerade44. Man spricht auch von einer krummen Sache: einer bedenklichen, unredlichen Angelegenheit, von einer krummen Tour: von unredlicher Art und Weise, die Schleichwege oder sittlich bedenkliche Umwege verfolgt. Sich krumm und bucklig lachen: heftig lachen, denn bei heftigem Lachen krümmt man sich /Ast, /Buckel, /Kringel. Sich krumm legen (müssen): sich ein- schränken, auch: schwer arbeiten müssen, ist eine umg. Parallelbildung zu der Rda. ,sich nach der /Decke strecken4; sich krummachen: sich demütigen. 547
Krümmen Krtimmliegen ist stud, seit 1745 in der Bdtg. ohne Geld sein bezeugt. Die Wndg. könnte auf den in Schuldhaft ,krumm geschlossenen1 Häftling zurückgehen. Sie ist heute auch mdal. in der Bdtg. ,in Schulden stecken\ ,Not leiden1 bezeugt, z. B. ober- sächs. krümmen. Sich krümmen (müssen): starke Schmerzen haben, heftig lachen müssen, aber auch: sich sehr anstrengen, hart arbeiten, sich unterwürfig und diensteifrig zeigen müssen. Die Rda. ist vielleicht als Verkürzung aus dem Sprw. ,Man muß sich krümmen, wenn man durch die Welt kommen will4 hervorgegangen, das auch mehrmals bildl. dargestellt worden ist. Es erscheint z.B. auch auf Pieter Bruegels Rdaa.-Bild und auf Miserikordiendarstel- lungen des 16.Jh. Vgl. auch die ndl. Sprw.-Fassung: ,Ick moet krommen, sou ick door de werelt commen4. ,Man muß sich krümmen, wenn man durch die Welt kommen will* Sich vor jem. krümmen: ein Speichellecker sein, sich demütigen. Verschiedene rdal. Vergleiche charakterisieren dieses verächtliche kriecherische Verhalten eines Menschen, der als Bittsteller, Lakai, Untertan auftritt noch treffender: Er krümmt sich wie eine Bratwurst auf dem Rost, wie ein Ohrwurm, wie ein Sackpfeifer. Krummstab /Stab. Küche. Die Küche steht pars pro toto für das Haus und seine Bewohner. In seiner Küche raucht es immer sagt man von jem., dem es materiell gut geht. In Grimmelshausens ,Simplicissimus4 heißt es sprw.: ,,Einen Haufen Freunde hat man, solange die Küche raucht". Dagegen meint die Wndg. Es raucht in der Küche: im Hause herrscht Streit; ähnl. Der hat Qualm in der Küche: er hat Streit mit seiner Ehefrau. Das bringt was in die Küche: das ist ein einträgliches Geschäft; das paßt in seine Küche: das ist ihm recht, das kommt ihm gelegen. Neben Murner (,Narrenbeschwörung4 45,64) kennt auch Fischart (III, 196) diese Rda., die er ins Negative gewendet braucht: ,,die dir nicht dienen in dein Kuchen". Die Küche gehört ihm zwar, aber ein anderer kocht darin ist eine euphemist. Umschreibung für den Ehebruch der Frau. Sehr verbreitet ist die Rda. in des Teufels (auch in Henkers) Küche kommen: in mißliche Lage geraten. Dieser Ausdr. beruht auf dèr Vorstellung, ,,dasz . . . die teu- fel . . . ausz höll und fegfeuer ein küchin gebauet haben, darinn sie ir seelen nach irem willen sieden, backen und braten44 (Fischart, 1588). Burkard Waldis benutzt die Rda. in der Fabelsammlung ,Esopus4 1548 (4, 12): Begab sich, das derselbig gsell gschlagen ward und kam in die hell, ins teufels kuchen. Vgl. auch das Schimpfwort Teufelsbraten für einen bösen Menschen, /Teufel. Küchendragoner /Dragoner. Einen Küchenfreund nannte man urspr. einen Topfgucker, später bezeichnete man damit einen Schmarotzer. Ein Küchenleben führen: in Gefahr sein. Den Begriff ,Küchenleben4, der schwäb. noch heute gebräuchl. ist, finden wir schon bei Hans Sachs belegt: ,,Er sicht sam sei er unbesinnt, hangflüglet, einem karpfen eben (gleich), der nun hab ein küchenleben" (1612). Der Karpfen, der ein Küchenleben führt, soll bald geschlachtet werden, er führt also ein recht unangenehmes, gefährdetes Leben. In Zusammensetzungen wie Küchenprosa oder Küchenlatein wird Küche zum Ausdr. des Ungebildetseins, der Minderwertigkeit und Fehlerhaftigkeit. Der erste lit. Beleg findet sich in münsterländ. Glossen um 1500: ,,loqui illatine . . . coquinario more vel culinario/quat latijn oft koken latijn spreken44 (Weißbrot in: Zs. f. dt. Wortf., 15 [1914] 290). Seit 1523 erhält das Wort durch Luther allg. Verbreitung. 548
Kuchen ,Sich den Kuchen teilen1 In Zusammenstellungen wie ,warme Küche1, französische, bürgerliche Küche4 wird ,Küche4 zum Synonym für ,Essen4. Ein Küchenhnnd sein: ein Mensch sein, der Beleidigungen und Demütigungen einsteckt, um Vorteile zu erlangen. Die Wndg. bezieht sich urspr. auf den Hund, der sich alles gefallen läßt, um in der warmen Küche bleiben zu dürfen. Dort ist Schmalhans Küchenmeister /Schmalhans. Kuchen. Sich den Kuchen teilen: seine Interessen geltend machen, sich seinen Anteil sichern, den Gewinn restlos aufteilen. Die Wndg. wird gern auf die Politik bezogen. Das ist ein Kuchen, auch: Das ist Kuchen von demselben Teig: es ist eins wie das andere, es gehört zusammen, es gibt keinen Unterschied. Von Menschen gesagt, heißt es: Sie sind ein Kuchen: sie bilden eine unauflösliche Gemeinschaft, sie verfolgen gleiche Ziele. Schon Luther kennt die Rda. .,Das ist ein Kuchen44 (Werke VII, 211) und braucht daneben die ähnl. Wndg. ,,Das ist* alles in einen Kuchen geschlagen44 (Werke VII,68). Einem Küchlein backen gilt seit dem 16. Jh. für: jem. schöntun, ihm Angenehmes erweisen. Diese Rda. findet sich auch lit., z. B. bei Thomas Murner. Abraham a Sancta Clara verwendet dafür in seinen Schriften mehrfach den Ausdr. ,es jem. kücheln4, jem. etw. Besonderes bereiten, es ihm schmackhaft darbieten, so im Judas der Erzschelm (1,150): ,,Er will es gekiechlet haben44 und ,,Man thut ihms nicht kiech- len44 (11,434), in ,Sterben und Erben4 (4) stellt er fest: ,,Keinem thut man Küchlein backen44. Noch heute sagt man iron, im Schwab.: ,Mer wurd diars küachla4. Ja, Kuchen!Das könnte dir so passen! Die höhnische Ablehnung oder energische Verneinung erfolgt hierbei in der Form iron. Zustimmung. Wander (II,Sp. 1659) vermutet, daß in dieser Wndg.,Kuchen4 im Gegensatz zum unentbehrlichen Brot steht und daher das Überflüssige bez. Diese Deutung stützen ähnl. Ausrufe enttäuschter Erwartung oder Feststellungen eines Irrtums wie: Pustekuchen, Pfeffer-, Kirschkuchen! Sie sind seit Anfang des 19. Jh. für Berlin bezeugt und wahrscheinl. aus der Wndg. ,Ja, wenn’s Kuchen wäre!4 gekürzt worden (vgl. A. Lasch, Berlinisch, S. 189). Im Obersächs. werden im gleichen Sinne 549
Kuckuck die Gebäcknamen: ,Schnecken\ Quarkspitzen4 oder ,Appelkuchen4 angewendet. Auch der Ausruf ,(du) flan!4 der frz. Umgangssprache, mit dem man eine Weigerung ausdrückt oder einen lästigen Menschen abweist, bedeutet wortl. ,Kuchen4 oder ,Torte4 (,flan4 ist aus germ. ,flado4 = Fladen abgeleitet worden). Wolf (Wb. des Rotw.) stellt dagegen überzeugend dar, daß die Wndg. ,Ja, Kuchen!4 als eine sinnlos gewordene Verkürzung auf das Jidd. zurückzuführen ist. 1818 ist nämlich bei J.v.Voss berl. ,Ja Kuchen, nich London4 bezeugt. Diese Rda. enthält unverstandene jidd. Worte, die nur dem Klang nach aufgefaßt und daher volksety- mol. umgedeutet wurden. Die entsprechende jidd. Wndg. lautet: ,Ja chochom, aber nicht lamdon!4, d.h.: ja, schlau und gerissen, aber (doch) nicht klug, weise (genug). Dieser urspr. Sinn ist tatsächlich noch in der heutigen Rda. vorhanden, denn man will dem Partner, den man abblitzen läßt, damit andeuten, daß er sich etw. zwar sehr gerissen ausgedacht hat, sich dabei aber doch in seiner Überschlauheit verrechnen mußte. Lit.: S. A. Wolf: Wb. des Rotw. (Mannheim 1956), S. 187. Kuckuck. Der Kuckuck (mdal. auch ,Gauch4) gilt im Volksglauben als Glücksvogel; auch werden ihm prophetische Kräfte zugeschrieben, vor allem die Fähigkeit, die Dauer des Menschenlebens durch die Zahl seiner Rufe vorherzusagen. Schon um 1300 berichtet Hugo von Trimberg in dem Lehrgedicht ,Der Renner4 (V. 11339 ff.) : Swie lange aber wer sin fröuden spil, dazweizder gouch (.Kuckuck4), der im vür wär hat gegutzet hundert jär. Hierher gehört die Rda. Der hört den Kuk- knck nicht mehr rufen: er wird das nächste Frühjahr nicht mehr erleben; ndl. ,Hij zol den koekoek niet hören zingen4. Goethe nennt in seinem Gedicht ,Friihlingsorakel4 den Kuckuck den ,,prophetischen Vogel44. Noch heute richten ledige Mädchen an den Kuckuck die erwartungsvolle Frage, wie lange sie noch ledig sein werden, und im Volkslied lautet die metaphorische Um¬ schreibung für das Ledigbleiben einer alten Jungfer, daß sich der Kuckuck zu Tode ge- schrien habe. Die Zahl seiner Rufe soll ja entweder die Zahl der noch folgenden Lebensjahre oder die Zahl der Jahre bedeuten, die ein Mädchen noch bis zur Hochzeit warten muß, wie aus folgenden Versen hervorgeht: Kuckuck über den Stock! Wann krieg ich meinen Brautrock? Kuckuck über dem Hügel! Wann krieg ich meinen Sterbekittel? Ebenso heißt es in dem Lied ,Ein Schäfermädchen weidete . . .4: Sie setzte sich ins grüne Gras Und sprach gedankenvoll: Ich will doch einmal seh'n zum Spaß, Wie lang' ich leben soll. Wohl bis zu hundert zählte sie, Indes der Kuckuck immer schrie: Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck Kuckuck... Dagegen lehrt ein ndd. Sprw. ,Wer den Kuckuck taum ersten Mal raupen hürt und hat Geld in de Tasch, denn hat hei't das ganze Johr4. Da das Kuckucksweibchen seine Eier in die Nester anderer Vögel legt, besagt die Rda. Da hat er mir ein Kuckucksei ins Nest gelegt soviel wie: er hat mir ein zweifelhaftes Geschenk gemacht, er hat mir unnütze Scherereien verursacht. Der Kuckuck zieht also 550
Kugel, kugeln seine Jungen nicht selbst auf. Die Rda. wie der Kuckuck seine Eier in fremde Nester legen bedeutet daher: sich vor etw. Unangenehmem drücken. Ein Kuckucksei nennt man auch das Kind eines anderen Vaters, das mit großgezogen werden muß. Der junge Kuckuck ist beinahe unersättlich und wächst schneller als die Jungen der Grasmücke, in deren Nest er herangezogen wird. Oft wirft er die jungen Grasmücken aus dem Nest, er greift manchmal sogar das Grasmückenweibchen an. Du undankbarer Kuckuck! sagt man daher zu den Kindern, die ihren Eltern und Erziehern gegenüber undankbar sind. Man spricht von Kuckucks Dank, wenn man .Undank1 meint, so wie schon das lat. Sprw. sagt: ,Eandem mihi gratiam refers ut cuculus currucae1. Bei einer Pfändung klebt der Gerichtsvollzieher auf die gepfändeten Gegenstände eine Marke, auf der früher der Reichsadler abgebildet war. Das Wappentier nannte man spöttisch Kuckuck, und daher stammt die Rda. den Kuckuck auf kleben: pfänden. Die Rda. Das weiß der Kuckuck ließe sich leicht an den Volksglauben von der wahrsagerischen Fähigkeit des Vogels anknüpfen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß in dieser und einer großen Anzahl anderer Rdaa. mit dem Namen des scheuen, mehr gehörten als gesehenen Vogels der Teufel gemeint ist. Seit dem 16. Jh. schreibt der Volksglaube dem Kuckuck ein Verhältnis zum Teufel zu, vielerorts sieht man in ihm auch den Teufel selbst. Kuckuck gehört heute zu den häufigsten Wörtern wie ,Donner4, ,Geier4, ,Himmel4, die als Euphemismen in Flüchen und Verwünschungen für den /Teufel gebraucht werden, z. B.: Der Kuckuck soll dich holen; zum Kuckuck; alles ist zum Kuckuck; der Kuckuck ist los; in des Kuckucks Namen; geh zum Kuckuck! Matthias Claudius singt 1775 im .Rheinweinlied4 vom Blocksberg: Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster auf ihm die Kreuz und Quer. Der eintönige Ruf des Kuckucks führte zu zahlreichen Rdaa., z.B. Das ist der alte Kuckucksgesang: immer wieder dasselbe, immer das alte Lied; ndl. ,’t is altijd koe- koek een zang4. ,Einen Kuckuck singen lehren1 Den Kuckuck singen lehren, ,,den Gouch lernen singen“ (Murner): zu außerehelichem Verkehr verführen. Kuckuck unter Nachtigallen nennt man einen Laien unter Fachleuten, wohl nach der Gellertschen Fabel, in der der Kuckuck einen Sängerwettstreit mit der Nachtigall wagt; /Eule. Mit seinem satirischen Werk ,Die Geuch- matt4 (1519) wollte Thomas Murner das unmännliche Wesen seiner Zeitgenossen bekämpfen. Er konnte sich bei der Wahl des Buchtitels auf eine schon in mhd. Zeit gebräuchl. Nebenbdtg. des Wortes ,gouch4 berufen; ,gouch4 meint schon früh soviel wie ,Tor4, ,Narr4, .Buhler4 und wird als Schimpfwort bereits bei Walther von der Vogelweide verwendet. Zweifellos ist die Bez. ,Gouchmat4 für einen Ort, an dem sich Verliebte treffen, schon vor Murners Satire volkstümlich gewesen. Ich will nicht der Kuckuck sein, der immer seinen Namen ruft: ich will mich nicht selbst loben. Lit.: HdA. V, Sp. 689 ff., Art. .Kuckuck1 von Seemann. Kugel, kugeln. Eine ruhige Kugel schieben: sich nicht sonderlich anstrengen müssen, leichte Arbeit zu verrichten haben, sorglos leben; die Rda. ist jung und wohl vom Kegelspiel hergenommen, wobei man an die 551
Kugelfuhr Leichtigkeit zu denken hat, mit der die Kugel auf der glatten Bahn ins Rollen gebracht werden kann. Mit silbernen (goldenen) Kugeln schießen: durch Geld Einfluß zu nehmen suchen, jem. bestechen; junge polit. Rda., die auf eine Rede Lloyd Georges vom 8. Sept. 1914 zurückgeht. Verwandt ist das Sprw. ,Eine silberne Kugel nützt mehr als tausend eiserne4 u.a.; die ältere Form der Rda. ist: mit dem goldenen (oder silbernen) Spieß stechen (/Spieß). Sich kugeln vor Lachen: heftig lachen; entspr. Das ist zum Kugeln; dies sind Parallelbildungen zu ,sich krummlachen4 (/krumm). Die schwarze Kugel gezogen haben: von einer unglücklichen Entscheidung betroffen worden sein; die Rda. stammt von dem schon im 17. Jh. bezeugten Verfahren der Abstimmung und Wahl durch Kugelung (Ballotage), während sich die Wndg. die Kugel kommt ins Rollen: die Entscheidung naht, auf die Kugel im Glücksspiel (Roulette) bezieht. Kugelfuhr. Die Ausrufe So eine Kugelfuhr! Was für eine Kugelfuhr! und die Feststellung Das war eine schreckliche Kugelfuhr sind vor allem im Obd. gebräuchl. und mdal. schwäb., bair. und Schweiz, bezeugt, ln heutiger Anwendung und Bdtg. bezeichnen die Wndgn. einen umständlichen, mühevollen Weg, Verzögerungen, Hinder- nisse und Umstände, also alles, was nicht reibungslos abläuft, was nicht ,glattgeht4. Volksetymol. wurde der Ausdr. an ,Kugel4 angelehnt, obwohl er auf ,Gugel4 zurückgeht; ein Transport von schweren Kanonenkugeln z.B. war ja früher tatsächlich mühevoll und gefährlich und darum der sprachl. Vergleich naheliegend. Auch eine Poststrecke in Baden-Württemberg, auf der man nicht recht vorankam und Hindernisse bei der Reise zu erwarten hatte, soll diese Bez. getragen haben, /Schneckenpost. Der Ausdr. ist bereits in mhd. Zeit als ,go- gelvuore4 i. S. v. mutwilligem Treiben, lärmender Lustbarkeit, Narrenpossen bezeugt, wobei bereits die Bdtgn. von ,gogeI4 = Scherz, Posse und ,gugel4 = Narrenkappe, eigentl. Obergewand mit Kapuze, das auf lat. ,cuculla4 zurückgeht, vermischt worden sind. Parallele Ausdrücke dazu wie ,Gugelfahrt4 und ,Gugelfeuer4 wurden später gebildet. Johannes Fischart läßt im ,Bienenkorb4 (237a) die häufige Rda. Gugelfuhr treiben noch ganz deutlich in dem alten Wortzusammenhang mit Gugel und Kapuze. Es ist gleichsam ein Beweis für die Herleitung der Wndgn., wenn er schreibt: „Und man kan sie darbei underscheiden, dasz sie ein käppiin oder gugelchen auf dem häubtlein haben und daher seltzam gu- gelfur treiben“. Der Ausdr. begegnet lit. häufig bes. im 16. Jh., z.B. bei Hans Sachs (5, 60, Lit. Ver.): „Was habt ir für ein gugelfur?44, und gleich mehrmals in der ,Zimmerischen Chronik" (1, 455, Barack): ,,Die herzogin wüst nit, wer dise gugelfuer anfieng44 und (4, 89, Barack): ,,Wiewol er (der geist) nit gesehen worden, hat er den mägten die schlüsel ab der gürtel hinweg gerissen und dergleichen gugelfuren getriben44. Auch Paracelsus braucht ,Gugelfuhr4 als Lieblingswort mehrmals in seinen gelehrten Schriften, jedoch in der wechselnden Bdtg. von Absonderlichkeit, Narrheit und moralisch Verwerflichem. Die Wndgn. eine Gugelfuhr haben und Gugelfuhr anfangen (verführen) dienen auch zur Kennzeichnung eines derben Liebesabenteuers. In diesem Sinne heißt es auch in der ,Zimmerischen Chronik4 (2, 555, Barack): ,,Ich waisz aber nit, was der maister mit der magt ... für ain schimpf und gugelfur anfieng. Sie wardt schwanger44. Ähnl. mit einem die Gufelfuhr treiben /ihn zum Narren haben, durch derbe Späße necken, aber auch: geschlechtlich verkehren. Das Wort ist auch im Rotw. meist als,Kugelfuhr4 reich bezeugt und bez. auch dort geräuschvolle Späße, provozierte Streitigkeiten und lärmendes Durcheinander bei Zänkereien und Aufläufen, die man geschickt zu seinem Vorteil nutzen konnte. Die heutige abgewandelte Bdtg. der Rda. ist wohl von daher zu verstehen, denn herausfordernde Zänkereien und Narrenpossen verursachen eben für den Betroffenen Umstände, Schwierigkeiten und Verzögerungen. Kuh. Die Kuh hat zu einer fast unübersehbaren Zahl von Rdaa. Anlaß gegeben; sie 552
Kuh ist ebenso sprw. als wertvoller Besitz des Menschen wie wegen ihrer angeblichen Dummheit. Die Kuh wird nicht drauf gehen; das wird die Kuh nicht kosten: das wird das letzte Vermögen nicht in Anspruch nehmen. Ober- sächs. saufen wie eine Häuslersknh: unmäßig trinken, wie die Kuh des armen Häuslers, die durch reichliches Wasser für das knappe Futter schadlos gehalten wird. Einen übermäßig großen Schluck nennt man zunächst stud, einen Kuhschluck. In Seb. Brants ,Narrenschiff1 (110a, 110) heißt es von solchen, die sich zutrinken: Vnd bringet eym eynn früntlich drunck, Do mit der becher macht glunck glunck, Vnd meynen do mit andere eren, Das sie den becher vor vmb keren, Ich darff der selben hoffzucht nit, Das man mir vor das glaß vmb schüt Oder man mich zü drincken bitt. Ich drinck mir selbs, keym andern zü. Wer sich gern fült, der ist eyn kü. Bei Hans Sachs: ,,Ist das dein große frewd das du dich füllest wie ein Treberkuh, Den Wein vnmessig in dich schüttest“. In Fischarts ,Gargantua4 : „Aber als Strosagurgel den kusuf that“. Das ist eine milchende Kuh für ihn: das bringt ihm auf bequeme Weise viel ein; ebenso schwäb. ,Des isch e neumelkede Kuh4. In Schillers Xenien des Musenalmanachs für das Jahr 1797 heißt es unter dem Stichwort ,Wissenschaft4: Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. Etw. anse he n wie die Kuh das neue Tor: es verdutzt betrachten, wie die Kuh, die abends von der Weide ins Dorf zurückkehrt, über das Tor staunt, das der Bauer inzwischen am Hofe aufgerichtet hat, so daß sie nun nicht weiß, ob sie da hineingehört oder nicht. Luther schreibt im ,Sendbrief vom Dolmetschen4: ,,Welche Buchstaben die Eselsköpfe ansehen wie die Kühe ein neu Tor44; einfacher in den ,Tischreden*: „So steht das arme Volk gleich wie eine Kuh“, Bei Abraham a Sancta Clara heißt es (,Todten-Capelle4 23): „Wann der Ungelehrte eine ungemeine Sache wie ein Kuh ein neues Thor anglotzet“; und im ,Judas4 (IV, 296): „Laß schauen; schaut doch ein Kuh auch ein neues Stadel-Thor an44. Anders dagegen in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (I, 5): „Ich sah sie an, wie eine Katze ein neu Scheunthor“. Soviel davon verstehen wie die Kuh vom Sonntag: gar nichts. Einen Geschmack wie eine Kuh haben: schlechten Geschmack haben. Das glaubt keine Kuh: das glaubt niemand, bezieht sich ebenfalls auf die Dummheit der Kuh; gemeint ist: das glaubt nicht einmal eine Kuh, obwohl sie doch dumm genug ist (vgl. ,kein Schwein4, ,kein Hund4, ,keine Sau4, ,kein Schwanz4 u. ä.). Was nützt der Kuh Muskate?: das ist zu hoch für einen beschränkten Kopf; ähnl. schon bei Burkard Waldis in seiner Fabelsammlung ,Esopus4 (I, 1, 37): Das Heiltumb ist nicht für die Hundt, Perlen seind Schweinen ungesund; Der Muscat wird die Kuh nicht fro, Ir schmeckt viel baß grob Haberstro. 1649 bei Gerlingius (Nr.47): „Was soi der kuhe Muscaten? in einen Bawren gehöret Haberstro“; (Nr. 157): „Was soi einer saw muschaten?“ Die Muskatnuß war früher als Würze noch beliebter als heute; man rieb sie sogar ins Bier. Die Deckelknöpfe an alten Bierkrügen sind bisweilen wie kleine Büchsen zum Auf- und Zuschrauben eingerichtet; darin bewahrte man den wertvollen Muskat auf. Da begreift man die Lächerlichkeit des Gedankens, der Kuh in ihren Sauftrog Muskatnuß zu reiben. Da müßte ja eine Kuh lachen bedeutet dasselbe wie die Rda. ,Da lachen ja die Hühner* (/Huhn). Eine Kuh für eine Kanne ansehen: betrunken sein. Von einer aufgedonnerten Frau sagt man, sie stolziere einher wie eine bunte Kuh (vgl. ,Pfingstochse4). Rheinhess. Dazu habe ich Lust wie die Kuh zum Messer: gar keine Lust. Blinde Kuh mitjem. spielen: ihn irreführen; nach dem beliebten Kinderspiel, /Blindekuh. Das kann nicht jede Kuh: das kann nicht jede(r). Der Kult die Hörner abschneiden: die Hindernisse überwinden. 553
Kuh Die Kuh heim Schwanz fassen: eine Sache verkehrt anfangen. Die Kuh mit dem Kalb nehmen: eine Geschwängerte (oder; ein Mädchen mit einem Kind) heiraten. Eine Kuh sc hl achte tu um zu wissen, wie Kalbfleisch schmeckt: etw. Unsinniges tun. Er sieht's der Kuh am Arsche an, was die Butter in Mainz gilt: er ist ein Neunmalkluger. Die Kuh jodelt/es wird ein Heimatfilm vorgeführt (Mitte 20. Jh.). Die Plumpheit der Kuh verspottet die Rda. das Maul spitzen wie die Kuh auf Erdbeeren, Von ähnl. Bdtg. ist die Kuh geht auf Stelzen. Man sagt dies, wenn jem. Dinge treibt, für die er sich nicht eignet. Belegt ist die Rda. zum erstenmal 1539 (Seb. Franck: ,,die Kuh geht uff Stelzen“). Lat. bei Erasmus: ,,camelus saltat“. Von der Kuh gebissen (gekratzt) sein: nicht ganz bei Verstand sein 1/2 ,Die schwarze Kuh hat ihn getreten1 Die schwarze Kuh hat ihn getreten sagt man schles. von einem Sterbenden; auch sonst gelegentlich: die schwarze Kuh hat ihn gedrückt: er hat viel Ungemach zu erdulden und daher den Mut sinken lassen, bzw. in der Umkehrung: die schwarze Kuh hat ihn noch nicht getreten: er hat noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Die Rda. ist sonst fast ausgestorben und heute unverständlich geworden. Sie läßt sich aber in älteren lit. Belegen über ganz Europa verfolgen. In Nikolaus Hermans Dichtung vom ,Verlorenen Sohnk (1562) finden sich die Verse: Do jn so tratt die schwartze Kuh, Kam der alt Reul vnd bisz mit zu (Wackernagel, Das dt. Kirchenlied, Leipzig 1870, III, 1210, Nr. 1413). Reuel ist der in der Dichtung des 16. Jh. wiederholt auftretende ,Hund Reue\ der die Gewissensbisse verkörpert. Eine andere Variante des Verses In des so trat in auch die schwartze Kuh, Kann der alte keil auch darzu kann infolgedessen als verderbt betrachtet werden. In dem Werk von G. Bartisch: ,Ophthalmodouleia, Das ist Augendienst1 (Dresden 1583) heißt es: „Wissens auch 554
Kuh nicht, weil ihre äugen gut und gesund sein, und keine augenbrechen gehabt noch versucht haben, oder wie man zu sagen pfleget, welche die schwarze kue noch nicht getreten hat“. In Christian Weises ,Die drei erg- sten Erznarren' (Kap. 6) steht: auf die letzt trat mich zwar die schwarze kuh, aber zu spät“. Die engl. Varianten sind von Archer Taylor ausführlich zusammengestellt und ebenfalls bis ins 16. und 17. Jh. zurückverfolgt worden. Dabei ist meistens statt von einer Kuh von einem Ochsen die Rede (,the black ox has not trod on his foot'), wobei z.T. auch wieder andere Sinn-Bdtgn. Vorkommen. ,Der schwarze Ochse ist ihm noch nicht auf den Fuß getreten' bedeutet: er hat noch nicht die Bedrängnis der Ehe erlebt, er ist noch unerfahren, er hat noch nicht Not gelitten u.ä. Die Beziehung der schwarzen Kuh bzw. des schwarzen Ochsen zum Tod, die die schles. Bdtg. der Rda. noch bis zur Ggwt. festgehalten hat, scheint aber die primäre zu sein. Das beweist vor allem die ikonographische Überlieferung, die den Tod in Verbindung mit schwarzen Ochsen oder einer schwarzen Kuh darstellt. Ältere Belege finden wir vor allem in Petrarcas berühmtem ,Trionfo della morte4 und in den verwandten Darstellungen der ital. Kunst. Der Tod hält hier einen Triumphzug (pompa triumphalis) ab, wobei der Wagen des Todes von Ochsen gezogen wird. Wer von diesen Ochsen des Todeswagens getreten wird, muß sterben. Konrad Burdach und Helmut Rosenfeld haben im Zusammenhang mit den Todesvorstel¬ lungen im ,Ackermann von Böhmen' darüber gehandelt. Aber auch nördlich der Alpen gibt es Todesdarstellungen, die hierhergehören. Der berittene Tod hat seine ikonographische Wurzel in den Apokalyptischen Reitern ; nicht aber der Tod, der gerade auf einer Kuh reitet, wie er z. B. in einem Missale des 14. Jh. vorkommt, das in der königlichen Bibliothek in Den Haag aufbewahrt wird. Solche Darstellungen des Todes, dem eine Kuh als Reittier dient, scheinen auf einer heimischen Tradition zu beruhen. Wir sind damit unserer schles. Rda. ,Die schwarze Kuh hat ihn getreten' schon sehr nahe, aber man hat noch nicht gefragt, warum gerade die Kuh oder der Ochse das Zugtier des Todeswagens oder - vermutlich noch ursprünglicher - das Reittier des Todes ist. Dabei ist die Frage, ob die Rda., die ja nicht vom Tode spricht, sondern von der ,schwarzen Kuh', nicht noch eine ältere Glaubensstufe festgehalten hat, in der ein rindergestaltiges dämonisches Wesen als Todbringer gegolten hat. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an eine Reihe von Volksglaubensberichten und Sagen, in denen der Tod in Kuhgestalt erscheint (z. B. K. Müllenhoff, Sagen, Märchen u. Lieder der Herzogtümer Schlesw.- Holst. u. Lauenburg, Kiel 1845, S.239F, Nr. 328). In Pestsagen kommt dies mehrfach vor: der schwarze Tod, der in Gestalt einer Kuh aus dem Wasser steigt und das Unheil über eine ganze Gemeinde bringt. Unsere Rda. hat jedenfalls einen tieferen religionsgeschichtl. Hintergrund, und die ältere Todesikonographie kann uns hier den Weg weisen. Was anders ist des Schulzen Kuh /anders. Heute ausgestorben ist die ältere Rda. den Kuhfuß tragen: Soldat sein. Selten in Sachsen, dafür Kuhbein. In Holst, heißt auch eine dem Kuhbein ähnl. Brechstange ,Ko- fot'. Die spöttische Bez. ,Kuhfuß' für Gewehr erklärt Scheube, Aus den Tagen unserer Großväter, in dem Kapitel ,Unter der Fahne' (S. 254). ,Da soll ein alter Kuhschwanz Feuer schlagen!' ist sächs. Ausruf des Staunens, Schreckens. Rheinhess. ,wackeln wie ein Kuhschwanz'. Lit.: A. Berntu. K. Burdach (Hg.): Der Ackermann aus Böhmen (= Vom MA. zur Reformation 111. 1) (Berlin 1917). S.237ff.; Â'. Wagenfeld: Die Kuh im plattdt. 555
Kuhhaut Sprw., in: Heimatbl. der roten Erde, 1 (1920), S. 250-252; A. de Laborde: La Mort chevauchant un bœuf. Comptes rendus des séances de l’Académie des inscriptions et belles-lettres (Paris 1923), S. 100-113; H. Rosenfeld: Das Rom. Bild des Todes im Ackermann1, in: Zs. f. d. A. 72 (1935), S. 241 ff.; A. Taylor: The Proverb ,the black ox has not trod on his foot4 in Renaissance Literature, in: Philological Quarterly, XX (1941), S. 266 ff.; M. Kut/si: Parömiologische Betrachtungen (Helsinki 1957), FFC. 172, S. 21 ff.; L. Röhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, in: Bayer. Jb. f. Vkde. (1959), S. 67-79; L. L. Hammerich:Y>2& Röm. Bild des Todes im Ackermann aus Böhmen4, in: Humaniora . . . Honoring Archer Taylor, Locust Valley (New York 1960), S. 17 ff. Kuhhaut. Das geht auf keine Kuhhaut: es läßt sich gar nicht alles sagen; es ist nicht zu beschreiben; eigentl.: es läßt sich auf kein noch so großes Pergament schreiben, denn gemeint ist hier die Kuhhaut als große Schreibfläche. Die Wndg. ist in den dt. Mdaa. weit verbreitet, vor allem im Südwesten: ,Der schwätzt e ganze Kuhhaut voll4 (schwäb.); ,Dat giht nöt op en Kuhhaut4 (rhein.); ,s gieht uf keene alte Kihhaut4 (obersächs.); ,Dat geht nich upna Bullahut ta schriwen4 (Pommern). Andere Formulierungen sind: ,Das hat auf keiner Kuhhaut Platz4; ,Er schreibt es auf die große Kuhhaut4 (merkt es für spätere Abrech- nung). Mit dem Streifen aus Kuhleder, mit dem in der Äneassage die Königin Dido die Land¬ fläche der zu gründenden Stadt Karthago umspannt, hat die Rda. nichts zu tun. Vielmehr stammt sie aus einem ma. Predigtmärlein, dessen Verbreitung zunächst über lat. Exempelsammlungen vor sich ging. Der älteste Beleg für diese Erzählung ist ein Exempel des Jacques de Vitry (vor 1240 gest.); er erzählt in den ,Sermones vulgares4 von einem Priester, der während des Gottesdienstes einen Teufel mit den Zähnen an einem Pergament zerren sieht. Auf Befragen gibt der Böse den Bescheid, er habe das unnütze Kirchenschwatzen aufzuschreiben, und dafür reiche sein Pergament nicht. Der Priester verkündet das der Gemeinde und erweckt Reue, so daß der Teufel seine Aufzeichnungen wieder streichen muß. Die zugrunde liegende Anschauung ist die, daß die Sünden der Menschen von Teufeln auf ein Pergament aufgeschrieben werden, um später, beim Jüngsten Gericht, als Belastungsmaterial zu dienen (vgl. Offenb. 20, 12). Normalerweise wurden im MA. ja nicht Kuhhäute zum Schreiben verwendet, sondern Schafs- oder Kalbshäute, aber die Pointe der Erzählungen beruht darauf, daß der Sünden eben so viele sind, daß selbst die Haut des größeren Tieres, die Kuhhaut, nicht ausreicht, um alles notieren zu können. Diese Erzählung ist noch in neuzeitlichen Sagen weit verbreitet (AaTh. *826); ,Das geht auf keine Kuhhaut4 voie oer tufel brnöeröer meft *èit flfapperttjahcÇerfrowtn formmu« vMxtfvnnb tr* mit 3mm tyn<utt>cr 30$/ 556
Kuhhaut 1/2 ,Das geht auf keine Kuhhaut sie findet sieh auch häufig in bildl. Darstellungen der Kirchenkunst des späten MA. und auch nach 1500. Aus dem 14. Jh. zeigt ein Wandfresko in St. Georg auf der Reichenau (Oberzell) ein großes Tierfell, das von vier Teufeln ausgebreitet gehalten wird; der eine packt es außer mit den Klauen auch mit den Zähnen. Über dem Fell werden die Köpfe zweier Frauen sichtbar, die eifrig miteinander schwatzen. Über ihnen deutet eine Art Hängelampe, von der an Kettchen drei Kreuze herabhängen, an, daß das Gespräch in einer Kirche geführt wird. Auf dem Fell stehen in gotischer Majuskel drei Verspaare: Ich wil hie shribvn Von disen tvmben wibvn Was hie wirt plapla gvsprochvn Vppigs in der wochvn Das wirt allvs wol gvdaht, So es wirt fvr den rihtvr braht. Ein Schrotblatt vom Ende des 15. Jh. zeigt einen Priester, der die Messe zelebriert, andächtige, aber daneben unruhige, schwatzende oder auch schlafende Kirchenbesucher sowie Teufel mit einem Buch und einem aufgespannten großen Fell. Die Rda. ist erst verhältnismäßig spät bezeugt, im Unterschied zu den Belegen der Legende. Mehrmals nimmt Joh. Fischart darauf Bezug: in der ,Flöhhatz1 von 1573, wo zwei Weiber während der Messe beim Schwatz vom Hundertsten ins Tausendste kommen und sich von Kleidern, Geld und Essen Vorreden: Darzu ich ja nicht der Teufel haiß, Der hinder der Meß ohn gegaiß Ain Kiihhaut voll schrib solcher Reden, Die zwei frumb Weiblin zsammen hetten. Ich wolt er het ghabt treck in Zänen, Da er die Kiihhaut mußt außdänen. 557
Kuhle Hier ist deutlich noch der Zusammenhang mit der Legende vorhanden. Auch in Fischarts ,Geschichtklitterung4 wirkt das Predigtexempel noch nach: „Der Teuffel hinder S. Martins Mesz mit weissen Ru- benzänen das Pergamen, darauff der alten Welschparlirenden Weiber geschnader zu copieren, musz wie der Schuster das Leder . . . erstrecken“. Dann aber verliert die Rda. schnell die Beziehung zur Teufelsgeschichte und verselbständigt sich. Sie ist bes. in den kath. Landschaften beheimatet und hat sich offenbar erst nach der Reformation von der Erzählung abgelöst, nachdem die Legende kein Eigenleben mehr führte. Herzog Ulrich schreibt 1543: ,,Ob man gleich einen Brief einer ganzen Kuhhaut gross vol schrieb . . .“ In Wolfhart Spangenbergs Drama,Mammons Sold1 von 1614 sagt ein betrügerischer Bauer: Summa, ich habe so viel getrieben, Wann es alles soit seyn beschrieben, Es ging auff keine Kuhhaut nicht. In weiterer Entfernung von der alten Legende sind an die Stelle der Kuhhaut noch andere Häute getreten: Stier-, Pferde-, Ziegen-, Eselshäute usw., wie in einem Bildergedicht von 1610: Wenn ich dies Geschlecht beschreiben soit. Ein Ochsenhaut ich brauchen wollt. Hans Jakob Behaim aus Nürnberg schreibt 1644 an seinen Vater: „Mich wundert, daß meine Schwester Susanna, welcher alles, was bey uns verlaufet, bekannt, ihrem Bruder die Mucken aus dem Kopf zu treiben, nicht eine Kuhhaut voll neuer Zeitungen berichtet“. Die Schwester antwortet darauf: „Daß ich dir nit eine Flöhhaut voll wüßt“. Auch Christian Reuter in Leipzig verwendet 1696/97 zweimal die Rda.: ,,Wi vielmahl ich mich auch hernach des Jungens halber mit meiner Frau Mutter gezan- cket und gekiffen, das wäre der Tebel hohl mer auff keine Esels-Haut zu bringen“ (,Schelmuffsky4). J. G. Schnabel steigert in dem Roman ,Insel Felsenburg4 (1731-43) die Wndg. noch: „Er hielt mir die Kuhhaut oder vielmehr Elephantenhaut vor, worauf alle meine Sünden verzeichnet waren“. Manchmal wird die Kuhhaut auch zahlenmäßig noch gesteigert. Ein geistlicher Text aus Nürnberg sagt schon 1568: Das ist unmöglich auszusagen. Zwölf ganzer Kuhheut müsten haben... Wir sind uns bei der heutigen Anwendung der Rda. jedenfalls kaum mehr bewußt, daß ihr eine ma. Teufelserzählung zugrunde liegt, d.h. die Rda. hat sich von ihrem Urspr. völlig emanzipiert und läßt sich seither auch in ganz anderer, d.h. in profaner Weise verwenden. Auf ein Mißverständnis oder einen sprachl. Scherz ist die Wndg. zurückzuführen: ,Das geht auf keinen Kuhhaufen4. Lit.: J. Boite: Der Teufel in der Kirche, in: Zs. f. vgl. Lit.-Gesch., N. F. 11 (1897), S. 249-266; R. Köhler: Kleine Schriften, Bd.II (1900), S. 319ff.; F. Harder: Sündenregister, in: Zs. d. Ver. f. Vkde. 37/38 (1927/ 28), S. 11 1-117; A. Spanier: Die dt. Volkskunde, Bd. I (1934), S. 195; A. Götze: Das geht auf keine Kuhhaut, in: Zs. f. Mdaforsch., 11 (1935), S. 162-168; Richter- Weise\ Nr. 118; R. Wildhaber: Das Sündenregister auf der Kuhhaut (Helsinki 1955), FFC. 163 (mit weiteren Lit.-Angaben); L. RÖhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, in: Bayer. Jb. f. Vkde. (1959), S. 67-79; E. Murbach: Zwei gotische Wandbildfragmente und ihre ikonographische Deutung, in: Unsere Kunstdenkmäler, Mitteilungsblatt f. die Mitglieder der Ges. f. Schweiz. Kunstgesch., XVI (1965), H. 1, S. 23 ff.; L. Röhrich: Erzählungen des späten Mittelalters, Bd. I, S. 113-123; 267-274. Kuhle. In die Kuhle treten: hinken, Rda. ndd. Herkunft, wie auch das Wort Kuhle selbst; der Hinkende neigt seinen Körper beim Gehen nach einer Seite mehr als nach der anderen, so als ob er jedesmal in eine Vertiefung träte. Kuhscheiße. Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach? sagt man oft rdal., wenn einer etw. Dummes fragt, worauf man keine Antwort geben kann oder will. Zu dieser Frage gibt es eine witzige Antwort: Hat sich Kuh auf Schwanz geschissen und mit Schwung hinaufgeschmissen (oder: aufs Dach geschmissen). Die modern anmutende Wndg. scheint auf eine alte Tradition zurückzugehen. Ein Fastnachtsgedicht von Georg Hager aus dem Jahre 1625 erzählt von einem Bauernsohn, der als Student in sein Elternhaus zurückkehrt und darüber nachsinnt, wie Kuhmist an die Stubendecke kommen kann. Nun behält ihn der Vater wieder auf dem Hof, da er das Studium des Sohnes für erfolglos hält: 558
Kümmernis Der vatter sprach mit Spott: ,Was hast du mich kost mit deinem studieren Vnd thust so vnnicz deine zeit verlieren! Du hast ein blödes hiren. Das du nit das aus rechnen kanst gewiss. Das bret lag auf der erden da, Ehe die kuh dar auf schiss. Dar nach ist das bret hin nauf kumen Durch den zimerman ze dach . . .‘ Dieser heute bei uns ausgestorbene Schwank, der noch in der Eifel als Ortsnek- kerei erzählt wird, scheint sich sonst nur noch in der rdal. Frage erhalten zu haben. Die Erzählung muß jedoch früher eine weite Verbreitung gehabt haben. Ebenso wundert sich der türkische Narr Nasreddin Hodja, als er an der Spitze einer Stange Kuhmist statt des von ihm dort aufgehängten Geldbeutels findet, darüber, wie die Kuh habe auf die Stange klettern können. Lit.: J. H. Schmitz: Sitten und Bräuche, Lieder, Sprww. und Rätsel des Eitler Volkes, Bd.l (Trier 1856), S. 104, Nr. 3; J. Boite: Märchen- und Schwankstoffe im dt. Meisterliede, in: Zs. f. vgl. Lit.-Gesch., 7 (1894), S.465L Kulissen. Hinter die Kulissen sehen: unerwartete, enttäuschende Entdeckungen machen, etw. durchschauen; diese Redewndg. ist von der Bühne hergenommen, deren rückwärtiger Teil im Vergleich zur schönen Vorderseite oft einen ernüchternden Anblick bietet. Der schiebt die Kulissen oder er ist ein Kulissenschieber sagt man von einem Politiker oder Funktionär, dessen Einfluß größer ist, als es nach außen hin den Anschein hat, oder der es versteht, eine ihm genehme Persönlichkeit durch geschickte Manipulationen in den Augen der Öffentlichkeit als Vorbild hinzustellen. Alle diese Rdaa. sind jung, sie reichen nicht weiter als bis ins 19. Jh. zurück. Kümmel. Einem den Kümmel reiben: einem gehörig die Meinung sagen, ,die Leviten lesen4. Kümmel ist ein kleinkörniges Gewürz; Kümmel spalten bedeutet dem- entspr. von pedantischer Kleinlichkeit sein, ,Haare spalten4; einen kleinlichen Kaufmann, eine geizige Person nennt man ,Kümmelspalter4: Schon Platon redet im ,Symposion4 von einem Menschen, der ein Kümmelkorn spaltet, um die Hälfte sparen zu können, und Aristophanes gebraucht in den ,Wespen* das Wort ,kümmelkressespaltend4. Das Schweiz. ,Chümichkniipfer4 meint dagegen jem., der eine unnütze, unsinnige Arbeit verrichtet. Ein Schimpfwort ist auch ,Kümmeltürke4; es bezeichnete um 1790 den Studenten im Bereich der Stadt Halle, denn bei Halle wurde Kümmel angebaut, weswegen man die dortige Gegend auch ,Kümmeltürkei4 nannte. Nachdem die Grundvorstellung in Vergessenheit geriet, wurde das Wort ein allg. Scheit- und Schimpfwort. Kummer. Ich bin Kummer gewöhnt sagt man resignierend, wenn einem etw. Unangenehmes widerfährt, wobei die Einsicht zugrunde liegt, daß man eben mit gelegentlichen Rückschlägen im Leben zu rechnen hat. Ob diese Rda. auf ein Sprw. ,Wer Kummer gewöhnt ist, trägt ihn leichter4 zurückgeht, wie S. Singer (Sprww. des MA. II, 25) vermutet, muß dahingestellt bleiben. Kümmernis. Er ist wie die hl. Kümmernis: er kümmert sich um alles, er versucht, überall einzugreifen, macht fremde Sorgen zu seinen eigenen. Die im wesentlichen auf das südostdt. Sprachgebiet beschränkte Rda. spielt scherzhaft auf die nicht kanonisierte Volksheilige an, deren volksetymol. gedeuteter Name auf ihre spezielle Hilfe bei Kummer und Not hinzuweisen scheint. Ebenso wortspielerisch ist der rdal. Vergleich aussehen wie die hl. Kümmernis: betrübt, bekümmert blicken. Die Wndg. bezieht sich auf ihr qualvolles, mehrere Tage dauerndes Martyrium. Die älteste Legende von dieser hl. Jungfrau, die verschiedene Namen besitzt (Wilgefortis, Liberata, Ont- kommer, Hülpe usw.), stammt aus den Niederlanden, wo aus Steenbergen seit dem 15. Jh. Wunder von ihrer Hilfe bei Krankheit und Tod berichtet wurden. Sie gilt als portugiesische Königstochter, die einen Heidenkönig heiraten sollte. Da sie ihrem christl. Glauben treu bleiben wollte, bat sie Christus um einen Bart, der sie völlig entstellte. Ihr wütender Vater ließ sie dar- 559
Kunkel ,Aussehen wie die hl. Kümmernis4 aufhin selbst kreuzigen. Im Dt. verbindet sich damit die Sage vom armen Spielmann, dem sie ihren goldenen Schuh zuwarf, als er vor ihrem Bild spielte. Der Urspr. der Legende ist ein mißverstandenes, bekleidetes Kruzifix, der Volto Santo, im Dom zu Lucca. Christus ist noch nicht als der Leidende, sondern als der Triumphierende am Kreuz dargestellt, mit der Krone und einem Faltengewand. Dieses nördlich der Alpen ungewöhnliche Kruzifix regte die Phantasie an und führte zur Erzählung von der gekreuzigten Jungfrau. Bild und Sage von der Kümmernis sind heute noch in Schlesien, Bayern und Oesterr. verbreitet. Lit.: HdA. V, Sp. 807ff., Art. ,Kümmernis‘ v. Wrede; G. Schnürern. J. Ritz: St. Kümmernis und Volto Santo (Düsseldorf 1934); O. A. Erich u. R. BeitI: Wb. der dt. Vkde. (Stuttgart 1955), S. 452 f.; L. Kretzenhacher: Heimat im Volksbarock. Kulturhistorische Wanderungen in den Südostalpenländern (Klagenfurt 1961). Kunkel /Nadel. Kunst. Die Kunst durch den Trichter saufen: prahlen, daß man etw. vermöchte, was man in Wirklichkeit nicht kann; die Rda. warschon Geiler von Kaisersberg bekannt, ist aber heute nahezu ausgestorben. Kunst ist von Gunst abhängig, wo sie nichts auszurichten vermag und also eigentl. auch nichts verdient, sagt man: Hier geht meine Kunst betteln. Lessing schreibt im ,Jungen Gelehrten4 (I, 6): „Bei dem geht meine Kunst, meine sonst so wohl versuchte Kunst, betteln“, in ,Emilia Galotti4 (I, 2) sagt Conti: „Die Kunst geht nach Brot44. Diese Rda., die bereits in Luthers Sprww.- Sammlung erscheint, reicht wahrscheinl. ins MA. zurück. Das ist keine Kunst: das ist leicht, das kann jeder; urspr. wohl auf Akrobatenkunststücke und ähnl. Darbietungen zu beziehen, die für Kunst ausgegeben wurden (Küpper I, S.204); in iron. Abk.: Kunststück! Was macht die Kunst?: Wie geht es beruflich? Zunächst dachte man bei dieser Frage wohl tatsächlich an eine künstlerische Betätigung, heute meint die Rda. das allg. Können und überhaupt die allg. Lebensumstände im Sinne von ,Wie geht’s?4 Nach allen Regeln der Kunst /Regel. Kupferstecher. Mein lieber (oder alter) Freund und Kupferstecher!: eine im mittleren und nördl. Dtl., bes. in Berlin und Sachsen, gebräuchl., halb iron., halb vertrauliche Anrede an jem., mit dem man sich irgendwie auseinandersetzt. Lit. z.B. 1892 bei Th. Fontane in ,Frau Jenny Treibel4 (8. Kap.): „Das hat so sein sollen, Freund und Kupferstecher; mitunter fällt Ostern und Pfingsten auf einen Tag44. Es ist noch nicht geklärt, warum sich gerade der Beruf des Kupferstechers in dieser Formel erhalten hat. Zweifellos ist in dieser Rda. der Beruf des Kupferstechers gemeint, denn aus dem Obersächs. sind zwei sehr verwandte Ausdrücke bezeugt, die genaue Parallelen zu unserer Wndg. darstellen: ,Alter Freund und Bildermann!4, schon 1803 bei L. Lorenz in ,Ein Denkmal aus dem Erzgebirge4 belegt: „do biste freilich of n Holzwag, alter Freund und Bildermann44. Der Bildermann war ein auf den Jahrmärkten anzutreffender Schausteller, der die Erzeugnisse der Kupferstecherei verkaufte. Eine weitere obersächs. Rda. lautet: ,Alter Freund und Petschaftsstecher!4 An ein Gedicht Rückerts ,An den Gevatter Kupferstecher Barth4 (Ges. poet. Werke, Bd.7, S.66) anzuknüpfen, geht deshalb kaum an; dazu ist das unbedeutende Gedicht zu wenig bekanntgeworden. Kuppelpelz. Sich einen Kuppelpelz verdienen: eine Heirat vermitteln. Rud. Hilde- 560
Kurz brand bringt im Dt. Wb. eine Reihe von Beisp. für den Ausdr. mit der Bemerkung: „Der Pelz ist längst zur bloßen Redensart geworden, während er einst ein wirklicher gewesen: dieser Pelz war der übliche Kaufpreis für die Überlassung der Mundschaft über die Frau an den Gatten“. Bei Abraham a Sancta Clara heißt es (Judas der Erzschelm4 III, 54): „Es ist schon einen Kuppelpeltz werth“. Ein verwandter Ausdr. ist,Kappengeld4; so kennt Geiler von Kaisersberg im ,Brösam- lein4 (I, 33a): „mit einem ums cappengeld reden44, ihn zu verführen suchen; ebenso in der ,Zimmerischen Chronik4 (III, 66): „Er fing an mit der frawen zu sprechen und mit ir umbs cappengeld zu reden44. Kurbaum. Auf den Kurbaum gehn (oder reiten): unschlüssig sein, wie man wählen (küren) soll. Das Wort wird gern in Gegensatz zu dem ebenfalls bildl. gebrauchten Faulbaum gestellt. Sprw. schon bei Seb. Franck (2, 110h): „wer kurbäumen wil, der faulbäumet gern44, in Oldenb.: ,De Körbom söcht, de Fulbom findt4, wer lange wählt, trifft wohl immer das schlechteste; in Meckl.: ,Se is von’n Körbom upn Fulbom körnen4, ist alte Jungfer geworden. Der Kurbaum ist eigentl. der beste Stamm, den man aus dem Gemeindewalde behutsam auswählt zum Bau oder zur Ausbesserung des Hauses. Wer aber zu lange wählt, trifft nicht immer den besten. kurz. Kurz angebunden sein: zurückhaltend, wortkarg, abweisend sein; die Rda. kennt schon Luther: „. . . wäre der Bauer ungeduldig und kurz angebunden44; Goethe verwendet sie im ,Faust4 (I, Straße): Wie sie kurz angebunden war, Das ist nun zum Entzücken gar! Urspr. ist dabei wohl an ein Pferd oder ein anderes Tier zu denken, das an einer kurzen Leine gehalten wird und deshalb reizbar ist; jedenfalls hat die Rda. zunächst diesen Sinn (/anbinden). Auf dem gleichen realen Hintergrund ruht auch die Rda. jem. kurzhalten: jem. in seiner Freiheit beschränken, jem. finanziell einschränken (vgl. ndl. demand kort houden4). Die Zwillingsformel kurz und gut, die keiner Erklärung bedarf, ist ebenfalls schon bei Luther bezeugt, z. B.: „Kurz und gut gefällt Jedermann44 (Weimarer Ausg. II, 17); überdies verwendet er die Formeln ,kurz und ganz4 sowie ,kurz und schlecht4. Auch Abraham a Sancta Clara gebraucht den Ausdr. ,kurz und gut4 mehrfach (z.B. Judas4 II, 387). In der Redewndg. kurz und bündig hat ,bündig4 noch die alte Bdtg. festgebunden, verbündet, auch: rechtlich verpflichtend (so vor allem ndl. ,bondig4), jedoch ist im heutigen Sprachgebrauch diese Bdtg. zumeist gar nicht mehr bewußt, ,kurz und bündig4 hat heute den Sinn ,auf eine kurze Formel gebracht4 oder ,kurz und knapp4 (vgl. ndl. ,kort en bondig4; engl. ,short and pithy'). Etw. kurz und klein schlagen (oder hauen): etw. entzweischlagen, ist vom Holzhacken hergenommen. Kurz angerannt: dz ist zuwenig Bedenkzeit gelassen, da ist ,die Pistole auf die Brust gesetzt4; als ob der Betreffende eigentl. einen langen Anlauf hätte voraussehen und sich darnach hätte einrichten, rüsten können. In dem alten Budenspiel ,Harlekins Hochzeit4 (1693) sagt der Richter, als der Harlekin mit seiner Liebsten vor ihn tritt und stracks zur Hochzeit „eingeschrieben44 zu werden begehrt: „Es ist kurz angerent. Warumb denn eilt ihr so?44 Die Rda. kurztreten: langsam arbeiten, sich zurückhalten, sich mäßigen, entstammt der Soldatensprache; beim Einschlagen einer anderen Richtung müssen die auf der Innenseite einer Kolonne Marschierenden kleinere Schritte machen, damit der Gleichschritt beibehalten wird. Über kurz oder lang: früher oder später, ist eine Zusammensetzung der längeren Wndg. ,über einen kürzeren oder längeren Zeitraum4. Zu kurz kommen: benachteiligt werden, übervorteilt werden; bezieht sich zunächst wohl auf das Nichterreichen eines räumlichen Ziels. Die Rda. ist lit. seit dem 17. Jh. bezeugt (1650 bei Moscherosch) und bist von jeher zu kurz gekommen44, sagt Sickingen zu GÖtz von Berlichingen (vgl. ndl. ,te kort körnen4; engl. ,to come short of something4). Die gleiche Bdtg. hat die Rda. den kürzeren ziehen; sie leitet sich her vom Losen mit 561
KUSS, KÜSSEN Halmen, Stäbchen oder Streifen im Unterschied zum Loswerfen (mit Steinchen, Würfeln usw.). Das Losen hat seit alters her den Rang eines Gottesurteils; wer den kürzeren Halm zieht, ist im Unrecht, ihm fällt der geringere Anteil zu. Ein altdt. Vers lautet in Josef v. Laßbergs ,Liedersaal4 (Bd.I, 1820-25, S. 145): ,Den kürzeren ziehen1 Ziehen wir zwei gräselin Ane allen falschen wank, Das eine kurz, das ander lang; Weders ouch immer mag ziehen an, Das länger soll gewunnen han. Abraham a Sancta Clara verwendet die Rda. mehrfach (z.B. Judas4 1, 122; II, 280 u.ö.) in der Form ,,das Kürtzere ziehen4', gelegentlich auch in umgekehrtem Sinn, jedoch mit dem gleichen Bild: ,,das Längere ziehen44 (,Reim dich4 77). Der aus dem Rechtsleben stammende Ausdr. konnte im übertr. Sinne in den verschiedensten Zusammenhängen Verwendung finden; so wird er etwa von Julius Wilhelm Zincgref 1626 in seinen ,Teutscher Nation Apo- phthegmata4 (II, 17) auf den Kampf bezogen: „Als er (Albrecht von Brandenburg) mit Kurfürst Moritz von Sachsen den Kürt- zern gezogen, floh er nach Hannover44. Daß gerade der Strohhalm beim Losorakel früh eine Rolle spielte, bezeugt auch eine Stelle bei Walther von der Vogelweide (66, 5), die sich jedoch auf das ,Halmmessen4 bezieht; dabei zählte man die Knoten des Halms (wie man heute noch die Blütenblätter einer Blume zählt), um daraus die Zukunft zu erfragen: Mich hät ein halm gemachet fro, er giht, ich sül genäde vinden, ich maz daz selbe kleine stro, als ich hie vor gesach von kinden. Kurze Fünfzehn machen /fünfzehn. Jem. einen Kopf kürzer machen /Kopf. Kuß, küssen. Und wer küßt mich (mir)? Redewndg. dessen, der sich bei einer Verabredung oder Verteilung übergangen fühlt. Die Rda. stammt aus einem von Hand zu Hand weitergereichten Gedicht mit den Schlußzeilen: Die Hasen rammeln im Revier, Kurzum es liebelt jedes Tier, Und wer küßt mir? Seit etwa 1850 (Küpper II, S. 176). Die derbe Aufforderung ,Leck mich im /Arsch4 wird in vielen Wndgn. mit Kuß umschrieben: ,Küß mich, wo der Buckel ein End hat4; ,küß mir den Buckel, aber von unten4; Hans Sachs: „Küß mich, da ich sitz44; ,köß mi, wo ek gen Ogen heb4; ,er kann mich küssen, wo ich keine Nase habe4; ,küß mir den Buckel, wo die Haut ein Loch hat4. Mit Kußhand: sehr gern (/Hand). Man bekommt einen Kuß sagt man, wenn sich Bläschen auf dem Kaffee bilden. Die anderen bei dieser Gelegenheit üblichen Rdaa. wurden durch den Atlas der dt. Vkde. (ADV-Frage 234 a) erfaßt, sie lauten: ,Man bekommt einen Brief4; ,man hat Geld zu erwarten4 ; ,das Wetter ändert sich4. Kutscher. Das kann mein Kutscher auch: dazu gehört nicht viel, das kann jeder, auch in der Form: Das kann Lehmanns Kutscher auch. Der Ausdr. ist wohl von Berlin aus 562
Laban durch die Wilkensche Posse ,Kläffer4 volkstümlich geworden. Anderwärts sagt man auch: ,Das kann meine Tante auch4. Das Wort Kutscher steht hier in geringschätzigem Sinne, wie man beim Skatspiel eine ganze Handvoll guter Karten, die sich von selbst spielen, als den ,reinen Kutscher4 und einen minderwertigen Wein, der vom Faß geschenkt wird, als ,Kutscherwein4 bez., weil er nur für einen Kutscher gut genug ist. Kuvert. Offenes Kuvert bei jem. haben: von jem. jede gewünschte (finanzielle) Unterstützungerhalten; der Ausdr. ist lit. bei Immermann (,Münchhausen4 6. Buch, Kap. 3) belegt: „... und wurden in ihrer Meinung von einigen Schauspielern, Doktoren der Philosophie und von einem dimittierten Legationssekretär unterstützt, welche Personen bei ihrem Vater offenes Kuvert hatten44. Es handelt sich hier wohl um.eine lit. Einzelschöpfung, die sich offensichtlich als Rda. in der Volkssprache nicht niedergeschlagen hat. K-v-Maschine. Jem. durch die K-v-Maschine drehen: ihn für kriegsverwendungsfähigerklären. ,K. v.4 ist die militärärztliche Abk. für ,kriegsverwendungsfähig4, d.i. fronttauglich. Als K-v-Maschine wird der Militärarzt bez., der alle ihm vorgestellten Männer rücksichtslos für k.v. erklärt. Von der Soldatensprache ausgegangen, hat sich der Ausdr. auch noch fortgesetzt: eine K-v-Maschine in Zivil ist ein Vertrauensarzt der Krankenkasse oder ein Amtsarzt (Küpper I, S. 254). L I. Der bloße Buchstabe 1 kommt in einer Reihe von rdal. Abkürzungen vor, die ausnahmslos erst der gegenwärtigen Umgangssprache angehören, wie / hoch drei: schwer von Begriff (/’Leitung); /. L.: lange Leitung; ILL.: lausig lange Leitung; l.m.A.: leck mich im /Arsch; l.b.: leicht bekloppt oder leicht bestußt, d.h. etw. dumm. Laban. Langer Laban ist bes. im Rheinl. eine verbreitete Bez. für einen langen, meist schlaffen Kerl; abfällig, aber auch humorig-freundlich gemeint. Die Herkunft des Wortes ist zeitlich und bedeutungsmäßig unklar, denn der bibl. Laban (l.Mos. 29), Sohn Nahors, Schwiegervater Jakobs, wird im A.T. nicht als lang bez. Allerdings mußte Jakob bei ihm sehr lange dienen, nämlich zweimal sieben Jahre, um Labans Tochter Rahel zur Frau zu bekommen. Es entspräche durchaus der oft alogischen Struktur volkstümlicher Redeweisen, wenn Labans lange Hinhaltetaktik gegenüber Jakob ihm nun einfach adjektivisch als Eigenschaft beigelegt worden wäre. Zudem entspricht die Bez. eines bestimmten Typus durch einen bibl. Namen dem Bedürfnis volkstümlicher Ausdrucksweise - zumindest bis in die Neuzeit. Daß das Wort bis ins 16./I7.Jh. zurückreicht, zeigt die in Schlesien erhaltene Form Labander. Es ist aber dennoch nicht sicher, ob der lautliche Anklang im Sinne des bibl. Laban zu verstehen ist oder eine Anlehnung an das schles. Städtchen Laband vorliegt. Auch ist nicht klar, ob die mögliche bibl. Deutung urspr. war oder erst nachträglich vorgenommen wurde. Auch eine volksetymol. Deutung, die der vorigen nicht widersprechen muß, kann zutreffen, nämlich für einen langen Menschen einen Namen zu finden, der an dang4 anklingt. Es gibt deren viele: Langer Laband (Ostpr.), L.Labom- mel (Pomm., Ostpr.), Lakeband (Pomm.), Labbatsch (um Elbing), L. Lampe, L. La- 563
Labet ster, L. Latte, L.Labbes, L. Lakes, L. Lulatsch. -Möglich ist auch die Abhängigkeit von dem Stamm ,lab\ der in labberig (gehaltlos, fade) und labbern (schlaff werden) steckt (/Laffe, /Lappländer). Diese Deutungenbrauchen sich nicht auszuschließen; sie können durchaus gemeinsam den Sinn der Bez. hersteilen, ja solche Bez. entstehen oft nur unter der Bedingung dieser Mehrdeutbarkeit. Lit.: Kuckeiu. Hunoldm: Korr.-Bl. d. ndd. Sprache 37 (1919-21). Labet (betont auf der 2. Silbe) leitet sich von dem frz. ,1a bête1 her, das bereits im übertr. Sinne den Spieleinsatz im Kartenspiel bedeutet, den der Verlierer zu bezahlen hat. Es erscheint im 17. Jh. auch in Dtl. Im Frz. leitet sich davon die Redewndg. ,faire la bête" = das Lasttier machen, ausgenutzt werden ab. In Dtl. ist der Ausdr. zunächst auf das Kartenspiel beschränkt und erscheint in der Form labet sein, labet gehen, labet spielen und labeten. Im übertr. Sinne bedeutet labet dann träge, schlaff, unwohl, mies, lahm. Sehr verbreitet sind umg. Sei nicht so labet! und Es ist mir so labet (im Magen, Bauch, Kopf). Auch in das student. Kommersbuch ist der Ausdr. eingegangen, in das Lied vom Krambambuli" mit der Zeile: ,,Das Spiel hat mich labet gemacht“, worin man den Ausdr. sowohl als Terminus technicus des Spiels als auch schon im übertr. Sinne verstehen kann. lachen. Bereits um 1180 ist in Dtl. die Wndg. vom Sardonischen Lachen bekannt. Als ,risus Sardonius" wird es schon bei Cicero genannt, der es wohl von den Griechen übernahm, denn bei Flomer heißt es in der ,Odyssee" (20,301): ,,Er lächelt so recht höhnisch“ (,,[ielôr|oe ôè öuptp/oocpöceviov \xâXa toiov""). Das homerische Wort oapôavioç stammt von ocdpeiv = fletschen, grinsen und hat mit Sardinien nichts zu tun, denn Homer kannte diese Insel nicht. Die irrtümliche Zurückführung des ,Sardonischen Lachens" auf die Stelle in Homers ,Odyssee" verdanken wir einer Verwechslung des kleinasiatischen Schriftstellers Pausanias (um 175 n.Chr.), der in seiner , nepif|yr|oiç" (= Reisebeschrei¬ bung) X,17 meint, auf der Insel Sardo wachse ein Kraut, nach dessen Genuß man unter Lachen sterbe. In der Tat gibt es auf Sardinien eine Giftpflanze (herba Sardonia), deren Genuß schnelle und zahlreiche krampfartige Zuckungen im Gesicht hervorruft. Nach dieser Wirkung dürfte das als herzlos und hämisch verstandene Lachen benannt sein. Schon Sallust hat im 2. Buch seiner ,Historiae" die Wirkung dieses Krautes geschildert. „Er kitzt sich und lacht, wenn er will“, so heißt es 1494 in Seb. Brants ,Narrenschiff" iron, für jem., der grundlos lacht, wohl auch nichts zu lachen hat und sich selber zum Lachen kitzeln muß. In Egenolfs Sprichwörter, schone, weise Klugreden, darinnen Teutscher und anderer Sprachen Höfflichkeit, Zier etc begriffen..." von 1560 wird festgestellt: „Wer sich selber kitzelt, der lacht, wenn er will“. Bei Luther findet sich 1530 in seiner Sprww.-Sammlung dieselbe Wndg.: „Küt- zel dich nicht selbst, sonst lachst du dich zu tod“. Jünger sind die Rdaa.: sich vor Lachen biegen (krümmen): heftig lachen und den ganzen Körper dabei bewegen, und sich krank lachen: bes. ausgiebig lachen, mit Lachen nicht mehr aufhören können. Bei Joh. Fischart gibt es hingegen 1575 in der ,Geschichtklitterung" den „Philosophen, der sich gesund lacht"". Jünger ist aber die Form Lachen ist gesund (auch Lachen ist die beste Medizin), die zurückgeht auf die Wndg. Lachen ist der Leber gesund. Die /Leber wurde in früheren Zeiten als der Sitz der Gefühle und Stimmungen angesehen. 1526 ist bei Luther bereits der Ausdr. das Lachen verbeißen greifbar (Weimarer Ausg. 20,128). Der Ausdr. die lachenden Erben geht wohl als eine Lehnübers. und Verkürzung auf Publius Syrus (l.Jh. v.Chr.) zurück: „heredis fletus sub persona risus est"" = das Weinen des Erben unter der Maske des Lachens. Ähnl., aber jünger ist die Wndg. der lachende Dritte, der als der stille Gewinner der Auseinandersetzung zweier anderer hervorgeht. Vom lachenden Kauf spricht Joh. Mathesius in ,Sarepta" 1587: ,,Par Geld ist lachender Kauf"", d.h. wenn man bares Geld hat und bar zahlen kann, kauft man gern und günstig. Die Wndg. ein homerisches Gelächter ist eine Lehnübers. des 564
Lack 18. Jh. aus dem frz. ,rire homérique", vorher ,rire inextinguible" (s. ,Mémoire de la Baronne d'Oberkirch", etwa um 1785: „on partit d'un éclat de rire homérique"). Der Ausdr. geht auf Homers ,Odyssee" (20,346) zurück, wo von unauslöschlichem Gelächter geredet wird. Jung sind vermuth folgende Wndgn.: nichts zu lachen haben; das Lachen wird dir (schon noch) vergehen (um 1900); da lachen ja die Hühner (ganz modern: die ältesten Suppenhühner),was soviel heißt wie: dies ist unzumutbar und höchst lächerlich; meist verächtlich gebraucht. Daß solche Ausdr. jedoch ziemlich zeitlos sind, beweist ein Beleg aus Abraham a Sancta Claras ,Narren-Nest" (1,97): ,,Da müßte wohl eine Kuh lachen"". Die Absurdität soll hier wohl mit einem absurden Bild ausgedrückt werden. Das wäre ja gelacht (seit 1930) i.S.v.: das wollen wir doch einmal sehen; das wäre ja noch schöner. In Manfred Hausmanns ,Lilofee" (1958) findet sich die Wndg. „Man könnte direkt seinen Hintern verlieren vor Lachen"". Das kostet mich nur ein (müdes) Lächeln: das (Argument) ist lächerlich, zu billig, als daß ich es ernst nehmen könnte. Sich ins Fäustchen lachen /Taust. Sich einen Ast lachen /Ast. Lachs. Der weiten Verbreitung des hochwertigen Fisches entspricht auch der vielfältige Gebrauch in Redewndgn. und Sprww. Ein einfacher rdal. Vergleich ist der Ausdr. springen wie ein (junger) Lachs für einen körperlich wendigen und beweglichen Menschen, wobei, ganz von der Realität ausgehend, an den über Flußhindernisse hinwegspringenden, ziehenden Lachs gedacht ist. Lachs aus der Tonne bez. im Rheinl. scherzhaft den Hering. In Ostpr. kannte man einen Wacholderschnaps, den Danziger Lachs, wahrscheinl. wegen seiner rötlichen Farbe so benannt; dazu kommt aber die bes. Bekanntschaft mit dem Fisch und die lautliche Affektqualität des Wortes; vgl. Lessings ,Minna von Barnhelm" 1763 (1,2): ,,... gut, sehr gut! Selbst gemacht, Herr Wirt? - Behüte! Veritabler Danziger! Echter, doppelter Lachs"". In Schwaben spricht man von den Pommern als ,Lachspommern", wohl wegen ihres Umgangs mit Fischen. Nicht mehr direkt verständlich ist die Bez. Lachs = Prügel, Hiebe, die in Ostddtl. und Posen, aber auch im Eis. verbreitet ist; so Lachse kriegen: Prügel beziehen, und lach- sen: prügeln. Die Wndg. ,Fische kriegen" könnte eine Herkunft von Lachs als Fisch nahelegen. Möglich ist aber auch eine Verbindung mit dem ahd. Wort lahan = tadeln. Häufig ist in Ost- und Mitteldtl. der Ausdr. Lachs = Geld, der im Anschluß an das metallisch-glänzende Aussehen der Fischschuppen geprägt sein könnte. Aber auch ein Vergleich mit dem entspr. Ausdr. Flachs = Geld im Wiener Rotw. ist zu beachten. Lachse haben: Geld haben. Der Lachs ist mitzunehmen: das ist ein Vorteil, den man wahrnehmen kann. Im Kartenspiel gibt es die Wndg. einen Lachs fangen (oder spielen); auch um einen Lachs spielen. Lachs meint hier soviel wie Gewinn, z. B. ,Bierlachs", und ist also mit der obigen Bdtg. als Geld und Vorteil zu vergleichen. So werden beim Skatspiel, wenn es um den Lachs geht, nur die schlechten (Minus-)Punkte aufgeschrieben; wer zuerst eine vorher festgesetzte Zahl erreicht hat, muß eine Runde oder dgl. bezahlen. Jul. Stinde erklärt den Ausdr. 1884 in ,Familie Buchholz" (Teill, S. 114): „Onkel Fritz hat ihn dort getroffen und sagte mir ,Lachs fangen" bedeutet soviel als das Bier im Skat ausspielen"". Lack. Das Wort Lack wird in Redewndgn. in zwei entgegengesetzten Weisen gebraucht, einmal als äußerlich gutes Aussehen, das andere Mal als schadhaftes Aussehen, etwa als Fleck usw., auch als Schande und Schmach; dazu kommt ein häufiger ambivalenter Gebrauch. Mit der Sache kam das Wort im 14. Jh. nach Dtl.: ital. und mlat. lac(c)a ist urspr. der Name für eine Mückenart, lacca ilicis, die im Altind. laksa ^hunderttausend") heißt, wegen ihres Auftretens in Schwärmen. Aus Absonderungen dieses Insektes wurde im MA. der nach ihm genannte Lack gewonnen. Mit Lack wurde gesiegelt (seit dem 16.Jh.), ferner gab man Möbeln und Gebrauchsgegenständen - und auch Damen - ein schönes, gefälliges Aussehen. In diesem Sinne wird das Wort vom 15.Jh. bis heute mehr oder 565
Laden weniger iibertr. gebraucht. So heißt es in einem Gedicht des Barockdichters Daniel Schoppe: „Kein Florentiner Lack bemalte ihr Gesicht*', was real gemeint ist. Übertr. ist die schwäb. Wndg.: Frauen, die ihre Kinder selber stillen, ,lassen (vor der Zeit) Lack', werden früher alt und häßlich. Lack als festlicher Putz findet sich in vielen (vor allem rhein.) Rdaa.: Er ist im Lack: er ist in festlicher Kleidung; er schmeißt (wirft) sich in Lack:zr zieht sich festlich an. Dieser Wndg. haftet meist auch etw. Abfälliges an im Sinne des Sprw. ,Wenn der Lack weg ist, zeigen sich die Wurmstiche* oder der Wndg. Der Lack ist ab. In der rdal. Formel in Frack und Claque (Klapphut) und Lack bez. Lack wohl urspr. die zum Gesellschaftsanzug gehörenden Lackschuhe. Immer haftet diesen Redewndgn., in denen Lack als Putz erscheint, etw. von Tadel an. Deutlich wird das in den Bez. Lackaffe für einen eingebildeten, aufgemachten Gek- ken, ebenso Lackel, das sowohl einen Gek- ken als auch einen unflätigen Menschen bezeichnen kann. Bei Lackel kann noch die Bez. Lakai als volksetymol. Stütze dienen. Statt vom Lackaffen spricht man auch von einem lackierten Affen oder man sagt: Er hat sich die Schmiß lackiert: er hat sich gek- kenhaft zurechtgemacht, den Mund beschmiert, aber auch: sich betrunken. Fertig ist der Lack (/Laube) sagt man beim Abschluß einer wohl meist nicht sehr qualitätsvollen Arbeit, die man durch einen letzten Anstrich noch zu retten sucht. Der Lackanstrich gibt einer minderwertigen Ware ein glänzendes Aussehen. Jem., der auf etw. Derartiges hereinfällt, ist der Lak- kierte oder Gelackmeierte. Das Verb ,lak- kieren* ist hier unlogisch verwandt, weil ja eigentl. nicht der Betrogene, sondern die Sache lackiert wird. Möglicherweise nicht mehr i.S.v. Lack = Firnis, sondern im Anschluß an ahd. lahan = tadeln sind folgende Wndgn. zu verstehen: einen Lack haben: einen Fehler haben, z.B. ,das Pferd hat einen Lack*. Der hat Lack an: er ist nicht ohne Tadel. Einem einen Lack anhäugen: jem. etw. Böses nachsagen; ebenso: Lack auf einen werfen (Rheinl.); ,er hat Lack am Lif (Leib), er hat ein körperliches Gebrechen (Rheinl.). Ndd. ,Dai hiät sick en Lack makt, dat kliä- wet iän titliäwens an*, der hat sich einen Lack gemacht, das klebt ihm zeitlebens an. Allerhand Lack und Plack ohne Sack (Rheinl.): viel Mühe und Gebrechen. Laden. Sich an den Laden legen: sich anstrengen, kräftig und entschlossen zu Werke gehen, etw. auf einem bestimmten Gebiet anstreben (wobei meist eine ambitiöse Absicht mitschwingt). Die Rda. ist aus dem Bereich der Handelssprache genommen und meint urspr.: sich (wie eine zur Schau ausgelegte Ware) sehen lassen, prahlen. Das Wort Laden als Verkaufsstelle ist seit dem 15. Jh. gebräuchl. So heißt es 1445 in einer Augsburger Chronik bei der Schilderung eines ungewöhnlich kalten Winters, die Bäcker „legten gantz kain brot an den laden“. 1541 wird dann in der Sprww.-Sammlung von Seb. Franck die ältere Wndg. ,sich an den Laden lassen* zum erstenmal im übertr. Sinne greifbar. 1673 meint Grimmelshausen in der ,Prahlerei mit dem deutschen Michel*, „dass es nicht jederzeit rathsamb sey, sich mit seinen frembden Sprachen an den Laden zu legen“. Goethe schreibt an seinen Sohn August (Brief vom 6. Aug. 1816): „Lege dich nicht an Laden, aber sey nicht unthätig“. In Gottfr. Kellers ,Grünem Heinrich* (4.Teil, 5.Kap.) heißt es: „Ich hab1 es (meinen Lohn) vom Stück, da kann man sich an den Laden legen und dem Patron die Nase lang machen“. - Verwandt ist die ebenfalls alte Rda. sich zu weit an den Laden legen: zu offen sein, auch: sich zuviel herausnehmen. Hartmann Creidius mahnt in seinen ,Nuptialia' (Augsburg 1652) zur Zurückhaltung: „... wollen die Männer aber selber kurzum Narren sein, und so weit an Laden sich herfürlegen, daß jeder Mann in der ganzen Stadt davon weiß zu sagen“. Vom alten ,Kramladen* her haftet dem Wort Laden heute ein verächtlicher, wertmindernder Sinn an. Das wird vor allem in jüngeren Rdaa. deutlich: dev ganze Laden: das alles, das Ganze (geringschätzig); den Laden schmeißen: die Sache überlegen meistern; der Laden klappt: die Sache nimmt einen günstigen Verlauf, das Beabsichtigte ist erreicht; den Laden in Ordnung bringen: die Sache regeln; er kann seinen 566
Laffe Laden zumachen: er ist erledigt, er muß seine Sache aufgeben (auch in anderer als in geschäftlicher Hinsicht gebraucht); Mach keinen Laden auf!: Rede nicht so lange! Jem. an den Laden (an den Karren, an den Wagen) fahren: ihn rügen, ihm zu nahe treten; 20. Jh. Den Laden vollhaben: schwer betrunken sein (wobei Laden offenbar fiir Magen steht); /trinken. Im falschen Laden sein: sich gröblich irren. laden. Auf einen geladen sein: wütend auf ihn sein, auf jem. zornig sein. Er ist geladen: schwer gereizt. Das Bild ist von der geladenen Schußwaffe genommen; vgl. ,jem. auf dem Korn haben4 und ähnl. Wndgn., /Korn. Schwer (schief\ krumm) geladen haben: betrunken sein. Das Bild ist vom Beladen eines Fahrzeuges oder Schiffes genommen: unter der Last der Alkoholmenge kommt der Bezechte ins Taumeln. Einen auf den Besen laden /Besen. Ladenhüter. Es ist ein Ladenhüter sagt man von einer nicht verkauften, wegen mangelnden Käuferinteresses liegenbleibenden Ware; Schweiz, heißt sie ,Ladengaumer'; frz. (noch vor dem Dt.) ,garde-boutique4. Bereits 1660 ist der Ausdr. Ladenhüter bei Corvinus in der ,Fons latina4 belegt, 1673 in Christian Weises ,Erznarr4, wo ein schlecht gemaltes Bild als Ladenhüter bez. wird. Bei J.Savary (,Der vollkommene Kauf- und Handelsmann4, 1676) heißt es: „(Waren), die geringer als andere, und die entliehen wie man spricht zu Ladenhütern werden44. In Kaspar Stielers Verdeutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs4 von 1691 wird definiert: „Ladenhüter... merces aegre vendibilis, die man nicht an den Mann bringen kann / merces obsoletae44. 1781 wird der Ausdr. in Kindlebens Studentenlexikon von Büchern gebraucht: „Ladenhüter, so nennen die Buchhändler ein Buch, welches nicht abgeht und endlich Makulatur wird44. Jean Paul gebraucht im ,Hesperus4 1795 Ladenhüter in einem weiter übertr. Sinne und spricht von „soviel Witz und Scharfsinn, (die) ganz unnütz als Ladenhüter liegenbleiben44. In Ost- und Mitteldtl. ist das Sagte-Sprw. (Wellerismus) bekannt: „Ich mache keine Ladenhüter, sagte die Frau Pastor, die sechs Töchter hatte, als ein Freier die jüngste begehrte44. Ladenschwengel. Er ist ein Ladenschwengel, eine Berufsschelte, die auf einen Ladendiener oder Ladenjungen angewandt wird. Sie ist kaum vor 1792 belegt. 1809 wird der Ausdr. in Campes Wb. d. dt. Sprache ,pöbelhaft4 genannt. Er dürfte vermutlich eine Schöpfung der Studentensprache sein, die analog zu dem bereits um 1300 bekannten ,GalgenschwengeI4 gebildet wurde. Die frühere Annahme, daß es sich um eine sexuelle Pars-pro-toto-Bez. handelt (W. Porzig, Wunder der Sprache), wie Stift, Stöpsel u. a., dürfte demnach nicht die primäre Deutung sein. Weitere Bez. der Ladendiener, die meist auf die Sticheleien zwischen Studenten und Ladenpersonal zurückgehen, sind ,Ladenhengst4 (vgl. heute auch ähnl. Bildungen wie ,Bürohengst4 usw.), dann ,Ladenschwung4 und ,Ladenschwanz4. Ladestock. Er hat wohl einen Ladestock verschluckt und Er hat wohl einen Ladestock im Kreuz sagt man von einem Menschen, der sich so steif hält, als könne er sich nicht bücken. Der Ausdr. - ein eindrucksvolles Beisp. für die groteske physiologische Vorstellungswelt der Umgangssprache - geht ins 19.Jh. zurück und stammt wohl aus der Soldatensprache, von wo er sich allg. verbreitet hat. Vgl. auch die Wndgn. ,einen Besenstiel im Rücken haben4 (/Besen) oder ,ein Lineal verschluckt haben4. Schon 1471 gibt es ein ähnl. Bild für steife Haltung in dem Liederbuch der Klara Hätzlerin: Tregt ainer den leib uffgestrackt, man seyt: Im steckt ain scheytt ymm ruck, wo er get oder reit. Laffe. Ein Laffe sein: eine einfältige Person, ein verachteter junger Mann sein, dem man nichts Vernünftiges zutraut. Das seit frühnhd. Zeit bezeugte Wort Jaffe4 = Hängelippe, Maul steht pars pro toto für den untätigen Gaffer, der mit hängender Lippe oder offenem Mund 567
Lager (/Maulaffe) dabeisteht und zusieht, wie sich andere plagen. Das Wort ist verwandt mitnhd. ,laff = schlaff, matt und dem ndd. Japs' = läppischer, dummer Kerl, auch das Wort ,Affe' kann auf die Bildung dieses Scheltwortes eingewirkt haben. Lager. Etw. auf Lager haben: vorrätig oder parat haben, stammt aus der Sprache des Kaufmanns, der sein Warenlager hat. Übertr. findet sich die Rda. bei Bismarck, der in einer Parlamentsrede feststellt, ,,daß wir einen Finanzminister nicht fertig auf Lager haben“. Bei Gustav Freytag heißt es in ,Der verlorenen Handschrift': ,,Da sprach aus ihnen der letzte Rest des guten Genius, den sie noch auf Lager hatten“. Eine Stadt, überhaupt jede Art von Gemeinschaft, kann in verschiedene Lager gespaltensein. Eine Person kann ,in ein anderes Lager überwechseln'. Das Lager bez. hier meist nicht mehr bloß den Ort einer Partei, sondern die Partei selbst, so wie bei Luther l.Sam. 13,23 ,,der Philister Lager herauszog“, womit also das Heer selbst gemeint ist. Freiligrath teilt die Welt in zwei Lager: Von heute an - die Republik! Zwei Lager nur auf Erden: Die Freien mit dem kühnen Blick, Die Sklaven, um den Hals den Strick. ,Das westliche und das östliche Lager' oder ,das neutrale Lager' sind bekannte Begriffe der politischen Ggwt. - Die Wndg. ,Er ist ins große Lager gerückt' gebraucht man von einem Verstorbenen, der im großen Reich der Toten ist (/zeitlich). Die Rda. Er hat sein Lager bei Kandelberg aufgeschlagen ist mdal. verbreitet. Lit. findet sie sich z. B. bei Abraham a Sancta Clara und bez. einen, der oft im Bier- und Weinhaus sitzt. Der fiktive Ortsname Kandelberg ist scheinbar eine Anspielung auf eine bestimmte Lokalität und eine anekdotische Reminiszenz, bezieht sich aber nur auf die Kanne mit dem Getränk. Laib. Die gleichen Laibe zurückgeben: im Bösen Gleiches mit Gleichem vergelten. Die Rda. geht wohl auf die Sitte des Brot- leihens zurück: War jem. das Brot ausgegangen, so lieh man sich einige Laibe beim Nachbarn, die man nicht bezahlte, sondern am nächsten eigenen Backtag wieder zurückgab. Hatte einem der Nachbar minderwertige Brote gegeben, so konnte man es ihm nun mit den gleichen Laiben zurückgeben. Davon leitet sich auch ab: Der gibt ihm die Laibe heim: der wird es ihm schon zeigen; und als Drohung auf etwaige Angriffe: Ich will dir die Laibe schon heimgeben. Lametta. Lametta tragen: Orden und Ehrenzeichen sichtbar auf der Uniform tragen. Die Rda. ist eine Weiterentwicklung der schon im 1. Weltkrieg gebräuchl., iron. Wndg. Christbaumschmuck tragen', die den gleichen Sachverhalt bez. Die Rda. blieb nicht auf die Soldatensprache beschränkt, sie wird heute vielfach analog der Rda. ,Gala tragen' gebraucht (/Gala). Lamm. Sich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lassen: alles geduldig mit sich geschehen lassen, die höchste Strafe erleiden, ohne den Versuch einer Rechtfertigung oder Verteidigung zu unternehmen. Diese Rda. bezieht sich auf das ,Lamm Gottes', also auf Jesus während der Passion. Bereits im Gottesknechtsliede (Jes. 53,7) steht der prophetische Hinweis auf den Tod Jesu, der die Sünde der Welt und das Leiden dafür willig auf sich genommen hat: „Da er gestraft und gemartert ward, tat er seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer und seinen Mund nicht auftut''. Auch die 568
Lampe Rdaa. eine Lammsgeduld besitzen (haben) und lammfromm sein stehen mit der Vorstellung vom ,Gotteslamm1 (Joh. 1,29) in Zusammenhang, die auch in der kath. Messe und in ev. Kirchenliedern begegnet. Die Wndg. das Lamm den Wölfen befehlen: jem. seinen ärgsten Feinden, also dem sicheren Verderben, preisgeben, geht auf eine antike Tierfabel zurück und ist bereits beiTerenzsprw. gebraucht worden: ,,ovem lupo committere“. Vgl. die dt. Rda. gleicher Bdtg.: ,den /Bock zum Gärtner machen4. Die Rda. die Lämmer für (vor) die Hunde werfen: Friedfertige und Unschuldige den Verleumdern und Lästerern preisgeben, stammt ebenfalls aus der Antike. Vgl. lat. ,agnos canibus obicientes\ Auf der weitverbreiteten Fabel Äsops vom ,Wolf und Lamm' beruhen die Rdaa. Das Lamm hat dem Wolf das Wasser getrübt: der Schwache wird beschuldigt, einen Starken beleidigt oder geschädigt zu haben, und Das Lamm will mit dem Wolfe streiten: der Schwache unternimmt den von vornherein nutzlosen Versuch, gegen einen in jeder Hinsicht überlegenen Gegner vorzugehen und sein Recht zu behaupten. Vgl. die lat. Wndg. ,Ne capra contra leonem!4, die den gleichen Sachverhalt umschreibt, und die dt. Rda. ,kein Wässerchen trüben können4, /Wasser. Lämmerschnee, Lämmerstag. Von Lämmerschnee spricht man, wenn es zugleich regnet und schneit. Solche ambivalenten Naturereignisse finden oft auch mythologische und sagenhafte Ausdeutung wie etwa der Regen bei Sonnenschein (/Kirmes). Lämmerstag und Lämmerchestag werden (vor allem in Hessen) i.S.v. St.-Nimmer- leins-Tag, also als Bez. von ,,nie und nimmer'4, gebraucht (/Pfingsten). Der Ausdr. könnte auf eine Verkürzung der gleichbedeutenden Wndg. ,wenn die Böcke lammen4 zurückgehen. Lämmerschwänzchen. Gebratene Lämmerschwänzchen (,mit eingelegten Kellertreppen') ist die scherzhafte Antwort auf die neugierige Frage, was es zu essen gebe; vor allem in Ost- und Mitteldtl. verbreitet. In Schwaben heißt es ,Pastetle und Lam- merschwänzle'. In Ostfriesland sagt man: ,De Tung geit em as ’n Lämmerstert', ihm geht die Zunge sehr schnell, er ist ein Schwätzer. Das Herz hüpft (klopft) wie ein Lämmerschwänzchen: das Herz klopft schnell und unruhig vor Erwartung oder Freude. Rachel hat in seinen Satirischen Gedichten' (VI, 425) die Rda. bis auf die fehlende Verkleinerung genauso: „das Herz klopft wie ein Lämmerschwanz44, während Abel (Satirische Gedichte4, S.212) ein Kälberschwänzlein einsetzt, das sich ebenfalls durch unablässiges Wippen auszeichnet, und auch Simplicissimus (11,6) sagt: ,,das Herz hüpfte mir gleichsam vor Freuden wie ein Kälberschwänzlein'4. Auch vor Angst und Aufregung kann jem. zittern wie ein Lämmerschwänzchen. Der Feigling und Unentschlossene wird denn auch einfach ,Lämmerschwanz(chen)4 genannt, das auch an Schlapp- oder Lappschwanz4 anklingen mag. In Hessen sagt man von einem sehr vergeßlichen Menschen: ,Der hat Gedanken wie ein Lämmerschwanz', d.h. die Gedanken wechseln bei ihm so schnell wie das Wackeln des Lämmerschwanzes, oder sie sind so kurz wie der Lämmerschwanz. Von einem reglosen Menschen oder Tier sagt man iron.: Der regt sich wie ein toter Lämmerschwanz. Lampe. Einen auf die Lampe gießen (schütten): ein Glas Alkohol (Schnaps) trinken; auch in den Mdaa., z.B. rhein. ,änen of de Laterne schidden'. Das Bild stammt von der Öllampe: ,Ö1 auf die Lampe gießen4, den Ölbehälter der Lampe füllen. Das Lebenslicht erscheint auch als Lampe, entspr. dem Schlagerlied: Freut Euch des Lebens, Weil noch das Lämpchen glüht. Durch Alkohol verlängert man die Brenndauer. Entspr. zuviel auf die Lampe gegossen haben und einen auf der Lampe haben: betrunken sein. Das Bild findet sich schon im 12.Jh. in der Beichte des Archipoeta: „Poculis accenditur animi lucerna44, was G. A. Bürger 1777 übersetzt mit: „Echter Wein ist echtes Öl zur Verstandeslampe'4. Die Arbeit riecht nach der Lampe: sie verrät durch ihre anmutlose Form das nächtliche Studium, d. h., sie zeugt mehr von Fleiß und 569
Land verbissenem Ehrgeiz als von wirklicher Begabung und genialem Schwung. Die Rda., die man heute meist auf lit. Arbeiten bezieht, wurde zuerst von dem griech. Redner Pythéas (um 330 v. Chr.) auf die Reden des ihm verhaßten Demosthenes (384-322 v.Chr.) angewendet, von denen er behauptete, daß sie „nach den Lampendochten röchen“, bei denen er gearbeitet hatte (Biichmann, S.488). Land. Land sehen: dem Ziele nahe sein, Aussicht haben, mit einer Sache zu Ende zu kommen. Die Rda. stammt von der Seefahrt. Klaus Groth (1819-99) schreibt in seiner Gedichtsammlung ,Quickborn4 (Ges. W.I, 48): „Geld muss sin Vetter em gebn, sunst kunn he op Scholen keen Land sehn“. Land gewinnen: festen Grund unter seinen Füßen spüren, Zeit gewinnen und neue Kraft schöpfen können, größeren Raum und damit günstigere Bedingungen zu seiner Verteidigung erhalten. Die Rda. wird häufig als Drohrede angewandt: ,Sieh zu, daß du Land gewinnst!4, mach schnell, daß du wegkommst4. Etw. an(s) Land ziehen: eine Eroberung machen, einen Vorteil bei Handel oder Spiel gewinnen, auch: sich etw. unrechtmäßig unter dem Schein des Rechts aneignen. Die Rda. steht in Zusammenhang mit dem Strandrecht. Nach ihm standen alle Güter, die nach einem Schiffbruch vom Meer ans Land gespült wurden, den Strandbewohnern zu. Diese halfen dem Zufall oft noch etw. nach und zogen vorbeitreibende Gegenstände an Land, ln einigen Strandkirchen wurde Gott sogar um einen gesegneten4 Strand angefleht, d.h. er wurde wegen der zu erwartenden Beute um den Untergang recht vieler Schiffe gebeten. Das kann das Land (auch die Welt) nicht kosten: es wird nicht so teuer zu stehen kommen. In Holst, sagt man iron, von einem, der übel ankommt: ,He kumt int gelobte Land4, vielleicht in Erinnerung an den oft üblen Ausgang der Kreuzzüge. Landfrieden. Dem (Land)frieden nicht trauen:einen Zustand nicht für ganz sicher, nicht für gefahrlos halten, obwohl es so scheint. Im späten MA. war der Friede oft durch Fehden bedroht oder gestört. Die Kaiser erließen dagegen seit dem 11. Jh. ,Gottesfrieden4 für bestimmte Tage der Woche, später meist Landfrieden4 für größere Teile des Reiches. Aber Heer und Polizei waren nicht genügend ausgebildet, um für diesen Landfrieden völlig sichere Gewähr zu leisten; daher die Rda., die freilich in übertr. Sinne erst im 18.Jh. belegt ist. Älter bezeugt ist die Wndg. ,dem Geleit nicht trauen4: zum Schutz gegen Überfälle bedienten sich reisende Kauf- und Privatleute des Geleites, einer Art berittener Polizei. In Rollenhagens episch-didaktischem Gedicht ,Froschmeuseler4 von 1595 (Aa8b) warnt der alte Sperling seine Jungen: Spür ich an einem dicken Strauch, Daß sich herauswindet der Rauch, Als wenn ein Feur darunter wär, So trau ich dem Geleit nicht mehr. Landgraf. Die Aufforderung Landgraf\ werde hart! gilt als Ermahnung an einen allzu milden Vorgesetzten oder an eine Regierung, strenger gegen Unrecht und Mißstände vorzugehen. Sie geht zurück auf eine von Joh. Rothe 1683 in der ,Düringischen Chronik4 berichtete Sage, nach welcher der Landgraf Ludwig von Thüringen (1140-72) anfänglich so milde geherrscht haben soll, daß die Mächtigen im Lande übermütig wurden und das Volk ausbeuteten und in jeder Weise quälten. Auf einer Jagd habe sich der Landgraf verirrt und schließlich bei dem Schmied von Ruhla im Thüringer Wald Unterkunft gefunden. Der Schmied, der ihn nicht erkannte, habe, während er nachts emsig auf den Amboß schlug, auf die Lässigkeit des Grafen geflucht und gerufen: ,,Nun werde hart44. Unter dem Eindruck dieses Erlebnisses soll Ludwig alsbald für Zucht und Ordnung im Lande gesorgt haben. Die heute übliche Form .Landgraf, werde hart!4 stammt aus Wilh. Gerhards (1780-1858) Gedicht 7Der Edelacker4 (.Gedichte4, 1826, 11,24), das zum ersten Male 1817 unter dem Titel ,Der Acker der Edlen4 erschien. Die Brüder Grimm haben die Sage von Rothe übernommen und in ihren deutschen Sagen4 unter der Nr.556 veröffentlicht. Sagen 570
Lanze ähnl. Inhalts gibt es mehrfach, so z.B. von Gauffredus und dem Köhler (Joannis monachi Historia Gauffredi, Paris 1610, S. 26-29). ländlich. Ländlich, sittlich: urspr.: was in einem guten Lande üblich ist, gehört zur guten Sitte; als sprw. Wndg. am frühesten im 16.Jh. in Schwaben bezeugt und seit dem Ende des 17. Jh. von den Wbb. verzeichnet; in neuerer Zeit meist scherzhaft gesagt von dörflichen Zuständen, wobei ,ländlich' im Gegensatz zu städtisch1 steht; deshalb auch in der iron. Reimform ,ländlich, schändlich'. Landluft. Landlnftgenießen: iron, für: sich schminken (gegenwärtige Umgangssprache). Entspr. wird Schminke, Sonnenbräune vortäuschende Kosmetik bez. als ,Landluft aus dem Döschen'. Geschminkt sieht man so aus, als käme man aus der Sommerfrische (Küpper I, S.207). Landsknecht. Fluchen wie ein Landsknecht: tüchtig, unaufhörlich fluchen. Die Landsknechte (der Name bedeutet Söldner in kaiserlichen Landen und kommt mit der Sache am Ende des 15.Jh. auf; später ist er nach der Bewaffnung zu ,Lanzknecht' umgedeutet worden) wurden zwar häufig als ,fromme Landsknechte' bez., doch bedeutet dieses Beiwort hier soviel wie: tüchtig, tapfer. Aber schon Seb. Franck klagte: ,,Gots lestern, huoren, spilen, morden, brennen, rauben, witwen und weisen machen, ist ir gemein handwerk und höchste kurzweil. Wer hierin küen und keck ist, der ist der best und ein freier landsknecht". Hans Sachs erzählt in seinem Schwank von ,Sankt Peter mit den Landsknechten' von neun Landsknechten, die zufällig an die Himmelspforte kommen und vergebens Einlaß begehren, so daß sie anfangen zu fluchen: ,,Marter, leiden und Sacrament", was St. Peter für geistliche Reden hält. Als Rda. bucht die Wndg. ,,Er flucht als ein Lands-Knecht" 1741 J. L. Frisch (Teutsch-Lateinisches Wb.I, 572a); er verzeichnet auch den Ausdr.: ,,Von einer allzufreyen Weibs-Persohn sagt man: Sie ist ein rechter Lands-Knecht". In B.v. Münchhausens Ballade, Alte Lands¬ knechte im Himmel' (1900) heißt es von den wenigen in die ewige Seligkeit aufgenommenen Landsknechten: Und wenn gar einer mal fluchen will: ,,Potz Tod und Teufel und Frundsberger Drill!" Geht’s ihm nicht aus dem Mund heraus, Wird gleich ein Halleluja draus! Lanze. Mit jem. eine Lanze brechen: sich mit jem. in einen Streit einlassen, streiten. Für jem. (etw.) eine Lanze entlegen (brechen): für jem. (etw.) sich mit Wort oder Tat einsetzen, ihn (es) verteidigen (ebenso: ,ein gutes Wort einlegen'). Der Ausdr. knüpft an Realvorstellungen aus dem ma. Turnierwesen an. Das Wort Lanze kommt aber erst um 1200 als Lehnwort aus dem Frz. ins Dt. Erst bei Fischart ist der Ausdr. ,eine Lanze einlegen' bezeugt, und im iibertr. Sinne ist die Redewndg. erst seit der 2.H. des 18. Jh. gebräuchl. Bei dem Ostfranken Wirnt von Grafenberg heißt es zwar schon 1204 im ,Wigalois‘: ,,(er) valte (brach) da sin lanze"; und im ,Titurel' Wolframs wird vom Janzenkrach' gesprochen. Sonst aber heißt es im Mhd. stets ,sper' oder ,spiesse brechen' und ,diu sper under die arme slahen', der Technik des Speerhaltens beim Turnier entspr.: die Lanze wurde zwischen den rechten Oberarm und die rechte Brust eingelegt; am Brustpanzer war mitunter sogar ein besonderer Haken befestigt, der die Waffe tragen half. Die Wndg. die ersten Lanzen werfen, die in lat. Form bei Erasmus von Rotterdam belegt ist (,primas iactare hastas'), ist eine Art Terminus technicus der antiken Rhetorik und meint die ersten schlagkräftigen und gezielten Pointen und Argumente, die der Redner erst nach gemäßigtem Beginn anbringt. Mit silbernen Lanzen zu fechten wird Philipp von Mazedonien von dem Orakel des pythischen Apoll auf die Frage nach seinen Siegeschancen geraten, d.h. dem König wird im Bilde nahegelegt, das Mittel der Bestechung und des Verrates anzuwenden. So ist auch für die korrupte Rechtspflege des 17.Jh. das Sprw. gebräuchl.: ,Mit goldener Lanze hebt man den Stärksten aus dem Sattel'. 571
Lappen Lappen. Durch die Lappen gehen: entwischen, entgehen, entkommen; eigentl.: die Absperrung durchbrechen. Diese Rda. stammt aus der Jägersprache, aus der so manche Rdaa. hergeleitet werden können (vgl. Busch, Garn, Latein, Leim; etwa auch ,durch die Latten gehen4). Um das Wild am Ausbrechen aus dem Jagdrevier zu hindern, wurden auf Treibjagden bunte Zeuglappen zwischen den Bäumen aufgehängt, vor denen die Tiere zurückscheuten. Dennoch brach das Wild gelegentlich aus und ging dann ,durch die Lappen4. Lappen als Schrecktücher zum Umstellen des Wildes erwähnt bereits 1579 M.Sebiz (,Feldbau4 S.563): „Zum Betrug (des Wildes) gehören Garn und Netze, und die man zum Ge- wild gebraucht, nendt man auf weidmännisch Wildseil, Wildgarn... Wehrtücher oder Lappen44. Im Jagdbuch von H. F. v. Göchhausen 1741 werden die Vorkehrungen beschrieben, um „sich das Wild zuzulappen44. Im übertr., auf Menschen bezogenen Sinne wird die Rda. erst seit dem 18. Jh. gebraucht. Bei Wilhelm Raabe findet sie sich z.B. in ,Prinzessin Fisch4 (Kap. 11): ,,... als ich Eltern, Geschwistern... durch die Lappen ging44. Ein neues Kleid mit einem alten Lappen flicken (und umgekehrt) sagt man, wenn zwei nicht zusammenpassende Dinge unsinnigerweise miteinander verbunden werden. Die Rda. bezieht sich auf das bibl. Gleichnis bei Luk. 5,36: „Niemand flickt einen Lappen von einem neuen Kleid auf ein altes Kleid; sonst zerreißt er das neue, und der Lappen vom neuen reimt sich nicht auf das alte44. Den Lappen neben das Loch setzen: etw. ungeschickt anfassen. Am Lappen halten ist seit 1554 belegt und heißt soviel wie sparen, sogar an minderwertigen Lappen fest- halten. Sich auf die Lappen machen: sich auf den Weg machen, sich entfernen (ebenso ,sich auf die Socken machen4). Mit den Lappen sind hier die Fußlappen gemeint, mit denen man den Fuß umwickelte. Aus dein Lappen in die Plunnen: vom /Regen in die Traufe (Braunschweig). Lappen als Schelte ist sehr früh gebräuchl. Abraham a Sancta Clara weiß folgendes zu erzählen: „Ein Frauenzimmer ... hat dem guten Alten etlichmal eine Labetkarten ums Maul geschlagen, und ist wohl viel, daß dem armen Lappen die Nasen nit geblutet44. Im 16.Jh. wurde in Basel sündhaften Männern und Frauen der ,Schandlappen4 umgehängt. So wird bei Hans Sachs die Wndg. jem. einen Schandlappen A an hängen gebraucht i.S.v.: jem. die Ehre abschneiden. Mdal. sind im Rheinl. die Schelten ,Trauerlappen4 und ,Schmachtlappen4 bekannt. Die mdal. verschieden gebrauchte Wndg. ,Lappländer4 soll einen bald liederlichen, auch wunderlich gekleideten, bald auch einen ungeschickten Menschen bezeichnen (vgl. Lappsack, Lappschwanz, Lapphannes, Laban usw.). Es handelt sich hier wohl um einen geographischen Wortwitz, in dem die Tendenz sichtbar wird, für einen bestimmten Typ die Festlegung in der Nation zu finden. Dabei dienen der lautliche Anklang und die Struktur des Wortes als Länder- und Herkunftsname zur Herstellung des Ausdr. Ähnl. sagt man von einem läppischen Menschen: Er ist von Lappenhausen. Schon 1453 wird im ,Ring4 des Heinrich Wittenweiler das Dorf Lappenhausen genannt, und auch Hans Sachs schließt an diese sprechende Ortsbez. an: Pey Rappersweil im Schweizerland Da ligt ein Dorff gar weit erkand. Das man zu Lappenhausen nennt, Darin gar leppisch Pauern sent. Lappen kann auch für ,Ohrlappen4 stehen; daher einem ein paar hinter die Lappen geben: ihm ein paar Ohrfeigen versetzen (ndd. ,up de Lappen geben4). Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.319. läppern. Es läppert sich zusammen: aus vielen kleinen Beträgen ergibt sich eine beachtliche Summe; bei der Rda. ist an Lappen, also an kleine Stoffstückchen, zu denken, aus denen etw. Größeres zusammengeflickt werden kann. Das Wort ,Lappen4 nimmt spätestens im 18. Jh. die Bdtg. einer wertlosen Kleinigkeit an, in Dtl. wurde es bes. z.Zt. der Inflation auch zur Bez. des Papiergeldes gebraucht. Larifari. Leeres Gerede (meist auch in der Absicht, jem. etw. vorzumachen). Das Wort steht in Wndgn. wie Das ist doch La- 572
Larve rifari, oder mach kein Larifari. Im Schwab, kennt man die Rda. ,Es ist Larifari wie des Weberwiblis Habermus4. Solche lautmalenden Wortbildungen sind im Bereich des Spielerisch-Sinnlosen durchaus geläufig (vgl. lirum-larum, Brimborium, Klimbim, papperlapapp, Schlendrian usw.). Wahrscheinlicher ist aber die Herkunft aus der musikalischen Technik. In der ital. Solmisation sind Ia-re-fa Tonbez. Trällernde Gesangstöne werden in alten Volksliedaufzeichnungen mit löri fä angedeutet, eine Messe im 15.Jh. mit La re fa re. Hier ist schon die Form erreicht, die in Wien 1719 als ,leeres Geschwätz4 fest geworden erscheint. Abraham a Sancta Clara reimt: ,,Ein Wax ist die Welt, man truck darein was man will, so ists doch nichts als Lari fari und Kinderspiel44. Seit dem Ende des 18.Jh. trägt der Hanswurst in Wien auch den Namen Larifari. Lit.: Zs. f. dt. Wortf. 2, S. 23; Göhring, Nr.219, S. 124; Schulz-Basler: Fremdwb. (1942) 2.9; Kluge: Etymol. Wb., S. 423. Lärm. Lärm schlagen: die Leute auf etw. aufmerksam machen (oft mit einer abwertenden Note i.S.v.: künstlich aufregen). Die Wndg. geht auf einen militärischen Terminus technicus zurück und bewahrt die urspr. Bdtg. von Lärm, womit eigentl. ,Alarm4, d.h. der Ruf zu den Waffen, ital. alFarma, frz. à Farme, gemeint ist (frühnhd. larman, lerman). Es war vor allem in den Kriegendes 16. und 17.Jh. die Wndg., mit der man zu den Waffen rief. Hans Sachs dichtet: Josua kompt mit sein Volk und schreyn: Lerman, Lerman, dran, dran, dran! In Gottes Namen greif wir an. 1558 heißt es bei Lindener im ,Katzipori4 schon im libertr. Sinn: ,,Und hebt der Pfaff noch den selbigen Tag ein Lerman an44. Bes. häufig sind rdal. Vergleiche mit Lärm, z.B. ,ein Lärm wie in einer /Judenschule4, ,wie auf dem poln. Reichstag4, ,lärmen wie die Gänse auf dem Kapitol4, ,wie die Berserker4, ,wie die Wilden4, ,er macht mehr Lärm als ein Kesselschmied4. Der rdal. Vergleich ,lärmen wie die Schweidnitzer Büchse4 geht auf einen chronikalischen Bericht von 1488 über eine Schweidnitzer Kanone zurück, die von 43 Pferden gezo¬ gen worden sein und 3 Zentner schwere Kugeln verschossen haben soll. Im Sinne des Nichterfülltwerdens bedeutender Ankündigungen oder der Unangemessenheit zwischen Aufwand und Ergebnis werden folgende Redewndgn. gebraucht: ,VieI Lärm um nichts4 (Shakespeares Komödientitel; vgl. Plautus: ,verba sine penu et pecunia4 = Worte ohne Nährwert und Geld). In der Oberlausitz sagt man: ,Viel Lärm und keine Hochzeit4 (vgl. ,viel /Geschrei und wenig Wolle4). ,Sie macht einen Lärm wie die Henne vor Tage4; ,er lärmt wie die Frösche im Winter4 (nämlich gar nicht); ähnl.: ,er lärmt wie ein Dieb im Pferdestall4, ,als wenn die Katze ein Ei legt4. Die Wndg. ,so viel Lärm um e Bische Käse4 geht auf eine Anekdote zurück, die in klassischer Form von dem frz. Dichter und Freidenker Desbarreaux (17./18.Jh.) erzählt wird: Ein Jude verlangt an einem christl. Festtag in einem Wirtshaus eine Omelette. Der Wirt serviert sie nur unter größtem Drängen des Gastes. Beim Aufträgen der Speise bricht plötzlich ein Gewitter los, was der Wirt als ein Eingreifen des Himmels deutet. Der Jude aber sagt: ,Voilà bien du bruit pour une omelette!4 (Kluge-Götze, S. 437.) Larve. Einem die Larve (Maske) abreißen (abziehen) oder vom Gesicht reißen: ihn in seiner wahren Gestalt zeigen, ,entlarven4, seine Absichten enthüllen. Eine ähnl. Wndg. findet sich schon bei Luther: ,,Habe ich wollen die Larven anzeigen, die Herzog George aufgesetzt hat, damit sie die Mummerei kennen44. Schon die Römer haben diese Wndg. in übertr. Sinne gebraucht: ,personam detrahere capiti4 (Martial 3, 43,4). Joh. Georg Forster verwendet 1791 in seinen ,Ansichten vom Niederrhein4 die Ausdr. ,,hinter der Larve der Demokratie versteckt44 und ,,hinter der bedeutsamen Larve ein Schafsgesicht verstecken44, was an die lat. Wndg. ,pulchra larva cerebrum non habens4 (= ein schönes Gesicht ohne Verstand) erinnert. Schiller sagt in der ,Macht des Gesanges4: ,,Des Jubels nichtiges Getöse verstummt und jede Maske fällt44, in den ,Räubern4 heißt es: ,,Er ist’s trutz seiner Larv44. Grillparzer schreibt: ,,Ich würde unbedachtsam kühn die schöne 573
Last Larve vom Gesichte reißen“. Hölderlin spricht im ,Hyperion4 von „dem Kriege, den man unter der Larve des Friedens führt“. Im 17. Jh. schon wandelt sich Larve auch zur Bez. des Trägers; in Schwaben sagt man: ,Die hat eine schöne Larv\ und meint damit das Gesicht eines Mädchens; das Mädchen bez. man auch pars pro toto als Lärvchen. Im Rheinl. sagt man: ,Schlag ihm eine an die Larv4 (ins Gesicht). Larve steht für Gesicht auch im Schweiz., wo ,eine Larve machen1 ein Gesicht schneiden heißt. Ein Schweiz. Spruch warnt: ,1 schön G’sichtli vergaff di nit, s’ chönnt au e Larvli si\ Ebenso häufig ist die entspr. Wndg. die Larve (Maske) fallen lassen (ablegen): sein wahres Gesicht zeigen, seine Tarnung preisgeben, seinen wahren Charakter zu erkennen geben, seine Absichten enthüllen. Last. Einem etw. zur Last legen: jem. etw. als Schuld anrechnen; einem zur Last fallen. Diese und ähnl. Wndgn. können im wörtl. und übertr. Sinne eine ,Belastung4 meinen, aber auch auf die Kaufmannssprache zurückgehen, in der ,Last4 und .Belastung4 die .Debetseite eines Kontos4, d.h. eine Zahlungsverpflichtung, bedeuten. Sicher zur Kaufmannssprache gehören die Rdaa. einem etw. zu Lasten schreiben und jem. mit soundso viel belasten. ,Die Last des Daseins4 ist ein bekannter rdal. Topos. Das Wort Last wird spätestens seit frühnhd. Zeit als reale wie übertr. Bez. für alle möglichen Formen von Belastung verwendet (vgl. das lutherisch-neutesta- mentliche„Einertragedes anderen Last44). In Mdaa. und Sondersprachen wird das Wort neben der allg. Bdtg. noch für spezielle Bez. gebraucht, vor allem für verschiedene Gewichts- und Mengenbez. So ist das ins Grastuch eingebundene Viehfutter, das die Bäuerin auf dem Kopf trägt, eine Last. Von hier rührt dann der drohende Kraftausdr. ,Ich trete dir en Bruch wie’n Last Klee4, der im Rheinl. verbreitet ist. Allg. sagt man: ,Man hot sei Last4, d.h. man hat es nicht leicht im Leben. ,Mit dem kriegste noch (dein) Last4, prophezeit man vor allem Eltern bzgl. ihrer mißratenen Kinder; es kann sich auch auf kommende Krankheiten richten. Bereits im 16. Jh. ist im Schweiz, gebucht ,in ein groß Last kom- men/difficultatem incurrere4, in schwere Händel geraten. Die Last zur Bürde nehmen: eine kleine Belastung abschütteln, dafür aber eine um so größere aufnehmen müssen. Auch rdal. Vergleiche, die meist iron. Sinn haben und Ungewöhnliches verbinden, sind mdal. sehr verbreitet: ,Er hat ne Last wie en Zinngießer4; ,er hat seine Last wie Kimmeis Hund4; ,er hat seine Last wie ein Reffträger4. Im Sprw. heißt es: ,Das Ende trägt die Last4, was soviel bedeutet wie: ,Das dicke /Ende kommt nach4 und ,Man soll den /Tag nicht vor dem Abend loben4. Latein. Mit seinem Latein am Ende sein: nicht mehr weiterwissen, keinen Rat mehr wissen, sich festgefahren haben, aber auch: des bloßen Geredes überführt sein. Im selben Sinne ist die Rda. Dem geht das Latein aus zu verstehen. Anstoßend für den rdal. Gebrauch des Wortes Latein war die Funktion des Lat. im ma. Gelehrten- und Bildungsbetrieb. So steht Latein in den genannten verbreiteten Rdaa. in übertr. Sinne ganz allg. für Wissen und Wissenschaft. Die Bdtg. kann allerdings auch ins Gegenteil Umschlägen; Latein bedeutet dann das Verkehrte, Verzwackte, Umständliche, bis zum bloßen Gerede: Sag dein Latein auf: sag, was du weißt, es wird nicht viel sein, es ist doch bloß äußerlich einstudiert. Das ist kein gut Latein: das ist nicht gut gemeint, nicht gut gesprochen. Im Sinne von dummem und schlechtem Gerede bringt Seb. Franck (1541) folgende Sprww.: ,Wein redt vil, aber bös Latein4 und ,Wein - spricht man - redt Latein4. In Gutzkows ,Ritter vom Geiste4 1850/51 heißt es: „das kommt mir lateinisch vor44, das ist mir unklar (/spanisch). Jem. das Latein sagen: ihm etw. sehr deutlich, grob sagen. In der ,Zimmerischen Chronik4 (16. Jh.) finden sich z. B. folgende Wndgn.: „Daß mich der Mann nicht ergreif und mir die Vesper auf Latein pfeif44; „. . . sondern ihm ein Latein sagen, daß er ihn ein andermal zufrieden wird lassen44. In den heutigen Mdaa. hat sich diese Bdtg. z.T. noch rdal. erhalten. Im Rheinl. z.B. 574
Laternenpfahl sagt man für deutlich werden auch: ,Von Jesus up Latein sprechen'. Der Ausdr. Küchenlatein für schlechtes Latein mag aus dem Munde gelehrter Humanisten stammen, die sich auf ihr klassisches Latein etw. einbildeten gegenüber dem Latein, das in Klosterküchen gesprochen wurde. So erscheint die Wndg. 1521 bei Joh. Eberlin von Günsberg und 1523 bei Luther. Jägerlateiti bez. zunächst die Sondersprache des Jägers, dann aber auch ,Jagerlatein‘ die beliebten Aufschneidereien erzählfreudiger Waidmänner. Krämerlatein ist die scherzhafte oder verächtliche Bez. der Kaufmannssprache als Sondersprache. Auf lat. Zehrung gehen: sich selbst zu Gaste laden, was Schweiz, vor allem Studenten und Geistlichen nachgesagt wird. Ebenso schwäb. ,auf lat. Zehrung gehen', betteln; vgl. die altels. Rda. ,ufm latinischen Tappe reise', d. h. als fahrender Schüler Geistliche und Klöster aufsuchen und sich so durchs Ländchen essen und betteln. Zu vermerken sind ferner folgende rdal. Vergleiche: ,Der spricht Latein wie Wasser'; so sagt man in Aachen von einem Schwätzer und Angeber. Allg. ist im Rheinl. verbreitet : ,Der spricht Französisch wie die Kuh Latein' (vgl. frz. ,11 parle français comme une vache espagnole'); ,das versteht er wie die Katze Latein', nämlich gar nicht. Laterne. Etw. mit der Laterne suchen: etw. mühsam suchen; dagegen: etw. mit der Laterne am Tage suchen: etw. Unsinniges, Selbstverständliches tun, etw. Längstbe¬ kanntes als Neuigkeit preisen, ,offene Türen einrennen'; älter in der Form: ,die Laterne bei Tage anzünden'. Brant im ,Narrenschiff' (28, 1) verspottet solche Verkehrtheit: Der ist eyn narr, der macht eyn für (Feuer), Das er dem sunnen schyn geb stür (Unterstützung), Oder wer fackeln zündet an Vnd will der sunnen glast zu stan (unterstützen). Diogenes, der griech. Zyniker (gest. 323 v. Chr.), verachtete die Menschen so sehr, daß er am hellichten Tage einen Menschen mit der Laterne suchen zu müssen vorgab. Daher Spiegelberg in Schillers ,Räubern' (II, 3): ,,Lösch deine Laterne aus, schlauer Diogenes! - du hast deinen Mann gefunden“. Dagegen der Kapuziner in Gallensteins Lager' (8. Auftr.): Aber wer bei den Soldaten sucht Die Furcht Gottes und die gute Zucht Und die Scham, der wird nicht viel finden, Täf er auch hundert Laternen anzünden. In rhein. Mda. heißt es: ,So findschte käne, un wenn de om helle Dag met der Laterne rumgehscht'. Wem der Kopf wie eine Laterne ist, dem ist es heiß im Kopf. Eis. bedeutet ,eine Laterne haben', im Rausch scharf sehen. Rhein. ,er hot de Laterne un' (an), er hat Rotz aus der Nase hängen. Ihm geht eine Laterne auf: ihm geht ein /Licht auf, er beginnt zu begreifen. Laternenpfahl. Mit dem Laternenpfahl winken: mit dem /Zaunpfahl winken. Die Rda. kann natürlich erst in der 2. H. des 18. Jh. mit der Einführung der Straßenbeleuchtung aufgekommen sein. Sie findet sich z.B. in dem Briefwechsel zwischen Adalbert v. Chamisso und Helmine v. Chézy (hg. v. Petersen und Rogge, Berlin 1923, S.44): ,,Die Staël... winkt mir schmeichlerisch mit einem Laternenpfahl“. Zunächst war es wohl der Wirt, der allzu seßhaften Gästen diesen Wink gab. ,Die Laterne is angebrannt' sagt obersächs. der Wirt zu seinen Gästen, um sie zu veranlassen, nach Hause zu gehen. 575
Latsche Sich hinter einem Laternenpfald ausziehen können: sehr dünn und schlank sein. Latsche. Sie passen zusammen wie ein Paar alte Latschen (d.h. Pantoffeln, Hausschuhe) sagt man obersächs. von einem alten Ehepaar, das sich gut miteinander eingelebt hat, doch auch von anderen gut harmonisierenden Personen. Latte. Mit der Latte laufen: ein Narr sein, in engerer Bdtg.; toll sein vor Liebe. Belegt ist der Ausdr., z.B. 1728 bei Daniel Stoppe (,Gedichte1 Bd.2, S.199): „Wer mit der Latte läuft und sich als ein Narr stellt“. Der Sinn der Rda. wird kulturgeschichtlich klar, wenn man sich unter Latte die Leimstange oder Leimrute des Vogelfängers vorstellt. Gestützt wird diese Gleichsetzung dadurch, daß im 16. Jh. die Rda. auch in der Form ,mit der Leimstange laufen4 im selben Sinne ganz gebräuchl. war. Diese Form wird im 17. Jh. bei Heinrich Julius von Braunschweig lit.: „Barmherziger Gott, wie leuft der Kerl mit der Leimstangen“, d. h. was ist er doch für ein Narr. Der ,LeimstängIer4 war in der Komödie des 16. und 17. Jh. die typische Figur des verliebten Gecken, der in närrischem Aufzug mit Leimrute oder -Stange als Mädchenjäger umherlief, um sie wie Vögel einzufangen. Einen auf der Latte haben: betrunken sein, mag sich scherzhaft auch noch auf die Leimstange beziehen, mit der man einen Vogel fängt. Die Rda. bedeutet aber auch: es auf einen abgesehen haben, einen nicht leiden können, jem. scharf beobachten. Hier dürfte vielleicht an die Fixier- und Visierlatte des Landmessers oder des Artilleristen als tertium comparationis gedacht sein. Latte kann hier aber auch im Sinne des /Kerbholzes verstanden werden, auf dem man noch jem. als Schuldner hat. So heißt ,etw. auf der Latte haben4 auch: Schulden haben. Latte wird ferner als Mengenbez. für Geld gebraucht: ,eine Latte Geld4, eine Stange Geld. Im Bair. ist im Sinne des Kerbholzes bekannt: ,einem eine Latte zahlen4, einem die Zeche zahlen. Man sagt dort auch: ,Er hat eine lange Latte4, er hat viele Zechschulden, oder: ,rechnen Sie die Latte zusammen4, machen Sie die Rechnung. Im Rheinl. sind ,Lattenschulden4 Borgschulden. ,Man schlägt einen an die Latte4, wenn man über den Durst und auf Pump trinkt, wobei der letztere Sinn in der Rda. heute meist verlorengegangen ist, so daß sie nur noch als ein flottes Kraftwort gebraucht wird. Er hat eine Latte zuviel: er ist verrückt. Verständlich wird diese Rda., wenn man an die verwandte Form denkt: ,Der hat einen Dachsparren zuviel, wobei Kopf und Verstand mit dem Dach verglichen werden. Der hat sie nicht alle auf der Latte besagt dasselbe. Latten schneiden: schnarchen; vgl. auch ,sägen4 in der gleichen Bdtg. Lange Latte nennt man einen langen, hageren Menschen; eine tapezierte Latte ist ein geckisch aufgeputzter hagerer Mensch. Einen auf die Latten legen: einen ins Gefängnis stecken. Die Rda. knüpft an den älteren Ausdr.,Lattenarrest4 an, der so nach der mit Latten ausgelegten, primitiven Gefängniszelle genannt ist; vgl. ,an die Latten kommen4, von der Polizei erwischt werden. Im Schwäb. ist ,August mit der Latte4 der Landjäger, wobei Latte als ironisierender Ausdr. für jede Art von Waffe, hier für das Gewehr, fungiert. Im Rheinl. nannte man den Degen des Feldwebels ,Lättchen4. Durch die Latten gehen: entwischen, ist wohl eine lautliche Analogiebildung zu ,durch die /Lappen gehen4, wobei hier nun aber Latten als Lattenzaun verstanden werden. ,Über den Latten gehen4 besagt in Augsburg: die Grenzen des Anstandes überschreiten; vgl. Schweiz. ,aus der Latte springen4, aus der Rolle fallen, wobei eine Anknüpfung an die ma. Turnierschranken (/Schranke) denkbar wäre, aber nicht gesichert ist. Lit.: L. Röhr ich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.323. Latz. Jem. eine vor den Latz knallen (oder donnern, hauen)-, auf die Brust schlagen, ihn ohrfeigen. Latz meint hier das Bruststück der Männer- oder Frauentracht; etwa seit 1920 belegt. Entspr. sich innerlich vor den Latz geknallt fühlen: sich beleidigt fühlen, sich Selbstvorwürfe machen (Küpper II, S. 178); vgl. ,jem. eine vor den Hals hauen4; ,jem. eine vor den Kahn hauen4, ihn tätlich angreifen. 576
Laufpass Laube. Fertig ist die Laube (oder auch: Kiste): die Sache ist fertig, abgemacht, eigentl.: rasch erledigt, ebenso schnell, wie eine Gartenlaube aus wenigen Brettern gezimmert wird. Diese berl. Rda. hat allg. Verbreitung gefunden und wird meist am Schluß eines Berichtes gebraucht, um anzudeuten, daß alles glatt geht (auch mit dem Akzent minderer Qualität des Erledigten oder Hergestellten). Obersächs. auch in erweiterter Form: ,Da packen mer'sch in ’ne Kiste, un fertig is de Laube'; /Lack, /Laden. laufen. Sieh auf dem laufenden (er-)halten. auch auf dem laufenden sein: sich immer über alle Neuigkeiten und Fortschritte unterrichten. Die Rda. verdankt ihre Entstehung einem Übersetzungsfehler: sie soll das frz. ,au courant' wiedergeben, wobei hier .courant' = Strömung, Lauf der Welt bedeutet. Auf etw. zu laufen wissen: sich mit etw. genau beschäftigen und daraus seinen Lebensunterhalt gewinnen, wie z. B. der Seiltänzer, der auf dem Seile läuft, d.h. eine schwierige und gefahrvolle Aufgabe meistert. Nach etw. lange laufen müssen, auch von Pontius zu Pilatus laufen müssen: viele (erfolglose) Wege (Anstrengungen) unternehmen müssen. Etw. läuft: eine Angelegenheit ist in Angriff genommen worden, es geht etw. vor, eine Arbeit geht ohne Hindernisse voran. Die Frage Was läuft?: was geht vor? ist im Halbwiichsigendt. der Ggwt. üblich und vermutlich dem Roulettespielerjargon entnommen, in dem die Frage bedeutet, welche Chance im Augenblick günstig sei. Die Wndg. kann aber auch mit dem Ablauf einer Filmspule in Verbindung gebracht werden, so daß ihr Urspr. nicht gesichert erscheint. Alles laufen lassen: tatenlos Zusehen, nichts zu ändern versuchen, sich nicht um eine wichtige Angelegenheit kümmern, nichts unternehmen, um einer Sache Einhalt zu gebieten, um eine drohende Gefahr abzuwenden; eigentl. einen ins Rollen gekommenen Wagen nicht bremsen. Zahlreich sind die rdal. Vergleiche, von denen Wander (II, Sp. 1813 ff.) sehr viele anführt, z. B. Er läuft darüber hin wie der Hahn über die Kohlen: sehr schnell und vorsichtig; er läuft davor wie der Teufel vor dem Kreuz: er flieht voller Abscheu und Entsetzen; Er läuft wie ein Faßbinder (/Bürstenbinder): er muß sich wie ein Faßbinder beeilen, der dem rollenden Faß die Reifen antreibt. Die Schweiz. Rda. ,Er laufft uff diitsche Sohle' meint: er hat die Schuhsohlen durchgelaufen. Schieflaufen /schief. Laufenburg. Von Laufenburg sein: rasch davonlaufen, es bes. gut verstehen, sich etw. Unangenehmem, Gefährlichem zu entziehen. Die Schweiz. Rda. ,Er het nach Laufeburg appelliert' meint: er ist heimlich durchgegangen, geflohen. Die Wndgn. haben den Namen der Stadt Laufenburg am Rhein zu einem Wortspiel verwendet, in der scherzhaften Annahme, daß die Einwohner dieses Ortes bes. gut zu laufen verstehen müßten. Lauffeuer. Sich wie ein Lauffeuer verbreiten : sehr schnell, bes. von Nachrichten, Gerüchten gesagt. Lauffeuer sind eigentl. bei Fernzündungen und Feuerwerken ge- bräuchl.: in aneinandergehängten Röhren, in die Pulver geschüttet ist, verbreitet sich das Feuer sehr rasch; urspr. wurde das Pulver auch als Strich auf den Boden ausgestreut (so seit 1617 bezeugt). Nicht als Urspr. der Rda. kommt in Betracht die im 18. Jh. als Lauffeuer bez. Art des Gefechtsschießens, bei dem ein Mann nach dem andern vom Flügel aus sein Gewehr abfeuerte. In iibertr. Sinne ist die Wndg. seit dem Ausgang des 18. Jh. belegt. Da man ihren Urspr. nicht mehr verstand, ist sie mdal. hier und da verdreht worden, z. B. Schweiz. ,es god umme wie nes Laubfür' (wobei man an einen Waldbrand denkt), obersächs. dergleichen Sachen liefen wie ein Lohfeuer in der Stadt herum'. Laufmasche. Du hast wohl eine Laufmasche im Auge (oder im Gehirn): du kannst wohl nicht richtig sehen, bzw. du bist wohl nicht recht bei Verstand, Mitte 20. Jh. (Küpper II, S. 179). Laufpaß. Einem den Laufpaß geben: ihn wegschicken, entlassen, abweisen. Der 577
Lauge Laufpaß, früher auch ,Laufzettel4, war der Paß, der den Soldaten bei der Entlassung ausgestellt wurde und der ihnen bei der Suche nach Arbeit als Ausweis diente (18. Jh.). In übertr. Sinne ist die Wndg. seit dem Ausgang des 18. Jh. bezeugt. Ähnl. lauten die Worte des Ministerialangestellten La Roche in Schillers ,Parasit1 (I, 2): ,,Mein Platz ist vergeben. Seit gestern abend hab’ ich meinen Laufpaß erhalten“. Die Rda. hat einen negativen Beiklang; sie wird heute meistens dann gebraucht, wenn ein Mädchen einen werbenden Burschen abweist oder wenn ein Ehepartner den andern verläßt. Lauge. Einen mit scharfer Lauge waschen: ihn scharf tadeln, ihn tüchtig ,herunterputzen4, ,jem. den /Kopf waschen4; ähnl. einem scharfe Lange aufgießen; einen mit Lauge taufen. Der Ausdr. Lauge in diesen Wndgn. geht auf die Badegepflogenheiten des 16. Jh. zurück. So sagt uns die Heldin in Paul Rebhuhns Drama,Susanna1 (1536), was neben Seife, Öl und reinem Tuch zum Baden gehöre: Eine reine laug, Die zu meinem haubte taug. Doch wird der Ausdr. schon in derselben Zeit in übertr. Bdtg. rdal. gebraucht. Bei Joh. Fischart findet sich in der ,Geschicht- klitterung4:,,Das ist Laug für seinen Kopf“, d.h. so muß man ihn behandeln; das wird bei ihm wirken. Burkard Waldis sagt 1527 in seinen Äsopischen Fabeln: ,,Sie sind alle mit der Lauge begossen“, i. S. v. sie sind alle hereingefallen (vgl. ,wie ein begossener PudeT). In einem Stuttgarter Kodex aus dem 16./17. Jh. heißt es von der Stadt Ulm: „Esseye dieser Ketzerstatt schon etlichmal ein Laug übergossen worden, sie müsse einmal ausgerieben werden“. Bei Abraham a Sancta Clara findet sich: „mit der gleichen Lauge gewaschen werden“ = gleiches Schicksal mit jem. erdulden müssen. Das heute verbreitete Sprw. ,Auf einen grindigen Kopf gehört scharfe Lauge4 ist in ähnl. drastischer Form schon bei Chr. Lehmann im ,Florilegium politicum oder politischen Blumengarten1 (Lübeck 1639) verzeichnet: „Offt ist zum unsinnigen Kopff kein besser Recept, als ein rot Laug“. Auf ital. heißt es jedoch resignierend: ,Chi lava la testa alPasino, perde il ranno ed il sapone4 = ,Wer dem Esel den Kopf wäscht, vergeudet die Lauge und die Seife4. Die Lauge seines Spottes über jem. aus- schütien: ihn scharf verspotten. Der humanistische schwäb. Dramatiker Nikodemus Frischlin (1547-90) warnt: „Hoffkat- zen . . . grüssen die Leut freundtlich under Augen, Dahinter giessen sie ein Laugen“. 1647 bei Joh. Gerlingius (,Sylloge adagiorum4 Nr. 24): „Aceto perfundere (worth: ,mit Essig übergießen4). Einen hö- nisch oder für einen Jecken halten44. Bei Peter Rosegger heißt es 1875 im ,Waldschulmeister4: ,,Seine Predigten sind scharf wie Lauge“. Laus. Einern eine Laus in den Pelz setzen: ihm Ärger, Schwierigkeiten bereiten, auch: sein Mißtrauen erregen, ihm etw. weismachen. Die Rda. ist im 19. und 20. Jh. noch ganz geläufig. Der ältere Sinn der Rda. entspricht aber keiner der heutigen Bdtgn. ,Einem Läuse in den Pelz zu setzen4, das war soviel wie ,Eulen nach Athen tragen4 (/Eule),d.h. etw. völlig Überflüssiges tun, denn in einem Pelz waren natürlich schon vorher Läuse, und man brauchte sie nicht erst dorthin zu bringen. Das entspricht durchaus den älteren kulturgeschichtl. Tatsachen. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 heißt es: „Es ist nit not, daß man Leuß in den Beiz werf, sie wachsen wol on das darin44. Das Bild will hier sagen: ein Übel, das ohnehin fast von selbst kommt, muß man nicht noch eigens herbeiführen. Bei Geiler von Kaisersberg heißt es 1514 im ,Irrig Schaf4 (D la): „Man darf ( = braucht) nit lüs in den beiz setzen, sie wachsen selbs darin44. Das 17. Kap. von Murners ,Schel- menzunft4 von 1512 trägt sogar die Überschrift „Leuß in beltz setzen44 und beginnt: Es wer nit not, alß ich das schetzen, Schiitecht leuß (= Schildläuse) in beltz zu setzen: Sy wachsendt selber dryn zu handt. ln der ,Schelmenzunft4 findet sich auch eine hierzu gehörige Holzschnittill., die einen Mann zeigt, der sich die Läuse vom Kopf nimmt und sie in den Pelz setzt. Abraham a Sancta Clara sagt im Judas4 (III, 415): „Die Laus . . . soll man auf kein Weiß in den Beltz setzen, dann sie kriecht selber 578
Laus SLeufsrnbelts fer$en Ce wer nit not aie icb oae fcbcrçm Scbiltecbt leùe m beit? $\\ rct5en Sr wacbfenot fclber oryn 5ft banot E>orum lb bale tebe fur cpn febanoc Bae mancher fcbclm oao bolle jelöt So wir oor 3 ft fclbo finor cenetsi .Einem eine Laus in den Pelz setzen1 daran“. Die Rda. ist noch in anderen Variationen geläufig, z.B. ,die Laus im Bart haben', in eine unangenehme Sache geraten sein. Eis. ,Suech mer ken Liis am Kopf', kümmere dich nicht um meine Sachen. Bei Jer. Gotthelf findet sich die Wndg. ,einem Läuse hinter die Ohren setzen', d.h. jem. etw. Dummes einreden (vgl. .einem einen /Floh ins Ohr setzen'). ,Eine Laus im Ohr haben' bedeutet dagegen auch: ein schlechtes Gewissen haben. Häufig dient die Laus auch als Bild des Kleinen und Unbedeutenden: nicht die (rote) Laus: nicht die geringste Kleinigkeit (Leipzig); das ist nicht drei Läuse wert; ndd. ,se hätt nich moal e Luus enm Bossem', sie ist ein sehr armes Mädchen (ohne jede Mitgift); westf. ,du kannst mi keen Lus abstar- ven laten', du kannst mir nichts anhaben; schwäb. ,bei dem hält keine Laus mehr', er ist so verkommen, daß selbst das Ungeziefer ihn flieht. Bei Luther findet sich in den .Tischreden' die Wndg.: ,,aus einer Laus ein Kamel machen“ i. S. v. ,aus einer Mücke einen Elefanten machen'. Die Wndg. die Laus nicht um einen Taler geben ist bei J. G. Schottel 1663 in der .Ausführlichen Arbeit von der Teutschen HaubtSprache' belegt und soll urspr. den Bettlerhochmut ausdriieken; sie hat sich in den Mdaa. z.T. noch lebendig erhalten: holst. ,de Lus nicht um en Daler gewen', sich viel einbilden; rhein. ,dem es ken Lus für "n Daler feil'. Besser eine Laus im Kraut als gar kein Fleisch: man muß mit dem Geringsten vorliebnehmen (eigentl. ist hier die Blattlaus gemeint); vgl. engl, .better a louse (mouse) in the pot, than no flesh at all'. Die zunächst modern anmutende Wndg. findet sich in gleicher Formulierung schon in Joh. Fischarts .Geschichtklitterung': ,,Besser ein Lauß im Kraut, als gar kein Fleisch“. Wie die Laus im Grind (Schorf) sitzen: klein, aber frech und anmaßend, auch: unverdient in guten Verhältnissen leben (vgl. ,wie die /Made im Speck'). Schon bei Geiler von Kaisersberg heißt es 1510 im ,Has im Pfeffer': ,,Sitz ich als ein Laus im Grind“, d.h. wie ein kleiner Mann in üppigen Verhältnissen. Luther umschreibt den Stolz des Gemeinen und Minderwertigen: ,,Indes müssen wir leiden, daß die Laus im Grind sich dicke weide, und im alten Pelz auf Stelzen gehet“. Im Rheinl. heißt es noch: .frech wie die Laus im Grind', und dasSprw. sagt hier: ,Die Welt ist ein Grindkopf, und wir sind die Läus druf'. Gegenüber lächerlichem und unangemessenem Großtun sagt man auch: ,Er prangt wie die Laus auf dem Samtkragen'. Es ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen: er ist verärgert, erbost; sächs. ,die Laus leeft iwern Buckel'. Auch dieses Bild kennt Geiler von Kaisersberg 1510 (.Spinnerin' b 2b): ,,Wenn dir ein laus über die leber ist gelaufen, das du allwegen den beichtvater damit (mit dem Bücherlesen) betriebest, mach dir selbs ein buch in deinem köpf“. Urspr. sagte man nur: ,Es ist mir etw. übers Leberl gekrochen' (oder: geloffen); so noch im Bair. Die Rda. beruht auf der volkstümlichen Vorstellung von der Leber als Sitz der leidenschaftlichen Empfindungen (/Leber). Die später geläufige Einsetzung des Wortes Laus, die hier wieder den kleinen, geringfügigen Anlaß, die Nichtigkeit meint, entspricht der Vorliebe des rdal. Ausdr. für den Stabreim. Ein Zeichen von Kleinlichkeit und Übergenauigkeit ist es, wenn man der Laus Stel- 579
Laute zen macht. Hier geht eben die Differenzierung zu weit (vgl. ,die Flöhe husten hören4). Joh. Fischart sagt im ,Bienenkorb1: „Sie wollen allzeit ein Laus schinden und wissen doch nit wie viel sie Fiiß hat“, d.h. wer schon in differenzierten Dingen mitwirken will, soll wenigstens etw. davon verstehen. Die Wndg. die Laus um den Pelz schinden ist ein Ausdr. besonderen Geizes, der sich darin zeigt, daß einer selbst das kleinste Tierchen wegen eines geringfügigen Gewinnes schindet. Als witzige Pointe kommt bei dieser Rda. hinzu, daß die Laus ja keinen Pelz hat. Der Geizhals wird als ,Läuse- knicker4 bez. Schon bei Hans Wilh. Kirch- hoff findet sich 1581 im ,Wendunmuth4: „(ein Geiziger), der umbden Balg ein Lauß geschindet hette44; vgl. das Grimmsche Märchen KHM. 212 (Nachlaß) ,Die Laus4. Wenn jem. für etw. ganz und gar nicht geeignet ist, sagt man: Er paßt dazu wie die Laus zum Brieftragen, ein rdal. Vergleich, der sich von selbst deutet. Von einem heruntergekommenen Menschen heißt es: ,Er geht wie die Laus am Stecken4. Er hat's im Griff wie der Bettelmann die Laus sagt man scherzhaft von einem gewohnten, tausendmal geübten Handgriff (/Griff). Die Lause werden sich erkälten heißt es, wenn jem. die Kopfbedeckung nicht abnimmt. ,Ir liewe Leis (eigentl. ihr lieben Leute) wat Fleh!4 ist im Rheinl. Ausdr. einer iron. Bewunderung. Die scherzhafte Wirkung beruht auf dem Wortspiel von ,Leute4 und ,Läuse4, die dann, die Ironie steigernd, desillusionierend von den Läusen nicht weiter als bis zu den Flöhen gelangt. Auch als Schelte wird die Laus häufig verwendet (Lausejunge, Lausebengel, lausekalt, Lausenest = Kleinstadt, Lauserechen oder -harke = Kamm). Im Kinderreim des Nahegebietes heißt es: Schimbe, Schimbe (Schimpfen) dout net weh! Wer mich schimbt hot Leis un Fleh. Leis un Fleh gen Wanze Solle dem domme Schimber om Kob erom danze. Eine rheinhess. Schelte findet sich in Carl Zuckmayers ,Schinderhannes4 (3. Akt): „Läus soliste kriege unn e kurz Ärmche, daß de nit kratze kannst44. Im Rheinl. sagt man den durstigen Kindern (seit dem ausgehenden 19. Jh.): Trink nicht soviel Wasser! Du kriegst Laus in den Bauch!4; gemeint ist wohl: davon wird der Bauch kribbeln, als wären Läuse darin. Als Ludwig Uhland mit dem Stadtbibliothekar Robert Naumann die Leipziger Biere probierte, lehnte er das eine ab mit den Worten: „Von dem Bier kriegt mr Läus44, d.h. es bereitete ihm Kribbeln am Kopf. Wenn man bei Müdigkeit einen Juckreiz am Kopf verspürt, sagt man, man habe Schlafläuse. Eine Brust habere daß man eine Laus darauf knacken kann: eine feste, stramme Brust haben. ,Ik denke, mir laust der Affe4 /Affe. Lit.: Wander II, Sp. 1822-1829; Göhring, Nr. 220, S. 124 (mit zweifellos irriger Erklärung); L. Röhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, S.74. Laute. Einen Lautenschlager im Busen haben: innerlich froh und gelost sein; eine heimliche Freude oder stille Liebe haben, aber auch: ein gutes Gewissen besitzen. Bei Egenolff (63b) heißt es: „Mancher hat im hertzen sitzen ein lauten schlaher mit seim kritzen, das er muss gumpen und auch blitzen on alle vernunfft mit wenig witzen44. Murner schreibt: „Sie hat mirs wol so süss geschlagen, das ich vom dantz lieff narren jagen, der hat ein lautenschlaher sitzen, wenn sie will, so muss er lauffen44 (,Von einem verliebten Narren4, in Kloster, IV, 835). Vgl. die schwed. Rda. ,Han haar en lutenist i barmen4. Von den schlechten Lautenspielern heißt es bei Gryphius: „Wer nicht recht spielen kann, dem schlägt man die Lauten am Kopf entzwei44. Mit musikalischen Nichtskönnern geht man ins Gericht: ,Der Esel will die Laute schlagen, weiß doch nicht zu fassen den Kragen4. Auf die Griffe kommt es vor allem an: „Wie Luthenschlager hab ich's im Griff44 (Jörg Wickram), und Luther schreibt: „Nichts gewisses haben sie jr leb- tag gehabt, denn solche jre eigen Weissagung, sie hattens am griffe wie die fidde- ler44. Als Sprw. heißt es: .Mancher will die Laute schlagen und weiß kein Griff nicht4. Häufig ist der rdal. Vergleich ,Der paßt dazu wie der /Esel zum Lautenschlagen4, gereimt: ,Der Esel soll nicht Lauten schla¬ 580
Leben,leben gen, er soll die Säcke zur Mühle tragen1, es gibt nur Unheil, wenn sich ein Unberufener mit Dingen abgibt, denen er nicht gewachsen ist. Lit.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa in: Die Muttersprache (1963), S. 20 Iff. läuten. Er hat etw. läuten hören: er hat davon reden hören, weiß aber nichts Genaues; er hat noch nichts Endgültiges gehört, nicht das Ganze erfaßt, sein Wissen bleibt oberflächlich. Die Rda. ist verkürzt aus einer urspr. längeren Wndg.: ,Er hat etw. läuten hören, weiß aber nicht, wo die Glocken hängen1; in anderen Versionen: ,Er hat läuten hören, weiß aber nicht wo\ ostpr. ,Hei heft wat lüdde gehört, wêt aber nich ön welk Kärch (ön welken Derp)\ ,er hat läuten hören, aber nicht zusammen- schlagen\ In dieser letzten Form war die Rda. schon Luther bekannt. In Chr. Weises ,Kleine Leute* findet sich die Wndg.: ,,Der liebe Herr Bürgermeister hat läuten hören, aber er weiß nicht in welchem Dorfe**. Mit einer anderen der schon angeführten Fortsetzungen findet sich die Rda. bei Friedrich Nicolai in den ,Briefen, die neueste Literatur betreffend* (1761-67): ,,Wenn ein Kenner der Malerei etwas anderes davon sagen kann, als - um mit einem Gottsche- dischen Kern- und Sprichworte zu reden - der Verfasser habe die Glocken läuten gehört und wisse nicht, wo sie hängen“. Lessing tadelt einen Kritiker: ,,Wenigstens hat der, von welchem sich diese Berichtigung herschreibt . . . nur läuten hören, ohne im geringsten zu wissen, wo die Glocken hängen“. Goethe schreibt aus Italien: ,,Von dem deutschen Kunstsinn und dem dortigen Kunstleben kann man wohl sagen, man hört läuten, aber nicht zusammenklingen**. Diese Formulierung führt auch zur Erklärung der Rda; ihr kulturgeschichtl. Hintergrund ist nämlich der alte kirchliche Brauch, nach dem zum Hauptgottesdienst zunächst zweimal mit einer einzelnen Glocke und erst beim dritten Male mit sämtlichen Glocken zusammengeläutet wurde. Eine Art 111. der Rda. bietet H. Chr. Andersens Märchen ,Die Glocke*. Die Bdtg. der verschiedenen Glockenzeichen ist nur dem Eingeweihten bekannt. Noch ohne auf unsere Rda. Bezug zu nehmen, schreibt Geiler von Kaisersberg in seinen .Brösamlein* (1,44a): ,,Wenn man sunst in den Rat lütet, der ein Ratsherr ist, der ver- stot dabei, das er in den Rat soi gon, wer ein frembder Man, der da wißt nit, was das Lüten bediite, er hörte die Glocken wol“. Positiv gewendet, hört man die Rda. Davon habe ich etw. läuten hören. Der Sinn bleibt aber der gleiche: davon weiß ich, aber nichts Genaues. Die Bdtg. des Läutens als Zeichen zeigt auch die rhein. Rda. Für dich hat's geläutet: für dich ist es Zeit geworden zu verschwinden. Die gehen fiir's Läuten in die Kirch sagt man im Rheinl. von einem Brautpaar, das bereits vor der Hochzeit geschlechtlich verkehrte. Von dem, der lieber ins Wirtshaus als in die Kirche geht, heißt es: ,Er geht lieber in die Kirch, wo mit den Gläsern (beim Zuprosten) zusammengeläutet wird*. Wer sich zwischen zwei Dingen nicht entscheiden kann und beide zugleich möchte, ,will zugleich läuten und mit der Prozession gehen*. Meist von den Spielzeugen der Kinder sagt man: ,Sie halten von 11 bis Mittag, es muß aber gleich läuten*, d.h. sie halten keine Stunde. Die Wndg. geht auf das im Dorf gewohnte Mittagsläuten um 11 und um 12 Uhr zurück und ist vor allem im Rheinl. und in Schwaben weit verbreitet. ,Et laid Schoof* oder ,et laid op et Schoof* sind rhein. mdal. Umschreibungen für das Läuten der Totenglocke; sie beziehen sich darauf, daß die Toten früher auf Stroh aufgebahrt wurden, /Schoof. Dem Esel zu Grabe läuten /Esel. Lit.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa in: Die Muttersprache (1963), S. 20 Iff. Leben, leben. Mit dem Leben davonkommen: dem Tode knapp entgehen; diese Rda. ist bibl. Urspr. (2.Makk. 3,38). Mit dem (seinem) Leben spielen, auch sein Leben aufs Spiel setzen: sich bewußt in Gefahr begeben, eigentl. sein Leben als höchstes Pfand bei einem Spiel zum Einsatz geben. Die Rda. erinnert an die verzweifelte Anstrengung eines Spielers, der bereits alles verloren hat, in einem letzten Einsatz, wobei er die Freiheit seiner Person aufs Spiel setzt, das Glück doch noch zu zwingen. 581
Lebendig Die Wndg. jetn. das Leben sauer machen stammt aus der Bibel. Bei 2.Mos. 1, 13-14 heißt es: „Und die Ägypter zwangen die Kinder Israel zum Dienst mit Unbarmherzigkeit und machten ihnen ihr Leben sauer mit schwerer Arbeit . . Mitten (oder mit beiden Beinen) im Leben stehen: in jeder Hinsicht aufgeschlossen sein, sich keinen Träumereien und unerreichbaren Wünschen hingeben, sondern tatkräftig zupacken und nicht verzagen. Dagegen bedeutet die ndl. Rda. ,in het le- ven zijn4 von der Unzucht leben. Neuere Wndgn. sind: etw. ins Leben rufen: etw. gründen, den Anstoß zu einer Entwicklung geben; jem. ins Leben einführen: in die Welt der Erwachsenen, in die Gesellschaft einführen, jungen Menschen wichtige Bekanntschaften vermitteln, sie in ihrer persönlichen Entfaltung fördern; Leben in die Bude bringen: Langeweile und Trübsinn durch fröhliche Betriebsamkeit verdrängen, ausgelassene Stimmung in einer Gesellschaft verbreiten. Das ist zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel heißt es von geringen Einkünften, wenn sie gerade das Existenzminimum sichern. Ähnl. nicht leben und nicht sterben können: nur so dahinvegetieren, oft in der Bdtg. eines langen Siechtums gèbraucht. Nicht von der Luft leben können: gewisse Einkünfte haben müssen. Die Rda. wird oft als Entschuldigung gebraucht, wenn eine Rechnung als zu hoch beanstandet wird: ,Ich kann doch (mit meiner Familie) nicht von der Luft leben4. Dagegen heißt es scherzhaft von Verliebten, die in höheren Regionen zu schweben scheinen und sich für lebensnotwendige Dinge zeitweise nicht interessieren und sogar den Hunger vergessen, daß sie von der Luft und der Liebe leben. Nicht ohne jem. leben können: den Partner unbedingt brauchen; diese Wndg. ist auch als Liebesbeteuerung häufig. Zu leben wissen:die Gesetze des Anstandes beobachten, es verstehen, sich das Leben angenehm zu machen. Dagegen: nicht zu leben wissen:an den Annehmlichkeiten des Lebens Vorbeigehen. Auf die Frage nach dem Befinden hört man manchmal die neutrale Antwort: Man lebt, da man aus einer gewissen abergläubischen Scheu heraus vermeidet, sein Wohlergehen zu bestätigen. Eine häufige Beteuerungsformel ist noch immer So wahr ich lebe! Die Lebensregel leben und leben lassen: selbst in Frieden gelassen werden wollen und anderen auch etw. gönnen, gebraucht Schiller im 6. Auftr. von ,Wallensteins Lager1 lit. und läßt sie den ersten Jäger aussprechen. Die Wndg. So etw. lebt nicht mehr!: das ist doch nicht die Möglichkeit, ein Ausdr. ungläubiger Verwunderung, erscheint auch mit iron. Erweiterungen, z. B. heißt es oft: ,So was lebt, und Schiller mußte sterben!4; /Schiller. Leben wie Gott in Frankreich /Gott. Wander (II, Sp. 1861 ff.) führt noch weitere zahlreiche rdal. Vergleiche an, z.B. leben wie ein Fürst, wie eine Laus im Grind, wie im Himmel, wie die Made im Speck, wie ein Hund, wie Hund utid Katze usw. lebendig. Er nimmfs von den Lebendigen: erläßt es sich teuer bezahlen. Neben dieser weitverbreiteten Kurzfassung der Rda., durch die ein Habgieriger charakterisiert wird, steht eine weniger geläufige längere Form: ,Er nimmfs von den Lebendigen und den Toten4; vgl. auch hess. ,Er nimmts aach von de Leawige, weil ers von de Dure net mehr kritf, Auch sonst herrscht in den Mdaa. die Langform vor, z. B. rhein von den Doten is nix meh te kriegen4 (vornehmlich von den Advokaten gesagt). Es fragt sich nun, welches die urspr. Fassung ist und welche Herkunft sie hat. Unter den genannten Versionen dürfte die hess. Fassung die geringste Aussicht haben, als alt zu gelten; der Kausalsatz ist zu verdächtig. Er sieht doch aus wie eine neu hinzugefügte Erklärung zu einer alten, schon nicht mehr ganz verständlichen Rda. - Die Wndg. ,von den Lebendigen und den Toten4 scheint an sich zwar einwandfrei; sie würde eben bedeuten: er nimmfs überall, wo efs nur bekommen kann, und scheut selbst vor den Toten nicht zurück. Allerdings wäre dann von hier aus die Kürzung auf die erste Fassung nicht recht zu verstehen. Man läßt doch nur dort etw. weg, wo der Rest allein zur Charakterisierung genügt. In diesem Fall wäre dann ,er nimmfs (sogar) von den Toten4 viel eher zu erwarten. 582
Lebenslicht Diese Erwägungen legen den Gedanken nahe, daß die zuerst genannte Kurzform den Ausgangspunkt der Rda. darstellt. Ihr Sinn, wenn sie nicht als Kürzung einer längeren, sondern für sich bestehend ganz selbständig entstanden ist, kann dann nur der sein: Der Gierige nimmt das, was ihm von den Toten rechtmäßig zustehen würde, bereits zu deren Lebzeiten, also von den Lebendigen. Zum Verständnis dieser Wndg. könnte dann jener alte Rechtsbrauch verhelfen, nach dem beim Tode des Hörigen, Leibeigenen oder des Vasallen aus der Hinterlassenschaft das sog. Besthaupt (das beste Rind, das beste Pferd etc.) an den Herrn oder Lehnsherrn zu leisten war. Die Rda. wäre nach dieser Erklärung also zunächst eine Charakterisierung des harten, habgierigen Herren gewesen, der den Tod des Untergebenen nicht abwartete, sondern schon zu dessen Lebzeiten nach dem wertvollen Besitz griff. Dann fand eine Übertr. auf allgemeinere Verhältnisse statt, und schließlich wurde die Rda., als ihr urspr. Sinn verschwand, in verschiedener Weise ausgefüllt. Freilich kann diese Erklärung noch nicht als völlig gesichert gelten. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer II, 509-521; K. Helm: Er nimmts von den Lebendigen, in: Hess. Bl. f. Vkde., 27 (1928), S.205. Lebensfaden /Faden. Lebenslicht. Einem das Lebenslicht ausbla- sen (auspusten): einem das Leben nehmen; so auch mdal. z.B. ,heute werd dir de Lompe ausgeblosa4. Der Tod hat ihm das Lebenslicht ausgeblasen: er ist gestorben. Er ist ausgegangen wie ein Licht (Lichtlein) sagt man von einem schmerzlos Verschiedenen. Ähnl. ,das Leben verlischt4; ,der Lebensfunken glüht4. Das Lebenslicht wird humorvoll zur ,Lampe4 in der berl. Rda. einen auf die Lampe gießen: Alkohol trinken, sozusagen um die Brenndauer des Lebenslichtes zu verlängern, ,solange noch das Lämpchen glüht4. (Vgl. den Schlager ,,Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht!44) Seit alten Zeiten glaubt man das Leben des Menschen an ein Licht gebunden. Zwischen beider Dauer bestehen sympathetische Beziehungen: Stirbt der Mensch, er¬ lischt auch sein Lebenslicht und umgekehrt. In der Volksüberlieferung ist diese Vorstellung allg. bekannt, und in sprw. Rdaa. hat sie sich bis heute erhalten. Schon die Israeliten sahen das Leben als Funken und Licht ( l.Kön. 11, 36; 15, 4), das Sterben als Erlöschen (2.Sam. 14, 7; 21, 17) an. Die griech. Kunst stellte den Tod mit der umgestürzten, erloschenen Fackel dar (vgl. Lessings Abhandlung ,Wie die Alten den Tod gebildet4). Dazu sind die sprachl. Wndgn. im Lat. heranzuziehen, die ,lux4 bzw.,lumen4 im Sinne von Lebenslicht enthalten, z.B. ,lucem exhalare4. In diesen Umkreis gehört auch die Sage von Meleager, dem bei der Geburt verkündet wurde, er werde so lange leben, bis das auf dem Herde soeben angezündete Holzscheit vom Feuer verzehrt sein werde. Ebenso ist in der germ. Sage das Leben des Nornagest an das Verlöschen einer an der Wiege brennenden Kerze gebunden. Im Grimmschen Märchen vom ,Gevatter Tod4 (KHM. 44) brennen in der unterirdischen Höhle des Todes tausend und aber tausend Lichter, deren Länge sich richtet nach der Lebensdauer, die dem einzelnen Menschen noch beschie- den ist. Die Lebenslichtvorstellung spielt auch im brauchtiimlichen Leben bis heute eine Rolle: So viele Lebensjahre das Kind zählt, so viele Kerzen werden ihm auf den Geburtstagskuchen gesteckt. Das in der Mitte stehende Lebenslicht darf nur das Geburtstagskind selbst ausblasen. In anderen Gegenden darf man die Lichter vom Geburtstagskuchen überhaupt nicht ausblasen, schon gar nicht das in der Mitte stehende Lebenslicht, sondern muß sie bis zu Ende brennen lassen. Im Rheinl. kannte man ferner den Brauch, unmittelbar vor der Geburt des Kindes eine geweihte Kerze anzuzünden, und man deutete es übel aus, wenn das Kind nicht zur Stelle war, wenn das Licht erlosch. Erlischt die Altarkerze von selbst, so stirbt der Prediger innerhalb eines Jahres. Im Erzgebirge wurden bei der Aufbahrung der Leichen so viele Lichter angebrannt, als der Verstorbene vollendete Lebensjahre hinter sich hatte; die das letzte Lebensjahr bedeutende Kerze lag unange- zündet und zerbrochen daneben. In dem Kinderspiel ,Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg4 (vgl. Goethes gleichnamiges Gedicht) 583
Leber muß derjenige ein Pfand geben, in dessen Hand das letzte Fünkchen eines herumgereichten glimmenden Spanes erlischt. Unsere Rdaa. vom Lebenslicht sind auch lit. reich bezeugt. Schon bei Wolfram von Eschenbach heißt es im ,Willehalm4 (416, 14) wortspielcnd: ... bî liehter sunnen dä verlasch (erlosch) manegem Sarrazin sin lieht, in der Lohengrindichtung: . . und sluoc in. daz im muoste daz lieht erleschen“, wobei natürlich die Möglichkeit offenbleibt, daß ,lieht4 hier i. S. v. ,Augenlicht4 gemeint ist. Mit Sicherheit ist das Lebenslicht jedoch gemeint bei Gryphius (1698): . . . doch Chach der Mörder riß Den kurzen Faden ab und setzte Kling und Zangen In unser Brust, er bließ Dies Lebenslichtlein aus, eh es die Zeit verhangen. Das Bild wurde von Schiller weiter ausgeführt in den Worten Franz Moors (,Räuber4 II, 1) über die geplante Ermordung seines Vaters: „Ein Licht ausgeblasen, das ohnehin nur mit den letzten Öltropfen noch wuchert - mehr ist’s nicht44. Wilh. Busch beschreibt den Tod des alten Kaspar Schlich in ,Plisch und Plum4 mit den Worten: Fällt ins Wasser, daß es zischt, Und der Lebensdocht erlischt. Ein volkstümliche Hausinschrift in Tuttlingen (Württ.) lautet: Bläst uns, o Welt, in deinem Haus Der Tod des Lebens Lichtlein aus, Wird am Geruch es offenbar, Wer Talglicht oder Wachslicht war. Lit.: J. G/7'ww.-Rechtsaltertiimer I, 151; ders.; Mythologie, S. 496; W. Wackernagel: Das Lebenslicht, in: Zs. f. d. A., 6 (1907), S.280ff.; B. Kahle:Seele und Kerze, in: Hess. Bl. f. Vkde., 6 (1907), S. 9-24; Lessmann, S. 35-38; HdA. V, Sp. 967-970, Art. ,Lebenslicht' von Boette: H. Freudenthal: Das Feuer im dt. Glauben und Brauch (Berlin u. Leipzig 1931), S. 154-171; K. Ranke: Idg. Totenverehrung. FFC. 140 (Helsinki 1951) bes. S. 248 ff.; R. fV. Brednich: Volkserzählungen u. Volksglaube von den Schicksalsfrauen, FFC. 193 (Helsinki 1964); L. Schmidt: Lebendiges Licht im Volksbrauch und Volksglauben Mitteleuropas, in: Volksglaube und Volksbrauch (Berlin 1966), S. 19-55. Leber. Frisch (frei) von der Leber weg sprechen (reden): freimütig, offenherzig, rückhaltlos, ohne Scheu sprechen, seinem Herzen Luft machen, seinen Ärger herausre¬ den. ln der ma. Medizin galt, ebenso wie schon im Altertum, die Leber als Sitz der Lebenssäfte und damit auch der Temperamente, insbesondere des Zornes. Die Rda. meint also eigentl.: durch freimütiges Reden die Leber von dem angehäuften Groll und der aufgespeicherten Galle erleichtern. Diese alte Auffassung der Leber hat sich in unserer Sprache noch bis ins 17. und 18. Jh. erhalten, wofür zahlreiche lit. Belege sprechen. Paul Fleming dichtet im 17. Jh.: Vergebens ist uns nicht die Leber einverleibet. Sie, sie ist unser Gott, der uns zum Lieben treibet, Wer gar nicht lieben kann, der wisse, daß anstatt Der Leber er faul Holz und einen Bovist hat. oder: Vor euch (der Geliebten Augen) zeucht Amor ein und aus In meine Leber als ein natürlich Haus. Auch Chr. M. Wieland weist noch auf die alte Bdtg. der Leber hin: „Die Leidenschaft, die sich in seinem Herzen oder - wie die Alten meinten - in seiner Leber zu bilden anfangen wollte . . .44;oder: „Gestehe, daß du um diese Zeit den unsichtbaren Pfeil schon in der Leber stecken hattest44. In Schillers ,Räubern4 heißt es: „Jetzt hat er einen Eid geschworen, daß es uns eiskalt über die Leber lief44. In der heutigen Umgangssprache hat sich diese alte Bdtg. der Leber ganz auf die Rda. ,frisch von der Leber weg reden4 reduziert. Die Rda. ist in dieser Form seitdem 18. Jh. bezeugt, so in des Abenteurers Friedrich v. Trenck Lebensgeschichte (1787, hg. v. Gugitz, Bd.II, S.5): „Hier sprach ich nun frei von der Leber weg44. In Lessings ,Minna von Barnhelm4 heißt es: „Denn einem Soldaten ist es schon recht, wenn man mit ihm von der Leber weg spricht44. Und Nicolai schreibt an Lessing: „Sie müssen sie (Ihre Anmerkungen) ganz frei von der Leber weg sagen44. Goethe schreibt am 8. April 1812 an Zelter: „Ich höre es gern, wenn Sie von der Leber weg referieren und urtheilen44. Die Mdaa. kennen daneben freilich noch zahlreiche andere Versionen, in denen von der Leber als dem Sitz des Gemütslebens die Rede ist, z. B. schwäb. ,e weich Leberle 584
Lecken han\ von weicher Gemütsart sein. Nach Ärger- und Zornausbrüchen sagt man im Schwab.: ,s Leberle isch übergloffe" (vgl. auch die übergelaufene Galle). Dazu gehört auch die Rda. Das muß herunter von der Leber: ich will das Geheimnis nicht langer verschweigen. Von einem schlecht Gelaunten sagt man im Siebenb.-Sachs.: ,Et es em net öm de Lewer1. Die Leber kann sogar synonym mit Gewissen gebraucht werden. So besagt die Wndg. einem auf die Leber reden:ihm ins Gewissen reden; vgl. ,ich hab em die Lewer geschleimt (entschleimt)", ich habe ihm ,die /Leviten gelesen". Er hat etw. auf der Leber: es drückt ihn eine Schuld, er ist sich eines Unrechts bewußt, sein Gewissen ist belastet. Dann aber auch iron, weiter abgewandelt: eine trockene Leber haben: oft durstig sein, immer Lust auf Alkohol haben; die Leber auf der Sonnenseite haben: gerne viel /trinken. ,Die gekränkte Leberwurst spielen" Eine jüngere lustig-spottende Weiterbildung ist die Rda. Er spielt die gekränkte (beleidigte) Leberwurst: er ist gekränkt, er schmollt. Zu der bereits bestehenden Rda. wurde dann hinterher eine ätiologische Erzählung erfunden, die die angebliche Entstehung der Wndg. schildert: Die Leberwurst platzte vor Ärger über ihre Zurücksetzung vor einer Blutwurst, die vor ihr aus dem Wurstkessel herausgeholt wurde (bezeugt für Obersachsen). Die ,Wurst" wurde wohl erst angehängt, als man von der alten Anschauung der Leber nichts mehr wußte; vgl. auch Es ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen (/Laus). Die Rda. Er hat das Leberlein gegessen: er muß schuld sein, ihm ist die Verantwortung zuzuschieben, geht auf den schon für das 11. Jh. bezeugten Schwank ,von dem Schwaben, der das Leberlein gegessen hat" zurück (vgl. KHM. 81; Bolte-Polivka II, 15 1 f.). Ein Beleg findet sich bereits in Seb. Brants ,Narrenschiff": Wenn Ryter, Schriber gryfen an Ein veißten, schlechten bürschen (bäurischen) Man Der muß die Leber gessen han. In Joh. Fischarts ,Flöhhatz" heißt es: Aber ich bin unschuldig dessen, Noch mus das Leberle ich han gessen Und mus gethan han die gröst Schmach. lecken. Vorne leckem hinten kratzen sagt man für das Verhalten des heimtückischen Schmeichlers oder des falschen Freundes. Das Bild ist von der / Katze auf den Menschen übertr. worden. Schon der Prediger Geiler von Kaisersberg warnt in seinen ,Brösamlein": ,,Darumb so hüt du dich vor den Menschen, die da einen überzwerch ansehen, und vor denen, die fornen lecken und hinten kratzen"". Zur Beliebtheit der Rda. hat der Reim ,Katzen - kratzen" wesentlich beigetragen. In Luthers Sprww.- Sammlung heißtes: ,,Hütdich vor den Katzen, die vorne lecken und hinten kratzen"". Das Katzengleichnis findet sich auch in Sebastian Brants ,Narrenschiff". Dort heißt es im Kapitel ,von offlichem anschlag": Es will jetzt rätschen (schwatzen) jedermann Und treiben solche Kaufmannschaft (Handel, Geschäft), Die vorne leck und hinten kratz". 585
Lecken Diese Klage über die ungetreuen Freunde stellt der Petrarcameister auch bildl. dar. Sein Holzschnitt bedarf allerdings der Erläuterung: Der links stehende Mann hat sich für das hinterhältige Werk der / Katze geradezu präpariert, indem er den Oberkörper entblößt hat. Nun leckt ihm die Katze das Gesicht, und das Blut läuft an dem zerkratzten Rücken herab. Auch die Darstellung rechts gehört zum Thema der falschen Freunde: Der Ritter in prächtiger Rüstung geht scheinbar eine Freundschaft mit dem Gelehrten ein, er reicht ihm die Hand und stößt ihm zugleich den Dolch in den Rücken. Das Bild rechts bestätigt also die Deutung der Katzen-Rda. links. Von der Vorstellung, daß die Katze ihr Fell leckt, um sich fein und schön zu machen, stammt der rdal. Vergleich wie geleckt für einen geschniegelten Menschen, auch durchaus positiv für fein geputzte Gegenstände (z.B. ,der Fußboden ist wie geleckt4), und ,Lecker4 für den Stutzer, obwohl im letzten Falle auch die abwertende Bdtg. des Speichelleckens (/Speichel) mitwirken kann. Luther fragt in seinen ,Tischreden4: ,,Du junger Lecker wilt du uns strafen?44 Kaspar Stieler dichtet 1660 in der geharnischten Venus4: ,,Die Worte blies mir Amor zu, der Lecker44. Über die Malerei seiner Zeit urteilt Winckelmann im 18. Jh.: ,,die geleckte Manier einiger von Raffaels Landsleuten44. ,Geleckt4 kann aber auch im guten Sinne gebildet, formvollendet bedeuten und steht dann in der Nähe der Tiersage, nach der die Bärin ihrem Jungen erst durch Lecken seine Form gibt, /Bär. Wilhelm Busch benutzt dieses Motiv auch in seiner komischen Zoologie. Ein ,ungeleckter Mensch4 ist demnach ein ungebildeter Mensch ohne Umgangsformen. Heinrich Heine schreibt: ,,Der deutsche Edelmann, dem sie (seine Form) von der bärenleckenden Lutetia mühsam eingeübt worden44. Das Maul nach etw. lecken oder die Finger danach leckendXs Ausdr. der Lüsternheit ist 1691 bei Kaspar Stieler in der deutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs4 gebucht: ,,Das Maul lecken, gustum alicuius rei capere ... Du leckst alle deine fünf Finger danach, dulcedinis huius rei desiderio nunquam non capieris44. Von jem., der ein günstiges Angebot ausgeschlagen hat, sagt man: ,Der würde noch einmal die Finger danach lecken4. Im Syrachkommentar des Joh. Mathesy findet sich die Wndg. bereits 1586: hernach aber, wenn sie gefreiet und zu Hause sitzen, lecken sie die Finger danach44 (/Finger). In einem Fastnachtsspiel des 16. Jh. findet sich die Version: 586
Leder Ich weiß, daß sie (die Mohrrübe) euch wurd lieben, das ihr die Feust danach wurd lecken. Den eigenen Löffel lecken: seinen eigenen Haushalt haben. Die Rda. findet sich ebenfalls schon bei Joh. Mathesy: „Denn gar viel Mägde haben es weit besser, wenn sie dienen, denn wenn sie ihren eigenen Leffel lecken44. Mit der Wndg. Es ist kein Honiglecken umschreibt man eine unangenehme und harte Beschäftigung oder auch Lebensphase. Die Rda. ist bereits bei K. Stieler 1691 gebucht: „Es ist allhier kein Honiglecken, negotia ista molestiora sunt, quam ut inde jucunditas hauriri possit“. Von der Tatsache, daß Tiere instinktiv zur Heilung und Schmerzlinderung ihre Wunden lecken, leitet sich die Wndg. her: daran zu lecken haben, die oft hämisch gemeint ist i. S. v.: dieser Schaden wird ihm noch lange zu schaffen machen. Leck mich! verkürzt aus ,Leck mich am /Arsch4. Leder wird in mehreren Rdaa. übertr. für die menschliche Haut gebraucht, z.B. einem das Leder gerben (versohlen): ihn heftig verprügeln, ,durchledern4; ,durchwalken4; die Rda. ist eine Parallelbildung zu ,das /Fell gerben4; westf. ,dat Leader was- ken4; einem das Leder über die Ohren ziehen ist eine Parallelbildung zu ,einem das Fell über die Ohren ziehen4. Einem ans Leder wollen: jem. etw. Unangenehmes zufügen wollen. In bes. eindringlicher Rede heißt es in Joh. Fischarts ,Gargantua4 (194b): „Es juckt ihn die Haut, man muß sie ihm gerben, man muß ihm mit einem eichenen Flederwisch die Leuß abstrelen, man muß ihm hinders Leder wischen44. In Grimmelshausens ,Simplicissimus4 wird geschildert, wie „man einander hinters Leder kompt und die Fell zerreißt44. Der Barockschriftsteller Schuppius verteidigt sich, „weil itzo so mancher grammatikalische Mußquetirer mir an das Ledr wil44 (d.h. ihm am Zeug flicken will). Jean Paul ermutigt im ,Titan4: „Seien Sie doch kein Hase, und stoßen Sie ihm derb aufs Leder44. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (IL4) droht der Musikus Miller: „Wenn ich ihm nicht... alle zehn Gebote und alle sieben Bitten im Vaterunser und alle Bücher Mosis und der Propheten aufs Leder schreibe, daß man die blauen Flecken bei der Auferstehung der Toten noch sehen soll44. Aus anderer (Leute) Leder Riemen schneiden: auf Kosten anderer freigebig sein. Kein Sitzleder haben: aus Unruhe und Nervosität nicht ruhig sitzen können, kein stetiger Arbeiter sein. Vom Leder ziehen: angreifen, scharf Vorgehen, losschlagen, sich rücksichtslos äußern. In dieser Rda. ist unter Leder die lederne Schwertscheide zu verstehen. Ein altes Beisp. hierfür bietet des Meistersingers M.Behaim ,Buch von den Wienern4 (142,30): Da zugen sy von leder, zu der wer graiff yedweder. Hier ist die Wndg. noch nicht in übertr. Bdtg., sondern noch ganz im realen Sinn der Waffen gebraucht. Ebenso bei Luther: „Und zeuch denn von Ledder, und schlahe drein in Gottes Namen44. Der Barockdichter Weckherlin ruft auf: „Ho, Schweizer, Kotz Kreuz, zeuch von Leder44. Im Simplicissimus4 liest man (l.Buch, Kap.25): „Aber ich irrte, dann der Beleidigte zog von Leder, und versetzte dem Täter eine Wunde dafür an den Kopf44. Das 16. und 17.Jh„ dem das konkrete Bild der Rda. noch klar vor Augen stand, kennt noch viele Abwandlungen der Wndg. Deutlich in übertr. Bdtg. braucht sie dagegen Jean Paul: „Wir (Deutsche) ziehen in Büchern keck vom Leder und zeigen, wo uns das Herz sitzt44. Jem. auf dem Leder sitzen: ihn fortwährend beaufsichtigen (vgl. ,jem. auf der /Pelle sitzen4). Die Rda. stammt vielleicht aus der Bergmannssprache, hergeleitet von dem halbrund geschnittenen Leder, auf dem der Bergmann bei seiner Arbeit zu sitzen pflegt. Möglich oder sogar wahrscheinlicher ist aber auch hier die seit mhd. Zeit verbreitete derbe Bdtg. Leder = menschliche Haut. Sicherlich aus der Bergmannssprache stammt jedoch der sprw. Ausdr. ,Viel Bergleute, viel Arschleder4, d.h. viel Köpfe, viel Sinne. Die Wndg. vom Leder und (oder) von der Feder geht gleichfalls auf die Bergmannssprache zurück. Damit wurden urspr. die beiden Arbeitnehmergruppen im Bergbau unterschieden: der 587
Lehrgeld mit der Hand Arbeitende und der in der Planung oder Verwaltung Tätige. Diese Unterscheidung wurde dann allg. i.S. des Unterschieds zwischen geistig und körperlich Arbeitenden gebraucht. So schreibt im 18.Jh. Justus Möser in seinen patriotischen Phantasien1 (2,261): daß einige Einwohner der Stadt, sie seien nun von Leder oder von der Feder, wähnen, sich zur Bühne geschickt zu machen". Am 4. Mai 1873 berichtet das frankfurter Journal4 zur Weltausstellung: „Der Landwirt, der Handwerker, die Leute von der Feder wie die vom Leder, welche von allen Enden der Erde herbeikommen, sie sehen und hören jeder in seinem Fache Neues, Nachahmenswertes". An der Mosel ist die Einladungsformel ,Dau kimms doch of de Lederwein4 ge- bräuchl. Der Lederwein ist der frisch abgestochene Wein, der früher durch den Lederschlauch lief, vor allem der Wein, der beim Abstich des verkauften Weines getrunken wurde; dazu fanden sich gern Nachbarn und Freunde ein. Da muß der Hund Leder gefressen haben /Hund; aus reißen wie Schafleder /ausreißen; darauf losarbeiten (zuschlagen), was das Leder hält /Zeug. Lehrgeld, Lehrgeld geben (zahlen): eine Erfahrung teuer erkaufen, durch Schaden klug werden. Den kulturgeschichtl. Hintergrund der Rda. bildet das Lehrgeld, das früher im Handwerk für die Ausbildung des Lehrlings von dessen Eltern an den Meister bezahlt werden mußte. Doch ist die Wndg. schon im 16.Jh. in übertr. Bdtg. bezeugt; sie ist z. B. sprw. bereits in den Sammlungen des Humanisten Joh. Agricola und bei Seb. Franck gebucht. Joh. Mathesy sagt in seinem Syrachkommentar von 1554: „Lehrgeld muß jeder geben4'. Bei Zincgref heißt es 1644 in seinen ,Apophthegmata4: „Wenn einer irgend betrogen ward, pflegt er zu sagen:... fromme Leut müssen täglich Lehrgeld geben". Joh. Balth. Schuppius bekennt in seinen ,Lehrreichen Schriften4 von 1684: „Ich kenne die Welt, ich habe aber gar zu viel Lehrgeld aus geben, bis ich die Welt hab kennen lernen44. Und Chr. M. Wieland gesteht: „Wenigstens hab ich ein hübsches Lehrgeld für dieses Stück meiner Weltkenntnis gegeben44. Vgl. ndl. ,Hij heeft leergeld gegeven4. Bekannt ist auch die Wndg. Laß dir dein Lehrgeld (Schulgeld) zurückgeben für den, der es nie lernt, der sich als ungeschickt erweist. Lit.: R. Wissel/: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 2 Bde., Bd. II (Berlin 1929); L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alem. Jahrbuch (Bühl/Baden 1973). Leib. Mhd. ,lip4 bedeutet Leben, das zeigt sich noch in der Wndg. beileibe nicht, die eigentl. meint: beim Leben nicht! und womit man sich vor etw. bewahren möchte. Bei Wencel Scherffer heißt es im ,Grobia- nus4 (139): „Du aber hütte dich, thue dieß bey leibe nicht!44. Diese formelhafte Wndg. braucht auch Burkard Waldis (11,85,9): „Die krä allein solchs widerräth, vnd sprach: thut solchs bei leibe nit!" Die Zwillingsformel Leib und Leben ist wohl nur des Stabreims wegen gebildet und als Tautologie zu verstehen, da Leib auch in dieser Verbindung Leben bedeutet. In ,Diocletians Leben4 (7041 f.) heißt es auf mhd.: „Der keiser wart von zorne rot, by lib vnd leben er gebot44. Auch die mdal. ndd. Rda. ,Dat geht up Lîv un Leven' meint: es ist lebensgefährlich. Leib und Leben wagen:alles aufs Spiel setzen. Leib und Gut verwirken: sein Leben und den gesamten Besitz verlieren, beruht auf einem alten Rechtsbrauch, nach dem der Besitz eines Verurteilten ohne Rücksicht auf seine Erben eingezogen wurde. Vgl. frz. Torfaire corps et avoir4. Immer mehr ist bei den Rdaa. aber die heutige Bdtg. von Leib = Körper in den Vordergrund getreten, wie z. B. in der formelhaften Wndg. Leib und Seele, die in verschiedenem Zusammenhang auftreten kann. Von einer guten Mahlzeit sagt man Das hält Leib und Seele zusammen: es ist dafür gesorgt, daß weder Körper noch Seele dabei zu kurz kommen. Schon Luther braucht eine ähnl. Wndg.: „Auf einen guten Bissen gehört ein guter Trunk, da kömpt Leib und Seele zusammen". Geiler von Kaisersberg sagt von zweien, die in ihrem Fühlen, Denken und Tun vollkommen übereinstimmen, die also echte Freunde sind: „Sie sind ein Leib und eine Seele", 588
Leiche wofür wir heute häufiger die Rda. ,ein /Herz und eine Seele sein4 anwenden. Daß jem. ohne Einschränkung für etw. oder jem. eintritt, besagen die Wndgn.: mit Leib und Seele dafiirsein; mit Leib und Seele an etw. (jem.) hängen und mit Leib und Seele jem. ergeben sein. Die Rda. einem zu Leibe gehen (wollen), auch jem. zu Leibe rücken: ihn verfolgen, bedrängen, angreifen, stammt wohl vom Zweikampf und Fechten her, ebenso wie die Wndg. sich jem. vom Leibe halten: Abstand, Distanz wahren, ihm keine Angriffsmöglichkeit bieten. Dagegen meint die Rda. einem nicht vom Leibe gehen: ständig beobachtet oder belästigt werden, nicht allein und in Ruhe gelassen werden. Etw. am eigenen Leibe erleben (erfahren, verspüren): böse Erfahrungen machen, Angst, Not, Schmerzen erleiden müssen. Seinen Leib pflegen: sich vor Anstrengungen hüten, ein gemütliches Dasein führen, auch: faulenzen; ähnl. seinem Leib etw. zugute tun: tüchtig essen und trinken, aber auch: sich selbst Erholung gönnen. Die Wndg. gut bei Leibe sein: wohlgenährt sein, wird meist als euphemist. Umschreibung für Dicke und Fettleibige gebraucht. Auch die Rda. gesegneten Leibes sein ist ein Euphemismus zur Bez. von Schwangerschaft, die lange Zeit als bes. Gnade Gottes empfunden wurde, während man glaubte, daß kinderlose Ehepaare unter einem Fluch Gottes stünden. Vgl. Luk. 1,25: Elisabeth freut sich ihrer Schwangerschaft, um die sie lange gebeten hatte und sagt deshalb: ,,Also hat mir der Herr getan in den Tagen, da er mich angesehen hat, daß er meine Schmach unter den Menschen von mir nähme44; vgl. die Wndg. ,Gott segnete sie mit Kindern4. Noch nichts im Leibe haben: hungrig sein; auch mit dem scherzhaften Zusatz: noch keinen warmen Löffelstiel im Leibe haben. Sich etw. am eigenen Leibe absparen: selbst Mangel am Notwendigsten leiden, um etw. ersparen zu können, was ohne Entbehrungen nicht möglich wäre. Nichts auf den (am) Leib haben :in Notdurft leben, unbekleidet sein, dagegen: alles auf (an) den Leib hängen: zuviel für die Kleidung ausgeben, unangemessenen Aufwand treiben, putzsüchtig sein. Leiche bedeutet in der Volkssprache sowohl ,Leichnam4 als ,Begräbnis4. In der großen Zahl von Rdaa. mit Leiche zeigt sich das stark affektive Verhältnis des Volkes zum Tod, das zuweilen aber auch in zynischen oder groben Witz umschlägt. ,De ganze Woche krank und sonntags keene Leiche4 sagt man in Sachsen von eingebildeten oder wehleidigen Kranken; diese Rda. erinnert auch noch zur Steigerung der Witzwirkung an den mancherorts üblichen Brauch, daß sonntags nicht beerdigt wird. Wenn jem. bei traurigen Anlässen Witze erzählt, heißt es in Berlin (neuerdings aber auch sonst vielerorts): Spaß muß sin bei de Leiche und dazu oft als begründender Nachsatz: ,sonst jeht keener mit!4 Mit zur Leiche gehen ist eine boshafte Rda. in Kaufmannskreisen, wenn man beim Konkurs eines Geschäftspartners wie viele andere seine aussichtslosen Forderungen anmeldet. In Niederoesterr. verwendet man in bezug auf die Unausrottbarkeit von lästigen Fliegen das Bild: ,Oane daschlagt ma, neine keman auf d’Leich4, d.h. eine erschlägt man, aber neun kommen zur Beerdigung (der einen). J.Maaler bucht die Wndg. ,mit zur Leiche (oder mit der Leiche) gehen4 in seiner ,Teutsch Spraach4 (Zürich 1561) noch im eigentl. Sinn: „einen zu der Begrabnuß leiten; die oder der Leich nach gon; exequias alicui ducere44. Über Leichen gehen: rücksichtslos auf ein Ziel lossteuern. Ihren Urspr. hat die Rda. wohl in der drohenden Verteidigungsformel, daß man eher sterben wolle, als eine bestimmte Forderung zuzugestehen. So heißt es in Herders Gedicht ,Der Gast- freund4: „Nur über meinen Leichnam geht der Weg!44 Dieselbe Formel findet sich in Körners,Hedwig4 (3,10): „Nur über meine Leiche geht der Weg44. In ,Wallensteins Tod4 (5,7) heißt es: „Erst über meinen Leichnam sollst du hingehen44. Einen lebenden Leichnam nennt man einen gesundheitlich stark geschädigten oder auch nur so aussehenden Menschen (vgl. den gleichlautenden Titel eines Bühnenstücks von Leo Tolstoi). Die gleiche Bdtg. hat der Ausdr. .wandelnde Leiche4. Der rdal. Vergleich ,wie eine Leiche auf Urlaub4 stammt aus der Soldatensprache und meint ebenfalls einen abgemagerten, geschwäch- 589
Leid, Leiden ten oder auch nur so aussehenden Menschen; der Gedanke des nur noch vorübergehenden Daseins wird hier (durch Urlaub4 pointiert) dargestellt, ebenso das Gespenstische der Erscheinung. Mit einer wahren Leichenbittermiene. Wie den Hochzeitsbitter, so gab es im Volksbrauch auch den Leichenbitter, der mit professionell ernstem Gesicht die Trauergäste zum Leichenbegängnis einzuladen hatte. Der Leichenbitter spricht im Schwarzwald etwa folgende Einladungs- 1/2 Leichenbitter (,Mit einer wahren Leichenbittermiene herumlaufen’) formel: ,,Der Baschebur isch g’schtorwe un wurd iibermorge früeh vergrabe. Seine Freunde lasse bitte, daß Ihr au zu dr Lieh komme; sie werde dafür au Euch beistehe in Freud und in Leid“. Darauf bittet er um ein Vaterunser für den Verstorbenen (Elard Hugo Meyer, Badisches Volksleben im 19.Jh., Straßburg 1900, S.589). Seine ,Leichenbittermiene' wurde sprw. für meist nicht ganzechtes, aber um so deutlicher zur Schau getragenes Leidwesen (vgl. die Schilderung von Ludwig Lenz und Ludwig Eichler: ,Berlin und die Berliner1, 1840-42). Schon bei Chr. M. Wieland wird im ,Amadis' von der Stimme eines Ritters gesprochen, ,,die er von einem Leichenbitter geborgt zu haben schien“, ln Schillers ,Fiesko‘ (1,7) findet sich dann direkt die Wndg. ,mit einer wahren Leichenbitter- miene\ Das Subst. ,Bitter1 wird heute im Volksbewußtsein oft mißverstanden und als Adj. ,bitter = herb, sauer gedeutet. Eine Leichenrede halten: über etw. Unabänderliches reden, jammern und sich aufregen, bes. beim Skatspiel über das vergangene Spiel reden. Wenn man in Obersachsen nach einem Begräbnis einen Umtrunk hält, heißt das ,einen Leichenstein setzen' (vgl. ,das /Fell versaufen'). Bismarck nennt in seinen ,Gedanken und Erinnerungen' seine Entlassung und die damit verbundenen militärischen Ehren, die man ihm erwies, ,,ein Leichenbegängnis erster Klasse“. Lit.: HdA. V. Sp. 1024-1167, Art. .Leiche' - .Leichenzug1 v. P. Geiger; E. Schlee; Die Husumer Leichenbitterin Madame Stak, in: Schlesw.-Holstein, 12 (1960), S. 129-130. Leid, Leiden. Bereits sehr alt ist die entschuldigende und bedauernde Rda. Es tut mir leid! Schon bei Notker heißt es: ,,ze demo uns leido ist“ (leido ist hier Adv.). Im Minnesang findet sich häufig die Formel: ,,daz tuot mir leit unde wê z’allen stunden“. Diese Wndg. kann aber auch soviel bedeuten wie unser heutiges ,ieh bin es leid'. ,Leid tun' wird dann auch i.S.v. ,jem. (ein) Leid antun' gebraucht. So heißt es in Luthers Katechismus, „daß wir unsern Nächsten kein Schaden noch Leid tun“ sollen. Einem das gebrannte Leid antwi: ihm ein bes. schweres Herzeleid zufügen; ,gebrannt' steht hier in intransitivem Gebrauch für 590
Leier ,brennend4. Mhd. heißt es bereits: „si tuont mir gebrantiu leit44. Sich ein Leid an tun wird seit dem 17.Jh. in der Bedeutungsverengung nur noch (verhüllend!) für den Selbstmord gebraucht. Sein Leid in sich (hinein-) fressen ist eine bibl. Rda. nach Ps. 39,3 in Luthers Verdeutschung. ,Leid geben4 bedeutet oberhess.: die Trauermahlzeit für die Leichenbegleiter geben. Leid kommt darüber hinaus in zahlreichen, meist schon ma. rdal. Formeln, insbes. in alliterierenden oder endreimenden Zwillingsformeln, vor wie ,Lust und Leid4, ,Leid und Freud4, ,Lieb und Leid4, ,Trost und Leid4, ,Leiden sind Lehren4, ,leiden und meiden4, Schaden und Leid4, ,Reu und Leid4. Der rdal. Vergleich aussehen wie das Leiden Christi: sehr elend und erbärmlich aussehen, bezieht sich auf die Passionsbilder und Pietä-Darstellungen. ,Das Leiden Christi4 meint als stehende Bez. in der christl. Kirche die Passion Christi, schließlich das leidende Gesicht des Erlösers (vgl. ,aussehen wie der /Tod von Ypern4). Lit.: Fr. Maurer: Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte... (Bern u. München ~1961). Leier. Immer die alte Leier! wird von ewigen Wiederholungen gesagt; obersächs. auch: ,’s is immer eene Leier4, es ist noch derselbe leidige Zustand (z.B. bei einem Kranken, auch sonst von üblen Verhältnissen; die alte Art und Weise, dieselbe Klage). Im Rheinl. sagt man zu dem, der einem dauernd mit derselben Sache ,in den /Ohren liegt4: ,Du bist ein Leierkasten!4 Die Bauern- oder Kurbelleier war stets auf eine bestimmte Tonlage und Melodie abgestimmt. Die mangelnde Variierbarkeit beim Spielen und das nachhaltige Einerlei ihrer Musik ermöglichte es, die Leier als Bild des Eintönigen, Immerwiederkehrenden, auch des Aufdringlichen rdal. zu verwenden. Zum Teil sind auch andere Instrumente oder Spielweisen in derselben Art rdal. geworden. So ist in der Lebensbeschreibung Wilwolts von Schaumburg (1507) von einem ,,ungelehrten44 Spielmann die Rede, ,,der stet auf einer seiten glimpt44 (vgl. ndd. ,upr olden Saiden trum- peden4). In einem Bericht aus Dresden von 1615 heißt es: ,,Er kömpt immer mit der alten Geige44. Die westf. Mda. sagt: ,Et ist en ollen Dudelsack4. Die Formel von der ,alten Leier4 bezieht sich in den frühesten Redensartbelegen wohl auf das Instrument selbst. Grimmelshausens Simplicissimus versucht, seine alte Leier neuen Verhältnissen anzupassen, und erklärt dies gleich mit einer neuen Rda.: 44... mußte aber den Mantel nach dem Wind hängen, meine Leier anders stimmen44. Flier wird noch ganz deutlich an die Grundvorstellung angeknüpft; man konnte die Leier ja auf eine bestimmte Tonart und Melodie einstellen, war dann aber festgelegt. Christian Günther nimmt bereits die Rda. beim Wort und behandelt sie als konkretisierte Metapher, indem er sie mit einer inhaltlich verwandten Rda. logisch und ästhetisch verbindet: ,,Im ersten Jahre meiner Ehe, da hieng der Himmel voller Geigen, hernach fielen sie herunter und wurden lauter Leyern draus44. Chr. O. v. Schönaich sagt in seinem geologischen Wörterbuch oder die ganze Aesthetik in einer Nuß4 von 1755 (S.242): „Ein altmodischer Schriftsteller bleibt bei seiner Leyer und Einfalt44. Lessing klagt in ,Nathan der Weise4 über das Alte in der verkappten Form des Neuen: „Doch die alte Leier wieder? Mit einer neuen Saite nur bezogen, die fürcht ich, weder stimmt noch hält44. Goethe läßt in den Mitschuldigen4 (II, 4) Söller von der „abgedroschenen Leyer44 reden, und er gebraucht auch: „Da haben wir wieder den alten Leierton44. Eine Entwicklung ist darin zu sehen, daß man in späterer Zeit unter Leier nicht mehr so sehr das Instrument, sondern vielmehr die vom Instrument ausgehende Musik versteht: ,die alte Melodie4, ,das alte Lied4. Schon Seb. Franck denkt in seiner Sprww.- Sammlungvon 1541 an die Melodie, wenn er sagt (2,7 a): sonst spricht man bald: es ist eine alte leier, ein versungen liedlin44. Ernstlich ermahnt wurde z.B. Joh. Seb. Bach in seinem Anstellungsbescheid in Arnstadt: „Seine Kunst möglichst zu exco- lieren, nicht immer auf einer Leyer zu bleiben44. Jetzt gibt's eine attdre Leier sagt man im Rheinl., wenn bedeutende Neuerungen eingeführt werden sollen, auch Kindern gegenüber als letzte Ermahnung, wenn sie nicht gehorchen wollen. Sprw. allg. verbreitet sind ,Besser geleiert als gefeiert4 für 591
Leikauf ,Besser wenig getan als gar nichts4 und: ,Neue Leier, neue Dreier4 für ,Neue Methoden, neuer Gewinn4. Weitere mdal. Varianten sind ferner kämt, leiern, nichts tun, faulenzen; thür. leiern, hinhalten (z.B. ,der Arzt leierte den Kranken so hin4); rhein. leiern, langsam arbeiten, faule und lässige Bewegungen machen, auch: schwatzen. Im Hess, bedeutet leiern auch soviel wie trinken. Das Verb leiern im Sinne von spielen, fingern, gleichmäßig bewegen wurde im Grobianismus des 16.Jh. auch in obszöner Bdtg. verwandt; in einem Fastnachtsspiel heißt es z.B.: Heuer trug man mir eine Witwe an, die sprach sie het vor gehabt ein Man, der het kein Nacht an ir gefeiert. Er het ains oder zwei rabgeleiert. Ut.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa. in: Die Muttersprache (1963), S. 20 Iff. Leikauf. ,,Das Haus wurde gekauft um 5000 Gulden und 1 Karolin Leikauf44; so etwa liest man in alten Kaufbriefen. Noch heute zahlt der Händler neben der eigentl. Kaufsumme zuweilen einen Leikauf. Leikauf meint urspr. leitkauf, mhd. lîtkouf, wobei leit, mhd. lit, Obst- oder Gewürzwein bedeutet. Nach abgeschlossenem Handel zahlte der Käufer den Beteiligten, dem Verkäufer und den Zeugen des Handelsgeschäftes, einen Trunk als Dank für gehabte Mühe und gleichsam auch als Besiegelung des Handels. Die Naturalleistung wurde mit der Zeit zu einer Geldleistung, die sich mehr und mehr zu immer höheren Beträgen steigerte. Der erste urkundliche Beleg für die Rechtsformel vom Leikauf stammt vom Jahre 1245. In dem Nürnberger Baumeisterbuch von Enders Tücher aus dem 15.Jh. geht es neben dem Trunk wohl auch noch um die Vertragsbekräftigung, wenn es heißt: „...nachdem die Steinmetzen und Maurergesellen also gelobt haben, so soll inen und irem Meister der Stat Paumeister zu vertrinken und Leikauf geben nach altem Herkomen vier pfund alt44. Formelhaft und metaphorisch konnte Leikauf später rdal. auf jegliche Form von Abschluß übertr. werden, auch wenn der Rechtsbrauch nicht mehr gepflegt wurde. Luther sagt im übertr. Sinne in sei¬ nen ,Tischreden4: „Wir haben alle den Leikauf zum Tode getrunken44. Nur noch als Vorwand zum Trinken gilt der Leikauf in einem Fastnachtsspiel: Dann, Wirt, habt ir ein guten Wein, So tragt nur her und schenkt fix ein Und laßt uns bald ein Leikauf machen. Bei Jak. Ayrer heißt es: „so soll es war und leickauf sein44, oder: „So seis leickauf! Gott wolle sein walten!44 Diese Zeilen besagen: So steht es ein für allemal fest; darauf können wir trinken. Leikauf wurde auch volksetymol. umgedeutet zu Leihekauf und Leichkauf. So heißt es in v. Schweinichens Tagebuch (1568-1602): „über den Trunk des Leihkaufes bekommen wir einen guten Rausch44, d.h. auf Pump oder auf Kosten anderer läßt sich gut und billig trinken. - Das Lutherische Bild des Leikaufes mit dem Tode findet sich bei M.Neander im ,Menschenspiegel4 von 1587 in der falsch etymologisierenden Form: „ir wisset, daß ir Menschen und alle deß Leihekaufes zum Tode getrunken habt44. Wolfhart Spangenberg läßt in seinem Drama ,Marnons Sold4 von 1614 ebenf. das memento mori anklingen und sagt: „Wohlan der Leichkauf ist gemacht44. Lebendig ist das Wort Leikauf heute nur noch in den Mdaa., wie im Kärntischen und im Schwäb. ,Den Leikaff machen4 heißt kämt.: einen Handel eingehen; Leikaff ist dann auch das Draufgeld zum Vertrinken. Im Schwäb. wird Leukauf oder Lidkauf ebenf. noch als das Draufgeld beim Vertragsabschluß angesehen, das man mit den Zeugen und denen, die sich gern dafür halten, vertrinkt; ZWeinkauf. Lit.: J. Grimm:Dt. Rechtsaltertümer, 4. Ausg. (Leipzig 1921), I, 264f.; G Öhr mg, Nr. 225, S.126. Leim. Jetn. auf den Leim locken (führen): ihn betrügerisch zu etw. verlocken, ihn täuschen, anführen; auf den Leim gehen (kriechen): sich betrügen lassen, sich zu seinem Nachteil verlocken, übervorteilen, anführen lassen; er geht nicht auf den Leim: er läßt sich nicht täuschen; das ist ein Leim: das ist eine betrügerische Verlockung. Das Bild all dieser Rdaa. ist hergenommen von dem (heute in Dtl. verbotenen) Vogelfang mit Leimruten. Das sind kleine, dünne, mit Leim bestrichene Stäbchen, die nur lose mit dem einen Ende in eine Stange gesteckt 592
Leim ,Auf den Leim locken1 werden und herabfallen, sobald sich ein Vogel daraufsetzt. Beim Herunterfallen der Leimrute flattert der Vogel und bleibt mit den Flügeln an dem Leim kleben (vgl. auch ,Pech haben1 und ,ins Garn gehen'). Schon bei Gottfried von Straßburg (,Tristan' V. 843 ff.) findet sich das Bild im übertr. Sinne als Gleichnis für den von der Minne gefangenen Menschen: daz der minnende muot reht alse der vrie vogel tuot, der durh die vriheit, die er hat, uf daz gelimde zwi gestat: als er des limes danne entsebet und er sich uf ze vlühte hebet, so klebet er mit den vüezen an; sus reget er vedern und wil dan; da mite gerüeret er das zwi an keiner stat, swie kumez si, ezn binde in unde mach in haft; so sieht er danne uz aller kraft dar und dar und aber dar, unz er ze jungeste gar sich selben vehtend übersiget und gelimet an dem zwige liget. Der Volksprediger Geiler von Kaisersberg warnt um 1500 in seiner Schrift ,Brösam- lein' (1,33 a): ,,Die böse Liebe und die bösen Glüst seind die Leimruten. Welcher Vogel darin kumpt, der muß verderben". Im Fastnachtsspiel der gleichen Zeit heißt es: ,,ob unser eines auch also wurd gefangen, das er an dem Leim mußt hangen". Der Barockdichter Martin Opitz weiß: „Ein schlauer Vogel kann des Stellers Leim entschleichen". Mit der Leimstange laufen: den Mädchen nachlaufen, ein Narr sein. Die Rda. ist mehrf. auch bei Grimmelshausen belegt (/Latte); vgl. ostpr. ,he löppt bi de Lim- stange', er ist ein Narr. Aus dem Leim sein: entzwei, zerbrochen sein. ,Aus dem Leim gehen' können eigentl. nur schlecht geleimte Sachen. Bildl. wird die Wndg. aber vom Lösen jeder Verbindung gesagt, z.B. ,ihre Freundschaft ist aus dem Leim gegangen'. In dieser Rda. schwingt meist der Verdacht mit, daß die Sache eben schon immer schlecht geleimt war. Im übertr. Sinne des inneren Zusammenhalts heißt es im 16.Jh. in Joh. Mathesy’s Syrachkommentar: „Eine friedfertige Red ist wie ein Leim, der zwei Hölzer zusammenzeucht". Der Volksprediger Abraham a Sancta Clara (1644-1709) sagt: „als sei nun der Credit bei ihnen aus dem Leimb gegangen"; Jean Paul im ,Siebenkäs', als Natalie ihrem Bräutigam den Laufpaß gegeben hat: „Wahrscheinlich war der Leim zwischen ihm und Natalie aufgegangen und abgelaufen". Im ,Hesperus' spricht Jean Paul von der „Schönheit als Mörtel und Leim der Freundschaft". 1741 bucht Joh. Leonh. Frisch in seinem ,Teutsch-Lateinischen Wörterbuch' ,aus dem Leim gehen' als einen Ausdr., den die Handwerker gebrauchen, wenn ein Geselle vorzeitig vom Meister weggeht. Ein bair. Ausruf bei einer argen Enttäuschung lautet: ,Itz geht ma’s Gsicht ausm Leim!'; vgl. die ähnl. nordd. Wndg. ,Daß 593
Leine dudie Nase ins Gesicht behältst ! " (/Nase). Die westf. Rda. ,He löppt mit 'n Limpott', er ist ein Pfuscher, erklärt sich daraus, daß eine nicht ordentlich gemachte oder verdorbene Arbeit oft mit Leim notdürftig geflickt wird, eben von einem Pfuscher. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinei: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.316, 323. Leine. Einen an der Leine haben: ihn in seiner Gewalt haben, ihn lenken können, wie man will, ihn unter Kontrolle halten, so wie der Herr seinen Hund an der Leine hat ; vgl. ndl. Jemand aan het lijntje hebben (krij- gen)\ engl. ,to have a person on a string1, frz. ,tenir quelqu’un en laisse'. Umgekehrt kann man einem die lange Leine lassen, d. h. ihm mehr oder weniger Bewegungsfreiheit zugestehen; ndd. ,de Line hängen laten1, schlaff und nachsichtig sein, eigentl.: den Pferden ihren Willen lassen. An einer Leine ziehen (vgl. ,an einem Strick, am selben Strang ziehen1): gemeinsam eine Arbeit oder ein Unternehmen ausführen, gleiche Interessen haben, Zusammenhalten. Von denen, welchen diese Zusammenarbeit nicht gelingt, sagt man iron.: ,Sie ziehen an einer Leine, aber an zwei Enden'. Leine ziehen: sich davonmachen, ausreißen, verschwinden, auch: klein beigeben. Diese Rda. stammt wohl nicht vom Lenkseil des Tieres, weil hier die Leine ja nicht eigentl. zum Ziehen dient, geschweige denn gezogen wird. Leine bedeutet hier vielmehr das Schiffszugseil. Die Rda. ,Zieh Leine!' stellt also von Hause aus schiffahrtliches Sondergut dar. Sie entstammt der Zeit des alten Binnenschiffahrtbetriebes, wo noch die Fahrzeuge vom Ufer der Wasserstraße her (vom ,Leinpfad') getreidelt wurden. ,Leine ziehen' bedeutete für die Zugknechte soviel wie: dafür sorgen, daß man von der Stelle kommt. Ein Bild im Giltbuch der Passauer Schiffszieher aus dem Anfang des 15.Jh. trägt als Befehl an den Zugknecht, der vor ein /Seil gespannt ist, die Worte: ,Nu zeuch am Sail!' (Die Miniatur ist wiedergegeben von K. Gröber in: Alte deutsche Zunftherrlichkeit, München 1936, S.76.) Der reine Fachausdr. hat im Laufe der Zeit seinen alten Anschauungsgehalt mehr und mehr eingebüßt und ist heute vollkommen abgeblaßt. Er begegnet nur noch in der Befehlsform und besagt jetzt nichts anderes als schlechthin: ,Mach, daß du fortkommst!' Die Rda. ist erhalten geblieben und allg. verbreitet, obwohl für ihr Fortleben seit fast einem Jh. die Voraussetzungen nicht mehr bestehen. Der Ausdr. ,Leine ziehen' hat in jüngerer Zeit zu einem scherzhaften Wortspiel Anlaß gegeben, in dem ebenfalls zugleich ein Deutungsversuch steckt: ,Wenn die Weiber waschen, müssen die Männer Leine ziehen'. Um 1846 gab es in der Berliner Dirnensprache dieselbe Wndg. ,Leine ziehen' = ,auf den Strich gehen', d.h. ,,sich behufs der Anlockung von Männern auf der Straße umhertreiben". In wieder andere Zusammenhänge des mehrdeutigen Wortes Leine führen einige, nur regionale und mdal. Rdaa. Im Rheinl. ist bekannt: ,Op de Leine gohn', nichts zu essen haben. Hier wird die brotlose Kunst des Seiltänzers als Vergleich dienen. Ebenso heißt es von einem Stromer: ,Der loschiert op de Lein'. ,Er geht über die Lein' heißt: er macht Bankerott, aber auch : er stirbt. ,Einen über die Leine springen lassen' sagt man von dem, der an seiner Arbeitsstelle entlassen wird. Lit.: Kluge: Rotw. (Straßburg 1901); H. Becker: Schiffervolkskunde (Halle 1937), S.51f. Leisten. Alles über einen Leisten schlagen: alles gleichmäßig, nach demselben Schema behandeln, Unterschiede nicht berücksichtigen, ,alles über einen /Kamm scheren'. Daneben findet sich die Wndg. über denselben Leisten geschlagen: von der gleichen Sorte oder Art sein (vgl. ndl. ,op dezelfde leest geschoeid zijn', frz. ,frapper tout au même coin', engl. ,to make one shoe fit every foot'). Der Schuster fertigt die Schuhe nicht individuell nach jedem menschlichen Fuß, sondern nach feststehenden hölzernen Modellformen, den Leisten. Das rdal. Bild stammt also von einem bequemen Schuhmacher, der nicht nach Maß arbeitet und alles ungenau nimmt. Die Rda. ist seit dem 16. Jh. belegt. H.Steinhö- wel sagt in seiner Boccacciobearbeitung von 1535: ,,dann du als sie in der selben Siind bist, ihr seid all über ein Leist gemacht". Das Fastnachtsspiel des 16.Jh. bringt ähnl. Wndgn. ebenf. sehr häufig, 594
Leiter z. B. Hans Sachs: ,,ir seit alle über ein Leist geschlagen“. 1625 schreibt Joh. Hopfner im ,Spiegel der Kleider Hoffart1 (S.27): ,,Sie sind alle, wie man pflegt im Sprichwort zu reden, vber eine Leiste geschlagen“; Joh. Gerlingius 1649 (,Sylloge adagiorum' Nr. 94): ,,Eundem calceum omni pede inducere. Alle Schuhe über eine leist machen“. Kant verurteilt es, ,,alles dem Leisten scholastischer unfruchtbarer Abstraktion an(zu)passen“. 1889 heißt es bei J.Stinde in ,Frau Buchholz im Orient' (S.83): ,,Alle Art ihrer Musik geht nach demselben Leisten“. In positiver Bdtg. verwendet Goethe den Leisten als Bild des Maßes und der maßvollen Beschränkung: Niemand will ein Schuster sein, Jedermann ein Dichter, Alle kommen sie gerennt, Möchtens gerne treiben; Doch wer keinen Leisten kennt, Wird ein Pfuscher bleiben. ,Alles über einen Leisten schlagen' Von dem ungewöhnlichen Menschen verlangt der Volksmund: ,Man muß ihn über einen anderen Leisten schlagen', d.h. man darf ihn nicht mit dem gewöhnlichen Maß messen. ,Man muß ihn auf den Leist spannen' heißt dagegen: man muß ihm einmal eine Lehre beibringen, oder: ihn in die Kur nehmen. Schuster bleib bei deinem Leisten sagt man, wenn einer über seine Möglichkeiten und Fähigkeiten hinaus will; sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst. Das Sprw. hat noch bis in den Schlagertext aus den fünfziger Jahren des 20. Jh. nachgewirkt: Schuster, bleib bei deinen Leisten, Schöne Frauen kosten Geld. Plinius berichtet in seiner ,naturalis historia' (35,10) von Apelles, dem Hofmaler Alexanders des Großen, daß ein Schuster ihn anläßlich einer Ausstellung seiner Bilder getadelt habe, weil der Maler eine Sandale falsch dargestellt hatte. Apelles verbesserte daraufhin das Bild; als der Schuster nun noch weitere Einwände gegen das Gemälde vorbrachte, soll der Maler gesagt haben: ,,Ne sutor supra crepidam" (Schuster, nicht weiter als die Sandale). Unser Sprw. ist also keine direkte Übers, dieser Pliniusstelle. Man mag es später jedoch darauf bezogen haben. Leistung, leisten. Sich etw. leisten wird rdal. in zweifacher Bdtg. verwandt, einmal i. S. v. sich auch einmal etw. zugute kommen lassen, sich auch einmal etw. gönnen, dann auch entgegengesetzt: sich etw. herausnehmen, unverschämt oder unmöglich sein. Noch eine dritte, dazwischenliegende Bdtg. hat die Feststellung ,Du hast dir da ja etw. (Schönes) geleistet' als rhet. Floskel: Das soll wohl etw. sein! Na, das ist ja schön! In dem selben Sinne kann die Wndg. Das war (aber) eine LeistungdAs iron. Euphemismus fungieren. Ernst gemeint ist dagegen die Wndg.: eine schmissige Leistung! für eine flotte, schnell entstandene, aber gelungene Leistung. Sie ist in einem Zug hingeworfen, ,hingeschmissen'. Wer sie vollbracht hat, der hat ,Schmiß'; ähnl. die anerkennende Bemerkung Das war (aber) eine reife Leistung. Die Rdaa. um Leistung und leisten sind recht jung. Ihr starker Gebrauch entspricht der anwachsenden Bdtg. des Leistungsbegriffs in der technischen Gesellschaft des 20.Jh., die diesen Begriff sprachl. über den engeren Bereich der Technik ausdehnt. Leiter. Auf der Leiter geschlafen haben: mager sein; die Rippen zeichnen sich deutlich ab; in den dreißiger Jahren des 20. Jh. aufgekommen; /gelehrt. 595
Leitfaden Leitfaden /Faden. Leitung. Eine lange Leitung haben: langsam begreifen, nur schwerfällig etw. lernen. Die Wndg. ist erst im 20. Jh. in Analogie zum Telefondraht oder überhaupt zur elektrischen Leitung aufgekommen; ent- spr. ihm (bei ihm) steht einer auf der Leitung: er begreift nicht; die Leitung funktioniert: er faßt richtig auf. Bei ihm schließt die Leitung kurz: er braust leicht auf. An die Wasserleitung ist vermutlich bei folgenden, ebenfalls in der gegenwärtigen Umgangssprache aufgekommenen Wndgn. gedacht: die Leitung aufdrehen : zu weinen beginnen; eine undichte Leitung haben: das Wasser nicht halten können, auch: nicht recht bei Verstand sein. Schülersprachlich und student, heißt es: ,P (1 hoch zwei), lange Leitung; ,P (1 hoch drei), lausig lange Leitung. Lektion. Seine Lektion wissen: seine Sache gründlich gelernt haben, Rede stehen können. Lektion meint urspr. Vorlesung einer bestimmten Stelle aus der Bibel beim Gottesdienst, dann einen Abschnitt aus der Grammatik. Goethe sagt in den ,Zahmen Xenien4 über die Bürgerpflicht: Ein jeder übe sein Lektion, So wird es gut im Rate stöhn. Noch immer gebräuchl. ist die im 16. und 17.Jh. häufig bezeugte Rda. einem eine Lektion lesen (oder geben, erteilen): ihn ausscheitert (/Leviten). Lerche. Eine Lerche schießen: jählings hinfallen (durch Stolpern, aber auch vom Pferde oder Fahrrad herab). Ob die nicht vor dem 19.Jh. bezeugte Rda. erst nachträglich mit dem Vogel in Zusammenhang gebracht und dann durch ,schießen4 erweitert worden ist, bleibt ungeklärt. Doch sind mdal. ähnl. Wndgn. bezeugt, z.B. ndd. ,Koppheister scheteit, einen Purzelbaum schießen, zu Heister = Elster gehörig; vgl. auch sächs. ,hinlerchen\ hinfallen; vielleicht hat das schnelle Herabschießen des Vogels mit dem Kopf voran den Anlaß zu dem Bild gegeben. Ins Lerchenfeld gucken: ins Leere starren; jem. auf das Lerchenfeld führen, gemeint ist wohl urspr.: einen zum Lerchenfang auf ein Feld führen, auf dem, wie der Führende genau weiß, keine Lerchen zu holen sind. Daraus ergibt sich dann die allg. Bdtg.: jem. zum Narren halten, jem. düpieren; lit. z. B. in Joh. Fischarts ,Gargantua4 (S.388): ,,Es ist auch einer auff dem Lerchenherd nicht sicher, wenn einer schiafft, dann die Räb- hüner dörffen eim bald ohren abstoßen und abbeissen44. Möglicherweise ist die Rda. aber auch auf eine eigentümliche Fangmethode zurückzuführen, die darin besteht, daß man Lerchen durch Spiegel blendet und sie so ins Garn lockt. Eine ausführliche Beschreibung des ,Lerchenspiegels4 findet sich in Naumanns ,Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas4. Zum Vergleich läßt sich heranziehen die frz. Rda. ,se laisser prendre au miroir comme l’alouette4, sich wie die Lerche mit dem Spiegel fangen, d. h. sich durch Schmeicheleien betören lassen. Ein Analogon findet sich noch im ital., wo ,specchietto delle allodolek (Lerchenspiegel) geradezu für Hinterhalt, Falle gebraucht wird. Im Lerchenfeld sein: im Irrtum sein. Lit.: R. Riegler: Dt. Rdaa., in: Zs. f. d. U„ 23 (1919), S.525E Letzt. Zu guter Letzt: zum erfreulichen Beschluß, auch iron, gebraucht. Mit dem Superlativ ,der letzte4 hat die Wndg. urspr. nichts zu tun; vielmehr ist Letzt aus mhd. ,letze4 = Abschied (zu letzen = ein Ende mit etw. machen, Abschied feiern, dann: laben, erquicken) hervorgegangen. Die Grundbdtg. der Wndg. ist also: als guter Abschiedstrunk oder -schmaus; in diesem Sinne in altertümelnder Sprache noch bei Wieland: Wie sie zu guter Letze Den goldenen Becher mir bot. Die Rda. wird dann auch auf andere Gaben, die als Abschluß gewährt werden, übertr. In der Einleitung zu den zwölf Artikeln der oberschwäb. Bauern von 1525 wird das Liebesgebot Christi, das er bei der Abendmahlseinsetzung gegeben hat, als die ,Letze4 bez., die er uns hinterlassen habe. Bei Blumauer heißt es in der ,Äneis4 (1784, Bd.II, S.41): ,,Nun begann das dritte Spiel dem Volke zu guter Letze44. Als man den Urspr. der Wndg. nicht mehr verstand, wurden Form und Bdtg. an das Adj. 596
Leviten Jetzt" angeknüpft. Auch in der veralteten Wndg. eine Letze lassen: ein Abschiedsgeschenk geben, die im 16.Jh. oft, bes. auch im Volkslied, bezeugt ist, steckt das obengenannte Subst. ,Letze\ Letzte. Das Sprw. Der letzte sein ist nimmer gut verdeutlicht die allg. Anschauung des Volkes, nach der dem Menschen, der mit seiner Arbeit zuletzt fertig wird oder der als letzter bei einer Zusammenkunft erscheint, ein Makel anhaftet. Der Schnitter, der die letzte Garbe auf dem Feld abmäht, wird gehänselt; der Langschläfer erhält an bestimmten Tagen im Jahr einen Spottnamen, und bei Wettkämpfen ist nach wie vor derjenige der eigentl. Verlierer, den man im Sportjargon als,Schlußlicht' zu bezeichnen pflegt. Selbst beim Spiel der Kinder ist dieser Brauch als ,letzten geben' zu beobachten. Das Letzte versuchen (aus sich herausholen): das letzte Mittel einsetzen, noch einmal alle Kraft zusammennehmen, um ein Ziel zu erreichen. Lit.: C. W. v. Sydow: Die Begriffe des Ersten und Letzten in der Volksüberlieferung mit bes. Berücksichtigung der Ernte brauche, in: Folk-Liv (1939); A. Eskeröd: Arets Äring. Nordiska Museets Handlingar 26 (Stockholm 1947); D. Sauermann: Der Letzte im Pfingst- brauch, in: Zs. f. Vkde. 64 (1968), S. 228ff. Leuchte. Die Rda. eine Leuchte der Wissenschaft sein: ein hervorragender Gelehrter, ein erfolgreicher Forscher sein, geht bereits auf die Antike zurück. In seiner Naturgeschichte (,Naturalis historia' XVII,5) nennt Plinius (23-79 n.Chr.) den Cicero die zweite Leuchte der Wissenschaft nach Homer: „Lux doctrinarum altera". Meistens begegnet die Wndg. heute in der Negation als tadelnde oder bedauernde Feststellung: jem. ist keine große Leuchte oder er ist nicht gerade eine Leuchte: er ist nicht sonderlich gescheit; obwohl er sich klug dünkt, vollbringt er keine entspr. Leistungen; er bleibt merklich hinter den allg. Erwartungen und Anforderungen zurück. Die Wndg. jem. ist eine Leuchte wird im gleichen Sinne auch iron, angewendet, um einen Überklugen zu bezeichnen, der alles besser wissen will. /Licht. Leute. Er ist einer von unsere Leut: er gehört zu uns, ist mit uns verwandt, gehört zur selben Gruppe. Die jiid. Rda. ist durch eine Posse von David Kalisch (1820-72) mit dem Titel ,Einer von unsere LeuL lit. geworden (1870). Das sind die besten Leute: sie sind (wieder) gut Freund miteinander, sagt man, um eine stattgefundene Versöhnung auszudrücken. Unter den Leuten gewesen sein: Erfahrungen gesammelt haben; Menschenkenntnis besitzen. Sich nicht unter die Leute wagen: sich seines Aussehens schämen; menschenscheu sein. Da streiten sich die Leut ' herum ist ein Zitat aus dem ,Hobellied' aus Raimunds Werschwender' von 1833. Etw. unter die Leute bringen: bekanntmachen, ein Gerücht ausstreuen; ndd. ,dat is unner de Lüde', so geht das Gerücht, so erzählt man sich. In der Leute Mäuler sein: im Gerede sein; in üblem Ruf stehen. Vgl. ndl. ,Hij is op der Heden tong'. Die bösen Leute sind an ihm sagt man, wenn ein Kind ständig schreit und dabei verfällt. Bezieht sich wohl auf den Glauben an Hexen, die dem Kind etw. angetan haben. Lit: Hessen-Nass. Volkswb. 2, 137, 47ff.; L.Berthold: Sprachliche Niederschläge absinkenden Hexenglaubens, in: Volkskundliche Ernte. H.Hepding dargebracht in: Gießener Beiträge zur dt. Philologie 60 (1938), S.32-39, bes. S.35L Leutnant. Ein Leutnant zahlt seine Schulden /Kirmes (in der Hölle). Leviten. Einem die Leviten lesen, auch die Epistel, die Kapitel, die Lektion, den Text lesen: ihm einen Verweis erteilen, ihn zurechtweisen. Der Urspr. dieser Wndgn. ist alt. Um das Jahr 760 stellte der Bischof Chrodegang von Metz zur Besserung der verwilderten Geistlichkeit einen Kanon nach Art der Benediktinerregel auf. Dieser verpflichtete die .Canonici' zu gemeinschaftlichem Speisen und Schlafen, zu gemeinsamem Gebet und Gesang, ferner zu bestimmten Versammlungen mit bes. Buß- und Andachtsübung. Da pflegte ihnen der Bischof oder dessen Stellvertreter einen Abschnitt aus der Bibel, insbes. aus dem dritten Buch Mosis (.Leviticus' genannt, weil es hauptsächlich Vorschriften für Leviten, d.h. Priester, enthält), ferner aus Satzungen, die in .Capitula' eingeteilt wa- 597
Licht ren, vorzulesen; in der Regel knüpften sich hieran ermahnende und strafende Reden. Daher wohl die Rda., die auch durch spätere kirchliche ,Strafpredigten1 in wechselnder Form erneuert worden sein kann. In dem Gedicht ,Des Teufels Netz1 aus dem Anfang des 15. Jh., in dem die Laster aller Stände gegeißelt werden, heißt es V. 10476: Da will ich dir denn ein letzgen (Lektion) lesen, Daz si niemer me mag genesen. Eine andere Hs. hat statt ,letzgen4 das Wort ,Leviten4. In einem spätma. Schauspiel, das sich in Franz Josef Mones Sammlung ,Schauspiele des Mittelalters4 (1846, Bd.II, S.280) findet, wird Petrus angeredet: Man mües dir ouch die leviten lesen, Du bis by Jhesu von Gallile gewesen. Hans Sachs sagt von einem Heruntergeputzten: Im wardt der harnisch wol gefegt. Sie las im sein legendt so kurz. Gelegentlich tritt das Wort ,Levit4 auch kurzweg in der Bdtg. ,Strafpredigt4, ^erweis4 auf, so im ,Deutschen Grandison4 von 1755: „Ich geb’ ihm mit meiner gewöhnlichen Sanftmut ganz gelassen einen kleinen Leviten44. Vgl. auch die Rda. ,einen ins /Gebet nehmen4. Licht. Es geht ihm ein Licht auf: es wird ihm alles klar, er hat verstanden. Die Rda. beruht auf Bibelstellen wie Hiob 25,3, Ps. 97,11 („Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen .. ,44), Matth. 4,16 u.a. („Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und die da saßen am Ort und Schatten des Todes, denen ist ein Licht auf gegangen44). Obwohl schon die Bibel die Wndg. durchaus bildl. versteht und die Erhellung des menschlichen Geistes durch das Licht des Glaubens oder durch das göttliche Licht meint (z.B. Hiob 25,3), hat die Volkssprache - nicht selten in iron. Überspitzung - das Bild immer wieder in die Realität zurückbezogen. So hat auch Moritz von Schwind (1804-71) die Rda. bildl. dargestellt. Eis. wird z.B. die Rda. ,Es geht mir ein Licht auf4 mit dem Zusatz ,wie e Fackel4 versehen. Scherzhaft sagt man auch: ,Es geht ihm ein Dreierlicht auf4; berl. ,Mir jeht ’n Talchlicht (ne La- tüchte, Jaslatern, Stallaterne, Kronleuchter) uf4, ich verstehe; gesteigert auch: ,Mir jeht ’ne janze Jasfabrik uf4. In der Rda. jetzt geht mir ein Seifensieder auf4 ist statt des Lichtes sein Hersteller eingesetzt; die Rda. findet sich lit. z. B. in W. v. Kügelgens Jugenderinnerungen4 (Reclam-Ausg. S. 87): „Es mußte einem ein großer Seifensieder aufgehen44. ,Dämmert’s?4 fragt man scherzhaft, wenn man hofft, daß einem etw. ,einzuleuchten4 beginnt. Ähnl. schon in Schillers,Kabale und Liebe4 (1,5): „Ist Ihm das helle?44 - „Daß mich die Augen beißen44. Bair. ist volkstümlich ,einen Funken von etw. kriegen4, anfangen, der Sache auf die Spur zu kommen. Einem ein Licht aufstecken: ihn aufklären; dann auch: ihn zur Rede stellen, ihn zurechtweisen. Das Bild der Rda. ist vom Aufstecken des Kerzenlichtes auf einen Leuchter genommen. Bei F. Reuter findet sich die Variante: ,,’ne Laterne ansticken44. 1639 führt Lehmann S.476 (,Lehrer4 24) an: „Einer, der einem von seinem Liecht ein Liecht anzünd, dem geht nichts davon ab; wer andern lehrt, der hat an seiner Geschicklichkeit keinen Verlust44. Dem Tage ein Licht anzünden; ebenso Licht ifi die Sonne bringen: ttw. Überflüssiges, Unnützes, Unsinniges tun (vgl. ,Eulen nach Athen tragen4, /Eule); ähnl. das Licht an beiden Enden anzünden, zugleich auch in der Bdtg.: seine Arbeitskraft doppelt verbrauchen (vgl. engl. ,he lights his candle at both ends4; frz. ,On brûle la chandelle par les deux bouts4; ndl. ,Di kaars brandt an beide einden4, ,hij stecht zijne 598
Licht ,Sein Licht unter den Scheffel stellen4 - ,Sein Licht leuchten lassen4 kaars aan beide kanten aan4). Das Licht nehmen und den Leuchter damit suchen: unüberlegt oder zerstreut handeln; ebenso ein Licht verbrennen, um eine Nadel zu suchen (ndl. ,eene kaars verslinden, om eene speit ze vinden'). Sein Licht unter den Scheffel stellen: allzu bescheiden sein, die vorhandenen Kräfte nicht voll, oder nicht zum allg. Besten anwenden (entspr. engl. ,not to hide one's light under a bushel4; frz. ,ne pas mettre la lampe - lumière - sous le boisseau'; ndl. ,zijn licht niet onder de korenmaat zetten'). Den Gegensatz bildet sein Licht leuchten lassen: seine Gaben zur Geltung bringen, ,mit seinem Pfunde wuchern4. Beide Rdaa. sind bibl. Herkunft und stammen aus Matth. 5,15 f.: ,,Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet es allen, die im Hause sind. Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen...4' (vgl. Mark. 4,21; Luk. 8,16; 11,33). Das bibl. Gleichnis ist vom sog. Petrarcameister in seiner Bildwirklichkeit dargestellt worden. Dieses Bild bedarf allerdings einer kurzen Erläuterung: Der Mann im Vordergrund links führt die Rda. genau aus. Nur ist der Scheffel zu klein, um das Licht zu verber¬ gen. Ebenso geht es dem Manne im Hintergrund, der mit einem Löschhütchen, wie es zum Löschen der Kerzen verwendet wurde, die Kirchtürme verdecken möchte. Den Gegensatz verdeutlicht ein gelehrter Magister (rechts), der verschämt sein Gesicht hinter einem Lichtschirm verbergen möchte, um nur seine Werke, nicht aber seine Person gelten zu lassen; vielleicht genießt er eher auch die eigene Weisheit unter dem Vergrößerungsglas. Er ist kein (großes) Licht: er ist nicht gerade klug. Die Rda. wird auch verstärkt: ,Er ist kein großes Kirchenlicht4, er ist geistig wenig bedeutend; älter auch: ,Er ist kein (großes) Lumen'. Modern: ,Er ist ein Armleuchter4, ,Er ist wenig belichtet', ,Er ist unterbelichtet4, er taugt überhaupt nichts. Alle diese Rdaa. negativer Bdtg. beziehen sich letztlich und urspr. auf eine positive Aussage: Matth. 5,14 sagt Jesus zu den Jüngern: „Ihr seid das Licht der Welt44 (Vulgata: ,,Vos estis lux mundi44). Bereits Cicero (,Catilina' III, 10,24) nannte berühmte Männer ,Lumina civitatis4. ,Lumen ecclesiae4 wird Augustin in mehreren Quellen genannt, z.B. in Luthers Tischreden4. Als ,Kirchenlichter' bez. Mathesius (,Historien von Luthers Anfang...4 1570) die Wittenberger Theologen. 599
Licht Dem Licht zu nahe kommen; sich am Licht verbrennen (vgl. frz. ,Cet homme s’est venu brûler à la chandelle1); ,wie die /Motte ums Licht1. Das Licht brennt ihm auf den Fingern: ,das Wasser steht ihm bis zum Hals\ er braucht rasche Hilfe. Bereits 1649 bei Gerlingius ist die Wndg. verzeichnet, und 1718 überliefert sie Celander (,Verkehrte Weit1): „So brennet ihm das Licht, wie man im Sprichwort zu reden pflegt, recht auf den Nagel“. Zu denken ist an eine Kerze, die bis auf die Finger, die sie halten, herabgebrannt ist. Man hat auch daran erinnert, daß sich die Mönche bei der Frühmesse zum Lesen im Dunkeln kleine Wachskerzen auf die Daumennägel klebten, wenn man die Rda. nicht von den Foltermethoden des MA. (Brennen der Fingernägel durch aufgelegte glühende Kohlen) herleiten will, entspr. ihrer verkürzten Form: ,es brennt ihm etw. auf den Nageln4 (/Nagel). Licht ziehen: den Nasenschleim hinaufziehen und einschnupfen. Wie das Talglicht früher beim Brennen oft überlief, so nennt man auch im Scherz den auslaufenden Schleim einer Kindernase Licht, ,’s Licht brennt zu hell4 sagt man, wenn die Anwesenheit von Kindern eine gewisse Mitteilung nicht gestattet, die für Kinderohren nicht gedacht ist, und man deshalb abbricht. In anderen Wndgn. bedeutet Licht nicht nur die erleuchtende Kerze, sondern auch das Lichte schlechthin, z.B. den erhellten Raum. Daher: etw. ans Licht bringen (kommen): an den Tag bringen; ferner: einen hinters Licht führen: ihn täuschen, betrügen. Der eigentl. Sinn ist: jem. ins Dunkle führen, wo er nichts sehen kann. Dazu die alten Nebenformen: ,einen unters Licht, ums Licht führen4. Die Wndg. bei Lichte besehen bedarf keiner Erklärung. Nur um ihr Alter darzutun, sei Hans Sachs (,Der böhmisch sprechende Schwabe4) zitiert: „und we mans pey dem liecht peschawt44. Chr. Weise (,Erznarr41,67): . und wenn man hernach das Raben-aasz beim Liecht ansiehet, so verdienet es kaum die Beine.. .44 Die schlesw.-holst. Rda. ,Zwee (dree) Lichter op’n Disch! Mien Ohm is kamen4 wird nicht nur gebraucht, um diesen speziellen Fall, sondern überhaupt jedes be¬ sondere Ereignis anzukündigen; dazu die Variante: ,Licht op’n Disch! Is Cölmar Volk4 (= es sind Leute aus Colmar, einem Dorf bei Glückstadt), da muß etw. Besonderes geschehen. Ich habe nicht das Licht dazu gehalten: ich bin an der Sache nicht beteiligt gewesen, ich bin unschuldig. Das Bild der Rda. ist von einem Einbruchsdiebstahl hergenommen, bei dem ein Mitschuldiger dem eigentl. Dieb das Licht hält. Das Licht scheuen: sich verbergen müssen; heimliche und ungesetzliche Taten ausführen; ein Verbrechen im Dunkeln vorbereiten. Sich selbst im Lichte stehen: sich selbst schaden, sich selbst das Sehen dadurch unmöglich machen, daß man zwischen die Lichtquelle und den zu beobachtenden Gegenstand tritt. Ein ndd. Sprw. lautet: ,Et get di as en Klumpemaker (Holzschuhmacher), du stest di selwer in’t Licht4. Ähnl. schon in Joh. Fischarts ,Ehzuchtbüchlein4 (S. 332,13): „Stehe dir nur selbs nicht im Liecht44. Anders jedoch 1639 bei Lehmann, S. 780 (,Verachtung4 27): „Wer sich gering und wolfeil macht, der steht jhm selbst vorm Licht44. In Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (Buch III, Kap. 21) erscheint ,bei jem. zu Licht kommen4: ,,... und gaben mir damit zu verstehen, daß ich... wohl zu ihnen zu Licht kommen dürfte44, d.h. zum Abendbesuch. Neueren Datums und von den Verkehrsampeln her übernommen ist das vielgebrauchte Schlagwort vom grünen Licht, das man jem. bzw. einer Sache geben, das man haben, kriegen, bekommen kann. Auch sagt man: ,Das Licht steht auf Grün4. Diese rdal. Wndgn. bezeichnen völlige Handlungsfreiheit, gleichsam das Startzeichen zu einem Vorhaben und bedeuten ,Freie /Bahn4. Dabei verdient man nicht das Licht: es lohnt sich nicht (vgl. frz. ,1e jeu ne vaut pas la chandelle4). Kein Licht brauchen: kahlköpfig sein (etwa seit 1910 bezeugt). Ähnl. rhein. und hess. von Rothaarigen: ,die Sporen et Licht deham4, oder ,bei der brauchste kein Licht4, wenn einer eine Rothaarige heiratet. Das Licht im Kopf geht aus: das Erinne- 600
Liefern rungs- und Denkvermögen kommt abhanden. In der modernen Boxersprache: ,jem. das Licht auspusten\ ihn besinnungslos schlagen; vgl. die schwäb. Drohung: ,Dir will i zünde ohne Licht ! " ,Sich das Licht auspusten\ Selbstmord verüben. /Lebenslicht, /Schatten. BN UCHT8UCJC RJ* 20 PFENNIG .Es Is j«rad«zu 'n« Wohltat, mal In j«ordn«t* Verhältnis» zu s*hnl“ ,Einen Lichtblick haben4 Einen Lichtblick haben: neue Hoffnung schöpfen, etw. Erfreuliches in trostloser Lage erfahren. Die Wndg. begegnet oft in der Form eines erleichterten Ausrufes: Das ist (endlich) mal wieder ein Lichtblick!: nun geht es wieder voran, aufwärts, die Lage bessert sich. Lit.: L. Schmidt: Volksglaube und Volksbrauch (Berlin 1966), S. 19 ff. (Kap. .Lebendiges Licht im Volksbrauch und Volksglauben Mitteleuropas^). lieber. Mit dem Komparativ lieber werden in der heutigen Umgangssprache eine Reihe von rdal. Vergleichen verbunden, z. B. lieber eine Laus im Pott als gar kein Fleisch; lieber scheintot im Massengrab; lieber den Spatz, in der Hand als die Taube auf dem Dach; lieber klopfe ich mir selber Steine auf dem Arsch; lieber ein Jahr in Sibirien ohne Hose: lieber den nackten Arsch in Schwefelsäure hangen usw. Lied. Ich kann ein Lied davon singen: ich kann davon aus eigener (schlimmer) Er¬ fahrung berichten. 1529 bei Joh. Agricola (Nr. 378): ,,Ich wolt einem wol eyn liedlein daruon singen“, mit der Erklärung: „Eyn liedlein singt man von einer that vnd ge- schichte, das ruchtbar vnd gewiß ist, vnd wer eyn ding weyß vnd betracht es wol, der kan vil dauon singen vnd sagen, daß ich wolt wol ein lidlein da von singen, also vil sey, als ich weyß warheit drumb. Zuo ey- nem liede gehoeren vil wort, also wer grund kundtschafft weyß von eynem ding, der kan es dester baß sagen, als wenn man sagt, an and leüt kindern ist das brot verloren. Antwort ich, Ja lieben herren, ich wolt eynem wol eyn liedlein darvon singen. Ich hab ett- lich vil weisichen (Waisenkinder) erzogen, aberden danck vnd Ion, den ich darfür ent- pfangen hab, ist gering, ia eyn muck fueret yhn auff dem schwantz hynweg. Item, wie es vnderweilen zugehet ynn Kloestern, ynn Fürstenhoefen, ynn stedten, ym Kammergericht vnd Cantzleyen, da wolt ich einem wol ein liedlin von singen, das ist, ich wolt yhm wol souil daruon sagen, das er genuog soit zu hoeren haben“. Joh. Agricolas Zeitgenosse, der bayr. Geschichtsschreiber Johannes Aventinus (Turmair), sagt, als er von altdt. Geschichten spricht: „Von diesen Dingen und Sagen allen seind noch viel alte teutsche Reimen und Maistergesäng vorhanden in unsern Stiften und Klöstern, denn solche Lieder allein sind die alte teutsche Chronika, wie denn bei uns noch der Landsknecht brauch ist, die allweg von ihren Schlachten ein Lied machen44. Derartige Bericht- oder Ereignislieder gehören zum Repertoire des älteren Berufssängertums, von dem ja auch die Rda. stammt: einem ein Lied singen: ihm zu Liebe reden, und das alte, bereits in mhd. Zeit belegte Sprw. ,Wes Brot ich eß, des Lied ich sing4. Es ist das alte Lied /Leier; das Ende vom Lied / Ende. liefern. Geliefert sein: verloren sein; ei- gentl.: dem Gericht, dem Scharfrichter ausgeliefert sein; so noch in Schillers Räubern4 (V,2): „Man hat tausend Louisdore geboten, wer den großen Räuber lebendig liefert44, und bei Jean Paul 1798 in den ,Pa- lingenesien4 (1,XI): „So ist man ein gelieferter Mann44. 601
Lilie Lilie. Dastehen wie eine geknickte Lilie: traurig sein, den Kopf hängen lassen, äußerst betrübt sein, keine Hoffnung mehr besitzen. Bei den Römern war die Lilie ein Sinnbild der Hoffnung und der Juno geweiht; bei uns und bes. im christl. Bereich gilt sie als Zeichen der Reinheit und Unschuld, aber auch als sichtbarer Beweis göttlicher Gnade und Vergebung, wenn sie auf Gräbern erblüht. Die Lilie wird deshalb Weiße Lilie als Attribut der Jungfrau Maria auch in der christl. Kunst häufig als Attribut der Jungfrau Maria u. vieler Heiliger und Märtyrer dargestellt. Die ,geknickte Lilie4, die ihre stolze Haltung verloren hat, ist später zum Bild für die verletzte Unschuld geworden. Die Rda. ist wahrscheinl. eine Umbildung zu einem oft zitierten Vers von Schiller. In seinem Gedicht ,Die Kindsmörderin4 (in der ,Anthologie auf das Jahr 17824) lautet die Frage der Verurteilten: „Henker, kannst du keine Lilie knicken?44 Nach Matth. 6,28 zitiert man ,die Lilien auf dem Felde4. Die Lilien im Garten sind verwelkt: die Unschuld ist verlorengegangen. Die Wndg. dient als euphemist. Umschreibung für die verlorene Ehre eines Mädchens. Die blühende Lilie dagegen gilt auch bei Schiller noch als Symbol der Ehrenhaftigkeit. Seine Kindsmörderin bittet: Weinet um mich, die ihr nie gefallen, Denen noch der Unschuld Liljen blühn. Wegen ihrer Schönheit, ihres stolzen Wuchses u. ihrer reinen weißen Farbe wurde die Lilie neben der Rose häufig in der Dichtung und im Volkslied besungen und im sprachl. Vergleich verwendet. Bereits bei Otfried von Weißenburg (1, 16,23) heißt es: thaz kint uuuahs untar mannon, so lilia untar thornon. Bes. die Schönheit der Frau wurde wiederholt mit der Lilie verglichen. In mhd. Zeit war dies ein beliebtes dichterisches Bild. So wird z.B. im ,Erec4 (337) eine schöne Frau mit folgenden Versen geschildert: ir lîp schein durch ir salwe wat alsam diu lilje, dâ si stät under swarzen dornen wiz. Im Volkslied erscheint die Lilie als häufigste Grabesblume. Wohl am bekanntesten bis heute ist das Lied ,Drei Lilien, die pflanzt’ ich auf mein Grab4. Außerdem ist die Verbindung von ,Rosen und Lilien4 häufig im Volkslied u. bis heute in der Dichtung üblich. Einem die Lilie anheften (anhängen): einen Verurteilten brandmarken. Die Rda. bezieht sich auf einen Brauch in Frankreich: den Missetätern wurde eine Lilie aufgebrannt, /brandmarken. Die Lilie war die Wappenblume der Bourbonen. Frankreich hieß früher ,das Reich der Lilien4 und der frz. König ,Fürst der Lilien4. Auf den Lilien sitzen: eine Stelle in den oberen Gerichtshöfen Frankreichs haben. Die Wndg. weist auf die Sitze in den frz. Gerichtssälen, die mit Lilien ausgeschlagen waren. Lit.:HdA. III, Sp. 1103ff. Art. ,Grabblumen4 v. Geiger; HdA. V, Sp. 1300ff. Art. ,Lilie4 v. Marzeil; E. K. Bliimml; Die Lilie als Grabespflanze, in: Studien zur vergleichenden Literaturgesch. Bd.6 (1906), S. 409 ff. und Bd.7 (1907), S. 161 ff.; L. Weiser-Aall: Erlebnisgrundlagen der Volksüberlieferung u. Dichtung. Der Liebestod, in: Schweiz. Archiv f. Vkde, 44 (1947), S. 117-140; L. Vargyas: Researches into the Mediaeval History of Folk Ballad (Budapest 1967), S. 112ff. links. Die Linke kommt von Herzen sagt man, wenn man die rechte Hand nicht frei hat, um jem. die Hand zu geben, und man statt dessen die linke Hand gibt. Die Rda. ist eigentl. ein Euphemismus, denn links ist 602
Loch nach dem Volksglauben die ungünstigere, unglückbringende Seite; die Wndg., daß die Linke ,von Herzen' kommt, soll nur diese urspr. Unglücksbdtg. beschönigen. Ähnl. Wndgn. sind z.T. auch in den Mdaa. geläufig, z.B. in der Uckermark ,Linker- poot schlag’n Dübel dot!' Jem. links liegen lassen: ihn vernachlässigen, ihn nicht beachten. Auch hier bezieht sich links auf die ungünstige Seite, wie sie vielen abergläubischen Regeln geläufig ist. Ebenso: mit dem linken Bein zuerst auf gestanden sein: hühmorgtm schlecht gelaunt sein; wer mit dem linken Bein zuerst aufsteht, hat den ganzen Tag schlechte Laune. Zwei linke Hände haben: ungeschickt sein; beim gewöhnlichen Rechtshänder ist die linke Hand tatsächlich ungeschickter und weniger geübt als die rechte ; lit. schon 1847 bei Grillparzer. Jetn. (auf) links drehen: ihn ärztlich gründlich untersuchen; das Bild ist vom Wenden eines Anzugs hergenommen, der zur gründlichen Reinigung auf links gedreht wird. Nicht wissen, was rechts oder links ist: sich gar nicht auskennen. Nach Jona 4,11 sprach Gott: „Und mich sollte nicht jammern Ninives, solcher großen Stadt, in welcher sind mehr denn hundertundzwanzig- tausend Menschen, die nicht wissen Unterschied, was rechts oder links ist?" Die rechte Hand nicht wissen lassen, was die linke tut / Hand. Lit.: L. Röhrich: Art. .Links und rechts', in: RGG.3 IV, 3S2; A.Gornatowski: Rechts und Links im antiken Aberglauben (Diss. Breslau 1936); P.Hajdu: Die Benennung der Begriffe rechts und links als Ausdr. der Beziehung zwischen Sprache und Denken (= Acta Linguistica I), Budapest 1951, S. 171-248. Lippe. Eine (große) Lippe riskieren: eine Äußerung wagen, sich in ein Gespräch mischen, widersprechen; etwa in der zweiten H. des 19. Jh. aufgekommen; vgl. ,ein /Auge riskieren'. Dagegen meint die Wndg. sich auf (in) die Lippe beißen: eine ärgerliche oder ungehörige Antwort unterdrücken; infolge einer Beschämung schweigen, aber auch: sich das Lachen verbeißen. Vgl. ndl. ,hij bijt op zijne lippen'. An jem. Lippen hängen: begeistert seinen Worten lauschen, sie ihm vom Munde ablesen wollen. Loch. Ein Loch kriegen: schadhaft werden; ein Loch haben: schadhaft sein; oft bildl. gesagt, z.B. ,eine Freundschaft hat ein Loch bekommen', ähnl. wie ,einen Riß bekommen'. Der Dramatiker Jakob Ayrer (um 1543-1605) schreibt in den Fastnachtsspielen: ,,lr briider, der krieg hat ein loch, dem ich bei hundert meiF nachzog"; Öfters bei Grimmelshausen, z.B. im Simplicissimus' (11,219): „daß der damasceni- sche Krieg bald ein Loch gewinnen würde". H.Kurz teilt in einer Anmerkung zu dem letztgenannten Beleg mit, daß auf dem Frieden zu Ryswick 1697 eine Münze geschlagen worden sei mit der Prägung: „GOTT LOB DER KRIEG HAT NVN EIN". Zur Ergänzung des Satzes war unter den Buchstaben eine Trommel mit einem Loch dargestellt. Das Loch ging auf der Kehrseite der Münze durch einen Korb, in den das Füllhorn des Friedens seine Früchte schüttete; auf dieser Seite stand die Umschrift: „WER ABER FLICKT DEM FRIEDE SEINEN BODEN?" Dieses Bild von der durchlöcherten Pauke ist schon 100 Jahre früher rdal. gebraucht worden. In Kirchhoffs ,Wendun- muth' von 1581 finden sich zwei Belege: „gedacht dieser pauken, daz sie den klang verlür, ein loch zu machen" (128b); „der Bayer gedachte der pauken, wie man spricht, ein loch zu machen". Später heißt es bei Lessing: „die Narrenpossen dauern zu lange. Ich muß der Pauke ein Loch machen, damit ich doch erfahre, woran ich bin". Die Sache hat ein Loch: es ist falsch geplant, falsch durchgeführt, man geht von einem Irrtum aus. Da ist ein Loch in der Socke: da ist etw. höchst bedenklich, da stimmt etw. nicht. Löcher im Heiligenschein haben: nicht untadelig sein (20.Jh.). Ein Loch haben kann aber auch bedeuten: ,einen Ausweg wissen', wie der Fuchs aus seiner Höhle: „Item wenn man ie mer kriegen müst, daß man denn vor, als feren (sofern) man möcht, ein fürsten oder zwien bestellet, wie man möcht, daß man ein loch het, daß wir net ganz umbgeben weren als in dem vergangenen kriege" (,Dt. Städtechroniken' 11,230). Schlesw.-holst. ,He hett ümmer’n Lock apen'; ,he süht door keen Lock in', die Sache ist ihm zu verwik- 603
Loch kelt; ,he wcet ni mehr Lock ut un Lock in", er weiß nicht mehr ein noch aus. Ebenf. schlesw.-holst. ,to een Lock mutt de Voß rut\ ein Ausweg muß sich finden; ,dor kümmt de Voß to’t Lock herut\ die Sache kommt ans Licht (/Fuchs). Ein Loch finden: eine Lücke finden, davonkommen, sich in der Not zu helfen wissen. Luther (Werke III, 447b) sagt vom Teufel, der überall einen Ausweg kennt: ,,er ist gleich wie der Wind, der findet, wie man sagt, gar enge Löcher“. Bes. im Nord- ostdt. ist die mdal. Wndg. häufig: ,Dar is keen Lock dor to finen\ da ist kein Ausweg, kein Ende abzusehen. Mit Loch ist die Tür gemeint in der Rda. jem. das Loch zeigen (weisen): ihn hinauswerfen; heute meistens in der Form einem zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat:ihn hinauswerfen, einem die Tür weisen; hess. auch ,do hott de Schreiner e Loch gelosse". Die Rda. ist auch mehrfach lit. überliefert. In ,Jucundi Jucundissimi Wunderliche Lebensbeschreibung" von 1680 heißt es: „werdet ihr mir noch einmal eins (von den Kindern) mit finger anrühren, so will ich euch das loch weisen, welches der zimmermann im hause offen gelassen hat"". Bekannter ist das Zitat aus Schillers ,Kabale und Liebe" (1,1): „Ja, ja, dem Major will ich weisen, wo Meister Zimmermann das Loch gemacht hat“. In den Erlebnissen eines Schuldenbauern von Jeremias Gotthelf (1854) heißt es: „Ihr habt es gehört, dort machte der Zimmermann das Loch, wenn ihr es nicht seht, und macht daß ihr draus kömmt, so kann man es euch zeigen“. Eine Entsprechung findet sich im NdL: Jemand het gat van dem tim- mermann wijzen". Einem ein Loch in den Bauch (oder in den Kopf) reden: eigentl. durch Reden jem. schadhaft machen, scherzhaft übertreibender Ausdr. für: heftig oder ausdauernd auf jem. einreden. Moderne scherzhaft-iiber- treibende Abwandlungen dieser Rda. sind: jem. ein Loch in den Arsch fragen: ihn eingehend ausfragen; ,jem. ein zweites Loch in den Arsch fragen", einem Fragen über Fragen stellen; ,jem. ein Loch in den Bauch quasseln", 1639 bei Lehmann S. 356 (,Natur"63): „Wenn man ein Loch durch manchen predigt, so hilffts doch nicht“. Loch in solcher bildl. Verwendung ist schon seit frühmhd. Zeit bezeugt. Der 2. Abschnitt von Thom. Murners ,Schelmen- zunft" (1512) ist überschrieben: „Eyn loch durch brieff reden“ und zeigt das Bild eines (Eyn locb oureb brieff reoê ,Ein Loch durch einen Brief reden" Juristen mit derbem Mund, der auf einen durchlöcherten Brief inseinen Händen gerichtet ist, dazu die Verse: Versigelt schon der babst mit bley So kan ichs wieder sprechen frey Ich bins der selbig dapffer man Der sigel und brieff durch reden kan Und thuon wenig noch rechtem synnen Wen ich nur kan das gelt gewinnen. Geiler von Kaisersberg sagt in seinen Predigten über das ,Narrenschiff" von Seb. Brant (55a): „Es sein kein brief so gut, sie wölen ein loch dreinreden"". In Paulis ,Schimpf und Ernst" von 1522 heißt es: ,,si wollen gelt von einem nemen und helfen ein sach gewinnen und wollen darnach gelt nemen von dem andern und wollen inn ein jeglichen brief ein loch reden"". Weitere Belege finden sich bei Luther: „wo ist jemals ein vertrag, recht, handel, siege! oder brieve gemacht, gestehet, oder aufgerichtet, da man nicht hat wider disputirn mü- gen, oder ein loch dadurch zu machen fürgenommen""; Luther wendet diese Rda. auch auf das Deuteln an der Heiligen Schrift an: „als nu die schrift also ein zerrissen netz war worden, das sich niemand damit lies halten, sondern ein jglicher boret 604
Loch jm loch, wo jm seine schnausze hin stund, und fuhr seinem sinn nach, deutet und drehet sie, wie es jm gefiel“; an einer anderen Stelle heißt es: „das ist abermal ein dürrer heller text, von der Gottheit Christi wider die Arianer, wiewol sie sich doch unterstanden haben, ein loch dadurch zu boren, mit jren glosen und deuten, aber Gottes Wort leszt sich nicht also mit drehen und deuteln umbstoszen“. Ähnl. Rdaa. sind: Ich laß' mir lieber ein Loch ins Knie bohren: ich tue alles andere eher; ein Loch in die Welt laufen: zwecklos ins Weite gehen (seit dem 17.Jh. belegt); Löcher in den Himmel gucken (oder stieren): erstaunt dreinschauen; Löcher in die Luft (oder in die Natur) schießen (von schlechten Schützen gesagt); ein Loch in den Tag brennen: das Licht bis in den hellen Tag hinein brennen lassen; ein Loch in den Tag schlafen: sehr lange schlafen. Ein sehr drastischer rdal. Vergleich ist saufen wie ein Loch: unersättlich, denn das Loch läßt die Flüssigkeit immer wieder verlaufen; es wird nie ,voll\ Auf (aus) dem letzten Loch pfeifen: am Ende sein, sein Vermögen fast ganz durchgebracht haben, am Rand des Grabes stehen. Die Rda. bezieht sich urspr. sicher auf die Locher eines Blasinstruments. Lit. schon bei Grimmelshausen im Simplicissimus1 (1,283): „Er sagte, ich werde aus dem letzten Loche pfeifen!“ und bei Goethe: Da lachte die Vergiftrin noch: Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch. Es pfeift aus allen Löchern: es weht ein scharfer Wind, der alte Schlendrian muß aufhören. Den Gürtel ein Loch enger schnallen: Hunger leiden müssen, weniger essen; ein Loch zurückstecken: nachgeben, die Ansprüche mindern; ebenfalls hergenommen von dem Leibriemen, den man enger schnallt. Das reißt ein (böses) Loch in den Beutel: das kostet viel Geld; ein Loch mit dem andern zustopfen: neue Schulden machen, um alte zu tilgen. Auch Körperöffnungen werden Loch genannt, z.B. der Mund. In Seb. Francks Sprww. von 1545 heißt es: „der got venter und das closter maulbronn (ich mein das loch unter nasen) treibt und lert uns fast alle, alles was wir thuon, reden und künden, des lied ich sing, des brot ich esz und singt jedermann das bettelliedlein, dem loch under nasen zu lieb“. Loch unter der Nase ist eine in allen Mdaa. beliebte Umschreibung für ,Mund\ Zu Loch fahren: essen, schlingen. ln Friedr. Dedekinds ,Grobianus' finden wir einen frühen Beleg dieser Rda. (1551): soltu der erst in d’platten greifen, und nemen rausz bei guter zeit das best, an welchem ort es leit, das nicht ein andrer greife dar, und alsobald zu loch mit fahr. Mdal.,Halt’s Loch!' oder,Hep’s Loch zue!' heißt soviel wie: Halte den Mund; vgl. engl. ,He has a hole under his nose that all his money runs into'; belegt schon 1611. Loch steht auch für die Afteröffnung (/Arsch), z.B. obersächs. ,Setz dich aufs Loch!', setz dich auf das Hinterteil; einem das Loch versohlen (daß das Fell raucht): ihn verhauen. Bei Geiler von Kaisersberg kann man bereits lesen: „ein muter, die irem kind schlecht (schlägt) das Loch vol, die ist nit sein feind, man sol kind zimlich schlagen“. In Fischarts ,Gargantua' von 1594 heißt es: „das bier schiegt eim fürs loch“. Auf's Loch setzen: sich hinsetzen; von einem, der lange sitzen bleibt, sagt man z. B. schwäb. ,Ma meit grad, er häb Pech am Loch'. Das Gegenteil davon ist, wenn jem. nicht stillsitzen kann: keine Ruhe im Loch haben oder Hummeln im Loch haben. In allen Mdaa. ist Loch = After Anlaß zu den verschiedensten derben Rdaa. Aber es gibt auch Unterschiede. Während man rhein. auf das Schimpfwort ,Arschloch' antwortet: ,De brauchst nore Arsch ze san, dann es et Loch sowieso debei', wird im Elsaß Loch als anständigster Ausdr. für diesen Körperteil bevorzugt. Häufig sind auch obszöne Rdaa., in denen Loch für weibl. Scham steht, z. B. ndl. ,Lock is Lock', Mädchen ist Mädchen; hess. ,Hans vor allen Löchern', Schürzenjäger; hess. ,ein schönes Loch in der Schürze haben', nicht mehr Jungfrau sein; wenn ein Geistlicher ein Mädchen geschwängert hat, sagt man: ,Er hat ein Loch durch die Kanzel gebohrt'. Jem. ins Loch stecken: ihn ins Gefängnis werfen; im Loch sitzen: Strafgefangener 605
Locker sein. Loch bedeutet in diesen Wndgn. das Gefängnis oder die Gefängniszelle. Diese Ausdrucksweise bezieht sich nicht nur auf die Enge der Zelle, wie man nach heutigem Sprachgebrauch annehmen möchte, sondern gemeint ist urspr. das Hundeloch, wie es sich in alter Zeit am Rathaus befand, und nicht nur unsicherem Gesindel als unfreiwillige Nachtherberge angewiesen wurde, sondern vorübergehend als Gefängnis diente. Nach ihm wurde sodann jedes Gefängnis ,Hundeloch1 oder verkürzt ,Loch' genannt. In Heinrich Julius’ Drama von einem Wirte, der dreimal betrogen wird, droht derselbe den drei betrügerischen Gesellen: ,,Ich will Euch vor dem Richter verklagen, der soi Euch so lange in das Hundeloch stecken, bis das Ihr mich bezahlt habt“, und in des herzoglichen Dichters ,Ungeratenem Sohn' nennt Nero das Gefängnis das Hundeloch, sagt aber auch schon in beliebter Kürzung (III,6): „man will mich ins Loch stecken“. In einem Fastnachtspiel (Keller, 404) heißt es: Hör Strolntrit, was ich Dir sag! Gar paid verantwurt hie die clag, Die über dich get von uns allen Ee du must in richters loch vallen. In der ,Ehrlichen Frau Schlampampe' begegnet (S.59) Hundeloch neben Loch, wie auch in den Mdaa. beide in gleicher Bdtg. miteinander wechselten. Heute ist nur noch die Kürzung gebräuchl. Loch bez. umg. schließlich auch die menschliche Behausung; nicht vors Loch kommen:zu Hause bleiben. Obersächs. ,zu Loche gehen', nach Hause gehen. Zuweilen wird Loch auch an Stelle von Bett gebraucht; ndd. ,to Lock kruppen', zu Bett gehen. ,Walt Gott, in’s alt Loch!' sagt man schwäb., wenn man ins ungemachte Bett steigt. Die Volkssprache bez. die Himmelsrichtung oder Gegend, aus der gewöhnlich das Wetter aufzieht, mit ,Wetterloch'. Wenn ein kalter Wind weht, sagt man z.B. schlesw.-holst. ,de Wind blaast ut’n koold Lock', es ist empfindlich kalt. An diese Vorstellung knüpfen einige Rdaa. an: Der Wind pfeift aus einem anderen Loch und Es pfeift aus allen Löchern: es weht ein andrer, scharfer Wind, der Schlendrian muß aufhören. Wissen, aus welchem Loch der Wind pfeift: wissen, worum es geht, was dahinter steckt. locker. Nicht locker lassen: nicht nachgeben. Die Rda. ist erst im 19.Jh. bezeugt; hergeleitet ist sie vom Nachlassen der Zügel beim Pferdegespann. Anders: Geld lok- ker machen: flüssig machen, finanzielle Unterstützung erhalten. Lockvogel. Ein Lockvogel sein; als Lockvogel gelten (benutzt werden): durch leere oder falsche Versprechungen in eine Falle, einen Hinterhalt locken, Leidenschaft und Begehrlichkeit reizen, um zu unüberlegtem Handeln zu verführen, aber auch: als bes. schöne und billige Ware im Schaufenster Käufer werben. Die Rdaa., die in übertr. Bdtg. auf Personen und Sachen angewendet werden können, sind bereits bibl. Herkunft. Bei Jer. 5,27 heißt es z.B.: ,,Ihre Häuser sind voller Tücke, wie ein Vogelbauer voller Lockvögel ist“ und bei Sir. 11,31: „Ein falsches Herz ist wie ein Lockvogel im Korbe und lauert, wie es dich fangen möge.“ Das sprachl. Bild der rdal. Vergleiche wurde der Jagd entlehnt. Die ,Ein Lockvogel1 Vogelsteller benutzten Lockvögel, die durch ihr Pfeifen und Singen andere Vögel herbeiriefen, die ohne Scheu geflogen kamen und dadurch leicht in die in der Nähe auf gestellten Fallen, Leimruten oder Netze 606
Löffel gerieten. Von dieser Art des Vogelfanges berichten auch einige Sprww.: ,Ein Lockvogel bringt einen andern mit lieblichem Gesang ins Garn4 und ,Lockvögel können alle Weisen1. Als Lockvogel arbeiten (eingesetzt werden): bewußt auf die Verführung ausgehen, einen ins Verderben locken. In Verbrecherkreisen werden gern Mädchen und Frauen bei einem Unternehmen beteiligt, wenn jem. der Argwohn und die übliche Vorsicht genommen werden soll. Häufig sind es auch Prostituierte (,Drosseln4), die diese Aufgabe übernehmen. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.317. Lödlein. Einem Lödlein eintragen: ihn betrügen. Die Rda., die bes. in bergmännischen Kreisen bekannt ist, stammt aus der Webstube und bedeutet urspr.: ein Stück untaugliches Garn (,Lode4 = Zotte) in Aufzug oder Kette hineinschmuggeln. „Und weil jhr sach nicht gar gut war, tregt er lödlein ein und macht weitleuftig ding“ (Mathesius: ,Sarepta4, 1562, 21b). Heute ist die Rda. praktisch ausgestorben. Löffel. Etw. mit Löffeln gegessen (auch gefressen) haben: es gründlich satt haben, zu viel von etw. haben. Mit dem großen Löffel essen: eingeladen sein. In der seit dem 17.Jh. häufig bezeugten Wndg. die Weisheit mit Löffeln gegessen (gefressen) haben: sich sehr weise dünken (und dabei ein Dummkopf sein), liegt ein doppelter Spott: denn erstens wird geistige Nahrung nicht so bequem eingenommen wie leibliche, und zweitens geht es auch nicht so schnell wie beim Löffeln der Suppe. So heißt es 1663 bei Schuppius (Schriften 145): „Ihr habt Salomons Weisheit mit Löffeln gefressen44, und an anderer Stelle (264): „Du wirst meynen, daß man auf Universitäten lauter Weisheit mit Löffeln fresse“. Bisweilen wird die Rda. noch iron, verstärkt: ,die Weisheit mit Schaumlöffeln gefressen haben4, so auch in den Mdaa., z.B. ostfries. ,De heet ett Verstand mit de Schümlepel gefrette4; obersächs. ,Die haben alle Tugenden mit Rohmleffeln (Rahmlöffeln) gefressen. Mit einem goldenen (auch silbernen, großen) Löffel im Mund geboren sein: reich sein, in allen Dingen Glück haben (vgl. engl. ,to be born with a silver spoon in his mouth4). Jem. über den Löffel barbieren: ihn betrügen. Die Rda. soll ihre Entstehung einem Verfahren verdanken, das früher weniger geübte Barbiere mit alten zahnlosen Leuten Vornahmen: Anstatt die eingefallene Backe vorsichtigzu behandeln, steckten sie einen Löffel hinein, um so eine glatte Wölbung herzustellen. Der Ausdr. bedeutete also zunächst: mit jem. nicht viel Umstände machen, ihn rücksichtslos behandeln, und hat sich dann zu der heutigen Bdtg. verschlimmert. Doch ist auch eine andere Entwicklung denkbar. Man sagte zunächst nur ,barbieren4 für betrügen (ähnl. wie scheren4 und ,einseifen4). Nun kann Löffel (richtiger ,Läffel4 zu ,Laffe4) auch Tolpatsch, Narr, Schelm4 bedeuten, und so konnte man zu ,barbieren4 hinzufügen ,über den Löffel4 wie in der Rda. ,einen über einen Tölpel werfen4, ihn als Einfältigen behandeln. Vielleicht beruht der Witz der Rda. auf diesem Doppelsinn. Liegt der Doppelsinn des hölzernen Eßlöffels (oder des Löffelbretts) und des Schelms doch auch dem aus Sachsen bezeugten witzigen rdal. Vergleich zugrunde: ,Das Kleid hängt an ihm herum wie LÖffel(holz) am Galgen4, es sitzt ihm schlecht. Als Löffel werden schon in mhd. Weidmannssprache die großen Ohren des Hasen 607
Lohgerber bez.; umg. wird das auf den Menschen übertr.: Wer die Löffel nicht (gehörig) ciuf- sperrt und sich eine gute Lehre nicht hinter die Löffel schreibt, kriegt eins hinter die Löffel. ,Er scheint die Löffel am Hintern zu haben', er hört schwer; ist aus Leipzig bezeugt. ln zahlreichen mdal. Versionen wird das Sterben mit dem Bild vom Weglegen des Löffels umschrieben. Da hat wieder einer den Löffel hingelegt (weggeworfen, fallen lassen) sagt man, wenn jem. gestorben ist; z.B. meckl. ,de het den Läpel an de Wand stäken', ,de lickt den Läpel ok nich wed- der‘; schles. ,se hot a Löffel ibrig gemacht'; rhein. ,der hät de letzten Löffel geleckt'; schwäb. ,den Löffel wischen (aufstecken)'. Schon in Joh. Fischarts ,Geschichtklitte- rung' heißt es im selben Sinn: „Es entful jhm der Löffel". Der Löffel ist nicht nur ein sinnfälliges Bild der Vitalfunktion ,essen' und auf dem Land individueller Besitz jedes Essers, der ihn nach Gebrauch ,wischt' und auf das geschnitzte Löffelbrett an der Wand ,aufsteckt', sondern er ist auch Rechtssymbol des Besitzers. Das Abendblatt zur Neuen Münchner Zeitung 1857, Nr. 280 bemerkt: „Hier (in München) ist ein adeliges Haus bekannt, wo jeder Dienstbote strengen Verweis erhält, wenn ein Silberlöffel auf den Boden fällt, denn dann sterbe jemand aus der Familie, heißt es". Zum schmutzigen Löffel oder Schmutziger Löffel nennt man ein heruntergekommenes, schlampig geführtes, in schlechtem Ruf stehendes Wirtshaus. Lit.: E. L. Rochholz: Dt. Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit, 2 Bde. (Berlin 1867), I,S. 142. Lohgerber. Dastehen wie ein betrübter Lohgerber, der seine /Felle fortschwimmen sieht. Auch in anderen rdal. Vergleichen kommt der Lohgerber vor, z. B. reden (auch spielen) wie ein Lohgerber: schlecht reden. Lorbeer. Lorbeeren ernten: wegen einer ausgezeichneten Leistung gerühmt werden. Schon im Altertum wurde aus den Zweigen des dem Apollo hl. Lorbeers der Ruhmeskranz gewunden: Mit Lorbeer bekränzt wurden die Sieger bei den Pythischen Spie- ,Mit seinem Los unzufrieden sein' len in Delphi, die römischen Feldherren, wenn sie im Triumph in die Stadt einzogen. Die Sitte, Dichter mit Lorbeeren zu schmücken (,poeta laureatus'), haben in der Renaissance die Kaiser aus dem Altertum übernommen; so ist Petrarca am Ostertage 1341 auf dem Kapitol gekrönt worden, so 1517 Ulrich von Hutten durch Kaiser Maximilian, so noch Martin Opitz. Seit dem 18. Jh. wird Lorbeer in übertr. Sinne für ,Ruhm‘ oft gebraucht, obwohl schon Klopstock statt des fremden Lorbeers den heimischen Eichenkranz forderte, der dann im 19. Jh. von den Turnern als Siegeszeichen eingeführt wurde. Von einem, der nach hervorragendem Tun bequem wird, sagt man: Er ruht auf seinen Lorbeeren aus, Er ist auf seinen Lorbeeren eingeschlafen (beides schon bei Goethe). In einem undatierten Brief, wahrscheinl. vom April 1808, schreibt Königin Luise von Preußen (1776-1810) an ihren Vater: „Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren (Friedrichs des Großen)". Von einem, der Lob erntet, ohne schon Entsprechendes geleistet zu haben, sagt man: Er bekommt Vorschußlorbeeren, lit. schon in Heinrich Heines ,Romancero' (1846-51): Wollten keine Ovationen Von dem Publico auf Pump, Keine Vorschuß-Lorbeerkronen, Rühmten sich nicht keck und plump. 608
Löwe Los. Das große Los gezogen (oder gewonnen) haben wird bildl. gesagt von einem, dem ein großes Glück in den Schoß gefallen ist, der einen guten Griff getan hat (so in übertr. Sinne schon bei Jean Paul). Dagegen ist aus Sachsen bezeugt: ,ein Viertel in der großen Lotterie spielen', etw. geistesgestört sein; ,du spielst wohl e Achtel vom Sonnenstein?' (einer Irrenanstalt), du bist wohl verrückt? Mit seinem Los unzufrieden sein: mit seinem Geschick hadern. Die Doppeldeutigkeit des Wortes ,Los' i. S. v. Schicksal und Lotterielos regte humoristische Rdaa.- Zeichnungen an, z. B. auch Moritz von Schwind. los. Was ist los?: was ist geschehen? Los meint, es habe sich etw. aus der gewohnten Ordnung gelöst, es sei etw. Außergewöhnliches geschehen. Auf die Frage: ,Was ist los?' wird gern die rdal. Scherzantwort gegeben: ,Was nicht angebunden ist' oder ,was nicht fest ist'. Mit ihm ist nicht viel los: er leistet nichts Besonderes, taugt nicht viel; mit ihm ist heute nicht viel los: er ist heute nicht in guter Stimmung; was ist mit dir los?: was fehlt dir, was hast du? Los kommt auch sonst sehr häufig in ge- genwartsprachl. Wndgn. vor: ,etw. los haben', etw. können; ,einen Brief loslassen', einen Brief abschicken; ,loslegen', energisch beginnen; ,losschießen', mit der Sprache herausrücken; ,loszittern', abmarschieren, ebenso: ,lostigern'; ,losgehen', anfangen. (KüpperI, S.214L) loseisen. Jem. loseisen: im älteren Bair. auch ,auseisen', bedeutete urspr.: einen Angefrorenen vom Eise losmachen. In übertr. und verallgemeinertem Sinne: ihn aus einer Verlegenheit, Zwangslage befreien, ihn aus einer beruflichen oder unangenehmen gesellschaftlichen Bindung durch gewaltsames Eingreifen zu lösen wissen. Das sprachl. Bild kann sich auf das Flottmachen eines Schiffes bei Eisgang beziehen. Möglicherweise geht die Rda. aber auch auf den in ein Fangeisen geratenen Fuchs zurück, der verzweifelt alles zu seiner Befreiung versucht und sich gelegentlich unter Verlust des eingeklemmten Gliedes, das er selbst abbeißt, aus dem Fangeisen lost. Etw. loseisen: Geld flüssig machen, unter großer Anstrengung etw. für sich erlangen, was zunächst fast aussichtslos schien. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.320. Lot. hn Lote sein (landschaftlich auch: im Blei): in Ordnung sein; etw. ins Lothringen: in Ordnung bringen; urspr.: genau senkrecht, wie es der Maurermeister mit dem Richtlot nachprüft. Dagegen gehen auf das Lot als Gewicht zurück die um 1700 häufige Wndg. ,Wie viele auf ein Lot?', die als Ausdr. der Geringschätzung in das Gespräch eingeworfen wurde, und das schon mhd. bezeugte Sprw. ,Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot', das sich auch in Seb. Brants ,Narrenschiff' (10,32) findet. löten. Nicht zu löten ann Holzeimer (oder an eine Holzkiste)\ Ausdr. der Ablehnung. Da beim Löten nur zwei Metallstücke verbunden werden können, meint der Ausdr. eigentl. eine technische Unmöglichkeit; dann verallgemeinert; etw. seit 1900 (Küpper II, S. 184). lotsen. Jem. durch etw. hindurchlotsen: ihm über seine schlimmsten Schwierigkeiten hinweghelfen. Die Wndg. ist aus der Seemannssprache in die allg. Umgangssprache übergegangen. Lit.: Fr. Kluge: Wb. der Seemannssprache (Halle 1911); W Stammler: Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philol. im Aufriß. 29. Lieferung (1956), Sp. 1815-1880. Löwe. Sich in die Höhle des Löwen wagen: mutig dem Stärkeren entgegentreten. Die Rda. bezieht sich auf die 246. Fabel (Mot. ,Sich nicht in die Höhle des Löwen wagen* 609
Luchs 644.1) des Aesop (um 550 v.Chr.). Der Fuchs antwortet dem in der Höhle krank liegenden Löwen auf dessen Frage, warum er nicht nähertrete: ,Ich träte schon ein, wenn ich nicht sähe, daß so viele Spuren hinein-, keine aber herausführt4. Horaz überträgt die Antwort ins Lat.: ,,Quia me vestigia terrent omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum", woraus sich das geflügelte Wort,Vestigia terrent4 (die Spuren schrecken) entwickelt hat. Vgl. die bildl. Darstellung der Fabel in Steinhöwels ,Aesop4. Den Löwenanteil bekommen (bzw. ,sich den Löwenanteil nehmen4): den größten Teil bekommen. Die Rda. geht auf Aesops 260. Fabel zurück ,Der Löwe, der Esel und der Fuchs4. Die Fabel (AaTh. 51), die auch von Luther in seine Fabelsammlung aufgenommen wurde, berichtet, daß der Löwe bei einer gemeinsamen Jagd mit dem Esel und dem Fuchs sich die ganze Beute aneignete. Auf Grund dieser Fabel nannte der Rechtsgelehrte C.Cassius Longinus (l.Jh. n.Chr.) einen Vertrag, wonach der eine Teilnehmer allen Nutzen zieht, der andere allen Nachteil tragt, eine ,societas leonina4 (eine Vereinbarung nach dem Muster des Löwen). Auch der Ausdr. der Esel in der Löwenhaut für einen Feigling, der den Mutigen spielt, geht auf eine Fabel zurück (/Esel). Ein Löwenmaul und ein Hasenherz haben: große Worte im Munde führen, dabei aber feige sein. Seb. Franck (1,51): ,,Er hat ein lewen maul vnd ein hasen hertz44. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 (56, 24ff.) heißt es von Xerxes: Er greiff Athenas grüslich an glich wie der löw angrifft eyn hun, Vnd floch doch als die hasen thun. Den Hund vor dem Löwen schlagen /Hund. Der Löwe des Tages sein: im Mittelpunkt des Tagesinteresses stehen. Die Rda. ist gegen 1830 aufgekommen und dem Engl, nachgebildet. Engl. ,lion of the day4 ist zu der Bdtg. ,(Tages-)Berühmtheit4 dadurch gekommen, daß im Londoner Tower in früherer Zeit Löwen gehalten wurden, zu denen man Besucher als zu einer bes. Sehenswürdigkeit führte. Der rdal. Vergleich umher gehen wie ein brüllender Löwe ist eine bibl. Wndg.: 1. Petrus 5,8 heißt es: „Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge44. Lit.: K. Gorski: Die Fabel vom Löwenanteil in ihrer ge- schichtl. Entwicklung (Diss. Rostock 1892). Luchs. Augen haben wie ein Luchs, Luchsaugen haben, auf passen wie ein Luchs: sehr scharf sehen, sehr scharf beobachten; dazu die Wndgn. einem etw. abluclisen, ihn be- hichsen: es ihm abspähen, ablisten. Schon Konrad von Megenberg rühmt 1350 in seinem ,Buch der Natur4 (146,27) die Scharfsichtigkeit des Luchses (die nach Brehm von seinem feinen Gehör noch übertroffen wird, daher auch: ,Ohren haben wie ein Luchs4): ,,Linx haizt ain luhs. Der hat so scharpfiu äugen... daz er durch starch wend siht44. So auch bei Luther: „Man sagt viel, das adeler und luchse scharf sehen44; 1682 in dem Drama ,Masaniello4 Christian Weises (111,19): „Ich bin kein Lux, der durch ein Bret sehen kann44. Daher auch Luchs bildl. für einen schlauen, hinterlistigen Menschen. Luft. Es liegt in der L////wird von Ideen gesagt, die nur ausgesprochen zu werden brauchen, um sofort allg. Anklang zu finden, etwa wie man sich gewisse Krankheitsstoffe, zumal wenn eine Seuche aufgetreten ist, als in der Luft schwebend vorstellt, ln anderem Sinne sagt man von einer grundlosen Behauptung, sie schwebe (oder hänge) in der Luft, sei aus der Luft gegriffen, weil sie keine feste Grundlage hat. Die Luft ist rein: jetzt ist nichts zu befürchten, es ist kein Verdächtiger anwesend. Luft ha ^//.Bewegungsfreiheit haben; geht auf die Atemluft zurück, ebenso Luft schaffen; seinem Herzen Luft machen: sich frei aussprechen; Luft bekommen (oder kriegen): aus einer Schwierigkeit herauskommen. Halt die Luft an: Sei still!, bes. berl. Mir bleibt die Luft fort (weg): ich bin sehr erstaunt. Jem. an die Luft setzen: ihn hinauswerfen, derb zum Verlassen der Wohnung auffordern; Variante zu:,auf die /Straße setzen4. Jem. die Luft abdrehen: seine Handlungsfreiheit stark beschränken, ihn geschäftlich erledigen; meint eigentl. ,würgen4. 610
Lügen Ihm ist die Luft ausgegangen: er ist zahlungsunfähig geworden. Gesiebte Luft atmen (schnappen): eine Freiheitsstrafe verbüßen (wegen der vergitterten Zellenfenster). ln die Luft gehen: zornig werden, aufbrausen. Wenn man an die frische Luft geht, ohne dabei einzukehren, sagt man wohl auch scherzhaft: in die Luftschenke gehen oder Luft kneipen gehen. Dicke Luft nennt man ein drohendes Unheil. Die Wndg. ist aus der Seemannssprache in die Umgangssprache übergegangen. Jem. me Luft behandeln: ihn unbeachtet lassen; ,er ist Luft für mich\ ich beachte ihn gar nicht, eigentl.: er ist für mich gar nicht vorhanden, unsichtbar wie die Luft. Na, gute Luft! ist eine jüngere iron. Wndg. mit der Bdtg.: Ich danke! Das kann ja gut werden. Das ist die Berliner Luft!Die Wndg. stammt urspr. aus Paul Linckes Operette ,Frau Luna' (1898): Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft, So mit ihrem holden Duft, Duft, Duft... In die Luft reden /Wind. Von der Luft leben /leben. Luftschloß. Luftschlösser bauen: unausführbare Plane entwerfen, sich kühne Hoffnungen machen, die wenig Aussicht auf Erfüllung haben; auch in den Mdaa., z.B. ndd. ,Mancher but Schlösser in de Luft, de keen Schithus upn Lanne buen kiinnü Volkstümlich ist die Weiterentwicklung der Rda. in der Operette ,Frau Luna1 von Paul Lincke, wo eines der Couplets beginnt: ,,Schlösser, die im Monde liegen“. Luftschloß in der Bdtg. ,Phantasiegebilde1 ist seit der Mitte des 17. Jh. bezeugt und 1691 von Stieler gebucht. Voraus geht: ,,Ein Schloß in den Lufft bawen“ (1541 bei Seb. Franck). Im Engl, entspricht ,to build castles in the air\ was gleichfalls seit dem 16. Jh. bezeugt ist; ndl. Juchtkasteien bou- wen'. Schon bei dem Kirchenvater Augustin (354-430) heißt es (,Sermones1 2, 6; 8): „Subtracto fundamento in aere aedificare“ ( — nachdem einem das Fundament entzogen ist, in die Luft bauen). Frz. sagt man: ,bâtir des châteaux en Espagne1, Schlösser in Spanien bauen. Der Ausdr. stammt aus der Zeit, wo die Mauren Herren von Spanien waren und deshalb Landgüter und Schlösser für einen Franzosen dort keinen Wert hatten. Mhd. galt im gleichen Sinne: ,üf den regenbogen büwen\ so in Freidanks Lehrgedicht ,Bescheidenheit1 (1,5): ^ der liât sich selber gar betrogen und zimbert uf den regenbogen; swenne der regenboge zergät, so envveiz er (weiss er nicht) wä sîn hûs stät. lügen. Seit alters wird lügen gern durch einen Zusatz verstärkt; so bes. in den rdal. Vergleichen wie ein Lügenmeister, wie eine Leichenrede. Am bekanntesten und verbreitetsten ist lügen, daß sich die Balken biegen. Häufig gehen die rdal. Vergleiche von der Vorstellung aus, daß Lügen eine Last sind, wie z.B. in der Wndg.: „Er log ihr einen ganzen Lastwagen voll“ in Grimmelshausens ,Simplicissimus\ Diese Vorstellung liegt auch unserer Rda. zugrunde. Sie findet sich schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg; Thomas Murner sagt 1512 in der ,Schelmenzunft' (15, 14): „lügen, daß die Balken krachen“; vgl. auch Hans Sachsens Schwank vom ,Lügenberg1 und von der ,Lügenbriicke\ Stärker noch drückt sich in der zweiten H. des 16. Jh. Joh. Fischart in ,Sankt Dominici Leben' aus: Da lügt ein Schneidergeselle, „daß die Werkstatt kracht“; die Sterndeuter in ,Aller Praktik Großmutter' lügen, „daß die Himmel krachen“. Abraham a Sancta Clara kennt außer der Form ,lügen, daß sich die Balken biegen' noch die Varianten: „Lügen, daß sich die Bäum möchten biegen“; „Wann zu einer jeden Lug allzeit solte bey dem Verkauffen sich ein Baum Biegen, so wurde in kurtzer Zeit ein gantzer Wald bucklet“; „Lügen so sehr, daß sich der Thurn zu Cölln möcht auff die andere Seiten biegen“ (Judas' I, 354); „erstlich hat er stark gelogen, daß sich fast der Himmel gebogen“ (,Narren- Nest‘ II, 39). Einen ganzen Strauß derartiger Ausdrücke bietet die kräftige Sprache des Schweizer Reformationsdichters Nikolaus Manuel. Einem alten Kriegsmann legt er den Reim in den Mund: 611
Lügenbrücke Ich mag ouch wol nüt destminder kriegen Und schweren, daß sich der himmel möcht biegen. Ein andermal wirft er den Papisten vor: Sie stond am kanzel ietz und liegend. Daß sich ganze wend und bollwerk biegend. Einen Bettler läßt er von dem Ablaßkrämer sagen: Da treibt er wunder abentür mit liegen; Ich dacht ein wil, der kilchturm sött sich biegen. Als Luthers Gegenspieler Johann Eck von der Badener Disputation zurückgekehrt ist, weiß er von ihm zu dichten: Er log, wie man für’s wetter lût. Und schampt sich minder dann nüt. Diese Satire schließt gar mit dem burlesken Witz: Do Egg und sin gsell Faber log, Daß sich der berg Runzefal bog! In den heutigen Mdaa. haben sich derartige Nebenformen z.T. bis heute erhalten, z. B. siebenb. ,E lecht, dat sich de Ierd (Erde) bigt'; ähnl. schon in dem Gedicht ,Des Teufels Netz' aus dem 15. Jh.: ,,Der ander lügt, das sich der boden under in bügt". Auf die sich biegenden Balken spielt man schwäb. an, wenn man bei einer offenkundigen Lüge sagt: ,Joo, i han dea Durch- zugsbalka schau lang im Aug. I moa, er häb se a bisle boga'. Mit einem Blick an die Balkendecke warnt man den, der in Ggwt. Unmündiger Unpassendes sagen will: ,Seid still, ’s sind so viel Balken da'. Verbreitet ist auch dem Teufel ein Ohr ablügen (/Teufel); ferner das Blaue vom Himmel herunterlügen (/blau); einem die Hucke (oder die Haut) volliigen; nach Strich und Faden lügen (/Strich). Jünger ist die Rda. wie gedruckt lügen (z. B. bei Chamisso belegt), ein böser Vorwurf des Volksmundes gegen Bücher und Zeitungen. Schon bei Joh. Fischart (.Aller Praktik Großmutter', 1623, S.546) heißt es: ,,Die Lügen ist getruckt, darumb ist sie geschmückt". Eine Erweiterung brachten die bekannten Worte Bismarcks aus der Sitzung des preuß. Herrenhauses vom 13. Febr. 1869: ,,Es wird vielleicht auch dahin kommen, zu sagen: er lügt wie telegraphiert" (,Redcn' IV, 144). Lügen brücke. Kommst du auch heil über die Lügenbrücke?: jetzt hast du bestimmt gelogen, deine Lügen und Aufschneidereien sind durchschaut. Die Frage, meist an ein Kind gerichtet, gilt als Aufforderung, bei der Wahrheit zu bleiben, und bezieht sich auf die bekannte Fabel Gellerts ,Der Bauer und sein Sohn'. Der Bauer übertrumpft die Lügen seines von der Reise heimkehrenden Sohnes über einen Hund so groß wie ein Pferd, indem er die Liigen- briieke erfindet, auf der man sich sofort ein Bein bricht, wenn man am gleichen Tag gelogen hat. Der nun ängstlich gewordene Sohn reduziert seine Aufschneiderei stufenweise bis zur gewöhnlichen Größe des Hundes und wird durch die List des Vaters überführt. Der Stoff zu Gellerts Schwankfabel beruht auf der 88. Fabel .Vorn liigen- hafften Jüngling' im ,Esopus' des Burkard Waldis. Der Stein auf der Brücke, an den der Lügner stößt und sich das Bein bricht, ist eine Erfindung Gellerts, er fehlt in der sonstigen Überlieferung. In der oralen Tradition wird der Stoff zum Schwankmärlein umgestaltet und souverän von den Erzählern um neue Züge bereichert. Aus Gellerts Gedicht wird ein Vers rdal. gebraucht, wenn man jem. bei einer offensichtlichen Lüge ertappt: „Die Brücke kömmt! Fritz, Fritz! wie wird dir’s gehen!", auch abgewandelt zu: Fritz, Fritz! Die Brücke kömmt! Ähnl. sagt man auch: wenn das Wort eine Brücke wäre, zu ergänzen: .dann wäre es eine Lügenbrücke', d.h„ man würde sich auf ihr ein Bein brechen, /Wort. Lit.: Büchmann. S. 150; K. Ranke: Die Liigenbrücke, in: Festschrift Matthias Zender - Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, hg. v. Edith Ennen u. Günther Wiegelmann, Bd.II (Bonn 1972), S. 868-874. Lukas. Mit Lukas bez. man den Kraftmesser auf dem Jahrmarkt; mit Hilfe eines großen Holzhammers wird ein Schlag auf einen Holzklotz abgegeben. Durch den damit ausgelösten Druck wird ein Metallstück an einer Latte hochgetrieben, das bei ausreichender Stärke des Schlags an der oben befindlichen Figur einen Knall verursacht. Der Besitzer und Schausteller des Geräts, der Lukasmann, lockt die Jahrmarktsbesucher an mit dem Ausruf: „Haut den Lu- 612
Lupe kas!4'; ,,Wer haut ihn, den Lukas?", schlesw.-holst. ,Hau den Lukas op den Knast!\ auf den Holzklotz; schwäb. ,Haut den Lukas auf den Mokas' (Kopf). Von daher übertr. auf den Lukas hauen: tüchtig dreinschlagen, rhein. ,He hat den Lukas kregen\ ihm ist der Schlag gelungen, und ,enen Iukasen', ihn verprügeln. ,Auf den Lukas hauen' Lumpen, lumpen. Einen aus den Lumpen schütteln: ihn auszanken, kräftig zurechtweisen; schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg bezeugt; ,,Du wilt yederman sin lumpen auswaschen", d.h. dich in alles mischen, bes. beim Tadeln anderer. Sich nicht Jumpen lassen: sich nicht schäbig, nicht geizig zeigen, eigentl.: sich nicht Lump nennen, sich nicht als verächtlichen, armseligen Menschen behandeln lassen. Tanzen wie der Lump am Stecken: unentwegt, flott tanzen; der vor allem in Süd- westdtl. verbreitete rdal. Vergleich meint eigentl. die Vogelscheuche, d.h. den im Wind hin und her flatternden Lumpen. Lunte. Lunte riechen: merken, daß Gefahr im Verzug ist. Die seit 1685 belegte Rda. geht auf Lunte = brennender Docht, dann Zündschnur zurück. Vor der Einführung der Steinschlösser und Zündhütchen benutzte man Lunten zum Entzünden der Geschützladungen. Der üble Geruch, der durch das Anstecken der Lunte entstand, noch bevor der Schuß losging, hat die Veranlassung zu der auch in den Mdaa. verbreiteten Rda. gegeben. Ähnl. sagt man z.B. berl. ,Hier riechfs sengerig'; entspr. schwäb. ,es wird brenzlich', die Sache scheint bedenklich, es wird gefährlich. Mit der Lunte am Pulverfaß spielen: mit der Gefahr spielen, einen Krieg vorbereiten, provozieren, auch die Lunte anlegen. Lupe. Etw. (jem.) unter die Lupe nehmen: es genau betrachten, ihn genau beobachten und prüfen. 613
M Machart. Das ist meine Machart: das sagt mir sehr zu; das entspricht meinen Wünschen, Vorstellungen; hergenommen vom Schneiderhandwerk: Machart ist die Art und Weise, in der ein Kleidungsstück gefertigt wird; erst in der Mitte des 20. Jh. umg. aufgekommen (Küpper II, S. 186). Mache. Einen in die Mache nehmen (oder kriegen): unter die Hände bekommen, z. B. zur Erziehung; dann auch: tadeln, herunterputzen. Etw. in der Mache haben: es in Arbeit haben; seit dem 17. Jh. bezeugt, zunächst in wörtl. Bdtg.: ,,weil sie ihr einziges Paar (Schuhe) in die Mache gegeben“, d. h. zur Reparatur (Schiller, ,Räuber1 II, 3), bald aber, so oft beim Grafen von Zinzen- dorf (1700-60), in übertr. Anwendung. Dabei hat Mache meist abschätzigen Sinn, so auch in der Wndg. ,Alles Mache!1 oder ,Quatsch, det is aliens Mache!', mit der der Berliner eine eingebildete Krankheit abtut. Made, madig. Sitzen wie die Made im Speck: genug zu essen haben, dann allg.: es sich wohl sein lassen. Sich Maden in die Augen schlafen: sehr lange schlafen (/Auge). Jem. madig machen: ihn herabsetzen, schlecht machen; sich madig machen: sich unbeliebt machen (bes. durch Wichtigtuerei);madig, eigentl. ,von Maden befallen1, hat bes. in mittel- und ostdt. Mdaa. die Bdtg. ,wertlos, schlecht' angenommen, z.B. obersächs. ,Die Geschichte ist madig', bedenklich, faul; ebenso wie: ,da ist der /Wurm drin'. Magen. Einen guten Magen haben: Beleidigungen, Spott und Spaß ertragen können, ohne gekränkt zu sein. Schon in Joh. Fischarts ,Geschichtk!itterung': ,,Mein ma- gen steht allzeit offen, wie eyns Fuerspre- chen Tasch“ (d.h. wie der Geldbeutel eines Advokaten). Der große oder gute Magen wird oft mit rdal. Vergleichen umschrieben, z.B. ,ein Magen wie ein Stiefelschaft'; ,wie eine Strumpfkappe'; ,wie ein Soldatentornister'; ,wie eine Schublade'. Er hat *neu pommerschen Magen, der verdaut Eisen und Kieselsteine: er hat einen guten Magen, kann alles vertragen. Sein Magen ist lutherisch, aber seine Feiertage sind katholisch: zi ißt gut (fastet nicht) und arbeitet nicht gern. Dazu gehört ein guter Magen: das ist ein harter Brocken, das ist schwer zu verdauen; pomm. ,Dar hört ’ne goden Mage to'. Seinem Magen keine Stiefmutter sein: gern gut essen. Schlesw.-holst. ,lß, sunst löpt de Hund mitdinen Magen weg!'; sächs. (wenn man sich genügend mit Mundvorrat eingedeckt hat) ,Da kennen uns de Meise den Magen nich verschleppen'. Am verbreitetsten ist, beim Anblick einer reichlichen Mahlzeit zu sagen: Da wird dir die Katze den Magen flicht forttragen (/Katze). Seine Augen sind größer als sein Magen (oder Mund): er hat sich mehr auf seinen Teller genommen, als er nun aufzuessen imstande ist. Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt was geschenkt sagt man, wenn man im Gasthaus die Portion bis auf den letzten Rest aufißt, auch wenn der Hunger schon gestillt ist. Sich den Magen vollschlagen: sehr viel essen; Parallelbildung zu ,sich den Bauch vollschlagen'. Ihm bellt (knurrt) der Magen: er hat Hunger. Den Magen in der Kniekehle hängen haben: sehr hungrig sein. Groteske Physiologie, seit etwa 1900 aufgekommen. Ähnl. Der Magen hängt mir bis auf die Füße, der Magen hängt mir lang (oder schief): ich habe großen Hunger. Man kann dir bis in den Magen sehen sagt man zu einem, der gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu halten; schon 1847 belegt, allerdings in anderem Zusammenhang: ,,Die Statistik, diese schonungslose For- 614
Mahlen scherin, die den Leuten bis in den Magen sieht“ (Br. Bauer, ,Parteikämpfe1 I, 47). Einen im Magen haben: zornig oder verdrießlich über ihn sein, als ob er einem wie eine schwerverdauliche Speise Magenbeschwerden verursachen würde; auch ,die Geschichte liegt mir längst im Magen\ sie macht mir zu schaffen, ich will nichts mehr damit zu tun haben; ähnl. ,einen gefressen haben1 (/’fressen). In Hans Sachsens Schwank von einem jungen Gesellen und einer Frau, die den Buhler mit lauter Scherzen abtrumpft, heißt es: Er sprach: ,,Ich wolt, daß Ihr doch west mein groß hertzen, das ich tu tragen." Sie sprach: ,/s liegt auch leicht im magen, Ihr habt nechten truncken zu viel Odern grimm gwunnen ob dem spiel. Wölt Ihr des unraths ledig sein, so nemet ein purgatzen ein!" Die Nachricht schlug ihm auf den Magen, der Magen drehte sich um: sie verdarb ihm die Laune. mahlen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Bei der noch heute allg. geläufigen Wndg. handelt es sich primär um ein Rechtssprw. Der früheste dt. Beleg findet sich in Eike von Repkows ,Sachsenspiegel4 (um 1230): „Die ok irst to der molen kumt, die sal erst malen" (II, 59). Ähnl. im ,Schwabenspie- geT (ca. 1275): „Der ouch e zer miili kumt, der soi auch e malen“. In lat. Form begegnet das Sprw. schon in einer Münchener Handschrift des ausgehenden 12. Jh„ in den sog. Sprüchen aus Scheftlarn: ,Qui capit ante molam, merito molit ante farinam4. In diesen Frühbelegen besteht eine deutliche Verbindung zwischen Mühle und mahlen, während die Mühle ja in unserem heutigen Sprw. nicht erwähnt wird. Damit scheint sich die Vermutung von Petsch und Künßberg zu bestätigen, wonach das Sprw. auf die Kundenmühle des MA. zu beziehen ist, wie sie vielfach heute noch in ländlichen Bezirken üblich ist: Derjenige, der sein Getreide zuerst in der Mühle abliefert, hat den Anspruch, daß es auch zuerst gemahlen wird (im Gegensatz zu der Bevorzugung des Herren bei einer Herrenmühle und der Zwangsgäste bei einer Bannmühle). Ähnl. äußert sich auch S. B. Ek, der unser in Europa weitverbreitetes Sprw. nach Alter u. Funktion untersucht hat. Es handelt sich hier also um eine förmliche Rechtsregel, die wahrscheinl. schon als sachs. Sprw. bestand, als der Sachsenspiegel aufgezeichnet wurde. In einem ähnl. Sinn benutzen wir das Sprw. heute noch, wenn auch ohne Bezug auf die Mühle in allg. und iibertr. Weise. Vom Spezialfall der Mühle erweiterte sich der Sinn des Sprw. auf andere Rechtslagen, bei denen der Zeitvorrang maßgebend ist, entspr. dem lat. ,Prior tempore potior iure4. Die versuchten Deutungen auf ahd. ,mahalen4 = feierlich reden, greifen daneben, wenn sich auch eine solche Deutung schon bei Luther zu finden scheint (Thiele, S. 161; Wander II, 1472, 166: „wer ehe kompt, der melet ehe"). Den gleichen rechtlichen Grundgedanken finden wir in ähnl. Form noch zweimal im Sachsenspiegel4 wieder: „Svelk wagen erst up die bruegen kumt, die sal erst overgan, he sie idel (leer) oder geladen" (II, 59) und „Svelkes ordeles man irst be- det, dat sal man irst vinden" (1,62). Wieder ein anderes Bild für den Grundsatz des Zeitvorranges bei Egenolf (Bl. 217): „der erster zum herd kompt, setzet sein häflin wohin er will44. Mahlsteine /Stein. Lit.: Sachse, in: Zs.f. d. Recht )6. S. 102ff.; Hillebrand: Dt. Rechtssprww. (1858), S. 12f.; Günther: Rechtsal¬ 615
Mahlzeit tertümer, S.94; Weizsäcker, S.324. S. ß. Ek: Den som kommer först tili kvarns - in: Scripta Minora Regiae Societ. Human. Litter. Lundensis 1963-1964: 1 (Lund 1964), S. 1-66. Mahlzeit. Prost Mahlzeit!$&g\. man umg. in dem iron. Sinne: ,das kann ja gut werden\ ,das ist eine schöne Bescherung1/.,Prost1 ist aus ,Prosit4 zusammengezogen. Ähnl. Ja, Mahlzeit!,Gesegnete Mahlzeit!4 sagt man vor und bes. nach dem Essen als Abschiedsgruß an die Tischgenossen. Von da entwickelt zu der Bdtg.:,dafür bedanke ich mich/ im Sinne einer iron. Ablehnung. Mai. Wie einst im Mai: wie früher, in glücklicher Zeit; gleichbleibend. Die Wndg. stammt aus dem Gedicht ,Allerseelen4 des Tiroler Dichters Hermann von Gilm (1812-1864): „Stell auf den Tisch die duftenden Reseden“ (1844). ln der Vertonung von Lassen gehörte das Gedicht zum musikalischen Grundbestand des Bürgerhauses. Als Stütze der Wndg. kommt wahrscheinlich noch der Titel der Operetten- Posse von Walter Kollo ,Wie einst im Mai4 (uraufgeführt 1913) hinzu. Am 17. Mai geboren sein: homosexuell sein; verhüllend für § 175 des Strafgesetzbuches, der wie ein Datum gelesen wird; erst im 20. Jh. aufgekommen. Maikäfer. Strahlen wie ein Maikäfer: über das ganze Gesicht strahlen; auch in den Mdaa. bekannt, z. B. schwäb. ,dear lacht mifm ganza Gsicht wie a Moikäfer4. Über die Unsterblichkeit des Maikäfers nachdenken: sinnen, auch Unsinn reden; stud. Ausdr.; seit dem Ende des 19. Jh. aufgekommen. Zählen wie ein Maikäfer, meist kurz maikä- fern: sich anschicken, eine Tischrede zu halten: der Maikäfer ,zählt4, d.h. er lüftet die Flügeldecken zehn-, zwölfmal, ehe er auffliegt. Eis. sagt man ,rechnen wie Maikäfer4, langsam (oder auch schlecht) rechnen. Main. Wenn der Main brennt: niemals; mdal., bes. hess. ,Wann de Maa brennt4 (Biebrich); ,de Mao brennt4 (Frankfurt); vgl. auch den schwäb. Spottvers: Fuirio, der Necker brennt, Holet Straoh ond löschet gschwend! Das Brennen des Wassers als rdal. Bild des Unmöglichen kennen schon ma. Dichter, ln Wolfram v. Eschenbachs ,Titurel‘ (77,4) versichert Sigune dem Schionatulander: „ez brinnent elliu wazzer, ê diu liebe min- halp verderbe44; vgl. ,zu /Pfingsten auf dem Eise4. Lit.: /. Zingerle, in: Germania VII, S. 190; L. Berthold: Ma. Sprww., S.65L; A. Taylor: Locutions for ,Never\ in: Romance Philology 2, Nos. 2 and 3 (1948-1949), S. 103-134. Makulatur. Makulatur reden: Unsinn reden. Makulatur sind unbrauchbare Drucke, auch Altpapier, also Wertloses; seit dem ausgehenden 19. Jh. in Berlin bezeugt (Küpper I, S.218). malen. Ich will dir was malen: dem werde ichs malen!; laß dir was malen!; du kannst dir was malen lassen (evtl, mit dem Zusatz: ,auf Löschpapier4). Diese Ausdrücke bedeuten eine grobe Abweisung für jem., der einen mit irgendeinem Anliegen belästigt (in ähnl. Sinne: ,einem etw. /husten4). Vielleicht ist eigentl. gemeint: Das, worum du bittest, kann oder will ich dir nicht verschaffen; male es dir, dann hast du's! Urspr. wird wohl hinter der Wndg. eine Derbheit stecken; vgl. ostfries. .lat di wat ofmalen upn Stück Klackerpapier (up'n Buskohlblatt4); westf. ,Du kannst di wat op Löskpa- pier moalen laten4. Er kann malen ohne Farbe: er ist ein Schlaumeier. Dem maß man eine malen sagt man von dem Freier, dem keine weibl. Person zusagt. Nicht gemalt hat er's gesehen sagt man von einem, der sich rühmt, etw. gesehen zu haben, es aber niemals gesehen hat (schon lat. ,Ne pictum quidem videt4). Den Teufel an die Wand malen /Teufel. Mammon. Aramäisch mamon = Hinterlegtes, gelangt durch die Lutherbibel aus Matth. 6,24 und Luk. 16,9 in der Bdtg. ,(ungerechter) Reichtum4 ins Dt. und wird in den Rdaa. dem Mammon dienen: dem Geld nachjagen, ein Knecht des Mammons sein seit etwa 1600 geläufig (entspr. engl. ,to serve Mammon4; frz. ,servir le Mammon4 und ndl. ,de Mammon dienen4). Mangel. Jem. durch die Mangel drehen: ihm mit Fragen zusetzen, ihn rücksichtslos be¬ 616
Mann handeln. Mangel ist die Glättrolle für die Wäsche; wenn ein Mensch durch die Mangel gedreht' wird, wird er also ,ausgepreßt. Ähnl. jem. in der Mangel haben, in die Mangel kriegen (oder nehmen): ihn heftig rügen; auch in den Mdaa., z. B. meckl. ,he hätt em dägt in de Mangel nahmen1, er hat ihn tüchtig zugerichtet. Auch ein Übermüdeter fühlt sich ,wie gemangelt. In der Mangel sein: gymnastische Übungen machen (Mitte 20. Jh.). Mann. Seinen Mann stehen (oder stellen): die Aufgaben und Pflichten, die einem als Mann zufallen, zu erfüllen wissen; Vollwertiges leisten; ähnl. ndd.,Da bin ik Mann vör\ dafür bin ich Bürge. Seinen Mann finden: einen finden, der einem gewachsen ist; so schon 1541 in Seb. Francks ,Sprichwörtern'. Das ostfries. ,de is sien Mann ankamen!' bedeutet auch: er ist unangenehm überrascht worden. (Ein) Mann bei der Spritze sein: tüchtig da- beisein, auch: eine wichtige Rolle spielen; der Ausdr. hat sich vom Feuerlöschwesen aus verbreitet, wo die Männer bei der Spritze die entscheidende Tätigkeit ausüben, /Spritze. Ein Mann in den besten Jahren; lit. auch bei Heinrich Heine ,Die Heimkehr' (1826), wo vom Teufel gesagt wird: Er ist nicht häßlich und ist nicht lahm, Er ist ein lieber, charmanter Mann, Ein Mann in seinen besten Jahren. Mann Gottes steht urspr. 5.Mos. 33, 1 und sonst noch sehr oft im AT. Heutzutage wird die Wndg. meist als Ausdr. mißbilligender Verwunderung gebraucht; ähnl. Mann, Mann!oder Mannometer! Hier ist die Anrede ,Mann!*gedehntdurch Herbeiziehung des gleichanlautenden Fremdworts für den Druckmesser. Männeken! ist eine drohende Anrede. Die stabreimende Zwillingsformel mit Mann und Maus (untergehen) stammt aus der Seefahrt. Dagegen ist mit Mann und Roß und Wagen (hat sie Gott geschlagen) ein Zitat aus dem ,Fluchtlied' (1813) von Max von Schenkendorf. Das ist gesprochen wie ein Mann kommt als Zitat aus Schillers Drama ,Die Piccolomink (IV, 4). Kleiner Mann, was nun? ist der Titel eines Romans von Hans Fallada (Berlin 1932). Etw. an den Mann bringen: seine Ware absetzen, auch: eine Geschichte, einen Witz erzählen können; urspr. wohl eine kauf- mannssprachl. Wndg. Den wilden Mann markieren (machen): sich hemmungslos gebärden, kraftvoll dünken, als Betrunkener Streit suchen. Urspr. war der ,Wilde Mann* ein riesiger Waldmensch in Volkssagen, ma. Epen und bildl. Darstellungen. Voll wie tausend Mann: schwer bezecht. Männchen machen wird zunächst von Tieren (Hunden, Hasen) gesagt, die sich auf den Hinterbeinen aufrichten; in der Soldatensprache bedeutet es: stramme Haltung annehmen; dann wird es übertr. zu ,sich sträuben*, so z. B. wien. ,ManderIn machen', Umstände machen, sich widersetzen. Einen kleinen Mann im Ohr haben: nicht ganz bei Verstand, verrückt sein. Die Rda. soll eine Aussage, vor allem einen Wunsch oder eine Forderung, als sinnlos abtun. Es ist, wie wenn der kleine Mann im Ohr das Sinnlose oder Törichte hervorgebracht hätte, dem Vernünftigen den Gehörgang versperrend (/Ohr). Obwohl die Rda. neu erscheint, ist sie doch in Berlin mindestens schon vor dem 1. Weltkrieg bekannt gewesen. Im Grunde zeigt sich dabei ein altertümliches krank- heitsdämonistisches Denken. Ähnl. kann der Berliner Arzt beim klinischen Ausspülen des Ohres und Entfernen eines Pfrop- 617
Mannschaft fens sagen: ,Jott sei Dank, det der kleine Kerl raus is!4 Einem nackten Mann in die Tasche greifen: etw. holen wollen, wo es nichts zu holen gibt. ,Einen alten Mann schlagen4, eine Arbeit verrichten, die wenig einbringt, die vergebens ist. Die Wndg. stammt aus dem alt- sächs. Bergmannswesen; ein ,alter Mann4 ist die Bez. für das abgebaute Flöz, ein doter Mann4 ist ein Gang ohne Erz. Sei ein Mann!: sei so (tapfer, furchtlos, beherzt), wie es sich für einen Mann gehört; dies sagte schon der sterbende David zu seinem Sohn Salomo (1. Könige 2,2). In Goethes ,Faust4 (2. Teil, 3. Akt) findet sich die Wndg. Selbst ist der Mann: er weiß sich selbst zu helfen. Daß sich ein Volk erhebt ,wie ein (d.h. einziger) Mann4 (ohne Unterschied, vollständig) ist bereits bibl. (Richter 20, 1.8.11) bezeugt. Dem Manne kann geholfen werden: hier kann Abhilfe geschaffen werden, so lauten die letzten Worte Karl Moors in Schillers .Räubern4. Lit.: R. Bernheimer: Wild Men in the Middle Ages. A Study in Art, Sentiment, and Demonology (Cambridge 1952); F. Neumann: Der kleine Mann im Ohr, in: Muttersprache 69 (1959), S. 129-131. Mannschaft /abtakeln. Manschette. Manschetten haben: Angst, Furcht, Respekt haben; ndd. auch in der Form: ,Manschettenfieber haben4. Die Rda. ist in der zweiten H. des 18. Jh. in Student. Kreisen entstanden, als die Mode der überfallenden Manschetten den Gebrauch des Degens hinderte. Wer Manschetten trug, konnte sich nicht schlagen, sondern war ein modischer Zärtling. Völlig aus dieser Anschauung heraus schreibt Rahel Varnhagen 1814 eine zornige Charakteristik der Diplomaten, die sie mit dem heftigen Ausruf schließt: ,,Diese Kerle mit Manschetten!44 (O. Berdrow: Rahel Varnhagen, Stuttgart 1900, S.202). Damals war die Rda. noch ganz frisch: Am I. Febr. 1811 schreibt Theodor Körner einen Brief an die Landsmannschaften in Jena mit einem poetischen Anhang, der zeigt, wie die Rda. ,Manschetten haben4 (die zur Tracht der Adeligen gehörten) für ,feige sein4 gebraucht wurde. Es war ja die Zeit, in der auf der Wartburg die Schnürbrust als Zeichen der Verweichlichung unter Hohnver- sen verbrannt wurde. Vgl. die scherzhafte Parodie auf Schillers ,Hektors Abschied4, die den Hallischen Professor Wilh. Gese- nius besang, als dieser beim Anrücken der Cholera Halle verließ, um sein Leben in Nordhausen in Sicherheit zu bringen: Wer wird künftig Exegese lehren, Hiob lesen, Genesis erklären, Wenn du mit Manschetten dich gedrückt? Daß man dem mit Manschetten Ausgerüsteten kein festes Zupacken, insbes. keine grobe Arbeit zutraut, zeigt auch die Bez. Manschettenbauer. Dagegen Manschetten machen: wuchern und dafür im Gefängnis sitzen. Hier meint Manschetten gaunersprachl. die Handschellen der Gefangenen. Lit.: R. M. Meyer: Schlagworte, S.34f. Mantel. Den Mantel nach dem Wind kehren (oder hängen): nicht nach festen Grundsätzen handeln, charakterlos, wetterwendisch sein; eigentl.: sich in die Umstände schik- ken wie ein Wanderer, der auf der Landstraße bei stürmischem Wetter den Mantel immer nach der Seite hängen muß, aus der der Wind kommt. Urspr. hatte die Wndg. keinen tadelnden Nebensinn, sondern bedeutete nur: sich in die Verhältnisse schik- ken, ,sich nach der /Decke strecken4; so als Lebensweisheit in einem der Sprüche Spervogels (,Minnesangs Frühling4 22, 25): Man soi den mantel kêren, als daz weter gät, oder in Gottfried von Straßburgs .Tristan4 (V. 10 430f.): Man soi den mantel kêren, als ie die winde sint gewant. Diese Frühbelege, aber auch noch spätere Zeugnisse beweisen, daß unsere Rda. sich erst aus einem vollen Sprw. verkürzt hat. In dem satirisch-didaktischen Epos ,Der Ring4 des Heinrich von Wittenweiler heißt es (V. 4514ff.): Besieh, in welhem zeit du pist, Dar zuo, wie daz weter ist, Daz du deinen mantel gschwind Mugest keren gen dem wind! In Freidanks .Bescheidenheit4 (115, 2) findet sich die Variante: 618
Mantel ,Seinen Mantel nach dem Wind hängen4 Ein man den nüschel (Mantelspange) A, . , kêret. Als in daz weter leret. Tunnicius bucht 1513 die Rda. in ndd. Form (Nr. 707): ,Men mot de hoiken (Mantel) na dem winde hangen1. Schon frühnhd. nimmt die Rda. den Sinn der Charakterlosigkeit an; so heißt im ,Reinke de Vos' von 1498 ein Großer am päpstlichen Hofe ,Wendhoyke'; Luther schreibt (Erlanger Ausg. Bd. 60, S. 308): „Bauchdiener hängen den Mantel, nachdem der Wind wehet“. Hans Sachs hat die Rda. ebenfalls häufig gebraucht, z. B. in den ,drei wachsenden Dingen': Wer der armut entpfind, Der henck den mantel nach dem Wind, Und treib allen Überfluß aus, Halt nach seinem vermügen haus. Und in dem Schwank ,Der Pfennig ist der beste Freund1: Wer sein gelt also prauchen thut Zur noturft aus ainfalting mut, Dem selben gar selten zurint; Er henckt den mantel nach dem wint, Lest sich begnügen, was er hab, Und dankt got deglich seiner hab. In KHM. 83 ,Hans im Glück' findet sich das Lied eines Scherenschleifers: Ich schleife die Schere und drehe geschwind Und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind. Der Reim ist alt und findet sich schon auf einem Kupferstich von Israel von Mecke- nem im 15. Jh., wo verschiedene Sprww. durch handwerkliche Verrichtungen veranschaulicht werden. Der Sichelschmied z. B. sagt: ,,Das Recht kann ich krumm machen, drum trag ich rot Scharlachen“; ein Werkzeugmacher: „Meine Dinge mach ich recht und schlecht, drum bleibe ich ein armer Knecht“, und der Scherenschleifer: „Ich schleif, ich wend und kehr mein Mäntelchen nach dem Wind“. In der ndl.-fläm. Rdaa.-Malerei ist unsere Rda. von Bruegel bis zu den späteren Bilderbogen immer wieder dargestellt worden. Sprw. und Rda. ,Seinen Mantel nach dem Wind hängen4 scheinen nur dem dt. und ndl. Sprachbe- reich anzugehören. Zwar schreibt schon Plautus „Utcumque est ventus, exim velum vortitur“, aber ma. und moderne Tradition sagen ,Mantel' statt ,Segel'. Die Rda. den Mantel auf beiden Schultern tragen geht auf den gleichen Vorgang zurück; sie wird auf jem. angewendet, der sich von vornherein auf alle Möglichkeiten gefaßt macht, sich überallhin gut zu stellen weiß. Etw. mit dem Mantel der (christlichen) (Nächsten-)Liebe bedecken: über einen Fehler, eine Schwäche oder eine nicht ganz saubere Sache schweigen; so tun, als ob man sie nicht bemerke; sie der Vergangenheit anheimgeben, um den, der sie verschuldet hat, nicht in Verlegenheit oder in 619
Mark Ungelegenheiten zu bringen. Friedrich v. Logau (1604-1655) sagt in einem seiner Epigramme: Nenne mir den weiten Mantel, drunter alles sich verstecket; Liebe tut’s, die alle Mängel gerne hüllt und fleißig decket, und Samuel von Butschky 1677 im ,Path- mos' (88): ,,Christus deckt die Sünden mit dem Mantel seiner Gerechtigkeit zu1'. Das Bild von dem das Unrecht verhüllenden Mantel findet sich schon in Hugo v. Trim- bergs Lehrgedicht ,Der Renner' (V. 3307 ff.): kappen und swestermentellin (Mantel einer geistlichen Frau) bedeckent manec untaetelin. Im Corpus iuris canonici, Decretum Gratiani, Kap. 8,96 wird berichtet, der röm. Kaiser Konstantin (306-337), der das Christentum zur Staatsreligion erhob, habe gesagt: „Wahrscheinlich, wenn ich mit eigenen Augen einen Priester Gottes oder jemanden im Mönchsgewand hätte sündigen sehen, so würde ich meinen Mantel abnehmen und ihn bedecken, damit er von niemand gesehen würde“. In den Sprüchen Salomonis 10,12 heißt es: „Haß erregt Hader; aber Liebe deckt zu alle Übertretungen“; ähnl. im 1. Brief Petri 4,8: „Die Liebe decket auch der Sünden Menge". In der heutigen Form stammt die Rda. jedenfalls aus geistlichem Munde, wo sie oft in salbungsvollem Ton ernst gemeint ausgesprochen worden sein wird, was den iron. Sinn, den wir heute gewöhnlich mit ihr verbinden, mit hervorgerufen haben mag. Die nahe verwandten Ausdrücke bemänteln, einer Sache ein Mäntelchen umhängen in dem Sinne von ,beschönigen4 brauchen selbstverständlich weder aus dem jüd. noch dem klassischen Altertum abgeleitet zu werden; sie enthalten ein Bild, wie es jede Sprache immer wieder aus sich zu erzeugen imstande ist. So sagt Schiller in der Jungfrau von Orleans' (II, l): Der Aberglaube ist ein schlechter Mantel Für Eure Feigheit. Bismarck sprach einmal (,Reden' IX, 429) von dem „Mantel der gekränkten Unschuld, in dem man sich einhüllt, wenn man sachlich nichts zu sagen weiß“, und wieder¬ holte: „Die Triftigkeit seiner sachlichen Gründe mit dem Mantel der sittlichen Entrüstung, des persönlichen Gekränktseins zudecken“ (,Reden' IX, 433). Im altdt. Rechtsleben hat der Mantel eine wichtige Rolle gespielt. Vor der Ehe geborene Kinder wurden dadurch legitimiert, daß die Frau sie bei der Trauung unter ihren Mantel nahm (,Mantelkinder', lat. ,filii mantellati', frz. ,enfants mis sous le drap'). Auch als Sinnbild des Schutzes galt der Mantel; in der Wartburgsage flüchtet der Minnesänger Heinrich von Ofterdingen unter den Mantel der Landgräfin. Ebenso bedeuten die Worte Wolframs im ,Parzival' (88, 7f.): Do diu botschaft was vernomn, Kaylet, der ê was komn, saz ter küngîn undr ir mantels ort keine Vertraulichkeit, sondern die Bitte um Schutz. An die Stelle des Mantels tritt dann der Schleier, so wenn in dem mhd. Heldenepos ,Rosengarten' erzählt wird, daß Kriemhild den Siegfried mit ihrem Schleier deckte, als er von Dietrich besiegt wurde. Erinnert sei auch an die spätma. Schutzmantelmadonnen, Darstellungen der Madonna, wie sie mit einem mächtig ausgebreiteten Mantel alle diejenigen schützt, die bei ihr Zuflucht gesucht haben. Im Zusammenhang mit unserer Rda. hat man auch an die Tracht der Femrichter erinnert: „Sie sollen Mäntelein auf ihren Schultern haben. Diese bedeuten die warme Liebe, recht zu richten, die sie haben sollen; denn so wie der Mantel alle andere Kleider oder den Leib bedecket, also soll ihre Liebe die Gerechtigkeit bedecken. Sie sollen auch darum die Mäntel auf den Schultern haben, damit sie dem Guten Liebe beweisen, wie der Vater dem Kinde" (Th. Berck: Geschichte der westf. Femgerichte, Bremen 1815, S.32). Es fehlt bei dieser Erklärung der Rda. allerdings der Sinnbezug zur .Bemäntelung' begangenen Unrechts. Den blauen Mantel umhängen /blau. Lit.: M. de Meyer: ,De Blauwe Huyk\ in: Proverbium 16 (1971), S. 564-575. Mark. Es geht (oder dringt) einem durch Mark und Bein: es geht einem durch und durch; von einem heftigen Seelen- oder Nervenschmerz, bes. bei einem schrillen 620
Markt Klang. Auffällig ist dabei die Reihenfolge ,Mark und Bein'; denn was von außen kommt, muß doch erst die Knochen (/Bein) durchdringen, ehe es ans Mark gelangen kann. Wohl nur dem Reim zuliebe ist die Formel bisweilen umgestellt, z.B. 1573 in Joh.Fischarts,Flöhhatz1 (Neudruck, 1619 f.) und in einem Lied von 1657 auf den Tod von Kaiser Ferdinand III.: Dann der Schmerz ist also stark, Daß er dringt durch Bein und Mark. Die formelhafte Verbindung .Mark und Bein' steht freilich seit der Lutherbibel fest ; Hebr. 4,12 steht: ,,Das Wort Gottes ist . . . schärfer denn ein zweischneidig Schwert und dringt durch, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein“. In der Volkssprache z.T. in reimhafter oder liedhafter Verbindung, z. B. in dem alten Spottvers auf den sauren Wein von Grtine- berg (Schlesien): O Grüneberg, mich faßt ein Schauer, O weh, wie ist dein Wein so sauer, Der geht durch Mark, der geht durch Bein Als hätte man das Zipperlein. In älterer Sprache kommen z.T. daneben noch andere Zwillingsformeln vor, z.B. mhd. ,marc und verch' (Leben), bei Goethe: ,Mark und Seele'. Um 1900 hat sich, von Berlin ausgehend, die Wndg.,Das geht mir durch Mark und Pfennig' ausgebildet, wobei ,das' Mark scherzhaft als ,die' Mark aufgefaßt wurde und ,Pfennig1 sinngemäß zu Mark hinzutrat. Einen alteren Gen. stellt vielleicht die mdal. Form ,Marks' für .Mark' dar, z.B. obersächs. ,Ich habe gar kein Marks mehr in den Knochen', ich fühle mich schwach, ermüdet; ,er hat Marks im Kopf', er ist ein verständiger Mensch; dagegen ostpreuß. das Wortspiel ,ik heet Markus', d.h. ich kann mir leicht etw. merken. Mark in den Knochen haben: stark sein; sich vom Marke anderer nähren: den Ertrag der Arbeit anderer auf betrügerische Weise an sich bringen. Markt hat in der Volkssprache auch die allgemeinere Bdtg. ,Geschäft, Betrieb , ähnl. wie ,Handel'. So bedeutet seinen Markt machen: gute Geschäfte machen; seinen Markt haben, einen Markt über (oder mit) etw. machen: sich damit abgeben, sich sehr dafür erwärmen; obersächs. ,en langen Jahrmarkt mache ich nich drum', viele Worte mache ich deshalb nicht; schon bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg (1445-1510): ,,Macht nur nicht lang märckt mit ihm“. Obd. ,Der Markt hat e End', die Gelegenheit ist vorbei (z.B. von solchen, die sich nicht zur rechten Zeit zum Heiraten haben entschließen können); holst. ,Dor biin ik schön (bös) to Markte bröcht', oder ,1k heff en schöne Markt maakt', ich bin übel angekommen; eis. .einen uf der Markt führen', ihn zum besten halten; sächs. ,der Markt leert sich', ,der Markt wird klar', die Sache lichtet sich, klärt sich auf; .marktwischen', nennt man es sächs., wenn man bloß in der Mitte der Stube kehrt, ohne Möbel zu rük- ken und in die Ecken zu gehen. In Leipzig sagt man von einer Putzfrau, die den Schmutz in den Winkeln liegen läßt: ,Sie geht uf n Marcht, aber nich in die Ecken'. 3te£Her, öie im-^ovbe thrift, 3d?ttrqi^ fie pm- ÂïtrrePte i;m. .Etwas zu Markte tragen' Etw. zu Markte tragen:es öffentl. mitteilen; seine Haut zu Markte tragen /Haut. Auf einem anderen Markte emkanfen: eu- phemist. Umschreibung für ein Kind, das aus einer ehebrecherischen Verbindung der Frau hervorgegangen ist, die es ihrem Ehemann als sein eigenes unterschieben will. Von einem argwöhnischen Ehemann, der keine Ähnlichkeit an dem Kind entdek- ken kann, sagt schon Abraham a Sancta Clara: „Er glaubt stets, seine Frau habe auf einem andern Markte eingekauft“. 621
Marsch Marsch. Einem den Marsch blasen (mdal. auch machen): ihn zurechtweisen, ausschelten, ihn zur Ordnung mahnen, auch: ihn hinauswerfen, fort jagen. Das Bild der Rda. stammt vom militärischen Trompetensignal, mit dem zum Aufbruch geblasen wird. Die Rda. ist aus der Soldatensprache indieallg. Umgangssprache übergegangen, aber erst seit dem Anfang des 19. Jh., lit. z. B. bei Jeremias Gotthelf, belegt. Den Marsch nach Bethlehem nehmen: scherzhafte wortspielerische Wndg. für sich zu Bett begeben. Martin. Sanct Martin feiern (loben): ein gutes Mahl bereiten, tüchtig essen und trinken, wie es am Martinstag üblich war. Bereits der Stricker verspottet das übermäßige ,minnetrinken" am Martinstag. Da am Martinstag ein neuer Zeitabschnitt im bäuerlichen Wirtschaftsjahr beginnt - die Dienstboten wechselten an ihm die Stellung, Zins und Pacht waren fällig -, wurde er wichtig für viele Weissagungen und bes. für Wetterregeln: Der Martin kommt auf dein Schimmel geritten: zr bringt den ersten Schnee und die Kälte mit. Die Gedankenverbindung zwischen dem Schnee und dem Schimmel beruht auf der Legende, in der der wohltätige Reiter seinen Mantel mitleidig geteilt hat. Eine Bauernregel lautet: St. Martin weiß Nichts mehr von heiß. Die Rda. Martin wirft mit Nüssen besagt, daß stürmisches Wetter herrscht (bes. in Kleve). Das Andenken an den hl. Martin als Gabenbringer kommt hier zum Ausdr. Lit.: K. Meisen:Sankt Martin im volkstümlichen Glauben und Brauch, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 19 (1968), S. 42-91. Masche. Vom Stricken hergeleitet ist die Rda. 's ist eine Masche gefallen: die Sache ist mißlungen, eigentl.: so, wie eine von der Stricknadel fallende Masche die ganze Arbeit verdirbt. Auf das Netz des Vogelstellers oder des Fischers bezieht sich dagegen die bereits bei dem Prediger Abraham a Sancta Clara (1644-1709) vorkommende Rda. in die Maschen geraten: ins /Garn gehen, gefangen werden, in übertr. Sinn: Unglück haben. Der Gegensatz dazu ist: durch die Maschen (z. B. eines Gesetzes) schlüpfen. In der Umgangssprache der Ggwt. bedeutet Masche auch die günstige, gewinnbringende Gelegenheit; vielleicht in Verbindung mit ,Massel" = Glück, Geschäftserfolg (neuhebr. und rotw.). Das ist die Masche/, das wäre eine Masche!; vgl. auch sächs. ,Er sagte so, aber’s war enne Masche", eine Lüge. Maske /Larve. Massengrab. Lieber scheintot im Massengrab! Ausdr. der Ablehnung, sold, seit dem 1. Weltkrieg; /lieber. Matratze. Die Matratze ab horchen (auch an der Matratze horchen): schlafen; sold, seit dem 1. Weltkrieg; dazu auf den Matratzenball gehen: ins Bett gehen. Matte. Auf der Matte bleiben: sich nicht aufspielen; sportsprachl. Parallelausdr. zu: ,auf dem /Teppich bleiben". Ebenfalls die Matte des Sportbetriebes (Ringkampf) ist gemeint in den Rdaa.: es haut ihn auf die Matte:er ist erschüttert, solchen Mißerfolg hat er nicht erwartet; jem. auf die Matte legen /ihn besiegen, übertreffen, unschädlich machen; vgl. engl. ,to take somebody on the mat" (Küpper II, S. 190). Matthaus. Bei ihm ist Matthäi (Matthäus) am letzten: es ist aus mit ihm, sein Geld ist alle; mit ihm ist Matthäi am fetzten: er wird bald sterben. Die Rda. ist mehrfach und in widersprechender Weise gedeutet worden. Eine zweifellos etw. zu gewagte Erklärung gibt Wackernagel, der darauf hinweist, daß bei dem von den Persern übernommenen Schachspiel ,schah mate" bedeutet: ,Der König ist tot" (/Schach). Der Ausdr. sei dann in die rom. wie germ. Sprachen übergegangen (,schachmatt"). Wenn wir den Worten ,Matthäi am letzten sein" den Sinn unterlegen von ,zu Ende gehen", so erklärt Wackernagel dies als ein durch den Anklang des Wortes ,Matthäi" an ,matt" entstandenes Wortspiel. Schwerlich hat auch Wustmann recht, wenn er den Ausdr. an den Tod Karls V. anknüpft, der am 16. September 1558 starb, am ,abent Mathei", wie eine Magdeburger Chronik berichtet. Die Rda. ist vielmehr der ev. Kirchensprache entnommen, wo sie eigentl. bedeutet: im letzten Kapitel des Matthäusevange- 622
Mau Hums, und es ist damit auf dessen Schlußworte (Matth. 28,20) angespielt: „. . . bis an der Welt Ende“. Durch Luthers Katechismus, wo es in dem Hauptstück von der Taufe heißt: ,,Da unser Herr Jesus Christus spricht Matthäi am letzten: Gehet hin in alle Welt...“ ist die Wndg. in weite Kreise gedrungen (ganz ähnl. heißt es von einem langweiligen Menschen: ,er ist immer Johannes in eodem4; /Johannes). Im überwiegend kath. Rheinl. ist die Rda. in der Form bezeugt: ,He steht bi Matthäus aiVt leste Kapitel !C mit ihm gehteszu Ende. Lit. läßt sich die heutige Bdtg. zuerst 1626 in Friedrich Seidels Türkischer Gefängnuß4 (4a) belegen: ,,Der eine Koch, so anrichten sollen, ein Pollack, spricht auff sein böse Deutsch: Nu ist mit uns der letzte Mattheus“. Auch Abraham a Sancta Clara gebraucht in Judas4 (III. 174): ..Matthäei am letzten“. Zur Volkstümlichkeit der Rda. hat, wie auch Wieland bezeugt, sicher G. A. Bürgers Ballade ,Die Weiber von Weinsberg4 (1777) beigetragen, in der es heißt: Doch wann’s Matthä' am letzten ist Trotz Raten, Tun und Beten, So rettet oft noch Weiberlist Aus Ängsten und aus Nöten. Lit.: G. Wackernagel: Kleine Schriften (Leipzig 1872), S. 112 u. 119; Æ Götze: Alte Rdaa. neu erklärt, in: Zs. f. dt. Wortf. 4 (1903), S.332. Mattscheibe. Mattscheibe haben: nicht klar aus den Augen sehen, benommen sein, leicht betrunken, oder auch leicht verrückt sein. Der Ausdr. kommt aus der Phototechnik. Matz, Mätzchen. Aus .Matthäus4 und .Matthias4 über .Mattes4 entstanden, ist Matz, ebenso wie /Hans, zum Gattungsnamen geworden und bedeutet einen traurigen Gesellen ohne geistige und körperliche Fähigkeiten. Außer in Zusammensetzungen wie .Hosenmatz4, .Hemdenmatz4, .Dreckmatz4 usw. ist Matz bes. geläufig geworden in der Rda. Da will ich Matz heißen!/ich will mich einen Dummkopf schelten lassen, wenn das und das nicht so ist, wie ich behaupte; lit. seit dem 17. Jh. bezeugt (daneben auch: ,Da will ich Hans heißen!4). Weit verbreitet, auch in der Lit. von Zschokke bis Fritz Reuter, ist der rdal. Vergleich wie Matz von Dresden (daneben wie Matz von Zeitz), eine Anspielung auf eine bekannte Steinfigur in Dresden, die ein hockendes Steinmännchen an der alten Elbbrücke darstellte (Näheres bei Müller- Fraureuth II, 217); vgl. den ndd. Spottreim: Hans Matz ut Dräsen Kann schreiben und nich lesen. Hier geht es zn wie auf Matzens Hochzeit: lustig und in Freuden. Neben .Matzens Hochzeit4 ist ebenso häufig und vermutl. richtiger und urspr. .Metzenhochzeit4. .Metze4 ist Kurzform für Mechthild und ein verallgemeinernd-typischer Name für die Bauernmädchen in der Lit. des späten MA. Es sind aus dieser Zeit mehrere mhd. Gedichte von der Metzenhochzeit erhalten, die allerhand Unglaubliches von der Hochzeit einer .Mätzli4 oder ,Metze4 erzählen und berichten, wie üppig und ausgelassen es dabei herging. Mätzchen machen: Unsinn treiben; Ausflüchte, Winkelzüge machen; sich sträuben, widersetzen, geht auf die Verkleinerungsform von Matz zurück, bedeutet also ei- gentl.: sich wie ein kleiner Matz benehmen, d. h. dumm, einfältig, possenhaft. Ober- sächs. .Mach mer keene Mätzchen vor!4, mache mir nichts weis! Vor mehreren Jahrzehnten fing ein in der Mark Brandenburg viel gesungenes Lied an: Mach mir keine Mätzchen vor; Denn ich bin vom Garde-Corps. Lit.: Der Bauernhochzeitsschwank. Meier Betz und Metzen hochzit, hg. v. E. Wiessner (Altdl. Textbibliothek 48), Tübingen 1956. mau. Mir ist (so) man: ich fühle mich nicht ganz wohl (in meiner Haut), ich habe ein merkwürdiges Angstgefühl, eine unbestimmte, böse Vorahnung (z.B. vor einer Reise, Entscheidung, Prüfung). Diese offenbar nervöse Störung wirkt sich meist recht unangenehm auf den Magen und damit auf das Allgemeinbefinden aus. Mau ist zuerst 1878 berl. bezeugt, es gilt als halb scherzhafte lautmalende Bildung zu ,mauen4, .miauen4, womit man das klagende Geschrei einer Katze bez. Möglicherweise hat das lautlich ähnl. Wort .flau4 eingewirkt oder mau ist als eine Mischbil- 623
Mau dung aus ,matt und flau' hervorgegangen. Etw. ist (war) maints ist (war) nur dürftig, mittelmäßig, unbedeutend. Diese Wndg. ist ebenfalls von Berlin ausgegangen. In der Schiilersprache hat sich daraus die Son- derbdtg. entwickelt: eine Leistung war schwach, dürftig, die Note ist nur mangelhaft, es ist ein schlechtes Ergebnis zu befürchten. Seit Anfang des 20. Jh. ist die Rda. auch im Rotw. i. S. v. bedenklich, faul und erfolglos bezeugt. Vielleicht besteht sogar ein Wortzusammenhang mit dem Glücksspiel ,Mau-Mau\ das man z.T. streng verboten hatte, weil man es wegen der möglichen hohen Verluste für äußerst bedenklich und gefährlich hielt, da um Geld gespielt wurde. Lit.: Kluge-Götze, S.481.
Röhrich Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten Band 2
Lutz Röhrich Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten Band 2: Maul bis zwölf mit ca. 300 Abbildungen Dritte Auflage Herder Freiburg - Basel Wien
Redaktion: Gertraud Meinel Alle Rechte Vorbehalten • Printed in Germany 1 Verlag Herder KG Freiburg im Breisgau 1973 Herder Druck Freiburg im Breisgau 1974 ISBN 3-451-16630-5
M Maul steht in Rdaa. vielfach als derber, vom Tier auf den Menschen übertr. Ausdr. für ,Mund\ Die meisten Rdaa. mit Maul sind Parallelbildungen zu Ausdrücken mit /Mund, bes. in den obd. Mdaa.; z. B. jem. übers Maul fahren: ihn wegen einer Äußerung scharf zurechtweisen; nicht aufs Maul gefallen sein: schlagfertig, um eine Antwort nicht verlegen sein; sich das Maul verbrennen: sich durch Worte schaden, /Mund. Das Maul auf reißen: übertreiben, vorlaut sein; das Maul voll nehmen: prahlen; ein loses (grobes) Maul(werk) haben: freche (derbe, unsaubere) Reden führen. Allg. üblich ist Halt's Maul!: Sei still! „Liebe Kinder, lernet das Maul halten; denn wer es hält, der wird sich mit Worten nicht vergreifen", übersetzte Luther Sir. 23,7. Maulen: mürrische Widerworte geben. So schon bei Hans Sachs (,Töchtermann' 18); als dem Ehemann anstatt des erwarteten Sohnes eine Tochter geboren wird, heißt es: Darob het der jung man ein grawen Und meulet sich ob seiner frawen. Ähnl. ,sich vermaulen', ein halbmucksiges, halb naseweises Dagegenreden, Sichver- teidigen. Ein Maul anhängen: frech widersprechen. Das Maul hängen lassen: mürrisch, mißvergnügt sein; aus melancholisch' hat die Volksetymologie maulhängolisch, maul- henkolisch gemacht (so schon bei Joh. Fischart). Das Bild wäre von alten Pferden entlehnt, hat man gemeint mit Berufung auf den Satz in Pestalozzis ,Lienhard und Gertrud': „Er hängt die Oberlippe wie eine alte Stute". Aber dieser Übertr. bedarf es nicht; mürrische Menschen lassen wirklich den Mund hängen (oder ziehen ein schiefes Maul). Schon in der Namenlosen Sammlung von 1532 heißt es unter Nr.301 : „Sihe wie henckt er das Maul. Mault sich". Dazu die Erklärung: „Sihe wie ist der so zornig, die da zürnen, sehen sawr, vnd lassen das maul mit den lippen lang heraußhangen". Ähnl. Agricola, Nr. 323. Auch in der ,Zimmerischen Chronik' (IV, 14): „Damit macht er das meniglich das maul hanckte". In Ifflands ,Jägern' von 1785 heißt es (I, 1): „Hängt das Maul, so tief Ihr wollt - hier kann ich es nicht aushalten". Maul und Nase aufsperren: dumme Verwunderung äußern. Bei höchstem Erstaunen öffnen wir unwillkürlich gleichsam alle Sinne, als ob wir sie alle zu Hilfe nehmen wollten bei dem Erfassen eines merkwürdigen Anblicks, einer verblüffenden Geschichte usw. Der offenstehende Mund erklärt sich dabei so, daß man sich äußern möchte, aber vor Erstaunen kein Wort hervorbringt. Schon der Prediger Geiler von Kaisersberg ( 1445-1510) rechnet die unter die Narren, „die mit dem Kopff und Maul hören; denn es sein etlich also geartet, daß sie nicht hören können, wenn sie nicht das Maul aufsperren und gaffen, gleichwie ein Esel, der Distel frißt", ähnl. die Maulsperre haben (kriegen): vor Staunen sprachlos sein. Ein ungewaschenes MaulntnnX man einen Mund, aus dem nur unnützes Gewäsch, schmutzige oder freche Reden kommen. Die Vorstellung ist sehr alt und früher offenbar weniger anstößig gewesen als jetzt, sogar die höfische Dichtung des 13. Jh. verschmäht sie nicht. Die rechte Waschung für den Mund sind Gebete; Murner predigt in der ,Narrenbeschwörung' (47, 12): Das mul soit ir mit beten weschen! Von bes. frechen Schnäbeln sagt Murner in der ,Schelmenzunft‘, daß sie das Maul in den Himmel stoßen, wenn sie Gottes Regiment tadeln, wobei er auf den alten Glauben von den Schnabelmenschen anspielt: 629
Maul §30 maul tu bymmel Itali c Man sagt myr das in alten zeyten Warendt der schneblechten leyten Ich kanß nit fur eyn wunder han Man findt wol ietz eyn schnebler man Der mit seym maul erreichen kan Den hymmel vnd all Sternen dran. Das Mau/ ausleeren nennt es der Bayer, wenn einer alles Böse, was er über jem. oder eine Sache zu wissen glaubt, vorbringt. Das Maul nach etw. spitzen: auf etw. begierig sein; nach der Mundhaltung, die man einnimmt, wenn einem das Mau! nach etw. wässert; Grimmelshausen sagt dafür im ,Simplicissimus4 (II, 102): „mir die Zähne wässerig zu machen44. Eitlem etw. ins Maul schmieren: es ihm so leicht und angenehm wie möglich beibrin- gen; eigentl. von einer Speise gesagt, die der andere nicht von selber essen will, wie der Lehrer erst ,vorkaut4, was die Schüler verdauen sollen. Geläufig ist auch: einem das Mau! schmieren, einem ums Man! gehen: ihm schöne Worte geben, Versprechungen machen, die nicht gehalten werden; vgl. Luther (,Tischreden4, 1577, Bl. 362a): ,,Einem das Maul schmieren, ohne ihm etwas zu geben“. So auch 1529 bei Joh. Agricola (Nr. 692): „Erschmirbt yhm das Maul, und gibt yhm ein dreck drein. Das ist, er betrügt yhn“. /Honig. Einem das Maul stopfen: ihn zum Schweigen bringen, um nicht weiter von ihm belästigt zu werden. Nach einer lat. Fabel des Phaedrus versucht ein Dieb dem kläffenden Hofhund ein Stück Brot anzubieten, um ihm das Maul zu stopfen, damit er nicht mehr belle (vgl. Singer I, 118, II, 43). Luther gebraucht die kräftige Wndg. öfters in seiner Bibelübers.: z.B. Ps. 107,42: „Aller Bosheit wird das Maul gestopft werden“; Ps. 63, 12 steht: „Lügenmäuler stopfen“; Ps. 40, 10 und Luk. 11, 53: „Den Mund stopfen44. Geiler von Kaisersberg sagt: „Wenn du jedermanndes maul wöltest stopfen, würdest du fürwar nirgendt lumpen und scher wollen gnug bekommen mögen44. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 (41, 27f.) findet sich die Rda. angewandt auf Klatschbasen und schwatzhafte Narren, denen es niemand recht machen kann: Der muß mäl han, vil me dann vil, wer yedems mul verstopfen wil. In lat. Form auch bei Heinrich Bebel (Nr. 340): ,,Multa farina opus est, si quis omnium hominum ora occludere velit“. 1541 führt Seb. Franck an (I, 85): „Der muß vil mel haben, der alle meuler wil ver- kleyben“. Bei Abraham a Sancta Clara („Judask I, 181) heißt es: „Es gibt wohl zu Zeiten einen schlechten Doctor, über den kein Patient thut klagen, denn er stopffet ihnen allen das Maul zu mit der Erden“. Sehr drastisch ist die aus neuerer Umgangssprache bezeugte Rda. Dem sein Maul muß noch hes. totgeschlagen werden. wenn er mal stirbt, womit man einen boshaften Schwätzer brandmarkt. Ähnl. auch in den Mdaa., z. B. schwäb. ,Bei dear muaß ma amaul d’Gosch oiges toatschlaga1; ,wemma dear d'Gosch zuanäha, no tät se no zua de Nähta rausbäbbera1; ,dia hot a Maul wie a ScheraschleifeC. Das Mau! geht ihm wie geschmiert, er läßt kein Spinnweb vor seinem Mau! wachseti, sein Maul geht ihm wie ein Schlachtschwert, wie ein Entenarsch, er hat seiti Maul nicht in der Hosentasche stecken. So schon bei Schuppius: ,,Wann Sie mich aber mit der Feder angreifen wollen, so will ich meine Feder und mein Maul nicht in die Hosentasche stecken, sondern mit Gottes Hülf sehen, daß ich Ihnen allein Mann's genug sei“ (vgl. frz. ,11 ne met pas sa langue dans sa poche4). Dem Schweigsamen umgekehrt ist das Mau! zugefroren oder er hat es gar zu Hause vergessen:oder aber er sitzt still da und hält die Zunge im Maul. 630
Maulaffe Die Rda. sich den Mund (das Maul) wischen hat mannigfachen Bedeutungswechsel erfahren. Urspr. wischt man sich das Maul (das Wort erscheint noch im 16. Jh. in edlem Sinne), nachdem man eine Speise verzehrt, wie die Edelfrau und Vögtin in Hans Sachs' ,Edelfrau mit dem Aal4 39: „wischten darnach das maul paidsam". Dann tut man in iron. Sinne dasselbe, wenn man nichts davon bekommen hat, wenn man ohne Anteil geblieben ist. Sodann wird die Geste angewandt, um anzudeuten, daß man überhaupt keinen Anteil an etw. hat. ln dieser Anwendung kann die Geste (und die aus ihr gewordene Rda.) auch auf Heuchelei zurückgehen. In diesem Falle stellt man sich unbeteiligt (wischt sich das Maul), obwohl man eigentl. recht stark beteiligt sein sollte. In älterer Zeit findet sich die Rda. gerade in diesem Sinne recht oft. In Hans Sachs',Krämer mit den Affen1 (105) wischen die Spottvögel sich „den mund, drollen davon", und in desselben Dichters .Zwei Gesellen mit dem Bären4 (117) wischt sich der Ausreißer ebenfalls „den mund und geht darfon44. Der heutige Gebrauch der Rda. nähert sich mehr der ersten, iron. Umdeutung, insofern als sie heute fast durchgehend in der Bdtg. verwandt wird, keinen Anteil an einer Sache erhalten zu haben, auf den man doch eigentl. ein Anrecht hatte oder zu haben vermeinte. Maulaffe. Maulaffen feilhalten (feilhaben, -tragen, -bieten; verkaufen): mit offenem Mund untätig Zusehen, dumm dastehen und glotzen, ohne etw. zu tun, auf törichte Weise seine Neugier bekunden. Die Erklärung der Rda. ist nicht einfach, weil sich offenbar ganz verschiedene Vor- stellungs- und Sprachbereiche unentwirrbar vermischt haben. Man hat die Rda. früher fälschlich gedeutet als Übers, von ndd. ,dat mul apen hollen4 in hd. ,das Maul offen halten4; in Holst, sagt man noch heute ,he steiht mul apcn‘. In der Entwicklungsgeschichte unserer Rda. müßten dann aus ndd. ,apen‘ = offen durch eine doppelte Volksetymologie schließlich die Affen geworden sein. Abgesehen davon, daß damit das Wort ,feilhalten1 nicht erklärt ist, spricht gegen diese Deutung, daß es auch im Ndd. zusätzlich noch die Wndgn. ,MuIa- pen to kop hebben4 und ,Mulapen verkö- pen4 gibt. Doch scheint der Rda. eine andere Realvorstellung zugrunde zu liegen: Der Kienspan, mit dem man einst das Haus notdürftig erhellte, wurde gelegentlich, wenn man die Hände nicht frei hatte, zwischen die Zähne geklemmt, wie es Olaus Magnus bereits im 16.Jh. für die nordischen Völker berichtet (,Historia de gentibus septentrionalibus4. Dt. Ausg. Basel 1567, Kap. 16): „Vber das braucht man auch durch alle mittnächtige Länder das Kienholtz in allerley gestalt / wie die gemeinen Haußkertzen / Nemlich also / wann einer mit beiden henden zuschaffen hat / steckt er etliche dünn geschnittne spän / so vil er will vnder die gürtein, vnd nimpt ein brennenden spon in den mundt !... geht also hin vnd wider wo er will/... vnd arbeitet was jm gefeit...44 Ähnl. im finn. ,Kalewala-Epos‘ (23.Rune, V. 175 ff.): „In dem Mund ein Feuerhölzchen44. Es lag nahe, den Tonklotz, der dem brennenden Kienspan als Unterlage diente, in einen menschlichen Kopf umzubilden, dessen verbreiteter Mund den Span hielt. Tatsächlich sind solche Tonköpfe als Kienspanhalter seit dem 13. bis 14. Jh. nachweisbar, und sie wurden in Oesterr. als ,Maulauf4 oder ,GeanmauI4, in Süddtl. als ,Gähnaffen‘ bez. (vgl. ,jem. einen Gähnaf- fen machen4, eine Grimasse mit offenem Mund und herausgestreckter Zunge schneiden). Später wurden diese Kienspanhalter aus Eisen hergestellt, behielten aber den alten Namen, obwohl sie nicht mehr die Form eines Kopfes mit geöffnetem Mund, sondern die Form eines in der Höhe verstellbaren zangenförmigen Gerätes bekamen. Dies entspricht durchaus analogen Bez. bei anderen Leuchtgeräten wie ,Leuchterweibchen4 (Kerzenhalter), ,Ölgötze4 (HängeVorrichtung für die Öllampe); vgl. ,dastehen wie ein /Ölgötze4. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß mit Maulaffe in den Mdaa. z.T. noch andere Realien bez. werden, bei denen eine größere Öffnung, ein ,offenes Maul4 zu diesem Namen Anlaß geben konnte. So wurde in Marburg/Lahn ein mürbes Weizengebäck als Mflulaffe bez., in Lübeck ein tönerner Behälter für glühende 631
cï>o na , einem uimvr ciifrf £r Am andren \in«)cr. “ \ £N JMI / T>cr ^la^rc (jafen {fyonef am. ^uctlfen .in 5c()u£rt fxl)a(0t Oay anArr m &r|d>^cbt jeiem fagen. u>cr er * ift fonui|t ailfh^^borcn u>df b\r brtff
Der ein. Ccfjzrt 0 ce 5cf)aaflfl Der animer iic Scfjwcxn^. 1 \Ji( je(c()rcyj \mà itienwj Wjo(( .
Maulaffe ,Maulaffen feilhalten1: 1 Der brennende Kienspan kann im Notfall mit dem Mund gehalten werden; 2 Eiserne Kienspanklemme, sog. ,Maulâff; 3 Stövchen, sog. ,Mulapen‘; 4 Kienspanhalter aus Ton, sog. ,Geanmaur oder ,Mulaffe‘ Kohlen zum Wärmen der Füße als ,Mul- apen4. Noch heute bezeichnen die Apotheker mit Maulaffe ein Glasgefäß mit sehr weiter Öffnung. Auch die Pferdekopfverzierungen an Mecklenburger Bauernhäusern werden ,Mülapen4 genannt. Von allen diesen als Maulaffe bezeichneten Gegenständen könnte das tönerne Stövchen, die Lübecker Fußwärmevorrichtung, am ehesten auf dem Töpfermarkt ,feilgeboten1 worden sein. Daß aber bei dem bildl. Vergleich tatsächlich zunächst an den Kienspanhalter gedacht war, beweist Luthers rdal. Vergleich ,,wie die Oelgötzen und Maulaffen44 (Weim. Ausg.I, 528), denn ebenso wie der Maulaffe ist auch der Ölgötze ein Leuchtgerät. Auch einzelne gleichbedeutende landschaftliche Ausdrücke, wie z. B. schwäb. ,Gahnaffen feilhalten4, beweisen, daß mindestens in Süddtl. der Kienspanhalter gemeint gewesen sein muß. Parallel zur Bez. von Sachgütern mit einer maulartigen Öffnung ist der Ausdr. Maulaffe auch als Schimpfwort für eine mit offenem Mund gaffend dastehende Person, sowie i. S. v. dummdreister Nichtstuer, Nörgler, Maulheld, Narr, schaulustiger Gaffer verwendet worden. In diese Richtunggehensämtliche älteren bekannten lit. Belege des Wortes. Schon Luther erklärt (Weim. Ausg. II, 126b); „Einen, der das Maul aufsperrt, den wir auff teutsch einen Maulaffen halten44. In dem Wb. von Frisch (1741) findet sich zu Maulaffe die Erklärung: „homo imperitus, qui aperto ore omnia admiratur44. Schiller schreibt in ,Kabale und Liebe4 (II,2): „... aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen44; Goethe in Rom: „Kann ich doch von hier aus die Eroberer bis an die Weser und bis an den Euphrat begleiten oder, wenn ich ein 634
Maus Maulaffe sein will, die zurückkehrenden Triumphatoren in der heiligen Straße erwarten“. ln allen diesen lit. Belegen ist zwar von Maulaffen, nicht aber von ,feilhalten1 die Rede. Die Ausbildung der heute gebräuchl. Form der Rda. ist daher zweifellos erst eine sekundäre Entwicklung. Die jüngere, erst seit dem 17.Jh. vorkommende Prägung scheint sich in Analogie zu anderen Wndgn. ausgebildet zu haben. Immerhin kommen auch Wndgn. wie ,Narren feilhaben1 (schon mhd. bei Neidhart, 51,27: ,,toren veile füeren''), ,Affen feilhaben' vor, in denen ,feilhaben' den Nebensinn hat: etw. Unsinniges, Unnötiges in überflüssigem Vorrat haben und daher überall ausbieten. Als Mischform gilt auch schwäb. ,Das Maul feil halten', sich in alles mischen, bair. ,off haben', den Kramladen offen haben, feilhaben, oder auch eine Wndg. für den Müßigen: ,herumstehen und die Zunge im Maul halten'. Obwohl Maulaffe, wie wir gesehen haben, primär keine Affenart bez., ist doch bei Ausbildung und Verbreitung der neueren Rda. auch an eine Analogiebildung zu anderen Schimpfwörtern zu denken, die mit dem Wort ,Affe‘ gebildet werden, wie z.B. ,Teigaffe' (Bäcker), ,Hornaffe', ,Greinaffe‘ (Schreiliese), ,Grienaffe' (Grimassenschneider), ,Zieraffe' (eitles, sich spreizendes Mädchen), /Affe. Lit.: PBB. 5, S. 404 ff.; E. Schmidt: Charakteristiken, 2. Reihe (1901), S. 5 Iff.; Richter-Weise, Nr. 135; K. Brunner: Bauerntöpferei und volkstiiml. Fayencen, in: Zs. f. Vkde. 20 (1910), S. 266 ff.; R. Schämen .Geanmaul* und ,Maulauf\ in: Wiener Zs. f. Vkde. 31 (1926), S.6-9; B.Schier: Ein Beispiel sachkundlicher Namensforschung, in: Suddt. Zs. f. Vkde. 2 (1929), S. 167-172. Maulsperre. Die Maulsperre kriegen: vor Staunen sprachlos sein; von der Tierkrankheit auf den Menschen, der mit offenem Mund staunt, übertr., schon 1809 lexiko- graphisch verzeichnet. Obersächs. braucht man die Wndg. vor allem scherzhaft dann, wenn der Kuchenteig bes. gut gegangen ist und die Kuchenstücke zu groß zum Abbeißen erscheinen. Maulwurf. Wie ein Maulwurf wühlen: emsig, ohne Pause arbeiten, voller Eifer sein und nicht einmal bei der Arbeit aufschauen. Der rdal. Vergleich wird bes. auf Erdarbeiten und auf Arbeiten im Bergwerk angewandt. In der Bergmannssprache hat die Feststellung Der Maulwurf schafft die bes. Bdtg. angenommen, daß durch den Sohlendruck das Gestänge gehoben wird, gleichsam als ob eine unsichtbare Kraft, die man sich in Gestalt des Tieres denkt, am Werke gewesen sei. Der alte Maulwurf wühlt fort: die geheimen Machenschaften und Feindseligkeiten werden fortgesetzt; weitere Angriffe und Schwierigkeiten werden in der Stille vorbereitet. Lit.: O. H. Werner: Der Saarbergmann in Sprache und Brauch (Diss. Bonn 1934), S.49. Maus. Da heißt keine Maus einen Faden ab, auch Davon beißt die Maus keinen Faden ab: da ist nichts mehr zu ändern; das steht unabänderlich fest; davon geht nicht das geringste ab. Die Rda. ist in der Schriftsprache und in den Mdaa. allg. bekannt. Bei Moscherosch (1650) in den ,Gesichten Philanders von Sittewald' (Bd.2, S.474) heißt es: ,,Vnd da beißt kein Mauß kein Faden ab''; so auch noch heute in schwäb. Mda.: ,Da beißt kei Maus kein Fade ab'. Eine rein rationalistische Erklärung möchte diese Rda. urspr. im Munde eines Schneiders vermuten, der von einem Kunden Tuch zur Bearbeitung erhält und so versichert, daß er nicht das kleinste Stück davon veruntreuen wolle. Man könnte auch an die Schilderung einer großen Armut denken, bei der die Mäuse nicht einmal mehr einen Faden zu nagen und zu beißen haben. Doch trifft dies weder den Wortlaut noch den Inhalt der Rda. Die Entstehung der Rda. ist vielmehr ganz anders zu erklären und steht vermutlich in Zusammenhang mit der hl. Gertrud von Nivelles, die im MA. vor allem zur Abwehr von Ratten- und Mäuseplagen angerufen wurde. Der Tag der hl.Gertrud, der 17. März, spielt im bäuerlichen Kalender eine große Rolle; es ist der Beginn des Frühlings, an dem die Winterarbeiten eingestellt werden und mit der Feldbestellung und Gartenarbeit begonnen wird. Wenn am Gertrudentag noch gesponnen wurde, so behauptete man, werde der Flachs von den Mäusen zerfressen oder der Faden abgebissen. Unter den zahlrei- 635
Maus chen Sprww., die das Ende der Winterarbeiten fordern, erscheinen in Oberdtl. und Oesterr. immer wieder die folgenden: ,Gertrud hört mit Spinnen auf, sonst läuft die Maus den Faden auf und beißt ihn ab4 oder: ,Gertrud mit der Maus treibt die Spinnerinnen aus1. Bair. ,Am Gertraudtag laufft die Maus am Rocken hinauf und beißt den Faden ab‘. Schon Joh. Fischart (,Geschichtklitterung‘) kennt den Vers: St. Gertraut mit Mäusen Die den Mägden das Werck abbeißen. Diese Sprüche wollen nur in volkstümlicher Weise ausdrücken, daß mit dem 17. März das Spinnen aufzuhören habe. Heute noch findet sich die Meinung in Hunderten von Rdaa. weit über das Gebiet des eigentl. Gertrudenkultes hinaus. Auch in den Bauernkalendern wird der Gertrudentag oft durch zwei Mäuse an einer Spindel dargestellt. Die Wndg. ist von Gertrud z.T. auch auf andere Tage mit einem Spinnverbot übertr. worden. Seit etwa 1400 taucht in den Einblattdruk- ken, die für die volkstümliche Religiosität charakteristisch sind, Gertrud mit einer oder mehreren Mäusen auf, die an ihrem Gewand oder dem Faden zur Spindel hinauflaufen oder aber sonderbarerweise auf ihrer Schulter oder gar auf ihrem Haupte ,Da beißt keine Maus (k)einen Faden ab‘ sitzen; und da die Einblattdrucke im Grunde nur 111. der volkstümlichen Auffassung sind, müssen die Rdaa. noch älter sein. Unsere allg. umg. Rda. hätte sich dann von der Heiligengestalt gelöst und allgemeinere Bdtg. angenommen. Eine Holzstatue des 14. Jh. im Schnütgenmuseum in Köln zeigt Gertrud mit einer Maus in ihrer Hand; und getreu jahrhundertealter Überlieferung backt in Oberdtl. die Bäuerin am Gertrudstag einen Eierteig, den sie um ein Salbeiblatt wickelt, so daß der Stiel wie ein Schwänzchen aussieht, dfe ,Mäusenudel4. Denkbar wäre allerdings auch ein Bezug zu der Fabel vom Löwen und der Maus, die aus Dankbarkeit den gefangenen Löwen befreit, indem sie mit ihren Zähnen seine Fesseln zerbeißt (AaTh.75): Als der Lew gieng spatzieren auß Da fing er auff dem feld ein Mauß. Gedacht, mir wers ein grosser Spot, Wen ich der Mauß anthet den Todt. Ließ sie drauff loß: darnach ward er Gefangen vnd verstricket sehr. Alß die Mauß hoert des Lewens gschrey, Kam sie vnd nagt das netz entzwey. Vnd macht den Lewen wider frey. Es sollt auch billich jederman Des andren schonen wo er kan. Vielleicht sich ein solcher findt. Der dir auß noht auch helffen kündt. (Aegidius Sadeler. Theatrum novum. Art- liche Gespräch der Thier mit wahren historien den Menschen zur Lehr. Prag 1608, S. 194.) Wo diese Fabel in der dt. Überlieferung vorkommt (z. B. in Steinhöwels Äsop, bei Burkard Waldis oder bei Aegidius Sadeler), ist indessen immer nur von ,Stricken4 oder 636
Maus einem .Netz4, nicht von einem Faden die Rede. Auch paßt der gute Ausgang der Fabel, die den Löwen entkommen laßt, nicht zum Sinn der Rda.,die die Maus den Faden eben nicht abbeißen läßt. Zu dieser Erklärung würde das engl. Sprw. passen ,mouse in time may bite in two a cable1. Wie eine gebadete Maus sieht einer aus, der ganz durchnäßt ist, dem das Wasser am Leibe herunterläuft. Schon das klassische Altertum kennt diesen rdal. Vergleich (Petronius, ,Cena Trimalchionis\ Kap. 44). Er ist wohl deshalb so geläufig, weil man der in der Falle gefangenen Maus gewöhnlich ein schlimmes Bad bereitet, indem man sie durch Ersäufen tötet. In einem Soldatenlied vom Jahre 1693 jammert der Türke: Ich gedachte das Spiel viel anders zu karten; Jetzt sitz ich wie eine gebattene Maus. Schwäb. auch ,wie eine getunkte, getaufte Maus\ Schon Hans Sachs sagt von einem Bayern, der in die Donau gefallen ist und an Land schwimmt: Stig auch an dem gestate aus Triff nasser wie ain taüfte maus. Schwäb. ,Der macht Auge wie d’Maus unterm ZiegeP (d.h. in der Falle). Schles. ,A wil andern Loiten Ratten fangen und kannem salber keene Mäuse fangen4. Die Maus stiehlt, daher schon mhd. mausen: stehlen; ausführlicher in der Wndg. nach den Mäusen werfen, so z. B. bei Hans Sachs von einem diebischen Schneider: Der schneider pehilt etlich stück Tuchs, im selber zu ungelück. Dieselben warf er in seinem haus, Wie man saget, nach der maus. Ein weiterer Beleg findet sich in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (V,Kap. 15): und die Weber bleiben aus Redlichkeit so arm, daß sich auch keine Maus bei ihnen ernähren können, denen sie etwa ein Knäul Garn nachwerfen müßten44. Das trägt eine Maus auf dem Schwänze fort: das ist äußerst wenig, ein lächerlich geringer Gewinn; dafür im 16.Jh. auch: ,Das führt eine Mücke auf dem Schwänze hinweg4. Wie die Maus im Speck sitzen: mit irdischen Gütern gesegnet sein und dieselben benutzen, um sich das Leben angenehm zu ma¬ chen; /Made. ,Der spricht auch wie die Maus im Speck: Unser täglich Brot gib uns heute!4 Leben wie die Mäuse in der Speckseite: ein behagliches Wohlleben führen. Das Gegenteil ist arm wie eine Kirchenmaus (/arm). Wolfram von Eschenbach klagt im JParzival4 (185, Iff.) über die Ärmlichkeit seines Haushaltes: dä heime in min selbes hüs, dä wirt gefreut vil selten müs. wan diu müese ir spise stein: die dörfte niemen vor mir heln: ine vinde ir offenliche niht. alze dicke daz geschiht mir Wolfram von Eschenbach, daz ich dulte alsolch gemach. Noch heute sagt man: ,vor den Mäusen sicher sein4, nichts besitzen, was zu fressen wäre; schwäb. Bei einem Geizigen ,kriege d’Mäus Blase an d'Füß4. Es ist eine Maus im Mehl: die Sache hat einen Haken, sie hat einen Fehler, ist nicht in Ordnung. Auch als Beisp. der List wird die Maus gerne in rdal. Vergleichen gebraucht, z. B. schwäb. ,Du bist gscheider als d’Mäus4; ,der moint, er hör’ d’Mäus pfeife4. Das ist den Mäusen gepfiffen: das ist umsonst. Tatsächlich hat man in früheren Jhh. bei Mäuse-, Ratten- und anderen Ungezieferplagen sich durch Pfeifen zu helfen gesucht, wie auch die Sage vom Rattenfänger von Hameln und manche Parallelüberlieferung beweist; /Ratte. Von einem sehr faulen Menschen sagt man eis. ,Dem könnte d’Müs Stroh ins Loch trojn4; ebenso Dem wird keine Maus Speck ans dem Arsch fressen; .Dem wird keine Maus Stroh in den Arsch tragen4, schon bei 637
Maus Joh. Fischart heißt es in der ,Geschichtklit- terung4 (S.57): „...daß jhnen die Mäuss also Spannen tief auss dem Arss Speck nagen...“ Eine ganz nichtsnutzige Tätigkeit nennt man sächs. ,Mäuse schwänzen4. Es ist zum Mäusemelken: es ist unerträglich, zum Verzweifeln. ,Mause zu melken4 gilt als große Unsinnigkeit; westf. spottet man von einem, der sich getäuscht hat: ,du kannst Müse melken4. Etw. Unsinniges tun bedeutet auch: ,Die Mäuse mit Speck vertreiben wollen4. Von einem, der Wind von einer Sache bekommen hat, sagt man ostfries. ,de hett’n Muske davon pipen hört4; holst. ,en Stückchen ut de Muskist singen4, schlecht singen; schwäb. ,Der singt so schö, daß d'Maus’ drvo laufe4. Mäuse merken: Unrat wittern, hinter etw. kommen; z.B. in Jean Pauls ,Titan4: „Daß von allen bisher an die Verlagshandlungen eingeschickten mit Mutmaßungen gefüllten Brieffelleisen keines Mäuse merkte“. Ähnl. schon bei Luther Mäuse riechen: „Denn er (der Papst) reuchet meuse und schmeckt den braten wol, sorget er künde damit nicht bapst bleiben44. Auch westf. ,he rüket Muse4, er ahnt nichts Gutes. Dazu in allg. Gebrauch: Mäuse (vor-)machen: Flausen, Schwierigkeiten machen. Der Schlesier Johann Christian Günther kennt den Ausdr. (,Gedichte41034): „Der Kaiser macht uns Mäuse44; auch Hermes ^Sophiens Reise von Memel nach Sachsen4, Bd.3, S. 172): „Da vergaft sich eine; machte den Eltern so viel Mäuse, daß sie sie ins Kloster sperren“. Aussehen wie ein Topf voll Mäuse sagt man von einem, der ein verdrießliches Gesicht macht, bes. auch von schmollenden Frauen. Meckl. fragt man einen Verdrießlichen: ,Hest Müs freten?4 Da möchte ich Mäuschen spielen (oder sein): das möchte ich im verborgenen mit anhören. Dazu gehört auch mäuschenstill und die ndd. Rda. ,Müseken besliken4, es sehr listig anfangen. „Es sei den Mäusen gesagt44 heißt es bei Johann Fischart für: ,Es sei leise unter uns gesagt4. Goethe in der Ballade vom getreuen Eckart: „Schweiget und horchet wie Mäuslein“. Der Vergleich ist alt und wird schon in der Dichtung des MA. zur Bez. größter Stille verwendet; vgl. z.B. Heinrich von Freibergs ,Tristan4 (V. 5919 ff.): Do allez daz entslafen was in gademe und in palas daz dâ lac in dem hus, und sich nindert regte ein müs. Maus wie Mutter: eins wie’s andere; vgl. ,Jacke wie Hose4 (/Jacke), ,gehupft wie gesprungen4 (/hüpfen) und ähnl. Wndgn., schon in Luthers ,Tischreden4 51,b. Es war keine Maus da; auch Es war keine Maus von einem Menschen da: es war niemand da. Schwäb. ,Der hot seine beste Maus schon gfange4, seine beste Zeit ist vorbei, es geht mit ihm bergab. ,1 muß meine Maus anderst richte4, die Sache anders anfangen. Mäuse im Kopf haben: verrückt sein; ähnl. wie ,Grillen im Kopf4 (/Grille); auch ,Mäusenester im Kopf haben4 (ndl. ,mui- zennesten in het hoofd hebben4). Weiße Mäuse sehen: stark betrunken sein; im Volksmund wird häufig die Meinung vertreten, weiße Mäuse gäbe es nicht. Bis dahin wird noch manche Maus in ein ander Loch schlüpfen: bis dahin ist noch viel Zeit. Schwäb. ,Do fendet siebe Meis koi Loch4, es hat keinen Sinn, es gibt keinen Platz mehr. hi ein Mausloch kriechen mögen: aus Angst oder Scham sich verstecken mögen. Das Mauseloch steht sinnbildl. für jeden Schlupfwinkel. Das Bild findet sich zuerst am Ende des 12.Jh. im ,Erec4 des Hartmann von Aue (V.6655): „Und fluhen ze loche sam diu müs“. Schles. ,lch finde ihn, und wenn er im tiefsten Mauseloch steckte4. Daß dich das Mäuslein beiß'!Diese scherzhafte Verwünschung und harmlose Fluchformel, die heute bes. in den südl. Teilen Dtls. bekannt ist, war früher gar nicht so harmlos. Das ,Mäusle4 ist nämlich keineswegs eine kleine Maus, sondern volksety- mol. entstellt aus frühnhd. ,Meisel\ mhd. misel (gekürzt aus miselsucht) = Aussatz. Als man ,Meisel4 nicht mehr verstand, wurde es zu ,Mäusle4 umgebildet. Noch in einem Erfurter Judeneid aus dem 12.Jh. heißt es: ,daz dich di miselsucht bistê!4 ^bestehe4, d.h. befalle). Die urspr. Bdtg. der Rda. wäre also eigentl.: Mögest du vom Aussatz befallen werden! Gegen diese Deutung spricht das Verbum ,beißen4. Es 638
Meerrettich könnte allerdings sein, daß die Verbindung von Mäusle und beißen erst nach der Umformung von Meisel zu Mäusle entstand, mit ihr auch die Rda. in der heutigen Form. Analog gebildet erscheint ,Daß dich der Has beiß’!' (schwäb.), wobei also auch ein harmloses Tier beißt. Hier zeichnen sich allerdings auch andere Zusammenhänge ab (Schwank von den sieben Schwaben, die Angst vor einem Hasen haben). .Das Mäusle beißt' nennt man in schwäb. Kindersprache auch den Schmerz am ,Elektrisierknochen* des Ellbogens. Lit.: O. Meisinger: Da beißt keine Maus einen Faden ab, in: Zs. f. dt. Mdaa. 4 (1909). S.24f.: H. Ahrens: Die Fabel vom Löwen und der Maus in der Weltlit. (Diss. Rostock 1920); K. Rother: Hund, Katze und Maus im schles. Sprw., in: Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde. 16 (1925); W. Treutlein. Das Arbeitsverbot im dt. Volksglauben (Bühl 1932), S.63ff.; M.Zender: Die Verehrung der Hl. Gertrud von Nivelles, in: Räume und Schichten ma. Heiligenverehrung (Düsseldorf 1959), S. 89-143, sowie Abb. 4-10. mausig. Sich mausig machen: sich hervordrängen, sich durch lautes Wesen unangenehm bemerkbar machen; eine bereits im 16.Jh. bezeugte Rda., die nichts mit der /Maus zu tun hat, sondern auf die Jagd mit Falken zurückgeht. Mhd. ,müzec‘ (zu ,mu- zen* = die Federn wechseln, aus lat. mutare) bez. den Jagdfalken, wenn er die (erste) Mauser überstanden hat und dadurch übermütig und zur Jagd bes. geeignet wird. Die Falkner suchten die Mauser, wenn sie sich verzögerte oder gar ausblieb, durch bes. Mittel hervorzurufen. Man nannte dies ,mäusen\ d. h. den Falken mausig machen. Daraus ist die Rda. entstanden, die anfänglich noch durchaus lobenden Sinn hatte: „New Besen keren wol... new Ehehalten (Dienstboten) machen sich den ersten Tag zween oder drei so maußig und rüstig, das die Hern wünschen, es soit keiner kein Ehehalten über acht Tag halten“ (Seb. Franck, »Sprichwörter'I, 84 a). Bald aber tritt der Nebensinn des Übermütigen in den Vordergrund, so daß mausig die Bdtg. .vorlaut, unverschämt* annimmt. Das Sprachgefühl des Volkes bringt aber heute mausig gelegentl. mit Maus in Zusammenhang, so in dem ndd. Sprw.: ,De sik musik maakt, den fret de Katt'. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S.323. Mecklenburg. Das Mecklenburgische Wappen machen: die Ellbogen auf den Tisch stemmen und den Kopf in die Hände stützen. Die Rda. bezieht sich auf das alte meckl. Wappen, das einen Ochsenkopf führte. Einen Mecklenburger zu Hilfe rufen, auch: .nach dem Mecklenburger greifen': nach dem Prügel greifen. Die heute ausgestorbene Rda. bezieht sich auf das einstige Mecklenburger Prügelgesetz. Meer. Das Meer ausschöpfen (auch ausbrennen, austrinken, austrocknen) wollen: Unmögliches versuchen; auch von einer langwierigen Arbeit gesagt, deren Ende man nicht absieht (frz. ,c’est la mer à boire'); ebenso: ,das Meer mit einem Schwamm austrocknen'; ,das Meer in ein Krüglein schöpfen'. Der hl. Augustin erklärte das Meer auszuschöpfen für nicht unmöglicher als das Geheimnis der Dreieinigkeit zu ergründen. (Lüpke, S.25). Am Meer wohnen und Wasser suchen: etw. Unsinniges tun; ebenso: ,auf dem Meer nach Wasser gucken'; ,auf dem Meer säen'. Ans Meer gelten, um seine Hände zu waschen: einen großen Aufwand für eine kleine Sache betreiben (vgl. frz. .pour laver ses mains on ne vend pas sa terre'). Meerrettich. Mach nur keinen Meerrettich!: Sei kurz und bündig! Bes. obersächs. steht Meerrettich übertr. für: weitschweifiges Geschwätz. In gleichem Sinn sagt man auch: .Mach nur keen Senf her!' In Oesterr., wo man statt Meerrettich ,Kren‘ sagt, gilt die Rda.: .sein Kren dazuageben', seine Ansicht über etw. äußern (/Senf). 639
Mehl Mehl. Kein Mehl im Maul behalten: frei heraus seine Meinung äußern (so schon in Luthers Tischreden1). Obersächs. ,Mehl im Munde und Holzbündel im Schlunde haben4, undeutlich, unverständlich reden. Es ist aus demselben Mehl gebacken: die Sache hat dieselbe Herkunft. Es geht viel Mehl in den Kasten sagt man von jem., der für Geschenke empfänglich und bestechlich ist. Gemahlenes Mehl mahlen: etw. Überflüssiges tun. Els., ’s is bös Mehl a de Knöpfle\ die Sache steht schlimm; bair. ,Es kommt ihm alles durcheinander wie dem Bettelmann das Mehl4, er bringt alles durcheinander. Mehlspeise. Das is a Mehlspeis’ zum Umhängen - als Antwort auf eine dumme Frage - ist eine scherzhafte Rda., die man in Wien, aber auch sonst in Oesterr. häufig hören kann. Noch gesteigert, aber dann mit anderer Bdtg., lautet sie: A Mehlspeis1 zum Umhängen mit drei Reihen Knöpf (wenn man sehr viel Bewirtung erfahren hat). Die Rda. ist heute nur noch bildl. gemeint, muß ursprüngl. aber unmittelbar sinnfällig und verständlich gewesen sein. Die Realbeziehung geben wohl die mannigfachen Bräuche, bei denen Brot oder bestimmte Ge- bildbrote umgehängt werden (,Mehlspeis' = Kuchen). Der Umhängebrauch eines festlichen Brotes (an Mensch und Tier) läßt sich von antiken Zeugnissen bis etwa zur umgehängten Brezel im Faschingsbrauch verfolgen. Die Rda. als sprachl. Bild für etw. Unwahrscheinliches zeigt, daß der Brauch unverständlich geworden ist oder nur noch scherzhaft geübt wird. Der Witz der Rda. liegt einmal darin, daß ,Brot4 nicht gleich ,Mehlspeise4 ist, zum anderen, daß eine Mehlspeise zum Essen und nicht zum Umhängen da ist. Lit.: L. Kretzenbacher: ,A Mehlspeis’ zum Umhängen'. Kleiner Versuch über eine scherzhafte Rda., in: Blätter für Heimatkunde (Steiermark) 35. H.2 (1961), S.41-49; E. Burgstaller: Brauchtumsgebäcke und Weihnachtsspeisen (Linz 1957). Meinung. Jem. die Meinung sagen: urspr. einfach sagen, was man meint; dann: es sehr nachdrücklich tun; daraus allg.: mit Worten derb anfassen. Schon in Lindeners ,Katzipori4 (53) sagt „die Frau dem junkern bald die meynung44. Jem. die Meinung geigen /geigen. Meise. Da kannst du Meisen ausnehmen; damit wirst du nichts erreichen; bes. mdt. verbreitet. Das Bild der Rda. bezieht sich auf die Wertlosigkeit eines Meisennestes, das einer ausräumt. Eine Meise (unterm Pony) haben: nicht recht bei Verstand sein; eine vorzugsweise berl. Analogie zu ,einen /Vogel haben4. Menge. Jede Menge: viel, unbegrenzt viel; auch in rauhen Mengen (,rauh4 von neu- hebr. raw = viel); die schwere Menge. Alle diese Wndgn. sind neuere umg. Steigerungen von viel und Menge. Mensch. Einen neuen Menschen an ziehen: sich (zum besseren) ändern; die Wndg. ist bibl. Herkunft und hat ihren Urspr. in Eph. 4, 22. 24: „Leget von euch ab den alten Menschen..., und ziehet den neuen Menschen an44 und Kol. 3,9.10: „ausgezogen den alten Menschen mit seinen Werken und angezogen den neuen44. Wie der erste Mensch (auch wie die ersten Menschen): weltunerfahren, unwissend, unmodern, töricht, unbeholfen; sold, seit dem 1. Weltkrieg, dann in allg. Umgangssprache übergegangen. Mensch und Vieh verrückt machen: jedermann in Aufregung versetzen. Es menschelt: t\\\ hoher Würdenträger läßt erkennen, daß auch er mit menschlichen Schwächen behaftet ist; vor allem obd. geläufig. Ein Menschenfreund sein: auf Gewaltanwendung verzichten; urspr. berl. seit etwa 1900, jetzt allg. umg. geläufig. Mensch Meier! erstaunte Anrede; ihre Herkunft ist ungeklärt; die Wndg. ist erst im 20. Jh. auf gekommen, wahrscheinl. Erweiterung der gemütlichen Anrede ,Mensch4 oder auch ,Menschenskind!4. Jem. auf die Menschheit loslassen: eine fertig ausgebildete Person aus Schule oder Lehre entlassen; iron, angewandt. Messe bedeutet sowohl den Gottesdienst wie (urspr. mit dem kirchlichen Fest verbunden) den Jahrmarkt. Beide Bdtgn. fin¬ 640
Metzgersgang den sich auch in Rdaa. -Auf dem Rücken zur Messe gehen:TM seiner eigenen Totenmesse getragen und begraben werden. Er hört nur Messe, wenn 's im Kalender rot geschrieben steht: er geht nur selten in die Kirche. Er hat gern kurze Messen und langes Essen: er ißt gern gut, der sinnliche Genuß geht ihm über den geistigen. In die jüdische Messe gehen: gar nicht in die Kirche gehen (weil die Juden keine Messe kennen). Sie sind vor der Mess z Opfer gange: sie haben sich bereits vor der Trauung als Eheleute betrachtet; die Wndg. wird Schweiz, gebraucht, wenn eine Neuvermählte zu früh niederkommt. Zur Messe kommen, wenn die Buden leer sind: zu spät kommen, die günstige Gelegenheit versäumen. Das dauert keine Leipziger Messe: das geht schnell, dauert nicht lange; von den berühmten Leipziger Messen dauerten die beiden großen, die Ju- bilate-(Oster-) und die Michaelis-Messe seit alters je vierzehn Tage. Der letzte Messeschrei: die letzte Messeneuheit (/schreien). Messer. Jem. das Messer an die Kehle setzen: ihm hart, nachdrücklichst zusetzen; bezieht sich eigentl. auf die Absicht, ihm den Hals abzuschneiden; ebenso jem. ans Messer liefern; das Messer sitzt ihm schon an der Kehle, eigentl.: der Tod droht ihm, vom Schlachttier oder vom Kampf hergeleitet, dann übertr.: er ist in arger Geldnot. Das Messer beim Heft haben, heute meist bloß das Heft in der Hand haben: die Macht, die Gewalt haben. So schon bildl. in mhd. Zeit, z.B. in Ottokars oesterr. ,Reimchronik1 (V.956ff.): Do wart der Franzoisaere dinc in Cecili dester bezzer, si heten daz mezzer begriffen bi dem hefte. Die Entscheidung stellt auf des Messers Schneide:es geht ,auf Biegen und Brechen4 (/biegen). Schon in Homers ,Ilias4 (X, 173): Çupoü ïozazai àxpfiç4. Mit dem großen Messer (auf-)schneiden: lügen, schwindeln, /aufschneiden. Lit. in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (Buch II, Kap. 18): .. es werden sich etliche fin¬ den, die sagen werden, Simplicius schneide hier mit dem großen Messer auf44 (gemeint ist die Brockenfahrt). Ein Messer ohne Klinge, an dem der Stiel fehlt: ein ,Nichts4, scherzhafte Wndg., die G. Chr. Lichtenberg (1742-99) geprägt hat. ,Er legt gleich das Messer bei der Käs‘ sagt man rheinhess. von einem, der entgegen bäuerlicher Gewohnheit gleich mit seiner Rede herausrückt. Da steckt das Messer: da liegt der /Hund begraben. Das Messer im Ferkel stecken lassen: eine Arbeit unvollendet liegen lassen. Da geht einem das Messer im Sack (oder in der Tasche) auf: man wird sehr zornig, sehr erregt; schon um 1900 in Baden bekannt. Von einem stumpfen Messer sagt man: Auf dem Messer kann man nach Breslau (auch Rom, Paris, Köln) reiten; schlew.-holst. ,Dat Meß is so stump, dor kannst mit’n bloten Ars op na’n Blocksbarg rieden4 ; ,op sien Mess kunn en Hex ahn Ünnerbüx up na’n Blocksbarg rieden4; von der stumpfen Sense heißt es meckl.: ,Dor kann ’n up nah’n Blocksbarg riden!4. Der Messerritt ist unverkennbar ein Hexenritt und bezieht sich auf den Volksglauben: Man darf sein Messer nicht mit der Schneide nach oben legen, weil sonst die Hexen darauf nach dem Blocksberg reiten. Lil.: L. Berihold: Sprachl. Niederschläge absinkenden Hexenglaubens, in: Volkskundl. Ernte. Hugo Hepding dargebracht, Gießener Beiträge zur dt. Philologie 60 (1938), S. 32-39; /„. Röhrich:Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 260. Metzgersgang. Einen Metzgersgang getan haben (obd.): einen vergeblichen Gang getan haben, umsonst dagewesen sein; entspr. ndd.,eenen Slachtergang don4, mdt. ,einen Fleischergang tun4. Die Rda. ist seit dem Anfang des 18. Jh. bekannt und wird damit erklärt, daß die Metzger oft manchen vergeblichen Gang über Land tun mußten, um bei den Bauern Schlachtvieh einzukaufen. Von einer solchen unnützen Reise sagt man auch, wortspielend mit dem Ortsnamen Calbe (a.d. Saale, a.d. Milde usw.): ,das wareine Reise nach Calbe4. Vielleicht steht im Zusammenhang mit den oft erfolglosen Einkaufsfahrten der Metzger auch Tell- heims Äußerung in Lessings ,Minna von Barnhelm4 (III,7): „Ohne Absicht heute 641
Michel hier, morgen da dienen: heißt wie ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts“. Wahrscheinlicher jedoch ist die Beziehung auf stellungslos wandernde Fleischergesellen. Ut.: E. Johann: Das Jahr des Metzgers. Der Wurstolo- gia anderer Band (Frankfurt a.M. 1957). Michel. Der Deutsche Michel gilt als Verkörperung des Deutschen allg.; ihm sagt man Schwerfälligkeit, Schlafmützigkeit und gutmütige Unklugheit nach. Der heilige Michael war der Schutzheilige der Deutschen. So war der Weg zur Personifizierung des Deutschen als ,Micher nicht weit. Der früheste Beleg findet sich in Sebastian Francks Sprichwörtersammlung (1541). Im 1. Band stellt Franck einige weiberfeindliche Sprww. zusammen und fügt dann sehr unhöflich hinzu, sie seien „so torecht Tier“, daß etliche daran zweifeln, ob man die Weiber überhaupt unter die vernünftigen Menschen rechnen könne. In Ränken und Listen seien sie „ja eitel geschwind Doctores“, hingegen „in nötigen Sachen können sie weniger dann der teutsch Michel“. Im 2. Bd. führt er als Bez. für grobe und dumme Menschen an: „Ein grober Algewer Bauer, ein blinder Schwab, ein rechter dummer Jahn, der teutsch Michel, ein teutscher Baccalaureus“ (damals der niedrigste akademische Grad). In einer der frühesten Quellen, in Martin Schrots Spottbilddichtung vom Jahre 1546, ,Von der erschrecklichen Zerstörung und Niederlag des ganzen Papsttums1, läßt der Dichter die Ritter des dt. Ordens in Preußen klagen: „Wir sein verdorben Edelleut ... Spot unser jedermann behend / Die teutschen Michel man uns nennt, / Ist wahr, können nit vil Latein, / Denn Fressen, Saufen, Buben sein“. Seit der Reformationszeit bez. man mit diesem Spottnamen die gutmütigen, aber unbeholfenen und einfältigen Deutschen, die sich von fremden und eigenen Zwingherren alles gefallen lassen. Jakob Frey berichtet in seiner ,Gartengesellschaft4 (1556,14) von einem beschränkten Pfarrer und deutet sein Wesen mit den Worten an: „Er wußt weniger, weder sein Pfarrkinder, ja weniger dann der teutsche Michel“. Die ,Zimmeri- sche Chronik4 bringt den Michel mit einem andern Beiwort: „Er (Schenk Albrecht) hatt ein Narrn, war ein lauters Kind, man nampt (nannte) ihn unsern Michel44. Die Wbb. des 17.Jh. nehmen den alten Gattungsnamen wieder auf. Zuerst Georg Henisch, Teutsche Sprach und Weisheit4 (1616): „Ein einfältiger Teutscher Michel rieht kein ketzerei an“. Sodann verdient ein Aufruf des „Deutschen Michels44 zum Kampf gegen die Fremdländerei und Sprachvermengung des 17.Jh. hervorgehoben zu werden. Erst ging ein Gedicht im Jahre 1638 als kleine Flugschrift aus. Dann erschien es im Jahre 1642, „da die teutsche Sprache verderbt war44, mit einem Spottbild auf die Modesucht der Zeit in Form eines Flugblattes: „Ein schön new Lied, genannt: der teutsche Michel etc., wider alle Sprachverderber, Concipisten und Canzel- listen, welche die alte teutsche Muttersprach mit allerlei fremden, lateinischen, wälschen, spanischen und französischen Wörtern so einfältig vermischen, verkehren und zerstören, daß sie ihr selber nicht mehr gleich siehet und kaum halber kann erkannt werden“. Durch eine endlose Aufzählung gebräuchl. Fremdwörter wird das Kauderwelsch der dt. Sprache bespiegelt und lächerlich gemacht. Mit dem Seufzer: „Ich deutscher Michel / Versteh schir nichel / In meinem Vaterland, / Es ist ein Schand“ beginnen und enden die Klageverse. Ähnl. und der damaligen Auffassung nahestehend heißt es in dem Roman von Hans Michael Moscherosch, ,Gesichte Philanders von Sittewald4 (1642,1,12): „Heuchelst du nicht mit, sondern wirst als ein redlicher deutscher Michel frei durchgehen und aus guten Herzen Alles meinen, reden und tun wollen44 und (11,35): „Einer wollte Griechisch an mich, der Ander Spanisch, der dritt Italienisch mit mir reden, aber ich sagte ihnen allen, ich wäre ein geborner Teutscher Michel, könnte kein andere Sprach als die Deutsche“. Wahrscheinl. haben diese Vorlagen Grimmelshausen zu ,Des Simplicianisch-teut- schen Michels verstümmeltem Sprach-Ge- präng4 und seinen fünf Büchern der Urfassung ,Simplicissimus Teutsch4 (1669, 11,17) veranlaßt, wo es heißt: „Ich wußte dermal weniger als der deutsche Michel, was ein Secret war44. Daß nicht Philander von Sittewald, sondern 642
Michel Cf lu fcfttffl tttî» ?KÎ> Ccittfdjc iitfjd/ Ît. SBibcr atte0prad?berbfrfccr/(£orrtfancn/$onrtpfflcn tmb <?ottfd(ïflm/ft>cfcÇeMca((c <cû#e Sfôttfcrfprad, mfeanrrfflj fWtî^Pm/eatdntfcfKn^lfcftfn^pmtnJfcftfri m* Sro^afifc^cti 51îtJ«m.fo titlfiUi* V<rm<{d>tn r>t'f*ttn i.rflfftr«/ *«* ®»< l«r {<lb(t nïdjf nw&r «feu« ft&f» > 90 « t l*n totrhm tm& faum futkr fan frf an* twrKn 3roX&cni OI3cf*ropm&ir</W*<M‘W'*/ ,?- t* S-9 Jfmf4kr 2Â<iKt/mfH fdHff rttßA' 0^/3San^i«Kç*pffn»/4r#*«w< t^dr n An frtanfw lUtKtlant/rfnç Ndj Ntfdjant y Jafl ft frtr <3<tnd to/rptfl )<*im t ( rettr/ X'tnïpracljofabrmfrtn/tn» rthla*dn QBdfd) *nï Sram^tdlj/baJb QÔonn a ifl pell *nt Nsil/fcr 9«« Xnr IL j. ÎVt jfhedjt «î4f((i<t</frndjf boita Btrf/ OTaim<rauf wmrçnt fj$f /tmSjnifl M< OTijB: ©KnKn&rfrtn Jtraaoi/ if>urj»>ni4>an<f f^«v ©prid» Cföfrana^Jptn .Cm'f'cr«* 1 4 î<u»f<fKn^nwn feUftidj boJtf^m/ ÏWf ibr Mt Ufumrfpradj/ ft »mf< ad) t. OfcrfcW-OenntoP^ifif wdxnKhrtn/ î>i«0prjcf)Krttbrat/K»B 3trfWhrm. f. dintaflrt mtfjjm/uui f3ulm Jifdwv C0n6 marin on rntfJiymlftfi't in rwi|tri*tf<S: îmfjHltn fea (fmf Jp / on »tsiBrrfirHamH jfrif/ »&n44n«nta/3S £.3d>m<i*i?<rf»fV *■ *7ÏW iff armirrm/ »a* auificrm / 39a*dit«na<Tnt «fMqafttm? ©a* aww^KTrt/artfctbu^m«/ OTa#an*u(mn/'4«w8(fTai ? 7 ®j<t^Wa$ufcTfn/iM<>aJtonfcKn? <SciKbfdKti/ MattTkrei ? SRd« Wafrbmmn/w-a« btutBwrŒ/ ^2SiaL&itfaminwt<anerttcn?. _ 9 TLWiff camriftm/iM* «mfimn/ Äaimhimn/ mpfcrm ? ©j#t|lntmn^i««aepjrt<Tm? m .Der deutsche Micher iS. ©«frinwitmfn/JJtfdjfpNriXiw«*/ im» fern ffatiimi/fùr îmttm ? 28a» fdn mturrm ftït a(« tfnftm/ »a» frirtparura» jüv $w«n/ r- 28a»iflcwirnMp.iM<fun<f|xrctnf«/ 28a» tfïaaf in«rim/&ddj ffordn ©dm»/ ® at fcjfta bafiaAd) maanif faffa/ yt) iMhnbnjm eumuHa/trtncTSknipli^N«, }S. M«bi bJrfPrerram/ifJ fan» «n* ttaatbfwi» »an Siamf tswii OÎ(iifrd?(f«nW/ Smmifînimbhdmtifrifi/rtfffdn «uii« «miîfdfjianbWnnni/f^mdafJiBid) fdjw**. p- CQk*ijlKrJ>4nw' aar<mf?»i^ Äratj f<r Aiawar ?mlr fdjanb rae fj*t/ 3.*r 1 fi ca f! a 6dn pard« ? 1 wadif? pTfc« fjt afefef/ad) ®«f. 4» if! ttaterfn tM» r<!tTtfr(n/ ma» us <mmtmt/Tffr<fd}tcTtn ? '2öa»rurn(tKn^«f«nm.'H(5KTfn : tra» rrixttif ttn/refbrrnterm5 41 0&a»i{J fanerai a » fîrajd jitren. nwafuftuncrai/fccuribttrtn ? 28 K fcbartwjitTfn/ma» |5mul(«m/ BM< |m«nmi/ixrfiil)mi. 4* (flÖranX'iira/wa» IfJCParuf«/ »kt iff Ott atmiraf dn 3««wal / röndff >a©ran la mate# 3/f Kbt dn ©tr«l(«t/TO» fu.ttfauac 4f 28a»if|{m prunitX/dnfcbéiKcCapdot/ *»aS^M»<a5«riPf/»4<eiN»trfV ~v«d “jJSastff aiKja/maiifl aranbua/ 2I'a# iff fortfja/fcd nxjo/ 4+ <2k«dîdn 'Urnward/ifftidn ©c&rfff<«t</ Simplicius eine sinnbildl. Gestalt dt. Schicksals wurde, liegt daran, daß Mosche- rosch kein Erzähler war wie Grimmelshausen. In der Folgezeit des Dreißigjährigen Krieges wird die Bdtg. des deutschen Mi- chel‘-Namens immer peiorativer gebraucht, so daß Kaspar von Stieler in seinem ,Teutschen Sprachschatz4 (Nürnberg 1691) ,ein deutscher Michel4 geradezu mit „idiota, indoctus44 wiedergibt. Der Ausspruch von Stieler zeigt uns, daß im 17. Jh. unter deutscher Michel4 Leute gemeint waren, die kein Latein verstanden, also Ungebildete. Erhard Weigel, seit 1654 Professor in Jena, sagte in einer seiner Streitschriften: „Das Wörterwissen bläht an sich schon auf, daß auch ein Knabe, wenn der deklinieren und konjugieren kann, sich in der Schule mehr einbildet als ein guter Deutscher auf dem Rathaus. Denn diesen heißt man Idioten, Barbaren, deutschen Michel, einen gemeinen Mann, unweise, ungelehrt und ungeschickt, welchen Schimpf gedachter Knabe schon von sich ablehnet, zu geschweigen, was ein höherer Lateiner sich einbilden muß44. Das kam aber der Gestalt des deutschen Michel4 zugute, weil er in dieser und weiteren Schriften jener Zeit als Verteidiger der Reinheit unserer Muttersprache auftritt. In Augsburg erschien 1642 das Flugblatt „Ein new Klagelied, Teutscher Michel genannt, wider alle Sprachverder- ber44. Aber auch der tapfere Reiterführer Michael Obentraut (1574-1625), der sich als Reitergeneral im Dreißigjährigen Krieg auszeichnete, erhielt den Beinamen „der deutsche Michel44. 1620 besiegte er bei einem Reiterüberfall die Spanier bei Frankental, die ihm den Namen des Deutschen Michel beigelegt haben sollen. Dies ist jedoch nicht die Quelle des bis heute fortlebenden Spitznamens, sondern die schon ältere Bez. wurde nur auf ihn übertragen. Um die Mitte des 18. Jh. bez. man mit Michel einen Bauernknecht oder einen jungen Bauern mit den guten und schlechten Eigenschaften des Landvolks, der meist nicht sehr gescheit, auch verträumt ist, aber arbeitsam und bieder und auch gemütlich als ,Vetter Michel4 angesprochen wird. In jener Zeit heißt es weiter: „Ich armer Miche- lissimus, Weltmutter, was hatt’st du verbrochen, das dich unser lieber Herrgott ließ kommen mit mir in die Wochen? Sie (andere Völker) kräftigten zu Nationen sich, 643
Michel €»i9lo6lïûr6i3C<E5r(iigt6c^mu^6t«tc^f< ecicu tbcttren ‘fccutffycit >pclfc<n/ipcrtcn Obnpcn 9J?idi<ln t»on -Öbentrauc/auß ber <£ £u* <r * Çfcaw 2:<utfc^er3lDc(/fc%att)/Dnôfc^aii?(^r^)mmiujWcftc/ %3a fcDmvt jb’^etttfcbennttim Jj)etf$en Oto'mifcben DCetcbe $ 0cbamt nn/ f<b<tmt nn man *etcb/ Die 3illp sfansen beit/ 2)nD miel) sttm fpecMcul cttcb fur Die nnfen fleHf« ‘îillp f)<u jtvar mein ieicb in feinem jman$ tmD amnite/ âber Der hebe ©off/nn Den iebmtcbffeifï fyaiul - S)e r b« r mein f<e( t>m> $eif?/ Der iefcft nam $b<fr t Der ÇrD/ S)aß er miDntmb Jit (ïemb/vnD tveni^ dfeben tverD. 3Rcin$tam *en £)be titrant/ mein £Baapen vnD Jftctnof Jp/ 0o id) Mtrcft sdaiicb @n«D er Jeifrcn b tf in ioDie/ Q5ep ter pcffcHtcr bietbt emta vtwerfeb«/ 2(ucb be p Den getnDen felbs moi g’acbfci vnD 0ofcb* ammt einre Dltcb ^)(W Da* trtrn an feinem jßenen/ 2JnD flct) von i f>m niebf moit w jemantt anter* fel>rcn. £>er ffiarit ein# frommen SWatl# rfï «lier <£ l)ren màrtb, (gtn fattier îWamafttcf rf? ein fludj auff Der ÇrD* D tvcf> Der foftn9Cotf/Die0panmfbstffaefreffen/ ’ 2JnD fciiiD ittr 9Û3rD<rpeirr|) mie 3«Da#niDersfeffen. i îôic {îraaff fompt ancb mit |>rn/ mepnepD bat fein beffanD/ <S#fep ni meicberjett/oDer in meiebemianD. Stftinn geint verfolgt/ tmD mar bei; mir fein febimpffe/ , 0ûcbt meter bep t fein JJ)an#/nocb eued) bep <jro0 jr>a n* glimpffe. SWeiti itôn<3 mar mtr Heb/tnD Da# <janti 23a tterlanbf/ 0o fepDer/0ott erbarntf/jeç |f ebt in Dtfcm (TanDt. 1 £)er 0pannier trept t>nD pocbf/tmD trite 2e wfcblanD mit fiïffen/ 1 2tl)j manu |l<b aUe iantt jbm tmbermerffcn mrtffe n. S>a# t i)at mtr febmerpheb me b/ VnD mncÿr mir an$ft tmD bang/ SOa ß ieb tm 23at te riante foie fef;cn foieften jroa n$. 2fct) l;ett mein* ftnn#$e babt Die <janp 2entf<b SXitt errafft/ 2>nD bette 0ott Der jr>en $cben fetn jna D vnD f rafft/ SWan()<« Der Heben 5>frtip/vnDanDrcm^eutfcben^uDe 0ît<bf nnt bun fotten Den fpott/vnD »uerbdrte febantt. <D7»ttt \)at ms 0ott ge(Trnfft/Der mlrtt ftcb «ttcb erbarmen/ ^înDmtDrnmbfcbnffenrflbtDen vnDertrttcften Firmen. feiner poeb mtff fetn jittef ; ©oee iff im JJ)tmme( $te<bt/ ÎDerfem(m33d(cfftnbüli' rettfetntremen^neebe« ; * * f- ,Der deutsche Micher 644
Milch £cv £5Mcg??l "^üSKO M I auf trcifcficr tenu'fratif^cr ©runMagc. Qllmrtinuf; f 1Î t 3>cutf$tanB t>imml>trei^i»\ CnnlKÜni, ({taufgtflitf« tem g)j ßch>jlfl, WW' — ötrlaß Bau <?• C. ©tß«. ^>^5 G i e und ich - ich blieb der Michel. Ich blieb der Michel und ging nach Haus und legte mich auf den Glauben; denn weil mir die irdischen hingen zu hoch, so schielt’ ich nach himmlischen Trauben. So bracht’ ich das Mittelalter herum, gehorsam Gott und dem Fürsten, den einen Hang verspürend nur, nach Sauerkraut und Würsten“. Im ganzen ist der deutsche Michel eine nicht eben schmeichelhafte Bez. für eine Zusammenfassung bes. eigentümlicher Eigenschaften der Deutschen. - Rdaa. mit ,Michel4 sind etwa: ,Michel, wach auf4;,Michel, gib dich nicht4 (nämlich ins Unvermeidliche); in Ostpr.: ,Möchel, merkst nuscht?4; in Schwab.: ,fürs Michele halten4, d.h. nek- ken; ,er spielt klein Mecheli4; in der Schweiz: ,Micheli, Mächeli, mach ins Kä- cheli4 (ähnl. in Kärnten). Zur politischen Spottfigur (mit der Zipfelmütze) wird der deutsche Michel in der Zeit zwischen den Befreiungskriegen und der Revolution von 1848. Als volkstümliche Gestalt spielt er in witzigen Flugschriften eine Rolle, wo er zu tatkräftigem Eingreifen in das politische Geschehen wachgerüttelt und aufgerufen werden sollte. Das Wort hat sich bis in die politische Sprache der Gegenwart erhalten: „Am vergangenen Donnerstag, gegen elf Uhr, wurde im Plenarsaal des Bundestages der neue deutsche Michel geboren. In wohlklingenden Wendungen beschrieb ihn Landesvater Willy Brandt seinem Volk: Der Bürger 73 arbeitet hart und zahlt ehrlich seine Steuern, er sorgt für Kunst am Eigenbau und ist lieb zu Kindern, er übt Barmherzigkeit am Nächsten und achtet Eltern und Großeltern, freudig trägt er Mitverantwortung am Staat und betrachtet,Frieden4 als ,eine Lebenshaltung4.44 (Der Spiegel vom 22. Januar 1973, S. 19). Lit.: J. E. Heß:Obentraut, in: Allg. Dt. Biographie, Bd. 24 (Leipzig 1887), S. 85f.; J. Frey: Gartengesellschaft (Bibi. d. litter. Ver. Stuttgart, Bd. 209, S.23,25); G.M. Kueffer: Die Deutschen im Sprw. (Heidelberg 1899), S. 14 f.; A. Hauffen: Gesch. des dt. Michel (1918); K. Schottenloher: Flugblatt und Zeitung (Berlin 1922), S. 400 ff. Miene. Gute Miene zum bösen Spiel machen: sich schweren Herzens etw. gefallen lassen, scheinbar gleichgültig über etw. hinwegsehen; die Rda. ist eine Lehnübers. des frz. ,faire bonne mine à mauvais jeu4 und bezieht sich auf das Glücksspiel (/Spiel). ,Jem. zum Michel machen4 Milch. Er hat nicht viel in die Milch zu brok- ken (auch gekürzt: ,er hat nicht viel zuzubrocken4): er lebt bescheiden, kann keine ,großen Sprünge machen4 (/Sprung). Das Gegenteil heißt ndd. ,He hett wat in der Melk to krömen4 (krümeln); ,he hett wat intostippen4; ebenso ndl. ,veel in de melk te brokken hebben4, viel Einfluß, viel zu sagen haben. Seb. Brant geißelt es im ,Narrenschiff4 (17,28), daß auch ein Dummer als Schwiegersohn willkommen geheißen werde, wenn er nur Geld habe: 645
Milchmädchenrechnung Man sucht eyn vß der narren zunfft, Der jnn die mylch zu brocken hab. Etw. mit der Muttermilch eingesogen haben: Eigenschaften und Eigenheiten als angeborene Eigentümlichkeit besitzen. So schon bei Augustinus (,Confessiones' 3,4): ,,Nomen Salvatoris in ipso adhuc lacte matris cor meum praebiberat“; entspr. frz. ,sucer avec le lait'; engl. ,to imbibe with one’s mother’s milk'; ndl. ,iets met de moe- dermelk inzuigen'. Nach 2. Mos. 3,8 spricht man von einem gesegneten „Land, darinnen Milch und Honig fließt“. Die Wndg. kommt in der Bibel mehrfach vor und ist auch in den klassischen Sprachen bekannt. Ndd. ,De Melk löppt mi nich mer ut dem Mund\ ich bin kein Kind mehr. ,Die Milch ist von blauen Kühen', sie ist sehr stark mit Wasser gemischt. Wie Milch und Blut aus sehen: weiß und rot, gesund sein; das Weiß der Milch und das Rot des Blutes zusammen im Antlitz gilt als ein Zeichen der Schönheit. „Hadd ik doch en Kind, so rood as Blood un so witt as Snee“ heißt es im Grimmschen Märchen (KHM. 47) ,Von dem Machandelboom', und ebenso wünscht sich die Mutter Schneewittchens (KHM. 53) „ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz“. Die Wndg. ist ein uralter poetischer Ausdr. für die Schönheit, die ängstlich vor der Sonne gehütet wurde. So steigt schon vor Parzival (Wolfram 282,20; Chrestien, Conte del Graal V.5550), als der Falke auf eine Wildgans stößt und drei Blutstropfen vor ihm in den Schnee fallen, das Bild der geliebten Cond- wiramur mit ihrer weißen Haut und ihrem rosigen Munde auf und zwingt ihn zu unwiderstehlicher Sehnsucht: üz ir wunden ûfen snê vieln drî bluotes zäher rôt, die Parzivale fuogten not... Condwîr amürs, hie lit dîn schîn. sit der snê dem bluote wîze bôt, und ez den snê sus machet rôt, Cundwîr âmûrs, dem glichet sich dîn bêâ curs. Die höfische Lyrik umschreibt die weibl. Schönheit sonst meist im Bild der Rose und der Lilie, so auch Walther von der Vogelweide (53,38): so reine rôt, so reine wiz, hie roeseloht, dort liljen var. Über vergossene Milch reden: Belanglosigkeiten erörtern, längst Entschiedenes besprechen (vgl. engl.,crying over spilt milk'). ,Über verschüttete Milch weinen', Sinnloses tun, sich über Sinnloses aufhalten. Bei ihm ist die Milch satter: er verhält sich ablehnend; er ahnt Benachteiligung; man hat ihm etw. verleidet; etwa seit 1920 (Küpperll, S. 193). Milchmädchenrechnung. Die Redewndg. eine Milchmädchenrechnung aufmachen wird bildl. auf eine unlogische Gedankenkette angewandt, auf eine an unzureichende Bedingungen geknüpfte Erwartung. Sie dient zur Verächtlichmachung und Kritik des Gegners bes. bei Haushaltsund Finanzdebatten, wenn man die voraus- berechneten Einnahmen anzweifelt. Der Ausdr. geht möglicherweise zurück auf die Fabel ,Die Milchfrau' von Joh. Wilh. Ludw. Gleim (2. Buch, Berlin 1757, S. 14) und die Fabel ,Der Milchtopf' von Joh. Benj. Michaelis (,Fabeln, Lieder und Satyren*, Leipzig 1766, S.49), die beide Bearbeitungen von La Fontaines Fabel ,La laitière et le pot au lait' sind. Lisettchen trägt in der Fabel La Fontaines die Milch in die Stadt und träumt von dem zu erwartenden Geld, das sie in die bäuerliche Wirtschaft investieren will. Voller Vorfreude hüpft sie, und Topf, Milch und Pläne sind dahin (Büchmann, S. 153). Mine. Alle Minen springen lassen: alle Kräfte in Bewegung setzen, alle Mittel ein- setzen; urspr. ein Kriegsausdr.: Der Feldherr läßt alle Pulverminen auf einmal explodieren, um einen abschreckenden Erfolg zu erzielen. Bildl. verwendet z. B. Schiller den Ausdr. in ,Kabale und Liebe' (11,3): „Ich laß' alle Minen sprengen“. Die Rda. ist wohl erst in der zweiten H. des 18. Jh. dem frz. .faire jouer une mine' nachgebildet worden. Minna. Jan. zur Minna machen: ihn scharf einexerzieren, ihn rücksichtslos behandeln, ihn einem harten Examen unterwerfen ; vgl. Ich werde zur Minna! Ausdr. höchster Verwunderung. Die Rdaa. beziehen sich viel¬ 646
Mittelweg leicht auf die schlechte Behandlung einer Hausgehilfin, für die Minna (Kurzform von Wilhelmine) ein typischer Name ist (Küpper II, S. 194). mir nichts, dir nichts /nichts. Missionsfest. Es wäre mir ein inneres Missionsfest: es würde mich sehr freuen; blasiert-burschikose Erweiterung von .es wäre mir ein Fest4 unter Anspielung auf die religiöse Bewegung der inneren Mission; um 1930 aufgekommen (Küpper I, S.224). Mist. Mist reden: Unsinn reden; vor allem imperativisch: .Rede doch keinen solchen Mist!' Mist bauen: eine sehr schlechte Leistung vollbringen, eine schlimme Tat begehen; schülersprachl. und sold, etwa seit 1930; älter ist Mist machen: schon bei Joh. Fischart (,Flöhhatz1 1577): . . hie machstu kain Mist“. Vgl. auch die modern umg. Wndgn. .erhabener Mist\ .gediegener Mist1, völliger Unsinn; ,schick garnierter Mist\ Unsinn in gefälliger Form (Küpper II, S. 194). Faul wie Mist;der rdal. Vergleich ist schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg belegt: „es seint etlich fauler dann mist“. Das ist nicht auf seinem Mist gewachsen: es ist nicht sein geistiges Eigentum, es zeigt fremden Einfluß. Das rdal. Bild geht aus von einem Bauern, der niemals fremden Mist zu kaufen braucht, sondern alles auf eigenem Mist wachsen läßt; lit. bei Goethe in .Sprichwörtlich4: Diese Worte sind nicht alle in Sachsen Noch auf meinem eignen Mist gewachsen, Doch was für Samen die Fremde bringt, Erzog ich im Lande gut gedüngt. Schreiben wie mit der Mistgabel: schlecht schreiben, gar nicht schreiben können. Der rdal. Vergleich ist bereits bei Hans Sachsens Fastnachtsspiel ,Der schwangere Bauer4 vorgebildet: „Er kan nur schreiben mit der Mistgabel44. mitspielen. Einem böse (übel) mitspielen: ihm Schaden zufügen, ihn schlecht behandeln. Die Rda. stammt vom ma. Kampf¬ spiel und dem Niederstrecken des Gegners her. Schon in mhd. Zeit geläufig; so droht im ,Tristan4 Heinrichs von Freiberg Kandin seinem Schwager Tristan (V. 3856): Ist, daz ich genzlich ervar, daz du min swester smaehen wilt, eins spils wirt mit dir gespilt, daz dîne friunt beginnen klagen. Ähnl. im 16. Jh. in Oldecops .Hildesheimer Chronik4: „Dat wart den von Hildensem capitel und stat ovel gespelet44. Mit dem Kartenspiel hat die Rda. nichts zu tun. Nicht mehr (länger) mitspielen: sich nicht länger beteiligen wollen, seine Mitwirkung aufkündigen. Mittel. Sich ins Mittel legen (älter: schlagen): bei schwierigen Verhandlungen zweier Gegner eine ausgleichende Lösung versuchen; zunächst von dem Dritten gesagt, der sich in die Mitte zwischen zwei Streitende wirft, um sie zu versöhnen; d.h. das Mittel ist hier rein örtlich zu verstehen als die Mitte. 1639 führt Lehmann S.633 (.Recht4 74) an: „Bey langem Rechtfertigen ist man endlich fro, daß sich Leut darein schlagen vnd Vergleichung machen“. .Sich schlagen4 bedeutet hier soviel wie: sich werfen, sich rasch begeben; ebenso wie in dem Schlußvers von Seumes Gedicht ,Der Wilde4; „Und er schlug sich seitwärts in die Büsche44. In wörtl. und bildl. Sinne läßt Schiller die Jungfrau sich ins Mittel schlagen bei dem Zweikampf zwischen Dunois und Burgund (Jungfrau von Orléans4). Nicht bei Mitteln sein: kein Vermögen besitzen, nicht bezahlen können, .mittellos sein4. Mittelund Wege kennen (finden): alle Möglichkeiten nutzen, guten Rat wissen, einen Ausweg zeigen. Mittelweg. Den (goldenen) Mittelweg gehen: eine ausgleichende Lösung zu finden suchen. Die Rda. geht letztlich auf lat. .aurea mediocritas4 (Horaz, Oden II, 10, 5) zurück. In Ovids .Metamorphosen4 heißt es: „Medio tutissimus ibis44 (auf dem Mittelweg gehst du am sichersten), woher die Rda. vom sicheren Mittelweg stammt. Dazu auch das Sprw.: ,In der Mitte ist das Beste4. Auch in der Lyrik Mörikes spielt der Mittelweg eine Rolle, so etwa in dem ,Gebet4: 647
Möbel Herr! schicke was du willt, Ein Liebes oder Leides. Ich bin vergnügt, daß beides Aus Deinen Händen quillt. Wollest mit Freuden Und wollest mit Leiden Mich nicht überschütten! Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden. Von dem Maler-Dichter Mörike stammt auch eine Zeichnung zum Mittelweg. Möbel. Jem. die Möbel gerade rücken: ihn vom falschen Standpunkt abbringen, ihm heftige Vorhaltungen machen; erweitert ausgleichbedeutendem ,richtigstellen* und ,zurechtweisen* (Küpper I, S.225). Mohr. Einen Mohren weiß waschen wollen: das Unmögliche versuchen; dazu das Sprw.:, Wer einen Mohren wäscht, verliert Mühe und Seife1. Als Quelle für beides wird oft der Bibelvers Jer. 13,23 genannt: „Kann auch ein Mohr seine Haut wandeln oderein Parder seine Flecken?“, aber auch schon im griech.-röm. Altertum war die Rda. ,einen Äthiopier waschen1 sprw. für eine mühselige und doch von vornherein aussichtslose Arbeit. Im Dt. ist die Rda. seit 1649 durch Gerlingius (Nr. 29/30) ge¬ bucht: „Aethiopem lavas ... Du wäschest einen Mohren, oder thust vergebliche Arbeit“, „Aethiops non' albescit. Ein Mohr wird nit weiß“. Mit einem anderen Bild heißt es frühnhd. (A. v. Keller: Alte gute Schwänke, 5, 1): Wer baden will ainen rappen weiß vnd daran legt sein ganzen fleiß, der tut, das da vnnutz ist, gar. Ähnl. im ,Eulenspiegelvolksbuch*: „das hieß wol bleichen einen Moren“; vgl. frz. ,à laver la tête d'un Maure on y perd sa lessive1; engl. ,to wash a blackamoor white*; ndl. ,het is de Moriaan gewassen*. Woher die Rdaa. Mohr machen, es wurde schwerer Mohr: große Erregung, die Familie macht großen Mohr: sie treibt großen Aufwand, stammen, ist ungeklärt; der Hinweis auf frz. Flüche wie ,mort de ma vie!*, ,mort de dieu!* hilft kaum weiter. Vielleicht .Einen Mohren weiß waschen wollen* 648
Mond ist daran zu denken, daß sich früher nicht selten Neger (Mohren) unter der höfischen Dienerschaft befanden. Mohren haben: Angst, Furcht haben. Die Wndg. stammt aus der Studentensprache; vermutl. als scherzhafte Entstellung aus A mores4. Molli. (Den) Molli machen: trunksüchtig sein, aus der Rolle fallen, ,den /Bär machen'. Die rhein. und Westerwälder Rda. geht wohl auf den Grafen von Molzberg zurück, dessen Schloß bei Wallmerod im Westerwald steht. Das Dorf Möllingen, das seinen Namen trägt, war ihm lehenspflichtig- Mönch. Das ist der alte Mönch mit einer neuen Kappe:cs ist die alte Geschichte, nur in etw. anderer Form; vgl. ndl. .Het is de oude monnik onder eene nieuwe kap4. Das Kleid (Kapuze) macht (noch) keinen Mönch: man soll nicht nach Äußerlichkeiten urteilen, da die innere Haltung entscheidend ist. Verzweifeln macht einen Mönch (Luther): Der Lebensuntüchtige zieht sich in die Geborgenheit zurück; er wählt nicht nur aus Glaubensgründen den geistlichen Stand. ,Dat is Müenke Arbeit4 sagt man im Mün- sterischen und am Rhein über eine vergebliche Arbeit. Mit einem Mönch gehen: Unglück haben, ähnl. ,den Mönch im Busen haben4. Der Angang des Mönchs galt als unglücksverheißend (vgl. HdA. I, Sp. 423ff.). Den Mönch im Sack haben: jem. in irgendeinem Sinne überwältigt haben; /Sack. Einem den Mönch stechen bez. eine höhnische Gebärde, die urspr. unzüchtig (auch apotropäisch) dasselbe meinte wie ,die /Feige weisen4. Man machte dabei die Hand zur Faust und steckte den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger hindurch. Die unzüchtige Bdtg. ist jedoch schon früh verblaßt und wurde nur noch i. S. v. ,jem. betrügen4 gebraucht. Die Rda. einen Mönch schlagen stammt aus der Druckersprache und heißt urspr.: die Farbe ist nicht gleichmäßig stark aufgetragen. Mond. Den Mond anbellen: auf jem. schimpfen, dem man nicht schaden kann. Auch frz. sagt man im gleichen Sinn,aboyer à la lune1. Die Rda. findet sich bereits im 16. Jh. in Joh. Fischarts ,Geschichtklitte- rung\ 1639 bei Lehmann S. 409 (,Hund4 27): „Der Mond fragt nichts darnach, daß ihn die Hund anbellen'4; S.723 (,Sorgen4 12): „Mancher sorgt vnnützlich wie ein ,Den Mond anbellen4 Hund, der bellet den Mond an, vnnd mey- net, er wöll ins Haus steigen44. Der Begründung, die in den letzten Worten liegt, bedarf es ebensowenig, wie der in der bekannten Fabel ,Der Mops und der Mond4 (G. Wustmann: ,Als der Großvater die Großmutter nahm4, 5. Aufl. 1922, S. 134 f.): Ein dicker Mops geht beim Mon- denschein spazieren und kommt an einen Graben. Er will darüberspringen, fällt aber hinein und bellt nun wütend auf den Mond, als ob der an dem unfreiwilligen Bade schuld sei. Der Mond, nicht wahr, der schalt doch wieder? O nein, sah lächelnd auf den Mops hernieder Und fuhr, als ging’s ihn gar nicht an, Lustwandelnd fort auf seiner Himmelsbahn. In ,Faust II4 sagt Phorkyas zum Chor der gefangenen Trojanerinnen: Wer seid ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin entgegenheulet, Wie dem Mond der Hunde Schar. 1885 schreibt Elisabeth Ebeling das Kindergedicht ,Spitz und Mond4: 649
Mond Der Spitz bellt den Mond, den strahlenden an, Den Mond, der doch nie ’was zu Leid ihm gethan. „Pfui“, brummt er, „ich hasse Dich bleichen Gesellen. Du kannst weder knurren, noch beißen, noch bellen, Du hast weder Beine, noch Ohren noch Schwanz, Hast nichts, als das bischen erbärmlichen Glanz, Bist häßlich, und über und über voll Flecken, Wahrhaftig, Du solltest Dich lieber verstecken“. Der Mond, der entgegnet dem Spitzel kein Wort Zieht schweigend am Himmel, dem nächtlichen fort, Läßt ruhig sich schelten und schilt ihn nicht wieder, Da legt denn auch endlich der Spitzel sich nieder. Doch, wenn er so bös mit dem Pudel gemurrt, Da hätte der Pudel auch wieder geknurrt, Dann wäre es sicher zum Beißen gekommen Und hätte kein friedliches Ende genommen. .Den Mond anbellen4 Zu dem Bild vom bellenden Hund gehört auch die Rda. Das hieße den Mond mit den Zähnen fassen. Der gereizte Hund fletscht die Zähne und erweckt den Anschein, als wolle er mit ihnen den Mond fassen. Im übertr. Sinn bedeutet daher die Rda.: etw. Unmögliches tun wollen, eine unmögliche Sache verlangen, vgl. frz. ,vouloir prendre (décrocher) la lune avec ses (les) dents4. Den Mond am hellen Tage suchen: sich vergebliche Mühe machen. Die Rda. ist eine Lehnübers. der frz. Wndg.,chercher la lune en plein midi (jour)4. Die gleiche Bdtg. hat auch die Rda. ,den Mond mit der Laterne suchen4. Dagegen rhein. ,den Mond anhü- len4, einsam im stillen Kämmerlein sich seinem Seelenschmerz ergeben. Neben dem Hund ist auch der Woif in Verbindung mit dem Mond gebracht worden. Das bei Rabelais (I, 11 und V, 22) zu findende ,garder la lune des loups4 hat den Sinn: unnütze Sorgen haben, sich unnötige Mühe machen. Im Dt. gibt es für diese Rda. keine Entsprechung. Das Lat. kennt ,luna tuta a lupis4, was soviel bedeutet wie: es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Nach dem Volksglauben muß alles, was gedeihen soll, bei zunehmendem Mond vorgenommen werden. Entspr. schädigt, hemmt, ja vernichtet sogar abnehmender Mond. Dieselbe Analogie zeigen folgende Rdaa: Bei ihr ist zunehmender Mond: sie ist schwanger. Grimmelshausen: ^Simplicissimus4 4, 70): „eine von unseren mägden wird wie der mond zunehmen“. Von Dienern, Beamten usw., welche die Güter ihrer Herrschaft schmälern, sagt man: ,da regiert der abnehmende Mond4. Muß bei einem Unternehmen mit Sicherheit mit Verlust gerechnet werden, so .kommt es in den abnehmenden Mond4. Den Mond im Br in inen suchet/, der am Himmel hängt: sich vom falschen Schein verführen lassen. Entspr. den Mond im Brunnen suchen:einen täuschen. Nach dem Monde greifen: nach Unerreichbarem streben. ,Schlösser, die im Monde liegen4 sind dasselbe wie Luftschlösser4. Die Wndg. ist vor allem durch Paul Linckes (1866-1946) Operette ,Frau Luna4 bekanntgeworden, wo es in der Schlußszene heißt: Schlösser, die im Monde liegen, Bringen Kummer, lieber Schatz . . . Spottend sagt man von einem, der anspruchsvoll auftritt, aber bzgl. seiner Reichtümer verdächtig ist: ,seine Güter liegen im Monde4, ,sein Geld ist im Monde4. 650
Mond „Die Grafschaft des Grafen liegt im Monde, von wo er, . . . wenn der Mond dieser Erde näher kommt, seine ungeheueren Revenüen beziehen kann“ (H. Heine II, 279). Ist jem. vom Glück außerordentlich begünstigt, so heißt es: Der Mond scheint ihm die ganze Nacht. Der früheste Beleg für diese Wndg. findet sich bei Hans Sachs (,Fastnachtspiele' 2, 143, 58): „Jetzt scheine die ganze nacht der mon“. In den Mond gucken: leer ausgehen, das Nachsehen haben (in gleicher Bdtg.: ,in den /Eimer gucken' oder ,durch die /Röhre gucken'); rhein. ,de hat de Mond gesehn' sagt man jedoch von einem, den man für närrisch hält; hier steckt wahrscheinl. die abergläubische Vorstellung dahinter, daß man ungeschickt und blöde wird, wenn man in den Mond schaut. Hat einer nichts zu leben, dann sagt man: .der Mond scheint ihm in den Topf'. Bei Sebastian Franck (Sprww. 11, 1876) ist die Rda. belegt: „Narren, die da meinen, sie haben Milch im Napf, so scheint ihn nun (d.h. nur) der mon drein“; vgl. ndl. ,de maan schijnt in het water'. Die Uhr geht nach dem Mond: geht unzuverlässig, falsch, im Gegensatz zur Sonnenuhr, die die Tagesstunden zuverlässig anzeigt. ,Wer rückständig ist, bleibt drei (sieben) Meilen hinter dem Mond zurück'. Die Rda. hinter dem Mond sein (oder lebeti) bedeutet: wirklichkeitsfremd leben, über aktuelle Geschehnisse nicht unterrichtet sein. ,Gegen den Mond pissen' Gegen den Mond pissen (spucken): sich selbst schaden (vgl. ndl. ,hij pist tegen de maaiT, eine Rda., die den Hochmütigen lächerlich machen will). In der Gegend von Moers und Xanten sagt man für eine vergebliche Arbeit: ,das ist tegen de Mond geseicht'; vgl. frz. ,il pisse sur la terre'. Die Rda. spielt in der ndl. Rdaa.-Malerei wiederholt eine Rolle, so mehrfach bei P. Bruegel (auf dem Rdaa.-Bild) auf einer Misericordie in Champeaux sowie auf Bilderbogen. Du kannst mir ma! im Mondschein (auch: am Abend) begegnen: ,du kannst mir gestohlen bleiben'; die berl. Rda. ist eine schonende Verhüllung für das Götz-Zitat. Der Mond geht auf: er bekommt eine Glatze. Den Mond putzen: Licht anzünden. Ist man jem. leid, so möchte man ihn auf den Mond schießen, d.h., man wünscht ihn in weite Ferne. Die Rda. ist aus Berlin und Westf. für 1961 und 1962 im Zusammenhang mit der ersten Mondrakete gemeldet. Einer ist voll wie der Mond oder Er sieht den Mond für eine Laterne an sagt man von einem Betrunkenen, /trinken. Einen ordentlichen Mond haben (Saarland): viel Geld verdienen; wahrscheinl. steht hier Mond für ,Monat' und bezieht sich auf den Monatslohn, wie ja auch Monat urspr. auf Mond (Mondphasen) zurückgeht. Rdaa. bringen oft starke Übertreibungen ohne jeden Wirklichkeitsgehalt; dazu gehört Sie wischte dem Mond die Hörner ab, wenn sie ihn erreichen könnte, für eine Frau, die in ihren Liebesbezeigungen keine Grenzen kennt. Weiterhin ,Wenn er so groß wäre, wie er dumm ist, könnte er den Mond auf den Knien küssen' (Süd- u. Mit- teldtl.) für einen unwissenden Menschen. Dem Mond ein Kleid machen wollen: etw. Unmögliches schaffen wollen. In Plutarchs ,Convivium septem sapientium' (Kap. 14) findet sich das Märlein vom Monde: Selene, die Mondgöttin, bat einst ihre Mutter, ihr ein gutpassendes Röckchen zu weben. Diese aber erwiderte: Wie soll mir das gelingen? Sehe ich dich doch bald voll, bald abnehmend, bald zunehmend. An diesen erzählenden Teil schließt das Märchen seine Nutzanwendung: der Gestaltwandel der jungen Selene wird gleichnishaft auf die unberechenbare Unbeständigkeit maßloser' Menschen übertr. Fischart zieht in seiner ,Geschichtklitterung' den Inhalt des Märchens formelhaft zusammen: „So man 651
Mondkalb sonst dem vnstäten Mon, kein Kleid anmachen kann“. Als ,proverbium germanicum4 geht die Wndg. Fischarts in Janus Gruterus’ ,Flori- legium ethico-politicum4 über: ,,Dem vnstedigen Mon kann man kein Kleyd anmachen44; aus Fischarts ad-hoc-Wndg. ist also ein ,dt. Sprichwort4 geworden, das auch in späteren Ausg. in den dt. Sprww.- Schatz aufgenommen wird. In die Umgangssprache ist die Rda. kaum gedrungen, jedoch wurde sie öfter lit. variiert, so z. B. bei Lessing in seiner Schrift ,Leibniz von den ewigen Strafen4 (1773): „Wie wäre das auch möglich gewesen? Wie hätte es ihm einkommen können, mit einem alten Sprichwort zu reden, dem Mond ein Kleid zu machen?“ In Schwänken des 16. Jh. (Wickram, West- phal, Joh. Strauss aus Elsterberg) wird von einem Mann erzählt, den man auf Bildern nur nackt darstellen kann, da er seine Kleidung dauernd ändert. Im Märchen bei Plutarch kann dem Mond kein Kleid gemacht werden, weil er immer seine Gestalt wandelt, im Schwank kann dem Menschen kein Kleid gemacht werden, weil er immer etw. Neues will; beider Verhalten wächst aus ihrer Unbeständigkeit. Lit.: HdA.VI, Sp. 477 ff., Art. ,Mond‘ v. Stegemann; E. Ebeling: Vier und zwanzig Fabeln u. Gedichte für Kinder (Leipzig 1885); Wolf: Der Mond im dt. Volksglauben (Bühl 1929); F. Sieber.-'Dem Monde kann man kein Kleid machen, in: Dt. Jb. f. Vkde. 3 (1957), S. 366ff.; T.Harley: Moon Lore (London 1885, Ndr. Detroit 1969). Mondkalb. Er ist ein Mondkalb: er ist sehr dumm, einfältig. Mondkalb ist eigentl. eine Mißgeburt der Kuh; denn der Mond gilt als verantwortlich für Mißgestaltungen. Luther (Werke VII, S. 84) schreibt: „Mußalso den Widertäuffern ein Kind nicht ein Kind, sondern ein Mon kalb oder Wechselbalg heißen44. Dazu auch die volkstüml. Sentenz: Dinge kommen vor im Mond, Die das Kalb selbst nicht gewohnt. Monogramm. Beiß dir ein Monogramm in den Bauch (Hintern):Xu, was du willst, aber laß mich ungeschoren. Man kann sich auch ein Monogramm in den Bauch beißen ist eine Entgegnung auf eine mit ,man kann . . .4 beginnende Äußerung, deren Verwirklichung man bezweifelt, seit etwa 1920 (Küpper II, S. 195). ,Ich beiß’ mir ein Monogramm in den Bauch4 gilt auch als Ausdr. der Überraschung. Monstranz. Sie ist eine schöne Monstranz, wenn nur ein Heiligtum drin wäre, sagt man von einer schönen Frau, die keine Tugend besitzt. Bereits Seb. Franck hat die Wndg. in seine Sprww.-Sammlung (II, 35a) aufge- nommen: „Es ist eyn schön monstrantz, wen nur heyltumb drinne wer“. Sinnverwandte Wndgn., die Seb. Franck schon anführt, sind: ,ein /Bild ohne Gnade sein4, ,ein Haupt ohne Hirn oder Zung4 und ,ein /Ölgötze sein4. Vgl. lat. ,corpus sine pectore4 und ndl. ,Het is eene schoone monstrande, ware er heiligthum in4. Montag. Blauen Montag machen: nicht arbeiten; am Montag die Arbeit ruhen lassen, ihn ebenso feiernd zubringen wie den Sonntag. Gekürzt: blau machen, auch lit., z. B. bei G. Keller in ,Martin Salander4, 6. Kap.: „morgen mach' ich Blauen44; vgl. engl. ,to blue4, ,to keep St. Monday4; ndl. ,een blauwe Maandag houden4; frz. ,faire le lundi4, ,fêter saint lundi4. Das Bestreben, die Arbeitszeit durch Einlegung eines ganz oder teilweise freien Tages zu kürzen, tritt schon früh hervor: Im späteren MA. und z.T. bis in die Neuzeit hinein hatten die Handwerksgesellen den Anspruch, am Montag oder wenigstens an bestimmten Montagen nicht für ihren Meister zu arbeiten, diesen Tag vielmehr für eigene Arbeit frei zu lassen; das hieß,Montag halten4. Der Tag wurde als .guter Montag4, seit der Mitte des 17. Jh. als ,blauer Montag4 bez. Dieser war bei der oft langen Arbeitszeit nicht ganz ohne Berechtigung. Er sollte es den Gesellen ermöglichen, sich zu erholen oder ein Bad zu nehmen, oder die Gesellenvereinigung zu halten. Freilich wurde dieser freie Montag von den Gesellen oft als Nachfeier des Sonntags aufgefaßt; schon im 14. Jh. stoßen wir in den Handwerkssatzungen auf die Verbote des guten Montags. Sie wurden vielfach dadurch wirksam zu machen versucht, daß dem Meister die Pflicht auferlegt wurde, dem feiernden Gesellen einen Teil des Lohnes, oft den ganzen Wochenlohn ein¬ 652
Montag zubehalten. Der Rat Krakaus bestimmt z.B. im Verhältnis der Schneider zu ihren Knechten am 18. November 1392: ,daz dy knechte keynen guten Montag süllen heben nach der aldin saczunge der Stat\ Im 15. Jh. scheint sich der gute Montag doch allg. durchgesetzt zu haben. Wenigstens stoßen wir jetzt auf Bestimmungen, die den Gesellen im Prinzip den guten Montag zugestehen und nur die Zahl der Montage oder das Feiern auf einen halben Tag zu beschränken suchen. „Vortmer so hebben de knechte alle maendage vry. ln den vryen maendagen mögen se mäken to dem jahr veer armborste an erem egenen horne“ heißt es in der .Ordeninge der armborster\ Hamburg 1458. An manchen Orten wurde der blaue Montag nicht regelmäßig erlaubt; nach der württ. Schreinerordnung (1593) höchstens alle vier oder fünf Wochen, in Frankfurt gibt es nach der Schuhknechtordnung (1589) einen halben Tag, und zwar nur in dem Fall, wenn kein Feiertag in die Woche fällt; in Nürnberg haben die Gesellen um 1550 in einer Woche ohne Feiertag erst nach der Vesperzeit frei. Der Obrigkeit war der blaue Montag von je ein Dorn im Auge. So häufig wie die den blauen Montag betr. Bestimmungen der Zunftsatzungen sind auch die Verordnungen der Obrigkeit gegen ihn, z. B. eine Nürnberger Ordnung von 1550 ,Ordnung und verpot welcher gestalt die guten Montag von den hantwerksgesellen alhie gehalten werden sollen4. Auch Hans Sachs ist darum ein ausgesprochener Feind des guten Montags, in dessen Gefolge nach seiner Meinung Trunkenheit, Fraß und Spiel, Zorn, Hader und Schlägerei, endlich Faulheit, Armut und Krankheit einherschreiten. Wir verdanken H. Sachs zwei Gedichte (I, Nr. 124, S.339, Bd.II, Nr. 262, S.218), in denen er ein schreckliches Ungeheuer als Personifikation des guten Montags auftre- ten läßt: Mir gueten montag, er da sprach, Voigt stecz ein poeser samstag nach... Ich gueter montag mach doll köpff, Lere pewtel vnd volle kröpff... Mach manche werckstat 1er vnd öd, Hosen vnd rock schieter vnd plöd. Vom Dichter heißt es zum Schluß des Traumes: Ich erwacht vnd dem träum nach son, Stund auf, fing zw arbeiten on, Mit zw entgen vil vngemachs Des gueten montags, spricht Hans Sachs. 150 Jahre später hat sich der Wortgebrauch vom ,blauen Montag4 gegenüber dem älteren ,guten Montag4 schon ganz durchgesetzt; Abraham a Sancta Clara schreibt: „Lorenz Blaurock, Handwerks-Gesell! Euer Handwerk trägt zwar ein sehr ehrliches Geld, gleichwohl gehet Euch nichts von der Hand. Der hl. Lorenz oder Laurentius, dessen Namen Ihr führt, ist auf dem Rost gebraten worden, hat dannenhero einen schweren Rosttag gehabt; Ihr macht aber aus dem Rosttag einen Rasttag und heisst nicht umsonst Blaurock, denn Ihr liebet nichts mehr als die blaue Färb, sonderbar den blauen Montag; aus dem blauen Montag aber wird ein fauler Dienstag und darauf ein durstiger Mittwoch, aus diesem entsteht ein schläfriger Pfingsttag (Donnerstag), so geht’s die ganze Wochen durch44; und später: „Der heil. Crispinus und Crispinianus seynd Schuster gewest. Ich bin nicht darwider, sagt der Meister Pechpatz, ich hab zwar die ganze Wochen einen blauen Montag gemacht, nun aber kommt mir die Arbeit auf Ein Mahl zusammen44. Im 18. Jh. wurde diese alte örtliche Einrichtung von der Reichsgesetzgebung bekämpft. So schreibt J. Möser in den patriotischen Phantasien4 (1774ff., Bd. 4, S.35): „ln andern Ländern, wo... die blauen Montage eingezogen sind“, 4, 47: „Wenn er gehört hätte, daß man solchen jungen Burschen . . . sogar den Trost, sich alle vier Wochen einmal richtig ausdehnen zu können, oder den sogenannten blauen Montag abgeschnitten hätte“. Daß man gerade den Montag als Ruhetag gewählt hat, mag damit Zusammenhängen, daß an den,Mondtagen4, bes. bei Neu- oder Vollmond, in alter Zeit Gerichts- und Dingversammlungen stattgefunden hatten. Vielfach dehnte man auch größere Feste, die auf Sonntage fielen, auf den Montag aus, was ja auch für die zweitägigen hohen Kirchenfeste (Ostern, Pfingsten und Weihnachten) gilt. Auch die ,Morgensprachen4, d.h. die mit Gelagen und Schmäusen verbundenen regelmäßigen Zusammenkünfte 653
Montag der Innungen, hielt man am Montag ab. Was die Meister taten, ahmten die Gesellen nach. Vielfach galt auch, wie schon bei den Römern, der Montag als Unglückstag, an dem man lieber keine Arbeit begann. Die Bäckergilde Münster feiert noch alle 3 Jahre am ersten Montag im Juni ihren ,Guten Montag4 als Schützenfest. Dieser Brauch wird als Zunftprivileg auch in Wien und in anderen Städten erwähnt. In Münster selbst wird er mit einer Sage von der Belagerung Wiens durch die Türken in Zusammenhang gebracht, die wahrscheinl. erst sekundär mit dem schon vorher urkundlich bezeugten Brauch verbunden wurde: 1683 soll ein Bäckergeselle aus Münster in einer Backstube von Wien nachts Geräusche gehört haben. Als er es der Wache meldete, entdeckte man, daß die Türken dabei waren, einen unterirdischen Gang in die Stadt zu graben. Seine Wachsamkeit rettete die Stadt. Zur Belohnung gestattete man der Zunft der Bäcker in Münster von da an die festliche Begehung dieses denkwürdigen Tages. Eine Urkunde darüber ist aber nicht erhalten. Problematisch ist vor allem die Frage, warum diese Montage ,blau4 benannt wurden. Dafür sind im Laufe der Zeit die verschiedensten Deutungen und Erklärungen versucht worden, von denen keine völlig bewiesen ist. Blau, so hat man argumentiert, wurden diese Montage genannt, weil an dem Fastnachtsmontag, an dem ebenf. die Arbeit ruhte und der auch ,der unsinnig Montag4, ,Fraßmontag\ rhein. ,Rosenmontag4, d.h. eigentl. ,rasender Montag4 genannt wurde, die Altarbehänge in den Kirchen von blauer Farbe waren. Diese Erklärung findet sich z. B. in Haltaus’ Kalendarium medii aevi4 (1729): „In Palatinatu Bavaria etc. hunc diem appellant den blauen Montag a colore violaceo, quo omnia in templo ornantur. Et hoc die ab operis vacant otioque ac laetitiae indulgent opifices cum famulis; unde forsan in genere dies otiosi atque geniales ab iis blaue Montäge nuncupantur44. Gegen diese Ableitung erheben sich aber Bedenken: Die blaue (eigentl. violette) Altarverkleidung, ein Symbol der Buße und des Fastens, beginnt mit dem Sonntag Septuagesimae als dem Anfang der siebzigtägigen Fastenzeit der älte¬ ren Kirche und dauert bis Ostern; es ist also nicht einzusehen, warum gerade der Fastnachtsmontag darnach benannt sein soll. Wenn also die Bez. tatsächlich vorkommt - ein sicherer Beleg ist dafür nicht bekannt -, so ist immer noch die Frage, ob sie nicht erst sekundär auf diesen Bummelmontag übertragen wurde. Eine ganz andere Erklärung bringt Kluge- Götze: Solange mit Waid blau gefärbt wurde, mußte die Wolle, nachdem sie zwölf Stunden im Färbebad gelegen hatte, ebensolange an der Luft oxydieren. Sonntags ließ man sie 24 Stunden im Bad, worauf sie den ganzen Montag an der Luft liegen mußte. Die Gesellen konnten müßig gehen, wenn in solcher Weise ,blau gemacht4 wurde. Andere Erklärungen gehen von sprachl. Erwägungen aus. Man hat z. B. an eine Ubertr. aus dem engl. .playmonday4, d.h. Spiel-Montag, gedacht. Auch eine volks- etymol. Umbildung aus dem engl. ,plough-Monday\ dem Montag nach Epiphanias, an dem die jungen Burschen mit einem Pflug umherzogen und unverheiratete Mädchen davorspannten, hat man erwogen. Natürlich liegt die Analogie zu Benennungen wie .Grüner Donnerstag4, .Weißer Sonntag4 u.a. nahe. Auch eine Entstellungaus,Palm-Montag4 hat man für möglich erachtet. Wer vom Sonntag her noch ,blau4 ist, kann auch am Montag nicht viel leisten. Trotz dieser plausiblen Erklärung ist es unwahrscheinl.. daß der blaue Montag von ,blau sein4 = betrunken sein herzuleiten ist (/blau). Eine andere Theorie meint, der blaue Montag habe seinen Namen von der Tollheit und Ungebundenheit der Handwerksburschen an den Montagen, die häufig damit endeten, daß manche verbleut wurden und mit blauen Striemen und Flecken am Kopf und Körper nach Hause kamen. In Nürnberg seien die Drohworte: .Wart, ich will Dir an Blöbling (Bläuling) stechen, wennst noch a Wurt redst4, d. h. ich will Dir die Augen blauschlagen, üblich gewesen. - Nicht zutreffend dürfte auch die Erklärung sein, daß die Kleidung der Genossenschaften, die sich im späteren MA. unter den Handwerksgesellen bildeten, blau gefärbt gewesen sei. Doch liegt ein anderer Bezug 654
Mops zu Kleidersitten näher und ist wahrscheinlicher: Nach der Kleiderordnung des MA. war für jeden Stand auch die Farbe des Kleiderstoffes festgelegt. Die für Bauern und Handwerker zuständige Kleiderfarbe war grau, daneben auch braun; es sind die .geringen Farben'. Daneben stand für den Sonn- und Feiertag die blaue Farbe. Eine ganz eindeutige Äußerung haben wir aus derZeit um 1290 von dem oesterr. Dichter Heîbling (II, 72), der schon damals die später oft erhobene Klage anstimmt, daß die Bauern sich nicht in ihren Grenzen halten: Do man dem lant sin reht maz, man urloubt im hûsloden grä und des virtages Blä von einem guoten stampfhart, dehein varve mêr erloubt wart im noch sînem wibe. Wenn die Handwerker am Montag nicht arbeiteten und statt dessen den blauen Feiertagsrock anzogen, konnten sie vom blauen Montag sprechen. Er steht damit also als Gegensatz zum .grauen Alltag1. Lit.: E. Mummenhoff: Der Handwerker in der dt. Vergangenheit (Leipzig 1901),S. 70 f., 125; E. Berend: Der blaue Montag, in: Bayer. Hefte f. Vkde. 2 (1915), S.180L; H. F. Singer: Der blaue Montag (1917); Koehne: Studien zur Gesch. des Blauen Montags, in: Zs. f. Sozialwiss. 11 (1920); HdA. VI, Sp. 554-565; R. Wissell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, Bd.I (Berlin 1929), S. 378-390; R. Foncke: Folklore van de Maanday, in: Volkskunde. Nieuwe Reeks, Jg.3; O. Lauffer: Farbensymbolik im dt. Volksbrauch (Hamburg 1948), bes. S.20ff.; R. Brockpähler: Der .Gute Montag* der Bäckergilde Münster - Sage und hist. Wirklichkeit, in: Rhein.-westf. Zs. f. Vkde. 16. Jg. (1969), H. 1-4, S. 123-163. Moos. (Viel) Moos haben: viel Geld haben, reich sein. Moos ist urspr. ein student. Ausdr. für ,GekT; er kommt über das Rotw. aus jüd. mäos = hebr. mä'öth = Pfennige, Kleingeld (vgl. ,Most‘ in der Rda. ,wissen, wo /Barthel den Most holt1). Die Wndg. ,Moos haben1 ist dann in der Studentensprache scherzhaft erweitert worden zu: Moses und die Propheten haben mit Anlehnung an die bibl. Erzählung vom reichen Mann, der, in der Hölle schmachtend, Abraham bittet, seine noch auf Erden weilenden Brüder vor einem sündigen Leben zu warnen, worauf Abraham ihm bedeutet: „Sie haben Moses und die Propheten, laß siedieselbigen hören“ (Luk. 16,29). Th. G. v. Hippel (1741-96) verwendet die Rda. und bemerkt dazu: „Hieß zu der Zeit (um 1757) in Kurland Geld und Gut oder, wie einige wollen, Gold- und Silbergeld, oder im Provinzialausdruck grob und fein, groß und klein Geld, das will sagen Albertstaler und Vierlings“. Aufs Moos kommen: zine alte Jungfer werden, ledig sterben. Die Moore wurden als Aufenthalts- und Strafort für unverheiratete Mädchen und Frauen nach ihrem Tode angesehen, bes. in Bayern, Oesterr., Tirol und der Schweiz. Dort müssen sie Kiebitze hüten, Scheite sieben, Ladhölzer säen, Hosen flicken oder gar als häßliche Schnecken umherkriechen. Lit.: F. Sarasin: Die Anschauungen der Völker über Ehe und Junggesellentum, in: Schweiz. Archiv 33 (1934). Mops. Sich ärgern (auch sich langweilen) wie ein Mops. Der rdal. Vergleich geht von dem mürrischen Gesicht des Tieres aus. Danach auch: sich mopsen:sich langweilen, sich ärgern; mopsig: langweilig. Doch gilt der rundliche Mops auch für ein zufriede- ^Öctm tor liïlops mit tot 3$urß itöcr’tt (Sptufutapf fprtttgf. (gigetttyum »ott <£. 3Raicr. © “ ■’ ô © G (Sin Seber tennt getpifî baé Sieb, 2>aé frof) fid) auf bie Surft bejieljt, Unb ba$ ben SWop$ babei befingt, 2) « über’n ©pudnapf fpcingt! ©efungen ift eä ft^on feljr »iel, 3) arum je$t au<$ beim Orgelfpiel (Srtöne laut unb frol): „Sfflenn ber ®lop« mit ber ffiurft über’n ©pudnapf fpringt Unb ber ©tordj in ber 2uft ben jTof($ oerfdjhngt! 2Benn ber ÜJlop« mit bem ftrof$ übtr’n ©pudnapf fpnngt Unb ber ©tord) in ber 2uft bie ffiurft oerfdjlingt!" 2. (Sin Sfatgling fprtdjt jum ÎÜlagbelein: „$)ir roerbe einig treu td) fein!" iodj wenn fie iffn bann jartli<$ fragt: „2Bann if)t bie £od)jeit la9t?" 2)ann roirb er plö(lid) ftiQ unb ftumm Unb bénît, ba fümm’re 2)idj) nid)t b'rum! netyme 2)ic$ jur ftrau, 655
Mördergrube nes Tier; daher mopsfidel, ein vergnügter Mops. Hierher gehört auch der um 1870 aufgekommene parodistische Stammbuch- vers: Lebe glücklich, lebe froh Wie der Mops im Paletot! und der Liedvers: „Wenn der Mops mit der Wurst über’n Spucknapf springt...“ Das ist unterm Mops: das ist ,unter aller Kritik4; Nebenform von ,unter allem /Hund4; /Kanone; /Strich. Altmärkisch: ,He hett Mops in’n Kopp\ er hat Launen. Dagegen meint die Wndg. Möpse haben heute allg. auch: viel Geld besitzen, reich sein. Mördergrube. Aus seinem Herzen keine Mördergrube machen ist eine Prägung Luthers, der onf\Xaiov A,t|Otü>v, vielleicht über ,spelunca latronum4 der Vulgata, in seiner Septemberbibel (1522) als ,eine Mördergruben4 übersetzt. Da zur Mördergrube (ndd. ,mortkule4) das Versteckte und Heimliche gehört, gebraucht man die angeführte Rda. von einem offenherzigen Menschen. Mores. Jem. Mores lehren: ihm Sitte, Lebensart beibringen; auch: ihn zurechtweisen. Die Rda. stammt wohl aus der Studentensprache und geht auf die Schulsprache der Humanistenzeit zurück. Lat.,mores4 = Sitten ist seit dem 15. Jh.im Dt. belegt, z. B. in der Verbindung ,weder zuht noch mores4. Die volkstümlich gewordene Wndg. ist seitdem Reformationszeitalter oft bezeugt; sie taucht schon bei Hans Sachs in dem Fastnachtsspiel ,Der Krämerkorb4 (V. 303) auf: „Ich wolt dich gar wol mores leren44; ebenso bei Sebastian Franck 1531. ,Den will ich emol Mures liern4 (Unterwesterwald) wird oft als Drohung verstanden; umgekehrt bedeutet daher Mores haben: Angst, Respekt vor etw. haben. Vielleicht spielt hier das hebr. ,mörä4 Furcht, das aus der Kundensprache eingedrungen sein könnte, herein und das auch der Urspr. von ,mauern4 = zurückhaltend spielen ist. Umg. ist die Rda. scherzhaft umgestaltet worden zu: jem. Moritz lehren, so z. B. 1779 bei Jung-Stilling. ,Ech well dech Moritz kennen lärnen4 sagt man in Hessen, desgleichen in Norddtl. Vgl. auch ndl. ,Hij zal nog anders mores moeten leeren4. Morgenluft. Ich wittre Morgenluft ist eine durch die Schlegel-Tiecksche Ubers, aus Shakespeares ,Hamlet4 (I, 5) geläufig gewordene Rda., die auf den Ausspruch des Geistes von Hamlets Vater „But soft! Me thinks I scent the morning air44 („Doch still, mich dünkt, ich wittre Morgenluft“) zurückgeht. Bei Shakespeare ist der Ausdr. wörtl. gemeint, da der Geist bei Anbruch des Tages verschwinden muß. In übertr. Bdtg. wird heute damit ausgedrückt, daß man eine ,Chance wittert4, für ein Vorhaben einen günstigen Verlauf voraussieht. Morgenstunde. Das Sprw. ,Morgenstund hat Gold im Mund4 beruht - so hat man gemeint - auf der Vorstellung der personifizierten Morgenröte = Aurora, die Gold in Haar und Mund trägt. Diese Vorstellung ist schon altnordisch bezeugt, und so sagt man denn in Schweden, daß ein goldener Ring aus ihrem Munde fällt, wenn sie lacht; in Norwegen fallen Goldstücke aus ihrem Munde, wenn sie spricht, und aus den Haaren, wenn sie sich kämmt. In Dänemark fallen Edelsteine aus ihrem Munde und Silber aus ihrem Haar. Ähnl. Metaphern finden sich in vielen europ. Sprachen, so im Ungarischen: ,wer früh aufsteht, findet ein Goldstück4; frz.: ,a bon gain qui se lève matin; Faurore est l’amie des Muses4; engl.: ,the early bird catches the worm4; lat.: aurora musis arnica4. Man sieht indessen sofort, daß diese Beisp. zwar den gleichen Sinngehalt haben, nicht aber dasselbe Bild verwenden. Dies hat F. Seiler (Sprww.- Kunde 24 f.) richtig erkannt und bietet statt dessen eine andere, glaubwürdigere Deutung an: Im späten MA. haben sich namentlich die Humanisten immer wieder um eine etymol. Ausdeutung des Wortes .aurora4 bemüht. Im ausgehenden 16. Jh. scheint nun auch eine Erklärung aufgekommen zu sein, die folgendermaßen gelautet haben mag: ,aurora, quia aurum in ore4; diese Formel dürfte sich dann zu einem selbständigen Satz verfestigt (,Aurora habet aurum in ora4) und als Merksatz in den Humanistenschulen Verwendung gefunden haben. Danach wäre also unser dt. 656
Mostrich, Mostert Sprw. eine Ubers, dieses lat. Schulspruches. Als dann dieser Spruch zum volkstümlichen Sprw. wurde, hat man an die Etymologie nicht mehr gedacht, sondern ihn auf das Frühaufstehen bezogen, das bekanntlich den meisten Menschen recht schwerfällt. So wird das Sprw. denn gelegentlich durch einen Zusatz erweitert, der diesem Sachverhalt in drastischer Weise Rechnung trägt; im Rheinl. sagt man: ,Morgenstund hat Gold em Mond - on Blei em Arsch' (oder- ,on Bech [Pech] em Hind'); in Schwaben heißt es: ,Morgenstund hat Gold im Mund - und Blei im Fiidle'. Mit Sprw.- Mischung: ,Morgenstund ist aller Laster Anfang'. Lit.: Fr. Seiler: Dt. Sprichwörterkunde, S. 24 f.: L. RÖh- rich: Gebärde-Metapher-Parodie. Studien zur Sprache und Volksdichtung (Düsseldorf 1967), S. 181 ff. Moritz. Jem. Moritz lehren: ihn scharf zurechtweisen, /Mores. Wie der kleine Moritz sich das vor stellt: in kindlicher, naiver Vorstellung; die Rda. beruht auf der Volkstümlichkeit des kleinen Moritz, der von Adolf Oberländer gezeichneten Figur; 19. Jh. (Küpper II, S. 196). Morpheus. In Morpheus' Armen ruhen: gut und angenehm schlafen. Morpheus als Sohn des Schlafgottes imvoç (lat. somnus) hat nach Ovid (, Metamorphosen4 XI 634-639) die Macht, Traumgestalten hervorzurufen. Sein Name bedeutet daher ,der Gestaltende' nach griech. pop(pr|, die Gestalt. Nach ihm ist das 1804 von W. Sertürner in Paderborn entdeckte Schlafmittel Morphium benannt, als Parallelbildung zu Opium. Moses. Bei jem. ,eam easchte Buch Mosis stihn' bedeutet in Hessen: viele alte Schulden haben. Er hat das 6. und 7. Buch Mosis gepredigt bez. einen Menschen, der aus seinem Unglauben keinen Hehl macht. Mit dem Schimpfwort ,Kalb Moses' bzw. ,du bist e räechts Kalb Moses' belegt man im Elsaß, aber auch im Hess, einen ungeschliffenen, flegelhaften Menschen. Moses und die Propheten haben /Moos. Sich um Moses Grab zanken: sich nutzlos streiten. Vgl. die ähnl. Wndg. ,sich um des Kaisers /Bart streiten' und die ndl. Rda. ,zij kijven om Mozes’ graf'. Er hat Moses Grab gesucht: er hat sich vergeblich bemüht. Mosthannes. Keiner hat mehr zu tun als Mosthannes ist eine Rda., die auf die ma. Zehentwirtschaft zurückgeht. Der Mosthannes war der Fronbote des Meiers, der bei der Erhebung des Weinzehnten sehr beschäftigt war. Die Bdtg. ist jedoch früh verblaßt, und man gebraucht scherzhaft in Bernkastel-Kues die Rda. ,dau häs me Ar- bet wie Misthannes am Kihdrecksdag' von einem, der über zuviel Arbeit klagt. Als ,Mosthans' bezeichnete man auch einen, der auf Most begierig war (Seb. Franck, Sprichwörter' 286), in Anlehnung an Bildungen wie ,Prahlhans', Schmalhans', ,Hansdampf' u.a. Mostrich, Mostert. Mostrich besteht aus zerriebenen Senfkörnern, die mit Most angesetzt sind. Goethe spricht daher von ,Mostsenf'. Das in Nordostdtl. gebräuchl. Mostrich ist eine Eindeutschung aus dem ital. .mostarda' und ist an Namensbildungen wie Friedrich angelehnt. Ebenso wird Mostert, das von der Unterelbe bis zu Rhein und Mosel gilt, schon mhd. umgedeutet zu musthart, in Gleichsetzung zu Namen wie Gebhart (Kluge-Mitzka). Fir- menich (I, 381 ) erwähnt die Rda. ,wo Barthel den Mostert holt', die aber wohl urspr. heißt ,wo Barthel den Most holt' (/Barthel). Im Ndd. und Ndl. sagt man für etw., das zu spät kommt und daher keinen Nutzen mehr hat, Mostrich nach der Mahlzeit bzw.,Mosterd na de maaltijd', wohl in Anlehnung an das frz. ,servir de la moutarde après diner' oder engl. ,after dinner mustard'. Jem. mit Mostrich bestreichen: ihn übervorteilen. Du hast ja Mostrich auf der Pupille: du kannst wohl nicht deutlich sehen, du bist wohl nicht recht bei Verstände; Du hast wohl Mostrich auf der Windschutzscheibe? fragt man einen Autofahrer, der einen Zusammenstoß verursacht hat. Dich haben sie wohl mit Mostrich geimpft?: du bist wohl nicht recht bei Verstand? In Mostrich treten: Anstoß erregen. Mostrich 657
Motte steht in diesen Rdaa. euphemist. für ,Scheiße4 (Küpper II, S. 196). Motte. Da sind die Motten hinein gekommen: die Sache steht nicht mehr so gut wie früher, sie hat keinen glatten Fortgang genommen. Die Rda. geht wohl zurück auf Matth. 6, 19: man sollte keine Schätze auf Erden sammeln, „da sie die Motten und der Rost fressen44 (vgl. auch Hiob 13,28 und Jes. 56,9); daher wohl auch die Verwünschung: Daß du die Motten kriegst! oder Daß du die Motten in den Pelz kriegst! Hess. ,du sollst der die Motte krieje4 (mit dem Dativus ethicus ,dir4, der, in der Umgangssprache häufig gebraucht, die innere Beteiligung ausdrückt). Vielleicht steht hier eine stärkere Verwünschung dahinter, wenn man bedenkt, daß ,die Motten haben4 im Rotw. eine Umschreibung für Lungentuberkulose ist, wobei die von der Tuberkulose infizierte Lunge mit einem von Motten zerfressenen Stoffgewebe verglichen wird. Du kriegst die Motten! berl. Ausdr. des Erstaunens und Entsetzens. Motten im Kopf haben: sonderbare, wunderliche Gedanken haben, ungerechtfertigte Ansprüche haben. Dem will ich die Motten vertreiben (oder ausklopfen): ich will ihn (durch Schläge) von seinen nichtsnutzigen Gedanken abbringen. Die Motte ist Sinnbild des Vergehens und Symbol der Seele. Wie Motten um das Licht schwärmen drückt die Kurzlebigkeit und Vergänglichkeit einer Sache in stark negativem Sinne aus. Der Vergleich taucht in anderem Zusammenhang schon bei Lohenstein (,Sophonisbe4 1,1) auf: „die schuld schwermt um Verderb, wie mutten um das licht44. Muck. Jem. auf der Muck haben: ihn scharf beobachten, ihn nicht leiden können. Muck oder Mücke nennt man das Korn des Gewehrs. Parallelbildung zu: ,auf dem /Korn haben4 und ,im /Visier haben4; im 19. Jh. in westdt. und obd. Mdaa. verbreitet (Küpper I, S.227). Wien, bedeutet ,an auf der Mucken harn4, ihm gram sein. Mücke. Sich über die Mücke (Fliege) an der Wand ärgern: sich über die geringste Kleinigkeit aufregen. Jean Paul 1795 im ,Quintus Fixlein4: „Wenn uns oft die Mücke an der Wand irren kann, so sollten uns auch die Mücken wie den Domitian belustigen oder wie einen noch lebenden Kurfürsten beköstigen44. Ähnl. auch in den Mdaa., z. B. rhein. ,den hennert de Mücke an der Wand4; hess. ,mich ärjert heit die Mick an de Wand4; Saarl. ,de krakehlt met de Mük- ken an der Mauer4; els. ,die Muck(e) a dr Wand verdrießt (irrt) ne4; schwäb. ,er kann d’ Muck an der Wand nicht leiden4, wobei zu bedenken ist, daß Mücke in manchen Mdaa. zur Bez. der /Fliege gebraucht wird. Frz. ,il est sensible (tendre) aux mouches4, oder ,il se fâche pour une mouche qui lui passe devant les yeux4. Aus einer (jeder) Mücke einen Elefanten machen: etw. stark übertreiben, etw. Unbedeutendes über alle Maßen aufbauschen. Schon griechisch: ,èÀé(pavx’ éx pinaç Tioielv4 (Lukian,,Encomium muscae\ 12). Im Neugriechischen sagt man sowohl: ,êxapevtf)v pinyav èXéipavtoc4 als auch: ,ëxocvev xôv (puÀÀov xàpqÀov4 = ermach- te den Floh zum Kamel (Strömberg, S. 38). In lat. Form bei dem Humanisten Erasmus von Rotterdam: „Elephantum ex musca facis“. Grimmelshausen stellt im Simplicissimus4 (III, 289) die Rda. mit einer anderen zusammen: „Woraus ich lernete, daß die Verwunderung aus der Unwissenheit entstehe und daß man aus der Muck einen Elephanten macht, ehe man weiß, daß der Berg nur eine Mauß gebären werde44. Wie dieser letzte Vergleich aus dem klassischen Altertum stammt (Horaz, ,Ars poetica4, V. 139), so sagten die Römer im gleichen Sinne auch: „arcem facere e cloaca44 = aus einer Kloake eine Burg machen (Cicero); „e rivo flumina magna facere44 = aus einem Bach große Ströme machen (Ovid); im Dt. 658
Mühle kommt auch vor: ,Aus einem Maulwurfshaufen einen Berg machen*; ,aus einem Schnall (= Schnippen mit den Fingern) einen Donnerschlag machen*; ,aus einem Furz einen Donnerschlag machen*. Schwab, sagt man: ,Nach der Muck schlagen und den Elefanten springen lassen*, etw. Unwichtiges wichtig nehmen. Diese Rda. ist schon bei Luther belegt: „das ich anzeige die verkerte meinung deren, die mucken fahen und elephanten lassen faren**. Schweiz, bedeutet: ,Er hebet d’Mugg und lod d'Märe laufe*, er läßt sich einen großen Gewinn eines kleinen Vorteils wegen entgehen. ,Mücken richten, Kamele schonen*, die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen. Mücken seigen und Kamele verschlucken: in Kleinlichkeiten peinlich genau sein und es dabei in wichtigen Dingen nicht genau nehmen. ,Seigen* ist die ältere Form für ,seihen, durchseihen*. Die Rda. beruht auf Matth. 23,24: „Ihr verblendete Leiter, die ihr Mücken seiget und Kamele verschluk- ket*. So auch in den Mdaa., z. B. rhein.: ,Mücken seihn on Kameel schluken*. Von einem, der von Natur aus grob ist, sich vor anderen aber feiner Umgangsformen bedient, sagt man hess. ,Er kann vörr’n Lüen Muggen sugen un in öwrigen kann’n Elefanten schluggen*. Bei Burkard Waldis (1495-1557) heißt es: „Man sieht jezt leider in grossen Sachen durch die finger, laufft vbers grass, stosst sich ans gräger, gross kamelthier sie gantz verschlucken vnd weichen doch die kleinen mucken“. Während Mücke hier überall etw. sehr Kleines meint, bedeutet es in anderen Wndgn. JEinfair, »Gedanke* (/Grille). Doch ist dafür die unumgelautete obd. Form ,Muk- ken* = Launen gebräuchlicher, die in dieser Bdtg. seit Hans Sachs belegt ist (»Fastnachtsspiele*, 38, 81): Mein Fraw die treibt gar seltzam mucken Vnd zepfft mich an mit diesen stucken, Das ich soi tragen das heiss Eyssen, Mein vnschuld hie mit zu beweisen, Das ich nie brochen hab mein Eh. Das hat seine Mucken: das hat seine Schwierigkeiten. Als Fortsetzung der angeführten Rda. findet man: einem die Mük- ken vertreiben: einen wieder zur Vernunft bringen. Ebenso in den Mdaa.: obersächs. ,ich wer dr schon de(ine) Mucken aus- trei'm*. Eis. ,dëm hai mr d Mucke us m Chopf tribe*. Mücke (die Mücke) machen: flüchten, davongehen. Zisch die Mücken!: scher dich fort! Laß uns in Ruhe! ,Lästig wie Clo - Mücke* (Mainz), bezieht sich auf die Flüchtlinge ; dies wird durch den Zusatz deutlich: ,ma wird se ach net los*. Muckefuck, dünner, aus Gerste hergestellter Kaffee, im Volksmund scherzhaft als ,Spitzbohne* oder ,vorne spitz und hinten spitz* bez., Malzkaffee im Gegensatz zu Bohnenkaffee; daher heißt es im frz. ,mocca faux*, woher das Wort, das Ende des 19. Jh. in Barmen-Elberfeld belegt ist, übernommen und verballhornt wurde. Umgekehrt heißt es frz. ,Le Kaffee-Ersatz*. Muff, Muffe. Nicht Muff sagen (können): aus Befangenheit, Dummheit, Schuldbewußtsein oder Trägheit nichts sagen (wollen oder können), wortkarg (maulfaul) sein, sich an einer Unterhaltung nicht beteiligen. Einem den Muff nachschlagen: jem. in seiner Abwesenheit oder wenn er gerade den Rücken wendet, lächerlich machen, verspotten. Ihm geht die Muffe: er hat Angst; ihm geht die Muffe eins zu tausend (hunderttausend): er hat sehr große Angst. Muffe steht in diesen neu-umg. Wndgn. für After, eigentl. das Verschlußstück am Rohrende (Küpper II, S. 198). Die berl. Rda. »Dir ha’m se wol mit de Muffe jeschmissen (oder: jebufft)?*, Du bist wohl nicht recht gescheit? geht, ähnl. wie andere gleichbedeutende Rdaa. der Umgangssprache (z.B. ,Du bist wohl mit dem Klammersacke gepudert worden?*), auf die Vorstellung zurück, daß jem. einen leichten Schlag gegen das Gehirn bekommen habe. Mühle. Das ist Wasser auf seine Mühle: etw. gereicht ihm zum Vorteil, ebenso alle Wasser aufseine Mühle leiten (richten), oder ,uf sin Mühl huse’ (Eis.), auf seinen Vorteil bedacht sein; ndl. ,Dat is koren (water) op zijn molen*, frz. »C’est de l’eau à mon moulin*. Beide Rdaa. gehen auf die Technik des Wassermüllers zurück, wie sie schon der 659
Mulmig Holzschnitt aus Thomas Murners ,Mühle von Schwyndelßheim4 (1515) zeigt mit den Worten: Der Müller findt man wahrlich viel, Die alle Wasser uff ir mühl Richten, das es rusch do here, Ob sunst niender kein tropffe wäre. ,Alle Wasser auf seine Mühle lenken' Lit. auch bei Lohenstein (,Arminius4): „Es ist nichts seltzames fremdes Wasser auff seine Mühle leiten“; dann auch bei Schiller in den ,Räubern1 (III,2): „Das ist Wasser auf unsere Mühle, Hauptmann!“ Goethe schreibt (Weim. Ausg. 25,1,14): „Dichter und Bildner beide beschäftigen sich an einer Quelle, und jeder sucht, das Wasser nach seiner Seite, zu seinem Vorteil hinzulenken“. Das ist noch in der Mühle .'das ist noch nicht abgeschlossen, noch nicht fertig; bei Joh. Fischart im ,Bienenkorb4 (97 a) in der Form: „Darum muß folgen,... daß etwas anders auf der mülen ist, dann man uns sagen will“. Über einen, der viel und dauernd redet, sagt man schwäb. ,dem geht sei Maul wie e Mühl4. Von einem Spitzbuben, der alles mitgehen heißt, heißt es rheinhess. ,der läßt nichts liegen als Mühlsteine und glühendes Eisen4. ,Die ok irst to der molen kumt, die sal erst malen4 ist die ndd. Form des Sprw. ,wer zuerst kommt, mahlt zuerst4 (/mahlen). Von einem, der unnötig laut spricht, sagt man in Hessen-Nassau ,mer meent, dau (du) werst in der Meel groß worn4, wegen des Lärms, der in einer Mühle herrscht. Aus dem gleichen Grunde gebraucht man auch die Rda. ,in der Mühle sagt man's zweimal4, die vor allem in Süddtl. und Vorarlberg beheimatet ist. Man hält sie demjenigen entgegen, der beim ersten Mal nicht verstanden hat oder nicht verstehen will. Diese Rda. von der Mühle wird mit vielen Zusätzen versehen. So heißt es, ,In der Mühle sagLjEtfn’s zweimal, - den Narren dreimal4 - einem Esel dreimal4 - alten Weibern dreimal4 - das dritte Mal kostets einen Kreuzer4 - das dritte Mal schlägt man einem den Sack um die Ohren4 - und bei den Bauern bis man's versteht4. Von der sprw. Unehrlichkeit der Müller heißt es: ,In der Mühle ist das beste, daß die Säcke nicht reden können4. Im Volksmund werden noch verschiedene Dinge als Mühle bez. Ein altes Fahrrad nennt man, wohl weil es klappert .eine alte (Tret-) Mühle4; man spricht auch von der .Tretmühle des Alltags4, wobei wohl im Hintergrund die Vorstellung von den Treträdern in Arbeitshäusern des 17. und 18. Jh. steht, die von den Verurteilten bedient werden mußten /Tretmühle. Eine schwere Arbeit bez. man als .Knochenmühle4. Mühlstein /Stein. Ul.: E. Handrick: Müllersagen (Leipzig 1928); //. Gleisberg: Beiträge zu einer Vkde. des Müllers und der Mühle, in: Dt. Jb. f. Vkde. 1 (1954), S.157ff.; //. Bausinger: Müller und Mühle im Denken des Volkes, in: Schwäb. Heimat 12 ( 1961 ), S. 73-76; S. Grosse: Die Mühle und der Müller im dt. Volkslied, in: Jb. d. Oesterr. Volksliedwerkes 11 (1962), S.8-35; W.Dan- ckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern - München 1963), S. 125-145. mulmig. Die Sache wird mulmig sagt man bei einer Angelegenheit, die bedenklich wird und schlecht auszugehen droht. Mulmig wird so im gleichen Sinn wie .brenzlig4 gebraucht. .Mulm4, ndd. ,molm‘, ist Staub, Stauberde (auch faules Holz) und geht auf 660
Mund mahlen, zermalmen zurück. Die Vorstellung ist wohl, daß eine Sache undurchsichtig, faul wird. Mumpitz. Eis. ist seit Moscherosch (1643) das Wort ,Butzemummer (auch .Mummelputz4; mummen = verhüllen, Butz = Gespenst) für Vogelscheuche gebräuchl. In der Umgangssprache entwickelte sich wohl daraus das hess. ,Mombotz4, Schreckgestalt, Schreckgespenst. Später wurde das Wort zu der Bdtg. ,leeres Geschwätz1 verflacht. Als Berl. Börsenausdr. taucht es in der Bdtg. ,Schwindel, Unsinn, leeres Gerede, mit dem man erschrecken will1 um 1870 auf .‘Fontane belegt es 1-8-83 fü‘r Berlin und Ostpreußen. ,Mach keinen Mumpitz4, mach keine Dummheiten. Mund. In Mdaa. und Umgangssprache steht für Mund meist ,Maul\ bes. in den obd. Mdaa. Nordd. tritt dafür oft auch der derbe Ausdr. ,Schnauze1, ndd. ,Snuut‘ ein. Außer den bereits bei /Maul aufgeführten Rdaa. seien noch die folgenden ergänzt: Seinen Mund nicht auf tun: schweigsam, nicht redselig sein,,maulfaul1 sein; die Rda. beruht auf Jes. 53,7: „Er tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird“. Nicht auf den Mund gefallen sein: redegewandt, schlagfertig sein; oder verstärkt: ein gutes Mundwerkhaben;nd\. ,hij isgoed van de tongriem gesneden4, 1603 belegt; frz. ,avoir la langue bien pendue4, ,avoir le filet coupé4; engl. ,to have the gift of the gab4, ,to have a well-oiled tongue4, ,to have one’s tongue well hung4. Wie auf den Mund geschlagen sein: vor Verblüffung kein Wort zu sagen wissen, sich den Mund verbrennen (bei Luther: „sich das Maul verbrennen44): unbedacht mit den Worten herausfahren, die einem dann Tadel und Unannehmlichkeiten zuziehen. Das Bild der Rda. ist vom Essen zu heißer Suppe hergeleitet, wie denn auch Lehmann S.68 (,Behutsamkeit43) erklärt: „Wer das Maul verbrennt hat, der bläst in die Supp“; dazu auch das ndd. Sprw.: ,De kann swigen, de heet eten kann4. Das Bild des Essens steht auch hinter den Mund vollnehmen: übertreiben, prahlen. Leckere Speisen machen den Mund wäßrig. Einem, der eine wohlbesetzte Tafel sieht, läuft das Wasser itn Mund zusammen; frz. J’eau vient à la bouche4. Sich etw. vom Mund absparen: am Essen sparen, um sich etw. kaufen zu können; daß dies nicht richtig ist, sagt ein Sprw. aus dem Westerwald: ,Wot mer sport on seim Mund, frißt die Katz orrer de Hund4. Diese Rda. erscheint lit. bereits in Hans Sachs’ Schwank ,Der zu karg und der zu milt4 (4): Wo er nur kund bey seinen jaren Ein Pfenning kund am maul ersparen - und in seinem bekannten Fastnachtspiele das ,Heiß eisen4 (179): Vier gulden zwölffer, die ich doch, hart Hab selbst an meinem maul erspart. Einem etw. vor dem Munde wegnehmen; in älteren Belegen statt wegnehmen ,abschneiden4, so heißt es in Murners ,Narrenbeschwörung4 (59,52): Wer all die Buben ertränkte... Der thet doch gott ein dienst daran * Das sy dem armen krancken man Syn brot abschnyden vor dem mundt; und in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (1,16) ist die Rede von Schmarotzern und Hungerleidern, die denen, „so etwas meri- tirt, das Brot vorm Maul abschneiden“. Jem. die Bissen in den Mund zählen: ihm nicht gönnen, daß er sich satt ißt. Von der Hand in den Mund leben sagt man von einem, der nicht spart, sondern das Erworbene sogleich ausgibt; scherzhaft bezieht man es auf den Zahnarzt, der davon lebt, daß er anderen mit der Hand in den Mund fährt. Einem den Mund sauber haften: ihm nichts vom Essen abgeben, auch allgemeiner: jem. etw. vorenthalten; wie ans einem Munde wird vermerkt, wenn zwei gleichzeitig dasselbe sagen. Die Rda. warm und kalt aus einem Munde blasen oder aus einem Mund kalt und warm blasen: zwiespältig, unaufrichtig, doppelzüngig4 sein, geht auf eine Fabel Äsops (Nr. 64) zurück. Ein Waldschrat schloß Freundschaft mit einem Menschen. Eines Tages sah er, wie der Mensch sich in die Hände blies, um sie zu wärmen; kurze Zeit später, als er beim Essen saß, blies der Mann in den dampfenden Teller, um das Essen abzukühlen. Als der Waldgeist sah, daß der Mann warm und kalt aus einem 661
Mundtot Munde blies, kündigte er ihm die Freundschaft. Die Rda. ist zumindest seit dem 16. Jh. bei uns bekannt. Auch in den Niederlanden ist sie verbreitet (,heet end koud uit een mond blazen‘); es gibt ein Gemälde von Jordaens über diese Fabel. Ebenso: aus zwei Mündern sprechen: doppelzüngig sein; in der ndl. Form ,hij spreekt uit twee monden4, womit man einen Betrüger bez., ist die Rda. im 18. Jh. auch in den ndl. Bilderbogen dargestellt worden. SPRECHT VYT TWEEMOWDEW. ,Aus zwei Mündern sprechen4 Sehr alt ist die in Süddtl. gebräuchl. Rda. von Mund auf in den (gen) Himmel kommen (fahren), ln einer Predigtsammlung aus Salzburg heißt es 1705 in einer Kapitelüberschrift: „Von einem / der von Mund auf ist gen Himmel gefahren / weil er niemand freventlich verurtheilt hat44 (Heribert von Salurn, ,Festivale‘I, 126). Einem nach dem Munde reden: ihm schmeicheln; jetn. das Wort vom Munde ablesen, im gleichen Sinne wie etwa: jeden Wunsch von den Augen ablesen und damit erfüllen; ,enen deep in de Mund seen4, ihm Glauben schenken. Einem über den Mund fahren: ihn scharf zurechtweisen; einem das Wort im Munde umdrehen: seine Äußerungen entstellt weitergeben, sie absichtlich anders deuten; das Wort aus dem Mund nehmen: dasselbe sagen, was der andere auch gerade sagen wollte; ein Schloß an den Mund hängen: jem. zum Schweigen bringen; den Finger auf den Mund legen ist von der Gebärde, mit der man jem. zum Schweigen auffordert, genommen; einem die Worte in den Mund legen: ihm zu verstehen geben, was er sagen soll. Sich den Mund nicht verbieten lassen: sich von einer peinlichen Äußerung nicht abhalten lassen; sich den Mund fusselig oder fransig reden: etw. ausführlich und doch wirkungslos darlegen; obersächs. auch: ,sich Fransen ums Maul reden, sich Troddeln schwatzen4. In aller Leute Mund sein: ins Gerede kommen; frz. ,être dans toutes les bouches4; engl. ,to be in everybody’s mouth4; ndl. ,over de tong gaan4; Mund und Nase auf- sperren: sehr erstaunt sein; den Mund halten: schweigen; den Mund auf tun: etw. sagen; ,e krumm Maul mache4 (eis.), Zeichen von Unlust geben; ,wie us dem Mull gegroffe4 sagt man im Siegerland über einen, der jem. sehr ähnl. sieht. (Sich) kein Blatt vor den Mund nehmen /Blatt. mundtot. Jem. mundtot machen: ihn zum Schweigen bringen, ihn ausschalten; die Rda. bezieht sich urspr. nicht auf den Mund, sondern auf ahd. und mhd. munt (f.) = Schutz, Schirm, Gewalt, Schutzgewalt. In unserem Wort,Vormund4 (der vor dem Mündel stehende, der über sein Mündel Gewalt habende) lebt die alte Bdtg. noch fort. ,Mundtot machen4 bedeutet also urspr.: entmündigen; der Ausdr. ist von Schottel um 1665 erstmals gebucht und erklärt worden. Außerhalb der Rechtssprache wurde er bald als auf den Mund bezüglich volksetymol. umgedeutet und zum Parallelausdr. von ,den Mund (das Maul) stopfen4 (/Maul), eine Entwicklung also, für die die Homonymie der Wörter Munt und Mund verantwortlich zu machen ist. Münze. Etw. fiir bare Münze nehmen. Diese seit dem 18. Jh. belegte, auch in den Niederlanden (,iets voor gangbare munt aannemen4)und Frankr. (,prendre quelque chose pour bon argent4) geläufige Rda. wendet man auf jem. an, der etw. als ernst auffaßt, das nur im Scherz gesagt wurde. Über jem., den man nicht für normal hält, sagt man im Els. ,der is nit bi barer Münz4. Mit gleicher (grober) Münze heimzahlen (zuriickzahlen) steht bereits bei Abraham a Sancta Clara (,Etwas für alle4, 163) und bedeutet: jem. in ähnl. unfreundlicher, grober Weise behandeln. 662
Musik, Musikant Da muß man Münzen haben: dazu braucht man viel Geld (Vorarlberg); ähnl. mit klingender Münze bezahlen: mit Bar- bzw. Hartgeld (als Grundlage einer soliden Währung, in der der Metallwert einer Münze ihrem Nennwert entspricht) bezahlen. Es auf jem. gemünzt haben bedeutet eigentl.: eine Denkmünze, die mit Anspielungen und anzüglichem Bildwerk versehen ist, auf jem. prägen. Solche Denkmünzen wurden vom Handwerker in der Münzwerkstatt (,Es auf jem. gemünzt haben4) Münzwerkstatt hergestellt und vorzugsweise im 17. und 18. Jh. geprägt. Heute bedeutet die Rda.: etw. über jem. äußern, ohne seinen Namen zu nennen. Mus. Urspr. bezeichnete Mus jede Art von gekochter Speise. Im Mhd. ist ,muoshus‘ das Speisehaus. Erst später wird die Bdtg. zu ,(süßem) Brei4 verengt; dazu die Ableitung Gemüse. Jem. das Mus süß einst reichen (ums Maul streichen): einem schmeicheln, um einen Vorteil von ihm zu erlangen. Einem das Mus versalzen; Parallel-Rda. zu ,einem die /Suppe versalzen4. Murner schreibt: ,Das muosz versaltzen'4 (,Schelmenzunft4 33), ebenso Fischart: „Welche jnen das Muß versaltzen wolten“ (III 259); gemeint ist: jem. einen Plan durchkreuzen, einen ,Strich durch die Rechnung machen4 (/Strich). ,Mer mot nicht alle mose smecken4, heißt es in Bremen, um auszudrücken, daß man nicht alles ausprobieren oder erfahren muß. ,Dat mos is vorgoten4 (das Mus ist ausgegossen), die Sache ist zu Ende (ndd.). Im Hess, heißt es ,Mus on (und) Saft gehn kee Kraft\ ähnl. in der nordostdt. Rda. ,Mos mäht lostig, awer schwach op de Bên\ um auszudrücken, daß Mus bzw. Brei keine kräftigende Nahrung ist. Umgekehrt sagt man jedoch zu einem Jungen, der für eine Arbeit noch zu schwach ist, er ,muess noch mehr Mus esse4 (Vorarlberg). Eine tote Fliege kann das beste Mus verderben ist ein schwäb. Sprw., das besagt, daß eine diffizile Angelegenheit durch eine Kleinigkeit wertlos bzw. verdorben werden kann. ,Er het’s Mus verschütt4 sagt man im Eis., wenn einer sich unbeliebt gemacht hat. In erster Linie waren damit wohl Verstöße gegen das gute Benehmen bei Tisch gemeint, in übertr. Bdtg. später dann alle Ungeschicklichkeiten, die Ärger verursachten; man sagte dann auch ,er hat ins Mus getappt4 oder bezeichnete einen tolpatschigen Menschen als ,Hans-tapp-ins-Mus4. Jem. zu Mus hauen: ihn heftig prügeln; Pa- rallel-Rda. zu ,einen zu /Brei hauen4. Musik, Musikant. Das ist Zukunftsmusik: das liegt noch in weiter Ferne, es ist unsicher, ob es sich verwirklichen läßt. Urspr. bezog sich der Ausdr. iron, auf Richard Wagners Buch ,Das Kunstwerk der Zukunft4 (1850). Der kann abkommen ohne Musik sagt man im Saarland für einen, der sich unbeliebt gemacht hat; es ist wohl an den Besuch großer und beliebter Persönlichkeiten gedacht, die mit Musik empfangen und wieder zur Stadt hinausgeleitet wurden. Wer gern tanzt, dem tuts jede Musik sagt man im schwäb. Sprw. und meint damit, daß einer, der etw. um jeden Preis erreichen oder haben will, nicht sehr wählerisch ist, bzw. sein kann. Da liegt Musik(e) drin!: Die Sache läßt sich hören; eigentl.: sie klingt erfreulich wie Musik; das ist Musik in meinen Ohren: eine willkommene Botschaft. Musik steht oft für Geld, indem man auf den Klang der M ünzen anspielt : Da hast du die ganze Musik hört man wohl einmal beim Skatspiel, indem man dem Gewinner 663
Muskatnuss die gewonnenen Pfennige zuschiebt. Die Rda. wird aber auch allgemeiner gebraucht. Ähnl. sagt man hier sitzen die Musikanten, indem man auf den Geldbeutel schlägt, so daß die Münzen klimpern. Der Ausdr. soll von dem Theaterschriftsteller L.Angely (1787-1835) geprägt worden sein. Da liegt ein Musikant begraben ist der Ausruf, wenn man an einen Stein stößt oder stolpert. Die Rda. geht vielleicht auf den ma. Brauch zurück, Musikanten, Gaukler und Komödianten als unehrliche Leute1 außerhalb des Friedhofes, auf freiem Felde zu begraben. Mehr Wahrscheinlichkeit hat jedoch die Herleitung des Ausdr. aus Schatzgräbersagen (,da liegt der Hund begraben1; /Hund) für sich, wo Musikant verhüllend für den Namen des Teufels steht. Mehr als Musikalität spielt Unmusikalität in Sprww. und Rdaa. eine Rolle. ,Ich bin auch musikalisch, ich häng’ immer die Mütze an die Orgel4; schles. ,du bist wull au musekalsch. Dei Vater war e Leiermann, un du hust ’m de Nota gehaln4; oder im Sagwort: ,Ich bin auch musikalisch, sagte die Magd, ich blase - die Suppe4; oder:,Es geht nichts über die Musik, sagte der Inspektor, als er die Tischglocke läutete4. Lit.: A/. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Muttersprache (1963), S.20Iff. Muskatnuß. Die Muskatnuß (Myristica fragrans) war bereits Ende des 12. Jh. in Nordeuropa bekannt. Schon sehr früh holten die Araber die Droge aus Indien. Als Gewürz wird sie gegenwärtig sehr viel weniger als im MA. benutzt. Die fremdländische Herkunft der aromatischen Frucht gab wohl Anlaß zu Rdaa., wie er versteht soviel davon wie eine Kuh (Ochse) von ei fier Muskatnuß, wenn man ausdrücken wollte, daß jem. über eine Angelegenheit redete, von der er nichts verstand. Luther schreibt ,,was soll der Kuh Muskate? sie frißt wohl Haferstroh!“, um die Unangemessenheit einer Sache aufzuzeigen. Ähnl. drückt es eine schwäb. Rda. aus: ,Es gehört keiner Sau keine Muskatnuß, sie weiß sie nicht zu reiben4. Um die Rückständigkeit oder Weltfremdheit eines Menschen auszudrücken, sagt man in Hessen: ,Was versteht der Bauer von Muskatnuß? er glaubt, es wär’ e Setzkartoffel4. Von einem Tölpel, der einen guten Einfall oder unvermutetes Glück hat, sagt man auch jetzt hat die blind’ Sau e Muskatnuß gefunde4 (Schwaben), wohl in Analogie zu dem Sprw. von dem blinden Huhn, das auch einmal ein Korn findet. Der Kuh Muskaten geben wird im gleichen Sinne gebraucht wie die Rda. ,Perlen vor die Säue werfen4 (/Perle). Mut. Das Wort Mut umfaßte urspr. alle Regungen des Seelenlebens, was sich heute noch in der Wndg.,zumute sein4 ausdrückt. Sein Mütchen an jem. kühlen: seine übermütige Laune an ihm auslassen. Mhd. steht in gleichem Sinne (Haß, Zorn, Ärger) das Wort muot; z. B. im ,Nibelungenlied4 (Ausg. Zarncke, Str. 1327): ,,Do kuolten an den vinden die geste wol ir muot“. Luther übersetzt 2. Mos. 15,9: ,,Ich will nachjagen ... und meinen Mut an ihnen kühlen; ich will mein Schwert ausziehen, und meine Hand soll sie verderben“. Seit Luther begegnet auch die Verkleinerungsform häufiger: „küle dein mütlin nicht, wenn du straffen soit44 (Sirach 10,6), das Hans Sachs in freier Reimfassung gibt: Rech nit zu gnaw all misse that, Kül nicht dein Mütlein frü und spat. Seit dem 17. Jh. wird die Rda. in der Schriftsprache in der uns heute geläufigen Form verwendet. Sie ist auch ndl. ,zijn moed koelen aan jemand4, frz. .soûler, assouvir sa vengeance, sa colère sur quelqu’un4 bzvv. ,excercer sa rage contre quelqu’un* sowie engl. ,to vent one’s anger (spleen) on a person4 gebräuchl. Mut zeigt auch der Mameluck ist durch Schillers Gedicht ,Der Kampf mit dem Drachen4 (Musenalmanach 1799, S. 151 f.) zur Rda. geworden. Im Volksmund wird sie oft scherzhaft zu einem Wechselreim ,Mut zeigt auch der lahme Muck4 verdreht. Mutter. Vorsicht ist die Mutter der Weisheit oder in volkstümlicher Konkretisierung Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste meint, daß Vorsicht wichtiger ist als alles andere und daher noch vor der Weisheit kommt. Das Sprichwort ist wohl in Anlehnung an ähnl. aus dem Lat. wie ,repetitio 664
Mütze est mater studiorum1 gebildet. Nach demselben Bautypus verlaufen die Sprww. ,Not ist die Mutter der Künste4,,Überfluß ist die Mutter der Langeweile*, Erfahrung ist die Mutter der Wissenschaft*, ,Die Erde ist die Mutter des Reichtums*, ,Der Friede ist die Mutter des Reichtums*, Tyrannei ist die Mutter der Ungerechtigkeit*, ,Schwelgerei ist die Mutter der Habgier* (Cicero:,Luxuria avaritiae mater*) etc. Der Ausdr. Mutter Natur geht auf Klop- stocks Ode ,Ziirchersee* (1750) zurück. Die Mutter Erde küssen ist ein Euphemismus für ,zu Boden fallen*. Der Franzose gebraucht dafür die witzige Rda. ,prendre un billet de parterre*. Der dt. Ausdr. erinnert an die Geschichte von den Söhnen des Tarquinius Superbus, denen prophezeit worden war, nach dem Vater werde herrschen, wer zuerst die Mutter küsse; Brutus wußte das Orakel zu erfüllen, indem er absichtlich stolperte, zu Boden schlug und die Erde mit den Lippen berührte. Bei Mutter Griin übernachten: im Freien übernachten. Die Rda. ist von Berlin ausgegangen, aber auch in die allg. Umgangssprache eingedrungen. Der Mutter am Schoß hängen sagt man von einem Kind, das ängstlich nicht von der Mutter weicht, übertr. bezieht man es auch auf Heranwachsende. Eine andere Mutter hat auch ein liebes, schönes Kind oder jede Mutter hat ein liebes Kind sagt man im südd. Raum und den Alpen einem abgewiesenen Freier; in übertr. Bdtg. gebraucht man diesen Ausdr. resignierend, wenn man etw. nicht erhalten konnte, das man erstrebte. Da ist's Kind vor der Mutter auf die Weh gekommen sagt man über ein vorlautes Kind, das alles besser weiß. Der Ausdr. entspricht sinngemäß der Rda. ,da ist das /Ei klüger als die Henne*. Im Westerwald sagt man bei dem Anblick, den das Wogen des blühenden Getreidefeldes hervorruft: ,die Mutter läuft durchs Korn*; gemeint ist damit ein mythisches Wesen, das als Kornmutter oder Kornmuhme bez. wird und auch als Kinderschreck dient. Mutterseelenallein ist eine verstärkende Bildung für ,ganz allein* und seit etwa 1809 (Campe) gebräuchl. Im Friihnhd. begegnet ,mutterallein*,eine ähnl. Bildung wie ,mutternackt*, und Gottfried Keller schreibt ,seelenallein*. Über die Zusammensetzung ,Mutterseele* (ähnl. wie: Menschenseele) kommt es dann über ,mutterseligallein* zu dem heute noch gebräuchl. Ausdr. Lit.: F. Ströbele: ,X ist die Mutter von Y\ in: Proverbium 15 (1970), S. 120f. Muttermilch /Milch. Mütze. ,Dat es em noh der Mötz* sagt man am Niederrhein, wenn etw. im Sinne des Betreffenden geschieht; umgekehrt: das ist ihm nicht nach der Mütze: es paßt ihm nicht, etwa im Sinne der Rda. »danach steht ihm nicht der / Kopf* ; so heißt es 1652 bei Lau- renberg „darna steit im de Kagel“ (= Kapuze). Etw. aufseine Mütze (Kappe) nehmen: dût Verantwortung für etw. übernehmen (/Kappe). Etw. auf die Mütze kriegen: einen Tadel einstecken müssen; entspr. einem etw. auf die Mütze geben: ihn ausschelten, schlagen; rhein. ,enen öm de Mitz haue*, ihn ohrfeigen, /Hut. Den drückt die Mütze: es fehlt ihm etw., er ist durch sein Benehmen auffällig. Die Mütze steht ihm nicht recht: er ist nicht gut gelaunt. Er hat heute die gute Mütze nicht auf: er ist schlecht gelaunt. Von einem, der schlecht gelaunt ist, sagt man auch, er habe seine Mütze schief auf (gesetzt). Der Ausdr. geht auf das 18.Jh. zurück, als man allg. Perücken trug. Nach der Art, wie einer seine Perücke (oder Hut) trug, schloß man auf seine Stimmung; so heißt es im Holl. ,de priuk zit hem scheef*. Die entspr. Rda. im Engl, heißt ,to have one's hair combed the wrong way*. Mit der Mütze nach etw. werfen: etw. leicht Erreichbares zu erlangen suchen; umgekehrt heißt es ,dar is keen Smiten mit de Mütz da*, wenn etw. außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt. Einen unter der Mütze haben: betrunken sein (nordd.), /trinken. 665
Nachgeburt. Bei dir haben sie wohl das Kind fortgeworfen und die Nachgeburt aufgezogen?: Ausdr. spöttischen Mitleids und mitleidigen Spotts auf einen dummen Menschen; wohl berl. um 1900 aufgekommen; seit dem 1. Weltkrieg auch sold, geläufig (Küpper I, S. 229). Nachtigall. Nachtijall, ick hör' dir trapsen (trampsen, loofen): ich merke, was los ist, ich ,rieche den /Braten4; die berl. Rda. ist zuerst 1878 in Hans Meyers Richtigem Berliner4 gebucht und wird auch heute umg. allg. nur im berlin. Dialekt gebraucht. Die Rda. ist vermutl. eine Verballhornung der ersten Zeile des Liedes ,Frau Nachtigall4, einem Fliegenden Blatt, das in ,Des Knaben Wunderhorn4 abgedruckt ist: Nachtigall, ich hör dich singen, Das Herz möcht mir im Leib zerspringen; Komme doch und sag mir bald, Wie ich mich verhalten soll. fföwljttMttye. ’ii™ » " pii mm 1 tjewatp schäften. Da es bes. von älteren Männern bevorzugt wurde, die nur noch wenige Haare hatten, wird der Traum von der Nachtmütze so gedeutet, daß man einen alten Mann heiraten werde. Die in Bremen bezeugte Rda. ,he hett ok noch nich de leste Nachtmützen up4 meint: mit ihm geht es noch nicht so bald zu Ende; sein Tod ist noch nicht zu befürchten. Nachttopf. Dich haben sie wohl auf den Nachttopf gesetzt und unters Bett geschoben? Diese Frage gilt als mitleidiger Spott für einen dummen Menschen; man umschreibt mit der Rda. das deutlichere ,einen /Schlag auf den Kopf bekommen4. Nachtigall, ich seh dich laufen, An dem Bächlein tust du saufen, Du tunkst dein klein Schnäblein ein, Meinst, es war der beste Wein. Möglicherweise liegt bei der Rda. eine Vermischung der Anfangszeile der ersten mit der der zweiten Strophe ,,Nachtigall, ich seh dich laufen44 vor. Die Nachtigall singen lehren tw. Unnützes tun. Vgl. ndl. ,Hij leert den nachtegaal zin- gen4. IJl.: K. Bode: Die Bearbeitung der Vorlagen in ,Des Knaben Wunderhorn1 (= Palaestra 76), Berlin 1909, S.395; L.Röhrich u. R. W. Bred nich: Dt. Volkslieder, Bd. 2 (Düsseldorf 1967), S. 359ff. .Nachtigall als Lie- bcsbotin1 (mit weiterführender Lit.). Nachtmütze. Eine Nachtmütze (Schlafmütze) sein: ein langweiliger, schläfriger Mensch sein. Das Kleidungsstück, das der Mann früher anlegte, wenn er zu Bette ging, steht für negative Charaktereigen¬ Nachtwächter. Ein Nachtwächter sein: ein Versager, ein Mensch ohne Unternehmungsgeist, ein geistesabwesender Träumer sein. Der Ausdr. gilt als häufige Schelte für langweilige und untaugliche Schüler, Lehrlinge und Rekruten, wird aber auch als verächtliches Schimpfwort unter Gleichaltrigen gebraucht. Der sprachl. Vergleich beruht auf der Tatsache, daß der Nachtarbeiter am Tage den Schlaf nachholen muß und deshalb immer nur müde zu Hause anzutreffen ist. Der Traum von einem Nachtwächter bedeutet daher, daß man das Haus hüten muß. 666
Nadel Das ist noch unter dem Nachtwächter!: das ist dümmer als dumm, das ist unter aller Kritik, das ist das Verächtlichste, was man sich denken kann. Die Rda. spiegelt die soziale Geringschätzung dieses Berufes. Da keine Ausbildung dafür nötig war, konnte ihn der Einfältigste ausüben. Ein Nachtwächter ohne Knochen ist die scherzhaft euphemist. Umschreibung für einen Kothaufen, der heimlich nachts auf die Straße gesetzt wurde. Lit.: A. Memminger: Hört Ihr Leut' und laßt Euch sagen! Ernstes und Heiteres vom Nachtwächter (Würzburg 1922); E. Bonomi: Der Nachtwächter im Ofner Bergland, in: Südostforschungen6 ( 1941 ), S.273-277; W. Danckert:Unehrliche Leute (Bern-München 1963), S.57 ff. Nacken. Einem den Fuß auf den Nacken setzen: ihn unterwerfen, aufs ärgste demütigen; urspr. nach ma. Kriegsbrauch wörtl. zu verstehen: Der Ritter setzte dem Besiegten den Fuß in den Nacken zum Zeichen der Unterwerfung. Einem auf dem Nacken liegen (sitzen): ihn ständig belästigen, /Hals. Einem in den Nacken schlagen: ihn empfindlich treffen. Luther gebraucht die Wndg. i.S.v.: verleumden, übel nachreden (,Sprichwörter4, 437). Heute ist das davon abgeleitete Subst. ,Nackenschlag‘ häufiger (z. B. geschäftliche Nackenschläge erhalten4). Einen harten (unbiegsamen) Nacken haben: eigensinnig, hartnäckig4 sein; nicht nachgeben wollen; ebenso in den Mdaa.: ost- fries. ,he het en stiewe Nack4; rhein. ,en stive Nacke han4. Jem. den Nacken steifen: ihn zum Widerstand ermuntern. Dagegen einem den Nacken beugen: ihn zwingen, seine Handlungsweise zu verändern ; eis. ,es blit im m Näcke henke4, er muß die Schuld bezahlen. Den Schalk im Nacken haben: zum Scherzen, zum Possenspielen aufgelegt sein (/Schalk); Goethe schreibt: „doch glaubt mir, er hatte den Schelmen faustdick im Nacken“; Claudius: Der Knabe hat blaue Augen, gelbes Haar Und Schalk im Nacken immerdar. Nadel. Er hat bei mir noch etw. auf der Nadel: er soll mir noch für etw. büßen. Die Rda. ist seit dem 16. Jh. bezeugt, heute aber nur noch in den Mdaa. vorhanden, z. B. schwäb. Schiller verwendet sie in folgender Form: Manches Stück von altem Adel, Vetter (Bacchus), hast du auf der Nadel, Vetter, übel kommst du weg. Man hat zur Erklärung der Rda., deren Bdtg. der von ,etw. auf dem Kerbholz haben4 entspricht, an einen Schneider gedacht, der so von einem Kunden sagt, für den er beschäftigt ist und von dem er noch Geld zu erwarten hat. Mit größerem Recht wird man aber unter der Nadel die Stricknadel verstehen, wie es denn auch landschaftlich heißt: ,etw. bei einem noch auf der Nadel sitzen haben4. Der bildl. Sinn hätte sich dann ebenso eingestellt wie in den Rdaa. ,noch etw. bei einem auf der Kunkel haben4,,einen /Schinken bei jem. im Salz liegen haben4. Wie auf Nadeln sitzen: sehr ungeduldig dasitzen (/Kohle). Bei Chr. Fr. Henrici (Pi- cander, 1700-64) heißt es: Seht, wie der Bräutigam hier wie auf Nadeln sitzt Und ärger als jemand das Leckermäulchen spitzt. Älter ist die Form auf Nadeln gehen (oder stehen); z.B. bei Daniel Stoppe (1697 bis 1747): Da geht man fast auf lauter Nadeln, Denn jede findet was zu tadeln. Ähnl. aus Breslau: ,0, macht ok furt! ’s is ja, as wenn ma auf Nadle schtinde4; Schweiz. ,of d’Nodle setze4, jem. in die Enge treiben. Die Rda. bezieht sich wohl auf die Gottesurteile und Folterungen, wo der Angeklagte zum Beweis seiner Unschuld über ein Nagelbrett gehen mußte. In verschiedenen Rdaa. wird Nadel auch kennzeichnend für ein sehr kleines Ding gebraucht; so sagt man von einer dichtgedrängten Menschenmenge: Es konnte keine Nadel zur Erde (fallen). Etw. wie eine (Steck-)nadel suchen: eine verlorene Kleinigkeit vergeblich suchen; ähnl. eine Nadel in einem Heuhaufen suchen, womit man die Nutzlosigkeit eines Suchens charakterisiert (ebenso engl. ,to look for a needle in a bottle of hay4; frz. ,chercher une aiguille dans une botte de 667
Nagel foin4; ndl. ,het is een naadl in een hooi- berg1). Etw. mit der heißen Nadel nähen: etw. eilig und darum schlecht und flüchtig ausführen. Bis heute hat sich der Volksglaube erhalten, daß es gefährlich sei, jem. spitze Gegenstände zu schenken. Man könnte sonst verletzen oder die bestehende Freundschaft zerstören. Die Warnung der Rda. Eine Nadel sticht die Freundschaft tot! wird noch immer beachtet, d.h. man hütet sich, Anstecknadeln oder Broschen zu verschenken. Ein Kamel durch ein Nadelöhr treiben (wollen): etw. Schwieriges, Unmögliches versuchen; einen mit etw. durchs Nadelöhr treiben: ihn durch Zwang oder Drohung zu etw. fast Undurchführbarem veranlassen. Die Wndgn. Beziehen sich auf' Matth. 19,24: „Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein“ Reicher ins Reich Gottes komme“. Mit dem Nadelöhr könnte ein sehr enges, kleines Tor in der Stadtmauer von Jerusalem gemeint sein, das nur Menschen den Durchgang gestattete und tatsächlich im Volksmund ,Nadelöhr4 genannt wurde. Wahrscheinlich beruht die Übers, jedoch auf einer falschen Lesart, so daß xdpr)- Aov = Kamel mit xapUiov = Schiffstau verwechselt wurde. Es müßte demnach in einem wirklich aufeinander bezogenen Vergleich richtiger heißen: „Es ist leichter, daß ein Schiffstau (dickes Seil) durch ein Nadelöhr gehe...“ (Büchmann, S.69). Nagel bedeutete urspr. den Finger- und Zehennagel sowie (aber im Dt. nur noch selten) die Tierkralle. Neben dieser Grundbdtg. kann mit Nagel aber auch ein hölzerner oder metallener Stift zum Festhalten von Brettern oder ähnl. Materialien gemeint sein. Dieses Uberschneiden der Bdtg. macht die Erklärung von alten, oft in ihrem Sinn dunkel gewordenen Rdaa. bes. schwierig, ln anderen europ. Sprachen ist fast durchweg eine Trennung dieser beiden Hauptbdtgn. von Nagel auch in sprachl. Hinsicht eingetreten (z.B. frz. Fingernagel: l’ongle; Stift: clou). Vom Nagel als Fingernagel sind folgende Rdaa. abgeleitet: Etw. brennt einem auf den Nägeln (oder auf die Nägel) bez. die ängst¬ liche Eile, mit der eine Arbeit in letzter Stunde fertiggemacht wird; man hat die Rda. vom Brennen der Fingerspitzen durch aufgelegte glühende Kohlen bei der Folterung hergeleitet. Die 1649 von Gerlingius unter Nr. 27 verzeichnete Form: „Die kertz ist auff den nagel gebrandt“ sowie die 1718 von Celander (,Verkehrte Welt4, S.520) gebrauchte Wndg. „So brennet ihm ... das Licht, wie man im Sprichwort zu reden pflegt recht auf den Nagel44 lassen eine andere Erklärungsmöglichkeit offen, nämlich die Vorstellung der bis auf die haltenden Finger herabgebrannten Kerze. Man hat daran erinnert, daß sich die Mönche bei der Frühmette zum Lesen im Dunkeln kleine Wachskerzen auf die Daumennägel klebten, so schwer dieses Bild auch einem heutigen Kirchenbesucher einleuchten dürfte. Goethe gibt der Wndg. noch etw. anderen Sinn, wenn er schreibt: Der Dichter freut sich am Talent, An schöner Geistesgabe; Doch wenns ihm auf die Nägel brennt, Begehrt er irdischer Habe. Mit Recht soll der reale Witz Urenkeln sich erneuern; Es ist ein irdischer Besitz - Muß ich ihn doch versteuern! D. h.: wenn erdichten muß, will er auch bezahlt sein, wobei unsere Rda. die Dringlichkeit unterstreicht. Einem die Nägel stutzen: ihm die Gelegenheit zum Stehlen nehmen; ndd. ,ik möt di de Nägel wol kort holln4. Sich etw. unter den Nagel reißen: sich etw. zulegen (mit dem Unterton: auf nicht ganz redliche Weise). Die Nägel(o&zy an den Nägeln) kauen: sich langweilen, ungeduldig, verlegen sein. Heinrich Heine dichtet: „Der Hans und die Grete sind Bräutigam und Braut... der arme Peter die Nägel kaut44 (,Buch der Lieder4); vgl. engl. ,You had as good eat your nails4; frz. ,ronger (zernagen), manger, mordre ses ongles4, höchst ungeduldig oder betrübt sein. Sich mit stumpfen Nägeln wehren: sich nur zum Schein wehren; lit. bei Wieland (9,86): „Die sich solang es hilft mit stumpfen Nägeln wehret44; Bismarck (,Reden4 XI, 428): „Ich habe mir damals nur erlaubt, mich mit stumpfen Nägeln zu wehren44. 668
Nac.el Die Nagelprobe machen: ist ein Trinkerbrauch, der darin besteht, daß man ein auf das Wohl jemandes geleertes Trinkgefäß auf den Daumennagel der linken Hand umstürzt, zum deutlichen Beweise dafür, daß der Becher bis auf den letzten Tropfen geleert worden ist. Diese schon altskandinavisch bezeugte Sitte wird in Dtl. 1494 von Sebastian Brant im ,Narrenschiff4 (110a, 109ff.) mit anderen närrischen Trinkerbräuchen ausführlich beschrieben: Das drinckgeschyrr heben sie entbor Vnd bringent eym eyn früntlich drunck, Do mit der becher mach glunck glunck, Vnd meynen do mit andere eren Das sie den becher vor umb keren. feh darff der selben hoffzucht nit, Das man mir vor das glaß vmb schüt Oder man mich zu drincken bitt. Joh. Fischart nennt in seiner ,Geschicht- klitterung4 von 1575 die Nagelprobe ,das Säuferisch Nägleinklopffen4. Der Ausdr. Nagelprobe ist zuerst in einer Hoftrinkordnung des sächs. Kurfürsten Christian II. (t 1611 ) nachgewiesen; die Rda. ist auch latinisiert worden:,super nagulum trinken4, was sogar ins Engl, (dort seit 1592 belegt) und ins Frz. gedrungen ist (engl. ,to drink super nagulum4, auch ,to make a pearl on your nail‘; frz.,boire rubis sur l’ongle4, und im Lied: ,11s faisoient en les renversant / Un super nagle allemand4). Auf den Fingernagel bezieht sich auch die wien. Rda.: ,er hat net, was schwarz unterm Nagel is4, gar nichts; auch sonst: das Schwarze unter dem Naget eine Kleinigkeit, Geringfügigkeit; vgl. rhein. ,net dat Schwatte onger dem Nagel dervan han4, keinen Vorteil davon haben. Sebastian Franck zitiert: ,Einem das Weisz vom Nagel geben4, nichts; eis. ,was ufme Nagel hebt4, sehr wenig; ,nit was under der Nagel geht4, nichts. Ähnl.: ,nicht um Nagelsbreite nachgeben4. Den bair. Ausdr. ,aufs Nägel4, aufs Haar, ganz genau, der dem lat. ,ad unguinem4 wörtl. entspricht (hier vom Steinmetz entlehnt, der mit dem Fingernagel die Glätte der Arbeit prüft), hat der Mda.-Forscher Andreas Schmeller (1785-1852) von den Nägeln oder Stiften herleiten wollen, die an der Innenseite von Schenkgefäßen zur Messung des Inhalts angebracht waren. Wenn man jedoch die schwäb. Varianten ,auf’s Nägele ’na4 und ,da muß alls uf’s Nägele sei4 berücksichtigt, scheint die Erklärung doch in dem Umkreis der zuletzt behandelten sprw. Wndgn. zu liegen, die den Nagel als etw. Bildhaftes für etw. Geringes gebrauchen., Aufs Nägele4 hieße dann also: korrekt bis zum Geringsten. Es ist erstaunlich, in wie vielen, zum Teil völlig beziehungslosen Wndgn. immer wieder die bildhafte Vorstellung des Fingernagels eine Rolle spielt. Hier seien nur die Wichtigsten mitgeteilt: rhein. ,die Orwet (Arbeit) geht mer vum Nagel4, geht gut voran; Schweiz. ,uf de Negel ha4, zur Verfügung stehen. Häufiger findet sich schon: etw. auf den Nagel können (oder kennen). Joh. Fischart: „Kannerdiesselbe Kunst auf ein Nägelein...44 = bis aufs Äußerste, so daß nichts daran fehlt. Oder noch deutlicher sein Zitat von Luther: „Meister Klü- gel, der die Hl. Schrift gar auswendig und auf dem Nägelein kann44. Schwäb. ,etw. über den Nagel abbrechen4: etw. übereilen, steht in enger Verwandtschaft zu Schweiz. ,über Nagel verreise müsse4, Hals über Kopf, plötzlich; (vgl. engl. ,on the nail4). Nur mdal. verbreitet ist das Schweiz. ,eim of em Negli chratze4, schmeicheln. Ebenfalls wenig verbreitet sind: schlesw.-holst. ,he kann ’n Nagel afbieten4, hat ein sehr gutes Gebiß. Etw. an den Nägeln herzählen: Analogiebildung zum Fingerzählen. Von den Nägeln an den Zehen anfangen: von unbedeutenden und wenig zur Sache gehörenden Dingen reden, statt von der Hauptsache. Nägel haben wie ein Schinder: recht lange Fingernägel haben, ähnl. schles. ,Er hat Nägel wie die Schurschaufeln4. Vom Nagel als hölzernem oder metallenem Stift sind die folgenden Rdaa. abgeleitet: etw. an den Nagel hängen: auf hören, eine Sache zu treiben (mit einem ähnl. Bild: ,etw. aufstecken4; zunächst wohl von Handarbeiten gesagt, und ,etw. aufgeben4, eigentl.: ein Sinnbild eines zu übergebenden Lehens oder Rechtes hochhalten). In wörtl. Sinne steht die Rda. noch in einem alten Soldatenlied: Doch heißt es an den Nagel g’hangen, Weil’s Fried, Geharnisch, Spieß und Schwert. 669
Nagel Mit kühner Übertr. ist es gebraucht in den Worten eines patriotischen Mannes an den Kurfürsten Max Emanuel von Bayern (1679-1726), als dieser in dem Streit um die Erbfolge in Spanien auf Frankreichs Seite trat: Anderst sollest dich bedenken - Warum willst dein schönes Land Also an den Nagel henken? Das ist dir dein größte Schand! In neuerer Zeit wird die Rda. vor allem bei der Aufgabe eines Berufes gebraucht: „Da er sein Studium nicht, nach Art so vieler geistlicher Herren an den Nagel hängte44 (F.Ch. Laukhard, ,Leben und Schicksale4, 1792, hg. v.Petersen, 1,8). Groß ist die Zahl der Abwandlungen der Rda.: ,etw. an einen lockeren Nagel hängen4, etw. Unsicheres tun; ,etw. an einen hohen Nagel hängen4, sich Aufschub zur Überlegung verschaffen; ,alles an einen Nagel hängen4, alles verwischen, alles durcheinanderwerfen, anstatt jeder besonderen Sache ihren eigentümlichen Platz anzuweisen oder auch: das ganze Vermögen an ein Unternehmen wagen;,nicht alles an einen Nagel henken4, nicht zuviel auf einen Wurf wagen; ,von einem Nagel an einen anderen hängen4, alte Schulden durch neue bezahlen; immerfort borgen. Schwäb. ,e Schuld von eim Nagel ab den andere henke4, ,an’s Nägele henke4, ,er hat’s am Nägele4, hat’s ganz sicher. ,Etw. hängt am Nagel4, ist unbenutzt. Den Nagel auf den Kopf treffen: genau das Richtige treffen; freilich wohl nicht mit dem den Nagel einschlagenden Hammer, sondern mit dem Bolzen, denn die Rda. stammt aus der Sprache der Schützen: Ein Nagel, eine Zwecke (daher,Zweck4 = Ziel eines Tuns) bezeichnete den Mittelpunkt der Scheibe (vgl. die gleichbedeutende Rda. ,ins /Schwarze treffen4; hierzu wohl auch ,Kernschuß4 in wörtl. und übertr. Anwendung). Luther schreibt (Jenaer Ausgabe V, 246a): „Es ist not, daß ein guter Schütz allwegen den Pflock oder Nagel treffe44. Im Lat. entspricht ,rem acu tangere4, wörtl.: die Sache mit der Nadel berühren (Plautus: ,,rem acu tetigisti44, ,du hast den Nagel auf den Kopf getroffen4). Nägel mit Köpfen machen: ganze Arbeit machen, etw. zu Ende denken, konsequent sein; vor allem seit dem 19.Jh. in westdt. Mdaa. verbreitet, so rhein. ,Nägel met Köpp make4. Als negative Personencharakteristik: ,Däär mächt lauter Nääl ohne Köpp4, lauter zwecklose Arbeit. Er hat einen (hohen, oder gewaltigen) Nagel (im Kopf):tx ist sehr dünkelhaft (ähnl. wie ,einen /Sparren zuviel haben4). Diese seit dem 16. Jh. bezeugte Rda. ist noch nicht erklärt. Das Gegenteil wird ausgedrückt durch die ndd. Wndg. ,enem den Nagel daal kloppen4, einen demütigen (Bremisch-nie- dersächs. Wb., 1768, 111,212). Nägel auf sich spitzen lassen: sich alles gefallen lassen. Er ist mir ein Nagel zum Sarge: er trägt zu meinem frühen Tode bei, er verursacht mir einen schweren Verdruß, er bereitet mir Kummer, der an meinem Leben zehrt und es verkürzt. Das rdal. Bild vom ,Sargnagel4 ist seit der zweiten H. des 18. Jh. belegt, mdal. vielfach variiert, z.B. rhein. ,dat ess im der Näl op de Dudekess4; schlesw.-holst. ,dat is’n Nagel to sien Sark4 oder schwäb. ,der hat ihm au en Nagel in d’Bahr g’schlage4, hat ihn tödlich beleidigt; vgl. engl. ,that is a nail in my coffin'; ndl. ,dat is een nagel aan mijn doodkist4. Neben den Rdaa., die das Hauptwort Nagel als Kompositionsglied haben, tritt Nagel in einigen Wndgn. auch prädikativ auf. Schon Adelung hat (1777) in Sp.714 nagelneu sein wohl zunächst für etw. gebraucht, in das eben frisch Nägel eingeschlagen worden waren. Eine weitere allg. gebräuchl. Wndg. ist vernagelt sein: ungeschickt, begriffsstutzig, erstaunt sein; eigentl.: wie ein Pferd, dem von ungeschicktem Schmied beim Beschlagen ,Vernagelt werden (sein)' 670
Narr die Nägel ins Fleisch getrieben wurden. Für vernagelt sein kann in diesem Zusammenhang auch ,ein Brett vor dem Kopf (angenagelt) haben1 stehen. Ähnl. vernagelt werden: getäuscht, verdummt werden. Ebenfalls negativ ist nageln in der Wndg. .wo die Welt mit Brettern zugenagelt ist4 gebraucht (/Brett). Was nicht niet- und nagelfest ist: was beweglich ist, was man mitnehmen kann, fast alles. nagen. Nichts zu nagen und zu beißen haben: nichts (nicht genug) zu essen haben. Die ältere Form dieser Wndg. ist: ,weder zu beißen noch zu brocken4. Unter Nr. 706 seiner Sprww.-Sammlung führt Joh. Agricola aus: „Natur mag leicht gesettigt werden, denn wer brot hatt, erhungert nit, denn der bauch würd wol satt..., darumb ist es die eäusserst armuot, sich des hungers nit weren künden, vnd nicht zubeissen noch zubrocken haben. Die Ertzte sagen, daß die erste däwung des menschen geschehe im munde vnd zenen, also daß das wir ke- wen,... Wer nun nichts zubeissen hatt, vnd die erste däwung des munds zuerfüllen, der wirt zuo der andern däwung zur stercke fleysch vnd bluots langsam kommen, sondern muß verderben. Er hatt weder zubeissen noch zubrocken, er hatt nichts des er geniessen vnd teylen mochte, das ist, er hatt nichts“. Nähkästchen. Aus dem Nähkästchen plaudern: Geheimnisse preisgeben, private Dinge zum besten geben. Die Rda. ist eine jüngere Parallelbildung zu: ,aus der /Schule plaudern4. Nährwert. Das hat keinen (sittlichen) Nähr- w^/7:das hat keinen Zweck; hergenommen vom Kaloriengehalt eines Nahrungsmittels; vor allem seit 1945 stark verbreitet (Küpper II, S.200). Naht. In den umg. und mdal. Rdaa. bedeutet Naht nicht nur die Naht an einem Kleidungsstück, die zu platzen droht, wenn einem scharf zugesetzt wird; Naht sind auch die Prügel selber; schließlich bedeutet Naht eine große Menge, was möglicherweise von der Wundnaht hergeleitet ist: Wer ohne Narkose eine Naht vertragen kann, kann viel vertragen (KüpperII, S.200). Die Zuweisung der einzelnen Rdaa. zu den jeweiligen Bedeutungsfeldern ist nicht immer ganz leicht. Eine Naht machen: etw. Gelungenes zuwege bringen; früher: etw. zur Naht bringen: es zustande, zu Ende bringen; bei der Naht weg: ohne Ausnahme, frei weg; ähnl. hess. ,eim uf der Naht weg spreche4, ihm grundlegend die Meinung sagen. Einem die Naht beschneiden: ihn beim Handel betrügen. Einem die Naht streichen: ihn tüchtig verprügeln. Eine gute Naht saufen: tüchtig trinken. Eine (Sau-)Naht spielen: schlecht spielen. Obersächs. ,der schmiert enne Naht zusammen4, er schreibt schlecht. Das geht an die Nähte: das greift durch. Einem auf die Naht gehen (oder rücken, knien): ihm scharf zusetzen. Diese Rda. führt man auch zurück auf die Wndg. ,jem. auf die Nähte schauen4, einer Sache auf den Grund gehen. In Hans Sachs’ ,Sieben klagenden Männern4 heißt es (53): Wenn ich ir auff die net thu schauen, So klagt sie dann bey andern frauen. Die Bdtg. der Rda. ist: eine Sache nicht oberflächlich und nur ihrem Gesamteindrucke nach betrachten, sondern in ihre Einzelheiten genau hineinschauen. Daher auch häufig mit dem Beiwort ,scharf4 verbunden. Einem auf die Nähte fühlen: prüfen, ob er Geld bei sich hat; dann auch geistig wie: ,auf den /Zahn fühlen4. Etw. auf der Naht haben: wohlhabend sein, Geld haben. Einem nicht von den Nähten gehen: ihn belästigen. Aus allen (den) Nähten gehen (platzen). für den engen Anzug zu dick sein, dick werden, auseinanderfallen (vgl. ,aus den Schnüren gehen4, /Schnur). Eine große (dolle) Naht draufhaben: eine hohe Fahrtgeschwindigkeit entwickeln. Eine Naht reden: viel reden. Es brennt mir auf den Nähten (auch auf die Nähte): ich verspüre starke Nötigung; bin in Drang und Zwang; in dieser Rda. scheint Naht mißverstanden für /Nagel zu stehen. Narr. Einett zum Narren haben (oder halten): ihn zum besten haben, ihn aufziehen, foppen; eigentl.: ihn als Narren behandeln. Die Geschichte des Narren beginnt mit der alten Sitte, sich zur Unterhaltung bei Gast- 671
Narr mählern Lustigmacher zu halten. Schon in dem ,Symposion1 des Xenophon (um 430 bis etwa 354 v.Chr.) kommt ein solcher Lustigmacher vor, und im Rom der Kaiserzeit waren die Scurrae an den Tafeln der Großen ganz gewöhnlich, ln Dtl. kommen berufsmäßige Narren z.Zt. der Kreuzzüge auf. Nicht bloß an fürstlichen Höfen wurden Narren gehalten (Kunz von der Rosen bei MaximilianI., Klaus von Ranstat bei Kurfürst Friedrich dem Weisen), sondern fast von jedem adligen Herrn. Witze auszuteilen und einzustecken war ihre Aufgabe. Diese ,Hofnarren4 trugen eine eigentümliche Kleidung: auf dem geschorenen Kopfe saß die Narrenkappe (Gugel, lat. cucullus), eine runde Mütze mit drei Eselsohren und einem Hahnenkamm, einem ausgezackten Streifen roten Tuches, das von der Stirn bis zum Nacken lief. Um den Hals trugen sie einen breiten Kragen wie spater noch der Hanswurst auf Messen und Jahrmärkten, und an Kappe, Gürtel, Ellenbogen, an den Knien und Schuhen waren Schellen befestigt, um die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Soll nun, wie das Sprw. sagt, der Narr einem König gleich sein, so darf ihm das Zepter nicht fehlen; er führte es in der Gestalt des Narrenkolbens, anfangs nichts als ein Rohrkolben, der spöttisch auch ,Narrenzepter1 hieß; später brachte man oben einen Narrenkopf mit herausgestreckter Zunge als Verzierung an. Vom 16. bis zum 18.Jh. wurden von einzelnen Herrschern sogar witzige Gelehrte anstelle der Hofnarren verwendet; so ließen sich Taubmann am sächs. Hof (mit der amtlichen Bez. als ,kurzweiliger Rat4) und Gundling unter Friedrich Wilhelm l. am preuß. Hof ,zum Narren halten4, vgl. engl. ,to make a fool of a person4; ndl. jemand voor de gek houden4. Schweiz, ,eim de narre mache4, umsonst arbeiten, von jem. sich ausnutzen lassen, ent- spr. rheinhess. ,jem. den Aff’ machen4. Das Gegenteil besagt die ebenf. in der Schweiz, aber auch in anderen Mdaa. übliche Rda. ,e Narr i sin Sack sin4, auf seinen eigenen Nutzen bedacht sein, trotz aller Narrheit; hd. Er ist ein Narr in seinem Sack. Die Gestalt des Narren hat nicht nur der Dichtung (Brant, Murner, Hans Sachs) vielfache stoffliche Anregung geboten, sondern ist auch der Anlaß zu zahlreichen volkstümlichen Rdaa. geworden: Der Narr muß ein Abzeichen haben sagt man von einem, der immer etw. Absonderliches haben will; rheinhess. sprw.: Jedem Narr gefällt sei Kapp4, jeder hat seine Eigenheit, die er liebt. Er ist ein Narr in Folio: er ist ein großer Narr, d.h. eigentl. ein Narr von größtem Format; ,Folio4 ist ein Fachausdr. für ein großes Buchformat, bei dem die Seite von einem halben Bogen (folium) gebildet wird. Von dem Prediger Abraham a Sancta Clara haben wir ein,Centifolium Stultorum in Quarto, oder hundert ausbündige Narren in Folio4 (1709). Einen Narren an jem. (oder auch an etw.) gefressen haben: in lächerlicher Weise dafür eingenommen, verliebt sein. Die alte Vorstellung, daß ein Alberner einen kleinen dämonischen Narren leibhaft in seinem Innern stecken habe, hat zunächst die Rda. geschaffen:,einen Narren im Leibe haben4, ,einen Narren gefressen haben4. Murners ganze ,Narrenbeschwörung4 (1512) erklärt sich ja so: Er will versuchen, ,,die narren von den lüten zu bringen“ (1,7). Freilich weiß er, wie ihn seine Gegner deswegen verhöhnen, legt aber doch selbst einem von ihnen die Worte in den Mund (2,40): ,Einen Narren an jem. gefressen haben1 672
Narr Darum muß ich mein buch (Bauch) zerlachen, Das er die sach wil underston, Und hat selbs wol zwölf legion, Als vil das ichs nit zelen mag, Und meeret sich von tag zu tag; Die alten machen jung in dir. In der ,Mühle von SchwyndelßheinT (V. 609;) erklärt Murner: Wer hohen zorn nit kan vergessen, Der hat auch rohe narren fressen. ,Narrenschneiden' Hans Sachs hat einen Schwank ,Der Narrenfresser4 und ein Fastnachtsspiel ,Das Narrenschneiden4 geschrieben; in dem Spiel schneidet der Arzt einem Kranken die Narren der Hoffart, des Geizes, des Neides, der Unkeuschheit, der Völlerei, des Zorns, des Scheltens usw. aus dem Leibe heraus. Zu der jetzt geläufigen Form hat die Rda. wohl nur erweitert werden können, als man bereits an ihren eigentl. Sinn nicht mehr dachte; ,einen Narren an jem. gefressen haben4 - das ist, wörtl. genommen, Unsinn, es soll aber der Sinn darin liegen: ein Narr sein in Beziehung auf jem.; in ihn ,vernarrt4 sein. In der ,Zimmerischen Chronik4 (16. Jh.) steht die einfache alte Rda. noch neben der jüngeren (11,466): ,,Die zeit er aldo verharret und von der schönen Rellin- gern gehört, da hat er ainsmals den narren gefressen und von iretwegen ain söllichs panketieren angefangen, das sich menigcli- chen darob verwundert hat44 und (111,581): „Der hat den narren gleichergestalt an di- ser von Barr gefressen44. Bair. ,es sticht einen der Narr4, ebenso schwäb. ,den hat der Narr gschtoche4 ist zu erklären als Vermengung von Rdaa. wie: ,der /Schalk schlägt ihm in den Nacken4 und ,ihn sticht der /Hafer4. Den gleichen Sinn haben die mdal. Rdaa.: schwäb. ,Er ist em Narre überm Säckle gwese4, eis. ,em Narre üwers Säckle gerote4 (geraten). Einen am Narrenseil führen: seinen Scherz mit ihm treiben, ihn mit leeren Worten hin- halten. Auf dem Holzschnitt zu Kap. 13 von Seb. Brants ,Narrenschiff4 hält Venus einen Gauch, einen Esel, einen Affen und drei Narren an Seilen. Sie sagt von sich: An mynem seyl ich draffter (hin und her) yeig (jage) Vil narren, affen, esel, geüch, Die ich verfuer, betrueg und leych (täusche). ,Einen am Narrenseil führen1 Das Narrenseil ist das Seil, woran die Narren geführt werden; urspr. sind es die Gestalten der verschiedenen Laster und Torheiten, auch der Teufel, die die Narrenwelt am Seile hinter sich herziehen. In der ,Zim- merischen Chronik4 (IV,327) klagt ein betrogener Liebhaber: Dieweil sie mich gefiert am narrensail, Wie ain affen an ainer ketten. In den ,Räubern4 (11,3) kreuzt Schiller die Rda. mit der ähnl. Wndg. ,einen an der Nase herumführen4, indem er Spiegelberg die Worte in den Mund legt: „Wir führen sie (die Polizei) erbärmlich am Narrenseil 673
Nase herum“. In den gleichen Zusammenhang gehört wohl die aus Zwickau bezeugte Rda. :,Heute hab’ch emal en Narren loofen lassen4, ich habe mir etw. Besonderes zugute getan. Er ist ein Narr auf eigne Hand; die Wndg. beruht auf Goethes Gedicht ,Den Originalen4, worin es am Schluß heißt: „Ich bin ein Narr auf eigne Hand“. Der Ausdr. Narr in Christo entstammt dem Titel des 1910 erschienenen Romans von Gerhart Hauptmann (1862-1946) ,Der Narr in Christo Emanuel Quint4; zugrunde liegt l.Kor. 4,10: „Wir sind Narren um Christi willen“. Lit.: Flöget: Gesch. der Hofnarren (1784); Nick: Die Hof- und Volksnarren (Stuttgart 1861); Ebeling: Zur Gesch. des Hofnarren F.Taubenborn (Leipzig 1883); ders.: Die Kahlenberger; zur Gesch. der Hofnarren (Berlin 1893); O.Mönkemöller: Narren und Toren in Satire, Sprw. und Humor, 2. Aufl. (Halle 1912); J. Lefftz: Die volkstümlichen Stilelemente in Murners Satiren (= Einzelschriften zur Eis. Geistes- u. Kulturgeschichte 1 ), Straßburg 1915; M.Held: Das Narrenthema in der Satire am Vorabend und in der Frühzeit der Reformation (Diss. Marburg 1945); H.Hanckel: Narrendarstellungen im Spät-MA. (Diss. Freiburg 1952); R. Gruenther:Die,Narrheit* in Sebastian Brants ,Narrenschiff*, in: Neophilologus 43 (1959), S.207ff.; W.Kayser: Das Groteske in Kunst und Dichtung (Hamburg 1960); B. Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant - Murner - Erasmus (Wiesbaden 1966). Nase. Eine gute (feine) Nase für etw. haben: etw. richtig ahnen. Die Rda. geht auf den feinen Geruchssinn eines Menschen, wahrscheinlicher aber auf den des Jagdhundes zurück, auf den sich urspr. auch das Adj. naseweis, eigentl. ,mit der Nase die Spur weisend4, bezieht, so schon bei Konrad von Würzburg: „tugende spürt er, sam daz wilt eine nase wiser bracke“. Was beim Spürhund ein Lob war, wird beim Menschen zum Tadel (ähnl. früher auch ,naseklug4, z. B. im 16.Jh. bei C. Faber: „hie müssen wir auch der naseklugen nicht vergessen, die das pferdt im hindern zäumen“). Ndd. ,ene dünne Näs hebben4, spitzfindig sein; Schweiz. ,e gschide Nasa ha4, etw. gleich merken, einen feinen Spürsinn haben; Rückert schreibt: „Doch daß auch Männer mit hochfeiner Nase sich täuschen lassen vom falschen Schein, das weiß ich44. Die Nase voll davon haben: nichts mehr davon wissen wollen (in ähnl. Sinn: verschnupft sein4); scherzhaft auch halbfrz.: die Nase plein (plengy pläng) haben. Das fuhr ihm in die Nase: es prägte sich ihm unangenehm ein, es gab ihm zu denken. Obersächs. ,einem die Nase wischen4, ihn tadeln; ndd. ,wat op de Näs kreegen4. Allg. eine Nase kriegen (bekommen): einen Verweis erhalten; bair. ,e Nase fangen4. Zur Erklärung wird darauf hingewiesen, daß dem, der einen Verweis bekam, ehemals eine Nase aus bunter Pappe aufgesetzt wurde. Man erinnert auch daran, daß, während sich beim Lachen das Gesicht verbreitert, es sich bei unangenehmen Empfindungen verlängert; vor allem scheint die Nase dann länger zu werden. Ebenso könnte man erklären: mit einer langen Nase ab ziehen, die Nase hängen lassen. Als der böhmische Winterkönig Friedrich V. in der Schlacht am Weißen Berge 1620 von Tilly, dem Feldherrn der Kath. Liga, besiegt worden war und Böhmen den Rücken kehren mußte, sangen die Katholiken (R. Wolkan, Deutsche Lieder auf den Winterkönig, S.268): Die Flucht den Böhmen allen. Darzu der Prager Städt Mit nichten wollt gefallen. Daß ihre Majestät Allein sie wollt verlassen In Unglück und Elend, Bekamen lange Nasen, Doch war der Jagd kein End. Genauso heißt es in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (II, 191) von einem Zöllner, der auf eine naseweise Bemerkung gehörig abgetrumpft wird und einen tüchtigen Verweis bekommt: „Davon kriegte der Zöllner eine lange Nase“. Eine moderne übertreibende Verstärkung ist: ,mit (kilo-) meterlanger Nase abziehen4; schlesw. ,he lett de Nes hangen4, er schämt sich, ist traurig; ,he süht bi de Nese da4, er blickt beschämt, traurig, befangen drein; rhein. ,de kickt sich längs de Nas af4; schlesw. ,wer sin Nas afsnitt der schändt sin Gesicht4; eis. ,wemer sich d’Nas üs’m Gesicht schnid't, het mer keni meh4; rhein. ,wer sing Nas afbitt, der verschängelert sin eige Angesech4 (vgl. engl, .don’t cut your nose off to spite your face4; frz. ,c’est couper le nez pour faire dépit à son visage4). Sich selber die Nase abschneiden: seinen eigenen Verwandten oder Landsleuten 674
Nase etw. Schlechtes nachsagen. Das Nasenabschneiden war aber auch eine Rechtsstrafe für ein Vergehen (s.Grimm, Rechtsaltertümer II, 296). Daß du die Nase im Gesicht behä/tstlSo ruft man ndd. einem zu, der vor Überraschung oder ähnlichem außer Fassung zu geraten droht. In der Form ,Daß du die Nas4 ins Gesicht behältst1 ist diese Rda. die Lieblingswendung des Inspektors Bräsigin Fritz Reuters (1810-47) ,Stromtid4; nach Gae- dertz (Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen 11,77) eine Lieblingswndg. des Pastors Joh. Gottfried Dittrich Augustin in Rittermannshagen. Die Nase hoch tragen: ,hochnäsig1, hochmütigsein; ähnl. die Nase rümpfen (vgl. frz. ,hocher du nez4; engl. ,to turn up one’s nose at a person4; ndl. ,voor iemand of iets zijn neus optrekken, ophalen4). Immer der Nase nach gehen: geradeaus gehen; rheinhess. erweitert: «Immer der Nas’ nach, geht der Arsch net irr' (vgl. engl. ,to follow one's nose‘; ndl. ,hij volgt zijn neus4). Einen an der Nase herumführen: ihn nach eigenem Vergnügen lenken, seinen Scherz mit ihm treiben, ihm absichtlich falsche Hoffnungen machen; verkürzt ihn nasführen. Das Bild dieser sehr alten Rda. kommt von den Tierbändigern, die ihren Opfern Ringe durch die Nase ziehen, um sie so ganz in ihrer Gewalt zu haben. So hat sich auch Lutherden Urspr. der Rda. erklärt (/Tischreden', 1568, Bl.414b). Auf P. Bruegels Rdaa.-Bild führen zwei Spieler einander an der Nase herum, während der Narr sie inzwischen betrügt. In Goethes ,Faust4 ist die Rda. mehrfach verwendet. Einem eine Nase drehen: ihn zum besten haben, ihn verspotten. Die Rda. bezieht sich auf die Gebärde der ,langen Nase4 mit ausgespreizten Fingern. Vielleicht ist die Rda. auch eine Verkürzung der älteren Rda. eine wächserne Nase drehen. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 (71,11) ist bezeugt, daß die Narren eine lange Nase aus Wachs trugen. Die Gebärde der langen Nase ist eine einfache Art der Verspottung; sie ist verhältnismäßig spät, offenbar erst in der Renaissance, in Westeuropa entstanden. Am frühesten begegnet sie im 18. Kapitel des I. Buches von Rabelais’ ,Pantagruel4 anläßlich des Gebärdenwettstreites von Panurg mit dem Engländer Thaumastos. Noch etw. früher liegt nur der bildl. Beleg auf einem Fastnachtsbild Pieter Bruegels von 1560. Wir kennen den Gebrauch der langen Nase dann bes. aus verschiedenen Darstellungen des Verlorenen Sohnes. Bei diesen Bildern gehört sie offenbar geradezu zum Darstellungstypus: Der Verlorene Sohn wird schließlich sogar von dem Narren verspottet, der bis dahin sein Begleiter ,Einen nasführen' - ,Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte4 675
Nase 1/4 ,Einem eine lange Nase machen1 gewesen war. Die lit. Belege reichen bis ins 19. Jh.; Gottfried Keller (,Romeo und Julia auf dem Dorfe4): „und so, statt mit ihrem Manne zu leiden, drehte sie ihm eine Nase44; Conrad Ferd. Meyer: „Ich will euch noch von jenseits des Grabes eine Nase drehen“. Man denke auch an Goethes Gedicht ,Lilis Park4, wo es heißt: Ein jedes aufgestutztes Bäumchen höhnt Mich an... Der Buchsbaum zieht mir eine Nase. Der erst seit dem 18. Jh. sehr häufig auftretende Gebrauch der Gebärde kann darauf beruhen, daß sie nun als Parodie des militärischen Grußes aufgefaßt wurde, vergleichbar mit dem Narrhalla-Gruß der rhein. Fastnachtsnarren. Bis zur Ggwt. hat sich die lange Nase vor allem in der Kinderwelt erhalten, und zu erinnern ist, welchen Gebrauch in diesem Zusammenhang Wilhelm Busch oder auch der ,Struwwelpeter4 von der langen Nase machen. Einem etw. auf die Nase binden: es ihm weismachen; oder auch: jem. auf eine neugierige Frage hin scharf abweisen. Einem etw. unter die Nase reiben: es ihm deutlich zu verstehen geben, es ihm derb Vorhalten, so daß er ,daran riechen4 kann; schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg. Vor der Nase: ganz dicht vor einem, z.B. ,einem etw. vor der Nase wegschnappen4. Sich etw. an der Nase Vorbeigehen lassen: etw. versäumen, verpassen. Pro Mann und Nase: pro Person, für jeden 676
Nase einzelnen; die Wndg. ist eine Erweiterung von ,pro Mann4. Seine Nase in alles (oder in jeden Dreck, Quark) stecken: sich unbefugter- oder neugierigerweise um alles bekümmern; 1541 begegnet bei Seb. Franck die ähnl. Rda.: „Sy stoßt jr mul in alle ding“; in Goethes ,Faust4 heißt es (I, V. 292): „In jeden Quark begräbt er seine Nase44. Vgl. frz. ,mettre le nez dans quelque chose4. Die Nase ins Buch stecken: fleißig lernen (weil beim Lesen die Nase dem Text am nächsten ist). Man sieht''s ihm an der Nase an sagt man oft, um ein Urteil über jem. gleichsam aus seinen Gesichtszügen zu begründen; scherzhaft auch übertreibend: Das sieht man ihm an der Nasenspitze an. Luther: „daß man ihnen an der Nasen habe angesehen, was sie je und je getan haben44. Götz von Berlichingen erzählt in seiner Lebensbeschreibung vom Kaiser Maximilian, er sei sehr bescheiden gekleidet gewesen, „ich aber als ein junger erkant Ihn bey der Nasen, daß Er’s war44 (Kaiser Maximilian war allerdings leicht an der langen gebogenen Habsburger-Nase zu erkennen). Bei manchen Krankheiten läßt sich ja tatsächlich aus der Färbung der Nasenspitze auf bestimmte körperliche Gegebenheiten schließen: der Trinker hat eine rötliche oder rote Nase; der Ohnmächtige hat eine weiße Nasenspitze. So sagen auch Eltern zu ihren Kindern: ,Ich sehe dir an der Nase an, daß du lügst4. Um es den Kindern glaubhaft zu machen, wird meistens noch der Zusatz angehängt: ,denn sie wackelt4; zuweilen befühlt man sie auch; ist sie kalt, so hat das Kind die Wahrheit gesagt, ist sie warm, so hat es gelogen. Er sieht nicht weiter, als seine Nase reicht. Die Nase als Längenmaß bez. sprw. eine winzige Entfernung; noch heute heißt es beim Wettrennen der Pferde: ,um eine Nasenlänge gesiegt haben4, ,um eine Nasenlänge voraus sein4; daher auch: ,alle Nas(en) lang4, jeden Augenblick. Von einem Menschen mit beschränktem Gesichtskreis sagt Seb. Brant im ,Narrenschiff4 (70,11 ff.): Nit witer gedenkt er vff alle stundt Dann von der nasen biß jnn mundt. Ebenso frz. ,11 ne voit pas plus loin que le bout de son nez4; Schweiz. ,für d’Nas use g’seh4, etw. weiter blicken, als die Nase reicht, nicht nur auf das Nächstliegende schauen und sorgen. Du hist wohl auf der Nase gegangen? fragt man im Scherz einen, der sich durch einen Stoß oder Fall die Nase geschunden hat. Einem auf der Nase herumspielen: ihn geringschätzig behandeln, sich alles mit ihm erlauben, ihn zum besten haben. Man sagt sogar: einem auf der Nase herumtrommeln, häufiger noch: einem auf der Nase herumtanzen; z. B. 1639 bei Lehmann, S. 393 (,Heucheley4 27): „Das Fräwlein Adulatio (Schmeichelei) trumpelt Kaiser, Churfürsten, Grafen vnd Obrigkeiten auffm Maul44. Schweiz. ,sich nüd uf d’Nas schisse la4, sich nicht alles gefallen lassen. Sich die Nase begießen (oder die Nase zu tief ins Glas stecken) ist eine jüngere Rda. für: sich betrinken. Ringwald (1603): „... dem Saufen war er bitter feind, hielt keinen Mann für seinen Freund, der liederlich die Nasz begosz44; /trinken. Auf der Nase liegen: krank sein. Die Nase kriegt Junge: es bilden sich auf der Nase Warzen und Auswüchse (um 1900 rhein.). Sich eine unter die Nase stecken: sich eine Zigarre anzünden. Verliebte Nasenlöcher machen: jem. verliebt ansehen. Mund und Nase auf reißen (aufsperren): einen erstaunt anblicken. Manche Leute staunen offenen Mundes. Daß auch die Nase aufgesperrt wird, ist nur eine starke Übertreibung. Sie haben Nas ’ auf Mund gelegen: sie habe n Geschlechtsverkehr gehabt; rheinhess. Unter der Nase gut zu Fuß sein: redegewandt, schlagfertig sein (20. Jh.); schnell unter der Nase sein4, viel reden; aber auch: schnell essen. Sich einen Knopf in die Nase machen (hess.): sich etw. merken; groteske Weiterbildung vom Knopf im Taschentuch. Von jem., der eine große, dicke oder auch lange Nase hat, sagt man scherzhaft: Du hast dreimal hier gerufen, als die Nasen (auch Gurken) ausgeteilt wurden; oder eis. ,Ihr seid tapfer gelaufen ... de hat d’Scheid bekummen, wu d’r Hergott d’Nasen drin g’ha hett4. Seine Nase gefällt mir nicht: er ist mir unsympathisch; er mißfällt mir aus mehr oder 677
Nase minder unerklärlichen Gründen, /schleifen. Sich an (bei) der (eigenen) Nase fassen (nehmen, zupfen): Selbsterkenntnis iiben, sich Selbstvorwürfe machen, sich seine Schuld eingestehen. Dem Tadler ruft man zu: ,Zupf dich an deiner eigenen Nase!‘ Auch in den Mdaa. häufig belegt und verschieden variiert, z.B. ,Hei sollte sik sul- west bei der Nasen kreigen, denn hedde he beede Hannen vull‘; meckl.,jeder fat an sin ,Vogel Selbsterkenntnis1 (,Sich an der eigenen Nase fassen1) Näs, dann find’t hei Fleisch4; ostpr. ,fatt dich do an die Näs, af dei nich natt ös!\ Schon im 16.Jh. in der ,Zimmerischen Chronik4 (111,469) wird zu einer, die sich über andere Frauen aufhält, gesagt: „Ach fraw, ziehet euch selbert bei der nase“. Ähnl. dann bei Abraham a Sancta Clara sowohl in Judas der Erzschelm4 wie in ,Etwas für Alle4: „Nimm dich selbst bey der Nasen!44 Die Rda. geht vermutl. auf eine alte Rechtsgebärde zurück. So war es normannische Rechtsgewohnheit, daß beim Widerruf von Schmähungen und Beleidigungen der Verurteilte sich selbst am Nasenzipfel zu fassen hatte: „convictus debet taliter emendare, quod nasum suum digitis per summitatem tenebit et sic dicet: ex eo, quod vocavi a te latronem, etc. mentitus fui44. Wenn hier der Urspr. der Vorstellung liegt, so scheint sie doch erst viel späteT in die Sphäre der typisierenden Verfestigung, zum bildl. Gebrauch und gar zur Verbildlichung aufgestiegen zu sein. Wahrscheinl. waren es satirische Bilderbogen der Barockzeit, die das Motiv allg. geläufig machten. Seit dem letzten Drittel des 17.Jh. findet sich in der populären Graphik, in der volkstümlichen Plastik und in der Volkskunst (z.B. auf Hinterglasbildern) das Bildthema vom ,Vogel Selbsterkenntnis4. Er wird als storchenartiger Vogel mit einem menschlichen Antlitz auf der Brust dargestellt, dem der Vogelschnabel in die Nase zwickt. Nicht ohne Grund stellt unsere Abb. im Hintergrund die gleichbedeutende Geschichte vom Splitter im fremden und vom /Balken im eigenen Auge dar. Nicht selten geben die barocken Darstellungen mit beigegebenen Sprüchen auch Belege für die Rda., z.B.: Wer selber weder Storch noch Strauß Vil närrischer sieht als andre auß, Doch jederman weiß außzulachen Die kleine Fehler groß zu machen Der jedem kann die mängel sagen Und allen Leuthen Blech anschlagen, Der mag nur seine Federn rupfen Und selbst sich bey der Nasen zupfen, oder: Ziech sich ein yezts selbst bey der nasn Waß dich nit Prendt Thue auch nicht Plasn. Andere nehmen Bezug auf die Inschrift des Apollotempels in Delphi „yvcö&i oeauxöv“, die in der lat. Übers. Ciceros „Nosce te ipsum“ im Dt. wieder an Nase anklingt. Auch im Volkslied wirkt die Rda. bis zur Ggwt. weiter, etwa in dem ndd. Kanon: Dat best is ümmer Sät Jochen Brümmer Sich an sin eegen Naat tau faten Un annere Lüt in Rauh tau laaten. Zu den Rdaa. von der Nase gehört auch ein Zweizeiler, der in ganz Dtl., Oesterr. und der Schweiz, auch in Holland bekannt ist und der offenbar als eine Art negativer Schönheitsregel gilt: Lange Nas’ und spitzes Kinn, Da sitzt der Satan leibhaft drin. Vgl. Schweiz.: Spitznas übli Bas, Spitzes Chinn böse Sinn. 678
Nass, nassauern Ndl.: Een spitsche neus en spitsche kin: Daar zit sinjeur de duivel d'rin. Der früheste bekannte Beleg stammt vom Jahre 1565 aus Wien. Er bezieht sich auf ein Turnier am Hofe, zu dem die Ritter vermummt erschienen. Die Maskierungen wurden durch Reime gekennzeichnet. Von einigen Masken heißt es: Spitzig Nasen, helle Stimmen, Wohnt der Teufel darinnen. Ebenso zeigen die Hexen- und Teufelsmasken der südd. Fastnacht allenthalben das spitze Kinn und die lange, gebogene Nase. Ut.: J. Grimm:Rechtsaltertümer l, S. 198; W. Fraenger: Dt. Vorlagen zu russ. Volksbilderbogen des 18. Jh.. in: Jb. f. hist. Vkde., 2 (1926), S. 127ff.; O.Fenichel: Die .lange Nase\ in: Imago. Zs. f. Anwendung der Psychoanalyse auf die Natur- u. Geisteswissenschaften, 14 (1928), S.502ff.; L.Schmidt: Der Vogel Selbsterkenntnis. Zwischen Volkskunst und Rda., in: Oesterr. Zs. f. Vkde., Kongreßheft 1952, S. 134-144; ders.: Spitze Nase, spitzes Kinn, in: Oesterr. Zs. f. Vkde. Nr. 8, Bd.VI (1952), S. 59ff.; A. Taylor: The Shanghai Gesture, FFC. 166 (Helsinki 1956); L. Röhrich: Gebärdensprache undSprachgebärde, S. 12 Iff.; L. Röhrich u. G. Meinel: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.317. naß, nassauern. Naß bedeutete im Früh- nhd.: liederlich, ohne Geld; ,nasse Knaben', ,nasse Brüder' waren Trunkenbolde. Murner überschreibt das 23. Kapitel der ,Schelmenzunft‘ mit dem Titel ,Der nasse Knabe' und setzt über das Bild die Worte: Das sindt mir freilich nasse Knaben, Die den schalk beschlossen haben... Das sindt mir freilich nasse Knaben, die fill verzeren und wenig haben. Hans Sachs laßt einmal den Katzenkrämer allerhand Katzen feilbieten: Das erst das ist ein Schmeichel- katz... Das ander ist ein nasse Katz, Das sie bered und überschwatz Die Leut mit hinderlistig Worten Und hintergeh an allen orten Mit lug und arglist alles weis. Jörg Wickram sagt in seinem ,Rollwagenbüchlein' (32): „Er war ein unnützer nasser Vogel, als man dann solchen gesellen pflegt zu heissen oder nennen, welcher zu vielmalen umb kleine diebstal in der gefenknuß gelegen war, doch sich alle mal außgeredet hatte, das er allweg darvon kam“. ln den Mdaa. haben sich ähnl. Wndgn. noch erhalten: sein Geld naß machen: es vertrinken; schlesw.-holst, ,’n Groschen natt ma- ken‘, oder ,he hett natt fodert'; rhein. ,de hat nasse Föt\ er ist betrunken. Naß i. S. v. schlecht' kommt auch in folgenden mdal. Rdaa. vor: rhein. ,far ne nasse Dag sorge , etw. sparen für schlechte Zeiten; ,sech naß mäken', bei einem Unternehmen umfallen; Schweiz. ,zum Nasse regne', übel ausschlagen; eis.,nassa als naß kann mer nit were', schlechter kann es nicht mehr kommen; schwäb. ,da geht’s dir naß in d’Hose', dabei kommst du schlecht weg; schlesw.-holst. ,er steit da as’n natten Sack', er weiß sich nicht zu helfen. Noch naß hinter den Ohren sein: noch zu unreif zum Mitsprechen sein (/Ohr). Ein Nassauer sein oder nassauern: schmarotzen, insbes.: auf Kosten eines andern im Wirtshaus essen und trinken. Die Erklärung dieser Rda. ist mit mancherlei ätiologischen Sagen versucht worden: Für die in Göttingen studierenden Nassauer bestanden zwölf Staatsstipendien. Erschien einer der Inhaber nicht am Freitisch, so ,nassauerte' ein nicht Berechtigter. Nach einer anderen (mündl. in Wiesbaden auf gezeichneten) Variante gewährte der Landgraf von Hessen allen Studenten Gastfreiheit. Es genügte, am Portal des Schlosses die Her- kunftsbez. »Nassauer' zu nennen, um eingelassen zu werden. Da dieses Recht oft mißbraucht wurde, hat sich nassauern zu der Bdtg. ,bei andern schmarotzen' entwik- kelt. Alle diese Geschichten sind aber wohl erst nachträglich erfunden worden. Die Anlehnung an den Ortsnamen Nassau ist vermutl. ein Namensscherz wie ,Freiberger' für einen, der gern umsonst mitgeht, ,freibergert‘; ,aus Nehmersdorf oder Nimwegen, vom Stamme Nimm ist', gern etw. umsonst nimmt. Berl. bedeutet ,per naß' oder ,für naß' umsonst. Der älteste Beleg dieses Namensscherzes findet sich bei Joh. Fischart (»Aller Praktik Großmutter'): „Spielt die Sonne der blinden Mäuß unter den Wolken, so zieht sie mit dem von Nassau ins Feld“, d.h. es wird bald Regen geben. Lit.: Richter-Weise, Nr. 140, S. 154; Schoppe in:Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde., 29 (1928), S. 301; E. Schröder in: Hess. Bl. f. Vkde., 36 (1938), S. 1671. 679
Natur Natur. Das ist ihm zur zweiten Natur geworden: er hat sich daran gewöhnt; es ist ihm zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Rda. geht zurück auf ein Zitat aus Ciceros ,De finibus* (V,25,74): „dicunt consuetudine quasi alteram quandam naturam effici“. Aber auch schon in der,Rhetorik4 des Aristoteles (1,11) heißt es: „Die Gewohnheit wird gleichsam zur Natur“ (andere Stellen bei Otto. Sprww. der Römer, S.90f.). Entspr. auch in anderen europ. Sprachen, z.B. engl. ,it has become second nature to him4; ndl. ,dat is hem een tweede natuur4. Natur wird in vielen Wndgn. im Sinne von Konstitution, Gesamtorganismus, Körperkraft gebraucht, z.B. es geht einem gegen die Natures widerstrebt einem, auch in den Mdaa., z. B. schwäb. ,die Natur ist zu kurz4, die physische Kraft reicht nicht aus, man ist zu klein; schlesw.-holst. ,de Mann het en goode Natur4, er ist gutmütig, gutartig; hess. ,e gut Natur (e Gaulsnatur) habe4, sehr kräftig und widerstandsfähig sein. Von der Natur stiefmütterlich bedacht sein: wenig Gesundheit, Kraft, Schönheit oder Verstand besitzen. Natur kneipen gehen: Spazierengehen, ohne einzukehren; ist eine jüngere umg. Rda. (/Luft). Nebel. Das fällt aus wegen Nebel(s): das findet nicht statt; urspr. vielleicht auf eine Dampferfahrt, auf ein Feuerwerk und sonstige Veranstaltungen bezogen, die infolge Nebels undurchführbar waren. Heute ist .wegen Nebel(s)4: ein undurchsichtiger Grund. Neid. Das ist der blasse Neid! (der ihm da aus den Augen schaut) sagt man von einem, der etw. neidisch betrachtet; darum auch: blaß vor Neid sein, platzen vor Neid, letzteres schon bei Horaz (Sat. II, 3,314) und Vergil (Ecl. 7,26). Ein Neidischer ist ein ,Neidhammel4, .Neidhart4, .Neidkragen4. Ähnl. auch in Sprww.: .Wenn der Neid in den Spiegel schaut, muß er sich schämen4; ,Der Neid ist eine Natter, ist eine Eule, die das Licht eines fremden Glückes nicht ertragen kann4. Den wird der Neid noch selber auffressen; der Neid sieht ihm ans den Angen heraus (ndl. ,de nijd ziet hem oogen uit4); grotesk verstärkt: schwäb. ,der Neid guckt ihm aus dem Arsch heraus4 ; ,der Neid reitet ihn4. In allen diesen Sprww. und Rdaa. ist der Neid personifiziert gedacht. Daher kann man auch von dem ,blassen Neid4 reden; auch ,gelb4 ist die Farbe des Neides. Seb. Brant entwirft im .Narrenschiff4 (53,10ff.) nach dem Muster von Ovids Metamorphosen4 (II,740ff.) folgendes Bild vom Neid; dabei denkt er ihn sich, trotz des grammatischen Geschlechts im Dt., als ein weibl. Wesen, beeinflußt durch die Vorstellung von lat. ,invidia4: Wann sie jr ettwas gantz setzt für So hat keyn ruw sy, tag noch nacht, Biß sie jr anschlag hat vollbracht So lieb ist jr keyn schloff noch freyd, Das sie vergeß irs hertzen leyd Dar umb hat sie eyn bleichen mundt Dürr, mager, sie ist wie ein hundt Jr ougen rott, vnd sicht nyeman Mitt gantzen vollen ougen an. Das muß ihm der Neid lassen: man muß ihm Anerkennung zollen, wenn es auch widerwillig geschieht; trotz aller möglichen Einschränkungen ist sein Geschick, seine Leistung beachtlich. Nerv, Nerven. Nerven haben wie Drahtseile (auch: wie Dreierstricke, wie ein Batzen- strick, wie Knpferdrähte, wie breite Nudeln, wie Nylonseile): starke Nerven haben, sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, sich nicht aufregen. Sonnige Nerven (einen sonnigen Nerv) haben: wunderliche Einfälle haben, beschränkt sein, wobei .sonniger Nerv4 das sonst übliche .sonnige Gemüt4 umschreibt. Jem. den letzten Nerv rauben (töten, kosten), jem. die Nerven klauen: jem. die Fassungrauben, jem. die Geduld verlieren lassen; die Rdaa. sind eine moderne Weiterbildung der Grundvorstellung ,die Nerven verlieren4. Knitterfreie Nerven (knitterfeste Nerven) haben: seelisch unerschütterlich sein (hergenommen aus der modernen Textiltechnik); ebenso gußeiserne Nerven haben. Das sägt meine Nerven an: das macht mich leicht nervös, raubt mir meine Fassung. Anfeinem Nerv bohren: auf Empfindliches anspielen (wahrscheinl. aus der zahnärztlichen Praxis genommen). 680
Nest Jem. die Nerven auf Zwirnsrollen drehen: ihn sehr nervös machen; die Nerven als ,Geduldsfäden4 werden wie Zwirn auf Rollen gedreht. Du hast vielleicht Nerven!: Du stellst vielleicht sonderbare Forderungen! Den Nerv haben: den Mut haben; sich etw. Zutrauen, anmaßen. Den richtigen Nerv haben: das richtige Verfahren wählen. Sie hat 'ne Nerve: sie ist ein empfindsames Frauenzimmer; auch: ,Dafür hab’ ich ne Nerve1, das kann ich nicht. Nessel. Wie auf Nesseln sitzen: unruhig und ungeduldig sitzen. Schon der Prediger Geiler von Kaisersberg (1445-1510) sagt von einer, die nicht gern spinnt, es sei ihr an der Kunkel, „als säße sie auf nassein und amei- sen“; doch sind hier mit ,nassein4 wohl Asseln1 gemeint; 1698 ist dagegen belegt: „Sie säße wie auf Nässein“. Sich (gehörig) in die Nesseln setzen: sich arg versehen, sich sehr schaden, sich Unannehmlichkeiten aussetzen. In den Nesseln sitzen: in arger Verlegenheit sein. Ähnl. auch in den Mdaa., z. B. hess. ,du fällst aach noch emol ean die Neassln\ du fällst auch noch einmal herein; schlesw.-holst. ,he hett sik in’e Nettein sett mit’n harden Ors4; ,he hett en Ei in’e Nettein leggt\ er hat Mißerfolg gehabt, einen Fehler begangen; oder ,kloke Höhner leggt ok in e Nettein4, kluge Leute machen auch Fehler. Das Gegenteil drückt die Rda. aus: ,he leggt sin Ei nit in e Netteln‘, er weiß für seinen Nutzen zu sorgen und dabei allen Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen; der fängt keine aussichtslose Sache an. Von einem ,grünen Jungen4 sagt man rhein.: ,de näßt noch in de Nesseln4. Rheinhess. ,sie hat auf eine Nessel geschissen4, ,sich in die Nesseln verkriechen4, vor Scham versinken mögen, ähnl. ,sich in ein Mauseloch verkriechen wollen4. Nest. Das Nest des Vogels dient oft als sprachl. Bild menschlichen Wohnens, z. B. jeder Vogel hat sein Nest4. Diese Wndg. hat außerdem sexuelle Bdtg.:,Vogel4 und ,Nest4 als Metaphern für penis und vulva. Sem Nest bauen: sich eine eigene Wohnung einrichten. Wer behaglich sitzt, hat ein warmes Nest. Das jüngste Kind heißt oft mit dem- •j.b& uw <pij innq p6o& ao<pI selben Bilde ,Nesthäkchen4, ,Nesthocker4 oder ,Nestküchlein4, ,Nesthopper4, ,Nest- kegel4, weil es noch nicht ausfliegt; Schweiz. ,Nestquak4, ,Nestquackelchen4; Goethe (,Dichtung und Wahrheit4 1,4): „Der jüngste, eine Art von naseweisem Nestquackelchen44. Sich ins warme (oder gemachte) Nest setzen: günstig einheiraten; rhein. ,He hät sech en wärm Nest gesuck4; dagegen schwäb. ,sich jem. ins Nest hok- ken4, jem. seine Geliebte wegnehmen. Das Nest ist ausgeflogen: die Familie ist auf und davon. Den hat der Teufel im Nest vergessen: er ist sehr böse. Hinzuzufügen ist eine Reihe mdal. Wndgn.: hess. ,des Näast richtig voll hoo4, betrunken sein; schlesw.- holst. ,De keen Eier hett, mutt Nester brö- den4, man muß mit dem vorliebnehmen, was man hat; schwäb. ,ins Nest stieren4, eine längst vergessene unangenehme Sache wieder aufrühren; rhein. jem. e Nest in de Kopp baue4, ihm Sparren, dumme Einfälle in den Kopf setzen; ,mit jem. in de Nester hange4, Streit mit ihm haben; jem. en Ei in et Nest legge4, ihm schmeicheln. Von einem ,grünen Jungen4 sagt man, ,er habe die Nestschalen noch am Kopf hänge4. Weniger anheimelnde Ausdrücke sind: ,Diebsnest4, ,Raubnest4, ,Rattennest4. Auch die 681
Netz Wndg. ,sich einnisten4 hat einen schlechten Klang, weil sie sich eigentl. auf das Eindringen von fremden Vögeln in ein Nest bezieht. Nest bedeutet aber auch das Bett. Ins Nest gehen:zu Bett gehen. Sachs. ,das Nest nicht finden können4, keinen Schlaf finden können, eigentl.: die richtige Nestlage im Bett nicht finden können. In der Schweiz wird Nest auch i. S. v. ,Gesäß4 scherzhaft gebraucht, z. B. ,chast dis Nest niene still ha?4, kannst du nicht ruhig sitzen bleiben? Er tut es nicht um den Vogel, er tut es um das Ater/sagt man von einer Einheirat, vor allem im Handwerk; im 18.Jh. war an vielen Orten die Meisterzahl beschränkt. War kein Sohn da, um die Werkstatt nach dem Tode des Vaters weiterzuführen, konnte ein tüchtiger oder strebsamer Geselle Witwe oder Tochter heiraten (Mecklenburg, Bützower Stadtakten). Das eigene Nest beschmutzen: Schlechtes über die eigene Familie sagen, die eigene Verwandtschaft in Mißkredit bringen. Der urspr. Realbereich der Rda. liegt in der Vogelwelt und bezieht sich speziell auf den Wiedehopf, dem nach der Zoologie des MA. diese Eigenschaft in bes. Maß zugeschrieben wurde und der damit schon früh in rdal. Gebrauch kam. So schreibt der spätmhd. Dichter Muskatblüt (74,60ff.): Duostu selbe in din eigen nest Du glichest wol dem wedehoppen, Wa du dan sitzest oder stest, Darin so muostu knoppen. In Joh. Fischarts ,Ehzuchtbüchlein‘ heißt es: „Dan was ist dieses für ein Viehische Widhopfenart, sein eygen Nest bescheys- sen?“ Und ebenso bucht Seb. Franck in seinen Sprichwörtern4: „in sein eygen nest hofieren wie ein widhopff“. Zu Anfang des 16. Jh. ist die Rda., allg. auf den ,Unnutz- vogel4 übertr., auch bildl. dargestellt worden; so in Thom. Murners ,Schelmenzunft4. Darunter stehen die Worte: Der Vogel hatt eyn böse art Der seym eigen nest nit spart Sunder selber scheisset dreyn Den gschmack doch selber nymmet eyn... Der Vogel kan nit sein der best, Der scheisset in sein eigen nest. Das Gegenteil drückt die Rda. das (eigene) Nest rein halten aus: keine unsauberen Handlungen im eigenen Haus, in der eigenen Familie begehen, sich mit seiner Verwandtschaft solidarisch fühlen. In seiner ,Außlegung gemeyner deutscher Sprich- wörtter4 schreibt Joh. Agricola im Kap. 665: „Wer in sein eygen nest scheißt, der ligt vnsannft, und ist nit ehren werdt... Man sagt, daß vnder allen fögeln keyner in sein nest thuo denn der Widhopff, darumb er auch eyn Verächter vogel ist, wiewol er eyn krön vnd kamp tregt, vnd hatt hübsche federn, denn er ist nit ehren werdt44. Netz. In vielen Rdaa., denen Bilder aus der Jagd und dem Fischfang zugrunde liegen, wird Netz im übertr. Sinne gebraucht (schon im Mhd. ist der übertr. Gebrauch des Wortes Netz häufig). Jem. ins Netz lok- ken: ihn mit falschen Versprechungen lok- ken; jem. ins Netz gehen: sich von falschen Versprechungen überreden lassen; sich im ,1ns Netz gehen4 682
Neujahr Jns Netz gehen‘ eigenen Netz verstricken: selbst in die Falle gehen, die man jem. anderem gestellt hat; Burk. Waldis: „Die sich mit Lügen decken wollen, werden in einem Strick gefangen und in ihrem eigenen Netz behängen“. Mit goldenen Netzen fischen: mehr zusetzen als gewinnen; Luther: „Das heiszt die verkehrte Welt, die mit güldenen Netzen fischet, da die Kost gröszer ist, denn der Gewinn“. Mit trockenen Netzen fischen: aus der Arbeit anderer Gewinn ziehen. Ndd. ,achter’t Nett fisken\ vergeblich fischen, wo andere schon ihre Netze ausgeworfen haben (diese Rda. ist auch in P. Bruegels Rdaa.-Bild dargestellt). Das Netz fängt ihm Fische, während er schläft: er hat einen Gewinn ohne sein Zutun, ohne bes. Anstrengung, /Strick. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 321. Neujahr. Jem. das Neue Jahr ab gewinnen: jem. mit den Neujahrsglückwünschen zuvorkommen. Die im 19. Jh. mdal. bezeugte Rda. scheint eine alte abergläubische Vorstellung am Leben zu erhalten: am 1. Januar soll man der erste beim Glückwunsch sein, denn das bringt einem selbst Glück oder sichert sogar ein Geschenk, das eben¬ falls als gutes Omen für den Verlauf des neuen Jahres gilt. Im Böhmerwald (v. Reinsberg-Dürings- feld, Fest-Kalender aus Böhmen, Prag o. J., S.3f.) ist am Neujahrsmorgen jeder ängstlich bemüht, dem anderen mit seiner Gratulation zuvorzukommen; so wünscht etwa ein Knecht seinem Mitknecht: Brüaderl! Nuis Johr! Nuis Johr! ’s Kristkin’l liegt im Kröstnhoor (im krausen Haar); Longs LÖ’m (Leben), longs Lö’m, Und an Badl (Beutel) voll Gald (Geld) danö’m (daneben)! Einem Mädchen wünscht man: Longs Lö’m, longs Lö’m Und an schei’n (schönen) Mo (Mann) danö'm! Einem Burschen: Longs Lö’m, longs Lö’m Und a schei’s Wa (Weib) danö’m! Oder die Schwester neckt ihren Bruder: Longs Lö’m, longs Lö’m Und hüsch (hübsch) viel Schlö (Schläge) danö’m! Auch in Westf. sucht jeder dem anderen ,das Neujahr abzugewinnen4, um danach eine kleine Gabe (Kuchen, Äpfel, Nüsse usw.) zu erhalten; in einem Schaltjahr je¬ 683
Neun doch muß der Gewinnende das Neujahr geben. Die Rda. ist jedoch im allg. Sprachgebrauch wenig geläufig. Lit.: P. Heitz: Neujahrswünsche des 15. Jh. (Straßburg ‘1900); J. Kiinzig: Neujahrslieder in Baden, in: Mein Heimatland 7/8 (1928), S. 235-347; W. Escher: Dorfgemeinschaft u. Silvestersingen in St. Antöinen (Basel 1947); K.M. Klier:Das Neujahrssingen im Burgenland (Burgenländische Forschungen 11 ) (Eisenstadt 1950); H. Siuts: Die Ansingelieder zu den Kalenderfesten (Göttingen 1968), S.26ff. neun. Ach du grüne Neune!: Ausruf der Verwunderung oder des Erschreckens. Die Erklärung dieser Rda. ist nicht sicher. Die .grüne Neun4 im Kartenspiel ergibt keine Deutung; man hat sodann unter Hinweis auf schles. .krumme Neune4 = gebückt gehender Mensch, daran gedacht, daß die Wndg. eine verhüllende Form für .krumme Not4 = Epilepsie sei. Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Erklärung mit dem Berl. Vergnügungslokal .Conventgarten4 in der Blumenstraße 9 mit dem Haupteingang am Grünen Weg. .Die Grüne Neune4 wäre dann im Volksmund die Ersatzbez. für das unvolkstümliche .Conventgarten4. Nach 1852 wurde das Lokal ein billiges Tanzcafé und Stätte mancher Handgreiflichkeiten (Küpper II, S. 204). Die Zahl Neun spielt in volkstüml. Wndgn. auch sonst eine wichtige Rolle, z. B. .neunmalgescheit (-klug)4, /sieben. Das Gegenteil ist .eine dumme Neune1, ein albernes Frauenzimmer. Ein .neunhäutiger Kerl4 ist ein durchtriebener Bursche; Grimmelshausen schreibt im .Simplicissimus4 (I, 47): „ein viel erfahrener und durchtriebener neunhäutiger schlauer poeticus und kluger Weltmann“. Hess, .ein neun mal Aas4, eine bösartige Frau. Schweiz, .esechsi für nes mini aluege4, Wucherzinsen nehmen; rhein. .mit fünf e neun betale4, auf eine alte Schuld hin und wieder etw. abzahlen. Alle neun werfen (nämlich alle neun Kegel): ganze Sache machen. neunundneunzig ist eine scherzhaft-summarische Bez. für: sehr viel, wobei man doch irgendwelche Kritik einfließen lassen will, weshalb man nicht .hundert4 sagt. Alle neunundneunzig treiben: allerlei Liederlichkeiten treiben. Auf neunundneunzig sein: sehr erregt sein, seinen Zorn nur mühsam bändigen können. Neunundneun- ziger ist eine alte Schelte für den Apotheker, wenn man ihm vorwarf, daß er mit 99 Prozent Verdienst arbeite. neunundzwanzig. Hoch in den neunundzwanzig sein: im mittleren Lebensalter stehen; scherzhaft-galante Bez. für das Alter der Frauen, die nur ungern angeben, daß sie das dreißigste Lebensjahr bereits überschritten haben (20.Jh.). nicht. Nicht weit hersein /weit. nichts. Mir nichts, dir nichts: ohne Rücksicht auf mich und dich, ohne weiteres, ohne alle Umstände, ist wohl eine Verkürzung aus ,ohne mir und dir zu schaden4. Joh. Joach. Schwabe alias Vit. Blauroeckelius schreibt 1745 in seinem .Volleinge- schanckten Tintenfäßl eines allezeit pa- rat-seyenden Brieff Secretary4 (S. 38): „Bei den Zeitungsschreibern haißts mir ninx, dir ninx: die tractiert mer (= man) wie seins gleiches44. In der Bdtg. von .ohne weiteres4, ,im Nu4 verwendet bereits Lessing die Rda. im .Nathan4 (3,2): Der (Wassereimer) ließ sich füllen, ließ sich leeren mir nichts, dir nichts...; ähnl. auch in Schillers .Wallenstein4 (.Wallensteins Lager4 7). Nichts wie raus!: schnell hinaus! Nichtsdestotrotz: trotzdem, gleichwohl; scherzhaft dem .nichtsdestoweniger4 nachgebildet, dessen Etymologie dem Gefühl des Laien unzugänglich ist (KüpperI, S.234). Mit nichts fiir /mg////entschuldigt man sich bei einem Versehen bei dem Betroffenen (/ungut). Das angenehme (siiße) Nichtstun wird im allg. in der ital. Form ,il dolce far niente4 gebraucht, ohne daß man den Urspr. dieser Wndg. genau nachweisen könnte. Carlo Goldoni (1707-93) nimmt wohl schon auf eine zu seiner Zeit geläufige Rda. Bezug, wenn er in .Metempsicosi4 (11,3) sagen läßt: „Quel dolce mestier di non far niente“ (welch süßes Handwerk, dieses Nichtstun!). In der komischen Oper .Galathée4 von Jules Barbier und Michel Carré, komponiert von Victor Massé, die 1852 erst- 684
Nolens aufgeführt wurde, lautet ein Kehrreim (11,1): „Ah! qu’il est doux / De ne rien faire, / Quand tout s'agite autour de nous!“ (Büchmann, S. 562f.) /Deut, /Pfingsten. Nichtschen. Ein goldenes Nichtschen in eitlem silbernen Biichschen! sagt man rdal. den Kindern auf die neugierige Frage, was man ihnen wohl mitgebracht habe. Die Wndg., eine kindertümlich-poetische Umschreibung für das absolute Nichts, ist in zahlreichen volkstümlichen Variationen bekannt (z. B. wien. ,a goldenes Nixerl in an’ sülbernen Bixerl!4; hannoveranisch ,ein silbernes Nichtschen und ein goldenes Warteinweilchen!4). Das Alter der Rda. läßt sich bisher nicht festlegen, da unsere Zeugnisse keine besondere zeitliche Tiefe erreichen. Dagegen scheint die Verbreitung einigermaßen deutlich: das ,goldene Nixerl im silbernen Büxerl4 ist südd., bes. in den Alpen- und Donauländern wie im Sudetenland beheimatet. Für den Böhmerwald bezeugt es etwa Hans Watzlik in der kleinen Erzählung .Einöde im Schnee1; dort ist der Vater am Weihnachtsabend gezwungen, seinen Kindern zu sagen: „Ach, diesmal kriegt ihr wirklich nur ein silbernes Nichtslein in einem goldenen Büchslein“. In dieser einfachen, durch den Reim gebundenen Form wird immer das ,Nichts4 als ein ,Etwas1 aufgefaßt und dementsprechend sogar ein Behälter dazu erfunden. Den gleichen Weg geht die Rda. in der Schweiz, wenn man in Kerenz (Kanton Glarus) den Kindern verspricht: ,ä golldis niänäwägäli und ä sillberis nütali4, d.h. ein goldenes Nirgendswägelchen und ein silbernes Nichtschen. Im Westen und Nordwesten ist die andere Fassung der Rda. beheimatet. In Westf. sagt man ähnl. wie in Hannover: ,En golden Niksken un en sül- wern Wacht en Bietken4. Nicht nur das ,Nichts4 ist hier zum ,Etwas4 erhoben, sondern auch eine Wortformel, das vertröstende ,Wart ein Weilchen4, zum Gegenstand gemacht. Dies ist die Fassung, die Clemens Brentano von Kindheit an gefesselt haben muß. Aus der Kinderzeit nimmt er sie in seinen persönlichen Sprachgebrauch herüber und schreibt z. B. am 1. Jan. 1802 an seinen Schwager Savigny aus Weimar: „Die Brüder von Terenz, die ich hier nach Einsiedels Übersetzung mit Masken gesehen habe, machen ganz den Eindruck einer Scheibe Lachs mit Essig und Pfeffer für einen Satten. Wallensteins Lager kam hinterher, und die beiden Stücke waren wie ein silbernes Nichtschen und ein goldenes Warteweilchen“. In ,Des Knaben Wunderhorn4 hat er dann die Rda. als Sprüchlein übernommen und erweitert: Ich schenk dir was, Was ist denn das? Ein silbernes Warteinweilchen Und ein goldnes Nixchen In einem niemalenen Büchschen. Lit.: L. Schmidt: Wiener Rdaa. 9. Das goldene Nichtschen, in: Das dt. Volkslied, 46 (1944), S.77 f.; R. Ludwig: Das silberne ,Wart ein Weilchen', in: Die Frau. Blätter der Frankfurter Zeitung, 28. 12. 1942. nie, niemals /Pfingsten. Niere. Das geht mir an die Nieren: das trifft mich empfindlich, es kommt mich hart an. Das geht mir noch lange nicht an die Nieren: das trifft mich nicht hart, das geht nicht tief. Die Nieren galten im MA. als Sitz der Gemütsbewegungen, insbes. aber des Geschlechtstriebes, und wurden ertappten Ehebrechern bisweilen ausgeschnitten. Doch bez. Niere oft auch wie Herz allg. das Innere des Menschen, den Sitz der Lebenskraft; daher die auf Ps.7,10 beruhende Rda. jem. auf Herz und Nieren prüfen (vgl. auch Jer. 11,20 u.ö. sowie Offenb. 2,23). Luther: „Meyne Nieren sind fro“; rhein. ,he hät de Niere warm ligge4, er ist zum Scherzen aufgelegt, er lacht gern. Jem. die Nieren quetschen oder ,jem. op de Niere setzen4, ihm hart zusetzen. Dem will ich auf die Nieren treten ist eine bekannte Drohung. Von einer einfältigen Person sagt man Schweiz. ,e dummi Niere4, /Herz. Noah /Olim. nolens. Nolens volens (lat.; eigentl.: wollend - nichtwollend): ,wohl oder übel4, man mag wollen oder nicht. In seinem Werk ,Retractationes4 (1,13,5) sagt Augustinus: „Ille qui concupiscente adversus spiritum carne non ea quae vult facit, concupiscit quidem nolens et in eo non facit quod vult; sed si vincitur, concupiscentiae consentit volens et in eo non facit nisi quod vult. - Der Mensch, der dem Verlangen des 685
Not, nötig Fleisches nicht nachgibt, wenn es wider den Geist aufbegehrt, hat wohl ein Verlangen, aber er will ihm nicht folgen, und in diesem Entschluß unterdrückt er seine Wünsche. Unterliegt er aber, so widerstrebt er seiner Begierde nicht und will auch nicht widerstreben; in dieser Schwäche tut er nur das, was er will“. Der Sinn der Worte ist: Für die Begehrlichkeit des Fleisches ist man nicht verantwortlich, wohl aber dafür, daß man ihr nachgibt. Aus dieser Stelle scheint sich die Rda.,nolens volens1 entwickelt zu haben. Das antik-klassische Vorbild für unsere Wndg. ist „velim nolim“ (mag ich wollen oder nicht) in Ciceros ,De natura deorum* (1,7,17); „velis nolis“ bei Martial (VIII, 44,16). Der lat. Verbindung entspr. bildet Shakespeare im ,Hamlet* (V, 1): „will he nill he*‘ und in ,Der Widerspenstigen Zähmung1 (11,1): „will you nill you“. In der dt. Umgangssprache ist die Wndg. seit der Mitte des 17.Jh. oft belegt; z.B. 1665 in ,Gepflückte Finken* (S. 117): „Drauff giengen sie den andern Gang zusammen, in demselben wurde der Frantzoß durch den Arm gestoßen, daß er also aus Unkräfften nolens volens den Degen fallen lassen mußte“. Die unverstandenen lat. Worte sind in der volkstümlichen Umgangssprache scherzhaft zu ,nolenz-boh- lenz*, bes. aber zu ,Nolenz - Koblenz* verdreht worden. Lit.: A. Otto: Sprww. d. Römer, S. 362; ßiichmann, S.570. Not, nötig. Aus der Not eine Tugend machen: eine schlimme Lage geschickt ausnutzen. Am frühesten bezeugt ist die Rda. in lat. Form bei dem Kirchenvater Hieronymus (etwa 331-420). Er sagt in seiner Schrift ,Adversus libros Rufini* (III,2): „Facis de necessitate virtutem“, und in ,Epistolae* (54,6): „Fac de necessitate virtutem**. Aus der Not einen Trost („de necessitate solatium**) zu machen, ermahnt schon M. Fabius Quintilianus in den .Declamationes* (4,10). Entspr. findet sich die Wndg. auch in den anderen europ. Sprachen; frz. ,faire de nécessite vertu*; engl. ,to make a virtue of necessity*. Im 16.Jh. heißt es in der ,Zimmerischen Chronik* (111,230): „Darumb mußten sie user der not eine tugent machen**. Fritz v. Stolberg schreibt an den Philosophen F. H. Jacobi (Jacobis Briefwechsel II, 151): „Sie hatten aus der Noth Tugend gemacht, bürgerliche Tugend, deren sie bedurften, weil der gesittete Mensch ohne sie nicht bestehen kann!“ Es geht (oder ist) Not an (den) Mann: die Gefahr wird dringend, eigentl.: die Kamp- fes-Not geht an den Mann, Kampf steht ihm bevor; später nicht mehr verstanden, wurde diese Rda. auf jede Zwangslage umgedeutet und bezogen; z.B. bei Bismarck: „Zeit, wo in der Landwirtschaft Not an Mann ist**; heute erscheint sie fast nur noch in der Form ,wenn Not am Mann ist*, so bei M. Hausmann (,Abel mit der Mundharmonika*, 1932, S. 166): „Wenn Not am Mann ist, dann wählt man seine Worte doch nicht so genau“. Die schwere Not ist eigentl. die Epilepsie; sie liegt der Verwünschung Daß dich die schwere Not! zugrunde, ferner dem Ausdr. .Schwerenöter* ( 18. Jh.), d. i. eigentl. einer, dem man die schwere Not anwünscht oder der sie verdiente. Seine liebe Not mit etw. haben: viel Mühe und Sorge mit etw. (jem.) haben; Goethe (,Faust* I): „ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Not, doch übernähm ich gern noch einmal alle Plage". Auch in vielen mdal. Rdaa. steht Not als Sammelbegriff für die verschiedensten Bdtgn. wie Mühe, Mangel, Entbehrung, Krankheit, Zwang; ,Notlager* = Krankenbett; ,es hat keine Not*, es eilt nicht, es ist nichts zu befürchten; ,es tut not*, es eilt, es wird dringend gebraucht; Schweiz. ,es wird Not ha', es wird schwerhalten, Kraft kosten; tir. ,in oaner Noat*, eilig, hastig; ,zur Not etw. geltenlassen*, gegebenenfalls, wenn nichts anderes da ist; .notgedrungen*, gezwungenermaßen. Für die veraltete Rda. des 13. Jh. ,mir gêt not eines dinges*, ich bin gezwungen, ich muß, steht seit dem 16. Jh. ,mich geht Not an*; Luther (Briefe IV, 186): „Was ginge mich Noth an, in eines anderen Sachen, mir oder anderen Verlust zu schaffen**. ,Etw. ohne Not tun*, es freiwillig, ohne Zwang tun; ,etw. über Not tun*, etw. über Erfordernis und Bedürfnis hinaus tun; Schweiz. ,sich nit ze Not tue*, sich nicht überanstrengen; ,einem ze Not tue*, ihn scharf züchtigen. 686
Note ,Not leiden durch eigene Schuld* Der Not gehorchend (nicht dem eignen Triebe) ist eigentl. ein Zitat und der An- fangsvers von Schillers ,Braut von Messina'. Vielleicht hat Schiller die Worte aus Shakespeares ,Romeo und Julia‘ (V, 1) entlehnt: „My poverty, but not my will, consents“. Wer seinen Kindern gibt das Brot Und leidet nachmals selber Not, Den soll man schlagen mit der Keule tot. Dieser Spruch findet sich an den Stadttoren verschiedener Städte Norddtls. neben einer dabei aufgehängten Keule. Der Spruch ist zuerst in der Erzählung ,Der Schlägel1 des mhd. Dichters Rüdiger von Hünchhoven erwähnt (Ende des 13. Jh.). Die Dichtung erzählt, wie ein alter Mann sein ganzes Vermögen seinen Kindern überlassen hat, die ihn nun schlecht behandeln. Als er in ihnen den Glauben zu erwecken weiß, daß er noch einen Schatz zurückbehalten habe, halten sie ihn wieder in Ehren. Nach seinem Tode finden aber die Kinder in der vermeintlichen Schatzkiste nichts als einen Schlägel mit der Beischrift, man solle jedem, der seine ganze Habe seinen Kindern gibt und infolgedessen in Not und Elend lebt, mit diesem Schlägel das Gehirn ein- schlagen (v. d. Hagen; Gesamtabenteuer, Nr.49). In Dänemark wird diese Geschichte von Oluf Bagger in Odense unter Friedrich 11. erzählt, es handelt sich also um eine Wandersage. Der Spruch ist auch Seb. Brant bekannt gewesen, der sich im ,Narrenschiff' milder ausdrückt: Der ist eyn narr der kynden gytt Do er syn zyt soit leben mytt. Verlossend sich uff guoten won, Das jnn syn kynd nit sollen Ion. Und jm ouch helffen jnn der not, Dem wünscht man allen tag den dot Und wurt gar bald eyn überlast Den kynden syn, eyn unwert gast. Im zugehörigen Holzschnitt dringen die Kinder mit Keulen auf den alten Vater ein (Büchmann S. 122f.). Nötig ist in vielen Rdaa. in der Bdtg. von ,Mangel haben an', ,arm sein' belegt, z. B. bair. ,Er isch e nötige Ma‘; Schweiz. ,nötig sin an öppis', Mangel haben an, ,genot leben', sich kümmerlich durchschlagen; eis. ,Es hat mich nötlich', es befremdet, beunruhigt mich. Note. Nach Noten: gründlich; es geht (wie) nach Noten: abgemessen und geläufig, schnell und ohne Unterbrechung. Wahr- scheinl. geht die Rda. auf die Musiknoten zurück: Während das Volk seine Lieder nach musikalischem Gehör singt, scheint das Singen nach Noten als Zeichen eines besseren, höheren, des wahren Gesanges gegolten zu haben. So war es z. B. in der Schweiz ein bes. Vorrecht, die Totenmesse nach Noten mitsingen zu dürfen. In einer spätma. Predigt auf das Fest Allerheiligen heißt es an einer Stelle, wo ,,die Iobeliche stad des herrn“ gepriesen wird, von den musizierenden Engeln: „Sie singen noch (= nach) den noten vor gottes throne den lobesang alleluia“. Was sich nach Noten richtet, folgt einer bestimmten Regel, einer bestimmten Vorschrift, ist also regelrecht, seinem anerkannten Vorbild ebenbürtig. Die Bedeutungsentwicklung ist hier ähnl. wie bei ,gehörig', eigentl.: ,wie es sich gehört', heute jedoch: tüchtig, sehr. Da die Rda. häufig in Wndgn. gebraucht wird, wie ,nach Noten essen, trinken, lügen, prügeln, einem die Meinung sagen' usw., wäre auch eine andere Erklärung möglich: die Entstehungaus ahd.,mit nôti\ ,bi noti' = sehr, 687
Nudel heftig, gewaltig; mhd. ,genöte4 = eifrig, sehr, in hohem Grade; vgl. noch Schweiz. ,das god de genote Weg4, das geht sehr schnell und gründlich. Nudel. Das geht (ja) wie genudelt: das läuft glatt, das geht ,wie geschmiert4 ; er sieht aus wie genudelt: er ist dick; ,wie genudelt4 fühlt man sich nach einer reichlichen Mahlzeit, d.h. sehr satt. Der Ausdr. kommt von der Gänse- und Hühnermast, bei der man den Tieren Mehl- oder Kartoffelnudeln in den Schnabel schiebt, um sie fett zu machen. Neuerdings auch als Merkmal einer (meist weibl.) Person: ,Sie ist eine putzige, freche, komische, tolle, versoffene Nudel4. null. Das Adj. null, aus lat.,nullus4 = keiner, für die arabische Ziffer 0 gebraucht, ist in vielen Rdaa. zu finden; seit dem 16. Jh. ist es in der dt. Rechtssprache belegt. Sehr bekannt ist heute noch die stabreimende Formel null und nichtig: völlig ungültig, außer Kraft; vgl. ,Lehens- und Besitzurkunden Schlesiens4 (1883, II, 365, vom Jahre 1522): „wofern einige brief und Privilegien weren auszbracht und ertheilt worden, so thuen wir dieses alles ... für null und nichtig erklären44. Kant (V, 90): „Ein Vertrag, der in sich selbst null und nichtig ist44; Schiller (,Wallensteins Tod4 V, 2): „Das Jurament ist Null4; vgl. frz. ,C’est nul et d’aucune valeur4; engl. ,that is null and void4. Zu null werden: zu nichts werden, aufhören zu existieren; Goethe in der ,Farbenlehre4: „Ein brechend Mittel, in welchem die Farberscheinungen... völlig zu null werden könnten“. Null Komma nischt: gar nichts, ist eine junge, wohl vom Berl. ausgegangene Rda., die aus der Schreibung 0,0 für ,nichts4 abgeleitet worden ist. In Zeit von null Komma nichts: in sehr kurzer Zeit. Null für Null aufgehen: genau aufgehen, so daß nichts übrigbleibt. Ein unbedeutender Mensch ist ,eine Null4, ein Nichts; rhein. ,He ös de Null fier de Ziffer4. Rhein. ,nulle maken4, aufschneiden, ,Wind machen4; ,sin Aler nullt4 sagt man, wenn jem. glatte 20, 30, 40 usw. Jahre alt wird; ,dat nollt sich4 (bei einer Rechnung), das summiert sich; auch viele kleine Beträge können eine große Rechnung ergeben. Null-acht-fuff zehn: üblicher Verlauf, ver¬ alteter Gegenstand. Bezieht sich urspr. sold, auf die Bez. des Maschinengewehrs, das im Jahre 1908 eingeführt und 1915 verbessert wurde. Im 2. Weltkrieg gab es den Namen her für veraltete, in Massen und Serien hergestellte Gegenstände, überhaupt für alles bis zum Überdruß Wiederholte (Küpper I, S.235). Nummer. Eine gute Nummer bei jem. haben: gut bei ihm angeschrieben sein, viel gelten. Die Rda. geht auf die Nummern zurück, d.h. auf die Zensuren, die in der Schule erteilt werden. Nummer steht oft auch für eine Person; die Ubertr. stammt wohl aus dem Geschäftsleben, wo die Güte der einzelnen Waren mit Nummern bez. wird (ähnl. wie ,Marke4, ,Sorte4 u.a.). Einen seltsamen Menschen nennt man ,eine putzige Nummer4, ,eine wunderliche Nummer4 etc., rhein. ,e dolle Nummer4, ein Spaßmacher; schwäb. ,des isch e böse Nummer4, ein böser Mensch, auch: eine üble Sache. Nummer eins sein: Hauptperson sein; Heinse (,Ardinghello41, 286): „Der schöne Mensch im bloßen Gefühl seiner Existenz ohne Leidenschaft, in Ruhe, ist der eigentliche Gegenstand der Nachahmung des bildenden Künstlers und seine Nummer eins44; schwäb. ,etw. hat koi Nummer4, ist unbedeutend, nicht gut, sieht nach nichts aus. Eine große Nummer sein: sehr leistungsfähig sein; aus der Artistensprache hergenommen: die einzelnen Darbietungen im Zirkus, Kabarett usw. werden Nummern genannt. Eine Nummer machen (abziehen, bauen, drehen, schieben): koitieren; die Wndg. aus der Dirnensprache bezieht sich vielleicht auf die Entgeltsberechnung im Bordell; eine Nummer schieben, dagegen: eine ruhige Nummer schieben: nur bequemen Dienst tun (sold., 2. Weltkrieg). ,Auf Nummer sicher sein4, im Gefängnis, Arrestlokal. Bezieht sich einerseits auf die fortlaufende Numerierung der Gefängniszellen, andererseits darauf, daß der Insasse ,sicher4 sitzt. Davon abgeleitet: auf Nummer sicher gehen: alle Vorsichtsmaßnahmen treffen. Lit.: E. Borneman: Sex im Volksmund (Reinbek bei Hamburg 1971). 688
Nürnberg Nurmi. Ik bin doch keen Nurmi sagt der Berliner, wenn er das Gefühl hat, man verlange doch etw. zu viel von ihm; die Re- dewndg. wiederholt sich in vielen Sprachen der Welt und bezieht sich auf den finn. Sportler Paavo Nurmi, den lange Zeit erfolgreichsten Läufer in der Gesch. der Olympischen Spiele, der von 1920 bis 1928 in Antwerpen, Paris und Amsterdam insgesamt neun olympische Goldmedaillen erhielt und dem schon zu Lebzeiten in Helsinki vor dem Stadion ein Denkmal errichtet wurde. Nürnberg. Die alte blühende Reichsstadt mit ihrer Weltgeltung vor allem im 15. und 16. Jh. wird in vielen Rdaa. genannt, wenn auch meist nicht ohne Spott. Von allem möglichen, was schlecht und unerlaubt war, hieß es schon im 16. Jh.: ,Ich gloub, daß mans zuo Nürnberg thuot‘ oder ,Zuo Nürnberg latt man solche wal‘ (= läßt man solche Wahl). Vermutl. liegt hier der Gedanke an die freiheitliche Verfassung der Stadt zugrunde, die nun der Neid der weniger glücklichen Orte mit dieser abwertenden Bemerkung gern zu einer Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten4 abstempeln wollte. Barack handelt über die Wndg. (Abh. d. lit. Ver. in Nürnberg, 1875, S. 76-80) und erinnert zur Erklärung an die Sage von einem in Nürnberg zum Tod verurteilten Verbrecher, der auf die Frage, welche Todesart er sich wünsche, den Tod durch Alter angab und daraufhin freigelassen werden mußte. Darauf bezieht sich auch eine Stelle in Murners ,Narrenbeschwörung4 (33, 25), wo es heißt: Im todt wendt sy ouch hon den fal! Zuo Nuernberg liesz man in die wal. Hie liesz man sy den ritten hon Ee das man geb den val darvon. Von einem Menschen, der sich um Dinge kümmert, die ihn nichts angehen, sagt man westf. ,Hei bekümmert sik umme Nürnberg un hett kein Hius inne‘. Die Hamburger erkennen die Nürnberger scherzhaft als kluge Leute an, wenn sie beim Regen sagen: ,1k mak es as de Nürnberger, ik ga darünner weg4. Zu einem sehr neugierigen Menschen sagt man schwäb. ,In Nürnberg isch au no e Ma, hat nit alles gsehe4. ,Einen Nürnberger4 macht der Drechsler, wenn er dane¬ bendreht. Rhein, sagt man spöttisch für ein nicht dauerhaftes Gerät: ,Das ist Nürnberger War, dreimal gebacke un net gar!4 Auf die Nürnberger Spielzeugindustrie spielt das Sprw. an: Nürnberger Tand geht durch alle Land4, das meist nicht mehr in seinem urspr. Sinn verstanden wird, weil ,Tand4 die Bdtg. von ,Wertlosem4 angenommen hat. Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn (zuvor) sagt man, um eine Warnung in den Wind zu schlagen, in der Hoffnung, der angedrohten Strafe zu entgehen. Die Wndg. hat voneinander abweichende Erklärungen gefunden. Wahrscheinl. gehört die Rda. zur Sage von dem Raubritter Eppelin von Gailingen (DS. 130) und entstammt einem Spottvers, der seinerseits aus einem Volkslied des 16. Jh. hervorgegangen ist. Weniger wahrscheinl. ist die Herleitung aus der 32. Historie des Eulenspiegelvolksbuches. Dort läßt Eulenspiegel die ihn verfolgenden Nürnberger Stadtwächter übereine Brücke in die Pegnitz stürzen, wo er vorher einige Bohlen gelockert hatte. ,Mit dem Nürnberger Trichter eingießen4 Mit dem Nürnberger Trichter ein gießen: einem etw. auf eine grobe Lehrweise bei- bringen; in älterer Form: ,mit einem Trichtereingießen (oder: einziehen)4; so am frühesten in der Sprww.-Sammlung von Seb. Franck 1541 belegt, /Trichter. Die Rda. 689
Nuss " Principium Ancmcticum ( l z ? 4< *!<f|7. s s 10 ,Mit dem Nürnberger Trichter eingießen1 ist zunächst wohl deshalb auf Nürnberg bezogen worden, weil sich der nach dem Dreißigjährigen Krieg zurückgehende Handel der einst so reichen Nürnberger Kaufleute fast nur noch auf Metallkleinwaren erstreckte. Wirklich geläufig geworden aber ist die Rda. erst seit dem Jahre 1647, wo der Nürnberger Dichter Harsdörfer eine Poetik veröffentlichte, der er den Titel gab: poetischer Trichter, die Teutsche Dicht- und Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen Sprache, in VI Stunden einzugießen1. Das Bild vom Trichter ist freilich nicht Harsdörfers Erfindung, da er sich in der Vorrede auf H. Schickards ,Hebre- ischen Trichter1 (Tübingen 1627) bezieht und ein solcher Trichter schon in der lat. Komödie ,Almansor, sive ludus literarius‘ des Mart. Hayneccius (Leipzig 1578) genannt wird. Franz Trautmann gab 1849f. in Nürnberg ein humoristisches Blatt ,Der Nürnberger Trichter4 heraus (Büchmann S. 140 f.). Lit.: Joh. Priem: Nürnberger Sagen und Geschichten (Nürnberg 1872), S. 64-74; F. Reicke: Gesch. der Reichsstadt Nürnberg (Nürnberg 1896), S.314ff.; F. Bauer: Alt-Nürnberg. Sagen, Legenden und Geschichten (3. Aufl. München 1955), S. 25 ff., 208ff.; L. Röh- rieh: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 256 f. Nuß. Einem eine harte Nuß zu knacken geben: ihm eine schwere Aufgabe stellen; auch schweres Geschick kann eine harte Nuß genannt werden; rhein. ,de hett noch en hart Nüßje zu knacke4, er hat noch viel Schwierigkeiten zu überwinden. ,Muß ist eine harte Nuß‘ lautet ein Sprw. Ein altes Lied läßt die böhmischen Jesuiten 1622 über ihre schwierige Lage klagen: Die Nuß ist hart, stumpf sind die Zähn, Drum ist sie bös zu beißen. Nach der Eroberung Sigeths 1686 spottete man in Dtl.: Sigeth ist zwar eine harte Nuß, Die Deutschen seynd Nußbeißer! 1514 vermerkt Tunnicus unter Nr. 152: „De de kerne wil eten, de mot de not up- breken“; ähnl. schon bei Plautus (gest. 184 v.Chr.): „Qui e nuce nucleum esse vult, frangitnucem“ (d.h.: Werden Vorteil will, darf die Anstrengungen nicht scheuen); vgl. das Sprw. ,Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf‘; im gleichen Sinne auch: ,Er will die Nüsse nicht knacken, aber den Kern will er essen\ engl. ,to eat the kernel one must crack the nut‘. Ebenso werden auch Rätsel oft bildl. (Knack-) Nüsse genannt, so z.B. bei G. A. Bürger in seiner Ballade ,Der Kaiser und der Abt‘: So geb ich denn Euren zwei tüchtigen Backen Zur Kurzweil drei artige Nüsse zu knacken. Vgl. engl. ,that is a hard (tough) nut to crack4. Ein Nüßchen mit jem. zu knacken haben: mit jem. über eine Angelegenheit abzurechnen haben, mit ihm ,ein Hühnchen zu rupfen4 haben. Von einem sehr bösen Menschen sagt Joh. Fischart: „er war so bös, er hätte eine Nuß mit dem Arsch auf¬ 690
Nuss gebissen“; heute wird damit mehr auf die Gerissenheit und Klugheit eines Menschen angespielt. Auch taube Nuß für etw. Wertloses oder auch als Schimpfwort ist sprw.; er tut es nicht tim taube Nüsse: er versichert sich eines ordentlichen Gewinnes für seine Arbeit. So heißt es bei Kotzebue: „Mein Leben ist eine taube Nuß“; bei Wieland (X, 250): „So wollt ich keine Nuß um eine Tugend geben“; rhein. ,do gef ich ken Nöss for\ das ist so wertlos, daß man nicht einmal Nüsse dafür gibt; ebenfalls rhein. ,de hot ken Noss4, er besitzt nichts; hess. ,Klä- Nissje‘ ist ein Kosewort für ein kleines Kind; ostfries. ,um dofe Nöten deit he’t nêt4; ndl. ,niet voor doove neuten‘; engl. ,not worth a nutshell*. Ähnl. ,es ist keine gelöcherte Haselnuß wert*. Rhein. ,Nöss met Locher*, faule Ausreden; Schweiz. ,e Nuss mit em Löchli*. Hess. ,große Nüsse im Sack haben4, große Ansprüche stellen; .dasitze wie fimf Niss‘, ängstlich, verschüchtert dasitzen; rhein. ,e micht e Gsicht wie elf Ness*. ein griesgrämiges Gesicht machen; hess. ,wie auf fünf Nüssen sitzen*, unruhig, ängstlich dasitzen; Schweiz.,zur dritte Nuß cho\ zu spät kommen, wenn der Markt schon ausverkauft ist; ,die Nuß vom Baume schwätzen4, sehr viel, schnell und ausdauernd reden. Nuß wird sprw. auch gebraucht für einen kleinen Raum, etw. sehr Kleines: in einer Nuß: ganz zusammengedrängt; Lessing: „Der Leser erwartet etwas ganz anderes, als die Geschichte der Weltweisheit in einer Nuß44; eine Schrift J. G. Hamanns heißt ,Aesthetica in nuce4. Aus der Nuß sein: außer sich sein vor Zorn, seiner nicht mehr mächtig sein; dazu jem. wieder in die Nuß bringen: ihn besänftigen. Nicht lang in der Nuß liegen: schnell von Entschluß sein, eine Sache schnell angreifen, erinnert an die Rätsel, die die Nuß als Kammer bezeichnen, und an das sächs. ,jem. aus der Nuß heben4, ihm aus der Klemme helfen, ihn aus bedenklicher Lage befreien, heute aber meist: ihm Vorwürfe machen, ihn ausschelten; vgl. rhein. ,enem de Nöt aufhaue4, ihm aufs Dach steigen, ihn ausschelten. Von einem Knirps sagt man: ,der kann in einer Haselnuß hüpfen4. Umg. bedeutet Nuß auch ,Kopf‘: einem eins auf die Nuß geben. Seit dem 16. Jh. ist Nuß auch in der Bdtg. ,Schlag4, ,Stoß4 bezeugt; heute vor allem in der Zusammensetzung ,Kopfnuß4; Hans Sachs (5, 64, 29): „Schlag zu, Schlag zu gib ir der Nüsz“. Eine kleine, fest eingewachsene Nuß heißt obd. ,Griibelnuß4; diesen Ausdr. gebraucht Hugo von Trimberg im ,Renner* bildl., indem er von den religiösen Grüblern sagt: wir lazzen die der grübelnüzze walten, den sanft nit grübelnüzzen sei, wobei ein Wortspiel zwischen ,Grübelnuß4 und ,Grübelnis4 vorliegt. Bair. ,is alls denußt (d.h. die Nüsse sind schon alle herabgeschlagen), hat der Teufel gsagt, is um Weihnachten ei d’Nuss gang4, da ist nichts mehr zu bekommen, es ist schon alles ausverkauft. In die Nüsse gehen kann, wie die aus dem 16. Jh. bezeugte Rda. ,in die /Haseln gehen4, die erotische Bdtg. haben: sein Liebchen aufsuchen; es bedeutet aber auch: sterben, vgl. ,in die /Binsen gehen4. In einem Stammbuch des 16. Jh. steht: Dum nux virescit et virgo crine pubescit: Tum nux vult frangi et virgo stipite tangi. Der Zusammenhang mit Sexuellem wird auch in den alten Versen deutlich: Ein harte Nuß, ein stumper Zahn, Ein junges Weib, ein alter Mann Zusammen sich nicht reimen wol, Seinsgleichen ein jeder nemen soi. Die Nüsse gelten auch als Fruchtbarkeitssymbol, daher war es ein alter, weitverbreiteter Brauch', bei Hochzeiten Nüsse zu verschenken. Schon Festus versichert, daß während der Hochzeit Nüsse zum Zeichen guter Vorbedeutung für die Neuvermählten geworfen worden seien. Das Wachstum vieler Nüsse in einem Jahr gilt als eine Art Orakel für reichen Kindersegen. Auch in Frankr. heißt es: ,année de noisettes, année d'enfants4. Von einem Menschen, der den Höhepunkt seines Lebens bereits überschritten hat, sagt man hess. ,Der hat die beste Niiss gekloppt4, der hat nicht mehr viel zu erwarten; rhein. ,dem sin die Niss gekracht4. In Thüringen spottet man über ein uneheliches Kind: ,Si Vader es ofn Nesbaum drsofn4. 691
Oberhand Schwab, .einem d’Nuss auftue4, ihn aufklären, aber auch: ihn verprügeln; Schweiz. ,eim a d’Nuss cho4, ihm seine Braut ausspannen. Nüsse durch einen Sack beißen war eine im föuö Durch e\m fach txylïe 16. Jh. allgemeinverständliche Rda., mit der die verbotene Liebschaft zu einer Nonne im Kloster bildl. umschrieben wurde, ln Murners ,Schelmenzunft4 heißt es unter der Überschrift ,Nus durch eyn sack beyßen4: Wer do buolt eyn closter frouwen, Die er mit ougen nit kan schouwen zuo sehen im nit werden magk, Der beyßt die nuß do durch eyn sagk. Der schäum im maul der kern ist deyn Und ist daß kuwen nur seyn gwyn. Heute wird mit dieser Rda. derjenige getadelt, der sich nicht die Mühe macht, die Wahrheit einer Sache festzustellen. Einen wie einen Nußsack prügeln: ihn tüchtig schlagen; obersächs. ,Dresche kriegen wie ein Nußsack‘; die Rda. stammt von dem Brauch, die geernteten Nüsse in einem Sack zu schlagen, bis die grünen Schalen alle abgesprungen sind; man vermeidet so, daß die Finger von dem Saft der grünen Schalen gebräunt werden. o Oberhand. Die Oberhand gewinnen: sich als der Stärkere erweisen, den Sieg davontragen (ebenso engl. ,to have, to get the upper hand4; ndl. ,de bovenhand krijgen, ne- men, hebben4; frz. ,avoir le dessus4). Die Wndg. stammt aus der Sprache der Ringer: wer die Hand über seinen Gegner bringen und ihn mit der Hand niederhalten kann, ist Sieger. Schon im ,Iwein4 Hartmanns von Aue (V. 1537) wird die Wndg. bildl. verstanden: „vrou Minne nam die obern hant“. Vgl. obenauf sein: gesund, vergnügt, erfolgreich, Herr der Lage sein. Oberstübchen. Nicht recht im Oberstübchen sein: nicht ganz bei Verstand sein, verdreht, verrückt, auch: betrunken sein. Ebenso: Es ist bei ihm im Oberstübchen nicht richtig (auch: ,bei dem fehlt’s im oberen Stübchen4 oder ,der hat’s im oberen Stockwerk nicht recht4; ,er hat im Oberstübchen [zu stark] eingeheizt4; ,es rappelt bei ihm im Oberstübchen4): er ist etw. verdreht im Kopf, wobei Oberstübchen scherzhaft für ,Kopf4 steht; vgl. die landschaftlich gebrauchten Wndgn.: ,Es wird hell im Oberstübchen4, es geht ihm ein Licht auf; .einem das Oberstübchen fegen4, ihm Klarheit schaffen. Auch der thür. Ausdr. .Kröpelstöcken4, d. i. ein halbes Stockwerk als Aufbau zum unteren, wird scherzhaft für ,Gehirnkasten4 gebraucht (/Dach); beruht auf der Gleichsetzung von Mensch und Haus. Oberwasser. Oberwasser haben (bekommen): \m Vorteil sein, in Vorteil kommen. Mit Oberwasser bez. man das oberhalb der Mühle durch das Wehr gestaute Wasser, das das Mühlrad antreibt, im Gegensatz 692
Oder zum ,Unterwasser1, das unterhalb der Mühle wegfließt. Die aus dem Mühlenbetrieb stammende Rda. ist vor allem mdt. und ndd. sehr verbreitet. Im 19. Jh. drang sie in die Schriftsprache vor: „Das gab Reichardten Oberwasser“ schreibt der Berliner Musiker Karl Friedrich Zelter 1831 an Goethe. Vgl. ,Wasser auf seine Mühle1 (/Wasser). Obst. Danke für Obst (Backobst) und (andere) Südfrüchte!: Ausdr. der Abweisung und Ablehnung; bezieht sich urspr. auf die Äußerung eines Gesättigten, der auf den Nachtisch dankend verzichtet; /Birne. Im Riesengebirge bedeutet die Wndg. ,Wir danken für Obst und sonstige Früchte1 einen verhüllten Glückwunsch, wenn man eine Schwangerschaft vermutet. Obst in fremden Gärten lesen: euphemist. Umschreibung für verbotene sexuelle Beziehungen zu einem verheirateten Partner. Ähnl. Bdtg. hat die Rda. verboten(es) Obst gegessen haben, bei der eine gedankliche Verbindung zum Sündenfall besteht. Lit.: Marotzke: Das Obst im Volksmunde, in: Mo- natsbl. d. Kolberger Ver. f. Heimatkunde, 6 (1929), Nr. 10. Obstbaum. Pflanz dir Obstbäume, dann kannst du heiraten! sagte man früher in Tamowitz. Dazu berichtet die mdl. Volksüberlieferung: „Wenn ein junges Paar früher heiraten wollte, dann mußten sie erst sechs Obstbäume pflanzen, die auch ange- hen. Dann durften sie erst heiraten und zum Standesamt gehen. Das wollte der Alte Fritz so. Das war Zwang. Das war so toll, daß die Leute heute noch sagen: Pflanz dir Obstbäume, dann kannst du heiraten!“ (ZA. 118331.) Ochse. Die Ochsen hinter den Pflug spannen, auch in der Form: den Pflug vor die Ochsen spannen: eine Sache verkehrt an- fangen; gleichbedeutend ist frz. ,mettre la charrue devant les bœufs1. Ersteht da wie der Ochse am Berg (ebenso: ,wie die /Kuh vor dem neuen Scheunentor1): er steht ratlos vor einer Schwierigkeit; schon von Luther öfters gebraucht. Ähnl. sagt man obersächs. ,Der versteht von der Sache soviel wie der Ochse vom Sonntag1. Vom Ochsen auf den Esel kommen: rückwärts, von einem höheren sozialen Ansehen absinken (ebenso ndl. ,hij springt van den os op den ezel1), auch in der Bdtg.: ,vom Hundertsten ins Tausendste1, ,vom Hölzchen aufs Stückchen kommen1. Die ndl. Rdaa.-Bilderbogen ha- ,Vom Ochsen auf den Esel kommen1 ben diese Rda. festgehalten, sie findet sich als Detail auch auf Bruegels Rdaa.-Bild. Einen Ochsen melken wollen: etw. Vergebliches tun; ebenso: ,einen Ochsen in die Apotheke schicken1. Die Ochsen kälbern ihm: er hat unwahrscheinliches Glück; so auch in Thomas Manns ,Buddenbrooks1 (II. Teil, Kap.5): „Großvater sagte von Heinrich Hagen- ström: ,Dem kalbt der Ochse1, das waren seine Worte . . .“ Ostfries. ,De swarte Oss het er al up den Fot treten1, sie ist ein Pechvogel; /Kuh. Die Ochsentour machen (reisen): einen beschwerlichen Weg einschlagen, mühevolle Arbeit leisten, die übliche Reiseroute absolvieren, übertr.: die Beamtenlaufbahn, Offizierslaufbahn einschlagen, den vorgeschriebenen Dienstweg einhalten. ,Paß auf, daß dich nicht der Ochse stößt1 sagt man in Westf., wenn jem. die Butter zu dick auf's Brot streicht. Schwarzer Ochse /Kuh. Oder. Die Oder spielt in verschiedenen älteren schles. Rdaa. eine Rolle. Mit der rdal. Frage ,Kimmste meite aibr de Audr?1 forderte man urspr. auf, zu einem Tanzvergnügen mitzugehen, später auch in dem Sinne: Wollen wir nicht mal leichtsinnig sein, mal einen Streich spielen, ,über den 693
Ofen /Zapfen hauen\ irgendeine Dummheit anstellen? Nach dem Verblassen dieser Bdtgn. wird die Rda. nur noch aufgesagt, um jem. wegen seiner Mda. zu necken, weil in der genannten rdal. Formulierung der gesamte Vokalismus von der Hochsprache abweicht. Das ist zum Oder zuschütten sagt man schles., wenn man das Vorhandensein eines großen Vorrates von irgendeiner Sache bezeichnen will; auch in der Form einer Aufforderung: Schütt's in die alte Oder! Die Rda. dürfte wohl aus der Mitte des 19. Jh. stammen, als mit zunehmender Bevölkerungszahl und entspr. Bauplatzmangel alte Oderarme zugeschüttet werden mußten, um Land zu gewinnen. Die Oder ist nicht weit wird gesagt, wenn man in einem Gasthaus sehr dünnes Bier findet. Lit.: K. Rother: Die schles. Sprww. und Rdaa. (Ndr., Darmstadt o.J.). Ofen. Der Ofen will einfallen: die Schwangere wird bald gebären; der Ofen ist eingefallen: die Frau hat entbunden. Man hat hier wohl an den /Backofen zu denken, dessen älteste Form ein mit einem runden oder ovalen tönernen Gewölbe umspann- ter Herd war. Diese alte Rda. ist mdal. weit verbreitet. Unklar ist, ob und wie damit die z. B. aus dem Erzgebirge und aus Bayern bezeugte Rda. zusammenhängt: ,Da möchte man ja gleich den Ofen einschmeißen!1, die man vor Erstaunen über einen unerwarteten Besuch anwendet; vgl. auch sächs. ,aus der hintersten Ofenkachel stammen4, weitläufig verwandt sein. In einem Ofen gebacken sein: vom selben Schlag, Stamm sein. Jetzt ist der Ofen heiß: die Gelegenheit ist günstig. Der Ofen ist nicht für ihn geheizt: es geschieht nicht seinetwegen. Er hat erst aus einem Ofen Brot gegessen: er ist noch nicht von zu Hause fortgekommen. Von einem Harmlosen sagt man rheinhess. ,Er beißt keine Ofenschrauben ab4. Dem Ofen sein Leid klagen, ,etw. Geheimes dem Ofen sagen4, ,den Ofen um etw. bitten4, ndd. ,dem Ofen verteilen4. Diese Wndgn. beziehen sich auf den Brauch der Ofenbeichte; sie sind darüber hinaus im Märchen (z.B. KHM. 89 u. 91) konkretisiert. Nach einer Luzerner Sage (DS. 519) rettet ein durch einen Schwur gebundener Junge die Stadt vor den verschworenen oesterr. Gesinnten, indem er den Ofen in der Metzgerstube anredete: O Ofen, Ofen, ich muß dir klagen, Ich darf es keinem Menschen sagen . . . Damit lockt man keinen Hund vom Ofen /Hund. Gegen den Ofen gähnen /Backofen. Der Ofen ist aus: die Geduld ist zu Ende; die Lage ist nicht mehr zu retten; Ausdr. der Ablehnung (sold, seit 1939). Ohmfaß. Ins Ohmfaß fallen: ihn Ohnmacht fallen. Von Studenten und Schülern seit etwa der Mitte des 19. Jh. wortspielerisch, wohl auch beschönigend aus ,Ohnmacht4 entstellt, wobei zugleich an ,Ohm‘ als Hohl- und Flüssigkeitsmaß gedacht ist. ohne. Das ist nicht (ganz) ohne: das ist nicht übel, es ist etw. daran. In dieser elliptischen Rda. ist das von der Präposition ohne abhängige Subst. (,Grund4, ,Nutzen\ ,Zweck4, ,ein Körnchen Wahrheit4, ,ein Schein von Recht4, oder was sonst zu ergänzensein könnte) eingespart. Die Wndg. findet sich seit frühnhd. Zeit. Im ältesten bis jetzt bekannten Beleg aus dem Jahre 1603 in den ,Ordnungen und Lectiones in den Stadtschulen 16034 (hg. v. Philipp Kei- per als Gymn.-Programm Zweibrücken 1902) wird über die Fabeln Äsops u.a. gesagt: „. . . Fürs Ander unndt obschon nit ohn, dass darin vieil herrliche Lehren begriffen, so ist doch am Tag, dass es allegoriae unndt lauter verblümte reden seindt . . ,44 ,Nicht ohne4 also hier i. S. v. ,obschon es nicht grundlos ist4 oder ,obschon nicht zu leugnen ist4, ,obschon etw. daran ist4. Die Rda. wurde also schon im Anfang des 17. Jh. ganz in demselben Sinne gebraucht wie heutzutage. In Seb. Francks Sprww.-Sammlung: ,,Es is nit gar on, was sagt herr iederman“; bei Grimmelshausen heißt es im ,Simplicissimus4 (IV, 39): „Es ist nicht ohn, daß kein Mensch glauben kann, wie jämmerlich einen die Liebe peinigt, der es selbst noch nicht erfahren44; später z. B. bei Ludwig Tieck in der Erzah- 694
Ohr lung ,Vittoria Accorombona4 (1840, Buch 2, Kap.5): „Die Sache, wie Ihr sie da vorstellt, ist nicht ohne“. Jem. ist ganz oben ohne: ohne Verstand, ohne Gehirn, dumm, eine Rda. neuesten Datums, die in Anlehnung an die von dem Deutsch-Amerikaner Gernreich kürzlich kreierte busenfreie Damenmode geprägt wurde, die man als ,Oben-ohne-Mode4 bez. Lil.: P. Keiper: .Es ist nicht ohne', in: Zs. f. d. U. 17 (1903), S.655f. Ohr. Das Ohr spielt in Sprww. und Rdaa. eine größere Rolle als das /Auge. Bis über die (oder beide) Ohren: ganz und gar. In Wirklichkeit kann man bis über die Ohren etwa im Bett stecken; im rdal. Gebrauch der Wndg. kann man aber auch ,bis über die Ohren in Schulden stecken4, auch ,bis über die Ohren in Arbeit stecken4, mit Arbeit überhäuft sein, oder - noch komischer - ,bis über beide Ohren verliebt sein4, was vor allem durch das Schlagerlied .Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren4 allg. verbreitet worden ist. Der urspr. Realbereich der Rda. geht wahrscheinl. von einem Ertrinkenden oder im Sumpf Versinkenden aus. Die Rda. findet sich schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg: „Er aber in Sünde, schand und laster steckt bis über die ohren44. Im Elsaß wird die Frage ,Wo ist er?4 scherzhaft beantwortet: ,in der Hut bis üwr d’Ohm, wenn er nit dort is, is er verlorn4. Vgl. engl. ,over head and ears4. Einen übers Ohr hauen: ihn arg übervorteilen; eigentl. bloß: ihm einen derben Streich versetzen; die Wndg. stammt aus der Fechtersprache. Die Abb. aus einem Fechtbuch verdeutlicht dies: Vorn greift der linke Fechter mit einem ,Oberhau4 an, indes der rechte nach links ,austritt‘ und mit der Fläche gegen seines Widerparts rechtes Ohr schlägt. Er ist noch nicht trocken (er ist noch naß) hinter den Ohren:ex ist ein naseweiser Bursche, der noch gar nicht mitreden kann; eigentl.: ein neugeborenes Kind. Die Rda. ist über ganz Dtl. verbreitet, auch mdal., z. B. ostfries. ,bist ja noch heel neet drög achter de Ohren!4 Lit. bei Schiller (,Räuber41, 2), wo Karl Moor ergrimmt ruft: „Feucht- ohrige Buben fischen Phrases aus der Schlacht bei Cannä44. Es hinter den Ohren haben: verschmitzt, durchtrieben sein und doch gar nicht danach aussehen. Die Rda. ist eine Kurzform aus der älteren Vollform: ,den /Schalk hinter den Ohren haben4. Thomas Murner schreibt 1512 in der ,Narrenbeschwörung4: Das hat er kündt in jungen joren, Wie ein schalck sy hindern oren. Barth. Ringwaldt schreibt 1588 in dem Lehrgedicht,Christliche Warnung4 (K 8b): „und hat den jecken (Narren) hindern! ohr44; 1639 heißt es bei Lehmann (,Gleiß- nerey4 37, S. 334): „Der Schalck schläft offt hinter den Ohren, wenn er erwacht, so läst er sich erst sehen44. Dann spielt aber eine Art volkstümlicher Schädellehre herein, wonach der Sinn der Verschlagenheit hinter den Ohren liegt und dort desto größere Wülste hervorbringt, je stärker er entwik- kelt ist. Daher: es dick, faustdick, knüppeldick hinter den Ohren haben. Andere Varianten z.T. in den Mdaa., z.B. eis. ,er het Knepf hänger de Ohre4; obersächs. ,der hats hintern Ohren wie die Ziege den Speck, wie die Schweine die Leise4. Sich etw. hinter die Ohren schreiben: sich etw. merken. 1649 bucht Gerlingius (Nr. 142): „Manet alta mente repostum. Ich wil mirs wol hinter ein Oehrigen schreiben44. Lit. u.a. auch in Schillers ,Räubern4 (II, 3): „Ich will mir diese Lektion mit goldnen Ziffern auf meine Hirntafel schreiben44. Die Rda. erinnert an einen alten Rechtsbrauch. Die Zeugen werden, wie man umg. sagt,,zugezogen4. Das muß man für die Frühzeit ziemlich wörtl. nehmen. Man pflegte beim Abschluß eines Vertrages, bei der Festsetzung von Grenzzeichen u. dgl., Knaben als Zeugen zuzuziehen, sie 695
Ohr zur Erinnerung in die Ohren zu kneifen bzw. am Ohr zu ziehen und ihnen das Bedeutsame der Handlung überdies noch durch Ohrfeigen bemerkbar zu machen. Schon in den Gesetzen der ripuarischen Franken ist dieser Rechtsbrauch belegt, und er soll in Bayern noch bis ins 18. Jh. hinein ausgeübt worden sein. Auch das alem. Volksrecht des 7. bis 8. Jh. spricht von den „testes per aures tracti“, d.h. von den an den Ohren gezupften Zeugen. Noch im 19. Jh. nahm man in Schwaben bei der alljährlich stattfindenden dörflichen Feldbegehung zur Feststellung der Gemeindegrenzen Knaben mit, denen man an den wichtigen Grenzpunkten Ohrfeigen verabreichte, damit sie sich noch im Alter des Ortes entsännen. Dermaßen wurde es ihnen hinter die Ohren geschrieben; schwäb. als Drohung: ,Dem sollte man’s hinter die Ohren schreiben4. Denselben urspr. Realbezug hat darum vermutl. auch die Rda. einen bei den Ohren nehmen: ihn tüchtig vornehmen, hart tadeln. 1639 bei Lehmann (,Beschwerden4 24, S. 81): „Wer mit Beschwernüssen geplagt wird, von dem wird gesagt: man hat jhn beym Ohr“. Die Ohren spitzen: genau auf etw. horchen, achtgeben. Schon bei Thomas Murner findet sich ein Frühbeleg dieser Rda. Ähnl. die Ohren steif halten: wach sein; vom Tier, bes. von Pferd und Hund, auf den Menschen übertr., der freilich seine Ohren nicht spitz in die Höhe richten kann. Ja sogar auf Wesen, die überhaupt nicht mit leiblichen Ohren zu denken sind, wird die Rda. angewendet; so beginnt ein Klagelied auf die schlechte Zeit aus dem Jahre 1649: Merk auf, du Gotts vergeßne Welt, Hör zu und spitz dein Ohren! Das steife Ohr ist der Gegensatz zum geneigten Ohr4 und geneigten Gehör'. Die Ohren auf sperren, scherzhaft: auf- knöpfen, vom Auge auf das Ohr übertr. Dünne Ohren haben: ein feines Gehör haben. Das Gegenteil ist: dicke (harte) Ohren haben: nicht hören wollen (z.B. bei Luther); auch auf den Ohren sitzen; derb: Dreck in den Ohren haben. Etw. zu einem Ohr herein- und zum andern hinauslassen: sofort wieder vergessen, was einem soeben gesagt worden ist. Schon in mhd. Zeit üblich; Wolfram von Eschen¬ bach erklärt im ,Parzival‘ (241,21 ff.), „sin maere“ vom Parzival nicht für Leute gesungen zu haben, für die es eine Qual wäre, es aufmerksam zu fassen: wan daz hat dä ninder stat und vil gerûmeclîchen pfat, zeinem Ören in, zem andern für. Ähnl. heißt es in dem Artusroman ,Wiga- lois‘ des Wirnt von Grafenberg (8, 12L): er lät ez durch diu oren gar zem einen in, zem andern üz. 1529 bei Joh. Agricola (Nr. 152): „Es gehet dir zu einem ohr eyn, zum andern widder aus“. Die Ohren auf Durchfahrt stellen: eine Mahnung nicht beherzigen; vom Eisenbahnwesen hergenommen (seit 1930); rheinhess. auch: ,die Ohren auf Durchzug stellen4. Tauben Ohren predigen: vergeblich mahnen; früher häufiger: tauben Ohren singen. Noch anders in der ,Zimmerischen Chronik4 (III, 141): „Aber er sagt hiemit aim dauben ain merlin, wie man sprücht“. Schon lat. ist sprw.: „ad surdas aures canere“ (tauben Ohren singen) bei Ovid, „surdo asello narrare fabulam“ (einem tauben Esel eine Geschichte erzählen) bei Horaz, „surdis auribus dicere“ bei Livius III, 70, 7 u. ö. Diese lat. Frühfassungen haben sicher auf die Ausformung unserer Rda. mit eingewirkt. Einem die Ohren kitzeln: ihm eine Schmeichelei sagen; älter: jem. die Ohren melken: DieorenlafTeiimelkc 696
Ohr ,In die Ohren blasen* schmeicheln; meist passivisch gewendet: sich die Ohren melken lassen: zum Opfer der Schmeichler werden. Unverhohlen wird hier durch das ,Melken4 gleich der für den Schmeichler herausspringende Gewinn gekennzeichnet. Die Wndg. stammt aus lat. ,aures mulcere4; die dt. Übers.,melken4 beruht auf Verwechslung mit ,mulgere‘. Thomas Murner überschreibt das 12. Kap. seiner ,Schelmenzunft4 mit den Worten ,,Die oren lassen melken“ und führt dazu aus: Wer myr frindtlich melkt eyn or Und sagt myr das ich hab schon hör Und sagt myr alß das ich gern her, Der kan der oren melker 1er. So brist im nuet den nur der Ion Von dem rad zum galgen gon. Obersächs. ist bezeugt: einem das Ohr pinseln: ihm schmeicheln. Einem in die Ohren blasen ist ebenfalls ein rdal. Ausdr. für den Schmeichler, der einem beständig mit etw. ,in den Ohren liegt4, wie man heute eher sagen würde. Hans Weiditz hat diese Rda. ins Bild gesetzt: Rechts von der Hauptfigur stehen zwei ,Ohrenbläser4, deren einer mit einem großen Blasebalg hantiert (vgl. ,Narrenschiff4 Kap. 100). Links fauchen ihm zwei andere Schmeichler Dampfwolken entgegen. Dieses Gebläse der Schmarotzer hängt jeden- !3onorenblofcm ©criff eyn narr/$cr vafjft jnns (joufft *T)nb fic^tficÇ yebes fcfJwaQcn cjfoußt ©as iff eyn anjeicf 5Ü eyin toren TPann cyncrflünn/vnb witt /Çat oren ,Ohrenbläser* falls mit jener im ,Narrenschiff4 gebrauchten Rda. zusammen: Wer tuon will das eym yeden gfalt der muoß han ottem warm und kalt. 697
ÖL Die Ohrenbläserei war indes urspr. keine Metapher, sondern hängt aufs engste mit altem Volksglauben und Brauch zusammen. Durch das Hineinsprechen ins Ohr will man die größtmögliche Sicherheit haben, daß die gesprochenen Worte den Gemeinten auch wirklich treffen und wunschgemäß beeinflussen. „Wer blies dir das Wort ein?“ ruft Karl Moor seinem Kumpanen Schwarz in Schillers,Räubern4 (1,2) zu. ln diesem Ausdr. wird nicht nur ein bloßes Sprechen, sondern eine vollkommene Gedanken- und Wesensübertr. gekennzeichnet. ,Das hat ihm der Teufel eingeblasen4 sagt man auch, wenn man eine teuflische Eingebung schildern will. Dämonische Wesen, die im menschlichen oder tierischen Körper hausen, werden durch ins Ohr gesagte Beschwörungen vertrieben. Heute bedeutet einem etw. (in die Ohren) einblasen nur noch: ihm etw. vorsagen (in der Schule). Jem. mit etw. die Ohren vollblasen: jem. eindringlich zu etw. Zureden, ihn überreden wollen, immer von derselben Sache sprechen (16. Jh.); gleichbedeutend: ,jem. in den Ohren liegen4. Die Ohren klingen ra/Vsagt man bei plötzlichem leisen inneren Ertönen der Ohren und glaubt dabei wohl, daß Abwesende von einem reden. Hinterher sagt man auch: Die Ohren hätten dir davon klingen müssen (weil wir von dir geredet haben). Dabei gilt auch hier der alte Glaube an die günstige Bdtg. alles dessen, was rechts, an die ungünstige dessen, was links von einem geschieht: Klingt das rechte Ohr, so wird Gutes von einem gesprochen, klingt das linke, glaubt man an üble Nachrede. Man sagt aber auch: ,Links klingt’s, rechts was SchlechtY oder ,Recht Ohr - schlecht Ohr4; ,link’ Ohr - Klingohr4; vgl. engl. ,my ears tingle with it4, ndl. ,zijn oren zullen tuiten4, frz. ,les oreilles me cornent4. Die Ohren jucken eitlem: er ist neugierig; so schon bei Luther (Jenaer Ausg. V, 326a): ,,Es jucken inen die ohren so fast und sind so lüstern zu hören“. /Fell. Jem. die Ohren vom Kopf essen: sehr viel essen. Sich aufs Ohr hauen: sich schlafen legen; vergröberte Parallelbildung zu: ,sich aufs Ohr legen4. Mit den Ohren schlackern: ängstlich sein, ,schlackern4 gehört zu ,schlagen4 und meint das Hinundherschlagen, das Baumeln; denn der Mutlose läßt ,die Ohren hängen4. Sich die Zeit um die Ohren schlagen: die Zeit (nutzlos) verbringen; Parallelbildung zu: ,die Zeit totschlagen4. Ein offenes Ohr finden: Aufmerksamkeit finden. Ganz Ohr sein: sehr aufmerksam zuhören. Sich ins Ohrläppchen beißen können: scherzhaft übertreibende Wndg. für: einen sehr breiten Mund haben. ,Beiß dir nicht die Ohren ab!‘ sagt man im Schwäb. zu einem, der breit lacht. Er hat einen im (am) Ohr: er ist betrunken; einen kleinen Mann im Ohr haben: verrückt sein (/Mann). Jem. einen Floh ins Ohr setzen /Floh. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer I, 198f.; J. Schmied-Kowarzik u. H. Kufahl: Fechtbüchlein (Leipzig o.J. 2 (1894]): A. Otto: Die Sprww. der Römer, S. 47, Nr. 212; HdA. VI, 1204ff.; L. Schmidt: Der Männerohrring im Volksschmuck und Volksglauben (Wien 1947); E. Werz: Der Ohrwurm (Diss. Marburg); Ebel, S. 10; Küpper I, S. 238 f., II, S. 206. öl. Öl ins Feuer (oder in die Flammen) gießen: das Übel ärger machen, die flammenden Leidenschaften noch mehr anfachen. In der ,Namenlosen Sammlung4 von 1532 steht der Rat: „Laß den Hund schlaffen, schüt nit öhl ins fewr, rieht keinen hader an. ,ÖI ins Feuer gießen4 698
Ölgötze erzürne keinen bösen“. Auch bei Horaz (gest. 8 v. Chr.) findet sich schon das gleiche Bild (,Satiren4 Liber 2, Satira 3, V. 321): „Oleum addere camino“; vgl. engl. ,to add fuel to the fire‘; ndl. ,01ie in het vuur gie- ten‘. Bismarck sagte einmal iron, mildernd von Windthorst (,Reden4 XI, 311): „Ich bin überzeugt, daß der Herr Vorredner mit der Absicht, aus dieser Flasche wieder Öl auf die Lampe des Kulturkampfes zu gießen, bei unsrer öffentlichen Meinung doch nicht durchkommen wird“. Öl auf die Wogen gießen: die Leidenschaften besänftigen. Die Tatsache, daß die Oberfläche der See durch Daraufgießen von Öl geglättet wird, war schon im Altertum bekannt. Nach Luk. 10,34 wird rdal. gebraucht: öl in die Wunden gießen. Es rinnt ihm wie öl durch die Kehle: es geht ihm leicht ein, er hört es gerne. Öl auf die Lampe gießen: einen Schnaps trinken, zechen; 19. Jh.; in der Form ,Ö1 auf die Ampel gießen1 schon 1812/13 für Berlin gebucht. Vgl. engl. ,He is oiled1 ; ndl. ,in de olie zijn4. Kein öl und kein Docht haben: gar nichts besitzen; ,er hat nicht mehr viel Öl in der Lampe4, es geht mit seinen Kräften zu Ende; ,er hat wenig Öl im Kopf4, es fehlt ihm an Ausdauer; vgl. ndl. ,et is geen olie meer in de lamp4; frz. ,il n’y a plus d’huile dans la lampe‘; engl. ,the light is out‘. Eis. ,bi einem ’s öl verschütt han‘, bei ihm in Ungnade gefallen sein; umg. in gekürzter Form: es bei (oder mit) ihm verschüttet ha- ben: seine Gunst verloren haben; /Fettnäpfchen. Rheinhess, sagt man bei großer Anstrengung: ,Ich bin so müde, als ob ich den Ölberg abgetragen hätte4. Ölgötze. Dastehen (oder dasitzen) wie ein ölgötze:sle\i und stumm dastehen, sich regungslos verhalten. Der noch heute ganz geläufige rdal. Vergleich begegnet zuerst 1520 bei Luther: „wen wyr ynn der kirchen seyn unter der meß, da stehn wir wie die öl götzen, wissen nichts auff zcu bringenn“ (Weimarer Ausg. IX, 266). Urspr. sind mit den ,Öl(berg)götzen‘ die während Christi Gebet im Garten Gethsemani am Ölberg schlafenden Jünger gemeint (Matth. 26,43), eine Szene, die seit dem 15. Jh. in Baldachinhäuschen an oder neben Kirchen (z.B. an der Sebalduskirche in Nürnberg) gern im Bilde dargestellt wurde. Im August 1520 wendet Luther den Spottausdr. auf die mit heiligem öl gesalbten röm. Priester an: „das aber der Bapst odder Bischoff salbet.. . mag eynen gleysner und Ölgötzen machen44 (Weimarer Ausg. VI, 407). In den Kämpfen der Reformationszeit wird das Schlagwort häufig gebraucht. So ist 1522 aus Augsburg bezeugt: „Dann es stat manicher ölgötz auff die Cantzel vnd wil den Luther mit seinen guten buchern auß- richten“. Thomas Murner sagt im gleichen Jahr in seinem Streitgedicht ,Vom großen Lutherischen Narren4: Sein es bischöff vnd prelaten, So nennen sie’s Apostaten, Die priester esel vnd Ölgötzen. 1529 in Joh. Agricolas Sprichwörtern4 (Nr. 186) ist der Urspr. des Ausdr. bereits nicht mehr verstanden: „Ein stock vnd ein holtz, das geferbet ist, vnd ölgetrencket, auff daz die färbe bleibe vnd vom regen nicht abgewaschen werd, ist ein Ölgötze. Götze kompt von Gott, vnd ist etwas das ein bildtnis hat on leben, on seele, darumb ist ein Ölgötze ein mensch, der nyrgent zu nütze ist, da wedder verstandt noch witze bey ist44. Seb. Franck (Sprichwörter4 II, 51 ) schreibt 1541 : „ut Bagas stas, du stehst wie ein Klotz, Ölgötze, Tielmann (Dillemann, Mann mit einer Dille), Leuchter44. Hans Sachs dagegen ist die Herkunft des Wortes noch bewußt, wenn er (z. B. 1533 in einem Fastnachtsspiel IV, 477) sagt: Hewer will ich unverheyrat bleyben, Das ich mich nit thu vberweyben, Müst auch den Ölgötzen tragen, denn bei Prozessionen wurden mit den Kirchenheiligen auch die Gestalten der Apostel vom ölberg im Zug mitgeführt. Diese Ölgötzen, die wohl keine bes. klugen oder willensstarken Gesichter aufwiesen (denn sie waren ja schlafend dargestellt!), waren auch als Laternen- oder Lichterträger dargestellt. Daherdürfte es kommen, wenn für Ölgötz in den Mdaa. z.T. die Bdtg. hölzerner Pfosten, an dem die Öllampe hängt4 erscheint; ebenso ,Paule4 (= Paulus) im Kärntischen: Leuchterknecht, Leuchteruntersatz. In Niederdtl. sagt man dafür 699
Olim auch: ,Hei steit as en Lüchterpiep4, ,as en Pickpahl (Pechpfahl)4, ,as en Trangötze4; vgl. auch Stieler, Sprachschatz, S. 687:,,Ölgötze statua ex ligno, lapide vel aere facta, qualis est Petri, Johannis in monte olivarum dormientis44; /Maulaffe. Einen ähnl. Bedeutungswandel wie das heutige ,öl(berg)götze4 machte die schwäb. Rda. ,dastehen wie ein Bildstock4 (bei Gottfr. Keller: ,wie ein Opferstock4) durch sowie siebenb. ,et es en hölzera Johannes4, er ist steif und plump. In anderer Kürzung ist vom Ölberg auch der in älterer Studentensprache bezeugte Scheltname ,Ölberger4 für ,Häscher4,,Stadtsoldat4 abgeleitet. Olim. Zu Olims Zeiten: vor langer Zeit; ein Scherzausdr. des gelehrten Schulunterrichts, der weithin in die Volkssprache gedrungen ist: Aus lat. ,olim4 (einst, vor alters) hat man den erfundenen Eigennamen Olim zurechtgestutzt. Die Wndg. ist zum erstenmal 1618 in Martin Rinckarts Jubelkomödie4 (169) belegt, dann öfters, z. B. 1738 bei J. Chr. Günther (,Curieuse Lebensbeschreibung4 165,24): „Du weißt, ich bin dein Freund aus alter Olims-Zeit44; ähnl. sagt Chr. F. Henrici (Picander) einmal zu einem alten Studienfreund von vor zwanzig Jahren: Freund von denselben alten Tagen, Da Olim uns studieren ließ. Die seit 1691 von Stieler in ,der Teutschen Sprache Stammbaum4 (S.37) vorgebrachte Deutung aus ndd. ,öling4 (Ableitung von ,alt4) ist irrig; vgl. die sprw. Wndg. ,zu Noahs Zeiten4, in uralten Zeiten, die gleichfalls einen Eigennamen verwendet (vgl. auch /Anno). Onkel. Über den (großen) Onkel laufen (gehen): mit einwärts gerichteten Füßen gehen. Die berl. und sächs. Rda. beruht wohl auf einer Mißdeutung von frz. ,ongle4 = Fußnagel; entspr. ,onkeln4, mit einwärts gerichteten Füßen gehen, über die große Zehe gehen. Eine Onkelehe fuhren meint die Hausgemeinschaft eines Mannes mit einer Witwe, die ihn nicht heiratet, um ihren Pensionsanspruch nicht zu verlieren; der Mann wird von der Witwe als Onkel ausgegeben; auf dem Katholikentag 1954 als ,Rentenkonkubinat4 bez. (Küpper I, S. 239f.). Oper. Eine Oper reden (quatschen): umständlich, überflüssig, wortreich sprechen; meist negativ imperativisch: ,Quatsch keine Oper!4 Die erst im 20. Jh. aufgekommene Rda. bezieht sich auf die Spieldauer von Opern; überhaupt gilt die Oper in volkstümlicher Auffassung sinnbildl. für Unnatürlichkeit (Küpper I, S.240). Orgel. Vorehelicher Geschlechtsverkehr wird rdal. umschrieben und verhüllt: Er hat georgelt, bevor die Kirche angegangen ist; er hat die Orgel vor der Messe gespielt. Vgl. ndl. ,het orgel speien voor de mis4. Orgelpfeife. Dastehen wie die Orgelpfeifen: nach der Größe aufgestellt sein. Man sagt so z. B. von einer Reihe von Geschwistern, wenn sie, der Größe nach abgestuft, nebeneinanderstehen. Das Bild ist schon 1575 Joh. Fischart geläufig (,Geschicht- klitterung4 68a): „Da stellen sie (nämlich die Weiber ihre Kinder) jre zucht vmb den Tisch staffelsweis wie die Orgelpfeyffen, die kan der Vatter mit der Ruten pfeiffen machen, wann er will on blaßbälg tretten“. Oskar. So frech wie Oskar /frech. Otto. Der früher sehr häufige, jetzt aber wesentlich seltener gewordene Vorname Otto gilt, wohl gerade wegen seiner Häufigkeit, als rdal. Bez. eines Durchschnittsmannes, z.B. ,Otto Normalverbraucher4, Durchschnittsverbraucher von Nahrungsmitteln; Durchschnittsgenießer von Kunst- und Literaturwerken; männliches Gegenstück zu,Lieschen Müller4; indem um 1947 spielenden Film ,Berliner Ballade4 dargestellt von Gerd Froebe. ,Gruß an Onkel Otto4, Winken von Leuten aus der Menge zur Fernsehkamera (seit 1958). Jem. zum Otto machen4, ihn heftig ausschimpfen (etwa seit 1930). ,Von wegen Otto!4, Ausdr. der Verneinung; vielleicht weil man einen Menschen mit dem Allerweltsnamen Otto anredet, der einen ganz anderen Vornamen hat. ,Otto4 (oder: ,Otto-Otto4), irgendeine, nicht näher bezeichnete Sache. ,Otto-Otto!4 aber auch anspornender Zuruf; Ausdr. höchsten Lobes. Die Wndg. soll von dem Filmschauspieler Hans Albers stammen: mit ,Otto, Otto!4 spornte er den volkstümlichsten Jockei Otto Schmidt im 700
Palme Hoppegarten an (1920ff.) (KüpperII, S. 207). Die ndd. Wndg. Der soll Otto heißen dient zur Kennzeichnung eines tüchtigen Kerls, übertr. auch auf Sachen angewendet: z. B. ,Ik will Füer anboten, dat schall Otto he- ten\ Einen flotten Otto haben: Durchfall haben, seit dem Anfang des 20.Jh. gebraucht. Otto Bellmann /Bellmann. p P. Da will ich ein (großes) P vorschreiben: das will ich verhindern. ,Vorschreiben1 meint hier: vor die betreffende Sache schreiben, die einer angreifen will, aber nicht soll. Die Wndg. stammt aus der Zeit der Pest oder der nicht minder gefährlichen schwarzen Pocken und bezieht sich darauf, daß an das verseuchte Haus ein P geschrieben wurde. Schon 1541 steht bei Seb. Franck: „Ich will ein P für das hauß schreiben“. Ein alter Hausspruch lautet: Ich schrieb ein P vor mein Haus: Bleib du da drauß! Paar. Zu Paaren treiben: in die Flucht schlagen, in die Enge treiben, zum Gehorsam zwingen, auch: zur Ruhe bringen. Die urspr. Form dieser Rda. ist: ,zum bar(e)n bringen4. Hans Sachs schreibt 1535 in einem Fastnachtsspiel (9, 53 Ndr.): „Darmit ich Pawren bracht zum paren“. Man hat dieses Wort ,bar(e)n4 aus mhd. ,barn4 = Futterkrippe herleiten wollen; die richtige Deutung gibt aber schon 1539 Tappius in seinen ,Adagia4 (207 b): „zum baren bringen, in casses inducere, est arte sic concludere quemquam, ut iam nullum sit effugium“ = ins Jagdnetz treiben, d.h. jem. geschickt so einschließen, daß keine Flucht mehr möglich ist. Auch Gerlingius erklärt 1649 (Nr. 123): „In laqueum (Fallstrick, Schlinge) inducere. Zum barren bringen44. Danach läge mhd. ,bêr(e)4 = sackförmiges Fischnetz zugrunde, das seinerseits aus lat. ,pera4 = Beutel entlehnt ist. In solche Netze wurden die aufgestörten Fische mit Stangen hineingetrieben. Im 18. Jh., als das alte Wort nicht mehr lebendig war und die Wndg. in ihrem urspr. Sinn nicht mehr verstanden wurde, gestaltete man sie unter Anlehnung an Paar = Zweizahl um zu der Form ,zu Paaren treiben4. So bucht sie 1734 der Schlesier Steinbach in seinem Vollständigen deutschen Wörterbuch4: „zu Paaren treiben, in ordinem cogere“. Erst im 18. Jh. setzt sich also die falsche, mißverständliche Schreibung durch. Hippel bildet die neue Form einmal weiter: „Nachdem sie ihre zu Paaren getriebenen Ideen wieder zu Hauff gebracht hatte, entwarf sie einen neuen Operationsplan44. Die Anlehnung an Paar hatte zur Folge, daß seit dem 19. Jh. die Rda. nur noch von einer Vielheit gebraucht wird: „Die Mordbauern sind zu Paaren getrieben“ (C. F. Meyer, ,Die Versuchung des Pescara4, 1889). Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.315. Päckchen. Sein Päckchen zu tragen haben: kein leichtes Schicksal, viele Sorgen haben. Entspr. der hochsprachl. Vorstellung sieht auch die Umgangssprache Leid und Sorge unter dem naheliegenden Bild einer Last. Palme. Jem, auf die Palme bringen: ihn erbosen, erzürnen; auf der Palme sein: erzürnt, zornig sein. Die Rda. beruht auf der Grundvorstellung des ,Hochgehens4 des Zornigen, die hier nur konkretisiert und bildl. weiter ausgeschmückt erscheint. Noch mehr erweitert: ,Das treibt den stärksten Neger auf die Palme4 (20.Jh.). Anders dagegen: die Palme erringen: den Sieg davontragen, wobei auf die Siegespalme, den Lorbeerkranz des Siegers angespielt wird (entspr. engl. ,to bear, to win the 701
Palm Esel ,Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen1 palm4; frz. remporter la palme1, ndl. ,de palm wegdragen‘). Nicht ungestraft unter Palmen wandeln: nicht ungestraft in der Region der Ideale leben. Die Wndg. ist urspr. ein Zitat aus Goethes Wahlverwandtschaften4 (2, 7) und steht dort in Ottiliens Tagebuch (vgl. Büchmann, S. 204). Später wurde die Wndg. auf die Politik übertragen, wie z.B. eine Karikatur auf den militärischen Schutz des dt. Kolonialbesitzes in Afrika zeigt. ,Aufgeputzt wie ein PalmeseP ,Aufgeputzt wie ein Palmesel1 Palmesel. Er ist auf geputzt wie ein Palmesel sagt man von einem, der sich allzuviel auf seine Schönheit einbildet und sich schmückt und ziert. Der rdal. Vergleich geht zurück auf den religiösen Volksbrauch, in der Palmsonntagsprozession den Einzug Jesu in Jerusalem, wie er Matth. 21 geschildert wird, zu spielen, indem man einen Esel, geschmückt mit Grün und den frühen Blumen dieser Jahreszeit, mit- 702
Panik, panisch führte. Auf dem Palmesel mußte dabei ein junger Kleriker oder Pilger als Darsteller Jesu reiten und ,in Jerusalem einziehen1. Den Beteiligten kam es immer mehr auf den weltlichen Prunk eines echten Barockschauspiels und die eigene Zurschaustellung als auf eine demütige Nachfolge Jesu in der Prozession an, wie der rdal. Vergleich zeigt, der übertriebenen Schmuck verurteilt. Der lebendige Esel wurde schon früh durch einen holzgeschnitzten ersetzt, wie er noch in verschiedenen Museen zu sehen ist. Palmesel als Liturgierequisiten sind schon seit dem 10. Jh. bezeugt. In der Ggwt. ist der Palmesel fast völlig aus dem Kirchenbrauch verschwunden, nur die Rda. erinnert noch an den vergessenen alten Sinnbezug. Lit.: L. Kretzenbacher:,Aufputzt wie ein Palmesel.. in: Heimat im Volksbarock (Klagenfurt 1961), S.81-84. Pan. Es (jetzt) ist die Stunde des (großen) Pan: es herrscht lautlose Mittagsstille. Diese poetische Umschreibung, die lit. und umg. bezeugt ist, beruht auf der antiken Vorstellung von einem arkadischen Gott der Hirten und dem Beschützer der Herden. Er durchstreift am Tage mit den Nymphen Berg und Tal, pflegt jedoch in der ihm heiligen Mittagsstunde zu schlafen. Diese Zeit, die ,Stunde des Pan\ in der auch Mensch und Tier ruhen sollen, darf durch keine Geräusche mutwillig gestört werden, deshalb kann die Wndg. außer der bloßen Feststellung auch eine Mahnung enthalten, die Mittagsruhe zu achten. Der große Pan ist tot: ein bedeutender Mensch ist gestorben, ein großer Geist hat die Erde verlassen. Heinrich Heine gebraucht die Wndg. in diesem heutigen Sinne 1840 lit. in seiner Schrift ,Uber Ludwig Börne4. Das sprachl. Bild ist jedoch viel älter. Es steht mit dem antiken Bericht vom Tod des Gottes Pan in Zusammenhang, den Plutarch (t um 120 n.Chr.) überliefert hat. Mit ihm stimmen auch die späteren Sagen von der Todesbotschaft eines übernatürlichen Wesens überein, von denen es zahlreiche Varianten in Dtl., Engl, und Skandinavien gibt: Ein Wanderer hört unterwegs eine Todesnachricht, und es wird ihm von einem Unsichtbaren aufgetragen, diese Botschaft an jem. weiterzugeben, dessen Namen er aber noch nie gehört hat. Als er ratlos zu Hause davon erzählt, beginnt plötzlich eine Magd um den Verlust ihres Verwandten zu klagen und eilt für immer davon. Erst dadurch wird offenbar, daß sie ebenfalls elbischen Charakter besessen hat. Die Wndg. ist bereits 1581 in Joh. Fischarts ,Dämonomania‘ (51) bezeugt: „soit er zu wissen thun, das der Grose Pan gestorben sei... darum deiten den Pan vil auff Christum“ (157). Auch in diesem Beleg bei Fischart ist noch der urspr. wichtige Zug erhalten, daß ein unsichtbares Naturwesen einem Menschen aufträgt, die Todesbotschaft zu überbringen, obwohl hier schon eine Umdeutung ins Christliche anklingt. Christoph Martin Wieland hat in seinem ,Oberon4 (2,18) die beiden antiken Vorstellungen von der Stunde und dem Tod des großen Pan vermischt, denn er schreibt: „Es ist so stille hier, als sei der große Pan gestorben44. Lit.: G. A. Gerhard: Der Tod des großen Pan (1915); A. Taylor: Northern Parallels to the Death of Pan (Washington 1922); Inger M. Boberg: Sägnet om de Store Pans Dod (Diss. Kopenhagen 1934); H. Schulz u. O. Basler: Dt. Fremdwb.II (Berlin 1942), S.298f.; R. Herbig: Pan, der griech. Bocksgott (1949); D. Grau: Das Mittagsgespenst (Quellen und Studien zur Vkde. 9) Siegburg 1966; L. Röhrich: Sage (Stuttgart 21971), S. 43. Panik, panisch. In Panik geraten: durch grundlose Angst, Verwirrung und Entsetzen plötzlich unüberlegt handeln und schwerwiegende Fehler begehen (vgl. Torschlußpanik, /Tor), kopflos fliehen. Das Subst. Panik ist erst um die Mitte des 19. Jh. von der ebenfalls jungen frz. Bildung panique' entlehnt, das auf lat. ,panicus‘ und griech. xavixôç = dem Pan eigen, von Pan ausgehend beruht. Es bez. vor allem die plötzlich auftretende grundlose Furcht, die die Masse bei einem Kurssturz oder Konkurs ergreifen kann, und hat sich durch die Kaufmannssprache verbreitet. Von daher erklären sich auch unsere Rdaa. jem. in Panik versetzen und Panik erzeugen (hervor ruf en) : 2ly\<\qtqx\ bewußt Furcht einjagen und sie zu kopflosem Verhalten bringen, um selbst Vorteile daraus zu ziehen. Der Begriff der modernen Massenpsychologie kann jedoch ebenfalls auf die Antike zurückgeführt werden. Der von den Griechen 703
Panik, panisch verehrte Gott Pan, ein Sohn des Hermes, wurde als Walddämon mit struppigem Haar, Hörnern und Bocksfüßen dargestellt und hat unsere Teufelsvorstellung weitgehend bis heute beeinflußt. Seine plötzliche und unsichtbare Nähe hielt man für die Ursache des bei Mensch und Tier zu beobachtenden Fluchtverhaltens, das rücksichtlos alles mitriß, obwohl es aus einer nur unerklärlichen Furcht entsprang. Außerdem galt Pan als Erfinder der Syrinx, einer Hir- Auch die antiken Geschichtsschreiber berichten davon, z.B. schreibt Xenophon darüber, und bei Pausanias (X,23) heißt es über die von den Mazedoniern geschlagenen Gallier: „In der Nacht befiel sie ein panischer Schrecken ((pößogllavixöO ...,sie glaubten Pferdegetrappel zu hören und den Feind zu sehen und hüben an, sich in ihrer Verblendung untereinander anzugreifen und zu töten“. Cicero verwendet den Ausdr. nur in der griech. Form und versteht Pan tenflöte aus 7 oder 9 Rohrpfeifen, die er abends vor seiner Grotte spielte. Ihr plötzliches Ertönen wurde auch als ein Anlaß für den panischen Sch recken angegeben. Auch als Traumgott war Pan bekannt, er konnte die menschliche Seele mit wunderbaren Bildern erfüllen, aber auch mit Entsetzen. So erklärten Griechen und Römer sich die nächtlichen heillosen Verwirrungen in den Heerlagern durch blinden Alarm und die wie ansteckend wirkende Massenangst vor einer nur eingebildeten Gefahr. So heißt es z. B. in der 11. orphischen Hymne von Pan in V.7: Bringer der Schreckphantasien, Erreger der menschlichen Ängste, und in V. 23: Bis zu den Grenzen der Erd’ entsendend das panische Rasen. darunter die Schreckensgerüchte wie auch die Kriegsschrecken selbst. Im Dt. begegnet das Adj. in der Verbindung .panischer Schrecken' als Ubers, des lat. .panicus terror', das das griech. xavixôv ôelpa, Ttavixôç (poßog wiedergibt, bereits seit dem 16.Jh. Auch andere bis heute gültige Fügungen, wie panische Angst, panisches Entsetzen, sind bereits damals entstanden. Für die Rda. (nur) ein panischer Schrecken seht gibt Joh. Fischart 1575 im ,Gargantua4 (409) einen lit. Erstbeleg: „Also flohen diese Leut, als ob sie vnsinnig weren, vnnd nichts von sich selbs wüssten, noch wer sie jaget, dann es nichts als ein Panischer Laubplattrauschender schrecken war, den sie jhnen so steif einbildeten, als ob jhnen der Hencker auff dem Rucken wer“. Im 18. Jh. wird die Wndg. 704
Pantoffel bes. häufig in der Lit. gebraucht, z. B. auch von Schiller in seinen ,Räubern* (IV, 108). Böcklin hat den panischen Schrecken sogar bildl. dargestellt. Lit.: H. Schulz u. O. Basler: Dt. Fremdwb. II (Berlin 1942), S.29SL; Kluge-Götze (Berlin lf*1953), S.544; Biichmann, S. 112. Pant, lat. pannus = Lappen; Schimmelbelag auf Wein, namentlich in nicht vollgefüllten Weinfässern. Die Rda. Der Wein zieht Pant wird an der Mosel scherzhaft auch von Trinkern gesagt, die plötzlich das Trinken einstellen und dadurch krank werden. Pantoffel. Unter dem Pantoffel stehen, ein Pantoffelheld sein, unter den Pantoffel kommen, jem. unter den Pantoffel bringen, den Pantoffel schwingen. Diese Rdaa. bezeichnen die Abhängigkeit des Ehemanns von seiner herrschsüchtigen Ehefrau. Nach älterer, gelehrter Deutung (seit Grimm) sollen sie von dem Brauch stammen, daß der Sieger dem Besiegten zum Ausdr. völliger Niederwerfung den beschuhten Fuß auf den Nacken setzte. Bei der Eheschließung wurde dieser Brauch in der Form nachgeahmt, daß es für jeden der beiden Gatten galt, dem anderen womöglich zuerst auf den Fuß zu treten ; welchem Teil das gelang, dem, so glaubte man, sei die Herrschaft in der Ehe zeit seines Lebens gesichert. Man pflegt in diesem Zusammenhang auf die Dichtung ,Meier Helmbrecht1 von Wernher dem Gartenaere (um 1270) zu verweisen, wo es am Schluß einer Trauung heißt (V. 1534): si sungen alle an der stat, üf den fuoz er ir trat. Der in der älteren Lit. und auch sonst bezeugte Rechtsbrauch des Besitzergreifens durch das Treten auf den Fuß gilt vielfach bis in die Ggwt. 1865 wird aus dem gleichen Innviertel, aus dem die Dichtung vom ,Meier Helmbrecht4 stammt, berichtet: „Es ist hier noch jetzt eine allgemeine Unsitte, daß die am Altar stehenden Brautleute, sowie der Priester den ehelichen Bund eingesegnet hat, einander auf den Fuß oder ein Kleidungsstück zu treten suchen. Sie verbinden damit die abergläubische Meinung, daß der zuerst getretene Teil zeitlebens un¬ ter dem Pantoffel stehen werde“. Hier ist dann auch an die zweite Str. des Volksliedes ,Wenn alle Brünnlein fließen4 zu denken (E. B. II, 247ff., Nr.429): Ja winken mit den Äugelein Und treten auf den Fuß: ’s ist eine in der Stube drin, Die meine werden muß. Diese Deutung der Rda. ,unter dem Pantoffel stehen* und der von dieser abgeleiteten übrigen Redewendungen ist weit verbreitet. Sie setzt jedoch nicht nur ein hohes Maß an Abstraktion für ihre Entstehung voraus, sondern gibt auch keine unmittelbare Erklärung für den Begriff des Pantoffelhelden4, der mit der Rda. in Zusammenhang steht. Eine neue Erklärung versucht D.R. Moser (,Schwänke um Pantoffelhelden4) aus folgendem Sachverhalt abzuleiten: An den Stadttoren der meisten dt. Städte hing seit dem MA., z.T. bis in das 19.Jh. hinein, eine Keule als sichtbares Zeichen der Gerichtsbarkeit. Belege dafür sind aus Wien, Müncheberg, Jüterbog, Wolden- berg, Sternberg, Treuenbrietzen, Krossen, Königswusterhausen, Guben, Wendisch- Buchholtz, Stargard, Sorau und Frankfurt a.d.O. bekannt. Als der Sinn dieser Keule im Bewußtsein der städtischen Bevölkerung unklar geworden war, fing man an, eine Erklärung für den merkwürdigen Gegenstand zu suchen, und fand sie in einem alten Schwankmotiv. Man sagte, es sei ein Schinken, ein Pachen, als Preis für den Mann ausgesetzt, der sagen könne, daß er der Herr in seinem Haus sei und von seiner Ehefrau nicht beherrscht werde. So erzählt man sich heute noch in Wien die Sage vom Schinken am Rotenturm-Tor, einem der vielen Stadttore, das Ende des 18. Jh. abgerissen wurde. An diesem Tor hingen nach dem Zeugnis Jacob Sturms (1659) „die Nachbildung eines Schinkens44 und zwei Tafeln mit Inschriften. Die erste lautete: Befind sich irgend hir ein Mann, Der mit der Wahrheit sprechen kann: Daß ihm sein Heirat nicht geräen (= gereue), Und fürcht sich nicht für seiner ehrlichen (= ehelichen) Frauen, Der mag diesen Pachen herunder hauen. 705
Pantoffel Die andere fuhr fort: Welche Frau ihren Mann oft reuft und schlägt, Und ihm mit solcher kalten Laugen zweckt, Der soll den Pachen lassen henckhen. Ihr ist ein ander Kirchtag zu schencken. Hieran knüpft sich nun die Erzählung, daß mehr als hundert Jahre vorübergehen mußten, ehe es ein Mann wagte, seine Ansprüche auf den Schinken geltend zu machen. Wie diesem aber eine Leiter an das Stadttor gelehnt wurde, damit er sich die Trophäe herabholen könnte, trat er ängstlich zurück, um seine Kleidung nicht zu verderben. Unter dem Gelächter der Zuschauer mußte er wieder abziehen. Die Erzählung, daß sich erst nach hundert Jahren ein Mann als der Held angegeben habe, der nicht von seiner Frau beherrscht werde, dann aber beschämt abziehen mußte, gehört zu dem Schwanktyp ,Search for Husband in command' (AaTh. 1366 A*). Er findet sich in drei Ausprägungen, von denen mindestens eine in jeder der bekannten Schwank- und Facetiae-Samm- lungen vertreten ist. Die erste Version ist die vom Schinken am Stadttor, die zweite, eine Übertr. eines orientalischen Schwankes, lautet folgendermaßen: Ein großer Bauer, dem es eines Tages zuviel wird, immer von seiner Frau beherrscht zu werden, schickt seinen Knecht mit hundert Hühnern und zwei Pferden auf die Suche nach dem Mann, der zu Hause das Regiment führt. Dort, wo die Frau alles bestimmt, soll er ein Huhn hingeben, ein Pferd aber da, wo der Mann Herr im Haus ist. Der Knecht fährt von Dorf zu Dorf, findet jedoch überall nur herrschsüchtige Frauen. Schließlich kommt er mit den beiden Pferden und dem letzten ihm verbliebenen Huhn zu einem Wirt, der vorgibt, Herr in seinem Haus zu sein. Als dieser sich nun eines der Pferde auswählen soll, redet ihm seine Frau dazwischen, und so geht er des Preises verlustig. Diese Fassung ist auch auf einem Bilderbogen des 17. Jh. überliefert; sie war offenbar sehr verbreitet. Die dritte und letzte, in mehr als zwei Dutzend Aufzeichnungen überlieferte Fassung führt zur Deutung der in Frage stehenden Rdaa. In ihr geht es um die Stiefel, die als Preis für den Herrn im Haus ausgesetzt werden (vgl. z.B. Joh. Pauli, Schimpf und Ernst, 1545, Bl.24a, Nr.753). Hier heißt es, daß die Stiefel lange vergeblich feilgeboten werden, bis schließlich ein Mann kommt, der seine Frau nicht zu fürchten meint, und den Preis für sich fordert. Als er aber die Stiefel einstecken soll, fürchtet er sich, seine Kleidung zu beschmutzen, und erweist damit die Unglaubwürdigkeit seines Heldentums. Er erhält die Stiefel nicht. Die Ähnlichkeit dieses Motivs mit dem als Preis ausgesetzten ,Schinken4 am Stadttor ließ beide Schwänke miteinander verschmelzen. In Julius Wilhelm Zincgrefsund Joh. Leonh. Weidners ,Deutschen Apo- phthegmata4, Amsterdam 1653 (III, S. 317c), wird gesagt, daß die Stiefel neben „der seiten Speck44 am Stadttor als Preis für den Helden hängen, der von seiner Frau nicht beherrscht wird: „Einmal ward gefragt, welches die ältiste Monarchia oder Regierung were. Nach vielen reden sagt ein lustige Fraw: Der Weiber Regiment. Dann die hat ihren an- fang im Paradeiß bekommen, da Eva gesagt Adam, dahero biß auff diese stund der Mann aus Holland mit den sechs Kutschpferden herumb fehrt, vnd nirgend ein Mann finden kan, der in seinem Hauß Meister, dem er dieselbige verehren möchte, wiewol er etliche grosse Schiff mit Eyern geladen, von deren er jedem ein par gibt, der nicht absolut Meister in seinem Hauß, ausgeladen, vnd die Eyer verschluckt, vnd bleiben die Stiffel mit der seiten Speck zu N. vor der Pfordten noch hangen, weil niemand zu finden, der mit guten gewissen sagen könte, daß er Meister in seinem Hauß“. Der ,Pantoffelheld4 war also jener Angeber, der sich am Stadttor um die neben der Keule hängenden Stiefel bewarb, der sich als Held antrug, obwohl er in Wahrheit von seiner Frau beherrscht wurde. Moser folgert nun daraus, daß dieser Mann ,unter den Stiefeln4 oder, mit einem nach 1500 eingebürgerten Modewort,,unter den Pantoffeln4, jenen Fußbekleidungsstücken aus Kork (vgl. griechisch rcavTÔtpeAAoç), die heute noch als Symbol der Frauenherrschaft gelten, gestanden habe, geht also von 706
Pantoffel dem realen Vorgang aus. Er verweist auf die frz. umg. Bez. ,pantouflard' und das engl. Wort ,hen-pecked husband1 für den Pantoffelhelden, das sich offenbar auf die 2. Version des Schwankes bezieht. Die Gleichsetzung von Stiefeln und Pantoffeln, die Moser im Zusammenhang mit dem dargestellten Schwankmotiv von den Stiefeln am Stadttor vornimmt, um damit die Entstehung der Rda. zu erklären, ist aus mehreren Gründen nicht ganz überzeugend, vor allem werden ,Pantoffeln1 in keinem seiner Belege genannt. Bei einem Vergleich der Schwankvarianten wird deutlich, daß der ausgesetzte Preis für den Helden, der sich nicht von seiner Frau beherrschen läßt, als Siegestrophäe gedacht ist. Stiefel oder Pferd gehören zur Ausrüstung des Mannes und sind daher als Symbol echter Kraft und Männlichkeit zu verstehen. Wären nun Stiefel und Pantoffeln austauschbare Ausdrücke, würde der Schwank seines Hauptmotives beraubt. Der unterjochte Ehemann erhält nämlich gerade wegen seines feigen und weibischen Verhaltens ein Huhn oder Eier, d. h. solche Dinge, die normalerweise der Hausfrau unterstehen. Das Geschenk, das ihm zuteil wird, ist daher das sichtbare Zeichen für den Rollentausch der Geschlechter, der verächtlich gemacht und verspottet werden soll. Pantoffeln statt der Stiefel am Stadttor, die als Lohn ausgesetzt waren, sind in diesem Zusammenhang undenkbar, denn sie bedeuten ja gerade das Gegenteil. Bereits 1494 wurden sie von Seb. Brant im ,Narrenschiff‘ (4,18) als Modetorheit des aufgeputzten weibischen Mannes u.a. verspottet. Nach 1500 verschwanden sie wieder aus der Männertracht und wurden zu einem Charakteristikum der modischen Frauenkleidung. Weiterhin ist zu beachten, daß bei allen in Frage kommenden Rdaa. der Pantoffel nur im Singular benutzt wird, so daß auch von diesem sprachl. Befund her eine Ableitung von dem Schwank kaum möglich erscheint, in dem es um ein Paar Stiefel geht. Vermutlich beruhen diese Rdaa. daher nur auf dem auch sonst üblichen Sprachgebrauch, ein wichtiges und kennzeichnendes Kleidungsstück mit seinem Träger gleichzusetzen. Ähnl. wie die Schürze galt der Pantoffel pars pro toto als Bez. der weibl. Person. Die Ausdrücke ,Schürzenjäger1 und Pantoffelheld' sind deshalb ihrer Bildung nach durchaus vergleichbar, außerdem sind beide iron.-scherzhaft gemeint. Darüber hinaus erhielt der Pantoffel wie Schuh und Strumpf spezifisch erotische Bdtg. und diente zur verhüllenden Bez. der weibl. Genitalien. Aigremont (Fuß- und Schuhsymbolik und -Erotik) verweist zur Erklärung auf alte Volksrätsel und -lieder: diese Fußbekleidungen haben eine Öffnung für den Fuß, die oft mit Pelz umsäumt ist. Das Hineinstecken des Fußes in seine Bekleidung erinnert an den Geschlechtsakt. Um erotische Anspielungen handelt es sich auch in dem bekannten Lied ,Zu Lauterbach* (E.B. Nr. 1009) und in dem Pantoffellied* (E.B. 120d), das eine Umbildung des Liedes von dem verlorenen Schuh ist. In seiner 6. Strophe, die den Verlust der Jungfräulichkeit umschreibt, heißt es: Es hat ein schwarzbraun Mägdelein Pantöffelein verlorn, Sie kanns nicht wiederum finden. Die Beschäftigung des Handwerkers mit dem Schuh oder dem Pantoffel und die entsprechende Berufsbez. wird im erotischen Lied gern verwendet, wobei mit der Zweideutigkeit bewußt gespielt wird. Der Pantoffelflicker* als Bez. des Liebhabers ist dem Pfannenflicker* durchaus vergleichbar. Lit. ist dieser Ausdr. sogar früher als der Pantoffelheld* belegt. Friedrich Müller gebraucht ihn 1778 in ,Fausts Leben dramatisiert* (109,21, Ndr.): „Der Königin von Arragonien Pantoffelflicker möcht er gerne sein!“ Neben der Gleichsetzung des Pantoffels mit den weiblichen Genitalien, der Jungfräulichkeit und der Frau selbst erfolgte seine Erhebung zum Herrschaftssymbol der Frau in Liebe und Ehe. Die Ursprünge dafür lassen sich bis zur Antike zurückführen, in der die weibl. Sandale die entspr. Rolle spielte. Lucian berichtet z. B. in seinen ,Göttergesprächen* (13), daß die lydi- sche Königin Omphale eine Sandale als Zeichen ihrer Macht über Herakles führte und den Heroen sogar damit geschlagen habe. Eine Statue der Venus mit dem aufgehobenen Schuh bezieht sich wohl auf das gleiche Herrschaftsmotiv. 707
Pantoffel F7, „ V spantoffel'^mfcNft, c&rr Uv g f f d fj r I i Sîattg* Streit ber 6ôfen SSci&er. ,Pantoffelherrschaff Die Rda. ist übrigens nicht auf das Weiberregiment in der Ehe beschränkt; vgl. Schillers ,Räuber4 (1,1): „In der Tat, sehr lo- benswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten“. Zu erwähnen ist auch die Traumdeutung vorn Pantoffel träumen: einen gutmütigen Mann bekommen. Als Zeichen äußerster Unterwerfung war auch der ,Pantoffelkuß‘ üblich, der den Fußkuß ablöste. Griechen und Römer ehrten damit die Götterstatuen, nach Luk. 7,38 küßte eine Sünderin die Füße Christi, der Papst ließ sich ebenfalls die mit einem Kreuz bestickten Pantoffeln küssen. Von daher übertrug sich der Fußkuß in den weltlichen Bereich als Zeichen höchster Dankbarkeit und Bewunderung der Geliebten, der sich der Mann zu eigen gab. Um 1210 bereits heißt es im ,Wigalois‘ (V.4228) des Wirnt von Grafenberg: Der meide küßte er an den fuoz Vor freuden und ergab sich ir. Die Rda. jem. den Pantoffel küssen: ihm unterwürfig sein, wird auch heute noch gern verwendet, wenn man in übertr. Sinne 708
Pappe, pappen ein Eheverhältnis charakterisieren möchte, in dem der Mann sich sogar erniedrigen würde, um seiner Frau zu gefallen. Daß die Frau den Pantoffel offenbar tatsächlich auch zum Schlagen des Ehemanns benutzt hat, zeigen unsere Rdaa. den Pantoffel schwingen und jem. pantoffeln in der doppelten Bdtg.: den Ehemann mit dem Pantoffel bearbeiten und das Regiment im Hause führen, nachdem der Streit, wer die ,Unter dem Pantoffel stehen1 Hosen anhat, bereits zugunsten der Frau entschieden worden ist. Bei Siegfried von Lindenberg findet sich 1782 (3,131) dafür auch ein lit. Beleg: „’s kam mir auch spansch vor, dasz ’n Mann kurasig genug hat ’n Bullen zu Leibe zu gehen, und läszt sich von ’n Frauensmensch seine drei Buchstaben pantoffeln“. Von der Unterordnung des Mannes, der es auf eine Auseinandersetzung nicht ankommen lassen will, berichtet auch der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart (Briefe 2, 392), wenn er einen Bekannten wie folgt charakterisiert: „Ihr Mann ist duldsam, den Winken des Pantöffeleins gehorsam“. Die Begriffe.,Pantoffelherrschaft4, ,Pantoffelregiment4 und ,Pantoffelheld4 sind erst seit dem 19. Jh. bezeugt und besitzen alle abwertende Bdtg. Die allzu offensichtliche Herrschaft der Hausfrau, die dem Ansehen ihres Mannes schadet, wird dadurch verurteilt. Holtei erwähnt 1853 lobend in ,Christian Lammfell4 (1, 191) das Verhalten der Frau: „Sie machte so mäßi¬ gen Gebrauch von der Pantoffelherrschaft44. Offenbar war also der Pantoffelheld4 eine alltägliche Erscheinung. Bei der Deutung dieses Wortes ist zu beachten, daß der Ausdr. ,Held4 keine Steigerung mehr erfahren kann und daß deshalb fast alle Zusammensetzungen einen abwertenden oder völlig negativen Sinn erhalten, wenn man z. B. die Begriffe ,Messerheld4, ,Weiberheld4 und .Pantoffelheld4 zum Vergleich nebeneinanderstellt. Es ergeben sich die Abstufungen von widerwilliger Anerkennung, moralischer Verurteilung und Verkehrung des Grundwortes Held ins Gegenteil durch das beigefügte Bestimmungswort. Dieser Vorgang ist rdal. ebenfalls durch ein hinzugesetztes Adj. möglich, denn wenn jem. sagt: ,Du bist mir der rechte Held4 oder ,Das ist ein wahrer Held4, kann er durchaus den Untauglichen, den Feigling damit meinen. Lit.: Aigremont:Fuß- und Schuh-Symbolik und -Erotik (Darmstadt o.J.); D.R. Moser: Schwänke um Pantoffelhelden .... in: Fabula 13, H. 3 (1972), S. 205-292. Papierkragen. Ihm platzt der Papierkragen: er braust auf; moderne scherzhaft-verstärkende Parallelbildung zu ,ihm platzt der /Kragen4. Pappe, pappen. Pappe bedeutet urspr. ,Kinderbrei4 und ist ein Lallwort, das in den Formen ,Papp4 oder ,Papps4 mdal. weit verbreitet ist; die Bdtg. ,dickes Papier4, ,Karton4 ist erst später entstanden und stammt von den dicken Kleisterschichten her, die die einzelnen Papierlagen der anfangs im Handbetrieb hergestellten Pappe miteinander verbanden. In diesem Sinne heißt es auch: pappen bleiben: klebenbleiben. Auf die ältere Bdtg. ,Brei4 gehen zurück die Rdaa.: etw. satt haben wie kalten Papps: einer Sache überdrüssig sein; nicht mehr papp sagen können: völlig gesättigt sein. Der Junge, das Mädel ist nicht von Pappe: kernig, kräftig; eigentl.: nicht mit Kinderbrei genährt, auch auf Personen übertr. : Das ist nicht von Pappe: ordentlich, solid; sogar: ,Die Hitze, der Stoß war nicht von Pappe4; kräftig, stark; ferner: einem Pappe ums Maul schmieren: ihm Zureden, schmeicheln (/Brei); obersächs. ,Er redet, als hätte er Pappe im Maule4, schwerfällig, mit ungelenker Zunge. 709
Pappenheimer Pappenheimer. Wallensteins anerkennende Worte an die Kürassierabordnung des Pappenheimschen Regiments (Schiller, ,Wallensteins Tod4 111,15): „Daran erkenn’ ich meine Pappenheimer“, ist volkstümlich geworden in der entstellten Form: Ich kenne meine Pappenheimer: ich weiß genau, mit wem ich es zu tun habe, ich habe dich durchschaut, ich weiß besser Bescheid als du, z.T. bis in die Mdaa. vorgedrungen. Die Wndg. wird im Gegensatz zu ihrem Zitaturspr. heute meist in abschätzigem Sinne gebraucht. Pappenstiel. Das ist doch kein Pappenstiel: das ist keine Kleinigkeit; etw. für einen Pappenstiel kaufen (hergeben): sehr billig u. dgl.,PappenstieP hat in diesen Rdaa. nichts mit,Pappe4 zu tun, sondern ist eine Klammerform für ,PappenblumenstieP d.i. der Stiel des Löwenzahns (ndd. ,Pâpenblôme\ obd. Pfaffenröhrlein, aus griech.-lat. pappus4 = ,Samen-, Federkrone4 umgedeutet). Der Pappenblumenstiel, den die Kinder zu allerlei Spielereien verwenden können, wurde zum Sinnbild des Wertlosen und hat sich in einen ,Pappenstiel4 verwandelt. Dieser Sinn des Wortes ist seit 1691 durch K. Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 (2163) bezeugt: „Nicht ein Pappenstiel / ne hilum quidem44. Auch aus älterem ,Pappelstiel4 (Malvenstiel) ist die Rda. erklärt worden, ,PappelstieP heißt es z. B. in Hans Kirchhoffs ,Wendunmuth4 (194 b); in einem hist. Volkslied aus dem Jahre 1502 (Liliencron 2, 480) steht dafür ,Pfifferstiel\ d.h. Stiel des Pfifferlings. Der Sinn ist derselbe. Hans Dittrich (,Pappenstiel4, in: Zs. Muttersprache, Jg. 62, 1. Heft, S.25) lehnt die bisherigen Deutungen ab und verweist auf die Dissimilation, einen häufiger zu beobachtenden lautlichen Wechsel, in der Wortnaht von 1 zu n. Er setzt deshalb als Ausgangsform ,Pappelstiel‘ an. Dabei stützt er sich auf die Stelle im ,Wendun- muth4 von 1503 und auf eine Angabe im Dt. Wb., Bd. VII, Sp. 1447, wo es unter dem Stichwort ,Pappenstiel4 heißt: „im Sinne des älteren pappelstiel und vielleicht daraus verderbt44. Dittrich deutet nun aber den ,Pappelstiel4 nicht wie Weigand (Dt. Wb. 6. Aufl.) als Stiel der Malve, sondern, von praktischen Überlegungen ausgehend, überzeugender als ,Stiel aus Pappelholz4. Bei Handwerkern und Bauern, die Werkzeuge benutzen, ist allg. bekannt, daß sich ein Stiel aus Pappelholz wenig eignet. Das Pappelholz ist zu weich und deshalb brüchig. Eschen- oder Akazienholz werden für Stiele verwendet. Ist ein Werkzeug nur mit einem Pappelholzstiel versehen, ist es also wertlos und darum sehr billig. Zu dieser Erklärung kann man auch noch die Rdaa. (Nur) einen Pappenstiel kosten: fast nichts, nur so wenig wie ein Stiel aus Pappelholz kosten, und keinen Pappenstiel wert sein: unbrauchbar, nichts wert sein, heranziehen. Lit.: H. Dittrich: Pappenstiel, in: Muttersprache 62, 1, S.25. Papst. Päpstlicher als der Papst sein: übertrieben unerbittlich sein, eine bestimmte Richtung mehr als notwendig vertreten. Die Wndg. steht wohl in Zusammenhang mit der heftig angefeindeten Unfehlbarkeitserklärung des Papstes (1870) und ist vermutl. durch eine Äußerung Bismarcks mit beeinflußt worden, der am 21. April 1887 in seiner Antwort auf den Freisinnigen Eugen Richter sagte: „Katholischer als der Papst?“ (Bismarck, Ges. W., 2. Aufl., Bd.XIII, S.293). Das Vorbild der Bis- marckschen Wndg. seinerseits ist vermutl. das Wort „II ne faut pas être plus royaliste que le roi“ (Man muß nicht königstreuer gesinnt sein als der König). Nach Chateaubriand (,La monarchie selon la Charte4, Paris 1816, S.94) wurde unter Ludwig XVI. (regierte 1774-93) dieses Wort geprägt (Büchmann, S.619). Deti Papst zum Vetter haben: die Unterstützung einer einflußreichen Persönlichkeit genießen. Parabel bedeutet in der Studentensprache des 18.Jh. scherzhaft die Perücke; daher obersächs.-thür. gelegentl. in der Bdtg. ,Kopf4,,Gesicht4, z. B. einen bei der Parabel kriegen: ihn beim Schopfe packen; die Parabel voll haben: schlechte Laune haben. Parade bez. in der Fechtersprache die abwehrende Stellung oder Deckung, vgl. den ebenfalls bildl. Ausdr. ,einen Hieb parie- 710
Passau ren4, einen Hieb abwehren, ihn zurückweisen. Daher die Rda. einem in die Parade fahren:ihm ,einen /Strich durch die Rechnung machen4, ihn treffend zurückweisen, eigentl.: seine Abwehr durchbrechen und einen erfolgreichen Stoß gegen ihn führen. Parfüm. Bei mir Parfüm!: ich gehe fort, fliehe. Der Sinn der Rda. hängt mit verduften4 zusammen (20. Jh.). Da hört das Parfüm auf zu riechen!: Ausdr. starker Verwunderung, Mitte des 20. Jh. (Küpper II, S. 209). Paroli. Einem (ein) Paroli bieten (auch biegen): ihm in überbietender Weise entgegentreten, es ihm mit derberer Münze heimzahlen (/heim), ihm ,die /Spitze bieten4. Paroli, über das Frz. im 18. Jh. aus dem Ital. entlehnt, ist urspr. ein Fachausdr. des Pharospiels, eines Kartenglücksspieles; es bez. eine Verdoppelung des ersten Einsatzes, wobei ein Ohr in die betreffende Karte geknifft wurde (deshalb die Nebenform ,biegen4). Die Rda. ist in übertr. Anwendung seit dem Anfang des 19.Jh. bezeugt. Paß, über das Frz. aus Lat. passus = Schritt, Gang entlehnt, bedeutet »Durch- gang(sweg)4; daher die aus der Soldatensprache stammende Wndg.: einem den Paß verlegen: ihm den Durchgang verwehren, in übertr. Sinne: ihn an etw. hindern. So in Grimmelshausens,Simplicissimus4 (1,365): „daß das Weinen dem Singen den Paß verlegen wollte44. Den Paß unter die Füße nehmen: fliehen, sich schnell davonmachen. Der Paß als Ausweis, Reisepapier für die Grenze ist in den folgenden Rdaa. gemeint: einem den Paß geben: ihn entlassen (vgl. Laufpaß); doppelte Pässe führen: Freibriefe für beide Seiten führen, meist von einem gesagt, dem man nicht traut; seinen Paß zerreißen: sich die Mittel zum Fortkommen selbst nehmen; einen Paß für die Ewigkeit gekauft haben: euphemist. Umschreibung für gestorben sein, /zeitlich. Vom Mndl. (,te pas zijn4) über das Mnd. (,to passe sin4) gehen die im Hd. seit dem 16. Jh. bezeugten Wndgn. zu passe sein, zu passe kommen: recht sein, gelegen kommen, aus, denen Paß in der Bdtg. »(rechtes) Maß4, »Angemessenheit4 zugrunde liegt; 1618 ist belegt „übel zu paß oder krank44, neundl. ,goed van pas4, ferner nhd.,unpaß4, »unpäßlich4. Passau. Er versteht die Passauer Kunst: er vermag sich hieb-, stich- und kugelfest zu machen; er ist gegen jedes Unglück gefeit. Die Rda. war früher sehr verbreitet, ist aber heute weithin verschollen. In übertr. Anwendung findet sie sich noch 1802 bei Jean Paul im ,Titan4 (90. Zykel): „Schöne Kunst und nichts als Kunst war für die Fürstin die Passauer-Kunst gegen Hof- und Lebenswunden44. »Passauer Kunst4 ist das im Dreißigjährigen Krieg sehr verbreitete Verfahren, sich durch Zettel, die auf dem Leibe getragen wurden, gegen Verwundung »fest4 zu machen. Zur Erklärung des Namens wird gesagt: Die Soldaten wandten sich an Zauberkundige, die sich bes. unter fahrendem Volk fanden. Solche professionelle Zauberkundige hießen in der Studentensprache ,Pessulanten4. Das Wort wäre dann in die Soldatensprache übergegangen und zu »Passauer4 entstellt worden. Die »Pas- sauer Kunst4 galt als teuflisch. Grimmelshausen erwähnt dies im »Simplicissimus4 (IV, 186): „Mußte es auch, wie sehr und eygentlich du dich dem Teufel obligiret hattest, ordentlicher Weis verbriefft seyn, welches durch die Zettel geschehen, die du vor die Festigkeit bey dir getragen oder gar in Leib gefressen, maßen die Zettel der Passauer Kunst (welche den Namen darvon hat, daß sie ein Student zu Passau erfunden) keinen andern Inhalt haben, die viele darbey stehende Creutz-Zeichen ohnange- 711
Pastete sehen, als diesen erschröcklichen, den nimmermehr kein Christ wegen seiner Greu- lichkeit vor sein Maul, geschweige auff das Papier kommen lassen solte: Teuffel hilff mir, Leib und Seele gib ich dir“. Eine andere Erklärung besagt, daß der Name ,Passauer Kunst4 einen geschichtl. Urspr. habe. Als der spätere Kaiser Matthias 1611 bei Passau ein Heer sammelte, benutzte der Henker Caspar Neithardt aus Passau die Gelegenheit, um den Soldaten mit Figuren und anderen Zeichen bemalte Zettel als Schutzmittel zu verkaufen (so Anhorn, ,Magio logia' 837f.). Nach dem ,Simplizianischen Vogelnest' (11,25) war ein Student Christian Eisenreiter aus Passau der Erfinder. Die Zettel wurden als Amulette von den Soldaten getragen, nach Anhorn auch gegessen (,Schluckzettel'). Der Zettel machte gegen Schuß, Hieb und Stich fest. Der Glaube an ihre Wirkungskraft wurde dadurch befestigt, daß die unzufriedenen Soldaten Rudolfs II. den Truppen des Erzherzogs Matthias keinen Widerstand leisteten (Hda. VI, Sp. 1460L). Mit geringerer Wahrscheinlichkeit hat man auch an den Ausdr. ,passen', nicht mittun beim Kartenspiel, nicht drankommen beim Stechen, gedacht. Lit.: A. Spamer: Romanusbüchlein (Veröffentlichungen des Instituts für dt. Vkde. 17), Berlin 1958; L. Röh- rich: Art. .Zauberbücher4 und ,Zaubersprüche', in: RGG. VI (3. Aufl. Tübingen 1962), Sp. 1869-71 und Sp. 1873-75. Pastete wird ähnl. scherzhaft gebraucht wie / Bescherung: Da haben wir die Pastete! Da liegt die ganze Pastete: das Unangenehme ist, wie erwartet, eingetroffen. Schon 1783 bei J. T. Plant (,Akademische Liebe' S. 162): ,,Das war’ ’ne schöne Pastete“, das wäre eine schöne Geschichte; Schiller in ,Kabale und Liebe' (1,1): „Gleich muß die Pastete auf den Herd“, sofort muß die Sache abgemacht werden; wien. ,a schöne Pasteten', eine nette Bescherung; tir. ,einem Pasteten versprechen', leere Versprechungen machen. Pastorentöchter. (Wir sind ja) unter uns Pastorentöchtern (oder Pastorstöchtern, Pfarrerstöchtern): unter uns gesagt, nur nicht zimperlich. Die Rda. ist am Ausgang des 19.Jh. aufgekommen; sie ist eine umg., leicht iron. Rda., mit der man eine freie Aussprache oder einen derben Ausdr. entschuldigt. Zuweilen wird die Rda. noch parodistisch erweitert: ,unter uns kath. Pfarrerstöchtern4. Pate. Obersächs.-thür. einem die Paten sagen: ihm die Wahrheit sagen, ihn ausschelten; ähnl. wie: ,ihm die /Leviten lesen4. Die Herleitung von Pate = Taufzeuge ist unsicher, denn seine Paten sollte eigentl. jedermann kennen, so daß er sie nicht gesagt zu kriegen brauchte; Müller-Fraureuth (Wb. der obersächs. Mdaa. I, 69) vermutet unter Hinweis auf die Form ,einem die Paten stecken' einen Zusammenhang mit Pate = Setzling, Pflänzling, Pfropfreis (aus mit- tellat. inpotus). Bei einer Sache Pate gestanden haben (nicht Pate stehen wollen): am Anfang mitgewirkt haben (mit etw. nichts zu tun haben wollen). Patsche, üble, bedrängte Lage, Verlegenheit, kommt vor in den Wndgn. jem. in die Patsche bringen: ihn in eine üble Lage versetzen; jem. aus der Patsche helfen: ihm aus der Verlegenheit helfen; auch ,jem. aus der Patsche ziehen'; in die Patsche kommen: in eine üble Lage geraten; in der Patsche sitzen: in übler Lage sein. Pauke. Einem etw. einpauken: einem etw. durch ständige Wiederholung eintrichtern. Einen heranspanken: einem aus einer Verlegenheit heraushelfen, zu ,pauken' = fechten in der Studentensprache. Aus einem eine Pauke machen: ihn ständig mißhandeln. Der Pauke ein Loch machen: eine Sache vereiteln, zum Aufhören bringen. So Lessing: „Ich muß der Pauke nur ein Loch machen, damit ich weiß, woran ich bin“. Er steht bei der Wahrheit wie der Has' bei der Pauke: er muß die Wahrheit fürchten und fliehen. Das Alter der Zwillingsformel mit Pauken und Trompeten zeigt sich daran, daß die Prägung nicht umgestellt werden kann. Bes. gebräuchl. ist die Rda. bei einer ergebnislosen Prüfung: ,Er ist durchgefallen mit Pauken und Trompeten', er hat völlig 712
Pegasus versagt. In dieser Rda. wird der negative Ausgang einer Prüfung euphemist. umschrieben, da ,Pauken und Trompeten'ei- gentl. einen festlichen Anlaß kennzeichnen (lit. 1853 bei Kügelgen). Gemünzt auf heuchlerisches, scheinheiliges Gehabe sind die Verse: Mit Pauken und Trompeten, Das ist die Art, wie sie beten. Auf die Pauke hauen: sich gewaltsam Gehör verschaffen, prahlerisch erzählen. Die Rda. beruht auf der Vorstellung, daß der Paukenschläger in der Militärkapelle nicht zu überhören ist; er gibt den Takt des Marschierern an (Küpper I, S.244). Lit.: M. Willherg: Die Musik im Sprachgebrauch..., in: Muttersprache (1963). S.20Iff. Paulus. Darauf losgehen wie Paulus auf die Korinther ist ein bes. in ndd. Mdaa. bezeugter rdal. Vergleich, der wohl darauf zurückgeht, daß der Apostel Paulus in seinen beiden Briefen an die Korinther, namentlich im ersten, diesen strafende Vorhaltungen macht; ostfries. ,He geit drup los as Paulus up de Korinther'; rhein. ,Du schlehs (häus) dren wie Paulus en de Korenther\ du übertreibst. Davon hat Paulus nichts geschrieben: dafür gibt es keine Vorschrift, davon ist keine Rede. /Saulus. Pech, Pechvogel. Pech haben:\h\$ück haben. Die Wndg. stammt von der Vogelstellerei: Der an der Leimrute klebende Vogel hat Pech (an den Federn) und geht daran zugrunde (/Leim). In einer Hs. aus dem Jahre 1479 schreibt ein vom Unglück verfolgter schles. Edelmann: „Ich bin so weit in das pech gesaczt, das ichsz nyme achte“. Auch Mäuse müssen früher mit Pech gefangen worden sein; vgl. 1541 Seb. Franck: „Die maus hat das bech, der vogel den leim versucht. Die maus weiß nit was bech, noch der Vogel was leim ist, bis sies versuchen, etwa drob gefangen werden und schwerlich davon kommen“. Die Wndg. ist bes. durch die Studentensprache weiterverbreitet worden, wo sie seit 1795 nachweisbar ist. Doch hat man, freilich mit geringer Wahrscheinlichkeit, zur Erklärung auch an andere Rdaa. gedacht, z. B. Pech an den Hosen haben: sich nicht entschließen können, aufzustehen und zu gehen, was bereits im 17. Jh. geläufig ist; daraus könnte ,Pech haben' gekürzt sein. Obd. ,Pech kaufen' (auch ,Pech geben'), fliehen, erinnert an Fersengeld geben'. An die Herkunft vom Vogelfang klingt auch der Ausdr. ,Pechvogel', vom Unglück verfolgter Mensch, an, der gleichfalls zufrühst in student. Kreisen bezeugt ist. Pech und Schwefel (eigentl. ,Feuer und Schwefel') ist in dieser Verbindung geläufig aus l.Mos. 19,24: „Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen von dem Herrn vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra...“. Sir. 13,1 steht: „Wer Pech angreift, besudelt sich". Pechhütte /aschgrau. Lit.: W. Lehnemann: Standessprache und Gemeinschaftssprache, in: Deutschunterricht Jg. 15,H. l.Febr. 1963, S. 51 ff.; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S. 316f. Pechstiefel. Nach einer wohl mehr scherzhaften als ernsten naturgeschichtl. Überlieferung fängt man gewisse Affenarten, indem man ihnen innen mit Pech angestrichene Stiefel hinsetzt. Daher ist wohl die Rda. entstanden, es lasse sich jem. in Pechstiefeln fangen, d. h. er sei so dumm wie ein Affe und lasse sich aufs ärgste täuschen. In der Mitte des 19. Jh. ist es eine durchaus geläufige Rda.: jenseits der Oder, wo se de Bauern mit Pechstiebeln fangen' (Uckermark, jetzt nicht mehr gebräuchl.). Vaerst erzählt ( 1836) von einem Pariser Abenteurer, der sich nach vielem Herumstreichen als angeblicher Waldmensch in Südamerika habe einfangen lassen, um dann in Paris als eine Art Wundertier Geld zu verdienen: „Lässt sich der Kerl, der sich in seinen Urwäldern nicht mehr nähren kann, pfiffigerweise in Pechstiefeln einfangen, nach Paris schleppen, um hier rohe Hühner, wahrscheinlich seine Lieblingsspeise, gegen Entree zu fressen". Wander (III, Sp. 1202) führt aus der Breslauer Zeitung vom 31. März 1864 (S.841) an: „Wenn dem so wäre, so hätte Preussen sich im eigenen Pechstiefel gefangen“. Pegasus. Den Pegasus besteigen: dichten. Der Pegasus ist nach der griech. Sage das Musenroß; vgl. Hesiod (,Théogonie* 284): 713
Pelle nfiyaooç ÏTtTtoç (das Pferd Pegasus) und Ovid (,Metamorphosen4 V, 257): „Dura Medusaei quem praepetis ungula rupit“ (Die Quelle, die der harte Huf des geflügelten Medusenrosses erschloß). Das aus dem Rumpf der Medusa entsprungene Flügelroß wurde von Bellerophon gezähmt. Pegasus Als er sich auf ihm zum Himmel schwingen wollte, warf es ihn ab, stieg selbst zum Himmel auf und wurde ein Sternbild. Auf dem Helikon soll sein Hufschlag die den Musen geweihte Quelle ,Hippokrene4 hervorgebracht haben. Wer aus dem Wasser dieses ,Roßquells1 trank, wurde ein Dich¬ ter. Vgl. Persius (,Satiren4, Prolog): ,,Nec fonte labra prolui caballino“ (und ich benetzte die Lippen nicht mit dem Roßquell). Die Pegasus-Vorstellung geht auf alexan- drinische Dichter zurück. Vom Pegasus im Joche sprechen wir, wenn ein Dichter durch Brotsorgen genötigt wird, irgendeiner ihm nicht gemäßen Erwerbsarbeit nachzugehen, oder wenn die Dichtkunst dazu mißbraucht wird, einem unkünstlerischen, politischen und allzu profanen Zweck zu dienen. Im ,Musenalmanach für das Jahr 17964 war das Schiller-Gedicht, aus dem dieses Zitat stammt, noch mit ,Pegasus in der Dienstbarkeit4 überschrieben (Büchmann, S. 108, 235). Ul.: F. Hannig: De Pegaso (Diss. Breslau 1902); L. Malten in: Jb. des Dt. Archäolog. Instituts 40 (1925); ders. in: Hermes 79, 1/2 (1944); P. Kretschmer in: Glotta 31 (1951); F. Schachermeyr: Poseidon und die Entstehung des griech. Götterglaubens (1950). Pelle, lat. pellis = Haut, meint dt. eigentl.: die dünne Haut oder die Schale, auch: die Kleidung. Dem entsprechen die Rdaa.: aus der Pelle fahren als Parallelbildung zu: ,aus der /Haut fahren4; jem. nicht von der Pelle gehen, jem. auf der Pelle sitzen: ihn ständig begleiten, ihn durch ständiges Begleiten belästigen (,das Kind geht der Mutter nicht von der Pelle4); jem. auf die Pelle rücken: ihm energisch zusetzen, als Parallelbildung zu: ,zu Leibe rücken4 (Küpper I, S.244). Pelz wird ähnl. wie /Fell und /Pelle gern für die menschliche Haut gebraucht: sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen: sich sonnen (19. Jh.); einem auf den Pelz kommen (oder rücken): dringlich mit einer Angelegenheit an ihn herantreten, jem. bedrängen; jem. eins auf den Pelz geben: ihn prügeln; jem. einsauf den Pelz brennen: auf ihn schießen, der Jägersprache entlehnt; aber auch bildl. auf den Menschen übertr.: einem auf den Pelz schießen: seine Fehler und schwachen Seiten angreifen. Abraham a Sancta Clara berichtet eine Anekdote (,Abrahamisches Bescheidessen4 282): „Ein Fürst sagte zu seinem Hofprediger, der durch Gleichnisse die Fehler und Laster desselben gerügt hatte, über Tische: ,Ihr habt mich heut’ ziemlich auf den Pelz geschossen, Herr Hofprediger4; worauf dieser erwiderte: ,Das thut mir leid, ich hatte aufs Herz gezielt4 44 . Einem den Pelz waschen: ihm derbzusetzen (schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg). In Thomas Murners ,Schelmenzunft4 findet sich die Sentenz: Ye me man wescht ein beltz fürwar, Ye mer vnd mer bschyst er das har. ,Wasch mir den Pelz, aber mach ihn mir nicht naß!4 sagt man, wenn man bei Tadel doch sanft behandelt werden möchte oder wenn jem. ein Vorhaben ankündigt, aber viel zu schwache Mittel anwendet. Einem eine Laus in den Pelz setzen /Laus; einem den Pelz lausen: einen heimsuchen; die Rda. spielt eine Rolle in der 30. Historie des Eulenspiegelvolksbuches, wo Eulenspiegel den Frauen ,die Pelze waschen4 will ; 714
Perle wie häufig in den Eulenspiegelschwänken gibt es dabei eine Verknüpfung von Metapher und wörtl. Auslegung. Der Pelz ist ihm zu enge: er ängstigt sich, hat Furcht vor Strafe; lit. schon bei A. Gry- phius (,Geliebte Dornrose4): ,,0 wie enge war mir der Pelz!“ Perle. (Die) Perlen vor die Säue werfen: Edles, Gutes und Schönes dem bieten, der es nicht zu würdigen versteht. Die Rda. ist bibl. Urspr.: ,,Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen“ (Matth. 7,6; Vulgata: „Neque mittatis margaritas vestras ante porcos, ne forte conculcent pedibus suis“). Das rdal. Bild ist schon vor der Lutherischen Bibelübers. im Dt. geläufig. Es findet sich z.B. in der alt- bair. Predigtsammlung ,Speculum ecclesiae4 aus dem 12. Jh.: „man soi diu mer- griezer (Perlen) vur diu swin niht giezzen“; die Wndg. erscheint ferner um 1230 in Freidanks Lehrgedicht Bescheidenheit4 (123, 6): Swer berlin schüttet für die swin, Diu mugen niht langer reine sin. Vollkommen frei schaltet Hugo von Trim- berg in dem Lehrgedicht ,Renner4 (V. 6302ff.) mit der überlieferten Formel; er klagt: daz zuht, schäm, kunst und witze fleischlichem gelüst entwichen müezen und under der gitekeit (Gier) füezen ligen als vor swinen edel gesteine. ln ndd. Form bucht 1513 Tunnicius die sprw. Rda.: „Men sal de perlen nicht vor die swyne werpen“. Auch dem Engl, und dem Frz. ist sie geläufig (,to throw pearls before swine'; ,donner des perles aux porcs4). Ndl. heißt es außer ,paarlen voor de zwijnen werpen4 auch synonym: ,rozen voor de varkens strooien4. Die Szene ist auch oft von den ndl. Bildschnitzern dargestellt worden, z.B. in Aerschot, Hoogstraeten, Dordrecht und anderorts. Auf allen ndl.-fläm. Skulpturen dieser Rda. und ebenso auf dem späteren Bilderbogen werden nicht Perlen, sondern Blumen den Schweinen vorgeworfen, wobei wahr- scheinl. eine Verwechslung von lat. margarita4 = Perle und frz. ,marguérite4 = 1/2 ,Perlen (Rosen) vor die Säue werfen4 715
1/2 ,Perlen (Rosen) vor die Säue werfen4 Persilschein S7R0VTROSEN tfOOR DVERCKENS Gänseblümchen, die Margarite vorliegt. Hier zeigt sich ein deutlicher Übersetzungsunterschied zwischen ndl. und dt. Tradition aufgrund derselben bibl.-lat. Quelle. Wo die Szene mit Blumen auf dt. Chorgestühlen vorkommt, wie z. B. in Kempen am Niederrh., da ist die Mitarbeit oder das unmittelbare Vorbild fläm. Künstler anzunehmen. - Parodistisch: ,falsche Perlen vor echte Säue werfen4. Er sitzt drin wie die Perleim Go Id esagi man scherzhaft von einem Herrn, der zwischen mehreren Damen sitzt. Ihm fällt eine Perle aus der Krone: er vergibt sich etw.; Parallelbildung zu ,ihm fällt ein Stein aus der /Krone4. Es ist nicht so wie Perlen anfä- deln. die Sache ist schwerer, als sie anfänglich erscheint. Den entspr. rdal. Vergleich gibt es auch frz.: ,Ce n’est pas pour enfiler des perles4. Lit.: Singer III, 83; L. R'ôhrich: Sprww. Rdaa. in bildl. Zeugnissen. Persilschein. Den Persilschein geschickt kriegen: den Gestellungsbefehl erhalten; während des 2. Weltkriegs aufgekommen. Die Rda. knüpft an die Gepflogenheit der Wehrpflichtigen an, beim Einrücken in die Kasernen ihre Wäsche in Kartons der Waschmittelfirma Persil mitzubringen. Nach 1945 gebrauchte man den Ausdr. Persilschein im Zusammenhang mit der Entnazifizierung für die schriftliche Bestätigung einer makellosen politischen Vergangenheit; wie durch ein Waschmittel wurde der tatsächlich oder vermeintlich Belastete gewissermaßen weiß gewaschen, deshalb die Wndgn.: einen Persilschein erhalten und jem. einen Persilschein ausstellen. Wer einen Persilschein hatte, der hatte wieder eine ,weiße /Weste4. Perücke wird in ndd. und mdt. Rdaa. bildl. gebraucht und steht dann für den Begriff der Unechtheit, der Unnatürlichkeit und des Scheins von Ansehen, das sich einer gibt: einem in die Perücke fahren: seine Überheblichkeit, Heuchelei aufdecken; ndd. ,1k fohr em in’e (P(a)rück4, ich fuhr 716
Peter, Petrus ihn an; rhein. ,He het de P(e)rück ver- keahrt stohn\ er ist schlecht gelaunt. Pest. Der noch heute ganz geläufige rdal. Vergleich einen fürchten wie die Pest ist lit. schon u.a. bei Grimmelshausen im Simplicissimus' (II. Kap. 30, S. 195) belegt: „davon wurde ich gefürchtet wie die pest“; daneben ist stinken wie die /Vs/geläufig. Das Ndl. kennt darüber hinaus ,gierig als de pest‘ insofern, als die Pest viele Opfer verlangt. Der alte Fluch ,Daß du die Pest kriegst!' ist heute ausgestorben. Peter, Petrus. Dem Peter nehmen und dem Paid geben: es dem einen nehmen und dem andern geben; von dem einen etw. leihen, um den andern damit zu bezahlen. Diese ältere Rda. ist heute kaum noch üblich (vgl. engl. ,to rob Peter to pay Paul'; frz. dépouiller saint Pierre pour habiller saint Paul'). Die Zusammenstellung der beiden stabreimenden Hauptapostelnamen ist sehr gebräuchl.; heißt doch auch ein Kalendertag, der 29. Juni, nach ihnen gemeinsam. Die Rda. erklärt sich aus dem einst nicht seltenen Vorkommnis, daß aus einer Kirche Gegenstände der Verehrung und des Schmuckes, die dort reichlich vorhanden waren, genommen wurden, um sie an neue Kirchen zu geben, denen diese Dinge noch fehlten. Handelte man doch dabei sogar in Übereinstimmung mit Paulus, der 2. Kor. 11,8 schreibt: und habe andere Gemeinden beraubt und Sold von ihnen genommen, daß ich euch predigte“. So mag es denn vorgekommen sein, daß man dem heiligen Petrus den Rock nahm, um ihn dem heiligen Paul anzuziehen (vgl. die oben erwähnte frz. Rda.); denn es war da durchaus üblich, den Statuen der Heiligen wirkliche Gewänder anzulegen. Nach Quittard (,Études littéraires et morales sur les proverbes français', 1860, S. 305) findet sich die Rda. lit. schon zur Zeit des Frankenkönigs Dagobert, der zur Gründung der Abtei Saint-Denis verschiedene Kirchen zu den erwähnten Schenkungen nötigte. So mußte unter anderen die Martinskirche in Tours ihre eisernen Türen an die Dionysius-Abtei abtreten; schon damals wurde sprw. geklagt: „Non est spoliandus Petrus, ut vestiatur Paulus“. Friedrich der Große am 1. August 1786: „Man mus nicht Petern ausziehen, vmb Paulen zu bekleiden“ (Stadelmann, Aus der Regierungszeit Friedrichs des Großen, Halle 1890, S.95). Petrus gilt als Wetterregent. Wenn weiße Wölkchen am Himmel stehen, sagt man: ,Der heilige Petrus weidet Schäfchen oder Lämmel' oder,backt Brot' ; wenn es regnet, sagt man: ,Petrus schließt den Himmel auf‘; wenn es schneit: ,Petrus hat ein Loch aufgemacht und kann es nicht wieder zustopfen'. Bei Gewitter ,fährt Petrus Unsere Liebe Frau in einem Wagen spazieren' (vgl. HdA. VI, Sp. 1536ff.); weitere Wetter- Rdaa. mit Petrus: ,Petrus blinzelt', es wetterleuchtet; ,jetzt ist Petrus der Sack geplatzt', Blitz, Donnerschlag und Wolkenbruch ereignen sich gleichzeitig; ,Petrus kegelt', es donnert;,Petrus läßt Wasser', es regnet;,Petrus rückt Schränke', es donnert verhalten in der Feme;,Petrus hat gefurzt (geschissen)', es donnert heftig; ,Petrus schifft', es regnet heftig;,Petrus zieht um', es donnert heftig. Auf Petrus als Himmelspförtner beziehen sich sold.-euphemist.-verhüllende Rdaa. für ,sterben', wie z. B. ,bei Petrus anklopfen'; ,sich mit Petrus bekannt machen'; ,gen Petrus fliegen', bei einer Explosion in die Luft fliegen. ,Sei bloß ruhig, oder hast du eine Verabredung mit Petrus?' ist eine hamb. Drohung. ,Mit Petrus Sechsundsechzig spielen', /zeitlich. Peter friß, 's sind Linsen: tu es nur, die Folgen werden schon nicht so schlimm sein; heiße das Unangenehme gut; pomm. ,frett Peter, ’t sünd Lünsen', das stecke ein, es ist auf dich gemünzt. Die Rda. hat ihren Ursprungsbereich in der Sprache der Kartenspieler; sie ist durch ihre Verwendung in Fritz Reuters ,Stromtid' (II, Kap. 22) lit. geflügelt geworden. Peter le auf allen Suppen sein /Petersilie. Eine Zigarre ,Marke Petrus' ist minderwertig mit Anspielung auf Luk. 22,62: „Er ging hinaus und weinte bitterlich“. Den schwarzen Peter in der Tasche haben: der Schuldige, der Letztverantwortliche sein. Die Rda. leitet sich von dem Kinderkartenspiel her, bei dem der Besitz des ,Schwarzen Peters' Unterlegenheit bedeutet und andererseits die Gewinner zu vorher vereinbartem Mutwillen berechtigt; 717
Petersilie ebenso: den schwarzen Peter zurückgeben: die Verantwortung auf den eigentl. Verantwortlichen abwälzen; jem. den schwarzen Peter zuschieben: jem. die Schuld, die Verantwortung aufbürden. Einen Peterskopf haben: eigensinnig sein. Die bibl. Erzählung von der Fußwaschung, wo Petrus erst nicht dulden wollte, daß Christus ihm die Füße wusch, dann aber, ,Einen Peterskopf haben4 von seinem Herrn belehrt, auch noch Haupt und Hände gewaschen haben wollte, gilt als Grundlage der Bez. Peterskopf. Nigrinus sagt: ,,als wolte vnd musst ers nirgends machen, nach des Herrn sinn, sondern nach seinem eygensinnigen kopff, daraussein Sprichwort entstanden ist in der Welt, das man ein eygensinnigen ein Pe- terskopff nennet4'; so auch bei Luther, Thom. Murner, Joh. Fischart. In Nürnberg und Umgebung werden Glatzenträger als Peter(s)köpfe bez. 1612 schrieb der Nürnberger Patrizier Behaim an seine Braut: „Zu wünschen wäre, daß Ihr Eure schöne Haar auf meinen platteten Peterkopf hättet setzen und machen können44. ln der dt. Kunst wird seitder 1. H.d. 15.Jh. Petrus mit Glatze und Stirnlocke (Rest der Kranztonsur) dargestellt, bes. bei Dürer. Hans Sachs gibt in einem Meistergesang von 1551 dafür eine Erklärung. Eine Bäuerin rauft Petrus die Haare aus, weil er verschlafen hat: Darumb malt man noch ueberal Sant Petter gar glaczet vnd kal, Seit die pewrin in also ruepft. In einer ndl. Erzählung (Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels, S. 129) dagegen soll Petrus vor dem Herrn unter seinem Hut einen heißen Kuchen verborgen haben, der ihm die Haare wegbrannte. Lit.: Bolte-Poltvka I, S. 344f.; Mot. 774 J.: O.Dähn- hardt: Natursagen I (Leipzig-Berlin 1907), S. 172f T. Zwölfer: Sankt Peter, Apostelfürst und Himmels- pförtner (1932); H. Brinkmann: Die Darstellung des Apostels Petrus (Diss. Erlangen 1936). Petersilie. Petersilie auf allen Suppen sein: überall dabeisein müssen, bei allen Gelegenheiten obenauf und vorne dran sein wollen; vorwiegend südwestdt., in schwäb. und alem. Mda. in der Form Peterling (oder Peterle) auf allen Suppen. Die Rda. ist schon bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg (1445-1510) bezeugt. Bei Jakob Heerbrand (,Ausklopfung4, 1588, S.2) heißt es: „Der überall vornen daran, Hans in allen Gassen, Peterling auf allen Suppen sein will44. Einem die Petersilie verhageln ist eine iron, moderne Verstärkung für: ,ihm die /Suppe versalzen4; ihm ist die Petersilie verhagelt: er ist niedergeschlagen, blickt mißmutig drein. Auch regional begrenzte mdal. Wndgn. sind bezeugt, z. B. sagt man im Bergischen ,de Peterzellich kriegen4, wenn man sich langweilt (vielleicht weil das Kraut so lange Zeit zum Aufgehen braucht), in Mecklenburg heißt es von Mädchen, die keinen Tänzer finden, daß sie ,Petersilie pflücken4. petto. Etw. in petto haben: etw. Vorhaben, im Sinn, in Bereitschaft, zur Verfügung haben. Die Rda. entspricht einer im 18. Jh. aus dem Ital. übernommenen Wndg., die bis in die südd. Mdaa. vorgedrungen ist; ital.,in petto4 = in der Brust, verschlossen, unerörtert; nur gedacht (lat. ,in pectore4). Was man ,in petto4 hat, verwahrt man als 718
Pfannkuchen Geheimnis noch in der Brust. ,In petto4 hat z.B. der Papst einen Geistlichen, den er zum Kardinal ernennen will. Pfahl. In seinen vier Pfählen: innerhalb des Hauses, in der eigenen Wohnung. Die Rda. ist eigentl. eine alte Rechtsformel, die sich wohl weniger auf die Eckpfosten des Hauses als auf die Eckpfähle der Hofumfriedung bezieht. Im Sachsenspiegel4 wenigstens ist mit der Wndg. ,Haus und Hof4 gemeint: „binnen sinem huse unde hove, dat is binnen sînen veer pâlen44 (Glosse zu 2,66). Hans Pfriem, der Held von Haynec- cius' gleichnamiger Komödie aus dem Jahre 1582, klagt (V. 1586): 1st dan heut aller fried dahin, Das ich kein stund nicht sicher bin In meinen vier pfelen, erbarm es Gott. Auf seinem Kopf kann man Pfähle anspitzen: er ist unempfindlich, er ist dumm; die Rda. greift einen bes. harten Fall von Dick- schädeligkeit heraus. Ein Pfahl im Fleisch: ein peinigendes körperliches oder seelisches Leiden, eine Wunde am eigenen Leib. Die Wndg. ist bibl. Urspr.: „Auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung iiberhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe“ (2. Kor. 12,7): entspr. auch in anderen Sprachen (frz. ,c’est une épine au pied4; engl. ,a thorn in the flesh4; ndl. ,een doom in het vlees zijn‘). Pfandhaus. Die Uhr geht nach dem Pfandhaus: die Uhr geht falsch. Wahrscheinl. ist sie so lange im Pfandhaus gewesen, daß sie abgelaufen und beim Abholen lediglich aufgezogen, aber nicht gestellt worden ist; die Rda. ist ungefähr seit 1900 geläufig (Küpper I, S.246). Pfanne. Einen in die Pfanne hauen: ihn gänzlich vernichten; auch: ihn im Wortgefecht gründlich besiegen. Pfanne ist hier die Koch- oder Bratpfanne, auf der man ein Ei zerschlägt oder indie man ein Stück Fleisch zerkleinert hineinwirft; vgl. auch ,einen zur /Bank hauen4 und die im 18. Jh. häufige Rda. ,einen in Kochstücke zerhauen4, ihn jämmerlich verprügeln. Als bloße Drohung ist ,in die Pfanne hauen4 auch 1687 in einem Lied auf die Schlacht bei Patras von den Türken gesagt: Also er zweimal stürmet an, Uns in die Pfann zu hauen. Lit. noch bei Thomas Mann (,Tristan4, Re- clam-Ausg. S.55): und ich würde Sie in die Pfanne hauen . . ., wenn das nicht verboten wäre44 (vgl. engl. ,to cut to pieces4; ndl. ,in de pan hakken4; frz. ,tailler des croupières à l'ennemi en taillant F armce en pièces4). Einen vor die Pfanne kriegen: Prügel beziehen. In die Pfanne treten: einen Fehltritt begehen; vgl. ,ins /Fettnäpfchen treten4; lit. bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus4 (IV, Kap. 18, S. 360): „... und verließ seine alte Wittib samt deren einziger Tochter, die kürzlich in ein Pfann getreten“ (d.h. ihre Jungfernschaft verloren hatte); vgl. eis. ,si het eins uf dr Pann4, sie ist schwanger (Pfanne hier im Sinne von vagina). Gut in der Pfanne liegen: in jem. Gunst stehen; etwa seit 1910 üblich. Etxv. einmal über die Pfanne rollen: es schnell, oberflächlich erledigen. Auch bei dieser Rda. ist an die Koch- und Bratpfanne gedacht: das gebratene Stück Fleisch, nur einmal kurz über die Pfanne gerollt, erhält äußerlich eine leichte Kruste, bleibt aber im Innern blutig-roh (seit Anfang des 20. Jh. bezeugt). Etw. auf der Pfanne haben: Besonderes leisten können, in Bereitschaft oder in Arbeit haben, Vorhaben. Hier bedeutet Pfanne die kleine Mulde, in die man bei den alten Lunten- und Steinschloßgewehren das Zündpulver schüttete. Die Rda. bedeutet also urspr.: gleich losschießen können (/abblitzen). Übertr. meint,einen auf der Pfanne haben4 auch: betrunken sein, sich einen schlimmen Plan ausgedacht haben; sold, auch: einen Darmwind zurückhalten. Nicht auf die Pfanne kommen: nicht berücksichtigt werden; keinen Ton auf der Pfanne //^^/unmusikalisch singen (Küpper 1, S.246, II, S.212L). Pfannkuchen. Der Pfannkuchen spielt in einigen rdal. Vergleichen eine Rolle: ein Gesicht wie ein Pfannkuchen: plattes, rundes, ausdrucksloses Gesicht; platt wie ein Pfannkuchen: sehr überrascht (/platt); 719
Pfarrerstöchter auf gehen wie ein Pfannkuchen: dick werden. Rdal. ist ferner: Pfannkuchen machen: mit dem Flugzeug abstürzen und auf dem Erdboden aufprallen (sold, seit dem 2. Weltkrieg); aus jem. Pfannkuchen machen: ihn platt schlagen, ihn niederwalzen (Küpper II, S.213). Als rdal. Ausdr. für niemals1 kennt man in Hessen die Wndg. ,wenn's Pfannkuche schneit und Buttermilch regnet1. In Holst, sagt der Pechvogel resignierend: ,Wenn ’t Pankoken regnet, so is min Vatt umstülpt4, selbst wenn das Glück vom Himmel fiele, ich ginge leer aus. Pfarrerstöchter /Pastorentöchter. Pfau. Der rdal. Vergleich sich spreizen wie ein Pfau ist höchst anschaulich und ohne weiteres verständlich; ,sie gênt als die pfa- wen‘ heißt es schon im späten MA. von solchen, die sich prunksüchtig zeigen. Im einzelnen führt Hugo von Trimberg in seinem Lehrgedicht ,Der Renner4 (V. 1733 ff.) den Vergleich an einem stolzen Krähenmännchen näher aus: er gienc stolzieren hin und her rechte als er ein phäwe wer; er nam im mangen tummen ganc und tet ouch mangen ümmeswanc mit den vedern swä er gienc. Bei Hans Sachs bieten sich dem Fuchs, der auf die Wallfahrt gehen will, allerlei Tiere zu Gefährten an, auch der Pfau: Der fuechs sprach: ,Ich nem dich nit on, Weil du durch dein vergölten schwänz Dich heltst rumreich und prechtig ganz, Hoffart und Hochmut stecz nachtrachst, Alle ander neben dir verachst4. 1 ,Stolz wie ein Pfau‘ 2/3 ,Stolz wie ein Pfau' Vgl. auch die Wndg. stolz wie ein Pfau sein. Ganz anders bei Walther von der Vogelweide (19,32): ,,do gienc ich slichentals ein pfäwe44. Hier ist der Pfau nach alter kirchlicher Überlieferung das Bild der Demut. In der christl. Symbolik war jedoch der Pfau vor allem ein Bild für die ,superbia4 und hatte deshalb in den bildl. Darstellungen der Todsünden eine ikonographisch festgelegte Bdtg. Pfeffer. Zum erstenmal wird der Pfeffer in Europa, und zwar als Heilmittel, bei Hip- pokrates (,Morb. mulier4. 1,81) erwähnt, und sogar noch in moderner Zeit wird er 720
Pfeffer als Mittel der Volksmedizin gebraucht (vgl. HdA. VI, Sp. 1570), wie auch einige Sprww. zeigen, z. B. ,Der Pfeffer hilft dem Mann aufs Roß, dem Weib ins Grab' (schwäb.); ,peper helpt de mannen te paard, en de vrouwen onder de aarde4 (ndl.). Im MA. war Pfeffer dann das Hauptgewürz, so daß die Gewürze allg. Pfeffer und die Gewiirz- händler ,piperarii‘ genannt wurden. Von hier aus erklärt sich der Schimpfname ,Pfeffersack4 für den Kaufmann (insbes. für den holl. Kaufmann oder überhaupt für den Holländer, aber auch für den Nürnberger Kaufmann) sowie der dän. Spitzname ,Pe- bersvend4, der seit dem 16. Jh. die allg. Bdtg. Junggeselle4 bekommen hat. Schon früh kommt der Pfeffer in sprw. Rdaa. vor. Das älteste Beisp. dafür bietet Petronius44 (,Safinius4): „piper non homo. Is quacumque ibat, terram adurebat. Sed rectus, sed certus, amicus amico... nec schemas loquebatur sed directum44. Im Alexanderroman (hg. v. F. Pfister, Heidelberg 1913, 1, 41) fragt Darius seine Gesandten, was Alexander mit den ihm zugeschickten Mohnkörnern getan habe, und sie erzählen: „apprehendit et memordit et despiciendo dixit: ,multi sunt, sed molles4. Accepto itaque Dario piper mittens in os suum mandens atque dixit cum lacrimis: ,pauci sunt, sed duriores 4 4 4 . Im Dt. wird genau derselbe Gedanke durch das Sprw. ,Ein Pfefferkorn überbeißt hundert Mohnkörner4 ausgedrückt. Ähnl. Bdtg. hat auch die von beißender Rede und Witz gebrauchte Verbindung Pfeffer und Salz (vgl. ital. ,è tutto pepe e sale, tutta pepe e sale4; dän. ,peber og sait4; ndl. ,peper en zout4; schwed. ,peppar och salt4). - ,Pfeffer und Salz4 (frz. ,poivre et sei4) nennt man auch eine aus Schwarz und Weiß gemischte Farbe von Kleiderstoffen, einen grauen Schnauzer dementspr. einen ,Pfeffer-und- Salz-Schnauzer4. Nach der beißenden Wirkung des Pfeffers spricht man von ,pfeffern4 (,hineinpfeffern4, ,draufpfeffern4), heftig auf etw. einwirken, durch Schlagen, Schießen u. ä. Von der starken Wirkung des Gewürzes übertr. sind auch folgende Rdaa.: Das ist starker Pfeffer: das ist ein starkes Stück, eine unverfrorene Rede; einen gepfefferten Brief schreiben. Mit Pfeffer wird auch der Ärger des Menschen bildhaft bez., z.B. ,Mein Pfeffer ist so gut wie dein Safran4, meine derbe Rede macht soviel Eindruck wie deine glatte; engl. ,grow pepper4, span. ,comer pimienta4, dän. ,vaere (blive) saa ond som peber4. Im Pfeffer sitzen: in Verlegenheit sein; in den Pfeffer geraten: in Unannehmlichkeiten kommen (ähnl. ,in die Brühe4, ,in die /Patsche geraten4). Wegen seines kräftigen, beißenden Geschmackes und seines teuren Preises ist das winzige, schwarze Pfefferkorn ein Sinnbild dafür, daß man die Dinge nicht nach ihrem Aussehen beurteilen darf. Rückert sagt in ,Die Weisheit des Brahmanen4: Das kleine Pfefferkorn sieh für gering nicht an, Versuch es nur und sieh, wie scharf es beißen kann. Dieser Gedanke begegnet auch in den Sprww. verschiedener Sprachen, z.B. ,Der Pfeffer ist schwarz, und doch will jeder davon haben4; engl. ,though pepper be blek yt hath a gode smeck4 (vom Jahre 1530); frz. ,1e poivre est noir et si chacun en veut avoir4. Andere Rdaa. beziehen sich auf den hohen Wert und Preis dieses weither importierten Gewürzes. Schon Plinius (,Nat. hist.4 12, 7, 28) schreibt von den hohen Preisen des Pfeffers: „emitur ut aurum vel argentum44. Eine gepfefferte Rechnung ist eine bes. hohe Rechnung; vgl. span. ,tiene mucha pimienta4; frz. ,cela est cher comme poivre4, ,rendre bon poivre4 = bezahlen; dän. ,det koster peber4. Viel Pfeffer zu haben ist ein sicheres Zeichen des Reichtums: lat. ,qui piperi abundat, oleribus miscet piper4; ital. ,chi ha molto pepe ne concisce anche gli er- baggi4; engl. ,who has plenty of pepper, will pepper his cabbage4; so auch Seb. Franck in seinen Sprww. vom Jahre 1565 (98): ,Wer Pfeffer genug hat, der pfeffert auch seinen Brei4; im heutigen Sprw.: ,Wo Geld genug ist, tut man den Pfeffer an die Suppe4; ndl. ,wie pepers te veel heeft, die pepert sijne boonen4. Als Gegenstück des teuren Pfeffers wird in einigen dt. Rdaa. der Dreck genannt, z.B. bei Fischart: ,Was er scheißt, sieht man gleich für Pfeffer an4. Bes. werden die Streber und Emporkömmlinge gegeißelt: Er 721
Pfeffer will immer unter dem Pfeffer sein; ,er ist Pfeffer uff allen Suppe4 (eis.); ,der ist wütig, wenn der Dreck zu Pfeffer wird4 (schwäb.); ,Gott tröst, wenn Kohschiet Peper ward4 (schlesw.-holst.); ,der Müsdreck möcht gern Pfeffer sin4 (schweiz.). In den germ. Sprachen begegnet eine Rda., die sich auf die Heimat des Pf effers bezieht: jem. ins Pfefferland wünschen oder jem. hinschik- ken (hinwünschen), wo der Pfeffer wächst: weit fort. ,Ich wollte, er wäre, wo der Pfeffer wächst!4; schweizerdt. ,ich wett du wä- rist, wo der Pfeffer wachst!4 bzw. ,wenn d'nur im Pfefferland wärist!4; ndl. ,iemand naar het Peperland wenschen4. Das ,Pfefferland4 ist aber nicht, wie viele Autoren behauptet haben, Guayana, die Heimat des Cayenne-Pfeffers, das ein für den Europäer mörderisches Klima hat und früher von der frz. Regierung als Verbannungsort verwendet wurde. Diese Erklärung ist sicher nicht richtig. Die Rda. kommt nämlich schon im Jahre 1512 in der ,Narrenbeschwörung4 von Thomas Murner vor (Ndr. 77, 64): Ach, werents an derselben statt, Do der pfeffer gwachsen hat! Und im selben Werk (55, 21): Ach gott wer der in pfefferland Der das spil zum ersten erfand. Ungefähr gleichzeitig (1515) begegnet die Rda. in lat. Form in den ,Epistolae obscurorum virorum4 (1,25, 55): „utinam omnes poetae essent ubi piper crescit44. Tatsächlich wurde Guayana im Jahre 1500 von Spaniern entdeckt und erst 1581 von Holländern und 1604 von Franzosen kolonisiert. Es ist aber ausgeschlossen, daß sein gefährliches Klima schon in zwölf Jahren unter den Dt. sprw. geworden wäre. Andererseits hat man von jeher gewußt, daß der Pfeffer in Indien wächst; so schon in dem ersten Beleg bei Hippokrates (s.o.). ln Grimmelshausens , Simplicissimus4 (III, Kap. 20, S.282) heißt es: „Bis du mit deinen Beweistümern fertig bist, so bin ich vielleicht wo der Pfeffer wächst44. Von dem ägyptischen Kaufmann und Seefahrer Kosmas Indikopleustes (um 525) wurde zuerst von der Westküste Südindiens als von einem Land gesprochen, ,wo der Pfeffer wächst4, eine Beschreibung, die ganz real gemeint ist. Indien als Heimat des Pfeffers wird auch von den Persern gemeint, wenn sie das sprw. ,Pfeffer nach Hindustan tragen4, im selben Sinne anwenden, wie wenn Europäer sagen: ,Eulen nach Athen tragen4 bzw. ,coals to Newcastle4. Daß die traditionelle Auffassung von der indischen Heimat des Pfeffers diese in das äußerste Ende der bekannten Welt verlegte, wird auch durch den Plan von Kolumbus, westwärts zu fahren, um in das gewürzreiche Indien zu kommen, bestätigt. Wenn man also eine unangenehme Person dahin wünscht, wo der Pfeffer wächst, will man sie nach dem entlegensten Ort in der Welt schicken (vgl. frz. ,Je voudrais que cet homme fût aux antipodes4, auch ,envoyer au Mississippi4; engl. ,go to Jericho!4, ,to wish somebody at Jericho!4). Die Wndg. kommt, auf Indien gemünzt, ma. auch ohne Pfeffer vor. In Ottokars oesterr. ,Reimchronik4 heißt es V. 54 279ff. von einem Bischof, den die Salzburger nicht leiden mögen: Des wünschten im die Salzpurgaere Daz er bi priester Johan waere Datz sant Thomas in India Unde daz er waer aida Primas oder patriarch. Da liegt der Hase im Pfeffer /Hase. Jem. Pfeffer in den Arsch blasen (oder streuen): ihn antreiben, ermuntern, streng behandeln. Die Rda. ist möglicherweise der Pferdehändlerpraxis entnommen: zum Verkauf vorgeführte Pferde werden vorübergehend feurig, wenn man ihnen Pfeffer in den After gibt; entspr. Pfeffer im Arsch haben: ungeduldig stehen, temperamentvoll sein; abgewandelt: jem. Pfeffer unter das Hemd blasen: ihn antreiben. Pfeffer reiben: beim Radfahren wegen Kurzbeinigkeit auf dem Sattel hin- und herrutschen. Der hat seinen Pfeffer: dem hat es viel gekostet. Die Rda. aus Rottenburg (Schwaben) bezieht sich auf den Hochzeitsschmaus, der nach einem Einzelgericht als Pfeffer bez. wurde. Den Sängern, die das Hochzeitspaar ehrten, wurde immer der ,Pfeffer4, eine Speise aus Schweineblut und schwarzem Pfeffer, aufgetischt, wenn sie das ,Pfefferlied4 vorgetragen hatten. Bereits Fischart erwähnte im 16. Jh. in ,Aller Praktik Großmutter4 (578) diese Speise: 722
Pfeife so kompt ihr gnug auf die hochzeit früe, Daß man euch schenk die pfeffer brüe. ,Des wird sein Pfeffer koschteP Das wird teuer werden! Diese Pforzheimer Rda. steht wahrscheinl. auch mit dem Pfeffer als dem teuren Hochzeitsschmaus in Zusammenhang. Lit.: J. Künzig: „Der Pfeffer“, ein Hochzeitslied im Fränkischen, in: Obd. Zs. f. Vkde., 1 (1927), S. 20-23; P. Aalto: Wo fei Pfeffer wächst*, in: Neuphilolog. Mitteilungen. Bulletin de la société néophilologique de Helsinki, 50 (1949), S. 13-23. Pfeife. Sein Pfeifchen schneiden (oder schnitzen)', die Gelegenheit ausnützen, seinen Vorteil wahrnehmen. Die günstige Gelegenheit besteht im Bilde darin, daß der Pfeifenschneider mitten im Rohr sitzt und hier bei der reichen Auswahl bequemes Arbeiten hat. Luther verzeichnet die Rda. in seiner Sprww.-Sammlung. Eine Erklärung findet sie erstmals bei Gerlingius (Nr. 102): „Wer in den roren sitzet, der mag jhm pfeiffen schneiden, wo er will“; lit. z. B. in Rückerts Lehrgedicht ,Die Weisheit des Brahmanen1 (11. Buch, 17): „Das Sprichwort auch ist wahr: Wer sitzet in dem Röhricht und keine Pfeife sich da schneidet, der ist töricht“. Die Pfeife im Sack halten: schweigen, kleinlaut sein; die Pfeife in den Sack stek- ken, die Pfeife einziehen: kleinlaut werden, das Spiel aufgeben. Die Rda. ist von der Sackpfeife, dem Dudelsack, genommen. In einem Volkslied des Dreißigjährigen Krieges (J. W. v. Ditfurth, Nr. 62, Str.72) heißt es: Der Hans hat es gemerket wol, Die Pfeif’ hübsch eingezogen. Bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus1 (I, S.239): „So hätte ich die Pfeiffe wol im Sacke müssen stecken lassen“; ähnl. im 2.Bd. (S.35): „Die Pfeiffe fiel mir bald in Dreck“, es ging mir schlecht. Nach jem. Pfeife tanzen müssen: sich nach ihm richten, ihm gehorchen müssen (vgl. Geige). Die Rda. geht auf die Äsopsche Fabel vom flöteblasenden Fischer zurück: Ein Fischer versucht, zunächst vergeblich, durch Flötenspiel die Fische an sich zu lok- ken. Schließlich greift er zum Netz und sagt dann zu den gefangenen und vor ihm auf dem Strand zappelnden Fischen: „O ihr schlechtes Getier, als ich flötete, wolltet ihr nicht tanzen, nun ich aber aufgehört habe, tut ihr’s“. Die Nutzanwendung dieser Fabel durch Cyrus berichtet Herodot I, 141 (Büchmann, S.465). Der Evangelist Matthäus (11, 17; vgl. Luk. 7,32) kürzt das äsopische Wort, wie Luther übersetzt: „Wir haben euch gepfiffen, und ihr wolltet nicht tanzen“. Das reichste Leben entfaltet diese Rda. in den Totentänzen seit dem Ende des 15. Jh. Sie stellen in Bildern und Versen dar, wie der Tod als Musikant die Menschen zu seinem Tanze abholt und jedem Stand mit einem besonderen Instrument aufspielt. Bei dem Maler und Dichter Nikolaus Manuel (1484-1530) z. B. schlägt er dem Bischof die Laute, vor dem Priester bläst er in ein Horn, dem Bettler flötet er, die Königin folgt seinem Fiedelbogen, der Dirne bläst er auf der Sackpfeife vor, und die Witwe führt er mit Pfeife und Trommel. Ein ndd. Sprw., 1768 im ,Bremisch-nieder- sächs. Wb.‘ (III, 320) gebucht, lautet: ,Fleuten sunt holle Pipen\ leere Versprechungen; darauf geht wohl die nordd. Wndg. Det is mir pipe: gleichgültig, zurück. Eine ähnl. Wndg. muß einst freilich auch obd. bekannt gewesen sein, denn schon bei 723
Pfeifen dem Prediger Geiler von Kaisersberg heißt es: „... gaben ein Edelgestein, das viel Königreich wert ist, umb ein Pfeiffen“; auch ,ein Roß um ein Sackpfeifen geben4. Gerade die Sackpfeife muß schon um 1500 als bes. minderwertig gegolten haben. Auf dem Holzschnitt zum 54. Kapitel von Seb. Brants ,Narrenschiff4 bläst ein Narr wohlgefällig auf einem Dudelsack, während Harfe und Gitarre zu seinen Füßen liegen. Darüber stehen die Verse: Wem sackpfiffen freüd, kurtzwil gytt Vnd acht der harpff vnd luten nytt, Der gehört wol vff den narren schlytt. Neben diesen älteren Rdaa. sind im 20. Jh. mehrere neue Rdaa. aufgekommen, die Pfeife im Sinne von Raucherpfeife oder bildl. für ,Versager4, verhüllend für ,penis4 gebrauchen; z.B. ,dein Kopf auf einer Pfeife, und man kann vor Lachen nicht ziehen4 (zur Bez. eines Dummen);,dabei kann einem die Pfeife ausgehen4, das dauert mir zu lange; ,ihm geht die Pfeife aus4, er bekommt keine Atemluft mehr, er ist impotent geworden, er liegt im Sterben; ,die Pfeife ausklopfen4, coire; ,sich die Pfeife verbrennen4, sich eine Geschlechtskrankheit zuziehen; ,halt die Pfeife!4, schweige!; ,das haut einem die Pfeife aus der Schnauze4, Ausdr. großer Erschütterung (Küpper II, S. 214; Borneman, Sex im Volksmund). pfeifen. Der pfeift nicht mehr lange: der lebt nicht mehr lang; in verwandtem Sinne: er pfeift auf dem letzten Loch. (/Loch). Einen pfeifen: einen Branntwein trinken. Die Wndg. ist vorwiegend in niederen gesellschaftlichen Kreisen üblich und rührt von dem alten Brauch her, daß man, wie es noch heute ab und zu geschieht, am Rande der Flasche mit dem Mund einen pfeifenden Ton hervorbringt, ehe man aus ihr trinkt, ln Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4 ( 18, 57) heißt es: „Noch wendt sy uß der fleschen pfyffen“. Das Pfeifen hatte auch einen praktischen Zweck: wenn die Flasche aus undurchsichtigem Material bestand, konnte man aus der Höhe des Pfeiftons schließen, wie weit die Flasche noch gefüllt war. Da der, der pfiff, auch trank, ist der Begriff pfeifen in den des Trinkens selbst übergegangen. Einem etw. pfeifen: nicht tun, was er wünscht; dazu: auf jem. (auf etw.) pfeifen: darauf verzichten; lit. z.B. in Freys ,Gartengesellschaft4 (46): „ein pfeiff geb ich euch, lieben Herrn, umb alle eure gedult und geistlichkeit44. Aus dieser Stelle läßt sich schließen, daß die Grundbdtg. der Rda. ist: eine /Pfeife, d. h. etw. Wertloses, für eine Sache geben. Sich eins pfeifen: den Gleichgültigen spielen. Da hilft kein Maulspitzem es muß gepfiffen werden: hier muß gehandelt werden. Nord- und mitteldt. Bei dir piept’s wohl?: Du bist wohl nicht recht bei Verstand?, auch: er hat einen Piepmatz, einen Vogel (im Kopfe). Lit.: M. Willberg:Die Musik im Sprachgebrauch..., in: Muttersprache (1963), S.201 ff. Pfeifer. Wie ein Pfeifer dastehen: kläglich, wie ein begossener /Pudel dastehen. Dieser rdal. Vergleich ist heute nicht mehr ge- bräuchl., war aber im 16. Jh. ganz geläufig. Dürer stellt z.B. im Bilde einen hilflosen Pfeifer dar, dem eine Bremse um die Nase schwirrt, der aber die Musik trotzdem nicht unterbrechen darf. Eine Steigerung der Rda. ist: ,dastehen wie ein Pfeifer, der den Tanz verdorben hat4, d.h. der falsch geblasen, die Tänzer in Verwirrung gebracht hat und nun allg. Schelten über sich ergehen lassen muß. Beide Formender Rda. finden sich bei Hans Sachs, als Eulenspiegel einen Pfaffen verführt hat, in Kot zu greifen: Der pfaff sich segent unde Recht wie ein pfeuffer stunde; und als die als Apostel verkleideten Spitzbuben den Müller um sein Erspartes gebracht haben: Der miller verdattert halb dot, Stiind als ein pfeiffer an der stet, Der einen dancz verderbet hat. Pfeil. Einen Pfeil nach dem anderen senden: mit unzulänglichen Mitteln eine Sache betreiben, etw. Unsinniges tun (vgl. ndl. ,den een pijl na den anderen schieten4). Die Rda. hat P. Bruegel nicht nur in seinem großen Rdaa.-Bild, sondern auch in einem selbständigen Rundbild dargestellt. Zum selben Rdaa.-Feld gehören: ,Er hat mehr Pfeile in seinem Köcher4 (ndl. ,hij heeft 724
Pferd ,Einen Pfeil nach dem anderen senden1 meer pijlen in zijn koker4), er hat noch nicht alle seine Argumente dar gelegt; ,er hat seine Pfeile verschossen1, er hat alle Möglichkeiten genutzt, er ist am Ende seiner Kraft und Möglichkeiten. Pfennig steht in der Volkssprache oft für ,GeId‘ schlechthin (/Heller, /Mark). Pfennige haben: vermögend sein, Geld haben; auf die Pfennige sein: geldgierig, geizig, sparsam sein; den Pfennig ansehn: geizig sein; derber: den Pfennig dreimal umwenden (ehe man ihn ausgibt): sehr geizig sein. Nicht für fünf Pfennige: überhaupt nicht. Einen Pfennig ausgeben, um einen Groschen zu ersparen: ,mit der /Wurst nach der Speckseite werfen*; er hat drei Pfennige in der Tasche und für einen Taler Durst:er hat nicht das Nötigste zum Leben; er hat keinen Pfennig {auch: keinen Hosen- knöpf\ keinen roten Heller)\ ähnl. Wndgn.: ,den letzten Pfennig mit jem. teilen*; niemand einen Pfennig schuldig bleiben4; ,den letzten Pfennig an eine Sache wagen4. Von einem Geizigen sagt man gelegentlich: ,Der läßt sich für einen Pfennig einen rostigen Nagel durch die Kniescheibe schlagen (treiben)4. Ein ,Pfennigfuchser* ist ein geiziger, in finanziellen Angelegenheiten kleinlicher Mensch. Pferd. Das Pferd beim Schwänze auf zäumen: eine Sache verkehrt anfangen (vgl. frz. ,brider son cheval par la queue4; ndl. ,hij toomt het paard an den staart4). Mdal. Varianten sind: ndd. ,he töumt’t Piäd am 1/2 ,Das Pferd beim Schwänze aufzäumen1 Ähnl. im ,Sendbrief vom Dolmetschen4 (Weimarer Ausg., 30. Bd., 2. Halbbd., S. 634): „denn die wellt wil meister klüglin bleiben, vnd mus ymer das Ros vnter dem schwantz zeumen, alles meistern, vnnd selbs nichts können44. Im ,Simplicissimus4 von Grimmelshausen (I, 76) steht: „Manche zäumen das Pferd (so zu reden) von hinten auf und nehmen allerlei mit der Jugend für, auszer keine Gottesfurcht“. Vom Pferd auf den Esel kommen: he run- Mäse op\ und ,he tömt sien Perd bin Stert op4; vgl. das ndd. Scherzwort ,Practica est multiplex - sä de Bur, do bünd he sin Pärd mitn Steert ann Ploog4; /Esel. In einem Schreiben Luthers an die Stadt „Frankfurt am Meyen“ heißt es: Das heißt der rechte Meister Klügle: Der das Roß am Hintern zäumen kann Und reitet rücklings seine Bahn. 725
Pferd terkommen, aus leidlichem Wohlstand in armselige Verhältnisse geraten (vgl. frz. ,monter l’âne4 und de temps bien employé fait monter à cheval4). Erasmus erklärt die entspr. lat. Wndg. ,ab equis ad asinos4 (,Adagia4 I, 282) mit den Worten: „Ubi quis a studiis honestioribus ad parum honesta deflectit, veluti si quis e philosopho cantor, e theologo grammaticus, e mercatore caupo, ex oeconomo coquus, e fabro fierit histrio44 (d.h.: von ehrenvolleren Studien zu wenig ehrenvollen absinken, z.B. vom Philosophen zum Küster, vom Theologen zum Schullehrer, vom Kaufmann zum Krämer, vom Gutsverwalter zum Koch, vom Handwerker zum Spielmann). Die lat. Form scheint im 16. Jh. ziemlich gebräuchl. gewesen zu sein; z.B. findet sie sich in der ,Zimmerischen Chronik4 (II, 326): „Sie kamen, wie man sprücht, ab equis ad asinos44. Aber schon um 1300 ist die Rda. dt. bezeugt; Hugo von Trimberg klagt in seinem Lehrgedicht ,Der Renner4 (V. 8420ff.) die Richter an, man sähe oft, wie jener des sache, dirre jens klage so lange verziehen, bis dazsîn habe kume von dem rosse zu dem stabe. Grimmelshausen im ,Simplicissimus4 (IV, Kap. 9, S. 330): „Also kam ich vom Pferd auf den Esel, und mußte ein Musketier werden wider meinen Willen44. Noch in neuerer Zeit in siebenb. Mda.: ,vum Roß af de Kea (Kuh), von der Kea aft Schweng (Schwein), vum Schweng af den Heangd (Hund) kum4, wozu sich trefflich die Geschichte von ,Hans im Glück4 (AaTh. 1415, KHM. 83) fügt, und ndl.: ,van den os (für ors, hros = Ross) op de ezel4 (/Ochse). Der Name des Kardinals Klesl in Wien forderte die spottlustige Zeit um die Wende des 16. zum 17. Jh. zu einem Reim auf die Rda. heraus, und so sangen ihm denn die protestantischen Böhmen 1618 nach: Ach Clesel, lieber Clesel, Dein höllische Praktik Bringt dich vom Pferd aufn Esel, Bis kommt der Galgenstrick. Mit dem kann man Pferde stehlen (oder ein Pferd mausen)', mit ihm kann man schwierige Vorhaben ausführen, er ist zu allem brauchbar, er ist im guten Sinne unternehmungslustig und kein Spaßverderber, er ist ,zu jeder Schandtat bereit4. Die Rda. be¬ zieht sich auf die Tatsache, daß der Pferdedieb schlau, umsichtig und vielerfahren sein muß. Schon Theobald schreibt 1621 in den ,Hussittenkriegen4 (II, 162): „Sie waren die besten Freunde und wie man im sprüch- wort sagt, hätten sie miteinander dörffen Pferd wegreiten44; E. Meisner 1705 in ,133 Sprichwörter4 (S. 119): „Wären sie nicht gute Freunde, sie hätten Pferde miteinander stehlen können - eine treffliche Freundschaft, die sich mit solchen losen Stücken zusammenkoppelt44. Henrici (Pi- cander) dichtet 1737: Hauptsächlich sag ich unverhohlen, Daß noch, wie man bei Leuten sieht, Die Pferd in Compagnie gestohlen, Die alte lustige Freundschaft blüht. Auf einem fahlen Pferde reiten: lügen, sich irren; auch: einen auf einem fahlen Pferde ertappen (oder finden, treffen): ihn bei einer Lüge, bei einem Irrtum, auf falscher Fährte treffen; volkstümlich entstellt in der Form: ,einen auf einem faulen Pferde ertappen4. Einen aufs fahle Pferd setzen: ihn bloßstellen; auf einem fahlen Pferde gesehen werden: über einer bösen Geschichte ertappt werden, eine Schwäche verraten, so z.B. Bismarck (,Reden4 XI, 312): „Ich freue mich, die Herren auf demselben fahlen Pferde im preußischen Landtage wiederzusehen44. Die Deutung dieser Rda. ist schwierig. Als unwahrscheinl. abzulehnen sind die Erklärungen, das ,fahle Pferd4 stamme aus Offenb. 6,8: „Siehe, ein fahles Pferd, und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach44, oder es sei der Grauschimmel Wotans in der Wilden Jagd. Eine andere Erklärung sieht in dem Wort ,fahl4 kein Eigenschaftswort, sondern einen Eigennamen, und zwar Roland4 oder .Valant4, d. i. der Name des Teufels in der Volkssage, der auch in der verkürzten Form ,Fahl4 vorkommt. Die Volkssprache habe also einem groben Schwindler oder Bösewicht angedichtet, er reite auf ,des Fahles Pferd4, d.h. dem Pferde des Teufels, des Vaters der Lüge. Richtiger ist wohl, daß Pferde von fahler Farbe selten waren und deshalb auffielen, daher die Rda. des Predigers Geiler von Kaisersberg (1445-1510) unter Adulatores4 (Schmeichler): „den falwen hengst streichen44, d.h. wohl eigentl., den Hengst 726
Pferd jemandes um seiner seltenen Farbe willen streicheln und loben. Möglicherweise ist aber schon hier als Ursinn anzusetzen: den mit der ungewöhnlichen fahlen Farbe behafteten Hengst doch streicheln, um seinem Besitzer zu schmeicheln. So würde denn auch die Rda. ,auf einem fahlen Pferde gesehen werden* einfach bedeutet haben: einen unangenehmen Anblick gewähren, mit einer zweifelhaften Sache verbunden erscheinen. Die Rda. ,Er reitet ein fahl Pferd* ist seit 1691 durch Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum* (S.425) lexikalisch gebucht; dieser hat daneben auch: ,,Man hat ihn auf einer fahlen Ziege ertappt“ (= beim Lügen erwischt); lit. belegt ist die Rda. seit 1677 bei Butschky (,Pathmos* 612): „Wer einmal auf einem fahlen Pferde ertappet wird, dem glaubt man nicht leichte mehr**; heute ist sie nur noch selten gebraucht. Sich aufs hohe Pferd (Roß) setzen: sich hochmütig spreizen, stolz tun; vgl. frz. ,monter sur ses grands chevaux*. Unwillkürlich gibt das Gefühl, hoch zu Roß zu sitzen, dem Reiter einen gewissen Stolz; so sagt der erste Kürassier in ,Wallensteins Lager* (11. Auftr.): Frei will ich leben und also sterben, Niemand berauben und niemand beerben Und auf das Gehudel unter mir Leicht wegschauen von meinem Tier. In übertr. Bdtg. findet sich die Rda. seit dem 16. Jh.: „Das exempel dient vff böse exempel geben, als ordenszlüt thuon, die etwan hohe rosz reiten, dadurch die edlen etwan geergert werden“ (Joh. Pauli, Schimpf und Ernst, 1522, hg. v. Österley, S. 50); hierher gehört auch der seit dem 17. Jh. in übertr. Bdtg. bezeugte Ausdr. ,hochtrabend*. Berl. ,er is uf sein Ferd*, in gehobener Stimmung; schwäb. ,auf den höchsten Gaul 'nauf sitzen*, seine Forderungen aufs höchste spannen;,einem auf den Gaul helfen*, ,ihn auf Trab bringen*. Heinrich von Freiberg im Tristan* (V. 2195): „Er ritet der zwelf boten pfert“, geht zu Fuß, /Apostel. Immer sachte (oder nicht so hitzig) mit den jungen Pferden! ist eine Mahnung, nicht überstürzt zu handeln. Die Pferde hinter den Wagen spannen: etw. Unsinniges, Verrücktes tun. Engl, entspr. ,to set the cart before the horse*; frz. ,1a charrue va devant les bœufs*; ndl. ,he spant de paarden achter den wagen*; ital. ,metter il carro inanzi ai buoi*, aber schon die Römer sagten: ,Currus bovem trahit*. Die Pferde stehen: dit Sache geht nicht vorwärts. Das beste Pferd im Stall sein: der leistungsfähigste Mitarbeiter sein. Wer die tüchtigste, schönste Tochter bekommen hat, von dem sagt man rhein. ,der hetet beste Perd us dem Stall kriegen*, und zur Bekräftigung der guten Wahl: ,de best Perd sökt (fend) mer em (op de) Stall, de schlechten övveralP. Das hält kein Pferd aus: das hält niemand aus, selbst der Stärkste nicht. Von hier bringen mich keine zehn Pferde fort .hier bleibe ich unter allen Umständen; vgl. das rhein. Volksrätsel: ,Et läft in de Keller, un zehn Geil ziehen et nit ruf?* (Antwort: der Garnknäuel). Das Pferd suchen und darauf sitzen (reiten): sich unnütze Mühe machen, gedankenlos sein. Schlesw.-holst, sagt man entspr.: ,He söcht dat Perd und sitt dorop*. Bei Moritz August v. Thümmel schließlich erscheint die Rda. in seiner ,Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich* (1784, S. 163): „... Es ist nichts natürlicher als die Natur, die immer da liegt, wo wir hinsehen, man sucht das Pferd worauf man reitet**. Die Pferde scheu machen: die Leute einschüchtern, verängstigen. Es wird ein Pferd begraben: es ertönt schwere, ernste Musik (Mitte 20. Jh.). Überlaß das Denken den Pferden, oft mit dem Zusatz: die haben einen größeren Schädel oder den größeren Kopf: du kannst nicht denken. Ihm gehen die Pferde durch: er verliert leicht die Beherrschung. Pferde im Hintern haben: ein Auto mit Heckmotor fahren; die Pferdestärken (PS) sitzen dann hinten. Man hat schon Pferde kotzen sehn (oft mit dem Zusatz: ,direkt vor der Apotheke*): man hat schon anderlei Unglaubliches erlebt, daher Vorsicht, etwa seit 1900 (Küpper I, S.246L, II, S.215). Mit jem. eine Pferdekur (Roßkur, Gaulskur) vornehmen: die stärksten Mittel an¬ 727
Pferdearbeit wenden, die eigentl. nur für Pferde berechnet sind, vgl. frz. ,une médicine de cheval4, ital. ,una medicina da cavallo4. In früheren Zeiten galten die Schmiede als Sachverständige für Pferdekrankheiten und wirkten daher als Roßärzte. Noch heute pfuschen sie manchmal auf dem Land dem Veterinär ins Handwerk. Die Behandlung der Tiere war, wie die alten ,Doktorsbüchlein4 bezeugen, gewaltsam und geradezu grausam. Der Schmied operierte mit glühendem Eisen, mit Zange und Hammer und kurierte mit den fürchterlichsten inneren Mitteln. Es gehörte wirklich eine ,Gaulsnatur4 dazu, diese Heilmethoden zu überstehen. Die Wndg. ,Er besitzt eine Gaulsnatur (Roßnatur)4 ist heute noch volkssprachl. gebräuchlich. Um eine Pferdelänge voraus sein: knapp im Vorsprung sein; diese Rda. ist vom Pferderennen hergenommen, desgleichen die folgende: aufs richtige Pferd setzen: Recht oder Glück haben. Lit.: J. Müller: Das Pferd im Volksmund, in: Niedersachsen 25 (1919), S.208. Pferdearbeit. Das ist eine rechte Pferdearbeit (Roßarbeit): das ist eine äußerst schwere, harte Arbeit. 1529 sagt Joh. Agricola unter Nr. 690 zur Erklärung des Ausdr.: „Ein pferd vndein maul (Maultier) thun grosse arbeyt, darumb wenn man von grosser arbeyt sagt, die schier vber eines menschen kreffte ist, so spricht man es sey roß arbeyt44. Die ,Namenlose Sammlung4 von 1532 führt unter Nr. 397 an: „Es ist roßarbeit44, und gibt dazu die Erklärung: „Die eym menschen zuuil, vnd zuhart ist, wiirt auch zum innerlichen gebraucht“. Auf die Arbeitsleistung des Pferdes spielen auch an die Wndgn.: arbeiten wie ein Pferd4, ,das bringen keine zehn Pferde fertig4, ,keine zehn Pferde bringen mich dazu4, ,Pferdearbeit und Spatzenfutter4, viel Arbeit und wenig Essen. Pferdefuß. Da schaut der Pferdefuß raus: da wird plötzlich eine bisher verborgene Hinterlist oder Unannehmlichkeit offenbar; im 17. Jh. in der Form ,der schwarze Fuß sieht hervor4 geläufig. Träger eines Pferdefußes ist nach dem Volksglauben der /Teufel. Pferdekopf. Er hängt den Pferdekopf heraus: er (der Händler) hat nichts mehr zu verkaufen; thür. und obersächs. bezeugt: ,Nu da hängt nor glei ’ne Pfärdekopp naus, ihr habt doch gar nischt mehr zu verkoo- fen!4, vom Kunden gesagt, wenn mehrere gewünschte Waren ausgegangen sind. Der Urspr. der Rda. ist unbekannt. Pfiff. Den Pfiff kennen (auch verstehen, heraushaben); sich auf den Pfiff verstehen: wissen, wie man am vorteilhaftesten seinen Zweck erreicht; sich darauf verstehen, wie man andere auf feine Weise täuscht und betrügt. Der Ausdr. Pfiff i. S. v. ,List\ ,Trick4,,listige Absicht4 könnte aus der Jägersprache entlehnt sein: Die Jäger und Vogelfänger müssen die Stimmen der Vögel nachzuahmen, nachzupfeifen verstehen, vor allen Dingen aber an dem Pfiff den Vogel selbst erkennen. Andere Erklärungen knüpfen an den Pfiff des Taschenspielers an, der die Aufmerksamkeit der Zuschauer ablenken will. Doch denkt man wohl besser an den Pfiff des Gauners, urspr. ,geheimes, gepfiffenes Signal4, dann auch .listiger Streich4 (oft reimend gepaart mit ,Kniff4, d.h. eigentl.: betrügerisches Kennzeichen an Spielkarten, zu .kneifen4 gehörig). Pfiff in der Bdtg. ,Kunstgriff4, .listiger Streich4 lit. erst im letzten Drittel des 18. Jh.: „Ihr Pfiff, lieber Nachbar, hilft Ihnen nichts, daß Sie eine solche Antwort nicht selbst geben, sondern nur geben lassen“ (Lessing, ,Duplik4, 8. Widerspruch); „Der Pfiff ist gar nicht übel! Die Einfalt vor der Schurkerei vorauszuschicken“ (Lessing, .Nathan4 V, 5); öfters bei Schiller, z.B. im .Fiesko4 (I, 3; III, 7). Die gleichzeitigen Ableitungen .pfiffig4 und .Pfiffigkeit4 sind sicher älter, da das in der Studentensprache danach gebildete Wort .Pfiffikus4 schon gegen 1700 bezeugt ist. Wahrscheinl. im Anschluß an /Pfifferling bedeutet Pfiff auch eine geringfügige, nichtige Sache; daher: ein Streit um einen Pfiff ferner landschaftlich, so in Bayern und Sachsen: ein kleines Glas Bier oder Branntwein. Obersächs. .den Hut auf dem Pfiffe sitzen haben4 meint: ihn weit hinausgeschoben, schief aufgesetzt haben. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.317. 728
Pfingsten Pfifferling. Keinen Pfifferling wert sein: nichts wert sein; keinen Pfifferling für etw. geben: nichts dafür geben; sich keinen Pfifferling um etw. kümmern (oder scheren): sich auf keinen Fall darum kümmern. Der Name des oft in Massen auftretenden Pilzes Pfifferling (heute allerdings eine teure Delikatesse) wird schon im 16. Jh. von etw. Wertlosem oder Belanglosem bildl. gebraucht: „Wie Pfifferling wachsen die Flecken (,Kaldaunen*)“ sagt Hans Sachs vom Schlaraffenland; Luther (Jenaer Ausgabe III, 285b): „das im Sacrament... eitel Pfifferling und Morchen (.Morcheln4) we- ren“. Lit. noch in Immermanns .Münchhausen' (Buch VI, Kap. 4): „Von deinen Ziegen und deinen Holländern und deinen Poltergeistern habe ich den Pfifferling gehabt“ (= nichts). Auch ,Pfifferstiel\ eine Klammerform aus ,Pfifferlingsstier kommt ebenso wie /Pappenstiel frühnhd. in gleichem Sinne vor. Lit.: O. Weise: In die Wicken gehen, flöten gehen und Verwandtes, in: Zs. f. hd. Mdaa., 3 (1902), S. 211-217. Pfingsten. Zu Pfingsten auf dem Eise: nie und nimmermehr, niemals. Die Rda. kommt in dieser Form schon in Luthers Sprww.-Sammlung vor. In den volkstümlichen Lügenliedern (z. B. E. B. III, 36ff.) begegnet die Rda. öfters neben anderen Unmöglichkeiten als Zeitbestimmung zu der Begebenheit, daß ein Amboß oder ein Mühlstein über den Rhein geschwommen sei und ein Frosch sie beide verschlungen habe oder ähnl. Die mdt. und nordd. verbreitete Wndg. zu Pflaumenpfingsten meint: wenn es zu Pfingsten reife Pflaumen gibt, d.h. ebenfalls: niemals; vgl. westf. ,up Ulepinxte (Eulenpfingsten), wann de Kräjjen op’m Ise danset4 (oder auch: ,zu Pfingsten, wenn die Esel auf dem Eis tanzen4); eis. .zwischen Pfingsten und Straßburg (Hagenau, Basel)4, nie und nirgends. Zu derartigen rdal. Zeitbestimmungen für .niemals4 wird vorwiegend eines der drei großen Feste des Jahres, Ostern, Pfingsten oder Weihnachten, benutzt und der Begriff so getroffen, daß damit etw. Unvereinbares zusammengebracht wird, z.B. auch: ,auf Maienostern4 (Ostern fällt niemals in den Monat Mai); ,auf Weihnachten in der Ernte4; ,zu Martini, wenn die Störche (und Schwalben) kommen4 (am 11. Nov. sind die Störche längst weggezogen). Am verbreitetsten ist: wenn Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen; sächs. ,da kriegste e paar Backpfeifen, daß de denkst, Ostern und Pfingsten fällt of een Tag4. Anlaß zu diesen Rdaa. hat vielleicht die Beweglichkeit der Termine der beiden Feiertage gegeben, daneben die Erfahrung, daß zu Pfingsten im allg. mit günstigem Frühlingswetter zu rechnen und daher mit diesem Zeitbegriff weniger Zweifelhaftes verbunden ist als bei den anderen Festen, denn .weiße Ostern4 gehören ebenso wie .grüne Weihnachten4 nicht zu den meteorologischen Unmöglichkeiten. In Holst, sagt man auch: ,He fiert Pingsten vor Paschen4 (Ostern), er handelt verkehrt; in Oldenburg: ,Dat sleit in as Pingsten upn Sondag4. Ebenso wie das einfache .nichts4 in unzähligen Wndgn. eine bildhafte Erweiterung erfährt (/Deut), hat die Volkssprache auch für die Zeitbestimmung .niemals4 eine Fülle von rdal. Umschreibungen geprägt. Bes. gern sind sie mit fiktiven Heiligentagen oder durch die Perversion von Heiligentagen gebildet worden. Am bekanntesten ist: ,am St. Nimmerleinstag4 (auch: ,auf Sankt Nimmers4 oder .Nimmermehrs Tag4), ferner: ,uf St. Zilorgentag4, ,am Fest der Beschneidung Mariä4 (nach einem obszönen Schwank), ,auf Teufels Himmelfahrtstag4 (Luther). In einem Schweiz, hist. Volkslied von 1335 findet sich die Formel: Ich wil uf sant Jüten tag Sicher varen von hus. Dieses Zeugnis ist das älteste Beisp. für eine Rda., die sonst nur aus Nordwestdtl. und den Niederlanden seit der Mitte des 16. Jh. bekannt ist und bedeutet: ,am Tage der Päpstin Johanna4. Andere fiktive Daten, die rdal. für .niemals4 stehen, sind: ,am zweiten Sonntag vor dem ersten Schnee4 (dessen Eintreten natürlich nicht vorherberechnet werden kann), ,auf den Sommer über drei Wochen4, ,auf den Sommer über acht Tage4, ,auf den Mittwoch um drei4, ,von zwölf bis Mittag4, ,am 32. des Monats4, ,auf den 30. Februar4 (vgl. Erich Kästners Buchtitel: .Der 35. Mai4), .zehn Jahre hinter dem Jüngsten Tag4, .tausend Jahre (drei Tage) nach der Ewigkeit4, .fünf Minuten vorder Erschaffung der Welt4, vgl. engl. ,at 729
Pfingsten four o’clock next summer (week, month)4, ,the first Sunday in the middle of the week4, ,next moon’s day after the week of eternity1; frz. ,trois jours après jamais4. Nicht selten wird das rdal. Bild in die Form eines Bedingungssatzes gekleidet: ,wenn zwei Sonntage in eine Woche kommen4, ,wenn die Sonne stillsteht4, ,wenn die Sonne in die Hölle scheint4, ,wenn der Teufel gen Himmel fährt4, ,wenn es Gulden regnet4, ,wenn es Katzen hagelt4, ,wenn die Katz kräht4, ,wenn die Hunde mit dem Schwanz bellen4, ,wenn die Böcke lammen4, ,wenn die Hennen für sich scharren4, ,wenn die Schnecken werden biesen4 (mhd. bisen = rennen, wie von Bremsen geplagtes Vieh), ,wenn die Weiden werden Pflaumen tragen4, ,wenn der Main (die Elbe usw.) brennt4; im Westerwald: ,wenn’t Wasser brennt4, ,wenn de Rhein de Berg roffleift4, ,wenn die Woch elf Dach’ hot4, ,wenn de Oos (Ochs) Kälwer macht4; westf. ,wann de swarte Snee fällt un de Lus en Daler gelt4; hess. ,wenns Pfannkuche schneit und Buttermilch regnet4. Die Mdaa. kennen manchmal ganze sprw. Sätze für ,niemals4, z.B. schles. ,aale Liewe rost nee, on wenn se siewa Joahr hinderm Zaune leit4,... on wenn se aach schon zahn Joahr onderm Miste liecht4,,... und wenn der Deifel mit seiner Großmutter uf’m Seile tanzt4. Eine große Rolle spielen solche Umschreibungen im Volkslied (das bloße Wörtchen ,niemals4 erscheint hier zu eindruckslos, zu prosaisch, und es umschreibt darum die Negation in poesievoller Weise), bes. beim Abschied der Liebenden, bei der Versicherung der Treue, den Befürchtungen der Untreue und den Hoffnungen auf ein Wiedersehen, z. B.: Wenn es schneit rote Rosen Und regnet kühlen Wein... Wenn’s Kirschkuchen regnet Und Bratwürstl schneit... Bis der Birnbaum wird Äpfel tragen, Dann soll mein Trauern ein Ende haben. Mein Schätzlein, mein Kätzlein, O warte nur ein Jahr, Und wann die Weiden Kirschen tragen, So nehm ich dich fürwahr. Wenn das Feuer den Schnee entzündt, Wenn der Krebs Baumwolle spinnt, Wenn alles Wasser wird zu Wein Und Berg und Tal zu Edelstein Und ich darüber Herr werd sein, Wirst du, fein’s Mädle, mein eigen sein. Viele der älteren Rdaa. für ,niemals4 sind heute in Vergessenheit geraten und nur noch aus lit. Quellen erschließbar. So verzeichnet Joh. Agricola in seiner Sprww.- Sammlungz.B.: ,Daswirt geschehen, wenn der Teuffel von Ach kumpt4, und erklärt: „Das ist: es wirt nymmermer geschehen. Zu Ach ist ein grosser thurn in der Stat- mauren, genent Ponellen thurn, darinne sich der Teuffel mit vil Wunders, geschrey glocken klingen, vnnd anderm vnfug oftmals sehen vnd hören lest, vnnd ist die sage, er sey hinein verbannet, vnd da muß er bleiben biß an den jüngsten tag. Darumb wenn man daselbs von unmöglichen Dingen redet, so sagt man, Ja es wirt geschehen, wenn der Teuffel von Ach kumpt, das ist nymmer mehr44. - Zahlreiche individuelle, heute oft kaum noch verständliche Varianten bringt Joh. Fischart in seinen Dichtungen, z. B.: „An Cuntz Schlauraffen hochzeit, zu nacht bey dem Kälber dantz auff dem Nollsack44, „Auff des karnöffels tag des spielers44, „Auff Lutz Schwolnars tag, der den schlegel frass sechs hasen- sprung hinder dem Kalkofen44, „An dem tag des würdigen latzenbessers44, „Am tag Heintz lapp den Bapp, des würdigen Würstbuben, zwo stund zwischen Loch und Bruchhausen, in dem Eulenflug44. - Nach der Eroberung von Ofen 1686 wurde Graf Tököly, der nach der ungarischen Krone unter türkischer Oberhoheit gestrebt hatte, aus dem kaiserlichen Lager verspottet: Wann fünf König hat einmal Die französisch Karten, Wärst der nächste in der Wahl, Wannst es kannst erwarten. Schiller benutzt die volkstümliche Verhüllung des .niemals4 in den .Räubern4 (II, 3), wo der Pater beteuert: „So gewiss Kirschen auf diesen Eichen wachsen und diese Tannen Pfirsiche tragen, so gewiss werdet ihr unversehrt diesen Eichen und diesen Tannen den Rücken kehren44; und in der Jungfrau von Orleans4, wo Johanna auf des 730
Pfingstrose Dauphins Frage „Und Orleans, sagst du, wird nicht übergeben?“ erwidert: „Eh’r siehst du die Loire zurückfließen!“. - Der röm. Geschichtsschreiber Sueton ^Augustus4 87) erzählt, daß Kaiser Augustus im täglichen Leben gewisse Worte oft wiederholt, z. B. von faulen Schuldnern häufig gesagt habe, sie würden ,ad Calendas Graecas4 (an den griech. Kalenden) zahlen. ,Calendae4 sind im röm. Kalender der erste Tag jeden Monats, ein Zahlungstermin der Römer. Da nun der Grieche diesen Termin nicht kennt und im griech. Kalender überhaupt keine Kalenden vorhanden sind, so bedeutet ,ad Calendas Graecas4: ,bis zu einer Zeit, die nie kommen wird\ auf niemals. Auch diese Wndg. ist zweifellos anschaulicher und kräftiger als das einfache lat. ,numquam\ Lit.: O. Weise: Ad calendas Graecas und Verwandtes, in: Zs. f. hd. Mdaa. 3 (1902), S. 47-51; A. Taylor: »Niemals* meinem hist. Schweizer Volkslied, in: Volks- kundl. Gaben, John Meier zum 70. Geburtstag dargebracht (Berlin u. Leipzig 1934), S.280L; ders.: »Zwischen Pfingsten und Straßburg*, in: Studies in Honor of John Albrecht Walz (Lancaster, Pa., 1941), S. 21-30; ders.: Locutions for .Never*, in: Romance Philology, Nos. 2 and 3 (1948-49), S. 103-134; O. Men- sing: Zur Gesch. der volkstümlichen Verneinung, in: Zs. f. d. Ph. 61 (1936), S. 343-380, L. Berlhold: Wenn die Katz kräht, in: Nassauische Bl., Bd. V, S. 132f. und 199L; J. Szovérffy: Irisches Erzählgut im Abendland (Berlin 1957), S. 16ff.; J. »Nichts* und ,Niemals*, in: Rhein-Westf. Zs. f. Vkde. 8 (1961), S. 118f; L. Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967), S. 77ff. Pfingstochse. Auf geputzt (oder auch geschmückt) wie ein Pfingstochse: übertrieben (und zugleich geschmacklos) gekleidet, ,aufgedonnert4. Der weitverbreitete rdal. Vergleich hängt mit einem alten Brauch der Vieh- und Weidewirtschaft zusammen: Zu Pfingsten wird in vielen Landschaften das Vieh zum erstenmal auf die Weide getrieben, oder der erste Austrieb wird mit festlichem Brauch wiederholt. Bis Pfingsten wird zuweilen ein besonderes Wiesenstück unbenützt gelassen (,Pfingsthege4, »Pfingstweide4). Unter lautem Jubel, mit Grün bekränzt und geschmückt zieht das Vieh auf die Weide. Das erste (oder letzte) Tier heißt »Pfingstochse4 (oder »Pfingst- kuh4). Als Pfingstochse wird da mancherorts, z.B. in Mecklenburg, auch der zum Pfingstbraten bestimmte fette Ochse bez., der am Donnerstag oder Freitag vor dem Fest von den Schlächtern feierlich, mit einem Blumenkranz um den Kopf, die Hörner mit Gold- oder Silberfiligran belegt und mit einer Zitrone auf der Hornspitze, endlich auch den Schwanz mit Blumen und bunten Bändern geschmückt, herumgeführt wird. Der festliche Schmuck deutet möglicherweise darauf hin, daß die Schlachtung ehedem als eine Art Opferhandlung aufgefaßt wurde. Doch mag auch der oben angeführte Brauch aus der Weidewirtschaft auf den zu Pfingsten gebratenen Ochsen eingewirkt haben (vgl. HdA. VI, 695 ff.). Auf einen ähnl. Brauch geht in Frankr. der »bceuf gras4, der Fastnachtsochse, zurück, ein aufgeputzter Mastochse, der von den Metzgergesellen in den letzten Fastnachtstagen durch die Straßen geführt wird. In Marseille ging der Prachtochse, mit Teppichen behängen und mit Blumen bekränzt, sogar an der Spitze der Fronleichnamsprozession; vgl. die frz. Rda. »promener comme le bœuf gras1. Pfingstrose. Aussehen wie eine Pfingstrose: runde, rote Backen haben wie die Blüte der Päonie, /aussehen. 731
Pflaster Pflaster. Ein Pflaster (oder ein Pfläster- clien) kriegen (oder auf die Wunde bekommen): zum Entgelt für eine Zurücksetzung, sozusagen als .Schmerzensgeld4 (Trostpflaster) eine kleine Entschädigung erhalten; eine Auszeichnung oder Anerkennung, die auf eine Herabsetzung erfolgt, gleichsam zur Heilung der frisch geschlagenen Wunde. Auch sagt man im Scherz zu einem Kind, dem man zum Trost für eine Verletzung eine Süßigkeit schenkt: .Ich will dir ein Pflaster drauflegen1, wie man auch einen guten Bissen ein .Magenpflaster4 nennt. Dagegen bedeutet .ein Pflaster auf den Buckel kriegen4 Prügel beziehen; ähnl.: .einem eine pflastern4, ihn ohrfeigen. Als ein Pflaster wird pars pro toto auch eine Stadt bez., z.B. in Wndgn. wie .ein teueres Pflaster4, eine Stadt mit teueren Lebensverhältnissen; .das ist kein Pflaster für ihn4, diese Stadt paßt nicht zu ihm, diese Stadt wird seine Moral gefährden. Pflaster treten: nichts zu tun haben. Mit etw. die Straße pflastern können: an etw. Überfluß haben. Pflaume /Pfingsten. Pflicht. Seine verdammte (oder verfluchte) Pflicht und Schuldigkeit tun. Die Rda. gilt als ein angebliches Zitat Friedrichs des Großen, was aber nicht sicher verbürgt ist. In dem Aufsatz .Die Tänzerin Barberina4 erzählt Louis Schneider (.Der Bär4, Berlin 1880, S.25), Graf Dohna habe für seinen Haushofmeister C. L. Mayer, der sich darum bemüht hatte, die Tänzerin 1744 für Berlin zu gewinnen, eine besondere Belohnung beim König beantragt. Dieser aber habe geantwortet: „Kriegt nichts! hat nur seine verfluchte Schuldigkeit getan44. Nach anderen Überlieferungen soll ein württem- bergischer Soldat diese Worte zu Napoleon gesagt haben. Diese voneinander abweichenden ätiologischen Anekdoten machen keinen urspr. Eindruck und machen es wahrscheinl., daß das vermeintliche Zitat doch als Rda. im Volksmund entstanden ist (vgl. Büchmann, S.668). Pflock. Einen Pflock davorstecken: einen Riegel vorschieben, einer Sache Einhalt gebieten, bis hierher und nicht weiter! Der Pflock ist in dieser Rda. der Vorstecker, der in die Öse am Türriegel gesteckt wird, damit die Tür nicht von außen geöffnet werden kann. Luther führt die Rda. „ein pflocklin dafür stecken44 1530 in seiner Sprww.-Sammlung an und gebraucht sie in übertr. Sinne von der menschlichen Zunge: „So ist auch hie nicht not eilens, und sollen Gottes Weise lernen, der nicht eilet, sondern mit Geduld herauslocket, bis er ein Pflöcklin für die Zunge stecket, daß sie die nicht können wieder ins Maul ziehen“ (Briefe, hg. v. de Wette, Bd. V, S.54). Ebenfalls im 16. Jh. bei Oldecop (S.406): „De toch (Zug) des graven von Mansfelde in dat brunswicksche lant mit Clawes Bar- ner was mest des fürsten clage anfank und orsake. Aver dar wart beide ein plock vor- geslagen“. Einen Pflock zurückstecken: Forderungen, Ansprüche reduzieren; kürzer treten; es einmal nicht so genau nehmen, milde urteilen, Nachsicht üben. Das Bild der Rda. kann vom Pflugkeil oder Stellpflock des Pfluges genommen sein: Steckt man den Pflock mit der Kette zurück, so geht der Pflug weniger tief und auch leichter. Vielleicht steht die Rda. aber auch in Zusammenhang mit der Zähl- oder Markiermethode, wie sie in England z.B. beim Aufrechnen der gewonnenen Punkte beim Bagatellespiel noch üblich ist: zu beiden Seiten des Spielbrettes befinden sich besondere Zählleisten, eine für jede Partei. Diese Leisten sind mit Löchern in regelmäßigen Abständen versehen, in die ein Pflock (,peg4) paßt, der um so weiter heraufgesteckt wird, je mehr Punkte eine Partei gewonnen hat. Wenn nun ein Spieler irrtümlich oder fälschlich sich zu viele Punkte gutgeschrieben hat, so wird er veranlaßt, ,seinen Pflock zurückzustecken4, ,he is taken down a peg or two4. Die engl. Rda. hat denselben Sinn wie die dt. und wäre dann wohl ebenso zu erklären. Wahrscheinl. hat das Zählbrett mit dem Pflock früher eine weitere Verbreitung gehabt. Lit.: V. Dörr: .Einen Pflock zurückstecken1, in: Zs. f. d. U. 21 (1907), S. 795 f. Pflug dient bild. zur Bez. jeder Arbeit, so in der Wndg. die Hand an den Pflug legen: eine Arbeit aufnehmen ; so z. B. Luk. 9,62: „Wer seine Hand an den Pflug legt und 732
Pfund sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes“; auch schon in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (84,1): „vil legen ir hant an den pflüg“; mitjem. an einem Pfluge ziehen: die gleiche Arbeit tun, das gleiche Interesse haben; die Feder ist sein Pflug: er verdient sein Brot mit Schreiben; so schon mhd. bei Wolfram von Eschenbach im ,Parzival‘ (544, 15): „Von anders nihtiu gienc sin phluoc“ = von nichts anderem gewann er seinen Lebensunterhalt; und um 1400 im Ackermann aus Böhmen1 (Kap. 3): „Von vogelwät (Vogelkleid, d. i. Schreibfeder) ist mein pflüg“. Im ,Meier Helmbrecht1 von Wernher dem Gartenaere wird der an den Hof strebende Sohn vom Vater gewarnt und in seine Standesgrenzen gewiesen (V. 291): din ordenunge ist der phluoc. In einer Hs. des ehemaligen Breslauer Stadtarchives vom Jahre 1571 sagt einer vor Gericht aus, daß „das Spiel sein Pflug und Eiden (Egge)“ sei. Meckl. sagt man: ,Da wert de Plog den Sten wol finden1, der Aufwand wird seine Grenzen finden; eis. ,Er geht de Pflüng hünten\ er wird wohl bald sterben. ,Mein pflueg get uneben1 gebraucht Oswald von Wolkenstein (Ausg. v. Schatz 1904, 104, 10) in der Bdtg.: es geht mir schlecht. Lit.: J. Bergmann.’DcT Pflug im Sprw., in: Unser Eger- land, 8, S. 25 ff; H. Koren: Pflug und Arl. Ein Beitrag zur Volkeskunde der Ackergeräte. Veröffentlichung d. Inst. f. Vkde. Salzburg, Bd 3 (Salzburg 1950). Pfosten. In einer Reihe von ndd. Rda. steht der Ständerpfosten des ndd. Hausgerüstes als pars pro toto für das ganze Hauswesen, z. B. ,Dat Hus steiht up papierne Pöste\ das Anwesen ist verschuldet; ,dat sitt dao in de Pöste\ das liegt da in der Familie. Lit.: J. Schepers: Das Bauernhaus in Nordwestdeutsch- land (Münster in Westf. o. J.), S. 54. Pfote. Die Rda. sich etw. aus den Pfoten saugen ist bedeutungsgleich mit ,sich etw. aus den /Fingern saugen1 und geht vielleicht auf diese letztere zurück, möglicherweise fußt sie aber auch auf einer recht alten, allg. verbreiteten naturwissenschaftlichen Anschauung. In Joh. Stumpfs ,Gemeiner löblicher Eydgnoschafft... be- schreybung4 (Zürich 1548, Bd.II, S.286) heißt es unter der Überschrift ,Von allerley thieren im Alpgebirg4: „In den ersten 14 tagen schlaffend die jungen Bären also hart... Nach 14 tqgen erwachend sy/und saugend jre tapen: davon läbend sy/und gebrauchend sich keiner anderen narung biß sy fruehlings zeyt herfür gand ...“ Ähnl. vermerkt Conrad Gesner in ,De quadrupedibus viviparis4 (1551) unter ,Proverbia4 (S. 1080): „Germani si quem de paupertate, aut avaritia et parcitate notaverint, manum ab eo sugi dicunt sicut ab urso: Er sugt den taapen wie ein baer44. Und entspr. lautet die Stelle in der Übers, von Gesners ,De quadrupedibus4, dem ,Thierbuoch. Das ist ein kurtze beschreybung aller vierfüessi- gen thieren... durch D. Cuonrat Forer... in das teütsch gebracht. Zürich 15634 (Überschrift: ,Etlich lustig Historien und Sprüchwörter von dem Bären haerrue- rend4): „Item so einer arm/dannocht stoltz/scheyn der reychthumm fueren wil/ spricht man: Er saugt an den dappen wie ein Baer44. Ferner /Hungerpfote. Sich die Pfoten verbrennen /Kastanie. Pfropfen. Auf dem Pfropfen sitzen: in größter Verlegenheit sein. Mit Pfropfen ist hier wahrscheinl. nicht der Flaschenkork gemeint, sondern der Verschluß des Pulverfasses oder auch der auf die Pulverladung gepreßte Stöpsel: wer auf ihm sitzt, kann jeden Augenblick in die Luft fliegen (vgl. ,auf dem Pulverfaß sitzen4, /Pulver). Der Flaschenkork dagegen ist gemeint bei den Rdaa.: jem. am Pfropfen riechen lassen: ihn an etw. Angenehmem nicht beteiligen; am Pfropfen riechen müssen: bei einer Verteilung leer ausgehen; am Pfropfen gerochen haben: betrunken sein; obersächs. ,een ufn Froppen setzen4, ihn abführen, ab- fallen lassen, des Unsinns überführen; der geringe Platz, den ein Pfropfen bietet, ist der Anlaß des Vergleichs. Pfund. Mit seinem Pfund (e) wuchern: seine Begabung, Mittel klug anwenden. Die Rda. ist bibl. Urspr. und beruht auf dem Gleichnis von den ,anvertrauten Pfunden4 (Luk. 19, 11-28), obwohl die zur Rda. gewordene Wndg. im bibl. Text nicht unmittelbar enthalten ist. Das ,anvertraute Pfund4 wird in der Regel für ,Geistesgaben4 bildl. ange¬ 733
Pfuschen, Pfuscher wandt. Den Gegensatz bez. die aus demselben Gleichnis stammende Rda. sein Pfund vergraben; Matth. 25,18: ,,Und machte eine Grube in die Erde und verbarg seines Herrn Geld“ (vgl. V. 25: „... und verbarg deinen Zentner in die Erde“); vgl. Luk. 19,20: „Hier ist dein Pfund, welches ich habe im Schweißtuch behalten“. Lit. z. B. bei Joh. Fischart im ,Ehzuchtbüchlein‘ (S. 244/2): „Er vergrabet sein pfündlin“. Noch Schiller gebraucht die Wndg. in den Räubern1 (I, 2), wo Spiegelberg zu Karl Moor sagt: „Und du willst also deine Gaben in dir verwittern lassen? Dein Pfund vergraben?“. Pfunde geben: einem Jäger, der gegen eine Waidmannsregel verstoßen hat, drei Schläge mit dem flachen Waidmesser auf das Gesäß geben; der Brauch ist seit dem Ende des 16. Jh. bezeugt. Die nur in Jägerkreisen bekannte Rda. geht darauf zurück, daß Pfund im späteren MA. die Bdtg. ,Strafe1 angenommen hatte, weil Geldstrafen häufig nach Pfunden festgesetzt wurden. pfuschen, Pfuscher. Bei etw. (bei der Arbeit) pfuschen, auch Pfuscharbeit leisten (liefern): rasch, liederlich, ohne die nötige Sorgfalt, nicht zunftgerecht arbeiten, nichts Wertbeständiges und Haltbares schaffen. Das Verb ist zuerst 1572 für Breslau bezeugt. Es gilt als Bildung zu der Interjektion ,pfu(t)sch‘, die lautmalend das Aufzischen von Raketen oder das Reißen von Zeug bei schlechter Arbeit nachahmt. Mit dem ostmdt. Anlaut f ist der Ausdr. auch ins Westmdt. gewandert und am Rhein, in Lothringen und Luxemburg als ,fuschen' neben,puschen' bezeugt. Das Wort stammt urspr. aus der Handwerkssprache. Bes. deutlich wird der urspr. Zusammenhang bei der Rda. jem. ins Handwerk pfnscheti: mit ungeschickter (ungelernter) und oberflächlicher Arbeit in ein bestimmtes Fachgebiet eindringen, sich die gleichen Rechte wie ein zünftiger Handwerker anmaßen, ein zwar verachteter, doch gefährlicher Konkurrent sein, der durch billigere Arbeit Kunden abwirbt und den Gewinn anderer schmälert (/Handwerk). Die Wndg. ist heute in übertr. Bdtg. allg. verbreitet i. S. v. stümperhaft eingreifen, sich unbefugt einmischen, auf einem Gebiete etw. zu leisten suchen, das man nicht völlig beherrscht. In dieser allgemeineren Bdtg. ist die Rda. auch häufig in der Lit. zu finden, z.B. bei Lessing, Wieland und Goethe. Wieland charakterisiert damit die Arbeiten Platos (Werke 36, 242): „Plato ist immer nur halb, was er sein möchte. Wo er scharf räsonnieren sollte, macht er den Dichter; will er dichten, so pfuscht ihm der grübelnde Sofist in die Arbeit“. Auch beim versuchten Eingreifen in die Natur, die Schöpfung ist vom Pfuschen die Rede; z. B. heißt es, daß jem. Gott (der Natur) hinein- pfuschen wolle oder in ihren Werken herumpfusche. In der Gegenwartssprache besitzt der Ausdr. pfuschen noch einige Sonderbdtgn. Der entrüstete Ausruf Das war aber gepfuscht! oder Das ist (doch) Pfusch!meint, daß bei einem Spiel die Regeln nicht beachtet werden, daß betrogen wird, daß sich die Beteiligten nicht wie ehrliche Kartenspieler verhalten. Dieser Spie- lerausdr. ist in die Schülersprache übernommen worden in der Nebenbdtg. in der Schule unerlaubte Hilfsmittel benutzen, bei einer Arbeit, Prüfung zu täuschen versuchen. Ein Pfuscher sein, als Pfuscher gelten: ohne Erlaubnis oder gründliche Kenntnisse eine Arbeit ausführen, aber auch: für seine oberflächliche, schlechte Leistung bekannt sein. Der Ausdr. Pfuscher galt zur Zeit des strengen Zunftwesens als Schimpfwort und verächtliche Bez. desjenigen, der heimlich, ohne die Erlaubnis des Handwerksmeisters, für sich und andere kleinere Arbeiten verrichtete. Der zunftmäßige Meister legte Wert darauf, sich deutlich von ihm zu distanzieren und seine Rechte zu wahren. Das Ergebnis der heimlich und deshalb in Hast und Eile hergestellten Waren des Pfuschers entsprach vielfach nicht den strengen Anforderungen der Zunft, der bearbeitete Gegenstand erschien den kritischen Prüfern als verdorben, also ,verpfuscht4. Den raschen Arbeitsvorgang, aus dem nichts Solides hervorgehen kann, veranschaulicht treffend die sprw. Feststellung: .Pfuscher sind Huscher4. Die alten Zunftordnungen bekämpften die Böhnhasen, Pfuscher und Stümper, zu ihnen zählten Gesellen, die heimlich etw. herstellten, 734
Phoenix aber auch die zünftigen Meister selbst, wenn sie in einem Bereich tätig waren, in dem ihre Zunft nicht zuständig war, oder etw. anfertigten, was einer anderen Berufsgruppe zustand, z. B. wenn der Schmied Schlosserarbeiten durchführte. Dieser Übergriff in andere Erwerbszweige wurde nicht geduldet, vor allem wegen der materiellen Interessen der Zunftmitglieder. Die negative Einstellung zum Pfuscher spiegelt auch das Sprw., z.B. heißt es in Luzern: ,Der Pfuscher hed Brod und der Meister hed Noth4. Ein wichtiger Grund für die Verfolgung der Pfuscher war jedoch auch die Wahrung der Handwerksehre und des Ansehens der Zunft, die darüber wachte, daß ihre Mitglieder sorgfältige Arbeit verrichteten, die überall hochgeschätzt wurde. Ut.: R. Wissell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit (Berlin 1929), S. 337-338; Kluge-Götze, S. 563; Küpper I, S. 248; L. Röhrich u. G. Meine!: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in; Alem. Jb. (Bühl/Baden 1973). ,Wie ein Phönix aus der Asche* Phoenix. Sich wie ein Phoenix aus der Asche erheben: nach scheinbar völliger Vernichtung, nach schwerem Zusammenbruch wieder frisch erstehen. Der Phoenix ist ein sagenhafter Vogel, dessen Sage im Orient entstanden ist. Er soll eine außerordentlich lange Lebensdauer, die ,Phoenixperiode1, haben und sich dann im Feuer verbrennen lassen, um verjüngt ins Leben zurückzukehren, ln einfacher Form, d.h. ohne Verbrennung und Wiederbelebung, führt Herodot (2,73) die Phoenix-Sage in die Weltlit. ein. Erst Plinius ( 10.2.3) kennt die Verjüngungsgeschichte, die im MA. in erster Linie durch den ,Physiologus‘ verbreitet wurde. Nach Lactantius (1. Drittel des 4. Jh.) ,De ave Phoenice4 lebt der wunderbare Vogel als Begleiter des Phoebus in einem glücklichen Lande im fernen Osten ein paradiesisches Leben. Wenn 1000 (nach anderen 500) Jahre seines Daseins vergangen sind, verläßt er seine Heimat und sucht die Welt auf, wo der Tod herrscht. Er begibt sich nach Syrien, setzt sich auf eine hohe Palme, wo er vor wilden Tieren, Schlangen und Raubvögeln geschützt ist. Auf dem Baume baut er sich ein Nest, das zugleich sein Grab wird. Mit Wohlgerüchen besprengt er seine Glieder und sein Lager und erwartet den Tod. Die Sonnenstrahlen entzünden ihn, so daß er zu Asche verbrennt. Aus der Asche entsteht nach Lactantius ein Wurm, der bei zunehmendem Wachstum sich in ein Ei verwandelt. Aus diesem kriecht nun der junge Phönix aus. Nach Claudian (etwa 370-404) entsteht während des Verbrennungsprozesses in den aufgelösten Gliedern neues Leben, neues Blut durchströmt die Adern, und verjüngt erhebt sich der Phoenix aus der Asche. Der Gebrauch des Phoenix in der christl. Symbolik bot sich von selbst an. Auch in Volksmärchen kommt der Phoenix vor. Im ,Millstädter Reimphysiologus4 aus dem 12. Jh. tritt neben die Beschreibung des Vogels bereits seine Deutung als Symbol Christi und seiner Auferstehung. Die Str. 177-180 lauten: „Fenix ein vogil heizzet, got selbe sich dem gelichet, wan er sprichet so in dem ewangelio: ,ich han gewalt, minen lip ze lazzene unde widir ze nemene. andir nie- man hat ubir mich gewalt‘: die Juden waren im erbolgen umbe disiu wort. Von disem vogil sprichet sus der meister Phisiologus: der vogil hat gewont ubir ein lant, India ist ez genant, so er funfhundirt jar alt wirt, in einen wait, heizzet Libanus, er vert unde füllet sine fedrach beidiu mit der bimentoniu, diu in dem walde ist, er machet im von der bimenton ein nest. ein michil teil holzes er samenet, daz er dar un- 735
Phrase dir leget, er vert an den stunden, uf zuo der sunnen. er nimit daz holz, daz viur in danne brennet, in sin nest er danne sliuffet. dar inne verbrinnet er mit smerzen, daz geseiht in dem merzen. Darnach, wirt er ze ascen, in dem tage ersten wirt er ze einem wurme, des anderen tages ze einer stunde wirt er zeinem vögele, des dritten tages wirt er, als er e was ze lobene. Dirre vogil bezeichint Christ, des ve- drach sint vol mitsuozzem smache, von ni- wer unde alter e gemachet. wol gelert ist er, in dem himilriche ein meister. niwe unde alten e er uobet, väterlichen er unsir houtet. des si geseit lop und genade unserem herren got! Amen. Amen“. (Nach Fr. Maurer: Die religiösen Dichtun- gendes 11. u. 12. Jh., Bd. I,Tübingen 1964, S. 243 u. 245). Das Bild vom Phönix lebt in bildender Kunst und Lit. bis zur Ggwt. fort. Schiller gebraucht es lit. in seinem Drama ,Die Jungfrau von Orleans4 (III, 3): „Frankreich steigt, ein neu verjüngter Phönix, aus der Asche“. Lit.: W. Roscher: Lexikon der griech. Mythologie III, 2, Sp. 3450ff.; W. Spiegelberg: Der Name des Phönix, in: Festschrift zur 46. Versammlung dt. Philologen 1901, S. 163ff.; Boite-Polivka I, 513; HdA. VII, Sp. 18; Büchmann, S. 116; R. van den Broek: The Myth of the Phoenix according to classical and early Christian traditions (Leiden 1972). Phrase. (Leere) Phrasen dreschen: bloßes Gerede von sich geben, hohle Rdaa. machen. Bei der seit Beginn des 19. Jh. bezeugten Rda. liegt vermutl. eine Übertr. der Wndg. ,leeres /Stroh dreschen4 vor. Pike. Von der Pike auf dienen: von der untersten Stufe auf dienen. Die Rda. ist seit der 2. H. des 17. Jh. bezeugt; lit. z. B. in den ,Teutschen Gedichten4 von H. Mühlpfordt, 1686 (S. 227): „Bist von der Picken auf zum Hauptmanns-Stand gestiegen44. Die Wndg. bezieht sich in wörtl. Gebrauch zunächst nur auf die militärische Karriere, d.h. auf den hohen Offizier, der in seiner Jugend wie die gemeinen Soldaten mit der Pike, d. h. dem Spieß, gedient und sich dann Stufe um Stufe emporgearbeitet hat. Heute wird die Rda. auf jeden Beruf angewandt. Eine Pike (moderner heute meist einen Pick) auf jem. haben: einen heimlichen Groll gegen ihn hegen, ihn ,auf dem /Strich4 haben. Die Rda. ist im 17. Jh. über das Ndd. aus dem Ndl. (,eenen pick hebben teghen jemanden4) ins Hd. gedrungen. In den obd. Mdaa. ist auch mit einer Entlehnung unmittelbar aus dem Rom. zu rechnen, insbes. von frz. ,pique4, das sich, wie ital. ,picca4, von der Bdtg.,Spieß4 zu ,Groll4 entwickelt hatte. Gebucht ist die Wndg. zufrühst 1691 bei K. Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 (S. 117): „Er hat einen Pik auf mich/indignatur mihi“. Pik-Sieben. Dastehen (dasitzen, aussehen) wie Pik-Sieben: sich in Verlegenheit befinden, verblüfft, dumm dastehen; der Nicht- beachtete, Übertölpelte sein; entspr.: ,guk- ken wie Pik-Sieben4; ,die Pik-Sieben ziehen4, die geringste Erfolgsaussicht wählen. Diese Rdaa. beruhen auf der Geringwertigkeit der Pik-Sieben im Kartenspiel. Die Wndg. ist ungefähr um 1900 aufgekommen und hat sich seitdem weit verbreitet, vor allem in Norddtl. (Küpper II, S.217). Pilatus. Man gedenkt seiner wie des Pilatus im Credo: er steht in keinem guten Andenken. Die heute nicht mehr gebräuchl. Wndg. ist für das 16. Jh. mehrfach bezeugt. Joh. Agricola erklärt sie in seiner Sprww.- Sammlung: „Wenn man den Catechismum lehret die jungen Kinder, so sagt man ynen im glauben: Ich glaube an Jhesum Christ etc., der da gelitten hatt vnder Pontio Pilato, gecreutziget, gestorben vnd begraben etc. Des Pilati wirt hie gedacht, aber in key- nem guetten, denn man sagt, er habe Jhesum Christum zum tode des Creutzes geurteylt, vnd sey schuldig am sterben des sons Gottes. Des Herostrati, da yetzt von gesagt ist, gedenckt man auch, aber eben wie Pilatus im Credo, das ist, daß er hatt vbel gethan“. Diese Deutung hat Seb. Franck wörtl. in seine Sammlung übernommen. Im 34. Abschnitt von Thomas Murners ,Schelmenzunft4 heißt es (V. 15 ff.): Wen man dyn gedenckt also, Wie pilatus im credo, So soltstu selten werden fro. 736
Pille Das ist pilatus testament. Wen einer nach sym letsten endt Vff erden laßt ein bösen namen, Des all syn kindt sich miessent schämen. Verwandt ist die noch heute gelegentlich gehörte sprw. Scherzfrage: ,Wie kommt Pilatus ins Credo?1 Schon die Sammlung der ,Proverbia Communia' verzeichnet: „Wo quam pilatus in den creden/Intrat quomodo Pilatus nescio credo“. In der Form ,Er ist dazu gekommen wie Pilatus ins Credo1 kommt die Wndg. als rdal. Vergleich in den Mdaa. gelegentlich noch vor, z.B. rhein. ,He es do eren kumme we Pilatus en et Credo' (Köln) oder schwäb. ,an einen denken wie an Pilatus im Credo'. Eitlen von Pontius zu Pilatus schicken: ihn von einem zum andern schicken, ihn zwecklos hin und her schicken; ebenso von Pontius zu Pilatus laufen: erfolglos von einem zum andern laufen. Die Rda. ist sehr weit verbreitet, nicht nur in Dtl., sondern auch in Frankr. (,envoyer quelqu'un de Ponce à Pilate') und in den Niederlanden (jemand van Pontius naar Pilatus sturen'). Lit. z.B. bei Friedr. Spielhagen (,Hammer und Amboß' IV, 107): „Da läuft er von Pontius zu Pilatus“; Heinrich Heine (XII, 119): „Von Pontio nach Pilato rennen“. Auf den ersten Blick scheint die Rda. barer Unsinn zu sein: Pontius und Pilatus ist doch derselbe Mann. Christus wurde von dem röm. Statthalter Pontius Pilatus zum König Herodes und von diesem zurück zu Pontius Pilatus geschickt; die Rda. ist also ein volkstümliches Witzwort. Den Anlaß dazu werden wohl Aufführungen von Passionsspielen zur Osterzeit gegeben haben: auf der einen Seite der unter freiem Himmel errichteten Bühne wurde das Haus des Pilatus, auf der andern der Palast des Hero- des gedacht, so daß das Hin und Her zu deutlichster Anschauung kam. Landschaftlich heißt es übrigens auch: ,einen von Herodes zu Pilatus schicken', und auch das Umgekehrte kommt vor (vgl. dän. ,fra Pilatus til Herodes'). Wie anrüchig der Name des Pilatus einst war, geht daraus hervor, daß der Abtritt gelegentlich ,des Pilati heimliche Kanzlei' genannt wird, so z. B. in der Einleitung zum zweiten Teil des ,Wunderbarlichen Vogelnestes'. Da sagt Grimmelshausen, wer sein Buch satt habe, könne es seinetwegen „kühnlich in das Wasser, in das Feuer oder wol gar in deß Pilati heimliche Cantzley werffen“. Schon in einer ahd. Glosse steht für lat. ,latrina' die Übers. ,sprâchhûs‘, womit der Benediktinermönch Otfrid von Weißenburg (4, 23, 30) das lat. ,praetorium' (= Amtshaus des Statthalters) wiedergegeben hatte. Dieser Witz des Glossators, der dem Pilatus ansinnt, er habe zwischen den Worten Joh. 18,33 und 38 den Abort aufgesucht - und nicht sein Amtshaus, um Jesus zu befragen, ob er der Juden König sei - hat früh Anklang gefunden: ,Sprachhaus‘ bez. mhd. und frühnhd. allg. den Abort. Lit.: Linde: Zur Rda. .von Pontius zu Pilatus1, in: Zs. f. d. U. 17 (1903), S. 368f.; E. Meyer: ,Von Pontius zu Pilatus schicken4, in: Zs. f. d. U. 17 (1903), S. 796ff.; H. Schulz: Pilatus, in: Zs. f. dt. Wortf. 10 (1908/09), S. 163-165. Pille. Einem eine bittere Pille zu schlucken geben: ihm eine unvermeidliche Unannehmlichkeit bereiten; eine bittere Pille hinunterschlucken müssen: etw. Unangenehmes über sich ergehen lassen müssen. Diese aus der Medizin stammenden Rdaa. sind wohl im 17. Jh. aufgekommen; 1639 gibt Lehmann S. 84 (,Beschwerden' 73) einen guten Rat für solche Fälle: „Pillen muß man schlucken, nicht käuwen“. Eine bittere Pille versüßen (oder vergolden, versilbern): eine peinliche Mitteilung oder dergleichen in gemilderter Form anbringen (vgl. frz.,dorer la pilule à quelqu’un'; engl. ,to gild the pill'; ndl. ,hij krijgt eene ver- gulde pil'); 1740 heißt es in der ,Kritischen Dichtkunst' (Abschnitt 1 ) des Schweizers J. J. Breitinger: „Ein kluger Arzt, der sich die Gesundheit seiner Kranken angelegen sein läßt, vergüldet oder verzuckert die bittern Pillen“. Die Wndg. ,die Pille versüßen' hat in der modernen Sprache der Erotik noch die spezielle Bdtg.: die Kosten der Antikonzeptionsmittel der Freundin übernehmen. (Borneman, Sex im Volksmund). Da helfen keine Pillen: er bleibt unbelehrbar; gegen seine Dummheit ,ist kein Kraut gewachsen' (20. Jh.); in Kürzeln häufig unter Kindern gebräuchl.: ,D-b-d-d-h-k-P‘ (für: doof bleibt doof, da helfen keine Pillen), gelegentl. noch mit dem Zusatz: u-k- M (= und keine Medizin). 737
Pilz Pilz. In die Pilze gehen: verlorengehen, abhanden kommen (wie sich Pilzsucher im Wald verirren). Wer neugierig fragt, wo jem. steckt, wird mit der Antwort abgefertigt : ,Er ist in die Pilze gegangen4. Die Rda. stammt aus dem 17. Jh., wird aber erst im 18. Jh. gebräuchlicher; lit. schon 1663: „die Weisheit würde darüber in die Piltze nach Schwammen gehen“; heute bedeutet ,der ist in die Pilze gegangen und sucht Schwämme4 im Altenburgischen: er ist unter Hinterlassung von Schulden durchgebrannt. Ähnl. Wndgn. sind: ,in die /Binsen, in die Nüsse, in die Wicken gehen4. Anders ostfries. ,he geit in de Röwen (Rüben)4, er macht es nicht mehr lange; ,he kummt dermit in de Röwen4, er bringt sich damit in die Patsche. Wachsen (oder aufschießen) wie die Pilze gilt sprw. von schnellem, üppigem Emporschießen; aber nicht nur von Organischem, auch Fabriken oder ganze Städte können ,wie Pilze aus dem Boden schießen4. Ähnliches besagt die Wndg. in Bocks ,Kräuterbuch4 vom Jahre 1560 (Germania 16,86): „Gemelte schwemme (die genannten Pilze) verwelken und verdorren im meyen, werden affter der zeit im ganzen jar nit mer gesehen. Dannenher ein Sprichwort auffkom- men: du wechst und nimmest zu wie die morchel im meyen44. Pinie. Jem. auf die Pinie bringen: ihn erbosen; Analogiebildung zu: ,jem. auf die /Palme bringen4; entspr.: ,auf die Pinie klettern4, sich aufregen, aufbrausen; ,auf der Pinie sein4, sehr zornig sein. Pisse. Die vulgärsprachl. Bez. für ,Harn4 wird rdal. gebraucht in Wndgn. wie: die kalte Pisse kriegen: lange, vergeblich warten; mir läuft die Pisse weg!: Ausruf des Erstaunens. Sold, ist Pisse auch das Meer; jem. in die Pisse jagen: ihn ins Meer treiben (Küpper 11, S.219). Pistole. Wie aus der Pistole geschossen: umgehend (bes. gern von schneller, schlagfertiger Entgegnung gesagt). Die Rda. umschreibt aber auch bisweilen das Exakte und Runde einer Leistung (vgl. ,wie aus dem /Ei gepellt4). Ähnl. 1793 in Hippels Roman .Kreuz- und Querzüge des Ritters A-Z4 (II, 21): „als folgendes Gespräch wie aus der Pistole fiel44; 1852 in Robert Prutz’ Wochenschrift ,Deutsches Museum4 (I, 141): „während ein armer deutscher Schauspieler nach zwei oder drei Proben ins Feuer geht, seine Rolle aus der Pistole schießt“. Einem die Pistole auf die Brust setzen: ihm energisch zusetzen, ihm keine Wahl mehr (zwischen Nachgeben und Erschossenwerden) lassen. Die Rda. ist in übertr. Sinne seit der Mitte des 19. Jh. belegt. Placebo singen. Zweimal erscheint im ,Lübecker Totentanz4 (V. 445 u. 958, ed. Baethke 1876) die Rda. placebo seggen in der Bdtg.: schmeicheln, nach dem Munde reden. Nach dem ,Breviarium Romanum4 beginnt das ,Officium defunctorum4 mit dem 114. Ps.: „Dilexi, quoniam exaudiet Dominus vocem orationis meae“. V. 9 lautet: „Placebo Domino in regione vivorum“. Die Ableitung aus diesem Text wird deutlich in einem satirischen Dialog von 1525: „Euer vicarius und der beichtvater sind Schmeichler, streichen den falben hengst, singen euch (spricht mein Kuonz) ein placebo sive dilexi44. Hier sind der Anfang des Psalms und die Antiphona zusammengestellt. Die allg. Verbreitung der Rda. beweisen die zahlreichen lit. Belege, z.B.: ,Boek der profecien4, Lübeck 1488; .Reineke Voss4 von 1539; .Niederdt. Reimbüchlein4 (ed. Seelmann, 1885, V. 1373): „Und sprecht Placebo, dat itzlick gern hört44, Joh. Römolt in ,Laster der Hoffart4 1563 (V. 469): „Wiltu hier zu Hoffe sein. So mustu auch thunden willen mein Vnd mir jetzt das Placebo singen44; Barth. Krüger im ,Spiel von den bäurischen Richtern4 1580 (V. 2562): „Gehn gern zu Hoff die teller lecken, Vnd lassen jn die Hoffsup schmecken. Auch helffen das Placebo singen44; Aegidius Al- bertinus in .Lucifers Königreich und See- lengejaidt4 1616 (S. 18): „welche bissweilen vbel rahten, jhren Herrn das placebo oder wolgefallen singen44; Moscherosch 1652 (S.83): „Solche Tisch- vnd Seckei- Freund ... loben offtermals der Herren öffentliche Laster, nicht daß sie vermeynen es sey lobenswert!!, sondern allein daß sie ihnen das placebo singen, Färbeistreichen usw.44 738
Platz Auf den Urspr. der Rda. aber werden wir hingewiesen durch einen Satz aus Chaucers ,Canterbury Tales4 (3, 317). In der Erzählung des Pfarrers nämlich werden die Schmeichler beschrieben: „Flaterers ben the develes norices, that norisshen his children with mylk of losingerie ... Flate- rers ben the develes chapeleyns, that singen ay Placebo“. Dieser Passus ist direkt oder indirekt entlehnt aus der ,Somme de Vices et de Vertus4, die im Jahre 1279 der Dominikaner Frère Lorens dem frz. König Philipp III. widmete; es heißt da: „Losenges dist pechies se devise en V fuelles: ... quant il chantent touz jors Placebo, c’est a dire ...“ Die iron. Verwendung jenes Wortes der Totenmesse stammt also offenbar aus der lat. Predigtlit. des MA.; einem Laien mußte sie überhaupt zunächst fernliegen. Placebo singen ist das Ursprüngliche, nicht das,sagen4 des Lübecker Totentanzes. Joh. Pauli gebraucht die Wndg. „Placebo spielen44 dafür (,Postilla4 44a). Man vergleiche ähnl. gebildete Ausdrücke, wie z. B. das ,Gaudeamus bzw. das Benedicimus singen4, die aber seltener bezeugt sind, z.B. heißt es bei Römolt in ,Laster der Hoffart4 1563 (V. 1152): Er wird gesellschaft finden gering, Mit dem ers Gaudeamus sing. Und in V. 1179: Sing hin der Narren Gaudeamus, So sing ich der Thoren Benedicimus. Lit.: Joh. Boite:Placebo singen, in: Korrespondenzblatt d. Ver. f. ndd. Sprachforschung 10 (1885), S. 19f. Planet. Einem die Planeten lesen: ihm einen Verweis geben, ,ihm die /Leviten lesen4, ihm den Standpunkt klarmachen; lit. u.a. mehrfach bei Abraham a Sancta Clara (z.B. ,Judas4 III, 488): „Sein Weib, die ihme stäts die Planeten gelesen“. Zur Erklärung der Rda. wird an die Bdtg. der Planeten als Schicksalssterne anzuknüpfen sein, ebenso wie in der Rda. unter einem bösen (oder unglücklichen) Planeten zur Welt gekommen sein (/Stern). Eristallein unter dem richtigen Planeten geboren: er will alle Weisheit für sich in Anspruch nehmen, alles am besten wissen. Vgl. ndl. ,Hij is alleen onder da regte pla- neet geboren4. platt ist häufig in rdal. Vergleichen, wie: platt wie eine Briefmarke: sehr verblüfft, sprachlos; platt wie ein Bügelbrett: flachbu- sig; platt wie eine Flunder (Scholle): flach- busig, hager; platt wie ein SPfannkuchen; platt wie Zeitungspapier: sehr überrascht; sich platt wie eine Briefmarke machen: sich eng an den Boden schmiegen, volle Dek- kung nehmen (Küpper IL S.220). Platte. Die Platte putzen: sich davonmachen, Schluß machen, verschwinden. Obwohl die Rda. neuerdings auch im Sinne von ,alles aufessen4 gelegentlich gebraucht wird, hat sie vermutl. nichts mit der Servierplatte zu tun; sie stammt vielmehr über das Rotw. aus talmudisch ,p’lat4 = Flucht (/Pleite) und ,puz4 = sich zerstreuen. Auf die fotografische Platte beziehen sich die Rdaa.: jent. auf die Platte bannen: ihn fotografieren; das kommt nicht auf die Platte: das kommt nicht in Betracht, ,das kommt nicht in die /Tüte4. Die Schallplatte ist in folgenden Rdaa. gemeint: die alte Platte laufen lassen: sich ständig wiederholen, die gewohnten Rdaa. wieder auftischen; die Platte ist abgespielt: die Sache ist veraltet, unwirksam; etw. auf der Platte haben: etw. gerade erörtern, etw. routinemäßig beherrschen; die Platte hat einen Kratzer bekommen: die oftmals wiederholte Behauptung hat inzwischen ihre Berechtigung eingebüßt; die Platte kennen: die übliche Entwicklung, den üblichen Gedankengang kennen; eine neue Platte auf legen: den Gesprächsstoff wechseln. Platte ist auch ein rdal. Bild für die Glatze; jem. die Platte polieren: ihn auf den Kopf, ins Gesicht schlagen. Platte schieben: im Freien übernachten; verkürzt aus dem handwerksburschen- sprachl. und gaunersprachl. ,eine platte Penne machen4, flach auf dem Erdboden schlafen (Küpper I, S.251L, II, S.220). Platz. Auf dem Platz bleiben: im Kampf fallen; ein schonend-verhüllender Ausdr., wobei Platz für Kampfplatz steht. Die Wndg. kommt schon in einem hist. Volkslied aus dem Jahre 1446 vor: „Leib und blut auf dem platze blieb“ (Liliencron 78,11). ,Auf dem Platz bleiben4 bedeutet aber auch : Sieger in einem Zweikampf sein. 739
Pleite das Feld behaupten; lit. bereits in übertr. Sinne, z. B. in den Worten der Lady Milford in Schillers,Kabale und Liebe1 (II, 3): „Wir wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Platze bleiben wird“. Mit der Wndg. mehr Platz als Kuchen bez. man rheinhess. einen Projektemacher. Deti Platz an der Sonne nicht gönnen: eifersüchtig, neidisch sein. In der Reichstagssitzung vom 6. Dezember 1897 sagte Fürst Bülow (1849-1929) mit Bezug auf die Inbesitznahme von Kiautschou: „Wir sind gern bereit, in Ostasien den Interessen anderer Großmächte Rechnung zu tragen in der sicheren Voraussicht, daß unsere eigenen Interessen gleichfalls die ihnen gebührende Würdigung finden. Mit einem Worte: Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne“. Als ältester Beleg der Wndg. gelten Pascals ,Pensées* (1670), wo es heißt: „Ce chien est à moi, disaient ces pauvres enfants, c’est là ma place au soleil: voilà le commencement et l’image de l’usurpation de toute la terre“ (Büchmann S. 739f.). ,Der Platz an der Sonne4 spielt auch in der Ggwt. als Schlagwort eine Rolle, ebenso die Wndg. .kein Platz für wilde Tiere4, die durch die Fernsehsendungen Prof. Grzimeks allg. bekannt geworden ist. Pleite. Pleite gehen: Bankrott machen; Pleite aus hebr. .pelëtâ4 = Entrinnen, Rettung; in der Bdtg. .Bankrott4 ist urspr. die Flucht vor der Schuldhaft gemeint, die dem Zahlungsunfähigen droht. Das Wort erscheint zuerst in der Mitte des 19. Jh. in der Berliner Verbrechersprache und ist dann in die allg. Umgangssprache übergegangen. Eine Pleite erleben (oder schieben): nichts verkaufen. Wer .pleite geht4, ist ein .Pleitegeier4 (zunächst ein ,Pleite-Geher4); daß man dabei an den Vogel denkt, ist offenbar eine jüngere Erscheinung. Der Pleitegeier sitzt auf dem Dach: der Bankrott steht bevor. Als ,Pleitegeier4 wird auch oft der Adler des Reichs- bzw. Bundeswappens bez. Polen, polnisch. Noch ist Polen nicht verloren: noch gibt es Rettung, noch ist eine Möglichkeit vorhanden. Mit diesen Worten (poln. „Jeszcze Polska nie zginçta ...“) beginnt der von Joseph Wybicki 1797 gedichtete .Dombrowski-Marsch4, mit dem die Polen auf den „Finis Poloniae“ (Das Ende Polens) antworteten, das ihr Führer Thaddäus Kosciuszko am 10. Oktober 1794 nach der verlorenen Schlacht bei Ma- ciejowice ausgesprochen haben soll. Er selbst bestreitet dies in einem Brief an den Grafen Louis Philippe de Ségur vom 12. November 1806 (Büchmann, S. 638f.). Sich polnisch verabschieden: sich heimlich davonmachen, bes. aus einer Gesellschaft; .sich /französisch empfehlen4 (vgl. engl. ,to take French leave4); sich polnisch verheiraten: in wilder Ehe leben. pomade. Das ist mir pomade: das ist mir gleichgültig. Die Rda. ist bes. in den ostmdt. Mdaa. verbreitet, aber in der Form ,das ist mir pomadig4 auch schwäb. und Schweiz, bekannt; sie hat nichts mit Pomade = Haarsalbe zu tun, sondern geht auf poln. ,po malu4 = allmählich (zu po = nach, mafy = ein wenig) zurück. Die Wndg. ist dt. seit dem 16. Jh. bezeugt und in der Volkssprache irrigerweise mit dem Subst. Pomade zusammengebracht worden, so obersächs. ,hat die aber eene Pomade4, ,die hat die Ruhe weg4. Im alten Berlin hieß die Kreuzung der Jäger- und Oberwallstraße die ,jleichjiiltije Ecke4, denn dort war bei einem Fleischer .alles Wurst4, bei einem Kleiderhändler .alles Jacke wie Hose4, in einem Kerzenladen .alles schnuppe4 und in einem Parfümeriegeschäft .alles Pomade4. Dem Gedicht ,Mir und mich4 des Berliner Hofschauspielers Joh. Ferd. Rüthling (1793-1849) entstammen die Verse: Ich liebe dir, ich liebe dich! Wie's richtig is, ich weeß es nich Un’s is mich ooch Pomade. Pommern, ln sprw. Rdaa. ist Pommern vor allem für reichliches Trinken und Essen ge- bräuchl.: ,ein pommerischer Trunk4, ein bes. tiefer Zug aus dem Glas; ähnl.: ,ein pommerscher Schluck4, und ,er hat einen pommerischen Magen4, ,er kann Kieselsteine vertragen4. ln verschiedenen Landschaften ist Sommer4 soviel wie Dummkopf oder auch: kleiner, dicker Mensch. 740
Posse(n) Eine ,Landpomeranze' ist mit etw. Wortwitzein ,pommersches Fräulein'; ähnl. der ,pommersche Junker'. Öfters begegnet auch der rdal. Vergleich ,grob wie ein Pommer'. Lit.: G. M. Kueffner: Die Dt. im Sprw. (Heidelberg 1899), S. 65. ponzen /Eselsbrücke. Porzellan. Porzellan zerschlagen: eine behutsam eingeleitete Entwicklung zum Besseren plump zerstören; schwierige geistigseelische Vorgänge roh stören; sich benehmen ,wie der / Elefant im Porzellanladen'. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste /Vorsicht. Nicht aus der Porzellanbranche sein: nicht empfindlich sein. Sich benehmen wie der Elefant im Porzel- laiüaden: sich ungeschickt, tölpelhaft verhalten, /Elefant. Posaune. Die Posaune, deren Name um 1200 über das Altfrz. aus lat. ,bücina' (zu bos = Rind, canere = singen) ins Dt. gedrungen ist, wurde durch Luthers Bibel- übers. auch in der Volkssprache bekannt (,Die Posaunen von Jericho', ,die Posaunen des Jüngsten Gerichts'). In rdal. Vergleichen wirken diese Wndgn. nach;z.B. Lärm machen wie die Posaunen von Jericho; etw. ausposaunen oder die große Posaune blasen: prahlerisch verkünden, über eine vorerst noch geheime Sache schon öffentl. reden. Posaunenengel. Den Posaunenengel verdanken wir Matth. 24,31: „Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen“; vgl. Offenb. 8, 2. Seit der Barockzeit waren posauneblasende Engel ein beliebter Schmuck der Kirchenorgel. Von diesen Gestalten stammt der rdal. Vergleich wie ein Posaunenengel aussehen: ein gesundes, rosiges, pausbäckiges Gesicht haben; lit. z.B. bei Gustav Freytag (,Graf Waldemar', 1850, III, 1): „Die Welt sieht mir rosa und goldgelb aus, und alle Menschen wie liebenswürdige Posaunenengel auf einer Dorfkanzel, die Backen vorn und hinten gleich rund und gleich wohlwollend“. Ut.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Muttersprache (1963), S. 201 ff. Posemuekel. Aus Posentuekel kommen: aus der hintersten Provinz, aus einer weit abgelegenen Gegend kommen. (Noch) bis nach Posemuckel (fahren) müssen: noch sehr lange. Posemuckel gilt als Bez. eines abgelegenen ärmlichen Dorfes oder einer unbedeutenden Kleinstadt. Es soll urspr. der Name eines bei Bomst gelegenen Dorfes gewesen sein und kennzeichnet die fremden Ortsnamen im Gebiet um Posen ironisierend. Der Ortsname könnte jedoch auch das jidd. Wort für Posen selbst gewesen sein oder nur eine fingierte Bez. für ein elendes Nest (Küpper I, S. 254). Posse(n). Spätmhd. ,possen' = Figur, frühnhd. ,bosse, posse' = Zierat, Beiwerk an Kunstdenkmälern, bes. Scherzfigur an öffentl. Brunnen. Possen reißen (später Possen treiben) ist urspr. das Entwerfen solcher Scherzfiguren auf dem Reißbrett; seit dem 16. Jh. bedeutet die Wndg. soviel wie: Scherz, Unfug treiben; „einen kurzweiligen Menschen, der vil weidelicher Bossen gerissen hat“ (J. Aurifaber, Luthers Possenreißer Tischreden, 1571,339 b). Dazu Possenrei- yte/vderber Spaßmacher, seit 1563 bezeugt. Bald geht die Wndg. in die Bdtg.,Torheiten begehen' über; so schon 1536 in Paul Reb- huns Drama ,Susanna' (V. 247): 741
Post Das müst yhr selbs am besten wissen, Was yhr für bossen habt gerissen. Heute ist der Ausdr. in Rdaa. wie jem. einen Possen spielen, ihm etw. zum Possen tun: ihm einen Streich spielen, ach Possen: Unsinn noch weiterhin üblich. Post. Die Post geht ab: (oder auch ab geht die Post): man fährt ab, die Sache ist erledigt; bekräftigende Schlußformel einer Handlung; jetzt geht die Post ab: jetzt ist die Zeit, oder: jetzt ist die Zeit vorbei. Einen Posttag zu spät kommen: mit einer Sache etw. zu spät kommen; die Rda. stammt aus der Zeit, als die Post noch nicht alle Tage fuhr und als, wer die Post benutzen wollte, achtgeben mußte, daß er den Abfahrtstag nicht versäumte. Eine sehr langsame Beförderung von Personen, Gütern und Nachrichten nennt man /*Schneckenpost, lit. bei Ludwig Börne in der ,Monographie der deutschen Postschnecke*. ,Wenn du oben bist, schreibst du mir ne Postkarte' sagt man scherzhaft zu einem, der mit Ausdauer in der Nase bohrt. Post kann auchi. S. v.,Hiobspost* rdal. verwendet werden. Als in Hans Sachs’ Schwank vom Mönch mit dem gestohlenen Huhn der Mönch von seinem Gesellen die Aufforderung des Priors erhält, in der Kirche seines Amtes zu walten, heißt es: ,,Der münich dieser post erschrack**. Aber noch in neuerer Zeit wird Post in diesem Sinne verwendet, z.B. bei Schiller: Eiskalte Angst durchlief die zitternden Gebeine, Als in dem Lager diese Post erklang. Posto, Posten. Posto fassen ist urspr. ein militärischer Ausdr. für: sich aufstellen; er ist wie so viele militärische Ausdrücke im 17. Jh. aus dem Ital. entlehnt (,prendere il posto' = seinen Standort einnehmen), ln seinem urspr. Lebenskreis wird das Wort z.B. auf den Prinzen Eugen in einem alten Lied auf die Schlacht bei Peterwardein von 1716 angewendet: ,,Thät in guten Posto stehen", d.h. in einer militärisch günstigen Stellung. Seit dem 18. Jh. wird die Wndg. in der Bdtg. ,Fuß fassen', ,sich aufstellen', auch: eine günstige Gelegenheit wahrnehmen, auf nicht militärische Anwendungs¬ gebiete verallgemeinert. Gleichen Urspr. ist,Posten*; dazu die Rda. auf dem Posten sein, eigentl. ,Wache stehen*, dann: wohlaufsein. Immer auf dem Posten geht auf einen Ausspruch Friedrichs des Großen („toujours en vedette“) zurück (Büchmann, S.674). Posten tragen, auch: ein Postenträger sein: eigentl. nur Nachrichten überbringen, dann mit üblem Nebensinn: Zwischenträgereien machen. Potemkinsches Dorf /Dorf. Potz ist als erster Bestandteil von Flüchen und Verwünschungen aus ,Gottes* entstellt (z.B. ,Potz Sakrament*, ,Potz Blitz*). ,Potz Tausend* als Ausruf des Erstaunens ist verkürzt aus ,potztausendsackerment*. Seit dem 15. Jh. kommen Flüche auf wie ,Potz Angst', ,Potz Jammer*, ,Potz Marter*, die sich auf Christi Passion beziehen; /Bockshorn. Prä. Das Prä haben (zu ergänzen ist: vor anderen): den Vorrang haben, mdal. auch: ,Er will immer das Pree haben*, er drängt sich an die erste Stelle vor, er will immer ,die erste /Geige spielen'; zu lat. ,prae' = vor. Die Rda. ist ein alter Kartenspieler- ausdr., der seit dem Ausgang des 16. Jh. sehr häufig belegt ist, auch in der Verbindung ,das Prä und den Vorzug haben*, was wohl dem heutigen Ausdr. ,in der Vorhand sein' entspricht. Uber die Studentensprache ist die Rda. bis in die Umgangssprache und die Mdaa. vorgedrungen; seltenere Fügungen sind: ,das Prä behalten, erhalten', ,einem das Prä lassen'. In übertr. Bdtg. begegnet die Wndg. seit dem 17. Jh., z.B. in einem Volkslied von 1631 (bei F. W. v. Ditfurth, Die historisch-politischen Lieder des Dreißigjährigen Krieges, Nr. 56): Gott Mahumet, ich hätt’ gemeint, Daß, wo ja je auf Erden Ein Potentat von Grausamkeit Crudel (grausam) genannt soll werden, Du hättest nur allein das Prae Von allen Völkern geben. Einen weiteren Beleg bietet der Anfang eines allegorischen Liedes vom Jahre 1656 auf den Sieg der Luzernen 742
Pranger Ein’ reine Magd Ihrn Kranz noch tragt Und prangt trutz allen Damen; Sie hat das prae Am Zürcher See Und gar ein großen Namen. In Grimmelshausens ,Simplicissimus' (1, 425): „Ein jeder hoffte, seiner Gattung Soldaten das prae zu erhalten“. Pracht. Kalte Pracht: unbewohntes, ungeheiztes Zimmer; ungemütliche Wohnungseinrichtung; die Wndg. bezieht sich urspr. wohl auf die unheizbare gute Stube des ndd. Bauernhauses, dessen einzige Feuerstelle primär das offene Herdfeuer des Fletts ist. Es ist ein Einfeuerhaus, das noch nicht die heizbare Stube des obd. Bauernhauses kennt. Es ist eitie wahre Pracht: es ist eine treffliche Leistung, es verdient volles Lob; daß es eine Pracht ist: tüchtig, heftig, völlig (z. B.,unser Kind gedeiht, daß es eine Pracht ist4). Lit.: J. Schepers: Das Bauernhaus in Nordwestdtl., in: Schriften der Volkskundlichen Kommission im Provinzialinstitut für westf. Landes- und Volkskunde, H.7 (Münster i. Westf. o.J.); B. Schier: Hauslandschaften und Kulturbewegungen im östl. Mitteleuropa (Göttingen 21966). prägen, Prägung. Sich tief ins Gedächtnis prägen: einen unauslöschlichen Eindruck hervorrufen, als unvergeßliches, starkes Erlebnis ständig in Erinnerung bleiben. Vgl. die ähnl. Wndg. sich etw. einprägen: es sich gut merken, unter Willensanstrengung etw. bewußt lernen, sich ins Gedächtnis schreiben. Der Ausdr. prägen, der bereits im Ahd. als (gi)prähhan = gravieren bezeugt ist, steht in deutlichem Zusammenhang mit der Münzherstellung, denn er bedeutete urspr. Münzen schlagen, sie mit einem Prägestempel kennzeichnen. Vom Einpressen eines Bildes, vom Formen und Bilden eines Gegenstandes erfolgte die Übertr. auch auf Abstrakta. So spricht man heute z.B. vom Prägen neuer Ausdrücke, Begriffe, Namen und Wörter. Der übertr. Gebrauch erstreckt sich auch auf die zusammengesetzten Verben ,ausprägen4 = deutlich gestalten und ,einprägen4. Von etw. geprägt sein: entscheidend geformt, beeinflußt sein. Eine eigene Prägung besitzen: von bes. Eigenart sein, als starke ©ci'SftünßmctTter. Münzwerkstatt (,prägen1) Persönlichkeit gelten, die charakteristische Züge besitzt und sich von anderen abhebt, aber auch: absonderliche Eigenheiten haben. Ähnl. ein bes. Gepräge haben, einer Sache ein bes. Gepräge geben: entscheidend geformt sein, etw. mit bes. Kennzeichen versehen, vgl. ,einer Sache seinen /Stempel aufdrücken4. Pranger. Jem. an den Pranger stellen: ihn bloßstellen, ihn der öffentl. Verachtung preisgeben. Der Pranger war im MA. und darüber hinaus der steinere Pfeiler oder hölzerne Pfahl, an dem Verbrecher, durch ein Halseisen festgehalten, vor aller Welt ,An den Pranger stellen4, ,anprangern4 743
Präsentierteller zur Schande ausgestellt wurden. Noch 1781 wurde in Rottweil a.N. ein Frauenzimmer aus Dunningen auf dem Wochenmarkt eine Stunde lang am Pranger ausgestellt. Auf der Schandtafel, die man ihr umgehängt hatte, stand ihr Name und darunter: „Strafe der betrügerischen Scheinheiligkeit" (Oberamtsbeschreibung Rottweil, S.398). Das Wort Pranger ist urspr. ndd. und hängt mit mnd. ,prangen1 = drücken, klemmen, beklemmen und ,prange' = Schranke, Maulkorb zusammen; mit .pran¬ gen4 = prunken, prahlen hat es nichts zu tun. Das Strafgerät Pranger ist also nach dem drückenden Halseisen benannt. In übertr. Sinn gebraucht z. B. Schiller die Wndg. im ,Tell4 (III, 3): Höre, Gesell, es fängt mir an zu däuchten, Wir stehen hier am Pranger vor dem Hut. Häufig ist heute auch die Übertr. angeprangert werden: der öffentl. Verachtung preisgegeben werden. Noch 1836 heißt es im gleichen Sinn: ,geprangert werden4. Lit.: G. Bader- Weiß u. K. S. Bader: Der Pranger, ein Strafwerkzeug und Rechtswahrzeichen des MA. (Freiburg 1935); R. HornarDer Pranger in der Tschechoslowakei, in: Grazer rechts- und staatswissenschaftliche Studien 16 (Graz 1965). Präsentierteller. Wie auf dem Präsentierteller sitzen: allen Blicken ausgesetzt sein, in einer großen Versammlung weithin sichtbar sitzen (mit dem Beiklang, daß man sich auf einem solchen Platz unbehaglich fühlt). Der witzige Vergleich des auffallenden Platzes mit dem Präsentierteller, auf dem die Speisen herumgereicht werden, ist auch den Mdaa. geläufig; so nennt der Leipziger Volksmund scherzhaft den ersten Rang im Theater Präsentierteller. Goethe sagt zu Eckermann am 2. Jan. 1824: „Unsere jetzigen Talente liegen alle auf dem Präsentierteller der Gegenwart". Umg. ist auch die Wndg. üblich: einem etw. auf dem Präsentierteller bringen: es ihm möglichst bequem entgegenbringen. Prediger, Predigt. Ein Prediger in der Wüste sein:keine Aufmerksamkeit finden. Die Wndg. bezieht sich auf Jes. 40,3: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste" (Vulgata: „Vox clamantis in deserto"), was, gedeutet auf Johannes den Täufer, Matth. 3,3 und Öfter wiederholt wird. Das bekannte Sprw. ,Kurze Predigten, lange Bratwürste' ist schon in Thomas Murners .Lutherischem Narren' vorgebildet: Es hat doch Christus selbs der hört Uff erd gemacht ein kurtzes wort Lange bratwürst und senff darzu. Mhd. bei Suchenwirth: „Kurtz predig vnd lang praten gehören zu der vasnacht". In Seb. Francks Sprww.-Sammlung heißt es 744
Prellen dann: ,,Kurtze predigt vnd lang bratwürst haben die bawren gern11; so auch noch in den Mdaa., z.B. Schweiz. ,Churzi Predigt, langi Brotwürst\ /Gardinenpredigt. prellen. Jem. prellen (wollen) :\Xm übervorteilen, betrügen, seine Einfalt mißbrauchen (wollen), ihn zu täuschen suchen. Durch die Bedeutungsentwicklung des Verbs, das als Kausativum zu ,prallen1 gebildet worden ist und urspr. nur ,jem. aufprallen lassen4 hieß. ist der einst vorhandene Realbezug der Rda. in Vergessenheit geraten. Sie stammt vermutl. aus dem jägersprachl. Bereich und bezieht sich auf das ,Fuchsprellen4. Die bei der Jagd lebendig gefangenen Tiere wurden dabei grausam zu Tode gequält: auf einem straff gespannten Netz, dem Prellgarn oder Prelltuch, wippte man die Füchse, schleuderte sie in die Luft und ließ sie auf den Boden aufschlagen. Wenn die Tiere verzweifelt ihre Freiheit zu erlangen such- ,Prellen1: 1 Fuchsprellen 2 Wolfprellen 3 Schnell- oder Wippgalgen 745
Prellen ten und davonliefen, gerieten sie unversehens auf das nächste, noch am Boden liegende Netz. Es wurde sofort aufgenommen, und die Quälerei begann erneut. An den Verrenkungen beim Schleudern und Fallen und den zwecklosen Anstrengungen der Tiere zu entkommen, belustigte man sich. Daher galt das Fuchsprellen früher als eines der beliebtesten höfischen Vergnügen, an dem viele geladene Gäste teilnah- men. Bei der Übertr. der Rda. auf den 1/4 ,Prellen1 von Personen und menschlichen Puppen in hist, und gegenwärtigen Bräuchen Menschen spielte die Doppelbdtg. von ,Fuchs1 eine wichtige Rolle. Auch junge Studenten nannte man Füchse. Sie wurden von den älteren gern um Geld angegangen, dessen Rückzahlung meist ,vergessen' wurde. Dies nannte man scherzhaft ebenfalls ,Füchse prellen'. Da das zum Spaß betriebene Ausnützen und Mißbrauchen der Unerfahrenheit und Gutgläubigkeit anderer bis zum Betrug führen konnte, erhielt das Verb prellen die zusätzlichen Bdtgn. 746
Professor von nicht bezahlen, täuschen, hintergehen und betrügen, die im rdal. Gebrauch heute vorherrschend sind, vgl. ,die Zeche prellen4 und ,jem. um etw. prellen4, ihn um seinen Gewinn, Vorteil bringen. Den urspr. Zusammenhang zwischen ,Fuchs4 und grellen4 weist noch eine lit. Textstelle bei Hagedorn (3,22) auf, in der beide Ausdrücke bereits übertr. Bdtg. besitzen: Ein Schulfuchs hofft mit dürren Gründen Den Beifall aller Welt zu finden: Allein er wird geprellt. Auch Wölfe wurden geprellt. Man band sie an einem Ziehbrunnen fest und ließ sie immer wieder auf den Boden aufprallen, um ihre Todesqual zu verlängern. Die Beteuerungsformeln Ich will geprellt werden. wenn... und Ich will mich prellen lassen weisen noch auf einen anderen interessanten kulturhist. Zusammenhang: Auch im Strafvollzug wurde geprellt, z.B. wurden Diebe durch den Schnell- oder Wippgalgen hingerichtet, indem man sie so lange am Galgen emporzog und wieder fallen ließ, bis ihre Knochen zerschmettert waren, /Schippe. Bereits Martin Luther (Werke V, 14la) gebraucht die Wndg.: ,,und ist einer unter ihnen, der ein Capitel im Aristotele recht verstehet, so will ich mich prellen lassen44. Bei dieser Textstelle ist offensichtlich die Bestrafung gemeint, die man auf sich nehmen will, falls etw. ganz Unvorhergesehenes eintreten sollte, was man aber für absolut ausgeschlossen hält. Das Prellen des Menschen diente in harmloserer Form auch der Volksbelustigung und galt als Mutprobe bei jungen Burschen und Soldaten, die in die Gemeinschaft aufgenommen werden wollten. Prellen als Hänselbrauch ist heute noch beliebt und spielt im Fasnachtsbrauchtum eine Rolle, wobei stellvertretend für den Menschen auch eine Puppe verwendet werden kann. Die Erinnerung an den ma. Strafvollzug scheint dagegen im Brauchtum des „Tod- austragens44 erhalten geblieben zu sein: Eine Strohpuppe wird symbolisch getötet, indem sie durch ein aufgespanntes Tuch in die Luft emporgeschnellt, wiederaufgefangen und geprellt wird. Lit.: HdA. VII, Sp. 306f. Art. ,prellen, schnellen4 von Tiemann; J. deSchuyter. Op, Signorken. Zijn Legenden en zijn Oorsprong (1944); L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S. 321 f. Preußen, preußisch. So schnell schießen die Preußen nicht: die Sache geht nicht so schnell, wie erwartet. Die Rda. hat zweifellos einen bestimmten, aber bisher noch nicht gefundenen lit. Urspr. (vgl. Büchmann, S.710). Will man in Süddtl. und in der Schweiz aber auch in Sachsen und in Holst, sagen: ^erden Sie nur nicht grob4, so heißt es: Werden Sie nur nicht preußisch4. Auch ein Hochmütiger wird mit ,er ist preußisch4 abgetan. Die frz. Rda. travailler pour le roi de Prusse4 soll ihren Urspr. davon haben, daß zur Zeit Friedrich Wilhelms I. im preuß. Heer am 31. des Monats kein Sold ausbezahlt worden sei, man also an diesem Tage dem König umsonst dienen mußte. Deshalb soll ,pour le roi de Prusse4 den Sinn von ,pour rien4 bekommen haben. Wenn ein Sachse einen anderen mit den Worten warnt: ,Du kriegst was aus der preuß. Kriegskasse4, so droht er mit einer Ohrfeige. Lit.: G. M. Kueffner: Die Dt. im Sprw. (Heidelberg 1899), S.66ff. Probe. Die Probe aufs Exempel machen: die Gültigkeit einer Aussage oder eines Ergebnisses anhand eines Beispiels überprüfen. Jem. auf die Probe stellen: ihn genau prüfen, seine Fähigkeiten, seine Ehrlichkeit durch eine bewußt herbeigeführte Entscheidungssituation erkunden wollen. Rhein. ,ä hot en goud Prov4, er hat eine gute Probe, d.h. Zungenprobe, von einem Weinfachmann oder Winzer gesagt, der den Wein proben, d.h. auf seine Beschaffenheit prüfen kann. Rhein. ,de Prowen er- aus gen4 (herausgeben), Weinproben in einem Probefläschchen an den Weinhändler oder Weinkommissionär abgeben. Professor. Ein zerstreuter Professor sein: unaufmerksam, seinen Gedanken und Träumen nachhängend, nicht auf seine Umgebung achtend, von lächerlicher Vergeßlichkeit sein. Die Rda. enthält einen leichten Tadel oder gutmütige Verspot- 747
Propeller ,Ein zerstreuter Professor4 tung. Das Wort zerstreut hatte früher die negativere Bdtg. von albern, verwirrt und sogar geistesgestört. So verwendet es schon Hans Sachs (Werke 9, 365): Der stelt sich einfeltig und schlecht, Gleichsam halb alber und zerstreut. Erst seit dem Beginn des 18. Jh. besitzt das Wort durch den Einfluß des frz. ,distrait1 die moderne Bdtg. von abgelenkt, träumerisch, unaufmerksam und wird häufig lit. verwendet, z. B. von Lessing, Herder, Goethe und Schiller. Der Standesspott richtete sich im 19. Jh. gern gegen den weltfremden Stubengelehrten. Er erscheint zerstreut, weil er sich so von seinen Problemen fesseln läßt, daß er die Vorgänge in seiner Umwelt nicht beachtet. Bes. in Flugblättern wurde der verstreute Professor1 lächerlich gemacht, der noch heute Gegenstand zahlloser Witze ist. Lit.: E. Rcicke: Der Gelehrte in der dt. Vergangenheit. Monographien zur dt. Kulturgcsch. VII (2. Aufl. Jena 1924). Propeller. Etw. am Propeller haben: nicht recht bei Verstand sein; einen Propeller im Arsch haben: es stets sehr eilig haben; jem. an die Propeller kriegen (auch bei den Propellern packen): ihn zur Rechenschaft ziehen, zurechtweisen; ,bei dir hat sich wohl ein Propeller gelöst?4, du bist wohl nicht recht bei Verstand. Protokoll. Ein Protokoll bekommen, rhein. auch ,ein Knöllchen bekommen4, einen Strafbefehl bekommen. Protokoll ist ei- gentl. die Niederschrift des wesentlichen Tatbestandes, hier aber die Strafverfügung (bei einem fahrlässigen Verkehrsverhalten) selbst. Prozeß. Kurzen Prozeß machen: kurz entscheiden; ohne Rücksicht auf Widerspruch handeln. Prozesse dauern nach der volkstümlichen Meinung im allg. übermäßig lange ; ein ,kurzer Prozeß4 ist also ein abrupt abgebrochenes, gewaltsames Verfahren; lit. schon bei Grimmelshausen im Simplicissimus4 (11, Kap. 29, S. 188): ,,sie machte ihnen (den Läusen) den Prozeß kurz und gut...44 Dem Prozeß ein Loch machen: ihm einen Ausgang verschaffen; einen Prozeß machen, wenn der Esel einen Hund gebissen hat: sich wegen der geringfügigsten Kleinigkeit gerichtlich streiten. Prügel, prügeln /schlagen. Prügelknabe. Als Prügelknabe dienen: statt eines anderen leiden. Wanders Sprww.- 748
Pudel Lexikon gibt als einzigen Beleg eine Stelle aus der Breslauer Zeitung von 1864: „England dient der französischen Presse als Prügelknabe", und das Grimmsche Wb. führt aus Gustav Freytags ,Bildern aus der dt. Vergangenheit1 (1867, Ges. W. XIX, 298) den Junker Hans von Schweinichen an, der als Knabe Page des eingesperrten Herzogs Friedrich des Vaters und Prügeljunge Friedrichs des Sohns gewesen wäre. Schweinichen selber erzählt jedoch nichts dergleichen, im Gegenteil: er war zwar mit einem andern Knaben Erziehungsgenosse des Herzogs Friedrich (IV. von Liegnitz), und der Präzeptor Hans Pfitzner hielt die drei sehr streng, aber Hans hatte, da er ihn schmierte, einen Vorteil vor den andern und wurde in der ganzen Zeit nicht öfter als zweimal gestrichen, „welches ich doch wohl verdienet gehabt und er (der Präzeptor) es ehrenhalber nicht hat umgehen mögen" (Denkwürdigkeiten von Hans von Schweinichen, hg. von H. Oesterley, Breslau 1878, S. 15). Hat also Freytag sachlich unrecht, so hat er doch wohl viel zur Popularisierung des Wortes - nicht auch des Begriffes - beigetragen. Das Wort aber scheint nur eine Ubers, des engl. ,Whipping-boy4 zu sein, das schon im Jahre 1647 belegt ist. Das Oxford English Dictionary bringt z. B. (X, 57) Hinweise auf William Murray und Mungo Malogrowther, die Prügelknaben der Könige Charles I. und James VI. In Frankr. kam dafür nach dem kleinen Husaren, der für Louis XV. die Streiche in Empfang zu nehmen hatte, das Wort ,Hussard1 auf, während es in Spanien, wo die Sitte noch im 19. Jh. im Schwange war, keine eigene Bez. für ihre Opfer gegeben zu haben scheint. Ebenso verhält es sich bei dem einzigen Beisp., das einen dt. König betrifft, nämlich Konrad IV. (1228-54), den Vater Kon- radins, des letzten Hohenstaufen. Von ihm berichtet eine der ,Novelle antiche4: „Von König Konrad liest man, er habe als Knabe zwölf gleichaltrige Knaben zur Gesellschaft gehabt, und wenn er in etwas fehlte, so schlugen die Meister, die ihm zur Aufsicht gegeben waren, nicht ihn, sondern diese Knaben, seine Kameraden. Und er sagte: ,Warum schlagt ihr sie?4 Antworteten die Meister: ,Wegen deiner Verfehlungen4. Und er sagte: ,Warum schlagt ihr dann nicht mich, der ich die Schuld trage?4 Und die Meister antworteten: ,Weil du unser Herr bist; diese aber schlagen wir an deiner Statt. Darum muß es dich, wenn du ein edels Herz hast, sehr betrüben, daß ein anderer für deine Schuld leidet4. Darum, heißt es, hat sich König Konrad aus Mitleid mit ihnen wohl gehütet, etwas Unrechtes zu tun44 (F. Zambrini, Libro di novelle antiche, Bologna 1868,78); vgl. die ähnl. pädagogische Methode: ,den /Hund vor dem Löwen schlagen4. Lit.: A. Wesselski: Der Prügelknabe, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 126-128; W. Hävernick: „Schläge“ als Strafe (Hamburg 41970). Pudding. Pudding in den Armen (Beinen) haben: schwache Arme (Beine) haben; Pudding unter der Glatze haben: dumm sein (Anspielung auf Gehirnerweichung); auf den Pudding hauen: ausgelassen sein, prahlen; das ist Pudding: das gefällt mir sehr; auf Pudding treten: keine feste Zusage erhalten. Alle diese Rdaa., in denen Pudding wegen seines geringen Festigkeitsgrades bildl. für eine weiche Sache steht, sind erst neuerdings aufgekommene Wndgn. (Küpper II, S.225). Pudel. Einen Pudel machen (schießen): beim Kegeln einen Fehlwurf tun; sodann allg.: einen Fehler machen; zuerst 1754 in Hamburg bezeugt; daneben seit dem Anfang des 18. Jh. ,pudeln4, Fehler machen. Auch lat. ,canis4 hatte schon die Bdtg. schlechtester Wurf im Spiel4; vgl. die ähnl. geringschätzige Bdtg. von /Bock. Wie ein begossener Pudel dastehen (oder abziehen): sehr kleinlaut, beschämt dastehen; das komische Aussehen des sich vor Nässe schüttelnden Tieres hat den Anlaß zur Rda. gegeben, wie auch zu dem Ausdr. ,pudelnaß4. Schon 1618 heißt es im Volkslied von den zum Prager Rathausfenster hinuntergeworfenen Herren, sie hätten sich davongeschlichen „alsam begoßne Hund44. In Schillers ,Räubern4 (II, 3) vergleicht Spiegelberg einen, der Angst kriegt: „Tausend Sakerment! da hättest du den Kerl sehen sollen die Augen aufreißen und anfangen zu zappeln wie ein nasser Pudel"; vgl. auch die Ausdrücke ,pudelnackt4, völlig 749
Puls nackt (wie ein geschorener Pudel) und ,pudelnärrisch4, närrisch, mutwillig, übermütig (wie ein ausgelassener Pudel). Die Wndgn. „Knurre nicht, Pudel!“ und „Das also war des Pudels Kern!“ sind Zitate aus Goethes,Faust41 (Studierzimmer). /hr //✓✓/*/ krn/ /f/nif/v. ,Den Pudel das Tanzen lehren* Den Pudel das Tanzen lehren: einen zwingen, das zu tun, was man befiehlt, auch: jem. zu niederträchtigen Streichen anstiften. Die Rda. beruht auf der Beobachtung, daß sich Pudel gelehrig erweisen und sich daher leicht abrichten lassen. Bei der Ubertr. auf den Menschen erhält die Wndg. negative Bdtg., denn sie charakterisiert den Willensschwächen, der zu leicht zu beeinflussen ist. Lit.: B. A. Woods: The Devil in Dog Form (= Folklore Studies 11), Berkeley and Los Angeles 1959. Puls. Einem den Puls fühlen: ihn ausforschen, seine Gesinnung oder auch sein Denkvermögen prüfen; von der ärztlichen Feststellung des Pulsschlages auf die Feststellung der Gesinnung und des Denkens übertr. (19. Jh.). Pulver. Das Pulver nicht erfunden haben: beschränkt, dumm, einfältig sein. Jobst Sackmann, Pfarrer zu Limmern bei Hannover (um die Zeit 1686-1720), sagt in einer plattdt. Predigt über die Erfindung des Schießpulvers: „1s dat ene Kunst, dat men enen dot schütt? Jo, ick kant nig gnog seg- gen, dat so en Stück Schelms, so en lieder- lick Mönk dat Pulver het utdacht, wenn et noch en Soldat odder dapper Kriegsmann dan hadde, so wull ick daer noch nich van ,Das Pulver (nicht) erfunden haben* Seggen44. Diese Schelte bezieht sich auf Berthold Schwarz, der in Freiburg, wo sein Denkmal steht, das Schießpulver bei alchimistischen Versuchen hergestellt haben soll. In Ifflands ,Jägern4 von 1785 (II, 5) sagt Anton zu Friederike: „Ich habe wenig, vornehm bin ich nicht, es kann auch sein, daß ich das Pulver nicht erfände - aber soviel gesunden Sinn, als man fürs Haus braucht, traue ich mir zu“. Karl Gutzkow hat die Rda. zu einem Haupttreffer in der Szene des Tabakskollegiums in seinem Lustspiel ,Zopf und Schwert4 (1844) benutzt. Da entgegnet der Erbprinz von Bayreuth auf die Frage, was der Alte Dessauer erfunden habe: „Das Pulver kann's nicht sein, denn das hat schon Herr von Seckendorf erfunden44. Scherzhaft wird der durch die Rda. ausgedrückte Tadel auch in gemilderter Form geäußert: ,Er hat bei der Erfindung des Pulvers im Nebenzimmer gesessen4. Sein Pulver verschossen haben: nichts mehr leisten können, am Ende der Kräfte angelangt sein, auch: sich sexuell verausgabt haben, impotent sèin; sein Pulver trocken halten: seine Reserven zurückhalten, auf der Hut sein, auch: mit seiner Potenz sparsam umgehen (Borneman: Sex im Volksmund); kein Pulver riechen können: feige sein. Keinen Schuß Pulver wert sein: nicht das geringste wert sein; bezieht sich auf den Tod durch Erschießen, der als weniger schimpflich und entehrend gilt als der Tod durch Erhängen etc. Auf dem Pulverfaß sitzen: in gefährlicher Lage sein. Auf das Arzneipulver bezieht .sich die obersächs. Rda.,dummes Pulver (ein)neh- men\ sich dumm stellen, Verständnislosigkeit heucheln. 750
Pupille Punkt. Das ist der springende Punkt: das ist der Kernpunkt einer Sache, das, worauf es ankommt (gelegentlich auch in lat. Form: ,das ist das punctum saliens4). Die Rda. ist gelehrten Urspr. Der griech. Naturforscher Aristoteles (389-322 v.Chr.) spricht in der ,Historia animalium4 (6. Buch, 3. Kap.) davon, daß sich im Weißen des Eies das Herz des werdenden Vogels ,,als ein Blutfleck“ anzeige; „dieses Zeichen (or|peîov) hüpfe und springe wie ein Lebewesen44. Theodorus Gaza (t 1478) übertrug die letzten Worte so: „quod punctum salit iam et movetur ut animal“, und so wurde allg. in der Sprache der Humanisten der Ausdr. mit ,punctum saliens4 wiedergegeben und von hier aus in der Bdtg. ,Kernpunkt des Lebens4, ,Punkt, in dem die spätere Entwicklung des Wesens beschlossen liegt4, übertr. als ,Punkt, auf den alles ankommt4, weiterverbreitet. Im urspr. Sinn gebraucht Schiller noch die Wndg. in dem Gedicht ,Der Genius4 (1795): Da noch das große Gesetz, das oben im Sonnenlauf waltet Und verborgen im Ei reget den hüpfenden Punkt, Noch der Notwendigkeit stilles Gesetz, das stetige, gleiche, Auch der menschlichen Brust freiere Wellen bewegt. Jean Paul schreibt 1807 in ,Levana oder Erziehungslehre4: „Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall; aus diesen hüpfenden Punkten entwickelt sich eine schreitende Lebensgestalt“. Goethe spricht gern vom ,Lebenspunkt4 oder ,Quellpunkt4. Wilh. Raabe sagt 1875 im 2. Kap. seiner Erzählung ,Vom alten Proteus4: „So wollen wir nun dem Hüpf-, Brüt- und Lebenspunkt im Ei dieser Historie näher gehen44. Auch von einem wunden Punkt reden wir bildl. zur Bez. einer Schwierigkeit, einer dunklen Stelle, eines faulen Flecks, der wie eine Wunde geheilt sein möchte und doch behutsam angefaßt sein will. Bismarck zu den Freisinnigen: „Da haben die Herren gefunden: Aha, da hat die Regierung einen wunden Punkt, da wollen wir darauf reiben44. Auf dem toten Punkt anlangen: mit einer Sache nicht weiterkommen. Die Wndg. ist im 19. Jh. aufgekommen und stammt aus der Sprache der Technik: Auf dem ,toten Punkt4 befindet sich eine Dampfmaschine, wenn Kurbel und Pleuelstange eine gerade Linie bilden. So schreibt der Dichter-Ingenieur Max Eyth 1899 in ,Hinter Pflug und Schraubstock4 (II, 263): „Dank dem nicht zu bändigenden Willen meines unglaublichen Schwiegervaters ist der tote Punkt überwunden44. Der Punkt auf dem i bez. sprw. das, was eine Sache erst zum vollen Abschluß bringt, so klein es auch sein mag (vgl. auch ,das Tüpfelchen auf dem /V). Den Punkt aufs isetzen: peinlich genau sein; ndl. ,De pun- ten op de i zetten4; Bismarck: „Daß wir noch nicht in der Lage sind, in allen diesen Fragen die Punkte so genau über das I zu setzen, wie sie vielleicht in zwei oder drei Jahren von selbst auch dem ersten Herrn Redner ins Auge springen werden44 (,Reden4 VIII, 187; vgl. XII, 198). Keinen Punkt übers i setzen können: zu nichts taugen. Einem den Punkt über das i machen:etw. verständlich machen, was sich von selbst versteht; vgl. frz. ,mettre à quelqu’un les points sur les i4. Nun mach aber einen Punkt!: nun hör aber auf (mit deinen Klagen, Fragen oder dergleichen); die Rda. bezieht sich auf den Punkt als Satzschlußzeichen; in ähnl. Sinne die ältere Rda. Punktum, Streusand drauf!: die Sache ist entschieden; Widerrede gibt’s nicht! (mit Streusand löschte man früher nach Fertigstellung eines Briefes oder Schriftstückes die Tintenschrift ab). pünktlich. Pünktlich wie die Maurer: sehr pünktlich; dem rdal. Vergleich liegt die weitverbreitete Ansicht zugrunde, daß die Maurer auf die Minute genau die Kelle aus der Hand legen, um Feierabend zu machen. Diese Berufsneckerei ist auch in die Form von Witzen gefaßt worden; so wird z. B. erzählt, daß ein Maurer, der in den Rhein gefallen war, zu schwimmen aufhörte und ertrank, als die Glocke vom Kirchturm den Feierabend einläutete. Pupille. Die Pupille auf null drehen: sich zum Schlafen legen, geistig ,abschalten4; sold, seit dem 2. Weltkrieg; die Pupille bibbert: man wagt einen Blick auf Aufreizendes; er kriegt es in die falsche Pupille: er 751
Puppe sieht es falsch; jem. in der Pupille hoben: sich ihn genau merken, ihn sofort wiedererkennen; eine Pupille hinschmeißen: auf etw. ein Auge werfen, etw. beobachten; eine Pupille riskieren: einen Blick wagen; sich die Pupille verstauchen: schlecht Entzifferbares zu lesen versuchen ; ich rotze dir auf die Pupille, dann siehst du drei Tage Farbfilm: Drohung unter Berliner Jugendlichen; Mitte 20. Jh. (Küpper II, S.227). Puppe. Die Puppen tanzen: eine heftige Auseinandersetzung findet statt; jetzt kommen die Puppen ans Tanzen: jetzt kommt der Stein ins Rollen ; der urspr. Realbereich dieser Rdaa. ist wohl das Puppentheater (19. Jh., mdal. u. lit.). Bis in die Puppen (gehen): sehr weit. Als in der Mitte des 18. Jh. der Große Stern im Berliner Tiergarten, der damals von der Stadt weit entfernt war, nach frz. Geschmack der Gartenkunst mit Statuen aus der antiken Götterwelt geschmückt wurde, nannten die Berliner diese Standbilder ,Puppen4 und den Großen Stern den .Puppenplatz4. ,Bis in die Puppen gehen4 war ein verhältnismäßig weiter Spaziergang. Die Wndg. wurde von der räumlichen auf die zeitliche Ausdehnung übertr., so daß ,bis in die Puppen4 soviel wie ,immerfort, sehr lange4 bedeutete (z. B. auch ,bis in die Puppen schlafen, arbeiten, ausbleiben4); dann auch allg.: z. B. ,Das geht mir doch über die Puppen!4, das übersteigt alles Maß. Diese Erklärung ist übrigens angezweifelt worden; man hat die Rda. - aber wohl kaum mit Recht - zu deuten gesucht aus einer auf dem Lande gebrauchten Wndg. ,es regnet bis in die Puppen4, d. i. bis in die zu Haufen gesetzten Getreidegarben, die durch eine Deckgarbe vor mäßigem Regen geschützt sind. Ul.: H. Krügler: ,Bis in die Puppen“, in: Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Berlins 49, Nr. 4; H. Meyer: Der richtige Berliner in Wörtern u. Rdaa.; A. Lasch: .Berlinisch1. Eine berl. Sprachgesch. (Berlin o.J. (19281), S. 186. Puste, pusten, Pustekuchen. Puste = Atem gehört zu pusten = blasen, schnauben; rdal. z. B. in der Drohung: ,Ich knall dir die Puste aus dem Ranzen!4 Ähnl. die berl. Drohung: ,Ich puste dich pfundweise aus dem Trauring!4 Ihm geht die Puste aus: er atmet schwer, er gibt auf, er kann nicht weiter, er stirbt. Ja Pustekuchen: ist eine starke rdal. Verneinung, Ausruf der Ablehnung; zusammengezogen aus: ,Ich puste auf Kuchen4 (zu: ,jem. etw. pusten4, eine Sache abschla- gen). Hohe Noten pusten: hohe Töne blasen. Q Quacksalber. Ein Quacksalber sein, auch Quacksalbereien treiben: ein schlechter Arzt und Pfuscher sein, der seine Wunderkuren, Salben und Hausmittel anpreist und mit seinen angeblichen Heilerfolgen prahlt; ohne fundierte medizinische Kenntnisse mit untauglichen Mitteln Kranke behandeln und oft ,zu Tode kurieren4. Das Subst. ist aus dem gleichbedeutenden ndl. ,kwak- zalver4 entlehnt, das zu ,kwakken4 = schwatzen, prahlen und ,zalf‘ = Salbe gebildet ist. Für Dtl. ist der Ausdr. seit 1570 durch Job. Fischart bezeugt (,Barf. Sekten- und Kuttenstreit4, 465). Lil.: T. Hampe:Die fahrenden Leute in der dt. Vergangenheit. Monographien zur dt. Kulturgeschichte X (Leipzig 1902). Qualm. Großen Qualm machen: viele überflüssige Umstände machen; viel Wertloses sprechen; vor allem aber: mehr scheinen wollen als sein. Der Realbereich der Rda. ist ein Feuer, das sehr viel Qualm entwickelt, aber nicht recht brennen will. 752
Quelle Es ist Qualm in der Küche ( Waschküche): im Hause herrscht Unfrieden, Streit; ähnl. wie ,dicke Luft4. Quark. Schon seit dem 16. Jh. bez. Quark bildl. etw. völlig Wertloses, eine Nichtigkeit; daher Rdaa. wie: Kümmere (oder mische) dich nicht um (in) jeden Quark! (lit. in Goethes ,Faust4 I, ,Prolog im Himmel4: „ln jeden Quark begräbt er seine Nase“); davon verstehst du einen Quark (ähnl. wie Dreck, Pappenstiel, Pfifferling); ndd. ,dat geit di ’n Quark an‘; ,davon versteihst du Quark\ Er hat Quark in den Händen: er läßt fallen, was er in der Hand hat. Vgl. frz. ,11 a des mains de beurre1. „Getretner Quark wird breit, nicht stark41 sagt Goethe im ,Buch der Sprüche4 des ,Westöstlichen Divans4. Im Quarksack wird der Quark durch Pressen von der Molke befreit ; daher der schles. rdal. Vergleich: ,schwitzen wie ein Quarksack4; obersächs. ,naß wie ein Quarksack4. Quarre. Erst die Pfarre, dann die Quarre! Dieser Rat besagt, daß man sich zuerst eine gesicherte Existenzgrundlage schaffen soll, bevor man eine Familie gründet. Zu dieser seit der Mitte des 17. Jh. bezeugten Rda. hat die Quarre, ein schnarrendes Musikinstrument, den Anlaß gegeben. Da das weinende Kind diese zur Ablenkung und Beruhigung erhielt, wurde das Wort auch auf Quacksalber das schreiende Kind übertr. In dieser Bdtg. steht es in der Rda. (Trübner Bd. V, S.249f.) Quartalssäufer. Ein Quartalssäufer sein: nur selten, aber dann sehr viel Alkohol trinken. Urspr. wurde damit wohl derjenige Handwerksgeselle bez., der im allg. solide lebte, es aber wahrnahm, wenn es beim Quartal, der vierteljährl. Versammlung der Gewerksinnungen bei der Lade, aus Strafgeldern Freibier gab. Wenn einer vor Freude fortwährend pfeift, fragt man in Berlin: ,De Schefer haben wol Quartal?4 Damit meint man ebenfalls die Versammlung zu jedem Quartal. Schäfer war die alte Bez. für einen ständig Pfeifenden. Lit.: Schulz-Basler: Dt. Fremdwb. Ill, 1, S. 34f. Quelle. An der Quelle sitzen (sein): sich gut mit dem Nötigsten versorgen können, Waren direkt vom Hersteller beziehen, auch: Nachrichten aus erster Hand bekommen. Urspr. ist mit Quell oder Quelle nur das frisch aus dem Boden hervorsprudelnde Wasser gemeint. Von hier aus erfolgte eine Übertr. auf andere Lebensbereiche, indem Quelle die Bdtg. von ,Ursprung4 erhielt. So sprechen wir heute von einer Quelle des Lebens, der Freude und der Weisheit. Das Wort Quelle wurde erst durch Luther in der nhd. Schriftsprache geläufig, da er es über 20mal in seiner Bibelübers. verwendete, z.B. heißt es bei l.Mos. 47,22: „Er wird wachsen wie an einer Quelle44, in den Sprüchen Salomos (13,14): „Die Lehre der Weisen ist eine lebendige Quelle44, und in Ps. 36,10: „Denn bei Gott ist die lebendige Quelle44. Das Subst. ,Quelle4 ist eine Bildung zum Verb ,quellen4, die vom mdt. Osten ausgeht, jedoch in den anderen Mdaa. völlig fehlt, wo dafür Ausdrücke wie ,Brunn4, ,Born‘ oder ,Spring4 bevorzugt werden, so daß auch mdal. Rdaa. zu Quelle nicht entstehen konnten. Lit. verwendeten Schiller und Goethe das Wort häufig. So heißt z.B. der 1. Vers aus Schillers Romanze ,Der Jüngling am Bache4, die in das 1803 in Weimar uraufgeführte Lustspiel ,Der Parasit oder die Kunst, sein Glück zu machen4 eingeflochten ist: „An der Quelle saß der Knabe44, was häufig zitiert wird 753
Quinte i. S. v.: an der richtigen Stelle sitzen, um sich Vorteile zu sichern. Oder in Schillers Drama ,Wallensteins Tod1 (2,3) steht: Und was uns blindes Ohngefähr nur dünkt, Gerade das steigt aus den tiefsten Quellen. Eine gute Quelle haben (kennen): wissen, wo man etw. direkt und ohne fremde Vermittlung erhalten kann, eine Ware auch in Notzeiten regelmäßig bekommen, gute Verbindungen haben und dadurch billig kaufen können oder wichtige Neuigkeiten als erster erfahren. Ähnl. heißt es dafür: Etw. frisch von der Quelle weg erhalten: etw. aus erster Hand, unverdorben und unverfälscht bekommen. Etw. aus sicherer (guter) Quelle erfahren (wissen): seine Nachricht oder Kenntnis von einem guten Gewährsmann haben oder aus einem guten, wissenschaftlichen Werk schöpfen und damit die Garantie für die Wahrheit der Information besitzen. Vgl. lat. ,A sexaginta viris nobis venit4 und ndl. ,Hij heeft het uit een goed kanaal4. Aus trüben Quellen schöpfen: seine Informationen von unzuverlässigen oder gar böswilligen Personen bekommen oder aus unwissenschaftlichen und sogar gefälschten Schriften nehmen. Die Quelle auf suchen: einer Sache auf den Grund gehen, ähnl. etw. von der Quelle herleiten: zu den Ursprüngen, den ersten Nachrichten zurückgehen. Vgl. lat. ,a fonte ducere4. Beider Quelle stehen und vom Flusse reden: die naheliegenden Hauptsachen übersehen und von fernen Dingen reden. Vgl. lat. ,omissis fontibus consectari rivulos4. Die (lebendige) Quelle verlassen und Brunnen graben: etw. Überflüssiges oder sogar Schädliches tun, sich das Naturgegebene nicht zunutze machen. Die Wndg. bezieht sich auf eine Bibelstelle. Bei Jer. 2, 13 heißt es: „Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löcherig sind und kein Wasser geben“, d. h. die Weltmenschen verlassen Gott, die Quelle des Lebens und ihres Heiles, und hängen dem Götzendienst an. Aus solchen Quellen kommen solche Was¬ ser: die Handlungen können gar keine anderen (besseren) Folgen haben. Die Quelle ist versiegt (erschöpft): es wird nichts mehr hervorgebracht, es ist nichts mehr zu erhalten, eine geistige Leistung ist nicht mehr möglich oder zu erwarten, die Lebenskraft eines Menschen ist geschwunden. Vgl. lat. ,Baccae egent oleo4. Quinte heißt in der Fechtersprache ein verschmitzter Schlag neben der einfachen Prime, Sekunde usw.; darauf beziehen sich die Rdaa.: Quinten machen (oder gebrauchen): lächerliche, unnatürliche, wilde Gebärden machen, auch: arglistige Streiche spielen; einem die Quinten austreiben: einen zur Räson bringen; ,er hat seine Quinten4, er hat seine Tücken; ndd. ,he hett Quinten im Kopp4, er hat Grillen, verdrießliche Gedanken, aber auch: listige Anschläge, feine Ränke; ähnl.: ,Quinten und /Flausen im Kopf haben'. Auf Quinte als musikalischen Begriff beziehen sich die ndd. Rdaa. ,de Quint platzt di4, deine Stimme schlägt über; hamb. ,up dr letzten Quinte fiddeln4, ,auf dem letzten Loch pfeifen4, am letzten Rest des Vermögens oder Lebens zehren. Mit der Quinte wurde die oberste Saite bei der Geige bez. Diese springt am leichtesten, wodurch die obersten Töne ausfallen müssen. Noch heute gebraucht man die Wndg. Mir ist die Quint gesprungen: ich habe die Geduld verloren, ich wurde wütend. Lit.: J. Schmied-Kowarzik u. H. Kufahl: Fechtbüchlein, 2. Aufl. (Leipzigo.J. [1894]); M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprww., in Rdaa., im Schrifttum, in: Die Muttersprache (1963), S. 201-221. quitt. Etw. quitt sein: etw. verloren haben; sich von etw. befreit haben. Aus lat. quietus4 = ruhig über altfrz. ,quite4 = los, frei schon in mhd. Zeit übernommen in der Bdtg.: aller Verbindlichkeiten ledig. Mit jeni. quitt sein: mit einem alle ungeklärten Angelegenheiten bereinigt haben; in neuerer Bedeutungswandlung auch: mit jem. gebrochen haben, sich mit ihm verfeindet haben, mit ihm nichts mehr zu tun haben wollen. Quivive. Auf dem Quivive (stehen) sein: auf der Hut sein, auf dem Posten sein, sich gegenseitig beargwöhnen; einen auf dem 754
Rabe ,Auf dem Quivive sein' Quivive haben:es auf einen abgesehen haben (mit für den Betreffenden unangenehmen Folgen). Die Rda. ist von dem frz. Postenruf ,Qui vive?4, dt. ,Wer da?\ abgeleitet und erst Ende des 18. Jh. ins Schrifttum eingedrungen. Die Wndg. ist auch in Frankr. selbst rdal. geworden (,être sur le qui vive4; ebenso engl. ,to be on the qui- vive1 und ndl. ,op zijn quivive zijn4). Lit.: Schulz-Basler: Dt. Fremdwb. III, 1,S 99f. R Rabe. Ein weißer Rabe: eine große Seltenheit, die große Ausnahme, ein Individualist; ndl. ,een witte raaf‘; engl. ,a white crow\ ,a black swan‘; frz. ,un merle blanc4. Schon bei dem röm. Dichter Juvenal (,Sat.4 VII, 202) ist überliefert „Corvus albus“ als Bez. für einen Menschen, der unter seinesgleichen eine Ausnahmestellung einnimmt und zu der allg. Meinung abweichende Ansichten äußert. Mhd. in Hugo von Trim- bergs Lehrgedicht ,Der Renner4 (V.8426): Selten wir gesehen haben swarze swanen und wîze raben. In der ,Zimmerischen Chronik4 (11,172): „Wie ein seltzammer Vogel ist es umb ein weissen Rappen oder umb ain schwarzen Schwanen“. Ähnl. bei Burkard Waldis (ca. 1490-1557): „Ein weisser rappen vnd schwartzen schwan, wer mag den je gesehen han“. In Wirklichkeit gibt es überhaupt keine weißen Raben, während schwarze Schwäne heute nicht mehr als große Seltenheit gelten können. In diesem Zusammenhang ist auch das slaw. Sprw. zu erwähnen: ,Ein Rabe, den man eine Taube nennt, wird dadurch nicht weiß4. Einen Raben waschen (baden): unnütze Arbeit verrichten, etw. Törichtes tun. Mlat.:,albior estne quidem cornix studiosa lavandi?4 In Freidanks Bescheidenheit4 (142,15) heißt es: Sich badet diu krä in allem fliz Und wirt durch daz doch niemer wiz. Freidank geht wohl indirekt auf Boëthius zurück (,In Porphyrium4 11,56): „Verum est quoniam Aethiopem aut corvum color niger nunquam deserit44. Ähnl. in der ,Col- marer Hs.4 (144,42): „Ein swarziu krä, swer sie gebât, sô wirt sie doch niht wîze“. 1513 heißt es bei Tunnicius (530): „Den raven kan men nicht wyt waschen44. Auch Abraham a Sancta Clara bringt (,Judas4 IV, 215): „Einen raben waschen44. In Konrad von Megenbergs ,Buch der Natur4 (176,31) heißt es um 1350: „die raben werfent etlei- cheu kint auz dem nest, wenn si der arbait verdreuzt mit in, daz si in nicht genuog speis pringen mügent“. Seit dem 16.Jh. kommen dann - zuerst in erbaulichen Texten - die Begriffe ,Rabenvater4, Babenmutter4, ,Rabeneltern4 vor und werden rdal. gebraucht. Wie den /Elstern wird auch den Raben nachgesagt, daß sie diebisch seien; daher: stehlen wie die Raben. Der rdal. Vergleich ist schon bei Niklaus Manuel (1484-1530) belegt: „Ir diebsböswicht stelend wie die rappen“; im 16. Jh. bei Oldecop in der Büdesheimer Chronik4 (S.297): „und nemen alse raven und vosse (Füchse)“, und 1691 bei Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4: „Er stielet wie ein Rabe“. Die Raben um ihr Mahl bringen: dem Galgen auf eine schlaue Weise entgehen. Der Fluch Daß dich die Raben fressen! (ndl. ,dat u de raven picken, sehenden, vreten4; lat. ,ad corvos4) ist schon in Joh. Agricolas Sprww.-Sammlung (Nr. 55) belegt und er¬ 755
Rache läutert: „Das ist eyn Deutscher fluch, also daß wir wünschen dem wir fluchen, daß er nicht alleyn sterbe, sonder daß er eyns schendtlichen todes sterben soll am galgen, da von die raben yhre speise haben...“ Ebenso erläutert Joh. Agricola (Nr. 51) auch das Sprw. ,Was den Raben gehört, ertrinkt nicht4: „Wer an galgen soll, der kan yhm nicht entlauffen, er muoß hyn an; das meer vnd wasser muoß yhn auch nicht hieran hyndern. Es ist geschehen bey vnsern zeitten, daß eyner von guttem ge- schlecht vnd gantz ehrlichen freunden auff dem Rhein in wassers not ist kommen vnd endtlich biß vndter die muelen zu Oppen- heym halb todt geschwimmet. Die müller vnd fischer seind zu gefaren vnd haben yhn also, wie wol schwerlich, errettet, erwer- met, vnd bey dem leben erhalten. Diser hatt gesagt, was den raben gehoert, ertrinckt nicht. Also ist nun dises Sprichworts brauch dem gleich, wie eynem yeglichen sein todt bescheret ist, also muß er sterben, eyner im fewer, der ander im wasser, der dritt eynes anderen todes, wie wir denn das selbig auß teglicher erfarung erlernen, vnd vor äugen sehen“. Rabenaas /Aas. Lit.: Singer I, S.109L, III, S.104. Rache. Rache des kleinen Mannes: Rache, die sich nicht offen vorwagt und sich kleinlicher Mittel bedient; etwa seit 1910 aufgekommen. Rache ist Blutwurst: scherzhafte Racheandrohung, schülersprachl. Entstellung aus ,Rache ist süß4 (KüpperII, S.230f.), /Revanche. Rachen. Den Rachen weit aufreißen: das große Wort führen, prahlen, laut reden, zanken (analog zu: ,das Maul aufreißen4). Alles in seinen Rachen haben wollen: gierig sein; entspr. den Rachen nicht voll (genug) kriegen: unersättlich, gefräßig, habgierig sein; jeni. etw. in den Rachen schmeißen (werfen): einem Vermögenden noch mehr Geld geben; jem. den Rachen stopfen: etw. ihm eilig überlassen, um ihn zu befriedigen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Etw. in den falschen Rachen kriegen: etw. falsch auffassen; gleichbedeutend mit: ,etw. in den falschen Hals (in die falsche Kehle) bekommen4 (Küpperll, S.231). Einem etw. aus dem Rachen reißen: einem Habgierigen etw. entwinden. Ähnl. Bdtg., aber eine Steigerung enthält die Rda. etw. aus dem Rachen des Wolfs erhalten: schon Verlorengeglaubtes zurückgewinnen. Rad. Das fünfte Rad am Wagen nennt man einen, der bei einer Sache überflüssig, vielleicht sogar ein lästiges Zuviel ist, für den kein Platz und keine Verwendung ist. Den ältesten Beleg für diese Rda. finden wir in der ,Fecunda ratis4 des Egbert von Lüttich, einer lat. Sprww.-Sammlung des 11.Jh. (,Germania4 18,315): „Quem fastidimus, quinta est nobis rota plaustri44 (Wer uns lästig ist, der ist uns das fünfte Rad am Wa- gen). Der Verfasser benutzte dabei eine dt. Rda., die volkssprachl. erst aus dem Anfang des 13.Jh. überliefert ist, und zwar im Prolog des ,Trojanerkrieges4 des Herbort von Fritzlar (83): „So zele man mich zu dem fünften rade, Und frume ich niht, ich bin nicht schade44. Die Rda. findet sich dann wieder in Freidanks Lehrgedicht .Bescheidenheit4 (127,13): Der wagen hät deheine stat, dâ wol stê das fünfte rat. Ulrich Boner, der Verfasser der ältesten gereimten Fabelsammlung in dt. Sprache, des .Edelsteins4 von etwa 1350, meint (84,33): Ein klosterlugner boeser ist und arger denn des tiuvels list: er verirt daz klöster, hoer ich sagen, recht als daz vünfte rat den wagen. Luther gebraucht das Bild gerne: „Eben so nutz alß dz funfft rad dem wagen44 (Werke, hg. v. Clemen II, 113, 25); „Welche wol so not ist zur Sachen als das funfft rad zum wagen44 (ebd. III, 421, 28). Altes und neues Bild verquickend, sagt Bismarck: „Nur den Zusammenhang sehe ich nicht, wie alle diese Übelstände dadurch beseitigt werden sollen, daß man dem vielfachen Räderwerk, welches unsere Maschine bewegt, noch ein fünftes Rad am Wagen hinzufügt, in Gestalt eines verantwortlichen kollegia- lischen Bundesministeriums44 (,Reden4 III, 121). Ein Gegenstück zur Rda. vom fünften Rad am Wagen ist: bei ihm fehlt ein Rad oder bei ihm ist (im Oberstübchen) ein Rad los: 756
Rad er ist nicht ganz bei Verstand; vgl. westf. ,Dem es en gued Rad vam Wagen flogen4; schlesw.-holst. ,He hett’n Rad los4, er ist verrückt; els. ,’s is ’m ’n Rad ab4, er ist erzürnt; obersächs. ,Er hat e Rädel zuviel4, er ist nicht ganz bei Verstand. Diese Rdaa. beruhen auf der Vorstellung vom Verstand als einer vielgliedrigen Maschine. Geistesgestörtheit setzt - technisch gesehen - einen Schaden an der Maschine voraus. In Ostfriesland sagt man: ,Dat lüttje Rad geit vor in de Wagen4, wenn ein Kind vor den Eltern hergehen soll; in Westf. ,He heäd op een Rad lann4, d.h. ,schief geladen4 ; in Sachsen: ,Bei dem gehen die Räder rückwärts4, seine Verhältnisse verschlechtern sich; allg. bekannt ist: unter die Räder kommen: sittlich verkommen. Sittliches Absinken erscheint hier unter dem Bild eines Überfahrenwerdens, eines Verunglük- kens (etwa seit 1850 belegt). ,Aufs Rad geflochten1 Auch das Rad, mit dem früher dem verurteilten Verbrecher die Glieder gebrochen wurden, damit er ,aufs Rad geflochten4 werden konnte (mhd. radebrechen), lebt in bildl. Verwendung weiter: eine Sprache radebrechen: sie stümperhaft anwenden, verstümmeln, mißhandeln (seit dem Ausgang des 16. Jh. bezeugt); ebenso in dem rdal. Vergleich sich wie gerädert fühlen: sich durch große Anstrengungen ermattet und ,wie zerschlagen4 fühlen. Ebenso ndl. ,ge- radbraakt zijn4, ,zich als geradbraakt voc- len4; auch auf dem Rade sein: große Angst Aufs Rad flechten (,Radebrechen' - ,Wie gerädert4) ausstehen und Marter erdulden. Auf das Mühlrad bezieht sich wohl westf. ,Et löpt em e Rad im Koppe rüm4; vgl. Goethes ,Faust4 (I,V. 1946f.): Mir wird von alledem so dumm, Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum. Gewandte Jungen schlagen ein Rad, indem sie sich vom Fuß auf die nächste Hand, die andëre Hand und den andern Fuß rundum werfen, so daß Arme und Beine wie Speichen eines Rades sind; daher in Sachsen: ,Da mechte mer doch glei e Rad schlan4, sich vor Überraschung, Zorn überstürzen; und meckl. ,Dat wir’n Rad slagen4, ein heftiges Benehmen. Ein einzelnes Rad wird getrieben, geführt, auch als Kinderspiel; dazu die ältere Rda. sein (oder das) Rädlein treiben: die Angelegenheit in Gang bringen. Sie findet sich 1639 bei Lehmann S. 930 (,Zeit‘ 11): „Wann etliche in Sachen vnnd Geschäften gar eyffrig vnnd hitzig seyn, das Rädlein starck treiben, so vergehts doch mit der Zeit, vnd was zuvor war nichts, das wird zu- nicht44. Luther schreibt in der,Treuen Vermahnung an alle Christen4: „Es ist nicht unser Werk, das jetzt geht in die Welt... Ein anderer Mann ist’s, der das Rädlein treibt44; dazu Schweiz, das Subst. ,Rädlitri- ber4 in Hans Rudolf Manuels Fastnachtsspiel ,Vom edlen Wein4 von 1548: Ich wil ufwiglen unsre wiber, Das sind die rechten rädlitriber. 757
Rad ln einem Schweiz. Spottlied vom Jahre 1656 heißt es: Weil er Schabab, Drum zieht er ab, Heimwärts sein Rad zu trüllen. /Schabab. Frühnhd. bedeutet ,Rädlein4 eine Zusammenrottung, eine Schar; das Rädlein führen ist ein Fachausdr. der Landsknechte. Der Führereines solchen Rädleins wurde ,Rädleinführer4 genannt, woraus dann der Ausdr. Rädelsführer engl, jingleader4, ndl. jaddraaier4) entstanden ist (die Herleitung von einem Rad in der Fahne des ,Armen Konrad4, des Bauernbundes von ®ongluckeefall ©erißcfnnarr 9er (liefet (JocÇ ©o mittman jîcÇ fynfcÇanb vnb fc§moc§ Ünb fftcfjet (Hts efn ÇôÇern grab X>nb gbencfet m't an gfticPes r ab ,Auf dem Glücksrad sitzen1 1514, oder von einem Pflugrad in einer Fahne des Bauernkrieges von 1525 ist spätere Volksdeutung). Die Rda. Man muß das Rädlein laufen lassen: dem Geschick seinen Lauf lassen, geht dagegen auf das Glücksrad der Göttin Fortuna zurück. Schon bei den Dichtern des Altertums findet sich die Vorstellung, daß Fortuna die Menschen auf ihr Rad setze und sie mit dessen Umschwung auf und nieder steigen lasse. Auch indie ma. Welt ist die Vorstellung von einem Glücksrad übergegangen. Die ma. Dichter sprechen oft von ,des glük- kes rat4 und benutzen mit Vorliebe das Bild von den auf das Glücksrad gesetzten und mit ihm auf und ab geführten Menschen. Stellen wie „Fortûna bräht in zem höhsten sitze üf glückes rat44 oder Er ist körnen üf gelückes rat, Daz muoz im iemer stille stên oder: Got werfe in von gelückes rat, Der sich bösheit understat begegnen bei diesen Dichtern außerordentlich häufig. Zum sprw. Ausdr. hat diese Vorstellung ebenfalls schon zeitig geführt. Bereits im ,Titurel4 findet sich der Ausdr. „waz danne? es muoz nu walzen!44 ganz in dem Sinne gebraucht wie die heutige Rda. ,Man muß das Rädlein laufen lassen^, d.h. man muß es gehen lassen, wie es will; man muß es, unbekümmert um die Folgen, auf gut Glück geschehen lassen. ,Der sauft und spielt drauflos und laßt halt's Radi laufe4 sagt man in Süddtl. Nur Gottes wundervolle Hand Kann unser Glücksrad drehen heißt es in einem frommen Liede, und dieser Vorstellung entspr. findet sich unter den alten Holzschnitten zu Seb. Brants ,Narrenschiff4 einer, auf dem eine aus den Wolken ragende Hand mit einem Seile ein Glücksrad in Bewegung setzt. Auch in einer beim Brand der Straßburger Bibliothek vernichteten Hs. des 12.Jh., dem ,Hortus deliciarum4 der eis. Nonne Herrad von Landsberg, fand sich als 111. zu Versen, die von der Eitelkeit alles Irdischen handeln, das Bild einer Fortuna, die auf ihrem Rade Könige auf und ab wälzt. Zum selben Vorstellungsbereich gehören die Rdaa. das Rad wird sich wenden: das Schicksal wird sich ändern; bis dahin wird noch manches Rad umgehen. So heißt das Rad der Geschichte anhalten (znriickdre- hen) wollen: eine unaufhörliche Entwicklung unterbrechen wollen, Geschehenes rückgängig machen wollen. Auf die moderne Technik bezieht sich die Rda. unrein Rädchen im Getriebe sein: eine untergeordnete Rolle spielen. Zugrunde liegt die Vorstellung vom Ineinandergrei- 758
Rang fen von Zahnrädern, die nur innerhalb eines größeren Zusammenhangs eine Funktion haben. Die Wndgn. Er fahrt ganz schön Rad und jem. ist ein Radfahrer, aber auch die entrüstete Ablehnung: Ich bin doch kein Rad- fahrerfsind zweideutig. Vom Bild des Radfahrers, der nach oben seinen Rücken krümmen muß und nach unten tritt, erfolgte die verallgemeinernde Übertr. auf einen Menschen, der seinen Vorgesetzten schmeichelt und seine Untergebenen schikaniert. Lit.: Singerl, S. 90, II, S. 104, III. S.8S; Richter- Weise, Nr. 157, S. 171 f. radebrechen /Rad. Rädelsführer /Rad. rädern /Rad. Radfahrer /Rad. Rahm. Den Rahm abschöpfen: das Beste vorweg für sich nehmen (ähnl.: ,das Fett abschöpfen\ eigentl. von einer fetten Fleischbrühe gesagt); vgl. ndl. ,zijn melk obtrekken4. Bei Teilungen hört man oft: ,Der erste hat den Rahm abgeschöpft, der andere kriegt die Sauermilch4 (ähnl.: ,Der schöpft den Rahm von der Milch, und mir bleiben die Molken4; ndl. ,Hij heeft den room weg en laat de melk voor anderen4). Die übertr. Bdtg. der Rda. kennt bereits Grimmelshausen (,Simplicissimus4, Bd. II, S.83): „Als ward meiner jungen Frau ihr Mann ein Cornet, vielleicht deswegen, weil ihm ein anderer das Raum (ältere Form für Rahm) abgehoben und Hörner aufgesetzt hatte44, /Hahnrei, /Horn. Rand. Mit einer Sache zu Rande kommen: damit zu Ende kommen; eine Wndg., in der uns das Bildliche fühlbarer geblieben ist als in andern gleichbedeutenden Ausdr.; z. B. bei Lessing im ,Nathan4 (III,7): „Du bist zu Rande mit deiner Überlegung44. Früher verband man gern mit ,Rand4 noch ,Land‘; dies deutet darauf hin, daß in der Rda. Rand verstanden wurde als das erhöhte Ufer des Meeres oder Flusses. Von hier aus erklären sich auch die Wndgn. am Rande des Abgrundes (des Unterganges, des Verderbens) stehen und völlig am Rande (der Verzweiflung) sein: kurz vor der Vernich¬ tung, dem völligen Ruin stehen, seine Kraft und Mittel endgültig erschöpft haben. In diesem Sinne verwendet Wolzogen in seiner ,Ballade vom verkauften Assessor4 den Begriff, wenn er schreibt: Welch’ Ausweg steht dem Manne offen, Der pekuniär am Rande ist? Nur von der Eh’ ist was zu hoffen, Zumal, wenn er von Stande ist. Ganz deutlich ist die Vorstellung des Randes als Ufer noch im ndl. Sprachgebrauch: .Hij is aan den oever van’t verderf4. Auch die Rda. am Rande des Grabes stehen: todkrank sein, bewahrt noch die alte Bdtg. eines erhöhten Grubenrandes, dagegen hat die Wndg. mit jem. zu Rande kommen: mit ihm fertigwerden und mit ihm auskommen, nur noch übertr. Bdtg. Das versteht sich am Rande: ohne weiteres, ohne tieferes Eingehen, Eindringen in die Sache. Die Wndg. ist wohl kaum von der Randbemerkung4 zu einem Schriftstück abzuleiten, vielmehr steht wohl nahe braunschweigisch: ,Et finnt sich an’n Ranne, wat in de Schetel (Schiissel) is4; westf. ,Dat de Pankauken (Pfannkuchen) rund is, sût me am Rande4. Etw. nur am Rande miterleben: nicht selbst davon betroffen werden. Den Rand halten: sich in seinen Grenzen halten, bes. den Mund halten, schweigen, wie in dem Zuruf: ,Halt den Rand!4 Außer Rand und Band sein: sich nicht in Ordnung befinden, von Kindern: ausgelassen sein; eigentl. von Fässern gesagt, die ,aus Rand und Band4 geraten. Die Rda. stammt aus der Fachsprache des Böttchergewerbes: ein Faß, das aus Rand und Band ist, fällt auseinander. Die gereimte Häufung des Begriffes der Schranken, die übertreten worden sind, verstärkt den Begriff der Übertretung. Die Rda. ist erst seit der Mitte des 19.Jh. lit. belegt. Vgl. ndl. ,Het is met hem te randen en te panden ge- maakt4. Rang. Einem den Rang ablatif en: ihm zuvorkommen, ihn überflügeln. Der eigentl. Sinn der Rda. ist: einem Läufer, der einem ein Stück voraus ist, dadurch zuvorkommen, daß man die Krümmung, die er macht (den ,Rank4, verwandt mit ,renken4, vgl. ,Ranke4), vermeidet, sie auf einem geraden 759
Rappel Wege abschneidet; wie man heute von ,krummen Wegen1 oder von ,krummen Touren4 redet, auf denen man erschleicht, was auf geraden nicht zu erreichen ist; vgl. auch unser modernes: ,die Kurve schneiden4 in übertr. Bdtg. Im eigentl. Sinne begegnet nicht nur das Wort, sondern die ganze Rda. in Hadamar von Lebers ,Jagd\ einem allegorischen Gedicht des 14.Jh. Der Dichter behandelt unter der Form einer Jagdallegorie das ritterliche Liebes- werben: Um einem edlen Wilde nachzujagen, reitet der Minnejäger aus, an der Hand das Herz führend, das ihn auf die rechte Fährte bringen soll. Ihn begleiten Hunde mit Namen wie Treue, Glück, Lust, staete (Beständigkeit) usw. Auch die Blicke werden als schnelle Windhunde dargestellt. Da wird nun u. a. erzählt, wie er,Blicke4 auf das edle Wild gehetzt habe, und es heißt an der betr. Stelle: Der snelle wint (Windhund) mit schricken (Sprüngen) hât im vil mangen ranc doch ab genomen; d.h. durch Sprünge geradeaus ist der Hund dem Wilde, das in Bogen läuft, nahe gekommen. So noch Grimmelshausen im ,Simplicissimus1 (Bd.I, S.207): „Weil sie mich noch endlich zu überwinden ver- hoffte, verlegte sie ihm alle Pässe und lieffe ihm alle Räncke ab44. Die Form Rang, die in dieser Rda. mit dem im Dreißigjährigen Kriege aus dem Frz. entlehnten militärischen Fachausdr. Rang = Reihe, Ordnung nichts zu tun hat, findet sich auch 1542 bei O. Schade in ,Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit4 (1856-58, I,S.57): Sint dem fromen man zu frü auf die kerwei kumen.. Haben jm also einen rang abgelaufen. Die Abweichung des Weges von der geraden Richtung heißt in südd. Mdaa. auch ,die Reib4 oder ,die Reiben4. ,Die Reib zu kurz nehmen4 bedeutet: mit dem Wagen eine zu schnelle Wendung machen. Auch ,Rib4 kommt vor. Alliterierend verbindet man nun ,Rib und Renke4 und meint damit listige Anschläge, Kniffe, und während man in Norddtl. sagt: ,den Rank ablaufen4, heißt es in Süddtl. nicht selten: ,die Reib (oder: die Rib) ablaufen4. Auch die Wndg. Ränke schmieden: Listen aussinnen, weist auf die urspr. Bdtg. von ,Rank4 = Wendung, Krümmung hin. In der nhd. Schriftsprache ist nur die Mehrzahl ,Ränke4 in diesem Sinne noch ge- bräuchl., während in südd. Mdaa. noch Ausdrücke begegnen wie: ,Was habt’s denn wieder für’n Rank angefangt?4 ,Mit Renken und Schwänken4, mit List und Tücke; z. B. in dem rdal. Vergleich: ,Er ist so voller Ränke und Schwänke als ein Ei voll Dotter4. Das mit ,Ring‘ verwandte ,Rinken4 in der gleichbedeutenden Rda. Rinken gießen wird von Joh. Agricola (Nr. 35 a) folgendermaßen erklärt: „Rinken seind krum, vnnd man bleibt offt drinnen behängen. Also gießen Rincken, die mit allerley bü- berey vmbgehen, andere leut damit zu be- triegen, vmb jres genieß willen44. Im ,Narrenschiff4 von Seb. Brant ( 19,68) heißt es: Wer wol redt, der redt dick zu vil Vnd musz auch schiessen zu dem zil, Werfen den schlegel verr vnd wit Vnd rincken giessen zu widerstrit. Ul.: E. Thiele: Luthers Sprww.-Sammlung, Nr. 129, S. 141 ff.; Richter-Weise, Nr. 158, S. 173ff.; L.Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.317L Rappel. Einen Rappel haben: nicht recht bei Verstand, töricht sein; bei ihm rappelt es: er ist nicht ganz bei Verstand. Seit dem ausgehenden 18.Jh. belegt, hat das Zeitwort ,rappeln4, urspr.: lärmen, klappern, schelten, die Bdtg. nicht recht bei Verstand sein angenommen. Dazu auch Rappelkopf: aufgeregter, verwirrter Mensch. Rapus(ch)e. ln die Rapus(ch)e kommen: in der Unordnung verlorengehen. Spät- mhd. jabusch4 = Kerbholz, entlehnt aus gleichbedeutendem tschech. ,rabuse4, ist seit dem 15.Jh. bezeugt und lebt in süd- ostdt. Mdaa. fort. Bisher wurde die Rda. deshalb von ,rabusch4 mit der Grundbdtg.: etw. gegen Kerbholzeintragung abgeben, d.h. so gut wie verloren geben, abgeleitet (befremdlich wäre freilich die völlig andere Bedeutungsentwicklung als bei /Kerbholz). Da das tschech. Wort,Rapuse4 nicht nur Kerbholz, sondern auch Plünderung, Raub, Wirrwarr, aber auch Rumpelkammer, Verlust, Preisgabe und Beute bedeu- 760
Rasmus ten kann, was dem heutigen Sinn der Rda. auch viel besser entspricht, ist ,ra- busch4 = Kerbholz als Ausgangspunkt für diese Wndg. auszuschließen, obwohl das entlehnte tschech. Wort auch weiterhin als Grundlage, nur in anderer Übers, gelten muß. Zu Beginn des 16.Jh. erscheinen im Ostmdt. Wndgn. wie ,in dy rapuß werfen1, ,yn die rappuse gehen4, zur Plünderung, zum Raube preisgeben; so auch mehrf. in Luthers Bibelübers. Luther übersetzt z. B. Jer. 15,13: „Ich will euer Gut und Schätze in die Rappuse geben44, und in ähnl. Zusammenhang gebraucht er das Wort,Rappuse4 auch Jer. 17,3 und Hes. 23,46. Dasselbe wird auch von Münzen gesagt, die große Herren bei Festen unters Volk werfen. Früh spielen im Volksmund Anklänge an dt. Wörter mit, etwa an ,rapsen4, rapschen4 = eilig erraffen; eigentümlich 1623 in Theobalds ,Hussitenkrieg4 (Bd. Ill, S. 144): „Ihre Güter wurden in den Rappbusen des gemeinen Pöbels geworfen44. Vielleicht ist auch das Wort ,Rabatz4 = Getümmel, Eile, Unordnung eine Nebenform von,Rapuse4, das in der Wndg. Rabatz machen verbreitet ist. ,Rabuschen4 bedeutet aber auch stehlen, etw. in der allg. Aufregung, dem Durcheinander unauffällig verschwinden lassen. Die Rda. Er ist ein Rabuscher heißt demnach: er ist ein Dieb, der sich billige Beute verschafft, indem er aus dem Wirrwarr Nutzen zieht. Die Rda. in die Rapuse gehen: verlorengehen, ist seit dem Ausgang des 17. Jh. öfters bezeugt. In einer gereimten ,Zeitung4 von 1740 heißt es: In Welschland geht es närrisch her, Da werden auch gewiß nunmehr Des Reiches alte Lehen, Die man mit harter Noth behaupt’t Und die schon der und der beraubt, In die Rapuse gehen. Leibniz schreibt in seinen ,Unvorgreifli- chen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache4 von den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland: „und ist nicht weniger unsre Sprache als unser Gut in die Rappuse gegangen44. Auch ein vom Südosten ausgehendes Kartenspiel heißt Rapuse, das in Frankr. auch als ,Rabus(ch)e4 bekannt ist. Bei diesem Spiel werden die Karten durcheinandergeworfen. Vgl. auch Goethes Gedicht ,Die Lustigen von Weimar4 (1812): Montag reizet uns die Bühne; Dienstag schleicht dann auch herbei, Doch er bringt zu stiller Sühne Ein Rapuschchen frank und frei. Diese Bez. kann freilich auch auf frz. grabuge4, ital. ,garbuclio4 = Unordnung zurückgehen oder damit gekreuzt sein. Lit.: Richter-Weise, Nr. 159, S.175L; Kluge-Götze, S.598. rar. Rar wie Maurer schweiß: sehr selten, kostbar; beruht auf der volkstümlichen Ansicht, wonach die Maurer langsame und faule Handwerker sind. Im 19.Jh. sagte man ihnen nach, ein Tropfen Schweiß koste bei ihnen einen Taler. Abraham a Sancta Clara gebraucht im Judas der Erzschelm4 II folgenden Vergleich: „Vorhin war bei diesem Herrn das Beichten so rar, wie Speck in einer Judenküche44. Sich rar machen: selten kommen. Urspr. ist mit der Rda. gemeint, es wolle einer durch seine Abwesenheit sein Fehlen bes. fühlbar machen; vgl. ,durch /Abwesenheit glänzen4 (Küpperl, S.37). rasieren. Jem. kalt rasieren: ihn heftig zurechtweisen; jem. scharf rasieren: ihm die Gurgel durchschneiden. Du mußt dich mal von einem alten Mann rasieren lassen ist ein scherzhafter Rat an einen naiven Fragesteller, in der Sprache der Hamburger Jugendlichen bezeugt (Küpper II, S.232). Rasmus. ,Den hett Rasmus fatt4 ( = den hat Rasmus gefaßt) heißt es in der Seemannssprache, wenn ein Matrose vom Wellengang erfaßt und über Bord geworfen wird; ebenso: ,Rasmus hett nix mihr to fräten4 oder ,Rasmus will sick hüt mal ornlich up- speelen4. ,Wohr di, Rasmus kommt!4 ist ein Warnruf bei schwerem Seegang. Rasmus stellt die stürmische, tobende See dar, die mit gierigen Armen nach dem Menschen faßt. Eigentl. ist damit der heilige Erasmus gemeint. Er ist einer der 14 Nothelfer und 761
Rate bes. auch Schutzpatron der Seeleute. Den Namen dieses Schutzpatrons übertrugen sie nun auf ihren grimmigsten Feind, vor dem er sie schützen sollte. Es ist also ein magischer Name apotropäischer Natur; spricht man ihn aus, so ruft man damit zugleich den Heiligen zu Hilfe. Die Rasmus- Personifikation ist bis in den hd. Reporterstil eingedrungen: „Ab und zu gab es auch hier wieder kleine Unterbrechungen, indem Rasmus mit frechem Gesicht über die Reeling glotzte und mit Donnergepolter auf Deck heruntertapste“ (,Hamburger Correspondent4, 22. Jan. 1910). Lit.: W. Stammler: Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß (1956), Sp.l875f. Rate. In Raten sprechen: stottern, seit 1930 belegt. Auf Raten schlafen: mit Unterbrechungen schlafen. Ehe auf Raten: Ehe, in der der Ehemann aus beruflichen Gründen nur zum Wochenende daheim ist. Alle diese Wndgn. sind modern umg. (Küpper II, S. 232). Ratsche /Karfreitagsratsche. Ratte. Auf die Ratte spannen: scharf aufpassen; eigentl.: wie der Hund (die Katze) vorm Loch auf die zu fangende Ratte. Das ist für die Ratte: das ist umsonst, nichts wert. Anders: Die haben für die Ratten: sie haben mehr, als sie selbst aufessen können, sind wohlhabend. Eine Ratte im Kopfe haben: einen tollen Gedanken haben, etw. närrisch sein; ndd. ,däm löpet en Ratt im Koppe herüm4. Von einem Menschen ohne allen Verstand sagt man: ,Man wird tote Ratten mit ihm fangen4. Wie eine Ratte schlafen: sehr fest schlafen ; eigentl. : schlafen (auch schnarchen) wie ein Ratz. ,Ratz4 ist die obd. Form von Ratte, dann auch Bez. für verwandte Tiere wie Iltis, Murmeltier, Siebenschläfer usw. Das Murmeltier ist als Langschläfer bekannt (vgl. frz. ,dormir comme une marmotte4), während die Ratte weder in Winterschlaf verfällt noch sich durch tiefen Schlaf auszeichnet, im Gegenteil nachts sehr munter herumrennt. Bereits Johann Fischart ( 1546 bis 1590) kennt die Rda. Eine moderne Bildung hieraus ist ,ratzen4, tief schlafen. Eine Ratte {auch Ratze) schieben: beim Kegeln nichts treffen: Die Kugel geht wie eine Ratte zwischen Eckkegel und Bande hindurch (/Pudel). In Anlehnung an die Sage vom .Rattenfänger zu Hameln4 wird ein Verführer (heute bes. in politischer Hinsicht) gern Rattenfänger4 genannt. Rattenfänger 762
Rauchen Von einem, der anderen Rat erteilt, sich selbst aber nicht helfen kann, sagt man: Andern will er Ratten fangen, und ihn selbst fressen die Mäuse'. Schles. ist bezeugt: ,A wil andern Ratten fangen und konem (kann ihm) salber kene Moise fangen'; auch rheinhess. für einen Projektemacher: ,Er fängt gar anderen Leut die Ratten und sich selbst kei Maus'. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff - ein alter Seemannsglaube - wird in übertr. Bdtg. gesagt, wenn Schmeichler und Schmarotzer sich zurückziehen, sobald die Glücksumstände sich ändern; vgl. den Holzschnitt von 1553: Ratten und Schmeichler verlassen das einstürzende ,Die Ratten (und Schmeichler) verlassen das einstürzende Haus' (,das sinkende Schiff') Haus. Der Seemann weiß, daß die Ratte nicht erst das sinkende Schiff verläßt, sondern daß sie oft schon Tage vorher ins Meer springt, wenn sie Anzeichen einer Katastrophe (Untergang, Explosion, Vergiftung) spürt. Die Ratten ertrinken lieber auf offener See, als daß sie mit dem Schiff untergehen. Daher ist ihre Flucht für die Besatzung eine große Warnung. Rattenkönigheißt eigentl. die Erscheinung, wenn mehrere Ratten, mit den Schwänzen verfilzt, aneinanderhängen; bildl.: eine ganze Menge von Fehlern, Mißverständnissen und dgl., die sonst nur vereinzelt auftreten. Die Wndg. gilt heute als veraltet und wird meist ersetzt durch die Wndg. Rattenschwanz von...: eine große Folge von zusammenhängenden Fragen und Problemen usw. Lit.: R. R legier: Dt. Rdaa., in; Zs. f. d. U. 23 (1909), S.526. Ratz /Ratte. Raub. Etw. auf den Raub machen: in aller Eile, nebenher, flüchtig. ,Auf den Raub' baut der Bergmann, wenn es ihm nur auf augenblickliche, schnelle Gewinnung von Metallen ankommt; dann verwendet er auf die Anlegung der Stollen wenig Sorgfalt und denkt nicht an Erhaltung oder spätere gründliche Ausbeutung der Grube. Daher: Raubbau treiben, d.h. eine Wirtschaftsführung bevorzugen, die für den Augenblick einen möglichst hohen Ertrag anstrebt, ohne auf die dauernde Erhaltung der Erzeugungsgrundlagen Rücksichtzu nehmen, z.B. beim Ackerbau, beim Abholzen; übertr.: Raubbau mit seinen Kräften (oder mit seiner Gesundheit) treiben. Von solchem Raubbau stammt auch der übertr. Sinn von Wndgn. wie: ,jem. auf den Raub sprechen', ,etw. auf den Raub abzeichnen' ; wien. ,1 kumm nur auf an Raub', nur auf einen Augenblick. Den Raub unter sich teilen beruht auf Jos. 22,8. Lit.: H. Wolf: Studien zur dt. Bergmannssprache, Mdt. Forschungen 11 (Tübingen 1958). Räuber. Die Rda. unter die Räuber fallen geht auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10,30-37) zurück, wo es im revidierten Text in V. 30 heißt: „Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Räuber". Urspr. stand an dieser Stelle: „unter die Mörder", aber im allg. wurde schon immer sinngemäß richtiger zitiert: Er ist unter die Räuber gefallen: er ist zu Menschen gekommen, die ihn schamlos ausnützen. rauchen. Das raucht: das ist geprahlt; vermutlich eine Erweiterung der Rda. ,einem blauen /Dunst vormachen'; seit 1861 für Berlin belegt. Entspr.: Ich glaube, du rauchst: das kommt mir sehr verdächtig, unglaubwürdig vor. 763
Rauchfang Die Friedenspfeife rauchen /Friedenspfeife. Rauchen wie ein Schlot (Schornstein) : sehr viel, ununterbrochen rauchen. Schlot ist das ostfränk. Wort für Kamin. Es raucht (im Hanse) in der Küche: es herrscht Streit, die Frau schilt mit dem Mann, mit dem Gesinde. Rauchfang /Esse. rauh /Menge. Raupe. Raupen (dafür auch: Graupen) im Kopf haben: absonderliche Gedanken, auch: komische Einfälle haben; jem. Raupen in den Kopf setzen: ihn auf törichte Gedanken bringen; lit. bei Fritz Reuter (,Schurr-Murr4 218): „Der Ratsherr setzt den Schlingels blos Raupen in den Kopf“. Obersächs. ,enne Raupe loslassen4, Unsinn begehen; ,enne Raupe machen4, einen lustigen Streich spielen. Raupen sind auch ein sprachl. Bild für unruhige Gedanken, Schrullen, Schnurren; ähnl. wie Würmer (/Wurm) oder/Grillen. Die auf geführten Rdaa. stammen größtenteils aus der Studentensprache und treten seit dem Ende des 17. Jh. in Erscheinung. Sich wie eine Raupe einspinnen: die völlige Einsamkeit suchen. Wie eine neunköpfige Raupe fressen: sehr viel essen, unersättlich sein. Das fehlt mir noch in meiner Raupensamm- lung:àdiS hat mir gerade noch gefehlt, auch: das besäße ich gern, seit etwa 1910 bes. sold, geläufig. Rechnung. Die Rechnung ohne den Wirt machen:sich zu seinen Ungunsten verrechnen, falsch schätzen, sich täuschen (immer in Beziehung auf etw. Zukünftiges gesagt). Ähnl. schon bei Joh. Fischart ^Bienenkorb4 221 a): ,,Wie der Papst on seinen Wirt gerechnet gehabt“. Auch 1639 bei Lehmann S.936 (,Zehrung4 20): „Wer die Zechohn den Wirth macht, muß zweymahl rechnen44; vgl. ndl. ,zonder de waard reke- nen4; engl. ,to reckon without one’s host4; frz. ,compter sans son hôte4; auch ital. ,chi fa il conto senza Toste, lo fa due volte4. Die Wndgn. seine Rechnung bei etw. finden (wohl eine Lehnübers. von frz.,trouver son compte4), auf seine Rechnung kommen erklären sich so, daß bei einem gemeinsamen Unternehmen ein Teilhaber zum Schluß das gewinnt, was er vorher für sich ausgerechnet hat. Das Schlagwort einer Sache Rechnung tragen: sic berücksichtigen, sich ihr anpassen, ist wohl eine Lehnübers. der ital. Kaufmannsausdrücke ,portare conto4, ,rendere conto4 = Rechnung ablegen, woher auch frz. ,rendre compte4 stammt. Belegen läßt sich der Ausdr. seit der Mitte des 16.Jh., recht in Gang gekommen ist er aber erst in der Mitte des 19. Jh., insbes. in der offiziellen Sprache von 1848. Aus der Kaufmannssprache (oder aus der Rechenlehre?) stammen wohl auch die Wndgn. etw. in Rechnung ziehen: erwägen, etw. außer Rechnung lassen: außer acht lassen, nicht damit rechnen. Eine alte Rechnung begleichen: an jem. Rache nehmen. Einen Strich durch die Rechnung machen /Strich. Er hat seine Rechnung abgeschlossen: er ist gestorben. Seine Rechnung mit dem Himmel machen: seine Sünden bereuen. Schiller verwendet die Rda. im ,Tell‘ (IV,3): Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt! und in ,Maria Stuart4 (I, 2): Schließt eure Rechnung mit dem Himmel ab. Lit.: Zs. f. dt. Wortf. 2 (1902), S. 270; G. Schoppe. in: Mitt. d. schles. Ges. f. Vkde. 19 (1917). S. 139. Recht, recht. Dem Recht den Rücken geben: nicht vor Gericht erscheinen. Scherzhaft: nach dem kanonischen Recht: nach dem Recht des Stärkeren, nämlich dem ,Recht der Kanonen4. Aus 2. Mos. 23,6 und anderen Bibelstellen entnehmen wir das Recht beugen nach Luther, der so übersetzt, gleichviel, ob in der Vulgata ,declinare4, ,opprimere4, subvertere4 oder ,pervertere4 steht. Aber unabhängig von ihm entstand aus den Vulgataworten (5. Mos. 27,19; vgl. dazu 24,17 und Hiob 34,12: „maledictus, qui pervertit iu- dicium“) die Wndg. das Recht verdrehen (vgl. Büchmann, S. 13). Das Recht mit Füßen treten: das Recht schwer verletzen. Nach einem ma. Straf¬ 764
Regel brauch mußten Wucherer und Ehebrecher an drei Sonntagen hintereinander barfuß um die Kirche gehen, sich dann hinlegen und die Leute über sich treten lassen, damit symbolisch das getretene Recht durch die gleiche Vergeltung wiederhergestellt wurde (Krüger-Lorenzen I, S. 97). Das ist der Rechte!Die Rda. ist ein Beweis, welche Rolle die Ironie bei dem Bedeutungswechsel unserer Rdaa. gespielt hat. Dieser urspr.,Rechte' ist völlig in sein Gegenteil umgeschlagen. ,,Es ist gar die rechte, die Camille" heißt es schon in ,Schlampampes Tod1 (111). Er ist an den Rechten gekommen ist ebenfalls iron, gemeint, denn es heißt: an den, der bestimmt mit ihm fertig wird, der ihm eine gehörige Abfuhr erteilen wird. Nach dem Rechten sehen: nachprüfen, ob alles in Ordnung ist. Mit dem Adv. ,recht' gibt es eine große Zahlrdal. Wortspielereien, meist iron. Art, z.B. ,Du hast recht, und dir gehört auch recht, aber mit einem dicken Prügel'; ,Du hast recht, du kommst neben die Mutter Maria in den Himmel'; ,gerade recht wie der Bock zum Feste'. ,Hast recht, sollst gehängt werden'; Schlecht und recht /’schlecht. Das Kind beim rechten Namen nennen /Kind. Etw. ist recht und billig: es entspricht den allg. Rechtsgrundsätzen, es erscheint angemessen. Die Bdtg. von ,billig' = wohlfeil ist erst im 18. Jh. aufgekommen. Bis dahin war ,billig' synonym mit,recht'. Allerdings bez. recht, was den Satzungen gemäß ist, und billig, was dem natürlichen Rechtsempfinden entspricht, ln dieser Bdtg. steht ,billich‘schon im 11. Jh. und ist für alle Jhh. reichlich belegt. Aus der Bdtg. ein billiger = angemessener Preis wurde im 18. Jh. ein niederer Preis. So kam das Wort billig zu der Bdtg. wohlfeil. Inzwischen hat es sich weiter gewandelt und bez. vielfach etw. Minderwertiges, z.B. ein ,billiger Witz'. Die alte Bdtg. hat sich fast nur noch in der Rda. ,recht und billig' gehalten. Rede, reden. Jem. Rede stehen: ihm Auskunft geben, oder jem. zur Rede stellen: Rechenschaft von ihm fordern. Rede ist in diesen Wndgn. nicht das einfache Gespräch oder die Äußerung, sondern die vor Gericht gehaltene Rede, die zu den wichtigsten Teilen des altdt. Gerichtsverfahrens gehörte. Der ,Redner' war der Fürsprecher der Parteien, die ,Einrede' (heute: Gegenrede') war der Widerspruch. Eine Rede schwingen: eine Rede halten. ,Schwingen‘ bezieht sich auf das leidenschaftliche, wirkungsvolle Gebärdenspiel, mit dem der Redner seine Worte begleitet (erst im 20. Jh. aufgekommen). Das Zitat aus Schillers ,Wallenstein' ^Piccolomini'1,2) ,,Was ist der langen Rede kurzer Sinn“ ist auch im Volksmund sprw. und rdal. geworden. Ähnl. auch volkstümlich und sprw.:,Lange Rede - kurzer Sinn' oder ,Kurze Reden - lange Bratwürste' u.a. Das Zeitwort,reden' kommt häufig in Verbindung mit sprw. Vergleichen vor, z.B. ,reden wie ein Buch', ,reden wie ein Wasserfall' (vgl. schwäb. ,der kann schwätze als wie ’n Amtmann'); schon in Joh. Fischarts ,Geschichtklitterung' (S.335) heißt es im rdal. Vergleich: „Er redet wie ein cometi- scher Gesandter vom Himmel mit jhm selber“. ,Er redet davon wie der Blinde von der Farbe', er versteht überhaupt nichts davon; schon in Luthers ,Tischreden' (213 a) gebraucht und in vielen europ. Sprachen üblich (vgl. Wander III, Sp. 1568). ln den Wind reden (nach 1. Kor. 14,9) /Wind. Mit sich reden lassen: zum Verhandeln bereit sein, Zugeständnisse machen. Viel von sich reden machen: berühmt werden. Jem. nach dem Munde reden: so sprechen, daß es ihm zusagt, wie er es hören will. Lit.: L. Röhrich:Gebärdensprache und Sprachgebärde, in: Humaniora. Essays in Literature, Folklore ... honoring Archer Taylor (New York I960), S. 121-149. Regel. Nach allen Regeln der Kunst. Gemeint ist urspr. die alte Tabulatur der Meistersinger, eine Art Gesetzbuch, in dem die Regeln der Kunst des Gesanges von Meistersingern zusammengestellt waren. Diese Tabulatur oder ,die Kunst' erscheint sodann i.S.v. strenger Ordnung und Konve- nienz, bes. hinsichtlich gesellschaftlicher Veranstaltungen und gesellschaftlichen Umganges, schließlich als Inbegriff der Re¬ 765
Regen,regnen geln vom feinen Ton. Alles mußte nach der /Tabulatur geschehen: Es wird dazu geschnürt nach bester Tabeltur Das Müder und der Latz mit einer Silberschnur sagt Rachel in seinen satirischen Gedichten (IX, 103), und in der ,Ehrlichen Frau Schlampampe4 wird (S.65) natürlich auch nach der ,Tablatur4 getanzt. Daß in diesem Sinne Tabulatur und ,Kunst4 völlig füreinander eintraten, zeigt eine ganze Reihe von Stellen. In Heinrich Julius’ Komödie von ,Vincendus Ladislaus4 tut (1,5) der miles gloriosus ,,alle Tritte nach der Tabeltur“, und in V, 1 setzt derselbe, als er zum Herzog berufen ist, „die Füße nach der kunst44. Wer nach allen Regeln dieser Kunst sein Benehmen einzurichten verstand, war natürlich die Krone der Gesellschaft. Heute wird der Ausdr. auch vielfach in iron. Sinne gebraucht, und schon in ,Vincendus Ladislaus4 erscheint etw. von dieser Färbung (Sohns S.697). Am Abend vor der Schlacht bei Leuthen, also am 4. Dez. 1757, hielt Friedrich II. von Preußen an seine Generale und Stabsoffiziere eine Ansprache. Darin begründete er seinen wagemutigen Angriffsplan: „Lassen Sie es sich also gesagt sein, ich werde gegen alle Regeln der Kunst die beinahe dreimal stärkere Armee des Prinzen Karl angreifen, wo ich sie finde“ (,Der König Friedrich der Große in seinen Briefen und Erlassen sowie in zeitgenöss. Briefen, Berichten und Anekdoten4, hg. von G. Mendelssohn-Bartholdy, Ebenhausen 1912, S. 321). Lit.: R. Nagel: Meistersang (Stuttgart 1962). Regen, regnen. Vom (aus dem) Regen in die Traufe kommen: ein Übel vermeiden und dafür einem schlimmeren verfallen, urspr. von einem gesagt, der sich bei Regenwetter an die Häuser unter den überspringenden Rand der Dächer flüchtet, aber dabei unter die Traufe gerät, aus der das gesammelte Dachregenwasser herunterschießt, so daß er doppelt naß wird. Die sprw. Rda. ist in Dtl. in dieser Form nicht älter als drei Jhh. Sie ist vermutlich orientalischer Herkunft. Die früheste Form, die Wander zitiertest ein Beleg vom Jahr 1627: „Auss dem Regen in die Dachtrauff ge- rathen“ (aus Konrad Dietrich, Buch der Weisheit, Ulm 1627, II, 525). Der nächste Beleg stammt von 1797. Die Rda. kommt jedoch auch zwischen diesen beiden Terminen des öfteren vor, z.B.: Wer dem Regen wil entlauffen Kommet offtmals in die Trauffen (J. Simon, Gnomologia, Leipzig 1683, S.211); Er kommt vom Regen in die Traufe (Ms. Breslau 1722, zitiert nach K. Rother, Die schles. Sprww. u. Rdaa., Breslau 1928, S. 17); ,Wer dem Regen entlauffen will, kömmt gemeiniglich in die Trauffe4 (O. W. Schonheim, Proverbia illustrata, Leipzig 1728, S. 51); Es regnet, spricht der Thor, und eilt mit vollem Laufe; Wohin? das siehst du: er stellt sich in die Traufe (C. C. G. Fischer, Sprww. und sittliche Denksprüche zum Gebrauch der Schulen, Halle 1793, S.96, Nr.95). Das Dt. Wb. der Brüder Grimm zitiert verschiedene lit. Belege, bes. aus Gryphius1 ,Horribilicribrifax4 (II. Akt), aus Christian Weise, Lessing, Goethe, Wieland. An früheren Belegen gibt es zwar Sprww. in ähnl. Form und mit ähnl. Inhalt, die aber doch nicht identisch sind. So heißt es z. B. im ,Esopus4 des Bur- kard Waldis (1527): (Mancher) Dem regen offt entlauffen thut Vnd senckt sich in wassers flut. Wer offt dem regen will entlauffen. Im grossen wasser thut ersauffen. Luther und seine Zeitgenossen benutzen gewöhnlich: ,Er entläuft dem Regen und fällt ins Wasser4 (vgl. Luthers Sprww.- Sammlung, hg. v. E. Thiele, Weimar 1900, S.410L). Eine andere Formulierung des 16. Jh. heißt: ,Vom Regen in den Bach kommen4. Noch bei Goethe heißt es in Sprichwörtlich4: „Er springt in den Teich, Dem Regen zu entfliehen“. Aber in arabischen Sammlungen finden wir Formulierungen wie: ,Wir flohen vor dem Regen, da geriethen wir unter die Dachrinne4; ,von der Dachtraufe unter die Dachrinne4, ,,he fled from the rain, and sat down under the waterspout4 (J. L. Burchhardt, Arabic Proverbs, London 1875, S. 167; A. 766
Register Socin, Arabische Sprww. u. Rdaa., Tübingen 1878, S. 11, Nr. 148). Der frühe und allg. Gebrauch bei den Arabern laßt keinen Zweifel an der orientalischen Herkunft dieser Rda. aufkommen. Früher dafür auch: vom Galgen auf das Rad kommen. 1646 bei Gerlingius (Nr. 94): „Incidit in Scyllam cupiens vitare Charyb- dim. Der der Troffen entlauffen will, der kömpt mit all in den Platzregen. Ich wil den Rauch umbgehen, und komme gar ins fewr44. Seit dem 1. Weltkrieg wird die Rda. sold, auch parodiert: .vorn Regen unter Umgehung der Traufe in die Scheiße kommen1, beim Stellungswechsel sich verschlechtern. Weitere Varianten sind: ,aus einem kleinen Regen laufen und gar in den ,Vom Regen in die Traufe kommen1 Teich fallen1; ,sich wegen des Regens ins Wasser verstecken4 (vgl. auch Wilhelm Busch, Aus dem Regen in die Traufe, 1861. Beiträge zu den ,Fliegenden Blättern4). Ebenso ndl. ,van de regen in de drop körnen4; frz. ,tomber de la poêle dans la braise4, ,de fièvre en chaud mal4; engl. ,to fall out of the frying pan into the fire4, ,from the smoke into the smother4 (Shakespeare, As you like it I, 2). Wenn es während einer Beerdigung regnet, sagt man mancherorts (z.B. in der Pfalz): Dem Glücklichen regnet es ins Grab (Mitt. d. hist. Ver. d. Pfalz 20,241). Dieses Sprw. hängt wohl zusammen mit der Vorstellung von den durstenden Seelen, zu deren Beruhigung Wasser ausgegossen werden muß. Der Regen, der auf ein Grab fällt, hat lustrative Kraft, er reinigt den Toten von seinen Sünden. Darum wünscht der Araber dem Toten ,die Regengüsse der Sündenvergebung in sein GralV (Arch. f. Rei. Wiss. XIII,26). Deshalb beerdigt man auch in Oberhessen noch vielfach die unge- tauft gestorbenen Kinder unter der Dachtraufe der Kirche, und auf der Südseite der alten Christenberger Kirche im Burgwald steht noch unter der Dachtraufe ein kleiner steinerner Sarkophag für Kinder. Auf den Kirchhöfen der kath. Dörfer zwischen Karlsruhe und Rastatt fand man ausgeblasene und mit Weihwasser gefüllte Hühnereier an den Grabkreuzen befestigt. Aus einem Löchlein tropft das Wasser ganz langsam auf das Grab, um dem Toten das Fegfeuer zu löschen (Kolbe, Hess. Volks- ' sitten). Ähnl. Vorstellungen gibt es noch heute im Morgenland: Wem es tüchtig auf sein Grab regnet, der wird selig. Allah wird also bes. auf die regnen lassen, die er liebt, also auf die Heiligen. Deckt man daher ein Heiligengrab auf, zeigt man dem Himmel das Grab, so wird er regnen auf das dürstende Land. Lil.: G. Gesemann: Regenzauber in Dtl. (Diss. Kiel 1913), S. 60 f.; R.Jente:German Proverbs from the Orient, in: Publications of Modern Language Association 48 (1933). S. 30-33. Regenschirm. Gespannt wie ein (alter) Regenschirm: sehr begierig, neugierig. Der scherzhaft-groteske rdal. Vergleich ist etwa seit 1900 aufgekommen.. Regiment. Auf Regiments Unkosten leben: auf Rechnung anderer. Mit dem Regiment ist entweder die Heeresabteilung oder die Regierung gemeint. Da es von einer großen Menge Geld, von einer gemeinsamen Kasse abgeht, leistet man sich etw., ohne auf Sparsamkeit zu achten. Auch mdal. ist die Rda. gebräuchl., z. B. in der Steiermark: ,Dos ged af Regiments Unkeste4. Sie führt das Regiment im Hause wird von der herrschsüchtigen Frau gesagt, die allein bestimmen will. Register. Ins alte Register kommen: alt werden, zu den Alten gehören, seit der Mitte des 17. Jh. lit. bezeugt; eigentl.: in das Register kommen, wo die Alten verzeich¬ 767
Reiben net sind; ins alte Register gehören: nichts mehr gelten, aus der Mode gekommen sein ; schlesw.-holst. ,Se hört (geit öwer, kummt) all in’t ole Register4, sie ist (wird) alt; danach mdal. ,ein altes Register4, eine alte Jungfer; lit. bei Christian Weise: ,ins fromme Register kommen4. Entspr. ins schwarze Register kommen: ei- gentl. in das Sündenregister eingetragen werden, schlecht angeschrieben sein; vgl. ndl. ,Hij Staat op het zwarte register4 und frz. ,11 est écrit sur le livre rouge4. ,Sein Register hat ein Loch4, seine Sachen sind nicht ganz in Ordnung. Ein großer, langaufgeschossener Mensch wird auch ein ,langes Register4 genannt, in Analogie der Länge vieler Verzeichnisse, etwa der Urkundenregister. Alle Register ziehen: alle verfügbaren Mittel anwenden, alle Kräfte aufwenden beim Zureden, etw. mit aller Kraft betreiben. Das Bild der Rda. kommt von der Orgel: Register heißen hier bestimmte Pfeifengruppen, die mit Hilfe von Zugvorrichtungen für das Spiel eingestellt werden. Andere Register ziehen: andere Saiten aufziehen. reiben. Sich an jem. reiben: Streit mit ihm suchen, beleidigende Bemerkungen fallen lassen. Im ,Theuerdank‘, einem allegorischen Gedicht von 1517, das die Lebensgeschichte Kaiser Maximilians I. schildert, heißt es: Ich wil all seinem rath absagen Und mich für seiner list und wüten Mit Gottes hilff wissen zu hüten, Wo er sich weitter an mich reibt. Während das urspr. wörtl. im Sinne einer feindlichen Berührung zu verstehende Wort,reiben4 so in die Bildlichkeit hinaufgerückt ist, ist von unten für das eigentl. Reiben in diesem Sinne ,rempeln4 eingetreten. Eine zänkische, ungesellige und widerspenstige Person wird auch als Reibeisen4 bez., was schon 1839 in einer Schimpfwörtersammlung bezeugt ist. Reichartshausen, Reichenbach. Er ist von Reichartshatisen: er sucht schnell reich zu werden. So sagt man im Rheinfriink., indem man mit dem Namen des Weinortes Reichartshausen im Rheingau spielt; ähnl. im Obersächs. bisweilen nach dem Namen der Stadt Reichenbach: ,Der Kuchen (Braten oder dgl.) ist von Reichenbach4, d.h. bes. gut, wie für reiche Leute zubereitet. Reichsparteitag. Es ist mir ein innerer Reichsparteitag: es freut mich sehr; es ist mir ein Vergnügen, ein ,Volksfest4. Nach 1933 bei Schülern und Studenten in ganz Dtl. aufgekommen in Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Nürnberger Reichsparteitagen (Küpper II, S.234). • Reif. Einen Reif anstecken (auch ausstek- ken). Die im 16. Jh. ganz geläufige Rda. ist heute ausgestorben. Einen Reif, d.h. eigentl. einen Kranz, an einer Stange befestigte der Weinhändler an seinem Haus entspr. dem noch heute in Weingegenden geläufigen Zeichen einer ,Besen4- oder ©jmrepffxjfcftecbe ,Kranzwirtschaft4. Da beim Weinkauf zu allen Zeiten immer auch mit Betrug zu rechnen ist, meint die Wndg. in übertr. Bdtg. soviel wie: einen bösen oder falschen Anschein erwecken. Thomas Murner nennt es in der ,Schelmenzunft‘ so, wenn Frauen mit ihren Reizen locken, ohne sich etw. vergeben zu wollen: Der steckt den reiff vergebens auß Der keyn weyn hat in seym hauß Es wurdt fill mancher schelm veracht Der im daß wort doch selber macht Wiltu han eyn erbren schein So zühe den schelmen reiff doch eyn. Die ,Zimmerische Chronik4 berichtet 768
Reim, reimen (11,312): „und gieng eben hiemit zu wie man sprücht, das kein wurt von ains gasts wegen ain raif ußsteckt“. Eis.,durch den Reif gehen4 sagt man, wenn Mensch oder Tier durchbrennen. ,Der ist auch der Reif gesprungen4 heißt es in Schwaben von einem Mädchen, das ledig geboren hat. Reifenschaden. Einen Reifenschaden im Gehirn haben: nicht recht bei Verstand sein; seit dem 2. Weltkrieg (KüpperII, S.235). Reihe. Bunte Reihernache/isagt man, wenn Damen und Herren bei Tisch abwechselnd nebeneinandersitzen. Nachweisbar ist die Rda. erst seit dem 17.Jh., doch ist der Brauch schon in dem ältesten Abenteuer- und Ritterroman Dtls., dem lat. geschriebenen ,Ruodlieb‘ (um 1050), und ähnl. auch im ,Biterolf4 (V.7399f.) geschildert. Auch sonst in der mhd. Dichtung wird ähnl. bezeugt, z. B. in Heinrich von Freibergs .Tristan4 (V.893ff.): her Tristan saz zu tische hin, man sazte Isoten neben in, und ie zwischen zwein vrouwen guot saz ein ritter hochgemuot, eine vrouwe zwischen rittern zwein. 1728 gibt J. B. v. Rohr in seiner ,Ceremo- niel-Wissenschaft4 (S.377) folgende Erklärung: „Bisweilen werden bei Hofe und in andern Gesellschaften sog. bunte Reihen angestellt, da einem ein Frauenzimmer auf einige Stunden durch das Looß zu theil wird... Hat man seine sog. Frau bei der bunten Reihe zur Tafel geführt, so muß man sich alle Mühwaltung geben, sie auf das beste zu bedienen, zu unterhalten usw.“ Goethe beginnt seine venezianischen Epigramme: Sarkophagen und Urnen verzierte der Heide mit Leben: Faunen tanzen umher, mit der Bacchantinnen Chor Machen sie bunte Reihe. In einer Reihe mit jem. stehen: ihm ebenbürtig sein, gleiche Ziele verfolgen. Aus der Reihe tanzen: eigene Wege gehen. Das Bild der Rda. ist nicht vom Paartanz her genommen, sondern von der älteren Form des Reigentanzes, wie er sich beim Volkstanz etwa erhalten hat. Nicht alle in der Reihe haben, nicht alle der Reihe nach gebrauchen: nicht ganz bei Verstand sein, gemeint sind hier die fünf Sinne; nicht ganz in der Reihe sein: nicht ganz gesund sein. In die Reihe bringen: in Ordnung bringen, reparieren. Reiher. Kotzen wie ein Reiher: sich heftig erbrechen müssen. Der rdal. Vergleich bezieht sich wohl auf den heiseren Schrei des Reihers, der den Würgelauten beim Erbrechen ähnl. klingt. Die Rda. ist seit Ende des 19.Jh. gebräuchl. Möglicherweise ist auch an die Art gedacht worden, in der Raubvögel ihre Jungen füttern: sie verschlingen zunächst ihre Beute und würgen sie im Nest wieder hervor, um sie den Jungen schon halb verdaut in den Schnabel zu stopfen. Reim, reimen. Wie reimt sich das (zusammen)? fragt man rdal. bei einer Nebeneinanderstellung von zwei Tatsachen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Derb verspottet Burkard Waldis (gest. um 1556) einmal in einem Streitgedicht den Herzog Heinrich den Jüngeren von Braunschweig: Er habe sich einen Wahlspruch angemaßt, Der sich zu jm reimbt gleich so vil Wie der esel zum seytenspil. Eine Fülle von Vergleichen für schlechte Reime findet sich in z.T. rdal., teils individuellen Prägungen bei Joh. Fischart: „Diß reimt sich fein, wie eyn faust inns Aug44 (,Bienenkorb4 5 a); „das reimt wie eyn zang auff eyn Sau44 (,Bienenkorb4 72b); „das reimt vnd schickt sich wie eyn Haspel auff eyn Topff4 (,Bienenkorb4 143 a). Viele dieser rdal. Vergleiche sind durchaus volkstümlich: ,Es reimt sich wie weiß und schwarz4, ,wie Hans und Friedrich4, ,wie Arsch und Friedrich4; ,wie Sauerkraut und Hobelspäne4, ,wie Glauben und Fühlen4, ,wie ein Igelshaut zum Kissen4, ,wie ein Kälbermagen zu einer Messe4, ,wie Fastnacht und Karfreitag4, ,wie Honig und Galle4, ,wie Speck zu Buttermilch4, ,wie ein Pflug zum Fischergarn4. „Wie soll ich das wieder reimen?44 fragt der alte Daniel, als ihn Franz Moor nach einem Beichtvater schickt (Schiller, ,Räuber4 V, 1). Ein törichtes, sich widersprechendes Geschwätz nennt man ,ungereimtes Zeug4. 769
REISSEN Wenn man einem mehrere sich scheinbar widersprechende Dinge mitgeteilt hat, fügt man wohl auch hinzu: ,Nun mach dir selber einen Vers daraus!4 Andererseits sagt man von Dingen, die gut zueinander passen, daß sie ,sich reimen4, so Uhland im ,Metzelsuppenlied4: Es reimt sich trefflich: Wein und Schwein, Und paßt sich köstlich: Wurst und Durst, Bei Würsten gilt’s zu bürsten. Wenn wir uns über stümperhafte Reimereien lustig machen, gebrauchen wir das Wort ,Reim’ dich, oder ich freß’ dich!"; aber auch übertr. gebraucht i. S. v.: geht es nicht gütlich, so geht es mit Gewalt.,Reime dich, oder ich fresse dich4 ist der Titel einer in Nordhausen 1673 erschienenen Satire. Unter dem Pseudonym Hartmann Reinhold verbirgt sich der Verfasser Gottfried Wilhelm Sacer (1635-99). In der Schrift verspottet der Verfasser die Unsitten der damaligen Poeterei. Anfangs auf ungeschicktes Reimen gemünzt, drückt die Rda. heute aus, daß bei Erledigung einer Angelegenheit äußere Schönheit und Sauberkeit nicht berücksichtigt werden können (vgl. Goedeke, Grundriß, 2.Aufl.3, 239; Büchmann, Küpper). Bei Joh. Fischart (,Aller Praktik Großmutter4, 1623, S.591) findet sich: „Reim dich oder du must die Stieg hinein44; bei Abraham a Sancta Clara: „Reim dich Bundschuh“ (,Judas4 1, 10) sowie „Reim dich oder ich iß dich“. Sich keinen Reim auf etw. machen können, keinen Reim auf etw. finden: sich etw. nicht erklären können, mit etw. nichts anfangen können. Die Rda. erklärt sich aus der Schwierigkeit, auf manche Wörter (wie z.B. Mensch) ein Reimwort zu finden. Sich seinen eigenen Reim auf etw. machen: sich sein(en) Teil denken (/denken). reißen. Er läßt sich einen reißen (zu ergänzen: einen Krankenschein): krank sein oder krank werden. Die Krankenzettel waren zusammengeheftet, und jedesmal wurde einer abgerissen, wenn sich jem. krank meldete. Vulgär-umg. sich einen abreißen: masturbieren. Etw. reißen: etw. verdienen, erfolgreich verkaufen. Sich etw. reißen: sich etw. widerrechtlich aneignen, entstand als Verkürzung von sich etw. unter den Nagel reißen (/Nagel). Sich um jem. (etw.) reißen: sich heftig um etw. bemühen. Ein ,Reißer4, d.h. ein Verkaufsschlager, wird dem Händler förmlich ,aus der Hand gerissen4. Spöttisch sagt schon Seb. Franck von einem, der nicht gern gesehen ist: ,Man reisst sich vmb jhn wie vmb die marterwochen4 (Franck I, 117b). Innerlich hin und her gerissen werden: schwankend sein, charakterlich nicht gefestigt sein. Sich am Riemen reißen /Riemen. Reißnagel. Mit Reißnägeln gegurgelt haben: heiser sein; seit etwa 1910 bezeugt (Küpperll, S.235). reitern /glauben. Rennen. Sich ein totes Rennen liefern: einen Wettkampf (und ähnl.) unentschieden austragen; leitet sich vom Wettrennen ab, das nicht zur Entscheidung gelangt und somit für die Buchmacher und Wetter „tot“, d.h. gleichsam ungelaufen ist. Nicht mehr im Rennen sein: ausgeschieden sein, wurde vom sportl. Wettkampf auf den Beruf übertr. Das Rennen machen: als einziger erfolgreich sein. Rest. Jem. den Rest geben: ihn vollends zugrunde richten, ihn seelisch erschüttern, ihn ins Grab bringen. Bezieht sich wohl urspr. auf den letzten Schlag, mit dem man ein Schlachttier tödlich trifft. Dieselbe Wndg. ist aber auch schon früh als Zecherausdr. belegt und bedeutet dann: einen völlig betrunken machen; entspr. seinen Rest weghaben, auch seinen Rest empfangen: völlig betrunken sein. Sich den Rest holen: sich eine schwere Krankheit holen. Der Rest ist für die Gottlosen: geht zurück auf Ps.75,9, /gottlos. Der Rest vom Schützenfest: das Übriggebliebene, der Rest vom Ganzen; seit dem frühen 19.Jh. belegt. Revanche. Revanche für Speierbach! als Androhung von /Rache und Vergeltung hört man noch heute in Hessen und West¬ 770
Riechen, Riecher falen, im übrigen Dtl. ist es unbekannt. M. v. Ditfurth berichtet über den Urspr. der Rda. im 3. Kap. seiner ,Erzählungen aus der hess. Kriegsgeschichte1 (Span. Erbfolgekrieg): „Am 14. Nov. 1703 wurden die dt. Truppen, unter ihnen ein von seinem Erbprinzen geführtes hess. Korps, am Speierbach vollständig geschlagen. Als sich nun im folgenden Jahr, am 13. August, die französisch-bayerischen Truppen gegen Marlborough bei Höchstädt zum entscheidenden Kampfesteliten, erhielt der hess. Erbprinz die Aufgabe, mit seinen Schwadronen die Reiterei der Franzosen zu werfen. Ehe er jedoch das Zeichen zum Angriff gab, soll er im Vorbeireiten den hess. Dragonerregimentern zugerufen haben: Heute, Dragoner, nehmt Rache für Speierbach! In der Tat wurden die Franzosen geschlagen, ihr Feldherr, der Marschall Tallard, gefangen und vor den Erbprinzen geführt, der ihn mit den Worten empfing: Ah, Monsieur le maréchal, vous êtes le très bien venu; voilà la revanche pour Speierbach!44 Bekannter sind folgende Wndgn.: Revanche für Sadowa! - ein 1866 in Frankreich geprägtes Schlagwort - und Revanche für Sedan! Revanche für Pavia! stammt vom Nebentitel ,La Revanche de Pavie4 des 1850 entstandenen Lustspiels von Scribe und Ernest Legouvé: ,Die Erzählungen der Königin von Navarra4. Im 18. Jh. wurde das frz. Verb ,se revanche^ entlehnt und zu ,revanchieren4 umgebildet. Unsere Rda. sich für etw. revanchieren hat heute häufig den positiven Sinn: sich für etw. erkenntlich zeigen, neben dem urspr. rächen, es jem. heimzahlen. Rhabarber. Mit den sich wiederholenden Worten ,Rhabarber, Rhabarber4 wird auf dem Theater das Volksgemurmel gemacht; aus der Theatersprache ist es schon seit der Mitte des 19. Jh. auch in Rdaa. übergegangen, wie Rhabarber machen: in der Masse laut protestieren; quatsch keinen Rhabarber!: rede keinen Unsinn. Rheumatismus. Rheumatismus zwischen Daumen und Zeigefinger haben: kein Geld haben, denn mit Daumen und Zeigefinger wird Geld aufgezählt. Anhänglich wie Rheumatismus: treu ergeben, dienstbeflissen, aufdringlich, nicht loszuwerden (Küpper II, S. 236). Volksetymol.-spielerisch wird das Fremdwort unter dem Einfluß von ,Reißen in den Gliedern1 oft auch zu ,Reißmatismus4, .Reißmichtüchtig4 und berl. ,Reißmirtüch- tig‘ scherzhaft umgeprägt. richtig. Mit jem. ist nicht alles richtig und Mit einer Sache ist nicht alles richtig: der Mensch ist unheimlich, er verfügt über übernatürliche Kräfte und: mit einer Sache, an einem Ort geht es nicht mit rechten Dingen zu, es spukt. Urspr. besagten die Rdaa., daß Magie im Spiele sein müsse, heute bedeuten die allg. gebräuchl. Ausdrücke, daß jem. oder etw. außerhalb der gesellschaftlichen, sittlichen oder rechtlichen Norm steht. Die Feststellung Bei ihm ist es (im Oberstübchen) nicht ganz richtig meint: er ist nicht bei Verstand, es spukt bei ihm im Kopf. Doppeldeutig ist die pomm. Rda. ,He is richtig, hett Stroh in d’ Stebel4, denn es heißt entweder: er ist schlau, er hat seinen Vorteil berechnet, oder iron, ins Gegenteil verkehrt: er ist ein Dummkopf. Ebenfalls iron, zu verstehen ist der Ausruf Du bist mir der Richtige!: gerade der, der am wenigsten zu gebrauchen ist. Zur euphemist. Umschreibung, daß eine Frau wieder schwanger ist, gebraucht man in der Altmark: ,Mit är is’t weddT richtig4. Die Rda. etw. richtig machen: einen Vertrag, ein Verlöbnis schließen, weist auf den urspr. Zusammenhang von richtig und Recht. Eine moderne Wndg. ist: richtigliegen mit etw.:<\as der Situation Entsprechende tun, mit seinen Plänen und Vorhaben genau der allg. Erwartung vieler entgegenkommen. riechen, Riecher. Jem. nicht riechen können: ihn nicht leiden, nicht ausstehen können. Etw. nicht riechen können: etw. ohne ausdrücklichen Hinweis nicht wissen, nicht ahnen können. Dagegen beinhaltet die Wndg. Er muß das direkt gerochen haben: es geahnt, vorhergesehen haben, Erstaunen und Bewunderung für das richtige Verhalten im Hinblick auf das Zukünftige. 771
Riegel Einen guten Riecher haben: eine gute Nase für eine geschickte Gelegenheit haben (1846 bei Willibald Alexis lit. belegt). Das Bild dieser Rdaa. ist von der feinen Witterung des Tieres hergenommen. Nach dem Grabscheit riechen: am Rande des Grabes stehen, auch: Er riecht nach Tannenholz. Den Braten riechen /Braten. Lunte riechen /Lunte. Riegel /Pflock. Riemen. Sich am Riemen reißen: sich zusammennehmen, sich ermannen, sich ermutigen. Die im 1. Weltkrieg aufgekommene Wndg. bezieht sich auf den Riemen, d.h. Gürtel des Soldaten: der Soldat reißt am Riemen, wenn er ihm den vorgeschriebenen Sitz gibt (Küpper I, S.266). Den Riemen enger schnallen: sich einschränken, hungern müssen. Die Rdaa. Es geht ihm an die Riemen und Es geht um seine Riemen: auf seine Gefahr oder Kosten, bewahren die Erinnerung an eine ma. Strafe: dem Verurteilten wurden schmale Streifen (Riemen) aus der Haut geschnitten, /schinden. Riemen schneiden bedeutete: Vorteil aus etw. ziehen, zweifaches Riemenschneiden galt als strafbar. Bei Waldis (IV, 13, 55) heißt es: „Die gselln, die so jrn datum setzen vnd all morgen jr messer wetzen, damit sie zwiefach riemen schneiden, ob sie denn auch an galgen leiden, des soll man kein mitleiden hon“. Sich in die Riemen legen: sàc\\ sehr anstrengen, für etw. einsetzen. In dieser Rda. steht Riemen für Ruder. Riemenstecher. Die Feststellung Er ist ein (alter) Riemenstecher bedeutet: er ist ein bes. schlauer, gerissener Kerl, der alle Vorteile wahrnimmt. ,Riemenstecher1 galt auch als Schimpfwort und bezeichnete ur- spr. den betrügerischen Landstreicher, der auf Jahrmärkten in einen zusammengerollten Riemen stechen ließ. Er konnte es immer so einrichten, daß der Stich der anderen an dem Riemen vorbeiging. Bereits im 13. Jh. erschien die Bez. Riemenstecher im Stadtbuch von Augsburg. Noch ein Edikt Friedrich Wilhelms I. von Preußen vom 28. Jan. 1716 richtet sich gegen sie und stellt sie auf eine Stufe mit Marktschreiern und Komödianten: „Marktschreier, Comödi- anten, Gaukler, Seiltänzer, Riemenstecher, Glückstöpfer, Puppenspieler u. dgl. Gesindel“. Außerdem galt das Riemenstechen als beliebtes Kinderspiel, das besondere Geschicklichkeit erforderte, weil dabei mit dem Griffel in die Schlingen des Riemens gestochen werden mußte, der die Schulbücher zusammenhielt (Wander, Bd. III, Sp. 1684). Riese. Nach Adam Riese. Diese Rda., mit der man die Richtigkeit einer Rechnung zu bekräftigen pflegt, geht zurück auf die verbreitetsten und volkstümlichsten Rechenbücher des 16. Jh.: Adam Rieses (auch Ries, Rys und Ryse geschrieben) Bedienung auff der linihen4 (zuerst 1518 o.O.) und Bedienung auf der Iinihen und federn4 (zuerst 1522 in Erfurt erschienen). Im Gegensatz zu den meisten Rechenbüchern des H?ect>cnu«g,na<f 5er Icnge/ aufffcm finden fcnö $ct>cr. Dar}« futtert tm* turd> tit popart*#» itte/piacticj $fnam.'0Rti gràmlitÇtm wtirrntty tu 2>urc£ 2foam «Xiefen. im ij i o. 3ar. 16. Jh. waren sie alle in dt. Sprache abgefaßt. Der Verfasser, geboren 1492 in Staffelstein bei Bamberg, starb 1559 in Anna- berg im Erzgeb., wo er Bergschreiber war. Seine beiden Söhne Abraham und Jakob Riese hatten ebenfalls einen Ruf als Rechenmeister. Namentlich stand der erstere 772
Rippe in großem Ansehen, und auch dessen Söhne, Heinrich und Karl Riese, erhielten den Ruf ihres Großvaters aufrecht. Seine Rechenbücher aber waren bis in die Mitte des 18.Jh. weit verbreitet. Lit.: B. Beriet: Zur Feier des 400. Geburtsjahres von Adam Riese (Frankfurt a.M. 1892); K. Vogel: Adam Riese, der dt. Rechenmeister (1959); F. Deubner, in: Zs. f. Gesch. der Naturwissenschaften. Technik und Medizin 1 (1960); ders.: ebd. 7 (1970) und S (1971). rin. (Immer) rin in die gute Stube!: tritt ein! „Kommen Sie 'rein in die gute Stube“ soll während der Kaisermanöver im September 1876 eine Leipzigerin zu Prinz Friedrich Carl von Preußen gesagt haben, als er ihr als Einquartierung zugewiesen wurde; 1880 bei Stinde belegt (Büchmann). Eine verwandte rdal. Aufforderung einzutreten ist: Rin ins Vergnügen!und Immer rin in die Kartoffeln! Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln! ist ein Ausruf der Verärgerung über Entschlußlosigkeit oder sich widersprechende Anordnungen. Die Wndg. stammt aus dem militär. Scherz ,Vom Manöver1. Sein Verfasser Friedrich Wülfing (1842 bis 1899) veröffentlichte ihn in Nr. 1885 der fliegenden Blätter1 im Nov. 1881 (Büchmann, S. 364). Ring. Du kannst mich um den Ring pfeifen! ist die verächtliche Abfertigung eines Menschen, der einem lästig oder gleichgültig ist, wobei Ring wohl verhüllend für einen derberen Ausdr. steht. Joh. Fischart (,Ehezuchtbüchlein* S.247) gebraucht „durch den Ring schlagen“. Doch kann Ring sich auch auf eine Runde beim Tanz beziehen; so 1668 bei Christian Weise in den überflüssigen Gedanken der grünenden Jugend* (S. 204): „Wer ein Narr wäre, ließe sich um den Ring fiedeln“, so daß die Rda. also auf eine ähnl. Vorstellung zurückginge wie: ,nach jem. Pfeife tanzen*. Jem. einen Ring durch die Nase ziehen: ihn als einfältig und dumm behandeln. Der Ring durch die Nase bezieht sich wohl auf den an einem Nasenring herumgeführten Tanzbären der Schausteller. Häufig in imperativischer Form: faß dir einen Ring durch die Nase ziehen!* Wem man diesen Rat erteilt, den hält man für unselbständig und einfältig wie einen Tanzbären; vgl. ndl. Jemand een’ ring door den neus steken*. Ein goldener Ring in die Nase eines Schweines (schon lat. ,annulus aureus in naribus suis') i. S. v.: ,Perlen vor die Säue werfen*. Auf den Ehering beziehen sich folgende Rdaa.: einen Ring darauf geben: ein Eheversprechen eingehen; einen zu engen Ring an den Finger gesteckt haben: eine Mißheirat eingegangen sein. Lit.: H. Batike: Geschichte des Ringes (1953). Ringeltaube. Die Ringeltaube begegnet in den Mdaa. häufig als rdal. Bild für etw. Seltenes; z.B. ndd. ,dat sind Rengeldüvcher*, das sind Seltenheiten; ,dat send Ringel- douwen, dei schütt me nit alle Dage*; auch rheinhess. ,du bist en Ringeltäubche*, d. h. was du sagst, ist so gut wie ausgeschlossen, weil die Ringeltauben so selten sind. Rinke(n) /Rang. Rippe. Das kann ich mir nicht aus den Rippen schneiden (auch durch die Rippen schwitzen): etw. Unmögliches kann ich nicht schaffen; ich weiß nicht, wo ich das Geld dazu hernehmen soll. Die Rda. ist wohl eine Weiterbildung der aus der Bibel bekannten Vorstellung, daß Gott aus Adams Rippe Eva geschaffen hat. Ähnl. ostfries. ,1k kann mi doch keen Geld ut de Beenen snieden*. In etw. abweichendem Sinne schwäb. ,Des kann mr net durch die Rippe schwitze*, es will seinen natürlichen Ausgang. Von einem Faulpelz sagt man meckl. ,De hett ne ful Ribb*, von einem Dicken in Ostfriesland ,De hett wat up de Ribben*, übertr.: er hat Vermögen, stellt sich gut. Nichts in den Rippen haben: hungrig, mager sein. Etw. in (hinter) die Rippen kriegen: nach Hungerzeit zu essen bekommen. Bei ihm kann man alle Rippen zählen: er ist sehr mager, schlecht ernährt (schon im 16.Jh. bei Hans Sachs). Einen hinter die Rippen plätschern: Alkohol trinken. Jem. etw. in die Rippen stoßen (schmeißen): ihn bestechen. Ndd. ,Dat steit bi de Ribben*, das setzt den Rippen Fleisch an (z. B. von Kohlsuppe mit Speck gesagt). Durch die Rippen stinken: sehr übel ausdünsten. 773
Riss Riß. Vor dem Riß stehen, vor den Riß treten: für einen entstandenen Schaden die Verantwortung tragen, dafür aufkommen, eigentl.: wie tapfere Männer vor den Riß traten, den der Feind in die Stadtmauer geschlagen hatte, und, sich für andere bloßstellend, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen und weiteren Gefahren vorzubeugen suchten. Das Bild findet sich öfters in Luthers Bibelübers., z. B. Hes. 22,30: „Ich suchte unter ihnen, ob jemand sich eine Mauer machte und wider den Riß stünde gegen mir für das Land, daß ich’s nicht verderbete; aber ich fand, keinen“; ebd. 13,5 heißt es von den falschen Propheten: „Sie treten nicht vor die Lücken und stehen nicht im Streit am Tage des Herrn“;ferner Ps. 106,23: „Under sprach, er wollte sie vertilgen, wo nicht Mose, sein Auserwählter, den Riß aufgehalten hätte“. Im 18.Jh. tritt dafür die Wndg. ,in die /Bresche treten4 ein; doch findet sich ,für den Riß stehen4, für den Schaden aufkommen, Hilfe bringen, noch landschaftlich in den Mdaa., z. B. obersächsisch. Es gibt mir einen Riß: ich erschrecke, von dem reißenden Gefühl der Nervenerregung abgeleitet; bes. oesterr. üblich. Einen Riß im Kopf haben: nicht recht bei Verstand sein. Ritten. Daß dich der Ritten schütt! ist ein alter rdal. Fluch. Ritten ist das altdt. Wort für Fieber, von diesem Lehnwort erst im 17. Jh. verdrängt. Mit Ritten bezeichnete man vom 14. bis 16. Jh. vor allem ein sehr verbreitetes pestartiges Fieber, das die Leute jäh ergriff und dahinraffte. Lit. bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg (,Sünden des Mundes4 39): „Das dich der rit schit!“ oder „Das im got den ritten geb“; bei Joh. Pauli (,Schimpf und Ernst4): „Das Gott dem kargen Schelmen den ritten gebe44. Bei Thomas Murner in der ,Schel- menzunft4 findet sich die Rda. sehr häufig: „Ich zitter als mich der ritten schit“, „Wolt Got, das sie der ritte schit“; ebenso bei Hans Sachs (IV, 44): „Geht hin, dass euch der Riet schüttelt“. Weitere lit. Belege bei Wander III, Sp. 1695f. Lit.: O. v. Hovorka u. A. Kronfeld: Vergleichende Volksmedizin, 2 Bde. (Stuttgart 1908 u. 1909), Bd. I, S.l 35 ff. Rock. Rock wie Hose: eines wie’s andere, gleichgültig; veraltet, heute gewöhnlich: Jacke wie Hose4 (/Jacke). Den bunten (moderner: grauen) Rock an- ziehen: Soldat werden; so auch in den Mdaa., z. B. schlesw.-holst. ,im kommenden Johr schall mien Jung den bunten Rock anhebben4. Die Redewndg. vom ,bunten Rock4 ist bibl. Urspr. und findet sich zuerst l.Mos. 37,3. ,Sich e rots Reckei verdiene4 heißt im Elsaß: sich durch Verleumdung eines Dritten einschmeicheln wollen. Einen grauen Rock verdienen wollen sagt man von uneinigen und schwatzhaften Dienstboten und Ohrenbläsern. Schon Murner gebraucht diese Wndg. in seiner ,Schelmenzunft‘ (10): „Ich heiss knecht heintz, vnd hab mer gsellen, die alzeit mehr aussrichten wollen, dann man jn beuolhen hat, doch selten mit einer guten that. Nur mit falschen Schelmenstücken, das wir all Ding zu Vnfal schicken, vnd vnserm Herrn zu ohren tragen, was wir wissen, jnen sagen. Was wir nit wissen, liegen wir; bist du weise, hiit dich vor mir. Wer mich dingt, fart an ein stock, vnd muss mir geben ein grawen Rock“. In Ostfriesland hört man: ,Se hett 4n grönen Rock an4, sie ist längst gestorben, auf ihrem Grab wächst Gras. Das Hemd ist (mir) näher als der Rock. Die sprw. Wndg. ist schon röm. bezeugt. Im ,Trinummus4 (V, 2,30) des Plautus heißt es: „Tunica propior pallio44. Die lit. Belege finden sich bis in die Neuzeit. So sagte z. B. Bismarck in der Sitzung des Preuß. Abgeordnetenhauses am 22. Januar 1864: „Kommt es zum Äußersten, so ist mir das Hemd näher als der Rock44. Einen steinernen Rock anziehen: ins Gefängnis kommen. Sich den Rock nicht zerreißen lassen: sich nicht nötigen lassen. Lit. in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (I.Buch, Kap. 29): „Ich ließ mir nicht lange den Rock zerreißen, sondern folgte meinen Begierden44. Rohr, Röhre. Etw. auf dem Rohre haben: es darauf abgesehen haben, seine Aufmerksamkeit darauf gerichtet haben; hergeleitet von dem Rohr des Gewehrs, über das hinweg der Schütze das Ziel ins Auge 774
Rohrspatz faßt (in gleichem Sinn: ,aufs Korn nehmen', /Korn; ,auf der Muck haben1, /Mücke, vgl. ,auf dem Kieker haben', ,auf dem Visier haben4). Christian Felix Weiße schreibt in seinen ,Lustspielen4 (1783, Bd. Ill, S. 101): „Er hat gewiß wieder etwas auf dem Rohre44. Vom Gewehr her genommen ist auch Das Rohr ist geladen: ich bin zum Kampf bereit. Vom Schilfrohr: Er weiß sich aus jedem Rohreine Pfeife zu schneiden: er findet sich in allen Lebenslagen zurecht. Er hat im Rohr gesessen, ohne sich Pfeifen zu schneiden: er hat eine günstige Gelegenheit nicht ausgenutzt. Der rdal. Vergleich wie ein schwankendes Rohr (im Wind)i\ix einen charakterschwachen oder unschlüssigen Menschen ist bibl. Urspr.; Luk. 7,24 heißt es: „Wolltet ihr ein Rohr sehen, das vom Winde bewegt wird?44 Rohr meint in der gegenwärtigen Umgangssprache auch eine Flasche Alkohol, vor allem Bier; daher: ein Rohr anbrechen: eine Flasche öffnen, ein Rohr brechen: eine Flasche trinken. ///(oder durch) die Röhre gucken: leer ausgehen, das Nachsehen haben; vor allem auch berl. ,in die Röhre kieken4; bair. erweitert: ,mit’m Ofenrohr ins Gebirg’ schaung4. Das Bild der Rda. ist entweder vom Fernrohr genommen, mit dem man in den Mond guckt (was ja dieselbe Bdtg. hat), oder von der Abtrittsröhre, wodurch Verwandtschaft mit dem gleichbedeutenden ,in den /Eimer sehen4 besteht. Dazu auch das Scherzwort: ,Das Leben ist eine Klosettröhre: man macht viel durch4. Auch eine eng anliegende Hose wird als Röhre bez. Heute meint man damit auch die Bildröhre beim Fernsehen. Rohrspatz. Schimpfen wie ein Rohrspatz (auch wie ein Rohrsperling; ostfries. ,he schellt as’n Reitlünink4). Alwin Voigt (Programm der 1. Realschule zu Leipzig, 1892) sagt über diesen Vogel (Acrocephalus tur- doides): „aus den Schilffeldern, welche die Ufer umsäumen, ruft ein Vogel ohne Unterlaß karra, kara, karrn - kint, kint, kint, weshalb man ihn in Holland Karrakind nennt. Das Karra-Karrn macht ganz den Eindruck, als sei es dem Froschkonzert entlehnt; das Kint-Kint klingt mehr rufend oder schreiend als pfeifend und liegt mindestens eine Quinte höher als das Schnarren und Karren44. Der rdal. Vergleich selbst ist aus dem 18.Jh. belegt, z. B. bei G.A. Bürger: Sie schimpfte wie ein Rohrsperling, Wenn man sie wollte necken, bei Wieland (,Pervonte4, 2. Teil, V.56): „und wie ein Rohrspatz auf mich schimpfet“. Zelter an Goethe (6.-9. Nov. 1830): „Alle (Personen in Grillparzers ,Medea4) quälen sich und schimpfen wie die Rohrsperling“. Rohrspatz ist der volkstümliche Name des Drosselrohrsängers, Acrocephalus arundinaceus, auch Rohrschliefer, Rohrsperling, Flußnachtigall, großer Spitzkopf u.a. genannt. Rohrspatz (,Schimpfen wie ein Rohrspatz') Der Ornithologe Naumann schreibt über diesen Vogel: „Seine Lockstimme ist ein schnalzendes tiefes Tack oder Zatsch und ein knarrender Ton, dumpfer und gröber als das Knarren der Nachtigall. Dies tiefe schnarchende Karr oder Scharr hört man bes., wenn er etwas Auffallendes in seiner Nähe bemerkt. In der Angst stößt er harte schäckernde Töne aus, die der Stimme eines Würgers ähneln, und die Jungen haben, solange sie der elterlichen Pflege bedürfen, eine quäkende Stimme, die dem Lockton des Bergfinken gleicht. - Das Männchen läßt seinen sehr lauten und nicht unangenehmen Gesang hören, sobald es im Frühjahr bei uns ankommt. Es gibt Liebhaber, die ihn schön finden und sehr gern hören, 775
Röhrwasser er klingt auch, bes. des Nachts oder in der Dämmerung, höchst angenehm, zumal weil er auf dem Wasser so widerhallt und der Ton dadurch verstärkt wird; allein es gibt auch viele Menschen, welche ihn schlecht finden und die Töne mit dem Quaken der Laubfrösche vergleichen. Ganz unrecht haben denn nun diese auch nicht; denn das Kärr kärr kärr - Dore dore dore - karre karre karre - kai kei ki - karra karrakied und andere ähnliche Strophen haben wirklich viel Ähnlichkeit mit Froschmusik... Ihre Unruhe und Zanksucht treibt sie bald hier-, bald dahin, und wo mehrere Pärchen beisammen nisten, nimmt der Hader kein Ende... Ihre Zanksucht ist indessen meist nur gegen ihresgleichen gerichtet; mit anderen befiederten Bewohnern des Rohres leben sie häufig in friedlicher Nachbarschaft beisammen“. In Mecklenburg hat das Volk der sonderbaren Melodie einen entspr. Text unterlegt: ,Korl, Korl, Korl, Korl? Kikik! Ki- kik! - Wecker, wecker, wecker, wecker? - De Dick, de Dick, de Dick!4 (Karl, Karl, guck, guck!- Welcher, welcher? - Den Dicken, den Dicken!). Lit.: Brehms Tierleben, 4. Aufl. hg. v. O. zur Strassen, Vögel IV. Bd. (Leipzig u. Wien 1913), S.82ff.; Naumann: Naturgesch. der Vögel Mitteleuropas (Gera o.J.), 11,52. Röhrwasser. Ausbleiben (oder wegbleiben) wie Röhrwasser: unvermutet auf einmal wegbleiben, auch: stumm bleiben. Noch heute kommt es vor, daß das Wasser aus einer Rohrleitungaus irgendeinem Grunde plötzlich nicht mehr zum Hahn heraustritt, wenn man ihn aufdreht; viel öfter geschah dies bei den unvollkommenen technischen Einrichtungen älterer Zeiten. Die Rda. findet sich schon 1673 bei Christian Weise in dem Roman ,Die drei klügsten Leute4 (S. 195): „Die Autorität und Geschicklichkeit bleiben unterweilen außen wie das Röhrwasser“; bei Goethe im ,Faust4 (II, V.4832L): Subsidien, die man uns versprochen, Wie Röhrenwasser bleiben aus. In Ifflands Jägern4 (1,5) sagt der Oberförster von Kordelchen: „Es geht ihr mit ihren Liebhabern wie uns mit Röhrwasser - sie bleiben aus“. Rolle. Eine große Rolle spielen: wichtig sein, von Ansehen und Bedeutung sein; wohl erst aus dem 18.Jh. nachzuweisen. Ebenso: keine Rolle spielen: nicht viel zu sagen haben; auch von Dingen gesagt, z. B. ,GeId spielt bei ihm keine (große) Rolle4, scherzhaft erweitert zu: ,GeId spielt keine Rolle, da nicht vorhanden4. Die Rdaa. sind von der Schauspielkunst entlehnt, wo unter der Rolle eines Schauspielers die ihm zufallenden Worte verstanden werden. Der Anteil des einzelnen Schauspielers an dem aufgeführten Stück wurde seit dem Ende des 16. Jh. auf einen Papierstreifen geschrieben, von dem er auf den Proben die eben gebrauchte Stelle sichtbar hielt, während er das übrige aufrollte. Daher auch: aus der Rolle fallen: sich unpassend benehmen (scherzhaft verdreht zu: ,aus der Falle rollen4), eigentl. wie ein Schauspieler, der den darzustellenden Charakter plötzlich fahren läßt und statt dessen sich selbst gibt. Ferner: sich in die Rolle eines anderen versetzen: einfühlend sein; einem durch die Rolle fahren: seine Absichten durchkreuzen, ihn mißhandeln; mit seiner Rolle zu Ende sein: nicht mehr wissen, was man tun oder sagen soll; er hat seine Rolle ausgespielt: er ist gestorben. Die Rollen vertauschen: Aufgaben, Posten, auch Ansichten vertauschen, wie ausgewechselt sein. Rom. Er ist in Rom gewesen und hat den Papst nicht gesehen (ital. ,essere stato a Roma senza aver veduto il Papa‘) wird auf jem. angewendet, der sich eine berühmte Sehenswürdigkeit hat entgehen lassen, obwohl er an Ort und Stelle war, also gute Gelegenheit gehabt hätte. Schon in einem Fastnachtsspiel von 1457 gebraucht: „Als sei er zu Rom gewesen und hab den babst nit gesehen“. Er will nach Rom und fährt den Rhein hinab: er schlägt einen Weg ein, auf dem man nicht ans Ziel gelangen kann. Vgl. das Sprw. ,Alle Wege führen nach Rom4. Es ist mir eben, als wenns zu Rom donnert: es ist mir sehr gleichgültig; so schon bei Burkard Waldis: „Welches den kauffman so wundern that, als obs zu Rom gedonnert het“. Die Beteuerungsformel Ich wollte lieber rücklings nach Rom wallen (mit der Ergän- 776
Rose zung: ,wenn es nicht wahr ist") hat sich heute nur noch in den Mdaa. erhalten, z. B. Schweiz. ,i will hindersi ge Rom laufe1. Man könnte nach Rom gehen und wieder kommen sagt man, wenn etw. ungewöhnlich lange dauert (auch ndl. ,men zoude eerder naar Rom gaan en wederkomen4). Rom hat gesprochen: die Sache ist nun endgültig entschieden. Sie ist nach Rom gereist verhüllend für: sie ist in die Wochen gekommen. Von einem stumpfen Messer sagt man: Darauf kann man (bis) nach Rom reiten (/Messer). Zustände wie im alten Rom /Zustand. röntgen, Röntgenaugen. Die durchdringenden Röntgenstrahlen sind rdal. auch auf den menschlichen Blick übertr. worden: röntgen: jem. scharf beobachten; Röntgenaugen machen: durchdringend blicken, durch dünne Bekleidung hindurch noch tiefer blicken wollen (Küpper II, S. 237). Rose. Auf Rosen gebettet sein, auf Rosen gehen, auf lauter Rosen sitzen usw. sind Rdaa. zur bildl. Umschreibung eines sehr glücklichen Zustandes; ebenso ndl. ,op ro- zen gaan1; frz. ,être (couché) sur des roses4, ,son chemin est jonché de roses4; engl. ,their path is strewn with roses4. Entspr. das Gegenteil: nicht auf Rosen gebettet sein: Not, Leid, Sorgen zu ertragen haben. Die Rose ist die Blume der Freude und diente z. B. bei den Gastmählern im alten Rom zum Schmuck auf dem Haupt der Trinkenden; mit Rosen bestreut man noch heute bei festlichen Anlässen (z. B. beider Fronleichnamsprozession oder vor einem Brautpaar) den Boden. Die Spätkultur des Altertums hat es fertiggebracht, sich buchstäblich auf Rosen zu betten ; das lat. Jacere in rosa\ ,in stetem Vergnügen schwelgen4, ist zunächst ganz wörtl. zu verstehen: Der Tyrann Dionys ließ sich zu seinen Ausschweifungen Lagerstätten von Rosen bereiten. Nero ließ bei seinen Schwelgmäh- lern durch Öffnungen in der Decke des Saales Rosen auf die Gäste herabregnen. Verres reiste in einer Sänfte, auf einer mit Rosen ausgestopften Matratze lagernd; dabei hatte er einen Rosenkranz auf dem Kopf und einen um den Hals. Kleopatra ließ zu einem Gastmahl den Fußboden des Speiseraumes eine Elle hoch mit Rosen bedecken. Auch von den Sybariten, den im Altertum wegen ihrer Schwelgereien berüchtigten Bewohnern der unterital. Stadt Sybaris, wird erzählt, daß sie auf Betten geschlafen hätten, die mit Rosenblättern gefüllt gewesen seien. Wir haben die Wndg. aus dem Altertum übernommen; sie wird aber im Dt., so weit sie sich zurückverfolgen läßt, immer nur bildl. und in übertr. Bdtg. gebraucht, wie z. B. in Luthers Spruch: Des Christen Herz auf Rosen geht, Wenn’s mitten unterm Kreuze steht. Ebenfalls nur in übertr. Bdtg. gemeint ist das Rosenstreuen in Höltys 1776 gedichtetem Lied ,Lebenspflichten4, wo es heißt: Rosen auf den Weg gestreut Und des Harms vergessen! Das alte Sprw. ,Es ist nicht auf Rosenblätter zu bauen4, das sich z.B. 1541 bei Seb. Franck findet, erklärt sich so: Wem Rosenblätter gestreut werden, der soll darin nicht mehr als eine für den Augenblick gespendete Artigkeit sehen. Da blüht ihm keine Rose: davon hat er nichts, er erlebt dort keine Freude; das wird ihm keine Rosen tragen: es wird ihm keinen Segen bringen. In manchen sprw. Rdaa. steht die Rose bildl. für die Jungfräulichkeit eines Mädchens (vgl. Goethes ,Heideröslein4). In bezug auf ein gefallenes Mädchen wird z.B. gesagt: ,Die Rose ist zu früh gepflückt4 (ebenso ndl. ,Het roosje is te vroeg ge- plukt4). Pflücket die Rose, Eh’ sie verblüht! heißt es in dem zum Volkslied gewordenen Gedicht ,Freut euch des Lebens4, das Joh. Martin Usteri 1793 in Zürich verfaßt hat. Der rdal. Vergleich einer ,Rose unter den Dornen4 kommt zuerst im Hohenlied vor, wo es 2,1 heißt: ,,Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern44. Sie ist einmal bei einer Rose vorbeigegangen: sie bildet sich nur ein, jung und blühend zu sein. Von denen, die bei der Heirat auf die Schönheit des Gesichts und nicht auf die Güte des Charakters sehen, sagt Joh. 777
Rosette Fischart in seinem ,Ehezuchtbüchlein4, daß sie ,,die Rose küssen und nicht daran riechen“. Unter der Rose reden, etw. sub rosa sagen: unter dem Siegel der Verschwiegenheit; ,durch die Blume4, ,verblümt4 (/Blume); schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg: „unter den rosn kosn“. In der Antike war die Rose ein Sinnbild der Verschwiegenheit und der Liebe. Daher schenkt auch das Venuskind Cupido dem Gotte des Schweigens eine Rose, damit dieser über das Treiben seiner Mutter Stillschweigen bewahre. In Klöstern war über dem Tisch eine Rose aufgehängt oder gemalt, ebenso in einem Sitzungszimmer des Bremer Rathauses, als Mahnung, das, was bei Tische gesprochen wurde, zu verschweigen; daher die lat. Wndg. ,sub rosa4, die seit der Zeit des Humanismus bei uns, wie auch in England, bezeugt und dann mit ,unter der Rose4 übersetzt worden ist. Von einem Tegernseer Mönch des 15. Jh. stammen die Verse: Quidquid sub rosa fatur repetitio nulla sequatur. Sint vera vel ficta, sub rosa tacita dicta. Si quid foris faris haud probitate probaris. In Joh. Fischarts ,Bienenkorb4 von 1579 heißt es: „Sie mögn darvon, wann sie unter den Rosen sitzen mit etlichen Kannen Rheinischen Weins magistralisch disputieren“; 1649 bei Gerlingius (Nr. 176): „Odi memorem compotorem. Was wir hier kosen oder bedryven, dat soll under diser Rosen blyven. Alhie unter der Rosen gesagt“. Ebenso ndl. ,onder de roos4, engl. ,under the rose1. Lit.: R. Hildebrand: Materialien zur Gesch. d. dt. Volkslieds (Leipzig 1900), S. 113ff.; E. Sitte: Vom Röslein auf der Heiden, in: Der Deutschunterricht 11 (1959), S. 96-111; L.RÖhrich u. R. W. Brednich: Dt. Volkslieder II, S.394ff.; L. Röhrich: Liebesmetaphorik im Volkslied, in: Folklore international .. .in honor of W.D Hand (Hatboro 1967), S. 187-200. Rosette. Die Bez. für das Rundfenster ist sold, seit dem 1. Weltkrieg als rdal. Bild für den After gebraucht worden; so erklären sich Rdaa. wie ein komisches Gefühl um die Rosette haben: böse Ahnungen, Angst haben; Sausen in der Rosette haben: mutlos sein, Angst haben; es ist ihm flau (mulmig) um die Rosette: er hat Angst (KüpperII, S.237L). Rosine. Große Rosinen im Sacke haben. Urspr. hat der reiche Kaufmann große Rosinen im Sacke, in übertr. Sinne: große Pläne hegen, hoch hinauswollen. Dann sagt man: große Rosinen im Kopfe haben (/Graupen): überstiegene Pläne hegen, sehr eingebildet sein. Erzgeb. kommt vor: ,Dar huut grüß Rusinken in Kupp, zletzt war’n Pfafferkerner (= Pfefferkörner) draus4. Sich die Rosinen aus dem Kuchen klauben: sich das Beste vorwegnehmen; so auch in den Mdaa., z.B. niederrhein. ,die Rosinen aus dem Kuchen plucken4, jem. das Beste vor der Nase wegschnappen. Er glaubt, die Rosinen im Kuchen gefunden zu haben: er glaubt (irrtümlich), einen guten Fund (oder Kauf) gemacht zu haben. Roß. Das alte Wort Roß ist vor allem in den obd. Mdaa. gegenüber dem jüngeren ,Pferd4 erhalten geblieben, z. B. ,Den bringt man nicht mit sechs Rossen fort4, ,das Roß hinter den Wagen spannen4, .zwischen Roß und Wagen stehen4. In den sprw. Rdaa. sind Roß und Pferd meist auswechselbar. Die älteren lit. Belege sagen meist Roß (vgl. auch die alte stabreimende Zwillingsformel ,Roß und Reiter'): Die ,Pferdearbeit4 ist in den älteren Zeugnissen eine ,Roßarbeit4. So schreibt Joh. Agricola in seinen .Sprichwörtern4 (Nr. 690): „Eyn pferd vnd ein maul thun grosse arbeit, wie droben gesagt ist, darumb wenn man von grosser arbeyt sagt, die schier vber eyns menschen kreffte ist, so spricht man, es sey roßarbeyt“. Christoph Lehmann (817,12) sagt für heutiges ,das Pferd beim Schwanz aufzäumen4 : „Das Ross beim hindern auffzeumen“ = etw. durchaus verkehrt anfangen (/Pferd). Sich aufs hohe Roß setzen (/Pferd). Eine Roßkur durchmachen / Pferdearbeit. Lit.: M. Jahns: Roß und Reiter in Leben und Sprache... der Deutschen (Leipzig 1872). rot. Eitlen Tag im Kalender rot anstreichen: ihn bes. hervorheben, ihn (als einen Freudentag) bes. gut im Gedächtnis bewahren; nach dem seit jeher üblichen Brauch, die Sonn- und Festtage im Kalender mit roter 778
Rücken Farbe zu drucken. Daher auch der alte sprw. Vers: Dem Glauben ist man bald geneigt. Der viel Rot im Kalender zeigt. Den roten Faden verlieren /Faden. Rot (vor allem das ,Rotwerden4) wird in der volkstümlichen Umgangssprache und in den Mdaa. mit zahlreichen sprw. Vergleichen erläutert: ,bis hinter die Ohren rot werden4; ,rot wie eine Rose4 ;,feuerrot werden4; ,so rot wie glühend Eisen4; ,er wird rot wie ein Zinshahn4 ; schles. ,er wird su rut wie enne tudte Lèche4; ,rot wie ein gestochener Bock4; ,rot wie Zunder4; ,wie ein Puter4; ,er wird so rot wie ein gesottener Krebs4; ,rot wie ein gefüllter Schröpfkopf4. Das rote Tuch für jem. sein /Tuch. Einer Sache (jem.) rotes Licht geben: etw. verhindern, die Handlungsfreiheit einschränken. Nur noch rot sehen: sehr wütend werden. Rotz. Das der niederen Umgangssprache zugehörige Wort Rotz = Nasenschleim dient in vulgären Rdaa. und Vergleichen als negatives Steigerungsmittel, z. B. Rotz und Wasser heulen: so heftig weinen, daß auch die Nase mitbetroffen ist; frech wie Rotz am Ärmel. Der drastische rdal. Vergleich bezieht sich auf einen Menschen, der den Rockärmel als Taschentuch benutzt hat; /frech. Sich wie Rotz am Ärmel benehmen: sich sehr ungesittet benehmen. Dazu Schimpfworte wie ,Graf Rotz von der Backe4, ,Baron Rotz auf Arschlochhausen4, Vornehmtuer (Küpper II, S.238). Rübe. Die Rübe ist nach der Volksmeinung keine geachtete Feldfrucht; daher ostfries. ,He kriggt Röwen4, er wird gescholten; ,he kummt damit in de Röwen4, in eine schlechte Lage ; sogar:, ’s geit in de Röwen4, es geht verloren (/Pilz); westf. ,dör de Reiwen gehn4, sterben. Statt ,fünf gerade sein lassen4 heißt es ndd. auch: ,Röwen Beeren (Birnen) sin laten4; vgl. auch ,Kraut und Rüben4 (/Kraut). Nicht wissen, was die Rüben gelten: die Wahrheit nicht kennen, wie es um eine Sache steht, keine Ahnung von etw. haben. Murner gebraucht diese Rda. öfter, z.B. in der ,Schelmenzunft‘ (24) heißt es: Sie lassen sich fürsichtig schelten vnd wissen nit, was die rüben gelten. Landschaftlich wird Rübe auch für ,Kopf4 gebraucht, z.B. obersächs. in dem rdal. Ausruf: ,0 Rübe!4, o je!, auch: ,eins auf die Rübe kriegen4, einen Schlag auf den Kopf bekommen. Rübchen schaben /Schabab. Mit jem. eine Rübe zu schaben haben: mit jem. ein Hühnchen zu rupfen haben (/Huhn). Rübezahl. ,Das ist auch des Ruebzagels seiner Arbeiter ainer gewesen4 sagen die Bergleute, „wann sie ain Khnappen sehen, der da hinkht, oder nur ainen fuess hat44. So schreibt Math. Burgklechner von Thierburg, Kanzler der Regierung zu Innsbruck, 1619. Die Rda. bezieht sich auf eine von Burgklechner mitgeteilte Sage, daß Rübezahl, der am Rammeisberg ein Bergwerk besessen habe, der Urheber einer Bergwerkskatastrophe gewesen sei. Noch in unserem Jh. hat sich die Kunde von einem Bergsturz erhalten, dem vor Jahrhunderten eine große Zahl von Bergarbeitern zum Opfer fiel. Auch die Rda. scheint sich in leicht veränderter Form erhalten zu haben. Die oberschles. Bergleute haben eine ganz entspr. Rda.: Wenn ein Bergmann infolge einer Schlägerei oder eines Falles ein geschwollenes oder zerschunde- nes Gesicht hat, sagt man scherzhaft: ,Den hat der Berggeist hübsch gezeichnet4. Auch hier liegt wohl die Erinnerung an einen bestimmten Vorfall zugrunde, und die Rda. will urspr. nichts sagen als: dem ist es so ergangen wie damals den Leuten bei dem Bergunfall. ,Das ist ein rechter Rübezahl4: er ist auffallend kräftig, gesund und widerstandsfähig (eigentl. rot wie eine Rübe), aber auch: ein verwilderter, bärtiger, alter Mann. Die heute veraltete Wndg. ist bes. in Ost- und Nordböhmen verbreitet gewesen. Lit.: Regelt: Zur Gesch. der Rübezahlsage, in: Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde., Bd. XVI (1914), S.25L; E. Schwarz:,,Das ist ein rechter Rübezahl“, in: Sudd. Zs. f. Vkde. 2 (1929), S. 229-235; G. Heilfurth: Bergbau und Bergmann in der deutschprachigen Sagenüberlieferung Mitteleuropas, Bd.I (Marburg 1966); P. Wolfersdorf'/Die niedersächs. Berggeistsagen, Schriften zur ndd. Volkskunde 2 (Göttingen 1968). Rücken. Einen breiten Rücken haben: viel aushalten, vertragen können; sich um die 779
Ruder nachteiligen Folgen einer Handlung nicht kümmern. Ähnl. auch ndl. ,een brede rüg hebben‘; engl. ,to have a broad back4, ,to have broad shoulders4. Schon Thomas Murner sagt in der ,Schelmenzunft4 (97): So ich eyn bryten rucken hab, Erschrick ich dester minder drab. Die erste Erklärung der Rda. findet sich bei Joh. Agricola in seiner Sprww.-Sammlung (Nr. 170): „Ist nun yemand so redlichs ge- muets, vnd weiß daß man yhm vnrecht thut, wie vil man yn auch beschuldigt, der sagt menlich, er könne es alles wol tragen, er hab eynen breyten rucken, er sey des ge- schreyß gewonet, er achte es nicht, er könne es wol tragen. Eyn breyter rucke ist geschickter zum tragen, denn ein buckel rucke, oder der schmal ist44. Einen steifen Rücken hoben: hochmütig sein. Jem. mit dem Rücken ansehen: ihn absichtlich nicht beachten; gilt ebenso wie einem den Rücken kehren als Gebärde der Verachtung. Von einem Faulen sagt man: ,Der Rücken tut ihm weh, er kann sich nicht bücken4. Die Rda. ist zuerst bei Joh. Agricola in seiner Sprww.-Sammlung erläutert (Nr. 169). Den Rücken wenden (kehren): sich für kurze Zeit entfernen. Nicht den Rücken wenden können (ohne daß etw. geschieht): unabkömmlich sein. Einem den Rücken bleuen steht erstmalig Sir. 30,12: „Bleue ihm den Rücken, weil er noch klein ist, auf daß er nicht halsstarrig und dir ungehorsam werde. Jem. in den Rücken fallen: ihn unerwartet, heimtückisch angreifen. Sich den Rücken decken: für den Fall, daß die Sache mißlingt, einen Weg zum Rückzug freilassen, auch: .sich den Rücken freihalten4. Mit dem Rücken an die Wand zu kommen suchen: ç,ine günstige Position einnehmen; Schutz, Deckung suchen, vgl. ,Riickendek- kung4. Jem. den Rücken stärken (steifen): auch: einem den Rücken halten: ihm beistehen, ihn unterstützen (meist dort gebraucht, wo der Betreffende die Unterstützung nicht verdient hat). Jem. im Rücken haben: Hilfe zu erwarten haben. Etw. im Rücken haben: Vermögen besitzen. Hinter dem Rücken eines anderen: heimlich, ohne daß er es merkt. Auf dem Rücken zur Kirche gehen: eine umschreibend-verhüllende Ausdrucksweise für ,sterben, tot sein4. Ndd. ,Em jokt de Rügge4, er verhält sich so ungezogen, daß er Prügel provoziert. Auf den Rücken fallen: sich erschrecken, entsetzen. Auf den Rücken fallen und die Nase bre- chen:s\oh sehr ungeschickt verhalten, Pech, Unglück haben. Viele Jahre auf dem Rücken haben: sehr alt sein, große Erfahrung besitzen. ... Wo der Rücken seinen ehrlichen Namen verliert, die Verlängerung des Rückens: umständliche, weitschweifige Umschreibung für das Gesäß; bes. beliebt in der speziell berl. Aufforderung: ,Küß mir den Rücken, wo er seinen ehrlichen Namen verloren hat!4 Rückwärts frühstücken (essen): sich erbrechen; seit etwa 1900 bezeugt (Küpper). Ruder. Am Ruder sitzen, das Ruder in den Händen haben, ans Ruder kommen; so auch in den Mdaa.; z.B. ndd. ,de sitt bi’m Roder4, er hat das meiste zu sagen. Ruder ist in diesen seit dem Anfang des lS.Jh. bezeugten Wndgn. in der seemännischen Bdtg. als ,Steuerruder4 zu verstehen, in übertr. Sinne: .Leitung4; z.B. eine Partei, ein Politiker .kommt ans Ruder4. Ebenso: ohne Ruder schiffen: sich der Leitung des Zufalls überlassen, /Steuer. Die Ruder einziehen: ein Vorhaben aufgeben. Er hat seine Zeit am Ruder gestanden: er hat seine Pflicht getan; ostpreuß. .mit diesem Ruder wird er nicht übers Haff fahren4, mit diesen Mitteln wird er den Zweck nicht erreichen, die Aufgaben nicht lösen. Das Ruder nach dem Winde wenden: den Mantel nach dem Wind hängen (/Mantel). Rüffel. Einen Riiffelkriegen:einen Verweis bekommen, getadelt werden. Die Rda. stammt wohl erst aus dem 17.Jh. Rüffel ist eine Rückbildung aus dem Verb .rüffeln4 = derb tadeln, das seinerseits auf ndd. Ruffel = Rauhhobel beruht; vgl. Henricis (Picanders) ,Ernst-Schertzhafte Gedichte4 aus dem Jahre 1727 (1,413): 780
Ruhe Darum besucht das Frauenzimmer, Wer da des Hobelns noch bedarff, Den riefeln sie gewißlich scharff. Doch mag auch mhd. riffeln = durch die ,Riffel\d.h. den Kamm zur Flachsbearbeitung, ziehen, durchhecheln, eingewirkt haben (/Hechel). Ruhe. Ruhe bewahren!: besonnen bleiben, sich nicht von der allg. Aufregung mitreißen lassen, bei vermeintlicher oder wirklicher Gefahr nicht in Panik geraten (/Panik). Die Befolgung dieses Rates hat schon oft Katastrophen verhindert oder die Gefahr für die Beteiligten an einem Unglück herabgesetzt. Eine Mahnung zu überlegtem Handeln kann auch durch die Wndg. Ruhe ist die erste Biirgerpfficht! erfolgen, die eine größere Volksmenge vor öffentl. Aufruhr gegen den Staat in Zeiten der Gefahr warnt. Der Minister Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert richtete diese sprw. gewordene Aufforderung in ei- USevatß die nictyl. £>eë pflu-fpt. nem Anschlagzettel vom 17. 10. 1806 nach der Schlacht von Jena an die Berliner: „Der König hat eine Bataille verlohren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf“. Willibald Alexis gab 1852 seinem Roman ebenfalls den Titel: ,Ruhe ist die erste Bürgerpflicht1 (Büchmann S.678). Die Wndg. kann rdal. auch scherzhaft zur Verteidigung des Müßiggangs gebraucht werden. Die Ruhe selbst sein: sich ganz in der Gewalt haben, eine bewundernswerte Gelassenheitzeigen, sich keine Erregung anmerken lassen. Dagegen beinhalten die Rdaa. sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und die Ruhe weg habent ine gewisse Kritik an Gleichmut und Trägheit oder gar Stumpfsinn eines anderen. Nur seine Ruhe haben wollen, sich außer um sein eigenes Wohlergehen um nichts kümmern. Etw. in Ruhe tun: sich für etw. genügend Zeit nehmen, sich einer Sache ungestört widmen können. Wer sich zu etw. gedrängt fühlt, aber keine Übereilung wünscht, sagt entweder: Nur die Ruhe kann es machen (bringen), oder häufiger: Immer mit der Ruhe! Diese Wndg. erhält manchmal noch scherzhafte Zusätze wie: und dann mit 'nem Ruck oder fährt Großvater in die Schuhe. Sich Ruhe verschaffen: einer erregten Menge Stille gebieten, um zu ihr sprechen zu können. Manchmal geschieht dies durch die folgenden Zurufe: Ruhe im Unterhaus (Kuhstaff), Ruhe auf den billigen Plätzen da hinten!oder berl. ,Ruhe im Saal! Jroßmut- ter will danzen!4 Keine Ruhe finden; nicht zur Ruhe kommen: sich mit Sorgen quälen, überlastet sein, aus den Aufregungen nicht herauskommen, von seinem Gewissen geplagt werden. So klagt z.B. Gretchen am Spinnrad (,Faust41): Meine Ruh’ ist hin, Mein Herz ist schwer. Ich finde sie nimmer Und nimmermehr. Die ähnl. Wndg. keine Ruit' bei Tag und Nacht beruht auf der dt. Übers, einer Stelle des ,Don Jüan4 durch Joh. Friedrich Roch- litz von 1801. Doch bereits in der Offenb. 14,11 heißt es von der ewigen Qual der Verdammten: „und hatten keine Ruhe Tag und Nacht“. Shakespeare übers, die Bibelworte in seine Sprache und schreibt im ,Wintermärchen4 (II, 3): „Nor night nor day no rest“ (Büchmann S. 445). Von einem, der rastlos tätig ist, der etw. nicht lassen kann, heißt es mdal. in Köln: ,Hä hätt gein Rauh bes em de Fingere gliche lang sind4, d.h.: bis er tot ist. Als formelhafte Wndgn. werden gern Ruhe und Rast und Ruhe und Frieden verwendet. Schon in der ,Zimmerischen Chronik4 (4, 399, 18) heißt es: Ir kainer hat nit überlast, mit wollust hand sie ruw und rast. Die heute geläufige Form der Rda. weder 781
Ruhm Rast noch Ruhe haben ist lit. früh bezeugt, zeigt dabei jedoch eine Umstellung der Substantiva, z.B. bei Geiler von Kaisersberg im ,Seelen-Paradies‘ (LXb, 1): „Weder ru noch rast gewinnen“, oder in einem Fastnachtsspiel (1, 2, 40 Ndr.) von Hans Sachs: Das krencket meinen Son so fast, Het darnach weder Ruh noch Rast. Einem keine Ruhe lassen: ihn ständig beunruhigen, ihm Gewissensbisse bereiten, auch: seine Aufmerksamkeit, Neugierde erregen. Hölty meint das lastende Bewußtsein, Böses getan zu haben, das oft neue Schuld hervorbringt, um die Spuren zu verwischen, wenn er dichtet (Werke, 186): Dem Bösewicht wird alles schwer, Er thue was er thu! Der Teufel treibt ihn hin und her Und laßt ihm keine Ruh. Keine Ruhe vor jem. haben: ständig gedrängt, belästigt, gestört, gequält werden. Jem. die Ruhe mitnehmen: sich bei einem kurzen Besuch nicht einmal hinsetzen. Man nötigt deshalb auch einen eiligen Besucher dazu, damit Ruhe und Frieden im Hause bleiben, in der Altmark mit den Worten: ,Nimm mi de Rau nich mit!1 Von dieser allg. verbreiteten Vorstellung zeugen auch die Verse Rückerts (Werke, 318): Geh lieber Gast, nicht von diesem Haus, Ohne dich auszuruhn, Daß du uns nicht trägst die Ruhe hinaus Mit deinen staubigen Schuhn. Die Wndg. Das ist Ruhe auf der Flucht: das ist nur eine kurze Rast (Atempause), ist eine Anspielung auf die in der christl. Kunst so beliebte Darstellung ,Ruhe auf der Flucht1, einer Station bei der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Der Ausdr. Ruhe vor dem Sturm beruht auf guter Beobachtung der Gewitterstille vor dem Ausbruch des Unwetters. In übertr. Bdtg. ist das lastende Schweigen vor einer drohenden Auseinandersetzung gemeint und überaus gut charakterisiert. Die Feststellung Es ist die Ruhe eines Kirchhofs (des Grabes) dagegen ist ein sprw. gewordenes Zitat aus Schillers ,Don Carlos1 (111,10), womit Marquis Posa den unnatürlich starren, leblosen Zustand umschreibt, der ihn schaudern läßt. Die Rda. endlich Ruhe geben: von etw. ab- lassen, nicht weiter drängen und fordern, mit einem lästigen Lärm aufhören, ist häufig auf unleidliche Kinder gemünzt, die die Erwachsenen fortgesetzt stören, vor allem dann, wenn sie sich unterhalten wollen. Sie ist oft in der Form ,Willst du nun endlich Ruhe geben!1 zu hören oder als Tadel: ,Du kannst wieder mal keine Ruhe geben!1 Die Feststellung Nun hat die liebe Seele Ruit!: jetzt bist du ja endlich befriedigt, nun ist nach heftigem Drängen der Wunsch erfüllt, ist meist scherzhaft gemeint mit dem Hintergedanken: jetzt ist alles aufgegessen, zerbrochen, verdorben, ein weiteres Drängen danach verbietet sich von selbst. Die meist in diesem Sinne zu Kindern gesprochene Rda. weist urspr. auf die ewige Ruhe, den Frieden Gottes hin, den die Seele sucht. Sich keine Ruhe gönnen: rastlos tätig sein, sich keine Erholung, keinen Urlaub leisten. Sich zur Ruhe setzen: seine Arbeit, sein Handwerk im Alter aufgeben, seinen Platz jüngeren Kräften frei machen. Die Schweiz. Rda. ,Er isch i d’Rue gestellt" hat ganz andere Bdtg. Sie meint nämlich: er hat sich verheiratet, sein Umherschwärmen hat nun ein Ende. Als euphemist. Umschreibungen für sterben (/zeitlich) und beerdigen dienen die Wndgn. Er ist zur Ruhe gegangen (vgl. ndl. ,Hij is reeds in de rust1) und jem. zur letzten Ruhe bringen. Ruhe finden: innere Ausgeglichenheit, Erlösung von Mühe, Sorge und Leid durch den Glauben finden. Die Wndg. bezieht sich auf den Rat Jesu (Matth. 11,29): „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“. Ruhm /bekleckern. Rühren. Ein menschliches Rühren fühlen (verspüren): Hunger verspüren, Stuhldrang haben. Die Wndg. beruht urspr. auf einem Zitat aus Schillers Bürgschaft1 („Der fühlt ein menschliches Rühren“) und meint das echte Mitleid. Das ,mensch¬ 782
Rute liehe4 hat für die volkstümliche Umgangssprache nichts mit Humanität zu tun, sondern meint das Allzumenschliche und Grobmenschliche in Form von Hungergefühl und Stuhldrang (Küpper I, S. 268). Rummel. Den Rummel kennen (oder verstehen): eine Sache gründlich kennen; wissen, wie ein Geschäft zu betreiben ist, wie die Leute zu behandeln sind; meist in etw. verächtlichem Sinn: allerlei Kniffe wissen; seinen Vorteil im Auge haben; lit. häufig bei Lessing, z.B. in der ,Minna von Barnhelm4 (III, 2): „Mein Herr versteht den Rummel; er weiß, daß der Weg zu den Fräuleins durch die Kammermädchens geht44, und im 40. Stück der .Hamburgi- schen Dramaturgie4: „Leser, die den Rummel einer Tragödie nicht wohl gut verstehen, können leicht darüber irre werden44. Rummel in den Bdtgn. ,Lärm4 und ungeordneter Haufe4 ist eine erst nhd. bezeugte Rückbildung von dem lautmalenden Verb rummeln = lärmen, durcheinanderwerfen. Mit Rummel oder ,Rommel4 bez. man seit dem 17. Jh. auch die gleichfarbigen Karten, auf die im Pikettspiel alles ankommt (eingedeutscht aus frz. ,ronfle4); das Spiel ist heute ungebräuchl. geworden. Der gründlich erfahrene Pikettspieler ,kennt den Rummel4. Der Ausdr. tritt auch in den Rdaa. auf: Ich habe den (ganzen) Rummel satt, ich mache den Rummel nicht mehr mit, ich kaufe den ganzen Rummel, in denen Rummel etwa die gleiche Bdtg. wie ,Kram‘ hat. rund. Es geht rund: es herrscht Hochbetrieb; Rücksicht wird nicht genommen; man zankt heftig; auch soviel wie ,strafexerzieren4 und andere Kasernenhofschikanen, bei der der Bestrafte rund um den Kasernenhof zu laufen hat; etwa seit 1920 aufgekommen (Küpper). Das ist mir zu rund: das kann ich nicht begreifen, nicht fassen. In Pommern hat diese Rda. noch einen Zusatz: ,Dat is mi to rund in minen vêrkant’gen Kopp4. Runde ist das Teilstück eines Wettkampfes (z.B. beim Boxkampf, beim Autorennen usw.); in rdal. Übertr.: etw. über die Runde bringen: einer Sache zu befriedigendem Ausgang verhelfen; noch eine Runde drehen: in der Schule nicht versetzt werden; jetfi. über die Runden helfen: ihm seinen Weg erleichtern; Uber die Runden kommen: die Schwierigkeiten meistern. Eine Runde ausgeben: für alle Anwesenden Getränke spendieren. Die Runde machen: überall schnell bekannt werden, von Hand zu Hand gehen. Russe. Jem. einen Russen aufbinden: ihm Unwahres als glaubhaft ausgeben. Nach 1945 in Leipzig aufgekommen in Abwandlung von ,einem einen Bären aufbinden4, denn der /Bär ist das Symboltier Rußlands. Ruß. Mach keinen Ruß!: Mach keine Geschichten, keine Redereien! Da wird nicht viel Ruß gemacht: da werden nicht viele Umstände gemacht, da wird nicht lange gefackelt; bes. obersächs.; eigentl. vom Rauch und Qualm in der Küche. Westf. ,et is Raut in der Küeke4, der Herr oder die Frau des Hauses ist übel gelaunt. Er färbt den Ruß und verkauft ihn für Weizenmehl: er lügt. Ruß mit Kohlen waschen: Böses mit Bösem vergelten. Rute. Sich selbst eine Rute (auf)binden: eine lästige Verpflichtung eingehen, sich selbst etw. Unangenehmes aufhalsen. Sich die Rute selber flechten: eine Last selbst verschulden. Die Rda. entsprach in Zeiten der Leibeigenschaft durchaus der Wirklichkeit: der zu Züchtigende mußte sich tatsächlich zuweilen die Rute, mit der er geschlagen wurde, selbst binden. Hinterher hatte er noch zu seinem Herrn zu sagen: ,lch danke für gnädige Strafe4, eine Rda., die heute noch im Kartenspiel von dem gebraucht wird, der verloren hat. Erasmus von Rotterdam führt 1528 in den ,Adagia4 (1,1,86) die Rda. in lat. Form an: „Flagellum ipse paravit, quo vapularet44 (er hat die Peitsche selbst bereitet, mit der er Prügel erhalten soll). 1513 verzeichnet Tunnicius (Nr. 712): „Mannich maket eyne rode tot synen egen stêrte44; ähnl. in den zahlreichen Sprww.-Sammlungen des 16.Jh. Sinnverwandte Wndgn. sind: „Im selbs ein galgen aufrichten44 (1561 bei 783
Rutsch Maaler); „Mancher schnitzt jhm selbst ein Creutz“ (1639 bei Lehmann, S.83). Lit. noch im 19.Jh., z.B. bei Immermann (,Münchhausen4 IV, Kap. VII): „Ist’s aber der letztere, dann haben sich die Herren eine Rute gebunden, des sic mich ins Haus nahmen!“ Frz. lautet dieselbe Rda.: ,11 a fait la verge dont il est battu‘ (er hat die Rute gemacht, mit der er geschlagen wird); engl. ,You gather a rod for your own breech4 (du pflückst die Rute für deinen eigenen Hintern). Mit eiserner Rute regieren: mit großer Strenge, geht zurück auf Offenb. 2,27. Sich unter jem. Rute beugen: sich seiner Herrschaft unterwerfen. Kutsch. Einen guten Rutsch ins neue Jahr! wünscht man sich an Silvester; zugrunde liegt die Vorstellung des langsamen, fast unmerklichen Hinübergleitens (seit 1900). Einen Rutsch (Rutscher) machen: eine kleine Reise machen, mdal. seit 1850 für Sachsen, Thür, und Berlin bezeugt. s Sache. Eine Sache drehen, wie man will. Die Rda. ist bibl. Urspr. und geht auf Sir. 19,22 zurück. Dort heißt es vom ,Schalk4: er „kann die Sache drehen, wie er’s haben will“. Das ist (vielleicht eine) Sache!: das ist großartig, hervorragend, ausgezeichnet; verkürzt aus: ,das ist eine große, bedeutende, ausgezeichnete Sache4 o.ä. Das ist Sache mit Ei: das ist ganz hervorragend. Das ist so ’ne Sache: das ist schwer zu entscheiden. Ähnl. Wndgn. auch in den Mdaa., z.B. im Anhaitischen: ,Dat heest mer ene Sache4, da gibt es nichts zu verwundern, dabei ist nichts Außerordentliches. Das sind keine Sachen: so etw. gehört sich nicht. Sache!:- einverstanden! selbstverständlich! Wohl verkürzt aus: ,das ist eine abgemachte Sache4. Mach keine Sachen! Ausruf des Erstaunens; wohl verkürzt aus: ,mach keine unglaubwürdigen Sachen!4; auch: Tu nichts Unerlaubtes, Ungehöriges! Nicht bei der Sache bleiben können: ständig abschweifen, unaufmerksam sein. Bei einer Verhandlung, die durch Nebensächliches verzögert wird, ist die Aufforderung Zur Sache, bitte! oft nötig. Als neue Prägung entstand nach einem Filmtitel die Wndg. ZurSachey Schätzchen!: keine Umschweife, kommen wir direkt zum Geschäftlichen, zum Sex. Im Zusammenhang mit der Sache als Rechtsfall stehen die Wndgn.: einer Sache auf den Grund gehen: etwas genau untersuchen; seiner Sache sicher j£7>7:wissen, daß man im Recht ist, daß man Gewißheit über etw. besitzt und durch vernünftige Gründe überzeugen wird; das tut nichts zur Sache: das ist unwesentlich, bringt keine entscheidend neuen Gesichtspunkte zu einer umstrittenen Angelegenheit; mit jem. gemeinsame Sache machen: sich mit ihm verbinden. Mit -zig Sachen: mit größter Geschwindigkeit; eigentl.: mit soundso viel (.achtzig4 oder .neunzig4) Kilometern Geschwindigkeit beim Auto- oder Motorradfahren; aus der Kraftfahrersprache. Siebensachen /sieben, /Siebensachen. Sachsenspiegel, ,1k warr di den Sassenspê- gel noaschloân (ûtlegen, revendêren)4, ich werde dir den Sachsenspiegel nachschlagen, auch vollschlagen, wobei .Sassenspê- gel4 euphemist. für,Hintern' steht, wie auch in den weiteren derben ndd. Rdaa.: ,den Sassenspêgel wîsen4, einem den Rücken zukehren, den Hintern weisen, urspr. eine wirksame Abwehrgeste, und in der Aufforderung: ,Sett di up dînen Sassenspêgel!4, setz dich auf deine vier Buchstaben! Diese Wndgn. erinnern an das alte Rechtsbuch der Sachsen, das um 1222 von Eike von Repkow aufgezeichnet wurde und dessen Prolog beginnt: 784
Sack Spigel der Saxen sal diz buch sin genant, wende Saxen recht ist hir an bekam, als an einem spiegele de vrouwen ire antlize beschouwen. Luther gebrauchte das Wort,Sachsenspiegel' noch in seiner urspr. Bdtg. als festgelegtes Recht, wenn er schreibt: ,,die heiden sind dem Mose nicht schuldig gehorsam zu sein. Mose ist der Juden Sachssenspiegel" (Werke 3,167b). Die heute noch bes. in Pommern gebrauchten Rdaa. bewahren zwar das Wort, doch dessen alter Sinn scheint nach der humoristischen Umdeutung nicht mehr bewußt zu werden. Sack. Einen in deti Sack stecken: ihm an Kräften überlegen sein; so auch in den Mdaa., z. B. thür. von einem argen Schwätzer: ,he schwatzt en in Sack un us de Sacke'; eis. von einem Schlauen: ,der ist in ken Sack zu bringe'. Seb. Brant im ,Narrenschiff' (83,29): „Allayn der arm (Arme) muß jnn den sack". Auch ,stoßen‘ statt ,stecken‘ findet sich,z.B.im ,Narrenschiff' (69,7f.): Wer andern stoßen wil jnn sack. Der wart auch selbst des backenschlag. Die Rda. hat ihren Urspr. vermutl. in einer bes. Art von Ringkämpfen, wobei der Besiegte vom Sieger wirklich in einen Sack gestoßen oder gesteckt wurde, ln einem alten Lügenmärchen heißt es: Er liuget, er saehe üf einer wise, daz ein getwerc (Zwerg) unde ein rise die rungen einen halben tac. Do nam daz getwerc einen sac, da stiez ez den risen in. In einem hist. Volkslied von 1400 (Lilien- cron 1, 192) heißt es: Und wer den andern übermag, Der schieb in fürbaß in den Sack. Dies war also nicht bloß eine bildl. Rda., wie Grimms Dt. Wb. (8,1611) meint, sondern wurde noch im 16.Jh. bei öffentl. Zweikämpfen ausgeführt. In dieser Weise spielt das ,In-den-Sack-Stecken‘ auch in vielen Volkserzählungen, insbes. Märchen, eine Rolle: so steckt der Geisterbanner den Geist in einen Sack; so zeigt der Meisterdieb seine Geschicklichkeit, indem er Pfarrer und Küster in seinen Sack lockte; ebenso das Bürle (KHM.61) seine List, indem es sich durch einen leichtgläubigen Wanderer aus dem Sack befreien läßt. Das gleiche gilt für den Bruder Lustig (KHM.81), der alles in seinen Sack springen läßt (Bolte-Polivka II, 157f., III, 379). Einen Nachhall dieser Vorgänge könnte man auch in dem Schweiz. Familiennamen des I5.Jh. ,Springinsack' vermuten. Die Wndg. ist jedenfalls noch lange in volkstümlicher Sprache üblich gewesen; 1639 führt sie Lehmann S. 304 (,Gewalt' 10) an: ,,Wer den andern vermag, der steckt jhn in Sack". Constant von Wurzbach (1818-93) berichtet von einem Ringkampf um die natürliche Tochter Kaiser Maximilians II. (1564-66). Die beiden Kämpfer waren des Kaisers Kriegsrat, ein wegen seiner Größe und Leibesstärke berühmter Ritter, und ein vornehmer Spanier. Da der Vater keinen von beiden verletzen wollte, so kam er auf den lustigen Einfall, die Herren miteinander um den Besitz ringen zu lassen, und zwar sollte Sieger sein, wer den andern in einen Sack zu stecken vermöchte. Der Kriegsrat steckte nun wirklich zum großen Gelächter des Hofes den Spanier in den Sack und hatte damit auch gewissermaßen den Kaiser, die schöne Braut und die reiche Mitgift ,im Sacke' (Sack bedeutet obd. ja auch /Tasche). - Bereits bei Joh. Agricola (1528) findet sich die Wndg. in bildl. Gebrauch: „Wer Meister wird, steckt den andern in den Sack"; ebenfalls bei Agricola anläßlich der Erklärung des Sprw. ,Gott hilft dem sterckisten' heißt es: „Gross Gewalt kan Gott nicht erleiden, dass sie lang stehen solle. Die Welt aber sagt also: Gott hyn, Gott her, ich sihe wol, wer den andern vermag, der steckt den andern ynn Sack". Den Mönch im Sack haben: ihn überwältigt haben. Schlafen wie ein Sack:sehr fest schlafen; er ist voll wie ein Sack: er ist schwer betrunken; rhein. ,de löt sech hange wie ne Sack'; oder auch: ,he hängt ennen an den Arm wie ennen Sack'. Der Sack ist noch nicht zitgeb linden: die Sache ist noch nicht zu Ende. Sack und Bändel ist sprw. für eine Hauptsache mit den dazugehörigen kleinen Nebensachen; Da ist der Sack 's Bändel nicht wert: das ganze Ding taugt nichts; rhein. ,Wenn der Sack des Bängels (Bändels) wert ös, dann wierd e zogebonge'; ,do wird och der Bändel dürer 785
Sägmehl als der Sack4, mehr Umstände machen als die Sache wert ist. Er ist wie ein umgekehrter Sack: er hat sich ganz verändert. Schweiz. ,d'Lüt chönnid si mengsmol ommchehre wie en Sack4, ihre Gesinnung völlig ändern. Sack und Pack, dabei meint Sack das Große und Pack das Kleine; der westf. Müller tröstet sich: ,Brenget se nit Säcke, brenget se doch Päcke‘. Einen ganzen Sack voll: sehr viel. „Ein gantzen Sack voll eifers44 findet sich schon bei Seb. Franck. Im Rhein, findet sich eine humorvolle Anwendung: ,Wasste wat ich wollt; eich hätt en Sack voll Gold4. Sack steht auch bildl. für: Gabe, Vermögen; auch geistig; sämtliche Absichten und Pläne; Bismarck (,Reden4 VII, 430): „Ich habe da nach einer vulgären Redensart einen Sack vollständig vor Ihnen ausgeschüttet von all dem, was ich bisher darin hatte44. Jeder hat seinen Sack zur Mühle zu tragen: durch etw. zu leiden, eine Last auf sich zu nehmen. Sackzement (Sack Zement): Fluchwort; entstellt aus,Sakrament4. Schwab, steht die Verbindung ,Sack am Bändel4 euphem. für den Fluch Sackerment. In eine Sackgasse geraten: keinen Ausweg finden, weil das Ende einer Sackgasse geschlossen ist;in übertr. Sinne z.B. bei Goethe. Den Sack schlägt man, den Esel meint man /Esel. In Sack und Asche trauern /Asche. Die Katze im Sack kaufen /Katze. Nüsse durch einen Sack heißen /Nuß. SägmehL Sägmehl ktüipfen: eine unnütze und vergebliche Arbeit verrichten. Man glaubte, daß bes. die alten Jungfern oder Junggesellen solche Arbeiten nach ihrem Tode leisten müßten (vgl. Schneesieber). In der Schweiz bez. man auch einen Geizhals als ,Sagmelchnüpfer\ Daneben bestand die Vorstellung, daß ein bes. Pfiffiger sogar Seile aus Spreu hcrstellen konnte, so in KHM.1I2: ,Der Dreschflegel vom Himmel4. Von dem Bauern, der auf einem Baum bis in den Himmel gestiegen war, heißt es: „Und in der Not wußt er sich nicht besser zu helfen, als daß er die Spreu vom Hafer nahm, die haufenweis dalag, und daraus einen Strick drehte44. Häufiger und älter ist die Behauptung, daß aus Sand Seile geflochten werden. Aus dem Griech. übersetzt, entstanden lat. Rdaa.: ,ex arena funem nectere4 und ,de harena resticulas nectentes4. In der Edda spricht Odin im ,Harbardslied4 (18) von überaus klugen Frauen, die sogar aus Sand Stricke drehen konnten. Fischart schreibt diese bes. Fähigkeit in seinem ,Bienenkorb4 sogar den Ketzern zu und berichtet „vom sand, darauß die alten Ketzer jhre schnür und seyler pflegten zu winden und zu flechten44. Auch das Frz. kennt diese Wndg. für Unmögliches tun:,tresser des cordes de sable4. Sägmehl im Kopf haben: dumm sein. Die Rda. ist in Südtirol bes. häufig, im Dt. ist dafür ,Häcksel (Stroh) im Kopf haben4 geläufiger. Lit.: J. Bolteu. G. Polivka: Anmerk, zu den KHM. der Brüder Grimm, Bd. II (Leipzig 1915), S.513; W.Gott- schalk: Die sprw. Rdaa. der frz. Sprache (Heidelberg 1930), S. 252; Niedner, in: Zs. f. d. A. 31,254; A. Otto: Die Sprww. d. Römer (Hildesheim 1965), S.160; S. Singer: Sprww. d. MA., Bd. I (Bern 1944), S. 172; L. Tobler: Kleine Schriften, S.147; Zachariae, in: Zs. d. Ver. f. Vkde. 17, 186; F.Sarasin: Die Anschauungen der Völker über Ehe und Junggesellentum, in: Schweiz. Archiv f. Vkde. 33 (1934). Saite. Andere (häufig mildere) Saiten auf- ziehen: einen anderen Verkehrston anschlagen, eine andere Behandlungsweise versuchen: „worauf er denn gelindere Saiten aufzog44 (Melissus, Die galante und liebenswürdige Salinde, 1713, S.243). Das Gegenteil ist: die Saiten etw. straffer anzie- hen: strenger Vorgehen; im 16. Jh. in der ,Zimmerischen Chronik4 (Bd.II, S. 187): „Und wurden dem pfaffen die Saiten wol gespannen44. Verwandte rdal. Bilder sind: die Saiten zu hoch spannen: eine Sache zu weit treiben. So schon lit. bei Joh. Fischart (,Aller Praktik Großmutter4 S.642): „Dann wer die Saiten vberspannet...“ Auf der gleichen Saite geigen: derselben Meinung sein, ,in dieselbe Kerbe hauen4. Alle Saiten anspannen: alle Mittel einset- zen, um seinen Zweck zu erreichen. Er kann bloß auf einer Saite geigen: er ist einseitig, er kann nicht so viel, wie er ei- gentl. können müßte. 786
Sa LON LÖWE Eine Saite berühren (anschlagen). Lessing liebte dieses Bild: im .Nathan' (III, 10), als Daja den Tempelherrn fragt, ob er Nathan seine Liebe offenbart habe: „Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß ich selber die Sait' ihm anzuschlagen bereits versucht?“ Daja darauf: „Was? Und er fiel nicht ein?“ - „Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich - beleidigte“. Und als Daja den Weisen zum wiederholten Male bittet, Recha dem Tempelherrn zu geben, sagt Nathan: „Doch die alte Leier wieder? Mit einer neuen Saite nur bezogen, die, fürcht ich, weder stimmt noch hält“. Die Saite darf man nicht anschlagen: diese Angelegenheit darf man nicht berühren, erörtern. Die Saiten herunterstimmen: in seinen Anforderungen nachlassen. In Schillers Kabale und Liebe' heißt es, als Wurm seinen schurkischen Plan entwickelt, Luise die Liebe des Majors und den Ruf ihrer Tugend verlieren zu lassen: „Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf“. Auf der letzten Saite spielen: mit letzter Anstrengung, Kraft etw. tun. Lit.: A/. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Die Mutterprache (1963), S.201 ff. Salbe. Mit allen Salbeti geschmiert: durchtrieben, verschlagen, entspr.: ,mit allen Hundengehetzt' (/Hund), ,mit allen Wassern gewaschen' (/Wasser). Nordböhmisch ist 1892 bezeugt: ,Ar war mit olln Solben geschmiert, ok mit kenner guten' (Müller-Fraureuth II, 987); ndd. ,An den Minsken is kine Salve to striken', wörtl.: an diesen Menschen ist keine Salbe zu streichen, d. h. er ist unverbesserlich böse (Bre- misch-niedersächs. Wb. 1770, IV, 585). Das ist wie die weiße Salbe: das hilft nichts und schadet nichts. Die ,weiße Salbe' aus Bleiweiß und Tierfett war die gebräuchlichste Salbe vom 16. bis 18.Jh. Salm. Eitlen langen Salm über etw. machen: lang und breit davon reden, sich wichtig tun. Salm ist eine schon mhd. übliche vereinfachte Form von ,Psalm'; ndd. ,Dat was en langen Salm', ein langes Gerede; urspr. also gebraucht für den bei der Predigt zu lang empfundenen Bibelabschnitt. Schlesw.-holst, auch: ,He weet keenen Salm to singen', er ist ratlos. Salomo. Der rdal. Vergleich weise wie Sa- lomoberuht auf l.Kön. 4,29ff., auf vielen anderen Bibelstellen und auf dem Titel des apokryphen Buches ,Die Weisheit Salomos an die Tyrannen'. Schon mhd. ist der rdal. Vergleich durchaus geläufig, z.B. ,,daz sin witze niht gein Salomone wac“ (,Willehalm' 448, 12); „sînen wistuom Salomone" (,Erec‘ V.2816). In neuerer Zeit finden sich auch zahlreiche Variationen, wie er ist ein zweiter Salomo; auch der weise Salomo hatte einen Reha beam zum Sohn (ndl. ,de wijze Salomo had wel een Rehabeam tot soon'); er hat Salomos Pantoffeln geerbt: er ist weise, klug; meist aber: er dünkt sich weise. Ähnl. die rdal. Aufforderungen an einen allzu aufdringlichen Fragesteller: .Frage den Salomo, wenn er's weiß, so nickt er'; ,gehe hin zum Salomo, der wird’s wohl wissen'. Salonlöwe. Den Salonlöwen spielen: in einer vornehmen Gesellschaft der begehrte, bewunderte und umschwärmte Mittelpunkt sein, als glänzender Unterhalter die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich ziehen, sich als eleganter Frauenfreund und Herzensbrecher der jungen Damen erweisen. Der Ausdr. entstand zu einer Zeit, als es für bes. vornehm galt, in der besseren Gesellschaft frz. zu sprechen, vor allem aber bei den Zusammenkünften der .Salonlöwe' - »Pariser Löwe' 787
Salz Künstler und Gelehrten in den Salons der gebildeten Damen, die das Pariser Vorbild nachahmen wollten. Vgl. auch die Wndg. ,ein Pariser Löwe sein1, die die gleiche Bdtg. besitzt. Urspr. bezeichnete man den schönen Mann frz. einfach als ,1e beau4; als man diese Bdtg. später nicht mehr verstand, wurde daraus der ,Löwe des Salons4, wobei an die beherrschende Rolle des Löwen im Tierreich gedacht wurde, als der Vergleich entstand. Salz. Damit verdient er nicht das Salz auf (in) die (zur) Suppe: damit verdient er nur ganz wenig. In einem Hochzeitsgedicht vom Jahre 1738 wird der Beruf des Verfassers mit einem Kebsweib verglichen: Und wenn ich nicht stets bei ihr sitze, So ist sie stumm und mausetot Und bringt mir nicht das Salz zur Grütze. Erzgeb. heißt es: ,Dar hot immer geschanzt wie eener, dar’s Salz ufs Brut nutwend’g braucht4; eis. ,Er hat nit Salz uf en Ei4, er hat gar kein Vermögen. Einen Scheffel Salz mit jem. gegessen haben: lange mit ihm zusammen gelebt, ihn genau kennengelernt haben (um einen Scheffel Salz zu verzehren, benötigt man lange Zeit). Mit den Worten ,Wir haben noch keinen Scheffel Salz miteinander gegessen4 weist man allzu große Vertraulichkeit zurück (vgl. Schwein). Schon bei Cicero heißt es: ,,Verum illud est, quod dicitur, multos modios salis simul edendos esse, ut amicitiae munus expletum sit44. Aber schon bevor Cicero die Rda. benutzte, war sie eine alte griech. Phrase. In Heinrich von Wittenweilers satirisch-didaktischem Epos ,Der Ring4 (Wende des 14. zum 15. Jh.) heißt es (V. 4724 ff.): Doch scholt du getrawen swach Einem in vil grozer sach, Hast du noch nicht mit im gessen Ein vierding salz wol aufgemessen, und bei Burkard Waldis (gest. 1596): Wenn du wilt einen freunt erwelen, So mustu gar genaw zelen, Sein zusag nicht zu hoch vermessen, Habst denn viel saltz erst mit jm gessen. Goethe schreibt in ,Hermann und Dorothea4 (6. Gesang, V. 162): Denn ich habe das Sprichwort so oft erprobet gefunden: Eh’ du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret, Darfst du nicht leichtlich ihm trauen. Die Rda. ist auch in den Niederlanden bekannt. Ins Salz hacken gebraucht der Schulmann und Dichter Christian Weise (1642-1708) für verleumden4 (vgl. ,zur Bank hauen4, /Bank); wien. bedeutet: ,an ausn Salz haun4, ihn prügeln. Im Salz liegen:in Bedrängnis, gefangen sein (z.B. in Schillers ,Räubern4 11,3), bair.- schwäb.: im Wochenbett liegen, wobei an das Salz zum Einpökeln gedacht ist. Die eis. Rda. ,Wo’r auf d'Welt kummen is, hän si kein Salz ghabt4 erinnert an das im Altertum sprw. ,attische Salz4, worunter man den Witz feinerer Bildung verstand. Das ist weder Salz noch Schmalz: das ist nichts Halbes und nichts Ganzes, .weder Fisch noch Fleisch4. Das ist Salz in ein krankes A uge: das ist sehr schädlich. Das Salz bringen, wenn die Eier gegessen sind: zu spät kommen. Mit Salz und Brot zufrieden ^///.genügsam, bescheiden sein. Salz ins Meer tragen: etw. Überflüssiges tun, .Eulen nach Athen tragen4 (/Eule). In der Naturgeschichte (.Naturalis historia4 XXIII, 8,149) des älteren Plinius (23-79 n.Chr.) heißt es von einem Gegengiftrezept, daß das Mittel nur „cum grano salis44, mit einem Körnchen Salz versehen, wirksam sei. Das Zitat ist sprw. und rdal. geworden in dem Sinne, daß eine bestimmte Behauptung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und sehr eingeschränkt Gültigkeit haben könne. Entspr. auch ndl. jets met een greintje zout opvatten4; engl, .to take a thing with a grain of salt4. Salzsäule. Zur Salzsäule werden: vor Entsetzen erstarren; aber auch iron, gebraucht bei Überraschungen, die schon keine mehr sind. Die Wndg. ist bibl. Urspr. und bezieht sich auf l.Mos. 19,26: „Und sein (Lots) Weib sah hinter sich und ward zur Salzsäule44. Sand. Einem Sand in die Augen streuen: ihm die Wahrheit entstellt berichten, ihn 788
Sattel täuschen (vgl. frz. Jeter de la poudre aux yeux de quelqu’un1; ndl. Jemand zand in de ogen strooien'; engl. ,to throw dust in a person’s eyesk; amer. ,to pull the wool over a person’s eyes'). Die Wndg. beruht wahr- scheinl. auf einem alten Fechterkniff, es dem Gegner dadurch zu erschweren, daß man ihm Staub oder Sand in die Augen treiben läßt oder geradezu mit einer Hand hineinwirft. So erklärt sich leicht, wie die Rda. im Ndd. auch den Sinn haben kann: einen übertreffen. Ähnl. erklärt 1528 Erasmus von Rotterdam (,Adagia' 2,9): ,,Pulverem oculis offundere. Dicitur, qui de industria rem obscurat et adversario iudi- cium eripit. Traductum videtur a militia". Schon bei dem röm. Schriftsteller Gellius (geb. um 130 n.Chr.) kommt in gleicher Bdtg. vor: ,,Pulverem ob oculos aspergere" = Staub gegen die Augen streuen. Die Wndg. jem. auf den Sand setzen stammt aus dem Turnierwesen, wo der Kämpfer seinen Gegner aus dem /Sattel hob und in den Sand warf. Auf (den) Sand bauen: seine Hoffnung oder sein Vertrauen auf einen schlechten, unzuverlässigen Grund setzen; ndd. ,op Sand is keen good Hus to buwen'; entspr. frz.,bâtir sur le sable1; engl. ,to build on sand'; ndl. ,op zand, zandgrond, bouwen'. Die Rda. ist bibl. Urspr.: Matth. 7,26 steht das Gleichnis von dem ,,törichten Manne, der sein Haus auf den Sand baute", so daß Regen und Wind es zu Fall brachten. Bes. bekannt wurde der Ausdr. durch die Schlußzeile von Neumarks (gest. 1681) Gesangbuchlied „Wer nur den lieben Gott läßt walten", wo es heißt: Wer Gott dem Allerhöchsten traut, Der hat auf keinen Sand gebaut. Sand über etw. streuen: der Vergessenheit übergeben; die Rda. geht auf den Streusand (/Punkt) zurück, mit dem man früher die Tintenschrift ablöschte; weniger wahr- scheinl. auf den Sand, den man auf den Sarg im Grabe streut. Wie Sand am Meer: sehr viel. Dieser rdal. Vergleich der Vielheit beruht auf l.Mos. 22, 17; 32, 13 und anderen ähnl. Bibelstellen. Den Sand pflügen: eine vergebliche Arbeit verrichten; ebenso: in den Sand säen (engl. ,he is sowing on the sand'), Sand in die Wü¬ ste tragen, Sand zusammenknüpfen, /Sägmehl. Sand auf Hagenau führen bedeutet im Elsaß dasselbe wie:,Wasser in den Rhein tragen' (/Wasser). Joh. Fischart verwendet (,Ehezuchtbüchlein' S. 123/6 f.) „Sand zum Meer tragen“ als rdal. Bild unsinnigen und überflüssigen Tuns. Im Sande verlaufen: ergebnislos ausgehen; bildl. vom Wasserrinnsal im Wüstensand. Vielleicht ist auch einfach an eine Spur oder Fährte gedacht, die nur bis zum Sand zu verfolgen ist; der Wind weht sie zu und macht sie im Sande unkenntlich. Sand im Getriebe haben: nicht verstehen, nicht recht bei Verstand sein; der Maschinentechnik entlehnte, modern umg. Wndg.; entspr. auch: einem Sand ins Getriebeschmeißen (schütten, streuen): das erfolgversprechende Vorgehen eines Menschen heimtückisch zu beeinträchtigen suchen. Sang. Ohne Sang und Klang: ohne große Feierlichkeiten, ohne viel Umstände; sang- und klanglos verschwinden: unrühmlich ausscheiden; auch: unauffällig, unbemerkt Weggehen. Die Wndg. bezieht sich urspr. auf die kirchlichen Feierlichkeiten bei einem Leichenbegängnis und bedeutet ei- gentl.: ohne daß zu Ehren des Toten die Glocken erklingen und ein Trauerlied oder ein Requiem gesungen wird; vgl. G.A. Bürgers Ballade ,Lenore‘: Nach Mitternacht begrabt den Leib Mit Klang und Sang und Klage. In anderer Form bei Luther: „Er wird beerdigt ohne Läuten und Däuten, ohne Ge- säng und Gepräng"; vgl. frz. ,déloger sans tambour ni trompette', ,décamper à la sourdine'; engl. ,leave without drum or trumpet'; ndl. ,met stille trom vertrekken'. Sattel. Einen aus dem Sattel heben: ihn besiegen, ihn verdrängen; eigentl.: ihn im ritterlichen Zweikampf zu Pferd aus dem Sattel werfen (/Sand). Wer aus dem Sattel gehoben war, war nicht nur besiegt, sondern nach den strengsten Turnierbestimmungen samt Pferd, Rüstung und Wagen eine Beute des Siegers geworden, in dessen Belieben es stand, ob und wann er den Besiegten freilassen, ob und für welche 789
Sau Summe er ihm Pferd und Waffen zurückgeben wollte. Die Rda. begegnet in übertr. Sinne seit dem 16. Jh.; gebucht ist sie seit 1691 durch Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 (2045). Das Gegenteil ist: sich im Sattel halten, fest im Sattel sitzen; vgl. Goethe im ,Westöstlichen Diwan4: „Laßt mich nur in meinem Sattel gelten!44, und Sprichwörtlich4: Nein! heut ist nur das Glück erbost! Du sattle gut und reite getrost! In den Sattel setzen. Bismarck schloß eine am 11. März 1867 im Nordd. Reichstag gehaltene Rede: „Meine Herren, arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland, sozusagen, in den Sattel! Reiten wird es schon können44 (,Reden4 III, 184). Er wiederholte das Wort in einer Unterredung mit den Abgeordneten Dietze (Barby) und Lucius am 27. März 1874 und nannte es damals schon ein geflügeltes, indem er sagte: „Ich fürchte, dieses geflügelte Wort muß man wieder streichen44. In seinen ,Gedanken und Erinnerungen4 (2,58) schreibt Bismarck im Hinblick auf dieses Wort: „Ich habe nie ge- zweifelt, daß das deutsche Volk, sobald es einsieht, daß das bestehende Wahlrecht eine schädliche Institution sei, stark und klug genug sein werde, sich davon frei zu machen. Kann es das nicht, so ist meine Redensart, daß es reiten könne, wenn es erst im Sattel säße, ein Irrtum gewesen44 (Büchmann, S. 711). Sattelfest sein, in vielen (oder allen) Sätteln gerecht sein: in allem tüchtig, zu allem zu gebrauchen sein; die Rda. bedeutet heutzutage ein Lob; das war es z.T. schon im 16.Jh.; vgl. Hans Sachs' ,Klage dreier Hausmägde über ihre Herrschaft4: (Wir) seind doch auff all settel gerecht, Ein gantzes jar umb kleinen Ion; ähnl. auch im 16. Jh. in der ,Zimmerischen Chronik4 (4, 169): „sich zu allen satteln gebrauchen lassen44, und (2,251): ,,lst zu allen sätteln wie man sprächt, zu schimpf und zu ernst, vor andern seinesgleichen zu gebrauchen gewesen44; verneinend (4,167): „Es ware ihm kein sattel gerecht44; dagegen abschätzig 1649 bei Gerlingius (Nr. 74): „Cothurno versatilior. Vnbeständiger als ein zweyfüßiger schuch. Der ist auf alle Sättel gerecht44. Dazu: umsatteln: das Studium, den Beruf wechseln, eigentl.: in einen andern Sattel steigen (so seit dem Ende des 16. Jh.). Sau wird in vielen derben rdal. Vergleichen gebraucht, z. B. davonlaufen wie die Sau vom 7>ö£:ohne Abschied, ohne Dank oder Gruß Weggehen. Die Wndg. ,Die Sau läuft mit dem Zapfen fort4, auf schlimme Folgen wird nicht geachtet, ist in der ndl. Rdaa.- Malerei mehrfach bildl. dargestellt worden; schreien wie eine gestochene Sau; mit einem umgehen (ihn anfahren) wie die San mit dem (den) Bettelsack (aus dem sie die Treber herauswühlt); bei Luther: „wie die Sau den Habersack44; passen wie der Sau das Halsband:schlecht passen; es so dick hinter den Ohren haben wie die Sau die Läuse: sehr schlau und gemein sein (/Ohr); Augen machen, als ob die Sau sichten (Mehl sieben) hört: erwartungsvoll dreinsehen; schwitzen wie eine Sau. Von zwei Menschen gleichen Schlags sagt man nordostdt.: ,Sie sind wie von einer Sau geferkelt4. Sich benehmen wie eine gesengte Sau: sich sehr schlecht, ungesittet benehmen. „Uns ist ganz kannibalisch wohl als wie fünfhundert Säuen44 in Goethes ,Faust4 (I, ,Auerbachs Keller4) beruht auf einem alten volkstümlichen rdal. Vergleich, den z. B. Thomas Murner einmal in der Form „vierhundert Beckerschweine44 bringt. Vor die Säue gehen: verkommen, ,vor die Hunde gehen4 (/Hund). Die Rda. ist hergenommen vom bibl. Gleichnis vom verlorenen Sohn. Einen zur Sau machen: ihn grob anherrschen, beschimpfen, schinden. Der Betreffende wird zugerichtet, daß er einer geschlachteten Sau gleicht. Ich werde zur Sau! Ausruf des Erstaunens; seit etwa 1900 aufgekommen (Küpper 11, S.244). Älter ist, z. B. bei Joh. Fischart (,Podagrammatisch Trostbüchlein4 106): „Die Sau kurzer am strick fiiren44 = schärfer auftreten. Die wilde Sau (oder Wildsau) spielen: Untergebene gröblichst schikanieren, wütend sein, toben wie ein auch den Menschen angreifendes Wildschwein. Einer fetten Sau den Arsch schmieren: einem Reichen Geschenke machen. ,Einer fetten Sau das Loch schmieren4 auch: als Abweisung, wenn jem. etw. verlangt, was er selbst im Überfluß besitzt. 790
Sau Unb fount’ bie 'lOifbfau 'Raufen jcblaqcii, 2 ?0e) rmirc luftig, md)t ^um lauen 1 ,Die Sau läuft mit dem Zapfen fort4 2 ,Die wilde Sau spielen4 3/4 »Die Sau krönen4 791
Sauer Ich hab 's schon eitler anderen Sau versprochen hört man als Abweisung auf die Aufforderung ,Leck mich am /Arsch!4 Einen Zudringlichen weist man ab mit dem Bemerken, daß man noch nicht die Säue mit ihm gehütet habe, was als eine sehr geringgeschätzte Tätigkeit galt. ln den ,Soldaten4 von J.M. R. Lenz (11,3) sagt Marie: „Papa, denkt doch, was der grobe Flegel, der Stol- zius, mir für einen Brief schreibt; er nennt mich Ungetreue! Denk doch, als ob ich die Säue mit ihm gehütet hätte“. Ähnl. auch in den Mdaa., z.B. rheinhess. ,ich wüßt’ net, daß mer z’sammen die Sau gehüf härre‘ - so wird ein unberechtigter Anspruch Niedrigstehender abgewehrt. Thomas Murner behandelt in seiner Schelmenzunft4 von 1512 auch die, „die die Säue krönen“, d.h. unflätige Reden führen, und läßt ihr Tun im Bilde darstellen; vgl. auch ,die /Sauglocke läuten1. Die Sau in den Kessel stoßen: eine Sache sehr grob erledigen, ist eine alte Rda., die sich samt bildl. Darstellung z.B. in Seb. Brants ,Narrenschiff1 findet: Wer sich uff gwalt im reht verloßt Und henckt sich, wo der wind her bloßt, Derselbe die suw inn kessel stoßt. In der Rangstufe der Haustiere (vgl. ,vom Pferd auf den Esel‘) steht die Sau an einer der untersten Stellen; daher etwa schwäb. ,auf der Sau naus4, eis. ,ich möcht uf der Su furt!4, mir geht die Geduld aus, eigentl.: ich möchte lieber auf dem elendesten Reittier fort als gar nicht, was wohl einer alten obszönen Haltung und Gebärde entspricht. Keine Sau: niemand; Verstärkung der Negation durch das geringschätzige Wort, ähnl. wie ,nicht die /Bohne4. Als Verstärkung dient Sau auch in Zusammensetzungen, wie ,Sauarbeit4, Saubande4, ,Saufraß‘, ,saugrob4, Sauhund4, Sauzeug4 usw. Das ist unter aller Sau: sehr schlecht, wertlos, ,unter aller Kritik4, ,unter aller Kanone4. Die Wndg. ist wahrscheinl. diesen Rdaa. nachgebildet. Sie leitet sich wohl her von der Sau, die bei einem Wettbewerb dem Schlechtesten, d.h. dem Verlierer, als Trostpreis und Spottgewinn zufiel. Sau bedeutet auch soviel wie ,Fehler4 (ähnl. wie ,Bock‘, ,Pudel4 u.a.). Eine Sau machen: einen Fehler begehen; eine Sau haben: Glück haben, Schwein haben4, /Schwein. Die Sau verkaufen: jem. ein Schwein unter dem Preis anbieten, schenken; bedeutet soviel wie: durch unsittliches Tun Unheil über andere bringen. Thomas Murner bringt die Darstellung des Helena-Raubes in der Schelmenzunft4 unter dem sprw. Motto des ,suw-kouffes4, des Schweinever- kaufens. Paris hat durch die gewalttätige Entführung Helenas den Trojanern „eine suw verkauft und dadurch Troja in eschen gelegt“. All diesen verächtlichen Rdaa. gegenüber wird aber die Sau auch als wertvoller Besitz und wichtige Ertragsquelle in der bäuerlichen Wirtschaft gewürdigt und wird so zum Bild für Geschäft, Einnahme, Glück. Sein suw ist ietzund feiszt4 meint: sein Geschäft steht gut, er ist vom Glück begünstigt, und die burschikose Rda. Schwein haben4 darf hier vielleicht ihren Urspr. suchen. Ul.: A. Risse in: Zs. f. d. U. 8 (1894), S. 298; R. Gruen- ler: Thomas Murners satirischer Wortschatz, in: Euphorion 53 (1959), S.27f. sauer. Einem das Leben sauer machen: ihn schikanieren, ärgern, quälen. Die Rda. ist bibl. Urspr.: 2.Mos. 1,14 wird erzählt, daß 792
Saul die Ägypter den Kindern Israel „das Leben sauer machten“. Sir. 11,11 übersetzt Luther: „Mancher läßt es sich sauer werden“, aber doch wohl unter Benutzung eines schon vorher volkstümlich gewesenen Ausdr. sich etw. sauer werden lassen. Sauer sein (oder reagieren): verärgert sein, beleidigt, verschnupft sein; ebenso: sauer aufstoßen. Laß es dir sauer kochen, koch es (oder ihn) dir sauer!: Ausdr. der Abweisung, der Ablehnung. Er kann sich sauer kochen lassen: er ist dumm, unfähig. Es riecht sauer: es steht bedenklich. Sauer werden: die Lust verlieren. Gib ihm Saures!: verprügle ihn tüchtig. Im rdal. Vergleich steht: sauer wie eine Essiggurke\ wie ein Tankwagen mit Weinessig. Inden sauren Apfel beißen (/Apfel); saure Trauben /Traube. Saure-Gurken-Zeit /Gurke. saufen. Das Wort saufen wird durch zahlreiche rdal. Vergleiche häufig verstärkt, wie z. B.: saufen wie ein Bürstenbinder, wie ein Loch, wie eine Senke, wie ein Templer, wie ein Abt, wie ein Domherr (so schon bei Joh. Fischart in der ,Geschichtklitterung‘: „Ich sauff wie ein Tumbher“), wie ein Franziskaner, wie ein Bär, wie ein Frosch, wie ein Füllen, wie ein Igel, wie ein Nilhund (ebenfalls schon bei Joh. Fischart in der ,Geschichtklitterung4: „Er saufft so gählich wie ein Hund aus dem Nil“), wie eine Kuh, wie eine Katze, wie ein Schwamm, wie eine Kanone,,saufen, daß der Bauch zerplatzen mochte4, ,saufen, bis eine Blase vorm Arschloch steht4, ,sich krumm und blucklig saufen4, ,bis zum Überlaufen saufen4. „Sauft Wasser wie das liebe Vieh“ steht in einem Studentenlied im ,Leipziger Kommersbuch4 von 1815; /trinken. Griech. rj Tiuh, f| &7uüi; eis. ,Sauf oder lauf!4 wird rheinhess. in ,Kauf oder lauf!4 abgewandelt. Sauglocke. Derb-anschaulich sagt der Volksmund von einem Menschen, der mit Behagen Unanständigkeiten hört: Er hört gern mit der Sauglocke (Säuglocke) läuten. Aufklärend ist das dazugehörige Sprw.: ,Wo man bei Tische zötelt und die Sauglocke tönt, da wohnt der Teufel4. Seb. Brant geißelt im ,Narrenschiff4 die Gro- ,Die Sauglocke läuten' biane und Zotenreißer unter dem Bilde von Leuten, „die die Sauglocke läuten“, und ill. dies mit einem Holzschnitt, der eine Sau mit der Glocke und den Sauglöckner darstellt. Auch Christian Weise (1642-1708) verwendet den in manchen Mdaa. bis heute gebräuchl. Vergleich, z.B. im ,Bäurischen Machiavel!4 heißt es: „Wer mit der Sauglocke nicht läuten kann, der hat sich keiner Kanne Bier zu getrosten“. Ebenso steht in Joh. Fischarts ,Geschichtklitterung‘ (S. 194/747): „Drum läutet jm nur all Säuglocken“; und bei Abraham a Sancta Clara: „Du wirst zu Hof sehen lauter Meßner, aber nur solche, die mit der Sauglocken leutten“ (,Judas41,45). In einer Männergesellschaft z. B. wird gegen Mitternacht ,die Sauglocke geläutet4, d.h. es werden Zoten erzählt, ,es wird gesaut4. Saul. Wie kommt Saul unter die Propheten?: Ausdr. der Verwunderung übereinen Menschen, der aus niederem Stand plötzlich zu hohen Ehrenstellen gelangt, aber diesen nicht gewachsen zu sein scheint. Auch von jem. gesagt, den man in einer Gesellschaft bemerkt, wohin er seiner ganzen Bildung nach nicht zu gehören scheint. Die Rda. ist bibi. Urspr. (1. Sam. 10,11): Einer Prophetenschar begegnend und vom 793
Saulus Geiste Gottes ergriffen, fing Saul auch an, unter ihnen zu weissagen. Da sprachen alle: „Ist Saul auch unter den Propheten?“ „Daher“, heißt es im folgenden Vers, „ist das Sprichwort gekommen: Ist Saul auch unter den Propheten?“ Saulus. Aus einem Saulus zu einem Paulus werden: seine Meinung völlig ändern, und zwar meist bestimmt: aus dem Bekämpfer einer Ansichtzu ihrem Verteidiger werden. Die Rda. stammt von der plötzlichen wunderbaren Bekehrung des Saulus auf seiner ,Aus einem Saulus ein Paulus werden1 Reise nach Damaskus (Apostelg. 9): Der Saulus jüd. Glaubens war einer der heftigsten Christenverfolger in Palästina gewesen, der bekehrte Paulus hat den Glauben an Christus wie kein anderer Apostel bekannt. Daher auch: seinen Tag von Damaskus erleben: ein anderer Mensch werden. Saus. In Saus und Braus leben: herrlich und in Freuden, im Wohlstand leben. Die Rda., schon mhd. in der einfachen Form ,in dem suse leben1 bezeugt, bezieht sich eigentl. auf das Getöse des Windes und das Brausen der Wellen. Noch bei Hans Sachs heißt es nur „im Saus leben“, wie z.B. in dem Schwank, wo der Schuster das Leder mit den Zähnen dehnt, Das ich vil schuch machet darauß Und vil geldts löst, das wir im sauß Davon gut hamburgisch hier trancken; ebenso im ,Bauer mit den Karpfen1 und an zahlreichen anderen Stellen. Auf die prahlerische Schilderung von den wüsten Heldentaten der Holkischen Jäger, die der zweite Jäger in ,Wallensteins Lager4 gibt, erwidert der Wachtmeister: Nun, da sieht man’s! Der Saus und Braus, Macht denn der den Soldaten aus? Die reimende Doppelform ist erst seit dem Jahre 1691 durch Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 bezeugt, doch kommen daneben auch andere Verbindungen vor, z.B. ,im Saus und Luder4 (1561 bei Maaler), ,im Saus und im Schmaus4. Schabab. Schabab sein (werden): abgewiesen, ausgestoßen und verhöhnt werden, als Freier bei der Wahl durchgefallen sein, schimpflich abziehen müssen, verloren, zum Verderben bestimmt sein, das Spiel verloren haben, ruiniert, am Ende, dem Tode geweiht sein, aber auch: ein verachteter Mensch sein (/Abschaum), zum Abfall und Wertlosen gezählt werden, ein Verworfener vor Gott und den Menschen sein. Die Schweiz. Mda. kennt ,tschabab gsi4 in der Bdtg. für beschämt und niedergeschlagen sein und zur Bez. für überständige alte Jungfern und Junggesellen. Die rdal. Formel, die bes. häufig seit dem 16. Jh. lit. bezeugt ist und so viele Bdtgn. besitzt, ist ihrer Herkunft nach sehr verschieden beurteilt worden. Da ,schabab4 in den Wndgn. gleichzeitig nebeneinander als verbale, adjektivische und substantivische Form beobachtet und verstanden werden kann, erschwert dies eine gültige Erklärung. Außerdem ist die starre, unveränderliche Form von ,schabab4 in verschiedenen Satzzusammenhängen sehr auffallend. Luther, der das Wort kannte und verwendete und sich als erster Gedanken darüber machte, glaubte deshalb an die Übernahme eines hebr. Wortes in die dt. Sprache. Diese hätte tatsächlich durch das A.T. oder über das Jidd. erfolgt sein können. Er hielt ,schabab4 für ein urspr. hebr. Subst. und schrieb als Erklärung zu seiner Übers, des Ps. 119 (Samedi), die von V. 119 (= V. 7 bei Luther) lautet: Du hast alle gotloßen auff erden alß das kerich auß worffen, darumb hab ich lieb DEYN tzeugniß, 794
SCHABAB folgendes über Wortsinn und Herkunft von ,schabab4: „Im 7. verß das hebreisch wort ,Schabab4 ist deutsch worden unnd heyst vorwerfflich ding, alß kerich, schlacken, spene, schawm, sprew, trestern etc. und laut alßo: Du hast sie schababt wie das kerich und was yderman weg wirfft, das sie nichts nutz sind, den temme und wehre mit yhn tzu füllen, das man ubir sie lauffe, wie wol sie viel anderß wehnen, alß seyn sie al- leyn außerlesen. Sie seyn Schabab“ (Luthers Werke, Weimarer Ausg., Bd.VIII, S. 198). Interessant hierbei ist, daß Luther die Bibelstelle wohl sinngemäß richtig übersetzt hat, daß aber im hebr. Text das Wort ,schabab‘ fehlt. Statt dessen steht dafür ,sigun4 = Schlacke, Auszuscheidendes beim Schmelzen von Erzen, so daß die Übers, des Verses mit „Du erachtest als unrein Silber“ genauer wäre. ,Schabab4 oder ,schebeb‘ kann jedoch als hebr. Wurzel erschlossen werden. Es hat die Bdtg. von behauen und abschneiden von Holz und damit auch von Spänen, Abfall und Weggeworfenem, also von Kehricht, wie es Luther erklärt hat. Er braucht hierbei außerdem die merkwürdige Form: „Du hast sie schababt“, d.h. du hast sie verworfen, ausgesondert. Dieses Wort ,schababt1 erscheint nun neben der durch Jahrhunderte unveränderten Formel ,schabab1 als überraschende Ausnahme und ist auch sonst nirgends bezeugt. Es beweist jedoch, daß der Ausdr. ,schabab4 bereits lange vor Luther im dt. Sprachgebrauch gewesen sein muß und seine Etymologie bereits zu Luthers Lebzeiten so unklar gewesen sein dürfte, daß er das Wort nach üblichem dt. Muster wie ein Verb konjugiert. Es ist also nicht erst durch Luthers Bibelübers., in der es mehrmals erscheint, verbreitet worden, wie man annehmen könnte, da Schabab seit der 1. H. des 16. Jh. bes. häufig belegt ist. Auch bei Hosea 8,6 findet sich eine ähnl. hebr. Form, die ,sch9babim4 lautet. Dazu erklärt Luther in seiner ,Hoseasvorlesung‘ von 1524 (Exeget. opp. lat. Franc, ad. M. XXIV, S. 52): „Schabab wurden sicut praesegmina et praecisiones lignorum, peripsema est, id est: deus Samariae ist schabab. fit peripsema, id est: redigetur in nihilum“. Selbst bei seiner Übers, des N.T. aus dem Griech. verwendete Luther das seiner Meinung nach aus dem Hebr. stammende, eingedeutschte und allgemeinverständliche Wort ,schabab\ So steht in den alten Bibel- ausg. von 1522, 1524 und 1527 bei l.Kor. 4,13 noch: „und eyns ydermans schabab“, wo es in der Übers, von griech. rcepu(tr||ia heute heißt: „und ein Fegopfer aller Leute“. Schabab im Sinne von Abschabsei, Spreu, Kehricht wurde also schon damals in übertr. Bdtg. für einen Verachteten und Ausgestoßenen, für einen von Gott Verworfenen, für ein menschliches Scheusal in der Sprache der Bibel gebraucht. Damit erklärt sich nun auch der Sinn der Wndgn.: Er ist ein Schabab: er ist ein armer verachteter Mensch, und: Er muß aller Schabab sein: er ist der Verspottete, der Ausgeschabte, der Weggeschickte, der von allen Verachtete. Vgl. auch ndl. ,schavuit‘ = der Schabaus, der von allen Gemiedene, einer, der wie ein Aussätziger behandelt wird. Im Rheinl. gibt es ähnl. mdal. Ausdrücke zur Bez. eines armseligen, unangenehmen Menschen: ein ,Schabäbes\ ei- gentl. ein Molch, ist der verachtete Mensch, der ,Schabausbruder4 ist ein Säufer und das ,Schabbaas‘ gar ein bes. unsauberer Kerl mit Krätze und Ungeziefer. Im Elsaß war der Ausdr. ,der Geschabte1 ein bes. Schimpfwort für den Juden, denn er bez. den Beschnittenen. Leop. Schmidt meint, daß Schabab nichts mit Schabe oder Krätze zu tun habe, sondern zum Verb ,schaben1 gehöre, und verweist für Dtl„ Oesterr. und die Schweiz auf den brauchtümlichen Zusammenhang mit dem ,Rübchenschaben4, /Rübe. Diese spottende Fingergebärde, die heute nur noch im Kinderbrauch vorhanden ist, soll mit dem Zuruf,schabab4 verbunden gewesen sein. Aus der Überlieferung und den Mda.-Wbb. sind dazu auch andere rdal. Wndgn. bekannt, wie z. B. schwäb. ,Ätsch Gäbili4, Schweiz. ,Gäbelimachen\ kärtn. ,den Guler stechen4 und oberhess. ,e Mîr- che schaben4. Im Eis. schaben die Kinder mit den Fingern und rufen dazu: Lawe, lawe, D’ Katz isch g’schawe! Im Obersächs. erscheint,Schabab4 zwar in einem Bastlösereim: 795
SCHABAB Schabab, Schabab, Mein Pfeifchen geht gut ab (Dähnhardt 2, 155); doch besitzt es hierbei nicht die sonst begegnenden Bdtgn. der rdal. Formel. Die Spottgeste des ,Rübchenschabens4 hatte früher auch im Volksbrauch der Erwachsenen Gültigkeit, sie findet sich z. B. als Hohngebärde auf spätma. realistischen Passionsdarstellungen (z.B. auf einem Altarbild von Hans Holbein d.Ä.): mit dem ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand wird dabei wie beim Schaben einer Rübe über den Zeigefinger der linken gefahren. Diese Geste soll nun auch in Ver- ,Schabab' bindung mit der Abweisung eines Freiers und den zahlreichen Belegen von ,Schabab4 im Volkslied gestanden haben, ln seinem Aufsatz ,Wiener Rdaa.: Schabab und Schleckabartl4 (S. 120) schreibt L. Schmidt dazu: „Die spottende Fingergebärde war samt dem Zuruf im 16. Jh. zu einer stehenden Formel geworden, die in kürzester Form die Verschmähung des Liebhabers bedeutete“. Es fehlt jedoch ein lit. oder bildl. Beleg, daß diese Geste urspr. tatsächlich mit der Formel ,Schabab4 zusammen gebraucht wurde. Bei der in Liebesdingen früher üblichen Zurückhaltung der jungen Leute, die ihre Gefühle voreinander und vor anderen streng geheimhielten und auch ihre Abneigung meist nur indirekt und schonend ,durch die Blume4 zu verstehen gaben, ist es sehr unwahrscheinlich, daß ein Freier mit offenem Hohn durch eine Spottgeste oder die gleichbedeutende Sprachge- bärde abgewiesen wurde. Dagegen spricht auch, daß in den Volksliedbelegen der Abgewiesene sich selbst als,schabab4 bez. und die Formel nicht direkt bei seiner Verschmähung erscheint. Außerdem nennt man seit dem 16. Jh. auch die Blume ,Schabab4, die ihm beim Abschied überreicht wird. Es wäre immerhin sehr merkwürdig, wenn im gleichen Jh. eine höhnische Abfuhr und die mildere Form der Abweisung durch eine Blume mit demselben Wort ausgedrückt würden. Durch einen Frühbeleg kann die Herkunft von ,schabab4 noch in anderer Weise erklärt werden. Joh. von Tepl gibt bereits 1401 in seinem ,Ackermann aus Böhmen4 ein Beisp. für die lit. Verwendung des Wortes. Im III. Kap. des Gespräches zw. dem Ackermann und dem Tod heißt es: „ein jegliches jar was mir ein genadenreiches jar. Nu wirt zu mir gesprochen: schab ab!“ Nach einer anderen Lesart: „schabe abe!44 ist dies eindeutig ein Imperativ. Demnach ist,schabab4 also als ein dt. Wort und als imperativische Bildung zu verstehen, die bereits in mhd. Zeit vorkommt und zum Verb ,schaben4 gehört. Wichtig dabei ist jedoch, daß dieses Verb schon früh mehrere Bdtgn. besaß: als transitives, starkes Verb der VI. Ablautreihe hieß schaben4 = kratzen, scharren, reflexiv gebraucht bedeutete es = sich abschaben, schäbig werden, aber auch: fortstoßen, vertreiben, austilgen, als intransitives Verb jedoch: schnell von dannen gehen, sich fortscheren. Diese letzte Bdtg. liegt der Formel ,schabab4 zugrunde. Bereits in ahd. Zeit hatte das Verb ,skaban4 diesen Nebensinn, denn ,scaben sinen wech4 hieß: sich trollen, fliehen, sich wegscheren, dem die modernen Ausdrücke, ,abhauen4 und ,die Kurve kratzen4 entsprechen, und vor allem die imperativische Form: ,schieb ab!4 In der mhd. Lit. gibt es dafür viele Belege, die oft zur Verdeutlichung des Wortsinnes noch einen Zusatz erhalten. So schrieb z.B. um 1190 Hartmann von Aue im ,Erec‘ (V. 4195): „schabet iuwern wec“ = packt euch! In Ulr. von Türheims ,Tristan4 steht 796
Schabernack (V. 2253): ,,hiezen in balde üz schaben“, und in Herbort von Fritzlars ,Liet von Troye4 (V. 2080): „hiz mich ûz sinen ougen schaben“. Daneben begegnen in der mhd. Lit. noch die Wndgn.: ,hinnen schaben4 (,Kölner Passional4, 43, 93), ,dannen schaben4 (Heinr. von Türlins ,Krone4 273) und ,fürder schaben4 (,Krone4 31b); sie haben alle die Bdtg.: schnell von dannen gehen, sich aus den Augen machen. Den Sinn von stoßen, fortstoßen, vertreiben hat die folgende Textstelle: „si wellent daß man vür- der schabe die tumben“ (Minnesängerhs. 2, 153b). Der Imperativ ,Schab ab!4 erstarrte und wurde substantiviert. Er erhielt die bes. Bdtg. von: bergab, zu Ende gehen, sterben, verachtet werden, als Freier abgewiesen sein, und als Subst. wurde ,Schabab4 die Bez. des Abschieds und der Name einer Pflanze, die dabei überreicht wurde. Dies zeigt sich in der Rda. einem den Schabab geben: ihn wegschicken, ihm den Abschied geben. Interessant sind Belege, die zeigen, daß die Herkunft von ,schabab4 schon früh vergessen war, ein anderes Verb wird zur Verdeutlichung danebengestellt, so daß eine Tautologie entsteht. In einem Fastnachtsspiel (Keller 742,29) steht: „Wer das nicht kan, der ist schabab“, dagegen heißt es in einem anderen Fastnachtsspiel (1025, 13): ,,Darum geh du narr schab- bab“. In den Volksliedern steht die spracht. Formel ,Schabab4 meist für den abgewiesenen Freier, für den Abschied und das Ende einer Liebesbeziehung. Im ,Ambraser Liederbuch4 (147, 46) fleht der Liebhaber um Erhörung mit den Worten: Ach megdlein du viel junge, Laß mich nicht sein schabab. Die erste Str. des Liedes ,Gut Gesell und du mußt wandern4 aus dem ,Kölner Liederbüchlein4 (Nr. 204) um 1580 lautet: Gvt Gesell vnnd du must wandern, Das Megdlein liebet ein anderen, Welches ich geliebet hab, Bey der bin ich schabab. In einem Lied, das die Auseinandersetzung zweier Liebhaber und eines Mädchens schildert, weist der triumphierende Ro- landt seinen Nebenbuhler, den Küster, mit den Worten ab: Gha make des Kuesters Graff Nu ys Margretha Rolandes, So gha du nu schabab. (Uhland - de Bouck, Ndd. Lieder-Bücher, 1883, S. 109, Nr. 134, Str. 9) Auch im Liederbuch der Clara Hätzlerin begegnet ,schabab4 für das Fortmüssen nach einer Abweisung: „Wolhin, wolhin, wolhin, ich bin schabab“ (I, 104, 25), daneben steht aber bereits die Wndg. ,Schabab müssen4 (II, 58, 231). Die geistliche Literatur der Barockzeit kennt die Rda. vor allem als Wortsinnbild der Vergänglichkeit, und Abraham a Santa Clara dichtet: Die Blätter fallen ab, Und du wirst auch schabab. Bis ins 20. Jh. hinein ist die Wndg.,schabab sein4 im Volksbrauch als umschreibende sprachl. Formel für den abgewiesenen Freier lebendig geblieben, und noch bei Hermann Löns heißt es in einer Strophe: Schabab, schabab, Einen andern Schatz ich hab. Schabab als Subst. bez. daneben auch eine Herbstpflanze, das Achilleskraut (Euphrasia officinalis), bei dessen Blüte es mit dem Sommer und in übertr. Sinne mit der Liebe zu Ende geht. In manchen Gegenden wird unter Schabab auch die Kornrade verstanden, die dem Bauern als Unkraut gilt und deshalb nur in verächtlichem Sinne betrachtet werden kann, ebenso wie sich der Abgewiesene selbst fühlt. Die verschiedenen Bedeutungen von Schabab vermischen sich in einem Lied des 16. Jh. von Senfl, wo es heißt: Schabab ist mir gewachsen Ein ganzer Garten voll. Ich brach mir ab Vergißmeinnit, Hab mich lieb und acht mein nit: Schabab, ja schabab bin ich. Lit.: Erk-Böhme II, S.293f., Nr.472f.; HdA. III, Sp. 327-337; L. Schmidt: Wiener Rdaa. III. Schabab und Schleckabartl, in: Das dt. Volkslied, 43 (1941), S. 119-121 ; L. Röhrich: Gebärdensprache und Sprachge- bärde, S. 132-134; L. Röhrich u. G. Meinet: Nochmals ,schabab4, Archer Taylor octogenario in honorem, in: Proverbium, 15 (Helsinki 1970), S. 102-105. Schabernack. Einem einen Schabernack spielen: ihm einen Streich spielen, ihn nek- ken; Schabernack treiben: Possen, Unfug treiben. Das Wort Schabernack, über des- 797
Schach, schachmatt sen Urspr. viel gedeutelt worden ist (,eine den Nacken schabende Winterkappe1, ,ein scharfer Wein\ ähnl. wie ,Rachenputzer4), tritt zuerst um 1200 als Name eines mittel- rhein. Weinguts (,ze Schabernakken4) und etwa gleichzeitig als hess. Familienname auf (Mittelrhein. Urkunden-Buch II, 380). Mhd. ,schavernac4 = Beschimpfung, mnd. ,schavernak4 = Spott, wird, da das Wort auch zur Bez. eines Südweins vorkommt, als ,Wein aus Chiavenna in Norditalien4 erklärt. Lit.: Kluyver in: Zs. f. dt. Wortf. 9 (1907), S.3ff. Schach, schachmatt. Das schon in mhd. Zeit beliebte Schachspiel stammt aus Indien; durch die Perser und Araber ist es in Europa bekannt geworden. Sein Name geht auf persisch säh = König zurück. Vom Schachspiel stammen die Rdaa. jem. in Schach halten: ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, ihn dauernd bedrängen, jem. Schach bieten und vor allem schachmatt sein: ganz entkräftet sein. Der letztgenannte Ausdr. ist keine bloße Verstärkung des einfachen Wortes ,matt4 (wie etwa in ,todmüde4), sondern die wörtl. Entlehnung von arabisch ,esch-schäh mät4 = der König ist gestorben, womit der siegende Schachspieler seinen letzten Zug ankündigt. Er findet sich bereits in Konrad von Ammenhausens ,Schachzabelbuch4, einem Lehrgedicht von 1337: wie kleine nun der fende (Bauer im Schachspiel) si, so ist er doch also fri, daz er dem künic sprichet schächmat. In übertr. Bdtg. ist ,matt4 seit dem 13., ,schachmatt4 seit dem 16. Jh., z. B. bei Joh. Fischart, bezeugt. Den bewußten Übergang zur bildl. Verwendung von ,matt4 bezeichnen die folgenden Verse in Heinrich von Freibergs ,Tristan4 (V. 1560ff.): allen iren vröuden mat wart da gesaget sunder schach. Vgl. auch ndl. ,hij is schaakmat4; frz. ,faire quelqu’un échec et mat4, ,ctre échec et mat4; engl. ,to be checkmated4. Schachtel. Eine alte Schachtel sein: e ine alte Jungfer, ein häßliches, böses altes Weib sein. Schachtel gilt als derber Ausdr. für die weibl. Geschlechtsorgane und dient pars pro toto seit dem 17. Jh. zur verächtlichen Bez. der Frau. Darauf weisen auch die modernen Wndgn. mit ausgesprochen sexueller Bdtg.: die Schachtel aufmachen: ein Mädchen deflorieren und: die Schachtel aufbrechen: eine Frau vergewaltigen (Borneman: Sex im Volksmund). Wie aus dem Schächtelchen kommen: sauber gekleidet sein, wie eine neue Puppe aus einer Schachtel aussehen. Vgl. ,wie aus dem Ei gepellt4. Auch in anderen Sprachen sind ähnl. Vergleiche üblich: ndl. ,alsof hij uit een spanen doosje kwam4, engl. ,to look as if one has just come out of a bandbox4, frz. ,avoir Pair de sortir d’une boîte4. Ähnl. Sinn haben die ndl. und engl. Rdaa., die im Dt. fehlen: Jemand door een ringetje kunnen halen4 und ,to pass through a ring4. Schaden. Durch eignen (fremden) Schaden klug werden; die Rda. gehört zu dem verbreiteten Sprw. ,Durch Schaden wird man klug4; vgl. den Erzähltyp AaTh. 910 A. Ndl. ,door schade en schände wordt men wijs4; engl. ,it is costly wisdom that is bought by experience4; frz. .dommage rende sage4. Den Schaden mit Salz abreiben: eine schlimme Sache noch schlimmer machen, als sie schon ist. Die insbes. schwäb. verbreitete Rda. Fort mit Schaden!entspricht dem im volkstümlichen Zauberspruch häufig vorkommenden Prinzip der ,Apopompe\ d.h. des imperativischen Wegschickens des Übels, wie es schon im lat. Zauberspruch gegen das Podagra (,fuge, fuge Podagra!4) begegnet; auch erweitert: .Fort mit Schaden, der Profit kommt nach4. Lif.: O. Weinreich: Unheilbannung im volkstümlichen Gebet. Segen und Zauberspruch, in: Universitas 1 (1946), S. 275-299. Schaf, Schäfchen. Sein Schäfchen ins trok- kene bringen: sich seinen Vorteil, Gewinn sichern; sein Schäfchen im trockenen haben: sich seinen Erwerb in Sicherheit gebracht haben, um sich ein sorgloses Leben zu gönnen. Die Rda. wurde früher so erklärt, daß man annahm, ein unverständlich gewordenes ndd. .Schepken4 = Schiffchen sei durch das ähnl. klingende hd. Schäfchen4 ersetzt und die Rda. so auch den Binnenländern geläufig und verständlich ge- 798
Schaf, Schäfchen ,Sein Schäfchen ins trockene bringen' macht worden. Rudolf Hildebrand (,Vom deutschen Sprachunterricht1, Ausg. von 1954, S.58) lehnt mit Recht diese Etymologie ab. Auch die mdt. Mdaa. kennen die Wndg. ,sei Schouf en Troig’n hann‘. Das verdeutlicht die Herkunft der Rda. aus der bäuerl. Vorstellungswelt und ihren Zusammenhang mit der Schafzucht. Das Wesentliche der Rda. haftet jedoch nicht an dem Wort,Schäfchen4, sondern an dem Begriff ,ins trockene bringen4, d. h. in Sicherheit, im Gegensatz zu Wndgn. wie ,in die Patsche geraten4, ,in der Tinte sitzen4 usw. So ist denn auch aus Holstein rdal. bezeugt: ,He hett sin Saken up’t Dröge brocht4, ,he sitt hoch un drög4. Das Schäfchen bez. typisch jede Erwerbung eines kleinen Mannes (wie im 2. Buch Sam. 12,3). In seinem ,Haus- wirthschaftsbuch4 vom Jahre 1722 (S. 390) schreibt v. Rohr: „Die sumpfigen Wiesen und Teichtriften sind den Schafen über die Maassen schädlich, aber die Weide auf hohen Feldern, Gehölzen und Bergen ist ihnen zuträglich44. Belegt ist die Rda. zuerst 1576 bei J. Burkhard (,Patrocinium4, S. 114): ,,Ihre Schäflin ins trocken (wie man pfleget zu sagen) zu treiben“. Warum nun aber die Schafe auf nassen Wiesen gefährdet sind, wurde bisher noch nicht hinreichend erklärt. Hildebrands Überschwemmungstheorie geht fehl, ebenso der Hinweis in Meyers Lexikon (1925), daß der Schäfer bei Gewitter seine Herde in den Stall bringen müsse. Der Regen schadet den Schafen nämlich nicht, da ihr Fell fettig ist und das Wasser abstößt. Hans Dittrich (,Sein Schäfchen im Trockenen haben4) zitiert zur Erklärung das Schweizer Lexikon (1947). Danach werden Schafe auf sumpfigen Wiesen häufig von der Egelseuche (Di- stomatosis) befallen. Die Leberegel, die in sumpfigen Gebieten leben, verursachen schwere Leberentzündungen bei den Tieren und hohe Verluste durch ein Massensterben. Die Tiere bleiben jedoch verschont, wenn man sie nicht auf nassen Wiesen und am Wasser weiden läßt. Wer also eine trockene Weide besitzt, braucht um seine Herde nicht zu bangen, er hat sein Kapital in Sicherheit, ln übertr. Bdtg. wurde der Ausdr. bereits 1597 verwendet in einer Beschreibung der Frankfurter Messe in Reimen, erschienen unter dem Titel ,Marckschiffs Nachen4 von Max Mangold. Darin heißt es von Kaufleuten, die zu ihrem Nutzen mehrmals bankrott gemacht haben: Kanst dann ein guter Gsell wol bleiben, Wann du schon kein Gwerb mehr thust treiben. Wirst globt, daß du deim Handel bist So wol vorgstanden jeder Frist, Hast dein Schaff in das trucken bracht, Keiner ist, der dich drumb veracht. 799
Schale Reichliche weitere Belege gibt das Dt. Wb. der Brüder Grimm (VIII, 1999f.). Er hat sein Schäfchen geschoren: er hat seinen Vorteil wahrgenommen; sein Schäfchen zu scheren wissen: sich auf seinen Vorteil verstehen. Das Schaf scheren, ohne es zu schinden: mit Geschicklichkeit erpressen, daß kein Klagen und Murren erregt wird. Der eine schert das Schaf, der andere das Schwein (vgl. ,viel /Geschrei und wenig Wolle4). Die Schafe von den Böcken scheiden (sondern, trennen): das Nützliche vom Unnützen, das Brauchbare vom Unbrauchbaren, das Gute vom Schlechten trennen; scherzhaft übertr. auch: Personen verschiedenen Geschlechts auseinander-, gesondert halten. Die Wndg. ist bibl. Urspr., Matth. 25,32f. heißt es von Christus: „Und werden von ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, gleichwie ein Hirt die Schafe von den Bök- ken scheidet. Und wird die Schafe zur Rechten stellen und die Böcke zur Linken“. Das schwarze Schaf (der Familie) sein: der Schuldige sein, die von den Angehörigen durch unsittliche Lebensführung unvor¬ teilhaft abstechende Person; die Wndg. bezieht sich auf l.Mos. 30,32: „Ich will heute durch alle deine Herden gehen und aussondern alle gefleckten und bunten Schafe und alle schwarzen Schafe und die bunten und gefleckten Ziegen...“ Das räudige Schafsein, das die ganze Herde ansteckt, indem es sich an den anderen juckt (ähnl. schon lat. bei dem röm. Satiriker Juvenal, 2. Satire, V.80). Auf das ,dumme Schaf4 beziehen sich die Rdaa. Das merkt ein Schaf: das bemerkt selbst der Dümmste; sich vom Schaf beißen lassen:dumm sein; obersächs. ,laß dich kee Schaf beißen4, halte mich nicht für dumm und sei selbst nicht so dumm, das zu glauben. Die Schafe austreiben: sich albern benehmen (/Kalb). Ausreißen wie Schafleder, /ausreißen. Lit.: H. Dittrich: Sein Schäfchen im Trockenen haben, in: Muttersprache 71 (1961), H. 5. Schale. Sich in Schale werfen (schmeißen): seinen besten Anzug anziehen, sich für einen Ausgang oder eine Einladung bes. fein machen; (fein) in Schale sein: vorschriftsmäßig gekleidet sein. Die Rdaa., die im 20. Jh. auch lit. bezeugt sind, stammen aus dem ,Die Schafe von den Böcken scheiden1 800
Schanze Rotw. und sind umg. Parallelbildungen zu: ,sich in Gala schmeißen* und ,in Gala sein*. Das hebr. ,klipha‘, aus dem sich ,Kluft* entwickelt hat, bedeutet Schale. Es handelt sich bei dem Wort also um eine Lehnübers., die durch Gauner, Handwerksburschen, Studenten und Soldaten verbreitet worden ist. Von der Schale auf den Kern schließen : nur nach dem äußeren Schein urteilen, einen Menschen nach seiner Kleidung einschätzen. Schalk. Den Schalk (oder Schelm) im Nak- ken (oder hinter den Ohren) haben: es hinter den Ohren haben (/Ohr), ein Schalk sein und sich’s nicht merken lassen. Die Wndg. bezieht sich auf einen Menschen, der gleichsam von einem kleinen schalkhaften Dämon besessen ist, doch so, daß ihm der Wicht hinten im Nacken oder hinter den Ohren sitzt, so daß ihn der Genarrte nicht sehen kann. 1639 ist bei Lehmann S. 124 (,Dienst* 42) die Rede von „Augendienern, die trew seynd vorm Gesicht, vnd tragen den Schalk auffm Rücken**. Alle diese Wndgn. sind alt und seit dem 16. Jh. reichlich zu belegen, z. B. bei Thomas Murner, Luther usw. In der alten Rda. liegt der Ton auf,hinter*, bei uns auf,Schalk*, so daß uns der Gedanke der versteckten Schelmerei fast ganz verlorengeht. Die Rda. bekommt dadurch eine ihr urspr. nicht innewohnende Intensität. Diese macht sich auch in den Steigerungen geltend, die wir gern hinzufügen: ,dick*, ,fingerdick*, daumendick*, ,faustdick*. Der Liebhaber, der nicht weiß, woran er ist, klagt im Volkslied die Geliebte an (F. W. v. Ditfurth, 52 ungedruckte Balladen, S. 19): Ihr tragt ein Schalk im Nacken, Man weiß nicht, treibt Ihr Ernst oder Scherz, Thut Honigküchel backen, Dazwischen Dörner hacken, Verspottet redlichs Herz. Anders Goethe, ,Zweite Epistel*: „wie eben sich mir der Schalk im Busen bewegte**, und Schiller in der ,Phädra* (IV, 2): „daß der Schalk im Herzen durch äußre Zeichen sich verkündete“; altbair. ,etw. auf den Schalk tun*, ,auf den Schalk hin*, zum Scherze; heute auch: ,Der Schalk guckt ihm aus den Augen*; ,Der Schalk schlägt ihm in den Nacken*. Schamade. Schamade schlagen (oder blasen): klein beigeben; eigentl.: mit Trommel und Trompete das Zeichen zum Rückzug oder zur Übergabe (frz. chamade) geben. Der Ausdr. stammt aus dem alten Kriegsleben und ist seit dem Ausgang des 17. Jh. im Dt. nachgewiesen. 1709 verwendet ihn Menantes (Hunold) in ,Der Europäischen Höfe Liebes- und Helden-Gedichte* (S. 132): „Hierauf war man resolviret, den Wall ebenfalls zu stürmen, als der Feind an allen Attaquen die Chamade schlug und weiße Fahnen, als Zeichen der Übergabe, aussteckte**. Bekannt wurde die Wndg. auch durch Moltkes Urteil über die Emser Depesche vom 13. Juli 1870: „vorher klang es wie Chamade, jetzt wie eine Fanfare“ (Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II, 1898, 91). Vgl. auch die Schweiz. Rda. ,er schlot Schamadi*, er gibt sich verloren. Schanddeckel. Der Schanddeckel für etw. sein sollen: etw. Schändliches mit seiner Person decken sollen. Die Rda. ist heute praktisch verschollen, war aber im 15. und 16. Jh. sehr gebräuchl.; häufig z.B. bei Luther. Ähnl. einen zum Schanddeckel machen oder einen bloßen Schanddeckel aus etw. machen: jem. oder etw. vorschieben, um unter dem Schein der Ehrbarkeit und Frömmigkeit ungestört seinen leichtsinnigen Lebenswandel fortsetzen zu können. Vgl. die ndd. Wndg. ,se brükt den Mann to’m Schanddeckel*, sie hat nur geheiratet, um bei ihrem lasterhaften Leben sicherer zu sein. Schandfleck /anhängen. Schanze. Sein Leben für jem. in die Schanze schlagen: zs für ihn einsetzen, es aufs Spiel setzen. Die Rda. hat mit der Schanze als Wehrbau, Bollwerk nichts zu tun, sie ist vielmehr ein alter Spielerausdruck und stammt wie andere derartige Ausdrücke (vgl. ,kaputt*) aus dem Frz. Aus mittellat. ,cadentia* = Fallen der Würfel ist altfrz. xheance* = Glückswurf, Spiel, Einsatz des Spielers, Wechselfall geworden, und dieses ist um 1200 zu gleichbedeutendem mhd. 801
Scharf ,schanze4 entlehnt worden. Etw. in die Schanze setzen, legen oder schlagen bedeutet also eigentl.: etw. auf einen Wurf setzen, es einsetzen als Gewinn für den, der am höchsten würfelt. Die Rda. ,etw. in die Schanze schlagen1, es aufs Spiel setzen, bucht schon 1540 Erasmus Alberus. In der ,Zimmerischen Chronik4 (I, 231) heißt es: „Mitler weil haben si uf einen abent mit einander gespilt und im spill so fürgeschritten, daß der Beringer auch sein harnasch und das roß in die schanz geschlagen und verloren“; bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus4 (II, 115): ,,Und setzest die Seele in eine gewisse Schantze“ (auf ein gewagtes Spiel). Zum selben Bereich gehört auch: einem etw. zuschanzen: jem. ohne sein Verdienst einen Vorteil zuwenden. scharf. Scharf sein auf etw.: begierig danach sein; scharf hinter einer Sache her sein: sie eifrig betreiben; scharf sein: etw. dringend begehren, sinnlich, geil sein, nach geschlechtlicher Befriedigung verlangen ; scharf schießen: rücksichtslos Vorgehen; einen scharf haben: ihn hassen. Alle diese Rdaa. sind jüngere umg. Wndgn., die wahrscheinl. vom ,scharfen4 Jagdhund hergeleitet sind. In rdal. Vergleichen wird scharf näher bestimmt: ,scharf wie eine Rasierklinge4, ,wie Senf4, ,wie Mostrich4, ,wie tausend Russen4, ,wie Paprika4. Scharte. Die Scharte auswetzen: einen Fehler wiedergutmachen, einen erlittenen Schimpf wieder wettmachen. Das Bild der Rda. stammt aus der Landwirtschaft: Wie der Bauer die Sicheln und Sensen, die durch Steine und Unebenheiten des Bodens beim Mähen Scharten bekommen haben, mit dem Wetzstein wieder ausschleift, so kann ein Mensch einen begangenen Fehler, einen Mißerfolg oder gar eine Niederlage durch gute Taten wieder wettzumachen suchen. Ndl. gibt man einem, der einen Fehler begangen hat, den guten Rat: ,Hij zal de schaarden uitslijpen4. Ein dt. Spruch aber sagt: ,Die Scharten kosten Geld, die Haare aber wachsen wieder ohne Geld4. Vgl. lat. ,lacunam explere4, bei Cicero. In der Soldatensprache geht die Bdtg. für ,eine Scharte auswetzen4 noch weiter: hier macht man nicht nur einen begangenen Fehler wieder gut, sondern rächt einen erlittenen Schimpf oder stellt die gekränkte Ehre wieder her. In dieser Bdtg. ist die Scharte schon im frühen MA. bildl. gebraucht worden: „dem wuohs vil manic scharte an libe44 schreibt Konrad von Würzburg im ,Trojan. Krieg4, V. 216. Daher stammt auch der Ausdr. Heinrichs von Meißen (,Frauenlob4 310,17): „Dînlop nie scharte gewan44. Wigalois (Wirnt von Grafenberg, V. 11502) preist bei einem Ritter „triuwe âne valschen scharten44; und an einer anderen Stelle heißt es vom Kaiser: ob den keizer daz wol verswirt so muoz er doch die scharten tragen, die niht gahens wirdet heil. In Ottokars ,Oesterr. Reimchronik4 (V. 22675) wird schon ganz deutlich, daß mit der Scharte die gekränkte Ehre und der verletzte Ruhm gemeint sind: ich furchte daz er slach in iuwer lop ein scharten. Bei Abraham a Sancta Clara heißt es auch in übertr. Sinne: „Die Scharten widerumb ausschleiffen“ (,Judas4 IV, 331). Ein dt. Lied aus dem Jahre 1691 läßt den besiegten türkischen Großwesir jammern: In unsre Säbel hat gemacht Die starke Badnisch Adlermacht Ein gar zu große Scharten; Glaub, keiner werd sie schleifen aus So bald von Ottomaner Haus, Ich würd es nit erwarten. Man vergleiche auch die ,Zimmerische Chronik4 (III, 495): „Darzu hat das bisch- tumb ganz wol gethan und diese alte scharten alle künden ußwetzen44. In Schillers ,Räubern4 (V, 2) kommt der Räuberhauptmann Moor vor seinen letzten Kumpanen am Ende seiner Taten zu der schrecklichen Selbsterkenntnis: „Ich nannte es Rache und Recht - ich maßte mich an, o Vorsicht, die Scharten deines Schwerts auszuwetzen und deine Parteilichkeiten gutzumachen - aber - o eitle Kinderei! - da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens44. Im bair. Sprachgebrauch kennt man noch den Ausdr. ,Das hat eine Scharten4, wenn irgendeine Sache einen Haken hat. Schwäb. ist das Sprw. ,Allzu scharf macht (gibt) Scharten4 weit verbreitet und bedeutet ungefähr das gleiche wie: Allzu viel ist ungesund. 802
Schatten Scharwenzel, scharwenzeln. Ein Scharwenzel (ein richtiger Scher[r]wenzel) sein: ein überaus höflicher, unterwürfiger und dienstbeflissener Mensch, der sich zu allem gebrauchen läßt und der sogar Mißachtung und Mißhandlung ohne Widerspruch erträgt in der Hoffnung, daß dies später etw. einbringt. Die Rda. bez. heute vor allem den ,Allerweltsdiener1 und heuchlerischen Schmeichler4 mit der negativen Nebenbedeutung eines unzuverlässigen und unstä- ten Menschen, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Die Herkunft des Wortes Scharwenzel ist umstritten. Das Dt. Wb. hält es für eine volksetymol. Umdeutung aus ital. pervente1 = der Dienende oder für eine Zusammensetzung aus ,Schar4 = Fronarbeit und dem häufigen Vornamen ,Wenzel4, der für die in Dtl. arbeitenden slaw. Landarbeiter zu einer verallgemeinernden, verächtlichen Bez. wurde (vgl. auch ,Lause- wenzel4 und Sauwenzel4). Auch K. Braun (,Oberdt. Vornamen4) bemerkt dazu: „Man hat dieses Wort von ,servus4 oder ,serviens4 oder irgendeinem Stamm ,Scherw4 oder ,Serv4 ableiten wollen. Lassen wir es lieber einfach beim böhmischen Wenzel, welcher zu den Deutschen zu landwirtschaftlicher Arbeit, zum Schneiden, Mähen, Graben, zur ,Schar4 oder zum ,Scharwerk4 ging44. In mhd. und frühnhd. Zeit war das Wort,schar4 sehr geläufig, das sowohl die Pflugschar, das schneidende Eisen, den Schnitt, die Ernte und den Ertrag als auch die Schar als Menge von Menschen bezeichnen konnte. Zusammensetzungen wie,harmschar4 = auferlegte Strafe und ,Scharwerk4, ,Scharwerker4, ,scharwerken4 lassen auf eine ähnl. Wortbildung bei Scharwenzel schließen. Für diese Erklärung spricht bes., daß auch Luther in ähnl. Bdtg. öfters statt Scharwenzel das Wort ,Scharrhans‘ verwendet, also ebenfalls eine Zusammensetzung mit ,Schar4 und dem geläufigsten dt. Vornamen. Er schreibt z.B.: „Das fichtet mich nicht an, dass ein Rültz oder Tölpel lästert oder ein unadliger Scharrhans poltert und scharret44 (Werke VI, S. 225) und: „Denn eben dieselben Scharrhansen waren zur selben Zeit solche verzagte Schelmen, als ich meinTage gesehen habe44 (Werke V, 40b). Eine andere Deutung versuchen Adelung und Frischbier, die darauf hinweisen, daß das Wort Scharwenzel auch die Bez. eines bestimmten Kartenspieles oder einer Spielkarte (Unter, Bube) ist, die sich als Trumpfkarte ebenfalls vielseitig gebrauchen läßt. Schmeller (Bair. Wb., Bd. II, 452) bezeugt auch, daß Scharwenzel im Bair. dasselbe wie ,Scherer4 im ,Färbein4, einer Art des Kartenspiels, ist, wo die 7, 8, 9 und 10 ,der klein Scherer4 und Unter, Ober, König und As zusammen ,der groß Scherer4 heißen. Fr. Kluge verweist ebenfalls auf einen Zusammenhang mit dem Kartenspiel und hält Scharwenzel für eine Entlehnung aus dem Tschech., die im 17. Jh. zusammen mit der Übernahme des Kartenspiels ,Trischak4 erfolgte. Zu tschech. ,cerveny‘ = rot gehört ,cerve- nec4 = der Rote, der rote Unter, der Herzbube. Im Oesterr. erfolgte eine Umbildung und Verkleinerung wahrscheinl. unter dem Einfluß von Wenzel zu Scharwenzel = Bube im Kartenspiel. Im 18. Jh. entwik- kelte sich erst die Bdtg. von Allerweltsdiener. Da Scharwenzel aber auch der Kratzfuß4 als bes. Höflichkeitsbezeigung ist, besteht vielleicht auch der Einfluß von ital. pervente4 = Diener und dem dt. ,scharren4. Um jem. herumscharwenzeln: behilflich, dienstbeflissen um ihn herumlaufen, sich mit Kratzfüßen drehen, jem. durch Schmeicheln zu betören und gewinnen suchen, sich in lakaienhafter Weise ergeben zeigen. Scharwenzeln zeigt eine ähnl. Bildung wie ,hänseln4 = necken, ,nickein4 = ärgern und ,stoffein4 = schwerfällig gehen, so daß auch hierbei an den Einfluß von ,Wenzel4 gedacht werden muß. Goethe, Schiller und Heine gebrauchen die Form pcherwenzen4 statt,scharwenzeln4. Goethe schreibt z.B. (Werke VIII, 29): „da hielt dich das unglückliche Hofleben, und das Schlenzen und Scherwenzen mit den Weibern“, er betont dabei die bis heute gültige Hauptbdtg. der Rda.: sich bes. um die Gunst der Frauen bemühen. Lit.: Dt. Wb. VIII, Sp. 2229f.; F. Kluge: Etymol. Wb. (Berlin 1967); M. Lexer: Mhd. Handwb., Bd. II, Sp. 661 f.; V. Pisani, in: Idg. Forsch. 38 (1930), S. 243. Schatten. Etw. (jem.) in den Schatten stellen: eine Sache verdunkeln, gering erscheinen lassen, einen Menschen in seinen Lei¬ 803
Schatten stungen übertreffen, ihn in den Augen anderer herabsetzen, ihn nicht ,im besten Licht erscheinen1 lassen. Das entgegengesetzte beleuchten1 bildet nicht auch bildl. einen Gegensatz, sondern meint ganz objektiv: ein reines (ungetrübtes) Urteil über etw. möglich machen, genau wie die Rda. ,etw. ins rechte Licht rücken1, /Licht. Vgl. ndl. Jemand in de schaduw stellen1. In jem. Schotten stehen: wegen anderer Personen nicht die rechte und verdiente Anerkennung finden. VgL auch ndl. ,niet in iemands schaduw kunnen staan1. Einen Schatten werfen auf jem.: ihn in ungünstigem Licht, nicht untadeligerscheinen lassen. Man muß ihn an Schatten legen: man sollte ihn ins Gefängnis bringen. Diese euphe- mist. Umschreibung ist auch in den Mdaa. üblich, so heißt es z. B. in Norddtl.: ,He sitt iiTn Schatten1, er ist eingesperrt worden. Nicht über seinen Schatten springen können: seine Natur, sein Wesen nicht ändern, nicht verleugnen können, trotz aller Anstrengung etw. nicht fertigbringen, was der eigenen Persönlichkeit nicht entspricht. Der Schatten gilt im Volksglauben als Symbol der menschlichen Seele, die sich ebensowenig wie er vom Körper zu lösen vermag. Chamissos ,Peter Schlemihl1 verkauft deshalb auch mehr als nur seinen Schatten. Über seinen Schatten springen wollen: etw. Unmögliches Vorhaben, sich grundlegend durch eine große Willensanstrengung än- ,Nicht über seinen Schatten springen können' dern wollen, was für längere Zeit nicht durchführbar ist, ,über sich selbst hinauswachsen1 wollen. Von einem Trunkenen, dem man alles Zutrauen kann, heißt es scherzhaft: Er springt über den Schatten. Nach seinem Schatten springen, auch: seinem eigenen Schatten nachlaufen: etw. Sinnloses tun. Nach dem Schatten greifen: nach etw. Nichtigem, Vergänglichem streben. Vgl. ndl. ,eene schaduw omhelzen1. Den Schatten für den Körper nehmen: das Abbild für das eigentl. Wesen, eine Idee für Schlagschatten werfen1 804
Schatten die Wirklichkeit halten. Vgl. frz. ,prendre l'ombre pour le corps*. Einen Schlagschatten werfen: einen bes. kräftigen Schatten auf andere werfen; selbst im hellen Licht (der Öffentlichkeit) stehen und Vorzüge und Verdienste anderer nicht*in Erscheinung treten lassen. Mit seinem eigenen Schatten fechten: einen nur eingebildeten Feind bekämpfen, sich vergeblich anstrengen oder aufregen. Vgl. ndl. ,Hij vecht met (tegen) zijne eigene schaduw*, engl. ,to fight with one's own shadow* und frz. ,combattre son ombre*. Ähnl. heißt es auch: sich mit seinem eigenen Schatten zanken: sich selbst nicht leiden können. Seinen eigenen Schatten fliehen: gesteigerte Angst empfinden, ganz natürliche Erscheinungen in einer Gespensterfurcht verkennen, sich ohne Ursache fürchten. Der Schatten spielte früher eine viel größere Rolle als heute im Zeitalter der Elektrizität. Durch das Fackel- oder Kerzenlicht entstanden in den nur schlecht ausgeleuchteten Winkeln der Räume riesige und bewegliche Schatten, die der Phantasie über unheimliche Wesen ständig neue Nahrung gaben und vieles bei der Sagenbildung erklären. In griech. Form wurde diese Wndg. schon bei Platon (427-347 v.Chr.) im ,Phaidon* gebraucht, in lat. Sprache bei Cicero (106-43 v.Chr.): „timere umbram suam“. Dt. erscheint sie zuerst 1532 in der ,Namenlosen Sammlung* (Nr. 283): „Der fuercht sich vor seim eygen schatten. Das sagt man von einem kleynmüthigen men- schen“. Vgl. auch ndl. ,Hij vlugt voor zijne schaduw*. Ähnl. dt. Wndgn. sind noch: sich vor seinem eigenen Schatten fürchten und den Schatten an der Wand fürchten. Vgl. ndl. ,Hij is bang voor zijne schaduw* und russ. ,den Schatten eines Riesen fürchten*. Den Schatten fangen: statt einer wertvollen Sache eine nutzlose gewinnen. Um den Schatten eines Esels streiten: einen Prozeß wegen einer völlig nichtigen Angelegenheit führen. Vgl. auch frz. ,faire un procès, une querelle sur un pied de mouche*, /Esel. Nach dem Schatten greifen (und das Fleisch fallen lassen).-in der Gier, noch mehr zu erlangen, alles verlieren. Die Wndg. beruht 1/2 ,Nach dem Schatten greifen* auf einer Fabel, in der ein Hund das Stück Fleisch, das er in der Schnauze trägt, im Wasser gespiegelt sieht. Als er nach ihm schnappen will, verliert er beides. Ulr. Boner gibt in seinem ,Edelstein* einen dt. Frühbeleg für diese Fabel (,Von einem Hunde der truog ein Stücke*): Man list von einem hunde, der truog in sînem munde ein stücke vleisches, daz was groz, des sin gesiechte nie verdroz. an einen bach truog in sin weg, dä vant er weder brugg noch Steg, dä was weder schif noch man: ze vuoze muoster über gän. do kam er mitten in den bach, den schatten er des vleisches sach, daz er in sînem munde truog. er sprach: „ich haete wol genuog, möcht ich daz stük zuo disem hän.** vil schiere er ginen began und wolt daz stük begrifen: dö muoste im daz entslifen, daz er in dem munde hät. 805
Schatz dô stuont er leidig unde mat. daz er sin stückl hät verlorn dur gîtekeit, daz was im zorn. der schatte in betrogen hät. Vgl. ndl. ,Hij grijpt naar de schaduw, en laat zieh het vleesch ontvallen4. Einem wie sein Schatten folgen: immer in der Nähe eines anderen bleiben, jeden seiner Schritte verfolgen, aufdringlich sein. Die Rda. wird im verächtlichen Sinne bes. auf solche Menschen angewandt, die fortwährend um andere herum sind, um etw. bei ihnen zu erreichen. In lat. Form wird die Wndg. bereits von dem röm. Dichter Plautus (gest. 184 v.Chr.) gebraucht: „quasi umbra persequi“. Der Humanist Erasmus von Rotterdam schreibt in seinen ,Adagia‘ (3,7) dafür: „velut umbra sequi“. Einen unter die Schatten seiner Flügel nehmen: ihn unter seinen persönlichen Schutz nehmen, so wie die Vögel ihre Jungen bei Gefahr. Die Wndg. bezieht sich auf Ps. 17,8 und 57,2. Vgl. auch ndl. jemand on- der de schaduw zijner vleugelen nemen4. Ein Schatten seiner selbst sein: seine ehemalige Kraft und Gesundheit verloren haben, nur noch ein blasses Abbild seiner früheren lebensvollen, zukunftsbejahenden Persönlichkeit sein. Die Rda. wird heute bes. auf Kranke angewandt, deren auffallend schlechtes Aussehen mit ihrem Schatten verglichen wird, oder auf Menschen, die von Kummer und Sorgen gleichsam ,aufgezehrt4 wurden. Unsere Rda. ist eigentl. ein Zitat aus der ,Pharsalia4 des röm. Schriftstellers Marcus Annaeus Lucanus (39-65 n.Chr.), der darin den Bürgerkrieg zwischen Pompeius und Caesar schilderte. Von dem geschlagenen Pompeius schrieb er (I, 135): „Stat magni nominis umbra44, d. h. er steht noch da, nur noch der Schatten seines einst so großen Namens. Dem Schatten an der Wand gleichen: blaß und kraftlos sein. Dieser rdal. Vergleich wurde früher bes. auf das veränderte Aussehen Liebender bezogen, die darunter litten, betrogen oder verlassen worden zu sein, und in ihrer Hoffnungslosigkeit wie unheilbar Kranke aussahen. In diesem Sinne ist die Wndg. auch im Liederbuch der Hätzlerin im 16. Jh. bezeugt, in dem es (II, 29,15) heißt: „Dem schatten gleich ich an der wand“. Wie ein Schatten hinschwinden (vergehen): rasch immer kraftloser werden. Die Rda. gilt auch als Umschreibung für das langsame Dahinsiechen und Sterben. Etw. wirft seine Schatten voraus: ein großes Ereignis wird durch bestimmte, unheilvolle Vorzeichen angekündigt. Der Schatten spielte im alten Volksglauben eine doppelte Rolle. Das Wort ,Schatten4 wurde häufig mit ,Schaden4 gleichgesetzt. Der Schatten von Harzbäumen galt als fiebererregend, der Schatten fruchttragender Obstbäume aber als heilkräftig. In der Ver- kündigung an Maria findet sich eine ähnl. Vorstellung, wenn es bei Luk. (1,35) heißt: „Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“, d. h. der Schatten Gottes wird als fruchtbringend angesehen. Etw. wirft einen Schatten auf die Vergangenheit: von der Gegenwart her wird Vergangenes ungünstig beurteilt, oder: ein Makel aus früherer Zeit wird erkennbar. Im Reich der Schatten sein: gestorben sein. Nach antiker Anschauung war das ,Reich der Schatten4 der Aufenthaltsort der Seelen in der Unterwelt, /zeitlich. Ein Schattendasein führen: ein kümmerliches Dasein fristen, ohne Lebensglück und Freude dahinvegetieren. Die Rda. bezieht sich entweder auf die antike Vorstellung vom Reich der Schatten oder auf den Vergleich mit einer Pflanze, die im Schatten nur schlecht gedeihen kann. Die Schattenseiten des Lebetis kennenlernen: persönliches Mißgeschick erleiden, durch widrige Umstände ins Unglück geraten, eigentl.: ohne Sonne, d. h. ohne Glück, leben müssen. Ein bloßer Schattenmann sein: keine geachtete Persönlichkeit sein, einen Namen ohne Kraft, einen Titel ohne Macht führen, nicht für ,voll genommen4 werden, /voll. Lit.: Bilchmann, S. 437 u. 555; E. L. Rochholz: Dt. Glaube und Brauch, Bd. 1 (Berlin 1867), S. 75 u. 78-79; \V. F. Otto: Die Manen oder von den Urformen des Totenglaubens (Berlin 1923); E. Rohde: Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (Tübingen 101925); I. Paulsen: Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker (Stockholm 1958). Schatz. Der Schatz ist zu Kohlen (Wasser) geworden: aus einer erhofften Sache ist nichts geworden. In den Sagen ist das Motiv häufig, daß sich ein gefundener Schatz oder 806
Schaum eine Belohnung in Kohlen oder etw. anderes Wertloses verwandelt und der Mensch sich in seiner Hoffnung betrogen sieht. Vgl. lat. Thesaurus carbones erant4. Ähnl. heißt es, auf einen bestimmten Menschen bezogen, der eine Enttäuschung erleben mußte: „Als er seinen Schatz wollte heben, wurde er ihm zu lauter Kohlen“. Schätz(e) sammeln: wertvolle Güter aufbewahren. Diese Rda., die Agricola (II, 488) verzeichnet, erscheint in übertr. Bdtg. bereits bei Matth.6, 19-20: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel...“ ,Mer hot da Schatz g’funda4, man hat den Schaden entdeckt, sagt man in Schwaben. ,Der Schatz denkt a si!4 heißt es in Sachsen, wenn einem Mädchen die Schürze entfällt oder wenn sie einen heftigen Schluckauf hat. Sie ist ein alter Schatz: sie ist eine verblühte Schöne; vgl. frz. ,C’est une tête à médaillé4. Die Wndg. Schatz, mach Kasse!stammt aus der Prostituiertensprache und wurde 1920 durch das Berliner Kabarett,Stettiner Sänger4 umgewandelt und verbreitet durch das Couplet ,Schatz, mach Kasse, du bist zu schade fürs Geschäft4. Zur Sache, Schätzchen! /Sache. Lit.: L. Winter: Die dt. Schatzsage (Diss. Köln 1925). Schau. Jem. die Schau stehlen: jem. den Effekt rauben, den Erfolg streitig machen, den Hauptbeifall ernten, der eigentl. einem anderen gebührte, einen anderen listig übertrumpfen und sich dadurch selbst in den Vordergrund spielen. Die Rda. ist eine wörtl. Übers, des engl. ,to steal someone’s show4 und ist urspr. vom Theater und bes. von der Revue hergeleitet, in denen ein Schauspieler in einer Rolle glänzen möchte, aber von einem mißgünstigen Kollegen an die Wand gespielt und um den Applaus gebracht wird. Die Wndg. ist erst nach 1945 in Dtl. bekannt geworden und wird auf viele Lebensbereiche, auch auf die Politik, angewandt. Ebenfalls junge Wndgn. sind: Die (eine) große Schau abziehen: etw. Tolles veranstalten, unternehmen, geräuschvoll vorführen, auf Affekthascherei ausgehen, auch: Lärm schlagen, sich wirkungsvoll zur Geltung bringen wollen; auf äußere Aufmachung wert legen; da dies oft als aufdringlich und unecht verurteilt wird, gilt als Warnung: Mach nicht so eine Schau!: Gib nicht so an! Zier dich nicht! Etw. (sich) zur Schau stellen: etw. öffentl. zeigen, auffallend auftreten. Schaukel(n). Auf der Schaukel und Waage sitzen: eine unsichere Stellung haben, keinen festen Fuß fassen können. Vgl. ndl. ,Hij zit op een’ schopstoel4. ,Sich schaukeln wie a Lülew4 ist ein in Warschau üblicher jüd.-dt. Ausdr. für einen Menschen, der einen wackelnden, schwankenden Gang hat. Diese Rda. bezieht sich auf einen Brauch beim jüd. Laubhüttenfest: ein Palmenzweig, Lülew genannt, wurde nach den vier Himmelsrichtungen geschüttelt. Wir werden das Ding (Kind) schon schaukeln!: Wir werden die Schwierigkeiten überwinden, die Sache in Ordnung bringen. Diese Versicherung beruht auf einem Vergleich: das Kind in der Wiege wird durch die gleichförmigen Bewegungen beruhigt, so daß es schließlich einschläft und nicht mehr stört. Die übertr. Bdtg. der Rda. ist demnach vor allem: eine Störung beseitigen. Ähnl. Rdaa. aus jüngerer Zeit sind: eine Sache schaukeln: eine schwierige Angelegenheit geschickt meistern, und der zuversichtliche Ausruf: Die Kiste werden wir gleich geschaukelt haben!: die Sache wird sich bestimmt schnell und zweckmäßig regeln lassen. Diese Wndg. stammt aus der Zeit des 1. Weltkrieges, wobei mit „Kiste“ nicht nur schwere Lasten beim Verladen, sondern auch Flugzeuge gemeint sein konnten. Schaum. Schaum schlagen: aufgeblasenes, angenehm klingendes Zeug reden, hinter dem nicht viel ist. Dazu gehört das Sprw. ,Schaum schlagen ist keine Kunst4. Die Russen sagen dafür: ,Das Schaumschlagen gehört zur Kunst der Barbiere4. Einen 807
Scheckig Menschen, hinter dessen prahlerischen Worten nicht viel Wissen und Können steckt, nennt man einen Schaumschläger. Überhaupt wird mit dem Wort Schaum eine nichtige, wertlose Sache bez. In Schwaben kennt man dafür den treffenden Vergleich: ,Das Fett schwimmt oben, aber der Schaum noch weiter oben4. Das weitverbreitete Sprw. ,Freund, sieh dich für: Schaum ist kein Bier‘ ist auch ndl. anzutreffen: ,Siet wael toe, schuum en is gheen bier4, oder nur kurz:,Schaum ist kein Bier4. Deshalb hat auch ,wer Schaum schöpft, leichte Arbeit, aber wenig Lohn4. Verächtlich sagt man von einem nichtsnutzigen Menschen, er sei leichter als Schaum. Oder man stellt ihm gar das Zeugnis aus: Du bist der Schaum von allen Häfen.,Träume sind Schäume4 sagt man im Volksmund; dieses bekannte Sprw. hat der Altmeister des Schüttelreims, Benno Papentrigk, in die Form gebracht: Ihr Toren, nicht dem Schaume traut! Es trügt, was man im Traume schaut. Wenn einer stark erregt ist, so steht ihm der Schaum vorm Maul; er schäumt vor Wut. Im Ulmer Äsop von Steinhöwel wird der lat. Ausdr.,,spumando44 beim Eber folgendermaßen übersetzt: „Mit umbisch howen, schomen und die Zen ze weczen44. Der rdal. Vergleich schäumen wie ein Eber ist schon in der ,Zimmerischen Chronik4 belegt; dort heißt es: „Schumet als ein Eberschwin44, und bei Mathesy (180b) kann man lesen: „Schawmen vnd wüten wie ein Mertzen- gaul“. Schwäb. sagt man lächelnd von einem, der in Eile ist und bes. geschäftig hin und her läuft: ,der schäumet4. Seb. Franck warnt vor allzu unmäßigem Weingenuß: „Ein Leib von Wein angezündet schaymet leichtlich in Unlauterkeyt“. scheckig. Sich scheckig lachen (wollen): sehr heftig lachen, sich beinahe krank, fast zu Tode lachen. Das Wort scheckig ist in mhd. Zeit aus dem altfrz. eschiec = Schach entlehnt und bedeutet deshalb: wie ein Schachfeld aussehen, würfelig, kariert sein, gefleckt, bunt gefärbt sein. Innerhalb der Rda. könnte sich das Wort auf die Beobachtungbeziehen, daß sich das Gesicht eines Lachenden durch plötzlichen Blutan¬ drang zum Kopf rötet oder rote Flecken zeigt. Lit. ist die Rda. bei dem schles. Dichter Holtei in seinem ,Eselsfresser4 (I, 227) bezeugt: „Ein Engel hat dem Jakob einen Vorteil gezeigt, reich zu werden mit den gescheckten Schafen, worüber sich Jakob scheckig gelacht44. Holtei stützt sich dabei auf den bibl. Bericht in der Jakobsgeschichte (l.Mos. 30, 32-39) und weist damit auf einen Zusammenhang der Rda. mit „gescheckten*4, d.h. gefleckten Tieren. Göhring (Nr. 348) meint dagegen, daß die Wndg. nichts mit Farbflecken zu tun habe. Er leitet sie von „verecket lachen44 her, in der Bdtg.: so lachen, daß man dabei verendet, stirbt. Scheckig reden: unverständlich, verworren, töricht reden; eine seit 1900 gebräuchl. Wndg. In gleicher Bdtg. verwendet man dafür auch: ,kariert reden4, wobei sich die Kenntnis von der urspr. Bdtg. von scheckig noch bewahrt zeigt. scheel. Etw. (einen) scheel (mit scheelen Augen) ansehen: neidisch, mißgünstig von der Seite ansehen. Vgl. ndl. .schele ogen maken4 und frz. .regarder de travers4; /schielen. Scheffel /Licht. Scheibe. Die Rda. Ja, Scheibe ist vielleicht urspr. auf das Scheibenschießen zu beziehen: ein schlechter Schütze, der nur die Scheibe und .nicht ins Schwarze4 traf, mußte sich ein verächtliches ,Ja, Scheibe!4 oder auch nur .Scheibenschießen4 Zurufen lassen. Dieser Ausruf wurde schließlich auch allg. gebraucht, wenn etw. Erhofftes oder Erwartetes nicht eintrat. In Berlin kennt man die rdal. Wndgn.: Scheibe, mein Herzken! und Scheibe mit Reis. Jedoch dürfte diese schroffe Abweisung zumeist verhüllend für .Scheiße4 gebraucht sein. .Das ist mir völlig Scheibe4 sagt man von Dingen, die einem völlig gleichgültig sind. Von jem., der als Vorbild gilt, an dem man sich ein Beisp. nehmen kann, von dem kann man sich (noch) eine Scheibe abschneiden wie von einem guten Stück Brot, Kuchen, Schinken o. ä., denn er ist so gut, daß dieser Verlust seine Qualität nicht mindert. 808
SCHEISSE Hat einer allzu große Langeweile, dann zählt er die Scheiben; er widmet sich einer so unsinnigen Beschäftigung, wie es das Zahlen von Fensterscheiben ist. Es ist eine recht alte Sitte, beim Neubau eines Hauses schöne gemalte Fensterscheiben mit Wappen und Jahreszahl der Errichtung zu stiften, um dem Besitzer des Hauses eine besondere Ehre zu erweisen. Heute noch sagt man: Ich will dir auch einmal eine Scheibe einsetzen, nun allerdings nicht mehr im realen, sondern im übertr. Sinne: du scheinst den Sachverhalt nicht durchschauen zu können. Man kann aber ebensogut die Scheiben einschlagen, wenn man eine völlig unerwartete Handlung unternimmt, die alles Vorhergegangene zunichte macht. In der Berliner Zeitung von 1861 (Nr. 109) hieß es: „Der Prinz Napoleon hat in der Senatssitzung vom 1. März 1861 die Scheiben eingeschlagen, indem er die Schlußfolgerung von der Broschüre des Herrn von Laguerronnière lieferte“. Der Scheibenhonig und der Scheibenkleister bedeuten wie die Scheibe eine schroffe Abweisung; beide Ausdrücke werden ebenfalls als verhüllende Umschreibung für /Scheiße gebraucht. Lit.: O. Lauffer:Niederdeutsches Bauernleben in Glasbildern der neueren Jahrhunderte (Berlin-Leipzig 1936). Schein, scheinen. Die Rda. seine Sonne scheinen lassen über Gerechte und Ungerechte: keinen Unterschied machen, ist eine Abwandlung des Bibelwortes: „Er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matth. 5,45). Von einem Menschen, der in seinem Wirken Güte und Wärme ausstrahlt, sagt man: ,Er scheint wie die Frühlingssonne4. Aus der Vorstellung heraus, daß mancher nur durch sein heuchlerisches Wesen eine Art Heiligenschein erworben hat, erklärt sich das Wort scheinheilig4. Schon eine ndd. Glosse um 1500 bezeugt: ,Du kanst wal enen schalck dragen vnder een schijn der hillichkeit4; entspr. den Scheinheiligen spielen: heuchlerisch den Unschuldigen spielen. Scheiße. Das ist alles Scheiße!: das taugt alles nichts, es ist eine schwierige, höchst un¬ angenehme Lage. Die Wndg. wird seit dem 17 Jh. zur kräftigen Ablehnung gebraucht. Das Wort Scheiße selbst ist bereits seit dem MA. ein Ausdr. der Ablehnung und des Fluches. Heute sagt man in humorvoller Anlehnung an die Grußformel des Briefes auch: Alles Scheiße, deine Elfi (Emma), Das Wort, das im ndd. Bereich die Lautverschiebung nicht mitgemacht hat, klingt in den mdal. Wndgn. weniger derb: ,alles Schitt4 (Schite) oder ,en ölen Schêt4, holst. Abweisungs- und Verneinungsformel. Häufig wird das Vulgärwort in der Umgangssprache durch ,Scheibe4 oder Schauspiel4 ersetzt. Stud, ist seit dem 18. Jh. das Wort ,Schiß4 belegt. Die Rda. Schiß in den Hosen haben: furchtsam sein, wurde zunächst auf einen ängstlichen Studenten angewendet, der die akademische Rauferei der schlagenden Verbindungen scheute. Wer sich in ihnen nicht entspr. bewährte, konnte in Verschiß geraten: verachtet und ausgeschlossen werden. Vor allem sind in der Soldatensprache viele Kraftausdrücke entstanden, die in Gefahr oder Verzweiflung über die aussichtslose Lage an der Front das persönliche Kraftbewußtsein stärken und ein Ventil für Zorn und Angstgefühle sein konnten (,Scheißkrieg4). Die Wndg. in der Scheiße liegen ist ebenfalls sold., sie umschreibt das Vegetieren im Schlamm der Schützengräben oder die höchste Lebensgefahr in vorderster Front. Wer davongekommen ist, erzählt davon, daß er die ganze Scheiße mitgemacht habe, also alles durchgestanden habe, sich wirklich auskenne und alle Begeisterung für kriegerische Auseinandersetzungen verloren habe. ln der Ggwt. ist unter Jugendlichen Fäkalsprache erneut modisch geworden, weil sie ein emanzipatorisches Bewußtsein gegenüber als bürgerlich empfundenen Tabus zur Schau stellt. Die Kraftsprache soll die Kompromißwilligkeit zerstören, die eigene Schwäche verdecken und die Bürger schrecken und provozieren. Der Weg des Wortes Scheiße und seiner Zusammensetzungen von der Soldaten- zur Schüler- und Studentensprache ist hierbei gut zu beobachten. Als Schimpfwörter sind ,Scheißer‘ und ,Scheißkerl4 beliebt. Die Wndg. ein Scheiß- 809
SCHEISSEN kerl sein ist bereits seit dem Bauernkrieg belegt und bez. den Feigen, Unzuverlässigen bis heute, ein ,Klugscheißer4 dagegen ist der Bésserwisser. Sich um jeden Scheißdreck kümmern: sich um alle Kleinigkeiten sorgen, alles genauestem beobachten und prüfen, sich um nichtiger Angelegenheiten willen aufregen. Ut.: M. Küpper u. H. Küpper: Schülerdeutsch (Hamburg-Düsseldorf 1972). scheißen. Aufetw. scheißen: etw. gründlich verachten, darauf verzichten können. Die öffentl. Verrichtung der Notdurft im Angesicht eines anderen bedeutete bereits im 16.Jh. gröbste Abweisung und Verachtung. Jem. etw. scheißen: seine Wünsche ablehnen, seine Pläne durchkreuzen. Die Wndg. ist sold, seit dem 18. Jh. bezeugt. Ähnl. Da scheißt der Hund drein: die Sache mißlingt, und einem in den Kram scheißen: ihn stören, nicht ausreden lassen. Einige Wndgn. sind früh durch Bildbelege oder lit. bezeugt, z.B. heißt es schon bei Joh. Fischart in der ,Geschichtklitterung‘: „Er scheisst gern zum größten Haufen“. Heute sagt man: Der Teufel scheißt immer auf den großen Haufen, d.h.: wo Geld ist, kommt immer noch mehr dazu; vgl. das Sprw. ,Geld will zu Geld4. ,Zwei scheißen auf einen Haufen1 Die Rda. Sie scheißen alle durch ein Loch (auf einen Haufen): sie stimmen überein, halten zusammen, ist in der ndl. Rdaa.-Malerei mehrmals dargestellt, z.B. von Pieter Bruegel und auf älteren ndl. Holzschnitten; vgl. die ndl. Rda. ,Twee schijten door een gat‘. Er scheißt auf die Welt: er macht sich nichts daraus, ihm ist alles gleichgültig, auch: er ,Auf die Welt scheißen' zieht sich zurück. Diese Rda. ist ebenfalls auf Bruegels Rdaa.-Bild dargestellt und auch sonst Gegenstand der ndl. Malerei und Plastik. In sein eigenes Nest scheißen /Nest. In die Hosen scheißeti: große Angst haben. Dukaten scheißen können: immer Geld und Überfluß haben. Die Wndg. erinnert an das Märchen vom Goldesel, .Tischlein, deck dich4 (KHM. 36), oder an das Dukatenmännchen von Goslar; /Geld. Iron, sagt man auch zu einem, der hofft, daß er einen Anteil vom Reichtum eines anderen erhält: Er scheißt Dukaten, darfst nur den Sack unterhalten! Nun scheißt das Pferd im vollen Rennen: gilt als Ausruf der Verwunderung, wenn etw. Außerordentliches geschieht oder wenn sich jem. lange mit etw. Zeit ließ und es dann überstürzt erledigen will. Gegen Langeweile gibt es verschiedene derbe Ratschläge, z.B. Scheiß auf den Boden und schleife darauf oder bair.-schwäb. ,Scheiß in die Hand und schmeck’ dran4. Auch mdal. Umschreibungen für Geiz und Knauserigkeit im eigenen Haushalt klingen oft recht drastisch: ,He schitt nich ehrer bett he wedder wat to frêten hett4 sagt man 810
Scheiterhaufen in Pommern und in Holst. ,He schitt up en Schneeball un fritt em vor Dörst (Durst)'. Etw. ist beschissen: es ist äußerst schlecht, unangenehm, kaum erträglich; jem. geht es beschissen: er ist in einer höchst unglücklichen Lage. Dagegen beschissen worden sein: betrogen, übers Ohr gehauen worden sein. Lit.: H. M. Ledig-Rowohlt: Die ständige Verschiebung der Tabu-Begriffe, Eckart-Jahrbuch (1964/65), S. 215-224; L. Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967), S.41 ff. Scheitel. Vom Scheitel bis zur Sohle sagt man, wenn man den ganzen Menschen meint, sowohl im eigentl. Sinn als auch auf das moralische und geistige Gebiet übertr. Diese Rda. ist gebildet nach 5. Mos. 28,35, obwohl die Stellung da umgekehrt ist: ,,Der Herr wird dich schlagen mit bösen Drüsen an den Knien und Waden, daß du nicht kannst geheilt werden, von den Fußsohlen bis auf den Scheitel“. Auch an anderen Stellen spricht Luther in dieser Reihenfolge; das Griech. (Homer, Ilias 18, V.353), Lat. (,a capite usque ad calcem') und auch das Engl. (,from top to toe') dagegen haben unsere heutige Stellung, die auch im MA. die übliche war: „bei Verlust leibes und lebens und zu straffen von der schittel bisz auf die solen" (Reuter von Speir, ,Kriegsordn.'70); in diesem Beisp. ist der eigentl., körperliche Sinn gemeint. Der Beleg aus dem Mhd. zeigt, daß das Bild auch schon früh übertr. gebraucht wurde: man soi der vrouwen minne ervlêhen, von ir scheitel ûf ir zêhen. (Minnes. 3,439) Von einer bedrohlichen Sache sagen wir, daß sie sich uns auf den Scheitel senkt, so Goethe (1,269): „Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing, trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte“. Die Verantwortung für begangene Taten und Verbrechen wird auf unseren Scheitel fallen, wie es in Ps.7,17 heißt: „Sein Unglück wird auf seinen Kopf kommen und sein Frevel auf seinen Scheitel fallen“. Scheiterhaufen. Dem Scheiterhaufen übergeben: dem Gericht, der völligen Vernichtung preisgeben. Nach dem Scheiterhaufen riechen: ketzerische Meinungen vertreten, sich gegen die Lehre der kath. Kirche wenden, was im MA. sehr gefährlich war und nicht selten mit der Verurteilung zum Feuertod endete. Vgl. ndl. ,Het riekt naar de mutsaard' (mutsaard = Stapel von Reisig- Scheiterhaufen 811
Schelle bündeln als Scheiterhaufen), frz. ,sentir le fagot‘ und engl. ,to smell of the faggot4. Im .Klosterspiegel in Sprww., Anekdoten und Kanzelstücken4 (Bern 1841, 27,11) steht das Sagte-Sprw. ,Ehe ich auf den Scheiterhaufen ginge, sagte der Mönch, würde ich nit nur die Dreieinigkeit, ich würde die Viereinigkeit Gottes glauben1, das treffend den Heuchler charakterisiert, der sich um seiner persönlichen Sicherheit willen in alles fügt und den direkten Gegensatz zum Glaubensstreiter bildet. Schelle. Einem die Schelle(n) anhängen: ihn zum Narren machen. Murner gebraucht die Rda. schon so (,Schelmenzunft4 4): Du henkest jm ein Schellen an, der hat dir das, der jhens gethan. Urspr. galt das Schellentragen jedoch als Auszeichnung. Nach 2.Mos. 28,33 mußte der jüd. Hohepriester Schellen an seinem Gewand befestigen: „Und unten an seinem Saum sollst du Granatäpfel machen von blauem und rotem Purpur und Scharlach um und um und zwischen dieselben goldene Schellen auch um und um44. Die Schellen galten als Zeichen der Wachsamkeit. Ihr Klang zeigte dem Volk, das im Vorhof wartete, die Verrichtungen des Priesters im Heiligtum an, so daß es diese betend verfolgen konnte. Im MA. wurde es zu einer Mode bei den Rittern und Vornehmen, Schellen als Verzierung der Festgewänder zu verwenden. In Wolframs ,Parzival4 (122,8) heißt es: sin zeswer arm von schellen klanc, swar ern bot oder swanc. In seinem ,Gargantua1 (177, Ndr.) beschreibt Johannes Fischart die Kleidung seines Helden Gargantua: „Er trug, ein fein wapenröcklin, daran silberne schellelein und flinderlein zum thurnieren und schlit- tenfahrn an kettlein hingen. Dann solchs war damals der brauch, dasz man mit eim klingenden gepräng und prangendem ge- kläng, als wann der hohe priester ins heilig- thumb gieng, auff den platz erschien“. Auch Geistliche befestigten Schellen an ihren Meßgewändern, selbst Heiligenbilder wurden damit geziert, wie die Statue des ,Schellenmoritz4 (1411 v. Konrad von Eimbeck) in der Mauritiuskirche in Halle a. S. beweist. Noch bei der Krönung Karls V. hatten Beamte Schellen an ihren Gewändern. Die Bauern übernahmen diesen Brauch ebenfalls, denn von ,Meier Helmbrecht1 heißt es: dä der ermel an daz muoder gat alumbe und umbe was diu nat behängen wol mit schellen. Erst später erhielten die Schellen negative Bdtg. und dienten zur Kennzeichnung der Narren, ein Brauch, der sich bis heute bei den Narrenkostümen der südd. Fastnacht erhalten hat. Die folgenden Rdaa. beziehen sich auf die Schelle als Symbol für die Narrheit: Jeder hat seine Schelle: jeder hat eine närrische Seite. Die Schelle bleibt ihm unbenommen: an seiner Narrheit zweifelt niemand. Einem die Schellen rühren: seine Narrheit offenbaren. Seb. Brant gebraucht die Rda. in seinem ,Narrenschiff‘ (29a) in reflexiver Form: wer nit die rechte kunst studiert, der selb jm wol die schellen rürt und wurt am narren seil gefürt. Seine eigenen Schellen schütteln: seine Schande selbst bekanntmachen. Ähnl. zu verstehen ist die Wndg. bei Seb. Franck (II,52 b): ,Er hat dannoch die schellen dauon bracht\ er ist mit Schaden und Schande noch einmal davongekommen (vgl. ,mit einem blauen Auge davonkommen1). Alle Schellen an ein Pferd hängen: sein ganzes Vertrauen nur auf einen Menschen, eine Sache setzen, vgl. .alles auf eine Karte setzen\ Im Engl, mahnt die Wndg. zur Vorsicht: .I’ll not hang all my bells on one horse‘. Die Rda. eine klingende Schelle sein: ohne Inhalt, ohne inneren Wert sein, bezieht sich auf 1. Kor. 13,1: „Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend(es) Erz oder eine klingende Schelle“. Da man Geschwätz mit Schellengerassel gleichsetzt, nennt man im Schwäb. ein schwatzhaftes Weib .eine alte Schelle4. Auch in Oberoesterr. sagt man von einer alten, ständig keifenden Frau: ,Dös is recht an altö Schell4. Schellen ziehen (klopfen): jem. necken, ärgern oder täuschen. Es ist heute noch ein 812
Schelm beliebtes Kinderspiel, bei fremden Leuten zu schellen und sich dann zu verstecken, um deren Ärger zu beobachten. Sprachl. wird dieser Vorgang verschieden umschrieben. Am Rhein heißt es ,Mäuschen fangen1, ähnl. ndl. ,puisjes vangen\ frz. ,tirer les sonnettes*, engl, .giving run-away knocks (rings)'. Der Katze die Schelle an hängen (wollen) /Katze. Schelm. Du sollst mich einen Schelm hei- ßen, wenn ich das nicht tue. Diese Beteuerungsformel ist ein Rest der ma. Sitte, treubrüchigen, meineidigen Leuten ehrenrührige Scheltbriefe zu senden oder öffentl. anschlagen zu lassen. Abgeschlossene Verträge enthielten häufig den Zusatz, daß den etwa wortbrüchigen Teil ein solches Schelten treffen solle: „Er hat bei zwaien jaren dem churfürsten bei Rhein, pfalzgraf Ludwigen, bei der handt und bei Schelmen schelten verheiszen, er wollt noch vier jar leben“ (,Zimmerische Chronik*I, 345). Die alte Bdtg. dieses gerichtlichen Schel- tens hat sich noch in den Ausdrücken gescholten* und unbescholten* erhalten. Die Grundbdtg. des Wortes Schelm ist im Dt.: Aas, gefallenes Tier (das finn. Wort ,kalme* = Tod, Grab scheint in ältester Zeit aus germ. *skalm-j-an entlehnt zu sein). Belegt sind ahd. scalmo (bzw. skelmo) und mhd. schalme (bzw. schelme) = toter Körper von Vieh und Mensch: ,sîn pêrd tom schelm maken lä- ten\ es abstechen lassen (Versuch eines bremisch-niedersächs. Wb., 1770). ln Jörg Wickrams ,Rollwagenbüchlein* findet sich auch die Geschichte ,Von zweien Roßtäuschern, die Schelmen tauschten*. Zahlreiche Flurnamen (Schelmenmatte, -acker, -halde) weisen auf Spuren früherer Begräbnisstätten hin. Der Schinder, der dem gefallenen Vieh die Haut abzog, und der Henker, der oft zugleich das Amt des Schinders ausübte, wurden ,Schelmen* genannt. Daher stammt auch die Sage vom Adelsgeschlecht der Schelme von Bergen: „Und weil du ein Schelm (= Henker), so nenne dich Herr Schelm von Bergen künftig“ (Heinrich Heine). Uralt daneben ist die Bdtg. ,Seuche*: „Die saw ist mir am schelm gestorben“ (Hans Sachs, Fast¬ nachtspiele, 1554). Die ,Chronik der Stadt Straßburg* berichtet: „Do kam ouch ein gemeiner schelme und ein sterben under die Rite“ (Dt. Städtechroniken 8, 120), und im .Briinner Stadtrecht* (S.246) heißt es: „si pecus ex pestilentia, quod vulgariter schelm dicitur, moriatur, tunc cutem demonstrando liber erit**. Noch heute gibt es in Niederoesterr. den Ausdr. Schelm für eine bestimmte Schweinekrankheit. Ohne verächtliche Nebenbdtg. wurde unser Wort manchmal für den Leichnam eines Menschengebraucht: „sie verpranten die Schelmen“ (= die im Kampf gefallenen Soldaten) heißt es in einer Münchner Hs. des 15. Jh. Da aber die verächtliche Bdtg. vorherrschte, wurde bald ein Schimpfwort daraus: „ir schalm und gebür** (Lassberg, Liedersaal 1,198). Das kräftige Schimpfwort ,Du Schelm und Filzlaus!* stammt aus Stuttgart. Richard Wagner läßt die kühnen Recken und Helden in seinen Musikdramen häufig stabreimend auf Schelm schimpfen, wie es z.B. Alberich in ,Rheingold* tut: Schau, du Schelm! Alles geschmiedet Und fertig gefügt, Wie ichs befahl! Der neuere Sprachgebrauch bez. mit unserem Wort vor allem einen Betrüger. „Der Schelm! Der Dieb an seinen Kindern!“ ruft Frau Marthe bei der Nachricht über den angeblichen Tod ihres Gatten aus (,Faust* 1, 2985). Dazu gehört auch das Sprw. aus dem Oberallgäu: Gelegenheit macht Dieb und Schelm* und Goethes „Schelmenfabri- kant“ im ,Egmont* (IV, 296). Norw. und dän. ,skjelm* und schwed. ,skälm* (Betrüger) sind Lehnworte aus dem Dt. Auch Schiller benutzt die Rda. lit.: „Dein Vater ist zum Schelm an mir geworden“ ^Wallensteins Tod* 3,18). Wurde im MA. ein Soldat für unehrlich und meist zugleich auch für vogelfrei erklärt, so wurde er zum Schelmen gemacht, was oft mit empfindlichen Strafen verbunden wurde: „Wird einer zu eim Schelmen erkanndt, soi ihn der Züchtiger auf den freyen Platz führen, ime die zween Finger forne abhawen“ (Fronsperger, Kriegsbuch 1587, 1, 13a). Es bedurfte einer eigenen Zeremonie, um so einen armen Schelm wieder ehrlich zu ma- 813
Scherben schelmisch fleisch nit frist44. ln den ,Gesta Romanorum1 heißt es im Sinne von ,Pesttod1: „Da chom ein schelmiger tod und nam hin alle sein chneht und dirn44. Später steht das Adj. für betrügerisch: „verwickelt ihn in Schlägereien und schelmische Streiche“ (Schiller, ,Räuber4 2,3). Schließlich und endlich wandelt sich die Bdtg. zu,neckisch4, bes. den verliebten Mädchen gegenüber. Das Schelmenlied(lein)yNdj anfangs ein anstößiges Lied: „Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen ... aber Schelmenlie- der, so viel wir wollen44 (,Egmont‘ 1,1). In den Alpengebieten meint man mit Schel- menliedern singen nichts anderes, als ein paar lustige ,Schnadahüpfl4 zum besten geben. Lit.: W. Danckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern - München 1963); R. W. Brednich, L. Röhrich, W. Suppan: Handbuch des Volksliedes, Bd. I (München 1973). chen. Im heutigen Sprachgebrauch ist der entehrende Sinn von Schelm fast gänzlich verschwunden (vgl. Schalk). Thomas Murner verwendet den Ausdr. in seiner Satire ,Schelmenzunft4 von 1512. Die Bez. des Titelhelden in Chr. Reuters Roman ,Schel- muffsky4 (1696) zeigt ebenfalls den Übergang an. „Obendrein hat mich ein Schelm von Schneider noch sitzen lassen44 (Schiller, ,Kabale und Liebe4 1, 6). Schließlich kann man mit Schelm heute sogar einen ,armen Teufel4 bezeichnen, wie es in einem schwäb. Vers aus der Volksdichtung geschieht: Wer nix derheiratet und nix dererbt, Bleibt ein armer Schelm, bis er sterbt. Seit Beginn des 18.Jh. wird Schelm sogar zum Kosewort mit neckischem, schalkhaftem Nebensinn: „Ach du Schelm, so neckst du mich!44 ruft der verliebte Faust dem Gretchen zu (,Faust4 I, 3205). ,Die Liebe ist ein Schelm4 lautet ein Sprw., und man kann nicht nur den Schalk, sondern auch den Schelm im Nacken haben. So bedeutete auch Schelmerei einst eine Spitzbüberei4 und wandelte seine Bdtg. zu Schalkheit4 und Schäkerei4. Genau die gleiche Entwicklung wie der Schelm machte auch dessen Adj. schelmisch durch. Hans Sachs gebraucht es noch in einem Gedicht für verwesendes Fleisch: „Weil aber des beren natur ist, Das er kein Scherben. Aus den Scherben sehen, wie der Hafen war oder von den Scherben auf den Topf schließen: aus den Handlungen und Werken eines Menschen auf seine Gesinnung, seinen Charakter und seine Bildung schließen. Scherben flicken: eine nutzlose Arbeit verrichten. Schon bei Sir. 22,7 heißt es: „Wer einen Narren lehret, der flicket Scherben zusammen44. Vgl. lat. ,ovum agglutinare4. Im sprachl. Vergleich hat Scherbe die Bdtg. von ,Blumentopf4, so in Ps. 22,16: „Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe44. Auch Schiller verwendet das Bild in den .Räubern4 (III,2): „Meine Zunge ist trok- ken wie eine Scherbe44. In Scherben gehen (fallen): zerstört, vernichtet werden, vgl. die ähnl. Wndg. ,in die Brüche gehen4. Scherbe dient auch zur Umschreibung der Gebrechlichkeit, z.B. nennt man in Ober- oesterr. alte, hinfällige Leute ,alte Scherben4. Dagegen bez. man mit der Wndg. ,eine alte Scherbel4 ein liederliches Weib. Im Hess, kann Scherbe auch für ,Kopf‘ stehen: ,He is nitt ganz helle mär in der Scherwe4, er ist nicht mehr recht bei Verstand. Scherbengericht. Es ist ein Scherbengericht (gewesen): ein oberflächliches Urteil einer großen Mehrheit. Durch das Scherbenge- 814
Schere rieht wurden in Athen seit Kleisthenes (509 v.Chr.) verdiente Staatsmänner verbannt, wenn dies im Interesse des Staates geboten schien. Aristoteles berichtete darüber in seiner ,Politik1 (III, 13) (Büchmann, S.587). Schere. Etw. unter die Schere nehmen: etw. bearbeiten oder in Angriff nehmen in der Absicht, es zu bessern. Das rdal. Bild bezieht sich auf die Tätigkeit des Wollsche- rers,der Knoten und die Unebenheiten aus dem Tuch entfernte, um es zu glätten. SVr£(ju$fcÇâr<r. ,Etwas unter die Schere nehmen4 Die Rda. einen unter die Schere nehmen bezieht sich dagegen mehr auf den Haarschneider. In übertr. Bdtg. meint sie heute: einen zurechtweisen, jem. den Übermut dämpfen. Einen in die Schere nehmen: einen unter Druck setzen, ihn ,in die Zange nehmen*, ihn etw. entgelten lassen. Ähnl. heißt es schon in der ,Zimmerischen Chronik* (III, 242): ,,Der fiel in zum ersten, wie man sprucht, in die scheeren und must die suppen ußfressen**. Die sächs. Wndg. ,Ich wer’n emal in de Schere nehm, aber nich mit Brechstangen* hat das Bild von der Schere auf die kreuz¬ weise zuschlagenden Arme übertr. und bedeutet: mit jem. ohne fremde Hilfe fertig werden. ,Mit de knappe Scher tosnieden4 wird in Holst, bei übergroßer Genauigkeit und Geiz als Rda. verwendet. Dabei werden die urspr. dem Schneider zugeschriebenen Eigenschaften verallgemeinert. ,He het de grote Schere uthangen4 ist eine in Ostfriesland übliche Wndg. Das Aushängen der Schere als Handwerkszeichen des Schneiders deutet in der Rda. auf Übervorteilung hin. Die ndl. Rda. ,Daar hangt de schaar uit* meint ebenfalls überteuerte Preise und Beutelschneiderei. Pieter Bruegel hat sie auf seinem großen Rdaa.-Bild dargestellt. Die große Schere führen hat dagegen die Bdtg. von zuviel schneiden, übertr.: ,das große Wort führen*. Die jiid.-dt. Rda. aus Warschau ,Er hot a weggelegt Scher ün Eisen4 meint: er hat sein Geschäft aufgegeben, sich zur Ruhe gesetzt. Hierbei wird das Bild von der weggelegten Schere und dem Bügeleisen vom Schneiderberuf auch auf andere Berufe übertr. Die bair. Wndg.,einem d’ Schar aufheben* bedeutet: einem die Ausübung seines Gewerbes untersagen. Es erfolgte hierbei eine Verallgemeinerung vom Schneiderhandwerk auf alle übrigen Gewerbe, die die Schere nicht zum Kennzeichen haben. Scheren schleifen: schwatzen, lästern, verleumden; die Vorstellung vom Abschneiden der Ehre wirkt auf das Bild von der Schere ein wie auch die allg. schlechte charakterliche Einschätzung eines /Scherenschleifers. Schon früh wurde die Tätigkeit böser Zungen in Rdaa. festgehalten und verurteilt, z.B. von Joh. Pauli in ,Schimpf und Ernst4 (13a): „Sie tragen wasser auff beyden ach- seln, und schleiffen scheren und wenden und reitten auff zweyen sätlen4*. Auch Joh. Fischart schreibt über die Weiber: „dann eh sie ein halb stund gelachten, und scheren schliffen eine stund, da jn nit gstehet hand noch mund (,Flöhhatz-Weibertratz* 333, 1577). Ganz ähnl. Rdaa. sind noch heute in Köln gebräuchl., wenn es vom Kaffeeklatsch heißt: ,Et Schierche wor fließieh em Jang*, 815
Scheren oder daß man dort ,et Schierche schliefe1 kann. Die Wndg. Sie sind mit einer Schere gestutzt hat die gleiche Bdtg. wie die Rda. ,Sie sind übereinen Kamm geschoren4, d.h. sie sind gleich zu beurteilen, einer ist nicht besser als der andere. 1st eine Schere bes. stumpf, macht sich der Ärger darüber auch in Rdaa. Luft: ,Die Schere schneid’, wie e dooder Hund beißt4 (obersächs.) oder ,De Scher bitt mehr as se snitt4 (holst.). Will man in Köln jem. in den April schik- ken, dann läßt man ihn ,de Jlasescher holle4. scheren. Das gemeingerm. Wort für lat. ,tondere4 ist im Ahd. als ,sceran4 und im Mhd. als,schern4 bezeugt. Neben dem starken Verb, das schon früh mehrere Bdtgn. besitzt, besteht das schwache Verb .scheren4 (ahd. ,scerian4, mhd. ,schern4) i. S. v. teilen, abteilen und zuteilen. Die schwachen Formen werden im Nhd. nur bei fescheren4 und ,sich scheren4 noch gebraucht. Aus dem Nebeneinander der Wortbedeutungen erklärt sich auch der verschiedene Sinn der Rdaa. 12. .Einen scheren1 Einen scheren: jem. übervorteilen, prellen, betrügen, auch: ausbeuten, bedrücken, Geld erpressen. Die Wndg., die seit dem 16.Jh. übertr. gebraucht wird, bezieht sich urspr. wohl auf das Scheren der Schafe oder auf den Barbier, der seine Kunden übervorteilt. Sie wird vof allem auf den betrü- ,Einen scheren4 gerischen Wirt bezogen, der seine Gäste eine zu hohe Zeche zahlen läßt. Diese Vorstellung begegnet auch in der Volksdichtung, z. B. heißt es im Liederbuch der Clara Hätzlerin (2,74, 86): Auch verderben sy manigen wirt, Der gar genaw den gesten schirt. Auch im ,Ambraser Liederbuch' (130, 46ff.) findet sich die Wndg.: Den wirth den wolt ich nennen gern. Ich mein er kan den gästen schern, Von jn nimpt er das gelt gar schon Schier mir nit mehr. Goethe gebraucht den Ausdr. i.S.v. berauben, ausplündern lit. in seinem ,Götz von Berlichingen4 (I.Akt): „Reitersmänner von Ansehn; dergleichen Volk schnorrt das ganze Jahr im Land herum, und schiert die Leut was tüchtigs44. Auf die Herkunft der Rda. von der Schafschur weisen parallele Wndgn., wie ,sein Schäfchen scheren4, seinen Vorteil wahrnehmen, ,die Schafe scheren, daß die Wolle fliegt4 und ,die Schafe scheren, ohne daß sie schreien4, die Leute unterdrücken und ausbeuten auf eine vorsichtige und versteckte Weise, so daß sie es kaum bemerken und sich nicht dagegen zur Wehr setzen. Vgl. ndl. ,Hij scheert het schaap, zonder dat het schreeuwt4. Das Gegenteil besagt die Rda. ,Er schiert bis aufs Fell4, er nimmt alles und 816
Scheren läßt einem nur die nackte Haut. In Schlesw.-Holst, heißt es mdal. noch heute von einem, der alles verloren hat: ,He is'n scharen Schaap\ /Schaf. Auch auf die Getreideernte wurde scheren angewandt, so in der Rda. seinen Weizen scheren: sich Gewinn verschaffen. Die Wndg. ist bereits in der Chronik Aventins (1,367, 23) bezeugt: „Wiewol die groszen Hansen und hauptleut, die bei im irn waiz nach irem sin nit schern mochten, oft auf- rüerisch warn wider in“. Im ,Kölner Passional1 (142,42 Köpke) wird die Rda. ebenfalls gebraucht: Zu Jerusalem er do vur, do er sinen weize schür und koufte swaz er wolde aida mit deme golde. daz im wol zu nutze quam. Einen gut scheren: ihn beim Spiel übervorteilen; dafür steht auch: einem den Beutel scheren, lit. z. B. bei Hans Sachs (3,312C): „Sie nam vert erst ein jungen man. der hat jrem beutel geschorn44. Drastisch verstärkt heißt es im ,Teufels-Netz4 (9250) sogar: „Der koufman aim daz har im ars schirt“. Scheren erscheint auch im Wortspiel als Gegensatz zu dem noch stärkeren und verwerflicheren /schinden. So dichtet Logau (2,166, 39): Große Herren, die da herschen, Mögen schehren nur nicht schinden. Hirten nemen so die Wolle, Daß sie Wolle wieder finden. Die Rda. ,jem. scheren4 kann aber auch noch die übertr. Bdtgn. von schneidenden Schmerz empfinden, von schlagen, den Feind besiegen und von entehren, schänden (lat. stuprare) annehmen. Hans Sachs schreibt z.B. (4.3,45b): Die köchin hat mir sauber gschorn Mit dem kochlöffel an dem ort. ln einer Urkunde von 1645 heißt es i. S. v. schänden: ,,Der Koch habe sie (des Pflegers Tochter) gschorn als eine Bestia44. Einen trocken scheren:einen übervorteilen, meist aber iron, oder euphemist. umschreibend gebraucht für: einem den Kopf ab- schlagen, jem. enthaupten. Eigentl. meint die Rda. jem. den Bart abnehmen, ohne ihn vorher naß zu machen und einzuseifen. Vgl. ndl. ,scheren zonder zeep4. Auch im Volkslied ist die Rda. verwendet worden, im ,Ambraser Liederbuch4 stehen die Verse (130,2): Sich klagt der vollen briider orden, Der wirth der hat uns trucken geschoren. Die Stelle in J. Rufs ,Etter Heini4 (Vorspiel 238): Zu Nëfels an der Lez Hannd wir inen geschoren ungenez entspricht der Rda. ,jem. trocken scheren4 i. S. v. töten. Die Verse beziehen sich auf einen Sieg am 9. April 1388 bei Näfels im Kanton Glarus, wo 6000 Oesterreicher von nur 500 Glarnern besiegt wurden, die die meisten ihrer Feinde töteten. ,Den Gecken scheren4 Einem den Gecken scheren .ihn zum Narren machen, seinen Spott mit ihm treiben. Der geschorene Kopf war früher das Kennzeichen des Narren. Vgl. ndl. ,de gek (den sot) scheren met iemand4. ,Die Laus um den Balg scheren4, sehr geizig sein, eine bes. im Schwäb. bekannte Wndg. Alles über einen Kamm scheren /Kamm. Sich um etw. (jem.) scheren: sich darum kümmern, sich Gedanken, Sorgen darum machen. Die Wndg. wird meist negativ oder in Frageform gebraucht, häufig auch lit., z.B. bei Goethe (Werke 4,364): Was schiert es mich, Ob jemand weiß, Daß ich das Volk verfluchte, ln der Ballade ,Die Grenadiere4 läßt Heinrich Heine den Todwunden sagen: Was schert mich Weib, Was schert mich Kind? Ich trage weit beß’res Verlangen. Sich (davon)scheren: sich entfernen, eilig 817
Scherenauge, Scherenloch ,Den Gecken scheren4 davongehen, verschwinden. Die Rda. wird meist imperativisch gebraucht: Scher dich zur Hölle (zum Kuckuck, zum Teufel)! Spätmhd. ist das Wort ,schern4 in der Bdtg. sich fortmachen bereits bei dem Tiroler Oswald von Wolkenstein belegt (6,21). Hochgeschoren sein: vornehm, von hohem Stande sein, aber auch spöttisch gesagt, wenn sich jem. mehr dünkt, als er ist. Die Wndg. erinnert an die bes. Haartracht der Adligen und Geistlichen, die sie vom niederen Volke unterschied.*Ein lit. Frühbeleg findet sich schon in Hartmann von Aues ,Erec‘ (6632): swie hohe er waere beschorn, er wart do lützel uz erkorn, ez waere abt od bischof. Mdal. hat sich diese Vorstellung rdal. bis heute erhalten. So sagt man z.B. in Sachsen: ,Das ist nichts Geschorenes weiter4, wenn es sich um vornehm tuende Personen handelt, deren Wert man herabsetzen möchte. Einen ungeschoren lassen: ihn in Ruhe lassen, nicht weiter belästigen, quälen. Die Rda. ist seit der 2. H. des 17. Jh. belegt und soll an die Badeszenen der Handwerker und die Deposition der Studenten erinnern, denen Haar und Bart grob bearbeitet wurden, um ihnen symbolisch ihre Tölpelhaf¬ tigkeit und Unbildung zu nehmen, /ungeschoren. Scherenauge, Scherenloch. ,He hett et ock dör et Scherenaug loten\ er hat es veruntreut, ,unter den Tisch fallen lassen*. Diese ndl. Rda. hat Pieter Bruegel ganz wörtl. genommen und als Auge dargestellt. Gemeint ist wohl das Scherenloch (für Daumen und Mittelfinger), durch das beim Zuschneiden der Stoffrest fällt. Die Bdtg. wäre demnach: etw. unterschlagen, wie auch die folgenden dt. Rdaa. beweisen: ,Dat es dort schaeren- oge gan, dat küemt in de helle* (westf. seit 1882 belegt): in Köln dagegen heißt es: .durchet Schereloch falle*: ,,Un machen de Schneider einen Rock - dan fält auch durch et Schereloch en Bötzgen (Höschen) för et Kind“. Dieser Spruch ist für Köln seit 1810 bezeugt. Scherenschleifer. Er ist ein Scherenschleifer: er ist ein charakterloser Mensch, auch einer, der beruflich versagt hat. Diese verächtliche Bez. beruht darauf, daß den umherziehenden Scherenschleifern geringeres Können als den ansässigen und schlechtere Charaktereigenschaften nachgesagt wurden. Aber auch ein Hund ohne Stammbaum kann so genannt werden; hier spielen 818
Scheuklappen ^iT©c|lci)ffcr. Scherenschleifer gleiche Überlegungen eine Rolle: Umherstreunen und schlechte Eigenschaften. Die Wndg. ,He schimpt as'n Scherenslie- per4 (vgl. Kesselflicker) ist in Schlesw.- Holst. üblich und beruht vielleicht darauf, daß man die Sprache der umherziehenden Fremden nicht verstand. Außerdem wurden sie allg. mißachtet, so daß auch ihre Ausdrücke für entspr. niedrig und unflätig gehalten wurden. In Ulm wird gesagt: ,Er hat e Schereschleifermaul4, was sich auf einen Menschen bezieht, der gern lästert und beschimpft. Der Ausdr. ,Hool dien Schernslieper- snuut!4 wurde bereits 1850 in Flensburg im Ärger zu einem kläffenden Hund gesagt. Der rdal. Vergleich ,Er rennt wie e Scherenschleifer4 ist in Sachsen häufig. Er beruht auf der Beobachtung, daß der umherziehende Scherenschleifer die Entfernungen zwischen den einzelnen Ortschaften mit seinem Karren rasch zurücklegt, um Zeit für seine Arbeit zu gewinnen und mehr verdienen zu können. Lit.* T. Hampe.-Die fahrenden Leute in der dt. Vergangenheit (Leipzig 1902); W. Danckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern 1963). Schererei. Scherereien haben (bekommen): unangenehme Schwierigkeiten haben, Belästigungen erwarten müssen. Jem. in Scherereien bringen: ihm Ungelegenheiten schaffen, ihn in eine gefährliche Lage bringen, ihn in Unruhe versetzen. Schererei ist von /scheren abgeleitet. Das Scheren des Haares war bei den älteren Barbiertechniken mit Unannehmlichkeiten verbunden. Darüber hinaus ist bei diesen Wndgn. wahrscheinl. aber auch an das Kahlscheren als Ehrenstrafe zu denken. Scherflein /Dreier. Scheuklappen. Scheuklappen tragen (oder haben): einen begrenzten Blickwinkel haben, borniert sein, eine Rda., die erst seit Beginn des 19. Jh. in unseren Sprachgebrauch eindringt. Um das Jahr 1810 prägen die Zeitungsschreiber und Journalisten das Wort: Scheuklappen der Politik („Den freien Blick benimmt ihm die Scheuklappe der Parteipolitik“). Die Scheuklappen gehören zum Geschirr der Pferde. Sie werden am Kopf des Tieres so angebracht, daß sie den Blick der schräg stehenden Augen einengen. Sie verhindern, daß die Pferde durch die Vorgänge rechts und links des Weges verwirrt und scheu gemacht werden. Die ältere Bez. ist ,Scheuleder1. In seiner ,Christlich Bilger- schaft4 (Basel 1512) sagt der Prediger Johann Geiler von Kaisersberg: „Das ist das David redt. Du hest inene ire stützen ver- kert, vnnd innen dye gesetzt zu hannffbut- zen, vnd zu eynem schüledder gemacht ir gutten werck den menschen“. Erhard Cel- lius, der schwäb. protestantische Geistliche, ruft in einer Dankpredigt aus: „Wann uns unser himmelischer Vatter... ansiehet, sollen wir kein Scheuleder oder Umbhang fürziehen44. Wieland mahnt die leitenden Staatsmänner in seinen ,Aufsätzen über die Französische Revolution1: „Ich erwarte also von der Klugheit der Herren Repräsentanten, daß sie sich beeifern werden, der gar zu hell sehenden Nation die nöthigen Scheuleder vor die Augen zu hängen44. Schließlich schreibt Jean Paul in seiner ,Auswahl ausdesTeufels Papieren4 (1789): „Sonst hatte das Alter die Erfindung eines zweiten Auges, der Brille, vonnöten: allein tausendmal nötiger war jetzt für die Jugend ein zweites Augenlid, ein Ding offenbar wie ein Scheu- oder Augenleder der Pferde, 819
Scheunendrescher Scheuklappen tragen1 kurz ein Glas zu schleifen, das die Augen hinlänglich schwächte und ihnen das Weitsehen versperrte“. Scheunendrescher. Essen (fressen) wie ein Scheunendrescher: übermäßig viel essen, großen Appetit haben. Der rdal. Vergleich ist schon bei Thomas Murner (1475-1537) bezeugt; ähnl. heißt es altmärkisch: ,Sin Moag’n is’n Schündäl' (Scheunendiele). Die Scheunendrescher mußten schwere körperliche Arbeit verrichten, die gleichzeitig viel Staub erzeugte und entspr. durstig und hungrig machte. So wurden die Scheunendrescher wegen ihrer ungewöhnlich großen Eß- und Trinklust sprw. bekannt. Auch Grimmelshausens Simplex berichtet von sich selbst (,Simplicissimus' IV, 8): ,,Ich mochte damals fressen wie ein Drescher, dan mein Magen war nicht zu er- sättigen“. Obersächs. sagt man dafür auch: Tressen wie e Scheffeldrescher1. Scheffeldrescher waren gemietete Leute, die um den Scheffel droschen, d. h. in einer Art von Akkord arbeiteten. Ein ähnl. rdal. Vergleich, der vom gleichen Urspr. abzuleiten ist, lautet: hungrig sein wie ein Scheunendrescher. Scheunentor. Der Wink mit dem Scheu- nentor ist noch eindeutiger und unmißverständlicher als der ,Wink mit dem Zaun- pfahl4. Dieser Wink bezieht sich auf die Größe des Scheunentors, das man keineswegs übersehen kann. Westf. sagt man: ,met der Schüerdör wenken'. In Franken droht man einem, der von sanfteren Hinweisen absolut keine Notiz nehmen will: ,Dem muß mer mit’n Scheurator winken'. Aus Bedburg ist sogar die Rda. bekannt: ,Dä fällt met der Schürendür en et Hus'. Ferner gibt es noch den Ausdr.: ,Hei hirt möt Schulten Schindohr' (= mit Schulzens Scheunentor) und meint damit: er hört falsch. Dastehen wie die Kuh vor dem neuen Scheunentor /Kuh. Schib(b)oleth. Das ist das (sein) Schibholet: das ist das Losungswort für eine Person oder eine Partei. Urspr. war ein mdal. unverkennbares Zeichen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volksstamm gemeint. Die Rda. bezieht sich auf folgende Bibelstelle (Richter 12,5-6): „Und die Gileaditer nahmen ein die Furten des Jordans vor Ephraim. Wenn nun die Flüchtigen Ephraims sprachen: Laß mich hinübergehen! so sprachen die Männer von Gilead zu ihm: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann antwortete: Nein! hießen sie ihn sprechen: Schiboleth; so sprach er: Si- boleth und konnte es nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn und schlugen ihn...“ Das Wort Schiboleth bedeutet: Fluß oder 820
Schief Ähre. Nach der Niederlage suchten die Ephraimiten den Rückweg über den Jordan. Die Gileaditer erkannten sie an ihrer anderen Aussprache und übten Rache an ihnen. Seither wird das Wort Schiboleth bis heute i. S. v. Erkennungszeichen, Losung gebraucht. Während der Siziliani- schen Vesper wurde 1282 ein ähnl. Versuch unternommen, wobei die Franzosen an der Aussprache des ital. ,ciceri‘ erkannt wurden. Vgl. auch ndl. ,voor iets het schib- boleth zijn4. Lit.: Büchmann. S. 20; Kluge-Götze, S. 662. Schicht. (Mit etw.) Schicht machen: auf hören, stammt aus der Bergmannssprache, wo Schicht zunächst eine in sich gleichartige, plattenförmige Gesteinsmasse (Gesteinsbank), dann die zum Abbau einer Gesteinsschicht benötigte Zeit, schließlich die Arbeitsfrist für Bergleute bez., wie es seit etwa 1300 im erzgeb. Bergbau bezeugt ist. Schon in mhd. Zeit hatte Schicht zwei Bedeutungen: 1. eine Lage einer bestimmten Erd- oder Gesteinsart, 2. die Ordnung, Anordnung, Arbeitszeit. Das spiegelt sich in den folgenden Rdaa.: eine Schicht fahren (wechseln) und in Schichten arbeiten. Der Zusammenhang mit dem Bergbau ist deutlich, das Einfahren in den Schacht ist zunächst gemeint. Wenn aber in Köln heute gesagt wird: ,Mer arbeide en drei Schichte, suvill hammer ze dun\ dann wird nur noch an die begrenzte Arbeitszeit gedacht. Die Wndg. ,Schicht machen4 ist heute mehrdeutig; sie meint 1. nach Ablauf der Arbeitszeit Feierabend machen, 2. ohne Kündigung die Arbeit niederlegen und 3. sterben, auch ,eine Grabschicht machen4. Stieler hat die Rda. ,Schicht machen4, mit der Arbeit aufhören, 1691 in ,Der Teut- schen Sprache Stammbaum4 gebucht; in übertr. Anwendung findet sie sich seit dem 17.Jh., so 1621 in Theobalds ,Hussiten- krieg4 (Bd.II, S. 199): „Wann man am besten zu Hof ist, soll man Schicht machen44; dann 1726 bei Gerner in der ,Historia derer Widergebohrenen in Sachsen4 (Bd.I, S.566): ,,Im 56. Jahre machen die großen und tapfern Gemüther Schicht, die Helden sterben44. In der Oberpfalz hat die Rda. noch die Bdtg.: Ordnung machen, Ruhe wiederherstellen. ,Ich wâr Schecht mîd ’m macha4, ich werde einmal gehörig aufräumen, ihm meine Meinung sagen, wird ebenfalls i. S. v. Ordnungschaffen in Schlesien und Oesterr. gebraucht. Es gibt Schicht: es gibt Schläge. In Preußen wurde eine Strafe so in Aussicht gestellt: ,Hans, min Sän, du kröchst e Schicht!4 Lit.: Germania I, S. 354; H. Wolf: Studien zur dt. Bergmannssprache in den Bergmannsliedern des 16.-20. Jh., vorwiegend nach mitteldt. Quellen, Mit- teldt. Forschungen Bd.XI (Tübingen 1958). Schickse(l). Sie ist eine Schickse: eine verachtete weibl. Person. Das Wort Schickse geht auf hebr. ,sikkuz4 = Greuel zurück. Bei den Juden wurde ,sikzo4 nur für das Christenmädchen gebraucht, wie es bei Bibliophilus 1742 im ,Jüd. Sprachmeister4 (76) bezeugt ist. Merkwürdigerweise hatte aber in der Gaunersprache der Jude eine ,Schicksel4 als Begleiterin. Eine ,Tippelschickse4 war die allg. Bez. fürdas Mädchen auf der Wanderschaft, für die Gaunerin. Aus dem Rotw., das schon seit 1724 die Ausdr. ,schicksgen4 = Frau-Mensch und ,schicks(e)4 = Gaunerin kannte, drang das Wort in die dt. Mdaa. ein und erhielt die neue Bdtg. ,Judenmädchen4. Daneben blieb Schickse aber weiterhin die verächtl. Bez. für jede Weibsperson und nahm in der Studentensprache seit dem 18. Jh. den Sinn von einer Konkubine und Geliebten an, bezeugt seit 1781 bei Kindleben (,Stud.- Lex.4 183). Lit.: Fr. Kluge: Rotwelsch (Straßburg 1901), 1, S. 184; Zs. f. dt. Wortf. 9,66. schief. Die Rdaa. auf eine schiefe Bahn geraten und auf die schiefe Ebene kommen beruhen auf der Beobachtung, daß ein Körper in immer schnellere Bewegung gerät, der einmal ins Gleiten gekommen ist. Auf den Menschen übertr., enthalten diese Wendungen eine bedauernd-resignierende Feststellung: es ist kein gutes Ende mehr zu erwarten, denn es wird nun immer schneller abwärts (bergab) gehen, das Verhängnis muß sich wie ein Naturgesetz vollziehen. Auch hinter der Rda. ,jem. ist haltlos geworden4 steht das Bild von der schiefen Ebene. Um eine Warnung vor verantwortungslosem Handeln auszusprechen, sagt man: ,Sieh zu, daß du nicht auf eine schiefe Bahn gerätst!4 821
Schief Die drei folgenden Rdaa. in eine schiefe Stellung geraten, in eine schiefe Lage kommen und sich in ein schiefes Licht stellen enthalten einen gemeinsamen Gedanken: Worte, Taten und Verhalten können falsch ausgelegt werden, so daß ein Zerrbild der Tatsachen entsteht. Der Vorsichtige versucht deshalb, alles zu meiden, das gegen ihn sprechen könnte. Das Krumme und Schiefe wird im Volksglauben dem Bösen gleichgesetzt. Daraus erklärt sich der überaus häufige Gebrauch des Adj. schief in den verschiedensten Wndgn., wie z. B. etw. geht schief', eine Sache geht schief aus, etw. läuft schief, es steht schief um eine Sache, d.h. etw. mißlingt, eine Sache nimmt eine verkehrte, üble Wndg. Goethe gebraucht die Rda. in ,Faust41 und läßt Gretchen sagen: Wenn man’s so hört, Möcht’s leidlich scheinen, Steht aber doch immer schief darum; Denn du hast kein Christentum. Die Vorahnung eines schlechten Ausgangs einer geplanten Sache führte auch zu einer Wndg. in der Gaunersprache: ,Die Sache geht schiwes4. Als iron. Ausdr. der Ermunterung wird seit dem Ende des 19.Jh. bes. in Berlin, Sachsen und dem Rheinl. einem Verzagten zugerufen: ,Nur Mut - die Sache wird schon schiefgehen!4 Geht jem. von falschen Voraussetzungen aus, die zum Irrtum führen müssen, sagt der Berliner: ,Wenn de det denkst, denn biste schief jewickelt4. Die seit dem 19. Jh. bes. in Norddtl. verbreitete Rda. leitet sich entweder vom falsch gewickelten Säugling her (im Scherz wird behauptet, daß verschrobene Ansichten auf eine falsche Behandlung in der Säuglingszeit zurückzuführen sind) oder vom schief auf die Spule gewik- kelten Garn oder auch vom schiefgewik- kelten Tabak bei der Zigarre. Die Kölner Rda. ,de Zijar scheif rauche4 macht den Zusammenhang deutlicher. Theodor Fontane schreibt in einem Brief vom Juli 1856 an seine Frau Emilie: „Ein guter Kerl, aber total schiefgewickelt44. Einer der zahlreichen Ausdrücke für das Torkeln des Betrunkenen ist schief geladen haben. Die Vorstellung vom schiefgelade¬ nen Erntewagen oder von der schlecht verteilten Schiffsladung wurde auf den Bezechten übertr. (/trinken). Muß man sich wegen einer Sache die Stiefel (Absätze) schief laufen, dann bedeutet das, daß eine große Anstrengung nötig ist. Sagt aber jem. in Norddtl.: ,Da krig’ ek scheiwe stewel von4, dann lehnt er ein Ansinnen ab, das ihm Unannehmlichkeiten bringen kann. Die Feststellung Es ist zunt Schieflachen beruht auf der Beobachtung eines heftig Lachenden, der sich dabei biegt und krümmt. Die Rdaa. ,sich krummlachen4 und,sich einen Ast lachen4, d.h. ,sich bucklicht lachen4, verdeutlichen dies. Seit etwa 1850 sagt der Berliner auf die Bemerkung: ,Det sitzt ja schief4, schlagfertig: Schief is englisch! Englisch is Mode! Der heute in ganz Dtl. verbreitete Ausdr. weist auf eine als neu empfundene engl. Sitte, die Kopfbedeckung schief zu tragen, die zuerst bei engl. Matrosen beobachtet wurde. Daß man die Gedanken eines Menschen an seinem Gesichtsausdruck ablesen kann, beweisen die folgenden Wndgn.: einen schiefen Mund ziehen und ein schiefes Gesicht machen, sie gelten als Ausdr. von Ärger und Mißgunst. Gehässigkeit, Verachtung und Neid sind im Spiel, wenn man jem. einen schiefen Blick zuwirft, ihn schief ansieht. Die ndl. Rdaa. ,iets met scheele oogen aanzien4 oder ,scheele oogen maken4 meinen dasselbe. Auch in übertr. Sinne werden die Wndgn. etw. schief ansehen, d.h. falsch auffassen, und eine Sache schief sehen, ein falsches Abbild, eine unrichtige Vorstellung davon gewinnen, angewendet. In Zusammenhang damit stehen folgende Ausdrücke: etw. in einem schiefen Lichte sehen (zeigen, darstellen), etw. von einer schiefen Seite, einem schiefen Gesichtspunkt aus betrachten: falsch beurteilen. In übertr. Bdtg. spricht man von ,einem schiefen Sinn4, einem ,schiefen Urteil4, von dem ,schiefen Spiel4 eines Schauspielers, vom Gebrauch ,schiefer Bilder und Vergleiche4 beim Reden und Schreiben. Verschiedenes meinen die Wndgn. etw. schief anfangen (anfassen): falsch beginnen, etw. schief auffassen: falsch verstehen, etw. schief aitfnehmen: sich beleidigt fühlen. 822
Schiessen Die Rda. etw. ist windschief bewahrt in der Zusammensetzung ein altes Adj. jvind4 = gewunden, das heute nicht mehr verstanden wird. In der Volksetymologie tritt das Subst. Wind an seine Stelle. ,Damit du nicht schief wirst' sagt man scherzhaft in Ostpreußen und Sachsen, wenn man rechts und links Ohrfeigen austeilt. schielen. Auf etw. (nach jem.) schielen: etw. verstohlen beobachten, begehrlich auf etw. (jem.) blicken. Das Schielen galt außerdem als Ausdr. des Spottes, der Verachtung und des Neides. Schon Walther von der Vogelweide setzte das Schielen mit Tücke und feindlicher Gesinnung gleich (57,35): Kumt ein junger ieze dar, so wird ich mit twerhen ougen schilhend angesehen. Im Volksglauben ist das Schielen ein wichtiges und sicheres Kennzeichen für einen Menschen mit dem .zweiten Gesicht1, aber auch für den ,bösen Blick1. So darf z. B. in Mecklenburg niemand zugegen sein, der schielt, wenn gebuttert wird, da dies sonst mißraten könnte. Die Wndg. an (auf) einem Auge schielen wird im Volkslied zur metaphorischen Umschreibung der Entehrten gebraucht. So heißt es z.B. im Liederbuch der Clara Hätzlerin (2,68, 516): Die ere man ir nit mer bevilcht, Wann sy an ainem äugen schilcht. Die rdal. Vergleiche schildern das Schielen in scherzhaften und verspottenden Übertreibungen, z. B. er schielt wie ein Bock; sie schielt wie eine Gans, wenn's donnert. Bes. drastisch sind die Vergleiche in den mdal. Wndgn.: schwäb. ,Der schielt wie a Ratz‘; ndd. ,Dat schêlt as Dag un Nacht4; nieder- rhein. ,Der guckt mit dem linken Aug in die rechte Westentasche4; siebenb.-sächs. ,E sêgt än de schiele wänkel4. Eine neuere berl. Rda. besitzt nur übertr. Bdtg.: ,Er schielt mit den Beinen4, er ist betrunken. Lit.: S. Seligmann: Der böse Blick und Verwandtes, 2 Bde. (1910); K. Meisen: Der böse Blick und seine Abwehr in der Antike und im Frühchristentum, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 1 (1950), S. 144ff.; ders.: Der böse Blick, das böse Wort und der Schadenzauber durch Berührung im MA. und in der neueren Zeit, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 3 (1952), S. 169 ff. Schiene. Mit Schienen oder Schenen werden mdal. die Schienbeine bez., z. B. westf. ,sik vor de Schienen stauten4, übel anlau- fen, barsch abgewiesen werden; ostfries. ,He het säk blau Schenen lopen\ er hat einen ablehnenden Bescheid erhalten, bei einem Unternehmen ist ihm merklicher Schaden entstanden, er hat einen schmerzlichen Verlust hinnehmen müssen. Aus Moers stammt der Rat: ,Schlon öm vor de Schenen, wo de Jöd et Speck sitten het4, triff ihn an seiner empfindlichsten Stelle! Vgl. ndl. jemand iets voor de scheenen werpen4. Um auszudrücken, daß einem Schmerz (Unheil) noch ein größerer zugefügt wird, sagt man in Solingen: ,En blo Schên schwärt Stuten4. Aus der Konkurrenz des Gütertransportes durch Eisenbahn und durch Lastkraftwagen ergab sich das Schlagwort vom Wettlauf zwischen Schiene und Straße. Mit Schiene ist hierbei sehr umfassend der gesamte Güter- und Personenverkehr der Bahn gemeint. schießen. Einen Bock (auch: einen Fehler) schießen: einen Irrtum begehen, /Bock; daneben-(vorhei-)schießen, Löcher in die Luft schießen: das Ziel verfehlen, seinen Zweck nicht erreichen, /Loch; den Vogel abschießen: die beste Leistung erzielen, /Vogel; über das Ziel hinaus schießen: zu weit gehen, /Ziel. Alle diese Rdaa. stammen aus der Schützensprache und beziehen sich auf das Wettschießen. Von einem bes. treffsicheren Schützen heißt es: Er schießt einen Thaler zwischen den Fingern wegodti Er schießt seinem Kinde einen Apfel vom Kopfe, d.h. er ist so unerschrocken wie Wilhelm Teil. Dagegen: zu kurz schießen mit etw. /fehlen, vgl. ndl. ,te kort schieten\ Mit der silbernen Büchse schießen: Geschenke geben, um etw. wiedergutzumachen, bestechen, um Vorteile zu erlangen. Eine vergleichbare Rda. findet sich auch im Lat. ,argenteis hastis pugnare4. Die einfache Feststellung gut schießen können besitzt ebenfalls noch eine übertr. Bdtg. Sie umschreibt das bes. Talent, ohne Geld einzukaufen, etw. zu organisieren, seinen täglichen Bedarf zusammenzustehlen. Der Urspr. der Rda. ist im 14. oder 15. Jh. zu suchen, als die fahrenden Schüler 823
Schiesshund noch verpflichtet waren, für ihre Reisegefährten zu sorgen. Sie verstanden es z.T. recht gut, Enten, Gänse und Hühner, die sieetw. vom Haus entfernt antrafen, mit einem wohlgezielten Steinwurf zu töten. Die Warnung Schieße noch nicht!: überlege erst, bevor du (den Kampf) beginnst, ist lit. bereits bei Thomas Murner (,Vom großen lutherischen Narren", in Kloster X, 149) bezeugt: ,,Gib frid... und schüss noch nit“. Eine moderne Wndg. dagegen ist die Aufforderung Schieß ma!los!: Laß hören! Beginne ohne Umschweife mit deinem Bericht; erzähle, was du erlebt hast! So sehne!! schießen die Preußen nicht!: So rasch geht das nicht, nur keine Aufregung und Übereilung! Der Wndg., die heute nur noch in übertr. Bdtg. gebraucht wird, liegt ein histor. Ereignis zugrunde. Als 1875 die frz. Zeitungen zur Revanche gegen Dtl. aufriefen und Frankr. stark aufrüstete, schrieben auch dt. Zeitungen über eine drohende Kriegsgefahr. Bismarck wurde deshalb auch von einem engl. Journalisten befragt, ob die dt. Eroberungspläne etwa die Ursache der frz. Nervosität seien. Er antwortete darauf beruhigend: ,,So schnell schießen die Preußen nicht!“ Moderne Wndgn. sind: einen abschießen: dafür sorgen, daß er entlassen wird; etw. schießen fassen: auf etw. verzichten; aus dem Boden (in die Höhe) schießen: plötzlich kräftig wachsen, rasch gebaut werden, und ins Kraut schießen: wuchern, rasch zunehmen, /Kraut. Etw. ist zum Schießen!: Es ist zum Totlachen! Diese Rda. leitet sich von schießen in der Bdtg. hervorwachsen her, so wie wir sagen, daß ,der Salat schießt". Beim Lachenden, der sich krümmt, wächst gleichsam ein Buckel hervor, vgl. ,sich bucklig lachen". Auf das Weberhandwerk bezieht sich die Wndg. hin und her schießen: sich rasch und unruhig bewegen wie das Weberschiffchen zwischen den Kettfäden. Jem. ist geschossen (auch: angeschossen ) : er ist närrisch, angeheitert, aber auch: verliebt (vgl. Liederbuch der Clara Hätzlerin II, 58, 370). Abraham a Sancta Clara schreibt dazu in ,Reim dich" (321 ): „Wann einer geschossen ist, so ist es ihme kein Lob"". Die Bdtg. von angetrunken sein besitzen auch ähnl. anderssprachl. Rdaa., z.B. heißt es engl. ,to be shot in the neck (in the head)" und ndl. ,aangeschoten zijn". Für das Verliebtsein gebrauchen wir heute die Wndg. in jem. (etw.) verschossen sein. Urspr. hieß es aber in den Altwiener Lustspielen und Possen ebenfalls „ich bin geschossen"", d.h. von Amors Pfeilen getroffen. Das Wort verschossen wurde erst in Anlehnung an ,verliebt" gebildet. Schießhund. Auf passen (auf merken) wie ein Schießhund stammt aus der Jägersprache. Es bedeutet soviel wie: mit größter Gespanntheit auf etw. achten, scharf aufpassen. Der Schießhund ist bei der Jagd ein Vorstehhund, der so lange gespannt wartet, bis der Jäger ,schußfertig" ist und ihm das Zeichen zum Aufscheuchen des Wildgeflügels gibt: „Wie eine Herde geschwätziger Gänse, vom Schießhund gejaget, Mit Ge- schrey in die Lüfte sich hebt"", so heißt es bei F. W. Zachariä (,Murner in der Hölle", 1775). Der Schießhund ist auch dazu abgerichtet, das erlegte Wild aufzuspüren und dem Jäger zu apportieren. Er fäuft wie ein Schießhund heißt es in Heinrich Julius’ Komödie von ,Vincentius Ladislaus" (VI, 3), wo in einer der Münchhausiaden der Bramarbas das Pferd aus dem Wasser holt Rapportiert"), „als (wie) ein Schießhund"". Schon im 17. Jh. wird Schießhund auf menschliches Verhalten übertr. In der .Comedia vom Studentenleben" (1658) von J. G. Schoch wird damit eine gewisse Art von Studenten gekennzeichnet: „Es sind wohl zum Theil Schießhunde und sind auff lose Stückgen abgericht, wie die Schießhunde"". Unser heutiger Sprachgebrauch kennt nur noch die eingangs genannte sprw. Rda., die seit dem 18. Jh. bezeugt ist. In J. C. Adelungs ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches" ( 1780) kann man den Ausdr. finden ,wie ein Schießhund aufmerken", und im Bremisch-niedersächs. Wb. (1768/71) heißt es: ,uppassen as een Scheethund". Schiff. Seine Schiffe hinter sich verbrennen, auch brennen sehen: sich selbst jeden Fluchtweg abschneiden, um als kühner Heerführer seine Entschlossenheit zu Sieg 824
Schiff oder Untergang im fremden Land zu zeigen und den Mitkämpfern Mut zu machen. Diese Rda. bezieht sich vielleicht auf das Verhalten des Spaniers Hernando Cörtez, der 1519 mit elf Schiffen von Kuba nach Mexiko segelte. Er gründete Veracruz und ließ die Schiffe verbrennen, um seine meuternden Mannschaften zu zwingen, ihm ohne Hoffnung auf einen offenen Fluchtweg ins gefährliche Innere Mexikos zu folgen. Der Grundgedanke, alles hinter sich zu lassen, um entweder zu siegen oder unterzugehen, ist jedoch viel älter, und in mehreren parallelen Fällen sind Schiffsverbrennungen in der Geschichte bezeugt, zuerst von den Frauen der Flüchtlinge aus Troja, die nach ihrer Ankunft auf Sizilien, um ihren Männern Mut zu machen, die Schiffe selbst in Brand steckten. Im 4. Jh. v.Chr. ließ Agathokles, der Tyrann von Syrakus, seine Landungsflotte vor Afrika vernichten, 1066 tat dies Wilhelm der Eroberer, als er in England gelandet war. Die Rda. ist weit verbreitet und hat unabhängig vom Kampfgeschehen eine allg. Bdtg. gewonnen: alles hinter sich lassen, was zur Umkehr (auch in geistiger Hinsicht) bewegen könnte, ähnl. wie die Rda. ,alle Brücken hinter sich abbrechen4. Vgl. auch ndl. ,de schepen achter zieh verbranden4, engl. ,to bum one’s boats (behind one)4, frz. ,brûler ses vaisseaux4 und span. ,quemar las naves4. Im ,Nibelungenlied4 ist das Motiv der eigenen Schiffszerstörung lit. verwertet worden. Als Hagen durch zwei Donaunixen den künftigen Untergang der Nibelungen in Etzels Land erfährt, zerschlägt er das Fährschiff. In der 25. Aventiure (Str. 1581) heißt es: Do si daz seif entluoden und gar getruogen dan, swaz si dar ûfe hêten, der drier kiinege man, Hagene ez sluoc ze stucken und warf ez an die fluot des hete michel wunder die recken küene unde guot. Auf die Frage seines Bruders Dancwart gibt er in Str. 1583 folgende Erklärung: Do sprach der heit von Tronege: ,,ich tuon iz üf den wän, ob wir an dirre reise deheinen zagen hän, der uns entrinnen welle durch zageliche not, der muoz an disem wage doch lîden schamelîchen tôt. Das Schiff ist mit Mann und Maus untergegangen: alles ist verloren, aus dem Schiffbruch ist nichts gerettet worden. Vgl. auch ndl. ,het schip is geblewen met man en rnuis4. Das geht über Schiff und Gut: der Schaden ist größer, als man denkt, und betrifft auch entfernt Beteiligte, wie z.B. die Kaufleute, die ihre Güter mit dem Schiff verlieren. Etw. ist zwischen Schiff und Ufer gefallen: es ist verloren. Die Rda. beruht auf der Beobachtung, daß ein über Bord gegangener Gegenstand zwischen Schiffswand und Ufer nicht geborgen werden kann und ein Mensch meist ertrinkt, wenn er von einem ankernden Schiff zur Uferseite ins Wasser fällt, während Schiffbrüchige auf hoher See gerettet werden können. Das Schiff ist leck: Q s droht Gefahr und Untergang, auch: das Unternehmen kann nicht gelingen, es ist von vornherein heimlich bedroht, oder: der Mensch ist krank. Deshalb heißt es auch: Das Schiff muß auf die Werfte, wenn ein kranker Mensch oder die wirtschaftlichen Verhältnisse von jem. dringend einer Kur bedürfen. Sein Schiff (Schiff lein) ist gestrandet (gescheitert): seine Hoffnungen haben sich zerschlagen, sein Leben ist unglücklich verlaufen, ,er ist gescheitert4. Das Schiff dient häufig zur Umschreibung von Leben und Schicksal, es erreicht entweder glücklich den ruhigen Hafen oder scheitert, d.h. es verunglückt unterwegs, eigentl.: es wird durch einen Anprall an Felsen zertrümmert. Vgl. ndl. ,zijn scheepje is gestrand4. Dagegen heißt: Er weiß sein Schiff lein zu führen: er weiß sich den Bedingungen gut anzupassen, er bringt sich oder seine Unternehmungen nie in Gefahr und weiß sich jederzeit zu helfen, sein überlegtes Handeln verdient Bewunderung. Vgl. frz. ,11 conduit bien sa barque4. Er hat sein Schiff ins trockene gebracht: er hat so viel verdient, daß seine Zukunft gesichert ist, daß er weitere Wagnisse vermeiden kann. Vgl. ,sein Schäfchen ins trok- 825
Schiff kene bringen4 (/Schaf). Ndl. ,zijne sche- pen op het drooge hebben4. Er rüstet mit an den Schiffen: er ist bei der Sache mitbeteiligt. Er führt ein großes Schiff: er leitet ein wichtiges Unternehmen, er trägt hohe Verantwortung. Auf einem kleinen Schiffe bunte Wimpel führen: dem geringen Einkommen (Vermögen) entspr. zu großen Aufwand treiben, nach außen hin Wohlstand und Hochstimmung Vortäuschen. Vgl. ndl. ,op een klein schip bonté wimpele van den top voe- ren\ Sein Schiff fährt mit großem Segel: er kommt rasch vorwärts, er nützt die günstige Gelegenheit aus, aber er achtet bei seinem Streben nicht auf Gefahren und trifft keine rechtzeitigen Vorkehrungen. Vgl. ndl. ,zijn schip voert te groote zeilen4. Sein Schiff gerät unter den Wind: es gerät in Not bei einem Seesturm, in übertr. Bdtg.: sein Leben, seine Unternehmungen sind bei ungünstigen Bedingungen in großer Gefahr. ,Jetz up See un keen Schipp unner de Fööt!4 heißt es bei heftigem Sturm in der Seemannssprache mit dem humoristisch steigernden Zusatz: ,Un denn een Leck in de Seestäbel!4 (Vgl. Stammler, Aufriß, Sp. 1849.) Sein Schiff nach dem Winde richten: sich den Verhältnissen anpassen, eigentl.: seine Segel nach der Windrichtung und -stärke richten und notfalls seinen Kurs ändern. Vgl. ,seinen Mantel nach dem Winde hängen4 (/Mantel). Er muß das Schiff bei Wind halten: er muß sich sehr anstrengen, sein Unternehmen in Gang zu halten. Das Schiff wenden: eine neue Richtung verfolgen, andere Lebensgewohnheiten annehmen, umkehren oder sich zu seinem Vorteil anpassen. Vgl. lat. ,vertere vela!4 Er muß das Schiff dem Meer übergeben: er muß einen Menschen seinem Schicksal überlassen, oder: um nicht selbst in Gefahr zu kommen, muß er etw. preisgeben, seine Mitwirkung bei einem Unternehmen abbrechen. Es ist ein Schiff, das man halten muß: eine Person oder Angelegenheit verdient Unterstützung. Es ist ein Schiff ohne Ballast: es besteht die Gefahr, daß das Schiff kentert, weil es keinen Tiefgang besitzt, übertr.: es ist ein unsicheres Geschäft. Teure Schiffe bleiben am Rande: zu anspruchsvolle Mädchen bleiben unverheiratet, eigentl.: zu teure Schiffe werden nicht verkauft und bleiben am Ufer oder im Hafen zurück. Vgl. ndl. ,Oude (dure) schepen blijven aan land4 u. engl., A dear ship stands long in the haven4. Wir sind auf einem Schiffe: wir sind auf einanderangewiesen, wir befinden uns in gleicher Gefahr (/Boot). Ähnl. Er fährt mit mir in einem Schiffe: wir haben dasselbe Ziel, unsere Ansichten stimmen überein. Sie gehen nicht alle in ein Schiff: sie sind gegenteiliger Meinung, sie halten und arbeiten nicht zusammen, ,sie sind nicht unter einen Hut zu bringen4 (/Hut). Geh aus meinem Schiff, du verdirbst die Fracht wird zu einem gesagt, dessen Gesellschaft Nachteil bringt. Er geht mit dem ersten Schiffe fort: er benutzt die erste sich bietende Gelegenheit. Vgl. ndl. ,Hij gaat met de eerste schepen voort4. Er kommt mit den letzten Schiffen: er kommt spät oder zu spät, er versäumt die beste Zeit und Gelegenheit und kann es deshalb anderen nicht gleichtun. Vgl. ndl. ,Hij gaat met de laatste schepen onder zeil4. Wir müssen nicht in das Zurzacher Schiff : wir werden nicht gedrängt, sondern haben genügend Zeit, die Sache hat keine Eile. Diese Rda., die diesmal der Binnenschifffahrt entstammt, bezieht sich auf die Zurzacher Messe am Oberrhein, die früher sehr bedeutend war. Die Messebesucher mußten zu einer bestimmten Zeit am Ufer sein, sonst trafen sie das Schiff nicht mehr an, das nur einmal überfuhr. Es ist ein Schiff oder eine Pudelmütze: so heißt es scherzhaft, wenn jem. sehr auseinandergehende Angaben über etw. macht, wenn man einen Gegenstand von weitem nicht erkennen kann, aber auch wenn sich Leute anders gebaren, als sie in Wirklichkeit sind. Bei Egenolff (298a) heißt die Wndg. ähnlich: „Es ist ein schiff oder schinhut44. Das Schiff der Wüste ist ein sprachl. Bild 826
Schild für das Kamel, das sich wie ein lebendes Schiff seinen Weg durch den Sand sucht und Lasten befördert. Vgl. ndl. ,het schip der woestijn; engl. ,the ships of the desert* und frz. ,1e vaisseau du désert*. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff /Ratte. Lit.: F. Kluge: Wb. der Seemannssprache (Halle 1911); F. Panzer: Hagen und die Meerfrauen, in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akad. d. Wissensch.. Phil. hist. Klasse 1953/51; W. Stammler: Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philol. im Aufriß, Bd. 111 (1956), Sp. 1815-1880. Schiffbruch. Schiffbrnch erleiden: scheitern, keinen Erfolg haben. Das Leben der Menschen und Völker wird oft mit einer Schiffahrt verglichen. Mancher leidet Schiffbruch, manchem erfüllt es sich nicht, in den stillen Hafen eines ruhigen Lebensabends einlaufen zu können (/Schiff, Segel). Daher stammt auch das Sprw.: .Besser den Schiffbruch von der Küste schauen als auf einer Planke* ; ndl. ,Het is beter, van een duin de schipbreuk te aanschouwen, dan op eene plank te drijven, op hoop van aan land te körnen*. Das Sprw. ,Wer im Schiffbruch gewesen ist, zittert auch bei ruhigem Wasser4 kann bereits in der Antike eine Parallele vorweisen: .Tranquillas etiam naufragus horret aquas*. Schon der Apostel Paulus überträgt die Bdtg. des Wortes Schiffbruch auf den Bereich des menschlichen Lebens. In seinem 1. Brief an Timotheus (1,19) weist er seinen Schüler auf bestimmte Leute hin, „die im Glauben Schiffbruch litten“. Wir gebrauchen heute die Rda. (ndl. ,Hij lijdt schipbreuk4) für Situationen, in denen Menschen in Not kommen oder Mangel an den notwendigsten Lebensbedürfnissen leiden: ,Es ist ein schlimmer Schiffbruch, wenn Geld fehlt4. Schiffbruch leidet vor allem auch jem., der in seinen Aussichten und Hoffnungen getäuscht worden ist, seine Ehre verloren hat oder der Trunksucht verfallen ist: ,Es gibt größere Schiffbrüche im Wein als in See, in Gläsern als auf Schiffen4 (/trinken). Das Bild vom Schiffbruch ist in der Lit. un- gemein häufig verwendet worden. In Joh. Fischarts ,Ehezuchtbüchlein4 heißt es: „Er hab Schiffpruch gelitten44. In einer Schweiz. Satire aus dem Anfang des 16. Jh. auf die ,Krankheit der Messen* jammert der Papst: „Jetz rint unser schiff an allen orten, wir sind verloren“. Und der Kardinal stimmt ein: „Ja herr, ich förcht, es helf kein verstopfen! wir han gegenwind und sind uns alle ruder brochen*4. Schiller läßt in den .Räubern4 (III, 2) Kosinsky sein Schicksal, das ihn dem Räuber Moor in die Arme führt, mit den Worten malen: „Ich habe Schiffbruch gelitten auf der ungestümen See dieser Welt, die Hoffnung meines Lebens hab ich müssen sehen in den Abgrund sinken“. Lit.: /^Schiff. Schikane. Etw. (nur) aus Schikane tun: böswillig Schwierigkeiten bereiten, einen anderen ärgern und schädigen wollen. Das frz. Wort,chicane4 erscheint erst 1695 seit Scheibner in Dtl. Es ist eine Rückbildung aus ,chicaner4 = das Recht verdrehen. Ur- spr. hieß es ,einen Rechtsfall einfädeln4, denn das Wort leitet sich von dem mnd. ,schikken4 = ordnen, zuwege bringen ab und kehrte mit gegenteiligem Sinn aus dem Frz. nach Dtl. zurück. Die moderne Wndg. mit allen Schikanen: mit allen Feinheiten und neuzeitlichen Errungenschaften der Technik, mit allen Mitteln für größte Bequemlichkeit, aber auch Leistungssteigerung (z.B. ein Auto, ein Haus mit allen Schikanen), hat den frz. Wortsinn verfeinert von Ränken zu Raffinessen. Am Übergang der beiden Bdtgn. steht eine Stelle in Fontanes Roman ,Cécile4 (1887), wo es heißt: „Die Nürnberger henken keinen nicht, sie hätten ihn denn zuvor, und dieser Milde huldigten auch die Quedlin- burger. Aber wenn sie den zu Henkenden hatten, henkten sie ihn auch gewiß, und zwar mit allen Schikanen“. Seit der 2. H. des 19. Jh. ist die Wndg. auch in den Mdaa. zu beobachten, z. B. Schweiz. ,ein Kartenspiel mit allen Schikanen4 ist ein Spiel mit allen üblichen Kniffen; berl. ,ein Beefsteak mit allen Schikanen4, mit allen nur denkbaren Beilagen. Schild. Jem. auf den Schild heben: ihn an die Spitze stellen, ihn zum Führer einer Bewegung machen, ihn groß heraussteilen. Die Rda. beruht auf dem altgerm. Brauch, 827
Schild den neuerwählten Fürsten auf den Schild zu erheben und ihn dreimal vor dem versammelten Volke im Kreise herumzutragen, damit er von jedermann gesehen werden konnte. Das Zusammenklirren der Waffen auf den Schilden galt dann als Zustimmung. Tacitus (,Historiae* IV, 15) bietet hierfür das älteste Zeugnis: „Erat in Canninefatibus stolidae audaciae Brinno, claritate natalium insigni... inpositusque scuto more gentis et sustinentium umeris vibratus dux deligitur“. Cassiodor berichtet von Vitiges: „scuto impositus, more gentis“. Dasselbe wird für die Frankenkönige durch Gregor von Tours bezeugt. Montfaucon hat die Élévation du roi sur un bouclier im Disc, prélim. zu den ,Monuments de la monarchie française* behandelt und ein Bild aus einer byzantin. Hs. des 10. Jh. mitgeteilt, das den König David auf den Schild erhoben darstellt. Noch im Jahr 1204 wurde Balduin von Flandern bei seiner Wahl zum griech. Kaiser auf den Schild gehoben. Die Rda. ist jedoch nicht von der Germanenzeit her überliefert, sondern wurde im Zeitalter des Humanismus neu geprägt, als man durch das Studium der alten Schriftsteller diese Sitte kennenlernte. Ebenso steht es mit den Rdaa. ,jem. den Handschuh hinwerfen* und ,den Handschuh aufnehmen*. Etw. im Schilde führen: etw. beabsichtigen, etw. Vorhaben, was der andere nicht ahnt. Die Rda. bezieht sich auf Wahlspruch und ,Etwas im Schilde führen4 Abzeichen, die der Turnierritter auf seinem Schilde führte und die, für die Zuschauer oft ein Rätsel, ihn nur eingeweihten Freunden kenntlich machten. Urspr. fehlte der Wndg. der Unterton des Hinterhältigen, Heimlichen und Bösen, wie die Str. 215 aus der 4. Aventiure des Nibelungenliedes* beweist: Do het der herre Liudegêr ûf eime Schilde erkant gemälet eine kröne von Sivrides hant. Auch im ,Wälschen Gast* (V. 10425) heißt es: Swer an sim Schilde vüeren solde rosen, ob er danne wolde die bluomen gar üz dem gevilde ouch vüeren an dem Schilde, des diuhte mich gar ze vil. Uhland verwendet die Rda. in einem Gedicht ebenfalls noch in ihrem urspr. Sinne: Der Hauptmann führt im Schild Ein Röslein roth von Golde und einen Eber wild. Am Wappenbild des Schildes konnte der Wächter einer Burg ablesen, was der nahende Reiter ,im Schilde führte*, ob er Freund oder Feind war. Die Redewndg. wurde nun auf die Absicht, die der Ritter hegte, übertr. und erhielt immer mehr eine negative Bdtg., vielleicht auch weil der nahende Feind seine Waffen hinter dem Schild verbergen konnte. Im Ndl. ist der Ausdr. in diesem Sinne schon im 16. Jh. bei Campen aufgezeichnet worden: „Wie weet wat hij in sijnen schilt voert!“ Fischart schreibt 1575 im ,Gargantua* (14Sa): „Also bald sieht man eim an der nasen an, was er im schilt führt**. Auch in einem Lied aus dem Anfang des 17. Jh. auf Wallensteins Belagerung von Stralsund ist die Rda. bezeugt: Drum, Deutschland, tu die Augen auf, Merk, was des Wallensteiners Häuf In ihren Schilden führen! In der dt. Lit. fand diese Redewndg. dann sehr häufig einen Platz, so bei Kant, Wieland, Opitz, Gerhard, Geliert, Bürger, Goethe, Schiller, Hebel und Uhland. In den ,Räubern* (IV, 5) wird z.B. festgestellt: Er ging nicht von uns wie einer, Der einen Schelmenstreich im Schild führt. Die Rda., in ihrer urspr. Bdtg. verblaßt, 828
Schild lebt noch heute in ganz Dtl. weiter und wird in der Umgangssprache nun auch zum Ausdr. der verborgenen Absichten der Frauen. Wenn man sagt: ,Sie führt etw. gegen ihn im Schilde1, wird deutlich, daß sich die Rda. sehr weit von ihrem Ausgangspunkt entfernt hat. In der Mda. hat sich mdt. die alte Bdtg. besser bewahrt, denn ,uff n schille firen' bedeutet: in der Öffentlichkeit etw. zur Schau tragen. Sich durch Kennzeichen auf den Schilden zu unterscheiden war nicht bloß ein Brauch des höfischen Rittertums, sondern auch Sitte bei den altgerm. Stämmen. Tacitus (,Germania' Kap. VI) erzählt, daß sie ihre Schilde bunt bemalt hatten: „nulla cultus iactatio scuta tantum lectissimis coloribus distinguunt“. Die altfries. Gesetze sprechen von braunen Schilden als den eigenen und von roten sächsischen. Die fränk. Schilde beschreibt Sidonius Apollinaris im 5. Jh. als in der Mitte goldgelb und nach dem Rande zu weiß gemalt. Im Norden wurde als Zeichen des Krieges ein blutroter Schild an der Rahe der Schiffe aufgehißt, ein weißer Schild galt als Friedensschild und als Zeichen der Ergebung. Im Brauchtum und Rechtsleben spielte der Schild eine wichtige Rolle. Tote und Verwundete wurden auf dem Schild getragen, Krieger schliefen auf ihrem Schilde, Gold und Schätze wurden auf den Schild gehäuft, der als Maß diente. Daher stammt die Rda. über Schildes Rand rechnen: ungenau, in Bausch und Bogen. Die leuchtende rote Farbe des Schildes diente zur Bestimmung der Entfernung im alten Recht: „als ferre man einen rothen schild mag gesehen“ (,Lorscher Wildbann4 von 1423). Bei Übergabe von Schild und Speer erfolgte die Mündigkeitserklärung. Zum Zeichen der Trauer wurde der Schild mit der Spitze nach oben getragen, wie wir aus Parzival 92,1 erfahren: si hânt ir Schildes breite nach jamers geleite zer erden gekêret: grôz trûren si daz lêret. Die Rda. ,Er möchte wol den schildt zu brudern hangen4 heißt eigentl.: er soll den Schild zu den übrigen (den Brüdern) hängen, und leitet sich von dem Brauch her, Schilde, die nicht mehr benutzt wurden, als Schmuck in den Hallen und an den Schiffen aufzuhängen. Bereits in der ,Edda4 findet sich die Vorstellung von Odins Halle, die von goldenen Schilden bedeckt war. Im ,Grimnismal‘ heißt es: Leicht kenntlich ist allen, Die zu Odin kommen. Des Herrschers hoher Saal; Speere bilden das Sparrengerüst, Schilde decken als Schindeln die Halle. Die noch heute in unseren Kirchen vorhandenen Totenschilde bezeugen den Zusammenhang. Die Rda. in übertr. Sinne aber bedeutet: jem. soll als alter Mann nicht Dinge treiben oder Vergnügungen nachgehen, zu denen junge Kräfte gehören; er soll Waffen oder Werkzeuge den Jüngeren überlassen. ln den Schild reden: jem. die Berechtigung bestreiten, einen Schild oder ein Wappen zu führen; seine Ritterbürtigkeit, seinen Adel anzweifeln. Der Schild war das Symbol der Freigeborenen, bezeichnete den Stand, den Rang und die Lehensfähigkeit seines Trägers. Man konnte seinen Heerschild erniedrigen, wenn man Dienstmann eines Standesgenossen wurde, man konnte ihn aber auch beim Eintritt in ein Kloster niederlegen. Im übertr. Sinne meint die Rda. heute: Einwände gegen jem. Vorbringen, ihm die Wahrheit sagen. In den Schild sehen hat dieselbe Bdtg. wie die Wndg. ,hinter die Kulissen sehen4. Die Rdaa. seinen Schild blank (rein) erhalten und seinen Schild beflecken zeigen noch den Zusammenhang mit dem Ahnen- und Adelsschild, der als Symbol für die Ehre galt. Etw. an den Schild schreiben (malen): eine Sache zum Vorwurf machen, einem etw. öffentl. ins Gesicht sagen. Hans Sachs verwendet die Rda. 1558 in der Negation: „darumb schreybt man dirs nit an schilt“ (1, 524a). Einen Schild tragen wie der Spiegelschwab: den Schild bei der Flucht auf dem Rücken tragen, denn dieser sagte: „Geh ich zurück und fällt mir das Herz in die Hosen, so ist der Schild am rechten Orte44 (Eiselein, 549). Schild und Speer von sich werfen: den Mut verlieren. Heute geläufiger ist dafür die Rda. ,die Flinte ins Korn werfen4. 829
Schildbürger Nach dem Schilde urteilen: bezieht sich auf das Schild als Wahrzeichen eines Hauses, eines Handwerkers, einer Gaststätte und meint, daß man sich leicht vom äußeren Schein blenden läßt. Wenn einer wegen Alters, Krankheit oder Not sein Handwerk nicht mehr treiben kann, heißt es: ,Er muß seinen Schild einziehen4 oder ,Er muß das Schild hereinnehmen4. Diese Rdaa. werden vom Handwerk auf das Tun und Treiben allg. übertragen. Schildwache stehen: auf Posten stehen mit dem Schild in der Hand, um bei jedem Angriff gewappnet zu sein. Er gehört zur verlorenen Schildwache, ndl. ,Hij Staat op verloren schildwacht4, meint die Posten, die bei einem plötzlichen Abzug zurückgelassen werden müssen. Gebräuchlicher ist ,auf einem verlorenen Posten stehen4. Ein Schild voll Gold war eine alte Rechtsformel als Maß für eine Geldbuße, und zwar für eine sagenhafte und im Grunde unerschwingliche Bußsumme, z.B. in der Aufzeichnung der Rechte der Burg und des Dorfes Dürnstein in der Wachau aus der Mitte des 14. Jh.: „Wer aber uns di freiung prech, der ist der herschaft auf vier tail, der marich auf des marich hant oder fues, wolt er sich aber lösen, so soi er geben ain raisschilt voll golt44 (Wer das Asylrecht der Burg verletzt, der soll gevierteilt und jedes Viertel an einem Grenzpunkt ausgesteckt werden. Wenn er davonkommen will, so hat er eine sehr hohe Buße zu entrichten, nämlich einen Kriegsschild voll Gold). Aus dem 15. Jh. gibt es sieben Belege, aus dem 16. fünfzehn, aus dem 17. sechs und einen sogar aus dem 18. Jh. Andere Quellenstellen sprechen von einem ,iibergulten Schild4, womit entweder ein vergoldeter oder ein mit Gold überdeckter gemeint sein kann. Bis jetzt ist keine urkundliche Nachricht bekannt, daß jem. wirklich einmal einen Schild voll Gold als Buße bezahlt hat. Aber daß sich diese Bestimmung in den Weistümern hielt, zeigt, daß man an so altertümlichen Ausdrücken festhielt. Lit.: E. Frh. v. KunssbergrDie Rechtsformel: Schild voll Gold, in: Hess. Bl. f. Vkde. 39 (1941), S. 185-188. Schildbürger. Ein Schildbürger sein: ein Mensch sein, der sich lächerlicher Mittel bedient, der dumme Streiche verübt, wie dies den Einwohnern von Schilda nachgesagt wird. Jedes Land kennt einen anderen Ort, der die Geburtsstätte aller Albernheiten sein soll und in Ortsneckereien eine Rolle spielt, z.B. Schöppenstädt im Braunschweigischen, wo Till Eulenspiegel seine ersten Taten verübte, Polkwitz in Schlesien, Ganslosen und Bopfingen in Schwaben, Damnau bei Königsberg, Büsum und Hastrup in Holstein, Teterow in Mecklenburg, Köpenick in Brandenburg, Beckum in Westfalen u. a. Bei den Juden war es Nazareth, aber auch die späteren Prager, Frankfurter und Wormser Juden standen in diesem Ruf der Narrheit. Es ist ein Schildbürgerstreich.;es ist ein närrisches Tun, das den geschilderten Streichen der Schildbürger zu vergleichen ist (ähnl. bekannt und sprw. sind die .Schwabenstreiche4 und die .Hirschauerstückchen4). Unmittelbarer Vorläufer des Schildbürgerbuches ist das 3Ddo listig* unb Ted)tlàâ)etU$)e ÇBtmfcctFdtfame / aUntfymlv §tl uncr&ortt/ unt>Hgö<r un&cfarttfc* ne unb 2(j arm b<r io(<n iu ffllraburg/insjjlifnopotaroia/ljmt« Utopia gtltgtn. JPurcfj SWlonburfittSlmtmamt ^7 JUstttttfDnic?/ (ö tnfcStaiwn ver* mbni iß. ,Laiebuch' (Vorläufer des Schildbürgerbuches) 830
Schimpf, schimpfen 1597 erschienene ,Lalebuch\ dessen Verfasser vermutl. der Elsässer Wolfhart Spangenberg war. 1598 wurden von einem unbekannten Plagiator die .Schiltbürger4 in der Festung Misnopotamia (= Meißen) herausgegeben, die viel größere Berühmtheit als die Laieburger erlangten. Er machte die sächs. Kleinstadt Schilda zum Zentrum der närrischen Taten und Abenteuer, die er dem Laiebuch entnahm, dessen Vorbild wiederum die Eulenspiegelschwänke und Stoffe waren, die Hans Sachs bearbeitet hatte. Lit.: H. Hepding: Schildbürgergesch. und andere Schwänke aus Hessen, in: Hess. Bl. f. Vkde. 18 (1919), S. 104 ff.; H. Bausinger: Schildbürgergesch., Betrachtungen zum Schwank, in: Der Deutschunterricht 13 (1961), H. 1, S. 18—44: H. Trümpy: Die Hintergründe des Schwankbuches von den Laieburgern, in: Festgabe Hans von Greyerz zum 60. Geburtstag (Bern 1967), S. 759 ff. Schiller. So was lebt, und Schiller mußte sterben! Ausruf der Empörung und Entrüstung über einen bes. Einfältigen, der durch den Vergleich mit Schiller noch wertloser erscheint. Seine Dummheit wird als Krankheit betrachtet, die aber nicht zum Tode führt. Wenn dies bedauert wird, so ist es natürlich nur im Scherz gemeint. Ein Gedanke, eine Idee von Schiller nennt man einen bes. glücklichen Einfall. Er erscheint so vollendet, daß er eigentl. nur von Schiller stammen kann. Die Rda. ,Das ist ein Gedanke von Schiller!4 enthält gleichzeitig ein hohes Lob durch den Vergleich mit dem großen Dichter. Die Wndg. Auch Schiller ist ein Dichter hat dagegen iron. Bdtg. Sie wird gebraucht, wenn einer mehr scheinen will, als er ist, und sich selbst für einen Dichter hält, von denen es nur wenige wirklich begabte gibt; /Vielliebchen. Schimmer. Keinen (blassen) Schimmer von etw. haben, auch nicht den leisesten Schimmer haben: nicht die geringste Kenntnis, keine blasse Ahnung haben, uneingeweiht sein. Schimmer wurde erst in nhd. Zeit zum Verb ,schimmern4 gebildet und bedeutet: ganz schwaches Licht, auch Dämmerung. Ubertr. heißt es auch: Ahnung, Spur, kleinstes Teilchen, so z. B. bei Goethe (.Plato als Mitgenosse einer christl. Offenbarung4): „Hätte Ion nur einen Schimmer Kenntniß der Poesie gehabt44. Da das Wort Schimmer erst nach 1748 durch Dichter wie Klopstock und E. v. Kleist in der Lit. beliebt wurde, blieben auch die Rdaa. schriftsprachl. und fehlen in den Mdaa. Im 20. Jh. entstanden noch Steigerungen, indem fast gleichwertig andere Begriffe, die das Schwache und Wenige umschreiben, hinzugefügt wurden, z. B. nicht den Schimmer einer Ahnung haben oder nicht den Schimmer der Ahnung einer Idee haben. Bei Herrn. Löns steht sogar: „Keinen Schimmer von einem Schein von einem Dunst einer Ahnung haben44. Die ndd. Rda. ,He let schemmern (Abend werden) un dagen4, er läßt es gehen, wie es geht, verwendet ,schimmern4 noch im ur- spr. Sinn von .dämmern4. Schimpf, schimpfen. Die Rda. mit Schimpf und Schandekann erst in nhd. Zeit entstanden sein, nachdem die urspr. Bdtg. des Wortes Schimpf (aus ahd. scimpf, mhd. schimpf): Scherz, Spaß, Kurzweil, Spiel, durch die Wörter Scherz und Spaß in frühmhd. Zeit übernommen worden war. Danach setzte sich langsam die heute allein noch gültige Bdtg. für Schimpf durch: Schmach, Ehrverletzung, Hohn, Spott; jedoch blieb der urspr. Sinn bis ins 17. Jh. allg. bekannt. In Verbindung mit anderen Wörtern verwandter Bdtg. gebraucht Luther Schimpf in seinen Tischreden: „Sihe, wie du mich, mein frommes Weib und arme Kinderlein hast wollen in Schimpff und Hohn und Spott setzen44. Die alliterierende Verbindung mit dem Wort Schande kommt erst im 18. Jh. auf: ,in Schimpf und Schande gerathen, bringen4 (J. Chr. Adelung, Um- ständl. Lehrgebäude, 2 Bde., Leipzig 1782L). Aus den Mda.-Belegen ersieht man gut die verschiedenartige Verwendbarkeit der Rda. in ihrem Kontext: schlesw.-holst. ,Se hebbt em mit Schimp un Schann ut’n Lann jaagt4; Hessen-Nassau ,dä is Schemb un Schann voll4, hält nichts auf seine Ehre; ostfries. ,mit Schimp un Schande wär fan kamen4. Im Rhein-Mosel-Gebiet dient die Rda. zu einem originellen Vergleich: ,Er is Schemp un Schann gewihnt wie des Lumpemanns Esel4. Der rdal. Vergleich schimpfen wie—• heftig schimpfen, schelten, dürfte nicht viel 831
Schindel weiter als bis ins 18. Jh. zurückreichen. Aus dieser Zeit (bei Bürger und bei Wieland) ist auch die heute in ganz Dtl. geläufige Wndg. schimpfen wie ein Rohrspatz belegt (/Rohrspatz). Sehr oft wird in dieser Rda. auch auf bestimmte Berufsgruppen angespielt, insbes. auf solche, die allg. wenig Achtung genießen: Fuhrknecht, Brunnenputzer, Scherenschleifer, Kesselflicker, Fischweib, Kuppelweib usw. Seit dem vorigen Jh. wird schimpfen noch in einer weiteren Bdtg. gebraucht, nämlich iron, als Synonym für ,nennen4, und zwar reflexiv in Verbindung sowohl mit Familiennamen als auch mit Titeln oder Berufs- bez. Dabei wird der Familienname als eine Art Schimpfname apostrophiert. Sagt man dagegen von jem., er ,schimpfe sich Arzt4 oder ähnl., so heißt das, daß die betreffende Person ihre Berufsbez. oder ihren Titel zu Unrecht trägt. In der Bdtg.,nennen4 sagt man an der Lahn (Birkenfeld) von zwei Streitenden, die sich gegenseitig mit wenig schmeichelhaften Namen bedenken: ,Do schempt ai Esel de annere Languhr4. Schindel. ,Es sind Schindeln aufm (am) Dach4, es gibt hier unberufene Zuhörer. Diese bair.-oesterr. Rda. wird bes. gern angewendet, wenn Kinder im Zimmer sind und neugierig zuhören wollen, für deren Ohren aber das Besprochene nicht bestimmt ist. Vgl. ndl. ,Er zijn pannen op het dak4. Das sind keine Schindeln auf mein Dach: das paßt nicht für mich, es entspricht mir nicht. Er bleibt eine dürre Schindel: er wird nicht dicker, auch wenn er noch so gut lebt. schinden. Jem. (zu Tode) schinden: einen mißhandeln und unsäglich quälen, ihm ständig neue Mühen und schwierigste Arbeiten aufbürden und dabei nur einen Hungerlohn zahlen, zu hohe Abgaben (Steuern) erpressen und dadurch weitere Lebensmöglichkeiten vernichten. Die Rda. bezieht sich auf die Tätigkeit des verachteten Schinders, der gefallenem Vieh die Haut abzog und wegen seiner Roheit auch bei Hinrichtungen grausamer Art vom Henker zu Hilfe gerufen wurde. Zur grö¬ ßeren Qual wurde dem Verurteilten die Haut in Streifen vom Leibe geschnitten, der danach völlig zerstückelt wurde. Walther von der Vogelweide (85,14) nennt schon das Schinden unter anderen grausamen Strafen: Ich wil sin ouch niht brennen, noch zerliden noch schinden, noch mit dem rade zerbrechen noch ouch dar üf binden. Nach der Legende soll das Martyrium des Apostels Bartholomäus ebenfalls im Schinden bestanden haben, weshalb ihm als Attribute Haut und Messer bei Darstellungen beigegeben sind. Auch in Volksballaden wird vom Schinden berichtet, das am Wächter vollzogen wird, der sich von den Liebenden bestechen ließ. So heißt es z.B. im ,Abendgang' (Fliegendes Blatt, Ratsschulbibliothek Zwickau XXX, V 20 st. 10. Gedruckt zu Erffurdt zum schwartzen Horn MDXXIX), Str. 17: Sie liessen den wechter fohen, sie leyten yn auf ein disch, zu riemen thet man yn schneyden, gleych wie ein salmen fisch, und warumb theten sie ym das, des sich ein ander wechter hutten soit dester baß. 832
Schinden 1/2 Jemand (zu Tode) schinden4 Luther kennt das Schinden bei Sakramentsfrevel sogar bei Kindern und berichtet davon: „wenn ein Kind oder leie onge- fehr das sacrament anrüret im munde, und wolts vom gaumen mit einem finger lösen, so schunden und scheleten sie dem Kinde... den finger und die haut abe44. In seiner Beschreibung der Lande Preußen1 (Eisleben 1599) erzählt Schütz von einem strengen Richter, „das er ihn schinden und mit seiner haut den richterstul überziehen ließ“. In übertr. Bdtg. erscheint schinden als mißhandeln, schänden und unterdrük- ken bereits im A.T. (2. Mos. 22,21), und Schiller schreibt über Franz Moor (,Räuber1 IV, 5): „Der Sohn hat den Vater tausendmal gerädert, gespießt, gefoltert, geschunden!“ Erschindet eine Laus um des Balges willen: er ist außerordentlich geizig, sucht überall zu sparen und selbst mit unmöglichen Dingen Gewinn zu erzielen. Kirchhoff schildert einen Geizhals in seinem ,Wendunmuth4 (1, 221) durch diesen Ausdr.: „auff solche art... wohnete in einem stettlein ein reicher burger, der... umb den balg einem ein lausz geschindt hette“. Häufig bezieht sich schinden auf das Erpressen und gewaltsame Eintreiben des Geldes oder auf das Übervorteilen durch einen Wucherer. In der ,Hennenberger LandtafeT von 1595 (342) wird von dieser Art des Schindens berichtet: „da war ein pfleger zu Passenheim, den die untertha- nen, umb seines schindens halben den geitzbauch nenneten, und was dieser erschünde, schicket er gen Nürnbergk44. Einen schinden und schaben bis auff den grat: einen bis zum Äußersten ausplündern und aussaugen. Diese Rda., die bei Erasmus (814), bei Mathesy (243a) und bei Tappius (203a) belegt ist (vgl. auch lat. ,Radit usque ad cutenT), wird heute durch die Wndgn.,einem das Fell über die Ohren ziehen4 oder ,einen bis aufs Hemd auszie- hen4 ersetzt. Den geschundenen Hund schinden: einen Nackenden ausziehen wollen, die Erpressung über Gebühr weit treiben. Seb. Franck führt diese Rda. bereits in seinen Sprichwörtern4 (1, 4a) als Steigerung des einfachen Schindens an, von dem z. B. Pauli in Schimpf und Ernst4 (91°) berichtet: „der burgermeister sagt, ich wil hinausz auffs land, und bauren schinden44. Die Verbindung schinden und schaben steht in neueren Mdaa. für Knickern und Knausern der geizigen Reichen und der ständig Mangel leidenden Armen, die sparen müssen. Friedr. Hebbel schreibt 1891 (9, 48) vorwurfsvoll: „Ich begreife dein Knickern, dein Schinden und Schaben nicht44. Dagegen ließ Pestalozzi (,Lienhard und Gertrud4 3, 150) die Gertrud klagen: „ich bin sechzig Jahr alt und habe mein 833
Schinder Lebtag schinden und schaben müssen wie eine Bettelfrau“. Sich schinden (und plagen) müssen: sich redlich mühen und plagen, sich abarbeiten, seinen Lebensunterhalt nur schwer verdienen. In Köln sagt einer, der sich rastlos mühen muß: ,Mer muß sich der janze Daach schinde un ploge, dat mer sing Arbeit jedon kritt*. Die häufig von älteren Leuten getroffene Feststellung Ich habe mich (jem. hat sich) in meinem (seinem) Leben genug geschunden meint: ich habe einen ruhigen und sorglosen Lebensabend verdient, da ich genug Anstrengungen und Sorgen hinter mir habe. Etw. schinden: nicht bezahlen und doch in den Vorteil einer Sache kommen, auf Kosten anderer genießen, sich frei halten lassen. Die Wndg. wurde durch die Studentensprache verbreitet und auf viele Gebiete übertr., z. B. eine Vorlesung (ein Kolleg) schinden: eine Vorlesung heimlich besuchen, ohne die Gebühren zu bezahlen; Eintrittsgeld, Fahrgeld, Gebühren schinden; aber auch: ein Lokal schinden: in einer Wirtschaft mit anderen Zusammentreffen und nichts verzehren. Den Leipziger Juristen wurde nachgesagt, daß sie Vergleiche schinden wollten, d.h. die streitenden Parteien unbedingt zu einem Vergleich überreden wollten. Eine moderne Wndg. ist Zeilen schinden: einen Zeitungsartikel in die Länge ziehen, da er nach der Zeilenanzahl honoriert wird. Zeit schinden: notwendige Zeit zu gewinnen suchen, Aufschub erlangen, um eine Angelegenheit regeln zu können. Eindruck schinden wollen: mit einer bes. Leistung, durch eine einmalige Anstrengung einen günstigen Eindruck erwecken wollen, sich Achtung und Lob verdienen. Etw. (he)rausschinden: durch Knausern Gewinn erzielen wollen. Im Obersächs. meint die Feststellung ,Der schind’t aber!1: er wiegt oder mißt beim Verkauf einer Ware viel zu knapp. Hatte jem. den Ruf des auf seinen Vorteil allzusehr bedachten Geschäftsmannes, verlangte man in seinem Laden scherzhaft eine geringe Menge, z. B. mit diesen Worten: „Für 10 Pfennige Wurst, aber nich so schinden!“ Schinder. Dem Schinder die Keule ab kaufen: schlechte Ware teuer bezahlen müssen, aus 2. oder 3. Hand kaufen und dabei übervorteilt werden. Diese Rda. ist auch mdal. verbreitet, so heißt es z.B. im Harz: ,dem Schinder de Keil abkäfen*, und im Obersächs., wenn sich einer übervorteilt vorkommt: ,Da kooft mer ja’n Schinder de Keile ab!‘ Er muß mit dem Schinder trinken: er ist verachtet und aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Schinder und Scharfrichter wurden allg. gemieden und wohnten meist auch außerhalb der Stadt, nur Vertreter von unehrlichen Gewerben zählten zu ihrer Gesellschaft. Die Angehörigen von Berufen ohne bürgerliche Ehrenrechte mußten ihr Bier im Hausflur des Wirtshauses aus einer Kanne ohne Deckel trinken, von der noch ein Stück abgeschlagen war. Verachtung und Vorurteil dieses Standes spiegelt auch das Sprw. ,Abdecker und Schinder sind Geschwisters Kinder*. Der Schindersknecht als Gehilfe des Henkers vertrat diesen in Verwünschungen und Flüchen und diente dabei gleichzeitig zur Umschreibung des mit einem Sprachtabu versehenen Teufels, der nicht genannt werden sollte: ,Gang (geh) zum Schinder und Schaber!* ,Gang zum Schinder an der Done!* heißt es in Ulm, und in Norddtl.: ,Gao nao'n Schinn’r!*, wenn man jem. unwillig abweisen will. Häufige Fluchformeln sind: ,Hol der Schinder!* ,Zom Schinner noch!*, ,Das ist zum Schinder holen*, ,es ist nicht mehr auszuhalten, oder ndd. ,Dat di de Schinner hal!* und köl. ,Der Schinner sali dich holle!* als Verwünschung zum Henker oder Teufel. Als Ausdr. der Überraschung und Verwunderung sagt man vom Vogtland bis zur Oberlausitz: ,Das weeß doch der Schinner, wie dos kimmt!* In kurzen Ausrufen des Ärgers, des Unwillens und der Zurechtweisung spielt der Schinder in den Mdaa. eine besondere Rolle: ,1 wo Schinder!* ,Hez Schinder!*, ,Pfit (pfui) Schinder!* und ,De Schinn’r ök!‘ Jem. hat der Schinder geholt: der Teufel hat ihn geholt, er ist zugrunde gegangen, ist seiner Existenz beraubt worden, eine bes. in Preußen verbreitete Rda. Die ndd. Wndg. ,Dat hat de Schinn’r haolt* meint ähnl.,daß eine Sache verlorengegeben werden muß, daß etw. zum Teufel gegangen ist. Den holt der Schinder nicht: er ist so gut 834
Schinderhannes eingerichtet und wirtschaftlich gesichert, daß sein Untergang nicht zu befürchten ist. Den kann der Schinder nicht brauchen: selbst der Schinder (Henker oder Teufel) weiß nichts mit ihm anzufangen, er ist zu nichts nütze. Auch zur Steigerung der Aussage wird der Schinder genannt, wobei es offenbleibt, ob damit Schinder, Henker oder Teufel gemeint ist: Ich gebe dir eins (hinter die Ohren), daß du eine halbe Stunde vom Schinderträumst, oder mit anderem Zusatz: daß es dem Schinter drob möcht gruse. ,Auf, der Schinder will die Haut haben!1 gilt in Meiningen als scherzhafter Weckruf. Mdal. Rdaa. beziehen sich auch auf den Schinder in treffenden Vergleichen: ,Das (der) glänzt wie’n Schinder sei Fettsack\ es ist sehr blank; ,'r freit sich wie a Schinder, wenn ä Pfär fällt', ihm ist das Unglück anderer eine Freude. In den bildl. Wndgn. der älteren Sprache ist meist der Leuteschinder gemeint, der andere plagt, aussaugt und beraubt: „und ich will deine Schinder speisen mit ihrem eigenen Fleische" steht schon bei Jes. 49,26. In Aventins .Chronik' (2, 462, 33) heißt es von Papst Joh. XXII.: „wiewol er allenthalben sein schinder und schaber, gelt im aufzuraspeln, an alle ort sendet": Ayrer schreibt 1646 (8, Keller): „ich mein, er sey zum schinder worn, zieht uns die haut schir über d ohrn". Der hat seine Leute wie der Schinder seine Hunde: er läßt seine Dienstboten hart für sich arbeiten. Diese Rda. wird noch heute in der Gegend um Zwickau gebraucht. Der Schinder hat Handschuhe an: es ist ein Tyrann, der unter dem Schein des Rechts andere unterdrückt, der seine Forderungen so geschickt stellt, daß seine Absichten nicht sofort erkannt werden, die Wndg. dient deshalb meist zur Warnung. Du Schinderknecht!: gilt als Schelte für einen Tierquäler. Lit.: A. Keller: Der Scharfrichter in der Kulturgesch , in: Bücherei der Kultur, 21 (o.0.1921); E. Angstmann: Der Henker in der Volksmeinung, seine Namen u. sein Vorkommen in der mdl. Überlieferung, in: Teuthoni- sta, Zs. f. Dialektforschung u. Sprachgesch., Reihe H 1 (Bonn 1928); A. Steinegger: Handwerker, Henker u. Galgen im alten Schaffhausen, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 44 (1947); W. Danckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern-München 1963); J. Glenzdorf u. F. Treichel: Henker, Schinder und arme Sünder. 1. Teil: Beiträge zur Gesch. d. dl. Scharfrichter - und Abdeckerwesens; II. Teil: Scharfrichter und Abdeckerfamilien. Bd. I (Münster am Deister 1970). Schinderei. Etw. ist eitel (eine große) Schinderei: es ist eine schwere Arbeit und Plak- kerei, auch: eine große Anstrengung, z. B. beim Bergsteigen und Transportieren von Lasten. Urspr. wurde die Handlung des Schindens selbst, aber auch die Abdeckerei, der Wohnort des Schinders, mit Schinderei bez. Doch bereits im A.T. wurde das Wort in übertr. Sinne für Bedrückung durch harte Herren und Wucherer gebraucht, z.B. heißt es bei Jes. 3,5: „Und das Volk wird Schinderei treiben, einer an dem andern und ein jeglicher an seinem Nächsten". Im MA. verstand man auch Raub und Straßenräuberei darunter. Luther bezeichnete damit das betrügerische Vorgehen beim Ablaßhandel. In seinen ,Tischreden' (9a) heißt es: „dasz sie von des bapsts grewel, erbermlichen drangsal und zwang der armen gewissen, und untregli- chen schinderey solten frey sein". Kirch- hoff verstand die Prellerei des Geldgierigen darunter und stellte in seinem ,Wendun- muth‘ (5) fest: „aus dem geitz entspringt betriegerey und schinderey". Schinderhannes. Es ist ein wahrer (zweiter) Schinderhannes: er ist ein Räuber, ein für die öffentl. Sicherheit gefährlicher Mensch, ï I W Hl Kt l.H 835
Schindluder 5ö*f<&sti&ang !> « r J£>«rEuttf4 bed ©c(HUber|jannc$ unb fejw«r$en Soiîa^ n e 6 fï Set Sibbilbung oder ^erfötiett *k (Te bea i6(en 3a«ü 1S02, irgend uns &0I& $ U&r Kd$ SDîatttj tranffortirî tvprbfi! fîttb. (S r f 1 3 r u n $ fee« Ä 11 o f « r < : No. f. gdbiufetrfe&nnfé. No. a ÎVr f<^rp*5r|c fjoua#, weîd^fr fttneji fî^eiî Ânei&tH imlÿtn fus« Serine bût, ïtt îî>» unt> (rine ^a«re at»« femCJe* $<tjf $r«itfef, No. 3. £e#6$m&rrfeättPf£ Hs8e*f4>l5f<ri« mit einem 6dCbiâ^rlg«n "tëifetfeea bed f^wöriea^öfiad auf fcem 0<fetf*fe. N NO. 4. Sed fôœarjett 3<?«ôdgran, No. 5. Sft fcfcîTûrjt $Utr. No. 6 $£aft»jfé 5B<fc*r; lf*&< Jt^Ute rcurben 5W Bergen feiger ê*!»* fNo, 7. tlmf4?eï SRitbe&urg, ein ^ufc# »en tRfetflfefim, Ci» -Offotrr «tfefi ÔÏ&*** t>*t? &«* fr«n$fcftfd)c« Geos d’armes begleiten ben âI3a$:n. mep- - ~ - . * ' „ *, 4, V«U tt&l-M* MM ----- '-«** -r p '* ' der wegen seiner Klugheit andere immer überlistet und deshalb schwer zu fassen und überall gefürchtet ist. Der Schinderhannes hieß eigentl. Johann Bückler. Er war der Anführer einer berüchtigten Räuberbande am Rhein und wurde 1803 in Mainz hingerichtet. Daß sein zweifelhafter Ruf sich sogar über die dt. Grenzen hinaus verbreitet hatte, beweist eine ndl. Rda. ,Dat is de troep van Schinder Hannes1. Lit.: M. Zender: Schinderhannes und andere Räubergestalten in der Volkserzählung der Rheinlande, in: Rhein.-westf. Zs. f. Vkde. 2 (1953), S. 84ff.; K. Flwen- spoek: Schinderhanne$, ein rhein. Rebell ("1953); C. A/. Franke: Der Schinderhannes in der dt. Volksüber- liefcrung (Diss. Frankfurt a.M. 1958). Schindluder. Schindluder mit jem. treiben (spielen): ihn grob veralbern, eigentl.: ihn wie ein Aas behandeln, dem die Haut abgezogen wird, wie ein verächtliches, unnützes Wesen. Ein Schindluder war das gefallene Vieh oder todkranke Tier, das zum Schinder kam.,Luder1 hieß das Fleisch von gefallenem Vieh, das als Lockspeise für Raubwild verwendet wurde. Vom gierigen Fressen des reichlich ausgelegten Luders 836
Schinken entwickelte sich der Begriff .Schlemmerei'. Ein ,luderlicher‘ Mensch, ein ,Lüderjahn\ verluderte (verschwendete) mit Essen und Trinken sein Geld. Schindluder wird als grobes Schimpfwort gebraucht: in Köln in der Wndg. ,Su e jemein Schindsluder!' Es ist gleichbedeutend mit ,Schindaas' (südd. ,Schinnoos'), das 1691 bei Stieler bezeugt ist, im Ausgang des 18. Jh. als student. Schimpfwort in Halle erscheint und heute in den Mdaa. weit verbreitet ist. Aber auch anerkennend und scherzhaft werden ,Schindaas' und ,Schindluder', oft auch im Deminutiv, verwendet: ,E, gieh du alts Schindluder!' beinhaltet die Feststellung, daß es sich um einen Spaßvogel, einen Aufschneider, einen geriebenen Menschen handelt. .Na, du gutes Schindluderchen?' wird als Begrüßung eines Freundes in Obersachsen nicht übelgenommen. Mit dem Ausruf ,Du kleenes Schindluder!' erkennt z.B. der Großvater in Sachsen die Klugheit seines Enkelkindes an, am Rhein heißt es schon 1859: ,Du bes e klei SchinnÖsje', ein kluges Bürschchen. So werden diese Ausdr. auch bei Bürger und H. Heine in Briefen gebraucht:,^arum schreibt denn das kleine Schindluder nicht?“ (Bürger, Briefe 1, 128) und „Da bin ich armes Schindluderchen schon wieder marode!“ (H. Heine, 3, 25 Elster). Schindluder machen bez. einen Streich, einen Spaß unter Freunden. Wenn aber einem die üble Behandlung zuviel wird, ruft er aus: ,Ich lasse doch nicht Schindluder mit mir spielen!' Damit gibt er zu erkennen, daß er die Absichten der anderen durchschaut hat, seine Gutmütigkeit nicht ausnützen und sich nicht alles gefallen lassen will. In Thür, sagt man dafür ,Schindleichs spielen'. Aber auch die Rda. Schindluderei treiben mit jem. ist allg. verbreitet. Mit etw. Schindluder spielen: von einem Ding, einer Sache schimpflichen Mißbrauch machen. In übertr. Bdtg. kann man mit seiner Kraft, seiner Gesundheit, mit seinem Leben Schindluder spielen, aber auch mit seinem Gewissen: „Er trieb nicht Schindluder mit Eid und Gewissen“ stellte Gotthelf fest (,Erzähl'. 3, 250). Schinken. Bei jem. einen Schinken im Salze liegen haben: mit ihm noch eine Sache aus¬ zutragen haben, evtl, noch Strafe von ihm zu erwarten haben. Diese sprw. Rda. ist in den ndd. Mdaa. beliebt und gebräuchl. und läßt sich bis ins 16. Jh. zurück nachweisen. So erzählt z.B. der Hildesheimer Chronist Oldecop, die Florentiner hätten die Venezianer vergebens darum gebeten, beim Kaiser Karl Fürbitte für sie einzulegen, denn die Venezianer „hadden sulvest einen schinken im solte ligende“. Der Satz bei Petri (II, 705): „Wer einen Schincken im Salz hat, der muß schweigen, wenn ander Leut reden“, bedeutet etwa: wer sich einer Schuld bewußt ist oder wer eine Untersuchung oder Strafe zu fürchten hat, der soll sich ruhig und möglichst unauffällig verhalten. In der Altmark sagt man zu einem, mit dem man noch eine unangenehme Angelegenheit abzumachen hat: ,Du hast noch ’n Schink’bi mi in ’t Soit'. Ähnl. sagt man von manchen Leuten, daß sie ,en fulen Schinken im Saite hebben', wenn mit ihnen ,etw. faul ist', wenn sie nicht ganz ,hasenrein' sind. Ist aber der Schinken abgeklaubt oder der Schinken verschnitten, so ist die unangenehme Sache vorbei und ins reine gebracht. Wer jedoch fremden Schinken mit seinem Messer schneidet, lebt wie ein Schmarotzer auf Kosten anderer. Ebenso unangenehm ist es, mit einem Menschen Umgang zu haben, auf den das Sprw. paßt: ,Wer seinen Schinken allein ißt, der mag auch sein Pferd allein satteln'; das span. Gegenstück dazu ist: ,Quien e solas come ei gallo, a solas en- silla el caballo'. Trifft einen zu Unrecht eine Strafe, so sagt man mitfühlend von ihm: ,Der eine hat den Schinken gestohlen, den andern schlägt man mit der Schwarte'. Das Wort Schinken wird oftmals verächtlich für Schenkel oder Bein gebraucht (,Die hat aber Schinken'). Die peiorative Bdtg. gilt aber noch nicht für die Worte Christi im ,Sterzinger Osterspiel' von 1526, wenn der Herr zur Samariterin am Brunnen spricht: Weib gib mir her zu trinken, Ich bin so müed auf meinen schinken. Will man in der Altmark ,enem de Schink’n besên', so möchte man ihn nur auf den Hinteren schlagen. Das kommt auch zum Gaudium aller Buben in dem Spiel vom Schinkenklopfen vor, in dem jeder der Anwe¬ 837
Schippe senden einem armen erlösten Opfer einen kräftigen Schlag auf das Hinterteil geben darf, wobei der Leidtragende an der ,Handschrift4 den Urheber seiner Schmerzen erraten muß. Nicht so grob geht es bei den Kindern zu, die in einem beliebten Abzählvers ihre Spielpartner wählen: Ich schneide, schneide Schinken, Wen ich lieb hab\ werd’ ich winken. Ich schneide, schneide Speck, Wen ich lieb hab\ hol' ich weg. Sind die Kinder in Holstein zu unruhig am Tisch, dann werden sie gemahnt: ,Hol dine Schinken lîk\ womit gemeint ist: ,Halte deine Beine gerade4, wie auf der Inschrift an einem holst. Grabe: O Herre Gott im Himmelrik, Mak em doch sine Schinken lik. Von einem flegelhaften Menschen sagt man in Osnabrück: ,He likt mit Schinken un Backhast uß’ ’n Disk4, d.h. er liegt lümmelhaft auf dem Tisch. „Einen Schuncken nach einem Schwein werffen44 schreibt schon Moscherosch und meint damit ,mit der Wurst nach der Speckseite werfen4. Verrichtet einer eine von vornherein völlig unnütze Arbeit, so tut er nichts anderes als ,Schincken verkauften zu Franckfurt in der Judengasse4 (Schuppius, Tract.), wo gewiß für diesen Artikel der ungünstigste Platz ist. Als einen alten Schinken aber bez. man nicht nur verächtlich ein altes Buch (vgl. Schwarte), sondern auch ein kitschiges Kolossalgemälde. Vertritt einer auf dem Lande bei der Taufe für einen anderen die Patenstelle, so nennt man ihn Schinkenvater. Schippe. Einen auf die Schippe nehmen: ihn verulken, Scherz mit ihm treiben, aber auch: ihn verspotten, grob verhöhnen. ,Ich lasse mich doch nicht auf die Schippe nehmen1.4 ruft derjenige empört, der das hinterlistige Vorhaben, den Schabernack anderer schon vorher durchschaut hat. Die Herkunft dieser Rda. ist umstritten. Küpper (11,250) erklärt die aufgestellte Schaufel (Schippe) als Sinnbild für die Abweisung eines Freiers. Nach Wolf stammt der Ausdr. aus der Gaunersprache. Er meint urspr. die hinterhältige Vernehmungsmethode, durch leere Versprechungen und falsche Liebenswürdigkeit etwas herauszubekommen versuchen. Ähnl. Bdtg. hat auch die Rda. ,jem. auf den Besen laden4 (/Besen). Vielleicht steht die Wndg. aber auch im Zusammenhang mit dem ,Hänseln4 bei Aufnahmebräuchen, worauf auch die Rda. ,in die Schipp beißen4 weist. Sie wird dann gebraucht, wenn ein junger Schlepper bei seiner Einstellung für seine Arbeitskollegen Bier oder Branntwein bezahlen muß (O. H. Werner: Der Saarbergmann in Sprache und Brauch [Diss. Bonn 1934], S. 48). Als Ausdr. äußerster Verachtung gilt: Den nähme ich noch nicht auf die Schippe!: er ist äußerst widerwärtig und nicht einmal soviel wert wie Abfall, den der Straßenkehrer noch auf die Schippe nehmen muß. Er steht auf der Schippe (Kippe): er ist in einer unsicheren Lage, er kann leicht seine Stellung verlieren. Vgl. lat. ,In praecipitio est, stat in extremo4 und ndl. ,Hij zit op den kant van het nest4. Lohenstein (,Ibrah. Bassa4 1,478) schreibt: „Wer auf der Schüppe steht, stürzt leichtlich Kopf und Hals“. Die Rda. ,A hot’s of d’r Scheppe4 meint: es geht zu Ende mit ihm oder seinem Geschäft, wobei wohl an die Schippe des Totengräbers gedacht worden ist. Dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen (gehopst) sein:heißt es von einem wider Erwarten genesenen Schwerkranken, oder dieser gebraucht die Rda. in scherzhafter Weise selbst, um zu sagen, daß er gerade noch einmal davongekommen ist. In Schleswig verwendet man eine ähnl. Rda.: ,He hett den Dood ’n Schipp (Scheffel) Hawer geben', er hat sich noch einmal vom Tode loskaufen können, ist von schwerer Krankheit genesen. In Rheinhessen sagt man von einem Reichen, überden man sich ärgert: ,Der kriegt auch nur drei Schippe!' Man denkt an die ausgleichende Gerechtigkeit des Todes, um sich über Geiz, Habsucht und Reichtum eines anderen zu trösten. Jem. die Schippe gehen: ihm den Abschied geben, ihn fortjagen. Lessing verwendete die Rda. in dieser Bdtg., denn er schrieb (Werke 3,409): „So will ich kommen und die Bauern aufhetzen, daß sie ihm (dem Schulmeister) Knall und Fall die Schippe geben“. 838
Schlaf, schlafen Schülersprachl. heißt die Schippe kriegen: von der Schule müssen, relegiert werden. Die junge berl. Rda. Er winkt Schippen bedeutet: er lehnt etw. ab, sie bezieht sich wahrscheinl. auf Schippe als schmollend oder trotzig vorgeschobene Unterlippe wie die Rda. eine Schippe ziehen. Die Schippe (Schuppe) bekommen hieß früher: zur Schippe (Schupfe, Wippe) verurteiltwerden. Diese Rda., die Stieler 1780 verzeichnet, weist auf eine alte Vorrichtung, mit der Verbrecher bestraft wurden: Sollte jem. des Ortes verwiesen werden, wurde er auf eine Wippe gebracht und Wippgalgen (.Schupfen1 - ,Die Schippe bekommen') (symbol.) davongeschnellt. Noch 1773 war in Wien die .Bäckerschupfe4 in Gebrauch, mit der betrügerische Bäcker ins Wasser getaucht wurden. Auch im Straßburger Stadtrecht war eine ähnl. Strafe bekannt: ,,quicunque etiam vina injuste mensura- verit, de scupha cadet in merdam: = den soi man schupfen“. (Vgl. Grimm, Rechtsaltertümer, 726); /prellen. Lit.: S. A. Wolf: Wb. des Rotwelschen (Mannheim 1956), S. 137. Schlaf, schlafen. Den Schlaf des Gerechten schlafen: tief und ruhig schlafen, ohne sich stören zu lassen. Der ,Schlaf des Gerech- tenk ist wörtl. nicht in der Bibel zu finden, doch ist sinngemäß des öfteren die Rede davon. So z.B. Sprüche 24,15: ,,Laure nicht als ein Gottloser auf das Haus des Gerechten, verstöre seine Ruhe nicht“, oder 3.Mos. 26,6: „Ich will Frieden geben in eurem Lande, daß ihr schlafet und euch niemand schrecke“. Vgl. auch Ps. 3,6.7; 4,9; Spr. 3,24. Die gleiche Redewndg. kennen auch andere Völker: engl. ,the ,Der Schlaf des Gerechten1 sleep of the jusf; frz. ,1e sommeil du juste4; ital. ,il sonno del giusto4. Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf sagt man von einem, der ohne erkennbare Anstrengung etw. erreicht hat. Auch hier liegt ein bibl. Wort zugrunde: Ps. 127,2 sagt: „Es ist umsonst, daß ihr früh aufstehet und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er’s schlafend“. Eine Kontamination beider Sprww. ist: Dem Gerechten gibt's der Herr im Schlafe. Das fällt mir nicht im Schlaf (im Traum) ein ist eine sehr entschiedene Verweigerungsform: daran ist gar nicht zu denken. Selbst im Traum, in dem doch die unwahrscheinlichsten Dinge geschehen, könnte einem so etw. nicht einfallen; vgl. schon lat. ,Ne per somnium quidem hoc velinT. Der kann sanft schlafen, der keine Sorge hat ist etwa gleichzusetzen mit: ,ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen*. Schon im MA. findet sich diese Rda. in zahlreichen Varianten. Wer sehr fest schläft, von dem sagt man: Er schläft auf beiden Ohren, um anzudeuten, daß er sich durch keinerlei Lärm stören läßt. In Warschau heißt es jüd.-dt.: ,Er schluft wie a Gehargeber4 (ein Erschlagener), von hebr. hurog = erschlagen. Gleicherweise sprechen wir von schlafen wie ein Toter. 839
Schlafittchen Zahlreiche rdal. Vergleiche gibt es für ,fest und lange schlafen1, vor allem solche, die aus dem Tierreich übernommen sind. So kann man schlafen wie ein Bär, der ja einen langen Winterschlaf hält, oder wie ein Dachs, wie ein Murmeltier oder wie eine ,Schlafen wie ein Murmeltier1 Katze. Allg. gebräuchl. ist die Rda. schlafen wie ein Ratz (oder eine Ratze), wovon das Verbum ,ratzen4 für schlafen abgeleitet ist. Mit Ratz(e) ist nicht etwa eine Ratte gemeint, sondern der Siebenschläfer, der in Süddtl. auch die Schlafratz oder schlechtweg Ratz genannt wird und sich im Winter in einem schlafähnlichen Zustande befindet. Nach Brehm heißt der Iltis auch Ratz, und von diesem sagt er, er ruhe oder schlafe den ganzen Tag, woher die obige Rda. komme. Wer tief und ohne sich zu bewegen schläft, schläft wie ein Stock. Spottend sagt man auch: Er schläft wie ein Beamter. Ich will drüber schlafen oder Ich iiberschlaf es erst einmal:ich will es genauer überlegen, möchte nichts überstürzen. „Wir wollen heut drüber schlaffen“ (Franck 1,50); lat. ,de mane consilium4 (Sutor 118). Von jem., der den ganzen Tag über schläft, sagt man: Er schläft ein Loch in den Tag hinein. Den unruhigen, leichten Schlaf bez. man als Hasenschlaf, denn man sagt, die Hasen schliefen mit offenen /Augen, sie seien auch im Schlaf noch wachsam. „Er schläft mit offnen Augen wie ein Hase“ (Franck II, 73a). Die Holländer sagen zu vorsichtigwachsamem Schlaf: ,slapen as de kraanvo- gels4. Er schläft den ewigen Schlaf oder er ist ent¬ schlafen umschreibt den Tod eines Menschen. Diese Redewndg. geht auf Jer. 51,39 zurück: „Ich will sie ... trunken machen, daß sie fröhlich werden und einen ewigen Schlaf schlafen, von dem sie nimmermehr aufwachen sollen, spricht der Herr“, /zeitlich. Schlafmiitze nennt man seit dem 17. Jh. die leinene Kopfbedeckung, die nachts getragen wurde. Seit Lessing steht das Wort fast häufiger für einen schläfrigen, trägen Menschen: eine Art pars pro toto, das den Träger nach dem Kleidungsstück benennt. Schlaf laus /Laus. Schlafittchen. Jem. beim Schlafittchen kriegen (auch packen, nehmen, halten): jem. am Kragen oder Rockzipfel packen, ihn fest- halten, erwischen; auch: ihn derb zurechtweisen. Die Herkunft ist nicht ganz sicher geklärt. M.Richey deutete 1743 in seinem ,Idioticon Hamburgensek Schlafittchen als urspr. ,Schlagfittich4, also die Schwungfedern der Vögel: „Daher die Rda.: ,eenen by der Slafittje kriegen4, so viel bedeutet, als einen beym Flügel erwischen, das ist, beym Aermel oder beym Kleide zu packen kriegen“. In gleicher Bdtg. heißt es ndl. Jemand zijne slagpennen uittrekken4 oder Jemand bij de kladden grijpen4; engl. ,to collar a person4. 840
Schlag, Schläge Jemand beim Schlafittchen kriegen1 Bes. in ndd. und mdt. Mdaa. ist die Rda. seit dem 18.Jh. verbreitet; zahlreiche Ne* benformen zu Schlafittchen haben sich gebildet, so etwa ,Schlafittel', ,Slafitten4 oder ,Schlavitf und durch Vermischung mit der Rda. ,jem. beim Wickel kriegen4: ,bi’n Schlawickel kriegen4 (Schlesw.-Holst.). Neben Schlafittchen hört man vielfach auch: ,einen beim /Fittich kriegen4. In Grimmelshausens .Simplicissimus4 heißt es in gleichem Sinne: ,,Ich hatte aber zu solchem End meine Sackpfeife kaum aufgeblasen, da ertappte mich einer aus ihnen beim Flügel44 (3. Kap.). Die Form .Slafitt- chen4 war urspr. Dat. Plur., wurde jedoch später als solche nicht mehr verstanden und als Verkleinerungsform aufgefaßt, daher: beim Schlafittchen. In Königsberg soll statt Schlafittchen ,Klaffêz4 üblich gewesen sein, in Litauen ,Klafittchen4, ebenso in der Gegend von Hildesheim. Von diesen Formen leitet sich die folgende Erklärung her: hebr. ,khalif4 = Kleid wurde in der Gaunersprache des MA. zu ,Klaffot4 = Rock, Kleid. Die Verkleinerung desselben würde Klaf- fottchen heißen. Daraus wäre dann Klafitt- chen entstanden, wie es tatsächlich in einzelnen Gegenden Niederdtls. (z. B. im Braunschweigischen) erscheint. In anderen Mdaa. ist daraus ,Klüftchen‘ geworden. Eine Umwandlung von ,Klafittchen4 zu ,Schlafittchen4 ist jedoch lautlich nicht zu rechtfertigen. Ganz unhaltbar ist auch die Erklärung H. Schröders (Streckformen S. 189), ,slawitje\ ,slafitje‘ sei eine Streckform aus ndd. ,slitje4, der angeblichen Verkleinerungsform von ,slip(pe)‘ = Rockzipfel. /Kanthaken. Schlag, Schläge. Jem. einen Schlag versetzen: ihn sehr enttäuschen, ihn vor den Kopf stoßen, eigentl. ihn unvermutet angreifen, ihm Schmerzen zufügen. Ähnl. ein Schlag ins Gesicht für jem. sein: eine äußerst unangenehme Überraschung, eine schwere Beleidigung, eine öffentl. Kränkung sein. Häufig hört man heute dafür auch in übertr. Bdtg. die Rda. ein Schlag in die Magengrubesein, deren sprachl. Bild an einen bes. wirkungsvollen, aber nach den sportlichen Regeln untersagten Angriff beim Boxen erinnert. Prügel hielt man lange für die beste Erziehungsmethode, auch heute noch heißt es in diesem Sinne von der Züchtigung: Schade um jeden Schlag, der daneben geht! Der Schlag wird andererseits aber auch dafür verantwortlich gemacht, wenn jem. beschränkt geblieben ist. Die Frage Du hast wohl einen Schlag auf den Kopf bekommen? gilt als mitleidiger Spott für einen dummen Menschen oder für einen, der sich plötzlich wie geistesgestört verhält. Ähnl. einen Schlag (Hau, Hieb) weghaben, einen Schlag schräg haben und scherzhaft einen Schlag mit der Wichsbürste gekriegt haben und mdal. im Ndd. ,He het enen Slag van der Windmolen4. Vgl. ndl. ,Hij heeft een4 slag met den meelzak weg (van der Kamper molen weg)4. Mit einem Schlag zwei Fliegen treffen: durch eine einmalige Bemühung doppelten Erfolg haben. Vgl. die Wndg. ,Sieben auf einen /Streich4. Der Schlag gab öl (kein Öl) stellt man nach einem gelungenen (mißglückten) Unternehmen fest. Ein Schlag ins Wasser sein: eine wirkungslose, vergebliche Maßnahme sein. Die heute sehr geläufige Rda. ist erst seit dem 19.Jh. belegt. Sie umschreibt eine Tätigkeit, die keine nachhaltigen Folgen hat, also eine nutzlose Bemühung. Bereits Walther von der Vogelweide gebraucht ein ganz ähnl. sprachl. Bild in seiner ,Elegie4, als er wehmütig der vergangenen Zeiten gedenkt: als ich gedenke an manigen wünneclîchen tac, die mir sint enpfallen sam in daz mêr ein slac, iemer mère ouwê! Die Rda. ist wohl entstanden aus der älte- 841
Schlag, Schläge ren Wndg. ,das Wasser mit Ruten schlagen4, ndd. ,mit der Rood in’t Water slan\ Im Wendthagenschen ,Bauernrecht4 von 1731 heißt es: „Nichts mehr..., als wenn man mit einer Ruthen ins Wasser schlägt44, und Mommsen schreibt in seiner Römischen Geschichte4 (1894, 5,50): „So sind auch die Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins Wasser verschwunden44. Keinen Schlag tun (arbeiten): nichts vollbringen, keine Hand rühren. Die Wndg. bezieht sich urspr. wohl auf das Fallen und Bearbeiten von Holz. Einen Schlag machen: großes Glück haben, ein gutes Geschäft machen. Die Rda. erinnert an den früher üblichen Geschäftsabschluß durch Handschlag. Vgl. ndl. ,zijn slag slaan (waarnemen)4, eine günstige Gelegenheit wahrnehmen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Seit 1900 besitzt die Wndg. noch die weitere Bdtg.: seinem Vergnügen nachgehen, tüchtig zechen und schlemmen. Bei jem. Schlag haben: sich seiner Gunst erfreuen. Die Rda. leitet sich vermutl. aus der Soldatensprache her: der Essenaustei- ler gab dem begünstigten Soldaten eine Portion mehr.,Schlag4 meint hier wohl die Bewegung des Auffüllens. Ähnl. Schlag haben: Erfolgsaussichten besitzen, vor allem in der Umgangssprache der Jugendlichen üblich. Vom alten Schlage sein: von guter alter Art, von bewährter Treue und Rechtschaffenheit sein. Der Vergleich stammt aus dem Münzwesen wie die Rda. ,von echtem /Schrot und Korn sein4. Lessing verweist deutlich auf diesen urspr. Zusammenhang, wenn er feststellt: „Die alten Jungfern sind wie die Münzen vom alten Schlage44. Der Schlag i. S. v. Rasse, Menschenschlag (vgl. ,Geschlecht4 und ungeschlacht4) ist gemeint in den Wndgn. vom selben Schlage sein und von einem Schlage sein, die gleiche Art besitzen. Diese Rdaa. haben häufig negativen Sinn: keiner ist besser als der andere. Auch die holst. Wndg. ,Dat is ên vun dat rechte Slag4 ist iron, gemeint und heißt soviel wie: der taugt nicht viel. Das ist mein Schlag: stellt derjenige fest, dem ein anderer Mensch gefällt, in seiner Art bes. zusagt, der übereinstimmende Wesenszüge bei ihm entdeckt. Das hat keinen Schlag: das hat keine Art, keine Form, es hat,weder Hand noch Fuß4, ln der ndd. Rda. ,He wêt den Schlagg, um de Botter to slan4 bedeutet Schlag ebenfalls die richtige Art und Weise. Auf den Blitzschlag beziehen sich mehrere Rdaa.: wie vom Schlage getroffen (gerührt) sein:\m höchsten Grade bestürzt sein (auch ein Zusammenhang mit dem Schlaganfall wäre hier denkbar), mit einem Schlage, auf einen Schlag:plötzlich, ganz überraschend, Schlag auf Schlag: in rascher Folge hintereinander wie die Blitz- und Donnerschläge bei einem Gewitter, in übertr. Bdtg. ein Unglück nach dem anderen, dann aber auch: eine Pointe nach der anderen, so lit. z. B. von Gleim gebraucht. Er schreibt ,Beim Lesen eines wizreichen Buchs4: Wiz auf Wiz! Bliz auf Bliz! Schlag auf Schlag! Ob’s auch einschlagen mag? Der Schlag wird bald geschehen: ein Unglück steht nahe bevor. Das ist ein Schlag ins Kontor: ein Ereignis, das wie ein Donnerschlag erschreckt, eine unangenehme Überraschung, eine große Enttäuschung. Beim Kartenspiel meint der Ausruf ein wider Erwarten verlorenes Spiel. Mdal. ähnl. Wndgn. besitzen die gleiche Bdtg.: ,Dat ess im ’ne Schlag en de Bocks' heißt es in Bedburg, im Sauerland sagt man: ,Dat geff em en Schlag in de Bückse4, und in Rostock: ,Dat is ’n rechten Sla’ in’n Bre4. Ganz andere Bdtg. hat die westf. Rda. ,Den hat der silberne (goldene) Schlag gerührt4, er hat sich bestechen lassen, /Spieß. Einen Schlag warten: einen Augenblick zögern. Die Rda. leitet sich vom Glockenschlag her und veranschaulicht besser als .Augenblick4 die genaue Zeitspanne zwischen zwei Glockenschlägen oder die Dauer des Glockenschlags selbst. In den gleichen Zusammenhang gehören die Wndgn.: ,eine geschlagene Stunde4 (Viertelstunde), .geschlagene zehn Minuten warten müssen4. Eine noch andere Wortbdtg. von Schlag zeigt die Rda. den Schlag zumachen, wenn die Tauben fort sind: erst etw. unternehmen, wenn das Unglück bereits geschehen ist, /Brunnen, /Stall. 842
Schlag, Schläge Einen Schlag mehr bekommen als der Hund heißt es scherzhaft auf die neugierige Frage der Kinder, was sie wohl zum Geburtstag bekommen werden. Die Züchtigung der Kinder, Weiber und Dienstboten und die Prügeleien der Erwachsenen untereinander spielen in den Rdaa. und spracht. Vergleichen eine große Rolle, wie die folgende Auswahl erweist. Trockene Schläge bekommen: Prügel erhalten, die keine Blutungen und Verletzungen verursachen, so schon im germ. Recht unterschieden. Vgl. ndl. ,het zijn blinde mans slagen4. Auch: blinde Schläge führen: keinen großen Schaden zufügen. Schläge und faule Fische bekommen: von einem doppelten Übel betroffen werden, harte Bestrafung erleiden müssen. A.Tendlau (Sprww. u. Rdaa. dt.-jüd. Vorzeit, Frankfurt a.M. 1860, S.627) vermutet, daß diese Rda. auf einer Erzählung (.Fellmeier’s Abende' XXII) beruhe: „Ein Herr befahl seinem Diener, auf den Markt zu gehen und Fische zu kaufen. Der Diener ging und kaufte todte Fische, die schon übel rochen. Darüber erzürnte sich der Herr und sagte zum Diener: Du hast die Wahl, entweder ißt du selbst die Fische oder erhältst hundert Schläge, oder du zahlst hundert Gulden. Der Diener wählte, die Fische zu essen. Als er aber einen Theil gegessen hatte, konnte er nicht weiter und bat, ihm das Essen zu erlassen und lieber die Schläge zu geben. Doch auch diese konnte er nicht bis zu Ende aushalten, er wollte lieber hundert Gulden Strafgeld geben. So hatte er alle drei Strafen erlitten, faule Fische gegessen, Schläge erhalten und Strafgeld gezahlt“. Die Rda. kann aber auch an eine Strafart in Polen und Rußland erinnern, wo man den Gefangenen zu den Schlägen nur faule und stark gesalzene Fische gereicht haben soll, um sie den Durst noch qualvoller empfinden zu lassen. Mehr Schläge als Brot erhalten: sehr streng erzogen werden. Um die große Zahl der Schläge zu veranschaulichen, sagt man: Es regnet (hagelt) Schläge auf den Rücken. Wer sich vom Schicksal verfolgt glaubt und meint, daß ihn als Pechvogel alles Unglück treffen muß, klagt: Wenn es Schläge regnet, bekomme ich die ersten Tropfen. Ähnl. sagt man auch in Ägypten: ,Wenn ein Schlag vom Himmel fiele, er träfe nirgends hin als auf seinen Hals'. Für jem., der nicht ohne Schläge auszukommen scheint, der sie immer wieder geradezu herausfordert, kennt schon Seb. Franck (Il,61b) in seiner Sprww.-Sammlung die Wndg. „Er heyscht die schleg wie ein pferdt sein futter“. Allzu viele Schläge können absolut wirkungslos bleiben, weil der Bestrafte sie hinnimmt und rasch vergißt. Diese Tatsache umschreibt die Rda. die Schläge abschütteln wie der Hund die Flöhe überaus treffend. Vgl. wien. ,Der beutelt die Schläg ab, wia de Hund d’ Flöh‘. Die Heftigkeit und Wirkung der Schläge werden ebenfalls rdal. geschildert: Schläge bekommen, daß das Fell raucht, daß man den Himmel für einen Dudelsack (für eine Baßgeige) ansieht, vgl. ndl. ,Hij kreeg een’ klap, dat hij den hemel voor eene viool, en de aarde voor een’ strijkstok aanzag4; Schläge nach Noten erhalteti; Schläge kriegen, was das Zeug hält; Schläge (Prügel) bekommen wie ein Jagdhund, wie ein Esel, wie ein Tanzbär, da man dieTiere auf diese Weise abrichtet. Die Zusammenstellung anderer Ausdrücke, die das Schlagen und Geschlagenwerden veranschaulichen, vermittelt einen Eindruck von der Beliebtheit dieses Themas und von der sprachl. Erfindungsgabe, z.B. in den Wndgn. ,einem Bengelsuppe4, auch ,Prügelsuppe geben', so schon 1548 bei Burkard Waldis im »Esopus4 (4, 74, 80) belegt: Man kan ein schleffrigen Knaben Mit einer Prügelsuppen laben. Scherzhaft sagt man auch:,einem etw. Prügelsaft verordnen4 oder »einen mit Schlagbalsam versehen4. Neben den gebräuchlichen Ausdrücken, wie ,Prügel4, »Schläge4, »Hiebe4, »Ohrfeigen4, »Maulschelle4, und den umg. und mdal. Wörtern, wie »Dresche4, »Keile4, »Holze4, »Bimse4, »Wichse4, »Schmiere4, »Fotzen4, »Dachtel4, gibt es zahlreiche Neubildungen, die auf die Schlagwerkzeuge anspielen: »Ungebrannte Asche4, »Farren- schwanz4, ,GabelwurzeP, ,Rutenelixier4, »Steckenöl4, »Trümelbraten4, »Scheiterkraut4, »Besenstiel-Pasteten4, »eine Portion Schlagwurst4, »Schlägelküchlein4, »Faust- 843
Schlagen täflein\ .Fußmilch4 und, Fünffingerkraut4. Rdal. gibt man jem. ,einen Deuter\ ,einen Fingerzeig1, ,eine böse Nuß auf den Kopf\ ,Kopfnüsse4, ,einen Kopfgroschen4 oder ,einen Nasenstüber4. In Niederoesterr. verabreicht man ,einen Schilling Streiche4, in Westf. gibt es ,Essigsaures4 oder allg. auch Jackenfett4. Iron, spricht man von einem ,Fisch ohne Gräten4 oder den ,Knallschoten, die aus der flachen Hand wachsen4, man verabreicht den Genickfang4 oder mitten Fünfthalerschein, an dem der Empfänger mehrere Tage zu wechseln hat4, in Süddtl. macht man ,warme Umschläge4. Mit der Rda. Nicht vor dem ersten Schlag- anfaJf! weist man eine Hilfeleistung zurück. Bei Ungeschicklichkeit seufzt man in Oesterr.: ,Es ist zum Schlagtreffen!4 Den Schlagbaum vorziehen: jem. Hindernisse in den Weg legen, die Rda. erinnert an die Belästigungen und zahlreichen Aufenthalte der Reisenden durch Binnenzölle und Wegegelder. Ein Schlaglicht auf eine Sache werfen: einen guten Einblick geben, das Augenmerk darauf lenken, bezeichnend für etw. sein. Das ,Schlaglicht4 war urspr. ein Malerausdr. aus dem 18.Jh., der den scharf begrenzten Lichteinfall bez. sollte. Ebenso ist der Begriff ,Schlagwort4 als Fachwort der Theatersprache zu verstehen, das sich heute allg. verbreitet hat und urspr. gleichbedeutend mit ,Stichwort4 gewesen ist. Heute meint man damit ein Wort, das in aller Munde ist und einen Sachverhalt schlagartig4 erhellt. Der Ausdr. ist nicht vor Jean Paul belegt. Starke (leichte) Schlagseite haben: betrunken sein, nicht mehr gerade gehen können, torkeln. Das sprachl. Bild beruht auf dem Vergleich mit einem Schiff, das sich zur Seite neigt, wenn es nicht gut gebaut oder falsch beladen ist. Seit dem 17.Jh. bez. die Schlagseite in iibertr. Bdtg. bereits die geneigte Lage selbst, erst im 20. Jh. ist aber das Bild für den taumelnden Betrunkenen aus der Seemannssprache entlehnt worden; vgl. schief geladen haben4, /trinken. Schlagzeilen machen: so großes Aufsehen erregen, daß sogar die Zeitungen auf ihren Titelseiten groß darüber berichten. Lit.: L. Honko: Krankheitsprojektile. FFC. 178 (Helsinki 1959); W. Hävernick: „Schläge“ als Strafe (Hamburg 41970). schlagen. Ehe ich mich schlagen lasse ist eine Rda., mit der man dem Nötigenden nachgibt; sich breitschlagen lassen: sich nach anfänglichem Widerstreben zu etw. bereit erklären; sich geschlagen geben: vor allem heute in einer Diskussion keine Gegenargumente mehr Vorbringen können. ,Verschlagen4 bedeutete eigentl. ,durch Schläge in die falsche Richtung gebracht werden4, dann auch übertr. ,zu weit wegtreiben, verstecken4, daher die Ausdrücke verschlagen werden: an einen Ort gelangen, an den man nicht wollte, verschlagen sein: listig, durchtrieben (eigentl. wohl versteckt4) sein. Ebenso wie ,ausschlagen4 gehörte wohl auch ,schlagfertig4 urspr. zur Fachsprache der Fechtkunst (vgl. parieren4 = urspr. einem Hieb oder Stich geschickt ausweichen, ihn vereiteln). Beschlagen sein: gute Kenntnis von einer Sache haben, seit dem 17.Jh. belegt, geht wohl vom gut beschlagenen Pferd aus. An seine Brust schlagen: schon bei den Griechen und Römern ein Zeichen der Betrübnis, vgl. Lukas 18,13: ,,Und der Zöllner... schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!44 Sich etw. aus dem Sinn (Kopf) schlagen: eine Idee aufgeben, ebenso .sich einer Sache entschlagen4. Sich mit seiner eigenen Rede schlagen: sich selbst widersprechen. Er schlägt viel Holz sagt man von einem Aufschneider. Sich etw. um die Ohren schlageti /Ohr. Wenn in einer Gesellschaft von Frauen sich nur ein Mann befindet, so sagt man in Holst.: ,Et slat sik all um ên Knaken4; von einem Maulhelden heißt es: ,He schleit op e Dösch on rennt rut4. Von einem weitverbreiteten Spiel, wobei einer mit verbundenen Augen nach etw. schlagen mußte, ist der Vergleich genommen nach etw. schlagen wie der Blinde nach dem Ei: in Iserlohn heißt es: ,Hä slätt dernoa as der Blinne noam Düppen4. Von den Pflanzen ist die Wndg. genommen Wurzeln schlagen: lange stehen. Sich in die Büsche schlagen /Busch. Eine Sonderbedeutung ,in bestimmte Richtung gehen, nacharten4, wie sie sich auch in den Wörtern, ,Geschlecht4 und ,ungeschlacht4 zeigt, finden wir in den Wndgn. in 844
Schlagen ein Fach schlagen oder aus der Art schlagen. Der Schlag i. S. v. Rasse ist auch gemeint in der Rda. Er schlägt nach seinem Vater: er hat große Ähnlichkeit mit ihm, artet ihm nach; schon ahd. ist diese Bedeutung bekannt: ,nah tien forderon ze slahenne an iro tugede4. Nim schlägt's 13! ist ein Ausruf der Verwunderung; wissen, was die Glocke geschlagen hat oder wieviel es geschlagen hat: wissen, wie es um die Sache steht; wissen, wie man sich zu verhalten hat, die Folgen einer Handlungsweise kennen; diese Rda. muß noch aus der Zeit stammen, in der es keine Taschenuhren gab, wo man also auf den Glockenschlag der Turmuhr angewiesen war; bair. ,Oetz wüssi wi viel's g’schloag'n hat‘. Zahlreich sind die rdal. Wndgn. für die Androhung von Schlägen und ihrer üblen Folgen, z.B. jem. griiti und blau (braun und blau) schlagen (vgl. ndl. jemand bont en blouw slaan4 und engl. ,to beat one black and blue1); jem. windelweich schlagen; ihn ungespitzt in den Boden hineinschlagen; jem. krumm und lahm schlagen; ihm die Zahne einschlagen; schlagen, daß jem. nicht mehr sitzen kann, daß man ihm die Schwielen avfschneiden muß; einem den Buckel (Ranzen) vollschlagen usw. In der gehobenen Umgangssprache vermeidet man das Wort schlagen und verwendet Euphemismen, wie ,jem. mit dem Stab Bekanntschaft machen lassen4; ,ihn die Rute kosten lassen4, ,ihn durch die höl- ,Grün und blau schlagen1 - ,Verwamsenk zerne Mühle ziehen4; ,die Prügel kommen nicht von schlechten Eltern4. In der Sprache der Straße ,verholzt4 man einen,,deckt ihn mit Prügel zu4,,klopft ihn (weich) mürbe4, ,traktiert4, ,vermöbelt4, ,stäupt4 und ,stupst4, ,verbimst4 und verbleut4 (von mhd. ,bliuwen4 = schlagen) und ,zwiebelt ihn, bis er Wasser gibt4. Der Geprügelte ,fängt einen4 (= Schlag), ,hat einen abbekommen4, ,einen geschmatzt4 bzw.,geschmiert bekommen4. Der Schläger hat es ihm ,ellenlang und daumendick verordnet4. Des weiteren kann man seinem Opfer ,eine aufbremsen4, ,aufdämmen4, .aufmessen4,,aufsenken4,,aufzählen4,,runterlangen4, ,überziehen4 und versetzen4, ,einen (runter)pauken4, ,fegen4, ,(durch-) fäusteln4, ,boxen4, ,fuchteln4, ,fummeln4, ,eine keulen4, ,karbatschen4, ,klabastern4, ,klappsen4, ,schmieren4, ,reinhauen4, klatschen4 und verpassen4. Der Schläger ,keult4, ,knocht4, ,knufft4, ,knüppelt4, ,pufft4,,pritscht4 und ,rüttelt4 den Geschla- genenen, er verbeult4, verballert4, vertobakt (Rotw.) ihn4, ,hämmert auf ihm rum4, keuchtet ihm heim4, ,tanzt auf ihm4 und,schlägt ihn kaputt4. Die Zuschauer beteiligen sich mit lautstarken Anfeuerungen an der Schlägerei: ,Wisch ihm eins aus!4, ,Gib’s ihm!4, ,Steck ihn ein!4, ,Zünd ihm eine!4 Lautmalende Ausdrücke sind: ,jem. patschen4, ,bummhasen4, ,bumpsen4, ,bum- fasen4 und ,dätschen4. Auch kann man ,ei- nen derart schlagen, daß er in allen Farben schillert4, ,man (ab-, aus-, durch-, zer-,) bleut ihn4 (eigentl. von mhd. ,bliuwen4 = schlagen, heute jedoch im Sinne der Farbenbedeutung verstanden). Auf die Musik und Musikinstrumente zurückgehende Ausdrücke hängen wahr- scheinl. mit der Vorstellung des jammernden und schreienden Geschlagenen zusammen: ,einem die Flötentöne aus dem ff. beibringen4, ,einem eine fideln oder (rein)geigen4, ,einen nach Noten prügeln4, ,ihm ins Gesangbuch (Gesicht) schlagen, daß die Noten durcheinanderfallen4. Auch ,einem den richtigen (scharfen) Text lesen (singen)4 (/Text) und ,einem die Leviten lesen4 (/Leviten) haben die Bdtg. ,ihn prügeln4. Ferner sind iron.-bagatellisierende Redewndgn. gebräuchlich: ,einen begrüßvogeln4, ,begrüßlusen‘ (beide 845
Schlagen Wndgn. schon 1806 belegt), ,jem. jucken4, ,rupfen4, ,knipsen4, ,streicheln4 und Jausen4, ,ihm die Ohren flöhen4. Auf die Kleidung beziehen sich:,einem die Beinkleider strammziehen4, ,die Hosen (aus-)spannen4, ,ausstauben4 und ,ausfressen4, ,aufs Wams klopfen4,,einem eine (gehörig) wamsen4. ,Ich heb’ dich aus dem Anzug4 ist eine ebenso häufige Drohung wie das neuere ,Ich verschale dich4 (von Schale = Kleidung). Rhein, belegt sind: ,Ich schlag’ dich pfundweis’ aus dem Anzug raus4,,schlag dich noch aus Rock und Ka- misol4. Vergleiche mit den täglichen (handwerklichen) Arbeitsverrichtungen sind: ,jem. in die Arbeit nehmen4, ,indieMache nehmen4, ihn (durch-)gerben4, ,versohlen4,,(durch-) walken4, ,(an-)streichen‘, , schrammen4, ,abbalgen4, ,abdecken4, ,jem. ansalben4 (16. Jh.), ,duschen4, ,tampen\ ,(durch-) wichsen4, ,verbolzen4, ,verledern4, ,ver- pflastern4, ,verrollen4 (moderne Prägung, vielleicht von Rollkommando4), ,ihm eine bürsten4, ,ihm heimleuchten4,,einheizen4. An die bäuerliche Arbeit lehnen sich an: ,auf einen losdreschen4, ,einen (verdreschen4, ,striegeln4, ,hacken4, ,einem eine dengeln4 und ,jem. trockenen Hafer geben4. Seltener scheinen Tiervergleiche zu sein: ,Ich will dir gleich Bienen geben4. ,Ich schlag’ dich wie einen Bären4, ,wie einen Tanzbären4, ,wie ein Tanzpferd4. Eine wichtige Rolle in der Schlägerterminologie spielen die Drohungen. Meistens übertreiben sie die Stärke des Drohenden. Der Bedrohte soll eingeschüchtert werden. Seine Körperteile werden durch verächtliche Ausdrücke ersetzt, sein Zustand nach der Durchpriigelung wird in den schwärzesten Farben geschildert. Der vorrangige psychologische Zweck der Drohungen liegt weniger in der Einschüchterung des Gegners als vielmehr in der Stärkung des eigenen Mutes begründet: ,einen prügeln, daß er sich bepinkelt4, ,daß er Öl pißt4, ,daß er Pomeranzen scheißt4, ,daß er Baumöl seicht4, ,daß er drei Tage Buttermilch pißt4. ,Ich schlag dich, daß du dich überschlägst4, ,daß du Rad schlägst4, ,daß du dich dreimal um dich selbst drehst4, ,daß du acht Tage rund läufst4, ,daß du drei Tage Galopp läufst4, ,daß du die Wände hochläufst4. ,Ich schlag dich, daß du scheel kuckst4, ,daß du die Heiligen Drei Könige für drei Spitzbuben ansiehst4, ,daß du nicht weißt, wohin du gehörst4, ,daß du den Himmel für einen Dudelsack ansiehst4, ,daß du den Himmel vorlauter Sternen nicht siehst4, ,daß du den Himmel nicht siehst4, ,daß du den Mond für einen Handkäs’ ansiehst4, ,daß du meinst, die Sterne fielen vom Himmel und du hörtest die Engel im Himmel tanzen und pfeifen4, ,daß dir Hören und Sehen vergeht4, ,daß der Kopf brummt4, ,es vor den Ohren summt und vor den Augen flimmert4, ,daß du nicht mehr sitzen kannst4, ,daß dir vierzehn Tage das Liegen wehtut4, ,daß du toll und taub wirst4, ,daß du in die andere Woche guckst4, ,daß du die Gänse in Paris gak- kern hörst4, ,daß du nach Gott verlangst4, ,daß du den Herrn nötig hast4. ,Ich schlag dich zum Krüppel4, ,daß man aus dir Riemen schneiden kann4, ,daß dir die Beine scheppern4, ,brei-4, Jeder-4, ,windelweich*, ,daß das Fell raucht4, ,krumm und lahm4, ,daß du Zwillinge bekommst4, ,zu Dreck4, ,zu Mus4, ,daß du alle viere von dir streckst* (,tot bist4), ,ungespitzt in den Erdboden rein4, ,kurz und klein4. ,Ich lauge dich4, ,zerfleische dich4, ,will dich dürängeln*. ,Ich haue dich zusammen wie alt Eisen*, ,daß die Stücke herumfliegen4, ,daß man dich um die Haspel herumwinden kann4. Mit ,Warte, du wirst mir etw. abbetteln!4 droht man Schläge an, mit denen man dann ,dem Geschlagenen aufs Lebendige kommt4, ,ihm einen Bruch4 oder ,ihn zu einem heiligen Leib schlägt*. Äußerst plastisch ist ,Ich mach Kreenfleisch (= heiß abgekochtes Schweinefleisch mit Meerrettich gewürzt) aus dir4. Abstrusen Assoziationen entspringt der Ausdr.,Warte, ich will dich katholisch machen, du sollst Jesum Christum kennenlernen*. Auf die geistige Verwirrung und den körperlich desolaten Zustand des Geschlagenen spielen auch einige rhein. Drohungen an: ,Ich schlag dir ein paar, daß du dich hinter der Stubentür aufrichtest4, ,daß du dich in der anderen Woche wiederfindest4. ,Ich schlag dich, daß du meinst, Ostern und Pfingsten fielen auf einen Tag4, ,daß du meinst, dein Kopf wär eine Drehorgel4, ,daß du meinst, du säßest drei Tage hinter dem Mond4, ,daß du meinst, die Sterne 846
Schlagen tanzten4, ,daß du meinst, der Teufel kam auf Stelzen1, ,daß du meinst, du hörtest die Glocken zu Köln läuten4, ,daß du meinst, der Kopf brummte wie eine Baumsäge4, ,daß du meinst, die Zähne spielten Klavier4, ,daß du meinst, die Zähne flögen dir in den Hals4. ,Ich schlag dich, daß du Backenzähne scheißt4, ,daß das Kaffeewasser im Arsch kocht4, ,daß dir Strümpfe und Schuhe ab- fallen4, ,daß dir vierzehn Tage kein Stehkragen mehr paßt4, ,daß es dir bis aufs siebente Fell geht4, ,daß die Sonne durch dich scheint4. ln den bildl. Redewendungen, bes. in den Drohungen, werden die einzelnen Körperteile mit den verschiedensten Bez. bedacht, und ihre Beschädigungen werden farbig ausgemalt, so daß, wollte man den fiktiven Drohcharakter in Abrede stellen, ein Bild unumschränkter Grausamkeit entstände. Wndgn., die sich auf den Kopf beziehen: ,einen vor die Platte4, ,den Kappeskopp4, ,die Rübe4, ,die Pflaume hauen4, ,einem aufs Dach steigen4, ,ihn auf den Dätz4, ,den Giebel4, ,das Tabernakel4, ,auf das Zifferblatt schlagen4; ,ich schlag dir den Hirnkasten ein4; ,ich schlag dir eine auf den Speicher, daß der Keller wackelt4 ; ,ich schlag dir auf den Kopf, daß du Plattfüße kriegst wie ein Gänserich4; ,ich schlag dir Knubbeln an den Kopf wie einem Holländerkäse4; ,ich schlag dich auf das Kapital, daß die Zinsen die Backe raufrollen4; ,ich schlag dich auf das Dach, daß die Pfannen rappeln4; ,daß der Giebel kracht4; ,ich schlag dich auf den Tabernakel, daß alle Heiligen wackeln4; ,ich schlag dich auf den Kopf, daß er platt wird wie ein Pfannkuchen4. Das Gesicht (Augen, Backen, Ohr, Mund, Nase) ist gemeint: ,Ich schlag dir ins Gesicht, daß die Augen Feuer geben4; ,ich schlag dich auf ein Auge, daß dir ein Schienbein blau geht4; ,ich schlag dir eine auf die Backe, daß du sie auf der anderen Seite greifen kannst4; ,ich schlag dir einen um die Löffel4, ,geb dir einen hinters Ohr4; ,ich schlag dir einen Batzen in die Schnautze4; ,ich schlag dir auf den Rüssel4; ,ich schlag dir einen auf die Schnautze, daß die Zähne korporalschaftsweise zum Arsch rauskommen4; ,ich schlag dir alle Zähne zum Rachen rein4; ,ich schlag dir ins Landgericht, daß die Schreiber den Hals runter¬ kugeln4; ,ich schlag dir in die Fresse, daß dir die Zähne zum Arsch hereinfliegen4; ,ich schlag dir in die Backenzähne, daß die Milch in der gesamten Nachbarschaft gerinnt4; ,ich schlag dir in die Fresse, daß dir die rote Brühe zum Arsch herauskommt4; ,ich schlag dir in den Rachen, daß du vierzehn Tage nach Atem schöpfst4; ,ich schlag dich, daß der Mund so dick wird wie der Arsch4; ,ich schlag dir das Maul so platt wie ein Abc-Buch4; ,Warte, dir poliere ich die Fresse!4 Auf die Haut beziehen sich:,einem etw. am Leder flicken4, ,das Leder gar machen4, .hart aufs Leder kommen4;,einen (durch-, zer-)ledern4,,einen pelzen4;,einem auf den Pelz kommen4, ,den Pelz ausklopfen4, versengen4; ,einem das Fell lose machen4, verarbeiten4, ,gerben4, verledern4,,schmieren4 und,ziehen4; ,jem. was auf den Bast geben4. Auf verschiedene Körperteile: ,jem. den Rücken mit Knütteln traktieren4,,messen4; ,einem den Buckel auswaschen4, ,die Hucke vollhauen4; ,einem die Rippen be- kloppen4, ,ihm alle Rippen im Leibe entzweischlagen4; ,ich schlag dich, daß du deine Knochen hinten greifen kannst4; Einern auf die Finger klopfen4, ,die Nieren losschlagen und ihm in die Herzgrube langen, daß der Mond hineinscheint4; ,dem Hintern Kirmes4, ,dem Arsch Kirchweih machen4; ,einem die Schinken besehen4, ,den Arsch bepflastern4, ,kalfatern4, ,den Staub aus dem Hintern klauben4, ,’s Quartier versohlen4 (schwäb.); ,ich schlag dich, daß dir der Arsch schwillt4, ,du den Arsch nicht mehr in die Hosen kriegst4. Als Beisp. für die vielen mdal. Ausdrücke sollen die berl. Wndgn. angeführt werden. Man droht einem, den man schlagen möchte: ,Willst wol ne kleene Abreibung harn?4 ,Du krist eens an1 Ballong, det de Jondel wackelt4. ,Krist jleich eens in de Batterie4. ,Sie könn’ de scheenste Keile be- sehn4. ,Krist jleich eens uf ’t Dach4. ,Krist eens uf’n Deckel4. ,Dir soll der Deibel fri- kassieren4. ,Wat? Sie wolln mir dreckig kommen?4 ,Sie nich, verstehn Se, mir nich!4 ,Kommen Se mir nich dumm, sonst komm ick Ihnen noch dummer4. ,Hast wol lange keenen blutjen Einsatz jehatt?4 ,Den Kerl wer’k de Eisbeene knicken4. ,Dir hau ik in Fetzen4. ,Den wer’k de Flötentöne beibrin¬ 847
Schlamassel gen‘. ,Den wer‘k bei de Hammelbeene kriejen4. ,Det mir nich de Hand ausrutscht1. ,Riech mal an meine Handschuhnummer1. ,Een Hieb - de zweete wäre Leichenschändung4. .Hast wol lange nich dein eijnet Jeschrei jeheert?4,Liebe mir, oder ik zerhack dir die Kommode4. ,lck wer dir zu Karbe- nade verhaun4. ,Ick hau dir uf’n Kopp, dette durch de Rippen kiekst wie der Affe durch ’n Kefich4. ,Wo willst ’n liejen?4 ,Lej mal deine Finger ufn Amboss, ick will dir mal de Näjel manekiern4. ,Ihnen hat wol lange nich de Nase jeblut?4 ,Noch een Ton, un du bist pangsionsberechtigt4. ,Ick hau dir eene, dette denkst, Ostern und Pfingsten fällt uf eenen Dag4. ,Den schlag ick mit ’n nassen Rejenschirm dot4. ,Riech mal an die Knospe (Faust)4. ,Dir wer’k ’n Schnörjel nach links drehn4. ,Denn kannste deine Knochen in ’t Schnuppduch zu Hause dragen4. ,Lass dir man zusammenfejen4. ,Ick hau dir eene an deinen Resedatopp, det dir die Blieten noch vierzehn Dage wackeln4. ,Reich mir mal det Beil von de Kommode, ik wer den Kerl mal’n Scheitel ziehen4. ,Det soll dir sauer ufstossen4. ,Ick hau dir eene, dette aus de Pantinen kippst4. ,Wenn ick nich’ in’ Tierschutzverein wäre, hätt ick dir schon eene jeklebt4. ,Wir treffen uns nach neine4. ,Ick hau dir eene, dette ’ne Turmspitze for’n Zahnstocher ansiehst4, oder: ,dette ’ne Stubeflieje for ’n Doppeldecker ansiehst4. ,Ick lass dir ufjehn wie ’n Ballong4. ,Hast wol lange keen Veilechenbukett unter de Nase jehatt?4 ,Du krist eene, die sich jewaschen hat4. ,Den wer’k de Wurscht anschneiden4. ,Weeßte, vastehste! Det Aas steck ick mit ’n jefrornen Waschlappen dot!‘ ,Wünschen Se vielleicht noch wat?4 Lit.: Meyer-Mauermann: Der richtige Berliner (München 101965); J. Schaeffer: Der lachende Volksmund, S. 45f.; W. Hävernick: „Schläge“ als Strafe (Hamburg 41970). Schlamassel. Inden (die) Schlamassel kommen: in eine schlimme Lage, in Bedrängnis, in höchst unangenehme Verhältnisse kommen, in Verlegenheit geraten. Seit dem 18.Jh. war die Wndg. auch mdal. üblich. In Ulm heißt ,ein in a Schlamass bringen4, ihn ins Unglück stürzen. Bes. häufig braucht man heute die Rdaa. im Schlamassel sitzen: Pech haben, und aus dem größten Schlamassel heraus sein:ü\t Gefahr, das Schwie¬ rigste überwunden haben, deshalb auch der Wunsch: Nur raus aus dem Schlamassel! Das Wort Schlamassel kann aus dem aramäischen ,che-lâ-massâl4 hervorgegangen sein, das Unglück bedeutet (= was nicht Glück ist). Eine andere Deutung weist auf die Zusammensetzung des neuhebr. ,ma- zol4 = Geschick, Glücksstern mit dem nhd. ,schlimm4 zu ,schlimm-mazol4 = Unstern, Mißgeschick. Im Jidd. entstand daraus ,schlimaser und zuletzt im Dt. Schlamassel in der Bdtg. von Unglück, Durcheinander, Gemengsel und Bedrängnis, vielleicht in der Anlehnung an ,Schlamm4 und ,Masse4. Lit.: Avé-Lallemant: Das dt. Gaunertum, Bd. IV, S. 571. Schlampe(r). Eine Schlampe (Schlampampe) sein: eine unordentliche, schmutzige, plumpe, nachlässig gekleidete Frau sein, die auch als ,Schlumpe‘ oder .Schlum- pel4 bez. wird. Die Rda. ist auch mdal. üblich, z. B. heißt es im Siebenb.-sächs. : ,Et äs en Schlamp4. Der Ausdr. wurde durch Christian Reuter bekannt. ,Frau Schlampampe4 ist die Heldin seiner beiden satirischen Lustspiele: ,L’honnête Femme oder Die ehrliche Frau zu Plissine4 (1695) und ,La Maladie et la mort de l’honnête Femme das ist: der Ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod' (1696). Das Verb ,schlampen' und seine Streckform ,schlampampen', eine Schallnachahmung von ,schmatzend essen4 und schlürfend trinken4, waren in der urspr. Bdtg. von ,schlemmen4 schon lange vorher in Gebrauch. Fischart benutzte bereits 1575 im ,Vorritt4 seines .Gargantua' ein davon abgeleitetes Adj.: ,,lhr meine Schlampampi- sche gute Schlucker44, und das Subst. .Schlamp4 kennt er als Ausdr. für ein Schlemmermahl: „Jedoch gefiel jhm besser die Edelsässische weiss de virtute in virtutem von einem Schlamp zum andern44 (.Geschichtklitterung4, S. 62, 17). Ein .Hundsschlamp' ist für ihn eine Mahlzeit ohne Wein. Auf den urspr. Sinn von schlampen4 weist noch die preuß. Rda. Er ist ein Schlampam- per: ein Schlemmer und Prasser. Allg. bezieht sich die Rda. in übertr. Bdtg. heute aber nur auf schlechte Charaktereigenschaften der Frau, die sich in ihrem ver- 848
SCHLANGK nachlässigten Äußeren zu zeigen scheinen. ,Schlampen' und ,schlampig‘ haben jetzt den neuen Sinn von ,schlaff herabhängen\ ,liederlich4 erhalten und beziehen sich auf Kleidung, Haare, aber auch auf die Handlungsweise der Frau, wie ein Reim aus Lauingen beweist: Du alte Schlampampei, Zünd' an dein Oellampel, Zünd' an dein Lateren Deam König zu Ehren, 'm König zu Eahra Und andra zum Trutz, Du alte Schlampampel, Hast dein Oellampel Nett butzt. Das Wesen einer liederlichen Frau wird treffend mit der Wndg. umschrieben: Sie heißt Schlampe, obgleich sie nicht dabei war, als dieser Name ausgetauft wurde (Büchmann, S. 144). Etw. ist eine (große, unmögliche) Schlamperei! Diese Rda. ist als Unmutsäußerung und Tadel einer Nachlässigkeit in der Ausführung von Aufträgen und der Arbeit allg. zu verstehen. Gemeint sind damit auch Vergeßlichkeit, Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit. Schlange. Eine Schlange am Busen nähren (wärmen, erziehen): einem Gutes tun, den man für seinen Freund hält, der sich aber später als undankbar und verräterisch erweist, jem. zu Unrecht vertrauen, am scheinbar besten Freund den gefährlichsten Feind haben. Die Rda. war bereits im Altertum bekannt und bezieht sich auf Äsops Fabel 97: ,Der Bauer und die Schlange4, wo es im Text heißt: Er nahm die Schlange und legte sie unter den Bausch seines Gewandes). Die Fabel bei Phaedrus (4,19) geht auf Äsop zurück. Uns ist sie aus dem ,Reinecke Fuchs4 bekannt, Erasmus (IV,2) erzählt sie in folgenden Versen: Sinu fovebat quidam agricola viperam Gelu rigentem, at haec calorem ut senserat, Ferit foventem, moxque perimit vulnere. Ingrati ad hunc bene meritos tractant modum. Ähnl. hieß es schon bei Petronius Arbiter (gest. 66 n.Chr.) in ,Saturae4 (77): „Tu vi¬ peram sub ala nutricas" = Du nährst unter deinem Flügel (in der Achselhöhle) eine Schlange. Im Lat. hieß die Rda.,Serpentem in sinu fovere', Erasmus gebrauchte polubrum in sinu fovere4. Die Lehre daraus zog Lehmann S. 819 (,Undanck‘ 36): „Wer ein Schlang im Busen ernehret, der wird mit Gifft belohnet". Vgl. auch frz. ,nourrir un serpent (une vipère) dans son sein4, ndl. ,een adder aan zijn borst koesteren4 und engl. ,to cherish a snake (a serpent, a viper) in one's bosom4. Außer der Fabel müssen noch andere Vorstellungen auf die Rda. eingewirkt haben. So war der Schlangenbiß eine beliebte Todesart beim Selbstmord, die bereits Kleopatra wählte. Hans Sachs spricht in seinen Gedichten (Bd. IV, Nr. 489, S. 371 ) von der ,Schlange am Busen4, die den Tod bringt, ebenso Kirchhoff in ,Wendunmuth‘ (7,73). Wahrscheinl. hat das poetischere Wort ,Busen4 für ,Brust4 das Wort ,nähren4 zu sich herangezogen; die Rda. kann deshalb auch mit einem ma. Bildmotiv in Verbindung gebracht werden. Schon in der karolingischen Kunst findet sich das Motiv der Schlangensäugerin. Die nackte Frau, die ,Eine Schlange am Busen nähren' zwei Schlangen säugt und festhält, wurde im kirchlichen MA. im asketischen Sinn als die Nährerin von Voluptas und Luxuria gedeutet. Kohl sieht in dem Motiv den Nachklang der antiken Darstellung von der nährenden Erdenmutter Terra und bringt damit auch die Melusinensage in Zusammenhang (Melusine kehrt in der späteren Sage zurück, um ihre Kinder zu nähren) und die ma. Darstellung eines weibl. Zwitterwesens, das zwei hochgebogene Fisch¬ 849
Schlange schwänze in den Händen hält. Bei dem Wort ,nähren* wurde wohl auch im Hinblick auf die Schlange daran gedacht, daß sie bei ihrem Biß nicht nur Gift in die Wunde spritzte, sondern das Blut ihres Opfers aussaugte. Die Rda. ,eine Schlange am Busen erziehen* ist heute nicht mehr allg. verbreitet.,Erziehen* wurde vermutl. unter dem Einfluß der bildl. Darstellungen von .nähren* verdrängt, ist aber bereits im Tristan* (V. 10374ff.) belegt und in übertr. Bdtg. verwendet worden: Wir haben ze blintliche erzogen Den slangen vür die nahtegalen, Dem rappen kerne vür gemalen, Der der tüben solte sin. Die auffallenden Eigenschaften einer Schlange wurden schon zeitig beobachtet und im Vergleich zur Charakterisierung eines Menschen herangezogen. Die Rda. klug wie eine Schlange sein ist bibl. Urspr. Von der Klugheit der Schlange und ihrer Fähigkeit zu reden spricht bereits l.Mos. 3,1, und bei Matth. 10,16 rät Jesus seinen Jüngern: „Seid klug wie die Schlangen14. Da die Schlange wegen ihrer Verführerrolle beim Sündenfall mit dem Bösen und dem /Teufel gleichgesetzt wurde, entstanden Wndgn. wie listig, falsch wie eine Schlange sein, auch einfach: eine (wahre) Schlange sein, die meist benutzt werden, um eine verräterische, heimtückische, weibl. Person zu kennzeichnen. Vgl. ndl. ,Het is een regte otter4. Verborgene Gefahr und heimliche Laster meint die Wndg. Es ist eine Schlange unter Blumen, vgl. frz. ,Cest un serpent cache sous les fleurs*. Ähnl. Da liegt die Schlange im Grase! Vgl. ndl. ,Daar is een otter in't boiwerk* und ,Da liegt der Hase im Pfeffer*. Andere rdal. Vergleiche verbinden sich mit verschiedenen charakteristischen Verhaltensweisen der Schlange, z. B. sich winden (ringeln) wie eine Schlange: verlegen sein, nach Ausflüchten suchen, auch beißen wie eine Schlage, schon als Ausspruch Salomos bekannt: „Sieh den Wein nicht an, wenn er gelb wird, wenn seine Farbe im Glase schön leuchtet; er gehet lieblich ein, aber endlich wird er beißen wie eine Schlange**, und auf Äußerungen von Zorn und Mißgunst bezogen, heißt es: fauchen (zischen) wie eine Schlange. Der Schlange auf dem Schwänze stehen: sie zum Angriff reizen,schon 1573 in der,Flöhhatz* von Joh. Fischart (S. 47/1680) und 1577 (S. 109/3756) gebraucht: „Man wird aufn schwänz der Schlangen stan“. Die Schlange am Schwanz fassen: keine Gefahr scheuen, den Angriff wagen, vgl. engl. ,He holds the serpent by the tail*. Die Rda. einer Schlange das Gift nehmen: sie ungefährlich machen, beruht auf der Gewinnung von Schlangengift zu Heilzwek- ken. In den Schlangenfarmen werden die Schlangen zum Beißen veranlaßt, wobei sie ihr Gift verspritzen, das sich dann erst wieder neu in dem Giftzahn sammeln muß. Einer Schlange Füße machen (wollen) sagt man, wenn der Gegenstand einer Rede völlig erschöpft ist und überflüssigerweise nach neuen Beweisen einer klaren Tatsache gesucht wird. Vgl. ndl. ,Hij zet pooten aan eene slang4. Von einem Überängstlichen heißt es: Er ist gewiß einmal von einer Schlange gebissen worden, weil er sich vor jedem Wurme fürchtet. Neuere Wndgn. sind Schlange stehen müssen: sich in einer Reihe aufstellen und warten müssen, und eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt: eine Sache, die kein Ende nimmt, die immer wieder von vorn beginnt, ohne daß ein Ergebnis erzielt werden kann. Die bildl. Darstellung galt als Symbol der Dauer und Ewigkeit. Läßt sich jem. schwierige und gefährliche Aufgaben von anderen erledigen, heißt es: Er will die Schlange mit fremden Händen aus der Höhle ziehen, vgl. ,für jem. die /Kastanien aus dem Feuer holen* und ,sich die Pfoten für jem. verbrennen*. Von einem bes. Listigen und Geschickten, dem man alles Zutrauen kann, wird behauptet: Der bekommt der Schlange die Eier fort, und wenn sie daraufsitzt. Schlangen schießen: eine Umschreibung für faulenzen, noch heute im Westerwald gebräuchlich. Lit.: F. Seiler: Das dt. Lehnsprw., Bd. I-IV (Halle 1921-24), Bd. 1, S. 16; HdA. VI1, Sp. 1114 ff. , R. Kohl: Das Melusinenmotiv (1934); K. v. Spieß: Die Sagen von der Fisch- oder Schlangenjungfrau, in: Wiener Zs. 46 (1941); O.A. Erich u. R.Beitl: Wb. der dt. Vkde. (Stuttgart 1955); Büchmann, S. 465; J. A. Oliver: Snakes in Fact and Fiction (New York 1964); A. Otto: Die Sprww. der Römer (Hildesheim 1965); L. Röhrich: Die Sage vom Schlangenbann, in: Volksüberlieferung, Festschrift f. K. Ranke (Göttingen 1968), S. 327-344. 850
Schlaraffenland (-leben) schlapp, Schlappe. Sich schlapplachen: so heftig lachen, daß man davon ermattet, müde und geschwächt wird, vgl. ,sich krank lachen1. Schlappmachen: kurz vor dem Ziel wegen großer Erschöpfung Zurückbleiben, nicht mehr mithalten können, etw. wegen zu großer Anstrengung aufgeben. Schlapp ist die ndd. Lautform für hd. ,schlaff‘, die als von der Soldatensprache begünstigte Lehnform in die obd. Mdaa. eindrang. Auch im rdal. Vergleich wird schlapp verwendet: ,Se is so slapp as'n Ribbelappen*, vgl. ndl. ,Het is zoo slap als een vaatdoek‘. Eine Schlappe erleiden (zugefügt bekommen): eine Niederlage hinnehmen müssen. Schlappe ist zum Schallwort schlapp für einen klatschenden Laut gebildet. Frühnhd. war ,schlappe* der leichte Schlag mit der Hand, der,Klaps*. Von hier aus entwickelte sich zuerst in der Schweiz (1513) die heutige Bdtg. von einer leichten Niederlage. Schon Luther verwendet in seinen /Tischreden* (392a) die Wndg. ,einem eine Schlappe beibringen*. Bei Pauli (,Schimpff u. Ernst* XXXIIIb) heißt es: „einem ein schlappen setzen**. Noch heute: einem (Gegner) eine Schlappe versetzen oder sich selber eine Schlappe beibringen: an seiner eigenen Niederlage schuld sein. Vgl. lat. ,lpse mihi asciam in crus impegi*. Eine Schlappem machen: schmollend den Mund verziehen, ein Schlappmaul, eine Schnute machen, die Unterlippe hängen lassen. Schlappschwanz. Ein rechter Schlappschwanz sein: ein energieloser, schlaffer, auch einfältiger Mensch sein, der keinen Unternehmungsgeist besitzt und Schwierigkeiten und Anstrengungen scheut. Die Rda. beruht wahrscheinl. auf dem Vergleich mit einem Hund, der seinen Schwanz hängen läßt. Man deutet dies allg. als Zeichen, daß er nicht rassenrein, minderwertig, krank, schwach oder feige ist. Vielleicht ist aber auch das männl. Glied gemeint, das häufig als,Schwanz* bez. wird. Darauf deutet die Verwendung der Rda. als verächtl. Bez. eines Mannes, dem seine Freunde und Kollegen bes. in sexueller Hinsicht keine Erfolge Zutrauen. Schlaraffenland (-leben). Wie im Schlaraffenland sein (leben): als Müßiggänger im größten Überfluß leben, ein Schlemmerleben führen. Die Rda. bezieht sich auf das ,Ein Schlaraffenleben führen* 851
Schlaraffenland (-leben) in Europa allg. bekannte Märchen vom Lande der Faulenzer (AaTh. 1930; vgl. KHM. 158). Von ihm stammen noch die folgenden Wndgn.: ,ein Schlaraffenleben führen4; ,sich die gebratenen Tauben in den Mund fliegen lassen1; ,warten, bis einem die gebratenen Tauben ins Maul fliegen4. Aus dem mhd. ,slur4 = fauler Mensch entwickelte sich im 14.Jh. das Schimpfwort ,slür-affe4 für den üppig und gedankenlos lebenden Müßiggänger. Noch 1494 spricht ütarn; çfitim •3>ao fcl)luraffcn Seb. Brant in seinem ,Narrenschiff4 (Kap. 108) vom ,,Schluraffenlandt4\ während es 1530 bei Hans Sachs (,Fabeln4 Nr. 6), „Schlaweraffen Landt44 und „Schlauraffen landt44 lautet, von dem er schreibt: Ein Gegend heißt Schlauraffenland, Den faulen Leuten wohlbekannt. Auch fliegen um (moget ihr glauben) Gebratne Hühner, Gans’ und Tauben. Grimmelshausen schildert dieses utopische Land auch im ,Simplicissimus4 (1,262): „Und als dann wirds in Teutschland hergehen wie im Schlauraffen-Land, da es lauter Muscateller regnet und die Creutzer-Pa- stetlein über Nacht wie die Pfifferlinge wachsen! Da werde ich mit beyden Backen fressen müssen wie ein Drescher und Malvasier sauffen, daß mir die Augen übergehen“. 0d?lauraffen: lanö Seb. Franck gebraucht schon die heutige Wortform (II,49a): „Du bist auss dem Schlaraffenland44, d.h. du bist das gute und faule Leben gewöhnt. Ins Schlaraffenland gehören: dorthin, wo Faule und Gefräßige erwünscht sind. Der Wndg. ,Er wäre gut ins Schlaraffenland, da gibt man einem von der Stunde ein Pfund zu schlafen4 entspricht im Engl.: ,You’d do well in labberland, where they have half a crown a day for sleeping4. Meidet einer gern jede Anstrengung, wird ihm iron, der Rat gegeben: ,Geh ins Schlaraffenland, wo die gebratenen Tauben ins Maul fliegen4, auch: ,wo es Pfannkuchen regnet4, ,wo die Hühner Lobbenkräg tragen4, ,da man die Leute und die Hunde an die Würste henkt!4 Die verschiedenen Zusätze zeigen, wie verbreitet die Vorstellungen vom Schlaraffenland sind. Im Ndl. erscheint die Rda. auch ins Negative gewendet: ,Het is daar ook geen Luilek- kerland4, ähnl. im Dt.: ,Das ist (dort) auch kein Zuckerlecken4. Lit.: Hans Sachs: Sämtliche Fabeln und Schwänke, hg. v. E.Götze, Bd.I (Halle 1893), S.8-11, Nr.4 (1530); F.J. Poeschel: Das Märchen vom Schlaraffenlandc, in: PBB. 5 (1878), S. 389-427; C. Müller-Fraureuth: Die dt. Lügendichtungen bis auf M ünchhausen (Halle 1881, Ndr. Hildesheim 1965); E.Schmidt: Charakteristiken, 2. Reihe (Berlin 1901). S. 51-70; J. Boite: Bilderbogen des 16. u. 17 Jh.. Nr. 14: Das Schlaraffenland, in: Zs. f. Vkde. 20 (1910), S. 187-193; Boite-Polivka: Anmerkungen zu den KHM. der Brüder Grimm, Bd.III (Leipzig 1918), S. 244-258; E. M. Ackermann: Das Schlaraffenland in German Literature and Folksong. Social aspects of an earthly paradise... (Diss. Chicago/ 111. 1944); K. Lûz^WH7cz:Verkehrte Welt. Vorstudien zu einer Geschichte der dt. Satire (= Hermaea N. F. 15), Tübingen 1963; Röhrich-Brednich: Dt. Volkslieder, Bd.II (Düsseldorf 1967), S.488ff. 852
Schleifen schlecht. Etw. schlecht und recht machen: es einfach, aber richtig machen, schon bei Hiob 1,1: ,,Derselbe war schlecht und recht, gottesfürchtig und mied das Böse“. In dieser alten Reimformel hat das Wort schlecht noch seine mhd. Bdtg. bewahrt: schlicht, eben, gerade, glatt, richtig. Luther benutzte die Formel schlecht und recht' in diesem alten Sinne, als er 2. Sam. 15,3 übersetzte: „Siehe, deine Sache ist recht und schlecht; aber du hast keinen, der dich hört, beim König“ (ebenso Hiob 2,3). Ps. 25,21 heißt es: „Schlecht und Recht, das behüte mich; denn ich harre dein“, und Luther übersetzt Luk. 3,5: „Was uneben ist, soll schlechter (d. h. ebener) Weg werden“. In der alten Bdtg. stand schlecht im Gegensatz zu krumm. In zahlreichen Sprüchen des MA. taucht es formelhaft auf, so zum Beisp. auch in Seb. Brants ,Narrenschiff' (19, 46): Die zung die brucht man jn daz reht, Durch sie würt krum das vor was siecht. Das ist ein alter volkstümlicher Reim, der wenig anders schon 1350 in Boners ,Edelstein4 (VII,46) steht: Die valschen Zungen hant daz reht, Sie mâchent krump, daz ê was siecht. Im ,Renner' des Hugo von Trimberg (V. 13872) heißt es: „er vert über sieht und über krump“. Von der Bdtg.,einfach', Bescheiden' ausgehend, wandelte sich der Sinn der Worte immer mehr ins Negative. Schlecht und recht leben' deutete die bescheidenen Verhältnisse an, wie etwa bei Lessing: „Er lebte schlecht und recht, ohn Amt und Gnadengeld, und niemands Herr noch Knecht“. Wenn wir heute sagen: ,Er schlägt sich schlecht und recht durchs Leben', so kommen wir der heutigen Bdtg. von schlecht schon sehr nahe, und bei der Redewendg. mehr schlecht als recht 'isi schlecht vollends zum Negativum geworden. Als Ersatz für die urspr. Bdtg. von schlecht schuf die Sprache aus dem Zeitwort ,schlichten' und dem Abstraktum ,diu slihte' ein neues Eigenschaftswort: ,schlicht'. Schlecht wie die Sünde sein: das personifizierte Böse sein, für verdorben und verabscheuungswürdig gelten. Schieckabartei /Barthel. Schleier. Den Schleier nehmen: ins Kloster gehen, Nonne werden. Volkstümlich ist die Wndg. nicht, sie lebt nur in gehobener Sprache; ist sie doch auch wahrscheinl. wesentlich jünger als die Sache, die sie bildl. bez. Von der höfischen Tracht her erhielt der Nonnenschleier (bis dahin nach lat. ,vëlum‘ mhd. ,wlhel* genannt) um 1300 im Deutschordensland den Namen: „Den sloier si von im entpfie Und gelobete gote kusch më wesen“ (,Passional' 659, 36 Köpke). Seit dem 15. Jh. erscheint in Schlesien die Zusammensetzung ,nunnen- slawer', ,-sloer‘, von dort her bedeutet die Wndg.: Nonne werden. Es liegt ein Schleier über etw. sagen wir, wenn eine Sache nicht klar erscheint. Schiller benutzt das Bild im ,Verschleierten Bildnis zu Sais*. Wir sprechen vom ,Lüften oder Heben des Schleiers', wenn wir die Wahrheit einer Sache herausfinden. Sehr hübsch spottet Bismarck über die, die es unter Umständen für gut halten, „sich in dumpfe Mutlosigkeit, in den Schleier der Schwermut zu hüllen“ (,Reden'I, 245). Einen Schleier über etw. werfen: eine Sache nicht bekannt werden lassen. Ndl. ,Laat ons daar mar een’ sluijer over werpen*. Kurz vor 1910 entstand das Modewort schleierhaft: unklar. schleifen. Schleifen und wenden können: gewandt, betrügerisch sein. Agricola erklärt diese alte Formel (11,84): „Schleiffen vnd wenden - d. i. liegen, trie- gen vnd verschlahen, das es leicht abgeht vnd nit saur wirt, dann schleiffen vnd wenden wil für sich ain yetliches ainen aignen menschen han. Zum schleiffen gehören zwu hende, dessgleichen zum wenden. Wer nun zwu schwäre arbeit auff ainmal vnd leichtig thun kann, der kan schleiffen vnd wenden, d. i. auff alle tail verschmitzet vnd abgeschliffen auf alle ecken. Vor dir ist er gut, hinter dir ist er dein Teufel“. In Moers heißt diese Rda. ähnl.: ,He kann slipen on dreien' (drehen). Er schleift, aber nicht ohne Wasser: er kann auch nicht mehr als andere. Diese Rda. ist auch mdal. verbreitet. Im Sauerland heißt es z.B. ,Hei slîepet auk nie ohne Water'. 853
Schleifen Die Rda. ,He slipt nig dröge' bedeutet dagegen in Bremen: er trinkt gern. Die Vorstellung des Schärfens und Schlei- fens von Messern, Scheren und Waffen an der Schleifscheibe, die hinter den genannten Rdaa. steht, ist noch in einer Abb. in Murners ,Schelmenzunft‘ von 1512 lebendig, während die dazugehörige Rda. glatte (breite) Worte schleifen nur noch übertr. Bdtg. besitzt. Er schleift Worte heißt: er (Qfottezvorter fcbleiffen \dit vcte'ül i'ctj OC01 i(U fo fol TPcr ff Vber litten fol l&er it* ton Kunfterfeben ffnnen Bno m&# ine oan ich felber Kfnnen öaebnoeb oê recbr^fcbnierlf grefffen ©no freflicb glatte vorter fcblef tfen ,Glatte Worte schleifen* versteht es, sich gewandt auszudrücken, er stellt alles als gut und richtig hin. In der alteren Sprache hatte diese Rda. noch mehr als heute den Nebensinn von Lüge und Betrug. So schreibt Luther (3,388b): ,,wie denn die gottlosen jre Wort wissen zu wetzen, zu scherffen, und zu schleiffen“. Auch in einem Fastnachtsspiel (Ausg. v. Keller, 386,31) ist davon die Rede: ,,Und treiben mangerlei gewesch mit Worten über ort geschliffen“. Bei Murner heißt es in seiner ,Schelmenzunft‘ (37, 22, 15 Ndr.): man find ietz meister, die dich leren wie du deyn worter umb soit keren, schliffen glatt und glitzendt gerben und uff der zungen zierlich ferben. So bedeutet auch ,e g’schliffes Mul habend eine beredte, gewandte Zunge haben. Ein abgeschliffener Kerl sein: routiniert, pfiffig, betrügerisch sein, vgl. ,abgefeimt1. In neuerer Zeit spricht man auch von geschliffenen Versen, von einem geschliffnen Geist, einer mörderisch geschliffenen Ironie und vom Schleifen des Verstandes. Er schleift sich selbst den Degeny womit er sich sticht: er bereitet sich selbst Unannehmlichkeiten oder seinen Untergang. Etw. geht wie geschliffen: ganz leicht. Jem. schleifen: ihn zu gesittetem Betragen erziehen, ihn abrichten, tüchtig zur Arbeit heranziehen, auch: scharf exerzieren. Schleifen meint hier auch in übertr. Sinne: die Unebenheiten beseitigen, eine glatte, wohlgefällige Oberfläche hersteilen. Die Rda. hatte urspr. einen realen Hintergrund und weist auf einen alten Aufnahmebrauch bei der Übernahme eines Lehrlings in den Gesellenstand hin, bes. bei den Böttchern (vgl. Wissel II, 465 ff.). Jem. zu Tode schleifen: ihn unsagbar quälen, eine ma. Strafe für Verbrecher und gefangene Feinde, die an Pferde gebunden wurden. Ein geschliffener Mann sein, ein geschliffenes Wesen haben: gebildet, angenehm im Betragen sein. Häufiger ist die Wndg. in negativer Bdtg.: Ein ungeschliffenes Wesen haben:ungebildet, rauh, eckig im Betragen sein, vgl. ungehobelt sein\ /Hobel. Der Nasenschleifer behandelt die Leute, die in alles ihre Nase stecken; er schleift sie ihnen ab. Etw. schleifen: in der älteren Sprache etw. zerstören, verderben, z.B. eine Stadt (Burg, Festung) schleifen. Stud, heißt Kartell schleifen: Emo, Forderung überbringen; einen beim Kartenspiel schleifen: ihm das Geld abnehmen. Hier ist nichts zu schleifen: hierbei ist nichts zu gewinnen. Schleifen gehen: zugrunde gehen, auch: sich heimlich davonmachen, sich vor seinem Dienst drücken. Eine Sache geht schleifen: sie mißlingt, geht verloren. Hinter dieser erst um 1910 aufgekommenen Wndg. steht die Vorstellung des unaufhaltsamen Abwärtsgleitens. Jem. in eine Gesellschaft (ins Kino, vors Gericht) schleifen: einen Widerstrebenden (der die Beine über den Boden schleifen und sich mit Gewalt ziehen läßt) mitnehmen. 854
Schlepptau Die Zügel schleifen lassen: nicht mehr so streng sein, nicht mehr konsequent auf die Durchführung der Anordnungen achten. Schleim. Einen Schleim auf jem. haben (kriegen): Ärger, Zorn auf jem. haben. £7- nem einen Schleim machen: ihm Ärger bereiten. Mit Schleim bezeichnete man früher die Galle und andere Säfte des Körpers, von denen man annahm, daß sie Zorn und Ärger veranlaßten (vgl. ,jem. kommt die Galle hoch vor Wut ). Man glaubte, daß sich der Groll, ähnl. wie ein lästiger Schleim in den Atmungsorganen, im Gemüt festsetzen und dann reizen und belästigen könnte. Er hat sich tüchtig ausgeschleimt heißt deshalb: er hat seinem Ärger Luft gemacht. Schlepptau. Einen ins Schlepptau nehmen (früher: aufs Schlepptau) ist eine aus der Schiffahrt entlehnte Rda., die 1741 für den 855 mm
Schliche ,1ns Schlepptau nehmen1 - ,1m Seil gehen1 grönländischen Walfischfang bezeugt ist. Soviel wie: einen mitnehmen, um ihm behilflich zu sein, auch: ihn gegen seinen Willen mit sich ziehen, ihn von sich abhängig machen. Schiffe, die wegen Wind- oder Treibstoffmangels nicht vom Fleck kommen, müssen als Anhängsel eines kräftigeren und beweglicheren Schiffes in den Hafen geschleppt werden. Lastkähne werden von Schleppdampfern stromaufwärts gezogen. Dazu sind sie durch das Schlepptau mit dem Dampfer verbunden. In einer seiner Reden wandte Bismarck sich dagegen, „daß wir uns vom Bunde und Österreich ins Schlepptau nehmen ließen“ (,Fürst Bismarck als Redner1 2, 127). Ndl. sagt man: ,Hij neemt hem op het sleeptouw4. Etw. anderes ist: ,eenen upt sleeptau krigen4, zu einer Partie bereden (Schütze, Holst. Idiotikon, 1806, Bd.IV, S. 117): „He harr de Ol sin Seel glik opt Sleptau“. Lit.: K. Groth:Dc Watcrbörs, Ges. W., Bd. Ill (1855), S. 94; /’. Kluge- Dt. Seemannssprache (Halle 1911). Schliche. Die Schliche kennen: genau alle Wege und Möglichkeiten kennen und zu nutzen wissen, um entweder heimlich oder auf Umwegen einen Vorteil oder ein Ziel zu erreichen. Die Rda. weist urspr. auf den Jäger, der alle Schleichwege (Schliche) des Wildes genau kennen muß. Noch in diesem alten Sinne gebraucht Schiller die Wndg. in seinem ,Tell4 (1,4): „Die Schliche kenn’ ich und die Felsensteige44. Die Übertr. der Rda. erfolgte jedoch bereits in mhd. Zeit, wobei sie die Bdtg. von heimlichen Verfahren, Listen und Kunstgriffen erhielt. Im ,Parzival4 (78,5) heißt es: Sie geloubten sich der sliche die man heizet friwendes Stiche: heinlich gevaterschaft wart da zefuort mit zornes kraft. Jem. hinter (auf) seine Schliche kommen: herausfinden, was einer tut und welche Mittel ergebraucht, auch: seine heimlichen Absichten merken und seine wahre Natur erkennen. Im Ndd. heißt ,Ek kenne dîne slêke4, ich bin hinter dein Geheimnis gekommen, deine Winkelzüge und Kunstgriffe sind mir bekannt. Einen auf die Schliche bringen: ihm auf die Sprünge helfen, ihm etw. begreiflich machen. Den Schlich verstehen: wissen, wie etw. am besten gemacht wird (vgl. ,die Kurve raus haben4). Die ndd. Wndg. ,He weet’r de regten sleke af4 meint dasselbe: er weiß eine Sache von der richtigen Seite her anzugreifen. Die Rdaa. in den Schlich kommen (eigentl.: der Spur eines anderen folgen) und den Schlich von etw. haben bedeuten: in Gang kommen, etw. richtig angreifen lernen. Dagegen heißt im alten Schliche 856
Schlips bleiben: in der altgewohnten Art handeln, im alten Schlendrian bleiben. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.317. Schliff. Jem. hat Schliff: er besitzt gute Umgangsformen. Schliff kriegen: ein besseres Benehmen zeigen, gute Umgangsformen annehmen. EinerSache (jem.) den letzten Schliff geben: einer Sache gefällige Form geben, sie zur vollendeten Schönheit bringen, einem Menschen zur Entfaltung aller positiven Eigenschaften verhelfen. Diese Rdaa. beziehen sich auf das Schleifen der Edelsteine und des Glases, wobei der Vorgang des Glättens und Verschönerns auf das menschl. Verhalten übertr. wurde, ln der Schweiz sagt man von einem groben (ungehobelten) Menschen: ,Er ist ein SchliffeT. Bei einer Sache Schliff backen: nichts erreichen, scheitern. Das Wort Schliff ist hierbei die Bez. für die unausgebackene, speckige Stelle in Brot oder Kuchen, die ungenießbar ist. Schlinge. Der Sprache des Jägers sind die folgenden Rdaa. entlehnt: in die Schlinge gehen: auf einen versteckten Anschlag hereinfallen, frz. ,tomber dans le lacs‘; einem eine Schlinge legen, einen in die Schlinge führen:einen durch List zu Fall, ihn hinterlistig in Gefahr bringen; ebenso frz.,dresser un piège à quelqu’un4, ,poser un gluau (Leimrute) à quelqu’un4 (vgl. auch ,Falle4, ,Garn‘, ,Netz4). Sich in seiner eigenen Schlinge fangen, vgl. das Sprw. ,Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein4; diese Rda. ist auch schon lat. bekannt: ,laqueo suo captus est4, sowie auch frz. ,être pris dans ses propres lacets4 und ndl. ,Hij is in zijn eigen strik gevangen4. Dieses Bild des ,betrogenen Betrügers4 ist auch in der Lit. beliebt; so verwendet es Lessing: Schon war die Schlinge schlau geschlungen; Schon war sein Fuß dem Unglück wankend nah, Schon schien die List dem Juden als gelungen, Als der Betrüger schnell sich selbst gefangen sah. Eine Schlinge für Narren dagegen ist als Falle zu erkennen, so daß sich nur Dumme in ihr fangen lassen. Von der Schlinge des Galgens sind andere Rdaa. hergeleitet: sich (deti Kopf) aus der Schlinge ziehen: den Gefahren einer schwierigen Lage geschickt zu entgehen wissen; eigentl. heißt es: den schon in die Schlinge geratenen Kopf noch herausziehen, bevor der Henker sie zuzieht. Schon bei Luther findet sich diese Rda. in bildl. Anwendung (,Briefe4 3,548): „Darumb der meister nicht daheimen gewest ist, der dir solchen vertrag gestehet, und solche stücklin drinnen nicht bedacht, hat gleichwohl den köpf aus der schlingen ziehen, und die Sachen ganz auf Hornung schieben wollen, siehet aber nicht, dasz er gar mit dem hintern hinein gefallen ist“. Seitdem ist die Rda. sehr oft belegt, sie begegnet uns auch im Frz.: ,se tirer d’un piège4, ,se tirer de la presse4; im gleichen Sinne wird die Wndg. ,den Kopf aus dem Halfter ziehen4 gebraucht (z.B. ,Zimmerische Chronik4II, 292). Den Kopf in die Schlinge stecken: sich in größte Gefahr begeben; jem. die Schlinge um den Hals legen: etw. tun, damit jem. vernichtet wird ; abgewandelt finden wir die Rda. bei Schiller (,Tell4 3,2): Doch wie mich retten - wie die Schlinge lösen, Die ich mir töricht selbst ums Haupt gelegt? Die Schlinge zuziehen: den letzten Schritt zu jem. Vernichtung oder Ergreifung tun. Umg. sagt man heute von einem Menschen, der einem wie ein beschwerliches, widerliches Anhängsel überallhin folgt: ,Er ist eine Schlingpflanze4. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S 316, 321 f. Schlips. Jem. auf den Schlips treten: jem. kränken. Sich auf den Schlips getreten fühlen: beleidigt sein. Jem. beim Schlips erwischen: ihn gerade noch zu fassen bekommen. Diese Rdaa. beziehen sich auf das ndd. ,slip4 = Zipfel an Hemd oder Rock. Es ist also der Rockschoß gemeint, ebenso wie in der schlesw.-holst. Rda. ,Pedd di man ni op’n Slips!4, bilde dir nur keine Schwachheiten ein, oder hamb. ,Nu pedd’ di man nich up Slips4. 857
Schlitten Schlips i. S. v. Halstuch, Krawatte ist erst 1840 aus dem Engl, in nhd. Texte Nord- und Mitteldtls. eingedrungen. Die neueren Rdaa. verwenden das Wort meist in dieser Bdtg.: Spuck dir nicht auf den Schlips!: bilde dir nichts ein; das haut einen auf den Schlips!: das ist unerhört; eins auf den Schlips kriegen: tiw. Unangenehmes, einen Tadel zu erwarten haben; einen hinter den Schlips (Binde) gießen: ein Glas Alkohol trinken (/trinken). Lit.: A. Bach in: Zs. f. Vkde. 51 (1954), S. 189. Schlitten. Unter den Schlitten kommen: in elende Verhältnisse geraten, herunterkommen, in schlechter Gesellschaft sein und den sittlichen Halt verlieren. Die Rda. kann aber auch nur bedeuten: ins Hintertreffen geraten, in Nachteil versetzt werden. Die Wndg. ,A öss ondern Schlitten g’kumm4 bezieht sich in Böhm.-Friedland bes. auf das Geschäft und den Charakter. Die Rda. ,unter den Schlitten kommen4 ist bereits im .Rollwagenbüchlein4 (111) vorgebildet: ,,sein Herz fuhr ihm auf dem Schlitten44 (= war übermütig). Befindet es sich auf dem Schlitten, kann es natürlich leicht durch einen Unfall darunter fallen. Im Schles. heißt die Rda. .hinter den Schlitten kommen4: in einem Geschäft, einer Angelegenheit übervorteilt werden und deshalb Zurückbleiben. Ähnl. in Leipzig: ,von der Pritsche fallen4, Amt und Stellung verlieren, anderwärts sagt man dafür auch: .unter die Räder kommen4 (/Rad) und .unter den Karren kommen4. Die westf. Rda. ,de Sliye vom Iyse hewwen4 bedeutet: sein Ziel erreicht haben, sein Vermögen in Sicherheit wissen, vgl. .sein Schäfchen im trockenen haben4, /Schaf. Mit jem. Schlitten fahren: ihn grob, rücksichtslos behandeln, ihn gehörig zurechtweisen. Küpper meint, daß sich die junge Rda. auf das Rodeln beziehe, bei dem ein Mitfahrer keine Rücksichtnahme erwarten kann. Vgl. ,jem. den Kopf waschen4, ,jem. den Marsch blasen4. Scherzhaft sagt man: Der Hund fährt Schlitten, wenn er auf seinem Hinterteil rutscht, das ihn juckt. Die Schwaben kennen einen humorvollen Vergleich: ,Er fährt Schlitten wie die Bettelleute, mit dem Hintern übers Bett na4. Schloß. Einem ein Schloß vor den Mund legen (wollen): ihn zum Schweigen bringen. Die Rda. ist bibl. Herkunft. Sir. 22,23 heißt es: „Oh, daß ich könnte ein Schloß an meinen Mund legen, und ein fest Siegel auf mein Maul drücken44, und Sir. 28,28: Mundschloß (Grabfund) 858
Schlucker „Warum machest du nicht vielmehr deinem Munde Tür und Riegel?“ Ebenso wird bei Micha 7,5 der Mund als Tür gedacht. Auch der Winsbeke erteilt seinem Sohne den Rat: Sun, du soit dîner Zungen phiegen, daz si iht üz dem angen var: schiuz rigel vür und nim ir war. Walther von der Vogelweide lehrt die Knappen (87,9f.): Hüetet iuwer zungen, daz zimt wol den jungen, stöz den rigel vür die tür lä kein boese wort darfür. Vgl. ndl. ,Men zou hem een slot op den mond gooijen4. Schloß vor den Mund! ist daher die kurze Aufforderung zur Verschwiegenheit. In Mozarts ,Zauberflöte1 wird danach gehandelt und dem lustigen Schwätzer Papageno ein wirkliches Schloß vor den Mund gelegt. Ein Grabfund deutet auf die Verwendung des Mundschlosses im hist. Strafvollzug. Die Rda. Man hat ihm ein silbern (gülden) Schloß vors Maul gelegt bedeutet: man hat ihn bestochen, damit er schweigt. Ein Schloß vor dem Mund haben: sehr schweigsam sein. Vgl. frz. ,11 a la langue liée1. Dagegen bedeutet die Rda. Er hat kein Schloß vor seinem Munde: er kann nichts für sich behalten, oder: er spricht offen seine Meinung aus, ähnl. wie in der Rda. ,kein Blatt vor dem Munde haben4. Vgl. ndl. ,Hij heeft geen slot in den mond4. Ein Schloß auf einen bauen können: großes Vertrauen auf ihn setzen. Heute ist dafür gebräuchlicher: ,Häuser auf einen bauen4. Die Warnung Man darf keine Schlösser auf ihn bauen bezieht sich auf einen Unzuverlässigen oder einen Betrüger. Ein Schloß auf Eis bauen: auf unsicherem Grunde. Vgl. ndl. ,kasteelen op het ijs bou- wen4. Schlösser in die Luft bauen (Luftschlösser bauen):unausführbare Dinge erhoffen und ausführen wollen. Vgl. dän. ,At bygge slotte i lüften4 und ndl. ,Kasteelen in de lucht bouwen4. Die Wndg. spanische Schlösser bauen4 hat die gleiche Bdtg.; vgl. frz. ,bâtir des châteaux en Espagne4. Etw., das nur in der Einbildung besteht, bezeichnen wir nach Paul Linckes Operette ,Frau Luna4 als ein Schloß im Mond. In der Schlußszene empfiehlt Frau Luna der Braut Maria: „Gib acht auf deinen Schatz, daß er nicht wieder Schlösser im Monde baut“, und die bekannte Schlußarie beginnt: „Schlösser, die im Monde liegen“. Es ist ein Schloß an einem zerstörten Hause wird gesagt, wenn sich jem. unnötige Sorgen um Dinge macht, die wertlos sind. Etw. unter sieben Schlössern haben: gut verwahrt, sehr sicher. Dagegen heißt es resignierend: Und wenn ich's unter siebenhundert) Schlössern hätte, es würde mir doch entrissen werden. Vgl. ndl. ,A1 zou ik het ook achter zeven sloten heenhalen4. Hinter Schloß und Riegel sitzen: im Gefängnis sein. Häufig verwendete stabreimende Zwillingsformeln sind: ,Schloß und Schlüssel4, ,Schloß und Schrein4, ,Schloß und Stadt4. Schlucker. Ein armer Schlucker sein: ein bemitleidenswerter Mensch sein, der so arm ist, daß er sich nicht jeden Tag ein warmes Essen leisten kann, oder der aus Not gezwungen ist, alles zu essen und zu trinken, was man ihm vorsetzt, und dabei schlechte Behandlung erdulden muß. Im 15.Jh. bezeichnete man mit Schlucker den Schlemmer, der sein Gut verpraßte. Die Wndg.,armer Schlucker4 i. S. v. Schmarotzer gebrauchte zuerst Hans Sachs 1553 in einem Fastnachtsspiel (58,3) als verächtlich mitleidige Schelte. Vgl. auch ndl. ,Het is een goede slokker4. Im Mittelfränk. tanzen die Bauern einen Dreher zu folgendem Vierzeiler: Oh ihr arma Bauramadli, Oh ihr arma Schluckerli: Müßt ihr nit Kartoffeln fressen Wie die junge Suckerli (Saugschweine). Ein ,armer Schlucker4 ist ein Mensch, der nicht viel zu beißen und daher zu schlucken hat,darüber hinaus überhaupt ein sehr bedürftiger - auch ein geistig bedürftiger - Mensch. Im 16.-18.Jh. sprach man auch von einem guten Schlucker. Da man in dieser Zeit die Freuden der Tafel würdigte und gern selbst genoß, milderte sich das Urteil darüber, so daß ein ,guter Schlucker4 zwar ein eifriger Trinker, aber ein guter und ehrlicher Kerl war. Er ist ein guter (armer) Schlucker, er hat 859
Schlüssel Haus und Hof verschluckt. Cholevius (,Programm119) bemerkt dazu: „Der arme Schlucker (,Sophiens Reise1 5,71 u. 6,478) wäre ein passendes Beispiel zu lucus a non lucendo, wenn er wirklich den Namen davon hätte, daß er das Wohlleben liebt, aber nichts zu schlucken hat. Natürlicher dächte man an einen Armen, der etwa ein ihm dargereichtes Schälchen Grütze gierig hinunterschluckt“. Schlüssel. Etw. unter seinem Schlüssel ha- ben.Macht über etw. besitzen. Die Rda. ist bibl. Herkunft. Bei Matth. 16,19 verheißt Jesus dem Jünger Petrus die Schlüsselgewalt: „Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben“. Der Schlüssel wurde deshalb zum christl. Symbol (Schlüssel Petri, der Kirche) und die Schlüsselgewalt4 zu einem feststehenden Rechtsbegriff, die in der Rechtsprechung des Papstes als Statthalter Christi auf Erden4 und Nachfolger Petri4 eine wichtige Rolle spielt. Die Rda. die Schlüssel üben bedeutet: ein Amt ausüben, denn der Schlüssel entwickelte sich auch im außerkirchlichen Bereich zu einem Sinnbild der Gewalt, der Machtbefugnis, des Besitzes und eines hohen Am¬ tes. So trug z. B. der Kammerherr einen goldenen Schlüssel hinten am Rocke zum Zeichen seiner Würde. Die Rda. die Schlüssel kriegen: Hausfrau werden, bezieht sich auf einen alten Rechtsbrauch: Wenn die Ehefrau zum erstenmal das Haus ihres Mannes betrat, erhielt sie die Schlüssel zu Schränken und Truhen, wobei ihr die Herrschaft über den Hausrat und das Gesinde übertr. wurde. Zum Zeichen ihrer Würde trug sie von nun an die Schlüssel an ihrem Gürtel (vgl. Grimm, Rechtsaltertümer, 176). Einem den Schlüssel nehmen: jem. den Dienst aufkündigen, ihn davonjagen. Luther gebrauchte in seinen ,Tischreden4 (139) eine ähnl. Wndg.: „einem die Schlüssel vor die Füße (Tür) werfen44. Den Schlüssel zurückgeben: seine Stellung, das Haus verlassen. Hans Sachs forderte in seinem Fastnachtsspiel (1,42, 173, Ndr.) in ähnl. Weise zum Gehen auf: und du unflat, lang her mein schlüssel, und komb mir nimmer inn mein hausz! Die Schlüssel übergeben: seine Macht, sei¬ nen Besitz einem Mächtigeren oder dem Nachfolger überlassen. Bei der Übergabe einer Festung oder Stadt galt das Überreichen des Schlüssels an den Sieger als Zeichen der Unterwerfung. Besuchte ein Fürst, ein Landesherr die Stadt, wurde ihm ebenfalls feierlich vom Bürgermeister der Stadtschlüssel überreicht, ein Brauch, der .Die Schlüssel übergeben' sich bis heute im rhein. Karneval erhalten hat, indem Prinz Karneval für die ,drei tollen Tage4 den Schlüssel der Stadt und damit die Gewalt über sie erhält. Den Schlüssel suchen: ein Amt, Macht und Ansehen zu erlangen suchen. Die Rda. Er hat die Schlüssel fanden heißt: er hat die erstrebte Stellung erhalten und daraufhin seine Einstellung, sein Verhalten geändert. Kirchhoff schrieb in seinem ,Wendunmuth4 (1,488, österley) schon in gleichem Sinne: zuvor, dann ich diese wirde erlangt, sucht ich die schlüssel zum kloster, nun aber ich sie funden, hab ich mich fürder dieser unnützen müh ledig geachtet. Von einem, der in demütiger Weise ein Amt sucht, sagt man auch: Er sucht die Schlüssel Petri. Die Rda. bezieht sich auf das Verhalten von Papst Sixtus V. vor seiner Wahl. Als Kardinal ging er an Krücken und scheinbar vor Schwäche gebeugt. Man 860
Schlüssel gab seinem Leben nur noch kurze Frist und wählte ihn. Danach erhob sich der ,kränk- lich gebeugte1 Mann gesund in seiner neuen Würde, und danach gefragt, wie diese plötzliche Verbesserung seines Gesundheitszustandes zu erklären sei, sagte er: „Ich ging gebücket, weil ich die Schlüssel des Petrus suchte, und nun habe ich sie gefunden“. Er hat den Schlüssel ins Feld: er kann gehen, wohin er will, er hat freie Pirsch. Jem. den Schlüssel ins Feld geben: ihm die Freiheit geben, damit er gehen kann, wohin es ihm beliebt. Einem den Schlüssel aufs Grab legen (werfen): sich von der Erbschaft losmachen, die Schulden des Verstorbenen nicht übernehmen wollen, auch: sich Öffentl. für zahlungsunfähig erklären (bes. im Dän.): Die Rda. weist auf einen alten Rechtsbrauch, der in manchen Gegenden noch heute geübt wird: die Ehefrau, die die Schulden ihres verstorbenen Mannes nicht bezahlen wollte, legte oder warf ihm die Schlüssel aufs Grab oder auf die Bahre, um damit auszudrücken, daß sie keine Verpflichtungen ihm gegenüber mehr habe (Grimm, Rechtsaltertümer, 453). Der Brauch und ähnl. Rdaa. waren weit verbreitet. Vgl. lat. ,Quis aberrit a janua1 und ,nolle alicujus hoeredem esse4, frz. jetter les clés sur la fosse4 und ndl. ,den sleutel op de dood-kist leggen4. Man darf den Schlüssel nicht aufs Grab le- gend\znt bes. in Rheinhessen als Warnung, nicht vorzeitig aufzuhören oder aufzugeben. Alle Schlüssel an einen Flaken hängen: den Erfolg einer Sache nur von einem Umstand, einer Person abhängig machen, etw. sehr Unsicheres wagen; vgl. ,alles auf eine Karte setzen4. Einem den Schlüssel zur Geldkiste übergeben: ihm unbegrenztes Vertrauen schenken, das mißbraucht wird; einem Erben oder Fremden die Möglichkeit selbst eröffnen, das angesammelte Vermögen zu verschleudern. Vgl. ndl. ,Hij geeft hem den sleutel van zijne geldkist4. Den Schlüssel in der Tasche haben: sein Vorhaben leicht ausführen können. Die Rda. jem. mit dem Schlüssel richten: ihn brandmarken, bewahrt die Erinnerung an einen alten Strafvollzug: dem Dieb wurde mit einem glühenden Schlüssel ein Zeichen eingebrannt, das zur Abschreckung und Warnung diente, /brandmarken. Den Schlüssel zu einer Sache finden (kennen): den Sinn für richtiges Verständnis besitzen, die Erklärung für ein Geheimnis, eine Geheimschrift, das Verhalten eines Menschen haben. Bereits in der Bibel besitzt der Schlüssel diese übertr. Bdtg., denn Luk. 11,52 heißt es: „Weh euch Schriftgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen44, d.h. durch falsche Schriftauslegung wurde den Menschen die wahre Erkenntnis und damit der Weg zu Gott verschlossen. Die Rda. den Schlüssel zum Herzen finden steht in Zusammenhang mit der im Volkslied beliebten Vorstellung vom ,Herzens- schlüssel4, der entweder verloren ist oder nur von einem bestimmten Menschen gefunden werden kann. Schon in einem Liebesbrief des Wernher von Tegernsee (12.Jh.) heißt es: Dü bist beslozzen in minem herzen; verlorn ist daz slüzzelîn: dû muost immer drinne sin. Röhrich-Brednich II, S.340, Nr. 36 Und in einem Lied aus Kärnten: Mei Herzerl ist treu, Is a Schlösset darbei, Und an oanziger Bua Hat ’n Schlüssel darzu. (E. B. II, S. 87) Von einem Menschen, der zu nichts zu gebrauchen ist, sagt man im rdal. Vergleich: Das ist ein Schlüssel, der nirgends hinpaßt. ,Ein Schlüssel, der nirgends hinpaßt4 861
Schlusslicht Vgl. ndl. Jemand, die niet deugen wil, is gelijk aan een’ sleutel, die nirgends op past4. Der Schlüssel gilt außerdem noch als erotisches Symbol und ist eine verhüllende Bez. des männl. Geschlechtsorgans, während mit,Schloß4 das weibl. gemeint wird. Der Schlüssel paßt nicht: sie passen nicht zusammen. Die Rda. Er soll mit seinem Schlüssel dies Schloß nicht öffnen bezieht sich also auf den sexuellen Bereich. Vgl. ndl. ,Hij zal zijn sleutel in dat slot niet ste- ken4. Die im Preuß. übliche Feststellung Er hat sich den Schlüssel verdreht heißt: er hat die Syphilis bekommen. Lit.: J. Boite: Dû bist mîn, ich bin din, in: Zs. f. d. A. 34 (1890), S. 161-167; Nachtrag in: Anzeiger f. d. A. 17 (1891), S. 343; Ph. Strauch in: Anzeiger f. d. A. 19 (1893), S. 94ff.; J. Meier: Kleinigkeiten 1. Du bist min, ich bin din, in: Schweiz. Archiv f. Vkde. 11 (1907), S. 269-278; A. Hauffen: Das Bild vom Herzensschlüssel, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen u. Lit. 105 (1909), S. 10ff.; H. Bächtold: Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit, Bd. I ( = Schriften der Schweiz. Gesellschaft f. Vkde. 12) (Basel u. Straßburg 1914), S.84ff.; H.Meyer-Benfey: Das älteste dt. Liebeslied, in: Germ.-rom. Monatsschrift 25 (1937), S. 389-393; A. Becker: „Du. bist mein, ich bin dein“, in: Volk und Volkstum. Jb. f. Vkde. 3 (München 1938), S. 332-335; A. Taylor: I Am Thine and Thou Art Mine, Hommages à Georges Dumézil, Bruxelles (Collection Latomus XLV) (1960), S. 201-208; L. Schmidt: Volksglaube und Volksbrauch (Berlin 1966), Kap. ,Brauch ohne Glaube1, S. 290; Röhrich-Brednich: Dt. Volkslieder, Bd.II (Düsseldorf 1967), S. 340-342. Schlußlicht. Das Schlußlicht machen: als letzter hinterdreingehen, der Tabellenletzte beim Fußball sein. Die Rda. entstand erst in unserem Jh. in Verbindung mit einer Verkehrsregel: Der letzte einer marschierenden Kolonne muß zur Sicherheit ein rotes Licht tragen. Die Übertr. erfolgte auf verschiedene Lebensbereiche, so daß die Rda. heute bedeuten kann: die schlechteste Leistung beim Sport zeigen, der Klassenschlechteste sein, aber auch das zuletztgeborene Kind einer Familie sein. Nur noch die Schlußlichter gesehen haben: zu spät gekommen sein, eine günstige Gelegenheit verpaßt haben. Diese Wndg. bezieht sich urspr. auf das Versäumen eines Zuges. Schmachtlappen /Hungertuch. Schmachtriemen. Den Schmachtriemen anlege n (an zielten, umschnallen, enger schnallen): wenig zu essen haben, sich gegen den peinigenden Hunger wappnen. Vgl. ndl. ,den smachtriem aandoen4. Ähnl. Bdtg. hat die verbreitete Rda. ,den Gürtel enger schnallen müssen4. Adelung erklärt 1780 in seinem ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches4 (Bd.IV, Sp. 165) das Wort. Schmachtriemen ist „ein breiter lederner Riemen der Fuhrleute, Reiter usf. den Unterleib damit zu gürten, wenn er leer ist, damit er auf dem Pferde nicht so erschüttert werde; von dem veralteten Hauptworte Schmacht, der Hunger44. 1756 ist der Ausdr. osnabrückisch als ,smachtreeme‘ bezeugt. Schmalhans. Da (dort) ist Schmalhans Küchenmeister: dort gibt es wenig zu essen, es gibt schlechte, knapp bemessene Kost. Diese weitverbreitete Rda. wird entweder als Entschuldigung der Armut oder als Tadel des Geizes und der Ungastlichkeit ge- ,Da ist Schmalhans Küchenmeister' braucht und ist bereits seit dem 17. Jh. bezeugt. Schmalhans als Personifizierung des Hungers ist zuerst 1663 lit. belegt bei Schupp (Schriften 31). Man glaubte vom Aussehen des Kochs auf die Qualität der Speisen schließen zu können und umgekehrt; bei einem wohlgenährten Küchenmeister erwartete man üppige Mahlzeiten; da, wo man nicht satt zu essen bekam, arbeitete vermutlich ein dünner Koch, ein ,schmaler Hans1, in der Küche. Der Name ist wahrscheinl. aus einem Scherz mit dem wirklich vorkommenden Familiennamen Schma(h)l entstanden, der mit dem häufigsten Vornamen ,Hans4 zusammengesetzt 862
Schmarre(n) wurde, /Hans. Vorbild dafür war wohl das nur wenig ältere ,Prahlhans'. Der neu entstandene Begriff erhielt gleich mehrere Bdtgn., nämlich Mäßigkeit, Mangel und Hunger. In Grimmelshausens Simplicissimus' erzählt der Held von sich selbst (1,212): „So hätte mich auch der Schmalhans (= Hunger) trefflich gequält“. Auch den Begriff ,Hunger als Koch' verwendet Grimmelshausen. Im 7. Kap. des Simplicissimus' heißt es: „... darin war die Armut selbst Hofmeisterin, der Hunger Koch, und der Mangel Küchenmeister“. In einem Volkslied des Dreißigjährigen Krieges (J.W. v.Ditfurth, Nr.75, Str.3) wird Tilly verspottet: Ein andermal bleib Hannes Schmal Und nit so gierig schaue, Denn wer zu voll das Maul nimmt wol, Hat übel zu verdaue. In diesem Zusammenhang erscheint die Wndg. als Mahnung, künftig bescheidener zu bleiben. Die Umstellung und getrennte Schreibung von ,Hannes Schmal', die bis heute in dem meckl. Sprw. ,Hans Smäl sett aliens bi sick däl' weiterbesteht, machen deutlich, daß die Rda. von dem Familiennamen hergeleitet wurde und erst zur Zeit Grimmelshausens oder später ihre endgültige Fassung erhielt, die überall in Dtl. bekannt ist. Seit 1691 ist der Begriff Schmalhans Küchenmeister' in breitem Gebrauch (Stieler 766) und greift bald auch auf die Nachbarsprachen über. Im Ndd. und Ndl. gilt gleichbedeutend ,Schraalhans‘ von ,schraal‘ = mager, dünn. Vgl. auch oesterr. ,In dem Haus ist der Schmalhans Kuchlma- ster'; ndl. ,Schraalhansis kelder- (keuken-) meester' und frz. ,11 n’y a ni pain ni pâte au logis - La marmite est renversée dans cette maison'. Weniger verbreitet sind die Rdaa. Hier führt Schmalhans das Zepter und Er muß schmalhansen: er muß sich einschränken, er leidet Not. schmarotzen, Schmarotzer. (Tüchtig) drauflosschmarotzen: auf Kosten anderer leben, ohne sich dafür erkenntlich zu zeigen, auch: nicht arbeiten und sich vom Staat ernähren lassen. Die Römer verglichen das Leben der Maus damit und sagten: ,Muris in morem vivit'. Die Herkunft des dt. Wortes ist noch unge¬ klärt. In frühnhd. Zeit bedeutete ,schmo- rotzen' wie ein Parasit leben (parasitari). Bei den Griechen war der ,Parasitos' ein Priester beim Gottesdienst des Apollon und Herakles, der die Aufsicht über die Getreideopfer hatte und für diese Mühe einen Teil des Opfers erhielt. Daraus entwickelte sich die spätere Bdtg. von Parasit, der auf Kosten anderer lebt und ihnen nach dem Munde redet. Reiche Gastgeber hielten sich später solche ,Parasiten' zur Unterhaltung der Gäste. Vor dem ,Voc. theut.' (Nürnberg 1482) ist ,smorot- zen' = betteln und ,smorotzer‘ = Bettler nicht in Dtl. belegt. In der sprachl. Entwicklung hat die schwere Mittelsilbe von ,schmorotzen‘ den Hauptton auf sich gezogen, aus dem vortonigen o entstand a (vgl. Gardine und Halunke). Göhring meint, daß das Wort, das im Norden Dtls. zuerst gebraucht wurde, mit dem dän. ,smor‘ = schmoren Zusammenhänge und urspr. nicht betteln, sondern ,von fremdem Fett leben' bedeutet habe. Vgl. auch: ,nassauern'; ndl. ,klaplopen‘ und engl. ,to sponge'. Ein Schmarotzer sein: ein Mensch sein, der die Gastfreundschaft anderer ausnutzt, also auch ein ,Tellerlecker', ,Schwenkdenrüs- sel‘, Xeerdieschüssel' sein, z. B. nennt Seb. Franck „Schmarotzer und Tellerlecker“ gleichzeitig in seinem ,Zeytbuch' (CLIXa). Heute hat der Ausdr. noch eine Bedeutungsverschlechterungerfahren, da er allg. auf unnütze Glieder der Gesellschaft angewandt wird. Lit.: L. Göhring: Volkstümliche Rdaa. und Ausdrücke (München 1937), S. 199, Nr.362; F. Kluge: Etymol. Wb. (Berlin 191963), S.662. Schmarre(n). Er hat eine Schmarre bekommen: er hat einen empfindlichen Nachteil, einen schmerzlichen Verlust hinnehmen müssen, der jedoch nicht zum völligen Untergang geführt hat. Die Rda. bezieht sich auf das Fechten der Studenten. Die ,Schmarre' war urspr. die Wunde (Narbe), der Hieb, den einer beim Raufen davontrug. Die Rda. Er wird einmal einen Schmarren davontragen (mdal. ,A wird a mohl anne Schmerre davontragen, wegkriegen') meint, daß jem. nicht auf die Dauer ohne Schaden bleiben wird. Die Wörter Schmarre und Schmarren ha- 863
Schmer ben sich heute stark auseinanderentwik- kelt, besitzen aber gleichen Urspr.: sie sind zu ,Schmer4 und .schmieren* gebildet worden. Vgl. die Rda. ,jem. eine /schmieren* unddän. ,sm0re* = Hiebwunde. Die Bdtg. von Narbe hat ,Schmarre* noch im Südhess., Schwab, und in der Schweiz bewahrt. Allg. ist,Schmarren* heute im Hd. die Bez. für etw. Wertloses, für ein kitschiges Gemälde, für nichtige Äußerungen: einen Schmarren daherreden: Unsinn reden; einen Schmarren von etw. verstehen: so gut wie nichts davon verstehen. Das geht dich einen Schmarren an!: Das geht dich nichts an, du solltest dich nicht darum kümmern! Diese Wndgn. stehen mit den bes. in Bayern und Oesterr. beliebten Mehlspeisen in Zusammenhang. Weil sie sehr häufig auf den Tisch kamen, erhielten sie immer mehr den Sinn des Alltäglichen, des gering Eingeschätzten und schließlich des Wertlosen, was die übertr. Bdtg. der Rdaa. deutlich zeigt. Da der Schmarren in Fett gebacken wird, besteht eine klare Beziehung des Wortes zu ,Schmer*. Bereits 1563 nannte Joh. Mathe- sius das thür. Gericht ,Schmarbe* (aus Mehl und Grieß) in seiner ,Hochzeitspredigt* (1365, Ndr.),feist*, was ebenfalls die Herleitung des Wortes von ,schmieren* und ,Schmer* bestätigt. Schmer /Katze. Schmied. Der Schmied seines Glückes sein: sein Schicksal selbst in der Hand haben. Die Rda. beruht auf dem Sprw. Jeder ist seines Glückes Schmied*, das sich bis zur Antike zurückverfolgen läßt. In lat. Form war es in einer heute verlorenen Sammlung des röm. Konsuls Appius Claudius Caecus (307 v.Chr.) bereits verzeichnet, denn in einer späteren Schrift des Pseudo-Sallust ,De re publica ordinanda* (1,1) findet sich ein Hinweis darauf: „In carminibus Appius ait fabrum esse suae quemque fortunae“. Plautus schreibt diese Fähigkeit, sein Glück selbst zu gestalten, nur dem Weisen zu (Trinummus* II, 2,84). Vgl. Büchmann, S.494. Dafür hat der Schmied Zangen: eine Sache ist nicht so schwierig und gefährlich, wie sie aussieht, wenn man sie nur richtig anzugreifen weiß; wenn man das richtige Werk¬ zeug kennt, besteht keine Gefahr, daß man sich dabei die Finger verbrennt. Die Wndg., die auch in Norddtl. mdal. als ,Davor hett de Smid Tangen* bekannt ist, geht wie S. Singer (,Sprww. des MA* I, S. 122) vermutet, auf ein ma. Sprw. zurück. Daran ist Schmieds Katze gestorben: das ist gefährlich, deshalb möchte ich es mir fernhalten. Vgl. auch ndl. ,Daar is smids kat van gestorven*; /Katze. Zum Schmied und nicht zum Schmiedchen gehen: s\ch an den Meister und nicht an einen Stümper wenden, /Schmiede. Die Wndg. ist auch mdal. weit verbreitet; vgl. auch Schweiz, ,’s ist besser me gang zum Schmid as zum Schmidli* und ndl. ,Het is beter, tot den smit te gaan dan tot het smeedige*. Zuschlägen wie ein Schmied: so kräftig schlagen, als wolle man Eisen bearbeiten, eine schwere Hand haben. Von einem, der noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden hat, heißt es in Köln: ,Der ist auch noch nicht an Schmidts Backhaus vorbei*. ,Schmieds Kinder fürchten das Feuer nicht*; ,Schmieds Sohn ist die Funken gewohnt*; .Schmieds Hund schläft beim Amboß*, wer die Gefahr kennt, fürchtet sich nicht. Die Sprww. beruhen auf guter Beobachtung des Verhaltens von Mensch und Tier in der Schmiedewerkstatt, das als erstaunliche Tatsache erscheint. Auch das Ndl. kennt ähnl. Wndgn.: ,Smidskinderen zijn wel vonken gewoon* und ,Smidskinde- ren vrezen geen vonken*. Lit.: E. Marold: Der Schmied im germ. Altertum (Diss. Wien 1967); L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in; Alem. Jb. (Bühl/Baden 1973). Schmiede. Vor die rechte Schmiede gehen (kommen):gleich an die richtige Stelle gehen (geraten), wo einem die gewünschte Auskunft und tatkräftige Hilfe und Unterstützung wirklich zuteil werden, wo Fachleute zur Verfügung stehen. Manchmal wird diese Wndg. auch iron, gebraucht i. S. v. derb abgefertigt werden, sich gerade an die falsche Stelle wenden, wo eine Abfuhr zu erwarten ist, vgl. auch die im negativen Sinne gebrauchte Rda. ,an den Richtigen geraten*, d.h.: gerade an den Falschen. Die Rda. läßt sich seit 1600 belegen, ist 864
Schmieren aber vermuth älter. Da in der Schmiede vor allem die Pferde beschlagen werden, ist es ein merkwürdig vollständiges Gleichnis, daß derjenige auch bildl. ,gut beschlagen1 ist, der vor die rechte Schmiede kam. Th. Mann gebraucht die beliebte Wndg. 1924 lit. in seinem ,Zauberberg4 (4. Kap., S. 138): „kein Zweifel, ich bin vor die rechte Schmiede gekommen44, ln Westf. drückt man den gegenteiligen Sinn der Rda. mit einem anderen sprachl. Bild aus: ,Hei is in de Unrechte Apteik kumenh Die Schweiz. Rda. ,Si sind mit enand vor der Schmide g’sii4 bezieht sich auf die Eheschmiede und bedeutet: sie haben geheira¬ tet. schmieden. Etw. schmieden, solange es heiß ist: nicht lange zögern, sondern die besten Chancen für sich zu nutzen suchen, eine Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet, sofort in die Hand nehmen, um sie in seinem Sinne beeinflussen oder entscheiden zu können. Das sprachl. Bild beruht auf einem Vergleich mit der Arbeit des Schmiedes, der das glühende Eisen sofort bearbeiten muß, solange es sich noch formen läßt. Nägel mit Köpfen schmieden: etw. zur Vollkommenheit, zum Abschluß führen, sich nicht mit Halbheiten zufriedengeben; so wie der Nagel erst brauchbar wird, wenn er am Ende seiner Fertigung durch den Nagelschmied mit dem Kopf versehen worden ist. Kann er nicht schmieden, so kann er doch den Blasebalg ziehen heißt es von einem, der nicht bes. geschickt ist, den man jedoch für Handlangerdienste und untergeordnete Tätigkeiten gebrauchen kann, so wie der Schmied den Lehrling, der die eintönige, aber notwendige Aufgabe erhält, mit dem Blasebalg das Schmiedefeuer zu entfachen und es ständig glühend zu halten. Er ist in Ruhla hart geschmiedet worden: seine anfängliche Milde und Nachsicht hat sich in unnachgiebige Strenge verwandelt. Die Rda. bezieht sich auf die Sage vom zu milden Landgrafen, den der Schmied zu Ruhla mit den Worten „Landgraf, werde hart!44 hartgeschmiedet haben soll, vgl. DS. Nr. 239. Lit.: /Schmied. Schmiere. Schmiere stehen: Wache halten, bei Diebstahl und anderen Vergehen und Verbrechen aufpassen, damit die Täter nicht überrascht und von der Polizei gefaßt werden. Schmiere ist ein Ausdr. der Gaunersprache. Das Wort leitet sich von hebr. iim’rah4 = Wache ab. Über neuhebr. gémira' = Bewachung gelangte es verändert zu ,Schmehre4 in das Rotw., wo es seit 1714 bezeugt ist: „stehet wohl auf der Schmehre, denn also hätten sie die Wache geheißen44 (Kluge, Rotw., 1901,1, 177). Als nach der Übernahme in die Umgangssprache die urspr. Bdtg. nicht mehr bekannt war, wurde Schmiere mit ,schmieren4 in Zusammenhang gebracht und die Rda. später sogar zu ,Butter (Käse) stehen4 verwandelt. In den Wndgn. Schmiere kriegen (vgl. ,Wichse kriegen4) und einem Schmiere geben hat Schmiere den Sinn von Prügel, Schlägen. Vgl. ndl. demand smeer geven4 und engl. ,to give a person palmoil4. ,Das ist eine Schmiere, die auf alle Stiefeln paßt4 sagt man in Schlesien von einem charakterlosen Menschen, der sich zu allem gebrauchen und mißbrauchen läßt. Diese und die folgende Rda. weisen auf den Zusammenhang mit ,Stiefel4- und ,Wagenschmiere4 hin. Tüchtig in der Schmiere sitzen: in großer Verlegenheit, in einer höchst unangenehmen Lage sein. Die ganze Schmiere bezahlen müssen: für alles einstehen, aufkommen müssen. schmieren. Es geht wie geschmiert: es geht vortrefflich, ohne Stockungen. Obersächs. sagt man: ,jem. liest wie geschmiert', also mühelos, ohne Anstoß und ohne steckenzubleiben. Die Rda. leitet sich vom Schmieren des Wagenrades ab, was ein westf. Sprw. verdeutlicht: ,Advokaten un Wagenreader möt beide smeart weren4. Dagegen stammt die Rda. einen schmieren: ihn bestechen, wohl eher von dem Einreiben der Hände mit Salbe her. Bei Seb. Franck (I, 79b) sind ,schmieren4 und ^alben4 getrennt, doch beide in gleicher übertr. Bdtg. verwendet: „Die habend beide den Richter bestochen vnnd die hend gesalbet; also gadts, waer baß schmirwet, der fart dest baß44. Was unter der Salbe zu verstehen war, erklärt Freidank in seiner Bescheidenheit4 (147, 17): 865
Schmu pfennincsalbe wunder tuot, sie weichet manegen herten muot. In Ottokars oesterr. ,Reimchronik4 wird sogar von einer „Hautsalbe“ berichtet, die „vierzic tüsent marc“ betrug. Joh. Pauli rät 1546 in seinem Schwankbuch ,Schimpf und Ernst1 (S.20) geradezu: „Ir solten einmal dem Richter die Hend schmieren oder salben“. Grimmelshausen benennt diese ,Salbe1 sehr treffend in seinem Simplicissimus4 (11,80), wo es heißt: „Durch was vor Schmiralia ich die Medicos persuadiren wolte“, und an anderer Stelle (III, 407): „daß beydes, der, so geschmiret und die, so des Schmiral angenommen, ihren Theil bekämen“. Vgl. hierzu auch das Sprw. Schmieren und salben hilft allenthalben4. Die Rda. Ich will ihm was schmieren heißt: ich will ihm etw. extra geben; schon Grimmelshausen (Springinsfeld4) gebrauchte sie im Sinne von Trinkgeld, Bestechung, wenn er erzählt: „Er schmierte mir sechs Reichsthaler“. Er hat gut geschmiert: er ist betrunken. Ähnl. sich die Kehle schmieren (ölen): eins trinken; ostpreuß. sagt man dafür: ,He smêrt sik den Rache4. Einem etw. in den Mund (ins Maul) schmieren: ihm vorher nahelegen, was er zu sagen hat. Einem Honig ums Maul schmieren: ihm schmeicheln; Abb. /Federlesen. Einem eine schmieren: ihn schlagen, ihm eine Ohrfeige geben (vgl. hierzu: Schmiere geben, kriegen4, /Schmiere). Im Rheinland droht man Kindern eine Züchtigung mit den Worten an: ,Warte nur, du wirst gleich abgeschmiert!4 Einem den Buckel schmieren heißt ebenfalls: eine Tracht Prügel geben. Auch die Rda. ,einem Jackenfett geben4 steht mit der Vorstellung des Schmierens in Zusammenhang. Die Wndg. seine Schuhe mit Hasenfett schmieren: sich drücken, sich schnell davonmachen, verrät etw. vom alten Glauben, daß Teile eines Gegenstandes oder eines Tieres besondere Kräfte und Fähigkeiten auf den Menschen übertr. können: die Schnelligkeit des Hasen soll durch sein Fett auf die Schuhe und damit auf den Menschen einwirken, damit dieser rascher fliehen kann. Vgl. auch ndl. ,zijn schoenen met hazevet smeren4. Jem. anschmieren hat die allg. Bdtg. von betrügen, wird aber speziell dann ange¬ wendet, wenn ein Mädchen ein Kind erwartet und deshalb von ihrem Liebhaber verlassen wird (,Er hat sie angeschmiert4). Schmu. Etw. ist Schmu: es ist Betrug, eine Täuschung, ein unrechtmäßiger Gewinn. Hd. ,Schmu4 und ndd. ,smü4 = leeres Gerede, Gerücht, haltlose Versprechungen gehen auf hebr. ,semü'a4 = das Gehörte zurück. Über das Rotw. drang das Wort Schmu in die dt. Sprache ein, wo es seit 1729 bei Stoppe (,Ged.4 2,209) lit. bezeugt ist. Durch die Studentensprache, in der es seit 1781 bei Kindleben (,Stud.-Lex.4 188) verzeichnet ist, wurde es über ganz Dtl. verbreitet. Die Bdtg. als ,unlauterer Vorteil4 entstand aus dem Lohn des Maklers, der durch seine Bemühungen, sein Gerede, den Kauf zustande brachte. Da er auch falsche Versprechungen bei seiner Überredungskunst nicht scheute und den Käufer häufig übervorteilte, erhielt Schmu den negativen Sinn des vorsätzlichen Betruges. (Etw.) Schmu machen: etw. unterschlagen, veruntreuen. Schüler- und studenten- sprachl. hat die Wndg. Schmu machen die speziellere Bdtg. des Benutzens unerlaubter Hilfsmittel bei Klassenarbeiten und Prüfungen und des Abschreibens vom Heft des Nachbarn, um unrechtmäßige Vorteile zu erzielen und gute Leistungen vorzutäuschen. Auch in mdal. Wndgn. ist der aus dem Hebr. übernommene Ausdr. zu finden, in Pommern heißt es z. B.: ,he wett sinen Smu to maken4, er weiß, wie er für sich Vorteile erschleichen kann. Die dt.-jüd. Rda. ,Mach mir kaän Schmues vor4 hat die urspr. Bdtg. des Wortes bewahrt; sie warnt, durch Geschwätz einem ,blauen Dunst4 vormachen zu wollen, da diese Absicht durchschaut wird. Ul.: S. A. Wolf: Wb. des Rotwelschen (Mannheim 1956). Schmutz. Etw. in den Schmutz ziehen (treten, zerren) und etw. mit Schmutz besudeln: häßliche Verleumdungen verbreiten, etw., das andere verehren und hochachten als schlecht, niedrig und minderwertig darstellen. Gegen Schmutz und Schund Vorgehen: Minderwertiges und Schmutziges in Kunst und Lit., das die Moral verderben kann, 866
Schnabel kennzeichnen und verbieten, um bes. die noch zu unkritische Jugend davor zu bewahren. Der Ausdr.,Schund und Schmutz1 wurde durch das ,Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften1 vom 18. Dez. 1926 fixiert. (Reichsgesetzblatt 1926,1, 67, S. 505), war aber schon vorher gebräuchl. (Büchmann, S.758). schmutziger Löffel /Löffel. Schnabel. Reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist: unumwunden reden. Mit deutlicher Beziehung auf den Vogelschnabel war statt ,reden1 urspr. ,singen4 gebräuchl., so bereits in der Reimvorrede zum ,Sachsenspiegel* im frühen 13.Jh.: Ja ist uns von den argen kunt Ein wort gesprochen lange: Der vogel singet als ime der munt Gewaczen steit tzu sänge. Die Zeile ,ein wort gesprochen lange4 zeigt, daß die Rda. auf ein seit langem bekanntes Sprw. gleichen Inhalts zurückgeht. Zwar löst sich mit der Zeit das Sprw. in die Rda. auf: „bey dem gesang kennet man den fo- gel, denn er singet, wie yhm seyn Schnabel gewachsen ist“ (Luther X, 1, 188), aber noch zur Zeit des Hans Sachs (15. Fastnachtspiel) behauptet das Sprw. neben der Rda. seinen Platz: Auch ist vns noch ein Sprichwort sagen, Ein ider fogel sing all frist, Wie im sein Schnabel gwachsen ist, und später noch äußert sich in Rollenha- gens ,Froschmeuseler‘ der Storch mit den nämlichen Worten: ... Ich kan von singen nicht sagen, Muß über meinen Schnabel klagen; Der vogel singt zu aller frist Wie ihm der Schnabel gewachsen ist. (2. Buch, 2. Teil, Kap. 6) Etwa im 17. Jh. kommt jedoch das Sprw. außer Gebrauch, das Wort ,singen4 wird durch ,reden1 ersetzt. So bedient sich Goethe in ,Wilhelm Meisters Lehrjahren4 (4. Buch, 19. Kap.) dieser Rda.: anstatt daß man bei anderen Gesellschaften schon anfing, nur diejenige Prosa vorzutragen, wozu einem jeden der Schnabel gewachsen war44. Unumwundenes Reden stößt nicht immer auf Gegenliebe, wie die folgenden Bemer¬ kungen zeigen (Kirchhoff, ,Wendunmuth4 I, ed. 1869): „Hör aber, du schmehvogel, der du singst, wie dir dein Schnabel gewachsen ist, ich will dir umb anderer, und nit deinent willen, so vil ich erfaren, von dem nammen Hessen etwas sagen“ (1563). In mdal. Wndgn. treten zuweilen die alten Bezüge noch zutage; so heißt es in Köln: ,Jede Vugel singk, we im de Schnabel ge- wassen es4. Aber auch Vermischungen kommen gelegentlich vor, in der eis. Mda.: ,Redd mer so, wie frei un frisch der Schnawwel eim gewachse-n-isch!4 Hier ist unsere Rda. mit anderen von der Art wie ,frisch und frei reden4, ,frank und frei reden4 oder ,frisch von der Leber reden4 in unsinniger Weise kompiliert worden. - Die Rda. ist in Dtl., Oesterr. und der Schweiz durchweg geläufig. Die Rda. den Schnabel wetzen ist schillernd in ihrer Bdtg. und wird meist nur in ihrem Kontext verständlich. Abraham a Sancta Clara verwendet sie für jem., der zotige Reden führt, und vergleicht einen solchen Menschen mit dem Wiedehopf, von dem man sagt, daß er sein eigenes Netz beschmutze: „unzüchtige zotten... lernen, und nicht viel anders als ein widhopff den schnabel jmmerzu im koth und unflath wetzen“. (,Erzschelm4 1, 1687, S. 162) Die Rda. kann auch ausdrücken: sich abwertend oder tadelnd über etw. äußern: „ach wertheste schöne, sie vergebe meinem kiel, dasz er die feuchtigkeit seines Schnabels an ihrem rühm wetzen will44. (Weise, Erznarren, Ndr. 1878, S. 57) oder sie bedeutet schlicht: sich bereitmachen zu etw.: und kurz, das neue lied begann, die sänger wetzten sich den schnabel und orgelten mit angst und pein das tollste wirwarr durch den hain. (Ramier, Fabellese III, 1783, S. 209) Am bekanntesten ist wohl ihre Bdtg.: sich gut verpflegen. In dieser Form gebraucht Schiller die Rda.: Und die Armee liegt hier in Böhmen, Pflegt den Bauch, läßt siclTs wenig grämen, Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg. Wetzt lieber den Schnabel als den Sabel. (,Wallensteins Lager4, 8. Auftr.) 867
Schnalle Die Rda. wird nahezu ausschließlich lit. verwendet. Für den volkstümlichen Gebrauch ist sie nicht eindeutig genug. Schnalle. Keiner Schnalle achten: nichts darauf geben, sich nicht darum kümmern (scheren). Die Rda. war früher sehr häufig, ln mhd. Zeit hatten ,der schnall4 und ,die schnalle4 die Bdtg. von /Schnippchen. ,Schnall4 war das schallnachahmende Wort für die schnippende Bewegung der Finger. Das bei dieser geringschätzigen Geste entstehende Geräusch wurde zur formelhaften Bez. eines nichtigen Dinges. Mehrfach ist der Ausdr. lit. bezeugt, z. B. heißt es in Rol- lenhagens ,Froschmeuseler4 (D5a): so acht ich doch das pochen all, nicht umb einen vergebnen schnall, ähnl. bei ,Eulenspiegel4 (XXXI): ,,Ich geb vmb euch all nicht ein schnall44. Geiler und Grimmelshausen brauchen Schnalle als Fern. In Geiler von Kaisersbergs Predigten über Seb. Brants ,Narrenschiff4 (25) steht: „Er achtet’s keiner Schnalle44, und in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (2,168, 8 - Kurz): „um welche er sich gleichwol keine schnalle schere44, und (3, 177): „So wolte ich euch keine Schnalle umb eure Ehre geben44. Im Zusammenhang mit der Mode, an Schuhen Schnallen zu tragen, steht die Wndg. Ergeht über die Schnalle: er geht mit nach innen gekehrten Fußspitzen, ,er geht über den Onkel4. Von dem Verb ,schnallen4 (schnellen) = foppen, prellen, betrügen entwickelte sich die Bdtg. von Schnalle zu: lustiger Einfall, Possen, Lügenmärchen. Das erklärt die folgenden Rdaa.: einem eine Schnalle an- binden.ihn belügen (vgl. ,jem. einen Bären aufbinden4; /Bär), und Schnallen machen: einem etw. weismachen. Die Feststellung Das ist eine Schnalle ist doppeldeutig, sie kann eine Lüge, aber auch ein liederliches Weib meinen. Schnalle war in älterer Sprache auch die Bez. für Schnabel, Maul, bes. für das Weibermaul. Hans Sachs gebrauchte das Wort in diesem Sinne (Werke V, 349c): „west ichs, ich geb jm eins auff dschnallen44. Außerdem hieß in der Jägersprache das weibl. Geschlechtsglied der Wölfin und Füchsin Schnalle, und die Gaunersprache verwendet heute noch das Wort i. S. v. ,vulva4. Die Übertr. erfolgte pars pro toto auf die Frau überhaupt, um sie negativ zu kennzeichnen. Eine alte Schnalle sein bedeutet demnach: eine alte Frau, eine liederliche Hure sein. Noch in der Ggwt. wird ein unansehnliches Mädchen eine vergammelte Schnalle genannt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Wndg. auf den Schnallenritt (das Schnallenrennen) gehen: auf den /Strich gehen. Ganz andere Bdtg. hat dagegen die oesterr. Rda. ,Schnallendrücken gewesen sein4, die gebraucht wird, wenn jem. auffallend viel Kleingeld besitzt. Hinter ihr verbirgt sich die scherzhafte Annahme, daß das Geld vom Betteln an vielen Haustüren stamme, weil mit Schnalle auch die Türklinke gemeint sein kann. Ähnl. kennzeichnet die bair. Wndg. ,Er ist ein Schnallendrücker4 den Schmeichler, dessen Worte genauso geringgeachtet werden wie der schnallende Laut der Türklinke oder des Schlosses. schnappen. Jem. schnappen: ihn bei strafbarer Handlung überraschen, ihn verhaften, ähnl.: sich jem. schnappen wollen: ihn zu ernster Aussprache festhalten, auch: ihn bestrafen, prügeln. Sich etw. schnappen: sich schnell aneignen, sichern, sold. Rda. ebenso wie ,lhn hat’s geschnappt4, er ist verwundet worden. Etw. geschnappt haben: es verstanden haben (vgl. auch ,geschnallt4). Jetzt hat's (aber) geschnappt! sagt der, dessen Geduld zu Ende ist, der mit einer Sache oder Person endgültig Schluß machen will, weil ,das Maß voll ist4 und der ständige Ärger zu einem Bruch zwingt. Die Rda. beruht entweder auf einem Vergleich mit dem schnappenden Schloß der Tür, wobei das Geräusch anzeigt, daß sie wirklich zugefallen ist, oder auf dem Vergleich mit dem Schnappen des Hahnes bei der Flinte. Damit in Zusammenhang steht auch die Wndg. Bei mir bist du geschnappt: bei mir kannst du nichts ausrichten, ein bes. in Bayern gebräuchl. Ausdr. der Ablehnung und Abweisung. Es hat geschnappt hat aber auch seit 1900 die Bdtg.: die Frau ist schwanger. Nach dem Bettzipfel schnappen: vor Müdigkeit gähnen. 868
Schnecke Schnappen hat in rdal. Vergleichen die Bdtg. von,essen4 und ,gierig zu erfassen suchen4 und bezieht sich meist auf das Verhalten von Tieren: Erschnappt danach wie der Hund nach Beinen an Ostertagen, dieser ist nach der Fastenzeit bes. gierig nach Knochen; er schnappt danach wie eine Maus nach Speck (vgl. ndl. ,Hij hapt als eene muis naar het spek4); er schnappt danach wie ein Fisch nach Wasser (vgl. ndl. ,Hij snakt ernaar als een vischje naar het water'); er schnappt danach wie die Gans nach dem Apfelbntzen; aber auch: Er schnappt danach wie der Teufel nach einer Seele, dieser muß bes. flink sein, damit ihm die Seele nicht streitig gemacht wird. schnarchen. Schnarcher, die andere stören, werden gern verspottet. Die übertreibenden Schilderungen beziehen ihre Vergleiche entweder aus dem Tierreich: schnarchen wie ein Bär, Esel, wie ein Schwein, wie ein Walfisch oder Walroß, oder zur weiteren Steigerung aus Technik und Industrie, z. B. schnarchen wie eine Kreissäge, Sägemühle. Die oberoesterr. Rda. schnarchen as wan ma Lad’n schneiden that4 bezieht sich ebenfalls auf die Geräusche in einer Sägemühle. schnaufen, Schnaufer. ,Dös leidt’s Schnaufe net4, sagt man im Obd., wenn es gefährlich ist, an eine Sache zu rühren, und es deshalb schon bedenklich erscheint, auch nur davon zu sprechen. Sehr beliebt sind Tiervergleiche, um starkes Schnaufen zu charakterisieren, z. B. Er schnauft wie ein Dachs, wie ein Fleischerhund, vgl. ndl. ,Hij snaauwt en bijt van zieh als eene vleeschhouwers teef4; wie eine gestopfte Gans; in Oesterr. heißt es: ,Er schnauft wie der Igel im Birnhaufen4; ganz ähnl. in Westf.: ,He snüwt as en TuniegeP (= Zaunigel), im Schwäb. sagt man: ,Dear schnauft wie a Neascht voll IgT. Eine noch größere Steigerung enthalten die Rdaa., die sich auf die Technik beziehen: schnaufen wie ein Dampfroß, wie eine Lokomotive. Die Feststellung Der Schnaufer wird ihm bald ausgehen hat übertr. Bdtg.: der Atem wird ihm ausbleiben, es geht zu Ende mit seinem Geschäft, er kann nicht mehr Schritt halten, er ist nicht mehr konkurrenzfähig, mit ihm selbst und seiner Kraft wird es bald vorbei sein. Zur Umschreibung von ,sterben4 gebraucht man auch die Wndg. seinen letzten Schnaufer getan haben; /zeitlich. Schnauze. Die Ubertr. des Wortes Schnauze vom Tier auf den Menschen zur derben Bez. des Mundes war bereits im 16. Jh. vollzogen und ist bei Luther neben ,Maul4 bezeugt. Bes. in Norddtl. und Berlin ist der Begriff in verschiedenen Wndgn. beliebt, z. B. eine große Schnauze haben: das Wort führen, vorlaut oder frech in seinen Antworten sein, oder: sich die Schnauze fransig (fusselig) reden müssen (/Mund): sich übermäßig anstrengen müssen, um jem. zu überzeugen, viele Worte machen müssen. Halt die Schnauze! gilt als eindeutige Warnung, keine Erwiderung mehr zu wagen. Ähnl. meint die Feststellung Er (ich) hätte besser die Schnauze gehalten: es wäre vorteilhafter gewesen, nichts zu sagen. Neuere Wndgn. aus der Soldatensprache sind: die Schnauze voll haben: etw. gründlich satt haben (/Nase), und frei nach Schnauze: nach eigenem Gutdünken, ohne viel zu prüfen und zu messen ; sie haben sich bereits in ganz Dtl. eingebürgert. Sich die Schnauze verbrennen: etw. unbedacht äußern und sich damit unbeliebt machen, /Mund. Schnecke. Mit dem Vergleich wie eine Schnecke pflegt man verschiedene Handlungsweisen oder Fähigkeiten sowohl von Tieren als auch von Menschen zu charakterisieren. Am häufigsten begegnet uns die Anspielung auf die langsame Art, mit der sich die Schnecke fortbewegt, so z.B. bei Goethe (XII, 208): Wir schleichen wie die Schneck’ im Haus, Die Weiber alle sind voraus. Aber nicht nur von der Fortbewegung spricht man in dieser Weise, sondern auch von anderen Tätigkeiten: Der Bau gerieth dabey, wie man Leicht denken kann, ins Stecken: Die Maurer sahn einander an, Und maurten wie die Schnecken. (J. A. Blumauer, Abentheuer des ... Aeneas, Bd. 1, 1784, 140) In den Mdaa. finden sich zahlreiche Beisp. 869
Schneckengang, -post, -Tänze, -tempo für die Schnecke als Sinnbild der Langsamkeit: schwäb. ,Du läufst so stät, dir könnten die Schnecken nachreisen4; schlesw.-holst. ,He kriippt dor lank as ’n Snick4. In der Eifel sagt man: ,De geht esu lassem (langsam) wie en Schneck iwer er Broch4 (Brachfeld) oder ,Dat gäht ejo bal asu sihr, as wie wann en Schneck iwer Broch Galopp läft4; eis. entspr. ,Der geht wie e Schneck iwers Ak- kerfeld4. Vielfach hat unser Vergleich auch in Ortsneckereien Eingang gefunden. Jem. zur Schnecke machen: jem. heftig schelten, grob anfahren, sehr streng behandeln, moralisch vernichten, ,runterputzen4. Der Rda. liegt wohl die Vorstellung zugrunde, daß jem. durch rücksichtslosen Drill nur mehr wie eine Schnecke kriechen kann. Dieser Ausdr. hat erst in diesem Jh., wahrscheinl. aus dem Soldatenjargon kommend, in der Volkssprache Fuß gefaßt. Aus der Sicht des Getadelten lautet die Rda. entspr. zur Schnecke werden: moralisch vernichtet sein, erschüttert sein oder auch abgeschwächt: erstaunt sein. Gelegentlich gebraucht man zur Kennzeichnung einer scheuen, verschreckten Reaktion die Wndg. sich ins Schneckenhaus zurückziehen: Nicht immer gleich Ist ein galantes Mädchen, Ihr Herrn, für euch; Nimmt sich der gute Freund zu viel heraus, Gleich ist die Schneck’ in ihrem Haus. (Goethe XIIi; 14) Ndl. ,in zijn schulp kruipen4; frz. ,rentrer dans sa coquille4; engl. ,to draw in one’s horns4 (vgl. ,die Hörner einziehen4). Die Schnecken sind darübergekrochen: das ist oberflächlich gemacht worden. Diese wenig gebräuchl. Rda., die auf den dünnen Schleimfilm Bezug nimmt, den die kriechende Schnecke hinter sich läßt, ist auch in den Niederlanden bekannt: ,De slakjes hebben er maar over gekropen4. Allzu augenfällig ist das langsame Kriechen der Schnecke, so daß Rdaa., die nicht auf diese Eigenart anspielen, im Gebrauch sehr stark zurücktreten. In Mdaa. fehlen sie nahezu vollständig. Schneckengang, -post, -tanze, -tempo. Es geht den Schneckengang: etw. geht nur sehr langsam, träge vorwärts. Der Ausdr. verspottet nicht nur träge Lebewesen, sondern vor allem die sich oft endlos hinziehenden Verhandlungen und den schleppenden Gang innerhalb der Bürokratie. Vgl. ndl. ,Het gaat den slakkengang4. Auf (mit) der Schneckenpost fahren (kommen, reisen): eine überaus lange Reisezeit benötigen, kaum vorankommen. Wir nennen eine schlechte und langsame Beförderung von Personen, Gütern und Nachrichten eine ,Schneckenpost4, seit Börne 1821 die durch viele Rastpausen unterbrochene Fahrt der Thurn- und Taxisschen Postwagen in seiner ,Monographie der deutschen ,Mit der Schneckenpost fahren4 Postschnecke4 verhöhnte (Ges. Schriften, T. 3, Hamburg 31840, S. 78-118). Ähnl. Vorstellungen von der Langsamkeit der Post spiegeln sich im Lied. Im .Vogelhändler1 singt die Christel von der Post: ,,denn bei der Post geht’s nicht so schnell“. Vgl. auch den Kanon: ,,I fahr, i fahr, i fahr mit der Post! Fahr mit der Schneckenpost...“ Vgl. auch ndl. ,op zijn elf en dertigst4, sehr fein und hervorragend, dafür aber langsam. Unter einem ,elf-en-dertigk verstand man früher einen Weberkamm, durch den 4100 Fäden geschoben werden konnten, einen der feinsten, die man verwendete, um das beste und breiteste Leinen herzustellen, was entspr. Zeit erforderte (Büchmann, S.294). Es geht nur im Schneckentempo vorwärts: man kommt kaum voran. Diese moderne Wndg. wird bes. häufig bei Stauungen im Verkehr (Kreuzungen und Ampeln in der Stadt, Bauarbeiten an der Straße und Autobahn, Unfall) gebraucht, wenn der Autofahrer lange warten oder ,Schritt fahren4 muß. 870
Schneekönig Im Elsaß und in der Pfalz sind mdal. Wndgn. mit Schneckentanz verbreitet. ,Mache mir keine Schneckentänz vor!4 Täusche mich nicht, suche keine Ausflüchte zu machen! warnt man in der Pfalz einen, den man durchschaut hat. Im Elsaß stellt man bei Lügen, Possen und Narrheiten fest: ,Diss sinn Schnecketänz!4, es ist sowenig wahr wie das Märchen von demjenigen, der Schnecken tanzen lehrte (Alsatia 48, 1851). Schnee. Und wenn der ganze Schnee verbrennt!: trotz alledem, oft mit dem Zusatz: die Asche bleibt uns doch! Dieser Ausruf dient bei gewagten Unternehmungen zur Bekräftigung, daß trotz möglicher Mißerfolge alles versucht werden soll, und zur Bekundung seines festen Entschlusses, z. B. beim Kartenspiel. Die Wndg. ist bes. in Berlin, Obersachsen und Schlesien in mdal. Form bekannt; Gerhart Hauptmann verwendet sie 1892 auch lit. in seinen Gebern4 am Ende des V. Aktes. ,Mächt äns doach d’r Schnî v’rbrîn!4 gilt als Äußerung der Verwunderung in Schlesien und Oesterr. ,Di soll d’r Schnee on’zünd’n!4 ist eine scherzhafte Verwünschung in Franken. Den Schnee für Salz verkaufen wollen, auch: einem Schnee für Baumwolle verkaufen: ihn übervorteilen, betrügen wollen, eine wertlose Sache als begehrenswert darstellen und voller Eifer feilbieten. Schon Heinrich Bebel erzählt als eine ,Res gesta atque sibi cognatissima4, ein Bote habe einem neugierigen Frager als Neuigkeit aufgebunden, daß einer verbrannt worden sei, weil er Schnee hinter dem Ofen gedörrt und für Salz verkauft habe. Auch im ,Lügenlied4 des Suchenwirth heißt es (148, 72): ,,das salz seudet man auz snee“. Die Rda. den Schnee im Ofen backen (dörren), eine Umschreibung für törichtes und vergebliches Tun, begegnet häufig in der ma. Schwank- lit., z. B. bei Seb. Franck (II, 13), in Paulis ,Schimpf und Ernst4 und in Kirchhoffs ,Wendunmuth4 (I, Nr. 236). Vgl. auch ndl. ,Hij wil sneeuw in den oven bakken4 und engl. ,He roasts snow in a furnace4. Ähnl. heißt es bei Keller in den Schwänken (5): ,,wer an der sunnen schnee will derren“, daß derjenige eine unnütze Arbeit ver¬ sucht. Pieter Bruegel bezieht sich in seiner Darstellung der gleichen Rda. auf Rabelais’ Stoffkreis der ,Absurda und Praepostera4, ln Bayern und Oesterr. braucht man im gleichen Sinne die Wndg. ,den Schnee selchen4. Das ist schwarzer Schnee: es ist etw. völlig Unmögliches, das doch nie eintreten wird. Bereits Hartmann von Aue gebraucht diesen Ausdr. in seinem ,Büchlein4 (614): ich gloube an sîne wîsheit hinnen fürder niht mê dan an wizen koln und swarzen snê. Schwarzen Schnee suchen: sich vergeblich abmühen. Die Antwort auf eine neugierige Frage nach einem ungewissen Zeitpunkt heißt ähnl.: wenn schwarzer Schnee fällt, also nie oder am St.-Nimmerleins-Tag, auch mdal. Im Westf. erhält die Wndg. noch einen scherzhaften Zusatz: /wann de schwarte Schnei fällt und de Lüs ’n Daler gelt4. Im Obersächs. antwortet man auf die neugierige Frage, wann im Ort Kirchweih sei:,Kirmes fällt (bei uns) acht Tage vor’m ersten Schnee4, d.h. dieses Fest wird überhaupt nicht gefeiert, /Pfingsten. Den Schnee des vorigen (vergangenen) Jahres suchen: sich um eine längst abgetane und vergessene Sache bekümmern, auch: vom vorjährigen Schnee reden. Vgl. ndl. ,Hij praat van de sneeuw, die in het ander jaar viel4. Das ist alter Schnee: das ist altbekannt und uninteressant, vgl. lat. ,anni nives praeteriti4. Schnee nach Lappland (Spitzbergen) tragen: etw. völlig Überflüssiges tun, vgl. ,Eulen nach Athen tragen4, /Eule. Wie Schnee an der Sonne bestehen: unbeständig und unzuverlässig sein. Einen Schnee auf etw. fallen lassen: Zeit darüber vergehen lassen, damit es in Vergessenheit gerät, damit der Zorn verraucht. Schneekönig. Sich freuen wie ein Schneekönig: sich lebhaft, von ganzem Herzen freuen. Die Rda. bezieht sich auf unseren kleinsten Singvogel, den Zaun- oder Schneekönig, der auch im strengsten Winter bei uns bleibt und trotz Kälte und Schnee munter pfeift und singt. Er trägt auch noch andere Königsnamen wie Winter-, Dorn-, Nessel-, Meisen- und Schlupf - 871
Schneeschipper könig. Die vogtländische Wndg. ,Er freut sich wie a kleener Schniekönig4 macht durch das Adj. noch deutlicher, daß es sich um einen der zahlreichen Tiervergleiche handelt, wie z.B. auch ,singen wie eine Heidelerche1 und ,schimpfen wie ein Rohrspatz1. Die Rda. ist bes. in Schlesien, Sachsen und Thüringen verbreitet, wo Schneekönig aber auch als Spottname für den König Gustav Adolf gilt. Der Ausruf Wenn der Schneekönig wiederkommt! leitet sich als Niemals-Formel deshalb wohl eher vom Schwedenkönig als vom Zaunkönig ab, der unser Land ja nicht verläßt. Im Schlesw.-Holst, nennt man den Aufseherder zum Schneeschaufeln auf gebotenen Männer ebenfalls ,Schneekönig1 oder ,Schneevogt4. Schneeschipper. Er ist ein alter Schneeschipper wird in Pommern von einem Menschen gesagt, der nur seinem Berufe lebt, sehr zurückgezogen ist und gesellige Beziehungen meidet. Wahrscheinl. besteht hier eine ähnl. Verbindung wie bei /Schneesieber zu alten Vorstellungen von Jenseitsstrafen für Unverheiratete. Schneesieber. Ein Schneesieber sein: übergenau sein oder sich bes. gewissenhaft mit überflüssigen Dingen beschäftigen. Diese Bdtgn. sind bes. im Obersächs. und Schles. allg. üblich. Je nach Anwendung kann die Rda. aber auch noch anderes meinen. Der Ausruf ,So e alter Schneesieber!4 enthält, wenn man ihn in Dresden gebraucht, eine widerwillige Anerkennung, daß es sich um einen Schlaukopf, einen erfahrenen Kenner handelt; in Pegau dagegen meint man damit einen Witzbold. Ganz ins Negative gewendet, ist der Schneesieber auch ein besonders langsamer und ungeschickter Mensch, ein Bummler (preuß.). In der Begrüßung Na, alter Schneesieber! spiegelt sich noch eine alte Vorstellung, die in den Kreis der Sagen von der Altweibermühle gehört: man glaubte, daß Unverheiratete im Himmel Schnee sieben müßten, wenn sie gestorben waren. Deshalb gilt dieser Gruß vor allem ledigen Burschen und Männern. Wer freiled’g bleibt, muß im Himmel Mit’n alten Mädeln Schnee sieben, heißt es auch in Nordböhmen (Tieze, Unse liebe Hejmt 1, 38). In ähnl. Sinne nennt man in Schlesien einen alten Mann, der noch heiraten will, ebenfalls spöttisch einen alten Schneesieber. Schon 1652 verwendet der schles. Dichter Wenzel Scherffer (Geistliche und Weltliche Gedichte, S. 567) ,Schnee sieben4 als überflüssige Beschäftigung alter Junggesellen: Müßt’ ich dann anstat zu lieben Helffen dort den Schnee durchsieben. (Denn das soll die Arbeit seyn Alter Bursche, die nicht freyn!). Sich freuen wie ein Schneesieber kann als sprachl. Vergleich sowohl kindische Freude als auch harmlose, kindliche Freude bezeichnen. Meistens wird jedoch allg. in Dtl. bei dieser Rda. der /Schneekönig anstatt des Schneesiebers genannt. Lit.: F. Sarasin: Die Anschauungen der Völker über Ehe und Junggesellentum (Basel 1934). Schneid(e). Schneid haben: Mut, Kraft haben, energisch auftreten, gern seine Kräfte mit Gegnern oder Nebenbuhlern messen, vor allem beim Kiltgang. Wer der Überlegene blieb, trug stolz zum äußeren Zeichen seiner Tapferkeit und seines Sieges die ,Schneidfedern4 am Hut, die er den anderen abgenommen hatte. Daher die oberoesterr. Rda. ,einem d’ Schneid abkaufen4, ihn durch sein entschiedenes Auftreten entmutigen, und bair. ,kein Schneid haben4, feige sein. Die Übertr. erfolgte von der Waffe oder anderen schneidenden Werkzeugen. An die Schärfe einer Waffe erinnert noch deutlich die bair. Wndg. ,Auf di hab i schon lang a Schneid', mit dir wollte ich schon längst anbinden, vgl. ,eine Pike auf jem. haben4, /Pike. Durch die Soldatensprache ist die Wndg. um 1860 in die allg. Umgangssprache gedrungen, zusammen mit dem Adj.,schneidig4 = tapfer. Die Mdaa. haben z.T. die fern. Form bewahrt, z.B. sagt man im Hunsrück: ,De Kerl hot kän rechte Schneide4. Die obersächs. Wndg. ,Er hat keine Schneide zu etw.4, bedeutet: er hat kein rechtes Vertrauen dazu, keine Lust darauf. Das Wort Schneide, heute i. S. v. aktivem, menschlichem Tun, Antrieb und Mut verwendet, besaß früher auch eine negative Bdtg., denn der Hildesheimer Chronist 01- 872
Schneider decop redet in einem Atem von „bedrege- rie und sneidichkeit“. Ihm ist die Schneide in den Finger gegangen (vgl. ,sich ins eigene Fleisch schneiden'): er hat sich selbst geschädigt, seine Waffe hat sich gegen ihn selbst gewendet. Seb. Franck bezeugt 1541: „Nicht mit der Schneide, sondern mit der Scheide hauen“. Dadurch wird einer verhöhnt, der seine Waffe nicht richtig zu benutzen weiß. Ähnl. das Sprw. ,Wer sitzt auf der Schneide, sitzt schlecht und kommt zu Leide', d.h. wenn man sich auf gefährliche Angelegenheiten einläßt, kann man wohl zu Schaden kommen. Gleichbedeutend ist die Rda. auf des Messers Schneide stehen: kurz vor der Entscheidung sein, sich zum Positiven oder Negativen wenden können. Die Wndg., die die Unsicherheit einer Situation treffend beschreibt, stammt aus der Antike. In der ,Ilias‘ (X, 173) Homers heißt es schon: „Es steht auf des Messers Schneide“. Häufig ist auch die Vorstellung von der Zunge als schneidendem Instrument, z.B. schwäb. ,Sie hat die Schneide auf der Zunge und er in den Fingern' oder ,Das Maul schneidet wie geschliffen'. Schweiz, kann Schneide gleichfalls ein böses, schneidendes Maul sein. Dazu gehört das Sprw. ,Scharfe Schwerter schneiden sehr, scharfe Zungen noch viel mehr'. Anscheinend nur rhein. sagt man von einem zum Schmollen verzogenen Mund: ,E micht en Schneide (Schnute), dat mer en Schweinstall drop baue kann'. Übertr. spricht man auch von der Schneide (Schärfe) des Todes, des Verstandes und sogar der Sehnsucht. Eine Schneide haben: scharf oder sauer schmecken, bes. in Süddtl. vom Wein, Bier oder Essig gesagt. schneiden. Sich schneiden: sich falschen Hoffnungen hingeben, meist in burschikoser Rede i. S. v. ,sich täuschen' gebraucht. Die Rda. ist im 18. Jh. verkürzt worden aus: sich mit dem Messer schneiden. Vgl. auch ,sich in den Finger schneiden' (/Finger) und ,sich ins eigene Fleisch schneiden' (/Fleisch). Der Ausruf Der wird sich schneiden! enthält eine gewisse Schadenfreude des Klügeren und Vorsichtigeren, der den zukünftigen Fehlschlag voraus¬ sieht. In Schwaben sagt man statt schneiden ,brennen'. Auch Schiller läßt in seinen ,Räubern' (IV, 5) Schweizer zu Grimm sagen: „Da brennst du dich“. Jetn. schneiden: ihn absichtlich übersehen, so tun, als ob man ihn nicht kennt, und nicht einmal grüßen, um jem. seine Verachtung zu beweisen. Die Rda. ist eine nach 1850 aufgekommene Lehnübersetzung von engl. ,to cut someone'. Der kann schneiden: er versteht seinen Vorteil wahrzunehmen, ähnl. ndd. ,He versteh dat Sniden', er weiß den Leuten das Geld abzunehmen, vgl.,seinen Schnitt machen' (/Schnitt). Die Rda. kann aber auch i. S. v. ,aufschneiden' die Bdtg. von lügen besitzen, z.B. am Niederrhein und an der Mosel. Von einem sehr scharfen Werkzeug oder Messer sagt man in treffenden Vergleichen: Das schneidet wie Gift, wie ein Schermesser, wie eine Flöte, die durchdringende Töne hat. Die Rda. nichts verschneiden: frei heraussagen, was man denkt, unverblümt seine Meinung äußern, ist zurückzuführen auf das ,Verschneiden' der Weine, das sie milder und besser machen soll. Jem. wie aus dem Gesicht geschnitten sein: ihm überaus ähnl. sehen, /Gesicht. Schneider.Frieren wie ein Schneider: sehr leicht frösteln, kälteempfindlich sein. Den Schneider hielt man früher wegen seines angeblich geringen Körpergewichts, seiner Schmächtigkeit, Schwäche und Kränklichkeit und vor allem wegen seiner Stubenhockerei ohne körperliche Ausarbeitung für weibisch, verzärtelt, überempfindlich und nicht genügend abgehärtet. Essen wie ein Schneider: sehr wenig zu sich nehmen. Die Schwächlichkeit der Schneider führte man auf mangelnde Nahrung zurück. Vor allem wenn die Schneider zu den Bauern auf Stör gingen und bei ihnen im Hause arbeiteten, fiel auf, daß sie sehr wenig vertragen konnten im Gegensatz zu dem kräftigen Appetit der Landarbeiter. Vgl. Schneiderspottlieder, z.B. E. B. Nr. 1634/35: ,Schneider Jahrstag'. Laufen wie ein Schneider: sehr schnell laufen, nicht vom eigenen Körpergewicht gehemmt werden. 873
Schneider ,Schneidergewicht1 - ,Essen wie ein Schneider1 Sich wie ein Schneider am Ostertag tummeln: sogar an den Sonn- und Feiertagen arbeiten. Dies geschah bei den Schneidern häufig, wenn sie termingerecht etw. fertigstellen mußten. Abraham a Sancta Clara schreibt zu diesem rdal. Vergleich in ,Ge- hab dich wohl‘ (69): „Also machen es die meisten Handwerker und Professionen, welche, wann sie die ganze Wochen hindurch entweder im Winter bey der Karten, oder im Sommer in dem Garten ihre Zeit zubringen, nichtsdestoweniger an Sonn- und Feyertägen arbeiten. Darunter keine mehr beschäftiget seynd als die Schneider, also zwar, daß schon ein gemeines Sprüch- wort entstanden: wann man von einem geschwinden und arbeitsamen Menschen reden will, pflegt man zu sagen: Er tummelt sich wie ein Schneider am Ostertag“. Herein, wenns (was) kein Schneider ist! ruh man scherzhaft, wenn jem. anklopft und man nicht weiß, wer hereinkommen wird. Vermutl. hat der seine Forderungen eintreibende Schneider den Anlaß zu dieser Rda. gegeben, eigentl. eine Parodie der Wndg. Herein, wenn 's ein Schneider ist!, die in der Schneiderzunft eine wichtige Rolle spielte. Die Sitzungen der Schneidergesellen fanden bei offener Zunftlade statt. Es war also eine streng geschlossene Gesellschaft, zu der niemand sonst Zutritt hatte. Forderte jem. Einlaß, dann hieß es: herein, wenn’s ein Schneider ist ! ‘ (Wissell II, S. 110.) Der Schneider hatte immer Schwierigkeiten, seine Rechnungen zu kassieren, er wurde oft abgewiesen und noch dazu verspottet. Darauf weisen verschiedene Rdaa.: beim Schneider hängenbleiben: seine Kleiderrechnung nicht bezahlen, Schulden haben; dastehen wie ein geleimter (nicht bezahlter) Schneider und einen Schneidersgang(-ritt) tun: unverrichteterdinge zurückkehren, einen vergeblichen Gang tun, um Geld zu erlangen, seine Schulden einzutreiben. Sprw. wurde daher auch die Armut der Schneider: den Schneider im Hause haben: Mangel leiden, sich mit eigenen Sorgen quälen m üssen. Auffällig war auch die lange, ungeregelte Arbeitszeit der Schneider, die oft bis tief in die Nacht nähen mußten. Daher sagt man rdal. übertr. den Schneider auf den Augen haben oder Der Schneider kommt (kriecht) jem. in die Augen: er wird schläfrig, ist übermüdet, die Augen fallen ihm zu. Dem Schneider werden nur üble Eigenschaften nachgesagt, vor allem gilt er als diebisch und lügnerisch. So sagt man z. B. Dem Schneider ist viel unter den Tisch gefallen: er hat von dem Stoff, den er verarbeiten sollte, viel für sich behalten und für seine Kinder. Tatsächlich hatte der Schneider unter seinem Tisch eine Kiste für Stoffreste, das ,Auge4 oder die ,Hölle' genannt, in das er auch manches noch brauchbare Stück fallen ließ. Man glaubte, daß aus diesem Grunde kaum ein Schneider in den Himmel käme. Deshalb heißt es, wenn etw. Seltenes geschieht, wenn bei Regen die Sonne scheint oder eine Stockung im Gespräch eintritt: Nun kommt ein Schneider in den Himmel. Dem Schneider wurden auch Faulheit und Nachlässigkeit nachgesagt, /Pfuscher. Wenn die Nähte nicht halten, heißt es: Der Schneider hat mit der heißen Nadel genäht, paßt das Kleidungsstück nicht oder ist eine Sache ihrer ganzen Anlage nach verdorben, sagt man: Der Schneider hat die Hosen verschnitten (das Maß verloren). Auf den Pfuscher weisen die Wndgn. ,Meister, ich bin fertig, darf ich trennen (flicken)?4 und Er ist einem Schneider durch die Werkstatt gelaufen: er besitzt wenig Kenntnisse und Fertigkeiten in seinem Beruf. Die Wndg. den Schneider auskaufen (aus- 874
Schneider S75
Schneien klopfen, oberoesterr. ,herauszwicken4) bezieht sich auf den Brauch, jem., der ein neues Kleidungsstück zum erstenmal trägt, im Scherz zu schlagen oder zu kneifen. Als verächtliches Schimpfwort gilt die einfache Feststellung Er ist ein Schneider, auch: ein hinkender (windiger) Schneider, denn sie bez. den Schwächling und den Furchtsamen, den sogar ganz geringe Gegner, wie Läuse, Mücken, Spinnen oder Schnecken, in die Flucht schlagen können. Daher erscheint eben das Märchen vom ,Tapferen Schneiderlein‘ (KHM. 20) als bemerkenswerte Ausnahme von der Regel. Eine bes. dt. Ausprägung des Handwerkerspottes ist der um 1400 in Süddtl. entstandene ,Schneider-Geiß-Spott‘. Der 1. Hinweis darauf findet sich 1408 in einem Straßburger Ratsprotokoll, in dem ein Schneider-Spottlied verboten wird. Urspr. handelt es sich um eine sexuelle und obszöne Anspielung auf den Schneider als ,Geißbuhler4. Erst im 16. Jh. wurde ,Schneiderbock4 der verallgemeinerte Spottname. Der Ritt des Schneiders auf dem Bock und der Kampf zwischen Schneider und Bock wurden nun Themen der bildl. und lit. Darstellungen. Vor allem in Spottversen und -liedem spielten sie bis zum 17. Jh. eine große Rolle und sind bis heute im allg. Bewußtsein geblieben im Unterschied zu anderen Berufsschelten. Vgl. E. B. Nr. 1631/32: ,Es wollt ein Schneider wandern wohl auf sein Schneidergeiß4, und EB. Nr. 1636: ,Es hatten sich 77 Schneider verschworn4. Man denke auch an rdal. Scherzworte wie „Schneider, Schneider, meek, meck, meck!“ (Wilh. Busch). Das Wort Schneider tritt andererseits eu- phemist. für Teufel ein, vor allem im Fluch: Hol dich der Schneider! Aus dem Schneider (heraus) sein: über dreißig Jahre alt sein (vgl. ,tief in den 29 stecken4, ,dreimal genullt haben4), nicht mehr ganz jung sein, bes. von alten Jungfern gesagt. Der Ausdr. stammt vom Kartenspiel, wo Schneider werden weniger als dreißig Augen bekommen hieß. Wer aus dem Schneider ist, hat demnach mehr als dreißig Augen, d. h. mehr als die Hälfte der unbedingt zum Gewinn nötigen. Auch in einem alten student. Bierspiel (,Lustig, meine Sieben4) spielte die Wndg. eine ähnl. Rolle: wer unter dreißig blieb, mußte das doppelte Quantum trinken, und auf seinem Platz wurde unter lautem Gesang eine Schere gemalt. (Auch beim Skat muß man mehr als dreißig Augen haben, bei Sechsundsechzig mehr als 33.) Vgl. auch ndl. ,’t is ’n olle achtentwintig4. Die Wndg. Schneider sein bedeutet allg. leer ausgehen, keinen Jagderfolg haben, aber auch: am Tag nichts verkauft haben. Lit. Ursprungs ist der in der Anrede ge- bräuchl. Ausdr. Gevatter Schneider und Handschuhmacher. Bei Schiller heißt es in ,Wallensteins Lager4: „Sind Tieffenbacher, Gevatter Schneider und Handschuhmacher44. Lit.: E. K. Blümml u. F. S. Krauss: Der Schneider im Vierzeiler Ausseer und Ischler Schnaderhüpfel (Leipzig 19Ö6); H. Klenz: Schelten-Wb. (Straßburg 1910); A. Keller: Die Handwerker im Volkshumor (Leipzig 1912); //. Gumbel: Alte Handwerksschwänke (Jena 1928); R. Wissell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 2 Bde. (Berlin 1929); B. Salditi:Der Schneider und die Geiß im Volksmunde bis zum 17. Jh., in: Hess. Bl. f. Vkde. 30 (1932), S. 88-105; H. Rosenfeld: Die Entwicklung der Ständesatire im MA., in: Zs. f. d. Ph. 71 (1951/52), S. 196-207; M. Rumpf: Dt. Handwerkerleben und der Aufstieg der Stadt (Stuttgart 1955); W. Danckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern u. München 1963); A/. Eidei: Schneiderlieder, in: Handbuch d. Volksliedes I, in: Motive, Freiburger folkloristische Forschungen, Bd.I (München 1973); L. Röhrichu. G. Meinel:Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alem. Jb. (Bühl/ Baden 1973). schneien. Die Wndgn. einem plötzlich ins Haus schneien oder hereingeschneit kommen gebraucht man, wenn man durch unverhofftes Glück überrascht oder durch unangemeldete Gäste belästigt wird. In der Kölner Mda. z. B. heißt dies: .Einem en et Hus jeschneit kumme4. Aus einer anderen Welt hereinschneien bedeutet: unerwartet erscheinen, völlig anders geartet, fremdartig sein. Jetzt soll s gleich schneien! gilt als Ausruf des Unwillens. Morgen schneit's! wird häufig verwendet, wenn etw. Erhofftes nicht eingetreten ist. So entgegnet man z. B. in Kamenz: ,Ja, morgen schneitY, wenn man ausdrücken will, daß sich der andere sehr irrt, daß seine Erwartungen ebensowenig in Erfüllung gehen wie der für den nächsten Tag prophezeite Schneefall. Im Sommer, wenns sch ne it ist deshalb auch die scherzhafte Antwort für einen lästigen 876
Schnell, Schnelle Frager, der einen ungewissen Zeitpunkt genau wissen möchte. Die Rda. wenns grün schneit verweist auf etw. völlig Unmögliches und ist eine Umschreibung für ,niemals1. Bes. beliebt sind solche ,Niemals-Formeln* im Volkslied, wo beim Abschied auf die Frage nach der Rückkehr das harte ,Niemals* vermieden wird. So heißt es z.B. in einer bekannten Wanderstrophe: Wenn’s schneiet rote Rosen Und regnet kühlen Wein! In anderen irrealen Vorstellungen stehen ,schneien und regnen* oder ,schneien und hageln* nebeneinander: Wenn’s Buttermilch regnet Und Weinbeerlein schneit. Im Schwab, sagt man: ,Ich komme, wenn’s alte Weiber schneit und Katzen hagelt* oder ,wenn’s Katzen hagelt und Spitzstecke schneit*, /'Pfingsten. Verschiedene Sprachebenen zeigen sich bei einem Vergleich der folgenden Wndgn., die dem Verb schneien Substantive zuordnen. Es schneit Blüten beruht auf der Beobachtung und gilt als poetische Umschreibung für das Ende der Baumblüte. Paul Gerhardt dichtete: Bisher hat’s lauter Kreuz geschneit, Laß nun die Sonne scheinen! und Jean Paul spricht in seiner ,Levana‘ (1, 11 ) davon, daß ,,von Kanzeln, Lehrstühlen, Bücherschränken aller Zeiten unaufhörlich die Flocken der reinsten kalten Ermahnungen schneien“. Aus dem bäuerl. Bereich stammt die Rda. Es schneit Kühjungen (Bauernjungen): zs schneit bes. heftig. Das Subst. dient hierbei genauso zur Steigerung wie in der Wndg. ,Es regnet Bindfäden*. In Verbindung mit dem alten Volksglauben entstand die Rda. Es hat ihr (ihm) in die Blume geschneit, da es Glück bedeuten sollte, wenn es auf dem Weg zur Trauung plötzlich zu schneien begann. Dagegen heißt Dem hat's auch auf die Flinten geschneit: er hat Unglück gehabt. Als Zeichen des Elends gilt, wenn es einem in die Bude, ins Haus oder in die Schuhe schneit, er also keinen Schutz mehr besitzt. Die Feststellung Es (hagelt) schneit und hagelt (schneit) bei ihm mit Geld, oft mit dem scherzhaften Zusatz: daß es Beulen gibt, veranschaulicht ein plötzlich wie ein Früh¬ lingsgewitter erscheinendes Glück in Geldgeschäften. Die schwäb. Rda. ,Es schniebt ihm’s Geld* heißt: er erwirbt sehr leicht viel Geld. Die Kölner Wndg. ,Et hät im op der Kopp jeschneit* bedeutet: sein Haar ist ihm schneeweiß geworden. schnell, Schnelle. Es geht so schnell wies Heftelmachen (Haftelmachen): die Arbeit geht bei höchster Angespanntheit rasch voran. Bei der Herstellung von Hefteln und Schlingen für den Verschluß von Röcken und Kleidern mußten sich vor der Automatisierung in den Betrieben viele Personen flink in die Hand arbeiten, damit keine Stockungeintrat. Für einen fremden Beobachter war dies ein bewundernswürdiger, rascher Vorgang, dem er kaum mit dem Auge zu folgen vermochte. Die Rda., deren urspr. Bezug bei der fortschreitenden Industrialisierung verblaßte, wurde später entstellt zu: Es geht so schnell wie’s Katzenmachen, /Brezel, /Heftelmacher. Zahlreiche rdal. Vergleiche dienen zur Beschreibung hoher Geschwindigkeit: Es geht schnell wie der Blitz, wie ein Gedanke; etw. schießt davon, schnell wie ein Pfeil; es kommt schnell wie der Wind. Vgl. lat. ,velis equisque* (Cicero). In der komparativischen Form wird die Vorstellungskraft von der beschriebenen Schnelligkeit noch gesteigert: etw. fliegt schneller als ein Adler, ein Falke, eine Rakete; es geht schneller, als Spargel kocht. So schnell schießen die Preußen nicht! heißt es zur Beruhigung, wenn man das rasche Vorgehen eines anderen fürchtet oder wenn man glaubt, durch Zögern und überlegtes Abwarten dem Gegner Vorteile einzuräumen. Ein zur Eile Angetriebener kann die Wndg. aber auch zu seiner Entschuldigung gebrauchen, wenn es anderen nicht schnell genug geht. Die Rda. ist wahr- scheinl. als ermutigende Parole 1866 in Wien entstanden, als der Krieg mit Preußen begann. Der lit. Urspr. der Wndg. ist noch nicht entdeckt worden (Büchmann, S. 710). Mit etw. schnell fertig sein: etw. ohne Überlegung rasch abtun, ein Urteil zu voreilig fällen. Die Rda. beruht auf einem Zitat aus Schillers Drama ,Wallensteins Tod* (II, 2), wo es heißt: 877
Schniegeln Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort. Ein schnelles Geschenk bringen: eine willkommene Gabe von letzter modischer Neuheit schenken. Etw. auf die Schnelle erledigen: eine Arbeit ungern, unzuverlässig und flüchtig ausführen. Jem. auf die Schnelle besuchen: ihn nur auf einen Augenblick sprechen, einen Blitzbesuch während einer Reise machen. schniegeln /geschniegelt. Schnippchen. Einem ein Schnippchen schlagen: ihm einen Streich, einen Possen spielen, seinen Plan vereiteln. Urspr. be- zeichnete die Rda. nur eine gebräuchl. Gebärde, die Geringschätzung oder Spott ausdrücken sollte. Man ließ den 3. oder 4. Finger am Daumen hingleiten und führte einen Schnalzer gegen den anderen aus, in¬ dem man dazu nur dachte: Nicht so viel, nicht diesen Knips gebe ich auf dich, auf deine Meinung! So 1604 bei Eyering in ,Proverbiorum Copia4 (3. Teil, S.59): „Ich geb nit ein Schnipgin drumb“. Ndd. heißt es im gleichen Sinne auch »Knippken4, wie auch 1649 Gerlingius unter Nr. 158 bucht: „Ne crepitu quidem digiti dignum. Ich wollte nit ein Schnelling darumb geben. Ich gheve nicht ein knipgen darumb“. Bereits 1625 heißt es in Martin Rinckarts Drama »Bauernkrieg4: Er schlug uns all nider ins Gras Und mir ein knipgen vor die Naß. Heute sagt man noch in Hamburg von einem heimlich Trotzenden: ,He sleit de Knipken in de Fickn4, er schlägt das Schnippchen in der Tasche, im verborgenen. Mit einer gewissen Schadenfreude wird in Köln festgestellt: ,Dem han ich e Schnippche jeschlage!4, ich bin ihm zuvorgekommen, dem habe ich übel mitgespielt, ich habe ihn mit Spott abgewiesen. Die Bdtg. der 1691 durch Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 (S. 1894) gebuchten Rda. »einem ein Schnippchen schlagen4 wird sich so entwickelt haben: Urspr. war das Schnippchenschlagen eine Geste der Nichtachtung; einem Gegner gegenüber angewendet, bedeutete es: Ich fühle mich dir so überlegen, daß ich auf deine Feindschaft nicht viel gebe. Das Bewußtsein, den andern in die Tasche stecken zu können, ihm dies und das antun zu können, macht heute den Hauptinhalt der Rda. aus. In der Lit. erscheint das Schnippchenschlagen als symbolische Handlung, die sich gegen Gott und Welt richten kann. Bei Iffland (»Mann von Wort4 V, 5) steht die Aufforderung: „Schlagen Sie der gemeinen Welt ein Schnippchen!“ Gottfr. Keller schreibt in seinem Roman ,Grüner Heinrich4 (Buch II, Kap. 11): „ich pflege dann höchst vergnügt ein Schnippchen gegen den Himmel zu schlagen und zu rufen: Siehst du, alter Papa! nun bin ich dir doch durchgewischt!44 Die geistreichste Verwendung der Rda. findet sich in Goethes »Faust4, wo im Maskenball (II, 1, V. 5582ff.) der Knabe Lenker, die Poesie, Schnippchen schlägt: „Hier seht mich nur ein Schnippchen schlagen44. Schnitt. Seinen Schnitt bei etw. machen, auch: einen guten Schnitt machen: einen beträchtlichen Gewinn erzielen, ein gutes Geschäft machen; ähnl.,seinen Schlag machen4. Die Rdaa. entstammen der bäuerl. Welt und beziehen sich auf die Getreideernte. Nach alter Rechtsauffassung ge¬ 878
Schnur hörte das Getreide auf dem Felde dem Bauern erst dann, wenn es geerntet war. Es wurde nach dem Schnitt, der früher mit Sichel oder Sense erfolgte, verkauft, die Hauptgelegenheit des Bauern, Bargeld zu bekommen. War der Schnitt gut, so bedeutete das reichen Ertrag, der Bauer verdiente viel; vgl. ,Geld wie Heu haben4. Da die Rda. vor allem aber die mehr oder weniger listige Art meint, sich einen Vorteil zu verschaffen, kann sie auch mit der im späten MA. häufigen /Beutelschneiderei der Gelddiebe in Zusammenhang gestanden haben. Vgl. ndl. ,een slaatje uit iets slaan4 oder ,sijn sneetjes weten te snijden4 und frz. ,faire son coupk und ,beaucoup4. Dagegen heißt keinen großen Schnitt machen :ri\chi viel bei einer Sache verdienen. Jem. unter kurzem Schnitt halten: ihn in strenge Zucht nehmen. Die Rda. vergleicht die menschliche Erziehung mit der Arbeit eines Gärtners, der durch das Schneiden der Bäume und Sträucher ihren Wuchs günstig zu beeinflussen sucht. Übertr. Bdtg. besitzt die Rda. einen Schnitt ins Fleisch machen: jem. Schmerzen zufügen müssen, um eine größere Gefahr zu beseitigen; wie ein Chirurg vorgehen müssen, der ein Geschwürentfernt, um einen Menschen nachhaltig zu ermahnen und zu seinem Vorteil zu verändern. Die Feststellung Das war ein grober Schnitt !Yi?X einen ähnl. Sinn: ein Tadel war sehr stark, eine notwendige Aussprache wirkte verletzend. Schnitzer. Einen Schnitzer machen: einen groben Fehler machen. Die Rda. ist seit Luther bezeugt; man leitet sie her von den Holzschnitzern und Holzbildhauern. Durch zu grobe Schnittführung konnte das Werk ,verschnitzt\ d.h. entstellt und verunstaltet werden. Vgl. ndl. ,een flater be- gaan‘ und frz.,faire une gaffe4. Ähnl. Bdtg. hat die aus dem Vorstellungskreis der Zimmerleute stammende Rda. ,über die Schnur hauen4 (/Schnur). Ein grober Schnitzer ist in der Schülersprache auch ein Verstoß gegen die Regel, ein Fehler, der bei etw. Überlegung zu vermeiden gewesen wäre. schnuppe. Das ist mir schnuppe ist hergeleitet von dem Fern. ,Schnuppe4 (= verkohltes Ende eines Dochtes) und bedeutet: das ist mir gleichgültig, bedeutet mir nichts, ist mir soviel wert wie eine Schnuppe. Dabei wird schnuppe als prädikatives Adj. gebraucht. Seit etwa 1850 ist die Rda. für Berlin belegt. ,Mir is aliens schnuppe4 vermerkt Hans Meyer 1878 im Richtigen Berliner4. Die Rda. ist heute in der allg. Umgangssprache mit regional unterschiedlicher Dichte vertreten. Schnuppe ist gleichbedeutend mit den ebenfalls in Berlin zuerst gebräuchlichen Ausdrücken ,pipe\ ,schnurz4, ,pomade4, ,Wurst4, Jacke wie Hose4. Sogar eine Steigerung von schnuppe ist möglich: „... aber seitdem wir uns überzeugten, daß ein Re- zenseur sich die Beine über ein Bild ausreißt, welches der andere so herunterputzt, daß man sich fragt, warum der Künstler noch nicht von Rechtswegen todtgeschla- gen wurde, ist uns schnuppe, was sie schreiben, und was Adolf Rosenberg sich zusammenkritisiert ist mir persönlich am aller- schnuppesten, seitdem ich weiß, daß er seine Meinung wie Papierkragen wechselt44. (Stinde, Familie Buchholz, 2. Teil, 1887, S.47) Schnur. Uber die Schnur hauen: übertreiben, zu weit gehen, über den angemessenen Rahmen hinausgehen, das rechte Maß überschreiten. Die Rda. bezieht sich urspr. auf die Schnur, die ein Zimmermann spannt, um einen Balken gerade zu behauen. Um die Schnur nicht zu beschädigen, wird sie zumeist mit roter oder weißer ,Über die Schnur hauen‘ 879
Schnur Kreide eingefärbt und senkrecht auf das zu bearbeitende Holz abgeschnellt, wodurch eine gerade Linie entsteht. Schlägt der Zimmermann über die Schnur hinaus, so verdirbt er möglicherweise den ganzen Balken, und doch muß er stets unmittelbar an der Schnur entlanghauen. So kennzeichnet die Rda. treffend, wie ein selbst geringfügiges Hinausgehen über das zulässige Maß großen Schaden bewirken kann (daher auch ,sich verhauen4, sich vertun). Wolfram von Eschenbach vergleicht (,Willehalm4 394, 13-19) die Art, wie König Marlanz ins Heer der Feinde eindringen will, mit dem Hauen des Zimmermanns: der zimmermann muoz warten wie er mit der barten (Beil) näch der ackes müeze sniden: daz wolt ouch er niht vermîden. Sein Gegner verhält sich gerade umgekehrt: Poydwîz al anders fuor: er künde wênic nâch der snuor houwen näch ir marke. In einem Fastnachtsspiel des 15. Jh. werden bestimmte verwerfliche Praktiken in unsere Rda. gekleidet: der official ist kumen her und wil verhorn man und frauen, ob iemant über di schnür het gehauen mit spil, mit Wucher, mit feir zusprechen und was das gaistlich recht schol rechen. (Fastnachtsspiele des 15. Jh., ed. Keller, 769, 6) Seb. Franck rät in seiner Sammlung: „Stateram ne transgredieris44 (1541): „Ubermache nit, haw nit über die schnür44. M. Luther gebraucht gern „über die Schnur fahren“: „wie mag ich mich gewis versehen, das alle meine werck gott gefellig sind, so ich doch zu weilen falle, zu viel rede, esse, trincke, schlaffe, oder je sonst über die schnür fare, das mir nicht müglich ist zu meiden?“ (Luther I, 230 a) Oft wird noch erläutert, ob mehr oder weniger weit über das rechte Maß hinausgegangen wurde, so z.B. bei Hans Sachs (,Gedichte4 Bd.I, 1558, 542c): Grob hab ich ubert schnür gehawt, Derhalb man mir auch nit mehr trawt, und in der ,Zimmerischen Chronik4 (Bd.II, S. 113, Z. 23-29): „Dobeflißesichmenigc- lich, das dem doctor der durst würde ge- lescht, und wiewol er ungern sich im trunk einließe, dann es war nur eitel weishait und Vernunft umb in, iedoch ließe er [durch] die guete wörtlin sich dohin bringen, das er weiter, dann sein brauch, über die schnür heube und nit ußerm haus kommen kont, sondern sich uf den nechsten bank legte schlaffen“. Daß das Bild vom Zimmermann mit seiner Schnur von Predigern des späten MA. gern verwendet wurde, verwundert nicht, ließ es sich doch unschwer allegorisch ausdeuten: „was das bleyscheid und rechte kirchen- schnur unnd masz belanget, sollet jr wissen, das der propheten und apostel lere, unser richtschnur unnd bleywoge und rötelstein ist, darnach wir alle andere abrisz oder muster in der kirchen abmessen sollen, auff das wir bawleut nicht über dise schnür hawen, oder den kirchenbaw nicht ungerad auffü- ren,... denn der propheten und aposteln schnür und rötelstein, rötet und weiset uns auffs blut unnd wunden Jesu Christi, disz ist das einige löszgelt und bezalung für unsere sünde44 (Joh. Mathesius, Sarepta..., 1571, 98b). Von der Aufschneiderei ist die Rede in der »Continuatio4 des abentheuerlichen Simplicissimi (14. Kap.): wann ich aber verständige Leut vor mir hatte/so hiebe ich bey weitem nit so weit über die Schnur“. Von der Schlemmerei dagegen in den ,Nuptialia' des H. Creidius (Bd.II, 214): „allein wie die masz zu allen dingen gut ist, so soll man auch sehen, dasz man hie (beim Hochzeitsmahl) nicht über die schnür haue, und etwa das hertz beschwere mit fressen und saufen44. Entweder in bewußt umgedeuteter oder aber mißverstandener Form findet sich die Rda. bei Abraham a Sancta Clara: „Die Kutscher oder Fuhrleut seind sonst solche Leut, welche nicht allein mit der Geißel umgehen, sondern gar oft auch über die Schnur hauen“. Nach der Schnur leben: unter Einhaltung des rechten Maßes, der gesellschaftlichen und sittlichen Normen leben. Von der Schnur zehren: vom Grundstock seines Vermögens - und nicht nur von den laufenden Einkünften-zehren. Diese Rda. 880
Schnurre, schnurren begegnet uns bereits am Ende des 13. Jh. in den Marienlegenden aus dem ,Alten Passional4 (hg. v. H.-G. Richert, ATB 64, 1965, XX, 32): also lange er umme fuor, und vertet (Var.: verzert, verzerte) von der snuor, unz (bis) er wart metalle bloz. Die Rda. bezieht sich auf die frühere Gewohnheit, als Rücklage für Notzeiten Geldstücke auf eine Schnur aufzureihen. Zu diesem Zwecke durchbohrte man die Münzen oder versah sie mit einer Öse. Wer von seiner Schnur zehrte, verringerte sein Vermögen, geriet in Armut. In diesem Sinne sagt man obersachs. und erzgeb. von einem armen Mann: ,Dar muß vun der Schnur zehrn4. Zuweilen ist die Rda. gleichbedeutend mit der Rda. ,von der Hand in den Mund leben4: „wo will aber ein faullentzer diese 3 pfennig nehmen, der nichts begehrt zu erwerben, sondern immer auff der bärnhaut liegt und aus der schnür zehret?44 (Creidius: ,Nuptialia4 II, 1652, 277). Entspr. gebraucht man heute noch im Siegerland: ,van de Schnur lewe4. Bei der Rda. Es geht wie am Schnürchen: es geht reibungslos, flott vonstatten, kann man an den Rosenkranz denken, an dem Katholiken ihre Gebete abzählen und dessen Perlen wie von selber durch die Hand gleiten. Deshalb sagt man in der Kölner Mda.: ,Dat muß immer förangohn wie de Schnur am Rusekranz4. Nicht weniger wahrscheinl. ist jedoch die Deutung, daß sich diese Rda. auf die Schnüre des Puppentheaters bezieht, an denen der Spieler seine Puppen nach seinem Willen bewegt. Man denke an den heute noch gebräuchl. Schnürboden im Theater; vgl. Drahtzieher4. Die auffällige Verwendung der Diminutivform erklärt sich vielleicht aus einer älteren Wndg. ,Es geht wie an Schnüren4. Auf die Schnüre des Puppentheaters nimmt Murner Bezug, wenn er in seiner ,Narrenbeschwörung4 schreibt: Er hat ir stimmen an der schnier, Ein jeder sunst syn ampt verlier. (ed. M. Spanier, Ndr. dt. Lit.-Werke 119-124, 1894) Dagegen ist bei den folgenden Worten Kants (Sämtl. Werke, ed. G. Hartenstein, 1838 ff., Bd. X, 193) an den Rosenkranz zu denken: „der gemeine Mann hat das Mannigfaltige, was ihm aufgetragen wird, gemeiniglich besser auf der Schnur, es nach einer Reihe • zu verrichten und sich darauf zu besinnen“. Etw. geht aus den Schnüren: fällt auseinander, löst sich auf, bricht zusammen. Die Rda. hat die gleiche Bdtg. wie die Rdaa. ,aus den Fugen gehen4 und ,aus dem Leim gehen4, ist aber wahrscheinl. älter als diese. Sie steht in enger Verbindung zum Zimmermannshandwerk. Vor allem beim Gerüstbau werden z.T. noch heute Schnüre bzw. Stricke verwendet, um Balken und Stangen zu einer tragfähigen Konstruktion zu verbinden. Lösen sich diese Schnüre, so löst sich auch die Konstruktion auf und stürzt in sich zusammen. Einen schnüren oder in die Schnur nehmen: ihm Geld abnehmen, ihn in die Enge treiben, übervorteilen. Die Rdaa. leiten sich her von dem Handwerksbrauch der Maurer und Zimmerleute, denjenigen, der den Bau zum Zwecke der Besichtigung betritt, mit der Meßschnur einzufangen und ihm ein Lösegeld bzw. Trinkgeld abzuverlangen. Obersächs.-erzgeb. ,Wenn sa mich a wing geschnirt hotten, do hött ich ver Fraad wos zun Besten gaam4. Das geht über die Hutschnur /Hutschnur. Lit.: E. Weiß:Die Entdeckung des Volks der Zimmerleute (Jena 1923); L. Röhrichw. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alem. Jb. (Bühl/Baden 1973). Schnurre, schnurren. Einen über die Schnurre (Schnauze) hauen: ihn schlagen und damit zum Schweigen bringen, ihn für sein loses Mundwerk bestrafen. Mdal., bes. im Obd., ist die Schnurre (Schnorre) die Bez. für Maul oder Schnauze und ein verächtlicher Ausdr. für Mund. Auch im Rotw. ist das Wort bekannt, der ,Schnurrenputzer4 ist in der Gaunersprache eine übliche Umschreibung für den Barbier. Einen wieder in die Schnurre bringen: ihm einhelfen, ihm zu einem neuen Redefluß verhelfen. Die Wndg. wird dann gebraucht, wenn einer den ,roten Faden verloren hat4, wenn er bei einem Vortrag steckenbleibt. Vgl. frz. ,apporter un bout de chandelle pour trouver ce qu’il veut dire4v Auf die Schnurre gehen: mit Musik (mit der 881
Schnurrpfeifereien Schnurrpfeife) betteln gehen, umherziehen und andere für seinen Unterhalt sorgen lassen, seine schlechte Musik zum Vorwand nehmen, um Gehöfte zu betreten und um Gaben zu bitten. Bei jem. etw. schnurren (schnorren), auch jem. anschnorren: mit Erfolg um etw. an- halten, ihm etw. abbetteln, ablisten. Die Wndg. wird heute auch von Kindern gesagt, die es durch Schmeicheleien verstehen, ihre Wünsche erfüllt zu bekommen. Das Verb schnurren geht zurück auf das mhd. ,schnurren1 = rauschen, mit Musik betteln, neben dem sich seit dem 18. Jh. auch die Form ,schnorren4 durchsetzte, das aus der Gaunersprache stammt. Es sind Schnurren: es sind possenhafte Einfälle, Scherzlügen oder komische Anekdoten, aber auch: es sind Häscher der Universitätspolizei. Diese Mehrdeutigkeit der Rda. beruht auf einer stud. Sonderbez. Die Schnurre war früher der Name für die Knarre des Nachtwächters. Die Studenten des 18. Jh. nannten nach diesen Instrumenten die Häscher ebenfalls Schnurren, wie Kindleben 1781 für Halle, Göttingen, Jena und Tübingen in seinem ,Studentenlexikon4 (175) bezeugt (vgl. Zs. f. dt. Wortf., 12, 289). Andererseits hieß der Possenreißer, der lustige Erzählungen, Schnurren, zum besten gab, bereits in ahd. Zeit ,snur- ring4 und im Mhd. ,snurraere\ so daß sich die Hauptbdtg. von Schnurre sprachl. sehr weit zurückverfolgen läßt. Schnurrpfeifereien. Das sind (doch nur) Schnurrpfeifereien: das sind launige Späße, das sind lustige Einfälle und Erfindungen, auch abwertend gemeint: das sind geschmacklose, unnütze Gegenstände und Verzierungen, das ist lumpiger Flitterkram, eine minderwertige Leistung. Urspr. bez. man mit Schnurrpfeifereien das schlechte Spiel der Musikanten. Mit der Schnurrpfeife war der Dudelsack gemeint. Seine mit einer Pfeife hervorgebrachte Melodie wurde durch einen Brummbaß begleitet, der schnurrende, schnarrende Töne erzeugte. Diese Schnurrpfeiferei galt als wenig hervorragende Musikleistung. Unserer heute vorherrschenden Bdtg. als lustiges Zeug, scherzhafte Erzählung liegt eine Vermischung des Ausdr. mit,Schnurre4 = lustige Geschichte zugrunde, an die man mehr als an den Brummbaß der Pfeifer denkt, die seit dem MA. für die Tanz- und Festmusik mit ihren Flöten, Schalmeien und Dudelsäcken sorgten. schofel. Etw. ist schofel: es ist gemein, von niedriger Gesinnung, jem. ist nicht freigebig, eine Sache ist wertlos. Das Wort schofel stammt von hebr. ,säfäl4 = lumpig, wertlos, gemein ab. Es spielte im Rotw. eine Rolle und gelangte über die Studentensprache zur Verbreitung. Bei G. K. Pfeffel und Gottfr. Keller ist es lit. bezeugt. Das Subst. ,Schofel4 = Ausschußware wurde seit 1782 auch auf minderwertiges Schrifttum übertr. und durch A. v. Kotzebues ,Kleinstädter4 (4, 2) von 1803 bekannt, wo es heißt: „Waren Sie rasend, als mein Oheim seine Lesebibliothek auskramte, zu sagen, es sei lauter Schofel?44 Lit.: F. Kluge: Etym. Wb. (Berlin 191963), S 674; S.A. Wolf: Wb. des Rotw., S.296 schön, Schönes. Etw. ist zu schön, um wahr zu sein: es ist eine herrliche Sache (Aussicht), die jedoch leider kaum verwirklicht werden kann; die anfängliche Begeisterung wird vom Zweifel am Erfolg gedämpft. Die Wndg. ist durch den Schlagerrefrain: Das gibt’s nur einmal, Das kommt nicht wieder, Das ist zu schön, um wahr zu sein allgemein bekannt geworden. Einem schöntun: ihm schmeicheln, ähnl. jem. schöne Worte (Augen) machen: ihn übertrieben loben, ihm nach dem Munde reden (kokettieren). Vgl. ndl. ,mooi weer speien4, freundlich wie schönes Wetter an einem Sonnentag, untertänig, dienstbeflissen sein. Schön heraus sein: glücklich zu preisen sein, eigentl. froh sein, nicht beteiligt, betroffen zu sein, nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Das Adj. schön wird gern zur iron. Umschreibung des Gegenteils benutzt, z.B. in den Feststellungen Schön ist das! Das ist ja eine schöne Bescherung (Leistung), ein schöner Reinfall! Das sind ja schöne Aussichten (Geschichten). Auch in der Verbindung mit einem bestimmten Verb erhält ,schön4 negative 882
Schönste Bdtg.: bei jem. schön ankommen: von ihm schlecht aufgenommen werden, abblitzen, Unwillen erregen; jem. wird schön gucken: er wird (unangenehm) überrascht werden; etw. schön bleiben lassen: sein Vorhaben auf jeden Fall aufgeben müssen. Das Subst. und der Komparativ werden in der gleichen Weise benutzt: etw. Schönes an gerichtet (angestellt) haben; sich etw. Schönes geleistet (eingebrockt) haben; daraus wird etw. Schönes entstehen: es wird kein gutes Ende nehmen, aber auch: Das wäre ja noch schöner!: das kommt überhaupt nicht in Frage, ein sehr häufiger Ausdr. der Ablehnung, und: Das wird ja immer schöner: es wird immer schlimmer, unglaublicher. Die Schönheit einer Frau wird in den rdal. Vergleichen gern übertrieben und gesteigert: Sie ist schön wie der (junge) Tag, vgl. frz. ,Elle est belle comme le (beau) jour4; Sie ist schön wie ein Engel, aber auch: wie die Sünde, d.h. also bes. verführerisch; mdal. ,S' is (woar) su schine, der Moaler het’s nich schinner moalen kinnen‘ (schles.); ,Sie ist schön wie Anke von Tha- rau‘ (ostpreuß.). Scherzhaft sagt man in Schwaben zu einem Mädchen, das oft vor dem Spiegel steht, um es zu necken und zu verspotten: ,Du bist schön, du schielst und blockst d’ Zähn\ Oft enthalten die Feststellungen über die Schönheit eines Mädchens oder einer Frau iron. Zusätze, die sie einschränken oder ganz in Frage stellen: Sie ist so schön wie ein Engel und dumm wie eine Gans; sie ist schön, man darf sie aber nicht bei Tage (nur bei Kerzenlicht) sehen. Manchmal enthalten die Rdaa. auch einen gewissen Trost, der die mangelnde Schönheit vergessen läßt: Ist sie gleich nicht schön, hat sie doch Geld im Kasten; sie ist nicht so schön zum Verlieben und nicht so häßlich zum Erschrecken. Schönhausen. Von Schönhausen sein: sehr schön oder, iron, gemeint, bes. häßlich sein. Schönhausen gehört wie /Schwarzburg zu den erfundenen Ortsnamen in der scherzhaften Voraussetzung, daß alle Leute, die von dort kommen oder stammen, entspr. Eigenschaften besitzen müssen. Sie ist einmal in Schönhausen gewesen, aber es ist schon lange her: sie war vielleicht früher eine Schönheit, doch jetzt ist nichts mehr davon zu erkennen. Vgl. ndl. ,Zij is van Schoonhoven af (vorbij) gevaren, en te Seelijkendam aangekommen\ Schönheit. Die Schönheit ist ihm (ihr) nicht nachgelaufen: er (sie) ist überaus häßlich. Die Feststellung Ihre Schönheit ist über den Mittag hinaus (\g\. frz. ,Cette beauté est à son midi4) meint: es geht nun abwärts, die blühende Jugend ist bereits vorüber, sichtbare und unaufhaltsame Zeichen des zunehmenden Alters machen sich immer mehr bemerkbar. Ähnl. Ihre Schönheit hat abgeblüht (ist verwelkt): sie ist endgültig vorbei, unwiederbringlich verloren. Solche Vergleiche mit dem Werden und Vergehen einer Blume sind sehr beliebt, wie die folgenden Rdaa. erweisen, die positive Bdtg. besitzen: zur vollen Schönheit erblüht sein; ihre Schönheit hat sich voll entfaltet (steht in schönster Blüte). Einen (kleinen) Schönheitsfehler besitzen: einen geringfügigen Mangel aufweisen. Die Wndg. kann auf Personen, Sachen und in übertr. Bdtg. auch auf den geistigen Bereich bezogen werden, z.B. kann eine Arbeit, ein Vorschlag einen solchen Fehler besitzen. Ein Schönheitspflaster attflegen: durch den Kontrast eines kleinen Mangels die sonst makellose Schönheit noch mehr hervorheben. Die Wndg. bezieht sich auf eine vergangene Modeströmung des 17./ 18. Jh.: die Damen klebten sich einen künstlichen, dunklen Fleck aus schwarzem Taft auf die Wange, um die Schönheit der Haut und die Zartheit des Teints damit zu unterstreichen. Vermutlich geht dies auf eine Sitte der schönen Orientalinnen zurück, die bekannt und nachgeahmt wurde. Dies geschah zuerst in Frankr., wo diese Pflästerchen ,mouche4 (= Fliege) genannt wurden. Schönste. Er ist der Schönste vom Dutzend und wird obenauf gebunden heißt es spöttisch, wenn sich einer mehr dünkt als die anderen und wie ein Musterstück bevorzugt behandelt werden möchte. Die Rda. erinnert an den Kaufmannsbrauch, ein bes. schönes Stück ihrer Ware auf der Verpak- kung außen anzubinden, /Ausbund und /Dutzend. 883
SCHOOF Sie ist die Schönste, wenn sie allein ist: sie ist so häßlich, daß sie hinter allen anderen zurückstehen muß, nur wenn sie allein ist, fällt dies nicht auf. Die Ironie erfährt ihre Steigerung durch den Gebrauch des Superlatives und den vernichtenden Zusatz. Schoof. Om Schoof lije: auf dem Sterbebette aufgebahrt sein. Die Rda. ist im Rheinl. verbreitet und erinnert an die frühere Art der Aufbahrung: vom Sterbebett aus wurde die Leiche direkt auf Stroh oder auf ein Brett gelegt, das mit einer Schicht Stroh bedeckt worden war. Schoof ist die mdal. Bez. für den Strohbund, die auf mhd. ,schoup‘ = Stroh, das zusammengeschoben wurde, zurückgeht. ,Et laid op et Schoof*, die Sterbeglocke läutet; oder ,Et laid Schoof, es läutet für den Verstorbenen, der aufgebahrt worden ist, heißt es im Rheinl., im Hunsrück sagt man ganz ähnl. mit einer lautlichen Veränderung ,Et laid Schaop‘, /zeitlich. Lit.: R. Beitl: Wb.d. dt. Vkde. (Stuttgart 21955), S. 758; A. Wrede: Rhein. Vkde. (Leipzig ^1922). Schopf /Zopf. Schornstein. Etwas in den Schornstein schreiben: es verloren geben, eine unsichere Forderung der Vergessenheit anheimgeben. In Meckl. sagt man mit einem Zusatz: ,Wi will ’nt in Schornstein schrieben, damit ’t dei Haüner nich utkratzen4. Vgl. ndl. ,Schrijf het in den schoorsteen, dan zal de haan het niet uit krabben‘. Weil die Schrift im Schornstein durch Rauch und Ruß unleserlich wird und damit die Erinnerung an ein Guthaben verlorengeht, gilt sie als genauso zwecklos wie die Kreideschrift an weißer Wand. Im östl. Ndd. bestehen beide Vorstellungen in Rdaa. nebeneinander: ,Dat schriew möt Kahle ön e Schornsten4 und ,Dat schriew möt Kried an de Wand1. Vgl. lat. ,alba Iinea signare4, wobei zu ergänzen ist: auf weißer Unterlage. In Westf. heißt die trichterförmige Einfassung des Schornsteins über dem Herde ,Bansen4, daher sagt man dort: ,Du kanns dat man innen Bansem schriewen4. Die gleiche Vorstellung von einer Aufzeichnung, die sofort wieder vergeht, beinhalten die Rdaa. ,etw. in den Sand schreiben4 und ,in aqua scribere4, die schon Catull (70,3) verwendet. Im Bad. hat die Wndg. ,Das muß man in den Schornstein schreiben4 noch eine weitere Bdtg. Man gebraucht sie, wenn etw. sehr Seltenes geschieht, i. S. v. ,etw. im Kalender ankreuzen4. Der Schornstein raucht (wieder): das Geschäft geht wieder gut. Woher nur sein Schornstein raucht? fragt man sich, wenn man sich über die Mittel zum Bestehen eines anderen wundert, dessen Untätigkeit und geringes Einkommen bekannt sind. Wovon soll der Schornstein rauchen? gibt der zur Antwort, der auf seinen Fleiß, seine lange Arbeitszeit oder seine hohen Preise hin angesprochen wird. Vgl. ndl. ,Daar moet de schoorsteen van rooken4. Er sieht, wo der Schornstein raucht: er sucht sich auf Kosten anderer zu ernähren. Verneinend heißt es bereits 1770 im ,Bremisch-nieder- sächs. Wb.4: ,Daarvan will de Schornsteen nig roken4, das bringt nichts ein. Er hat alles durch den Schornstein gejagt (geblasen): er hat sein Vermögen verlebt, verpraßt. Scherzhaft sagt man von einem Mann, der stets mit der Tabakspfeife im Munde herumgeht: Eristein wandelnder Schornstein. Vgl. auch ndl. ,Het is een wandelnde schoorsteen4. /Esse, /Kamin. Schoß. Etw. in seinem Schoß tragen: etw. ganz bes. lieben und pflegen, es behutsam behandeln und schützen. Die Rda. bezieht sich urspr. auf die Zärtlichkeit der Mütter zu ihren Kindern. Immer näher als andere im Schoße sitzen wollen: für sich eine Bevorzugung begehren, andere in der Gunst verdrängen wollen, auch: alles als erster zu erfahren suchen. So sicher wie in Abrahams Schoß sein: ohne Angst und Gefahr sein; häufiger sagt man dafür: in Abrahams Schoß sitzen: me in der Seligkeit, wie im Paradies leben. Diese Wndg. beruht auf Luk. 16,22, wo es heißt: „Es begab sich aber, daß der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß“, /Abraham. Schiller gebrauchte diesen Ausdr. lit. in der ,Kapuzinerpredigt4 (,Wallensteins Lager4 V. 550): „Wie machen wir’s, daß wir kommen in Abrahams Schoß?“ In den Schoß der Familie zurückkehren: als 884
Schranke Teil der Familie in ihrem Kreis wieder Sicherheit und Geborgenheit finden; nach langer Abwesenheit, nach Irrwegen und Enttäuschung Zuflucht suchen. Im Schoß der Erde ruhen: im Innern der Erde verborgen, begraben sein. Das ruht noch im Schoß der Götter (der Zeit, der Zukunft): es ist sehr ungewiß, es läßt sich nicht Voraussagen. Diese Rda. ist eigentl. ein Zitat aus Homers ,Ilias4 (XVII, 514): „Oecöv év youvaoi xelxai“ = das liegt (ruht) noch im Schoße der Götter. Gebräuchlicher dafür ist aber die Kurzform ,Das wissen die Götter4, /wissen. Etw. ist einem in den Schoß gefallen: es ist einem sehr leicht gemacht worden. Eine Steigerung erfährt die Wndg. durch den Zusatz ,als reife Frucht4 oder ,wie eine reife Frucht4: jem. unerwartet, wie ein Geschenk zufallen. Vgl. ndl. ,Het wordt hem zoo maar in den schoot geworpen4. Es ist einem nicht in den Schoß gefallen: es hat großer Anstrengung und Mühe bedurft; der Erfolg ist nicht leicht zu erringen gewesen und deshalb wirklich verdient. Die Elände in den Schoß legen: nichts tun, abwarten und zusehen, /Hand. Schote. Einem in die Schoten gehen: ihn bestehlen, betrügen, ihm ins Gehege kommen. Diese Rda. ist zweideutig, da z.B. in Sachsen die Frau verächtlich als Schote bez. wird. Die Rda. wäre demnach eine Umschreibung für den Ehebruch. In einem Hochzeitscarmen Henricis (1738) auf einen Auswärtigen, der eine Leipzigerin freit, heißt es: Wer sich von diesem unterfinge Und seinen Nachbarn ohne Scheu Nur halbweg in die Schoten ginge, Dem schlug man Arm und Bein entzwei. Ein Vergleich mit dem Sprw. ,Schoten am Wege und ein Weib am Fenster sind schwer zu hüten4 läßt den Zusammenhang deutlicher werden und gibt eine Erklärung für die sächs. Bez. der Frau. Im Lied ist die Rede von den „Kirschen in Nachbars Garten“, die von einem anderen begehrt werden. Dagegen heißt Es wird ihm niemand in die Schoten kommendem Besitz, sein Weib ist nicht begehrenswert, er braucht keinen Betrug zu fürchten. Als Drohrede ist der mdal. Ausruf aufzu¬ fassen: ,A werd mer schund wider in meine Schüten kummen4, ich werde ihn schon einmal ertappen! Vgl. frz. ,Laissez le faire, il viendra moudre à notre moulin4. Das is e alter Schote!: er ist schon lange ein Narr; die Feststellung Es ist ein wahrer Schotenstoffel kennzeichnet einen Einfaltspinsel, vielleicht aber auch einen Mann, der sich von seiner Frau beherrschen läßt. Schrägen. Den Schrägen zum Markt richten: eine Sache gut vorbereiten, um seinen Vorteil wahrnehmen zu können, sich die Gelegenheit zunutze machen, sich anpassen. Vgl. die ähnl. Rdaa. ,den Mantel nach dem Winde hängen4 und ,mit dem Strome schwimmen4. Schrägen ist die bes. in Oberdtl. bekannte Bez. für ein Gestell oder einen Tisch mit kreuzweise stehenden Holzfüßen, auf dem der Krämer auf dem Markt seine Ware auslegt, um Käufer anzulocken. Vgl. lat. ,Scit uti foro4 (Terenz). Er weiß seinen Schrägen gegen den Markt zu stellen: er kennt die richtigen Mittel zum Erfolg, er weiß, wie man in der Welt vorankommt. Schrägen gehört zur germ. Wurzel ,skrag4 = schräg sein. Die Bdtg. von mhd. und mnd. ,schräge4 = schräges Brett für die Aufbahrung des Verstorbenen hat sich bis heute in Rdaa. erhalten. Er wird bald auf dem Schrägen liegen: er wird bald sterben, auf der Bahre sein. Im obd. Gebiet sind ähnl. mdal. Wndgn. verbreitet, z.B. ,auf ’n Schragn kumma4, eine Umschreibung für sterben, /zeitlich. Schranke. Gegen jem. in die Schranken treten: ihm öffentl. gegenübertreten, ihn mit der Waffe, auch mit Wort oder Schrift angreifen. Einen in die Schranken fordern: ihn zum Kampf herausfordern, Rechenschaft von ihm verlangen. Für jem. in die Schranken treten hieß urspr. : stellvertretend den Kampf mit dem Gegner aufnehmen, um das Recht des Schwächeren (Frauen, Kinder, Greise) zu verteidigen (z. B. trat Lohengrin in den Zweikampf für das Recht der Elsa von Brabant ein), heute bedeutet es ganz allg.: sich für jem. einset- zen. Vgl. auch ndl. ,in het krijt treden voor iemand4 und frz. ,entrer dans le balustre4. 885
Schraube Diese Rdaa. gehen auf das Turnierwesen des MA. zurück, wo sich die Kämpfenden innerhalb der Turnierschranken gegenübertraten. Belegt ist die übertr. Anwendung aber erst in neuerer Sprache, so bei Schiller im ,Don Carlos4 (I.Akt, 9.Sz.), wo es heißt: „Arm in Arm mit dir, so fordr’ ich mein Jahrhundert in die Schranken“. Die Rdaa. von den Schranken an: ganz von vorn beginnend, und von den Schranken zum Ziel: vom Anfang bis zur Vollendung, bis zum Erfolg, stehen mit den Schranken an der Rennbahn in Zusammenhang, die einen Verschlag bilden, an dem der Wettlauf beginnt. Die Schranken überschreiten: weiter gehen, als recht und billig ist! Diese Rda. weist auf die altertümliche Gerichtshegung. Da die Gerichtsversammlungen urspr. unter freiem Himmel stattfanden, mußten Richter und Gerichtsplatz gegen den Andrang der Menge abgetrennt und gesichert werden. Dies geschah zuerst durch Haselstäbe, die im Kreis in den Boden gesteckt und mit Schnüren verbunden wurden (nach J. Grimm,,Rechtsaltertümer4, S.809), später wurde der Dingplatz von festen Holzschranken umgeben. Wer sie überschritt, wurde bestraft. In den ,Salfelder Statuten4 (Walch 1,42) wurde dazu bestimmt: „wer da ouch trete in daz gestuele vor deme ge- heiten dinge ane loube des richters, der gibet zwene Schillinge44; anderwärts galt sogar: „wer ins gericht freventlich tritt, greift, fällt, hat fuß, hand oder hals verbrochen44 (vgl. J. Grimm,,Rechtsaltertümer4, S. 854). Die Wndg. jem. in die Schranken zurückweisen: ihn auf das rechte Maß von Anstand, Geschmack, Moral, Sitte oder Takt hinweisen, und sich mühsam in den Schranken halten: sich gerade noch beherrschen können, stehen ebenfalls noch mit dem Gerichtswesen in Zusammenhang. Da dieser weitgehend vergessen wurde, mußte die neuere Rda. jem. vor die Schranken des Gerichts zitieren (fordern, ziehen) zur näheren Bestimmung den Zusatz ,des Gerichts4 erhalten. Die modernen Wndgn. Das übersteigt alle Schranken!: das läßt jedes herkömmliche Maß vermissen, Schranken zwischen jem. errichten: Hindernisse, Grenzen aufbauen, alle Schranken niederreißen: alles Hem¬ mende aus dem Wege räumen, und die Feststellung, daß einer Sache (keine) Schranken gesetzt sind, besitzen nur noch übertr. Bdtg. Bei ihrer Anwendung wird kaum noch an ihren Urspr. gedacht. Vgl. auch ndl. ,paal en perk aan iets stellen4, engl. ,to set bounds to4 und frz. ,mettre un frein, des bornes, le holà à quelque chose4. Schraube. Eine Schraube drehen: sich an- strengen und doch nicht zum Ziel gelangen können. Die Rda. wird gebraucht, wenn man auf eine Antwort dringt und doch weder Ja noch Nein erhalten kann; bereits Luther verwendete sie in seinen /Tischreden4 (102a). Die moderne Wndg. die Schraube überdrehen hat in der Sprache der Erotik die spezielle Bdtg.: seine Freundin überfordern (Borneman, Sex im Volksmund). Eine Schraube ohne Ende ist eine Sache, bei der ein Abschluß nicht abzusehen ist. Die erst in neuerer Zeit aufgekommene Wndg. bezieht sich auf die Technik und wird meist dann gebraucht, wenn es sich um ständig steigende Ausgaben oder Steuern handelt. So meinte auch Bismarck die Steuern, als er sagte: „Diese Schraube hat ja gar kein Ende“ (,Reden4 8,370). Einem die Schrauben ohne Ende ansetzen: ihn immer wieder quälen und neue Forderungen an ihn stellen; die Rda. hängt vermutlich mit der Folter durch /Daumenschrauben zusammen, durch die Geständnisse erpreßt wurden. Seine Worte auf Schraubeti stellen nennt man es, wenn sich einer so vorsichtig wie möglich ausdrückt, wenn er absichtlich zweideutig spricht, so daß man seine Rede verschieden auslegen kann. Er behandelt dann seine Sprache wie ein empfindliches physikalisches Instrument, dessen horizontale Lage durch Stellschrauben an seinen drei Füßen hergestellt wird. Ähnl. Bild schon in Geilers ,Postille4, wo es heißt: „Die rede vff ein dreispitz stellen“. Eine Sache steht auf Schrauben: sie ist unbestimmt, unentschieden und schwankend, verschiedene Lösungen bleiben offen. Vgl. ndl. ,Het Staat op losse schroeven4. Die Feststellung Bei dem ist eine Schraube locker!meint: es ist in seinem Kopfe nicht mehr alles in Ordnung, er ist nicht ganz zurechnungsfähig. Der Ausdr. ist auch mdal. 886
Schreiben verbreitet. In der Nordmarsch heißt es z. B. .Ham is en Skröw luas* und ostfries. ,’n Schrufe los hebben*. Es ist eine Schraube los: es ist etw. nicht recht in Ordnung. Vgl. ndl. ,Daar is eene schroef los*. Das Gehirn wird dabei mit einem Uhr- oder Maschinenwerk verglichen, wo jedes Schräubchen festsitzen muß, wenn es funktionieren soll. In der Pfalz gilt als Umschreibung für die Dummheit eines Menschen der Ausdr. ,Er hat eine Schraube im Kopf\ Einen Menschen, der sich merkwürdig oder verrückt benimmt, bez. man auch kurz als verdrehte Schraube, ein Ausdr., der bes. auf das weibl. Geschlecht angewendet wird. Häufig wird die Sprache durch eine Geste ersetzt, indem mit der rechten Hand eine drehende Bewegung vor der Stirn ausgeführt wird. schrauben, Schraubstock. Jem. schrauben: ihn durch Anzüglichkeiten in eine üble Lage bringen, ihn verlegen und lächerlich machen, ihn aufziehen. Die Rda kann mit der Folterung in Zusammenhang gestanden haben, hat jedoch heute einen harmloseren Sinn erhalten. Vgl. jedoch engl, vulgärsprachl. ,to screw* für Geschlechtsverkehr. Geschraubt tun (reden): sich geziert, unnatürlich, gezwungen verhalten, sich hochtrabend ausdrucken, sich verdreht benehmen. Jemand schrauben' Die meckl. Rda. ,jem. in’n Schrufstock nehmen1, meint: ihn in eine Zwangslage bringen, ihn zu einem Geständnis zwingen, ein Geheimnis von ihm erpressen. Vgl. die ahnl. Wndgn.: ,einen in die /Zange nehmen* und ,einem /Daumenschrauben an¬ setzen1. Von dem Offenherzigen, dem redseligen Schwätzer, der doch alles ausplaudern muß, heißt es: Man darf ihm keinen Schraubstock an le gen, er sagt, was er weiß. Vgl. frz. ,11 ne lui faut point donner la question pour savoir ses secrets4. schreiben. Mit einem eisernen Griffel schreiben: es unauslöschlich eingraben, es nicht in Vergessenheit geraten lassen. Die Rda. ist bibl. Herkunft. Hiob klagt über sein Elend und die Härte seiner Freunde (Hiob 19,23.24): „Ach daß meine Reden geschrieben würden, ach daß sie in ein Buch gestellt würden, mit einem eisernen Griffel auf Blei und zu ewigem Gedächtnis in einen Fels gehauen würden!'4 Dagegen meinen die Wndgn. etw. mit Kohle (schwarzer Kreide) in den Schornstein schreiben und mit Kreide an die (weiße) Wand schreiben, daß etw. rasch unleserlich wird, daß die Schrift wirkungslos ist, /Schornstein. Es steht nirgends geschrieben noch gedruckt: es ist keine zwingende Vorschrift, kein Gesetz, kein Gebot Gottes, es ist nicht selbstverständlich. Vgl. lat. ,Neque fictum, neque pictum, neque scriptum4. Zur Bestätigung der Wahrheit wird bes. in Predigten die Wndg. ,es steht geschrieben4 (in der Bibel) gebraucht. Die Frage „Wo stehet das geschrieben?*4, die Luther in seinem 4. und 5. Hauptstück des Katechismus stellt, erscheint humoristisch wieder in einem bekannten Liedtext: Wo steht denn das geschrieben? Man darf nur eine lieben. Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben: es ist unumstößlich. Die Wndg. wird auch in griech. und lat. Form zitiert: „ö yéypaya, yéypcupa“ und „Quod scripsi, scripsi44, wie es in der Bibel steht. Es ist ein Ausspruch des Pilatus (Joh. 19,22), als er sich weigerte, die Schrift über dem Kreuze Jesu zu verändern (Büchmann, S.85). Er kann schreiben, aber keine Federn schneiden: er ist mehr für die praktische Seite; er ist nicht mit der Planung, sondern mit der Durchführung eines Unternehmens beschäftigt. Er schreibt: er ist schriftstellerisch tätig. Vgl. Schweiz. ,Er cha schriba wien Land- 887
Schreien ama\ er kann sehr gut schreiben, formulieren. Eine kräftige Handschrift schreiben: tüchtige Ohrfeigen austeilen können. Sich etw. hinter die Ohren schreiben: es sich nun endlich merken, eine Lehre aus etw. ziehen. Rdal. Vergleiche werden gern gebraucht, um schlechte, unordentliche und unleserliche Schrift zu charakterisieren: Er schreibt mit der Krähe um die Wette, als wären die Hühner über das Papier gelaufen, auch : wie ein Doktor. Dagegen: Er schreibt wie gestochen, wie gedruckt: die Schrift ist so sauber und regelmäßig, als wäre sie für den Druck in eine Kupferplatte sorgfältig gestochen worden (L. Günther, Wörter und Namen, S.61). Die schles. Wndg. ,Er schreibt, daß ein Auge das andere nicht sieht\ meint: er arbeitet sehr emsig und angestrengt. Etw. ins unreine schreiben: einen Entwurf, ein Konzept anfertigen. Einem steht etw. auf der Stirn (im Blick, im Gesicht) geschrieben: man kann seine Gedanken, Absichten erkennen, er verrät sich selbst. Einem ist etw. wie auf den Leib geschrieben: es ist wie für ihn geschaffen. Die Wndg. meint in der Theatersprache vor allem eine Rolle, die sehr gut zu einem Schauspieler paßt, so als hätte sie der Autor extra für ihn geschrieben. schreien. Etw. schreit zum Himmel: es klagt laut an und fordert Gottes strafende Gerechtigkeit heraus, wenn die irdische versagt. Diese Rda. und die ähnl. Wndg. etw. ist himmelschreiend beruhen auf l.Mos. 4,10; 18,20; 2.Mos. 3,7.9; 22,22 und auf Jak. 5,4. Die alte Dogmatik leitete hiervon den Begriff der schreienden Sünden1, der ,peccata clamantia4, ab und zählte diese in den folgenden Versen auf: Clamitat ad caelum vox sanguinis et Sodomorum, Vox oppressorum, viduae, pretium famulorum. (= Es schreit zum Himmel die Stimme des Bluts und der Sodomer, die Stimme der Unterdrückten, der Witwe, der Arbeiter Lohn). Das Schreien um Gehör und Hilfe, das vor dem irdischen und dem himmlischen Richter üblich war, ist auch in den Psalmen und Kirchenliedern bezeugt. Luther dichtete z.B. 1524 in Anlehnung an den Ps. 130 das Lied ,Aus tiefer Not schrei ich zu dir4. Die Steine werden schreien /schweigen. Nach Rache (Strafe) schreien: Sühne verlangen, Vergeltung androhen. Etw. ist zum Schreien: zs ist so komisch, daß man darüber laut und herzlich lachen muß. Der letzte Schrei sein, auch: nach dem letzten Schrei gekleidet sein: die letzte Mode- neuheit besitzen, sich auffallend und nach den letzten Modeideen kleiden. Die Wndg. ist eine Lehnübers. aus frz. ,1e dernier cri4 und beruht wohl auf der ,schreienden4 Reklame. Der Ausdr. ist nach dem 1. Weltkrieg bei uns neu aufgelebt. Das sind schreiende Farben: es sind grelle Farben, die nicht zusammen harmonieren. Es ist mir zu schreiend: es ist zu auffallend, zu bunt und grell. ln einem schreienden Gegensatz stehen: ein auffallender Widerspruch sein. Viele rdal. Vergleiche dienen der genaueren Charakterisierung des Schreiens oder seiner Steigerung, wie die folgenden Beisp. beweisen: Schreien (brüllen) wie ein Zahnbrecher /Zahnbrecher. Schreien wie ein Hehmann:so laut schreien wie eine Sagengestalt, deren Namen sich auf ihren Ruf bezieht, mit dem sie einsame Wanderer schreckt. Vgl. die mdal. Wndg. aus dem Fichtelgebirge: ,Was schreist denn wöida Häimoan4. Die Rda. hat die Erinnerung an eine Sagengestalt bewahrt, obwohl bei ihrem Gebrauch wohl keine direkte Vorstellung von den entspr. Sagen mehr besteht. Schreien, als wenn ein Walfisch zum Himmelflöge: als ob etw. ganz Außerordentliches passiert sei. Gleichen Sinn hat die oberoesterr. Wndg.,schreien, als wenn im Land da Bod’n aus war4. Schreien wie ein Blinder, der seinen Stock verloren hat: sich wie jem. gebärden, der völlig hilflos ist. Vgl. frz. ,crier comme un aveugle qui a perdu son bâton4. Schreien, als ob man am Spieße stäke: schreien, als habe man den Tod zu befürchten. Diese Rda. wird bes. häufig angewandt und oft von Kindern gesagt, die ihren Jammer übertreiben. Auch mdal. Wndgn. sind 888
Schritt davon verbreitet, z.B. heißt es in Pommern: ,He schrijet, als wenn he up'n Speer steke\ und in Westf.: ,Hei schrigget, ässe wenn’n am Spiete stäke‘. Ähnl. Er schreit, als ob ihm das Messer an der Kehle stecke, als ob das Haus brenne. Er schreit wie ein Ketzer: vor lauter Qualen bei der Hinrichtung, vor allem bei dem üblichen Feuertod. Er schreit wie eine in Kindesnöten. Er schreit wie ein Besessener: so, als wäre ein böser Geist in ihn gefahren. Die Rda. ist bes. in Oesterr. verbreitet. Er schreit lauter als ein Stentor /Stentor. Bes. beliebt sind auch Tiervergleiche, z. B. Er schreit wie ein Bock, der zum Markte geführt wird, wie ein Midleresel, wie ein Bär, wie ein Hund vor dem Streich, ,wie 99 Marder4 (Leipzig); schwäb. ,Dear schreit wia a Dachma(r)der, wia a g’stochene Sau4. Ut.: L. Günther: Wörter und Namen, S.54; E.Rath: Der Hehmann, Herkunft und Bdtg. einer Waldviertler Sagengestalt (Wien 1953); Büchmann, S. 5. schreiten. Zu etw. schreiten: feierlich, im umständlichen Zeremoniell mit etw. beginnen, z.B. mit einer Abstimmung, einer Trauung, einer Preisverleihung, einer Testamentseröffnung. Die Wndg. ,Und das Unglück schreitet schnell4 ist ein Zitat aus Schillers ,Lied von der Glocke4, das früher zum geistigen Allgemeinbesitz gehörte und sehr viel zitiert wurde. Schritt. Er macht Schritte wie der Breslauer Tod: er macht ungeheuer große Schritte. Die Rda. bewahrt die Erinnerung an eine gräßliche Erscheinung vor Ausbruch der Pest, von der schles. Sagen berichten: um Mitternacht sei der Tod als ungeheuer großes Knochengerippe mit zwei Schritten über die Stadt Breslau hinweggeschritten. Er hat den großen Schritt getan: er ist gestorben, eine euphemist. Umschreibung, die auf der Vorstellung beruht, daß der Weg ins Jenseits sehr weit sei. Vgl. ndl. ,Hij heeft den grooten stap gedaan4. Es war nur ein Schritt zum Tode: die Gefahr, der Tod war sehr nahe, er kam plötzlich und völlig unerwartet. Die Rda. ist bibl. Herkunft. In seiner Furcht vor der ständigen Bedrohung seines Lebens durch Saul sagt David zu seinem Freund Jonathan, der nicht daran glauben will, daß sein Vater David nach dem Leben trachtet: „Es ist nur ein Schritt zwischen mir und dem Tode44 (l.Sam. 20,3). Vgl. auch ndl. ,Het was maar éene schrede van den dood4. Ähnl. Es ist oft nur ein Schritt: Leben und Tod, Glück und Unglück, Mitleid und Liebe, Erhabenheit und Lächerlichkeit liegen dicht nebeneinander. Napoleon 1. machte diese Feststellung auf seiner Flucht aus Rußland mehrmals und sagte im Dez. 1812 zu seinem Gesandten de Pradt in Warschau: „Du sublime au ridicule il n’y a qu'un pas44 (= Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt). Er gab damit einem oft ausgesprochenen Gedanken die bleibende Form (Büchmann, S. 628). Einen Schritt vom Wege tun: unmoralisch, ungesetzlich handeln, sich außerhalb der geltenden gesellschaftlichen Regeln stellen, ,vom Pfade der Tugend abirren4. ,Ein Schritt vom Wege4 war der Titel eines 1873 erschienenen Lustspiels von Emst Wiehert, auch Theodor Fontanes Roman ,Effi Briest4 wurde 1939 unter dieser neuen und vielversprechenden Bez. verfilmt (Büchmann, S.357). Den entscheidenden Schritt wagen: etw. unternehmen, was zwar Gefahren in sich birgt, aber für die bessere Gestaltung der Zukunft unerläßlich ist. Den ersten Schritt tun: den Anfang machen, nach unangenehmen Auseinandersetzungen sich überwinden und den anderen versöhnlich entgegenkommen. Noch einen Schritt weitergehen: mehr wagen, noch größere Verantwortung auf sich nehmen, eigentl. weiter gehen, als man darf, als es sich schickt, als man es von einem erwarten kann. Etw. einen (guten) Schritt weiterbringen: einen Teilerfolg erzielen, eine Angelegenheit fördern. Den zweiten Schritt vor dem ersten tun: nicht folgerichtig Vorgehen, eine Sache falsch beginnen, Zeit und Mühe am Anfang sparen wollen und dadurch jede Aussicht auf Erfolg verlieren. Schritt halten mit jem. (etw.): nicht hinter jem. zurückstehen, ihm in seiner Leistung ebenbürtig sein, in gleicher Weise vorankommen, im Tempo seiner Entwicklung 889
Schröpfen sich anderen angleichen, aber auch: den Fortschritt, die laufenden Veränderungen verfolgen und auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse sein. Einen aus dem Schritte bringen: ihn aus der Fassung bringen, eigentl. ihn stören, so daß er aus dem Gleichschritt mit anderen kommt. Jeden Schritt zählen: sich gemessen und würdevoll verhalten, sich ja nichts vergeben und etw. zuviel tun. Die Rda. erinnert an die alte Hofetikette, die dem Fürsten oder Würdenträger genau vorschrieb, wie viele Schritte er seinem Besuch zur Begrüßung entgegengehen durfte. Die Anzahl der Schritte war dabei genau nach dem Rang des Besuchers und des Empfangenden abgestuft. Große Schritte machen: das natürliche, durch das Gesetz bestimmte Maß überschreiten. Vgl. die ähnl. Wndg. Ausschreitungen begehen'. Einen guten (langen) Schritt am Leibe haben: sehr schnell gehen. Kurze Schritte machen: kleinlaut werden, vgl. ,kleine Brötchen backen4 und lat. ,gradum formicinum movere4. Sich jem. drei Schritt vom Leibe halten: jem. nicht zu nahe an sich herankommen lassen, nicht zu vertraut mit ihm werden wollen. Die Wndg. begegnet häufig als Aufforderung: Bleib mir drei Schritt vom Leibe!: Faß mich nicht an! Komm mir nur nicht zu nahe! Sich alle weiteren Schritte Vorbehalten: die nötigen Maßnahmen zur rechten Zeit treffen, es offenlassen, ob man etw. gesetzlich verfolgen lassen will, ob man jem. die Stellung kündigen muß. Andere Schritte unternehmen müssen: schärfere Maßnahmen treffen, die den gewünschten Erfolg bringen. Etw. Schritt für Schritt tun: ganz allmählich und vorsichtig, aber immer mehr und mehr vorankommen. Vgl. die Wndg. ,langsam, aber sicher4. Jem. auf Schritt und Tritt verfolgen: ihm überallhin nachgehen, ihn nicht aus den Augen lassen. Die endreimende, formelhafte Wndg. meint eigentl.: jem. auf seiner Spur folgen und immer einen Schritt tun, wenn der andere einen gemacht hat. Vgl. die ähnl. Rda. ,in jem. Fußstapfen treten4. schröpfen. Jem. gehörig (ordentlich) schröpfen: ihn übervorteilen, ihm viel Geld abnehmen, eigentl. ihn tüchtig bluten lassen. Die Rda. erinnert an das Aderlässen4, das bei vielen Krankheiten angewendet wurde und als Allheilmittel galt. Der Bader setzte dazu dem Patienten Schröpfköpfe an, die sich vollsaugten und auf diese Weise krankes und überflüssiges Blut beseitigen sollten. Dieser Bezug wird in der längeren Wndg. die Leute schröpfen wie der Bader die Weiberhautbes. deutlich. In der übertr. Bdtg.: den Leuten überflüssiges Geld abnehmen, hat sich die Rda. durch die Jahrhunderte bis heute erhalten. Sie schröpfen einander wie die Bauern im Kruge tun: sie schlagen sich in der Trunkenheit die Köpfe blutig. ,Einen Schröpfkopf setzen“ — ,schröpfen“ Jem. einen Schröpfkopf setzen: ihn ausnutzen, ihn zwingen, Geld herauszurücken. Eine moderne und scherzhafte Neubildung zum Katalog der Heiligen ist ,Sankt Schröpfius4, der als Schutzheiliger der Steuerbehörde gilt (KüpperII, S.261). Schrot. Von altem (echtem) Schrot und Korn sein: ein rechtschaffener, ehrlicher und zuverlässiger Mensch sein, der an den guten alten Gewohnheiten festhält, der >vom guten, alten Schlage4 ist, /'Schlag. 890
Schubsack Der rdal. Vergleich stammt aus dem Münzwesen. Schrot (zu .schroten4 = abschneiden) bezeichnete das zur Prägung von einem Metallbarren abgeschnittene Stück (Bruttogewicht), dann einfach das Gewicht der Münze, im Gegensatz zu ihrem Feingehalt, der Gewichtsmenge des in ihr enthaltenen edlen Metalls, dem Korn. Bei der Wertsetzung einer Münze (Valvierung) wird nur das in ihr enthaltene Edelmetall, das Korn, berücksichtigt, was zu Unzuträglichkeiten etwa bei Goldmünzen führte, die ja hauptsächlich mit Silber legiert gewesen sind. Der Feingehalt der Münzen wurde regional verschieden und immer wieder neu gesetzlich geregelt. In der Münzordnung von 1397 für Straßburg heißt es z.B.: ,,daz man sollte usser 15 V2 lot rines Silbers und eime halben lote Zusatzes 65 grossen (Groschen) schroten“. Die Rda., die auf einen früheren Idealzustand verweist, ist bezeichnend für die ständig zunehmende Verschlechterung des Geldes zu einer Zeit, als sich die Entwicklung der landesherrschaftlichen Gewalt, der Ordnung und Kontrolle noch in ihren Anfängen befand. Sie bedeutet also urspr. die unverfälschte Art der Münze, ehe diese durch die Kipper und Wipper entwertet wurde. Diese Fälscher ,kippten4 (beschnitten) den Rand der Münze und erweckten durch den geschickten Handgriff des Wippens beim Wiegen den Anschein, als wären die Münzen vollwertig. Nach dieser Zeit der Unsicherheit erhielten die Geldstücke dann die Aufschrift ,Nach dem alten Schrot und Korn‘ (Edw. Schröder), die die Echtheit verbürgte. Der Ausdr. Schrot erhielt im 17. Jh. bereits die übertr. Bdtg. von Art und Weise, daher bildete man auch den Stabreim ,Schrot und Schlag4. Im Westf. Frieden z.B. heißt es in diesem Sinne, daß „der Catholischen Stiff- ter halb alles auff den Schrot deß letzten Tridentinischen Concilii reducirt werde44. Grimmelshausen schreibt in seinem Simplicissimus4 (1,68): „Ich antwortete wieder auff meinen alten Schrot, ich wüste es nicht44. Die bis heute erhaltene Rda. ist in übertr. Bdtg. erst aus dem 18.Jh. bezeugt. Ein Mann von echtem Schrot und Korn ist demnach ein Mann, der nach seiner äuße¬ ren Erscheinung und seinem inneren Wesen ganz echt ist und ganz dem entspricht, was er sein soll, was seiner Art gemäß ist, was man von ihm erwartet. Im 2. Teil des .Faust4 (5. Akt) redet deshalb Mephistopheles auch die Teufel in dieser Weise an: Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne, Vom alten Teufelsschrot und -körne. Vgl. auch frz. ,un homme de bon aloi, un homme marqué au bon coin4. Lit.: L. Veit:T>as liebe Geld. Zwei Jahrtausende Geld- u. Münzgesch. (München 1969), S. 140. Schub. Einen auf den Schub bringen: ihn zwangsweise entfernen, mit gelinder Gewalt fortschieben, urspr. ein Fachausdr. für das polizeiliche ,Abschieben4 von Übeltätern, Bettlern und Landstreichern über die Grenze. Sie wurden ,per Schub4 an die Grenze gebracht. Schub bedeutete aber früher auch die Verweisung eines Rechtsfalles an ein anderes Gericht, was zur Verzögerung führte oder die Sache gar in Vergessenheit geraten ließ. Bismarck meinte das Nimmerwiedersehen damit, als er (,Reden4 6,315) feststellte: „Der Herr Vorredner hat zwei Bestimmungen ausdrücklich getadelt und sie damit auf den Schub ad calendas Graecas gebracht“. Schubsack. Das hat seine geweisten Schub- säcke:st\nt guten Gründe, seine besondere Bewandtnis, auch: seine zwei Seiten. Die im Obersächs. häufige Rda. meinte urspr.: es hat alles seine bestimmten Säcke (Taschen), in die es gehört, also seine bestimmte Ordnung. Schubsäcke nannte man tiefe Taschen von vielfacher Verwendung, es konnten z.B. Kleidertaschen, Zeitungsmappen oder Brotbeutel sein, ln Christian Reuters satir. Lustspiel,Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod4 heißt es 1696: „Er wird gewiß einen Schubesack voll neuer Zeitung (= Nachrichten) mitbringen44, an einer anderen Stelle dieses Stückes steht: „er greift in den Schubesack hinein, um Konzepte herauszuholen“. Noch Schiller verwendet den heute fast unbekannten Ausdr. in seinem ,Fiesko4 (III, 4): „Noch muß ich euch meinen Schubsack von Zeitungen stürzen“. Wahr- scheinl. trugen die Schubsäcke Bez., durch 891
Schuft, schuften die auf die spezielle Bestimmung hingewiesen (geweist) wurde. Als die Schubsäcke außer Gebrauch kamen, erhielt sich nur die Rda. in ihrer übertr. Bdtg., daß alles seinen bestimmten Zweck besitze. ,Geweist! ist das Partizip zu ,weisen4 = anweisen, bestimmen, das früher schwach gebeugt wurde, heute aber fast überall durch ,gewiesen4 verdrängt worden ist. In unserem ,weisen4 sind die Formen des schwach flektierenden ,weisen4 und des starken »wizen4 = strafen zusammengeflossen, was sich bei dem Wort »verweisen4 noch deutlich zeigt, das beide Bdtgn. besitzen kann. Man hat die Rda. mit den Taschenspielern in Zusammenhang gebracht, die für ihre einzelnen Kunststücke bestimmte Taschen besaßen. Die bei Wander angeführte Nebenform »Das hat seine gewußten Schubsäcke4 spricht für diese Annahme. Schuft, schuften. Ein Schuft sein: ein gemeiner Kerl sein, ein sittlich Verworfener, dem jede Schlechtigkeit und Gemeinheit zuzutrauen ist. Schiller gab sogar einem seiner Räuber den Namen ,Schufterle4 und charakterisierte damit seine Rolle und Stellung unter seinen Kameraden von vornherein. An jem. zum Schuft werden: ihn treulos in der Not verlassen, bes. aber: ein Mädchen nicht heiraten, wenn eine Schwangerschaft eintritt. Das Wort Schuft ist seiner Herkunft nach verschieden erklärt worden. Es könnte in Zusammenhang mit /schofel stehen und vom hebr. »schafat4 = schlecht, gemein abgeleitet worden sein. Nach Kluge-Götze ist es ein ndd. Wort, das nach dem Ruf des Uhus »schüf ut4, der als .schieb aus!4 gedeutet wird, gebildet und auf den ebenfalls lichtscheuen Raubritter übertr. wurde. Das ndd. »schufft4 (schofft) ist zuerst 1611 bei Helvig in der »Allg. Sprachkunde4 (294) als Schelte für heruntergekommene Edelleute bezeugt und bis Anfang des 18.Jh. darauf beschränkt geblieben. Im späteren 18.Jh. werden im Ndd. (nach dem Bremer Wb., 4, 725 f.) »schuvut4 und »schuft4 nebeneinander für »Lumpenhund4 gebraucht und dann ins Hd. übernommen. Schuften müssen: sich mühsam plagen, hart, angestrengt arbeiten müssen. Der Ausdr. ist im 19. Jh. in der Studentensprache in launiger Anlehnung an Schuft als Nebenform aus .schaffen4 entwickelt worden. Schuh. Der Schuh hatte früher eine große Bdtg. in der Brautwerbung (vgl. »Aschenputtel4; »Thidrekssaga4, Kap. 61; .König Rother4); damit in Verbindung steht wohl noch die schwäb. Sitte des Schuhweintrinkens, bei der am Hochzeitstag die ledigen jungen Männer versuchen, der Braut den Schuh zu rauben, der dann versteigert wird und von der Braut zurückgekauft werden muß; der Erlös wird vertrunken. »Fremde Schuhe4, d.h. ein auswärtiger Bräutigam, werden in Oberhessen nicht im Haus einer Dorfschönen geduldet, ohne daß der Fremde sich durch Freihalten löst. Das Ausziehen des Schuhs war früher Symbol für das Auflassen von Gut und Erbe, vgl. Ruth 4,7; 5.Mos. 25,9; das Nachwerfen eines alten Schuhs diente der Abwehr böser Geister. Der Schuh ist in der sprachl. Metaphorik häufig ein sexuelles Symbol; des Mannes Fuß wurde zum Penis, des Weibes Schuh zur Vulva. Deshalb kann die Wndg. Schuhe anmessen auch in erot. Sinne gebraucht werden. Der Beduine, der sich von seiner .Schuhe anmessen‘ 892
Schuh ,Wissen, wo einen der Schuh drückt1 Frau scheiden läßt, sagt: ,Ich habe meinen Pantoffel weggeworfen4. Ein Sprw., das den Mann vor Ehebruch warnt, lautet: ,Man muß nicht die Füße in fremde Schuhe stek- ken4. Der Brautschuh gilt auch als Symbol der Jungfräulichkeit. Das Ausziehen der Brautschuhe als Hochzeitsbrauch hat dieselbe Bdtg. wie das Lösen des Brautgürtels. Den heute noch gebräuchl. Rdaa. liegt hauptsächlich der Schuh als Bekleidungsgegenstand zugrunde. Sehr alt ist die Rda. wissen, wo einen der Schuh drückt: das heimliche Übel kennen; sie geht zurück auf Plutarch, der in seinen ,Coniugalia praecepta4 (c. 22) berichtet, ein Römer habe auf die Frage und Vorwürfe seiner Freunde, weshalb er sich von seiner schönen und keuschen Frau scheiden ließe, seinen Schuh vorgestreckt und geantwortet: ,Auch dieser Schuh ist schön und neu, es weiß aber niemand, wo er mich drückt4 (lat. ,Nemo seit praeter me ubi me soccus premat4). Die Rda. hat sich sehr weit verbreitet: Seb. Franck verzeichnet sie bereits in seiner Sprww.-Sammlung (I,84b); Abraham a Sancta Clara schreibt: ,,Dieser Schuh thut einen jeden trucken44, Seb. Brant (,Narrenschiff4 111,67): „ich weisz wol wo mich drucket der schuch“, Agricola (Nr. 61) führt das Sprw. an: ,Es weyß niemand wo eynen der schuoch drucket / denn der yhn anhat4 mit der Erklärung: „Den schaden empfind niemand / denn der yhn tragen muoß / vnd drinnen steckt. Zu dem so scheynet eyn schuch eusserlich hübsch / gleisset vor schwertze / vnnd drucket doch den der yhn an hat kümmerlich vbel / eyn ander sihet das nicht / vun wiewol der still schweiget der yhn anhatt / vnd frissets in sich / so weyß ers doch“. Auch Goethe gebraucht dieses Bild (28,277): „Wahrhaft gerührt und freundschaftlich Abschied nehmend vertraute er mir dann noch zuletzt, wo ihn eigentlich der Schuh drücke“. In bezug auf Napoleon III. schrieb der ,Kladderadatsch4 (Nr. 9, 1859): „Er möchte, weil der Schuh ihn drückt, Europas Stiefel anprobieren44. Auch in die Mdaa. ist die Rda. eingedrungen, so z. B. fränk. ,1 wäss wu mi d’r Schuah drückt4; ebenso ist sie in anderen Sprachen bekannt: frz. ,Vous ne savez pas où le bât blesse4, jedoch ist hier 893
Schuh aus dem Schuh ein Packsattel geworden; span. ,sé donde me aprieta el zapato4; engl. ,1 know best where the shoe wrings me4; ndl. Jeder weet het best waar hem de schoen wringt4. Die Rda. wird auch variiert zu ,Wo drückt der Schuh?4, welche Sorgen hast du? ,Das ist nicht meine Schuhnummer4, das liegt, paßt mir nicht; ,das ist kein Schuh für meine Füße4, das paßt mir nicht, die Sache sagt mir nicht zu; ndl. ,Het is geen schoen naar zij- nen voet4. Ebenfalls auf den zu engen Schuh bezieht sich die Drohung ,Ich will ihm ein Paar Schuhe anmessen, in denen er übel (nicht) tanzen kann4; ndl. ,1k zal hem een paar schoenen aanmeten, daar hij niet mede tansen zal4. Das Bild wird dann auch umgekehrt; in einem Schuh, der paßt, fühlt man sich wohl; holst. ,De Schoe sulln mi wol passen4, das würde sich wohl für mich eignen; der pas¬ sende Schuh aber muß nicht immer etw. Positives bedeuten, wie auch aus dem Sprw. ,Wem der Schuh paßt, der zieht ihn sich an‘ hervorgeht; er kann durchaus auch eine negative Anspielung bezeichnen, durch die nur der getroffen wird, auf den sie gemünzt war, so z. B. in den Rdaa. ,Der Schuh paßt dir4; altfries. ,De skogh es skaapet to Di4; ,Die Schuhe passen ihm besser als mir4; ndl. ,Die schoenen passen u beter dan mij4. ,Du sollst auch noch Schuhe für deine Füße finden4, die Vergeltung wird nicht ausbleiben. In allen diesen Rdaa. ist ausgesagt, daß gerade der Schuh meist nur einem Menschen richtig paßt; daher versteht der sein Handwerk nicht, der alle Schuhe über einen Leisten macht, denn er macht es sich zu bequem; übertr. bedeutet es: man kann nicht in jeder Situation dasselbe Mittel anwenden, sondern es muß auf die jeweilige Lage zugeschnitten sein. Bei Eyering (1601) heißt es: er wil all schueh (man auch thut sagen) nur vber einen leisten schlagen. Lat. ,Eundem calceum omni pedi inducunt4; engl.,Every shoe fits not every foot4; im Sauerland sagt man: ,Hä mäkt de Schau ümmer no innen Leisten4; vgl. auch ,aus einer Büchse alle Speisen würzen4, ,mit einem Pflaster alle Schäden heilen4. Variiert wird das Bild in der Wndg. ,große Schuhe für kleine Füße machen4 (Montaigne), in wichtigem Ton von unwichtigen Dingen reden. Wenn man ,schon viel Schuhe zerrissen hat4, so ist man nicht mehr jung und unerfahren; siebenb.-sächs. heißt es: ,E hôt vil Schrägen zerässen4. Etw. an den Schuhen abgelaufen (zerrissen, verschlissen) haben, die Rda. stammt aus der Handwerkssprache der Zünfte: wer Meister werden wollte, mußte nachweisen, daß er drei Jahre auf der Wanderschaft gewesen war, in Gegenden, wo sein Handwerk bes. ausgeübt wird. Zweck war, daß der Geselle Neues hinzulerne und Erfahrungen sammle, daher auch die Bdtg. der Rda.: etw. aus eigener Erfahrung wissen; vgl. auch das Sprw. ,was sich einer an den Schuhen abgelaufen hat, wächst ihm im Kopf doppelt nach\ Schon Luther gebraucht die Wndg. in diesem Sinne (5,141): ,,so gar herrlich prangen sie (die Papisten) herein mit jrer kunst, und Ieren mich, was ich vor zwenzig jaren an den schuhen zurissen habe44, und bei Th. Körner (,Nachtwächter4 1. Auftr.) heißt es: „Was helfen aber die Bettelkünste? Ich lief sie mir längst an den Schuhen ab44. Ndl. ,Dat lap ik onder mijne schoenen4 und 'Zijne oude schoenen weten het wel4. Sich die Schuhe (Schuhsohlen) nach etw. 894
Schuh ablaufen: sich - meist erfolglos - um etw. bemühen; ndl. ,Hij loopt zijne schoenen intwee, om ook in’t spei te zijn*. Ein alter Mensch braucht nicht mehr viele Schuhe, daher die Rda. Er wird nicht mehr viel Schuhe zerreißen, ndl. ,Hij zal niet veel schoenen meer verslijten*; in dieselbe Richtung gehen auch die Wndgn.: seine letzten Schuhe sind besohlt: er wird bald sterben, die Schuhe stehen lassen: sterben, in den Schuhen sterben: plötzlich sterben; hess. ,mit Schuh und Strümpfen in die Hölle fahren*, sich bewußt ins leibliche und geistige Verderben stürzen; ,in den Schuhen krepieren* dagegen ist Studentensprache und heißt soviel wie: plötzlich verschwinden, ohne seine Schulden zu bezahlen. Wer fest in seinen Schuhen steht, der weiß, daß er sicher gehen kann; er steht nicht fest in seinen Schuhen kann einmal heißen: er ist schon alt, zum andern aber: er befindet sich in einer unsicheren Lage; vgl. auch ,aus den Schuhen (Latschen) kippen*, schwach werden, umfaßen. Ersteht in seinen eigenen Schuhen: zi ist ein selbständiger Charakter und verdankt alles sich selbst. In guten Schuhen stehen: in gutem Ruf, in glücklichen Umständen stehen; das Gegenteil dazu: in keinen guten Schuhen ste- hen:s\cYï in schlechten Verhältnissen befinden, ebenso ital. ,Non ha ne anche una buona scarpa in piè*. In weiten Schuhen gehen: wohlhabend sein, ndl. ,in een’ ruimen schoen treden*; in festen Schuhen gehen: sich seiner Sache ganz sicher sein, ndl. ,vast in zijn schoenen staan*; das Gegenteil dazu: ,nicht fest in seinen Schuhen stehen*, ndl. ,Hij Staat los in zijne schoenen*. Die Schuhe werden also hierbei auf den Charakter des Menschen bezogen, sie können daher auch mit anderen Adj. verbunden werden, z. B. mit sauber, schmutzig, schlecht* usw. In den gleichen Schuhen stecken: in den gleichen Verhältnissen leben, das Geschick teilen; ebenso: Ich möchte nicht in seiften Schuhen stecken (/Haut), ndl. ,1k wil niet in zijne schoenen staan*. ,Nik in liken schoen gaan* sagt man in Bremen von einem, der Ränke gebraucht, der nicht ehrlich geradeaus geht. Einem die Schuhe austreten heißt hess.: ei¬ nem auf Schritt und Tritt in lästiger Weise folgen; sonst bedeutet es: einem auf dem Fuße nachfolgen und in dessen Schuhe treten, so daß dieser den Schuh verliert; bei Grimmelshausen (,Simplicissimus*) steht: „Er besorgt, ich möchte ihm vielleicht die Schuh gar austretten, sah mich derwegen heimlich mit missgönstigen neidischen Augen an und gedachte auf Mittel, wie er mir den Stein stossen und durch meinen Unfall dem seinigen Vorkommen möchte**. Das Positivum davon ist einem (wieder) in die Schuhe helfen: sein Fortkommen fördern; so bei Franck (,Chronik* 262): „item sy (die Christen in Rom) hetten auch vor Paulo Narcissum, Andronicum, Juliam, die sy in Christo anleiteten bisz Pauli zuokunfft yhn gar in die schuoch und auff die fiisz halff'*. Seinen Fuß in eines andern Schuh haben: ihn am Fortkommen, an seinem Glück hindern. Keine kleinen Schuhe anhaben: gut leben; ebenso seine Schuhe mit Hasenfellen füttern, ndl. ,Hij heeft zijne schoenen met hazevellen gelapt*. ,Es ist em koa Schua greacht*,er ist mürrisch, mit nichts zufrieden. In keinen alten Schuh mehr taugen (passen): zu nichts brauchbar sein, in allem getadelt werden; auch mdal. ,in kai schue me basse (guet sei)*, ,ar töigt in ken alt’n Schuah mehr*, Schweiz. ,er ist i ke Schue ie gut*. Einem etw. in die Schuhe schieben (gießen): jem. einer Tat bezichtigen, ihm die Schuld an etw. geben. Die Rda. wird zurückgeführt auf die fahrenden Gesellen: wenn sie etw. gestohlen hatten und es drohte eine Durchsuchung, so schoben sie den gestohlenen Gegenstand im gemeinsamen Nachtquartier einem anderen in die Schuhe, um den Verdacht von sich abzulenken; ndd. ,weame wat in de Schau geiten*; ndl. Jemand iets in de schoenen schuiven*. Entspr. etw. in die Schuhe nehmen: die Verantwortung eines anderen übernehmen; in diesem Sinne auch bei Brentano (8,336): „Es soll mir eine Freude sein, allen Verdruß, alle Unbequemlichkeit, die dieser Sache folgen könnten, ganz allein in die Schuhe zu nehmen“. Dagegen umschreibt die Rda. jem. in die Schuhe brunzen einen gemeinen Streich, 895
Schuh vgl. ,jem. in die Suppe spucken4; ähnl. Schweiz. ,jein. indie Schuhe blasen4, einem eins auswischen. Von schlechten Getränken o.ä. wird gesagt: Das möcht ich nicht in meinen Schuhen haben, viel weniger in meinem Leib; ndl. ,1k wil het nog niet eens in mijne schoenen hebben, laat staan in mijn lijf4. Schweiz, heißt es von einem, der gerne trinkt: ,Er schüttet der Wi nitt in d’Schuhe4, ebenso ndd.,Water mag ikk nig mal in de Schoe liden4. Umgekehrt wird ein Schuh daraus sagt man im Scherz, wenn einer etw. gerade auf die entgegengesetzte Weise anfängt, als es richtig wäre, /umgekehrt. Mit Schuhen werfen: stark laufen; obd. ,d’Schue binde4, sich auf und davon machen; ndd.,eenem een paar Schoe geven4, einem den Laufpaß geben, ihn davonjagen. Seine alten Schuhe wieder anziehen: zu den alten Zuständen zurückkehren, ndl. ,Hij treekt zijne ouden schoenen weer aan4; Er hat vergessen, daß er in zerrissenen Schuhen gegangen ist: er will sich seiner geringen Herkunft nicht mehr erinnern. Fränk. ,Dein Schuh wird mir auch einmal g’recht4, dich werde ich auch noch einmal zu fassen bekommen. ,Die Schuhe mit Bast binden4 zu müssen, war ein Zeichen großer Armut; ähnl. ,die Schuhe mit Rotz schmieren4; so schildert Mathesy einen Geizhals mit den Worten: „Ein Nagenranfft vnnd filtziger Küssenpfennig frisset daheim wie eine Saw, kleidet sich wie Codrus, schmiert die Schuhe mit Rotz, flickt die Hosen mit Ablaßbriefen44. Das Herz fällt in die Schuhe (gebräuchlicher: Hose), so bei Luther (6, 492): „... wenn sie es gleich so hart fületen, das jnen das hertz in die schuch und noch tiefer feilet44. Den Ausdr. Affen schuhen gebraucht Hans Sachs für:,Toren hinters Licht führen4; zugrunde liegt wohl die Erzählung, daß Affen gefangen würden, indem der Jäger unter einem Baum, auf dem der Affe säße, weite Schuhe anlegte, zubände, dann wieder auszöge und sich entfernte, worauf dann der Affe ebenfalls die Schuhe anlegte und so an der Flucht verhindert wäre, wie Geiler von Kaisersberg (,Bilg.4 97) berichtet. Ndd. ,He is bi der Hand, as ene Schoböst4, wenn man ihn braucht, läßt er sich nicht lange suchen. Die Schuhe an jem. abwischen ist ein Zeichen der Verachtung, obd. ,Er wör ken schue anner abwüscha4, er verachtet sie so sehr, daß er nicht einmal die Schuhe an ihr abwischen will. Sich wie einen Schuhwisch behandeln lassen: sich zu allem gebrauchen lassen, keinen Stolz haben. Etw. für einen Schuhlumpen achten: es sehr geringachten; Luther (,Hauspostille4 53): „Ein Christ soll sein Leben wie Johannes als einen Schuhlumpen achten44. Nicht wert sein, jem. die Schuhriemen zu lösen: nicht würdig sein, selbst den niedrigsten Dienst zu leisten; die Rda. ist bibl. Herkunft (Mark. 1,7; Luk. 3,16; Joh. 1,27 u.a.); Luther verwendet sie im ,Sendbrief von Dolmetschen4: „Urteileten dem guten man sein werck die jhenige, so ym die schuch hetten sollen wischen“ (Weimarer Ausg. 30,2, S.634). Heute sagt man, um eine verächtliche Dienstleistung abzuweisen: ,Deinen Schuhputzer mache ich noch lange nicht4; ndl. ,niet waard zijn iemands schoenriem te ontbinden4. Etw. ist um einen Schuhriemen zu teuer: es ist wertlos. Der Ausdr. ,Schuhnägel4 wurde zuerst für eine kräftige Sorte von Pillen gebraucht, dann auch übertr. für Ungebührlichkeiten; daher die Rda. ein ganzes Gericht Schuhnägel verschlucken: viele Ungebührlichkeiten einstecken müssen; so heißt es einmal im Wochenblatt der New Yorker Staatszei- tung(vom lO.Okt. 1863): „Die Deutschen (in den USA) hatten schon mehr als ein Gericht Schuhnägel (von seiten der Yankees) verschluckt“. In Bremen sagt man iron.: ,Dat is so gesund, as ene Hand vull Schonagel4. Die Einwohner von Meran werden ,Schuhverlierer4 genannt, weil sie im Jahre 1499 nach der Schlacht an der Calven gegen die Engadinerden Rückzug nach Meran in ungebührlicher Eile angetreten haben sollen. Ndd. ,sick up de Scholappen geven4, sich auf die Socken machen, Reißaus nehmen; ,Schuhlappen4 bezeichnete urspr. den Flek- ken am Schuh, dann den Schuh selbst. Lit.. Aigrernont: Fuß- und Schuh-Symbolik und -Erotik (Ndr. Darmstadt o. J.); L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alem. Jb. (Bühl/Baden 1973). 896
Schule Schulbank. Noch die Schulbank drücken müssen: noch schulpflichtig sein, tüchtig lernen müssen. Ähnl. Bdtg. hat die Wndg. Er mag noch etw. auf der Schulbank (herum)rutschen. Sie wird gebraucht, wenn die Eltern der Meinung sind, daß ihr Sohn noch eine weiterführende Schule besuchen soll, entweder um seine Bildung zu vervollkommnen oder weil er für das Berufsleben noch nicht reif genug ist und auch seine körperlichen Kräfte noch wachsen sollen. Vgl. ndl. ,Hij mag nog wel een jaartje of wat ter school gaan4. Von einem, der recht wenig gelernt hat, heißt es scherzhaft: Er hat sich auf der Schulbank wenig Schiefer eingezogen. Die Schulbank spielt in der Ausstattung der modernen Schulen keine Rolle mehr, doch der Ausdr. ist auf die Schulzeit allg. übertr. worden. Schulden /Engel. Schuldigkeit. Seine Schuldigkeit getan haben: seine Kraft eingesetzt und seine Aufgabe so gut wie möglich erfüllt haben, aber auch: nicht mehr gebraucht werden und Undank erfahren müssen. Schiller gebrauchte die Wndg. in seinem ,Fiesko4 (III,4) 1783, wonach wir auch zitieren: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen“. Seine (verdammte) verfluchte Schuldigkeit tun: eine selbstverständliche Pflicht erfül¬ len. Häufiger sagt man dafür: seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit hm, /Pflicht. Schule. Hinter (neben) die Schule gehen: den Unterricht absichtlich versäumen, seit 1691 durch Stieler gebucht. Gemeint ist urspr.: statt ins Schulhaus daran Vorbeigehen. Bei Platen heißt es ( 1839): „wenn ich nicht hinter die Schule gegangen wäre, so könnt ich lesen“. Es gibt zahlreiche mdal. Varianten. Im Eis. bez. man mit ,Neweh d Schuel gehn1 auch Ehemänner, die ,neben hinaus4 gehen. Vgl. ndl. ,Hij heeft achter de haag geloopen4 und frz. ,faire l’école buissonnière4. In gleicher Bdtg. sprechen wir von die Schule schwänzen. ,Schwänzen4 (eine Vorlesung) versäumen, ist um die Mitte des 18. Jh. aus rotw. ,schwentzen4 = herumschlendern, bummeln von Studenten übernommen worden; durch Hagedorn und Schiller wurde es schriftsprachl. Man hat ihn in die Schule gebracht (genommen): man hat ihn in Zucht und Ordnung genommen, ihn hart angefaßt. Hier wird die Schule als Erziehungsanstalt fürs Leben gesehen. Jidd. ,Män hot ihn genommen in Cheeder (= Schule) hinein4. Schweiz. ,1 will di in d’Schuel füere-n, daß lehrsch läse4, ich will dir zeigen, wer recht hat. ln die Schule gefoppt werden: durch Versprechungen zu einem Übel verlockt wer- Sebastian Franck: Sprichwörter (Zürich 1545), Stichwort: Schuld, schuldig ri (itfc.Crütr/fôouw wem. Ammern débet. ^ nicmant f4>utt>‘£ »ifr firn. man 0olter rcbermnnbjalm/cö blibe/m bieÄfeb vff bem bctb/vnb $ct imïoîb >tit, i£i t|ï memantfcbrilbicf/banbeiittitf/ bie (Tcrbcnb fo baft» alü er. Aâr i)î fo Inner t>tr ejeftn/vnb tent*^ fern gajfcn innen ce mt fejmf bür frc. jUrr iff (Sott vtt aller weit f^iulbicf. btrt (?5ott einen tob fcjjulbujfto jahcfcfm wen erteil, bin nicmant iiiit fcfmtbi^ /b*w (Sort min feel. ©er fo arm vnt> Piifd>nli>»0 ifî/Dag (r ou<b (ln fed »fi fidj fdbo jnm eifleni j)fimb fbülbta »f(.Von Sem f«0rnb ŸieCSncdien/Anima»« ber, lEr ifl ourbfm fedfduilbirj/Fern b«ar*m Ijrbiflfin/foil er jalen. 5imt wcniffcfUfl fcf Soda y (berinan (Don fm fed / fucn iyb n* beu. — . f. Tute Hoc intrifti, omne libf exedendfleft. ^fbo era ©m bry fyaft bu bir jelbo' 0en. V(3. ■' « ilî b«1îoUctoW« riebt wol an. 5aUr»fm#lLdcn/|obett&irtt>o! cieffli.lMut 0prd<&w&r«r/#a® tmaBM »trikon/tmnbniemanr^annjmfclboeie Fure» clamorem, ^ prüfet jm/btc h* Iwtfftjm W ru; (tertvff. ‘futrotimtimvomfwlel* gitnfcbulbiffen f4>uberet* 0cr f b ulbi ff/feuillet. fblonret et j m bito mcnrewn i^efibubcretfiu. gir lômbb tobt ben mamt. ?(tben rn£>tyraficn/roiefy ioiob câp. ,.,:bir.Ji ibû‘djyr9er0rufen.3r«ff'«0^ , nïTIinjetlb jnt» fteio jr rerberbcii/re0t fi$ erfcMcfenb f? aTbûttôbt man. ; <um»b<r0b$:id>/fmb «n ftan- K.ÿî uber ïtt afbertpifeit 0an0cn / TwUff :* m *,rb jefrnAkn fcat jr ibaat ftutfc „• ?rr; |lne^faflr /man fTid> fyifmb alfo nli wafTcr/fo ‘Saran imilouft/ flcfpnm"* B nff 897
Schulfieber den, wie man das Kind z. B. durch Süßigkeiten und Versprechen zum Besuch der Schule bringt. 1866 die jidd. Form ,So werd me ins Cheeder geuzt1. Jem. noch in die Schule schicken müssen: ihn erst einmal die Anfangsgründe seines Berufs erlernen lassen. Bei jem. noch in die Schule gehen können: bei einem noch viel lernen, sich seine Erfahrung zunutze machen können. Vgl. ndl. ,Gij kunt bij hem nog wel school gaan‘. Miteinander in eine Schule gegangen sein: sich gut kennen und dieselben Fehler besitzen. Vgl. lat. ,Eodem in ludo docti sunt4. Die Wndg. Ich bin auch mal zur Schule gegangen dient der empörten Zurückweisung überflüssiger Belehrungen. Alle Schulen durchgemacht haben: sehr viel Lebenserfahrung besitzen, auch in negativer Bdtg. durchtrieben sein, es faustdick hinter den Ohren haben. Einmal durch die Schule laufen wie die Sau durch den Kot; durch die Schule gegangen sein wie der Esel durch die Mühle: nur eine oberflächliche Bildung besitzen, nur wenig Nutzen von der Schule haben, vielerlei, aber nichts gründlich gelernt haben. Aus der Schule schwatzen (oder jünger: plaudern, auch: klopfen, waschen): von Dingen reden, die eigentl. Geheimnisse eines bestimmten Kreises sind. Der urspr. Sinn der Rda. dürfte sein: die Wissenschaft eines tiefer unterrichteten Kreises vor dem Volke preisgeben, wobei man namentlich an das Wissen der Ärzte denken mag. Aber auch schon den Schülern der griech. Philosophenschulen wares nicht gestattet, das in der Schule Gelernte an Außenstehende weiterzugeben. Die Rda. findet sich 1512 bei Murner in seiner ,Narrenbeschwörung4 (55,2): ,,usz der schuolen sagen“ und in der ,Zimmerischen Chronik4, Bd.2, S.465: „Das unsellig mendlin hat sein glück nit erkennen oder behalten künden, sondern sich vil berüempt und außer der schuel ge- schwetzt“. Die Rda. ist weit verbreitet, wie die zahlreichen mdal. Belege zeigen. Eis. ,us der Schuel bapple4 ,ut’r Schaule kören4 oder Schweiz. ,us der Schul schwätze4. Andere europ. Sprachen kennen die Rda. ebenfalls, so ndl. ,uit de school klappen4, frz. ,dire des nouvelles de l’école4 oder engl. ,to tell tales out of (the) school. Schule machen: Nachahmer finden, so wie etwa die großen Maler des MA. und der Renaissance ihre Malschulen hatten. Schulfieber. Das Schulfieber haben: angeblich erkrankt sein, Vorwände haben, um nicht zur Schule (Arbeitsstelle) gehen zu müssen, weil gerade eine Arbeit geschrieben wird oder sonst etw. Unangenehmes bevorsteht. In ihrer Aufregung und der Furcht, daß die Lügen über plötzliche Schmerzen von den Eltern durchschaut werden, kann bei den Kindern die Körpertemperatur tatsächlich vorübergehend etw. ansteigen. Zur Erläuterung dieser Schulkrankheit heißt es schon 1660 bei Corvinus (,fons latinit.4 1, 348b): Bist so krank als ein Huhn: Magst gern essen und nichts thun. Schulfuchs. Den Schulfuchs spielen, auch: wie ein Schulfuchs aussehen: ein Stubengelehrter sein, sich steif und pedantisch verhalten, eine wertlose, weltfremde Gelehrsamkeit verteidigen. Hagedorn charakterisiert den Schulfuchs in seinen Versen (Werke 3, 32): Ein Schulfuchs hofft mit dürren Gründen Den Beyfall aller Welt zu finden: Allein, er wird geprellt. Vgl. auch frz. ,faire le pédant4. Der Ausdr., der der Verspottung von Lehrern und eifrigen Nachahmern großer Künstler und Wissenschaf tier diente, war in der dt. Lit. des 18. und 19. Jh. sehr beliebt und wurde u.a. von Herder, Bürger, Günther, Goethe und Schiller verwendet. Die Studenten verspotteten damit die Schüler, die sich ähnl. wie Füchse in ihrem Bau im Schulhaus verbergen mußten und noch keine student. Freiheiten besaßen. Aus einem ScJiulfucJis gleich eitlen geheimen Rat machen wollen: einem unerfahrenen Anfänger gleich eine unangemessen hohe Stellung geben, für die ihm die Voraussetzungen noch fehlen, auch: einem jungen Menschen falsche Hoffnungen machen, ein Ziel mühelos und rasch zu erreichen. Schulgeld. Das Schulgeld zurückverlangen, sich das Schulgeld zurückzahlen lassen: nichts gelernt haben, eigentl. ohne jeden 898
Schulter Erfolg die Schule besucht und das Geld dafür umsonst ausgegeben haben. Die Wndg. wird meist in der Form einer Aufforderung gebraucht: Laß dir dein Schulgeld (Lehrgeld) zuriickgeben! Wer offensichtlich geringe Kenntnisse besitzt und sich dumm und ungeschickt bei einer Arbeit anstellt, bekommt dies gelegentlich als eine Art niederschmetternde Beurteilung zu hören. Die Wndg. ist zuerst 1899 im Eis. Wb. belegt, wird heute noch oft gebraucht und ist in zahlreichen mdal. Varianten verbreitet. Im Rheinl. heißt es, wenn jem. etw. ganz Einfaches nicht weiß: ,Bei wem bas de an de Schul gang? Loss der et Lehrgeld zer- röck bezahlen4 und in Schlesw.-Holst. ,He schull sien Schulgeld man wedder halen*. Früher hatten die Kinder das festgesetzte Schulgeld dem Lehrer abzuliefern. Dies war bereits in der Antike so. Bei Petronius Arbiter (gest. etwa 66 n.Chr.) findet sich bereits die Sentenz „Iam scies, patrem tuum mercedes perdidisse“ (= Du wirst bald merken, daß dein Vater das Lehrgeld umsonst ausgegeben hat). Vielleicht ist hierin das Vorbild für unsere Rda. zu suchen, obwohl sie erst spät bezeugt ist. Immermann führt aus, wieviel der Lehrer früher erhielt: ,,Er (der Schulmeister)... hatte 30 Gulden jährlichen Gehalt, außerdem das Schulgeld, zwölf Kreuzer für den Knaben und sechs für das Mädchen“ (Werke 1, 72, Boxberger). In übertr. Bdtg. hat bereits Schiller den Ausdr. lit. in seinem ,Fiesko4 (I, 9) verwendet: „Feige Memmen sind’s oft, aber doch Kerls, die dem Teufel das Schulgeld mit ihrer armen Seele bezahlen44. Schulsack. Einen Schulsack gefressen haben: das ganze Wissen eingeheimst haben (ähnl.: die Bücher fressen, verschlingen). Schulsack war früher die Bez. der Tasche, in der die Kinder ihre Bücher zur Schule trugen. In Murners ,Schelmenzunft4 von 1512 werden diejenigen verspottet, die sich umsonst auf hohen Schulen umhergetrieben haben; das Kapitel ist überschrieben ,Eyn schulsack fressen4 und beginnt: Das latein hab ich vergessen, Wiewol ich hab ein schulsack fressen. Einen guten (keinen) Schulsack haben heißt demnach: eine gute (keine) Schulbildung €?» fcbulfackfrelle haben. Der Schulsack steht also für die in der Schule erworbenen Kenntnisse, die man im Schulsack ,schwarz auf weiß4 mit sich trug. Heute noch ist in der Schweiz die Rda. ,e guete Schuelsak ha4 geläufig. Schulter. Einem die kalte Schulter zeigen: ihn abweisend behandeln, ihn zurücksetzen; kalt, gleichgültig gegenüber einem anderen auftreten; so tun, als kenne man ihn nicht; ihm die Hilfe versagen. Die Rda., die bes. in Norddtl. üblich ist, gilt als eine Lehnübers. aus dem Engl. ,to show one a cold shoulder4 (Küpper I, S.291). ,Kalt4 ist in der Bdtg. von ,gefühllos4 gebraucht. Ähnl. auf kalte Schultern stoßen: auf Ablehnung, Teilnahmslosigkeit treffen. Einen über die Schulter ansehen: ihn verächtlich, schief ansehen, / Achsel, /schief. Vgl. ndd. ,Den süt se küm over de Schullern an’ und ndl. ,Hij kijkt hem over den linker schouder4. Etw. auf die leichte Schulter nehmen: unbekümmert, leichtsinnig sein; etw. für unwichtig halten, es nicht ernst nehmen und vernachlässigen. Die Wndg. beruht auf einem Zitat aus den Satiren des Horaz (II, 3, 172): „ferre sinu laxo“, eigentl.: etw. nachlässig im Bausch (der Toga) tragen, /Achsel (Büchmann, S.529). Auf beiden Schultern (Wasser) tragen: es mit keinem verderben wollen; es mit verschiedenen Parteien halten. Vgl. lat. duabus se venditat partibus1 (Phaedrus) und ndl. ,Het is een man, die op twee schouders draagt4. Ähnl. Bdtg. hat die Rda. auf der 899
Schuppen rechten Schulter unsern Herrgott und auf der linken den Teufel tragen, vgl. frz. ,don- ner une chandelle à Dieu et une au diable . Einem etw. auf die Schulter legen: ihn belasten, ihm etw. auf bürden; ähnl. alles auf seinen (den eigenen) Schultern liegen haben: alle Last allein tragen müssen. Etw. aufseine Schultern nehmen: die Verantwortung übernehmen wollen. Breite Schultern haben: eine große Last ertragen können. Vgl. ndl. ,Hij heeft breede schouders4 und frz. ,11 a de bonnes épaules, il portera bien tout4. Aufjem. Schulter stehen: sich auf jem. stützen, seine Erfahrungen oder wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen, seine eigene Arbeit darauf gründen und weiterführende Gedanken entwickeln. In einem alten Sprw. wird der Sinn dieser Wndg. bes. deutlich: ,Wer einem andern auff den Schultern stehet, der kan weiter sehn dan er4 (Petri II, 699). Auf anderer Schulter treten: Vorteile durch andere haben; ihre Hilfe ausnützen und sie gleichzeitig unterdrücken; andere für den eigenen Aufstieg mißbrauchen, da dieser aus eigener Kraft allein nicht möglich wäre ; vgl. lat. ,alienis uti soleis4. Jem. auf die Schultern heben: ihn zum Anführer und Vorbild erheben (/Schild); ihn vor Begeisterung umhertragen und feiern. Mit hängenden Schultern dastehen: mutlos und traurig aussehen, kraftlos in sich zusammensinken. Schulter an Schulter stehen: sehr dicht nebeneinander stehen, gemeinsam kämpfen und Angriffen standhalten. Schuppen. Jem. fällt es wie Schuppen von den Augen: er erkennt den wahren Sachverhalt, den er vorher nicht begreifen konnte; seine Verblendung hört auf, er sieht plötzlich klar. Die Rda. ist bibl. Urspr. Als der blinde Saulus durch Ananias im Auftrag Gottes geheilt wird und sich bekehrt, heißt es in der Apostelg. (9, 18): „Und alsobald fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er ward wieder sehend44. Die Wndg. ist deshalb auch in anderen Sprachen geläufig, vgl. ndl. ,De schellen vallen hem van de ogen4; engl. ,The scales are fallen from his eyes4; frz. ,Les écailles lui sont tombées des yeux4. Schur. Jem. etw. zum Schur tun: jem. Verdruß bereiten, absichtlich ein Ärgernis verursachen, ganz bewußt einen schlimmen Possen spielen; ein häufiger Ausdr. in den Mdaa. mit verschiedenen Lautformen (bair. Schuer, oesterr. Schuar, ndd. Schör). Schur ist eine ablautende Bildung zu scheren4. Als Fern, hat es meist seine urspr. Bdtg. von schneiden, scheren bewahrt, wie z. B. im Sprw. ,Nach der Schur ist nicht mehr viel zu scheren4. Als Masc. hingegen tritt es in allen mdal. Redewndgn. mit übertr. Sinn als Schererei und Plage auf. Vereinzelt begegnet es so schon im Mhd.: der wuoterich sä vur Augespure fuer, mit roube tet er grozen schuer. (Alberus, St. Ulrichs Leben, 813) ,1 wer earn schon an Schurr antuan4 heißt es in Kärnten. Wenn bei einem sehr ungleichen Ehepaar der jüngere Partner auf den Tod des älteren hofft, versucht dieser jenem ,recht lange zum Schur zu leben4. Nun zum Schur! dient als Ausruf der eigenen Ermutigung und bedeutet: Nun erst recht! In Sachsen hört man oft die Feststellung: ,Das macht er mir (direkt) zum Schure4, womit der Verärgerte oder Beleidigte aus- drücken will, daß er die böse Absicht des anderen durchschaut hat. Aber man kann auch versichern, daß man keinen Verdruß oder Verlust verspürt: .Das ist mir kein Schur4. In der Schriftsprache ist /Schererei geläufiger als Schur. Anzengruber gibt deshalb in einer Anmerkung dafür eine Erklärung, als er das Wort gebraucht: „Viel Schur hab’ ichdiranthan“. Der nordd. Ausspruch ,Lat die ins erst so mennig Schür af de Kopp gähn, as ik dan hebb4 verwendet das Wort Schur so, daß es zweideutig erscheint: es kann die lange Zeit und Erfahrung des Menschen meinen, aber auch die Plagen und Scherereien, die er bisher aushalten mußte. Die Rda. heißt also: überwinde du erst einmal so viele Schwierigkeiten. Die Schur haben: Dienst haben. In Schwaben ist diese volksetymol. Entstellung aus dem frz. ,du jour4 bekannt, z.B. ,der Offizier von der Schur sein4. Schürze. Jeder Schürze nachlaufen: in jede Frau verliebt sein, rasch entflammt sein und 900
Schuss daher verschiedenen Mädchen oder Frauen seine Liebe erklären. Vgl. frz.,aimer le cotillon1. Ähnl. hinter jeder Schürze her sein und in jede Schürze verliebt sein: ein /Schürzenjäger sein. Die Schürze als ein Hauptbestandteil der Frauenkleidung ist zum Symbol geworden und steht pars pro toto für die Frau in den dt. Rdaa. In unseren Nachbarländern wird der gleiche Sinn in anderer Weise ausgedrückt. In Italien sagt man: ,Attaca il majo ad ogni uscio\ er pflanzt den Maibaum vor jeder Tür, d. h. er verehrt gleichzeitig viele. Vgl. auch frz. ,11 est amoureux des onze vierges* und ndl. ,Hij loopt altijd achter de meisjes*. Jem. an der Schürze hängen: jem. auf Schritt und Tritt nachfolgen, ihn durch Anhänglichkeit belästigen, sich aufdrängen, ängstlich und unselbständig sein, keine Entscheidungen allein treffen wollen. In der Schweiz heißt es von einem Freier, dessen zu häufige Besuche bei seiner Braut auffallen: ,Er willT a immer am Schurz stechn*. Seiner Mutter immer noch an der Schürze (am Schürzenband, Schürzenzipfel) hängendem ihr abhängig sein, sich gern bevormunden und leiten lassen. Die Rda. wird bes. auf Kinder angewendet, die sich nur schwer von ihrer Mutter trennen und von unselbständig gebliebenen Erwachsenen, die alles der Mutter wie bisher überlassen. Vgl. ndl. ,aan iemands riem hangen* und engl. ,to hold by the apron-strings*; /Gängelband. Die Schürzen sind hier klüger als die Hosen: die Frauen zeigen mehr Einsicht als die Männer. Vgl. frz. ,l’esprit est tombé en quenouille dans cet endroit*. Sie trägt etw. unter ihrer Schürze: sie ist schwanger. Diese Rda. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es in Vorpommern von einem Mädchen, das ein Kind erwartet: ,Und nu hett sei all wat ünner de Schört*. Ebenfalls zur Umschreibung dient die Wndg. Der Schurz (die Schürze) wird ihr zu kurz. Nicht nur die Frau als Ganzes wurde durch die Schürze symbolisiert, sondern auch die weibl. Geschlechtsteile. Daher ist der Verlust der Schürze synonym mit der Entjung¬ ferung. Verliert z.B. in Oldenburg eine Braut die Schürze, ,so fleit die Freete af‘, d.h. die Brautschaft wird abgebrochen. Auch im Volksglauben spielt die Schürze eine Rolle. Allg. heißt es, wenn einem Mädchen die Schürze abfällt, denkt der Schatz seiner, ln Meckl. meint man, daß die Braut die Liebe ihres Verlobten verliert, wenn sich ihr Schürzenband von selbst löst. In Schlesien soll eine Weibsperson niemanden die Hand an ihrer Schürze abwischen lassen, weil derjenige ihr sonst gram wird. Schürzenjäger. Ein Schürzenjäger sein: ein in der Liebe nicht ernst zu nehmender Schmeichler der Frauen sein, der von ihnen meist abgelehnt wird, wenn sie ihn erkannt haben und nun seinen Versicherungen und Liebesschwüren keinen Glauben mehr schenken können. Die Rda. ist um 1900 aufgekommen und soll angeblich aus der Jägersprache stammen. Der Ausdr. soll sich nämlich auf die ,Schürze* des Rehs beziehen, eine Bez. des weißen Haarbüschels, das es unter dem Schwanz trägt. Es hätte dann eine Übertr. auf die Geschlechtsteile der Frau und auf diese selbst erfolgt sein müssen. Einleuchtender ist es jedoch, hierbei an das Kleidungsstück der Frau und an ähnl. Rdaa. mit /Schürze zu denken. Schuß. Einem vor den Schuß kommen: jem. unversehens in den Weg laufen, der nur auf diese günstige Gelegenheit gewartet hat, um einmal mit ihm abrechnen zu können. Urspr. bezieht sich die Wndg. nur auf den Jäger, der sein Wild belauert, um es dann sicher erlegen zu können. In übertr. Bdtg. braucht Schiller die Rda. auch lit. So ruft der Musikus Miller in ,Kabale und Liebe* (II, 4) in seinem Zorn auf den Sekretär Wurm aus: „Aber soll mir der Tintenkleckser einmal in den Schuß laufen!“ Ähnl. Sinn hat die Rda. in die Schußlinie geraten: ins Feuer, ins Gefecht geraten, in die Gefahr hineinlaufen, in übertr. Bdtg.: sich heftiger Kritik aussetzen. So verwendet Bismarck diesen Ausdr. in seinen Reden (6,38): „Der Herr Redner hat sich über Nacht künstlich in die Schußlinie gewisser von ihm mir zugeschriebenen Vorwürfe gestellt“. 901
Schuss Im Obersächs. meint man mit der Aufforderung: ,Geh mir aus der Schußlinie!4 steh mir nicht im Wege herum, störe mich nicht beim Arbeiten, hindere mich nicht bei meinem eiligen Hinundherlaufen! Weit vom Schuß sein (sitzen, stehen): außer Reichweite, außer Gefahr sein, auch: sich durch seine Abwesenheit geschickt der Kritik entziehen, weit entfernt von der Stelle sein, wo man gerade dringend gebraucht wird. Vgl. lat. ,Extra telorum jactum sedere4. Ähnl.: über den Schuß sein: an einer sicheren Stelle sein, wohin der Schuß nicht reicht. Vgl. ndl. ,buiten schot blijven4; engl. ,to be out of gun-shot4; frz.,rester hors d’atteinte4. Zu weit vom Schuß sein: zu weit weg sein und deshalb die brennenden Probleme nicht gut genug kennen, um etw. richtig beurteilen zu können, eigentl.: weit vom Gefecht, weit hinter der Front sein. Nicht zum Schuß kommen: keine Gelegenheit haben, sein Vorhaben durchzuführen, den günstigen Augenblick verpassen, gehindert werden, auch: keine Möglichkeit haben, eine fotografische Aufnahme (einen Schnappschuß) zu machen. Zum Schuß kommen: zu seinem Ziel gelangen. Die Wndg. wird auch als verhüllende Umschreibung für die sexuelle Befriedigung des Mannes gebraucht. Daher auch: gut in Schuß sein: potent sein. Seinen Schuß gut anbringen: die erwünschte Wirkung erzielen, seine Mittel gut und zweckentsprechend einsetzen, seinen Vorteil zu nutzen wissen. Vgl. frz. assener bien son coup'. Den ersten Schuß haben wollen: einen Vorsprung und damit die größere Chance haben wollen. Die Rda. bezieht sich auf das Duell mit Pistolen, wobei der erste Schütze im Vorteil war, weil er die Möglichkeit besaß, gleich beim erstenmal seinen Gegner zu verwunden oder zu töten und damit für sich ungefährlich zu machen. Die Bedingungen beim Duell waren verschieden und wurden vorher genau ausgehandelt und festgelegt: entweder hatte der Beleidigte den ersten Schuß, oder es wurde darum gelost, manchmal schossen die Gegner auch gleichzeitig. Nicht auf den ersten Schuß fallen: standhaft sein, sich nicht vorschnell ergeben, solange noch etw. Hoffnung bleibt. Diese Wndg. bezieht sich urspr. wohl auf die Belagerung einer Festung oder Stadt, die standhaften Widerstand leistet. Vgl. ndl. ,Hij valt niet met het eerste schot4. Einen Schuß in den Himmel tun: etw. Unnützes und Unsinniges tun. Wahrscheinl. besteht bei dieser Rda. ein Zusammenhang mit dem noch heute in einigen Gegenden üblichen Wetterschießen, das das Unwetter vertreiben soll. Fremde, die diesen Brauch nicht kennen, verurteilen ihn und machen ihn als wertlos verächtlich. Ähnl.: Es ist ein Schuß in die Luft: es ist ein ziel- und planloses Vorgehen, es bleibt wirkungslos. Vgl. frz. ,C’est un coup tiré en l’air4. Der Schuß geht nach hinten (los): eine Maßnahme richtet sich gegen jem. selbst. Der Schuß ins Schwarze /schwarz. Jem. einen Schuß vor den Bug geben (setzen). jem. durch Worte oder Taten nachdrücklich warnen, ihn zur Änderung seines Verhaltens zwingen. Die Wndg. beruht auf der Kriegführung zur See. Durch einen Warnschuß dicht vor den Bug wurde ein fremdes Schiff zur Kursänderung gezwungen oder aufgefordert, sich zu ergeben. Es ist ein Schuß unter Wasserte s ist ein verborgener, gefährlicher Angriff. Auf See waren diese Geschosse am gefürchtetsten, weil man oft nicht rechtzeitig bemerkte, wenn der Schiffsboden ein Leck erhielt. Vgl. ndl. ,Hij geeft hem een schot onder water'. Keinen Schuß (Pulver) wert sein: nichts taugen, schlechte Charaktereigenschaften haben, für bes. ehrlos gelten. Die Rda. stammt aus dem Kriegswesen. Ein Soldat, der wegen eines schweren Vergehens verurteilt werden sollte, hatte meist einen ,ehrlichen Tod' durch die Kugel zu erwarten. Es war eine Art Auszeichnung gegenüber den anderen Hinrichtungsarten, wenn er zum Tod durch Erschießen, ,zu Pulver und Blei begnadigt' wurde. War einer nicht einmal einen Schuß wert und die Kugel für ihn zu schade, so daß er gehängt wurde, dann mußte er sich eines abscheulichen, unmenschlichen Verbrechens schuldig gemacht und diese Verachtung verdient haben. Einen Schuß (weg) haben (bekommen): betrunken, närrisch sein, auch: verliebt und 902
Schüssel übermütigster Laune sein. Bei dieser Wndg. ist an die Geschosse der Krankheitsdämonen, aber auch an die Pfeile Amors zu denken, /Bilwis. Die mdal. Rda. aus der Steiermark ,ea hod an Schuß1 meint: er ist launisch, überspannt. Ähnl.: Er hat einen Schuß zuviel: er ist verrückt. Vgl. frz. ,11 a un coup de hache*. Einen Schuß Leichtsinn im Blut haben: unbekümmert leben, nicht an die Folgen für die Zukunft denken. Die Wndg. beruht auf der alten Vorstellung, daß die Zusammensetzung der Körpersäfte für Charakter und Temperament des Menschen verantwortlich ist. Die Rda. dient somit der scherzhaften Entschuldigung eines Leichtsinnigen. Der Grund für sein Verhalten wird in seiner Blutbeschaffenheit gesucht, er selbst kann also nichts dafür und vermag sich auch nicht zu ändern. Einen Schuß tun:plötzlich stark zu wachsen beginnen. Etw. in Schuß bringen: eine Sache kräftig vorwärtsbringen, ordnungsgemäß herrich- ten, reparieren. Die Rda. ist vom Geschütz hergenommen, das für den Abschuß vorbereitet und hergerichtet, auf das Ziel eingestellt wird. Vielleicht besteht auch ein Zusammenhang mit der Weberei und der Einrichtung des Webstuhles, da ,Schuß4 auch die Bez. für die Querfäden eines Gewebes ist. Etw. in Schuß haben (halten): es gut in Ordnung, im Gang haben, eine Sache funktionsbereit und brauchbar erhalten. Im Schuß sein: in Betrieb, in Gang sein, laufen, auch: ganz gesund sein. Dagegen: nicht recht im Schuß sein: nicht recht in Ordnung sein, sich nicht ganz wohlauf fühlen. Ut.: L. Honko: Krankheitsprojektile. FFC. 178 (Helsinki 1959); L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.320L Schüssel. Die Schüssel leer finden oder nur leere Schüsseln finden: nichts mehr vorfinden; keinen Anteil erhalten, eigentl.: zu spät zum Essen kommen, wenn nichts mehr übriggeblieben ist. Vgl. lat. ,Ne bolus quidem relictus4. (Erasmus, 517); frz. ,être obligé de diner par cœur4; engl. ,to dine with Duke Humphrey4 und ndl. ,de Hond in de pot vinden4, in dem Augenblick kommen, wenn der Hund den Topf ausleckt und die Knochen erhält. Vor leeren Schüsseln sitzen: Hunger leiden müssen. ,Eine reine Schüssel und nichts drin haben4 heißt es in der Niederlausitz von einer Bäuerin, die viel putzt und zu wenig Zeit und Interesse für die Landwirtschaft hat. Aus einer Schüssel essen: zusammengehören, gleiches Schicksal haben, die gleichen Meinungen und Ziele haben, Zusammenhalten, eigentl.: zu der bäuerlichen Hausgemeinschaft gehören, die miteinander vertraut war und aus einer großen Schüssel aß. Vgl. lat.,eodem bibere poculo4 und ndl. ,Zij eten uit éénen schatel4. A us zwei Schüsseln zugleich essen: von zwei Seiten Vorteile haben, aus zwei Stellungen Gehalt beziehen. Immer der erste in der Schüssel sein wollen: nur an sich denken, sich das Beste vorwegnehmen, sich unverschämt vordrängen und etw. beanspruchen, was einem nicht zukommt. Vgl. auch das Sprw. ,In der Schüssel der erste, aus dem Bett der letzte4. Einem die große Schüssel vorsetzen: ihn bevorzugen, ihm die größten Vorteile zuwenden. Einem etw. in die Schüssel bieten (bringen, legen, werfen): ihn unterstützen, ihm Zuwendungen machen, zu seinem Lebensunterhalt beitragen, auch: ihn auf seine Seite bringen, ihn bestechen. Vgl. ndl. Jemand iets in zijn schotel schaffen4 und engl. ,to lay a thing in one’s dish4. Es hat ihm gut in die Schüssel geregnet: er hat eine große Erbschaft erhalten, er ist über Nacht (im Schlafe) reich geworden. Vgl. ndl. ,Het heeft veel geregend in zijne kom4. Verdeckte Schüsseln auftragen: seine Absichten nicht verraten, sich mit einem Geheimnis umgeben. Vgl. ndl. ,Met gedekte schoteis opdischen4 und die ähnl. dt. Wndg. ,seine Karten nicht aufdecken4. In seine eigene Schüssel schauen: sich um sein Haus, um seine eigenen Angelegenheiten zuerst kümmern. Das ist eine Schüssel aus seiner Küche: das stammt unbedingt von ihm, das kann nur er fertiggebracht haben, das ist ein Streich, der ihm ähnl. sieht. Vgl. frz. ,C’est un plat de son métier4. 903
Schuster Dir ha b ’ ich schon lang’ was auf der Schiis- sel:m\i dir habe ich noch etw. abzurechnen. Die Wndg. wird als Drohrede gebraucht. Die wien. Rda. ,Sie ist aus der zehnten Schüssel4 meint: sie ist eine sehr entfernte Verwandte. Schuster. Auf Schusters Rappen reisen (reiten, ankommen): zu Fuß gehen. Die schwarzen Schuhe wurden scherzhaft die Rappen des Schusters genannt. Abraham a Sancta Clara brauchte diese Rda. bereits lit. in seinem ,Judas4 (I, 197): „Auf deß Schusters Rappen reiten44. Gottfried Seume dichtet sinngemäß (Werke, I, 212): Darauf lief ich, wie ein Don Quischott, Hinab, hinan die Erde, Bald Kuhschritt und bald Hundetrott, Auf meines Schusters Pferde. Früher sagte man auch statt dessen: ,auf seiner Mutter Fohlen reiten4, z.B. heißt es in Behaims ,Buch der Wiener4 (203, 29): Wir musten all zu fußen gan, man sach viel manchen werden man reiten auff seiner muter voln. Diese Wndg. ist bereits in mhd. Zeit belegt. In Heinrich von Freibergs ,Tristan4 wird Keie, als er zu Fuß anstatt zu Pferde heimkehrt, von einem anderen Ritter verspottet: Twar als alt als ich bin, so gesach ich iuch, ritter wert, geriten nie so guot ein pfert, als ir nu tuot in dirre zit. ir und iuwer rössel sit zwâr mit einander geborn „Keie uf siner muoter vüln ist gesezzen!“ einer sprach, darnach aber ein ander jach: er ritet der zwelfboten pfert. Die letzte Zeile der Spottrede wird heute meist in lat. Form als ,per pedes apostolorum4, zu Fuß wie die Apostel, gebraucht. In Köln nennt man die Füße deshalb die ,Apostelpferde4, und die ndd. Rda. ,Spann din Apostelpeerd an!4 meint: mach dich auf die Beine! Diese Wndg. wird schon 1653 von Johann Wilhelm Lauremberg in seinen ,Scherzgedichten4 (4. Gedicht, V. 141) lit. verwertet: Ick quam in eine vornehme Stadt up mine Apostel Peerde gereden. Vgl. ital. ,andare sul cavallo di San Fran¬ cesco*: auf dem Pferd des heiligen Franziskus reiten. Die Rda. ist ebenfalls spöttisch gemeint, weil die armen Franziskanermönche zu Fuß gingen, im Unterschied zu den reichen Benediktinern, die zu Pferde reisen konnten. Vgl. auch frz. ,aller sur la haque- née des cordeliers4. Ein Schustersein: ein Pfuscher sein, der nur Flickarbeit oder ein unvollkommenes Werkstück herstellen kann, weil er nichts Rechtes gelernt hat. Schuster galt früher als Schimpfwort für den ungeschickten Schuhmacher und wurde dann erweitert auf alle die bezogen, deren schlechte Arbeit man verächtlich machen wollte. Waldis (Werke II, 19, 9) verwendet den Ausdr. auch lit.: .Schuster, bleib bei deinem Leisten!* Denn mich daselbst kein visch nit kent Vnd nit mehr einen Schuster nennt. Einen Schuster machen: einen mißlungenen Versuch machen, etw. durch seine Arbeit oder Einmischung grundsätzlich verderben. Ähnl. meint die Wndg. etw. zusammenschustern: ohne Geschick und Neigung etw. nur notdürftig bewerkstelligen. Schuster werden: im Spiel doppelt verlieren, /Schneider; spielen wie ein Schuster: schlecht, ohne rechte Aufmerksamkeit spielen, nichts davon verstehen. 904
Schwabe Sie hat ihm den Schuster gegeben: sie hat ihn abgewiesen, ihm den Abschied gegeben. Schuster und Schneider werden dem nicht mehr viel anzupassen haben, aber der Tischler: er wird bald sterben. Er will Schuster werden, um sich die Schuhe seiber machen zu können: er will alles selbst tun, ist geizig und will andere nichts verdienen lassen. Auch mdal. Wndgn. sind verbreitet, z.B. sagt man in Norddtl. ,pralen as de Schoster mit enem Leest', wenn jem. sehr arm ist und sich dessen noch rühmt. Macht jem. große Umstände oder führt weitschweifige Gespräche, so heißt es in Bremen: ,He rek- ked idt uut, as de Schoster dat Ledder'. Jem. etw. zuschusteni: ihm etw. zukommen lassen, zu seinem Unterhalt etw. beisteuern. Nicht wissen, zu welchem Schuster man gehen soll: unentschlossen sein, sich schwer für das eine oder andere Übel entscheiden können. Diese Rda. ist bes. in Obersachsen bekannt. Die Mahnung Schuster, bleib bei deinem Leisten! gilt dem, der ohne Sachverstand Kritik übt und sich unberufen in alles einmischt, /Leisten. Die Wndg. ist griech. ■uatfHA luauuq uq ,qiajq ',ui]n(p0 Urspr. und sehr alt. Sie beruht auf einem Ausspruch des Malers Apelles, der zur Regierungszeit Alexanders d.Gr. seine Gemälde öffentl. auszustellen pflegte und sich verbarg, um die Urteile anzuhören. Als ein Schuhmacher getadelt hatte, daß bei den Schuhen auf dem Bilde eine Öse fehlte, fügte der Maler sie hinzu. Dadurch ermutigt, versuchte der Schuhmacher noch weitere Kritik, wurde aber von Apelles zurechtgewiesen. Die Rda. wirkt bis in den neuzeitlichen Schlager weiter: Schuster, bleib bei deinem Leisten, Schöne Mädchen kosten Geld. Leider kostet stets am meisten, Was nur kurze Dauer hält. Vgl. auch ndl. ,Schoenmaker, houd u bij uwe leest4; engl. ,let the cobbler stick to his last‘ und frz. ,chacun doit se mêler de son métier, les vaches sont bien gardées; mêlez-vous de vos pantoufles4. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alem. Jb. (Biihl/Ba- den 1973). Schwabe, Die Schwaben fechten dem Reiche vor: sie wollen immer in vorderster Kampflinie, überall an erster Stelle stehen, wie es ihrer sprw. Tapferkeit zukommt, die schon Caesar gerühmt hat. Die Schwaben sind stolz auf diesen hist, bezeugten Charakterzug, der zu ihrem Vorrecht führte, in der Schlacht anzuführen und entscheidend zum Sieg beizutragen. Mehrfach wird dies in der mhd. Lit. erwähnt, z. B. im ,Rolandslied' und in der ,Kaiserchronik4. In den DS. Nr.456:,Warum die Schwaben dem Reich vorfechten4 heißt es zur Erklärung: ,,Die Schwaben haben von alten Zeiten her unter allen Völkern des deutschen Reiches das Recht, dem Heer vorzustreiten. Und dies verlieh Karl der Große ihrem Herzoge Gerold (Hildegardens Bruder), der in der blutigen Schlacht von Runzefal vor dem Kaiser auf das Knie fiel und diesen Vorzug als der älteste im Heer verlangte. Seitdem darf ihnen niemand vorfechten. Andere erzählen es von der Einnahme von Rom, wozu die Schwaben Karl dem Großen tapfer halfen. Noch andere von der Einnahme Mailands, wo der schwäbische Herzog das kaiserliche Banner getragen und dadurch das Vorrecht erworben“. 905
Schwabe Ein wackrer Schwabe forcht sich nit: ein echter Schwabe trotzt jeder Gefahr, heißt es recht selbstbewußt. Die Wndg. ist urspr. ein Zitat aus Ludwig Uhlands Gedicht Schwäbische Kunde4, in dem es heißt, als ein Schwabe von mehreren türkischen Reitern auf seinem Zug ins Heilige Land angegriffen wird: Der wackre Schwabe forcht sich nit, Ging seines Weges Schritt vor Schritt, Ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken Und tät nurspöttlich um sich blicken ... Durch das gleiche Gedicht sind die Schwabenstreiche berühmt geworden. Der Held, der mit einem Schwertstreich einen Türken zerschlagen hat, antwortet auf die Frage Barbarossas, wer ihn solche Streiche gelehrt habe: Die Streiche sind bei uns im Schwang; Sie sind bekannt im ganzen Reiche: Man nennt sie halt nur Schwabenstreiche. Die ,Schwabenstreiche4 sind aber auch noch in ganz anderer Bdtg. als lustige Schwänke bekannt geworden. In KHM. 119: ,Die sieben Schwaben4 werden die Abenteuer der Sieben berichtet, die mit einem großen Spieß bewaffnet einen Drachen bekämpfen wollen. In ihrer Angst halten sie einen Hasen für ein Untier und wollen einer den anderen vorschicken, ganz im Gegensatz zu der angeblichen Tapferkeit, die man ihnen nachsagt. Einen Schwabenstreich (ein Schwabenstücklein) machen bedeutet daher: sich ungeschickt, töricht, überängstlich anstellen. Vielleicht stehen damit auch die Wndgn. in Zusammenhang:,Die Schwaben haben nur vier Sinne4 (weil sie ,riechen4 mit ,schmek- ken4 bezeichnen) und ,Der Schwabe wird erst im 40. Jahr klug4, /Schwabenalter. Der Schwabe muß allzeit das Leberlein gegessen haben: er wird immer verdächtigt, ihm wird die Schuld zugeschoben. Die Wndg. bezieht sich auf das Märchen ,Vom Schwaben, der das Leberlein gefressen4. Der Schwabe leugnet hartnäckig gegen- £»|tort <*/ |on Mt fjktatg tfrwafatt mit Mit faftn / itt gut Œdjtvd6i'fc5ct33aurn<fl>rad?/.fa Sttfmm gcfldlrt/foftfolgcC J,. 00' 9uujinrli ôimij Du oaor iiajjnn $rl)'l)alt Diil) imorrm$ü)frniai)u. ,Ein Schwabenstreich1 ■..a»— 906
Schwach, Schwäche, Schwachheit über seinem Reisegefährten (Christus), das Leberlein beim Zubereiten des Lammes genommen zu haben,'und behauptet, es habe keines besessen. Er gesteht erst, als ihm auch der zweite Geldanteil noch zu- fällt, da er dem gehören soll, der das Leberlein gegessen hat (L. Bechstein: Sämtliche Märchen, Darmstadt 1966, S.31). Gott verläßt keinen Schwaben: selbst in höchster Not und Gefahr ergibt sich immer noch ein Ausweg, eine Rettung. Sprw. ist auch die Reiselust der Schwaben geworden. So sagt man: ,Die Schwaben und bös Geld führt der Teufel in alle Welt‘. Johannes Fischart fragt bereits in seiner ,Ge- schichtklitterung4:,,In welches Land laufen nicht die Schwaben aus?“ Im ,Schwaben- spiegeF stehen dazu auch die folgenden Verse, die zeigen, daß schon dem Kind von seinen Eltern die Wanderlust für sein späteres Leben bei der Geburt gewünscht wird: Wenn ein Schwab’ das Licht erblickt, Wird er auf ein Sieb gedrückt, Spricht zu ihm das Mütterlein Und der Vater hinterdrein: So viel Löcher als da sind In dem Siebe, liebes Kind, So viel Länder sollst du sehen, Dann magst du zu Grabe gehen. (Der Schwabenspiegel aus alter und neuer Zeit, Stuttgart 1870, S.26.) Da man den Schwaben auch gern wegen seiner Mda. in der Fremde verspottet, sagt er dazu ruhig: ,Ein Schwabe wird doch noch schwäbeln dürfen4. Über die Schwaben gibt es viele Sprww., von denen noch einige angeführt werden sollen: ,In Schwaben ist die Nonne keusch, die noch nie Kind gewann4; ,Stirbt dem Schwaben die Frau am Karfreitag, so heiratet er noch vor Ostern wieder4 oder das Sagte-Sprw.: ,D’ Supp ist’s best, sagte der Schwab, wenn sie aber zuletzt käme, äße niemand mehr davon4. ,Schwäb. Gruß4 /Arsch. Lit.: M. Radlkofer: Die sieben Schwaben und ihr hervorragendster Historiograph Ludwig Aurbacher (Hamburg 1895); G. M. Kueffner: Dit Deutschen im Sprw. (Heidelberg 1899), S.74ff.; A. Keller: Die Schwaben in der Gesch. des Volkshumors (Freiburg 1907); H. Moser: Schwab. Volkshumor (Stuttgart 1950); T. Troll: Deutschland, deine Schwaben (Hamburg ,71972). Schwabenalter. Ins Schwabenalter kommen: 40 Jahre alt werden und endlich zu Verstand kommen. Die Rda. bezieht sich auf ein altes Sprw., nach dem die Schwaben erst mit 40 Jahren gescheit werden sollen. Auch der schwäb. Humanist Joh. Bohemus urteilte bereits 1520 in seinen ,Omnium gentium mores4 (61b) über seine Landsleute: „Sero resipiscunt44. Vgl. das Sprw. ,Der Schwabe wird erst im vierzigsten Jahre klug4. Dies ist nicht nur als Verspottung und Schelte aufzufassen, da es auch ein gewisses Lob enthält durch die Feststellung, daß die Schwaben auf jeden Fall später klug werden, was auf viele andere nicht einmal im Alter zutrifft. Als Rda. ist der Ausdr. erstmalig bei Wieland belegt, der in einem Briefe vom 14. August 1773 an Fr. H. Jacobi schreibt: „Ich habe nun endlich das Schwabenalter erreicht, und ich bekenne williglich, daß ich wenig Lust habe, mich alle Augenblicke hofmeistern zu lassen“. Auch Goethe erwähnt in einem Brief vom 6. September 1787 diesen Volkscherz über das Schwabenalter. Noch in der Ggwt. ist als Spruch verbreitet: Mir Schwobe werdet erseht mit 40 gscheit. Die andere net in Ewigkeit. Er hat das Schwabenalter noch nicht bedeutet entweder: er ist noch nicht 40 Jahre alt, oder: er ist noch immer nicht zu Verstände gekommen, obwohl noch Hoffnung darauf besteht. Mit den Schwaben klug werden: erst im reifen Mannesalter zur Einsicht gelangen. Dagegen ist die Feststellung Er hat Schwabenverstand eine Umschreibung für Dummheit, ebenso wie das Sprw.: ,Die Schwaben mangeln eines Sinnes4. Vgl. lat. ,Abderitica mente est4. Wilh. Wackernagels Nachforschungen, seit wann die Schwaben für so dumm gelten, führten auf Kirch- hoffs ,Wendunmuth4 von 1563 zurück. Lit.: A. Keller:D\t Schwaben in der Gesch. des Volkshumors (Freiburg 1907), S. 69 u. 110; T. Troll: Deutschland, deine Schwaben (Hamburg 171972). schwach, Schwäche, Schwachheit. Schwach auf der Brust sein, eine scherzhafte Umschreibung für: ohne Geld sein, das früher im Beutel steckte, heute aber in der Brieftasche an der Brust getragen wird. Die ur- spr. Bdtg. der Rda. war: gefährlich krank 907
Schwadroneur, schwadronieren sein, an der Schwindsucht leiden, ein Schwächling sein, der Sport scheut und körperliche Anstrengungen zu meiden sucht. Etw. schwach bleiben: etw. schuldig bleiben, weil man ,schwach bei Kasse ist‘. Sich schwach machen: sich heimlich aus einer Gesellschaft davonschleichen, vgl. ,sich dünn machen1, ,sich drücken4. Jem. schwach machen: jem. willensschwach machen, ihn erweichen und rühren, so daß er nachgibt, sich verleiten oder verführen läßt, aber auch: jem. die Fassung, die Geduld rauben. Bes. so zu verstehen sind die Ausrufe: ,Mach mich nicht schwach!4 und ,Das ist zum Schwachwerden!4 Zum schwachen Geschlecht gehören: eine Frau sein, die körperlich für weniger leistungsfähig gehalten wird. Die Wndg. bezieht sich aber auch auf das Vorurteil von der geistigen Schwäche der Frau, da sie sich als leicht nachgiebig erweist und Angriffen wenig Widerstand entgegensetzt. Das Adj. schwach kann aber in dieser Wndg. auch i. S. v. gering, minderwertig gebraucht werden, indem sich der Mann seiner Stärke und Überlegenheit bewußt ist und sich vom weibl. Geschlecht distanziert. Jem. an der schwachen Seite fassen /Seite. Etw. in einer schwachen Stunde tun /Stunde. Seine Schwächen besitzen: negative Seiten, angreifbare Punkte haben. Oft wird die Wndg. zum eigenen Trost über seine Unzulänglichkeiten und Sünden gebraucht, indem man feststellt, daß ,jeder seine Schwächen besitze'. Eine Schwäche für etw. (jem.) haben: eine Vorliebe für etw. (jem.) haben, sehr begierig darauf sein, von jem. sehr eingenommen (begeistert) sein. Vgl. ndl. ,een zwak voor iets (iemand) hebben4 ; frz.,avoir un faible4 ; engl. ,to have a weakness for4. Die Warnung Bilde dir keine Schwachheiten ein! heißt: mache dir keine falschen Hoffnungen, eigentl.: denke nur nicht, eine schwache Stelle bei uns zu finden, so daß wir uns zu Torheiten verleiten lassen und deine Wünsche doch noch in Erfüllung gehen könnten. Schwadroneur, schwadronieren. Ein Schwadroneur sein: ein mundfertiger Viel¬ redner, ein Schwätzer, ein Aufschneider und Prahler sein. Bekannter ist der Ausdr. schwadronieren für: unnützes Zeug reden, viele Worte machen, prahlen, der aus der Fechtschule stammt. Er hatte urspr. die Bdtg.: mit dem Degen wild hin und her fahren, planlos um sich hauen, um die Feinde von sich fernzuhalten. Um 1780 entstand unter dem Einfluß des älteren ,schwadern4 = viel schwatzen, das auf lat. ,suadere4 = Zureden zurückgeht, und ,Suada4 = wortreiche Sprache in Studentenkreisen die Übertr. auf Geschwätz und Prahlerei. Als erster verwendete Goethe 1775 den Ausdr. in diesem neuen Sinne im ,Urfaust‘ (V. 1379) lit., und Kindleben verzeichnete ihn 1781 in seinem Studenten-Lexikon (177). Wie sich die Übertr. vom planlosen Fechten auf das Wortgefecht vollzogen hat, zeigt eine Briefstelle Lichtenbergs von 1787 (Briefe 2, 314): „Entwürfe gegen seine Sätze werden seiner Vertheidigung die gehörige Richtung geben, da er jetzt blos schwadronirt, und wohl noch nicht selbst weiß, wohin er seine individuellen Hiebe richten soll44 (Kluge-Götze, S.703). Schwager. Schwager, fahr zu!: beeile dich, fahre schneller, laß die Pferde traben! Diese Anrede des früheren Postillions hat mit der Verwandtschaftsbez. nichts zu tun. Schwager war allg. in der vertraulichen Begrüßung und Anrede beliebt. Bei Seb. Brant heißt es im ,Narrenschiff4 (XVII, 22 f .): Wer pfennig hat, der hat vil fründ, Den grüßt und swagert yederman. Im 13. Buch von ,Dichtung und Wahrheit4 erzählt Goethe, wie er selbst über sein Mißverständnis des Ausdr. Schwager von einem angesehenen Geschäftsmann, der seinen ,Götz4 beurteilte und sein Geschichtsverständnis sehr lobte, aufgeklärt wurde. Dieser wies den Dichter darauf hin, daß Götz kein Schwager Sickingens sei. Goethe suchte seine Annahme damit zu rechtfertigen, daß Götz in seiner eigenen Lebensbeschreibung den Sickingen Schwager nenne. Doch der Besucher belehrte ihn, daß dies nur eine Rda. sei, um ein näheres freundschaftliches Verhältnis auszudrücken. Die Anwendung des Ausdr. auf den Postil- 908
Schwalbe lion kam zuerst Anfang des 18. Jh. unter Jenaer Studenten auf und beruht auf einem Mißverständnis. Vor rund 400 Jahren vermittelten die Thurn-und-Taxisschen Postknechte die Post zwischen Augsburg und Italien. Sie mußten mit Pferden umgehen können und stammten deshalb meist von Bauernhöfen, die Pferdezucht trieben und in Bayern ,Schwaigen' genannt wurden. Diese Postreiter nannte man nun ebenfalls wie die Senner auf der Bergschwaige Schwaiger, in bair. Mda. auch Schwager. Mittel- und nordd. Studenten, die den Namen ,Schwaiger' nicht kannten, der auf ahd. ,sweigari' = armentarius zurückgeht und nur noch in südd. Mdaa. fortlebt, hörten nur das Wort Schwager heraus. Es war zu Beginn des 18. Jh. die studentische Anrede des Nichtstudenten, während ,Bruder' als Anrede der Studenten untereinander üblich war. Die häufige Verbindung von ,Schwager Postillion' führte dann dazu, daß Schwager die Bdtg. von Postillion erhielt. Gottfried August Bürger braucht diesen Begriff lit. Der Beginn seines Gedichtes ,Der Raubgraf' lautet: Es liegt nicht weit von hier ein Land, Da reist ich einst hindurch; Am Weg auf hohem Felsen stand Vor alters eine Burg; Die alten Rudera davon Wies mir der Schwager Postillon. Vgl. auch Goethes Gedicht ,An Schwager Kronos'. Lit.: J. Grimm: Dt. Grammatik III. 475; Göhring, S. 103 f.; Kluge-Götze, S.703. Schwalbe. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer: es ist äußerst gewagt und oft sogar recht verhängnisvoll, von einem vereinzelten Anzeichen oder einer einmaligen Erscheinung (Handlungsweise) aus, allg. Schlüsse zu ziehen oder leichtsinnig, sorglos und voreilig zu handeln. Die Wndg. stammt bereits aus der Antike. In seiner Fabel ,Der verschwenderische Jüngling und die Schwalbe' erzählt Äsop von einem jungen Mann, der in kurzer Zeit sein Erbe durchgebracht hatte. Als er die erste Schwalbe im Frühling sah, hoffte er, daß die warme Jahreszeit beginnen müsse und verkaufte als letzten Besitz seinen Mantel, da er ihn nun für entbehrlich hielt. Als noch einmal kalte Tage kamen und die erste Schwalbe sogar erfror, fühlte sich der J iing- ling von ihr betrogen. Unter der Kälte leidend, schalt er auf die Unschuldige und machte die bittere Erfahrung, daß eben eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Aristoteles hat die griech. Wndg. in seiner .Nikomachischen Ethik' (I, 6) überliefert: „Mia %eÀiôcav ëap où Tioiel“. ,Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer1 Auch in der griech. Vasenmalerei ist die Beobachtung der Schwalbenankunft und ihre freudige Begrüßung dargestellt worden. In Dtl. ist die Wndg. seit mhd. Zeit bekannt, z. B. heißt es im ,Ritterspiegel‘ (Zin- gerle, 135): „Ein swalbe ouch nicht bringet den lenzin wan si komit geflogin"; auch in mdal. Formen ist sie verbreitet: ,En Swulk mâkt ken Sommer' (ndd.) oder ,Ene Schwolbe macht kin Summer' (schles.). Die weite Verbreitung und Übers, der antiken Wndg. zeugt für ihre Beliebtheit, vgl. ndl. ,Eene zwaluw maakt geen zomer'; engl. ,One swallow makes no summer, nor one wood-cock a winter' ; schwed. ,En swala gör ingen sommar'; frz. ,Une hirondelle ne fait pas le printemps'. Die Schwalbe gilt bis heute allg. als Verkünderin des Frühlings oder des Sommers. Ihre Rückkehr wird noch gegenwärtig in 909
Schwalbe 910
Schwanen, Schwansfeder Griechenland am 1. März bes. gefeiert. Bei ihren Umzügen führen Kinder und Jugendliche künstliche Schwalben mit, sie singen dabei Schwalbenlieder und heischen Gaben. Auch in den dt. und ndl. Städten war es früher die Pflicht der Turmwärter, auf die erste Schwalbe zu achten, sie durch Blasen zu begrüßen und ihre Ankunft öffentl. als frohes Ereignis anzukündigen. Von einem Übervorsichtigen und Pessimisten, der schwer von der Wendung zum Besseren zu überzeugen ist, heißt es rdal. Er muß viel Schwalben sehen, bis daß er glaubt, daß es Frühling sei. Schwalben schießen: aufschneiden, prahlen, lügen, da es äußerst schwierig ist, eine Schwalbe im Fluge zu treffen. Schwalben (Sperlinge) unter dem Hute ha- ben:unhöflich sein und den Hut beim Grüßen nicht ziehen, so als habe man Angst, daß einem die darunter sitzenden Schwalben fortfliegen könnten. Schwalben bekommen: scherzhaft für Ohrfeigen bekommen, vor allem im Obersächs. und Thür, üblich. Vgl. auch die in diesem Gebiet übliche Strafandrohung: ,Du wirst gleich eine geschwalbt kriegen4. Lit.: Büchmann, S.468; A. Taylor: The Proverb (Kopenhagen 1962), S. 29; K. Spyridakis: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer (To Äopa rf|ç xE^1- ôovoç), (Athen 1969). Schwamm. Schwamm drüber!: Nichts mehr davon! Es sei vergeben und vergessen, ei- gentl.: die mit Kreide auf dem schwarzen Brett angeschriebene Zechschuld sei ausgelöscht. Der Malerdichter Karl Stauffer- Bern bezeichnete den Ausruf im Mai 1883 als „neueste Berliner Redensart“. Sie wurde durch den Bühnenerfolg von Millöckers Operette ,Der Bettelstudent4 von 1882, deren Text F. Zell schrieb, in ganz Dtl. verbreitet. Das Bild war aber schon vorher bekannt. So heißt es z. B. bei Goethe: „mit dem Schwamm über alles hinzufahren, was bisher auf die Tafel der Menschheit verzeichnet worden war“ (Ausg. letzter Hand, Bd.53, S.64). Auch Corneille spricht in seinen Versen davon: Sur les noires couleurs d’un triste tableau Il faut passer l’éponge, ou tirer le rideau. Einen Schwamm im Magen haben: viel trinken können, da angeblich ein Schwamm die Flüssigkeit aufsaugt. Vgl. ndl. ,Hij heeft eene spons in zijne keel4. Er kann sich mit dem Schwamm frisieren: er ist kahlköpfig. Die junge berl. Rda. verspottet durch einen spracht. Scherz den Glatzköpfigen. Es ist ein wahrer Schwamm von einem Menschen: der Einfältige und Leichtgläubige wurde schon in altröm. Zeit damit charakterisiert. Heute hat die Rda. auch die noch negativeren Bdtgn. eines Menschen, der wie ein Schwamm weich, kraftlos und zerbrechlich ist, und daher leicht zu beeinflussen, aber auch schwer zu fassen ist. Als ,der ganze Schwamm4 werden im Obersächs. verächtlich wertloser Vorrat, nicht mehr benötigte Waren und veraltete Gegenstände bez. In die Schwämme gehen (kommen): verlorengehen. Die Rda. ist eine landschaftliche Nebenform zu ,in die Pilze gehen4 (/Pilz, /Binse). ,Da kann man ja die Schwämmchen kriegen!4, der obersächs. Ausruf des Ärgers und besonders der Ungeduld leitet sich von der Kinderkrankheit ,Schwämmchen4 = Mundfäule her. schwanen, Schwansfeder. Es schwant mir, auch: Mir schwant etw. (nichts Gutes): ich ahne etw., eine Sache fängt an, mir klarer zu werden, ich erwarte Schlimmes, sehe ein kommendes Unglück voraus, habe böse Vorahnungen, auch: ich habe nur eine dunkle Erinnerung an etw. Meist dient die Wndg. zur Vordeutung auf etw. Unheilvolles, so auch in einem Lied auf die Schlacht von Trier im Jahre 1675: De Dütschen stännen aß en Pahl Un schlögen wohl twe- und drehmahl In ene Stäh den Hanen De sik det nicht vermoen währn, Begun darbie to schwanen. Das Wort schwanen findet sich nur im Dt. und ist zuerst in ndd. Form 1514 im ,Schichtbuch der Stadt Braunschweig4 (132, Scheller) belegt: „Ome hadde so etwas geswanet“. In hd. Form ist der Ausdr. im ,Tacitus4 von J. Micyllus (221a) bezeugt, der 1535 in Mainz erschienen ist, danach findet er sich aber während vieler Jahrzehnte nur bei lateinkundigen Schriftstellern. 1582 braucht Hayneccius in seiner Komödie ,Hans Pfriem4 die Wndg.: „Vors 911
Schwanengesang letzte schwant mir mächtig sehr, wie ich mich aller Gewalt erwehr“ und in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 heißt es schon ganz im heutigen Sinne: „Dem Simplex schwahnt der sach, drum hat er kein gefallen44. Von den Universitätsstädten aus ist das Wort erst seit Ende des 18. Jh. in die Mdaa. gedrungen, und zwar stets mit langem â wie bei,Schwan4, mit dem es deshalb von Jacob Grimm in seiner ,Dt. Mythologie4 (I, 354) in Zusammenhang gebracht wird. Er führt schwanen auf die angebliche prophetische Begabung des Schwanes zurück, auf die der germ. Glaube an die Verwandlung von Jungfrauen in weissagende Schwäne und der Ausdr. /Schwanengesang hindeute. Doch der Ausdr. hat nichts zu tun mit den weissagenden Schwanenjungfrauen im ,Nibelungenlied4 oder den Schwänen in der ,Gudrun‘. S. Singer deutet ihn als eine im 16. Jh. entstandene gelehrte Nachbildung von ,es ahnt mir4, hervorgerufen durch die antike Sage vom Schwanengesang, dem Gesang, den der sterbende Schwan hören läßt, weil er die Seligkeit des Lebens im Jenseits vorausahnt. Axel Lindquist versuchte 1913 eine etymol. Deutung der Wndg. Er glaubt, daß durch eine irrige Worttrennung im mdt. Gebiet aus dem mnd. ,es wänet mir4 das Wort ,swanet4 entstanden sei. Da der Ausdr. aber in den Mdaa. stets mit tonlangem â erscheint, scheidet die Möglichkeit einer verschobenen Silbengrenze aus. Vermutl. ist das Wort (Kluge-Götze) eine gelehrte Scherzübers. des lat. ,olet mihi4 = es ahnt mir, das im Studentenwitz mit dem ähnl. klingenden ,olor4 = Schwan verbunden wurde. Auf die volksetymol. Deutung, die ,schwanen4 mit,Schwan4 in Verbindung bringt, weisen auch die Rdaa.: Mir wachsen die Schwansfedem und: Ich habe (kriege) Schwansfedern: ich merke es schon lange. Ähnl. heißt es 1725 bei Henrici (Picander) in der,Weiberprobe4 (S. 76): ,,Er hat Ihnen Schwahnfedern aufgesetzet“, d.h. er hat sie auf eine Ahnung gebracht, hat sie gewarnt. Lit.: J. Grimm: Dt. Mythologie, I, S.354; S. Singer, in: Zs. f. dt. Wortf. 3 (1902), S. 10 und 234; A. Lindquist. in: Beitr. 38 (1913), S. 339 und 39 (1914), S. 398; Kluge-Götze, S. 704. Schwanengesang. Es ist sein Schwanengesang (-lied): sein letzter Auftritt als Schauspieler oder Sänger, seine letzte Rede kurz vor seinem Tode, das letzte Werk eines Schriftstellers oder Gelehrten. Die Rda. läßt sich bis ins klassische Altertum zurückverfolgen. Die Griechen hielten den Schwan für ein prophetisches Tier, dem Apollon die Gabe der Weissagung geschenkt habe. Sie glaubten, daß die Schwäne deshalb auch ihren eigenen Tod ahnten und kurz vorher bewunderungswürdige Klagelaute hören ließen. Schon Aischylos verglich die letzten bedeutungsvollen Worte eines Menschen mit dem Todeslied des Singschwans (Cycnus musicus), indem er im ,Agamemnon4 (V. 1445) Kly- tämnestra von der Seherin Kassandra sagen ließ: „Daß sie nach Art des Schwanes letzte Todesklage zu singen anhob44. Cicero wendete denselben Vergleich in ,De oratore4 (III, 2, 6) auf den Redner L. Crassus an, der kurz danach starb, als er eine Rede gehalten hatte: „Illa tanquam cycnea fuit divini hominis vox et oratio44 (= Das war gleichsam die Schwanenrede des außerordentlichen Mannes). Vgl. Plato, Phaedon, Cap. 35; Cicero, Tuse. I, 30, 73. Der singende Schwan war auch bei den Germanen bekannt, doch hielt man dies bis zur Mitte des vorigen Jh. für eine Sage, weil keine singenden Schwäne beobachtet werden konnten. Dies erklärt sich daraus, daß es in Europa zwei Arten von Schwänen gibt, wovon nur die stumme Art des Hök- kerschwans auf Dtls. Seen und Teichen zu finden ist. Der Singschwan kommt bei uns nicht vor, er brütet im Norden. Er kann laute Töne wie ein Blasinstrument hervorbringen und wechselt zwischen einem starken hohen und einem schwächeren tiefen Ton ab. Wenn mehrere dieser Schwäne zusammen auf einem Teiche ihre Töne hören lassen, so entsteht durch den Wechsel in der Tonfolge der Eindruck eines Gesanges. Hierzu schreibt Brehm: „Der Schwanengesang ist in der Tat oftmals der Grabgesang dieser schönen Tiere; denn da diese in tiefen Wassern ihre Nahrung suchen müssen, ist oft Nahrungsnot - in der Kälte Erstarrung...; aber bis an ihr Ende lassen sie ihre klagenden und doch hellen Laute hören“. 912
Schwanz Bei Heinrich von Veldeke und Heinrich von Morungen finden sich Textstellen, die Bekanntschaft mit dem Liede des Schwanes kurz vor seinem Tode voraussetzen, doch dies kann auf rom. Einfluß zurückgehen. Konrad von Würzburg vergleicht in seiner ,Goldenen Schmiede' (V. 976-983) das Singen des sterbenden Schwans mit dem Ruf des Gekreuzigten zu Gott: man seit uns allen daz der swan singe swenne er sterben soi, dem tet din sun geliche wol an dem heren criuze fron: ely, den jämmerlichen don, sang er des males, unde schrei daz im sin herze wart enzwei gespalten von des todes mäht. Sehr auffällig ist jedoch, daß das Subst. Schwanengesang in übertr. Bdtg. sich erst aus der Mitte des 16. Jh. belegen läßt, was wahrscheinl. auf den Einfluß von Ciceros ,De oratore' beruht, da das Werk in dieser Zeit viel gelesen wurde. Auch Fischart kannte diese Vorstellung, denn er schrieb 1577 in der ,Flöhhatz' (S. 5/66): „Wan singt der Schwan, so stirbt er dran“. Die Vorstellung vom Schwanengesang ist auch außerhalb Dtls. verbreitet. Vgl. ndl. ,Hij zingt zijn zwanenzang'; engl, ,1t is the swan song'; frz. ,C’est le chant du eigne'; schwed. ,Han haar gjört sin sidsta swane- sang'. Lit.: Büchmann, S.47H. Schwang. Im Schwange sein: allg. üblich sein, in Umlauf sein, von vorübergehendem Gebrauch, einer Mode gesagt, eigentl.: in schwingender Bewegung sein, gegenüber Dingen, die ruhen und die Zeiten überdauern. Die Wndg. ist seit frühnhd. Zeit bezeugt. Schwang ist aus dem mhd. ,swanc‘ = Schwung, Hieb, Streich hervorgegangen, zeigt aber eine Angleichung an schwingen', mit dem es wie ,Schwung' im Ablaut steht und dem es früher seiner Bdtg. nach auch völlig entsprach. Seit dem F8. 7h. wurde Schwang im freien Sprachgebrauch durch ,Schwung' abgelöst und ist heute nur noch auf feste Wndgn. beschränkt. Im Schwange gehen: gegenwärtig vorhanden und gebräuchl. sein. In Schwang kommen (bringen): im allg. Gebrauch sein, etw. aufbringen, zu einer Mode machen. Vgl. ndl. ,in zwang körnen (raken, brengen)'; engl. ,to be in vogue, to bring into use' und frz. ,être, mettre en vogue'. Für den Schwang halten: die Gefahr abwenden, einen Schlag aufhalten. Die Rda. bezieht sich auf das Schwingen des Schwertes, ebenso der Ausdr. überschwenglich'. Er gehört zu mhd. ,überswanc‘, das war ur- spr. der Schlag, den einer noch über den Schlag des anderen, also noch besser als dieser, schlug, ebenso wie unübertrefflich' von dem besten Wurfe mit der Lanze, dem besten Schüsse gesagt wurde. Schwank. Jem. einen Schwank aus seinem Leben erzählen: ihm von einer lustigen, merkwürdigen, ihm durchaus nicht nur zur Ehre gereichenden Angelegenheit berichten, einen tollen Streich erzählen. Das nhd. Wort Schwank ist die direkte Fortsetzung des mhd. ,swanc‘ mit den verschiedenen Bdtgn.: Schwung, Hieb, lustiger Streich und die Erzählung davon. Göhring (Nr. 386) weist auf den Zusammenhang mit ,schwenken' hin. Er meint, daß Schwank urspr. das in die Höheschwenken der Bauerndirnen in den ausgelassenen Fastnachtsspielen und Possen bez. habe, was deren Höhepunkt darstellte. Als dies immer mehr bei den Spielen in den Hintergrund trat, sei Schwank als Bez. für die Posse erhalten geblieben und habe sich zum Namen für harmlos-lustige Bühnenstücke und heitere Geschichten erweitert. Lit.: E. Straßner: Schwank (Stuttgart 1969). Schwanz. Den Schwanz einziehen (hängen- lassen): kleinlaut werden, bedrückt, verzagt, mutlos sein. Die Rda. bezieht sich auf das Verhalten des Hundes, der wegen Krankheit und Schwäche, aber auch aus Furcht und meistens in Erwartung einer Strafe den Schwanz einzieht oder hängen- läßt, den er normalerweise stolz erhoben trägt. Bereits Erasmus von Rotterdam (,Adagia' Nr.695) führt 1528 diese Wndg. in lat. Form auf: „Inter crura caudem sub- icit = Er zieht den Schwanz zwischen die Schenkel. Die Herkunft des Bildes in der Rda. wird durch die Vergleiche Er klemmt (zieht) den Schwanz ein wie ein Hund und Er läßt den Schwanz hängen wie ein begos- 913
Schwänzelpfennig serier Hund verdeutlicht und bestätigt. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet, z. B. heißt es im Siebenb.-Sachs.: ,de Schwoanz än- zän4. Vgl. auch ndl. ,Hij laat den staart hangen' und ,met hangende pootjes terugko- men‘. Etw. auf den Schwanz scfdagen (klopfen): es sich unrechtmäßig aneignen, beiseite bringen, einen heimlichen Gewinn beim Ein- oder Verkauf machen. Die Rda. scheint mit dem Viehverkauf zusammenzuhängen: ,auf den Schwanz des verkauften Tieres rechnen4; hineingespielt mag noch haben: einen Schwanz machen: treulos sein, das Wort brechen, eigentl.: einen Umweg machen, nicht geradeaus gehen, woraus dann die Bdtg. ,betrügen4 entstanden ist. Einem einsauf den Schwanz geben: ihn demütigen, schon in Murners ,Schelmenzunft4 (26) bezeugt: ,,Auch wie er uns mit list darneben eines uff den schwantz was werde geben44 (Kloster I, 859). Einem auf den Schwanz treten: ihn beleidigen (/Schlips). Zeigt sich jem. schnell gekränkt und empfindlich, heißt es von ihm: Er fühlt sich auf den Schwanz getreten oder Der hat aber einen langen Schwanz, der fühlt sich dauernd drauf getreten. Einen (etw.) beim Schwanz fassen: es gerade noch schaffen, jem. (etw.) festzuhalten. Vgl. ndl. ,Hij trekt se bij den start4. Die Rda. hat daneben die Bdtg.: jem. an seiner empfindlichsten Stelle angreifen, packen. Mit dem Schwanz wedeln (schmeicheln): sich wie ein Hund einschmeichelnd benehmen in der Hoffnung, einen Vorteil zu erschnappen. Vgl. lat. ,cauda blandiri4. Der rdal. Vergleich mit dem Schwänze wedeln und mit den Zähnen beißen wie die falschen Hunde verdeutlicht wieder die Herkunft des Bildes. Der Schwanz kommt nach! Eine Warnung, daß das Ende noch nicht gekommen oder sehr Unangenehmes noch zu erwarten ist. Schwanz steht hier wie in der folgenden Rda. für Ende und Schluß: Am Schwanz ist er steckengeblieben: der Abschluß einer Sache bringt oft unerwartete Schwierigkeiten und Verzögerungen. Vgl. lat. ,Toto devorato bove in cauda defecit*. Kein Schwanz ist da (zu sehen): es ist niemand anwesend. Urspr. bezog sich diese Feststellung wohl auf das fehlende Nutzvieh im Stall; da Schwanz aber auch zu ei¬ nem beliebten Schimpfwort wurde (Du Schwanz! Du /Schlappschwanz!), trat das Wort auch stellvertretend für Mensch ein, ohne in dieser Rda. die verächtliche Bdtg. beizubehalten. In der Sprache der Erotik ist ,Schwanz4 die Bez. für Penis. Daher die Rdaa.: Sein Schwanz wedelt schon lange nicht mehr: er ist impotent; mit dem Schwanz bellen: pervers sein und: sich in den Schwanz beißen: Autofellatio betreiben (Borneman: Sex im Volksmund). Es ist zum Schwanz ausreißen /Bein. Das Pferd beim Schwanz auf zäum en /Pferd. Salz (Pfeffer) auf den Schwanz streuen /Salz. Schwänzelpfennig. (Sich) Schwänzelpfennige (Schwänzleinspfennige) machen, auch sich Schwänzelgeld machen: Geld beim Besorgen von Einkäufen nicht richtig abrechnen, für sich gutmachen, oder: eine Sache, die man für jem. gekauft hat, bei einem unerwartet billigen Einkauf ihm höher anrechnen, als man selbst dafür ausgegeben hat. Kinder und streng kontrollierte Ehefrauen versuchen diesen kleinen Betrug, um so zu einem Taschengeld zu gelangen. Die Rda. ist seit dem Ausgang des 18. Jh. bezeugt und könnte mit den Rdaa. ,auf den Schwanz schlagen4 und ,einen Schwanz machen4 gleichen Ursprungs sein, da ,Schwanzgeld4 als Kaufschilling beim Viehverkauf auch bei Jean Paul belegt ist; möglicherweise hängt sie aber auch mit dem schwäb.-rotw. Ausdr. ,schwenzlen4 = stehlen zusammen. Vgl. auch frz. ,ferrer la mule4, /Schwanz. schwänzen. Schwänzen: eine Unterrichtsstunde, ein Kolleg absichtlich versäumen, ohne Genehmigung der Schule fernblei- ben, ohne sachlichen Grund und Entschuldigung eine verpflichtende Veranstaltung nicht besuchen. Vgl. frz. ,faire l’école buissonnière4. Das schwache Zeitwort schwänzen gehört zu der Intensivbildung ,schwankeren4 von schwanken4 i. S. v. sich schlendernd bewegen, ziellos herumgehen. Das rotw. ,schwentzen‘ = herumschlendern, müßiggehen mit der Absicht, eine günstige Gelegenheit auszuspähen, ent¬ 914
Schwärmen, Schwärmer wickelte sich daraus mit dieser Nebenbdtg. im 16. Jh. Es ist bereits 1510 im ,Liber Vagatorum4 bezeugt (Kluge, Rotwelsch, 1901). In der Sprache der fahrenden Schüler erhielt der Ausdr. schwänzen die heutige Bdtg. von bummeln, um 1750 ist das Wort bei Studenten belegt. Durch das Schwänzen drückten die Studenten ihre größte Mißachtung gegenüber den bürgerlichen Philistern aus, die sie prellten, betrogen und ignorierten. Sie schwänzten auch einen unbeliebten Professor, indem sie sein Kolleg nicht besuchten. Heute ist die Wndg. bes. in der Schülersprache verbreitet und erscheint deshalb meist in der Form die Schule schwänzen. Die Nebenbdtg. von prellen, die aus der Gauner- und Studentensprache stammt, hat sich mdal. erhalten. So heißt es z.B. in Solothurn: ,Er schwänzt e\ er übervorteilt ihn. Schwarm, Schwarmgeist. Immer einen ganzen Schwarm um sich haben: viele Anhänger, Gleichgesinnte um sich versammeln, viele Kinder bei sich haben, bes. aber: als Frau viele Anbeter besitzen, umschwärmt werden, /schwärmen. Das sprachl. Bild bezieht sich auf den Bienenschwarm, der aus einer großen Masse von Tieren besteht. Sein ganzer Schwarm sein: der Gegenstand, die Person seines höchsten Interesses, seiner Begeisterung und Verehrung sein. Sein früherer Schwarm gewesen sein: eine frühere Geliebte von jem. sein. Sein neuester Schwarm sein: der gegenwärtig am meisten bewunderte Gegenstand seiner heftigen Zuneigung, seine neueste Freundin sein. Diese Wndg. besitzt einen geringschätzigen Unterton. Sie wird häufig in der Frageform gebraucht und auf jem. bezogen, der gar zu leicht zu ,entflammen4 ist und den Wechsel liebt. Nur seinen Schwarm im Kopfe haben: immer an sein Mädchen denken und dadurch unaufmerksam sein, nicht konzentriert arbeiten können. Ein Schwarmgeist sein: ein (junger) Mensch sein, dessen Begeisterungsfähigkeit leicht irregeleitet werden kann, der unklaren, aufrührerischen Ideen, die die Welt verbessern sollen, bes. auf philosophischem, politischem und religiösem Ge¬ biet, zugeneigt ist. Der Ausdr. Schwarmgeist beruht auf einer Schrift Luthers, die 1527 unter dem Titel ,Das diese wort Christi (das ist mein leib usw.) noch fest stehen widder die Schwermgeister1 in Wittenberg erschienen ist (Büchmann, S. 125). schwärmen, Schwärmer. Für jem. (etw.) schwärmen: sich für jem. (etw.) überaus stark begeistern, jem. glühend verehren und seiner Bewunderung häufig Ausdr. geben, jem. lieben und anbeten und eine weit über das gewöhnliche Maß gehende und deshalb oft belächelte Neigung zu jem. zeigen. Das sprachl. Bild beruht auf der Beobachtung der Bienen, die beim Schwärmen unruhig werden und geschlechtlich erregt sind. Die Übertr. erfolgte auf das gesteigerte Gefühlsleben des Menschen, das ihn ebenfalls in Unruhe versetzt. Ausschwärmen, ins Gelände schwärmen: ein Gebiet'erkunden. Die Wndg. stammt aus der Soldatensprache. Einzelne Soldaten werden beim,Ausschwärmen' von ihrer Kampftruppe gesondert ausgeschickt, um das Gelände zu sichern und ihre Kameraden vor einem plötzlichen Angriff der Feinde zu warnen. Diese Wndg. bezieht sich ebenfalls auf das Schwärmen der Bienen: ein Teil des Volkes trennt sich ab, Einzelbienen schwärmen dann um den Stock, bis sie sich wieder an einem Ast um die junge Königin zusammenfinden. Um jem. schwärmen: ständig von Verehrern begleitet, bedrängt, auch belästigt werden wie von einem Insektenschwarm. Keller gebrauchte diese Rda. lit. und dichtete (158a): Zwar weiß ich nicht, wo mir der Kopf mag stehen, Ihr schwärmt um mich wie Bienen auf dem Felde. Die Nacht hindurch schwärmen, auch: ein Nachtschwärmer sein: nicht nach Hause finden, nachts seinen Vergnügungen nachgehen, auch: einen unmoralischen, lockeren Lebenswandel führen, eigentl. wie ein Nachtfalter sich nur im Dunkeln wohlfühlen. Ein (sonderbarer) Schwärmer sein: ein Mensch mit absonderlichen Neigungen sein, ein begeisterungsfähiger Mensch sein, der seine Ideen verwirklichen zu können 915
Schwarte glaubt und andere davon überzeugen und dafür gewinnen will, der aber von real und nüchtern Denkenden nur mitleidig belächelt oder verspottet wird. Der Ausdr. sonderbarer Schwärmer4 ist ein Wort König Philipps aus Schillers ,Don Carlos4 (III. Akt, 10. Sz.). Schwarte. Einem die Schwarte klopfen (gerben): ihn tüchtig verprügeln, vgl. auch: ,einem das Fell gerben4, /Fell. Ähnl. heißt es bei Mathesy (66a): „Einem auf die Schwarten greiffen44, und bei Frommann (III, 369): „Einem wuat op de Swoate gi- wen“. Schwarte steht oft derb für ,Haut\ Die Wndg. klingt heute schlimmer als früher, denn noch in mhd. Zeit bezeichnete man mit ,swarte4 eine behaarte Körperstelle, vor allem die Kopfhaut und dann die menschliche Haut allg. Daß die Schwarte kracht (knackt): ein Kraftausdr. für tüchtig, gewaltig, meist in der Verbindung: arbeiten (zahlen) müssen, daß..., eigentl. sich so anstrengen müssen, daß dabei die Haut platzt. Aus dem 16. Jh. ist die Rda. bei O. Schade (,Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit4 Bd. III, S. 68) belegt: „Nüt bessers, man thet in die roten hütlin ab, daß in die schwärt kracht44. Auch Thomas Murner verwendet die Rda., z. B. in seiner ,Narrenbeschwörung4 (21, 74) und im ,Lutherischen Narren4 (2127, Ausg. von Merker 393) Bei Winterholler (I, 791, vgl. Zachers Zeitschrift für deutsche Philologie4 17, 23) steht: „Die Scythen, welche Hunger und Durst leiden, daß ihnen die Schwarten krachten44. In Murners ,Mühle von Schwindelsheim4 (V. 1114) hieß es dagegen anders: „drincken, das die lenden krachen44. Deutlich erkennbar ist die Grundbdtg. von Schwarte in einer Stelle aus den ,Proben der Poesie4 des Leipzigers Amaranthes (Corvinus), der 1711 (Bd. II, S.311) schrieb: So geht es an ein Schlagen, Daß ihm die Haut und Schwarte kracht. Daß die Schwarte raucht: so sehr, daß man stark schwitzt und die Haut förmlich dampft, daß einem ,das Fell raucht4, /Fell. Im Jahre 1683 ließ man z. B. die am Kahlenberg bei Wien besiegten Türken klagen: Der tapfre Markgraf auch, Nach seinem Heldenbrauch, Der hieb uns auf die Schwarten, Daß darvon ging der Rauch. Eine tüchtige Schwarte haben: verächtl. Bez. für ein lebhaftes Mundwerk. Die bes. obersächs. und rhein. Rda. entstand aus einer volksetymol. Entstellung von lat. ,suada4 = Beredsamkeit, /Suade. Unter Schwarte versteht man aber auch ein altes, urspr. in Schweinsleder gebundenes Buch, daher stammt der Ausdr. ,schwarten4 für viel lesen. Einem ein Schwärtlein durchs Maul ziehen: ihm falsche Hoffnungen machen, eigentl. ihm durch eine Speckschwarte Appetit machen. schwarz, Schwarze. Etw. schwarz auf weiß haben (besitzen), auch: es einem schwarz auf weiß geben: ein Schriftstück, eine Urkunde, eine genaue Aufzeichnung haben, jem. ein Beweisstück, eine schriftliche Versicherung oder Bestätigung geben, einen Schuldschein ausfertigen, eine Vereinbarung notariell festlegen. Was mit schwarzer Tinte auf Papier geschrieben oder mit Druckerschwärze gedruckt steht, gilt mehr als das gesprochene Wort, das in Vergessenheit geraten oder verdreht werden kann. Die Wndg. wird oft in der Form eines Zitates aus Goethes ,Faust4 (I, V. 1966f.) gebraucht: Denn was man schwarz auf weiß besitzt, Kann man getrost nach Hause tragen. Vgl. auch ndl. ,iets zwart op wit hebben4, engl. ,to have it black on white4 und frz. ,mettre du noir sur du blanc4. Scherzhaft wird der Ausdr. auch in einem Sagte-Sprw. verwendet: ,Ich will dir’s schwarz auf weiß geben, sagte der Schornsteinfeger zur Müllerin, da küßte er sie4. Einem schwarz für weiß vormachen, auch: ans schwarz weiß, ans weiß schwarz machen: einen bewußt zu täuschen suchen, eine Tatsache in ihr Gegenteil verkehren wollen, einen gegen seinen Willen und besseres Wissen doch zu etw. überreden. Ähnl. schwarz weiß nennen und Es muß ihm allezeit weiß schwarz und schwarz weiß sein: er ist immer gegenteiliger Meinung und verdreht die Tatsachen. Vgl. lat. ,Nil intra est 916
Schwarz, Schwarze oleam, nil extra est in nuce duri4. Im ,Eu- lenspiegel1 (XL, 5550) ist die Wndg. lit. gebraucht: ,,Vnd hat offt'schwartz für weiß geredt44. Einer sagte schwarz, der andere weiß: sie haben sehr widersprüchliche Meinungen, sie können zu keiner Übereinstimmung finden und sagen aus Prinzip immer gerade das Gegenteil. Er ist weder schwarz noch weiß: man weiß nicht recht, was man von ihm halten soll, er ist unentschieden, er ergreift nicht eindeutig Partei, verhält sich neutral. Vgl. ndl. ,Hij slacht den drek van den sperwer, die riekt noch wel noch kwalijk4. Schwarz und weiß aus einem Tiegel malen: doppelzüngig sein. Da kannst du warten, bis du schwarz wirst: da kannst du lange warten, eigentl.: bis du tot bist, wobei sich schwarz auf das Verfärben der verwesenden Leiche bezieht. In der Gaunersprache bedeutet deshalb ,ver- schwarzen4 auch sterben. Sich schwarz ärgern oder schwarz werden (vor Arger):sich (fast) zu Tode ärgern. Die Rdaa., die seit dem späten 18. Jh. auch lit. verwendet werden, sind verhüllende Wndgn. für das sich Verfärben des Toten. Bes. deutlich ist dieser Zusammenhang bei dem Ausdr. ,der schwarze Tod4 für die Beulenpest, da sich bei dieser Krankheit der Körper des Sterbenden mit dunklen Flecken bedeckte. Schwarz seht: kein Geld (mehr) besitzen, /Schwarzburg, aber auch: betrunken sein, vielleicht im Hinblick auf die Verdunklung des Bewußtseins durch den Alkohol gesagt. Im Obersächs. kennt man dazu folgenden witzigen Vergleich: ,Ihr seid schwarz, ich bin illuminiert4. Die Feststellung, daß jem. ,schwarz sei4 kann darüber hinaus noch bedeuten, daß er einen schlechten Charakter (eine ,schwarze Seele4) besitzt. Seit dem 19. Jh., vor allem seit dem Kulturkampf, umschreibt man mit dieser Wndg. die Zugehörigkeit zur kath. Konfession oder auch zur Zentrumspartei, wahrscheinl. im Hinblick auf die schwarze Amtstracht der kath. Geistlichen. Schwarz sein vor Hunger: ausgezehrt, mager und bleich aussehen. Im MA. wurde das Adj. schwarz gern mit bleich und fahl verbunden. Vgl. ndl. ,zwart zien van de hon- ger4 und engl. ,black fasting4. Im Ndl. gibt es dazu auch ein scherzhaftes Sagte-Sprw.: ,Dat is iemand, die zwart van den honger is, zei Roelof, en hij zag een moor gaan4. Jem. wird es schwarz vor den Augen: er verliert das Bewußtsein; die ersten Anzeichen einer nahenden Ohnmacht sind tatsächlich Sehstörungen und Bewußtseinstrübungen. Jem. schwarz machen (malen): seine Jemand schwarz machen (malen)4 - ,Sich gegenseitig anschwärzen4 917
Schwarz, Schwarze schlechten Eigenschaften hervorheben, ihn verdächtigen und verleumden, ihn im ungünstigsten Licht erscheinen lassen, ,ihn anschwärzen4. Vgl. ndl. ,iemand zwart ma- ken (afmalen, afschilderen)‘; frz. ,peindre noir les actions de quelqu’un4; engl. ,to blacken a person’s reputation (name)4, ,to paint something black4. Eine Steigerung bedeutet die Wndg. einen so schwarz machen wie der Teufel: nichts Gutes an ihm lassen', ihn wie das verkörperte Böse hinstellen. Im Gegensatz zur lichten Farbe der Engel und dem reinen Weiß der Unschuld wurde und wird der Teufel bildl. schwarz dargestellt. Vgl. ndl. ,Hij veegt hem zoo zwart, dat zijns vaders varkens niet van hem zouden lüsten4; frz. ,distiller sur la vie de quelqu’un un venin dangereux4. Einen schwarz machen (oder brennen): nennt man auch eine Partie bei dem Spiel ,Sechsundsechzig4, falls der Gegner nicht zum Anlegen kommt. Dazu sagt man auch ,einen geistlich machen4. Etw. in den schwärzesten Farben schildern (malen), auch: schwarz in schwarz malen: etw. überaus pessimistisch darstellen, das Negative, Sündhafte bei anderen zur Abschreckung hervorheben oder um sich selbst um so reiner und tugendhafter vorzukommen. In der Erkenntnis ihrer Selbstüberhebung sagt Gretchen in ,Faust I4 (,Am Brunnen4): Wie könnt’ ich über andrer Sünden Nicht Worte genug der Zunge finden! Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar, Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war. Schwarz angeschrieben sein: schlecht beurteilt, unbeliebt sein, einen ungünstigen Eindruck hinterlassen haben, bei Freunden oder Vorgesetzten verleumdet, in Ungnade gefallen sein. Ähnl. Bdtg. haben die Wndgn. ans schwarze Brett kommen: öf- fentl. getadelt werden; im schwarzen Buch (auf der schwarzen Liste) stehen. Im schwarzen Buch wurden alle Straftaten verzeichnet, sein Name rührt wahrscheinl. von seinem urspr. schwarzen Einband her, der dann auch symbolische Bdtg. erhielt. Vgl. auch ndl. ,met een zwarte kool aange- tekend staan4, ,in het zwarte boek (ver- domboekje) staan4 und engl. ,to mark black4. Ins schwarze Register kommen, im schwarzen Register stehen: als Straftäter aktenkundig gemacht werden. Alles schwarz sehen: äußerst mißgestimmt und pessimistisch sein, keinen Ausweg oder Hoffnungsschimmer erblicken. Für jem. schwarz sehen: seine böse Zukunft ahnen, seine Mißerfolge und seinen Untergang. Ähnl.: durch eine schwarze Brille sehen: sich einer Weltschmerzstimmung hingeben, sich über nichts freuen können. Den Teufe! schwärzer machen, als er ist: eine Sache schlimmer schildern, als sie in Wirklichkeit ist, sich die Folgen noch schrecklicher ausmalen, durch Haß oder Furcht alles übertreiben. Zahlreich sind die rdal. Vergleiche, in denen die schwarze Farbe eine Rolle spielt, z.B. etw. (jem.) ist schwarz wie nasse Erde, wie Kohle, wie Pech, wie ein Schornstein, wie ein Kachelofen. Bereits Johann Fischart travestiert diese Rda. in seiner ,Geschicht- klitterung4. In einem Buhlliede heißt es von einer Frau, die wegen ihres schlechten Lebenswandels verächtlich gemacht werden soll: Lichter denn ein Kachelofen Hat sie einen klaren Schein. Vgl. auch ndl. ,Het is zwarter dan de schoorsteen4. Negative Wertung enthalten die Wndgn. schwarz sein wie ein Essenkehrer (Kaminkehrer), wie ein Pech junge, wie ein Zigeuner und bes. schwarz sein wie ein Zyklop, wie der Teufel; vgl. ndl. ,Hij ziet er zoo zwart en verbrand uit, als of hij fami- lie van Lucifer was4. Die Rda. schwarz wie das Grab hat Schiller in ,Kabale und Liebe4 (2, 3) lit. verwendet: „Schwarz wie das Grab grau’te mich eine trostlose Zukunft an44. Schwarz ist die Farbe der Trauer, deshalb umschreibt die Wndg. jem. geht schwarz, daß er einen Angehörigen verloren hat, daß er Trauerkleidung trägt. Das Heimliche, Unerlaubte wird gern im Schutze der Dunkelheit ausgeführt. Die Wndg. schwarz über die Grenze gehen: ohne Paß in das Ausland zu kommen suchen, zeigt diesen Zusammenhang noch am deutlichsten. In den anderen Rdaa. steht das Adj. schwarz nur noch in übertr. Bdtg. für unerlaubt: schwarz arbeiten: ohne Auftrag seiner Firma, meist an den freien Wo¬ 918
Schwarz, Schwarze chenenden oder am Abend; schwarz bauen: ohne behördliche Genehmigung; schwarz brennen: unerlaubt Schnaps brennen; schwarz fahren: ohne Fahrkarte, aber auch ohne Führerschein; schwarz gehen: wildern; schwarz hören: Vorlesungen besuchen, ohne Gebühren zu zahlen, auch: Rundfunk hören, ohne das Gerät bei der Post anzumelden; etwas schwarz verdienen: Geld einnehmen, ohne es zu versteuern; etw. schwarz verkaufen: unter der Hand, unter dem Ladentisch, ohne den eingenommenen Betrag in die Registrierkasse aufzunehmen; schwarz wohnen:ohne polizeiliche Anmeldung. Auch verschiedene Substantivierungen sind dazu gebildet worden, wie ,Schwarz- bauten\ ,Schwarzbrennerei4, Schwarzfahrer4, .Schwarzhörer4, .Schwarzschlachtung4 usw. Nach dem Krieg spielte der .Schwarze Markt4 eine wichtige Rolle für den Schleich- und Tauschhandel von kaum zu beschaffenden Waren, die für entspr. hohe Preise angeboten wurden. Die Bez. Schwarze Kasse4 ist heute allg. üblich. Man versteht darunter entweder eine unerlaubte Nebenkasse, deren Bestand nicht in den Büchern registriert wird oder auch veruntreute Gelder. Das Adj. schwarz kann auch die übertr. Bdtg. von böse, verdorben, ungünstig annehmen. Die Wndg. ein schwarzes Herz besitze /7 läßt sich bis zur Antike zurückverfolgen. In der ,Ilias4 Homers (I, 103) wird von dem zürnenden Agamemnon gesagt: „Von gewaltigem Zorn wurde sein schwarzes Herz erfüllt44. Ähnl. sprechen wir auch von ,schwarzen Gedanken4, einem .schwarzen Plan4, einer ,schwarzen Tat4 (Büchmann, S. 454). Der,schwarze Mann4, eine Schreckfigur für Kinder, kann sowohl die Bez. des Schornsteinfegers als auch des Teufels oder eines unheilvollen Dämons sein. Die unpädagogische Maßnahme, Kindern damit zu drohen, hat im Kinderspiel ,Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?4 ihren Niederschlag gefunden, ist jedoch darin völlig verharmlost worden, da sich auch im Spiel eben kein Kind mehr davor fürchtet. Die einfache Feststellung: schwarz bleibt schwarz besitzt eine zusätzliche übertr. Bdtg.: ein einmal verdorbener Mensch ist selten zu bessern, auch die Wndg. schwarz macht schwa /7 bedeutet noch etw. anderes: das Böse (der Verdorbene) verführt auch andere. ln festen Fügungen mit bestimmten Substantiven sind rdal. Wndgn. entstanden: immer das schwarze Schaf sein: für den Schuldigen, den Übeltäter gelten, derjenige sein, der seiner Familie Ungelegenheiten bereitet, der oftmals von ihr verstoßen wird, /Schaf; einem den schwarzen Peter zuschieben (zuspielen): es so einrichten, daß jem. anders das Unerfreuliche zu tun oder die Schuld, den Verlust auf sich zu nehmen hat. Der Ausdr. ,schwarzer Tag4 geht auf lat. ,dies ater4 zurück. Es ist der ungünstige Tag, an dem Unheil droht, an dem einem alles, was man nur anfängt, von vornherein mißlingt. Es besteht hierbei noch deutlich ein Zusammenhang mit der ,Tagwählerei4 und der Einteilung der Wochentage in ,schwarze4 und ,weiße4, d.h. in ungünstige und glückliche, die man vor wichtigen Vorhaben zu beachten hatte. Dagegen beruhen ,Schwarze Kunst4 und Schwarzkünstler4 auf einer volkstümlichen Deutung von ,Nekromantie‘ (= Totenbeschwörung). Durch die Schreibweise ,Negromantie‘ wurde das Wort zu ,Nigromantie‘ verändert i. S. v. Magie und Zauber. Unter Schwarzer Kunst4 versteht man heute aber auch den Buchdruck. Jem. könnte vor Berthold Schwarz gelebt haben:er ist ein Schwachkopf, so daß er das Schießpulver bestimmt nicht erfunden hätte, /Pulver. Ins Schwarze treffen: größten Erfolg haben, ins Ziel treffen, seinen Zweck erreichen, das Richtige tun (sagen). Ähnl.: ein Schuß ins Schwarze sein: genau das Richtige, ein Haupttreffer. Die Wndgn. stammen aus der Schützensprache, sie bezeichnen den Meisterschuß in den Mittelpunkt, das Schwarze der Zielscheibe, /Nagel. Nicht soviel wie das Schwarze unter dem Nagel haben: gar nichts besitzen, sehr arm sein; jem. nicht das Schwarze unter dem Nagel gönnen: ihm nicht das geringste zukommen lassen wollen, /Nagel. Lit.: HdA. VII, Sp. 1431 ff., Art. .schwarz' von Mengis. B. S. Puckle: Funeral customs their origin and develop- 919
Schwarzburg, Schwarzenberg ment (London 1926, Reprint Detroit/Mich. 1968); O. Lauffer: Farbensymbolik im dt. Volksbrauch (Hamburg 1948); RGG. 3VI, Sp. 604f. Art. ,Tagewählerei* von L. Röhrich. Scliwarzburg, Schwarzenberg. Scherzhaft wird eine unangenehme Eigenart eines Menschen mit dem Namen einer Stadt in Verbindung gebracht, so als ob dieser die Erklärung und Entschuldigung für das Verhalten ihrer Einwohner sei, bes. in Obersachsen verbreitet. Aus Schwarzburg sein: unsauber, ein Schmutzbartel sein. Ähnlich hieß in der Jenaer Studentensprache ein Mittelloser ,Schwarzenberg1 und ein Reicher ,Lichtenstein4. Schwärze, schwärzen. Einen in die Schwärze bringen: ihn beschuldigen, verleumden, ihn in den schwärzesten Farben schildern, um ihm zu schaden und ihm Hindernisse und Unannehmlichkeiten zu bereiten. Vgl. die Rda. ,einen in die /Tinte bringen1. Jem. schwärzen: ihn beschuldigen. Die veraltete Wndg. ist schon bei Fischart bezeugt und wird heute durch ,anschwärzen4 ersetzt. Über die Grenze schwärzen: unerlaubt die Grenze überschreiten, Schmuggel treiben. Der Ausdr. schwärzen bezieht sich hier auf die Gewohnheit gewerbsmäßiger Schmuggler, ihre Gesichter schwarz zu schmieren, um von den Grenzern nicht erkannt zu werden. Schwarzfärber. Er ist ein Schwarzfärber: was andere denken, sagen oder tun stellt er immer als schlechter dar, als es in Wirklichkeit ist; er besitzt ein Vorurteil, versucht anderen zu schaden, ist pessimistisch eingestellt. Schwarzkünstler. Er ist ein Schwarzkünstler: er versteht mehr als andere Menschen, er ist der Magie kundig und kann mit dem Geisterreich in Verbindung treten; auch: er ist gefährlich und kaum zu überwinden, weil er mit dem Bösen im Bunde ist. Lit.: A. Spanier: Romanusbüchlein. Veröffentlichungen des Instituts für dt. Vkde. 17 (Berlin 1958); RGG. 3VI, Sp. 187Iff. Art. .Zauberer* von E. Stiglmayr u. Art. .Zaubersprüche* von L. Röhrich. Schwede. Ein alter Schwede sein: ein Schlaumeier, ein gerissener Kerl sein, ln Berlin wird der Ausdr. .alter Schwede4 als gemütliche und scherzhafte Anrede verwendet für einen guten Bekannten, der zu leben versteht, seinen Vorteil wahrnimmt und sich überall mit Witz und Pfiffigkeit durchsetzen kann. Heinrich v. Treitschke gab im Sommer 1879 anläßlich einer Vorlesung über die Geschichte des preuß. Staates an der Berliner Universität eine Erklärung der häufigen Rda.: nach Beendigung des Dreißigjähr. Krieges habe der Große Kurfürst bewährte und erfahrene alte schwedische Soldaten für sein Heer als Ausbilder anwerben lassen. Weil sie sich bes. gut auf .fürtrefflichen Drill4 verstanden, wurden sie meistens als Unteroffiziere eingestellt. In der Soldatensprache wurden diese schwed. Korporale kurzweg ,die alten Schweden4 genannt. Diese Bez. wurde dann allg. gebräuchl. (Büchmann, S. 663f.). Auch von der Studentensprache ist der Ausdr. hergeleitet worden. In der schwedischen Zeitung ,Sörda Skäne4 vom 7. August 1915 gab E. Gleye folgende Erklärung: unter einem .ollen Schwiet4 verstanden die Dorpater Studenten in Anlehnung an das aus dem Frz. abgeleitete Wort .suitier4 einen student. Draufgänger, der die Ungebundenheit des akademischen Lebens über ein erfolgreiches Studium stellte. Im 920
Schwedentrunk 18. Jh. bedeutete ,suite1 einen Studentenstreich. Durch volkstüml. Umdeutung und Weiterbildung des burschikosen Ausdrucks .Alter Schwietjeh' ist möglicherweise ,Alter Schwede' entstanden. ,Du kleiner Schwede!' gilt im Obersächs. auch als gutmütiges Scheltwort für kleine Kinder. Schwede ist in manchen Gegenden Dtls. auch zum Scheltwort geworden in Erinnerung an die Verheerungen durch schwedische Truppen im Dreißigjährigen Kriege und die grausamen Mißhandlungen von Wehrlosen durch schwedische Soldaten. Die Schweden kommen! heißt es noch heute in Sachsen und Bayern bei nahender Gefahr. Einem den Schweden wünschen: einem größtes Unglück wünschen. Eine verbreitete Verwünschungs- und Fluchformel heißt: Daß dich der Schwede!Sie wird auch mdal. gebraucht, z. B. ostfries. ,Dat du den Sweden kriegst!' Schwedische Gardinen /Gardine. Das (den) haben die Schweden liegen gelassen: es ist etw., das nichts taugt oder das zu schwer zum Fortbringen ist. sonst hätten es sicher die plündernden Schweden mitgenommen. Die bes. im Bergischen und am Rhein bekannte Rda. hat ebenfalls ihren Urspr. im Dreißigjährigen Kriege und erinnert an die Verwüstungen, die die Schweden mit den verbündeten Franzosen in Dtl. nach dem Tode Gustav Adolf angerichtet haben. Wenn sie einen Ort heimgesucht hatten, waren meist nur noch Steine liegengeblieben, weil alles niedergebrannt und ausgeraubt worden war. Fragte man nach einem auffälligen Felsblock, war deshalb die scherzhafte Antwort in späterer Zeit: ,Den haben die Schweden liegen gelassen1. Da die Findlinge Norddtls. in der Eiszeit tatsächlich von dem riesigen Gletscher aus dem Norden mitgebracht wurden, ist vielleicht die Kenntnis dieser Tatsache mit der Erinnerung an die Schweden selbst, von denen man seit dem großen Krieg nichts Gutes erwartete, in der Rda. verbunden worden, die nun einen scherzhaften Sinn als Antwort auf eine törichte Frage erhalten hat. Lit.: Büchmann, S. 663 f. Schwedenkopf. Einen Schwedenkopf tragen: keine Perücke, sondern kurzgeschnit¬ tenes Haar tragen und sich damit als fortschrittlich und natürlich erweisen. ,,Der Herzog ist wohl, trägt, wie Du vielleicht schon weißt, einen Schwedenkopf“, berichtet Goethe im April des Jahres 1770 in einem Brief an seinen Freund Merck und läßt Mephistopheles zum Baccalaureus (,Faust' II, 2. Akt, V. 6731 ff.) sagen: Am Lockenkopf und Spitzenkragen Empfandet Ihr ein kindliches Behagen. Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? Heut' schau ich Euch im Schwedenkopf! Kurzgeschnittenes Haar - wohlverstanden bei den Männern - ist in Dtl. unter dem Namen Schwedenkopf geläufig gewesen. In der Zeit der Allongeperücken erregte der Schwedenkönig Karl XII. mit seinem kurz- geschnittenen Haar Aufsehen. Sein Naturscheitel oder Schwedenkopf begann in der 2. H. des 18. Jh. Mode zu werden, als der von Friedrich Wilhelm I. 1713 in Preußen eingeführte Zopf die runde Perücke abgelöst hatte und zum Kopfschmuck der feinen Kavaliere und zur vorgeschriebenen Haartracht der Armee geworden war. Schwedentrunk. Den Schwedentrunk erhalten, auch: einem ein Schwedentränklein vorsetzen (eingießen): eines qualvollen Todes sterben müssen, unmenschlich gefoltert werden. Die Rda. erinnert an die Greuel des Dreißigjährigen Krieges. Die Schweden sollen zuerst ihre unglücklichen Opfer durch Einfüllen von Jauche zu Geständnissen gezwungen haben, ehe sie sie zu Tode marterten. Der Schwedentrunk wurde dann auch von anderen Truppen übernommen und als Foltermittel bei Gericht verwendet. In der Chronik von Forst (Niederlausitz) findet sich eine auf das Jahr 1630 bezügliche Schilderung des Schwedentrankes: ,,Zur Zeit als die Kroaten hier lagen, wurde der eisgraue Kirchen- und Hospitalvorsteher Joh. Seidner von ihnen zu Tode gemartert. Er wurde am 11. Oktober von ihnen auf der Gasse ergriffen, in sein Haus geführt und barbarisch gemishandelt, damit er die vermauerten Kirchenschätze an- zeige. Weil er dies zu thun verweigerte, haben sie den alten Mann gebunden, zu Boden geworfen, ihm durch ein zwischen die Zähne getriebenes Stück Holz den Mund 921
Schweigen, schweigen weit aufgesperrt und Spülicht und Pfützenwasser in grosser Menge eingegossen, sind ihm dann auf den Leib gesprungen, daß es wieder heftig herausgespritzt ist, und haben diese Marter so lange wiederholt, bis er seinen Geist elendiglich aufgegeben hat. Diese Folter hieß der schwedische Trank“. Schweigen, schweigen. Dann ist Schweigen im Walde: darauf erfolgt keine Antwort; es entsteht bei einem Gespräch ratlose Stille. Vgl. die Rda. ,ein /Engel geht durchs Zimmer4. Die Wndg. soll auf dem gleichnamigen Gemälde von Arnold Böcklin beruhen; sie ist seit dem Ende des 19. Jh. geläufig und heute allg. in Dtl. und Oesterr., bes. bei Schülern und Studenten, üblich (Küpper II, S.263). ,Das Schweigen im Walde' Der Rest ist Schweigen: zs ist das Ende. Die Wndg. bezieht sich auf die letzten Worte Hamlets in Shakespeares Drama: „The rest is silence“ (Büchmann, S. 422). Sich in Schweigen hüllen: die Neugierde anderer nicht befriedigen, so tun, als wisse man von nichts, keinerlei Andeutungen machen, nichts verraten. Ähnl.: Schweigen bewahren: sich nichts anmerken lassen, seine Gefühle meisterhaft beherrschen, alle Äußerungen zurückhalten. Schweigen gebieten (fordern): bei einer heftigen Auseinandersetzung, bei einem Tumult Ruhe gebieten, um selbst zu Wort zu kommen, aber auch: jem. dringend auf seine Schweigepflicht hinweisen. Das Schweigen brechen: ein lange gehütetes Geheimnis endlich doch preisgeben, zur Aufklärung einer wichtigen Angelegenheit beitragen. Jem. zum Schweigen bringen: jem. töten, dessen Aussage man fürchten muß. Es herrschte ein eisiges (gespanntes, unerträgliches) Schweigen: durch das plötzliche Verstummen wurde Ablehnung ausgedrückt, höchste Spannung erzeugt. Die Wndg. von dem beredten Schweigen geht zurück auf Ciceros 1. Rede ,In Catilinam4, wo es bereits im Jahre 63 v.Chr. (8, 21) heißt: „Cum tacent, clamant4 = gerade ihr Schweigen ist laute Anklage. Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien: wenn die Menschen kein Mitleid haben, wird sich die Natur erbarmen. Die Wndg. beruht auf einem Ausspruch Jesu (Luk. 19, 40) und auf einer Legende, die von Jacobus de Voragine in der ,Legenda aurea4 (Kap. 181) in der 2. H. des 13. Jh. berichtet wird: Beda Venerabilis (gest. 735) habe sich im hohen Alter, als er blind geworden war, führen lassen. Sein Führer gab in einem steinigen Tale vor, daß eine große Menschenmenge auf eine Predigt Bedas warte. Dieser ließ sich täuschen. Am Ende seiner Predigt hätten die Steine ,Amen4 gerufen, /Stein. Vgl. lat. ,Saxa loquuntur4 (Büchmann, S. 82). In sieben Sprachen schweigen, auch: in allen Sprachen schweigen: unbedingt schweigen, keine einzige Antwort geben, die Aussage verweigern. Die Rda. beruht auf einem Ausspruch F. A. Wolfs, der von seinem Schüler, dem berühmten Philologen Immanuel Bekker, als von dem ,.Stummen in sieben Sprachen“ berichtete (Büchmann, S.226). Vgl. ndl. ,in zeven (alle) talen zwij- gen4, /Sprache. Davon schweigt des Sängers Höflichkeit: über das Weitere spricht man besser nichts, eine Mitteilung wird aus Klugheit oder Schonung vermieden. Ein Studentenlied, das um 1840 viel gesungen wurde, trägt den Kehrreim: „Dies verschweigt des Sängers Höflichkeit44, der aber vermutlich auf der älteren Rda. beruht. Zur Bestätigung, daß jem. die schwere Kunst des Schweigens vollendet beherrsche und man ihm voll 922
Schwein vertrauen könne, werden rdal. Vergleiche gebraucht: Er schweigt wie ein Stein, den man ins Wasser geworfen hat, vgl. lat. ,Pythagoreis taciturnior4; er kann schweigen wie ein Spie geh an dem das Glas fehlt, vgl. ndl. ,Hij weet te zwijgen als een Spiegel, waaraan het glas ontbrekt4; er kann schweigen wie ein abgeschlachtet Huhn, vgl. ndl. ,Hij kan zwijgen als en hoen, dat de keel is afgestoken4. Am häufigsten gebraucht wird die Wndg. schweigen wie das Grab: ein Geheimnis auf keinen Fall preisgeben. Die Rda. schweigen wie eine Maus begegnet bereits im 16. Jh. im Liederbuch der Hätzlerin (II, 8, 387): „Schweigen als ein Maus44. Schwein. Schwein haben: (unverdientes) Glück haben. Die Wndg. hat verschiedene Deutungen erfahren. Man bringt sie z. B. mit dem Kartenspiel in Zusammenhang, in dem früher das As auch ,Sau4 genannt wurde und die Schellendaus-Karte auch die Abb. eines Schweines trug, /Sau. Lit. Beweise dafür stammen schon aus dem 16. Jh. Abraham a Sancta Clara eifert in einer seiner Predigten: ,,So sind in den Karten vier Sau: Eichel-Sau, Schellen-Sau, Herz-Sau, Gras-(Laub-)Sau, und weil die Sau mehr gelten als der König, so ist ja das ein säuisch Spiel44. Zincgref erzählt in seinen ,Apo- phthegmen4 (III, 285), daß einer zu jem. sagte, der sich aufs höchste verschwor: „Das het man wol mit einem Unterbuben stechen können und wäre unvonnöthen gewesen, die Saw vorzusetzen“. Die Rda. würde demnach bedeuten: die höchste Karte im Spiel besitzen, gewinnen können, und wäre dann verallgemeinert zu: Glück haben. Göhring (Nr. 390) ist dagegen der Meinung, daß man ein bes. großes Glück im Sinne der sonst üblichen Verstärkungen, wie bei saudumm, saugrob, ein ,Sauglück4 genannt habe. Dieses wäre dann zu ,Schweineglück4 ähnl. wie bei ,Schweinegeld4 verfeinert worden, woraus dann die verkürzte Form »Schwein haben4 hervorgegangen sei. Wahrscheinl. aber ist der Urspr. der Rda. in den ma. Wettspielen und in einem Brauch bei den alten Schützenfesten zu suchen: neben den wertvollen Ehrenpreisen für die Sieger wurde auch dem letz¬ ten und schlechtesten Teilnehmer ein Preis überreicht, der in der Regel ein Schwein war. Die Preise bestanden anfänglich oft aus Tieren, später aus goldenen Kleinoden und aus Geld und steigerten sich im Laufe der Jahre immer mehr. So wird von einem Rennen in München im Jahre 1448 berichtet: „Das vordist pferdt gewan ain Scharlach-Tuch, das ander darnach ain Sperber mit seiner Zuegehörung, das drit ain armbst (Armbrust), vnnd das lest (letzte) pferdt ain Saw44. Ähnl. ist bei den Schützenfesten und anderen bürgerlichen Waffenfesten das Schwein regelmäßig der letzte Gewinn gewesen, ein Trostpreis, der aber Spott einbrachte. Heute ist für die Bdtg. der Rda. der Gewinn das Wesentliche. Aber lange hat man den urspr. gemeinten Spott noch deutlich gefühlt. Der letzte Sieger ist ja eigentl. ein Besiegter, und der bei den schlechtesten Aussichten unerwartet erzielte Gewinn war nur ein sehr zweideutiger Triumph. Er wurde unter spöttischen Glückwünschen neben einer Fahne überreicht, die statt des Wappens ein Spottbild trug. Unter dem Spotte der Bürger, vor allem der Jugend, mußte der Preisträger das Schwein durch die Stadt nach Hause führen. Wenn es ein Ferkel war, versteckte er es gern in den weiten Ärmeln, wie Seb. Brant im ,Narrenschiff4 (75, 61) berichtet: Wer schießen wil und fält des rein, Der dreit die suw im ermel heim. Ganz deutlich erscheint die zugrunde liegende Vorstellung noch in der ,Zimmeri- schen Chronik4 (III, 233): „So hatten doch die herren zum wenigsten die saw davongetragen und behalten44, und so konnte auch ein reformatorisch gesinnter Schweizer Dichter den Dr. Eck, der bei der Disputation in Baden mit seinen sieben Thesen besiegt worden war, verspotten: Es wäre gar z’vil der eren, Das da sollt ein einig man Ein schwein mit siben färlin dran Gewinnen mit sim leren. Mehrfach wird im 17. Jh. mit ,Sau4 geradezu eine Niederlage bez.; nach der Eroberung von Ofen 1686 rief man den besiegten Türken zu: „Seraskier, treib heim die Sau!44, und nach dem Sieg an der Sau (Save) 1683 über den Türken sang dt. Volkswitz von ihm: 923
Schwein Könnt nirgend, schau, als an der Sau Ein größre Sau aufheben. 1639 verzeichnet Lehmann (S.701, ,Schand‘ 3): „Schande wird offt geheilet, aber mit einer Narben, ist mit Schuster- schwärtz abgewaschen, mit Dinten, mit halber Ehr davon kommen, hat die Saw davon getragen“, und S.7Ö8 (,Schimpff4 5): „Der die Saw heimführt, der darff vor Schimpff nicht sorgen“. Auch als der letzte Preis längst nicht mehr in einem Schwein, sondern in einem Geldpreis bestand, blieb der Name erhalten. Die Rda. ist davon abzuleiten, denn sie besitzt urspr. den Sinn: eines unverhofften Glük- kes teilhaftig werden, ohne es eigentl. verdient zu haben. Das Schwein am Schwänze haben: das Glück haben und es festhalten. Das falsche Schwein geschlachtet haben: einen Mißgriff getan haben, der nicht mehr gutzumachen ist, einen unverzeihlichen Fehler begangen haben. Die Wndg. soll nach 1945 von Winston Churchill im Hinblick auf die Entwicklung der Sowjet. Politik geprägt worden sein. In Sachsen heißt es von einem Prediger, der nach seiner Versetzung an dem neuen Ort dieselben Vorträge hält wie am früheren: ,Er bringt seine geschlachteten alten Schweine4. Wir werden das Schwein schon töten: wir werden die Sache schon erledigen. Die Wndg. ist im 1. Weltkrieg entstanden, als die Tiere heimlich (/schwarz) von nicht berufsmäßigen Schlachtern getötet wurden. ln übertr. Bdtg. meint die Rda., daß man eine schwierige Sache auszuführen imstande sei, auch wenn man keine spezielle Ausbildung dafür besitzt. Die Wndg. dient zur Ermutigung, wenn jem. am Erfolg zweifelt. Vgl. ndl. ,Wij zullen dat varken wel wassen4 (waschen). ,Ick scher de scaepen dien anderen ver- ckens4 (Ich schere die Schafe, die anderen die Schweine [Ferkel]) ist die ndl. Version der Rda. und die Bildunterschrift des S. 323 abgedruckten ndl. Bilderbogendetails, dessen dt. Variante ,Viel Geschrei und wenig Wolle1 lautet, /Geschrei. Ihn kann man nehmen, um die Schweine zu zählen: er hat stark nach außen gebogene Beine. Die Rda. bezieht sich auf den Schweinekauf der Viehhändler. Beim Ankauf einer größeren Menge ließen diese die Schweine durch ihre gespreizten Beine laufen, um sie so besser zählen zu können. Das kann kein Schwein lesen: die Schrift ist sehr schlecht, es ist völlig unleserlich geschrieben. Die Rda. soll sich nicht auf die verschmierte Schrift, die man einem Schwein zuschreiben könnte, sondern nach einer ätiologischen Sage auf einen Familiennamen beziehen: Im 17. Jh. lebte in Schlesw. eine Gelehrtenfamilie namens Swyn. Sie war sehr hilfsbereit, und deshalb kamen die Bauern vertrauensvoll mit Briefen und Urkunden zu ihr, um sich Schriftstücke vorlesen oder abfassen zu lassen. Wenn aber selbst ein Angehöriger der Familie Schwein eine unleserliche Schrift nicht entziffern und ihren Sinn verstehen konnte, sagten die Bauern: ,Dat kann keen Swyn lesen!4 Ähnl.: Daraus wird kein Schwein klug (gescheit): das versteht niemand. Das frißt (glaubt) ja kein Schwein: das begreift (glaubt) kein Mensch. Im 19. Jh. entstand die Formel kein Schwein mit der Bdtg. niemand aus der Wndg. ,Kein Schwein ist im Stall' als Verkürzung. Die letzten Wndgn. können ebenfalls noch auf die Familie Swyn bezogen sein, oder Schwein hat bereits die allgemeinere Bdtg. von ,niemand' angenommen. Bereits die Griechen kannten eine ähnl. Wndg.: Das ist für Schweine (kaum) gut genug: d\z Speisen sind sehr schlecht oder gar verdorben, sie würden sogar von einem Schwein, das gern im Schlamm wühlt und wenig wählerisch ist, verschmäht werden. Vgl. engl. ,Draff is good enough for swine'. Das Schwein stehlen und die Borsten um Gottes willen verschenken: heuchlerisch von seinem unberechtigten Überfluß etw. abgeben, das man leicht entbehren kann. Vgl. ital. ,rubar il porco, e darne i piedi per 'amor di Dio'. Ähnl.: das Schwein stehlen und die Füße als Almosen geben. Noch keine Schweine miteinander gehütet haben: sich noch nicht gut genug kennen, um sich von einem anderen duzen zu lassen. Meist erfolgt die scharfe Zurückweisung plumper Vertraulichkeit durch die Frage: ,Wo haben wir denn zusammen die Schweine gehütet?4 Bereits Thomas Mur- 924
SCHWEISS ner gebraucht die Rda. in seiner ,Narrenbeschwörung4 (95, 96) lit.: Ich mag nit unsere pfaffen hören; Er hat mich eins mais heissen liegen Und kan nüt predigen, dann mit kriegen; Ouch schilt uns ser, strafft unser wesen. Als ob er uns hett uffgelesen In dem dreck und hett der schwyn Mit uns gehiettet by dem ryn (Rhein). In einer Schildbürger-Anekdote des 16. Jh. wird versucht, die Entstehung dieser Rda. zu erklären. Ein Schweinehirt wurde Bürgermeister. Als nun ein Gefährte aus seiner Sauhirtenzeit den neuen Bürgermeister zu duzen wagte, habe sich dieser die Intimität mit der Rda. verbeten; /Sau. Jem. ist ein Schwein (Schweinigel): er ist unsauber und unflätig, von niedriger Gesinnung, er reißt gern Zoten. Ähnl.: sich wie ein Schwein benehmen, obersächs. ,ein Hans von Schweinfurt sein': sich menschenunwürdig verhalten. Die Wndgn. werden als starker Schimpf und grobe Beleidigung empfunden, wenn sie einem tadelnd oder verächtlich direkt ins Gesicht gesagt werden. Dagegen erscheint die Feststellung Er ist (nur, auch) ein armes Schwein stark gemildert und verharmlost, denn sie enthält Mitleid mit einem armen, bedauernswerten Menschen, dem ,es drek- kig geht'. Die rdal. Vergleiche bluten wie ein Schwein und schwitzen wie ein Schwein dienen nur der Steigerung und beruhen auf der Beobachtung, daß ein Schwein viel Blut beim Schlachten verliert und im Brühkessel stark zu schwitzen scheint. Voll (besoffen) wie ein Schwein sein: sehr betrunken, seiner Sinne nicht mehr mächtig sein. Die seit dem 16. Jh. bezeugte derbe Rda. spielt auf die Freßgier der Schweine an und besitzt Schimpfwortgeltung. Die weniger bekannte Wndg. Das Schwein läuft mit dem Faßhahn richtet sich satirisch gleichfalls gegen die Trunkenbolde, die ihre klare Urteilsfähigkeit beim Trinken einbüßen und Vergeudung und Verschleuderung ihres Besitzes nicht mehr verhindern können. Vgl. fläm. ,Het varken (de zeug) loopt met den tap weg\ Auch Bruegel hat auf seinem Rdaa.-Bild dargestellt, wie das Schwein den Faßhahn mit den Zäh¬ nen faßt, weil es glaubt, dies sei etw. zu fressen. Beim Auslaufen des Weines entsteht natürlich großer Schaden, /Sau. Bei jem, zeigt sich der innere Schweinehund: sein schlechter Charakter, Feigheit und Gemeinheit werden erst bei einer Bewährungsprobe offensichtlich. Seinen inneren Schweinehund bekätnpfen: seine eigene Schwäche, seine erbärmliche Gesinnung, die selbstsüchtigen Gefühle und den Mangel an Idealismus selbst erkennen und zu überwinden suchen. Der Ausdr. kommt in General Schleichers Antrittsrede als Regierungschef vor, von wo ihn Göring übernommen hat (Küpper I, S.294). Die meisten zusammengesetzten Substantive, wie ,Schweinearbeit4, Schweinebande', Schweinekerl', Schweineköter' und Schweinestair, besitzen verächtliche Bedeutung, während Schweinegeld' und Schweineglück' eine Steigerung ausdrük- ken, ähnl. bez. man mit Schweinsgalopp' oder Schweinstrab' einen bes. schnellen Lauf. Sprw. wurde auch Nietzsches Umdeutung des Pauluswortes (Titus 1, 15): „Den Reinen ist alles rein“. In seinem Buch ,Also sprach Zarathustra' (3. Teil, Kap. 14) schreibt er: „Den Reinen ist alles rein - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird alles Schwein!“, d.h. auch das Reine wird von ihnen in den Schmutz gezogen (Büchmann, S. 97). Schweiß. Etw. im Schweiße seines Angesichts tun müssen:sich abmühen, eine lange qualvolle Arbeit verrichten müssen. Die Wndg. ist ein Bibelwort. Bei der Verfluchung nach dem Sündenfall spricht Gott zu Adam: „lm Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“, d.h. nur durch harte und oft erfolglose Arbeit kann er dem kargen Boden nach der Vertreibung aus dem Paradies Früchte abringen (l.Mos. 3,19). Vgl. ndl. ,in het zweet zijns aan- schijns'; engl. ,in the sweat of thy brow (face)'; und frz. ,à la sueur de ton front'. Der Boden ist mit Schweiß gedüngt: er ist unter großen Mühen bearbeitet worden. Daran hängt der Schweiß von Generationen: der Erfolg ist nur als Ergebnis des Fleißes und der Anstrengung vieler zu verstehen, die sich lange Zeit darum mühten 925
Schwelle und auf deren Erfahrungen aufgebaut wurde. Ähnl.: Das hat viel Schweiß (der Edlen) gekostet: es hat vieler Anstrengung und Überlegung der hervorragendsten Männer bedurft. Das ist des Schweißes der Edlen wert: das Ziel ist wirklich erstrebenswert, die Anstrengung um eine gute und aussichtsreiche Sache wird sich in der Zukunft auszahlen. Die Wndg. ist ein Zitat aus Klopstocks Ode ,Der Zürchersee‘ (1750), in der wiederholt gesagt wird, die Dichterunsterblichkeit sei „des Schweißes der Edlen wert“ (Büchmann, S. 154). Das hat ihn nicht viel Schweiß gekostet: es war für ihn eine einfache Sache, er hat sich dabei nicht überanstrengt. Vgl. lat. ,citra pulverem4. Die Früchte seines Schweißes ernten: den Erfolgseiner Bemühungen sehen, belohnt werden. Keinen Schweiß riechen können: schwere Anstrengungen scheuen, faul und träge sein, eine scherzhafte Entschuldigung des Arbeitsscheuen, die auch mdal. verbreitet ist, z.B. heißt es in Norddtl.: ,He mag sin egen Swêt net ruken4. Vgl. auch ndl. ,Hij mag (kan) zijn zweet niet ruiken4. Wie in Schweiß gebadet sein: wegen großer Anstrengung, Hitze oder Angst ins Schwitzen geraten. Auch mdal. Rdaa. veranschaulichen diesen Zustand, z.B. sagt man in Schwaben: ,Es treibt mer de siedige (siedend heiß) Schweiß aus4, und in Franken: ,Doa hö’ i’neunerla Schwäss g’schwitzt4. Schwelle. An der Schwelle von etw. stehen: an einer wichtigen Grenzlinie angelangt sein, einen neuen Lebensabschnitt beginnen, kurz vor einem Neubeginn zur Rückbesinnung noch etw. verhalten. Die Wndg. wird heute oft und gern bei bes. Anlässen gebraucht. Wir sprechen z.B. davon, daß jem. an der Schwelle des Mannesalters, des Todes stehe, daß an der Schwelle des 20. Jh. eine neue Entwicklung begonnen habe. Die moderne Rda. bewahrt die Erinnerung an die große Bdtg. der Schwelle im Volksbrauch und Volksglauben. An ihr werden bestimmte Übergangsriten (,rites de passage4) verrichtet, z. B. wird noch heute die Braut zu Beginn der Ehe über die Schwelle ihres neuen Heims getragen. Die Schwelle galt auch als Grenze für die bösen Geister, die dem Hause fernbleiben mußten. Jem. (etw.) auf der Schwelle begrüßen: Besucher nicht ins Haus hereinbitten, sondern sie unhöflich an der Tür empfangen, um sie bald wieder loszuwerden, auch: nur oberflächliche Bekanntschaft mit etw., z.B. mit einem großen Wissensgebiet, machen. Jem. Schwelle nicht mehr betreten wollen, auch: keinen Fuß mehr über diese Schwelle setzen: sein Haus, seine Wohnung nicht mehr betreten, jem. nach einer großen Beleidigung streng meiden. Er kommt mir nicht mehr über die Schwelle: er darf sich bei mir nicht mehr sehen lassen. Oft wird die Wndg. in Form eines direkten Befehls gebraucht: Daß du mir nicht mehr über die Schwelle kommst!: Laß dich hier nicht mehr blicken! Er ist auf der Schwelle (schon) gefallen: gleich zu Beginn seines Unternehmens hatte er Mißerfolg. Vgl. lat. ,in porta impingere4. Ähnl.: Er ist auf der Schwelle schon müde geworden: Kraft und Mut haben ihn schon zu Anfang verlassen. Erst vor der Schwelle nieder)allen (zusammenbrechen): nach beendetem Geschäft, bei der fast glücklich vollendeten Heimkehr noch einen Unfall haben, seine letzte Kraft verlieren. Die Schwelle des Bewußtseins kaum (nicht mehr) erreichen können: eine Empfindung kaum wahrnehmen können, auf nichts mehr reagieren. Lit.: A. Johansons: Der Schirmherr des Hofes im Volksglaubender Letten. Studien über Orts-, Hof* und Hausgeister, Acta Universitatis Stockholmiensis 5 (Stockholm, Göteborg und Uppsala 1964). Schwemme. Sich nach der Schwemme wieder im Dreck (Kot) herum wälzen: sich nach der Reinigung sofort wieder beflecken, nach kurzer Reue und Besserung wieder dem Laster verfallen, nach der Absolution erneut sündigen. Diese Rda. mit ihrer ausgesprochen moralisch-religiösen Bdtg. beruht auf einem alten Sprw., das im 2. Brief des Petrus (2,22) auf die Irrlehrer bezogen wird, von denen es heißt: „Es ist ihnen widerfahren das wahre Sprichwort: ,Der Hund frißt wieder, was er gespieen hat4 und ,Die Sau wälzt sich nach der Schwemme wieder im Kot4 “. Das Subst. Schwemme ist von ,schwemmen4 = schwimmen machen 926
Schwer abgeleitet und bez. den Ort der Handlung, eine tiefere Stelle im Gewässer, und das Waschen im Fluß selbst: In die Schwemme wurden die Pferde geritten und von den Knechten gesäubert, Schweine und geschorene Schafe trieb man ebenfalls hinein, außerdem diente sie früher auch als Badeplatz der Menschen, als es noch keine öffentl. Freibäder gab. Da die Schwemme aber auch zur Bez. des Gasthauses, der Wirtsstube, in der nur einfache Gäste verkehrten, des billigen Restaurants in einem vornehmen Hotel, das die Bediensteten der Reisenden aufsuchten, diente und man einfache Bierlokale so benannte, entstanden Rdaa. mit humorvoll übertr. Bdtg. Sie dienten der euphemist. Umschreibung des Trinkens und des häufigen Aufenthaltes in einem Lokal, wie z.B. einen in die Schwemme reiten: selbst ins Wirtshaus gehen oder einen anderen zum Trinken auffordern; den Mund (die Zunge) in die Schwemme reiten: viel trinken, ei- gentl. den Mund mit Alkohol überschwemmen, waschen. Will man wissen, ob einer ein Wirtshausgänger ist, fragt man scherzhaft: Er ist wohl oft in die Schwemme gerit- ten? /trinken. Selbst in obszönem Sinne wurde das Wort verwendet, wie ein lit. Beleg (Fastnachtsspiel, Ausg. v. Keller, 143,8) erweist: Eur frau erkennt zu aller Zeit, Das ir in ein fremde schwem reit. In die Schwemme kommen: in eine unangenehme Zwangslage, in höchste Bedrängnis geraten; vgl. die moderne Wndg. ,in der Patsche (Tinte) sitzen4. Zur Erklärung dieser Rda., die einen ganz gegenteiligen Sinn besitzt, kann man die tatsächlich bezeugte Wortbdtg. von Überschwemmung heranziehen, die dem Betroffenen gefährlich werden oder Schaden bringen kann. Wahrscheinlicher ist es jedoch, daß die Rda. die Erinnerung an die ma. Strafe des Schwem- mens bewahrt. Der Übeltäter wurde dazu auf einen Knüttel oder in einen Korb gesetzt und dann ins Wasser geschleudert, das an der Stelle der Schwemme so tief war, daß er keinen Grund mehr fand. Erst kurz vor dem Ertrinken wurde der auf diese Weise Bestrafte wieder herausgezogen. Außerdem fand in ganz ähnlicher Weise die ,Wasserprobe4 statt, mit der man eine an¬ geklagte Hexe erkennen und überführen wollte. Sie galt dann als schuldig, wenn sie nach dem Eintauchen sofort wieder oben schwamm. Vor allem darauf bezieht sich wohl die Wndg. jem. in die Schwemme bringen: ihn in Unannehmlichkeiten bringen, ihn seiner Strafe zuführen. Lit.: Dt. Wb. IX, Sp. 2511 ff.; Triibner VI, S.274f. schwer. Es schwer haben: mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ein mühevolles Leben führen, von Sorgen belastet sein. Es schwer mit jem. haben: schlecht mit dem anderen auskommen, oft Ärger und Streit haben, auf wenig Verständnis und Hilfsbereitschaft rechnen können, ihn ständig unterstützen (betreuen) müssen, ihn als große Belastung empfinden. Urspr. bez. das Adj. schwer das Gewicht, das in übertr. Bdtg. auch die drückende Last, die Sorge und Qual umschreiben kann. Deutlicher ist dies noch in der älteren Rda. etw. liegt einem schwer. Wir ergänzen heute: auf dem Herzen, auf der Seele, auch: im Magen, d. h. es bereitet Kummer oder Unbehagen und Angstgefühle. Die Wndg. etw. liegt schwer auf einem hat Schiller lit. in den Piccolomini4 (3,3) gebraucht: „Schwer lag auf mir des Scheidens Bangigkeit“. Schwer in der Hand liegen: schlecht zu bewältigen sein, Anstrengung und Ermüdung verursachen. Urspr. stammt die Wndg. aus der Reitersprache. Wenn das Pferd beim Reiten immer den Kopf hängen läßt, ,ist (liegt) es schwer auf der Hand4, d.h. die Hand des Reiters, die die Zügel hält, muß ständig fest zupacken und ermüdet zu schnell. Vgl. ndl. ,zwaar op de hand sijn4; frz. ,être pesant à la main4; engl. ,to be heavy in hand4. Die Rda. jem. eine schwere Hand auf le gen (fühlen lassen): ihn mit Strenge erziehen, ihm wenig freien Willen lassen, ihm Übermut und Leichtsinn nicht durchgehen lassen, ist bibl. Ursprungs. In Ps. 32,4 heißt es: „Deine (des Herrn) Hand war Tag und Nacht schwer auf mir“. Etw. schwernehmen: von einer Kritik (einem Tadel) getroffen, tief beeindruckt, von Trauer, Verzweiflung erfüllt sein, sich nicht ohne weiteres über etw. Unangenehmes hinwegsetzen können. Alles zu schwer nehmen: unnötige Gedanken machen, sich 927
Schwerenöter mit Zweifeln oder Gewissensbissen quälen. Einem das Herz schwermachen /Herz. Etw. schwer tragen: eine Unglücksnachricht kaum fassen, einen Verlust kaum verwinden können. Die Wndg. erscheint bereits in der mhd. Dichtung in übertr. Bdtg.: Im ,Tristan4 Gottfrieds von Straßburg (V. 13665) heißt es: doch truog erz in dem muote leitlîchen unde swâre. Vgl. auch schwer an etw. tragen: tief bekümmert sein. Einem schwer sein (werden): für ihn sehr schwierig, kaum durchführbar, höchst unangenehm sein; zu schwer sein für jem.: seine Kräfte übersteigen, seinem Leistungsvermögen nicht entsprechen. Jem. fällt etw. schwer: er kann seine Aufgaben nicht ohne Anstrengung und Mühe bewältigen, er braucht viel Zeit und Kraft dafür, er besitzt ein schlechtes Gedächtnis, er muß ständig lernen, wiederholen und üben, um mit anderen Schritt zu halten. Vgl. auch die Wndgn. einem nur schwer eingehen: ihm kaum verständlich und faßbar sein, nur schwer zu begreifen sein und sich schwertun mit etwas. Jem., der sich ungeschickt anstellt, der einen Sachverhalt nicht gleich erfaßt, nennt man ,schwer von Begriff4. Schwer geladen haben: betrunken sein, schwerfällig gehen, hin und her schwanken (torkeln), eigentl. sich wie ein beladener Wagen, wie ein volles Frachtschiff bewegen. Oben so schwer wie unten sein: einen Rausch, einen ,schweren Kopf4 haben. Vgl. engl. ,He is top-heavy4, /trinken. Derrdal. Vergleich Er ist so schwer wie Blei (ndl. ,Het is zoo zwaar als lood4) wird in übertr. Bdtg. bereits von Walther von der Vogelweide (76,3) in einem Gedicht verwendet: die tôren sprechent snîâ snî. die armen Hute owê owi. des bin ich swaere alsam ein blî. Um ein großes Körpergewicht eines Menschen anschaulich zu machen, sagt man auch (vor allem in Mitteldtl.): Er ist so schwer wie ein toter Mann, da sich ja bekanntlich Tote nur schlecht heben und tragen lassen und schwerer geworden zu sein scheinen. Wenn etw. nur äußerst zögernd und mühe¬ voll vorangeht, spricht man im rdal. Vergleich von einer schweren Geburt; die Entbindungszeit wird euphemist. umschrieben, denn man sagt, daß eine Schwangere ihrer schweren Stunde entgegensehe. Um die Unmöglichkeit einer Sache deutlich zu machen, kennt man in Ostpreußen den Vergleich ,So schwoar, as wenn de Bock lamme sull4. Zur Umschreibung der Schwangerschaft selbst wird die Wndg. schwer gehen benutzt, die bereits 1660 bei Corvinus (,Fons latinit.4 l,305a) belegt ist: „so spricht der deudsche man und mutterzunge, das weib gehet schwanger, oder gehet schweer, oder ist schwanger44. Schweres Geschütz atiffahren /Geschütz. Die schwere Not bekommen /Schwerenöter. Schwerenöter. Ein Schwerenöter sein: ein leichtsinniger und gerissener Kerl sein, der allerhand auf dem Gewissen hat und es mit der Moral nicht allzu genau nimmt, der sich aber andererseits wegen seiner besonderen Fähigkeiten und ungewöhnlichen Eigenschaften widerwillige Anerkennung und Bewunderung verdient. Urspr. war Schwerenöter ein erniedrigender Schimpfname, der einen durchaus nichtswürdigen Menschen bezeichnete, der eigentl. die schwere Not, d. h. die Fallsucht oder Epilepsie, verdient hätte. So heißt es z.B. auch in einer Verwünschung: Die schwere Not (die /Kränke) sollst du kriegen! Im 18. Jh. ist Schwerenöter als grobes Schimpfwort auch lit. bezeugt, z.B. 1778 bei Hermes in Sophiens Reise4 (6,212), und bes. im rhein.- westf. Raum verbreitet. Im 19. Jh. ist das Wort allg. bekannt und in seiner Bdtg. gemildert, weil auch der urspr. Sinn von ,schwere Not4 verblaßte. Der Wert des Wortes hob sich immer mehr, und seine Bdtg. schlug ins Gegenteil um. Das erklärt sich daraus, daß solche Burschen, die eigentl. die Fallsucht, den Galgen oder die Hölle zu erwarten haben, sich stark vom Alltagsmenschen unterscheiden und sich durch bes. Eigenschaften hervortun. So enthält der Ausdr. Schwerenöter heute eine ähnl. Anerkennung wie ,Teufelskerl4 und ,Galgenstrick4. Gern den Schwerenöter spielen: sich gern, 928
Schwert bes. vor Frauen, aufspielen und so tun, als sei man noch schlimmer als sein Ruf, um das Interesse auf sich zu'lenken; sich selbst für unwiderstehlich halten und deshalb glauben, sich insbes. dem weibl. Geschlecht gegenüber mehr als andere herausnehmen zu dürfen. Schwert. Ein zweischneidiges Schwert sein: von bes. Schärfe sein, aber auch: eine Sache sein, die ihr Gutes wie ihr Schlechtes hat, die verschiedene Konsequenzen besitzt. Bereits bei Sir. 21,3 heißt es: „Wie ein zweischneidiges Schwert ist alle Ungerechtigkeit; für ihren Hieb gibt's keine Heilung“. Scharf wie ein zweischneidiges Schwert sein: alles durchdringend und scheidend. Dieser urspr. bibl. Vergleich bezieht sich auf die Rede und vor allem auf das Wort Gottes, ln den Sprüchen Salomos steht bei Kap. 5, V.3-4: „Denn die Lippen der Hure sind süß wie Honigseim, und ihre Kehle ist glätter als öl, aber hernach bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert“. Bei Hebr. 4,12 heißt es: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ Ähnl. wird auch vom ,Schwert des Geistes4 gesprochen: „Nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, solches ist das Wort Gottes“ (Eph. 6,17). Häufig wird die verletzende Schärfe des bösen Wortes durch ,die spitze Zunge4, aber auch durch das Schwert im Munde umschrieben. Fischart gebraucht diese Wndg. 1578 in seinem ,Ehezuchtbüchlein4 mehrmals lit.: „Zweyschneidend Schwerter zwischen den zaenen“ (S. 203,7), und: „Das ist, das schwerd nit im maul füren“ (,Ehez.4 S. 266, 33 f.). Bereits Luther kennt die Rdaa. das Schwert im Munde führen: scharfe Reden führen, verletzend wirken (,Tischreden4, 178b), und Er führt das Schwert im Maid. Sein Schwert in die Waagschale werfen: eine Auseinandersetzung gewaltsam beenden, eine Entscheidung auf drastische Weise erzwingen. Die Wndg. beruht auf einer Be¬ gebenheit in der Antike, die Livius (V,48), Florus (1,13) und Festus (S.372, Ausg. v. O. Müller) überliefert haben: Der Gallierkönig Brennus, der 390 v.Chr. die Römer an der Allia besiegt hatte, warf mit den Worten „Vae victis!“ (= Wehe den Besiegten) höhnisch noch sein Schwert in die Waagschale, als sich die besiegten Römer sträubten, die auferlegten 1000 Pfund Kriegskontribution in Gold nach den zu schweren Gewichten der Feinde abzuwie- ,Sein Schwert in die Waagschale werfen1 gen (Büchmann, S. 594). Die Rda. findet in der polit. Sprache bis in die Neuzeit Verwendung. Das Schwert mit beiden Händen fassen: seine ganze Kraft zusammennehmen, tüchtig zupacken, angreifen. Die Wndg. ist bereits in Luthers ,Tischreden4 (273b) bezeugt. Das Wort Schwert steht sinnbildlich für Krieg, Feindschaft, Entzweiung, Gewalt und Gefahr, z. B. heißt es bei Matth. 11,34: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. Sich mit dem Schwerte gürten: sich kampfbereit machen, dann allg.: sich auf alles vorbereiten. Die Wndg. bezieht sich auf die Bibelstelle bei 2. Mos. 32,27: „Gürte ein jeglicher sein Schwert um seine Lenden“ (Büchmann, S. 14). Etw. mit dem Schwerte erlangen: nur durch 929
Schwiegermutter Gewalt Erfolg haben. Ähnl. ,mit dem Schwerte (Petri) dreinschlagen4. Vgl. frz. ,emporter une chose à la pointe de l’épée4. Etw. mit dem Schwerte teilen: eine Sache mit Gewalt entscheiden, Gesetz und Gerechtigkeit außer acht lassen. An das Schwert gebunden sein: an den Soldatenstand, das Kriegshandwerk gefesselt sein. Es hängt ein Schwert über seinem Haupt: er schwebt in unmittelbarer Gefahr. Vgl. ndl. ,Hem hangt een zwaard boven het hoofd4. Die Rda. bezieht sich auf das Schwert des Damokles, was noch deutlicher in der Wndg. wird: Das Schwert des Damokles schwebt über ihm: ihn kann jeden Augenblick ein Unheil treffen; /Damoklesschwert. Zwischen zwei Schwertern stehen: zwischen zwei Gefahren, in größter Bedrängnis sein, zwischen zwei Übeln wählen müssen. Er will mit zwei Schwertern fechten: er will bes. viel Erfolg haben, auf verschiedene Weise verdienen, verliert aber dabei alles, weil er seine Mittel unmöglich gleichzeitig einsetzen kann. Vgl. ndl. ,Hij wil met twee zwaarden vechten4. In sein eigen Schwert fallen: in seine eigene Falle gehen, gegen sich selbst reden. Eine ähnl. Wndg. gebraucht Waldis (III, 22, 18) auch lit.: „Wir han mit vnserm eygnen schwerdt vns selb geschlagen solche wunden44. Vgl. auch frz. ,11 s’est enferré lui- même4. Die Feststellung Er wird mit dem eigenen Schwert geschlagen: seine Arglist, die dem Feinde bereitete Waffe, kehrt sich gegen ihn selbst, wurde schon von Hartmann von Aue im ,Iwein4 (V.3224) gebraucht: „in het sin selbes swert erslagen“. Bei Waldis (11,9,29 und 1,38,50) findet sich zu der Rda. noch eine nähere Erklärung: „Werden von andern selb betrogen, mit ihren eignen schwerd geschlagen44. Ähnl.: einen mit seinem eigenen Schwerte töten. Das Schwert (gern) in die Scheide stecken: einen Streit beenden, friedfertig sein. Schwiegermutter. Man wird eine böse (bucklige) Schwiegermutter bekommen heißt es, wenn man zufällig in einer größeren Gesellschaft an der Tichecke (am Tischbein) sitzen muß. Für den ,Atlas der dt. Volkskunde4 wurden die Rdaa. überden Platz an der Tischecke in ganz Dtl. erfragt (ADV-Frage 234c) und verkartet. Es ergeben sich dabei zwei Hauptverbreitungsgebiete: in Norddtl. heißt es vor allem:,sieben Jahre warten4, /warten oder .ledig bleiben4, und in Mitteldtl. ist die Rede von der ,bösen Schwiegermutter'. In Schlesien gibt es eine eigene Wndg. ,über Eck bald weg4, in Süddtl. dagegen soll man entweder ,bald oder gar nicht heiraten'. Lit.: G. Grober-Glück:Zm Verbreitung von Rdaa. und Vorstellungen des Volksglaubens nach den Sammlungen des Atlas der dt. Vkde., in: Zs. f. Vkde. 5S (1962), S. 41-71. schwimmen. Schwimmen lernen, wenn das Schiff gescheitert ist: eine Maßnahme ergreifen, wenn es bereits zu spät ist. Vgl. die Rda. ,den Brunnen zuschütten, wenn das Kalb hineingefallen ist', /Brunnen. Er kann auch in seichtem Wasser schwimmen: er weiß sich in jeder Lage zu helfen. Das Gegenteil besagt die Schweiz. Wndg. ,Er mag weder z’ schwümme noch z wate cho4, ihm mißlingt alles, er ist ein Pechvogel. (Derjenige) den ich schwimmen lehrte, will mich ersäufen: einer, dem zum Erfolg verholten wurde, wendet sich voller Undank gegen seinen Lehrmeister, um ihn zugrunde zu richten. Mit dem Strom schwimmen: sich anpassen, sich von der allg. Meinung leiten lassen, Widerstände meiden, /Strom. Wider den Strom schwimmen: sich einer 930
Schwindsucht Entwicklung entgegenstellen. Die Wndg. ist bibl. Herkunft. Bei Sir. 4,31 steht die Mahnung: „Strebe nicht wider den Strom“. Vgl. auch Juvenal (4,89): „Nunquam direxit brachia contra torrentem“, /Strom. In etw. schwimmen: sich im größten Überfluß befinden, z. B. ,im Geld schwimmen4, auch in übertr. Sinne: ,in einem Meer von Wonne schwimmen4, ,in Seligkeit4, ,im Glück schwimmen4. Auch zur Steigerung eines konkreten Vorganges wird die Wndg. gebraucht, z.B. ,in Tränen schwimmen4; ,in seinem Blute schwimmen4, sehr viel Blut verloren haben, davon überströmt sein. Mit etw. schwimmen: sich nicht sicher wissen, im Text steckenbleiben, bei einer Prüfung Pech haben und über ein Gebiet gefragt werden, von dem man nur ungenaue Kenntnis besitzt. Die Wndg. ist seit 1800 unter Schülern, Studenten, Schauspielern und Rednern verbreitet. Sie beruht auf der Beobachtung, daß jem., der nicht weiter- weiß, dies durch schwimmartige Armbewegungen offenbart. Er verhält sich unwillkürlich dabei so, als habe er den festen Boden unter seinen Füßen verloren und müsse nun seine Unsicherheit durch entsprechende Schwimmbewegungen überbrücken. Ähnl.: ins Schwimmen geraten (kommen): keine fundierten Kenntnisse besitzen und seine Phantasie zu Hilfe nehmen müssen. Jem. ins Schwimmen bringen: ihn unsicher machen, aber auch: ihn zu Tränen rühren. Etw. schwimmen lassen: darauf verzichten, sich etw. entgehen lassen. Die Rda. ist um 1900 belegt und gilt als eine Parallelbildung zu: ,etw. sausen lassen4. Jem. schwimmen lassen: ihn im Stiche lassen, ihn belasten. Die Wndg. stammt urspr. aus der Gaunersprache, in der schwimmen müssen4 auch ,ins Gefängnis müssen4 bedeutet. Wie ein Fisch schwimmen: sehr gut schwimmen können, sich im Wasser wie in seinem eigentl. Elemente wohl fühlen. Ähnl. Sinn hat die Rda. wie ein Pfannkuchen in der Butter schwimmen. Immer oben schwimmen wollen .immer den größten Vorteil für sich beanspruchen, immer Glück haben und eine höhere Stellung als andere einnehmen wollen. Abraham a Sancta Clara gebrauchte eine ähnl. Wndg. öfter lit. in seinem Judas4 (I, 436) heißt es: (will allzeit) „oben schwimmen, wie das Pantoffel-Holtz“. In seiner Schrift ,Etwas für Alle4 (237) stellt er fest: „Der Weiber Natur mit dem Pantoffel-Holtz gleichet, so in allweg nur will oben schwimmen44, hier i.S.v. immer Recht haben, die Herrschaft im Hause an sich reißen wollen. Zahlreich sind die Vergleiche, die einen ungeschickten Schwimmer oder einen Nichtschwimmer verspotten: Er kann schwimmen wie eine bleierne Ente, er schwimmt mit der bleiernen Ente um die Wette, /Ente; er schwimmt wie ein bleiernes Fischlein, mdal. in Ulm: ,Er ka schwimm wie a bleiern Fisch4. Er schwimmt wie ein Wetzstein: er eignet sich für ein Geschäft ganz und gar nicht. Vgl. Schweiz. ,Er cha schwümme wie ’ne Wetzstei4 und ostfries. ,He kann swemmen as ’n Backstên (as ’n Mölensten)4. Jem. schwimmt es vor den Augen: er kann nicht deutlich sehen, das Bild im Auge ist unscharf, es verschwimmt4. Schwindsucht. Sich die Schwindsucht an den Hals ärgern:s\oh sehr ärgern, sich selbst krank machen vor lauter Ärger und Unannehmlichkeiten. Lessing gebraucht die Wndg. 1748 lit. im ,Misogyn4 (1,6): „Ich fürchte, daß ich mir noch die Schwindsucht über dein Plaudern an den Hals ärgern werde“. Die Schwindsucht im Gehirn haben: ein Schwachkopf sein, den Anschein erwek- ken, als würde das Gehirn ständig abnehmen. In dieser Rda. ist bereits eine Übertr. der Krankheit auf einen Bereich erfolgt, dem sie nicht zu schaden vermag. Die Schwindsucht im Beutel haben: ständig sein Geld vertun, nie lange Geld bei sich halten können, ohne Mittel sein. Die Rda. ist schon 1678 in Kramers ,Dictionarium‘ verzeichnet. Ähnl. sagt man dafür heute auch noch: Mein Beute! (mein Portemonnaie) hat die Schwindsucht: er leert sich zusehends. Scherzhaft wird dabei dem Beutel die Schuld an dem Geldmangel gegeben. Vgl. frz. ,avoir le diable dans sa bourse4. Abraham a Sancta Clara gebraucht diese und ähnl. Wndgn. in seinen Werken oft, z. B.: „Wann der Beutel die Schwindsucht bekommt44 (Judas4 III, 551, IV, 84). „Sein 931
Schwören Brod-Korb hatte stets die Schwindsucht“ (,Lauber-Hütt4 I, 177). „(Hat) der Muth die Schwindsucht bekommen“ (,Etwas für Alle‘ 678). „Die Schwindsucht in der Heiligkeit bekommen“ (,Bescheid-Essen4 272). „Bald ist ihme die Schwindsucht in die Heiligkeit gekommen“ (,Huy und Pfuy4 68). schwören. Hoch und heilig schwören, auch: sich hoch und teuer verschwören: etw. unter Berufung auf alles, was einem bes. wert ist (Götter, Sterne, Gesetz, Weib, Kind, Ehre, Seligkeit), mit der zum Schwur erhobenen Hand versprechen und bekräftigen. Die Rda. bei Himmel und Erde schwören steht vermutlich mit der Warnung Jesu vor leichtfertigem Schwören (Matth. 5, 34-35) in Zusammenhang. Bei Christus (bei allen Heiligen) schwören: mächtige Zeugen für die Wahrheit anrufen, um zu überzeugen. Man glaubte allg., daß ein falscher Eid durch die Angerufenen be- ,Bei Christus und allen Heiligen schwören' straft würde, deshalb schwor man auch ,bei Gott und dem Teufel4, ,bei Himmel und Hölle4, ,bei allen guten und bösen Mächten4. Vgl. ndl. ,bij hoog en laag zweren4, ,zweren bij God en duivel4, ,bij kris en kras zweren4; frz. ,jurer par tous les diables4, oder ,tous les saints du paradis4; engl. ,to swear by all that is holy (sacred)4. Er schwört Bocksdarm und Bocks lung: er schwört bei allem möglichen, eigentl. beim Teufel, für den der Bock als Umschreibung eintritt. Diese Wndg. findet sich bereits bei Murner in der ,Schelmenzunft4 (2, in Kloster, I, 829): Ich schwür bocksdarm vnd auch bockslung, Der prediger hat eine falsche zung. Einen Meineid zu leisten, galt als besonders schwere Sünde. Es hieß, daß der Teufel Meineid (,Der Teufel soll mich holen...1) selbst die Schwurhand halte und ihm der falsch Schwörende verfallen sei. Daher auch die Selbstverwünschung beim Schwören, um die Wahrheit der Aussage zu bekräftigen: ,Der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht die Wahrheit sage4; /’Teufel. Wenn jem. ohne Bedenken oft und falsch schwört, wird in verschiedenen Rdaa. vor ihm gewarnt, z.B. Er schwört dem Teufel ein Ohr ab oder Wenns bei ihm zum Schwören kommt, so verliert der Teufe! ein Ohr: er lügt mit Leichtigkeit. Vgl. ndl. ,Hij zal zweren, dat de duivel Henrik heet4 und 932
Scylla engl. ,He ’ll swear the devil out of heir. Ähnl. Sinn haben die Wndgn.: Er schwört des Henkers Großmutter ein Bein ab (vgl. Grimmelshausens .Vogelnest’ l) und Er schwört das Blaue vom Himmel herunter. Vgl. lat. ,per solis radios, tarpejaque fulmina jura’. Die gleiche Warnung enthalten die Rdaa. Er schwört, daß die Balken brechen (daß einem die Haare zu Berge stehen) und Er schwört wie ein alter Soldat, wie ein Landsknecht, wie ein Spieler, wie ein Ketzer. Das heißt nicht hoch geschworen: er bemüht sich nicht um geachtete, geheiligte Zeugen, deshalb scheint es ihm nicht allzu ernst zu sein, man darf ihm nicht trauen. Schon bei Seb. Franck (II,131a) heißt es: ,,Er Schwert nit thewer, jm ist nit ernst“. Er schwört beim Schwein des heiligen Antonius: er schwört nicht sehr hoch, er ist leichtfertig. Vgl. ndl. ,Hij zweert bij den tand van Sint Pleun’ oder ,Hij sweert bij Sint Anthonies zwijn’. Stein und Bein schwören /Stein. Auf jem. schwören: ihm unbedingt Vertrauen schenken. Auf des Meisters Worte schwören: die Worte des Lehrers für unwiderrufliche Wahrheit halten, nicht daran zweifeln und sich kritisch damit auseinandersetzen. Diesen Rat erteilt Mephisto dem Schüler (,Faust’I,,Schülerszene’), doch die Wndg. ist viel älter. Sie erscheint bereits im Jahre 20 v.Chr. in den ,Episteln’ des Horaz (I, 1,14) als: „iurare in verba magistri”. Lit.: R. Lasch: Der Eid (Stuttgart 1908). Schwung. Schwung haben: kraftvoll, mitreißend sein, voller Begeisterung, Triebkraft, Initiative sein und deshalb alle Hindernisse leicht überwinden. Ähnl.: alles mit Schwung tun: Freude und Mut besitzen, sich seine anfängliche Begeisterung durch Rückschläge nicht nehmen lassen, mit Lust und Liebe an einer Aufgabe arbeiten und andere dazu ermuntern und anregen. Dagegen: jem. fehlt aller Schwung: er ist mißmutig, lustlos und tut nur, was er unbedingt erledigen muß, er besitzt keine neuen Ideen und zukunftsweisenden Pläne, er lähmt auch die Freude anderer. In Schwung sein (kommen, geraten): lebhaft tätig sein, viel leisten und bestens vor¬ ankommen, intensiv und unaufhörlich arbeiten, auch: in guter Stimmung sein und eine ganze Gesellschaft unterhalten können, zu gedeihen anfangen, eine kräftige Aufwärtsentwicklung nehmen. Vgl. ndl. ,voor den wind gaan’. Jem. auf den (in) Schwung bringen: einen Nachlässigen anfeuern, bewirken, daß jem. in seiner Tätigkeit intensiver wird, daß die Arbeit vorangeht. Schwung meint das Schwingen und allg. das rasche Bewegen unter einem starken Antrieb, das oft durch ein Schwungrad an der Maschine erst ermöglicht und intensiviert wurde. Ähnl.: etw. in Schwung bringen: eine Sache in Gang bringen, eine Angelegenheit kräftig vorantreiben. Einem die Schwungfedern ausrupfen: ihm Hab und Gut, die Mittel zu seiner Existenz nehmen, ihm den Mut lähmen, ihm die Kraft und die Voraussetzungen zur Ausführung hochfliegender Pläne nehmen, ei- gentl. einen Vogel am Wegfliegen hindern. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet, z.B. heißt es von einem Übermütigen und Leichtsinnigen in Schlesien: ,Ma muss’n die Schwungfadern a wing oasrefen’. Scylla. Aus der Scylla in die Charybdis geraten: aus einer Gefahr gerettet werden und in eine größere kommen. Vgl. ndl. ,van Scylla in Charybdis vervallen’. Daneben werden im Dt. noch ähnl. Wndgn. gebraucht: der Scylla entfliehen und in die Charybdis fallen: mit übergroßer Ängstlichkeit einem Übel zu entgehen suchen und dann, alle Vorsicht vergessend, in eine unerwartete zweite Gefahr geraten, ln der Umkehrung heißt es auch: der Charybdis entfliehen und in die Scylla geraten, so bereits im mlat.: „Incidis in Scyllam, cupiens vitare Charybdim” = während du wünschest, der Charybdis zu entgehen, verfällst du der Scylla. Dieser Vers aus der 1178-82 verfaßten ,Alexandreis’ (5,301) des Gual- therusab Insulis ist einem griech. Sprw. bei Apostolius (,Paroemiogr. Graeci’ 16,49) nachgebildet, das auf die Odyssee zurückgeht. Vgl. auch engl. ,in trying to avoid Charybdis to drift into Scylla’. Die Wndg. zwischen Scylla und Charybdis j£/7î bedeutet dagegen: sich zwischen zwei gleich großen Gefahren oder Unannehm- 933
See lichkeiten befinden, in auswegloser Lage sein. Alle diese Rdaa. beziehen sich auf die ,Odyssee4 XII, 85-110, in der Homer als erster die Gefahren in der Straße von Messina schilderte. Die Scylla, eine gefährliche Klippe, galt in der griech. Sage als Seeungeheuer mit sechs Köpfen und zwölf Füßen, das die Seeleute von den Schiffen riß. Ihr gegenüber befindet sich die Charybdis, ein verderbenbringender Meeresstrudel, den man sich als Riesin dachte. Lit.: Waser: Skylla und Charybdis in der Lit. und Kunst der Griechen und Römer (Diss. Zürich 1894); K. Reinhardt: Von Werken und Formen (Godesberg 1948), S.70; Büchmann. S. 575. See. Der wird mir keinen See anbrennen: er kann mir keinen großen Schaden zufügen, seine Feindschaft achte ich für ungefährlich. Er geht gerade durch den See: er ist aufrichtig, er hat einen festen Charakter und läßt sich durch nichts von seinem Wege abbringen; was er einmal begonnen hat, führt er unbeirrt zu Ende, er handelt ohne Verstellung. Er ist ein grundloser See: er ist sehr verschlossen, schwer zu durchschauen, seine Handlungsweise ist sehr undurchsichtig. Vgl. das Sprw.,Stille Wasser gründen tief4. Die See ausschöpfen wollen: etw. Sinnloses Vorhaben, sich mit einer nutzlosen und erfolglosen Arbeit abgeben, vgl. ,Eulen nach Athen tragen4,,Wasser in den Rhein schütten4, /Eule, /Wasser. Vgl. auch ndl. ,de see met sponsen opdroogen4. Den See von Camarino bewegen: mit Vorbedacht, freventlich ein Unglück heraufbeschwören. Die Rda. spiegelt den Volksglauben, daß dann ein Ungewitter entsteht, wenn man vorsätzlich etw. in den See wirft und ihn somit erregt und aufwühlt. In übertr. Bdtg. hat die Rda. die Erinnerung an den See in Sizilien bewahrt, der sich in einen Sumpf verwandelt hatte und zur Ursache vieler Krankheiten wurde. Da man meinte, daß von ihm die verheerende Pest ausginge, wurde das Orakel befragt, ob es nicht besser sei, den See völlig trockenzulegen. Apoll verbot, ihn aufzurühren, aber gegen den Orakelspruch wurde er doch entwässert. Die Pest hörte zwar auf, doch nun konnten die Feinde ungehindert in das Land eindringen. Von einem, dem alles im Leben mißlingt, heißt es: Wenn er auf die See gehen wollte, würde kein Wasser dort sein. Vgl. ital. ,Se io andassi al mare, lo troverei secco4. Wenn reiche Leute klagen, sagt man: Die See ist ohne Wasser. Die See geht bei ihm hoch: er ist sehr erregt, aber auch: er ist in einer gefährlichen Situation. Mdal. Wndgn. stammen bes. aus Norddtl.: ,Dat Läben ist jüst so up un dol as de See4, Glück und Unglück wechseln sich ab, es geht herauf und herunter. Auf die ständige Bedrohung der Küste weist die ostfries. Rda. ,He mênt, üm kann kên Sî to hoch lô- pen4, er glaubt, daß ihm nichts wirklich gefährlich zu werden vermag. Das kann jeder Seehund sagen: das weiß jeder. Lit.: F. Kluge: Wb. der Seemannssprache (Halle 1911); W. Stammler: Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß, 2. Aufl. Bd. III, Sp. 2901 ff. Seele. Eine große Anzahl von Rdaa. hat sich des Begriffes Seele bedient, jedoch in ganz verschiedener Bdtg. Mit der Vorstellung vom Sitz der Seele im Körper des Menschen hängen die Rdaa. zusammen, in denen vom Ausfahren der Seele beim Tode die Rede ist. Er hat seine Seele ausgehaucht: er ist gestorben, lit. bei Seb. Brant (.Narrenschiff4): „bis das die sei fert uß dem mund44. Die Seele sitzt ihm auf der Zunge: er liegt im Sterben. Luther (3,397b) sagt: „Denn ,Die Seele aushauchenk 934
Seele es sind etliche so verseumblich, daß sie nicht eher lassen fordern, bis die seel auf der Zungen sitzt“. Seb. Franck verzeichnet in seiner ,Sprww.-Sammlung* (II, 152b): „Die seel under den zeenen haben“. Von einem Alten, der scheinbar alles überlebt, sagt man: Die Seele ist ihm angewachsen (angeklebt). Eine große Anzahl an Rdaa. läßt sich aus dem ,Arme-Seelen-Glauben* erklären, nach dem die in Schuld Verstorbenen diese Schuld im Fegefeuer oder auch als Geister abbüßen müssen. Durch Gebet und Fürbitte kann der Gläubige zur Erlösung beitragen. Nun hat die arme Seele Ruh sagt man etwa, wenn ein Kind nach langem Quälen das Gewünschte erhalten hat, was es verlangte. Ebenso wie die erlöste ,arme Seele* hält es nun Ruhe. Daneben steht: Nun hat die liebe Seele Ruh, wohl nach Luk. 12,19: „Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe“, /Ruhe. Er setzt seine Seele auf die Übertür sagt man vom Kaufmann, der Gewichtsbetrug macht; ähnl. beim betrügerischen Bäcker: Er hat seine Seele ins Brot gebacken. Gewichtsbetrug war eine jener Sünden, die nach dem Tode mit ruhelosem Umherirren der Seele oder mit dem Fegefeuer bestraft wurden; ebenso der Meineid. Von einem Meineidigen heißt es noch heute in Schlesw.-Holst.: .HehettSeel und Seligkeit verswaren*. Das Schwören bei seiner Seele ist wohl als alter Rechtsbrauch anzusehen. Schon im ,Iwein‘ Hartmanns von Aue (1236) heißt es: „des sî mîn sêle iuwer pfant“. Bis ins 18. Jh. hinein ist das ,Schwören bei oder in eines anderen Seele4 belegt, so in einer Dresdener Urkunde aus dem Jahre 1719: „zur erhuldigungs- und lehenspflicht, daz er solch in unsre Seelen ablegen soit“. In den Verkürzungen Meiner Seel! oder Mein Seel! ist diese Beteuerung noch heute lebendig. Oft treten sie in abgewandelten Formen wie ,mein Sechs4, ,mein /Six* auf. Die Rda. auf dein Seel' und Gewissen, noch bei Seb. Franck zu finden (vgl. frz. ,sur mon âme et conscience4), wird heute in der Regel ersetzt durch ,auf Ehre und Gewissen4. Beim Schwur setzte man die Seele zum Pfand. Diese Vorstellung liegt auch in den Rdaa. seine Seele dem Teufel verpfänden, verkaufen. Wer sich dem Teufel verschwor*, verpfändete ihm seine Seele. Aus der Vorstellung vom Pakt mit dem Teufel und der von der Armen Seele lebt die Rda. hinter etw. her sein wie der Teufel hinter der armen Seele, /Teufel. Die Seele als Sitz des Gemütes und Gewissens liegt den Rdaa. jem. etw. auf die Seele binden, /^//zugrunde: ihm etw. eindringlich ,ans Herz4 legen, es seiner Obhut anvertrauen. Lit. verwendet von Schiller im ,Don Carlos* (4,21): „Sagen Sie ihm, daß ich Menschenglück auf seine Seele lege“. Ganz offensichtlich sah man im Herzen den Sitz der Seele, ja man setzte beide Begriffe gleich. Dies erklärt die Auswechselbarkeit der beiden Begriffe, z.B. etw. auf dem Herzen, auf der Seele haben oder sich etw. vom Herzen, von der Seele reden. Ein Herz und eine Seele sein sagt man von zwei Personen, die in ihren Anschauungen völlig übereinstimmen. Apostelg. 4,32 heißt es: „Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“. Eine ebensolche völlige Übereinstimmung drückt sich aus in zwei Seelen und ein Gedanke. Diese Rda. geht zurück auf Friedr. Halms (1806-71) Drama ,Der Sohn der Wildnis4 von 1842 (II.): „Zwei Seelen und ein Gedanke / zwei Herzen und ein Schlag44. Ähnl. heißt es in Shakespeares ,Sommernachtstraum4 (II, 2,50): „Two bosoms and a single troth44. Von ganzem Herzen und von ganzer Seele wünscht man etw., also ,mit seinem ganzen Wesen4; gekürzt aus Matth. 22,37: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte“, ein Wort, das im Lutherischen Katechismus oft vorkommt. In gleicher Bdtg.: aus tiefster Seele etw. hoffen. Eine Seele von Mensch nennt man einen, der bes. gütig ist. Ähnl.: eine treue, gute, geduldige Seele. Als durstige Seele bez. man heute in scherzhafter Abwandlung von Ps. 107,9 den Trinker. Die Seele des Geschäftes ist der, ohne den das Geschäft nicht bestehen könnte, der also die Hauptsache, die Triebfeder darstellt. 935
Seemannsgarn Mit Seelchen bezeichnte man im 18. Jh. ein zartes, empfindsames Mädchen; heute wird der Ausdr. pejorativ i. S. v.: sentimental, ohne viel Geist gebraucht. Ein Seelenwärmer ist eine Strickjacke, ur- spr. das Rücken und Brust bedeckende dreieckige Trachtentuch. Mit Seelenverkäufer bezeichnete man ur- spr. den Sklavenhändler, der mit Menschen, also mit Seelen, handelte. Wohl in der Zeit der Auswanderungen nach Amerika übertrug man die Bez. auf die für die Überfahrt gekauften Schiffe, die wegen Geldmangels meist alt und brüchig waren und oft das Reiseziel nicht erreichten. Eine große Zahl an Worten hat sich mit dem Ausdr. Seele verbunden, z. B. Seelenadel, Seelengröße, Seelenruhe, seelenvergnügt, Seelenverwandtschaft usw. Auch manche Rda., die urspr. nichts mit der Seele zu tun hatte, wurde durch diesen Begriff verstärkt. So hieß es für ,einem etw. dringend ans Herz legen1 im 16. Jh. noch nicht ,ihm etw. auf die Seele binden4, sondern man sagte bloß: ,es einem einbinden4. In der ,Hildesheimer Chronik4 von Olde- cop (S. 98) steht: ,,Und dusse befeil war allen hemelich eingebunden und befolen44. Lit.: R. Lasch: Der Eid (Stuttgart 1908); W. F. Otto: Die Manen oder von den Urformen des Totenglaubens (Berlin 1923); E. Rohde: Psyche. Selenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen (Tübingen 101925); J. Sailer: Die Armen Seelen in der Volkssage (Diss. München 1956); /. Paulson: Die primitiven Seelenvorstellungen der nordeurasischen Völker (Stockholm 1958); C. Thomann:D\e armen Seelen im Totenbrauch und Totenglauben des altbayerischen, insbes. des ober- pfälz. Raumes (Diss. Würzburg 1969). Seemannsgarn /Garn. Segel. Mit vollen Segeln fahren: alle Mittel ins Werk setzen, um seinen Zweck zu erreichen; vgl. die Worte des Musikus Miller in Schillers ,Kabale und Liebe4 (1,1): „(Da) geht ihm ein Licht auf, wie meinem Rodney, wenn er die Witterung eines Franzosen kriegt, und nun müssen alle Segel dran und drauf los44. In gleicher Bdtg.: alle Segel setzen: alle Kräfte anspannen, oder: mit Segeln und Rudern fahren: allen Fleiß und alle Mühe anwenden. Das ist Wind in seine Segel: das fördert seine Absichten. Er kann noch Segel setzen: er hat noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft, ist noch nicht am Ende. Man muß die Segel nach dem Winde richten, mit dem Winde segeln: die günstige Gelegenheit nutzen, sich den Gegebenheiten des Augenblicks anpassen, /Wind. Jem. den Windaus den Segeln nehmen: ihn hemmen, lahmlegen. Das geschieht beim Segeln, indem man mit seinem Boot sich zwischen Wind und Segel des anderen Bootes schiebt, ihm also tatsächlich ,den Wind aus den Segeln4 nimmt, /Wind. Vor jem. die Segel streichen: nachgeben, sich für überwunden erklären, wie ein Schiff, das sich dem Feinde ergibt. Das Einholen der Segel war ein altes Zeichen der Aufgabe (vgl. ,Flagge4). Bereits im 16. Jh. heißt es in der ,Hildesheimer Chronik4 von Oldecop (S. 159): „De Engelschen streken ere segeln44 ; auch das Lat. kennt die Wndg.: ,vela contrahere4 (Cicero, Tusculanae disputationes, 4,9); ebenso im Frz.: ,caler la voile4; ndl. ,Hij heeft het zeiltje ge- streken4. Die Segel aufspannen: sich aus dem Staube, auf und davon machen. Die Segel den Winden überlassen: eine Sache, sein Schicksal dem Zufall überlassen. Die Segel wenden: seine Ansicht ändern. Lit.: /’See. Seide. Keine (gute) Seide bei etw. spinnen: keinen Nutzen bei etw. haben, kein Glück, keinen Erfolg mit etw. haben. Unter ,Seide spinnen4 verstand man, abgeleitet von der konkreten Bdtg., .Rohseide verarbeiten4: eine feine und sorgfältige Arbeit tun, etwa im Gegensatz zur Verarbeitung der groben Wolle. Vgl. ndl. ,bij iets geen zijde spinnen4 und frz. ,ne pas tirer grand denier de quelque chose4. 1560 heißt es in den .Schönen, weisen Klugreden4: „Wer kann allzeit seiden spinnen? Seiden ist weych und zart, wer die seiden spinnen soll, der musz hübschlich mit umbgehn.daszers nit verderbe unnd nichts vergesse, also spinnet seiden, wer auff all sein red weiszlich acht hat, bedenckt mit vernunfft, was er reden, thun und lassen soll. Her widerum, wer sich nit allweg fürsi- het in reden und wircken, der spinnet nicht seiden, sondern grob Sackgarn44. Schon in Thomas Murners .Großem lutherischem 936
Seife, Seifenblase, Seifensieder Narren1 findet sich 1522: „Er hat nit allzeit seidin gespunnen“. Ebenso 1538 in Seb. Francks ,Chronik der Teutschen*: „sie haben aber warlich etwan übel genug hauß gehalten und nit allweg seiden gespunnen“. Genauso noch schwäb. ,keine Seide spinnen*, nicht bloß Gutes tun; eis. ,mer kann nit als furt Sid spinnen*. Verneint bedeutete die Formel also: grob vorgehen, unhöflich sein. J. Brenz in ,Von Milderung der Fürsten* (Augsburg 1525): „er wißt wol, das er gegen seinen Vnder- thonen auch nit allweg Seyden hett gespunnen**. Seide spinnen bedeutete auch: leichte Arbeit tun. In diesem Sinne heißt es 1580 bei Tob. Stimmer (,Comedia‘): „Da ist kein Feyrtag noch Seidenspinnen, Im Schweiß muß er sin Brot gewinnen**, ln der Bdtg.,keinen Vorteil bei etw. haben* ist ,Seide spinnen* in verneinter Form seit dem 17.Jh. belegt: „Der König hir hatt woll, wie man sagt, gar keine Seide bey dem Krieg gespunden“ (Briefe der Liselotte, hg. v. Holland, Bd.I, S.120). „Er wird dabei keine Seide spinnen / hac re finem equidem prosperum non consequetur** (C. E. Steinbach, Vollst. dt. Wb. II, 1734). Die beiden spinnen keine gute Seide: sie vertragen sich nicht miteinander. Im Volkslied begegnet die Wndg. ,Seide spinnen* in übertr. Bdtg. auf junge Mädchen bezogen. Von der ermordeten Schwester sagt der nach ihr befragte Mörder: „Dort oben auf jener Linde, Schwarzbraune Seide tut sie spinnen**. (Wunderhorn, Ausg. Winkler, München o.J., S. 190). Sein Schicksal ( die Sache usw. ) hing am sei- denen Faden:er war in höchster Gefahr, ein guter Ausgang der Sache war höchst zweifelhaft, /Faden. Das Motiv des /Damoklesschwertes findet sich auch in zahlreichen dt. Volkserzählungen, doch abgewandelt zum ,Mühlstein am seidenen Faden*. Seife, Seifenblase, Seifensieder. Einen ohne Seife scheren (rasieren): ihn grob (falsch) behandeln, auch euphemist. gebraucht für köpfen; vgl. ,einen trocken scheren*, /scheren. Er geht nach Seife: mit seinem Leben geht es zu Ende. Die Teilnehmer an den Kreuz¬ zügen brachten jerusalemische Seife mit; da es aber so wenige waren, die heimkehrten, wurde der Zug nach Jerusalem mit Sterben gleichgesetzt und iron, mit dem Holen der Seife in Verbindung gebracht. Vgl. ndl. ,Hij is om zeep*. Abjemacht, Seefe ist eine vorwiegend schles. und berl. Rda., deren Urspr. man in dem frz. ,C'est fait* suchte. Wahrscheinl. handelt es sich um eine lautliche Angleichung an das im 19.Jh. beliebte ,Abjemacht, Sela*, nachdem die Bdtg. des Wortes /Sela aus dem Bewußtsein des Volkes entschwunden war. Bei Plänen, Hoffnungen u.ä., die zunichte geworden sind, spricht man davon, sie seien zerplatzt wie Seifenblasen. Die Seifenblase galt und gilt als Sinnbild des Unbeständigen und Nichtigen. In dieser Bdtg. heißt es bei Hebbel: Das nenn ich eine hübsche Phrase, So bunt wie eine Seifenblase, und bei Schiller (,Räuber* V,2): „... Wo sind deine hochfliegenden Pläne? Sinds Seifenblasen gewesen, die beim Hauch eines Weibes zerplatzen?“ Wie ein Seifensieder denken geht zurück auf Schillers Drama ,Wallensteins Lager* (11): „Schad um die Leut! Sind sonst wackre Brüder... Aber das denkt wie ein Seifensieder“. Von einem, der bei der Arbeit laut singt, sagt man, er sei ein munterer Seifensieder oder auch wie Johann, der muntere Seifensieder. Entnommen ist diese Gestalt dem Gedicht Johannes, der Seifensieder* von Friedrich v. Hagedorn (1708-54). Übrigens übernahm Hagedorn die Gestalt aus La Fontaines Fabel ,Le savetier et le financier*, wobei ihm der Irrtum unterlief, savetier* statt richtig mit ,Flickschuster* mit Seifensieder* (frz. savonnier) zu übersetzen. Der Seifensieder war auch zugleich Kerzenzieher. Daher erklärt sich wohl die Rda. Mir geht ein Seifensieder (statt: Licht) auf. Man setzte den Hersteller für das Produkt. Der Ausdr. ist 1810 zuerst für die halle- sche Studentensprache belegt. Bei Wilh. v.Kügelgen (,Jugenderinnerungen*, Re- clamausg. S.87): „es mußte erst eine glückliche Anschauung kommen oder mit anderen Worten ein großer Seifensieder aufgehen“. 937
Seigbeutel Wander berichtet, in Prag habe man statt Seifensieder,Gasbeleuchtung4 gesagt. Berl. heißt es in gleicher Bdtg. : ,Mir jeht’n Talch- licht uf4 oder ,Mir jeht ’ne Jasfabrik uf4, /Licht. Einseifen: jem. betrügen, übervorteilen. Nach Kluge (,Etymol. Wb.4) hat der Ausdr. mit Seife nichts zu tun, sondern ist abzuleiten aus jidd. ,sewel4 = Dreck. Lit.: A. Taylor: ,No Soap\ in: Western Folklore, 16 (1957), S. 198-200. Seigbeutel. Ein aller Seigbeutel sein: ein unaufhörlicher Schwätzer sein, eine bes. in Franken übliche Rda. Der Seigbeutel war ein poröses Beuteltuch, durch das man Saft sickern ließ, um ihn zu filtern und zu klären, was man mdal. auch als ,seigen4 bezeich- nete. Das langandauernde Tröpfeln dabei führte zu dem rdal. Vergleich, da bei einem Schwätzer die Worte ebenfalls ständig vom Munde rinnen. Mdal. gibt es für den Seigbeutel noch andere Bez., wie Seihlappen, Seihtuch, Seihhader in Thüringen und Seihsack in Norddtl. Daher heißt ein dik- kes, schmutziges Weib z.B. in Bremen: ,ene dikke Seisakske4. Seil. Einem das Seil über die Hörner werfen: ihn mit List einfangen, da man seine Kraft fürchtet, eigentl. wie einen jungen Stier fesseln, da man ihn nicht anders überwältigen kann und anzupacken wagt; dann auch: einen berücken, betrügen. Bes. gern wendet der Volksmund diese Rda. auf einen an, der sich verlobt hat, sich also von einem Mädchen hat,einfangen4 lassen. So heißt es z. B. bremisch von einem Verlobten: ,Hei het sek dat Säl ümm de Hören smiten laten4. Ähnl. schrieb schon Grimmelshausen in seinem ,Simplicissimus4 (11,182): „Ein junger Schnautzhann, dem sie das Seil über die Hörner warff44, und Hans Sachs in der ,Eulenbeiz4: „Man hat mirn strick ant borner bracht44. 1 639 wird die Wndg. auch von Lehmann (S.940, Zusatz2) gebraucht: „Zusagen steht im Willen, aber das halten hat das Seil an Hörnern44. Bismarck wandelt den Ausdr. etw. ab, meint aber auch sich fangen, überlisten, festnageln lassen: „Wir werden uns wegen dieser Fragen von niemand das Leitseil um den Hals werfen lassen44 (,Reden4 12,183). Die Rda. begegnet auch in der Form einem das Seil über den Kopf werfen und in der Kurzfassung einem das Seil Überwerfen, so bei Murner in seiner ,Narrenbeschwörung4 (69): ,,Vber einen das seil werffen44 i. S. v. übervorteilen. Über das Seil werfen: jem. betrügen, ist vielleicht als eine Art Kurzform der vorigen Rdaa. nach dem Muster ,über den Tölpel werfen4 gebildet. Hans Sachs verwendet neben der anderen auch diese Rda., Seb. Franck (1,104a) schreibt auch: „Vber das seil werffen“, und in der ,Bayrischen Chronik4 (CCCCCXIIIIb) findet sich ein ausführlicher Beleg: „Hertzog Ludwig von Ingelstatt vermeint... Keyser Carl hett seinem Vettern Hertzog Otten in solchem Kauff mercklich vber das seil geworffen, hett jm nicht die strick an den Glocken be- zalt44. Alem. heißt betrügen auch: ,ein’ am Seil abilau4. Auf dem Seil tanzen (gehen): in unsicherer Lage sein, sich auf ein gefährliches Unterfangen einlassen. In Ulm sagt einer, der weiß, daß er sich in Gefahr begibt wie ein Seiltänzer, der bei einer Ungeschicklichkeit abzustürzen droht: ,Heut muess i aufs Soil!4 Vgl. auch lat. ,ire per extentum funem4 (Horaz). .Auf dem Seil tanzen' 938
Ski LFR Einen auf dein Seil gehen lassen: ihn in ständiger Unsicherheit lassen und daher willfährig machen. Ähnl. meint die ober- sächs. Rda. ,Der tanzt mer uf’n Seele4, den habe ich in der Hand, er muß alles für mich tun. Diese Wndg. findet sich schon bei Hans Sachs, wo in dem Gespräch ,Der Küpplerin Schul4 der Sohn der Kuppelnden sagt: Eines guten Trinckgelts bin ich hoffen Von unserem Junckhern morgen fru. Weil ich so treulich hilf darzu. Ich kan im auff dem Sail wol gehn. Das es die Nachbauern nit verstehn. Er geht im Seil: er verdient sich sein Brot schwer. Die Rda. erinnert an die schwere tive gewendet, um große Uneinigkeit auszudrücken: Sie ziehen nicht an einem Seil oder Sie ziehen wohlan einem Seil, aber jeder an einem andern Ende, so daß sich die Kräfte gegenseitig aufheben und nichts erreicht werden kann. An diesem Seil muß man nicht ziehen: man sollte sich nicht daran beteiligen, auch: die Sache nicht verkehrt anfangen. Ob das Glockenseil oder Leitseil gemeint ist, bleibt ungewiß. Pestalozzi verwendet die Rda. am rechten Seile ziehen lit. (Werke XII, 127). Er hat mehr als ein Seil zu seiner Kunst: er hat mehrere Mittel in Bereitschaft, er wird sich im Notfall zu helfen wissen. Immer dasselbe Seil spinnen: die alte Sache ,Im Seil gehen1 - ,Am selben Seil (Strang) ziehen' Arbeit der Schlepper, die eine Leine um den Leib geschlungen hatten und damit ein Schiff stromauf ziehen mußten. Da Seil in enger etymol. Verwandtschaft zu ,Siele4 steht, ist die Rda. nur eine Abwandlung der bekannteren Wndg. ,in den Sielen gehen (sterben)4, /Siele. An einem (am gleichen) Seil (Strang) miteinander ziehen: miteinander die gleiche Tätigkeit vollziehen, ein gemeinschaftliches Geschäft (Verbrechen) ausführen, mitschuldig sein und das gleiche Schicksal tragen, auch: gemeinsame Interessen verfolgen, eines Sinnes sein. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet. In Bedburg heißt es z. B. ,De träcken ê Sei4, wenn zwei gut übereinstimmen und Zusammenhalten, vgl. auch: ,unter einer /Decke stecken4. Häufig erscheint diese Rda. auch ins Nega- weiterbetreiben, erledigte Probleme wieder aufgreifen. Er will ein Seif durch ein Nadelöhr ziehen: er versucht Unmögliches. Die Rda. erinnert an die Bibelstelle: Matth. 19,24: ,,Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in den Himmel komme14, wobei ,Kamel4 die Bez. für ein dickes Seil war, was oft mißverstanden wurde; /Nadel. Ein Seil aus Sand flechten: etw. Widersinniges versuchen, eine Arbeit, die ledig Verstorbenen zugeschrieben wird, /Sägmehl. Seiler. Des Seilers Braut heiraten: gehängt werden. Er wird mit des Seilers Halstuch beschenkt werden: man wird ihn zum Galgen verurteilen. Diese Wndg. wird z.B. im ,Judas der Erzschelm4 (II) gebraucht. Vgl. 939
Seinen ndl. ,Door een hennepen venster kijken4. Bes. häufig ist die Rda. Er wird eine Seilers- lochter heiraten, da man den Strick des Henkers wegen eines Sprachtabus als ,des Seilers Tochter4 bezeichnete. Bei Braun steht dazu in der,Bibliothek des Frohsinns4 (Bd. Ill, H. 2b, Nr.50, S. 173) eine erklärende Erzählung: „Von zwei Dieben wurde einer zum Galgen, der andere zum Auspeitschen verurtheilt. Als jener unter dem Galgen stand, fragte dieser: ,Was soll ich deiner Mutter sagen?4 - ,Sage ihr, ich habe mich mit einer Seilerstochter verheirathet, und du habest auf meiner Hochzeit getanzt4“. Der Ausdr. ist auch in die Lit. eingedrungen. Joh. Chr. Günther schreibt: ,,Des Seilers Tochter wird seine Braut44, und bei J. P. Hebel heißt es: „Er wird mit des Seilers Tochter kopuliert44. Noch 1872 berichtet die ,Allgemeine Modezeitung4 (Nr. 10, S. 150): „So wollte der Magistrat gern ein Exempel statuiren, und Gripschgrapsch wurde verurtheilt, mit des Seilers Tochter copulirt zu werden, die hiess Jungfer Strick“. Vgl. auch: ,mit Jungfer Hänfin (Strick) Hochzeit machen4 (/Hanf) und ndl. ,Hij is aan Lijntjes dochter getrouwd4. Lit.: E. Angstmann: Der Henker in der Volksmeinung, seine Namen und sein Vorkommen in der mdl. Überlieferung, in: Teuthonista, Zs. f. Dialektforschung u. Sprachgesch., Reihe Hl (Bonn 1928); W. Danckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (Bern - München 1963). Seinen. Den Seinen gibts der Herr (Gott) im Schlaf (schlafend): manchen fällt das Glück in den Schoß, ohne daß sie sich darum bemühen müßten, oft iron, gesagt. Die Wndg. ist bibl. Herkunft und bezieht sich auf Ps. 127,2. Diese Stelle lautet in der heutigen Ausg. der Lutherbibel: „Es ist umsonst, daß ihr früh aufstehet und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er's schlafend44, was besagen soll, daß Gott seinen Segen dazu geben muß, wenn das Menschenwerk nicht vergeblich gewesen sein soll, und daß er andererseits ohne menschliches Zutun reich machen kann, wen er will. Die moderne Übers, der Züricher Bibel hat fast den gleichen Wortlaut wie die heutige volkstümliche Wndg., die wohl erst gegen Ende des 18.Jh. aufgekommen ist: den Seinen gibt er’s im Schlafe44. Dem Sinne nach übereinstimmende Wndgn. hat Seb. Franck bereits in seinen Sprichwörtern4 verzeichnet: ,Wem’s Gott gönnt, der wird schlaffend reich4 und ,Gott bescheert vber nacht4. Vgl. auch frz. ,Les biens viennent en dormant à ceux que Dieu aime4. Die Wndg. wird durch den Erzähltyp ,Was mir von Gott ist zugedacht, das wird mir wohl ins Haus gebracht4 veranschaulicht. Der Stoff kann vom Erzähler als Sage, Märchen oder Schwank gestaltet werden; er ist von Schleswig bis Ungarn bekannt und mehrfach aufgezeichnet worden. Das Interesse richtet sich vor allem auf die Person des so unverhofft vom Schicksal begünstigten Glücklichen, der als Nichtstuer nicht gerade hoch eingeschätzt wird. Aus Steina im Harz haben Kuhn und Schwartz folgendes Märchen unter dem Titel ,Gott gibt’s den Seinen im Schlafe4 mitgeteilt: „Ein fauler Knecht lag noch lange im Bett, während die anderen schon längst bei der Arbeit waren. Eines Tages gingen sie aufs Feld und fanden in der Nähe des Hofes einen eisernen Topf, der war mit Molchen angefüllt. Sie nahmen den Topf, kehrten damit zurück und setzten ihn dem Schlafenden ins Bett in der Meinung, wenn die kalten Molche ihm auf den Leib kriechen, dann wird er schon herausspringen. Allein der Schläfer kam und kam nicht. Als schließlich einer von ihnen zurückkehrte, um ihn zu holen, kam der ihm jubelnd entgegen: ,Den Seinen gibt's Gott im Schlafe!4, dabei wies er auf die blanken Goldstücke, in die sich die Molche verwandelt hatten“ (A.Kuhn u. W.Schwartz, Norddt. Sagen, Märchen und Gebräuche, Leipzig 1848, Nr.8, S.335). Lit.: G. Henßen: Was mir von Gott ist zugedacht, das wird mir wohl ins Haus gebracht. Zum Formwandel einer Schatzsage, in: Zs. L Vkde. 53 (1956/57), S. 157ff. Seite. Etw. auf die Seite bringen: ttw. heimlich entwenden, stehlen, eigentl. etw. unauffällig neben sich stellen, so daß es nicht mehr gesehen wird und dadurch in Vergessenheit gerät und es dann nicht mehr auffällt, wenn es verschwindet. Vgl. frz. ,mettre quelque chose du côté de l'épée4. Etw. auf der Seite haben: etw. gespart haben, Vermögen besitzen. 940
Seite Sich auf die Seite machen: sich schnell und heimlich entfernen. Jem. auf die Seite bringen (räumen, schaffen): ihn töten, weil er lästig, unbequem oder gefährlich ist, eigentl. ihn wie ein Hindernis ,aus dem Wege räumen4. Jem. auf die Seite nehmen: ihn aus einem Kreis von anderen Gesprächspartnern an eine unbeobachtete Stelle führen, um ihm eine vertrauliche Mitteilung zu machen. Jem. auf seine Seite bringen (ziehen): ihn beeinflussen und veranlassen, daß er sich einer bestimmten Ansicht, Gruppe anschließt, .Partei ergreift4, wenn eine Auseinandersetzung droht; die Gunst und den Einfluß eines anderen für sich gewinnen. Vgl. ndl. demand aan zijne koord krijgen4. Sich auf jem. Seite schlagen (stellen), auch: jem. zur Seite treten (springen): ihm Recht geben, für ihn eintreten, ihn unterstützen, seine Worte bekräftigen. Die Rdaa. bewahren die Erinnerung an einen alten Rechtsbrauch: wer sich des Angeklagten vor Gericht annehmen wollte, mußte sich als Zeuge oder Bürge neben ihn stellen. Jem. mit etw. in die Seite treten: jem. beipflichten, ihm helfen. Die seit dem Ende des 19. Jh. bezeugte Wndg. ist eine scherzhafte Entstellung der vorigen Rda. Einem zur Seite gehen: achthaben auf jem., ihn schützen, ihm schnelle Hilfe leisten. Seite an Seite stehen: gemeinsam handeln. Einen bei seiner schwachen Seite fasset i: ihn dort angreifen, wo er leicht verwundbar ist, eigentl. ihn von seiner ungeschützten Körperseite her im Kampf bedrängen; in übertr. Bdtg.: die Schwäche und Unvollkommenheit eines anderen kennen und seinen Vorteil ausnutzen (z.B. seine übergroße Gutmütigkeit, seinen übertriebenen Gerechtigkeitssinn, seine Habsucht u. Eitelkeit). Vgl. ndl. ,Hij pakt (vat) hem aan zijne zwakste zijde aan‘. Ähnl. einem die weiche (schwache) Seite abgeben: seinem Gegner selbst seine Mängel offenbaren, ,sich eine Blöße geben4. Nicht die stärkste Seite von jem. sein: etw. sein, das er nicht bes. gut beherrscht, das er nicht gern tut. Sich auf die faule (rauhe, schlechte) Seite le- gen: träge (unfreundlich) werden, sich dem Laster ergeben. Die Wndg. ist seit dem Ausgang des 17.Jh. bezeugt. Die Feststellung Er hat sich auf die schwere Seite gelegt meint dagegen: er ist zu der Partei übergegangen, die in der Mehrzahl ist und deshalb den größten Vorteil bietet. Auf die große (kleine) Seite gehen: umschreibend ebenso wie ,ein großes (kleines) Geschäft verrichten4. An jem. grüner Seite sitzen: von jem. sehr geschätzt sein, ihm sehr nahe sein; jem. auf die linke Seite, die Herzseite, setzen, um zu verdeutlichen, daß man dem Nachbar sehr gewogen ist. Vgl. ndl. ,aan iemands groene zijde zitten4, /grün. Jem. etw. (jem.) an die Seite stellen können: es vergleichen können; neben dem Wert des anderen nicht zurückstehen müssen. Dagegen: Dem kann nichts zur Seite gestellt werden: es gibt nichts Gleichwertiges, es ist ausgezeichnet und deshalb einmalig. Sich von seiner besten Seite zeigen: sich bewußt vorbildlich benehmen; in einer Gesellschaft glänzen wollen; seine Vorzüge deutlich machen und seine Mängel verbergen. Jem. von dieser Seite noch nicht kennen, auch : einen von einer ganz anderen (neuen) Seite kennenlernen: über einen bisher verborgenen Charakterzug überrascht sein. Eine Sache von allen Seiten betrachten: zur genauen Beurteilung alle Gesichtspunkte beachten; genauestens prüfen und alle Konsequenzen erwägen. Einer Sache eine neue Seite ab ge winnen: Neues, Positives und Interessantes entdek- ken. Etw. von der guten (besten) Seite ansehen: in allen Dingen das Positive zu sehen versuchen, optimistisch sein. Ähnl.: Alles von der leichten (heiteren) Seite nehmen: nichts schwernehmen, sich nicht bedrücken lassen. Dagegen: Alles auf die schlimme Seite nehmen: alles für schwieriger und tragischer halten, als es in Wirklichkeit ist. Seine zwei (guten und schlechten) Seiten ha- ben: Vorteile und Nachteile zugleich besitzen, zwiespältig sein; nicht ohne weiteres für gut oder schlecht befunden werden können. Etw. von dritter (anderer) Seite erfahren: etw. von jem. erfahren, von dem man es nicht hören möchte; etw. nicht direkt erfahren, sondern auf Umwegen. Etw. von unterrichteter Seite wissen: etw. 941
Sela aus Quellen haben, denen direkte Informationen zugrunde liegen, so daß man sich darauf verlassen kann. Sich die Seiten holten: sehr kräftig lachen. Lange Seiten haben: viel essen oder trinken können, viel vertragen können. Auf allen Seiten beschlagen sein: auf allen Gebieten Kenntnisse besitzen, sich im Leben zurechtfinden. Vgl. siebenb.-sächs. ,Di äs af alle Sêgten beschloen'. Auf beiden Seiten Wasser tragen: es mit keiner Partei verderben wollen. Murner gebrauchte in seiner ,Schelmenzunft‘ (21) eine ähnl. Wndg.: „Auf beiden seiten auf einem stecken reiten“, d.h. Gott und dem Teufel gleichzeitig dienen. Auf beiden Seiten hinken: unbeständig, bestechlich sein. Vgl. ndl. ,Hij hinkt op beide zijden'. Seb. Franck verwendete bereits 1531 in seinem ,Zeytbuch‘ (CCXXXVb) diese Rda. „Auf beyden seyten hincken“. Jem. von der Seite (her) ansehen: ihn verachten, ihm nur einen kurzen, bösen Blick zuwerfen. Auf die Seite sehen, wie eine Gans, die Äpfel sucht: begehrlich nach etw. schielen, auch: seinen Kopf steif geradeaus gerichtet halten und nur einen Blick auf etw. (jem.) werfen, wenn man sich unbeobachtet glaubt. Das sprachl. Bild ist sehr alt und beruht auf guter Beobachtung. Bereits Geiler von Kaisersberg schrieb dazu: „Man sagt gemeiniglich: So sieht ein Entrich, eine wilde Ente, mit einem Auge auf das Erdreich, wo die Speise ist, und mit dem andern Aug’ an den Himmel, wo der Sperber ist“. Ähnl.: auf eine Seite sehen, wie der Hund, der an einem Bein nagt: in eine Richtung blicken, um einen anderen nicht grüßen zu müssen, weil man ihn ja offensichtlich nicht gesehen haben kann. Jem. (dumm) von der Seite anred en (anquatschen): mit jem. aufdringlich, frech zu sprechen beginnen; einen Unbekannten plötzlich auf der Straße anreden, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zur Seite sprechen: sich an einen bestimmten Zuhörer wenden und leise eine Bemerkung machen, die nicht für die Ohren anderer bestimmt ist, auch: hinter der vorgehaltenen Hand sprechen. Die Wndg. stammt aus der Theatersprache und meint den Schauspieler, der sich nicht an seine Partner, sondern direkt an das Publikum wendet, so als würde der eigentl. Betroffene diese Bemerkung nicht verstehen können. Sela. Sela! Abgemacht! wird ausgerufen, wenn man zum glücklichen Ende einer Sache gekommen ist. Sela ist ein hebr. Wort, das soviel wie,abgemacht' bedeutet. Inden Psalmen begegnet der Ausdr. 71 mal, zuerst in Ps. 3, 3; seit dem 16. Jh. wird er auch im Dt. verwendet. Man erklärt das Wort als Bez. des Finales eines musikalischen Vortrags (Büchmann, S.38). Die Wndg. ist auch lit. bezeugt. Noch bei Julius Voß (gest. 1832) und Adolf Glaßbrenner (gest. 1876) heißt es: „Abjemacht, Sela“; /Seife. selbst. Selbst tun, selbst haben: was man sich selbst zugefügt hat, muß man auch ertragen, für die Folgen seiner Handlungen muß man persönlich einstehen. Diese Wndg. war urspr. eine Rechtsformel. Es ist bereits in mhd. Zeit als ,Selbe taete, selbe habe' bezeugt (vgl. J. Grimm, Dt. Rechtsaltertümer, 34). Auch Seb. Franck hat die Wndg. als ,Selbs thon, selbs gehon' in seinen Sprichwörtern' (43b und 58b) verzeichnet. Vgl. auch ndl. Self doen, seif hebben'. Das Schweiz. Sagwort Selber tö, selber g'hä, seit der Erdwyblimä', das nach Form und Sinn völlig der Rechtsformel entspricht, bezieht sich auf die im Alpenraum mehrfach bezeugte Selbtan-Sage'. Sie ist mit der ,Niemand-Episode' der ,Polyphemsage‘ zwar verwandt, doch bilden ihre Varianten in der Volksüberlieferung Mittel- und Nordeuropas eine homerunabhängige Tradition. Der Inhalt der kurzen, lokalisierten und sagenhaften Erzählungen (vgl. Sammlungen von Jecklin, Ranke und Vonbun) ist folgender: Ein Mensch begegnet einem Unhold (Fänggin, Erdweiblein, Unterirdische, Wassergeist) und lügt ihm vor, sein Name sei „Selb“ oder „Selbst“. Er quält ihn oder klemmt den Unvorsichtigen in einen gespaltenen Baumstamm ein, weil er sich bei der Arbeit durch sein ständiges Fragen belästigt fühlt. Auf das Geschrei des Dämons eilen dessen Verwandte herbei und fragen, wer ihm Leid zugefügt habe. Als er schreit: „Selb!“, rufen sie: „Selb tö, selb hö!“ oder so ähnl. und lassen ihn in sei- 942
Semmel ner qualvollen oder hilflosen Lage allein 'urück, weil sie meinen, jeder müsse die Suppe auslöffeln, die er sich selbst eingebrockt habe. Sich selbst helfen: s\c\\ nicht auf andere verlassen, vgl. das Sprw. ,Hilf dir selbst, so hilft dir Gott' und die Wndg. Selbst ist der Mann. An sich selbst zuletzt (zuerst) denken: überaus große Hilfsbereitschaft zeigen, für sich kaum etw. beanspruchen (seinen Vorteil im Auge haben), ähnl.: seiner selbst vergessen, auch i. S. v. geistesabwesend sein, nicht seiner Persönlichkeit gemäß handeln. Zu sich selbst kommen: aus einer Ohnmacht erwachen, sich seines sinnlosen (un¬ würdigen) Tuns bewußt werden. In der bildl. Darstellung ist die Rda. ganz wörtl. genommen. Sich selbst besiegen: seine negativen Charaktereigenschaften und hemmungslosen Triebe mit Erfolg bekämpfen, seine Leidenschaften zähmen, dagegen: sich selbst betrügen: sich gegen besseres Wissen etw. vormachen, die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Lit.: S. Singer: Schweizer Märchen. Anfang eines Kommentars (= Untersuchungen zur neueren Sprach- und Literaturgesch. 33) (Bern 1903). S. 20ff.; O. Hackman: Die Polyphemsagc in der Volksüberlieferung (Helsingfors 1904); L. Röhrich: Die ma. Redaktionen des Poly- phem-Märchens (AaTh. 1137) und ihr Verhältnis zur außerhomerischen Tradition, in: Fabula, 5 (1962), S. 4S-71; ders.: Erzählungen des späten MA. und ihr Weiterleben in Lit. und Volksdichtung bis zur Ggwt., Bd. II (Bern u. München 1967), S. 213ff. u. S. 447ff.; M. Liithi: Volksliteratur und Hochliteratur (Bern/ München 1970), S. 100-113, Kap. ,Zum Thema der Sclbstbegegnung des Menschen in Volksdichtung und Hochliteratur*. Semmel. Abgehen wie wanne Semmeln: gut abgehen, sich schnell verkaufen lassen, sehr begehrt sein. Der rdal. Vergleich beruht auf der Beobachtung, daß bes. frische Ware, die gerade fertig wurde, die noch warm aus dem Backofen kommt, bes. rasch ausverkauft ist. weil die Kunden schon darauf gewartet haben. In übertr. Bdtg. bezieht sich die Rda. auf die Töchter aus einem Hause, die sich rasch hintereinander verheiraten. So sagt man z. B. rdal. in Berlin: ,Den jehn seine DÖchter ab wie bei’n Bäcker de warme Semmeln1. Gottfr. Keller gebraucht im ,Fähnlein der sieben Aufrechten4 dafür die Wndg. „wie frische Wecken“. Auch auf Hervorbringungen im geistigen und künstlerischen Bereich findet die Rda. Anwendung. Karl Philipp Emanuel Bach (1714-88), Johann Sebastian Bachs dritter Sohn, gab dafür schon ein Beisp. Er schrieb in Erinnerung an seine in Leipzig verbrachte Jugend an seinen Verleger Breitkopf: „Meine Sonaten und mein Heilig gehen ab wie warme Semlen, bey der Börse vordem Naschmarkt, wo ich vordem mancher Mandel Pretzel den Hals gebrochen habe“. Das Gegenteil dieser Rda. ist die Wndg. ,etw. ausbieten wie sauer /Bier4. Er hat seine Semmel zuerst gegessen: er hat das Beste vorweggenommen, das Gute be¬ 943
Senf reits erhalten und nichts Besseres mehr zu erwarten. Senf. Einen langen Senf über etw. machen: viele unnütze Worte machen, ein weitschweifiges, unklares Gerede ausführen. Im gleichen Sinne wird statt Senf auch ,Meerrettich' in den Wndgn. gebraucht. Wenn Senf hier nicht ein bloßer Scherz ist, gebildet nach ,Brei\ ,Kohl4 und ,Quark4, die ebenfalls bildl. für umständliche, dumme oder unpassende Ausführungen und Bemerkungen stehen, so wird Adelungs Vermutung (Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches 1780, Bd.IV, Sp. 433) als zutreffend gelten können: „Senf stehet für Senfbrühe, und lang bedeutet, wie in anderen Fällen, mit vielem Wasser verdünnet“. Vgl. wien. ,a langi Soß machen4, eine lange Rede halten. Häufig wird die Rda. in der imperativischen Form als Warnung verwendet: Mach keinen Senf!: spiele kein Theater, reg dich nicht so auf, vermeide eine lange Auseinandersetzung! Vilmar (,Idiotikon von Kurhessen4 S.382) sagt, daß die Rda. Senf machen in älterer Zeit eine nicht seltene sprachl. Formel für ,nichtige Rdaa. Vorbringen4 gewesen sei. Er stellt sie mit der Wndg. eine Senfmühle heimbringen: nichts ausgerichtet haben, zusammen, die in einer (wahrscheinl. von einem Hersfelder verfaßten) Chronik bezeugt ist. Auch in den ndd. Mdaa. ist die Rda. verbreitet, z.B. heißt es in Pommern und in Holst.: ,en(en) langen Semp maken\ Er macht mir viel (gelehrten) Senf vor: er kramt umständlich seine große (überflüssige) Gelehrsamkeit aus. Vgl. ndd. ,He makt mi vêl gelêrten Semp vor4. Einen Senf dazu anrichten: durch seine Einmischung eine Angelegenheit nur noch verschlimmern. Den Senf überzuckern: etw. Unangenehmes in eine mildere Form bringen, einen notwendigen Tadel etw. abschwächen. Die heute veraltete Wndg. den Senf bezahlen gebrauchte Murner in seiner ,Narrenbeschwörung4: Es ward kein sache nie so kalt, wenn man euch den senff bezalt vnd nam von euch consilium, so was sie recht, wer si schon krum. Seinen Senf dazugeben: ungefragt seine Meinung zu etw. äußern, eigentl. etw. als Würze hinzufügen, was zu der angerichteten Speise passen sollte, ohne es immer zu tun. Diese seit etwa 1700 belegte Wndg. erklärt die alte Rda. vom ,Senf bezahlen4, womit eben der Senf gemeint ist, der als unnützer Rat sogar Schaden bringen kann. Damit ist diese Wndg., die auch mdal. verbreitet ist, als Ablehnung fremder Einmischung zu verstehen. Vgl. auch: ,seinen /Dreier dazugeben4; ndl. ,ook een duit in’t zakje doen4 oder ,zijn boontje bijleggen4. Dieser Senf steigt in die Nase: der Spaß ist zu grob, er verursacht Ärger und Zorn. Vgl. ndl. ,De mostaard kriebelt hem in den neus4. Jem. wird durch den Senf gezogen: ,er wird durchgehechelt4,,durch den /Kakao gezogen4. Die ndd. Rda. ,enem Semp up de Titt sme- ren4, jem. eine Sache verleiden, bezieht sich auf die Entwöhnung des Kindes von der Mutterbrust, wozu diese mit Senf bestrichen wurde, um durch den scharfen Geschmack dem Kind das Trinken zu verleiden. Sense. Jetzt (dann) ist Sense: jetzt ist endgültig Schluß damit, hör auf!, und: Bei mir ist (endgültig) Sense: ich habe es satt, aus, ich mache nicht mehr mit, ich mache Feierabend, ich werfe meine Arbeit hin. Die berl. Rda. ,Det is Sense* hat darüber hinaus noch die Bdtg.: das ist Unsinn, das ist ein Irrtum. Diese neueren, zuerst in der Soldatensprache bezeugten Wndgn. sind in ihrem Urspr. noch nicht geklärt. Küpper (II, S.265) meint, daß der Ausdr. Sense nur eine sprachl. Formulierung der begleitenden Gebärde ist, die Ablehnung und Abweisung ausdrückt. Beim Sprechen wird der rechte Arm wie beim Mähen mit einer Sense rasch seitwärts bewegt. Vielleicht beruht die Rda. aber auch auf einem Schnitterzuruf, die Sense bei einer Pause oder beim Feierabend wegzulegen, also die Arbeit einzustellen. Eine alte Sense sein: ein energieloser, unfähiger Mensch sein. Diese Rda. ist ebenfalls im 1. Weltkrieg zuerst bei den Soldaten aufgekommen, um Spott und Verachtung auszudrücken. 944
Sicher Eine ganz moderne Wndg. ist: eine wüste Sense übers Parkett hauen: wild und ausgelassen tanzen. setzen. Sich gut setzen: vorteilhaft einheira- ten. Die Rda. ist auch in mdal. Form bes. im Rheinl. üblich. Sie bewahrt die Erinnerung an einen alten Hochzeitsbrauch, der rechtliche und symbolische Bdtg. hatte: der Einheiratende brachte mit anderem Hausrat den Brautstuhl der mit seinem Namen versehen war, mit in sein neues Heim und schaffte sich damit einen festen Platz im Hause, der ihm kaum mehr genommen werden konnte. Indem er sich zum erstenmal daraufsetzte, erhielt er alle ihm gebührenden Rechte und war dadurch gleichzeitig als Mitglied der Familie anerkannt. Dieser Rechtsanspruch endete erst, wenn man ihm ,den /Stuhl vor die Türe setzte4. Sich mit einem setzen: sich gütlich einigen, auch mdal. bezeugt, z.B. pomm. ,sick mit enen setten4. Die Wndg. ist vermutlich als Verkürzung der Rda. sich mit jem. an einen Tisch setzen: mit ihm verhandeln, um eine Übereinkunft, ein Abkommen zu erzielen, entstanden. Jem. über andere setzen: ihn bevorzugen und bes. schätzen, ihm eine höhere Stellung verschaffen und Machtbefugnisse erteilen. Die Rda. erinnert an die früher streng eingehaltene Tischordnung nach Rang und Namen. Die Einladung, sich zu setzen, erfolgt oft scherzhaft, z.B. heißt es Setz dich, du bist groß genug! oder Setz dich auf deine vier Buchstaben!Auf die Frage, wohin man sich setzen solle, wenn ein Stuhl fehlt, hört man: Setze dich, wo du stehst, und hänge die Füße herab! Die mdal. Wndgn. sind weitaus derber, im Preuß. z. B. gibt es die Aufforderungen ,Sett di op’t Loch, dat de Mües nich rön krupe‘ und ,Sett di op e Narsch, wo dîne Mutter heft als Brut gesete4. Etw. (jem.) indie Welt setzen: cm Gerücht aufbringen (ein Kind gebären), ohne sich um die weiteren Folgen zu kümmern. Jem. auf freien Fuß setzen: ihn aus der Haft entlassen, dagegen: einen setzen: ihn ins Gefängnis bringen. Jem. matt setzen: ihm keinen Ausweg mehr lassen. Die Rda. bezieht sich urspr. auf das Schachspiel, bei dem der König des Gegners schachmatt gesetzt werden muß. Auf etw. setzen; Geld bei einem Spiel, einem Rennen, einer Lotterie zum Einsatz geben in der Hoffnung auf einen großen Gewinn. Auf jem. setzen: ihm das größte Vertrauen schenken. Etw. muß sich (erst) setzen: es bedarf einer gewissen Zeit, um sich etw. fest einzuprägen, so wie sich Flüssigkeiten erst langsam klären, wenn sich der Bodensatz gebildet hat. Damit in Zusammenhang steht wohl auch die Wndg. sehr gesetzt sein: für sein Alter reif, besonnen sein, also nicht mehr aufbrausend wie gärende Flüssigkeiten. Da setzt es etw.: es gibt Verweise, Schläge, oft in Form einer Drohung: Gleich wird es etw. setzen! Die aus Rheinhessen stammende Wndg. ,Beim Setze werd4 sichs wiese!4, der Schaden wird sich schon noch herausstellen, du wirst es bald merken, soll auf einem Ausruf einer Frau aus Bermutshain beruhen. Als sich ein Hühnerhabicht, der auf ihrem Hof in die Falle gegangen war, befreite, wobei ihm die Falle die Beine abschlug, rief sie ihm nach: ,Fläig dou nur fort, beim Setze werd sichs weise4. Lit.: H. Hepding: Schildbürgergesch. und andere Schwänke aus Hessen, in: Hess. Bl. f. Vkde., 18 (1919), S.10. sicher. Auf Nummer Sicher sein (sitzen): Strafgefangener sein. Jem. auf Nummer Sicher bringen: dafür sorgen, daß jem. seine gerechte Strafe erhält und ins Gefängnis muß. Die Wndg. ,Nummer Sicher4 dient hier als euphemist. Umschreibung. Auf (Nummer) sicher gehen (spielen): sich auf kein Risiko einlassen. Vgl. frz. ,11 a mangé du pain du roi4. Sicher ist sicher!: Prüfen wir es noch einmal nach, seien wir lieber etw. vorsichtig. Aber sicher, sagte Blücher!: ganz bestimmt ist es so. Jem. ist nicht sicher: es ist nicht gewiß, ob er zahlungsfähig ist, ob er das Geliehene zurückgibt, er gilt als wenig vertrauenswürdiger Geschäftspartner. Jem. (etw.) ist uns sicher: er hält unbedingt zu uns, eine Sache, die uns interessiert, kann uns nicht mehr entgehen. Seiner selbst sicher sein: sich genau kennen 945
Sicherheit und wissen, daß man sich nicht umstimmen lassen wird, daß man etw. beherrscht und mit Erfolg durchführen wird, daß die eigenen Kräfte ausreichen. Etw. Sickerstellen: etw. entwenden, beschlagnahmen. Die Wndg. ist ein Euphemismus, sie meint eigentl.: etw. wegnehmen, bevor es ein anderer für sich beanspruchen kann. Rdal. Vergleiche, die die absolute Sicherheit bestätigen, sind häufig, z.B. Das ist so sicher als zweimal zwei vier ist; das ist sicher wie das Amen in der Kirche, /Amen; das ist so sicher wie die Steuer sagt man bes. in Rheinhessen; er ist so sicher wie die Maus im Kornhaufen: er ist gut verborgen; er ist so sicher wie in der Kirche, die Wndg. bezieht sich auf das ,Jus Asylis1, das jedem Verbrecher gewährt wurde, wenn es ihm gelungen war, sich an einer geweihten Stätte zu verbergen. Auch um die gesteigerte Gefahr auszudrücken, werden rdal. Vergleiche benutzt, die sofort als paradox erkannt werden: so sicher wie eine Laus zwischen zwei Daumen; wie eine Forelle unter zehn Hechten; wie eine Taube vorm Geier; wie die Maus bei der Katze. Sicherheit. Sich in Sicherheit bringen: nur an sich denken und sich aus der Gefahrenzone zurückziehen. Sich in Sicherheit wiegen: überzeugt sein, daß alles ungefährlich ist, sich nicht verfolgt fühlen, was sich dann meist als Irrtum herausstellt. Sicherheit (im Auftreten) haben: sich in jeder Lage richtig zu verhalten wissen, bei Verhandlungen gewandt sein, sich in allen Gesellschaftskreisen angemessen bewegen können. Etw. mit tödlicher Sicherheit wissen: hundertprozentige Gewißheit haben. Etw. mit schlafwandlerischer Sicherheit tun: instinktmäßig das einzig Richtige tun, nicht von seinem Wege abirren, wie ein Schlafwandler, der die schwierigsten Wege ohne Gefahr zurücklegen kann, wenn er nicht erschreckt und geweckt wird. Jem. alle Sicherheiten bieten können: eine gefestigte Stellung, ein großes Vermögen besitzen. Keine Sicherheit geben können: keine Ver¬ mögenswerte zum Ausgleich seiner Schulden besitzen, niemand zum Bürgen bekommen, ein schlechter Geschäftsmann ohne Kredit sein, keine festen Einnahmen haben. Sie. Dazu muß man Sie sagen: davor muß man Achtung haben, es ist hervorragend, einmalig und bewunderungswürdig. Die Anrede Sie, die Hochachtung ausdrücken soll, wird scherzhaft von Personen auch auf Dinge übertr. Dies geschieht auch in mdal. Wndgn., z.B. sagt man in Meckl. zu einem Dicken mit einem beachtlichen Bauch: ,Tau dinen Buuk möt’n all Sei seggen'. Ein Angebot und eine Aufforderung, sich zu duzen, enthält die Wndg. Lassen wir doch das steife Sie! Eine (weibliche) Sie sein: ein weibl. Wesen sein. Der Ausdr. wird häufig auf Tiere angewandt, deren Geschlecht nicht sofort zu erkennen ist. Sieb. Durchs Sieb gehen: durchkommen, unbehelligt bleiben, eine Grenze, Kontrolle glücklich passieren, eigentl. durch die Löcher des Siebes unbemerkt mit durchrutschen. Das Sieb diente urspr. zum Sondern und Reinigen und spielte deshalb auch im älteren Brauchtum eine Rolle. Bei Abraham a Sancta Clara ist der Begriff Sieb bereits auf das moralische Gebiet übertr. worden, denn er rät: „deswegen ihr lieben Eltern, gebt ein Sieb ab, und tut euere guten Kinder von den bösen Gesellen absön- deren“. Die Wndg. ist auch mdal. verbreitet, z.B. eis. ,Do ischt guet bezahle, wenn mr unbe- schroijn durchs Sib geht'. In Sachsen bedeutet ,durchs Sieb gucken' im Gefängnis sitzen, wobei an die Gitterstäbe der Gefängniszelle gedacht wird, ähnl. heißt es auch: ,durch den Garnsack gucken'. Neben das Sieb gefallen sein: sein Ziel verfehlt haben. Die Rda. durchs Sieb gefallen sein hat die spezielle Bdtg. von unverheiratet geblieben sein und damit als Frau das eigentl. Ziel nicht erstrebt oder erreicht haben. Auch in den Jenseitsvorstellungen spielt das Sieb eine wichtige Rolle: unverheiratete Mädchen und Junggesellen werden nach ihrem Tode zu einer unnützen Arbeit verurteilt. Als spiegelnde Strafe für 946
Sieben ihr unfruchtbar und unnütz gebliebenes Leben müssen sie sich mit einer erfolglosen Arbeit abmühen und ,Wasser im Siebe tragen1, /Wasser. Die Rda. mit einem Siebe Wasser schöpfen bezieht sich entweder ebenfalls auf diesen Volksglauben oder meint das aussichtslose Abmühen an sich. Vielleicht enthält diese Wndg. auch eine Anspielung und Erinnerung an das Faß der Danaiden und seinen siebartig durchlöcherten Boden. Als Beweis für die Unschuld wurde das Wassertragen im Siebe manchmal auch im Gottesurteil gefordert, im Märchen erscheint es häufig als bes. schwere Probe, als eine für unlösbar gehaltene Aufgabe für den Helden, der sich bewähren muß. Das Sieb laufen lassen: durch abergläubische Mittel einen Diebstahl aufdecken, einen Schuldigen ermitteln. Vgl. frz. ,faire tourner le sas*. Die Koskinomantie (Sieborakel) war schon in der Antike bekannt. Die Rda. weist auf einen Brauch, der bei uns seit dem 16. und 17. Jh. lit. bezeugt ist. Die älteste Beschreibung dafür gibt Georg Pictorius aus Villingen in seiner Abhandlung ,De speciebus magiae ceremonialis* (Basel 1563): Das Sieb wurde auf eine Schere oder Zange gesetzt und diese nur mit zwei Fingern in die Höhe gehalten. Nach einem Gebet oder Zauberspruch nannte man der Reihe nach die Namen aller Verdächtigen. Begann das Sieb bei einem Namen zu zittern oder sich gar zu drehen, galt der Betreffende für schuldig, und man klagte ihn an. Man glaubte auf diese Weise, durch das Sieb Hinweise auf geheime Verbrechen und unbekannte Täter zu erhalten, aber auch etw. über zukünftige Ehepartner, über Geburt und Tod zu erfahren. In Predigten wurde deshalb oft gegen diesen Volksbrauch gewettert. Bes. Hexen und Zauberer galten als erfahrene Siebdreher und wurden manchmal nur aus diesem Grunde verurteilt, wenn sie die Ausübung dieses Brauches zugegeben hatten. Bei Grimmelshausen heißt es z. B. auch von einem zauberkundigen Profos im Simplicissimus* (II, 22): ,,Er war ein rechter Schwarzkünstler, Siebdreher und Teufelsbanner“. Das Sieb galt überhaupt allg. als Attribut der Hexen, die es zum Fliegen durch die Luft gebrauchten. Außerdem nutzte ein Sieb, wenn man die Hexen beobachten wollte. Dazu mußte man ,durch das Sieb sehen*. Diese Vorstellung verbindet Goethe mit dem Siebdrehen, denn er gebraucht die Wndg. durch das Sieb sehen, um einen Dieb zu entdecken, die sonst in dieser Bdtg. nicht rdal. bezeugt ist. Im ,Faust* erteilt in der Hexenküche der Kater der Katze folgenden Rat: Sieh durch das Sieb, Erkennst du den Dieb. Ein Gedächtnis wie ein Sieb haben: ein nur lückenhaftes, schlechtes Gedächtnis haben; ähnl.: sein Gehirn ist wie ein Sieb: es läßt alles durch, er merkt sich nichts, weil es offenbar Löcher besitzt. Eine derb-humoristische Umschreibung für Sommersprossen haben* ist die moderne Wndg. Ihn haben sie durch das Sieb angeschissen. Lit.: HdA. VII, Sp. 1662ff., Art. ,Siebl v. Eckstein. sieben. Tüchtig sieben: bes. hohe Prüfungsanforderungen stellen, um nur eine kleine Auswahl der Tüchtigsten zu treffen, ei- gentl. das Sieb sehr lange rütteln, damit viel hindurchfällt oder -läuft. Zur Entschuldigung für jem., der eine Aufnahmeprüfung oder ein Examen nicht bestanden hat, heißt es oft: Aber es ist auch tüchtig gesiebt worden! Die Ubertr. der Rda. erfolgte schon früh auf Prüfung und Läuterung des Menschen, doch in der Bdtg. eines Examensgrundsatzes wurde ,sieben* erst nach 1850 allg. üblich. So sagen die Prüfer, die nur wenige Bewerber zulassen können: Wir werden tüchtig sieben müssen. Sieben. Eine böse Sieben sein: eine böse, zanksüchtige Frau, eine /Xanthippe sein, die ihrem Mann das Leben zur Hölle macht, auch: mit einer bösen Sieben leben müssen: tine unglückliche Ehe führen. Für die Entstehung des Ausdrucks ,böse Sieben* und seine Anwendung auf die streit- und herrschsüchtigen Ehefrauen gibt es verschiedene Theorien. So hat man z. B. einen Zusammenhang mit der Sterndeuterei des MA. vermutet. Das ganze Himmelsgewölbe wurde, soweit es in der Geburtsstunde eines Menschen, dem das Horoskop gestellt werden sollte, sichtbar war, in zwölf Abteilungen, die sogenannten 947
Sieben Häuser, eingeteilt, wobei das siebente Haus besondere Bdtg. für die Ehe besaß. Wurde diese unglücklich, so sagte man: ,Er ist mit einer bösen Sieben behaftet1, und gab den Sternen die Schuld. Nachdem die urspr. Bdtg. verlorengegangen war, sei die Bez. dann auf die Ehefrau übergegangen, mit der das Zusammenleben sehr schwer war. Vermutl. stammt der Ausdr. jedoch von einem alten Kartenspiel, wie die folgenden Belege zeigen, auf die K. Kant (Zs. f. dt. Wortf. VI, 98 ff.) hingewiesen hat. Seit dem Ende des 15. Jh. ist das ,Karnöffelspiel‘ bezeugt, dessen Karten neben der Zahl ein Bild trugen. Die ,Sieben1 war die Trumpfkarte und zeigte das Bild des Teufels. Mit ihr konnte man alle anderen 47 Karten, Papst, Kaiser, Kardinäle usw., stechen; sie selbst konnte von keinem Blatt gestochen werden und wurde ,Teufel4 oder ,böse Sieben4 genannt. Zur Bekämpfung des bes. bei den Landsknechten beliebten Spiels verfaßte 1562 Cyriakus Spangenberg sein Buch ,Wider die böse Sieben in Teufels Karnöffelspir. Darin schreibt er (A 4b): „der Teuffel heißt im Karnöffelspil Siben44. Noch im 16. Jh. tritt das Bild eines bösen Weibes an die Stelle des Teufels. Jodocus Ammans ,Charta lusoria4, die er 1588 in Nürnberg gestochen hat, gibt dafür den Beweis. Die erste Sieben zeigt folgendes Bild: ein böses Weib höhnt einen Korbmacher, der im Begriff ist, sie mit einem Knüttel zuschlagen. Uber der Karte stehen zwei lat. Distichen: Nulla uxore mala res est deterior, ausu Quae superat pestem, et nigra aconita, suo. Desine, fuste malum qui pellere niteris, uno Pulso, bis quinis panditur hospitium. Unter dem Bild stehen als Übers. 8 dt. Verse von dem ,Kayserlichen Coronirten Poeten4 Janus Hainricus Schröterus von Güstrow: Nichts ergers kan auff diser Erdn/ Dann ein böß Weib erfunden werdn/ Welch alle gifft/wie herb die sind/ Mit jrer boßheit vberwind. Laß ab/der du mit Prügeln starck/ Außtreiben wilst all boßheit argk/ Schiegst du gleich einen Teuffel drauß/ Besitzen zehen dasselbe Hauß. H. Ullrich (Zs. f. dt. Wortf. 6, S.379) verweist zur Erklärung des zankenden Korbmacherehepaares auf der Spielkarte Rieben4 auf einen Schwank des Martinus Montanus in seinem ,Wegkürtzer‘ von 1565. Auch Hans Sachs hat den Stoff in einem Meisterlied behandelt (,Meistergesangbuch4 11, 228). Bei Montanus hat die Geschichte folgenden Inhalt: Ein Korbmacher fordert eines Tages nach Fertigstellung eines Korbes seine Frau auf, die Worte zu sagen: ,Gott sei gelobt, der Korb ist gemacht!4 Sie weigert sich halsstarrig, deshalb erhält sie eine grobe Züchtigung. Der vorübergehende Vogt erzählt dies seiner Frau, die ebenfalls erklärt, dies nicht zu sagen, worauf er sie schlägt. Mit ihrer Magd, die es dem Knecht sagt, geschieht das gleiche. Montanus stellt am Schluß der Erzählung fest: „Also ward des Körbelmachers frau, die vögtin und ir magd, alle drei auf ein tag, eins korbs wegen, dapfer geschlagen. Wann man aber die halsstarrigen Weiber alsamen schlagen soit, wurden nit genuog bengel da sein, man must auch etwan stein und andere instrumente brauchen“. Vielleicht nun wurde wegen dieser bekannten Geschichte gerade die Korbmachersfrau zum Typus der Halsstarrigen, der ,bösen Sieben4 auf der Spielkarte. Daß die ,böse Sieben* zur Schelte eines bösen Weibes wurde, ist zuerst 1609 in Johann Sommers Hauptwerk, der satirischen Weltbetrachtung ,Ethnographia mundi4 (2. T., S. 15), schriftlich nachgewiesen: „Ist denn deine Fraw so eine böse Siebene vnnd eine solche böse Wettermacherin?44 Die Bez. kann also, vom Kartenspiel ausgehend, übertr. und verallgemeinert worden sein. Am Anfang des 17. Jh. lief auch das Witzwort um: ,Sieben Greten machen dem Teufel die Hölle heiß4. Das für Sachsen schrecklichste Jahr des Dreißigjährigen Krieges war 1637; man nannte es deshalb auch ,die böse Sieben4. Joachim Rachel trug zur Verbreitung des Ausdrucks bei, indem er über das erste seiner oft aufgelegten ,Teutschen satirischen Gedichte4 (zuerst 1664 erschienen) schrieb: ,Das poetische Frauenzimmer oder Böse 74. Darin verspottete er sieben verschiedene Frauenzimmer, das mürrische, das schmutzige, das verschmitzte, das schimpfende, das 948
Siebenmeilenstiefel herrschsüchtige, das plaudernde und das hochmütige. Rachel führt in dieser Satire einen kirchlichen Gedanken weiter aus: Nach Matth. 12, 45 wurden die sieben Todsünden als Teufel betrachtet („sieben andere Geister“); später stellte man neben sie noch sieben weibl. Todsündenteufel, wobei man sich auf Luk. 8, 2 berief: nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Geister ausgefahren...“ Ein Vorbild für Rachel sind auch die neun bösen weibl. Typen in der Satire des Simonides von Amorgos gewesen, wie H. Klenz (,Die Quellen Rachels\ Diss. Freiburg 1899) nachweist. Auch Thomas Murner hat bereits 1519 in seiner ,Geuchmatt‘ unter dem Titel ,Die syben bösen wyber‘ ein ähnl. Thema gestaltet und führt aus Sage und Gesch. die Römerin Tullia, Potiphars Weib, die Königinnen Jesabel, Herodias, Semiramis, Jobs Weib und die Königin Alba als bes. negativ an. Die sieben Todsünden wurden auch als Töchter Luzifers1 bez. und erschienen als weibl. Gestalten im 17. Jh. in Marlowes ,Faust4 auf der dt. Schaubühne. Fr. Seiler meint deshalb, daß unsere Wndg. als verkürzter Ausdr. verstanden werden muß und daß es genauer heißen müßte: ,eine von den bösen Sieben4 (Fr. Seiler, Dt. Sprichwörterkunde, Ndr. München 21967, S. 278). 1662 erschien auch in Zeitz eine Druckschrift unter dem Titel: ,Die böse Sieben, von welchen heutzutage die Unglückselige Männer grausahmlich geplaget werden, fürgestellet in einem Wunderbahren Gesichte durch ein Mitglied des hochlöblichen Schwanenordens4, und so hat der Ausdr. bis heute weitergewuchert. Ganz andere Bdtg. besitzen einige mdal. Wndgn.: ostfries. ,t is’n malle söven4 heißt: er ist verdreht, verrückt, ähnl. schlesw.- holst. ,He mutt na Nummer söben4, er ist nicht ganz richtig im Kopfe, er sollte besser in einer Anstalt untergebracht werden. Im A. T. wurde die Zahl,sieben4 auch zur Steigerung gebraucht, z.B. heißt es: „Der hat sieben Greuel im Herzen“; vor allem aber galt sie auch als heilige Zahl (vgl. 7 Planeten, Siebengestirn, 7 Wochentage, sieben- armiger Leuchter der Juden usw.) Einer aus der siebenten Bitte sein /Bitte; ein Buch mit sieben Siegeln /Siegel; im sie¬ benten Himmel sein / Himmel; sieben auf eitien Streich /Streich. Ul.: K. Kant: Zur bösen Sieben, in: Zs. f. dt. Wortf., 6 (1904/05), S.98 f.; H. Ullrich: Zur bösen Sieben, in: Zs. f. dt. Wortf. 6, S. 379; J. H. Graf: Die Zahl Sieben (Bern 1917); F. Seiler: Dt. Sprichwörterkunde (Ndr. München ^ 1967) S. 278; L. Kretzenhacher: Die heilige Rundzahl 72. Zur Zahlenmystik in Legende und Sakralbau, in Volksglauben u. Rda., in: Blätter f. Heimatkunde 26 (Graz 1952), S. 11-18; Biichmann, S.135; O. Schnitzler: The Particularity of the Number Seven and the Origin of the Seven Days Week, in: Folklore Research Center Studies I (Jerusalem 1970), S. 73-80. siebengescheit. Er ist siebengescheit, auch: ein Siebenkünstler: er dünkt sich selbst überklug, er hört das Gras wachsen, er versteht mehr als andere, ist hochbegabt. Die Wndg. wird entweder anerkennend oder iron, gebraucht. Urspr. bezieht sie sich auf das Studium der ,Sieben Freien Künste4, worauf auch die mhd. Wndg. ,er kann wol siniu sibeniu4, er beherrscht alles, weist. Im gleichen Sinne sprechen wir auch von ,neunmalklug4, /neun. Lie.: F. Seiler: Dt. Sprichwörterkunde (Ndr. München 21967), S. 273. Siebenmeilenstiefel. Das geht ja (wie) mit Siebenmeilenstiefeln: es geht sehr schnell vorwärts, etw. macht große Fortschritte; Siebenmeilenstiefelanhaben: große Schritte machen können, eine weite Strecke überraschend schnell zurücklegen, sich seinem Ziel mit Riesenschritten nähern; mit Siebenmeilenstiefeln voraus sein: anderen weit überlegen, kaum noch einzuholen sein. Vgl. auch lat. ,Sedecim pedibus superat4. Die Rdaa. beziehen sich auf das Märchen ,Der kleine Däumling4. Dieser hilft seinen Brüdern aus der Gewalt eines Menschenfressers. Als dieser die fliehenden 7 Brüder verfolgt und nach vergeblichem Suchen einschläft, zieht ihm der Däumling die Wunderstiefel von den Füßen, die die Eigenschaft haben, an jeden Fuß zu passen. Von ihnen heißt es bei Bechstein: „Das waren Stiefeln, wenn man damit sieben Schritte tat, so war man eine Meile gegangen, das war nichts Kleines“ (L. Bechstein, Sämtliche Märchen, Darmstadt 1966, S. 162). Lit.: J. Boite u. G. Polivka: Anmerkungen zu den KHM. der Brüder Grimm, 5 Bde., Bd. I (Ndr. Hildesheim 1963), S. 330, 442, 499. 949
Siebensachen Siebensachen. Seine Siebensachen packen: seine wenigen Habseligkeiten zusammenpacken, um damit abzureisen, auszuziehen oder eilig zu verschwinden, auch: in aller Hast aufräumen, Umherliegendes zusammenraffen. Die Zahl ,sieben1 spielt in der volkstümlichen Anschauung von jeher eine wichtige Rolle, sowohl als heilige Zahl, wie in der Bibel und überhaupt im Orient, als auch als böse Zahl, die gefürchtet und als Unglückszahl möglichst gemieden wurde. In der 1. H. des 12. Jh. hat der oesterr. Priester Arnold eine Dichtung ,Von der Siebenzahr verfaßt, in der er die besonderen Eigenschaften dieser Zahl hervorhebt. In unserer seit dem 17. Jh. bezeugten Rda. steht das Zahlwort für eine geringe Menge, für wenig. Oft wird die Wndg. in der Form einer Aufforderung gebraucht: Pack deine Siebensachen!: Geh! Verschwinde für immer! Der Ausdr. ,Siebensachen4 diente früher auch zur euphemist. Umschreibung der Geschlechtsteile. Im Bair.-Oesterr. lautet die Wendung ,seine sieben Zwetsch(g)en packen4. Vgl. auch ndl. ,zijn biezen pakken4 oder ,zijn matten oprollen4; engl. ,to pack up one’s traps4. Seine Siebensachen herumschieppen, wie die Katze ihre Jungen: seinen wertvollsten Besitz immer bei sich tragen, seine Habseligkeiten überallhin mitnehmen, viel unterwegs sein und nicht wissen, wo man unterdessen seine Sachen lassen könnte. Siebenschläfer. Er ist ein Siebenschläfer: er ist ein Langschläfer, eigentl. er ist einer von den sieben Schläfern, deren Gedächtnistag auf den 27. Juni fällt. Die Wndg. geht auf die Legende von den sieben Jünglingen zurück, die bei der Christenverfolgung unter Decius um das Jahr 251 in eine Höhle des Berges Kalion bei Ephesus flüchteten, dort einschliefen und vermauert wurden. Unter der Herrschaft Kaiser Theodosius’ II. erwachten sie erst im Jahre 447 wieder, als diese Höhle zufällig eröffnet wurde, um bald darauf aber, „vom Glorienschein der Heiligkeit umgeben44, zu sterben. Gregor von Tours erzählt dies u. a. gegen Ende des 6. Jh., in dt. Sprache ist das mhd. Gedicht ,von den siben schlafaeren4 wohl der erste Beleg (Aa Th. 777). Auch in den Mdaa. ist die Rda. bekannt, z.B. heißt es im Schles.: ,A îs a rechter Sîbeschlâfer4. Im Ndl. bestehen die Wndgn. ,Het is er een van de zeven slapers4, in dersprachl. Formulierung noch deutlicher als im Dt. auf die Legende bezogen, und ,Het is een negen-slaper4, ein Beweis für das Nebeneinander der wichtigen Zahlbereiche von neun und sieben, die einander in den Wndgn. durchdringen und ersetzen können, vgl. die Ausdrücke sieben- gescheit4 und ,neunmalklug4, /sieben und /zweiundsiebzig. Der Siebenschläfer (27. Juni) spielt auch im Volksglauben eine Rolle: wenn es an diesem Tage regnet, soll es danach noch sieben Wochen schlechtes Wetter sein. In einem bair. Hauskalender heißt es z. B.: ,Nach den Siebenschläfern richten sich sieben Tage und sieben Wochen4, und eine meckl. Bauernregel lautet mdal.: ,Wenn et up Säben- slöper rägent, denn rägent et sêben Wêken, un wenn âk mant all Dâge en pâr Droppen fallet4. Man glaubt auch, daß ein Blatt mit den Namen der Siebenschläfer (Maximinianus, Malchus, Martinianus, Constantinus, Dionysius, Johannes, Serapion) gegen Schlaflosigkeit helfen könne, wenn man es einem heimlich unter das Kopfkissen lege (Zs. f. Vkde. 8, 1898). Ul.: HdA. VII, Sp. 1702f. sieden. Es {er) ist weder zu sieden noch zu braten (und auch nicht gut roh zu essen): etw. (jem.) ist in keiner Form zu gebrauchen. Vgl. frz. ,Cet homme n'est bon à rien; n’est bon ni à rôtir ni à bouillir4. Von einem Eigensinnigen heißt es ebenfalls: Der ist nicht zu sieden und nicht zu braten: sein Starrsinn ist nicht zu brechen, oder: Den mögt ihr sieden und braten: den könnt ihr trotz der schärfsten Maßnahmen nicht ändern oder umstimmen, ln Ulm sagt man abweisend: Jetzt kannst's siede oder braute4, jetzt kannst du daraus machen, was du willst; jetzt muß du sehen, wie du zurechtkommst. Vgl. frz. ,Vous en ferez des choux ou des raves4. Er will sie sieden und braten: er hat Schlimmes mit ihnen vor, doch es sind nur leere Drohungen. Sieden und Braten war jedoch früher eine tatsächlich durchgeführte, grausame Hinrichtungsart. Bes. auf Ketzer und Falschmünzer wurde sie angewendet, 950
Sieden .Siebenschläfer1 um sie als Teufelsbraten1 mundgerechter für den /Teufel zu machen. Im ,Welschen Gast4 (Cod. pal. 389, 194a) wird erzählt, der Herzog von Oesterreich lasse Ketzer sieden und braten, damit sich der Teufel nicht die Zähne verbeiße: „[enwil] niht daz der välant zebreche sine zend zehant44. Jem. siedet das Blut: er ist erregt vor Zorn oder Leidenschaft. Ähnl. spricht man auch von einem .siedenden Haß4, der das Blut in Wallung geraten läßt. Die schwäb. Rda. ,’s ist mer siedig heiß n’aufg’stiege4, ich habe mich plötzlich unter heftigem Schrecken an etw. erinnert, beruht auf der Beobachtung, daß es einem bei einem unangenehmen Gedanken plötzlich heiß wird, weil einem das Blut in den Kopf schießt. Häufig wird die rdal. Formel auch im Partizip gebraucht: Da gibt's Gesottenes und Gebratenes: da geht es hoch her wie auf einem Fest. Eis. heißt es von einem, der in Saus und Braus lebt: ,Der lebt in Sottis und Brotis4. In der Übertr. auf den Menschen liebt auch Goethe das Wortpaar, denn er schreibt: 951
Siegel Gesotten oder gebraten! Er ist ans Feuer geraten. Gebraten oder gesotten! Ihr sollt nicht meiner spotten. Was ihr auch heute getröstet, Ihr seid doch morgen geröstet. Du kommst mir gesotten: du kommst mir gerade recht, eigentl. du kommst mir in den Weg, wie dem Schlaraffen die gebratene Taube in den Mund fliegt. Lit.: J. Grimm: Dt. Rechtsaltertümer II, S.284L Siegel. Sein Siegel an etw. heften: t înt Sache für gut befinden, sie bestätigen, sie durch Unterschrift und Siegel bekräftigen und beglaubigen. Die Rda. bezieht sich auf die frühere Gewohnheit, Urkunden und Briefe mit einem Siegel zu versehen, um die Echtheit des Inhalts zu verbürgen. Urspr. wurden große Siegel mit Kordel oder Band an dem Pergament befestigt, bis in der 2. H. des 16. Jh. Prägestempel für das Papier aufkamen. Vgl. auch ndl. ,zijn zegel aan iets hechten (hangen)4 und engl. ,to put the seal upon a thing1. Sein Siegel auf etw. drücken (setzen): einer Sache Nachdruck verleihen, aber auch: ihr den Stempel persönlicher Eigenart aufprägen. Diese Wndg. ist etw. jünger, denn sie hat die neuere Art des Siegeins mit einem Stempel zur Voraussetzung. Vgl. ndl. ,zijn zegel op iets drukken (zetten)1 und engl. ,to set one’s seal to a thing4. Er muß überall sein Siegel drauf drücken:er bildet sich ein, daß alles seiner besonderen Zustimmung bedürfe, er macht sich wichtig und mischt sich gern ein. Vgl. ndl. ,Hij drukt er zijn zegel op1. Jem. Brief und Siegel auf etw. geben: etw. rechtskräftig machen. Diese Wndg. stammt aus der alten Rechtssprache und beruht auf einer Bibelstelle bei Jer. 32, 44, wo es heißt: „Dennoch wird man Äcker um Geld kaufen und verbriefen, versiegeln und bezeugen“; /Brief. Einem etw. unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilen: etw. zum unverletzlichen Geheimnis erklären, unbedingte Verschwiegenheit dafür fordern. Ein Buch mit sieben Siegeln sein: geheimnisvoll und unverständlich sein, eine bibl. Redensart, die auf Offenb. 5,1 ff. zurückgeht, /Buch. Etwas ist besiegelt: (früher auch: versiegelt) : es ist eine beschlossene Sache, es ist nicht mehr zu ändern, es bleibt unumstößlich und unanfechtbar. Auch: etw. ist versiegelt und verbrieft. Siele. In den Sielen sterben: während der Arbeit sterben, aus einem erfüllten, tätigen Leben gerissen werden; ohne sich eine Ruhepause im Alter zu gönnen, bis zum Tode arbeiten. Der Vergleich bezieht sich auf das Zugtier, das, während es angeschirrt ist, tot zusammenbricht. Siele ist ein vorwiegend ndd. Wort für Riemenzeug, ledernes Geschirr der Ochsen und Pferde. Verbreitet wurden Wort und Rda. durch Bismarck, der am 4. Februar 1881 in einer Rede vor dem Preuß. Abgeordnetenhaus den Gedanken an seinen möglichen Rücktritt mit den Worten zurückwies: „Ein braves Pferd stirbt in den Sielen!“ In den Sielen gehen: stets hart arbeiten müssen wie ein Lasttier, aber auch wie ein Schiffsschlepper, ohne einmal ,ausspannen4 zu können, ohne von einer ständigen Last (Bedrückung) befreit zu werden, /Seil. ,In allen Sîlen trecken4, ,in allen Sätteln gerecht sein4, /Sattel. Diese bes. in Braunschweig verbreitete Rda. enthält das Lob, daß jem. viele Kenntnisse besitzt und überall zu gebrauchen ist. Siemann (Simandi). Er ist ein Siemann, auch: Er ist der Doktor Siemann: er steht unter dem Regiment seiner Frau, er muß tun, was sie befiehlt. Siemann oder Simandi ist in den bair.-oesterr. Mdaa. ein Ausdr. für den Pantoffelhelden, abzuleiten wohl von Sie-Mann; /Pantoffelheld. In der Lit. eingeführt erscheint dieser scherzhafte Volksausdr. zum erstenmal durch Adam Schubart in ,Haussteuffel, das ist der Meister SlEman usw.4 (Frankfurt a. M. 1565). Um die Mitte des 18. Jh. bildeten sich in Wien ,Simandlsbruderschaften\ Gesellschaften heiterer Männer, die in der Regel am wenigsten an dem Gebrechen litten, das sie verspotteten. Davon zeugen noch die Rdaa. ,zur Simandlbruderschaft gehören4 und ,ein Simandi von Krems sein4, ln Krems soll noch heute eine solche Bruderschaft bestehen, die jedem Verheirate- 952
SiEMANN (SIMANDI.) ^aujjfeufffl/ Da« i ft/ let fpffc ©Suntan / QBtc fcw Eofm ^Babrr/rc frommt Sttanrur/onD mir Die bô(cn leichtfertigen Buben / fre frome ÏFeiber plage/0ampr einer retinanungau# Ijciligec €?4>n fft rnb fc^ôncn .ßi|foncn/tvic (let freine iî^clenr gegen einander refaite« foU len/ nùçlid> rn Iufhg jii lefen* Q>cfcf?ricftrn Durci} 2(Damum ©dju&arf* ©«rutft ju Srantffun an» Sfrapn/ » ; o * ten ein Simandl-Diplom mit 17 Paragraphen ausstellen darf. Ein Brunnen in Krems stellt eine Frau mit ihrem Simandi dar. Der Name ,Simandlbruderschaft‘ ist nicht nur mit dem Wort ,sie\ sondern auch mit ,sieben4 in Zusammenhang gebracht worden. In einem alten, zu Pantoffelhausen gedruckten Buche ,Geschichte und Statuten der weltberühmten Simandlbruder- schaft‘ wird von deren Gründung berichtet: „Es sollen einst sieben Brüder, alle von sehr kleinem Wüchse gewesen sein, sämmtlich verheirathet und unter der Herrschaft ihrer Weiber stehend und sehr streng gehalten. Wenn es ihnen einmal gar zu arg wurde, kamen die sieben Märtyrer an einem bestimmten Orte zusammen, um sich ihre Leiden zu klagen und sich zur Geduld zu ermahnen. Allmählich schlossen sich andere Männer ähnlichen Schicksals als Leidensgenossen an. Dies war der Kern der Gesellschaft, die sich von den ursprünglichen sieben Manndeln die Sini- 1/2 ,Siemann‘ 3 ,SimandI-Brunnen‘ 953
Silber, silbern (mdal. für sieben) Mandlbruderschaft nannte“. Lit.: J. Balte: Doktor Siemann und Doktor Kolbmann, zwei Bilderbogen des 16. Jh., in: Zs. d. Ver. f. Vkde., 12 (Berlin 1902), S. 296-307. Silber, silbern. Sein Silber ist zu Schaum geworden: sein wertvoller Besitz, sein Vermögen hat sich in nichts aufgelöst, das vermeintlich Echte hat sich als bloßer Schein herausgestellt. Die Rda. ist bibl. Herkunft. Bei Jes. 1,22 heißt es: ,,Dein Silber ist Schaum geworden und dein Getränk mit Wasser vermischt“. All sein Silber und all sein Gold ist ihm durch die Kehl gerollt: er hat sein Vermögen durchgebracht, sein Geld vertrunken. Wie Silber glänzen: blank sein, einen metallischen Glanz besitzen. Der Vergleich wird häufig poetisch gebraucht, z. B. spricht man vom Fluß, den Haaren, dem Mondlicht, der See, daß sie wie Silber glänzen. Einen Silberstreifen am Horizont sehen: ein Zeichen beginnender Besserung (bes. in politischen, wirtschaftlichen Dingen), einen Anlaß zu Hoffnungsfreudigkeit besitzen, eigentl. den ersten Lichtschimmer am Morgen freudig begrüßen. Die Wndg. beruht auf einer Äußerung des dt. Politikers Gustav Stresemann auf einem Parteitag am 17. Februar 1924 in Elberfeld: „er sehe zum erstenmal einen Silberstreifen an dem sonst düsteren Horizont“ (Biichmann, S.758). Ein silbernes Lachen besitzen: ein helles, fröhliches Lachen ertönen lassen, ähnl.: eine silberne Stimme haben: eine klare, hohe Stimme haben, gut singen können. Etw. versilbern: etw. verkaufen, zu Geld machen, eigentl. in Silbermünzen umwandeln. So ,versilbert' Simplicissimus die Pferde und stellt „das übrige dem Geistlichen zu mit der Bitte, solches in der nächsten Stadt zu versilbern“ (,Simplicissimus4 IV, 6). ln gleichem Sinne spricht Murner im ,Lutherischen Narren4 (S.75) von ,ver- müntzen4. Ein silbernes (goldenes) Nichtschen /nichts. Simson. Ein wahrer (zweiter) Simson sein: sehr stark sein, aber häufig auch iron, gemeint, wenn jem. mit seiner Stärke bes. prahlt oder ein ausgesprochener Schwäch¬ ling ist. Vgl. ndl. ,Het is een tweede Simson4. Er hat mit Simsons Kalbe gepflügt: er hat durch List und Betrug einen Erfolg erzielt, der sonst nicht möglich gewesen wäre, er hat einen Eingeweihten zur Preisgabe eines Geheimnisses bewegt. Die Wndg. ist ein bibl. Zitat. Als Simson merkt, daß sein Weib den Philistern die Lösung seines Hochzeitsrätsels auf deren Drängen verraten hat, sagt er verächtlich zu ihnen (Richter 14,18): „Wenn ihr nicht hättet mit meinem Kalb gepflügt, ihr hättet mein Rätsel nicht getroffen“. Mit Simsons Waffen fechten: sich mit einer ungewöhnlichen und schlechten Waffe erfolgreich verteidigen wie Simson, der nichts zur Hand hatte als einen Eselskinnbacken und damit 1000 Philister erschlug (Richter 15, 15). Vgl. frz. ,11 s’escrime des armes de Samson4. singen. Er singt nicht seines Vaters Liedlein: er ist völlig aus der Art geschlagen, er hält sich nicht an überlieferte Gewohnheiten und alte Bräuche, vgl. lat. ,Haud canit paternas cantiones4. Er hat davon singen gehört, weiß aber nicht wo (in welchem Walde): er ist nur oberflächlich von einer Sache unterrichtet, er hat kaum eine Ahnung davon und will mitreden, vgl. die Wndg. ,etw. läuten gehört haben4. Aus dem Singen ins Pfeifen kommen: vom Thema abschweifen, auf etw. kommen, das nicht zur Sache gehört. In Pommern bedeutet eine ähnl. Wndg. Anerkennung: ,De kann singen un fläut’t dato4, er ist überaus geschickt, so daß es ihm zuzutrauen ist, daß er selbst unmöglich Scheinendes fertigbringt. Guter und schlechter Gesang wird durch eine ganze Reihe rdal. Vergleiche gekennzeichnet: singen wie eine Heidelerche, wie eitle Nachtigall: eine hohe, klare und geübte Stimme besitzen, auch: singen wie ein Kantor, wie nach Noten: richtig singen, sich im Gesang nicht beirren lassen. Singen wie die Vögel im Hanfsamen: sorglos, voller Freude sein und seinem Wohlbefinden durch Singen Ausdr. verleihen. Singen, wie einem der Schnabel gewachsen /37: sich keine Vorschriften machen lassen, 954
Singen ohne bes. Schulung seiner Stimme lustig drauflossingen, keine Bedenken haben, sich zu blamieren, vgl: lat. ,Cantat avis quaevis, sicut rostrum sibi crevit*, /Schnabel. Hat jem. eine mißtönende Stimme und ist es für jeden eine Zumutung, seinem Gesang zuhören zu müssen, heißt es übertreibend: Er singt, wie ein altes Pferd hustet (vgl. ndl. ,Hij zingt als een oud paard*) oder Er singt den Eselsgesang: er singt so schön wie ein rostiger Brunnenschwengel, wie die Katze, wenn man ihr auf den Schwanz tritt. In einer Mainzer Lokalposse heißt es mdal.: „Er singt wie e Bachstelz, die de Schnuppe hat“. Um anschaulich auszudrücken, daß jem. überhaupt keine musikalische Begabung besitzt, sagt man Schweiz. ,Er cha singe wie der Wetzstein schwimme* (,wie e Chue pfife4). Beliebte formelhafte Wndgn. sind: singen und beten, singen und springen, mit Sing und Sang. Am bekanntesten und ältesten ist wohl die stabreimende Zwillingsformel singen und sagen. Karl Lachmann schreibt 1833 in seiner Abhandlung ,Über Singen und Sagen* (Kleinere Schriften, Bd.I, S.46Iff.): „Die zwiefache Tätigkeit des Dichters, Singen und Sagen, ist in den äl- tern Zeiten der deutschen Poesie als so wesentlich verbunden betrachtet worden, daß die sprichwörtliche Zusammenstellung beider Ausdrücke noch jetzt dauert, da doch von dem Singen der Dichter selten noch die Rede sein kann4*. Er zeigt, wie sich die beiden Begriffe erst allmählich gesondert haben. Noch in der Karolingerzeit konnte sogar dem Gedanken Wort und Weise zugeschrieben werden; aber im weiteren Verlauf des MA. tritt neben die gesungene Poesie, die sich immer mehr auf das Lied beschränkt und an deren Hand sich die Musik selbst zunächst weiterentwickelt, die gelesene Dichtung. Die Formel ,singen und sagen4 stammt jedoch urspr. aus dem christl. Bereich. Sie ist die Übers, von kirchenlateinisch ,cantare et dicere (psalmum)4, d.h. einen Psalm singen und sagen, Gott anbeten, loben und preisen. Auf diesen alten Zusammenhang weist auch die bis heute übliche Feststellung Da hilft kein Singen und kein Sagen (Beten): es ist alles zwecklos, es gibt keine Abhilfe. Martin Opitz gebraucht die Formel in diesem Sinne, wenn er dichtet: Kein Singen und kein Sagen Vermag den Tod zu jagen. (Werke 2, 122) Die christl. Verkündigung in Wort und Ton versteht auch Luther unter dieser sprachl. Formel, denn in seinem ,Kinderlied auff die Weihenachten4 von 1535 (,Vom Himmel hoch ...*) heißt es: Der guten mehr bring ich so viel, Dauon ich singen vnd sagen wil. Spielleute und Minnedichter haben aber bereits vor ihm die allg. geläufige Wndg. auch auf den weltlichen Bereich übertr. und dann ,singen4 auf den Vortrag lyrischer, ,sagen4 auf den epischer Dichtungen bezogen. Offenbar waren die Worte früher noch austauschbar, denn Seb. Brant schreibt im ,Narrenschiff* von 1494 (65, 66): Die drucken alles das man bringt, Was man von Schanden sagt und singt. Noch Burkard Waldis gebraucht die Wndg. in dieser Form 1548 in seinem ,Esopus4 (4, 66, 110): Von himelisch und jrdschen Dingen, Davon wir offt hörn sagen und singen. Goethe benutzt die Formel,singen und sagen4 mehrfach lit. Sie umschreibt bei ihm das Dichten und das Verbreiten von Nachrichten durch den Dichter als ein ganzheitliches und allseitiges Wirken, wie z. B. in seinem ,Hochzeitslied4: Wir singen und sagen vom Grafen so gern, Der hier im Schlosse gehauset. In seiner Ballade ,Johanna Sebus4 hält Goethe die Verbreitung der Nachricht von der selbstlosen, mutigen Opferbereitschaft des Mädchens für eine so entscheidende Aufgabe des Dichters und Sängers, daß er den verurteilt, der gleichgültig bleibt und diese Aufgabe nicht erkennt: Und dem sei, wer’s nicht singt und sagt, Im Leben und Tod nicht nachgefragt! In manchen Rdaa. werden die beiden Begriffe ,singen4 und ,sagen4 absichtlich und ganz bewußt einander entgegengesetzt und ganz konkret als verschiedene Formen menschlicher Äußerung verstanden, wobei der urspr. Bezug zur religiösen oder weltlichen Dichtung verlorengegangen ist. In der 955
Singen Theatersprache z. B. heißt es bei einem ausländischen Gast auf die Frage ,Kann er deutsch?1 oft scherzhaft: Singen, nicht sagen! Dies beruht wohl auf der Beobachtung, daß ein Ausländer sich leicht die durch Reim und Melodie gebundenen Texte der Fremdsprache einprägen kann, während ihm der Wortschatz der Umgangssprache bei einer Unterhaltung weitgehend fehlt. Die negierte Zwillingsformel ,Singen, nicht sagen4 gehört meist in einen größeren Textzusammenhang und wird deshalb selten allein aufgezeichnet. Bes. deutlich ist dies bei der wien. Rda.,Wannst es net sagen kannst, so tue’s singen!4, die mit schwankhaften Erzählungen in Verbindung steht. Meist sind es Lehrlingsgeschichten, von denen L. Schmidt einige Varianten veröffentlicht hat, z.B. aus Wien: Der Lehrbub ist ein Stotterer. Er kommt aufgeregt aus dem Keller und versucht, etwas zu melden: „I-i-i-44. Der Lehrherr wird ungeduldig und herrscht ihn an: „Wannst es net sagen kannst, so muasst es singen!44 Das wirkt, der Lehrbub fängt an zu singen: „Im Keller brennt der Spiritus44 (ungefähr nach der Melodie von ,In München steht ein Hofbräuhaus4). Eine niederoesterr. Fassung, aus Krems mitgeteilt, hat ungefähr den gleichen Handlungsverlauf. Auch hier ist es ein Stotterer, der eine wichtige Nachricht überbringen will, sie aber in der Aufregung nicht sagen kann. Es ist ein alter Bauer, der zu seiner Frau stürzt. Sie schneidet sein Stottern energisch ab, er solle es singen, wenn er es nicht sagen könne. Und nun beginnt der Alte: „Alte, unser Häusl brennt, jupeidi, jupeida!“ Die Wirkung des Schwankes beruht jedesmal auf dem gleichen grotesk-komischen Motiv des Widerspruchs zwischen Erzählinhalt und Erzählform der beabsichtigten Nachricht. Schreckliche Dinge: ein Brand im Keller, der Brand des eigenen Hauses, sollen mitgeteilt werden und wirken, da die Nachricht gesungen wird, unwiderstehlich komisch. Grundvoraussetzung für die Verwendung dieses Motivs ist, daß der Überbringer der Nachricht sie nicht herausbringt, sie nicht ,sagen4 kann. Der Schwank stützt sich dabei auf die völlig wirklichkeitsgetreue Beobachtung, daß der Stotterer u. U. tatsächlich anstandslos singen kann, weil die Hem¬ mung, die ihn sonst übermannt, dabei überwunden wird. Deshalb sagt man auch zu einem Stotterer in Rheinhessen in der Kurzform: ,Ei, so sing!4 Der Schwank scheint geschichtslos, doch gibt es eine interessante frz. hist. Anekdote aus dem 17. Jh., die eine gewisse Parallelität aufweist: 1677 wurde Concini, Marschall von Ancre, der Günstling der Königin Maria Medici von Frankreich, auf Befehl des Königs Ludwig XIII. erschossen. Als die blutige Tat der Königin mitgeteilt wurde, fragte man sie, die selbst höchst Erregte, wie man die Nachricht Concinis Frau sagen solle. Jemand fragte die Königin: „Wie wird man die Marschallin in Kenntnis setzen?44 - „Ich habe anderes zu denken, laßt mich in Ruhe“, schrie Maria, „wenn man es ihr nicht sagen will, soll man es ihr Vorsingen44 (Carl J. Burckhardt, Richelieu - Der Aufstieg zur Macht, München 1935, S. 109). Die Wirkung wäre ebenfalls komisch gewesen, wenn man der rdal. Aufforderung der Maria von Medici nachgekommen wäre und die Nachricht von der Ermordung Concinis seiner Frau gesungen hätte. Die Überlieferung des volkstümlichen Ausrufes der Königin gibt der rdal. Grundlage des Schwankes eine gewisse hist. Tiefe. Noch weiter zurück führt ein urkundlicher Schweiz. Beleg von 1459, in dem ein Zögernder aufgefordert wird: „Gang sing ims! Du bist nit als man- lich, das du ims getörest sagen“ (,Schweiz. Idiotikon4 VII, 1193). In Wien begegnet auch eine kürzere Form dieser Rda.: ,Dös müassens ma aber singen!4, die jedoch eine andere Bdtg. besitzt. Es geht nicht um das Nicht-sagen-Können, sondern es wird damit das Mißtrauen gegen die Ausführungen eines anderen ausgesprochen. Was hier gesungen werden soll, ist eine unglaubwürdige Nachricht, die nicht ernst genommen werden kann. Für diese wien. Rda. sind bereits Belege aus dem 19. Jh. bezeugt. Bekannter ist die berl. Beteuerung ,Det kannste singen!4, die wie die allg. dt. Wndg. Das kann ich dir singen: darauf kannst du dich verlassen, das ist sicher, genau entgegengesetzte Bdtg. besitzt. Vermutl. ist sie eine moderne Weiterentwicklung der Rda. ,von etw. ein /’Lied(chen) singen können4. 956
Sinn Einem das Benedicimus singen /Placebo; einem das Gaudeamus singen /Placebo; einem den Görgen (Georg) singen / Georg; einem den Judas singen /Judas; Placebo singen /Placebo. Lit.: K. Lachmann: .Über Singen und Sagen', in: Kleinere Schriften, Bd.I (1833), S.461 ff.; J. Schwiete- ring: Singen und Sagen (Diss. Göttingen 1908); L. Schmidt: Singen, nicht sagen. Zwischen Rda. und Schwank, in; Volkslied, Volkstanz, Volksmusik, 49 (Wien 1948), S. 67 f.; M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Muttersprache (1963), S. 201 ff. Sinn. Mit jem. eines Sinnes sein: völlig mit seinen Ansichten iibereinstimmen; anderen Sinnes werden: sich überzeugen, umstimmen lassen, seine vorgefaßte Meinung, Absicht ändern. Keinen Sinn für etw. haben, auch: einem geht der Sinn dafür ab: kein Verständnis (Gefühl) für etw. aufbringen können, einen völlig unbeeindruckt (kalt) lassen. In den folgenden Wndgn. steht Sinn für Kopf oder Verstand: Jem. in den Sinn kommen, auch: einem durch den Sinn fahren: einem plötzlich wieder einfallen, sich Gedanken um etw. (jem.) machen müssen, aber auch: eine neue Idee haben. Ähnl.: etw. im Sinne haben: etw. beabsichtigen, neue Pläne haben. Etw. kommt einem nicht in den Sinn: man denkt nicht im entferntesten daran, die Wndg. wird meist als beruhigende Versicherung gebraucht, wenn einer Sorge und Zweifel über das künftige Verhalten des anderen äußert. Vgl. ndl. ,Het komt mij niet eens in den zin‘. Etw. kommt einem nicht aus dem Sinn: man muß ständig daran denken, es bedrückt, beschäftigt einen immerzu, die Erinnerung verblaßt nicht, eine liebevolle Bindung bleibt trotz räumlicher Trennung bestehen. Diese Wndg. begegnet auch im Liebeslied, z. B. lautet eine bekannte Str.: Du, du liegst mir im Herzen, Du, du liegst mir im Sinn. Du, du machst mir viel Schmerzen, Weißt nicht, wie gut ich dir bin. Seb. Franck verzeichnet in seiner Sammlung den humorvollen Vergleich: „Er geht in sinnen vmb wie ein hundt in flöhen“ (II, 58a). Etw. will einem nicht in den Sinn: man kann es sich nicht vorstellen, man begreift nicht, daß so etw. möglich ist, daß man sich so in einem Menschen getäuscht haben soll. Jem. steht (nicht) der Sinn nach etw.: sein Wunsch, Interesse, Verlangen richtet sich (nicht) darauf. Ähnl.: etw. ist jem. ganzes Sinnen und Trachten: ihm gilt sein ganzes Bestreben. Diese Wndg. ist wahrscheinl. dem bibl. Ausdr. .Dichten und Trachten4 (l.Mos. 6,5) nachgebildet worden. Ebenfalls bibl. Herkunft sind die Rdaa. nichts Gutes im Sinne haben (Sir. 11,34) und Böses im Sinne haben (Ps. 7,15). Sich etw. aus dem Sinn schlagen: hoffnungslose Wünsche und fruchtlose Gedanken aufgeben, sich bewußt neuen Zielen und der Zukunft zuwenden. Diese Wndg. erscheint in dem bekannten Wanderlied ,Es, es, es und es4, in dem es heißt: Drum schlag ich Frankfurt aus dem Sinn Und wende mich, Gott weiß, wohin... Etw. ist ganz in (nach) seinem Sinne: es entspricht seinen Anordnungen, seiner Denkart, die Handlungsweise verdient sein Wohlgefallen. Neuere Wndgn. sind: Das ist nicht der Sinn der Sache: das war damit nicht beabsichtigt, und Das ist nicht im Sinne des Erfinders: das ist nicht das Richtige, nicht ,der Zweck der Übung4. Weder Sinn noch Verstand haben: keine schlüssige Beweiskraft besitzen, den logischen Zusammenhang vermissen lassen, ohne sinnvolle Begründung und deshalb bedeutungslos sein. Vgl. ndl. ,slot noch zin hebben4; frz. ,n’avoir ni rime ni raison4 oder ,ni queue ni tête4; engl. ,to be without rhyme or reason4. Ähnl.: etw. ohne Sinn und Verstand tun: planlos beginnen, die Folgen des Handelns nicht vorher bedenken. Einen sechsten Sinn für etw. haben: eine Ahnung, einen sicheren Instinkt, eine fast übernatürlich erscheinende Fähigkeit besitzen, immer das Richtige vorauszusehen und sich in seinen Handlungen darauf einzustellen. Seit 1920 bez. man mit dem 6. Sinn auch den Unsinn, der über die normalen 5 Sinne hinausgeht, aber auch den Geschlechtstrieb. Auch sonst ist es rdal. üblich, den Geistesgestörten und Verschrobenen scherzhaft mit mehr als den üblichen Sinnen auszustatten. Mdal. heißt es z. B. 957
Sintflut ostpreuß. ,He heft sewe Sonne: fîf dwatsche on twê nich recht kloge* und schles. ,Er hat sieben Sinne, drei tolle und vier verrückte*. Meistens wird der Schwachsinnige durch das Fehlen einiger oder aller Sinne charakterisiert: wie von Sinnen sein, auch: nicht bei Sinnen sein: wahnsinnig, verstört, verrückt sein, eigentl. besinnungslos, ohne Bewußtsein sein. Scherzhaft heißt es von einem geistig Minderbemittelten: Er hat seine fünf Sinne alle drei(ygl. ndl. ,Hij heeft zijne vijf zinnen alle drie*) oder Er hat drei Sinne wie ein Bär. Von einem Zerstreuten dagegen sagt man: Ein Sinn ist ihm ansgeflogen, der andere sitzt noch auf dem Neste oder seine Sinne sind auf Reisen; er hat seine fünf Sinne nicht beieinander, vgl. lat. ,Communi sensu plane caret* (Horaz) und ndl. ,Zijne zinne zijn van huis* und ,Hij heeft zijne vijf zinnen niet bij elkander*. Die Wndg. Er hat seine Sinne in die Wäsche gegeben verzeichnet bereits Seb. Franck in seiner Sammlung (II, 69b): „Sie haben jre Sinn ausszuwaschen geben“. Dagegen: seine fünf Sinne Zusammenhalten (nehmen): seine Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe konzentrieren, seine Fassung bewahren, sich in der Gewalt haben. Etw. mit allen Sinnen auf nehmen: etw. genießen, vollständig zu erfassen suchen, von gespannter Aufmerksamkeit sein. Seinen Sinnen unterworfen sein: seiner Begierden und Triebe nicht mächtig sein. Sintflut. Nach mir (uns) die Sintflut: die Konsequenzen, die Folgen für die Zukunft sind mir (uns) gleichgültig; die Sorge um eine unheilvolle Entwicklung, um ein allg. befürchtetes Unglück drückt mich (uns) nicht, da ich dies doch nicht mehr erleben werde; nach uns geschehe, was da will. Die Rda. ist aus dem Frz. in unsere Sprache übernommen worden. Sie ist eine Übers, des Ausspruches „Apres nous le déluge!“, den Jeanne Antoinette Poisson, die Marquise von Pompadour, 1757 nach der Schlacht bei Roßbach getan haben soll, und zwar nicht frivol wie im heutigen Sinne, sondern vorahnend. Die Wndg. war bald darauf schon gebräuchl., denn bereits am 18. Aug. 1758 schreibt der Abbé de Mably in seinen ,Droits et devoirs du citoyen* (6. Brief) über das frz. Parlament: „L’ave- nir les inquiète peu: après eux le déluge** (Œuvres XI, Paris 1794/95, S. 445). Es handelt sich also nicht um ein Bibelzitat, sondern ein Bild der Bibel wird in der Rda. auf die Ggwt. übertr. Nach Hans Lamer (Wb. der Antike, Leipzig 1933, S. 37) ist die bisher vergeblich gesuchte Quelle des Ausdr. viel älter. In einem Epigramm des Straton (2. Jh. n. Chr.) findet sich bereits eine sinngemäß ähnl. Stelle. In seiner ,Anthologia Palatina* (XI, 19,6) heißt es: „Trinke und liebe! Nach meinem Tode soll Deukalion meine Knochen überspülen!“ Gemeint ist hierbei die griech. Vorstellung von der Sintflut, bei der Deukalion und sein Weib Pyrrha allein überlebten und aus Steinen neue Menschen schufen (Büchmann, 619). Da möchte doch eine zweite Sintflut kommen: es sollte am besten alles untergehen; es ist so übel, daß Gott Veranlassung genug hätte, in seinem Zorn zum zweiten Male alles zu vernichten. Ähnl. Verwünschungen sind: Da sollte doch gleich der Donner (Blitz) dreinschlagen, das Wetter dreinfahren. Die Rda. weist auf die verbreitete Vorstellung von der Möglichkeit einer Wiederholung der Sintflut. Tatsächlich fürchtete man im 16. Jh. eine katastrophale Weltüberflutung. Der angesehene Astrologe Johann Stöfler hatte diese im Jahre 1518 dem Kaiser Karl V. für den Febr. 1524 angekündigt, weil zu dieser Zeit eine Verbindung von Saturn, Jupiter und Mars im Zeichen der Venus eintreten werde. Viele suchten sich davor zu schützen, flüchteten auf Berge, bauten Schiffe und sammelten an hochgelegenen sicheren Orten Lebensmittel, in der höchsten Angst verloren sogar einige den Verstand oder nahmen sich selbst das Leben. Neuere Wndgn. sind: Das ist seit der Sintflut nicht geschehen: es ist schon sehr lange her, auch: es ist ein äußerst seltenes Ereignis, und: Das ist noch von (schon vor) der Sintflut her: es ist sehr altmodisch, es ist vorsintflutlich*. Lit.: IV. A. Oesch: Après nous le déluge (nach uns die Sintflut), in: Proverbium 16 (1971), S.575. Sisyphus. Eine wahre Sisyphusarbeit nennen wir noch heute wie Properz (,Sisyphios 958
Sitzen labores4, Lachm. Ill, 17,7) eine bes. schwere und qualvolle Arbeit, die zur Erfolglosigkeit verdammt scheint und deshalb niemals zu einem Abschluß gebracht werden kann. Auch in anderen europ. Sprachen wurde die Sisyphusarbeit zu einem festen Begriff, vgl. ndl. ,een Sisyphusarbeid4; frz. ,un travail de Sisyphe4 und engl. Sisyphean task (labour)4. Den Stein des Sisyphus wälzen: übermenschliche Anstrengungen machen, sich vergeblich abmühen, auch leeres Stroh dreschen. Beide Rdaa. beziehen sich auf die Hadesstrafe des Sisyphus, von der Homer in der ,Odyssee4 (XI, V. 593-600) berichtet. Sisyphus, des Äolus Sohn, war der König von Korinth. Er war verschlagen und schlecht und galt bei Homer für den gewinnsüchtigsten aller Menschen. Odysseus erzählt deshalb, daß er auch den Sisyphus in der Unterwelt sah. Zur Strafe für seine Schlechtigkeit mußte dieser mit Kopf und Händen ein Felsstück einen hohen Berg hinaufwälzen, von dem es aber immer wieder in die Tiefe rollte, so daß er wieder von vorn beginnen mußte. Unsere Rdaa., beide vergebliche Liebesmühe4 bezeichnend, hängen von der folgenden Textstelle ab: „Auxu; eneixa Tiéôovôe xuÀlvôexo Ààaç àvaiôf|ç“ (= Wieder rollte hinunter ins Tal der tük- kische Felsblock). Auch Seb. Brant erwähnt in seinem ,Narrenschiff4 (56,5Iff.) diese Erzählung: Er feilt, vnd blibt nit jn der höh Der steyn, den waltzt mit sarg vnd we Den berg vff, Sisyphus der tor. sitzen. Sitzenbleiben: als Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse aufgenommen werden, weil die Leistungen zu schwach sind. Das Zeugnis erhält den Vermerk: ,Wird nicht versetzt!4 Die Wndg. kann aber auch auf den Teig bezogen werden, der nicht durch die Hefe gegangen4 ist, und es wird enttäuscht festgestellt: Der Kuchen ist sitzengeblieben,. Meistens denkt man jedoch bei dieser Rda. an das Mädchen, das beim Tanz nicht aufgefordert wird oder das überhaupt keinen Freier findet, das eine alte Jungfer bleibt. Von einem hübschen oder reichen Mädchen, das nicht in diese Verlegenheit gerät, heißt es daher: Die wird nicht lange Sitzenbleiben: sie wird bald heiraten. Auf (mit) etw. Sitzenbleiben: eine Ware nicht verkaufen. Das sprachl. Bild bezieht sich auf die Marktfrauen, die neben ihrer Ware sitzen und auf ihre Kunden warten, die an den Nachbarständen Preis- und Gütevergleiche anstellen, bevor sie sich zum Kauf entschließen. Wer minderwertige Ware hat, findet keinen Absatz. Die Wndg. ist allg. kaufmannsprachl. geworden in der Bdtg. etw. nicht loswerden, es als Ladenhüter zurückbehalten. Ein Mädchen sitzenlassen: ein gegebenes Eheversprechen nicht einlösen, ein Mädchen im Stich lassen, untreu sein, aber auch in allg. Bdtg. nicht aus der Verlegenheit helfen. Die Wndg. ist bibl. Herkunft. Bei Sir. 22,4 steht: „Eine vernünftige Tochter kriegt wohl einen Mann, aber eine ungeratene Tochter läßt man sitzen, und sie bekümmert ihren Vater“ (Büchmann, S. 57). Etw. nicht auf sich sitzenlassen: einen Vorwurf, eine abträgliche Bemerkung, Falsches, Kränkendes und Ehrabschneidendes nicht unwidersprochen lassen, sich zu rechtfertigen und von einem Verdacht zu reinigen suchen. Vgl. frz. ,Je n’en aurai pas le dementi4. Jem. sitzen: sich porträtieren lassen, einem Maler als Modell dienen. Über etw. sitzen: ausdauernd und lange, angestrengt an etw. arbeiten, sich auf schwierige Aufgaben konzentrieren, sich einen Lern- oder Prüfungsstoff gut einprägen. Sitzen müssen, im Gefängnis sein, verkürzt aus:,gefangensitzen müssen4, oft noch weiter verkürzt zu einfachem ,sitzen4. Zu sitzen kriegen: mehrere Jahre Freiheitsentzug zu erwarten haben, nicht nur mit einer Geldstrafe davonkommen. Scherzhaft gebraucht man die mehrdeutige Wndg. Er sitzt auch, um zu sagen, daß er gerade an einer Sitzung teilnimmt oder, wieder doppeldeutig, ,eine Sitzung hat4, d.h. die Toilette benutzt. Etw. muß sitzen: man muß es sich fest ins Gedächtnis einprägen, es muß so intensiv gelernt werden, daß es zum unverlierbaren Besitz wird. Einem noch zwischen Fel! und Fleisch sitzen: noch nicht endgültig überwunden, 959
Sitzfleisch durchdacht, noch zu keinem festen Entschlüsse reif sein; zwischen den Stühlen sitzen /Stuhl. Weder sitzen noch liegen können: es vor Schmerzen und Ungeduld in keiner Lage lange aushalten, nicht wissen, wie man die Folgen einer Krankheit oder Schlägerei überstehen soll. Die Wndg. wird oft als Drohung gebraucht: Ich schlage dich, daß du drei Tage weder sitzen noch stehen kannst! /schlagen. Als Warnung ist die Feststellung zu verstehen: Da sitzt ein Habicht auf der Hecke!: Nehmt euch in acht, es ist ein Aufpasser da, es gibt unbefugte Zuhörer! Ja, da sitzt es und hat Mätzchen auf! Diese Wndg. wird gebraucht, wenn man etw. sucht, was man an einem bestimmten Ort glaubt gesehen zu haben, und es dann doch nicht finden kann. Dieser Ausruf bezieht sich auf die Volksüberlieferung von den Zwergen, die ein unsichtbar machendes Käppchen oder Mützchen besitzen (vgl. L.Bechstein, Dt. Sagenbuch, S.515; Grässe, Sagenschatz, S.377). Gutmütig spottend, rät man in Hamburg: ,Lät man sitten, ik wêt, wat darünner stikt!4, wenn jem. seinen Hut nicht ziehen will, oft mit dem Nebengedanken, ich weiß ja doch, daß es mit deiner Höflichkeit nicht weit her ist. Einen sitzen haben: betrunken sein. Die Rda. ist verkürzt aus: einen Affen sitzen haben /Affe; vgl. auch: den Schelm im Nak- ken sitzen haben /Nacken. Etw. sitzt gut (wie angegossen): ein Kleidungsstück paßt sehr gut, dagegen: Das sitzt wie ein Hopfensack: es ist plump, unkleidsam und paßt überhaupt nicht, ist nur wie eine Hülle, in die man etw. hineinstopfen kann, das Kleidungsstück hat weder einen guten Schnitt noch Schick. Die meist schadenfroh klingende Feststellung Das hat gesessen! kann sehr Verschiedenes meinen: der Schuß hat getroffen, die Ohrfeige hat gesessen, der Vorwurf, die kränkende, scharfe Bemerkung hat ihren Zweck nicht verfehlt. Entscheidend für die Charakterisierung der Eigenschaften und persönlichen Verhältnisse ist es, wo und wie jem. sitzt: z. B. im Glashaus sitzen: in exponierter, gefährlicher Stellung sein, in der man nichts riskieren sollte, /Glas; auf den Ohren sitzen: nichts hören (wollen), /Ohr; an der Quelle sitzen: sehr günstig, vorteilhaft, /Quelle; auf dem hohen Roß sitzen: eingebildet sein; fest im Sattel sitzen: gesichert sein, die Lage beherrschen, /Sattel; in der Tinte sitzen /Tinte; auf dem trockenen sitzen: in mißlicher Lage sein, kein Geld besitzen, dagegen: im trocknen sitzen: wohl geborgen sein, /trocken. Sehr anschaulich sind die folgenden rdal. Vergleiche. Vom Geizigen heißt es: Ersitzt auf dem Geld wie der Bock auf der Haferki- ste, vgl. ndl. ,er op zitten als de bok op de haverkist4. Verkürzt heißt es auch: auf dem Geld sitzen. Wie die Henne auf den Eiern sitzen: nur sehr ungern aufstehen, nichts hergeben wollen. Von jem., der seinen Besuch allzulange ausdehnt, den nichts zum Gehen bewegen kann, heißt es im Schwäb.: ,Er bleibt sitzen wie eine Häslaus (Kleiderlaus)4. Von einem, der im Überfluß lebt, der es sich gut sein läßt, sagt man: Er sitzt wie der Hase im Kraut, wie die Made im Speck /Speck; holst. ,He sitt as de Lüs in Schorf4 oder sauerländisch ,Hei sittet as de Mius oppet Kommissbräud4. Wenn einer eine schlechte Figur auf dem Pferd macht, eine lächerliche Reithaltung besitzt, spottet man mdal. ostfries. ,He sitt up’t Perd as de Esel up’n Plûmbôm4; westf. ,Er sitzt auf dem Pferde wie ein Frosch auf dem Kuhschiß4 oder ostpreuß. ,Er sitzt auf dem Pferd wie die Kneifzange auf der Sau4. Eine äußerst bedrängte, gefahrvolle Lage wird durch folgende Wndgn. verdeutlicht: wie auf glühenden Kohlen sitzen /Kohle; wie auf Nadeln sitzen /Nadel; wie die Laus zwischen zwei Daumen (Nägeln) sitzen, vgl. ndl. ,Hij zit gelijk eene luis tusschen twee nagelen4; wie auf dem Pulverfaß sitzen /Pulver; wie der Teufel im Weihwasser sitzen: sehr unbehaglich, vgl. ndl. ,Hij zit gelijk de duivel in een wijwatervat4. Lif.: F. Hempler: Psychologie des Volksglaubens (Königsberg 1930): P. Geiger: Eigentum und Magie, in: Volkskundliche Gaben. John Meier zum 70. Geburtstage dargebracht (Berlin u. Leipzig 1934), S.36-44; L. Schmidt: Bank und Stuhl und Thron, in: Antaios XII, 1 (1970), S.85-103. Sitzfleisch. Kein (rechtes) Sitzfleisch haben: nicht lange stillsitzen können, keine Ausdauer und Neigung zu sitzend ausgeübten 960
Socken Arbeiten haben. Die Rda. ist bereits 1691 durch Stieler in ,Der Teutschen Sprache Stammbaum4 (503) bezeugt und ist auch mdal. verbreitet, z. B. heißt es in Pommern: ,He hett kên Sitzflêsch4. Daneben besteht auch die Wndg. kein Sitzleder haben; in der Steiermark sagt man: ,Ea hod kuan Sitz- leda\ Die Rdaa. gutes Sitzfleisch (Sitzleder) haben und über (dauerhaftes) Sitzfleisch verfügen drücken das Gegenteil aus: fleißig und ausdauernd sein. Die Rdaa. werden meist auf Schüler, Studenten und Gelehrte angewendet. Joh. Christian Günther (1695 bis 1723) meint damit den Schriftsteller, wenn er dichtet: Wie tieff man hier und da des Mannes Schatten küsse, Der, weil ihm die Natur viel Sitzefleisch gemacht, Den Stuhl nicht frieren läßt vom Morgen in die Nacht, Mehr Bücher drückt als kennt. (,Gedichte', 1735, S.409) Die Wndg. Sitzfleisch haben gebraucht man heute aber auch, wenn Gäste nach einer Einladung nicht an den Aufbruch denken. Six. Meiner Six!, auch: Mein Six!: eine volkstümliche Beteuerungsformel, die neben ,Meiner Treu!4 und ,Meiner Seel!4 gebraucht wird. ,Meiner Six!4 gilt als scherzhafte Verstümmelung und verhüllende Entstellung des älteren ,Meiner Seel!4 und weist auf eine ähnl. Bildung wie ,verflixt4 neben ,verflucht4. Nachgewiesen ist die Formel seit 1729 bei Stoppe (,Gedichte4, Bd. II, S.87): ,,Ah wird mei Sixi! droa ge- dencka, wie Juncker Hannsa Kaspers Koch4. G. A. Bürger verwendet in seinem Gedicht ,Der Kaiser und der Abt4 den Ausruf ,Mein Sixchen!4 gleichwertig neben der Anrufung von Maria und Joseph. Da die Wndg. in diesem Zusammenhang eines Gesprächs mit dem Abt begegnet, ist dies ein Beweis, daß ,Mein Six!4 für ,Meiner Seel!4 eintreten konnte. Inder 16. Str. des Gedichtes heißt es: „Herr Abt44, sprach Hans Bendix, „was mögt Ihr Euch grämen? Ihr schwindet ja wahrlich dahin wie. ein Schemen. Maria und Joseph! Wie hotzelt Ihr ein! Mein Sixchen! Es muß Euch was angethan sein44. Später wurde die Wndg. zu ,Meiner Sechs(e)!4 verändert, weil der urspr. Sinn verlorengegangen war. Sie hat nichts mit dem ahd. ,sahs4 = Messer, Schwert zu tun, ebensowenig mit einem alten Rechtsbrauch. Skorpion. Einen mit Skorpionen züchtigen: ihn mit den strengsten Mitteln bestrafen, eine äußerst schmerzhafte Züchtigung durchführen. Die Rda. ist bibl. Urspr. In l.Kön. 12,11 läßt Salomos Sohn dem um Erleichterung flehenden Volk keine Hoffnungen: „Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt; ich will euch mit Skorpionen züchtigen44. Mit Skorpionen sind hierbei schmerzliche Wunden schlagende Geißeln gemeint, die aus Lederriemen bestanden und mit Stacheln versehen waren. Vgl. auch ndl. ,met schorpioenen geselen4 und engl. ,to chastice a person with scorpions4. Socken. Sich auf die Socken machen: sich davonmachen, schnell weglaufen; vgl. ,sich auf die Sprünge machen4 und ,die Beine in die Hand nehmen4. Diese Rda. ist bes. in Mitteldtl. verbreitet, allg. bekannter ist: ,sich auf die Strümpfe machen4 (/Strumpf). Bert Brecht verwendet die Rda. lit. in seiner ,Mutter Courage4. Mit Socke war urspr. ein niedriger, leichter Schuh gemeint, der im Lat. als ,soccus4 bez. wurde. Jäger- sprachl. heißt aber auch der unterste Teil der Hasenpfote Socke. Die Rda. könnte demnach auch auf einem Vergleich beruhen: so schnell flüchten wie ein Hase. Einem auf die Socken helfen und einen auf die Socken bringen: ihn das Laufen lehren, ihn wegjagen, auch: ihn mit vielen Aufträgen und Laufereien ,in Atem halten4. Vgl. ,jem. Beine machen4, /Bein. Die Feststellung Er ist mir auf den Socken heißt: er verfolgt mich, er hat mich fast eingeholt. Die Rda. ist wie das gleichbedeutende ,Er ist mir auf den Fersen4 bereits im 16.Jh. bezeugt. Aus der Soldatensprache des 2. Weltkrieges stammt die Wndg. mit qualmenden 961
Sod Socken laufen: angestrengt marschieren, davoneilen, eine humorvolle Steigerung von: sich warm laufen. Es kann aber auch gemeint sein, daß einer unruhig auf eine Nachricht wartet, daß ,ihm der Boden unter den Füßen brennt4. Auf Socken gehen (reiten): sehr vorsichtig zu Werke gehen, jem. aushorchen. Schon Luther gebraucht die Wndg. in seinen Tischreden4 (31a). Von den Socken sein: sehr verwundert sein, völlig außer Fassung geraten. Ähnl. heißt es im Obersächs. ,vor Schreck aus den Latschen kippen4. Vgl. auch ndl. ,van de sok- ken vallen4. ,Er ist mit den Socken geschossen4 sagt man in Braunschweig, um einen Dummen zu bezeichnen. Sod. In Sod kommen: in die Patsche, ins Unglück geraten. In dieser bes. in Bayern verbreiteten Rda. ist Sod, das zu ,sieden4 gehört und eigentl. Kochbrühe bedeutet, ins Negative übertr. worden. Die Hände im Sode haben und in allem Sode die Hände haben wollen: bei etw. (überall) beteiligt sein (wollen). Im 16. und 17. Jh. ist der Ausdr. sehr geläufig gewesen. Lutherverwendet ihn sehr häufig: „wo kumpt die frembd pflicht her, die der papst darüber fodert, und will auch ynn dem heymli- chen mittel die hand ym sode haben44 (VIII, 184, Weimarer Ausg.). 1745 heißt es in einer Übers, nach Fielding: „Wir würden gar bald ins Spital wandern, wenn ich euch die Hand im Sode ließe44. Dagegen bedeutet die Hände nicht im Sode haben: an einer schmutzigen Sache, an einem betrügerischen Handel nicht teilnehmen. In seinem Sode aufwachsen (dahinleben, liegen), auch: leben wie Hans im Sode: nach seiner angeborenen rohen Art, in Unbildung und Unsauberkeit, ganz nach seiner natürlichen Bequemlichkeit, seinen Gelüstenleben, waren im 18. Jh. beliebte Rdaa., die heute veraltet sind, aber auch lit. bezeugt sind. In einer Übers. Bodes (,Klinkers Reisen4 II, 171) heißt es z. B.: „So mögen sie meinethalben in ihrem eigenen Sode fortwaten44. Sohle, versohlen. Auf fremden Sohlen gehen: die Vorarbeiten, Verdienste von an¬ deren für sich nutzen, auch: fremde Sitten annehmen. Mit den Sohlen waren urspr. Schuhe in der Art von Sandalen gemeint, die aus einer Sohle bestanden und um den Fuß gebunden wurden. Da die Griechen ohne Schuhe zu Tische saßen, kam es vor, daß einer aus Eile oder Trunkenheit fremde Sohlen ergriff. Auf frischen Sohlen gehen: gut vorankommen, mit neuer Kraft etw. zu erreichen suchen. Sich die Sohlen schmieren: Vorbereitungen zur Abreise treffen, sich zum Sterben anschicken. Vgl. frz. .graisser ses bottes4. Ähnl. heißt Er geht auf den letzten Sohlen: er stirbt bald. Vgl. engl. ,He goes on his last legs4. Er hat schon manche Sohle ab- oder dnrchgefaufen: er ist schon weit herumgekommen, hat viel erlebt, ist schon alt. Es brennt ihm unter den Sohlen, auch: Die Sohlen brennen ihm: ,er steht wie auf Kohlen4, die Zeit drängt sehr, er brennt vor Ungeduld. Sich die Sohlen wundlaufen: sich sehr um etw. bemühen, viele Gänge unternehmen, ,sich die Schuhsohlen ablaufen4. Sich etw. an den Sohlen (Schuhsohlen) abgelaufen haben: etw. gründlich kennen. Sich an jem. Sohlen heften: ihm unermüdlich folgen, ihn verfolgen und nicht aus den Augen lassen. 962
Sonne In Niederoesterr. sagt man für barfuß gehen: ,Er geht auf deutscher Sohle4. Auf leisen Sohlen kommen: geschlichen, unbemerkt kommen, häufig in der Dichtersprache verwendet. Aus der Soldatensprache des 1. Weltkrieges stammt die Wndg. eine kesse Sohle aufs Parkett legen: schwungvoll tanzen. Jem. tüchtig versohlen: ihn schlagen, eine Umschreibung neben vielen anderen aus verschiedenen Berufen, wie z.B. ,einen verwichsen4. sollen. Es hat nicht sollen sein: das Glück (Wiedersehen) erscheint als unmöglich. Der Ausspruch enthält eine resignierende Feststellung und den Glauben, daß dem Menschen sein Schicksal vorbestimmt sei. Die Wndg. wird meist in dieser verkürzten Form gebraucht und bezieht sich auf Joseph Viktor v. Scheffels Versepos ,Der Trompeter von Säckingen, ein Sang vom Oberrhein4, wo es im 2. Stück heißt: Behüt dich Gott! es war’ zu schön gewesen. Behüt dich Gott! es hat nicht sollen sein! Sonne. Die Sonne scheint! ist bes. in Sachsen und Nordböhmen eine übliche Mahnung zur Vorsicht beim Reden, wenn Kinder anwesend sind, aber gleichzeitig auch ein Wink für die unberufenen Zuhörer, sich zu entfernen (/Schindel). Nicht wert sein, daß einen die Sonne bescheint: ein schlechter Kerl sein, der (nach Ansicht anderer) eigentl. nichts Angenehmes mehr erleben dürfte und dem deshalb selbst Licht und Wärme der Sonne fehlen sollten. Schon 1540 verwendet Jörg Wick- ram das Bild: ,,Du schandtlicher treuloser Verräter, welcher du nit wirdig bist, das dich die sonn anscheint44. Die Rda. ist auch im Ndd. bekannt: ,De es net wert, dat de Sonne of en scheint4. Oft wird dem Nichtsnutzigen auch der Mondschein mißgönnt, z.B. heißt es in Ostfriesland: ,Dî schal gîn sün of mân beschînen4. Nicht leiden können, daß die Sonne ins Wasser scheint: einem anderen nichts gönnen, ihm das Glück neiden, böse sein, weil ein anderer etw. genießt, so als ob die Sonne nur für ihn selbst bestimmt sei. Die ,Nicht leiden können, daß die Sonne ins Wasser scheint1 Rda. gilt auch zur Charakterisierung eines Mißmutigen und Schlechtgelaunten, z.B. sagt man in Holstein: ,He kann nich lieden, dat de Sünn in’t Water schient!4 Bei Bur- kard Waldis (I, 64, 21) heißt es: „Sie has- sens wie ein offner Feindt, das jm die sonn ins wasser scheint44. Vgl. auch ndl. ,niet kunnen zien (velen) dat de zon in het water schijnt4 und engl. ,to be like the dog in the manger4. Er sieht gern die Sonne ins Wasser scheinen: er kümmert sich um nichts, ist völlig gleichgültig; in der Barmer Gegend meint man mit der Wndg. ,He süht gern de Sonne en’t Water schiinen4 einen hinterlistigen, verschlagenen Menschen. Zur Charakterisierung eines ständig mißgelaunten Menschen, den seine Umgebung nie freudig erregt und voller Unternehmungslust erlebt, werden verschiedene Rdaa. verwendet: Er läßt das ganze Jahr keine Sonne von sich scheinen; in seiner Sonne ist allzeit Finsternis. Sehr treffend heißt es schon bei Seb. Franck (II, 34a): „Es hat jn nie kein Sonn beschienen44. Bes. die Mdaa. sind reich an solchen Wndgn., die die manchmal zu beobachtende schlechte Laune umschreiben, so sagt man z.B. in Aachen: ,Be dem schingk och net alle Dag de Sonne4, und in Schwaben: ,Er hat die Sonne heut noch nicht gesehen4. Der Müßiggänger genießt sein Nichtstun und vor allem den Sonnenschein. Von ihm sagt man am Rhein: ,Er lit en de Sonne en lätt sech de Speck wasse4, in Köln läßt sich der Faulpelz ,die Sonn en de Hals schinge4, und in Bonn heißt es von einem Faulen: ,em steht de Sonne zu huh4. Dem Langschläfer ist auch der Stand der Sonne keine Mah- 963
Sonne nung zum Aufstehen: Die Sonne scheint ihm ins Bett. Er läßt sich die Sonne in den Hals (Magen) scheinen: er hat nichts zu essen und versucht auf diese Weise, etw. Warmes in den Magen zu bekommen. Die Rda. ist mdal. weit verbreitet, z. B. gibt man in Köln den Rat: ,Laß der de Sonn’ in der Hals schinge, dann kriszte och jet Warms en der Mage‘, und in Schlesw.-Holstein: ,Legg di up’n Rück un laat di von de Sonne in’t Muul schienen, denn hesst wat Warms in’n Lief4. Es ist ihm die Sonne eher im Haus als (denn) das Brot:Qi ist sehr arm. Bereits Geiler von Kaisersberg verwendet in seinem ,Narrenschiff4 (52) diese Rda. und schreibt: „So du arm bist und auch vil Kinder hast, aber wenig Brot darzu, also daß dir die Sonne ehe im Hauss ist weder das Brot, ist fürwahr kein Freund da“. Humorvoll übertreibend schildern die Rdaa. einen bes. mageren Menschen: Die Sonne scheint bei ihm durch, oder schwäb. ,Er ist so mager, daß die Sonne durch ihn durch scheinen kann4. Am Rhein sagt man: ,Der es so darr, daß de Sonn der dorch scheinet4, oder auch: ,em scheint de Sonn dorch de Rebbe4. Jem. schlagen, daß die Sonne durch ihn scheint: ihn sehr schlagen. Die weitverbreitete Rda. wurde bereits in mhd. Zeit von Neidhart von Reuental (57,1) verwendet: „Er slahes daz diu sunne durch si schine“. Im Rheinl. erfährt dieser Ausdr. noch eine Verstärkung durch verschiedene Zusätze: ,Eich hauen dich, durch Sonne un Mond1 oder ,datste dorch Sonne on Mond feahrscht4 (Cochem) und ,dat de mens, de gängs dorch Sonn en Mond4 (Eupen). Um einen tölpelhaften oder einfältigen Menschen zu kennzeichnen, sagt man z. B. im Rheinl.: ,De kann jo noch net de Sonne vom Moen am helle Dag ongerschede4, und in Schlesw.-Holst.: ,He sit dorher as de Venus vor de Sünn4, also sehr schüchtern, unscheinbar und dumm. Wie Butter in der Sonne bestehen / Butter. Die Sonne viereckig sehen: im Gefängnis sitzen und die Sonne deshalb nur durch die Gitterfenster sehen können. In Schlesw.- Holst, heißt es weniger humorvoll: ,He is dor, wo keen Sünn un Maan hinschient4. Die Sonne für einen Dudelsack halten: be¬ trunken sein, dasselbe meint die Rda. Er sieht zwei Sonnen /trinken. Der Sonne die Augen ausbrennen wollen: bei hellem Tage Licht brennen, unsinnige Verschwendung treiben. Wider die Sonne reden:gegen etw., was klar und offensichtlich ist, Vorgehen, es wegleugnen wollen. Vgl. lat. ,Adversus solem ne loquatur4 (Pythagoras). Dasselbe meinen die Rdaa. die Sonne vom Himmel wegleugnen und der Sonne das Licht bestreiten, vgl. lat. ,Ex omnibus aliquid, in toto nihil4. Der Sonne Licht zuführen: etw. völlig Überflüssiges tun. Vgl. ndl. ,Hij wil de zon verlichten4. Ähnl.: der Sonne ein Licht anzünden; die Rda. wird dann gebraucht, wenn einer große Gelehrte belehren will, wenn etw. völlig Klares nochmals auseinandergesetzt wird, wenn durch Lobreden Berühmtes noch gefeiert werden soll. Vgl. lat. ,soli lumen inferre4. Gleiche Bdtg. hat die Wndg. die Sonne mit Fackeln (einer Laterne) erleuchten. Vgl. lat. ,solem adjuvare facibus4, ndl. ,Hij steekt der zon eene kaars aan4 und frz. ,montrer le soleil avec un flambeau\ Die Sonne aufhalten wollen: ttw. Unmögliches versuchen, in den unvermeidlichen Gang eines Geschehens eingreifen wollen. Diese Rda. ist bereits Seb. Franck bekannt (II, 133a): „Die sonnen auffhalten“. Von einem, der eine Bewegung aufhalten möchte oder der anderen nichts gönnt, heißt es auch: Er möchte der Sonne verbieten zu scheinen und Er möchte andern vor der Sonne stehen: er will ihnen also das Licht versperren, ihr Glück verhindern. Die Sonne an beten: einem huldigen, dessen Macht und Ansehen steigen, sich dem aufgehenden Gestirn zuwenden. Die Rda. bezieht sich auf die Gewohnheit vieler Orientalen, die aufgehende Sonne anzubeten. In übertr. Bdtg. wurde die Wndg. bereits in der Antike gebraucht, z. B. heißt es bei Plutarch im .Pompeius1 (14,3): „Tov r\X\ov àvaxéXXovxa TiÀeloveç f| ôuôpe- vov TCpooxuvoüoiv44 (= Es gibt mehr, die die aufgehende Sonne anbeten als die untergehende). Vgl. auch frz. .adorer le soleil levant1 und engl. ,to worship the rising sun\ Die Sonne im Gesicht haben: geblendet werden, in übertr. Bdtg.: Hindernisse zu 964
Sonne überwinden haben. Vgl. lat.,solem ab oculis habere4 und frz.,avoir le soleil aux yeux4. Häufig steht die Sonnerais Umschreibung für Glück, angenehme Verhältnisse und Leben: Sonne und Wind im Rücketi haben: günstige Voraussetzungen besitzen, nicht geblendet und vom Wind vorangetrieben werden, also: gut vorankommen. Vgl. lat. ,Sol et ventus a tergo sunt4 und frz. ,Le soleil et vent sont au dos4. Die Sonne hat ihm zu lang geschienen: das Glück war ihm zu lange hold, so daß es ihm nun wieder schlechter geht. Seine Sonne ist unter ge gangen.-das Glück ist vergangen, die Zukunft erscheint trübe. Vgl. ndl. ,Zijne zon heft ungesehenen4. Sonne und Mond sind ihm entgegen: er hat nur Unglück zu erwarten. Vgl. ndl. ,Zon en Maan is hem tegen\ Die Sonne geht in seinem Staat nicht auf: er besitzt nichts. Die Rda. entstand aus einer scherzhaften Umwandlung der Worte Philipps in Schillers ,Don Carlos* (1,6): „Die Sonne geht in meinem Staat nicht unter44. Die Sonne wirft lange Schatten: der Abend des Lebens naht. Vgl. ndl. ,De zon maakt lange schaduwen4. Es wird dich noch nach dieser Sonne frieren: du wirst dich noch nach den angenehmen Verhältnissen zurücksehnen. Die Rda. wird auch mdal. gebraucht, z. B. fränk. ,Di wird’s nu noach der Sunna friarV. Sie war bereits Hans Sachs bekannt: „Mich will gleich nach der Sonnen frieren“. Albrecht Dürer schrieb ebenfalls nach seiner Rückkehr aus Italien in übertr. Sinne: „O wie wird mich nach der Sunnen frieren, hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer“. Die Sonne scheinen lassen, wenn es Zeit ist: dem günstigsten Zeitpunkt nicht vorgreifen, den besten Moment abwarten und nichts übereilen. Vgl. auch ndd. ,de Sunne nich eher schinen lat’n als et Tid is‘. Seine Sonne scheinen lassen über Gerechte und Ungerechte /Schein. Die Sonne scheint noch über den Zaun: der Ausgang steht noch nicht fest, ,es ist noch nicht aller Tage Abend4. Vgl. schlesw.- holst. ,De Sünn schient noch öwer en’n Tuun4. Sonne im Herzen haben: allezeit fröhlich und vergnügt sein, das Leben von der besten Seite betrachten. Die Wndg. wurde durch ein Gedicht Caesar Flaischlens bekannt, das den Titel ,Hab4 Sonne im Herzen4 trägt und 1899 veröffentlicht wurde, oft iron, ergänzt: Hab Sonne im Herzen Und Zwiebel im Bauch, Dann kannst du gut scherzen Und Luft hast du auch. Geh mir aus der Sonne!: Geh mir aus dem Licht, versperre mir nicht die Aussicht, auch: Geh mir aus den Augen! Diese Aufforderung und die Wndg. ein Platz an der Sonne werden mit dem Gespräch in Zusammenhang gebracht, das Diogenes mit Alexander dem Großen in Korinth geführt haben soll, worin Diogenes, nach einem Wunsch befragt, Alexander bat, ihm aus der Sonne zu gehen. Der Ausdr. ,der (ein) Platz an der Sonne4, die Möglichkeit zu einem unbeschwerten Leben, wird heute in der Werbung gern verwendet. Die Sonne spielt auch in verschiedenen Niemalsformeln eine Rolle: eher würde die Sonn aus ihrer Bahn weichen, ehe das geschieht, oder wenn die Sonne still steht; wenn die Sonne in die Hölle scheint. Hierbei wirken wohl auch Vorstellungen vom Eintreten des Jüngsten Gerichtes ein, über dessen Zeitpunkt keine konkreten Angaben gemacht werden können und das deshalb auch zur volkstümlichen Umschreibung des ,Sankt Nimmerleinstages4 benutzt wird. ,Daz in der sunne vert4 galt in mhd. Zeit für das kleinste Stückchen, die geringste Kleinigkeit als rdal. Vergleich mit den Staubteilchen, die im schräg einfallenden Sonnenstrahl grell beleuchtet und dadurch erst sichtbar werden. Andere rdal. Vergleiche widersprechen sich sogar, so heißt es allg.: so redlich wie die Sonne sein, so rein wie die Sonne sein. Dagegen steht aber die Wndg. so falsch wie die Sonne sein, in Norddtl. sagt man z. B. auch mdal.: ,He is so falsch as de Sünn4. Wie die Sonne im Jänner sein: ohne Kraft sein. Die Rda. ist eine iron. Bez. für einen Menschen ohne Energie und Tatkraft. Die Verbindung von Sonne und Mond dient der Verdeutlichung eines großen Gegensatzes: Es ist wie Sonne und Mond gegeneinander. Vgl. lat.,Lumen lucernae obscuratur luce solis4. Die Sonne bringt es an den Tag: das Licht 965
Sonnenbruder macht sichtbar, was verborgen bleiben sollte, was im Schutze der Dunkelheit geschah. Diese Wndg. wird entweder voller Genugtuung als Feststellung gebraucht, wenn etw. bekannt wurde, oder sie soll die Gewißheit ausdrücken, daß auf die Dauer nichts zu verheimlichen ist. Bes. verbreitet wurde sie durch ein Gedicht Chamissos mit diesem Titel und Kehrreim, das 1827 in Gubitz’ Gesellschafter4 erschien. Chamissos Quelle war ein Märchen der Brüder Grimm (KHM.115) mit der Überschrift: ,Die klare Sonne bringt’s an den Tag4. Dem Sinne nach ist der Ausdr. jedoch viel älter. Bibelverse (Luk. 12,3 und Mark. 4,22) und verwandte antike Sentenzen gelten als Grundlage. Bereits 1215 schrieb Thomasin in seinem ,Welschen Gast4 (V.8261): Swaz man nahtes tuon mac, Daz meldet gar der liehte tac. Vil dicke man der naht schant An dem tage wol bevant. Ungefähr zur selben Zeit heißt es bei Freidank (2,8): Ez si übel oder guot, Swaz ieman in der vinster tuot, Od in dem herzen hât erdäht, Daz wirt doch gar ze liehte bräht. Lit.: J. Boite u. G. Polivka: Anmerkungen zu den KHM. der Brüder Grimm, Bd. II (Leipzig 1915), S. 531 ff., Singerl, S. 141 und II, S. 158; Büchmarm,S. 289, 739f.; M. Kuusi:Regen bei Sonnenschein, FFC. 171 (Helsinki 1957); R. Wolfram: Beiträge zur Diskussion über die Bdtg. von Sonne und Mond im Volksglauben, in: Mitteil. der anthropol. Ges. in Wien 95 (1965); L. Röhrich: Sonnen-Folklore, in: Le soleil (Lausanne 1973). Sonnenbruder. Ein Sonnenbruder sein: ein fauler Mensch sein, der bummelt, herumlungert und sich an den Straßenecken sonnt. Auch die Dienstmänner wurden bisweilen so genannt, weil sie ebenfalls unbeschäftigt an den Straßenecken zu stehen pflegten. Hans Sachs gebraucht einen ähnl. Ausdr. in seinem ,Spiele von den fünf elenden Wanderern4. Da einer von ihnen nichts anderes tut, als sich zu sonnen, wird er als ,Sunnenkremer‘ bez. Auch Matz in Heinrich Julius’ Drama ,Der Fleischhauer4 gehört zu diesen ,Brüdern4, da er von sich selbst sagt (1,1): ,,Des Tages über lag ich in der Sonnen44. Sonnenschein. Den Sonnenschein verbieten:etw. Sinnloses tun, den Gang der Natur aufhalten wollen, /Sonne. Er kann beim hellen Sonnenschein hinters Licht führen: jem. täuschen und betrügen können, obwohl es eigentl. unmöglich erscheint. Die Rda. enthält gegenüber der Wndg. ,einen hinters Licht führen4 eine große Steigerung, /Licht. In mdal. Wndgn. spielt der Sonnenschein ebenfalls eine Rolle. Im Rheinl. wird Armut und mangelnder Besitz damit umschrieben: ,He het twenteg Morgen Sonne- schin en verzig Morgen Moneschin4 oder ,De het sieve Morgen Sonneschien en et Vermüege4. Zu der bekannten Rda. Ginfälle wie ein altes Haus haben4 gibt es im Ndd. noch treffende Zusätze: ,Dat is’n ol Huus, dat bi Sünschien ümfallt4 oder ,He het Infäll as’n ool Hus, dat bi Sünschien ümfällt4, /Haus. Sonntagskind. Ein Sonntagskind sein: ein Glückskind sein, dem alles gelingt und dem selbst das Unglück zum Guten ausschlägt, weil ihm bei seiner Geburt überirdische Gaben zuteil wurden. Der am Sonntag Geborene galt schon bei Griechen und Römern als Glückskind. Die Römer nannten ihn „fortunae filius44 oder „albae gallinae filius44 = das Kind der weißen Henne, da weiße Tiere allg. als glückbringend verehrt wurden (vgl. auch frz. ,C’est le fils de la poule blanche4). Bei den Germanen hatte das .Donnerstagskind4 diese bevorzugte Stellung. Es stand unter dem bes. Schutz des Gottes Thor und besaß die Fähigkeit, Geister zu sehen, was vom späteren christl. Volksglauben in Dtl. zuerst übernommen wurde. Fischart schrieb davon 1574 in ,Aller Praktik Großmutter4 (126): „Ich bin ein Sonntagskind; ich sehe kein Gespenst, ohn die Magd im Unterhembd44. Weil die Sonne alles sieht und an den Tag bringt, schrieb man den am Sonntag Geborenen die Fähigkeit zu, alles sehen und sogar in die Zukunft blicken zu können. Mit der Einführung der Planetenwoche erhielt alles, was mit dem größten Gestirn zusammenhing, erhöhte Bdtg., bes. dann, als der Sonntag mit dem christl. ,Tag des Herrn4 verschmolz. Im Volksglauben wurden jedoch Einschränkungen nötig, denn nicht jeder, der am Sonntag geboren worden war, erwies 966
Span sich später als Glückskind. So gibt es z.B. im Siebenb.-Sachs, die resignierende Feststellung, die gleichzeitigem Trost sein soll: ,Et git gör wTnich Sangtichkäindjer4. Es kommt eben dabei auf einen bestimmten Tag im Jahr oder auf eine bestimmte Uhrzeit bei der Geburt an. Sagen und Märchen berichten häufig von Sonntagskindern: nur sie können mit dem Geisterreich in Verbindung treten, Erlösungen vollbringen, die Wunderblume finden und Schätze heben, ihre Träume gehen in Erfüllung, sie bringen auch anderen Menschen Glück und gelten selbst für talentvoll, gescheit, reich und schön. Hauff verwendet diese Vorstellungen lit. in seiner Erzählung ,Das kalte Herz4. Lit.: HdA. VIII, Sp. 114ff., Art. .Sonntagskind' v. Jungbauer; Atlas der dt. Vkde., Lieferung I: Karten über Wochentage als Glücks- u. Unglückstage, hg. v. H. Harmjanz u. E. Röhr (1937-39); R. Wolfram: Brauchtümlich bevorzugte Wochentage für die Abhaltung bäuerlicher Hochzeiten, in: Oesterr. Volkskundeatlas, 2. Lieferung (1965), Bl.32. Sorte. ,Von die Sorte jehn zwölwe uf’s Dutzend4 sagt der Berliner scherzhaft, um einen recht durchschnittlichen und in keiner Weise hervorragenden oder auffallenden Menschen zu kennzeichnen, vgl. auch den Ausdr. ,ein Dutzendmensch sein4. An der Sorte ist nichts zu verderben! Die Feststellung, bei der die Betonung auf ,der‘ liegt, umschreibt die mangelnde Qualität. Eine Sache ist so schlecht, daß sie nicht mehr verschlechtert werden kann. Eine sprachl. interessante Form der Steigerung begegnet in dieser Rda., die seit dem 19. Jh. ihren verächtlichen Nebensinn von einer Warenart auf die Menschenart übertr. hat. S. O. S. Das in der Funktelegrafie aus drei Punkten, drei Strichen und nochmals drei Punkten bestehende Zeichen wurde als internationales Notsignal der Schiffe vereinbart, weil es sich auffallend von den übrigen Zeichen im immer stärker werdenden Funkverkehr unterschied. Daß es nach dem Morsealphabet gerade ,S - O - S4 war, ergab sich rein zufällig. Die Buchstaben sind also keine Abkürzungen des engl. ,Save our souls!4 (= Rettet unsere Seelen), denn diese Worte sind eine sekundäre Textunterlegung. Im Dt. entstanden weitere scherzhafte Umdeutungen zu: So oder so! und Sauf oder stirb! oder Schlips, Oberhemd, Socken als Geschenklösung zu Weihnachten für den Mann. Ut.: W. Stammler: Seemanns Brauch und Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß, Bd. III (Berlin 1957), S. 1850. Span. Der Span ist wie das /Kerbholz die älteste Form eines urkundlichen Verzeichnisses, um Schulden und Leistlingen durch Einschneiden darauf einzutragen und zu verrechnen. Über Span fordern: übermäßige Bezahlung verlangen, entwickelt sich weiter, so daß über Span allg. den Begriff des Verstoßes gegen eine rechtmäßig geltende Abmachung, somit überhaupt des Unrechtes enthält: Etw. übern Span bezahlen müssen: höhere Forderungen begleichen müssen, als eigentl. berechnet und gerechtfertigt war. Das geht (doch) über den Span: das ist mehr, als berechtigt und zu ertragen ist. Vgl. auch obersächs. ,Das is mer übern Span4, das ist zu arg, ähnl.: ,Das geht über die /Hutschnur4. Von der Bdtg. Span = Kerbholz entwik- kelte sich der Sinn von Span = Vermögen. Späne haben heißt demnach: viel Geld haben, vgl. auch siebenb.-sächs.: ,E hôtSpên4. Jem. einen Span einhauen: ihn verleumden, ins Gerede bringen, anschwärzen, wohl auch im Sinne des unrechtmäßigen Einker- bens gemeint. Auch mdal. verbreitet, z.B. schles. ,A werd’m schunn an’n Spoan ei’hau’n4. Die veraltete Wndg. einen Span wider jem. haben: einen Anlaß zum Streit, Ärger, Groll haben, geht auf mhd. ,span4 = Spannung, Zerwürfnis, Streitigkeit zurück und hängt auch mit ,spanen4 = locken, reizen zusammen, von dem auch ,ab- und widerspenstig4 stammen. In Jörg Wickrams ,Rollwagenbüchlein4 aus dem 16. Jh. heißt es in diesem Sinne von einem Ratsherrn, der 15 Jahre verheiratet, aber kinderlos geblieben war, daß „deßhalben offt etwas spans bey inen sich erhob44. Diese Bdtg. hat sich auch in neueren Wndgn. erhalten: mit jem. einen Span haben: noch etw. mit ihm auszumachen haben, den alten Span begrabenden alten Groll, Streit vergessen, und den Span teilen: die Mißhelligkeiten aus- gleichen, bei einem Streit von jeder Seite etw. nachgeben, Kompromisse schließen. Damit hängt wohl auch der Ausdr. Späne 967
Spanier machen: Einwände, Schwierigkeiten (ei- gentl. Streit auf Grund anderer Ansichten) machen, zusammen, und nicht, wie Lehmann meint, mit mhd. ,span4 = Holzspan, der 1639 anführt (S.719, ,Schwätzen412): „Kan er nicht zimmern, so hawet er doch Späne, machts wie ein vngeschickter Zimmermann, der viel späne hawet“. Die Rda. Die Späne fliegen nur so ist mehrdeutig: die Arbeit geht tüchtig vorwärts; es gibt sehr viel Abfall, Wertloses wird ohne Rücksicht beseitigt, wobei an die Arbeit des Zimmermanns, Tischlers oder Bildhauers (,Holzschnitzer4) gedacht wurde. Zieh dir keinen Span ein: bilde dir nichts ein. Lit.: K. Gleissner: Das geht über die Hutschnur, in: PBB. 58 (Halle 1934), S.296f. Spanier /stolz. spanisch. Das kommt mir spanisch vor wird von einer Sache gesagt, die befremdend, unangenehm, wohl auch komisch wirkt. ,Das wird dir spanisch Vorkommen4, du wirst dich wundern. Als Karl V. (1519-56), ein Spanier seiner Abstammung und Erziehung nach, die dt. Kaiserkrone trug, fanden manche span. Sitten, Moden, Glaubenssatzungen, die den Deutschen bis dahin unerhört waren, in Dtl. Eingang. Damals wird die Rda. aufgekommen sein, bezeichnend für ein - wenn auch geringes - bewußtes Fühlen der eigenen Art gegenüber aufgedrängtem fremdem Brauch. Die Rda. ist auch in die Lit. und die Mdaa. eingedrungen: Bei Grimmelshausen heißt es im ,Simplicissimus4 (Bd.I, S. 167): ,,Bey diesem Herrn kam mir alles widerwertig und fast Spanisch vor“. Auch Abraham a Sancta Clara verwendete den Ausdr. öfter, z. B. im ,Judas4 (I, 78, 94, III, 144,173,363, IV, 364). Bei Celander (.Die verkehrte Welt4, 1713, S. 461) steht: „Dem Wirth kam solche Zeitung ganz spanisch vor“. Da geht es spanisch zu und Da sieht es spanisch aus: also seltsam, unverständlich, unordentlich. Vgl. auch ndl. ,Het gaat er Spaansch toe4 und ,Het ziet er Spanisch uit4. Wenn den Spaniern Eigenheiten ihres Volkes merkwürdig erscheinen, sagen sie spöttisch: ,Cosas de Espana4, oder daß ihnen etw. griech. vorkomme, wenn es fremdländisch ist oder unglaubwürdig. Die mehr drohende Rda. einem spanisch kommen erinnert an das Auftreten der Spanier in Westeuropa in der 2.H. des 16. Jh. Goethe gebraucht die Wndg. nur in Beziehung auf die span. Kleidung, wenn er Egmont zu Klärchen sagen läßt: „Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen44 (,Egmont4 III, 2). Bei unvollkommener Beherrschung der frz. Sprache heißt es in Frankr.: ,Vous parlez français comme une vache espagnole4 (urspr. ,un basque espagnol4, also auf baski- sche Fremdarbeiter bezogen). Ein Traumgebilde der Zukunft umschreiben die Franzosen mit: ,faire des châteaux en Espagne4; dies ist bei La Fontaine in der Fabel vom Milchmädchen lit. belegt (AaTh. 1430, vgl. Milchmädchenrechnung). Das sind spanische Dörfer /Dorf, vielleicht in Anlehnung an ,böhm. Dörfer4. Jem. span. Stiefel anziehen /Stiefel. Stolz wie ein Spanier /stolz. sparen. Sparen, wenn man am Boden ist: wenn es bereits zu spät ist, eigentl.: wenn alle Vorräte aufgebraucht sind, so daß der Boden des Gefäßes sichtbar wird. Vgl. lat. ,Post rem devoratam ratio'. Vom unnützen Sparen an der verkehrten Stelle berichten mehrere Rdaa.: Er spart am Zapfen und läßt es am Spundloch wieder heraus: er spart für den alten Mann, er nimmt einen Kreuzer ein und vertrinkt drei: sie sparen löffelweis und verzehren scheffel- weisy vgl. ndl. ,Zij sparen 't met lepels, en verteren ’t met schepels4. Er spart für die lachenden Erben heißt es von einem Geizigen und einem, der sich selbst nichts gönnt, ohne Dank dafür erwarten zu können. Vgl. ndl. ,Zij sparen voor neefjes en nichtjes4. Ähnl. Bdtg. hat der schwäb. Spruch: Spare, spare, Häusle baue, iron, parodiert zu: Spare, spare, Hund verkaufe, Selber belle. Der Rat Das kannst du dir sparen! besagt, daß jede Bemühung, jedes weitere Wort 968
Spatz vergebens sein wird, während die Feststellung Das hättest du dir sparen können meint, daß bei besserer Überlegung und klügerem Vorgehen Ärger, Anstrengung und Aufregung vermeidbar gewesen wären. Mir bleibt aber auch nichts erspart! ruft der vom Schicksal Verfolgte verzweifelt aus, wenn neue Schwierigkeiten auftauchen und er die Wahrheit des Sprw. ,Ein Unglück kommt selten allein' bei sich selbst erleben muß. Sparren. Einen Sparren (im Kopf) haben: verschroben, nicht ganz normal sein, im ,Oberstübchen' nicht ganz richtig sein. Diese Rda. gehört zu den vielen umschreibenden Wndgn. für die als tabu geltende Geisteskrankheit und bezieht sich in ihrem Vergleich auf das in Unordnung geratene oder schadhaft gewordene Sparrenwerk (Gebälk) des Dachstuhls, da auch sonst vielfach ,Dach‘ und ,Kopf4 in Rdaa. gleichgesetzt werden (/Dach). Die Rdaa. einen Sparren zuviel haben und einen Sparren zuwenig haben, auch: die Sparren nicht alle haben stehen wahr- scheinl. im Zusammenhang mit der längeren, aber veralteten Wndg. einen Sparr(e)n zuviel oder zuwenig haben, die bereits Hans Sachs kennt: „Ich mein, der docktor hab eins sparrn im köpf zu wenig oder zu vil“. Auch Grimmelshausen gebraucht in seinem ,Simplicissimus4 (Buchl, Kap. 27) diese Rda.: „als wenn er einen Sparren zu viel oder zu wenig gehabt hätte“. Noch 1776 heißt es bei Hermes in ,Sophiens Reise von Memel nach Sachsen4 (Bd.6, S.431): „Sie haben einen Sparren zu viel oder zu wenig.“ Sparren nach Norwegen führen: eine unnütze Arbeit verrichten, da Norwegen ja als Holzlieferant bekannt war. Vgl. ,Eulen nach Athen tragen4 (/Eule). Spaß. Jem. den Spaß versalzen (verderben): jem. sein Vorhaben vereiteln, seinen Gewinn zunichte machen. Die Rda. ist bereits im 17. Jh. in Grimmelshausens Simplicissimus4 lit. bezeugt. Ähnl.: Der Spaß hat ein Ende: das Spiel ist aus. Vgl. frz. ,tirer le rideau4. Das plötzliche Umschlagen von überschäumender Freude in Ernst, in eine unangenehme Wirklichkeit wird durch mehrere Rdaa. umschrieben: aus Spaß Ernst machen, vgl. lat. ,Res in seria versa est4; da hört der Spaß auf!: das geht zu weit, führt zur ernsthaften Beleidigung; das ist kein Spaß! gilt als Mahnung an einen Leichtfertigen, die Sache, die Worte nicht nur als Scherz aufzufassen, ähnl. bei der Wndg. Spaß beiseite/, die im Obersächs. durch den scherzhaften Zusatz ,Ernst, komm du her!4 wieder etw. abgemildert wird. Vgl. ndl. ,allegekheid op een stokje!4, gemeint ist der Narrenstock; frz. ,raillerie (badinage) à part4 und engl. ,(all) joking apart4. Spaß muß sein bei der Leiche /Leiche. Das warein dummer (teurer) Spaß!:die Sache ist übel ausgegangen (es war sehr kost- spielig). Jem. versteht keinen Spaß: er ist humorlos, faßt harmlose Scherze falsch auf. Vgl. frz. ,11 n’entend point raillerie4. Bei etw. (in einer Sache) keinen Spaß verstehen: nur in einer bestimmten Angelegenheit empfindlich reagieren, auch: seinen festen Willen ernsthaft durchsetzen. Mit solchen Späßen komm mir nicht mehr! gilt als Ablehnung eines unvernünftigen Ansinnens. Mit etw. ist nicht zu spaßen: es sind ernste Gefahren vorhanden. Die Rda. wird heute häufig als Warnung bei gewissen Krankheitssymptomen verwendet. Vgl. auch lat. ,Per ignem incedis4. Ein Spaßvogel sein: ein lustiger Mensch voller witziger Einfälle sein, der eine ganze Gesellschaft zum Lachen bringen kann. Spatz. Die Spatzen pfeifen es auf (von) den Dächern:das Geheimnis ist stadtkundig, es ist bereits in aller Munde (/Dach). Vgl. auch frz. ,C’est le secret de la comédie4. Küpper hält die Rda. für eine Weiterbildung von Prediger Salomo 10,20, wo zur Vorsicht gemahnt wird: „Fluche dem König nicht in deinem Herzen, und fluche dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer; denn die Vögel des Himmels führen die Stimme fort, und die Fittiche haben, sa- gen’s weiter“. Die Rda. ist aber erst im 19. Jh. belegt. Der Spatz will die Nachtigall singen lehren wird gesagt, wenn Unerfahrene oder Un¬ 969
Speck wissende ihnen geistig Überlegene belehren wollen. Vgl. lat. ,Pica cum luscinia certat1 oder ,Sus cum Minerva certamen suscipit4. Aus einem Spatz eine Nachtigall machen: einem zu unverdientem Ansehen verhelfen. Vgl. ndl. ,Eene musch tot een’ nachte- gaal verheffen4. Auf Spatzen mit Kanonen schießen: bei einem geringen Übel unangemessen starke Gegenmittel anwenden. Die Rda. soll auf einen Ausspruch des Grafen Andrassy von 1871 zurückgehen. In einem Gespräch mit Bismarck über die Jesuiten soll er gesagt haben, daß er sie nicht für so gefährlich hielte und es nicht liebe, „mit Kanonen auf Spatzen zu schießen44. Du hast wohl Spatzen unterm Hut? wird der gefragt, der bei einer Begrüßung den Hut nicht abnimmt. Scherzhaft wird dabei unterstellt, daß ihm sonst die Spatzen wegfliegen könnten (/Hut). Einen Spatz(en) ge- frühstiickt haben: verrückt, schlechter Laune sein. Spatzen im Kopf haben: törichte Gedanken hegen. Einem die Spatzen ausnehmen: ihm die Flausen vertreiben, seinen Dünkel verjagen. Ich bin kein heuriger Spatz! sagt man in Wien, um anzudeuten, daß man genügend Erfahrung besitze. Auch in rdal. Vergleichen spielt der Spatz eine Rolle: ein frecher (süßer) Spatz sein, wie ein Spatz essen, sehr wenig zu sich nehmen, auch: ein Spatzengehirn besitzen: ein kleines Gehirn besitzen, sehr wenig Verstand, ein schlechtes Gedächtnis haben. Sprw. heißt es: ,Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach4, d.h. besser einen kleinen, aber sicheren Gewinn ,Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach1 als große Hoffnungen, die sich nicht erfüllen. Ähnl. im Ndl.: ,Beter een vogel in de hant als thien in de Ioght4. Speck. Er sitzt im Speck: er hat reichlich zu essen, es geht ihm sehr gut; ähnl.: wie die Made im Speck leben: im Überfluß schwelgen können, /Made. (Keinen) Speck in der Tasche haben: (kein) Geld haben. Vgl. auch das Sprw. ,Wer Speck in der Tasche hat, der hat das Recht4. Das ist der rechte Speck!: Das ist der rechte Mann, der das fertigbringt. Die Rda. wird meist iron, gebraucht wie der Ausruf: ,Du bist mir gerade der Rechte!4 Das ist kein Speck für sein Maul (seinen Schnabel): das schmeckt ihm nicht, damit kann man ihn nicht reizen, auch: das gefällt (paßt) ihm nicht. Vgl. ndd. ,Dat ies kên Speck vor min Bek4 und ndl. ,Dat is geen spek voor zijnen bek4. Das gibt keinen andern Speck: ein anderer Nutzen ist nicht aus der Sache zu ziehen. Schon bei Murner (,Vom großen lutherischen Narren4, heißt es: „Die beschornen buben sieden soit in braunen ruben, dan sie sein feisst vnd darzu queck, so geben sie sunst kein andern speck44. Ähnl. Bdtg. hat die Feststellung Das gibt keinen Speck in die Wurst (Erbsen): das gibt keinen Nutzen, keine Verbesserung. Speck wird gern sprw. und rdal. mit anderen Speisen in Verbindung gebracht, vor allem in den mdal. Wndgn.: schwäb. ,Do goht der Speck auf d’ Würst4, der Speck ist teurer als die ganze Wurst, übertr.: die Ausgaben und Anstrengungen sind größer, als die ganze Sache wert ist; bair. ,Der is mT grad e Speck aufs Kraut4, mit dem werde ich sehr leicht fertig; eis. ,Dis is’m Speck in d' Erbse4, ,das ist Wasser auf seine Mühle4 (/Wasser); pomm. ,He lat sik nich dat Speck utn Kol teen4, er läßt sich seinen Vorteil nicht nehmen, er paßt auf und weiß sein Recht zu wahren. Um 1700 hieß es bereits im Altmeißnischen: ,Das reimt sich wie Speck zur Mährde4, das paßt bes. schlecht zusammen, denn ,Mährde4 hieß eine Kaltschale von verdünntem Sirup und Rosinen. Sie sind dabei als Speck und Apfel (Bohnensie gehören nicht zu den Hauptbeteiligten, sie sind entbehrliche Mitläufer, sind 970
Speck Überzählige (vgl. ,der Dreizehnte im Dutzend sein4), eigentl.: sie sind nur wie eine Zutat beim Hauptgericht, die fehlen kann. Für Speck und Bohnen mitmachen: für gering geachtet werden, keinen Lohn verdienen und eine Art ,Gnadenbrot4 erhalten. Vgl. ndl. ,voor spek en bonen meedoen4. Das ist Speck in Butter gebraten: es ist entweder sinnlose Verschwendung oder etw. Zweckloses, das zum zweiten Male geschieht. Ähnl.: den Speck spicken: des Guten zuviel tun. Den Speck in der Hundehütte (im Hundestall) suchen: sich an die verkehrte Stelle wenden, sich vergeblich bemühen. Jckié/ mei JjpeA ,Mit Speck schießen4 Mit Speck schießen: mit Lug und Trug Vorgehen. Früher soll tatsächlich mit Speck geschossen worden sein. Die verheerende Folge war z. B. die Verursachung eines Brandes auf einem feindlichen Schiffe. Die Bdtg. entwickelte sich vom Schießen mit scharfen Geschützen zu bluffen, aufschneiden und lügen. Vgl. hess. ,Er scheust mit Speck4, er ist ein Lügner, und ndl. ,Hij schiet met spek4 oder ,een spekkoegel op’t geweer hebben4. Mit der Wurst nach der Speckseite werfen /Wurst. Sich den Speck (gut) einsalzen: sich gegenseitig tüchtig verprügeln. Bereits Fischart (,Geschichtklitterung4, in Kloster VIII, 132) gebraucht diese Rda.: „Darumb gebe es auch nachmals so fein Kiefferwerck, dass sie einander den Speck dapffer einsaltzen44. Das ist Speck auf die Falle: es ist ein Lockmittel, ein gefährlicher, hinterlistiger Anschlag. Auch Murner meinte die Lockspeise, als er in seiner ,Schelmenzunft‘ (27) schrieb: „ein specklein auf die fallen legen44. Vgl. auch das Sprw. ,Mit Speck fängt man Mäuse4. Der ist mit keinem Stückchen Speck zu fangen: ex ist nicht zu überlisten, die gewöhnlichen Mittel durchschaut er. Jem. geht ran an den Speck: er packt eine Aufgabe energisch an. Diese Rda. steht wie die Aufforderung Ran an den Speck!: Mutig drauflos! in Zusammenhang mit dem Speck in der Mausefalle, vor dem die Maus oft ängstlich zögert. Die urspr. Bdtg. der Gefahr ist in diesen Wndgn. heute jedoch weitgehend verlorengegangen. Den Speck riechen /Braten. Einem Speck (eine Speckschwarte) durchs Maul ziehen: ihm schmeicheln, ihm Erfreuliches vorspiegeln, um ihm einen Anreizzu geben, als Rda. bes. in Sachsen häufig. Die Standhaftigkeit gegen alle Verlok- kungen versichert die ostpreuß. Wndg. ,Se könne mi Speck op'n Nase binde!4, d.h. ich tue es trotzdem nicht. Sich den Speck wachsen lassen: faul sein, ein gemächliches Wohlleben führen, eine bes. in Oberoesterr. häufige Rda. Allg. verbreitet ist die jüngere Wndg. Speck ansetzen: dick werden. Oft wird unerklärliche körperliche Zunahme scherzhaft als Kummerspeck4 bez. Die Reimformel Speck und Dreckbez. entweder geringschätzig den armseligen Besitz eines Menschen (vgl. auch ,Habchen und Babchen4) oder dient zur Verstärkung von /Dreck. Die wien. Rda. ,vor einem (etw.) Speck haben4, Angst haben, ist als Verkürzung aus ,Respekt haben4 entstanden. Auch in scherzhaften Vergleichen spielt der Speck eine Rolle. So heißt es z.B. von einem Kind, wenn es einen Ausschlag am Mund hat, daß es Speckgriefen genascht habe. Strahlt jem. über das ganze Gesicht, dann 971
Speer glänzt es wie eine Speckschwarte, vor allem auch dann gesagt, wenn es mit einer Salbe eingerieben worden ist. ,Ich habe wol Speck in der Tasche?4 fragt der Berliner, wenn einer ständig in seiner Nähe bleibt, als würde er von etw. angelockt. Speer /Spitze. Speichel. Ein Zeichen der Erniedrigung, der Demütigung und des Schmeichelns ist das Speichellecken: Der, auf den es zutrifft, ist der Speichellecker1. So schreibt der barocke Kirchenlieddichter Joh. Rist: „Dein Mund wird lauter Gail / und Höllenwer- muth schmecken, / des Feindes Speichel lecken“. Emst Christoph Steinbach bucht 1734 in seinem Dt. Wb.: „anderer Leute Speichel lecken, aliorum salivam lingere“. Ähnl. Bdtg. hat die Wndg. ,Staub lecken4, die sich bei Luther häufig findet (Ps. 72,9; Jes. 49,23: „deiner Füße Staub lecken“; Mich. 7.17). Sie geht aus von der Geste des Auf-die-Erde-Niederfallens als besonderer Demutsbezeigung vor einem Herrn. Bei Jeremias Gotthelf findet sich in ,Uli der Pächter4 „Füße lecken“ für schmeicheln (vgl. Jes. 49,23). Er muß Speichel schlingen: er muß hungern, bes. in Thür, bekannte Rda. Spendierhosen. Die Spendierhosen anha- ben:\n Geberlaune sein, für andere mitbezahlen. Abraham a Sancta Clara verwendet ,Spendir-Hosen4 bereits in seinem Barren-Nest4 (11,37). Der Ausdr. ist wahr- scheinl. durch die Studentensprache bekanntgeworden und bereits im 17.Jh. in allen dt. Landschaften zu finden; im Nordd. steht dafür auch ,Spendeer-Büxen\ z.B. schles. ,Hoite hoat a de Spendirhosen oan\ dagegen ,de Spandêrbüxe anhebbV in der Altmark. Die Rda. beruht auf der scherzhaften Vorstellung, als wäre die Freigebigkeit nicht Sache des Charakters, sondern läge an den bes. Hosen und deren Schneider. Das Gegenteil besagt die Wndg. nicht die Spendierhosen anhaben: nichts ausgeben wollen, die auch mdal. verbreitet ist, z.B. siebenb.-sächs. ,E hôt net de Spändirhue- sen an4. Sperenzien. Sperenzien (Sperenzchen) machen: Umstände, Schwierigkeiten, leere Ausflüchte machen, auch: sich zieren, sich sträuben. Die in vielen Mdaa. verbreitete Wndg. wird heute als scherzhafte Weiterbildung von ,sich sperren4 empfunden; obersächs. ist z.B. ,Sperrenzien machen4 belegt. Wie die älteren Nebenformen ,Spe- ranzen4 und ,Sparanzen4 aber bezeugen, geht der Ausdr. auf ital. ,speranza4 und mlat. ,sperantia4 = Hoffnung zurück; vgl. Johann Gottwerth Müllers Roman Siegfried von Lindenberg4 von 1779 (Bd.I, S.71): „Das kömmt von den Speranzen, sieht er! fiel ihm der Edelmann ins Wort“. ,Er ist ein Sperenzchenmacher4 heißt es in Ostpr. für einen, der gar zu viele Bedenken hat und Schwierigkeiten bereitet. In der Oberlausitz bedeutet,Sperrenzein machen4 dumme Streiche ausführen. Es ist dem bair. ,Speranzel‘ gleich, das Lieblingskind, aber auch Schelm und Narr meinen kann. So heißt dort: ,oan zu sein’m Speranzl machen4, ihn betrügen oder foppen. Speyer /Ulrich. Spiegel. Der Ausdr. Spiegel wurde früher häufig in einem übertr. Sinne gebraucht, indem man Werke pädagogischer oder moralischer Tendenz als Spiegel menschlichen Verhaltens bezeichnete. Diese Werke gaben meist Beisp. zu einer bestimmten ständischen oder religiösen Lebensführung, wie es z.B. noch der Begriff des Bürstenspiegels4 ausdrückt oder auch heute noch in dem Wort ,Beichtspiegel4 enthalten ist. Auch als Titel von Rechtsbüchern wurde das Wort Spiegel gebraucht, z. B. im Sachsenspiegel4 oder dem ,Schwabenspiegel4, die das geltende Recht und damit die Norm des Zusammenlebens angaben. Jem. den Spiegel Vorhalten: ihm zeigen, daß er auch mit menschlichen Fehlern behaftet ist. In diesem Sinne verwendet schon Seb. Brant in der Vorrede zu seinem Barrenschiff4 (V.31-37) die Rda.: Dem narren Spiegel ich diß nenn, In dem ein yeder narr sich kenn: Wer yeder sey, wurt er bericht, Wer recht in narrenspiegel sicht, Wer sich recht spiegelt, der lert wol, Das er nit wis sich achten soi, nit uf sich haltten, das nit ist. 972
Spiel Sich etw. hinter den Spiegel stecken (das kann er sich hinter den Spiegel stecken) stammt von der Gewohnheit her, daß man Glückwunschkarten, angenehme Briefe u.ä. mit einem Ende hinter den Spiegel steckte, um sie so ständig vor Augen zu haben. So heißt es in Gottlieb Wilhelm Rabe- ners Schriften (1777, Bd.2, S.81): „Ich lasse mir alle Morgen, wenn ich mir die Haare zurichte, ein Stück von Ihren Schriften vorlesen, welche ordentlich hinter dem Spiegel liegen“; dagegen bei A. F. E. Langbein (Sämtliche Schriften, 1835-37, Bd.29, S.39): „Ich will ihm ein Blättchen senden, das er gewiß nicht an den Vorhang heften soll“. Auch: „Das wird er nicht jeden Vorbeigehenden lesen lassen“. Die Rda., die heute meist negativ (,Den Brief wird er sich nicht hinter den Spiegel stek- ken4) gebraucht wird, kann sowohl in positivem wie in negativem Falle ausdrücken, daß man jem. eine unangenehme Wahrheit sagt bzw. ihm seine Meinung über ihn zu verstehen gibt. Spiegelfechten (Spiegelfechterei) wird schon früh in bildl. Sinne für leeres Getue, Heuchelei, Betrug gebraucht. So heißt es im 16. Jh. in Thomas Murners ,Narrenbeschwörung1 (70,66): Valsch und bschiß in allen landt Die geistlichkeit getrieben handt Und mâchent nun ein Spiegel fechten. Urspr. ist ,Spiegelfechten4 ein Scheingefecht, eine Fechtübung vor dem Spiegel, wobei der Fechter die Genauigkeit und Gewandtheit seiner Bewegungen selbst im Spiegel prüfen konnte. Diese Übung ist kein ernster Kampf; darum hat man nach ihr dann leichtes Kriegsgeplänkel, das nicht ernstlich gemeint zu sein schien, dann auch Scheinangriffe, schließlich das Erwecken eines falschen Scheins als Spiegelfechterei bez. Der Weg dieser Entwicklung war schon im 16. Jh. betreten. So sagt Oldecop (9): „Und juwe spiegelfechten vor der gemeine, ift gi nicht wetten, we den geloven betalen schall und mot, is undüchtig“. Als Vorspiegelung eines wirklichen Kampfes, aber doch wohl in übertr. Bdtg. steht der Ausdr. bei Grimmelshausen (,Simplicissimus1 111,10): „Mein Bürschlein, es seyn keine Kinder darin (in der Festung), sie werden diesem Spiegelfechten nicht glauben“. Hier soll ein wirklicher Kampf vorgespiegelt werden, denn Simplex will durch Doppelhaken, Fässer und andere Geräte die Feinde glauben machen, daß die Belagerer grobes Geschütz besäßen. Eis. ,in de Spegel lögn*: auf dem Grundbuchamt Erkundigungen nach jem. Vermögen einziehen. Spiel. Alles (etw.) aufs Spiel setzen: einen hohen Einsatz wagen, leichtsinnig sein, etw. riskieren. In bildl. Übertr. sagt man z. B., daß jem. ,sein Leben aufs Spiel setzen4 will oder muß. Vgl. lat. ,omnem iacere aleam4 und frz. Jouer à tout perdre4. Die Rda. stammt vom Karten- und Würfelspiel, man sagt auch statt dessen ,in die /Schanze schlagen4, eigentl. alles auf einen Wurf setzen, auch: .alles auf eine /Karte setzen4. Jakob Michael Reinhold Lenz gebraucht die Wndg. lit., indem er Spiel und Karte nebeneinanderstellt. In den ,Soldaten4 (111,10) schreibt er: „Einem so unglücklichen Hazardspiel zu Gefallen Ihr ganzes Glück, Ihre ganze Ehre, Ihr Leben selber auf die Karte zu setzen“. Auf dem Spiele stehen, auch: im Spiele sein: gefährdet, ein großes Wagnis sein, einen ungewissen Ausgang nehmen können. Bismarck gebraucht die Wndg., um festzustellen, daß sich das Risiko gelohnt habe (,Reden4 3,19); „Die glänzenden Erfolge der Armee haben nur unsern auf dem Spiel stehenden Einsatz gewissermaßen erhöht“. Ähnl.: ein gefährliches (gewagtes) Spiel spielen: unerlaubte Mittel anwenden, sich selbst gefährden. Schiller gebraucht die Wndg. lit. In seinem Drama ,Maria Stuart4 (4,6) läßt er Leicester sagen: „Ich habe ein gewagtes Spiel gespielt“. Vgl. auch ndl. ,Hij speelt een gewaagd spei4. Das Spiel zu weit treiben: den Einsatz immer mehr steigern, die Grenzen des Vernünftigen, Zulässigen überschreiten. Das Spiel gewonnen geben: eine Sache vorzeitig aufgeben, weil sie aussichtslos scheint. Diese Wndg. ist in ähnl. Form und in ironischem Sinne bereits bei Thomas Murner bezeugt, der in seiner Schrift ,Vom großen lutherischen Narren4 die Niederlage umschreibt: „So hon wir dan das spil ge- wunnen, wie suer milch, die da ist zerrun- nen“. Vgl. auch ndl. ,het spei gewonnen ge- 973
Spiel ven*. .Wir sagen heute dafür: Das Spiel verloren geben: resignieren, am Erfolg zweifeln, sich an etw. Aussichtslosem nicht weiter beteiligen, aufgeben, auch: sich selbst der Polizei stellen, wenn eine Flucht unmöglich scheint. Vgl. auch ndl. ,het spei verloren geven*. Ähnl. meint die Feststellung Das Spiel ist ans, daß es keinen Sinn mehr hat weiterzumachen, daß die Hintergründe aufgedeckt worden sind und ein schlimmes Ende gekommen ist. Die Wndg. ist bereits lat. bei Ovid bezeugt: ,Lusus habet finem*. Vgl. auch frz. ,11 faut tirer le rideau*. Ein deutlicher Bezug zum Kartenspiel zeigt sich auch in den folgenden Wndgn.: Das Spiel in Händen haben: seiner Sache gewiß sein, eigentl. so gute Karten haben, daß am Gewinn des Spieles nicht mehr zu zweifeln ist; ein doppeltes (falsches) Spiel spielen: unehrlich handeln, beide Seiten zu täuschen suchen; jem. Spiel durchschauen: seine bösen Pläne und Absichten erkennen; ein verdecktes Spiel spielen: täuschen und betrügen wollen; dagegen: ein offenes Spiel spielen: offen und ehrlich handeln, vgl. ,seine Karten aufdecken*, /Karte; ein abgekartetes Spielsein: eine vorher besprochene und bereits entschiedene Sache sein. Dazu gehört auch die Feststellung: Das Spiel hat sich gewendet: tint Sache hat sich zum Schlechten verändert, vgl. ,Das Blatt hat sich gewendet*, /Blatt. Einige Rdaa. beruhen auf einem Vergleich mit dem musizierenden Spiel. In diesem Sinn steht 1649 in der Sammlung bei Ger- lingius unter Nr. 156: „Ne vites Musicam. Verderbe uns nicht die Musicam oder das Spiel“. In übertr. Bdtg. meint heute die Wndg. jem. das Spiel verderben: sein Vorhaben vereiteln. Auch die Rdaa. seine Hand im Spiele haben: mitbeteiligt sein; sich ins Spiel mengen: sich einmischen; mit im Spiele sein: Einfluß besitzen; überall im Spiel sein (wie Pilatus im Credo): alles mitentscheiden können, gehören in diesen Zusammenhang. Einen aus dem Spiele lassen: ihn in Ruhe lassen, nicht erwähnen oder ihn nicht in eine unangenehme Angelegenheit mit hineinziehen; aus dem Spiele bleiben: ausgeschaltet, unbeteiligt bleiben. Jem. (etw.) mit ins Spiel bringen: ihn (etw.) zur Wirkung kommen lassen, seinen Einfluß geltend machen, aber auch: ihn mit in eine schlimme (gefährliche) Sache verwik- keln. Gute Miene zum bösen Spiel machen: seinen Ärger nicht zeigen, so tun, als sei nichts gewesen, mit einer unangenehmen Sache, durch die Ereignisse gezwungen, zufrieden sein, /Miene. Oft wird sogar der Kampf ein Spiel genannt, so schon im ,Heliand* (V.4685): „ik gibu mîn ferah furi thik an uuäpno spil“ (= ich gebe mein Leben für dich ans Waffenspiel). Auf das ritterliche Kampfspiel des MA. geht auch die Rda. ,einem böse mitspielen zurück*, /mitspielen. In der mhd. Dichtung wird das Wort Spiel für Kampf und Turnier gebraucht. So droht z.B. Kandin seinem Schwager Tristan in Heinrich von Freibergs ,Tristan* (V.3856): Ist daz ich genzlich ervar, daz du mîn swester smaehen wîlt, eins spiles wirt mit dir gespilt, daz dîne friunt beginnen klagen. Derselbe Dichter ist sich aber der eigentl. Bdtg. des Wortes Spiel wohl bewußt und setzt es dem Ernst gegenüber. In V. 1612 ff. des ,Tristan* schreibt er: da wart mit Schilden und mit spern ritterernst, nicht ritterspil gepflogen und geübet vil. Unsere Rdaa. ein leichtes Spiel mit jem. (etw.) haben: leicht mit ihm fertig werden können (,etw. spielend bewältigen*); freies Spiel haben und sein Spiel mit jem. treiben: ihn necken, quälen, nicht ernsthaft mit ihm verhandeln, lassen sich diesem Bdtg.-Be- reich des Kampfes und der Auseinandersetzung zuordnen. Die Wndg. Genug des grausamen Spiels! beruht auf einem Zitat aus Schillers Ballade ,Der Taucher*. Die Tochter bittet den König, das Schicksal nicht herauszufordern und den Knappen nicht noch einmal in den Abgrund des Strudels zu schicken, mit den Worten: ,,Laßt, Vater, genug sein das grausame Spiel!“ Lil.: J. Lewalter: Dt. Kinderlied und Kinderspiel (Kassel 1911); J. Huizinga: Homo ludens (3. Aufl. Basel - Brüssel - Köln - Wien o.J.); R. Peesc/i: Das Berliner Kinderspiel der Gegenwart (Berlin 1957); F. G. Jünger: Die Spiele (München 1959); Freiburger Dies Universitas: Das Spiel - Wirklichkeit und Methode (Freiburg 1966); C. À lever: Die Kinderspiele (Zürich 1970). 974
Spiess Spieß. Den Spieß umkehren (umdrelien): die Rollen tauschen, eine Sache am anderen Ende angreifen, eigentl.: von der Abwehr zum Angriff übergehen, die Waffe des Gegners gegen ihn selber wenden. Die Rda. läßt sich am leichtesten als so entstanden denken, daß der Angegriffene im Handgemenge dem Angreifer den Spieß entreißt und ihn nun gegen den wehrlosen Angreifer richtet, vielleicht mit den Worten: Jetzt kehren wir den Spieß einmal um4, wobei der Beraubte iron, als mithandelnd und gleichsam als einverstanden bez. wird. Den Spieß gegenjem. kehren: ihn angreifen, heute nur in übertr. Bdtg. für geistige Auseinandersetzungen gebraucht. Wie am Spieß sehreieti oder schreien, als ob er am Spieße stäke: so laut schreien, als wenn es ans Leben ginge. Die Rda. wird meist auf Kinder angewendet, die oft wegen einer Kleinigkeit ein großes Geschrei erheben. Bereits 1577 gebraucht Joh. Fischart (,Flöhhatz, Weibertratz‘, S.50, V. 1625) einen ähnl. Ausdr.: ,gaellen, als ob es an aim Spiß thaet staecken“. Auch in Norddtl. war die Rda. verbreitet. 1770 verzeichnete das ,Bremisch-niedersächs. Wörterbuch4 (Bd. IV, S. 947): „He schrijet, as wen he am Spete steke: er schreiet, als wenn es ihm ans Leben ginge44. Der 1810 in Campes ,Wörterbuch der deutschen Sprache4 und auch von anderen gegebene Hinweis auf den Bratspieß - „gleichsam als ob er lebendig gebraten werden sollte44 - ist irrig, der Spieß als Waffe spielte in alter Zeit in der volkstümlichen Vorstellung eine weit größere Rolle als heute. Küpper (I, S.300) bezieht die Rda. auf frühere Vorgänge beim Plündern, wobei die feindlichen Soldaten entdeckte Kinder an den Spieß gesteckt und hoch über ihrer Schulter getragen haben sollen; wie das etwa in Darstellungen des Bethlehemitischen Kindermords auch häufiges Bildmotiv war. Vielleicht steht damit auch die Rda. einen an den Spieß geben: ihn unbarmherzig ausliefern, in Zusammenhang. Der Spieß ist ihm an den Bauch (das Herz) gesetzt: er ist in äußerster Zwangslage, in höchster Gefahr oder Verlegenheit. Vgl. ,jem. die Pistole auf die Brust setzen4, /'Pistole. Einen Spieß um (für) etw. brechen: für etw. kämpferisch eintreten, jem. verteidigen, /Lanze. Wie ein Spieß hinter der Tür sein: stets zur Hand sein, wenn er gebraucht wird, immer zu guten Diensten bereit sein. Die heute veraltete Rda. spiegelt die Gewohnheit, seine Waffe immer griffbereit im Hause zu haben. Bei Seb. Franck (II,54a) und Agricola (1,563): „Er ist yhm wie ein Spiess hynder der thur44, also ein treuer Freund und Wächter, besitzt die Wndg. bereits übertr. Bdtg. Vgl. auch ndl. ,Hij is hem ge- lijk eene spiets achter de deur‘. Eitlem in die Spieße laufen: wie blind in eine Gefahr hineinrennen. In seinen eigenen Spieß fallen: sehr ungeschickt sein, sich selbst den Schaden zufügen, der einem anderen zugedacht war. Die Rda. ist bei Burkard Waldis (111,62,21) lit. bezeugt: „Der feilt offt in sein eigen Spiess“. Den Spieß wegwerfen (fallen lassen), auch: Spieß und Stange fallen lassen: verzagt sein, den Kampf vorzeitig aufgeben, eine Sache verloren geben. Vgl. lat. ,hastam abjicere4 und die modernere dt. Rda. ,die Flinte ins Korn werfen4, /Flinte. Aus Spießen Sicheln machen: die Waffen zu Werkzeugen umschmieden, vom Kriege zu friedlichen Beschäftigungen übergehen. Spieße hüten wurde früher von Mädchen gesagt, die beim Tanz sitzenblieben und die man mit Soldaten verglich, die den ,Kriegstanz4 nicht mitmachten, sondern die Waffen, das Lager bewachten. In seinem Bauerntanzschwank schreibt Hans Sachs: Ein theil die hüeten doch der Spies, Des sie gewunnen groß verdries. Noch mit dem 1. Spieße laufen: kindlich und unbesonnen handeln wie ein spielender Knabe, primitiven Anschauungen huldigen. Mit dem Judenspieß rennen: Wucher treiben. Die Rda. ist heute verschollen, war aber im 16. und 17. Jh. häufig. Sie wird erklärt aus der Tatsache, daß damals den Juden das Waffentragen verboten war, sie aber ihre Waffe darin sahen, andere in finanzielle Abhängigkeit zu bringen. Die Wndg. wurde auch auf nichtjüd. Geschäftsleute angewendet, so von Grimmelshausen in seinem ,Simplicissimus4 975
Spiessruten (l.Buch, 25.Kap.): „Die Handels-Leute und Handwerker ranten mit dem Juden- Spieß gleichsam um die Wette, und sogen durch allerhand Fünde und Vörthel dem Bauersmann seinen sauren Schweiß ab“. Im ,Hoftheater von Barataria4 des Grafen von Benzel-Sternau heißt es: „Das kommt alles vom vertrackten Judenspieß - von dem ignobeln Schachern und Wuchern“. Urspr. galt ,Judenspieß‘ als Bez. für den Speer des Longinus, der nach der Legende dem Gekreuzigten den Speer in die Seite stieß. Da aber in den ma. Passionsspielen Longinus als Freund und Beschützer der von Jesus aus dem Tempel gejagten Wechsler und Händler erschien, wurden im 15. Jh. die Gedanken an Christi Tod und an den Speerstich des Longinus mit der Austreibung der Juden aus dem Tempel verbunden. Der Speerstich wurde nun als Vergeltung für die Austreibung der Wucherer aus dem Tempel verstanden. So konnte die Lanze des Longinus zum Symbol des jüd. Wuchers werden. Mit dem goldenen (silbernen) Spieß stechen, auch mit goldenen Spießen kriegen: mit goldenen (silbernen) Münzen jem. zu bestechen suchen. Später sagte man dafür: ,mit der silbernen Büchse (mit silbernen Kugeln) schießen4, /Kugel. Einen Rest dieser Vorstellung bewahrt noch unser bestechen4, d.h. einen durch dieses Stechen mit goldenen Spießen herumkriegen, ihn willig und geneigt machen. Verwandt sind die Wndgn. Spieße haben: Geld haben, und einen langen Spieß haben: sehr viel Geld besitzen. Im Rotwelschen hieß ein Sechspfennigstück Spieß. Von der Gaunersprache ist der Ausdruck in die Studentensprache gedrungen, die ihn noch heute kennt, und hat sich von ihr aus weiterverbreitet. Auch verschiedene rdal. Vergleiche, die als Formeln des Trotzes verwendet werden, gebrauchen das Bild vom Regnen oder Schneien von Spießen zur Umschreibung großer Gefahr, die mißachtet wird: Und wenns Spieße schneite! oder oesterr. ,Und wann’s Spiss und alta Weiba rägnat4, oder mit noch größerer Steigerung: Wenn es auch Spieße regnete mit der Spitze nach unten! Zu ergänzen ist immer: trotz alledem muß ich gehen (werde ich es tun). Spießbürger. Ein Spießbürger (Spießer) sein:cin engstirniger Mensch sein, der sich jedem Fortschritt verschließt und veraltete Anschauungen und moralische Grundsätze hartnäckig verteidigt. Nachdem Heinrich I. (919-936) viele Städte gegründet hatte, hießen ihre Bewohner Bürger. Sie verteidigten die Stadt mit dem Spieß, daher ,Spießbürger4, während die Söldner Hellebarden trugen. Die Bez. erhielt erst dann eine abschätzige Bdtg., als die Kleinstädter den Fortschritt der Feuerwaffen ignorierten. Noch im 16. Jh., also z.Zt. des Niederganges der Städte, hielten sie schwerfällig an der alten Bewaffnung fest und traten wie ihre Urgroßväter mit Spießen auf den Wällen zur Verteidigung ihrer Stadt auf, so daß sie an ihrer Niederlage selbst schuld waren, weil sie nie einen Blick über die Mauern ihrer Stadt hinaus getan hatten, sich in ihrer Beschränktheit wohlgefühlt und die moderne Entwicklung nicht kennengelernt hatten. Als Spottname und Schelte für rückständige Menschen, bes. auf geistigem Gebiet, wurde der Begriff Spießbürger zuerst von den Studenten gebraucht, die sich dagegen weltoffen und überlegen dünkten. Joachim Schröder berichtet davon 1640 in seiner ,Friedensposaune4 (39): „(Die Studenten) schelten feine eisgraue und erfahrene Männer, Matronen, keusche Jungfrauen und Bürger für... Spießbürger“. Wieland verwendete 1767 die Schelte zuerst lit. in seinem ,Agathon4 (3,129). Während die Bez. ,Philister4 aus dem Ostmdt. stammt, ist Spießbürger urspr. nordd. und seit 1781 bei Dähnert im .Plattdt. Wb.4 (446) als ,Speet-Börger‘ verzeichnet. Da .Spieße4 in der Studentensprache auch Geld bezeichnen, könnte man heute unter einem Spießbürger auch einen Reichen verstehen, der ängstlich über seinen Besitz wacht, ln diesem Sinne schrieb H. Heine an Varnhagen (S.167): „Mit meiner Familie stehe ich auf gutem Fuss; und meine spiess- bürgerlichen Verhältnisse wären wol leidlich zu nennen“ (Kluge-Götze, S.742). Spießruten. Spießruten laufen müssen: sich bei einem unangenehmen Gange von Neugierigen scharf und kritisch beobachtet wissen, wobei die zudringlichen und spöttisch-schadenfrohen Blicke von links und 976
Spiessruten rechts beinahe schmerzhaft empfunden werden und die lieblosen .Stichelreden4 der Spitzen Zungen1 tatsächlich verwunden können. Vgl. dazu das Sprw. .Kein Spieß macht solche Wund’ als gift’ge Zung' und böser Mund4. Die Rda. bezieht sich auf eine grausame militärische Strafe, die sich im Laufe der Jhh. verändert hat. Bei den Römern mußte der Verurteilte durch eine Doppelreihe von Soldaten laufen, die mit Spießen nach ihm stießen, wobei er meist den Tod fand. Noch im 16. Jh. war diese Strafe in Dtl. üblich und wurde von den Landsknechten .durch die Spieße jagen‘ genannt, wie es auch in einem Vokabular von 1618 als Übers, von .praepilatis-hastis obicere4 erscheint. Aventin erzählte einmal: ,,Die teutschen Knechte ließen den Mörder durch die Spieß laufen“. Ausführlich hat Frundsberger in seinem .Kriegsbuch4 von 1565 „dieses Recht, wie es die Kriegsknecht füeren mit den langen spießen“, beschrieben und es durch einen Holzschnitt von Jost Amman ill.: „Darnach stellt der Profoß den armen man für sich / vnd gibt jm drey Streich auff die rechte Achsel / im Namen deß Vatters / Sons / vnd des heiligen Geists / vnd stellt jn gegen den Spiessen / vnd läßt jn lauffen. Zum fünffzehnden wenn der arm Mensch verscheiden ist / so kniet man nider / vnd thut ein Gebett / darnach macht man ein Ordnung / vnd ziehen drey mal vmb den Cör- per / vnd die Schützen schiessen drey mal ab / im Namen deß heiligen Geists / Dreyfaltigkeit / vnd ziehen darnach wie- derumb / vnd machen ein beschluß Ring“. Im 17. Jh. wurden diese Spieße durch spitze Ruten ersetzt. Soldaten, die sich schwer vergangen hatten, mußten mit entblößten Rücken durch zwei Reihen von Soldaten laufen, die sie von links und rechts mit den Ruten blutig schlugen. Erst Friedrich Wilhelm 111. schaffte für Preußen das .Spießruten- oder Gassenlaufen4 ab, doch die Erinnerung an diese Strafe ist durch die Rda. lebendig geblieben. Vgl. auch ndl. ,door de spitsroeden dansen4 und Jemand door de spitsroeden jagen4; engl. ,to pass trough the line4. 1/2 .Spießruten laufen* 977
Spinne Spinne. Pfui Spinne!\s\ ein Ausruf des Abscheus, obersächs. noch erweitert zu: ,Pfui Spinne noch nein!1 Die Spinne wird im Volksglauben vielfach als giftig gefürchtet. Es heißt, daß die Spinne das Gift aus den Blumen sauge wie die Biene den Honig und es durch ihren Biß oder die bloße Berührung auf den Menschen übertr. könne. Sie wird deshalb mit einer gefürchteten Krankheit oder dem Teufel selbst gleichgesetzt. Jeremias Gotthelf hat in seiner Erzählung ,Die schwarze Spinne1 die abergläubische Furcht vor der Pest und ihre Verbreitung durch die Spinne, die eine Gestalt des Teufels ist, lit. gestaltet. Der rdal. Vergleich giftig (zornig) sein wie eine Spinne zeigt deutlich den Zusammenhang mit diesen alten Vorstellungen. Er wird bereits 1573 von Joh. Fischart in seiner Satire ,Flöhhatz, Weibertratz4 (S.74, 2489) verwendet: „... sie seien giftig wie die spinnen44. Vgl. auch ndl. ,zo boos (nijdig, kwaad) als een spin‘, /spinnefeind. Rdaa. wie Auf deinem Rücken läuft dir eine Spinne! oder Eine Spinne sitzt auf deinem Hute! sind ein beliebtes Schreck- und Neckmittel noch heute, da jeder das ekelerregende Tier von sich abwehren möchte und sofort unwillkürlich an die genannte Stelle greift, um sie abzuschütteln. Andererseits ist die Spinne wie die Schwalbe auch als Glückstier in Haus und Stall gern gesehen, und es gilt als frevelhaft, sie zu töten. In Tirol z. B. wird die Kreuzspinne sogar als ,Muttergottestierchen4 bez., die als allg. Heilmittel wie das Spinnengewebe Verwendung findet, /spinnen. Jem. hält Umgang mit den Spinnen: er ist sehr vereinsamt, von Mensch und Tier verlassen. Diese Rda. dient vor allem zur euphemist. Umschreibung für das Verbüßen einer Freiheitsstrafe. Sich keine Spinne übers Maul wachsen lassen: seine Meinung frei heraussagen, eine flinke (spitze) Zunge haben, eigentl. seinen Mund nie so lange still halten, wie das Weben eines Spinnennetzes dauern würde. Ul.: HdA. VIII, Sp. 265-284, Art. „Spinne“ von Rieg- ler; H. Bausinger: Sitte und Brauch. Zu Jeremias Gotthelfs Erzählung „Die schwarze Spinne“, in: Deutschunterricht 14, H. 2 (1962), S. 100-144. spinnefeind. Einander (sich) spinnefeind sein: tödlichen Haß aufeinander haben, unversöhnliche Feinde sein. Die Beobachtung, daß eine Spinne die andere anfällt und aussaugt (tatsächlich töten die größeren Spinnenweibchen die kleineren Männchen), was sonst unter Artgenossen im Tierreich selten geschieht, führte bereits 1512 Geiler von Kaisersberg (,Evang.4 49 b) zu dem Vergleich „so feind als die Spinnen“. Daraus entwickelte sich seit Johannes Paulis ,Schimpf und Ernst4 von 1522 der Ausdr.,spinnenfeind4. Er schreibt von der nach außen nur geheuchelten Freundlichkeit der Fürsten untereinander, die er durchschaut hat (104, Österley): „die fürsten füren einander under den armen, und sein einander spinnenfeint, einer mag des andern reichtumb nit erleiden4'. Zuerst in einem Lutherdruck von 1566 ist in dem Wort das ,n4 der unbetonten Silbe wie bei ,Leineweber4 ausgefallen. Lit.: Kluge-Götze, S. 743. spinnen. Oft hört man die Feststellung Spinne(n) am Morgen, Kummer und Sorgen, wenn gleich zu Beginn des Tages eine Spinne entdeckt wird, die man für eine Unglücksbotin hält. In Wirklichkeit ist jedoch in dem falschverstandenen Sprw. nicht die Spinne, sondern das Spinnen gemeint. Das Sprw. lautet in seiner urspr. Dreigliedrig- keit: Spinnen am Morgen Bringt Kummer und Sorgen. Spinnen am Abend Erquickend und labend. Spinnen am Mittag Bringt einen Glückstag (oder: Glück für den dritten Tag). Wenn sich die Frau nach der anstrengenden Tagesarbeit ans Spinnrad setzen konnte, so war das eine Feierabendbeschäftigung, die wenig Mühe erforderte und oft den Anlaß zu geselligem und fröhlichem Beisammensein gab. Mußte die Frau jedoch bereits am Morgen spinnen, bedeutete es größte Armut, denn sie versuchte durch diese Arbeit den ganzen Tag über etw. dazuzuverdienen. Sie mußte das Garn verkaufen, statt es für den eigenen Haushalt zu verwerten. Miteinander an einem Rocken spinnen: sich gut vertragen, übereinstimmen, dagegen: keinen guten Faden miteinander spinnen: in 978
Spitz, Spitze, spitzen Streitigkeiten leben (/Faden), auch: das Stroh vom Dache spinnen: etw. Schädliches unternehmen, urspr. vom falschen Übereifer gesagt. Sein Garn spinnen: unwahre Geschichten erzählen, /Garn. Eine noch deutlichere Wndg. verzeichnet Seb. Franck in seinen Sprichwörtern1 (II, 11a): „Er spints auss jm selbs wie ein spin“, d. h. es ist erlogen. Sehr beliebt sind vor allem in Westdtl. die Wndgn. Ich glaube. du spinnst! Spinne nicht so! und die iron. Frage Du spinnst wohl? Auf diese Weise will man jem., der Unsinn redet oder törichte Pläne hat, zu verstehen geben, daß man ihn für nicht ganz gescheit hält. Oft wird auch nur kurz festgestellt, daß jem. ,ein Spinner1, d.h. ein Verrückter, ist. Die Wndgn. sind verkürzt aus: ,ein Gewirr absonderlicher Gedanken zusammen- spinnen\ vgl. auch dazu den Ausdr. ,Hirn- gespinst\ Man spricht in ähnl. Weise auch davon, daß jem. Betrug (Lügen, Mord, Ränke, Verrat) spinne, wenn er sich in Gedanken damit beschäftigt und sein Vorgehen genauestens plant und vorbereitet. Nicht recht spinnen wollen: nicht mitarbei- ten, faul sein. Gut spinnen können: wird scherzhaft für ,tüchtig essen4 gebraucht. Zu grob spinnen: zu starke Scherze machen, im Spott zu derb und ausgelassen sein. Keine (wenig) Seide bei etw. spinnen: keinen Nutzen, wenig Verdienst haben, /Seide. Spitz, Spitze, spitzen. Einem spitz kommen: ihn mit Worten verletzen. Worte können verwunden wie Schwerter, und Zungenstiche sind oft wie Lanzenstiche. Auch sticheln4 und bair. ,spießeln‘ gehören hierher; ferner obersächs. ,Spitzbirnen austeilen4, Stichelreden führen: ,Hier werfen se mit Spitzbern4, hier wird gestichelt, gelästert. Spitzen heißen auch die gehäkelten oder geklöppelten Erzeugnisse des fraulichen Hausfleißes, daher übertr. sächs. ,Sie handelt mit Spitzen4, sie führt spitzige Reden. Auch ein schlauer, durchtriebener Mensch wird (neben ,Spitzbube4) ,Spitzenhändler4 genannt. Schwäb. hört man für einen unangenehmen Menschen häufig den rdal. Vergleich: ,Er ist mir wie Spitzgras!4 Etw. spitz kriegen: begreifen, herausbekommen, merken, durchschauen; häufig in negativer Anwendung: ,etw. nicht spitz kriegen können4, es nicht durchschauen, auch: weder ein noch aus wissen. Einen Spitz haben: einen Rausch haben, sich betrinken. Die Rda. ist bereits im 16.Jh. belegt, z. B. bei Hans Sachs’ ,Der Fritz im Wandkasten4, wo es heißt (V.32): „Der knecht het noch ain spicz44. Einer Sache die Spitze abbrechen (nehmen): einem Vorwurf, einer unangenehmen Sache usw. das Verletzende, die Gefährlichkeit nehmen, ihr geschickt begegnen; vgl. ndl. ,de spits afbijten4; engl. ,to turn the edge of something4, ,to break the neck of an affair4. Einem die Spitze bieten (vgl. ndl. ,het spits bieden4; frz. ,tenir tête à quelqu’un4; engl. ,to make head against4): ihm Trotz bieten, eigentl.: ihm die Spitze des Schwertes entgegenhalten und ihn so zum Zweikampf herausfordern. Noch in neuerer Zeit ist ,einen vor die Spitze fordern4 im gleichen Sinne ge- bräuchl. wie: ihn vor die Klinge, d. h. zum Zweikampf, herausfordern. In kühner Zusammenfassung mit ähnlichen Wndgn. findet sich die Rda. in einem Siegeslied auf die Eroberung von Ofen 1686, wo der Türke verspottet wird: Teutschmeisters heroisches Martisgemüthe, Der weiß dir Trutz bieten, Pistolen und Spitz. Die Rda. geht aber bis ins MA. zurück; in dem Gedicht Heinzelins von Konstanz ,Von dem Ritter und von dem Pfaffen4 (um 1320) begegnet in demselben Sinne „einem ein eggen (d.i. Ecke, Schneide, Spitze) bieten44. Aus dem Bair. bezeugt Andr. Schmeller häufig die Wndg. ,einem Spitz und Knopf zugleich bieten4 i. S. v. ihn möglichst weit bedrängen, eigentl.: ihm fast im selben Augenblick die Degenspitze (zum Angriff) und den Degenknauf (zur Abwehr) entgegenhalten und ihn so im Zweikampf zu schaffen machen. Auf Spitz(e) und Knopf stehen: bis zuletzt gut oder schlecht ausgehen können; bes. bair. und schwäb. häufig: ,Es steht auf Spitz 979
Spitz, Spitze, spitzen und Knopf4, es ist bis zum Äußersten gekommen. Ähnl.: etw. auf die Spitze treiben: es zum offenen Kampf, bis zum Äußersten bringen; vgl. ndl. ,iets op de spits drijven4; frz. ,pousser les choses à l’extrême4; engl. ,to carry matters to extremities4, ,to push things too far‘. Sichaufetw. spitzen:s\c\\ Hoffnung auf etw. machen, auf etw. lauern, gespannt sein. Vielleicht verkürzt aus: ,die Ohren spitzen4 /Ohr), möglicherweise aber auch einfach deshalb, weil man unwillkürlich den Mund spitzt, wenn man etw. bes. Leckeres für seine Zunge erwartet, oder allg. von einem ,Spannen4 der Sinne. Ähnl. sagt schon um 1300 Hugo von Trimberg in dem Lehrgedicht ,Renner4 (V. 11616ff.) von einem jungen Mann: der friunde, lîp hât unde guot, ûf einem starken rosse sitzet und alle sine gedanke spitzet, wie er der werlde wol gefalle. Um dieselbe Zeit schon genau wie im heutigen Sprachgebrauch in Ottokars oesterr. ,Reimchronik4 (V. 62 064): ,,Er spitzt sich gên ir minne44. Mhd. auch ,diu ougen spitzen gen einen4, und sogar: ,sin herze unde al sin gedanc spitzen4. In Goethes ,Werther4 (2): „In der Hoffnung auf ein künftiges Pfand sein Mäulchen spitzen44. Bair.- oesterr. ist die Wndg. heute noch bes. beliebt: „Geltn’s, da spitzen’s!44 sagt der Münchner Alois Permaneder in Thomas Manns Buddenbrooks4 (6.Teil, 4. Kap.) zur Lübecker Konsulin Buddenbrook, als diese seine gleichbedeutende Wndg. „Geltn’s, da schaun’s!44 nicht versteht; Wien. ,i spitz scho(n) drauf4 bedeutet: ich lauere schon darauf. ,Da wirst spitzen4, da wirst du staunen. Als das älteste dt. Sprw. hat Andreas Heus- ler jene Stelle des ahd. Hildebrandsliedes bez., in der es heißt: „mit geru seal man geba infahan, ort widar orte“, d. h. mit dem Speer soll man (oder: der Mann) eine Gabe in Empfang nehmen. Die rdal. Formel ,ort widar orte4 hat Heusler frei übersetzt: ,hart auf hart4, und er sieht in diesem Sprw. einen Ausdr. altgerm. Kämpfertums. Wir können natürlich nicht wissen, und auch Heusler ist den Beweis dafür schuldig geblieben, ob diese Wndg. wirklich rdal., d.h. allg., angewandt worden ist. Dafür sind die Quellen zu unergiebig. Ein zweites Bedenken kommt hinzu: Mit der Wndg. ,ort widar orte4, was ja eigentl. ,Spitze gegen Spitze4 heißt, ist vermutlich etw. ganz anderes als das frei übertragene ,hart auf hart4 gemeint. .Spitze gegen Spitze* ist noch nicht eine bildl. Rda., sondern es ist wohl eine Realität des Kriegsbrauches. In dem berühmten Bildteppich von Bayeux findet sich z.B. eine ganz parallele Darstellung, wobei der /Schlüssel einer belagerten Festung dem Eroberer von Speerspitze zu Speerspitze übergeben wird. Es liegt also nichts Ethisches in der Formel ,Spitze gegen Spitze4, wie Heusler annahm, sondern es kommt in dieser Formel eine Distanz des Mißtrauens zum Ausdr., wie sie zum Kriegsbrauch in heroischer Zeit paßte. Der Beleg auf dem Teppich von Bayeux zeigt uns, daß die .Spitze gegen Spitze* 980
Sporen spraçhl. Formel nicht etwa schon als bildhafte Formel, sondern zunächst noch ganz real aufzufassen ist.* Die Verbreitung der selben Kampfregel zeigt noch im 11. Jh. die langobardische Chronik von Novalese, wo ebenfalls zwischen zwei Kriegern eine Gabe von Speerspitze zu Speerspitze ausgetauscht wird. Im Heischelied der Kinder hat sich dieser Brauch noch bis zur Ggwt. erhalten, so z.B. thür.: Ich reck man Spieß übern Herrn sän Disch, Ist de Harr e gude Mao, Steckt er mir ä Grabbel nao; Ist de Harr kä gude Mao Schmeiß ich ihm de Dier rächt nao. Lit.: S. Singer: Sprw.-Studien, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 37 (1939/40), S. 129. Splitter. Nur den Splitter in fremden Augen sehen: kleine Fehler und Untugenden bei anderen wahrnehmen, aber die eigenen, größeren Gebrechen und schlechten Eigenschaften nicht erkennen. Die Rda. beruht auf Matth. 7, 3-5, /Splitterrichter, ebenso die Wndg. den Splitter aus des Nächsten Auge ziehen. Diese Bibelstelle ist in vielen Sprachen sprw. geworden (vgl. ndl. ,den splinter in een anders oog wel zien, maar niet de balk in zijn eigen1 oder engl. ,You see the splinter in your brother’s eye, but not the beam in your own‘) und gab den Anlaß zu bildl. Darstellungen. Aus jedem Splitter einen f Balken (einen ,Den Splitter aus des Nächsten Auge ziehen1 Wiesbaum) machen: maßlos übertreiben. Bereits Luther gebraucht die Wndg. ,aus einem Splitterlein einen Balken machen* in seinen .Tischreden* (147b). Vgl. ndl. ,van een' splinter een’ balk machen* und die dem Sinne nach gleiche dt. Rda. ,aus einer /Mücke einen Elefanten machen*. Splitterrichter. Ein Splitterrichter sein: andere tadeln und verurteilen, ohne an die eigenen Fehler zu denken, die viel größer sind. Der Ausdr. Splitterrichter entstand aus der gedanklichen Verbindung von Matth. 7,1 : „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet** und Matth. 7,3: „Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ und gilt als Schöpfung Luthers. In seiner 1530 erschienenen .Vermahnung an die Geistlichen versandet auff dem Reichstag zu Augsburg* schrieb er: „Das will ich darum gesagt haben, daß man sehe, was die Splitterrichter dran gewinnen“ (Weimarer Ausg., 1909, Bd. XXX, Abt. 2, S.314). Vgl. auch ndl. ,Het is een splinterkijker*. Lit. bei Chr. Günther genutzt, heißt es: Flieh auf ewig die Gesichter Aller finstern Splitterrichter. Die Bdtg. des Begriffs Splitterrichter wandelte sich von einem selbstgerechten Tadler zu einem bes. kleinlichen Beurteiler, der ,alles auf die Goldwaage legt* und dabei gleichsam .über jedes Splitterchen zu Gericht sitzt*. So verstand es bereits Lessing, der einmal sagte: „Was übrigens den Inhalt des Freigeistes anlangt, so wird auch der eigensinnigste Splitterrichter nicht das geringste daran finden, was der christlichen Tugend und Religion zum Schaden gereichen könnte“ (Büchmann, S. 63). Sporen. Sich die Sporen verdienen: sich durch eine bes. Tat oder große Leistung im Kampf auszeichnen, um Aufnahme in die Ritterschaft zu erlangen. In übertr. Bdtg. heißt die Rda. viel allgemeiner: sich durch Geschicklichkeit oder große Verdienste einer Stellung, eines neuen Amtes als würdig erweisen, seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Im MA. trug der Knappe bereits vor dem Ritterschlag Sporen, doch bei der Verleihung der Ritterwürde wurden dem 981
Spott jungen Helden als Abzeichen seines neuen Standes feierlich goldene Sporen angeschnallt. Erfolgte dieser Ritterschlag kurz vor Beginn einer Schlacht, so kämpften die neuen Ritter in den vorderen Reihen, um ihre Sporen dadurch zu ,verdienen'; diese Bewährung konnte aber auch bei Turnieren oder auf Kreuzfahrten erfolgen. Die Rda. wurde auch lit. verwertet, z. B. bei Schiller heißt es im ,Don Carlos4 (11,8): „Ich habe den schnellen Einfall, nach Brabant zu gehn, um - bloß um meine Sporen zu verdienen“. Hauff verweist in seinem ,Lichtenstein4 sogar auf die Verleihung der goldenen Sporen (3. Teil, Kap. 11): „Ritterliche Haft?... zeigt vorher, wo Ihr die goldenen Sporen verdient habt“. Die weite Verbreitung dieses ritterlichen Brauches spiegelt sich in den Rdaa. anderer europ. Völker; vgl. ndl. ,Hij heeft zijn sporen verdiend4; frz. gagner ses éperons4; engl. ,to win one’s spurs4. Seine Sporen noch nicht verdient haben: Befähigung, Mut und Geschicklichkeit noch nicht bewiesen haben, auch: eine Auszeichnung ohne Verdienst erlangt haben. Vgl. ndl. ,Hij heeft zijne sporen nog niet verdiend4. Der hat Sporen!: der ist tapfer, kampferprobt. Abraham a Santa Clara gebrauchte diese Rda. in ,Reim dich' als Lob für den hl. Georg. Die Sporen dienten urspr. nicht nur als Symbol der Ritterwürde, sondern hatten für den Reiter die praktische Aufgabe, sein Tier anzutreiben. In den Rdaa. erhielten sie die übertr. Bdtg. von Druckmittel, die im unterschiedlichen sprachl. Ausdr. eine Steigerung zeigen: Er hat seine Sporen angelegt.;er ist gut gerüstet, um einen anderen zu bedrängen. Vgl. ndl. ,Hij heeft zijne sporen gespannen4. Einem den Sporn in die Seite setzen: ihm zusetzen. Einen zwischen die Sporen fassen (nehmen): ihn hart bedrücken, ihn antreiben. Die Rda. wurde bereits von Luther in seinen ,Tischreden' (379b) verwendet. Mit scharfen Sporen reiten: einen schmerzhaften Druck ausüben, um das letzte an Leistung herauszuholen, was ein guter Reiter vermeiden würde. Vgl. hierzu das Sprw. ,Zu scharfe Sporen verderben das Pferd4. Eine weitere Steigerung enthalten die Rdaa. mit Sporen und Absatz zugleich drücken und die Sporen stets im Esel haben. Einem nicht an die Sporen reichen: sich nicht im entferntesten mit jem. messen können; vgl. ,jem. nicht das Wasser reichen können4 (/Wasser). Er hat ein Sporn oder Er hat Sporen im Kopfe: er handelt, als wäre er nicht ganz gescheit. Vgl. lat. ,Non est sani cerebri4. Er hat Sporen in der Haut! heißt es von einem Begierigen, Heftigen und Leidenschaftlichen. Etw. spornstreichs tun: in höchster Eile, eigentl. wie ein gesporntes Pferd, das zu schnellem Lauf angetrieben wird. Das frühnhd. ,spor(en)straichs4 ist adverb. Gen. zu ,spornstraich‘. Noch 1644 heißt es bei Zesen (,Lysander4 236), daß ein Reiter „in vollem Sporenstreich“ komme. Nach der Erstarrung zum Adv. ist die Beziehung auf das Reiten verblaßt. Grimmelshausen schreibt 1669 im ,Simplicissimus' (18): „kehrete derowegen Sporenstreichs wieder um“. Später galt ,spornstreichs4 für jedes hastige Tun. Spott. Den Spott zum Schaden haben: bei einem (selbstverschuldeten) Mißgeschick kein Bedauern finden, sondern Schadenfreude und Verhöhnung zu erwarten haben. Die Rda. könnte als Verkürzung aus dem weitverbreiteten Sprw. ,Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen' entstanden sein. Die Wndg. ist in ähnl. Form im 15. und 16.Jh. oft bezeugt. Im ,Eulenspiegel‘ (LXXIIII/10307 und LXIX/9799) heißt es z.B.: „Nun habt den spott auch zu dem schaden", ähnl. bei Bebel (235); Seb. Franck (I, 111); in Fischarts ,Ehezuchtbüchlein' (262/11); Egenolf 80a und in Paulis ,Schimpff und Ernst' (Stöber, S. 94/56). Die Wndg. „Vnd spotten seinen zu dem schad" wird im ,Eulenspiegel4 (LVI11/7847 und XXXI/424S) gebraucht, ln Jörg Wickrams ,Rollwagenbüchlein4 (XLII) und in Paulis ,Schimpff und Ernst4 (Va) begegnet die Rda. in der bis heute üblichen Form: „den spott zum schaden han“. Vgl. lat. ,Damnum sequitur ludibrium4. Etw. abweichend heißt es im ,Rollwagenbüchlein' (XXI) auch: „Den spott zu den streichen han". Zum Spott werden: in die allg. Verachtung 982
Sprache der Leute geraten. Die Rda. entstand aus der Wndg. ,zum Spott der Leute werden1, die auf der Textstelle in Ps. 22,7 beruht: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks“. Auch: ,der Kinderlein Gespött werden1. Etw. um einen Spott geben (kaufen): etw. für einen äußerst niedrigen Preis verhandeln, auch: für ein SpottgeJdoder spottbillig kaufen. Einem ein Spott lein an hängen: einen Streich spielen, damit andere über ihn lachen. In Wickrams ,Rollwagenbüchlein' (XXVI) ist diese Wndg. bereits belegt: „Allen menschen, wie man spricht, ein spettlein anhencken“. Spottvogel. Einen zum Spottvogel machen: ihn verspotten. Luther gebrauchte die Wndg. in dieser passiven Bdtg., die auch durch Waldis (II, 55, 21) bezeugt ist: „Man soll die alten nicht belachen oder zu eim spotvogel machen, weil niemandt den die jar betragen, des alters unlust kan abtragen“. Ein Spottvogel sein: ein Spötter sein, der sich gern über andere lustig macht. Diese Rda. ist in ganz Dtl. und Oesterr. verbreitet und beruht auf einem Vergleich mit Vögeln, die die Stimmen anderer Vögel nachahmen, wie Häher, Würger und Gartenlaubvogel, die deshalb ,Spottvogel4 genannt wurden. Seb. Brant übertrug 1494 in seinem ,Narrenschiff4 (Kap. 42) zuerst diese Bez. auf spöttische Menschen. Vgl. ndl. ,Het is een regte spotvogel4. Ähnl.: eine Spottdrossel sein: ein Mensch sein, der andere durch die Nachahmung ihrer Eigenarten in Stimme oder Mda. verspottet. Sprache. Etw. zur Sprache bringen, auch: die Sprache auf etw. bringen: ein Problem zur Diskussion stellen, das Gespräch auf etw. Wichtiges lenken. Die Feststellung etw. muß (endlich) zur Sprache kommen hat ähnl. Bdtg.: ein bisher vermiedenes Thema muß ernstlich besprochen, ein unklarer Sachverhalt muß untersucht werden. Mit der Sprache nicht herauswollen: die Wahrheit nicht sagen wollen, auch: geheimnisvoll etw. andeuten, ohne die Neugierde der anderen zu befriedigen. Diese Rda. ist auch mdal. verbreitet, in Pommern heißt es z. B.: ,He will nig mit de Sprake herut4. Häufig wird jem., der etw. verschwiegen hat, derb aufgefordert: Heraus mit der Sprache! Mit der Sprache (endlich) herausrücken: verborgene Tatsachen nach einigem Drängen bekanntgeben. Jem. bleibt die Sprache (Spucke) weg und jem. verschlägt es die Sprache: ex ist so entsetzt oder verwirrt, daß er nichts sagen kann, daß ,ihm die Worte fehlen4. Eine deutliche Sprache sprechen: etw. klar zeigen oder ausdrücken. Dieselbe (gleiche) Sprache sprechen: sich wegen gleicher Denkgewohnheiten immer gut verstehen. Diese Rda. wird zur Verdeutlichung der Übereinstimmung bes. von Menschen gleicher Bildung, gleichen Charakters und ähnl. Berufe und sozialer Stellung verwendet. Einem in seiner eigenen Sprache antworten: auf das Verhalten des anderen entspr. reagieren, mit ihm genauso verfahren, wie er es mit anderen getan hat und darum selbst verdient. Vgl. engl. ,to answer one in his own language4 und die im Dt. ähnl. Rda. ,mit einem deutsch reden4. Eine andere Sprache sprechen: etw. Gegensätzliches ausdrücken, sein Verhalten grundlegend gegenüber jem. ändern. Zweierlei Sprache sprechen: nicht bei der gleichen Aussage bleiben, gegenüber verschiedenen Personen gegenteilige Meinungen äußern, um dadurch einen persönlichen Vorteil zu erlangen, hinter dem Rücken eines Menschen anders reden, aber auch: aneinander vorbeireden. Eine Steigerung enthält die Wndg. Die Sprachen sind hier verwirrt: die Verständigungsmöglichkeit ist gering oder völlig gestört. Diese Feststellung erinnert an die Sprachenverwirrung beim Turmbau zu Babel. Vgl. ndl. ,De spraken zijn verward4 oder, mit deutlichem Bezug auf das A.T., ,Het is een Babel van verwarring4. Die scherzhaften Wndgn. Er ist in Sprachen bewandert oder Er spricht in vier Sprachen, mit dem Zusatz: ,Hochdeutsch, Plattdeutsch, Pommersch und Berlinisch4, wie es z. B. in Stettin heißt, sind in verschiedenen dt. Landschaften üblich, wobei die Zusätze je nach den Mda.-Gebieten Unterschiede 983
Sprechen zeigen. Unter den verschiedenen Sprachen, die einer beherrscht, konnte aber auch, ähnl. wie bei der Rda. zweierlei Sprache sprechen1, noch etw. ganz anderes gemeint sein. In einem alten Sprw. hieß es z.B.: ,Vier Sprachen sind breuchig in der Welt: Lügen, schweren, viel verheissen, wenig halten vnd hinderreden*. In ähnl. Sinne schrieb bereits Fischart (,Geschichtklitte- rung4): „Er kann sechs Sprachen, und die siebente heisst: lügen“. Die Sprache Kanaans sprechen: mit Bibelstellen und bibl. Wndgn. seine Rede schmücken, um sich als bes. fromm zu zeigen. Die Wndg. erinnert an Jes. 19,18, wo es heißt: „Zu der Zeit werden fünf Städte in Ägyptenland reden nach der Sprache Kanaans“. In sieben Sprachen schweigen: nicht das geringste von sich hören lassen, obwohl begabt und hochgebildet, nichts zu einer Unterhaltung oder Diskussion beitragen. Der Ausspruch stammt von Friedrich August Wolf (1759-1824), der ihn von seinem Schüler, dem berühmten Philologen Immanuel Bekker, sagte. Wackernagel, Schleiermacher und Zelter übernahmen die Wndg., die heute nicht mehr nur lit. Verwendung findet (Büchmann, S.226). sprechen. Für sich (selbst) sprechen: allein schon viel besagen, wichtig genug sein, einen günstigen Eindruck hinterlassen, bezeichnend sein. Etw. (manches) spricht dagegen: es gibt berechtigte Zweifel und Einwände. Mitjem. (ein ernstes Wort) zu sprechen ha- ben:ihm Vorhaltungen machen müssen, oft in Form einer Drohung auf eine baldige Abrechnung: Wir sprechen uns noch! Auf etw. (fern.) zn sprechen kommen: zufällig ein Thema berühren, eine abwesende Person erwähnen. Nicht gut (schlecht) za sprechen sein auf jem.:)em. nicht leiden können, Vorurteile haben und vor allem das Negative sehen. Für jem. nicht zu sprechen sein: sich verleugnen lassen, eine Aussprache vermeiden, jede Versöhnung ablehnen. Darüber ist mit ihm nicht zu sprechen: in dieser bestimmten Sache ist er uneinsichtig, er läßt sich keineswegs von guten Argumenten überzeugen. Bald so, bald so (anders) sprechen: seine Meinung rasch ändern, wankelmütig sein, den Leuten nach dem Munde reden, selbst nicht wissen, was man will. Vgl. frz. ,11 a son dit et son dédit‘. Aus zwei Mündern sprechen: doppelzüngig sein, /Mund. Sich selbst das Urteil sprechen /Urteil. Inden Wind sprechen /Wind. spreizen. Sich spreizen: sich gegen etw. sperren, sich sträuben, urspr.: sich recken wie ein Balken, sich gegen etw. stemmen, da ,spriuz4 die mhd. Bez. eines Stützbalkens war. Die ,Spreizen4 verwendete man dann auch in Form von Stangen oder Balken, die zwischen zwei Lagen von Holz oder Steinen geklemmt wurden, um sie auseinander zu halten. Abraham a Sancta Clara gebrauchte im ,Judas* (1,197) den rdal. Vergleich: „Er spreizt sich wie ein nagelneues paar Schweitzer-Hosen“. Sich gespreizt benehmen: sich geziert, unnatürlich, hochmütig benehmen. Die Rda. bezieht sich auf das geckenhafte, gespreizte Gehen mit auswärtsgedrehten Füßen, wobei ein Vergleich mit dem Hahn gezogen wird, der durch seinen besonderen Gang auf dem Hühnerhof imponieren will (,Imponiergehabe4). So sagt man z.B. schwäb. ,Er spreizt sich wie der Gockeler auf dem Mist4, er ist eitel und eingebildet. Sprenkel. Einen in die Sprenkel führen: ihn überlisten, betrügen. Die Rda. bezieht sich auf die Vogelstellerei. Der Sprenkel ist eine Tierfalle, deren Fangschlinge sich plötzlich schloß, die ,zusprang*, wenn ein Vogel an ein hochgestelltes Hölzchen stieß. Das ndd. ,Sprenkel* ist eine Ableitung zum Stamm von ,springen* und wurde Anfang des 17.Jh. ins Hd. übernommen, vgl. auch ndl. ,Sprenkel* = Seilschlinge. Er ist auch nicht im Sprenkel gefangen worden: seine Herkunft ist nicht so ungewiß wie die eines gefangenen Vogels, d.h. er ist von ordentlicher Abstammung, aus einer guten Familie. Spreu /Weizen. springen. Etw. springen lassen: Geld für andere ausgeben, in Geberlaune sein, etw. spendieren. Die Rda. bezieht sich auf den früheren Brauch, Geldmünzen beim Zah¬ 984
Spröde len kräftig auf den Tisch zu werfen, um durch den Klang ihre Echtheit zu beweisen oder um zu zeigen, daß man zahlungsfähig ist. Daher hieß es auch: ,Dukaten, Taler oder ein paar Mark springen lassen', i. S. v. freigebig sein. Von hier aus erweiterte sich die Bdtg. der Rda., so daß sie sich nun auf alle gekauften Dinge bezieht, die man spendiert oder für einen guten Zweck opfert. So sagt man heute auch, daß man ,ein paar Flaschen Wein springen lassen wolle'. Mit etw. nicht weit springen können: mit wenig Geld nicht viel ausrichten können, auch: keine großen Sprünge machen können, /Sprung. Von einem aufs andere springen: unstet sein, nicht bei einer Sache bleiben. Die Rda. ist auch mdal. üblich, z. B. heißt es im Ostfries.: ,He springt van’t ên up’t anner, as de Buck up den Haversack'. Er will weiter springen, als der Stock lang ist: er hat sich mehr vorgenommen, als in seinen Kräften liegt. Vgl. ndl. ,Hij wil ver- der springen, dan zijn stok lang is‘. Häufig sind Tiervergleiche, um das muntere Springen vor Freude zu schildern und das ausgelassene Tanzen. Er springt wie ein Kalb auf der Wiese: er springt vor überschäumender Lebensfreude wie ein ungebundenes Jungtier. Ähnl. hieß es im ,Meier Helmbrecht' bei der Heimkehr des Sohnes: „Vater und muoter sprang als in nie kalp erstürbe“, d.h. sie waren so fröhlich, als wenn sie nie ein Unglück, einen Verlust erlebt hätten. Vgl. ndl. ,Hij springt als een kalf in de weide'. Häufig hört man: Er springt wie ein Hirsch: sehr munter, frei und ungebunden wie ein Junger. Bereits Fischart gebrauchte 1577 in seiner ,Flöhhatz' (S.26/800) diese Wndg. und schrieb: „Vnter des sprangen wir wie Hirz“. Noch mdal., z. B. öesterr. ,springen wiera Hirschi'. In Westf. sagt man statt dessen: ,Hei springet äs en Hase'. Von einem äußerst Ungeschickten behauptet man: Er schickt sich zum Springen wie die Kröte zum Fliegen. Springen vom Pferd zum Esel: in schlechtere Verhältnisse geraten. Fischart verwendet diese Rda. im ,Bienenkorb'; /Pferd. Ferner /Klinge, /Mine, /Punkt. Lit.: H. Dankerl: Sportsprache und Kommunikation. Volksleben Bd.25 (Tübingen 1969). Spritze. Immer der erste Mann an der Spritze sein wollen: ein großes Geltungsbedürfnis haben, anderen Befehle erteilen wollen, die entscheidende Position einnehmen wollen. Die Rda. bezieht sich auf den Feuerwehrmann, der bei Gefahr die Spritze bedient und damit zur Hauptperson wird, und ist auch mdal. verbreitet. Meckl. heißt es z. B.: ,De will ok ümmer ierst Mann an de Sprütt sien!', und westf., ins Ironische gewendet: ,Hei is de Eeste biy der Spritze, wann’t kein Fuier is'. Die folgenden Rdaa., die wahrscheinl. als Kürzungen der vorigen zu verstehen sind, haben durchaus positive Bdtg. Erster Mann an der Spritze sein: der wichtigste und tüchtigste Mann sein, der die Entscheidungen zu treffen hat; bei der Spritze sein: bereit sein, immer wachsam auf seinem Posten stehen, mit Rat und Tat bei allen Unternehmungenmitwirken. In der Altmark sagt man von einem wichtigen Mann, der zu den Hauptpersonen eines Ortes zählt: ,Dat is ên von de Sprütt'. Die Spritzen kommen, wenn das Haus abgebrannt (niedergebrannt) ist: die schützenden Maßregeln werden zu spät ergriffen. Ähnl.: die Spritze versuchen, wenn das Feuer darnieder ist. Vgl. lat. ,clypeum post vulnera sumere'. Es ist ein Sprizn: es ist ein leichtfertiges Mädchen. Spritze gilt als Schimpfname für die Frau, vor allem für die Buhlerin. Voll wie eine Spritze sein: betrunken sein, /trinken. Spröde. Eine schöne Spröde sein: eine zurückhaltende, kühle und unzugängliche Frau sein. Das Wort ,spröde' erscheint am Ende des 15. Jh. in einem Fastnachtsspiel (Ausg. v. Keller 47,14) und bei Hans Sachs in der Bdtg. dürftig und schwächlich und löst das mhd. ,broede' ab. Die frühnhd. Hauptbdtg. ist: ungeschmeidig. Von den Erzen, auf die das Wort meistens bezogen wurde, erfolgte eine Übertr., so daß heute von einem ,spröden Verhalten', ,spröden Mienen' und ,spröden Mädchen' gesprochen wird, i. S. v. hart und abweisend. Göh- ring (Nr. 334) denkt an eine mißverstandene Eindeutschung des frz. Wortes ,prüde'. Er ist so spröde wie eine Jungfer: er ist un¬ 985
Sprung zugänglich, aber auch leicht zu verletzen. Etw. ist spröde wie Glas: es ist leicht zerbrechlich, sehr gefährdet und muß mit Vorsicht behandelt werden. Sprung. Auf dem Sprunge stehen: im Begriffe sein, etw. zu tun (zu gehen), auch: wie ein Raubtier gespannt auf etw. warten und bereit zum sofortigen Handeln sein. Immer auf dem Sprung sein: immer große Eile haben, aber eigentl. trotzdem nichts Rechtes leisten. Goethe stellt einmal spöttisch zusammen: „Er stand immer auf dem Sprung und kam niemals vom Fleck“. Vgl. auch ndl. ,Hij Staat op den sprong‘ oder ,op stel en sprong4; engl. ,with a foot in the stirrup4; frz. ,au pied levé4. Die Feststellung Du stehst auf dem Sprw/zg bedeutet dagegen: der Punkt, entlassen zu werden, ist erreicht. Der Ausdr. dient deshalb zur letzten Warnung. Den Sprung wagen: sich zu etw. entschließen, das Mut und Kraft verlangt, dessen Gelingen aber in der Entwicklung eines Menschen oder eines Unternehmens rasche Fortschritte verspricht. Einen Sprung ins Ungewisse tun: ein Wagnis eingehen, eine Handlung unternehmen, deren Folgen nicht abzuschätzen sind oder deren Erfolgschancen nicht allzu hoch sind. Einen großen Sprung machen: in seiner Laufbahn überraschend weit vorankommen, im Gegensatz zu anderen rasch befördertwerden. Vgl. ndd. ,He hett enen goden Sprung dan4. Auf einen Sprung vorbeikommen: einen kurzen Besuch machen. Der Sprung = geringe Entfernung wird auch für eine kleine Zeitspanne eingesetzt. Es ist ja nur ein Sprung: es ist nicht weit; /Katze. Einen Sprung in der Schüssel haben: nicht ganz bei Verstände sein. Diese junge, erst seit dem 2. Weltkrieg aufgekommene Rda. läßt sich der Wndg. ,einen Knacks haben4 vergleichen. Auf jem. Sprünge kommen: es ihm nachmachen, eigentl. in seine Fußstapfen treten. Diese Rda. stammt aus der Jägersprache, die die Hinterläufe des Hasen als Sprünge bez., aber auch die von ihnen hinterlassene Spur. Der Jäger muß diesen Fußstapfen des Wildes folgen, um es aufzuspüren. Jem. hinter die Sprünge kommen: seine Art und Weise kennen, seine geheimen Machenschaften ergründen, eigentl. das Wild aufspüren und leichter verfolgen können (/Schliche, /Spur). Die Rda. bezieht sich auf das Verhalten des Hasen, der ständig die Richtung seines Laufes ändert, um seine Verfolger zu täuschen. Wenn ihm die Treiber und Hunde den Weg abschneiden wollen, müssen sie die Art seiner seltsamen Sprünge kennen. In der Volksballade vom ,Nachtjäger4 ist dieses Motiv zu finden: Deyn’ große Hunde, di tun myr nichts, Sie wißen meyne hoe weyte Sprunge noch nicht... Deyn’ hoe weyte Sprunge, die wißen sy wol, Sie wißen, das hewte noch sterbenn soit... (Friedrich Nicolai, Eyn feyner kleyner Almanach 1, Berlynn vnndt Stettynn 1777, S.64ff., Nr. VIII) Jem. auf die Sprünge helfen: jem. aus der Verlegenheit helfen, ihm den richtigen Weg weisen. Diese Wndg. stammt ebenfalls aus der Jägersprache: der Mensch braucht die Hilfe des Jagdhundes, der die Spur des Wildes ausmacht, von dem er sich ,auf die Sprünge helfen4 lassen muß. Ähnl. heißt es schon in Ottokars oesterr. ,Reimchronik4 (V. 14521 ff.): mit maniger rede kluoc, der sie zalten genuoc, dem kunic von Beheim vor, unz sie in brahten üf daz spor daz er in des volgen wolde. Sich auf die Sprünge machen: sich rasch entfernen, sich auf den Weg machen, /Socken. Auf die alten Sprünge kommen: frühere Verhaltensweisen wiederaufnehmen, die alten Fehler wiederholen. Die Rda. ist auch in Norddtl. üblich: ,He kömmt up de olle Sprünge4. Einem viel Sprünge machen: ihm Widerstand entgegensetzen, ihm viel zu schaffen machen, eigentl. ihn springen machen. Einem k rum me (falsche) Sprünge machen: sein Wort nicht halten, ihn zu hintergehen suchen. Die schles. Wndg. ,Ich war nich lange krumme Schpringe mide em machen4 meint: mit ihm werde ich keine langen Um¬ 986
Spuk(en) stände machen, ich werde ihn nicht sehr zartfühlend behandeln. Vgl. ndl. ,Hij zal geene kromme sprongen meer maken*. Er macht Sprünge wie ein Lachs: er macht sehr hohe Sprünge. Der Vergleich dient der Steigerung, da die Sprünge des Lachses Bewunderung erregen. Auf seinem Zug in der Laichzeit bringt er es fertig, hohe Wehre zu überspringen. Keine großen Sprünge machen können: eingeschränkt leben müssen, aus Mangel an Mitteln nichts Großes (keine weiten Reisen) unternehmen können. Ähnliches beinhalten die Rdaa. ,angebunden sein* und ,einen Klotz am Bein haben*. Vgl. die ndd. Wndg. ,He hett 'n Büngel an’t Been*, er ist gehindert wie ein gebengelter Hund, und die ndl. Rda. ,Zijne hoogste sprongen zijn gedaan*. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.315. Spucke(n). Da bleibt mir die Spucke weg!: ich bin äußerst überrascht und erschrocken, es verschlägt mir die Sprache. Die Beobachtung, daß jem. vor Aufregung und Angst der Mund trocken wird, weil ihm der Speichel fehlt, wurde schon früh gemacht und im Gottesurteil praktisch verwertet. Die Rdaa. ,sich den Mund (die Zunge) verbrennen* und ,Der Bissen bleibt mir im Halse stecken4 gehören in den gleichen Zusammenhang. Wenn dem Schuldigen vor Angst der Mund trocken wurde, gelang es ihm nicht, den ,Probebissen* (meist trockenes Brot oder Käse) zu schlucken, weil er nicht genügend eingespeichelt werden konnte. Eine Erzählung vom ,Gericht in der Wüste* berichtet von der Entdeckung eines Diebes auf andere Art: Ein Dolch wurde glühend gemacht und dem mutmaßlichen Täter auf die Zunge gelegt. War diese nicht feucht genug, weil die Spucke weggeblieben war, zeigten sich darauf Brandblasen, was normalerweise nicht geschah, wenn es bei einem Unschuldigen versucht wurde. Sich in die Hände spucken: tüchtig arbeiten und zupacken. Vor großen Anstrengungen ist dies heute noch bei den Arbeitern zu beobachten. Angeblich sollen die Hände dadurch die Werkzeuge besser halten können, wahrscheinl. besteht aber noch ein Zusammenhang mit dem Volksglauben, daß das Bespucken Segen bringe, da auch das Handgeld (das zuerst am Tage eingenommene Geldstück) von Markthändlern und Taxifahrern bespuckt wird, damit es sich recht vermehrt. Seit der Antike gilt der Speichel als eine Absonderung, die Lebenskraft enthält und deshalb heilend, glückbringend, aber auch zauberabwehrend wirkt. Mit dem Ausspucken vertreibt man die Wirkung des ,bösen Blicks* oder den Krankheitsdämon aus dem Körper, davon zeugt noch die berl. Rda.,Spuck aus mein Kind, du hast den Deibl verschluckt!* Da man vor Verhaßtem ausspuckte, wurde daraus ein Zeichen der Verachtung und Geringschätzung, eine Geste, die bei uns häufig bei Kindern und Ausländern aus dem Süden zu beobachten ist, während sie von Erwachsenen heute meist als unfein abgelehnt wird. Welche Rolle der Speichel aber früher allg. spielte, beweisen zahlreiche Rdaa., wie auf etw. spucken: nichts darauf geben, auf etw. gern verzichten; große Bogen spucken: sich viel einbilden oder prahlen; jem. auf den Kopf spucken (können):ihn verachten, aber auch: größer sein als der andere, ihn zum Haupteslänge überragen; berl. „Er spuckt de Schwäne uf de Koppe*, er ist ohne Beschäftigung, so daß er Zeit hat, den Schwänen zuzusehen; einem in die Suppe spucken: einem seine Pläne zunichte machen, seine Hoffnungen gewaltsam zerstören. Diese derben Wendungen, die erst im 19. Jh. bezeugt sind, waren urspr. wörtl. zu verstehen. Sehr grotesk in der Übertreibung ist die neue Wndg. in die Luft spucken und drunter durchlaufen, um auszudrücken, daß Zeit und Gelegenheit zum gründlichen Waschen fehlen. „Spuck’n doch uf de Stiebein!*, ein berl. Rat, sich nichts gefallen zu lassen. Lit.: HdA. VIII, Sp. 149ff. Art.,Speichel1 von Deubner: HdA. VIII. Sp.325ff. Art. ,spucken1 von Deubner; L. Röhrich u. G. Meinet: Reste ma. Gottesurteile in sprw. Rdaa., S.343. Spuk(en). Einem viel Spuk machen: viel Unruhe bereiten, Umstände machen. Die Rda. wird oft in der negativen Form verwendet: ,Mach keinen (nicht solchen) Spuk!*, mach kein Geschrei und Aufhebens von der Sache, verursache kein Aufsehen durch eine heftige Auseinandersetzung! 987
Spund Diese Wndg. zeigt deutlich den Zusammenhang mit dem Volksglauben an Spukgestalten und Poltergeister, die die Menschen durch unheimliche nächtliche Geräusche erschrecken und in Aufregung versetzen. Heute sagt man auch i. S. v. Lärm machen, daß die Kinder ,einen tollen Spuk4 vollführen. Seinen Spuk mit jem. treiben: ihn necken und ärgern, wie das in unseren Sagen oft von Hausgeistern berichtet wird. Die ndd. Rda. ,wie'n Spök utseen4, sehr schlecht und bleich wie ein Gespenst ausse- hen, bewahrt noch die Vorstellung, daß Verstorbene, die keine Ruhe finden können, den Lebenden als Wiedergänger erscheinen. Etw. (jem.) spukt noch herum: etw. treibt noch immer sein Unwesen, eine alte Vorstellung ist noch nicht überwunden, ein Unbekannter treibt sich in der Gegend herum. Es spukt ihm im Giebel (Oberstübchen, Kopf): er ist nicht ganz normal, eigentl.: seine Gedanken scheinen gelegentlich wie durch einen Spuk gestört zu werden. Dasselbe meint die Ulmer Wndg. ,Dem spukt’s in der Fechtschul4. Die Rda. Es spukt in der Fechtschule! wird heute außerdem als Drohung verwendet, z. B. warnt man die jungen Soldaten damit, daß etw. Unangenehmes passieren wird (Tadel, Strafe), falls sich keine Änderung des Verhaltens zeigt. Die Herkunft dieser Wndg. ist nicht geklärt. Lit.: HdA. VIII, Sp. 344ff. Art. ,Spukl von Mengis; K. Kanzog: Der dichterische Begriff des Gespenstes (Diss. Berlin 1951; H. Thurston, SJ: Poltergeister (Luzern 1955). Spund. Ein junger Spund sein: ein Halbwüchsiger, ein unreifer junger Mann sein, auch: Rekrutsein oder ein untergeordneter Mensch, der keinen Einfluß besitzt. Die Wndg. wird meist verächtlich von Erwach- seneti gebraucht, die Jugendliche ,nicht für voll nehmen4 (/voll). Das Wort Spund be- zeichnete urspr. den Anstich des Fasses, es ist der Zapfen zum Verschließen von Fässern und Brunnenröhren. Küpper denkt deshalb an einen möglichen obszönen Hintergrund dieser Rda. ,Dä schwätzt wie en Spundesprudeler4, er redet ununterbrochen, eigentl.: es klingt wie bei einem Faß, das bei der Gärung sprudelt. Dieser rdal. Vergleich stammt von den Winzern an der Mosel. Spur. Jem. auf die Spur kommen: Anhaltspunkte für die Aufklärung eines Geheimnisses finden. Die Rda. stammt aus der Jägersprache und meint urspr.: die Spuren des Wildes entdecken und ihm nachstellen können, /Sprung. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet, z. B. heißt es in Pommern: ,up de Spor kommen4. Ähnl.: einem auf der Spur sein: ihn verfolgen, und der Spur nachgehen: die Anhaltspunkte beachten und überprüfen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, einer Fährte folgen. Vgl. ndl. ,Hij volgt het gemeene spoor4. Auf der richtigen (falschen) Spur sein: den richtigen (falschen) Weg einschlagen. Wien. ,1 hab' scho’ a Spur!4, ich habe schon eine Idee, einen Hinweis für das weitere Vorgehen, eine Vermutung. Einem auf die Spur helfen: ihm Mittel und Wege zeigen, ihm gute, weiterführende Hinweise geben. Vgl. auch frz. ,mettre quelqu'un sur la voie4. Dagegen: jem. von der Spur abbringen: ihn überreden und veranlassen, seine richtige Vermutung aufzugeben. Seine Spuren verwischen: alle Hinweise auf eine frühere Anwesenheit oder den Verlauf des Fluchtweges vernichten, um seine Feinde und Verfolger zu täuschen, wie es als besondere Klugheit der Tiere, vor allem vom Löwen, berichtet wurde. Schon im ,Physiologus4 heißt es von der Klugheit des Löwen: so er in dem gebirge get ode in dem tieffin walde stet, so in die jegere danne jagent, ob im ze der nasen der stanch chumet so vertiliget er daz spor mit dem zagele, daz man in iht vahe an dem gejagede. Seine Spuren hinterlassen: deutlich sichtbare Zeichen zurücklassen; in übertr. Sinne hinterläßt ein schweres Schicksal, eine gefährliche Krankheit ihre Spuren im Gesicht des Menschen. Der ist neben der Spur heißt es von einem, der von der Wahrheit entfernt ist. Die Spur verlieren: jede Verbindung mit jem. verlieren, vom Wege abkommen. 988
Stab Keine Spur! oder Nicht die Spur davon!: nicht im geringsten, es ist nicht daran zu denken. Wien. ,Da is ga ka’ Spur4, es gibt keinen Anlaß oder Anhaltspunkt, so etw. anzunehmen. Vgl. lat. ,Ne vestigium quidem4. Keine Spur von einer Ahnung (Idee) haben: keine Ahnung haben, nicht das geringste wissen, auch: keine blasse Spur davon haben: keine Ähnlichkeit besitzen. Er kann nicht Spur fahren: er ist sehr dumm. Der Ausdr. der Fuhrleute und Bauernknechte ist auch bei Seume bezeugt (Werke, Leipzig 1835, S.6Ö). In je/n. Spuren wandeln: seinem Vorbild folgen. Das Gegenteil meint die Wndg. nicht spuren: sich nicht einordnen, nicht dem Weg folgen, den andere schon erfolgreich beschritten haben. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.315, 318. sputen. Sich sputen:sich beeilen. Lindqvist (S.70) erklärt, daß die in gewählter Rede allg. gebrauchte Rda. ndd. Urspr. ist. Das älteste Hd. kannte ein Hauptwort ,spuot4 = Eifer, Eile, dasselbe Wort wie neuengl. ,speed4. Aber dieses kam bald außer Gebrauch wie das entspr. Zeitwort. Das moderne ,sputen4 ist aus dem plattdt. ,spuden‘ übernommen und bloß in der Lautform (t statt d) dem Hd. angepaßt. Staat. Staat machen: Aufwand treiben, prunken. Die Rda. geht zurück auf die Bdtg. von Staat (lat. status) = Vermögen, von dem jem. den seinem jeweiligen Stande angemessenen Gebrauch machte. Unter dem Einfluß des frz. Wortes ,état4 (vgl. frz. ,faire état de4; ital. ,fare gran stato4) erhielt Staat auch die Bdtg.: Haushaltung, Lebensführung und das dazu nötige Geld. Geiler von Kaisersberg schreibt „so man in mancherley weiß haltet einen zerhafftigen stat über sein eigen rendt und feil, zinß und gült, wann zerhafftiger stat heischet zerhafftigen und grossen rendt“ (,Der dreiek- kecht Spiegel4, in: ,Das Irrig schafe Sagt vo cleinmütikeit vn böser anfechtung. Straßburg 1514,Cc4a),und im gleichen Jh. berichtet die Basler Chronik (6 Bde., hg. von der Hist. Ges. in Basel, Leipzig 1872-1902, Bd. V,467,24): „die zwen doctores sint nottürfftig 300 gulden, yegli- cher 150 gulden fur sinen state“. Die urspr. Formulierung,Staat halten4 oder ,Staat führen4 trug und trägt z.T. noch heute durchaus keinen negativen Akzent; sie wird erst da zu einer Rda., wo unangenehmer Aufwand in den Blick gerät. Sehr deutlich kommt dies in einem schlesw.-holst. Sprw. zum Ausdr.: ,De Geld in de Tasch hett, bruukt keen Staat to maken4; dazu Ausdrücke wie .Sonntagsstaat4, Sonntagskleidung, ,Trauerstaat4, Trauerkleidung. Häufiger als die positive ist heute die negative Verwendung unserer Rda., z. B. rhein. ,Dornet kann mer kene Staat mache4, damit kann man nicht glänzen, Ehre einlegen, sich nichts darauf einbilden, das ist nichts Besonderes. Obersächs. sagt man: ,Da werd kee Staat gemacht4, keine Umstände; berl. ,Det is 'n wahrer Staat4, das ist prächtig; eis. sogar: ,Das is der Staat vom alten Käs - daß er stinkt4. Beide Gebrauchsweisen der Rda. sind in ganz Dtl. und auch in Holland bekannt. Stab. Der Stab hat verschiedene Bdtgn. und Funktionen; so bez. er mhd. das Steckenpferd der Kinder: ,üf einem stabe riten4 dient hier zur Bez. der Kindheit: der ich gedienet hän mit staetekeit sît der stunt deich üfem stabe reit. (Minnesangs Frühling 206, 18) Von der ganz konkreten Vorstellung gehen die Redewndgn. aus, die den Stab als Stütze bezeichnen; urspr. war damit die Stütze für schwache Pflanzen gemeint, wurde aber dann auch auf den Menschen übertr., so schon mhd. ,an einem stabe gän4 = schwach, kraftlos sein: werlt, dû trûrest al ze sêre, dîn lop gêt an einem stabe. (Minnes. 2, 61b, Hagen) Häufiger jedoch gebrauchte man ,äne stap gên4 zur Bez. von Gesundheit und Rüstigkeit; dann wurde das Bild des Stabes auch übertr. gebraucht; so reimte schon der Winsbeke (um 1220): Du wer e snel, nu ist din trit zu nahe leider bi dem stabe. Der nhd. Rda. Stab und Stütze seiner Eltern sein kommt Rudolf von Ems näher, wenn er sagt: „Du soldest mines alters stap und 989
Stab miner vreuden sunnenschin mit liebe an minem alter sin“. Hier ist der Stab, auf den man sich stützt, noch als Attribut des Alters gesehen, wie ja auch alte germ. Rechtsformeln von dem, der selbst über seinen Besitz verfügen wollte, verlangten, daß er ohne Stab und Stütze allein gehen und stehen konnte. Dann aber wurde er neben der körperlichen auch der vorübergehenden seelischen Schwäche zugestanden; in dem Sinne etwa Schiller: „Laßt uns... ihr ein Stab sein auf dem Todesweg“ (,Maria Stuart1 V, 1). Im germ. Recht drückte der Stab weiter zwei entgegengesetze Ideen aus, 1. die des Aufgebens von Gewalt oder Besitz, 2. die des Ausübens von Macht. In dem Bild des Wanderstabes spielt neben der Funktion als Stütze auch die Vorstellung von der Besitzlosigkeit und Heimatlosigkeit eine Rolle, so daß sich die Re- dewndgn. vom Wanderstab und vom Bettelstab nicht immer klar gegeneinander abgrenzen lassen. Den Stab ergreifen: eine Wanderung beginnen; seinen Stab weitersetzen (17./18. Jh.): weitergehen; seinen Stab weitersetzen müssen: noch nicht am Ende der Wanderung sein; mit einer Erweiterung danach auch hess. seinen Stab anderswo hinpflanzen und sehen, ob er grünt: seine Tätigkeit anderswohin verlegen; diese Rda. drückt immer ein gewisses Mißtrauen aus; der Pilgerstab war das Zeichen für eine weite und beschwerliche Wanderung, daher den schweren Stab tragen. Der weiße Stab war das Zeichen der Bettler sowie auch der Verbannten und Verwiesenen, die das Land räumen mußten; ebenso trugen auch Kriegsgefangene und verurteilte Aufrührer sowie Abgesandte, die die Übergabe anboten, einen weißen Stab in der Hand. Anden (weißen) Stab komme nrmm Bettler werden; mit dem weißen Stabe ziun Tore hinausgehen:seinen Besitz verloren haben, mit leeren Händen aus seinem Wirkungskreis treten, ln der ndl. Rda. ,Hij is ge- sprongen en heeft ons den staf gelaten4 wird den anderen der weiße Stab zurückgelassen, nachdem deren Vermögen aufgebraucht ist; es handelt sich also hier mehr um einen Betrüger als um einen Bettler; ttorfein?m~4nt> ,An den Bettelstab kommen' frz. ,11 a été réduit de sortir de sa maison (de son emploi), le bâton blanc à la main4. Deutlicher sind die späteren Wndgn. an den Bettelstab kommen (bringen, den Bettelstab ergreifen). Der weiße Stab als Zeichen des Sich-Erge- bens findet sich in folgenden Rdaa.: mit weißen Stäben ausziehen, mit einem weißen Stäblein ziehen: sich auf Gnade und Ungnade ergeben (Zeit der Bauernkriege). Der Stab als Symbol der Landflüchtigen wird noch sichtbar in der rhein. Wndg. ,se häben öm de Stab an de Dör gesatt\ sie haben ihn ausgewiesen. Zum Zeichen der Güterabtretung wurde ein Stab in den Boden gesteckt, danach die Rda. den Stab in den Boden senken: bis hierher und nicht weiter. Der Stab als Zeichen von Macht, von höchster Gewalt findet sich in den Händen von Königen (Zepter), Fürsten, Bischöfen und Richtern und wird von Bittenden, Gelobenden und Schwörenden berührt. Ebenso tragen Boten und Herolde eines Herrschers einen Stab mit dem Zeichen ihres Herrn, um als Gesandte ausgewiesen zu sein. Der bischöfliche Krummstab ist eine Nachbildung des Hirtenstabes; die Rda. unter dem Krutnnistab leben: unter der Herrschaft eines Bischofs, in einem geistlichen Fürstentum leben, ist meist positiv gemeint (vgl. das Sprw. ,Unter dem Krummstab ist gut leben4). Auch die Gerichtsbarkeit wurde vom Herrscher verliehen, der Gerichtsstab war 990
Stab das Symbol dieser Vollmacht, das Zeichen der richterlichen Gewalt. An diesen Stab wurde der Gerichtseid sowohl von dem Angeklagten als auch von dem Richter gelobt; daher den Eid staben oder an den Stab geloben, eine Rda., die schon früh belegt ist, so bei Wolfram: „sus stabt er selbe sînen eit“ (,Parzival\ Lachmann 269, 3); im Sachs. Receßbuch von 1494 heißt es: „und doruf hat Hans Moier... ganze und genügsame verzieht und absagunge an gerichtsstab gethan geredt und gelobet“. Mit dem Gerichtsstab wurde die Verhandlung eröffnet; so beginnen viele Urkunden: ,Da ich mit gewaltigem stabe zu gericht saß4 o. ä. Mit ihm gebot der Richter Ruhe, und solange er ihn in der Hand hielt, blieb die Versammlung beisammen, war das Gericht gleichsam feierlich beschirmt; legte er ihn aber nieder, so war die Verhandlung beschlossen. Beim peinlichen Gerichtsverfahren wurde dem zum Tode Verurteilten unmittelbar vor seiner Hinrichtung der Stab über dem Haupt zerbrochen und ihm vor die Füße geworfen, wozu der Richter sagte: ,Nun helf dir Gott, ich kann dir nicht ferner helfen1, d.h. Gericht und Urteil sind unwiderruflich: daher die Rda. den Stab über jem. brechen (heute auch über etw.)\ jem. verurteilen, ein zu hartes Urteil über ,Den Stab über jemand brechen4 ,An den Stab geloben4 jem. sprechen. Eine weitere Sitte am Ende einer Verhandlung war, daß beim Aufstehen der Richter und Beisitzer Stühle und Bänke umgestürzt wurden zum Zeichen, daß nicht weiterverhandelt wurde. Die bildl. Verwendung der Rda. vom Stabbrechen ist im Verhältnis zum Alter der Rechtssitte, die jedoch nicht vor dem 16. Jh. belegt ist, jung; sie findet sich zuerst in einem Kirchenlied von Leopold F. F. Lehr von 1733 und wurde dann von Goethe und Schiller weiter bekannt gemacht. Die alte Bdtg. des Stabbrechens, nämlich daß der Verurteilte nichts weiter zu hoffen hat, wurde später verändert in der neueren Formel: „Ich zerbreche mit diesem Stabe zugleich das Band zwischen der Menschheit und euch (armen Sündern)“. Dieser Brauch scheint in mehreren Ländern üblich gewesen zu sein, denn wir finden die Rda. auch ndl. ,de staf breken over iemand (iets)4, engl. ,to break the staff over a person4. Wie der Stab Gesandte des Königs auswies, so wurde er auch den militärischen Führern gegeben, so daß er zum Abzeichen der militärischen Obergewalt wurde. Der Feldherr trug früher als Erkennungszeichen den Feldherrn- oder Marschallstab; seine Berater, die Stabsoffiziere, bildeten den Generalstab. Später wurde dann der Begriff auf die Gesamtheit der höheren Offiziere eines Heeres oder Heeresteiles übertragen. Aus diesem Bereich stammen die Rdaa. Schulden haben wie ein Stabsoffizier, so auch rhein. ,He hät Scholden (Honger) wie ene Stabsoffizier4; Backen wie ein Stabs- 991
Stachel trompeter:so dick und verbraucht. Älter ist die Wndg. Stab und Stange tragen können: waffenfähig sein. Der Begriff ,Stabführung1 wurde auch auf die Orchesterleitung angewandt. Der Taktstock ist das Überbleibsel eines wirklichen Stockes, einer Stange, mit der der Kapellmeister den Takt stieß. Ganz konkret wurde der Stab auch zum Messen gebraucht (vgl. ,Maßstab4), was noch in der Schweiz. Rda. sichtbar wird ,guet a d’Stäb cho\ gutes Maß erhalten. Dem dt. ,jem. nur mit der Zange anfassen mögen4 entspricht das Schweiz.,nid mit eme Stäbli arüere4 (Luzern), was beides von einer schmutzigen, aber auch übertr. von einer widerwärtigen Person gesagt wird; ebenfalls Schweiz, ist die Rda. ,Er macht Stäbli uf und Stäbli ab4 (Luzern), er redet bald so, bald so. Früher scheint es Sitte gewesen zu sein, daß der Vater des neugeborenen Kindes auf seinem Weg zum Pfarrer zur Bestellung der Taufe sowie auch zu den Paten einen (weißen) Stab getragen hat; von diesem Brauch sind noch die Wndgn. erhalten: mit dem weißen Stabe zum Pfarrer gehen (schles.), mit dem große Stabe laufe: zu Gevatter bitten. In den Mdaa. ist Stab nicht recht gebräuchl. und wird meist durch Stock, Stecken, Latte, Stange u.ä. ersetzt; zu den wenigen mdal. Wndgn. gehören rhein. ,nit wijer spröngen als de Stab reckt4, sich nicht zuviel Zutrauen; hess. bedeutet ,stäbein4: sich stolz, breit hinstellen, z. B. ,hä stewelt sich wie die Lus (Laus) im Grinne\ Lit.: E. v. Möller:D\t Rechtssitte des Stabbrechens, in: Zs. der Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. 21 (1900), S. 27-115; K. v.Amira:Der Stab in der germ. Rechtssymbolik (= Abhandlungen d. Bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl., 25. Bd., 1. Abhandlung) (München 1909); H. Siuts: Bann und Acht und ihre Grundlagen im Totenglauben ( = Schriften zur Volksforschung Bd. I (Berlin 1959), S. 115 ff. Stachel. Wider den Stachel locken (lecken): aufbegehren, starrköpfig sein, vergeblich Widerstand leisten (vgl. ,mit dem Kopf gegen die Wand rennen4); eine im Griech. (jTüpôç xévipov ÀocxTiÇeiv4 ) und im Lat. (,contra stimulum calcitrare4) ganz geläufige Wndg., dt. nur belegt aus der Bibel- übers. Luthers anläßlich des Bekehrungserlebnisses des Saulus: „Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken44 (Apostelg. 9, 5). Zu ,lecken1 hat Luther selbst schon als Erklärung an den Rand geschrieben: „Das ist, springen, hupffen44. ,Lecken4 = mit den Füßen ausschlagen, hüpfen, springen ist eine Intensivbildung zur Wurzel ,lih4 und heißt mhd. decken4; der Gebrauch dieses Verbs war urspr. auf das Mdt. eingeschränkt. Im 17./18. Jh. wollte man das Verständnis des Wortes erhalten, und um es vom Lecken mit der Zunge abzuheben, schrieb man es ,locken4 (so seit dem 17. Jh. in den Bibelausg.) oder Jäcken4 (so z. B. Lessing bezüglich eines Geistlichen: „Sehen Sie, Herr Pastor, es wird mir unmöglich sein, nicht gegen Ihren Stachel zu läcken“). Mißverstanden scheint der etymol. Sinn von decken4 schon bei Gryphius zu sein, der das Verb transitiv gebraucht: „Werseine (Gottes) Stachel leckt, nimmt ein erschrecklich End“. Heute ist dieses Wort völlig veraltet und ist nur noch in dieser Rda. erhalten. Durch Luther verdrängt auch Stachel das gemeingerm. ,Angel4. Nicht gegen die Wndg. Luthers durchgesetzt hat sich auch ,wider den Stachel tretten‘ (,Bibl. Hist.\ S. 320/14). Der Rda. liegt das Bild des Ochsen zugrunde, der den Pflug zieht und gegen den Stachelstock ausschlägt, mit dem ihn der Treiber anspornt, und sich dadurch verwundet. Dieser Stachelstock war ein Stab, der an seinem dickeren Ende mit einem starken eisernen Spaten versehen war, um die Erde abzustoßen, die an der Pflugschar hängenblieb; an seinem dünneren Ende befand sich die eiserne Spitze, mit der die Tiere angetrieben wurden. In Kenntnis des etymol. Sinnes reimt Bur- kard Waldis (1490-1556) in ,Der wilde Mann von Wolffenbüttek (V. 419ff.): Dann so gehts gewißlich allen denen, Die sich wölln wider gott aufflenen Und widern scharpffen Stachel lecken: Den bleibt er in der fersen stecken. Die Rda. ist noch heute sehr bekannt, wird aber durchweg iron, verwendet, in dem Bewußtsein zu zitieren; in den heutigen Sprachgebrauch umgeformt ist sie in der Wndg. gegen den Stachel reiben. Dieselbe Vorstellung liegt folgenden Rdaa. zugrunde: ndl. ,tegen de prikkel slaan (stooten)‘; engl. ,to kick against the pricks4; 992
Stadtgraben frz. ,regimber contre l’éperon (sous l’aiguillon)4. Eine Abwandlung der Rda. zeigt sich in den Stachel wider sich selbst kehren: etw. zu seinem eigenen Schaden tun. Den Stachel eines Insekts oder einer Pflanze hat eine größere Zahl von Rdaa. zum Bilde: einer Sache den Stachel nehmen: ihr das Verletzende nehmen, so wie man z.B. die Dornen der Rose entfernt, bevor man den Zweig in die Hand nimmt; einen giftigen Stachel in etw. finden : eine gefährliche Seite an etw. entdecken, das zunächst sehr verlockend erschien; einen Stachelzn- rücklassen: eine schmerzhafte oder beunruhigende Erinnerung zurücklassen; so Lessingin ,Miß Sara Sampson1 (IV, 5): „Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar keinen Stachel zurückließen14. Denselben Sinn hat auch: den Stachel tief in die Seele eittdriicken: eine unauslöschliche schmerzhafte Empfindung bewirken; daher auch: der Stachel, der im Herzen zurückbleibt oder den man stecken laßt und der immer wieder schmerzt. Einem ein Stachel im Auge sein, heute weitgehend ersetzt durch ,ein Dorn .. ist ebenfalls in der Bibel belegt: „... sie (die Völker) werden euch... zum Stachel in euren Augen...“ (Josua 23,13). Einen Stachel im Maul haben: verletzend, scharf urteilen; danach auch ,Stachel der Satire4, ,der Kritik4 wie auch ,Stacheldichter4, ,Stachelgedicht4 etc.; umg. sagt man auch: jem. Stachelbeeren zu verschlucken geben:gegen jem. sticheln; ebenso heißt es: Behalte deine Stachelbeeren!: unterlaß deine Sticheleien; westf. sagt man von verfehlten Sticheleien: ,De Stickelten sind noch nicht riype4. Wieder anderen Rdaa. liegt die Vorstellung von den Stacheln des Igels zugrunde: in die Stacheln beißen, wie der Hund sich an den Stacheln des zusammengerollten Igels verletzt und schließlich von ihm ablassen muß, so zieht sich auch der Mensch unverrichteterdinge wieder zurück, wobei er sich nichts als Schmerzen eingehandelt hat; schon bei Luther heißt es: „das wird uns gelingen wie dem hunde, der ynn die Stachel beysset44 (Weimarer Ausg. 19, 637, 19). Die Wndg. ,in die Stacheln beißen4 kann sich auch auf den Wolf beziehen, vor dem der Hirtenhund mit einem Stachelhalsband geschützt wurde. Mehrere bildl. Darstellungen stammen aus dem 15./16. Jh. Sie stehen meist in Zusammenhang mit Verkündigungsszenen an die Hirten. Die erste lit. Erwähnung des Stachelhalsbandes und seiner Verwendung findet sich in dem Werk ,Opus ruralium commodorum libri XII4 (1304-1309), des Italieners Petrus de Crescentiis. In der dt. Übers., die 1494 in Straßburg gedruckt wurde, heißt es: „auch das die wölff sie nit angreiffen soltu jnen lassen machen halsz- band, die sollen gemacht sein von ysen mit nägelen durchschlagen, und darunter mit weychem Jeder gefütert, das jnen jr halsz nit schädlich werd“. Seine Stacheln hervorkehren: in eine Abwehrstellung gehen, die den anderen verletzt; er geht auf Stacheln: es kommt ihn schwer an, auch frz. verbreitet: ,11 marche sur des épines4. Rhein. ,so stachelig wie en II4 (Igel) heißt einmal unrasiert, wird dann aber auch übertr. gebraucht für: mit der Abwehr schnell bei der Hand; glatt wie ein Stachelschwein bez. iron, einen unrasierten Mann, ebenso ndl. ,Het is een stekelvarken4, ,hij is zoo knorrig als een oud stekelvarken4. Rhein, sagt man zu einem, der Ungewöhnliches behauptet: ,Mer kann sech och Stacheln öm der Buch (Bauch) driehne (drehen)4, und von einem Geizhals wird behauptet: ,Er ließt sich Hewer e Stachel durch den Orsch ziehjen, als...4 Lit.: L. Schmidt: Das Stachelhalsband des Hirtenhundes, in: Zwischen Kunstgeschichte u. Volkskunde. Festschrift für Wilhelm Fraenger (Berlin 1960), S. 154-181. Stadtgraben. ,Da wird der Stadtgraben wachsen4. K. Rother verzeichnet diese schles. Rda. aus der Breslauer Gegend. Sie war dort üblich, wenn man jem. weinen sah und davon ablenken wollte. Wander schreibt dazu: „bekannt als Rda. im Scherz oder Spott, wenn jem. weint, bes. bei Ab- schiedsscenen“. Mit dem Stadtgraben um die Wette gehen sagt man, wenn es sich um eine langsame Gangart handelt, wenn sich jem. langsam zur Arbeit, zur Schule begibt, nur zögernd an etw. herangeht. Nach Wander bez. die Rda. einen ,hohen Grad von Faulheit“, da die Bewegung der Stadtgrabenwasser immer eine sehr träge ist. Der Mensch vom Lande, der einmal in Breslau war und nun 993
Stall versuchte, etw.,feiner4 zu sprechen, wurde nach der Rückkehr in seine Dorfgemeinschaft verspottet: ,Na, na, du bist wull aibr a Schtuogruobm gehopst?4 Stall. Den Stall zuschließen, wenn das Pferd (die Kuh) gestohlen ist: ein Übel verhindern wollen, wenn es schon geschehen ist; eine alte und sehr weit verbreitete Rda. (vgl. ,den Brunnen zudecken, wenn das Kalb hineingefallen ist4). So heißt es bei Hans Sachs: Nu wil den Stal ich machen zu, So mir ist hin kalb und die ku. Dieselbe Vorstellung, aber mit einem anderen Bild gebraucht Luther: „Nun der wolff die gens gefressen hat, habens den stal zu gemacht“ oder „den stal wollen bawen, wenn der wolff die schafe gefressen hat“. Der russ. Vorstellung (,eine Hürde bauen, wenn die Herde zerstoben ist4) kommt die lat. Rda, am nächsten: ,grege amisso septa claudere4. Dasselbe Bild wie im Dt. liegt auch folgenden Rdaa. zugrunde: engl. ,When the horse is stolen, to shut the stable door4, frz.,fermer rétable, quand les vaches sont prises4; ital. ,dopo ehe i cavalli sono presi, serrar la stalla4; ndl. ,Man sluit den stal te laat, als het paard gestolen is4; mdal. rhein. ,Wenn der Wouf e jene Stall gewes es, deeht mer de Dör zou4. ,Er hat ene Stall voll Köh4 heißt es im Rheinl. von einem reichen Bauern; dieser Reichtum des Bauern wird auch auf den Kinderreichtum im allg. übertr.: einen Stall voll Kinder haben; dasselbe Bild wird beibehalten in der eis. Rda. ,in de Küestall on- neme4, an Kindes Statt annehmen; daher auch: aus einem guten Stall kommen: aus gutem Hause sein. In einem Stall stehen oder miteinander stallen: sich vertragen, sich gut mit einem stehen, meist verneint gebraucht; in dieser Rda. werden die Menschen mit zwei Pferden verglichen, die nicht nebeneinander im Stall stehen wollen und sich beißen und treten; in bildl. Anwendung ist sie seit dem 16. Jh. bezeugt, so schon bei Luther: „nymer ynn einem stall stehen44, bei Thomas Murner: „sie stand nit gleich im Stall“, und in der ,Zimmerischen Chronik4 : „die stuenden nit in einem Stall“ ; häufig ist die Rda. in mdt. und ndd. Mdaa„ so voigtländisch ,Se kunnten net recht stallieren mitenanner4, rhein. ,De hän de Keh net en enem Stall4 und hess. ,Dei zwaa stalle nit gout zesamme'; auch im Ndl. bekannt: ,Zij zullen kwalijk zamen te stal staan4. Sehr groß ist die Anzahl der Rdaa., in denen die Umgebung des Menschen mit einem Stall verglichen wird, sei es wegen der darin herrschenden Unordnung oder wegen einer anderen Unzulänglichkeit; nach der griech. Sage von Herakles wurde die Rda. gebildet: den Stall des Augias misten: eine sehr beschwerliche Arbeit verrichten (lat. ,Augiae claucas stabulum pur gare4); danach auch: den Stall (aus-)misten: Ordnung schaffen; die Unordnung im Haus wird auch aus gedrückt in: in einem Sau- (Schweine-)Stall wohnen, etw. zu einem Schweinestall machen. Diese Übertr. von Stall auf menschliche Verhältnisse ist schon im Mhd. gebräuchlich. Der Vergleich der menschlichen Wohnung mit einem Stall - so auch es zieht wie im Hundestall- bezieht auch die Erziehung mit in dieses Bild ein: els. ,Er is im e Söü- stall ufzoge worde4, er hat eine schlechte Erziehung genossen, Schweiz. ,Er isch i Stall yne g’heit', er ist ein grober, ungebildeter Mensch; nach Stallbalsam riechen: durch sein Betragen niedere Herkunft verraten. Groß ist die Anzahl der rdal. Vergleiche: ,stinken wie eine Stallmagd‘ (schwäb.); ,der reißt det Maul off wie en Stallaamer'; ,der Kerle hurt es wie'n Stall- esel\ setzt uneheliche Kinder in die Welt; ,däär kimmt doo erin wäi so e Stallstier1, kommt ohne Klopfen und Grußwort herein (hess.); ,der hat 'n Stolz (Hochmut) wie e Stall voll Ente' (schwäb.); ,he frett wie en Ferke ut de Stall', er ist unmäßig im Essen (rhein.). Das beste Pferd aus dem Stall holen: die beste Spielkarte hergeben müssen, auch allgemeiner gebraucht für: das Beste hergeben müssen; so rhein. ,Se han dem de beste Kuh ut dem Stall geholt4, bei ihm ist gepfändet worden, aber auch: er hat seine (schönste) Tochter verheiratet; ,dat es et beiste Perd us jene Stall4, die beste Gewinnkarte; danach auch ,enem der Stall ut- duhn', einen lahmlegen, plündern (vor allem beim Kartenspiel). Auch die folgenden Rdaa. werden sowohl beim Kartenspiel 994
Ständerling als auch allg. angewandt: noch andere Schafe haben, die nicht ans diesem Stalle sind: noch etw. anderes in Reserve haben; diese Rda. stammt aus der Bibel (Joh. 10,16), wo sie im Gleichnis von dem Guten Hirten vorkommt: „Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle“; aus jedem Stall ein Ferkel: Karten jeder Farbe, von jeder Sorte etw. (westf. ,ut jeem Dorp en Riiern\ oft mit dem Zusatz: ,un von Holzwickede 'n Spitz4); das ist aus meinem Stall, alles in einen Stall treiben, die Spielkarten oder der Besitz der anderen werden mit dem Vieh verglichen, ln Schwaben heißt es von einem, der alles erbt, ohne daß er sich darum bemühen muß: ,Der darf nu d Stalltür zumache4, und von einem Glücklichen wird behauptet: ,Dem kälberet der Stallbaum4 (d.h. der Pfeiler im Pferdestall, der den Heuboden stützt) oder ,Dem kälbere d’Dreschflegel im Stall4. In ganz Dtl. verbreitet ist die Rda. den Stall offenstehen haben oder zumachen, wobei der Hosenlatzmit der Stalltür verglichen wird; so heißt es hess.: ,Mr maat, de häst geschlacht. - Woerim? - De host de Stall nach offstih4. Wurst im Flundestall suchen: etw. Unmögliches unternehmen. Im schwäb. Raum verbreitet ist die Rda. ,Der wird scho no sein Stall finde4, er wird noch zum Ziele kommen, ,schau en Stall derzu finda4, die Sache in Ordnung bringen. In einem guten Stall stehen: einen guten Posten haben. Seinen eigenen Stall misten: sich um die eigene Angelegenheit kümmern (vgl. ,sich an die eigene Nase fassen4); ,er- gendsene Stall stoeh han4, irgendwo Schulden haben (rhein.); ,jemes en Ställeke beschlohn4, jem. einen Riegel vorschieben, ihn bei anderen herabwürdigen. Ebenfalls im Rheinl. behauptet man von einem Dummen: ,Mer kennt Ställ met em rem- reissen4, und um eine geduldig wartende Menge zu charakterisieren, sagt man: ,Die stöhn do wie de Dier em Stall4; ,do es de Jüdd en de Stall4, der Bauer ist verschuldet; ,bowen in de Stall stöhn4, sehr in Gunst stehen, in verächtlichem Ton gesagt; ,der hät de Sau (et Ferke, Pferd, den Esel) wegen dem Stall gehollt (genomm, gehirot)4, er hat eine häßliche Frau um ihres Geldes willen geheiratet. Nicht im engen Stall stehen können: von einem anspruchsvollen Menschen gesagt. Nach dem Stalle gehen: berl. Rda. für: in die Schule gehen; ähnl. auch ,Stallfütterung4 für eine Bildung und Erziehung, die nur Bücherweisheit vermittelt. Die Stralsunder Rda. ,up’n Stall seeten4, ins Gefängnis setzen, rührt daher, daß sich hier das Gefängnis über den Ställen befand. Nach der Größe der Eimer im Stall heißt es: ,Där kann en Stallaamer voll vertraa4, er verträgt sehr große Mengen an Alkohol (/trinken). Es geht jem. eine Stall-Laterne auf: er begreift endlich (/Licht). ,Stalldrang4 bez. übertr. auch den Wunsch des Menschen, nach Hause zurückzukehren, das Heimweh, meist iron, gebraucht. Standarte. Das militärische Feldzeichen einer Fußtruppe, später der Reiterei, wird an einer Stange getragen. Die Rda. bei der Standarte bleiben .sich in seinem bisherigen Stande halten, wird fast ausschließlich in einem speziellen Fall angewendet, nämlich auf eine Frau, die ihrem Mann treu ist, gelegentlich auch allg. anstelle der Rda. ,bei der /Stange bleiben4. Sowohl in Sachsen als in Franken nennt man die lange, hagere Frau eines Mannes scherzhaft seine Standarte. Aber auch der stark nach Alkohol riechende Atem wird zuweilen mit demselben Wort bez., und zwar statt des sonst üblichen Ausdr. /Fahne. Ständerling. Einen Ständerling halten (machen, haben):auf der Straße stehenbleiben, um mit jem. zu plaudern. Die Rda. ist lit. seit dem 16. Jh. belegt. Geiler von Kaisersberg rühmt Maria, als sie zu Elisabeth geht: „Nitt machet sye stenderling by den mün- chen und pfaffen, als unser jungkfrawen thund“ (Doctor Keiserßbergs Postill: Vber die fyer Euangelia durchs jor..., Straßburg 1522, 4, 8b). Ähnl. äußert sich Luther in seinen Tischreden4: „... und gemanet mich derselbigen prediger, die alles wollen sagen, was jnen einfeilet, gleich wie der megde, die zu marckte gehen: wenn jhnen ein andere magd begegnet, so halten sie mit jhnen einen tasschenmarckt oder ein stenderling, begegnet jhnen denn die ander 995
Standpauke, Standrede magd, so halten sie mit der auch eine spräche“. Offenbar war diese Plage früher nicht kleiner als heute, denn auch die Rüge Valentin Schumanns (,Nachtbüchlein1, hg. v. Boite, 324, 8) geht an die gleiche Adresse: „wann mans außschickt, so mußt sie allemal zwen oder drey ständerlin haben“. Die Rda. war wohl von Beginn an hauptsächlich auf den lit. Gebrauch beschränkt und ist es augenscheinlich auch geblieben. Mdal. ist sie heute nur sehr wenig bekannt, wie etwa im Obersächs.-Erzgeb. In Schwaben kennt man sie nur verblaßt in adverbialer Form: ,Er muess ständ(er)linga trinka, mer hoas- sen net a mool sitza‘. Rhein, hält sich der verbale Ausdr. ,ständeln4 = herumstehen in nur sehr engen Grenzen. Am besten gehalten hat sich die oesterr. Formulierung ,ein Standerl halten4. Standpauke, Standrede. Eine Standpauke halten: heftig zurechtweisen, eindringlich ermahnen; die Rda. leitet sich aus der Studentensprache her, in der seit 1781 pauken4 i. S. v.,predigen4 gebräuchl. wird. Das Zeitwort pauken lautet mhd. ,püken‘ = draufschlagen. In diesem Sinne verwendet es noch Luther. Die bekräftigenden Schläge des Geistlichen auf die Kanzelbrüstung wurden also zum Synonym für sein eindringliches Zureden. Als Vergröberung von Standrede ist Standpauke in die Umgangssprache eingedrungen und heute allg. bekannt, jedoch mdal. kaum gängig. Standrede: kurze, kräftige Ansprache, ist zuerst für Limmer bei Hannover vor 1718 belegt, und zwar für die Ansprache des ev. Geistlichen am offenen Grab, bei der - im Unterschied zur Leichenpredigt - die Trauergemeinde steht. Als im Stehen gehaltene Rügerede an Kinder, Schüler oder sonstige Untergebene begegnet Standrede zuerst 1747 bei Geliert in Berlin. Diese Verwendung hat den kirchlichen Gebrauch überdauert; das zusammengesetzte Wort (Standrede ebenso wie Standpauke) hat um so eher überleben können, als eine im Eifer gemachte Vorhaltung (,Pauke4) stets im Stehen an den Mann gebracht zu werden pflegt. Die dem Worte ,pauken4 zugrunde liegende Bdtg. erhellt noch aus der Bez. des Lehrers als ,Pauker4; dieser Terminus stellt eine Verkürzung der älteren, bereits 1667 und 1700 nachgewiesenen Benennungen ,Hosen-4 bzw. ,Arschpauker4 dar. Standpunkt. Der Ausdr. Standpunkt findet sich nicht vor 1778; Vorbild für diese Bildung ist der Gesichtspunkt4, der wiederum als Lehnübers. des lat.,punctum visus4 seit 1525 gebraucht wurde. Kant, Lavater und Schiller gehören zu den ersten, die den Ausdr. verwenden, jedoch nur in der konkreten Vorstellung von einen Standpunkt fassen als ,den rechten Punkt ins Auge fassen, von dem aus man die ganze Sache übersieht4. Die konkrete Vorstellung ändert sich um 1838, als in Hegels Schule der Begriff vom überwundenen Standpunkt aufkommt. Hieran schließt sich auch die Rda. an: einem den Standpunkt klarmachen: einem die Grenzen seiner Befugnis oder das Verkehrte in seinem Benehmen, Denken oder Handeln zeigen; zuerst greifbar ist diese Rda. bei Th. Fontane 1857, schwäb. auch als ,de Standpunkt beleuchte4 gebräuchlich. Der Standpunkt als geistige Haltung wird auch deutlich in der Rda. vom Ohne- mich-Standpunkt als Ausdr. der Ablehnung; verbreitet seit 1945 als Äußerung von Leuten, die sich der politischen Betätigung und der politischen Mitverantwortung versagten. Urspr. war ,ohne mich4 die Parole der zum Pazifismus neigenden Front- soldaten-Generation. Heute ist diese Rda. verallgemeinert und bez. allg. ein Zurückweisen jeglicher Mitverantwortung. Stange. Einem die Stange halten: jem. in Schutz nehmen, für jem. eintreten, seine Partei ergreifen, sich zu ihm bekennen, ihm treu sein. Diese Rda. ist dem ma. Rechtsleben entnommen. Das Landrecht des ,Schwabenspiegels4 kennt die Verordnung: ,,Ir ietwederm soi der rihter einen man geben, der ein Stange trage, die soi der über den haben, der da gevellet“. Jedem Kämpfer steht im gerichtlichen Zweikampf also eine Art Sekundant zur Seite, der mit Hilfe einer Stange notfalls eingreifen kann, wenn die Kampfregeln es fordern. Die entsprechende Stelle lautet im Sachsenspiegel4: „Irme iowelkeme soi die richtêre einen man geben, der sinen boum trage; der ne 996
Stänkern sol sie nichtes irren, wan ob ir einir valt, daz her den böm under steke, oder ob her ge- wunt wert oder des bömes bedet; des selben ne mut her nicht tun, her ne habes orloph von deme richtere44 (Landrecht I, 63 § 4). Im Turnier hatte der Grieswart, auch ,Stanger4 oder ,Stängler‘ genannt, diese Aufgabe zu erfüllen, nämlich demjenigen mit der Stange beizuspringen, der die Stange begehrte und sich damit für überwunden erklärte. Auch diese Rda. hat sich lange gehalten, trat jedoch später hinter der erstgenannten zurück und ist heute kaum noch bekannt. Seb. Franck gebraucht sie noch in seiner,Chronik4 von 1531: „das der erstgemelt künig Ascalonitarum, ward mit drey streyten vermuedet, das sy wie das vihe gemetziget wurden und zu letst der stang begerten4'. Die Rda. ,einem die Stange halten4 wird etwa seit der Mitte des 17. Jh. auch in einer zweiten Bdtg. verwendet: jem. gewachsen sein, es mit jem. aufnehmen. Dafür sind viele Erklärungen gesucht und gefunden worden. Vielleicht handelt es sich hier um die bekannte Erscheinung, daß einer nicht mehr verstandenen Rda. ein neuer Sinn beigelegt wird. Mit dem Wissen von gerichtlichen Zweikämpfen und Turnieren schwindet das Wissen um den Hintergrund und den Sinn der Rda., und zu dem Wort ,halten4 gesellen sich Assoziationen wie ,festhalten\ ,entgegenhalten4, ,abhalten4 usw. Bei der Stange bleiben: bei jem. oder bei einer Sache standhaft ausharren, eine einmal angefangene Tätigkeit fortführen, treu bleiben. Die Rda. geht wahrscheinl. auf die Fahnenstange zurück, an der der kämpfenden Truppe das Feldzeichen vorangetragen wurde, nach welchem man sich ausrichtete und um das man sich immer wieder sammelte (vgl. ,bei der /Fahne bleiben4 und ,bei der /Standarte bleiben4; vgl. dagegen die vom Fechten hergenommene Rda. ,bei der Klinge bleiben4). Entspr. gilt auch die Wndg. jem. bei der Stange halten: jem. zu folgerichtigem Handeln anhalten, nicht ausweichen oder abweichen lassen. Das kostet eine Stange Geld: das ist sehr teuer, die junge Rda. ist hergeleitet von den stangenförmigen Rollen, in die Geldstücke verpackt sind. Erst seit Beginn des 20. Jh. gibt es die Rda. eine Stange (eine Stange Wasser) in die Ecke stellen:stehend urinieren. Etwa 1914/18 ist sie im Sprachgebrauch der Kriegsmarine nachweisbar. Die Redewndg. wird heute vorwiegend von Schülern und Studenten benutzt. In der vulgären Umgangssprache ist Stange auch ein Ausdr. für den erigierten Penis; entspr. eingerostete Stange4, schlaffer Penis. Dazu Rdaa. wie: ,einem Mann die Stange halten4, ihn masturbieren ; ,eine Stange angeben4, mit seinen Genitalien prahlen (Borneman: Sex im Volksmund). Ebenso jung ist die Rda. etw. von der Stange kaufen: Konfektionsware kaufen. Sie leitet sich her von den Stangen, an denen in Bekleidungsgeschäften Anzüge und andere Kleidungsstücke zum Verkauf hängen. Dabei handelt es sich im Gegensatz zur Maßbekleidung um Massenware. Daher kann man heute allg. alles Nichtindividuelle oder Massengefertigte und jedem Zugängliche als ,von der Stange4 bezeichnen, so z. B. Möbel von der Stange, Gesellschaftsreisen, Freizeit, Haus von der Stange, aber auch: Kultur, Geschmack, Liebe, Gesundheit, Überzeugung von der Stange; ein Durchschnittsmann ohne individuelle Züge kann als ,Mann von der Stange4 gekennzeichnet werden. Freilich handelt es sich bei solchen Sprachkombi- nationen meist um intellektuelle Einzelleistungen, die kaum volksläufig werden. In ganz anderem Zusammenhang wird Stange in einer rheinhess. Rda. gebraucht; dort sagt man von einem erfolglosen Projektemacher, er habe ,mehr Stangen als Hinkel4. Eine lange (dürre) Stange (auch Hopfenstange) nennt man eine lange, schmächtige Person. stänkern. Gestank erregen, daraus: Unfrieden stiften, grundlos kleinlichen Streit anfachen, zanken, sticheln; hat sich aus dem mhd. Zeitwort ,stenken4 herausentwickelt, das als Faktitivum neben ,stinken4 steht. Die urspr. Bdtg. ist noch klar erkennbar, wenn Luther schreibt (VIII, 257b): „denn das ist des Teufels eigen Art und Ampt, das er seinen Rüssel in der armen Menschen Sünden suddelt, wület, und rüttelt, als wolt er den dreck gerne so gros und 997
Stapel breit machen, das der Himel vol stancks, und Gott mit allen Engeln heraus gesten- ckert würde“. Gegen Ende des 17. Jh. beginnt sich aber die erweiterte Bdtg. durchzusetzen, jedoch ohne daß die urspr. vergessen würde. Sie findet zunächst bes. in die Studentensprache Eingang, wird dann aber allg. gebräuchlich. Entspr. heißt ein Mensch, der stänkert: ,Stänker‘ oder ,Stänkeret. Stapel. Etw. (oder eine Rede) vom Stapel (laufen) lassen: zine Rede halten, etw. von sich geben, Vorbringen. Die meist in iron. Sinne gebrauchte Rda. knüpft an einen Vorgang im Schiffsbau an, nämlich an das Zu-Wasser-Lassen des fertiggestellten Schiffes. Entspr. hat man bei dieser Rda. an eine wohlvorbereitete Ansprache, an ein fertiges Konzept zu denken, das flott und ohne Widerstände heruntergesprochen wird. Die Rda. dürfte kaum wesentlich weiter als bis ins 18. Jh. zurückreichen, wenngleich schon 1616 für Hamburg bezeugt ist, daß die ndd. Seemannssprache den aus mnd.,Stapel4 = Unterlage verengten Ausdr. kennt. Wieland verwendet die Rda. im 3. Teil des ,Pervonte‘: Der erste Wunsch, den wenig Tage drauf Die schöne Vastola vom Stapel Der Wünsche laufen ließ, flog in geradem Lauf Zur stolzen Königsstadt Neapel. Ganz andere Bdtg. besitzt die euphemist. gebrauchte ostpreuß. Rda. ,Hei heft êr wat op en Stâpel gesett\ er hat sie geschwängert. Star. Der Vogel dieses Namens wurde früher gern in Käfigen im Hause gehalten; bedingt durch den vertrauten Umgang des Menschen mit diesem Haustier wurde der Name des Stars gelegentlich zu rdal. Vergleichen herangezogen, z.B. sächs. ,einem Zureden wie einem kranken Star4, eindringlich, wohlmeinend Zureden. Auf einen unreifen jungen Mann, der überall mitreden will, wendet man in Schwaben den Vergleich an: ,das Maul aufreißen wie die jungen Staren4. Allg. gebräuchl. sind die Wndgn. ,schwätzen wie ein Star4 und gingen können wie ein Star4. Mit Bezug auf den frei fliegenden Star heißt es eis. ,üwer eps herefellen wie e Stör uf e Rossbollen4. Bekannter ist jedoch die Rda., die sich auf die Augenkrankheit gleichen Namens bezieht (sie hängt nicht mit dem Namen des Vogels, sondern mit ,starr4, ,stieren4 und ,stur‘ zusammen): jem. den Star stechen: jem. die Augen öffnen, sehend machen, aufklären, jem. die Wahrheit offenbaren. Sie geht zurück auf die Praktiken, die früher zur Beseitigung dieser Krankheit üblich waren. 1583 bemängelt ein Fachkundiger die unsachgemäße Behandlung des Stars durch ,Zahnbrecher4 und ,Theriacksleute4: „Nemen die leute an, und stechen sie am star auff dem markte im winde und lufft vor jederman, lassen sie also dar von gehen, wie ein sawe vom tröge, aber solches heisst nicht am star gestochen, sondern die äugen ausgestochen44 (G. Bartisch, ’OtpôaÀpo- ôouÀela. Das ist Augendienst..., Dress- den 1583, S.60a). Spätestens im Verlauf des 17. Jh. wird die Bez. eines realen Vorganges auch in bildl. Verwendung gängig. Nach der Befreiung Wiens im Jahre 1683 soll ein Wortspiel gegen den besiegten Türken im Umlauf gewesen sein: „Graf Starhemberg kann dir den Staren wohl stechen44. Heinrich Heine schreibt in seinem ,Wintermärchen4: Ich heisse Niemand, bin Augenarzt Und steche den Star den Riesen. Er spielt dabei auf die Sage von Odysseus und dem Riesen Polyphem an und will damitsagen, daß er dem Volk und den Mächtigen die Augen öffnen will. In seinem ,Bauernspiegel4 bedauert Jeremias Gotthelf: „Selbst sehen und erkennen können die meisten Menschen nicht; sie sind blind geboren, den Star muß man ihnen stechen44. Die Rda. ist auch mdal. in ganz Dtl. bekannt, jedoch nur wenig gebräuchl. Als seltener, lit. Beleg ist die Wndg. zu werten, die Schiller in seinen ,Räubern4 (1,2) dem Karl Moor in den Mund legt: „Da fällt’s wie der Star von meinen Augen!4' Vgl. hierzu die Rda. ,Es fällt mir wie /Schuppen von den Augen4. stark. Sich stark machen: sich seiner Kraft rühmen, behaupten, daß man etw. kann, was andere einem nicht Zutrauen, auch: festes Vertrauen auf jem. oder etw. setzen und gegen jeden Zweifel standhaft bleiben. 998
Staunen Vgl. ndl. ,zich sterk maken (voor)4; engl. ,1 back myself to.. .4; frz. ,se faire fort de .. / Sich für etw. stark machen: sich selbst etw. Zutrauen, sich für die Interessen anderer einsetzen, eigentl. Vorbereitungen für eine körperliche Anstrengung treffen. So stark sein wie ein Bär (Baum, Pferd), wie Simson, wie ein Türke: sehr große Kraft besitzen. Das ist mir zu stark: das ist eine große Zumutung, auch: eine faustdicke Lüge. Im Schwab, heißt es: ,Des ist mT z stark wie der Katz’ d’Gaissmilch4. Vgl. auch ,Das ist ein starkes Stück4 und ,Das ist starker Tabak4, /Tabak. ,A kam ziemlich stark4 sagt man in Schles., wenn jem. übertriebene Forderungen stellte und dabei bes. grob wurde. Er ist stark auf der Seite des Stärkern: er schließt sich der Partei an, die die Macht besitzt. Die Wndg. wird bes. in politischer Hinsicht gebraucht. Vgl. auch: ,Den Mantel nach dem Winde hängen4, /Mantel. In der ,Breslauer Zeitung4 von 1865 (Nr. 407, S. 231 ) wurde die Rda. verwendet: „Getreu ihrem Wahlspruche, immer stark auf der Seite des Stärksten zu sein44. Staub. (Viel, mächtig) Staub auf wirbeln: Anlaß zu lebhaften Erörterungen geben, von sich reden machen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Verwirrung stiften, sagt man seltener von Personen, sondern hauptsächlich von besonderen Ereignissen. Bei dieser Rda. ist daran zu denken, daß ein vorüberfahrender Wagen den Staub der Straße aufwirbelt und dadurch noch eine Zeitlang an sein Erscheinen erinnert, auf diese Weise also noch eine geraume Weile nachwirkt. Bismarck spricht von den Parlamenten, ,,in denen die Parteikämpfe so viel Staub aufwirbeln44 (,Reden4 13, 230). Ndl. ,veel stof opjagen4; frz. ,faire de la poussière4. Dazu auch das ältere Sprw. ,Tanzt ein Alter, so macht er viel Staub4. ,Mächt’jen Stoob machen4 bedeutet berl.: gewaltig schimpfen; anderwärts auch: sich wichtig machen, angeben. Sich aus dem Staub machen: sich eilig entfernen, sich heimlich zurückziehen, einer Unannehmlichkeit ausweichen, flüchten; der Rda. liegt das Bild eines Schlachtgetümmels zugrunde, in dessen Staubwolken man unauffällig fliehen konnte; lat. heißt es: ,arena cedere4, vom Kampfplatz abtreten. Die dt. Rda. ist bereits im 15. Jh. bezeugt; der bair. Geschichtsschreiber Aventinus (Johannes Turmair) verwendet sie: „Jezabel, die stellt dem Helia nach dem leben. Helias macht sich aus dem staub44. (Akad.-Ausg. 1882-86, Bd.IV, 1, S.242). Im 16. Jh. finden sich mehrere Belege, so z.B. in der ,Zimmerischen Chronik4 (II, 531): „Es megen die pauren zu Walwis das ,weberpu4 ebensowenig leiden oder verguet haben, als die pauren zu Borsum im Stift Hildeshaim vom ,weihen4; dann der inen darvon meldung thuet, der mach sich kurz ußerm staub, will er anders nit frembde hendt im haar haben, und das hat die ur- sach“; oder, mit eindeutigem Bezug auf ein Kampfgeschehen: ,,da war eyn grausam geschrey, der schlug, der stach, der warff, ich aber machet mich auß dem staube, satzte mich von ferren hinder einen stein, sähe ihnen zu, wollte der suppen nicht versuchen“ (,Buch der Liebe4, Frankfurt 1587, 203 c). Die Brüder Grimm bedienen sich der Rda. in der Erzählung vom Bürle (KHM. 61): „Bürle aber machte sich am andern Morgen mit den dreihundert Talern aus dem Staub“. Die Rda. ist zwar auch heute noch allg. bekannt, in mdal. Verwendung aber kaum anzutreffen. ,Blas mr den Stoob weg!4 sagt man ober- sächs. zu einem hochnäsigen Gesellen, indem man ihn gleichsam auffordert, einem die Kleidung, die Schuhe zu säubern; oft auch als bloßes Einschiebsel des Tadels gebraucht. staunen. Er staunt wie der Hahn über den Regenwurm:zi ist sehr verwundert und hält in seiner Bewegung inne wie der Hahn, der plötzlich einen Wurm entdeckt hat. Da staunt der Laie (oft mit dem Zusatz: ,und der Fachmann wundert sich4) ist eine jüngere Rda., die auf den bewunderungswürdigen Fortschritt in der Technik anspielt und maßlose Überraschung ausdrük- ken soll. Ackermann, da s ta uns te! Die Wndg. ist seit 1920 bes. in der mdt. Umgangssprache geläufig, ihre Herkunft ist bisher ungeklärt. Vielleicht ist mit dem ,Ackermann4 nicht eine bestimmte Person, sondern der Bauer 999
Stecken,stecken im allg. bez. worden, dessen Unwissenheit in vielen Dingen des modernen Lebens den Städter zum Spott reizte. Da staunt man Bauklötzer /Bauklotz. Stecken, stecken. Es einem stecken wird in zweierlei Bdtg. gebraucht. Einmal i. S. v. jem. etw. heimlich mitteilen, d.h. ihm eine Nachricht zustecken. In diesem Sinne in Schillers ,Kabale und Liebe4, wo der alte Miller sagt: ,,Hätt’ gleich alles seiner Exzellenz, dem Herrn Papa, stecken sollen“. Die Rda. wird auf die Sitte der Femgerichte zurückgeführt, Vorladebriefe mit einem Dolch am Tor des zu Ladenden anzuheften. Auf ähnl. Weise, vom ,anstecken4 an ein Tor oder eine Anschlagtafel, kamen auch die ,Steckbriefe4 zu ihrem Namen. In einer anderen Bdtg. wird die Rda. gebraucht, wenn man jem. unmißverständlich zu verstehen geben will, daß er etw. nicht wieder zu tun hat, auch i. S. v. jem. die Meinung sagen. Das daliinterstehende Bild meint: ihm Einhalt tun, indem man ihm einen Pflock in den Weg steckt. Dies wird durch die ndd. Rda. ,1k wil di en Sticken stecken4 bekräftigt. Damit korrespondiert die ältere bair. Rda.,einem einen Halt stoßen4, das dem lat. ,insidias ponere alicui4 entspricht. Auch in der Wndg. sich ein Ziel stecken ist dieses Bild erhalten, denn es ist damit ur- spr. das Einstecken des Zielstabes in den Erdboden gemeint. In mhd. Zeit war anstelle von stecken das Verb ,stoßen4 ge- bräuchl., es hieß also ,ein zil stozen4; so sagt man heute noch bair.,einen Waldgrund mit Eicheln bestoßen4, wenn man ihn mit Eichen bepflanzt. Dem steht heute kein Stecken gerade wird festgestellt, wenn jem. nichts recht zu machen ist und er an allem zu nörgeln hat. Vgl. Holtei: „Der Marie-Luise steht auch kein Stecken gerade, wegen der Verdrüsse mit ihrem Junker und seiner Schwester44 ^Erzählende Schriften4 15,181). Eis. sagt man: ,Wenns dr nit gfallt, so steck ’n Steckn drzu4, um jem. Kritik zurückzuweisen. Iron, heißt es dort auch: ,Uf den kan mr sich verlasse wie uf ’n gebrochene Stecke4, wenn man die Unzuverlässigkeit eines Menschen kennzeichnen will. Unter einer Decke stecken / Decke. Steckenpferd. Sein (ein) Steckenpferd reiten (haben): seinen Lieblingsneigungen folgen und von ihnen sprechen, seine Freizeit kleinen Liebhabereien widmen. Die Rda. ist dem Kinderspiel entlehnt und auf die Lieblingsbeschäftigungen der Erwachsenen übertr. worden. Ein Frühbeleg findet sich schon in Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4: Der ist ein gutter gouckelman, Der zu roß nit rytten kan Vnd sitzet dannocht vff eim stecken, Vff das er ryt mit andern gecken. Der Ausdr. Steckenpferd für das Kinderspielzeug begegnet zuerst bei J. Ayrer (gest. 1605 in Nürnberg), bei dem es heißt: „reyt auff einem Steckenpferdt44. Auch Stieler verzeichnet 1691: „Heiligenchristpferd alias Steckenpferd, eqvulus ligneus picturis variatus44. In frühnhd. Zeit sagte man dafür noch ,Roßstecken4, so z.B. Luther 1527: „der Kneblin Roßstecken vnd rothe Schuhe44. Das engl. ,hobby-horse4 hat aber erst zur übertr. Bdtg. von Lieblingsbeschäftigung geführt und wurde in Dtl. durch Lorenz Sternes Tristram Shandy4 in der Übers, von Zückert 1763 gebräuchlich. Goethe sagte einmal im Hinblick auf das abwertende Wort ,Marotte4: „Sodann haben wir, um übertriebene Eigenheiten zu bezeichnen, das höflichere Wörtchen Stek- kenpferd, bei dessen Gebrauch wir einander mehr schmeicheln als verletzen“. Göckingk schrieb in seinen ,Gedichten4 0, Hl): Der vielgeliebte Sterne sprach Im Shandy kaum von Steckenpferden, So schwatzt ihm alles schon von Steckenpferden nach; Wer aber wird davon zum Yorik werden. Bei Kästner (Werke 1,138) findet sich folgender Beleg: „Den alten Gedanken, daß jeder Narr seine Kolbe hat, hat Tristram Shandy etw. höflicher ausgedrückt... Jeder Mensch hat sein Steckenpferd“. Vgl. auch engl. ,to ride one’s hobby horse4; ndl. ,Hij zit op zijn stokpaardje4 und frz. ,Chacun a son cheval de bataille (sa marotte)4. In Shakespeares ,Viel Lärm um nichts4 bez. ,hobby horse4 einen albernen Menschen. Bebel erklärt (Nr. 562): ,In ba- 1000
Stegreif culo equitare est frustra conari4. Diese volkstümliche Verurteilung des Steckenpferdes ist noch im Göttingischen sprw.: ,Et is darhaft (töricht), up Stockperen rien, ei maut (muß) doch te Faute (zu Fuße) gehn1. Heute hat das neu entlehnte Wort ,hobby4, das durchaus in positivem Sinne gebraucht wird, das dt. Wort weitgehend verdrängt. Sie reiten ein und dasselbe Steckenpferd: sie haben die gleichen Interessen. Vgl. ndl. ,Zij rijden op het zelfde hobbelpaard4. Ul.: Kluge: Etymol. Wb., S. 743; Walz in: Zs. f. dt. Wortf. 13 (1912), S. 124 ff. Stegreif. Aus dem Stegreif reden (dichten, schreiben, etw. vortragen etc.): ohne Vorbereitung ... ; geht zurück auf die ältere Benennung für den Steigbügel: ahd. ,stëga- reif\ mhd. ,stëgreif4 bedeutet urspr. Reif bzw. Ring zum Besteigen des Pferdes. Der Name wechselte mit der Form des betreffenden Gerätes. ,Aus dem Stegreif4 meint also zunächst: ohne vom Pferd herabzusteigen, hier und jetzt. Die Rda. ist schon im 17. Jh. gut bekannt. Ausdem Jahre 1653 stammt der Beleg: „Dan dergleichen hohe und wichtige sache, darauff des gantzen 1-3 ,Sein Steckenpferd reiten4 reichs ruin und wolfart bestehet, wolte seines bedunckens sich also aus dem stegreiff nicht tractiren lassen44 (B. Ph. v. Chemnitz, Königl. Schwed. in Teutschland geführten Kriegs 2. Theil, Stockholm 1653, 186). Im 17. Jh. begegnet zuweilen auch im Stegreif. Goethe gebraucht die Rda. häufig, z. B. „Aus dem Stegreif die Reime zu machen, wie leicht war das!“ (Weimarer Ausg. XIII, 1, 261). Bei Lessing (V,344) findet sich der Satz: „Jedes große Genie redet alles aus dem Stegreif“. Die Rda. lebt heute nahezu ausschließlich in intellektuellen Kreisen. In der Volkssprache gar nicht mehr bekannt ist die Rda. sich vom (oder im) Stegreif nähren: sich als berittener Wegelagerer, als Stegreifritter von Straßenraub und Plünderei nähren. In dieser Weise sprach man bes. im 14. bis 16. Jh. von dem wirtschaftlich wie geistig heruntergekommenen Landadel, der sich kurzerhand (noch im Stegreif) anzueignen trachtete, was ihm gerade am Wege begegnete. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 steht (77,17): Wann yeder dät als er thuon soi, So weren sie beid gelttes wert: Dyser mit fädern, der mit schwert, 1001
Stehen / Möht man ir beid entberen nitt, Wann ob der hant nit wer jr schnytt Vnd durch sie würd das recht versert, Man vß dem stägenreiff sich nert. Thomas Murner sagt 1512 in der ,Narrenbeschwörung1: Noch schadts mir nit an miner eren, Das ich des satteis mich erneren. Dagegen scheint Hans Sachs die Situation schon realistischer einzuschätzen, wenn er schreibt: Soll ich mich in den stegraiff nehrn, Wie ander edel reuterlewt, So fürcht ich aber meiner hewt, Dieweil oft mancher wird erdappet, Das der rabenstein nach im schnappet. (Ausg. Keller-Goetze XII, 443) stehen. „Hier stehe ich! Ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen“. Ich stehe zu dem, was ich gesagt und geschrieben habe, ich verharre trotz aller denkbaren Nachteile und persönlicher Gefahr auf meiner Überzeugung. Luther soll nach der gewöhnlichen Überlieferung am 18. April 1521 vor dem Reichstag in Worms mit diesen ablehnenden und abschließenden Worten die Frage beantwortet haben, ob er widerrufen wolle. Diese volkstümliche Fassung seines Ausrufs ist zuerst in der Wittenberger Ausg. von Luthers Werken erschienen und immer wieder so übernommen worden. Bei einem Vergleich älterer Quellen ergibt sich jedoch, daß Luther nur die im Sprachgebrauch seiner Zeit üblichen Worte: „Gott helf mir, Amen!“ gesprochen hat. Das Zitat ist jedoch inzwischen so allg. bekannt geworden, daß es in verkürzter Form als Hier stehe ich, ich kann nicht anders! rdal. gebraucht wird (Büchmann, S.658). Da steh ich nun!: Ich kann nicht weiter, ich weiß nicht, womit ich mein Ziel erreichen, wie ich im Leben, im Beruf vorankommen soll. Der resignierende Ausruf wird dann gebraucht, wenn sich jem. seines Stillstandes plötzlich bewußt wird und völlig rat- und hilflos ist, wie es in Zukunft weitergehen soll. Die Wndg. ist die Kurzform eines Goethezitates. Faust ruft verzweiflungsvoll in der Nacht in seinem Studierzimmer aus: Da steh’ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor. Allein stehen: ohne Hilfe und Anteilnahme sein, keine Angehörigen mehr besitzen, selbst mit seinen Nöten und Schwierigkeiten fertig werden müssen. Schiller glaubt, daß Mut und Tapferkeit des Menschen wachsen, wenn er ganz gefordert ist, und preist deshalb in seinem ,Reiterlied‘ ^Wallensteins Lager4, 11. Auftr.) das Soldatenleben: Da tritt kein anderer für ihn ein, Auf sich selber steht er da ganz allein. Alle für einen stehen : füreinander eintreten, sich gegenseitig Beistand leisten, Zusammenhalten, wie ein Mann handeln, um etw. Negatives zu verhindern. Schiller hat diese Wndg. ebenfalls lit. in ,Wallensteins Lager4 (11. Auftr.) verwendet: Nein, das darf nimmermehr geschehn! Kommt, laßt uns alle für einen stehn! Zu jem. stehen: ihm Vertrauen schenken, recht geben, ihm in Not und Gefahr helfen und ihn nicht enttäuschen, nicht wie andere verlassen. Ähnl. für jem. (etw.) einstehen: die Verantwortung, Bürgschaft für einen anderen übernehmen, von seinen ehrlichen Absichten überzeugt sein, für etw. haften. Zu etw. stehen, meistens: zu seinem Wort stehen: s\c\\ zu etw. bekennen, sein gegebenes Versprechen halten, sich von seinem Entschluß oder Urteil nicht abbringen lassen. Von Oberdtl. aus haben sich jüngere Rdaa. von ähnl. Bdtg. verbreitet: auf jem. stehen: ihn schätzen, es gut mit ihm meinen, es auf eine Person bes. abgesehen haben, sie lieben und treu zu ihr halten. Die Wndg. erhalt oft noch den scherzhaften Zusatz: wie auf einem Teppich. Auf etw. stehen: dafür schwärmen, etw. bevorzugen, z. B. eine Farbe. Diese Rda. ist seit 1920 in Dtl. und Oesterr. bekannt. Auf des Messers Schneide stehen: äußerst gefährlich sein, kurz vor der Entscheidung sein, d.h. eigentl. sich noch im Gleichgewicht befinden, das aber im nächsten Augenblick gestört werden kann, wenn die Schärfe der Schneide wirksam wird und etw. zertrennt, zerstört. Diese Wndg. stammt bereits aus der Antike, denn in Homers ,Ilias' (X, 173) heißt es schon: „ctiI Çupoü ïotaiai àxpfjç“ (= Es steht auf des Messers Schneide). Gleiche Bdtg. be¬ 1002
Stehen sitzt die Rda. auf Spitz und Knopf stehen. Zwischen Bock und Hund stehen: in Bedrängnis sein, eigentl. von der einen Seite gestoßen und von der anderen gebissen werden und keinen Ausweg sehen. Dagegen: sich gut stehen: vermögend sein, in gesicherten Verhältnissen leben. Sich gut mit jem. stehen: mit jem. im Einverständnis sein, mit Vorgesetzten oder Kollegen gut auskommen, bei jem. gern gesehen, beliebt sein. Sich selbst im Lichtstehen: sich selbst schaden, Vorteile nicht wahrnehmen. Ganz bei einem selbst stehen: sich die Entscheidung Vorbehalten, vgl. lat. ,In tuo loco et fano est situm\ Wer stehty sehe zu, daß er nicht falle!: wer meint, einen festen Stand, eine gesicherte Position zu besitzen, sollte sich vor Versuchungen und Unglück hüten. Die Wndg., die vor Schuld, Sünde und Verdammnis warnt und zur Vorsicht und Wachsamkeit mahnt, ist der Bibel entlehnt. 1. Kor. 10,12 heißt es: ,,Wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl Zusehen, daß er nicht falle“. Auch Goethe gebraucht diese Wndg., jedoch in allgemeinerer Bdtg., in seiner Beherzigung1: Sehe jeder, wo er bleibe. Und wer steht, daß er nicht falle. Vgl. auch ndl. ,Die Staat, zie toe dat hij niet valle4. Etw. steht und fällt damit (mit jem.): der Erfolg hängt von einem wichtigen Umstand ab, eine Person ist unentbehrlich bei einem Vorhaben, einer Veranstaltung. Alles stehen- und liegenlassen: alles aufgeben und zurücklassen, fliehen müssen, aber auch: dringend abberufen werden, seine Beschäftigung unterbrechen und Unordnung hinterlassen. Zahlreich sind die rdal. Vergleiche, die treffend charakterisieren, wie etw. oder jem. steht und wie einem etw. steht, z. B. stehen wie armer Leute Korn: schlecht, dürftig sein. Die Rda. bezieht sich urspr. auf den meist unergiebigen, schlechten Ak- kerboden der Armen, wird nun aber in übertr. Bdtg. zur allg. Kennzeichnung eines dürftigen Aussehens, eines dünnen Haaroder Bartwuchses verwendet. Stehen wie ein Klotz: steif, unbeweglich sein, nicht von der Stelle weichen, unge¬ schickt im Wege sein. Die Rda. hat bereits Seb. Franck in seiner ,Sprichwörtersammlung1 (11, 51a) verzeichnet: „Du stehst wie ein Klotz“. Ähnl.: stehen wie ein Pfahl: fest, unverrückbar, vgl. holst. ,He steit as en PickpaaP, wie ein eingerammter Pfahl, an den zur Beleuchtung Pechkränze gehangen wurden, auch ndl. ,Hij Staat als een' paal4 und ,pal staan4. Stehen wie eine Mauer: unbezwingbar, allem Ansturm trotzend. Aventin gebraucht in seiner Chronik (CCVIII3) bereits diesen Vergleich: „Stunden wie ein Mauwer“. Dagegen: wie ein Rohr (im Winde) stehen: schwankend, wankelmütig und furchtsam sein. Vgl. ndl. ,Het Staat zoo vast en onbe- wegelijk als een riet, dat met alle winden medewait1. Wie auf Aalen (Eiern) stehen: keinen festen Halt finden, unsicher sein, ähnl.: wie ein Storch auf einem Bein stehen. Wie auf glühenden Kohlen stehen (sitzen), auch : wie auf Nadeln stehen: voller U nruhe und Ungeduld sein, in Eile, Bedrängnis auf das Ende der Verzögerung, des Aufenthaltes warten, /Kohle. Wie Butter an der Sonne stehen: beschämt sein, am liebsten vergehen mögen; auch mdal., z.B. in der Altmark: ,Da steit ’r ass Bott’r an d’ Sunn4. Wie das Kind beim Dreck stehen: verblüfft, sprachlos sein, vgl. fränk. ,Ar stett wie's Kind bän Drak4. Wie eine Blume auf dem Mist stehen: am falschen Platze, unpassend sein. Die rdal. Vergleiche, die die unpassende Kleidung umschreiben, sind bes. in ihren mdal. Formen von grotesker und scherzhaft iron. Übersteigerung: ,Dös stauht d’r a wia d’r Sau a Veigele hinterm Ohr4, ,wie em Gockeler a Brille4; ,dos staht der grad win ema Hund a Paar Hose4 (Ulm); ,wie der Sau ein Sattel (eine Bandhaub) stehen4 heißt es in der Eifel, und in der Steiermark: ,Es sted'n, wiar an Es’l ’s Zidrinschlog'n4. Siebenbürg.-sächs.: ,Et stit em wä won et net seng (sein) wêr4, die Kleider passen ihm so schlecht, als hätte er sie sich nur geborgt. Einem steht es bis obenhin (bis hierher): es ekelt ihn an, er ist einer Sache überdrüssig. Die Rda., die zuerst 1881 für Leipzig bezeugt und heute allg. verbreitet ist, wird mit einer Geste zusammen gebraucht. Man 1003
Stehlen zeigt beim Sprechen mit der waagerecht gehaltenen Hand auf den Hals oder unter den Mund, um anzudeuten, daß man übersättigt ist und das Erbrechen nahe bevorsteht. Vgl, auch die entsprechenden Wndgn, ,etw. hängt einem zum Halse heraus* und ,etw. ist zum Kotzen*. Etw. zum Stehen bringen: eine Bewegung aufhalten, eine negative Entwicklung unterbinden, aber auch den Fortschritt hemmen. Urspr. kann das sprachl. Bild auf einen rollenden Wagen zurückgehen, der noch rechtzeitig oder gewaltsam zum Halten gezwungen wird. Im Stehen sterben können: übergroße Füße haben. Die scherzhafte Wndg. stammt aus der Soldatensprache und ist seit dem 1. Weltkrieg verbreitet worden. stehlen. Sich davonstehlen: sich heimlich davonschleichen, sich unbemerkt, geräuschlos entfernen. Die Wndg. ist bereits in mhd. Zeit häufig. Sie begegnet z.B. im ,Iwein* lit., und im ,Nibelungenlied* (663, lc) heißt es: „er stal sich von den frouwen**. Auch Schiller verwendet die Rda. in seiner ,Ode an die Freude*: Ja - wer auch nur eine Seele Sein nennt auf dem Erdenrund! Und wer’s nie gekonnt, der stehle Weinend sich aus diesem Bund! Die Wndg. ist bis heute geläufig und auch in den Mdaa. und anderen Sprachen verbreitet, vgl. ndd. ,sik af Stelen* und engl. ,to steal oneself away*. Sich einem stehlen:sich jem. entziehen. Die Rda. ist in mhd. Form in Hugo von Trim- bergs ,Renner* (V.2999) belegt: Swer sich der werlde wolle stein... der neme sich geistliches lebens an. Auch später ist sie lit. reich bezeugt. Sich ins Haus (Herz) stehlen: sich heimlich einschleichen. Ähnl. bereits im Mhd., bei Freidank (131,19) z.B. steht folgende Warnung: Swer güetlich grüezet einen man, dem er guotes nicht engan, der stilt sich hin zer helle. Die mhd. Wndg. Minne steht: unerlaubte Zärtlichkeiten tauschen, ist in Wolframs ,Parzival* (8,24) bezeugt: „wan künde ouch ich nu minne stein!“ Sie ist heute in dieser Form nicht mehr gebräuchl., ihr ent¬ spricht dem Sinne nach etwa die heutige Rda. ,jem. einen Kuß rauben*, obwohl die Bdtg. hier eingeschränkter ist. Dagegen ist die Wndg. einem das Herz stehlenbis heute allg. üblich. Sie ist bereits im A.T. bezeugt (l.Mos. 31,20): „Also stahl Jakob dem Laban zu Syrien das Herz“,d.h. er täuschte ihn, und an anderer Stelle (2.Sam. 15,6) heißt es: „Auf diese Weise tat Absalom dem ganzen Israel, wenn sie kamen vor Gericht zum König, und stahl also das Herz der Männer Israels“, d.h. durch Versprechungen und herablassende Liebenswürdigkeit versuchte sich Absalom beim Volk einzuschmeicheln, um seinem Vater das Vertrauen und die Liebe seiner Untertanen zu stehlen. Herz hat hier die Bdtg. von Verstand, Vertrauen und Zuneigung, wird aber bei der heutigen Verwendung der Rda. meist i. S. v. Liebe gebraucht, wie schon im Liederbuch der Clara Hätzlerin: (I, 43, 56) „mein hertz hat sy gestolen**. Einem die Ehre stehlen, auch: ihm Lob und Ehre stehlen: ihn böswillig verleumden, sein Ansehen schädigen, ihn in der Gesellschaft unmöglich machen, oder: ihn betrügen, einem Hörner aufsetzen und dem Gespött preisgeben. Die Rdaa. waren bes. im 16. Jh. beliebt, z. B. heißt es im Liederbuch der Clara Hätzlerin (2, 76, 81): West es dein herre, wir miisten sterben. Wann du jm hetst sein ere gestolen! Jem. den Glauben (die Hoffnung, die Kraft) stehlen: seine Tatkraft lähmen, ihn entmutigen. Einem das Leben stehlen: ihn töten, um- bringen, heimtückisch ermorden. Die eu- phemist. Umschreibung besagt eigentl., daß die einem Menschen zugemessene und ihm daher zustehende Lebenszeit arglistig verkürzt und geraubt wird. Bereits Seb. Franck gebrauchte die Wndg. lit. (,Chroni- con Germaniae*, 1538, 18b): Zuoletst vermaehelt er jm Agrippinam,... Die stal jm zuo Mentz mit gifft das leben. Einem die Zeit stehlen: ein lästiger Besucher sein, dagegen: sich die Zeit stehlen (müssen): Dringendes vorrangig behandeln, seinen Terminplan verändern und 1004
Stehlen anderes in größter Eile erledigen, um Zeit zu erübrigen, auch: seine Freizeit opfern, sich selbst um angenehme Stunden bringen. Dem lieben Gott den Tag stehlen: faulenzen, /Tag. Jem. die Schau stehlen /Schau. Sich vom Stehlen ernähren, ähnl.: vom Stehlen lebeti: keiner geregelten Arbeit nachgehen, Einbrüche und Raubzüge unternehmen, Diebesgut zu Geld machen. Die Wndgn. werden oft scherzhaft von einem gebraucht, der seinen genauen Beruf nicht angeben möchte, wenn er daraufhin angesprochen wird, oder wenn man sich über das aufwendige Leben eines anderen wundert, dessen Geldquelle oder Vermögenslage man nicht kennt. Mit dem war nicht gut stehlen: heißt es von einem, auf den man sich nicht verlassen kann, der nicht verschwiegen ist, den man bei schwierigen und gefährlichen Unternehmungenbesser nicht beteiligt. Dagegen umschreibt die Wndg. mit jem. Pferde stehlen können Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Geschicklichkeit, aber auch Abenteuerlust und Freude an gewagten Streichen eines Freundes, /Pferd. Woher nehmen und nicht stehlen?: etw. ist nicht zu beschaffen, die finanziellen Mittel sind erschöpft. Die Frage wird oft in die Rede eingeflochten, um die Unmöglichkeit nachdrücklich zu bestätigen. Oft wird in den sprachl. Wndgn. das Wort ,stehlen4 umgangen, wenn es sich nur um geringfügige Vergehen handelt: ,etw. wegfinden4, ,etw. mitgehen heißen4, ,etw. auf die Seite bringen*, ,englisch einkaufen4, ,krumme (lange) Finger machen4. Auch in den Mdaa. begegnen euphemist. Ausdrücke, wie erbeuten4, ,kapern4,,klauen4,,krallen4, jausen4. Einige sprw. Feststellungen beruhen auf einer wiederholten Erfahrung: Einem Diebe ist bös (nichtgut) stehlen: schont und erfahrene Leute sind schwer zu hintergehen. Die Wndg. ist in ähnl. Form bereits von Seb. Franck (1,87b) verzeichnet: „Es ist boesz Stelen wo der wirt ein dieb ist44. So sagt man heute noch: Wo der Wirt ein Dieb ist, ist flicht gut stehlen. Vgl. ndl. ,Het is kwaad Stelen waar de waard een dief is4 und frz. ,11 est bien larron qui vole un larron; on ne tend point de filet à Fépervier4. Wer einmal stiehlt, heißt immer ein Dieb: wer sich einmal schuldig gemacht hat, gerät immer als erster wieder in Verdacht, er verliert seinen schlechten Ruf nicht wieder. Vgl. das ähnl. dt. Sprw. ,Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er gleich die Wahrheit spricht4. Die Wndg. ist auch in anderen Sprachen zu finden, z. B. heißt es ndl. ,Wie eens steelt, is altijd een dief4 und engl. ,Once a knave ever a knave4. Bes. beliebt sind rdal. Vergleiche, die die Geschicklichkeit und die Erfolge eines Diebes hervorheben. In den Mdaa. herrscht der Vergleich mit diebischen Vögeln vor: stehlen wie ein Rabe (Nachtrabe); ndd. ,He stillt as een rook4; ndl. ,Hij steelt als eene raven4, oder stehlen wie eine Elster (Dohle), die Elster trägt tatsächlich glänzende Gegenstände in ihr Nest, die sie selbst aus Wohnräumen entführt. Vgl. Schweiz. ,Er stiehlt wie eine Dole (Atzel)4. Auch lit. hat die Rda. Verwendung gefunden, z.B. heißt es in Carl Zuckmayers ,Schinderhannes4 (1. Akt): „Stehlt wie siwwe Elstern44. Die Wndg. ärger stehlen als ein Böhme begegnet bereits lit. in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (5, 6, S. 392, Ndr.): „meinem Knecht, welcher aerger Stelen konte als ein Böhme44. Von einem überaus geschickten Dieb heißt es: Er stiehlt einem das Weiße aus den Augen: er holt sich sogar das, was am sorgfältigsten gehütet wird wie der /Augapfel. Eine noch größere Steigerung enthält die Rda. der Schlange die Eier unter dem Schwänze (Zagei) fortstehlen: mit der gefährlichsten Situation und den besten Sicherungsvorkehrungen gegen den Diebstahl fertig werden, äußerst gerissen sein. In ähnl. Sinne schreibt Fritz Reuter in der ,Stromtid4 (2,21): „Hei stöhl de annern mähren den hawer vör’t mul weg44. Den Sand am Gestad stehlen: krankhaft veranlagt sein und das Stehlen nicht mehr lassen können, selbst wenn es sich bei der Beute um etw. völlig Unbrauchbares handeln sollte. Seb. Franck, der bereits diese Rda. verzeichnet (1,4a), erklärt sie wie folgt: „Das ist, er kann nit ungestolen sein, er mueszt ehe sand am meer oder jm selbs etwas Stelen44. Die scherzhafte Wndg. Wer die bei Abend 1005
Steigbügel stiehlt, bringt sie bei Tage wieder wird vor allem auf die häßliche oder streitsüchtige Frau bezogen, deren Mängel, bei Licht besehen, sofort auffallen und abschrecken. Im Ndl. wird eine ähnl. Wndg. zur Selbstcharakterisierung in humorvollem oder iron. Sinne verwendet, wenn man weiß, daß andere keine dauerhafte Freude an einem haben werden: ,Die mij van daag steelt, zal mij morgen wel weder terug brengen4. Die Feststellung Er hat mehr gestohlen als erschwitzt meint: er hat nur das Wenigste durch Mühe und ehrliche Arbeit erworben. Dagegen meint der Hinweis Ich habe es nicht gestohlen das Gegenteil: der Besitz ist mühsam selbst erworben. Man legt Wert darauf, dies ausdrücklich zu betonen, um zu begründen, daß man nicht leichtfertig damit umgehen kann. Ebenfalls als Ablehnung ist die Rda. Ich habe mein Geld (meine Zeit) nicht gestohlen zw verstehen, d.h. ich will nichts davon vergeuden. Die holst. Wndg. ,He meent wol dat ikt staalen heff‘ gilt als Krämerschimpf, wenn zuwenig für eine Ware geboten wird. Die Rda. begegnet hd. auch als Frage: Meint ihr, ich habe es gestohlen? Ich habe meine Beine nicht gestohlen sagt der, dem übertrieben anstrengende Gänge zugemutet werden. Wie aus dem Spiegel gestohlen: wie sein Ebenbild, von auffallender Ähnlichkeit. Lessing verwendet die Rda. in seiner,Emilia Galotti‘ (1, 4) literarisch. Etw. kann einem gestohlen werden (bleiben): cs interessiert nicht mehr, sein Verlust würde nicht einmal beklagt und bekanntgemacht werden. Ähnl. der Ausruf: Du kannst mir gestohlen bleiben, oft mit dem Zusatz: ich holte dich nicht wiederlDit Rda. wird als Abweisung, Ablehnung und mdal. als scherzhafte Verwünschung gebraucht und heißt: Ich will von dir nichts mehr wissen, ich habe eine so große Abneigung gegen dich, daß ich deine ständige Abwesenheit begrüßen müßte und nicht das geringste dagegen unternehmen würde, denn ich lege keinen Wert mehr auf dich. Vgl. auch Schweiz. ,Chaust mer g'stole werde1, du bist mir gleichgültig, aber auch: es wird nichts daraus. Steigbügel. Einem den Steigbügel halten: jem. unterwürfig einen Dienst erweisen, ihm die Voraussetzung zu weiterem Erfolg geben, ihm beistehen, an die Macht zu gelangen. Jem. in den Steigbügel heben: ihm über die Anfangsschwierigkeiten hinweghelfen. Einen Fuß int Steigbügel (im Amte) haben: den ersten Schritt auf dem Wege zum Erfolg bereits getan haben, eine gute Ausgangsposition besitzen. Vgl. ndl. ,de (een) voet in de stijgbeugel hebben4, engl. ,to have one’s foot in the stirrup4 und frz.,avoir le pied à l’étrier4. Er kann ohne Steigbügel in den Sattel springen: er ist nicht auf fremde Hilfe angewiesen, er meistert mit Leichtigkeit auch größere Schwierigkeiten, /Stegreif. Einem den Steigbügeltrunk reichen: ihm den Abschiedstrunk geben. Die Rda. beruht auf einem früheren Gastwirtsbrauch: wenn der Fremde seine Zeche bereits bezahlt hatte und abreisefertig im Sattel saß, wurde ihm vom Wirt noch ein Trunk gereicht und eine glückliche Reise gewünscht. steigen. Man soll nicht zu hoch steigen wol- /^7/man soll keine hohe Stellung erstreben, wenn man dafür nicht geschaffen ist. Luther bemerkt in seinen ,Tischreden1 (397a) dazu: „Wer nicht zu hoch steiget, der feilet nicht hart“. Ersteigt höher, als er Sprossen hat: er treibt mehr Aufwand, als es seine Verhältnisse gestatten. Er stieg so hoch, daß ihm die Erde wie ein Apfel erschien:er wurde hochmütig und sah verächtlich auf andere herab, er hat vergessen, wo er hergekommen ist. ,Hei ôssgestêge, vom Dösch undere Dösch' sagt man in Ostpr., wenn jem. in schlechtere Verhältnisse geraten ist, wenn ein sozialer Abstieg erfolgte. Etw. steigt: es findet statt, es wird veranstaltet, z. B. eine Rede oderein Ausflug, ein Fest. Die Wndg. war bereits im 16.Jh. bekannt. Man sagte: ,Das Lied steigt' und meinte urspr. das Aufwärtssteigen der Töne damit. Hinter etw. steigen: etw. zu verstehen suchen, es ergründen. Die Rda. ist seit 1900 in ganz Dtl. und Oesterr. verbreitet. Hinter jem. steigen (jem. nachsteigen): an 1006
Stein einem Mädchen Interesse haben, jem. folgen. Schreiten oder sich begeben waren ur- spr. Bdtgn. von steigen, daher auch: ins Examen (in eine Prüfung) steigen, was als Rda. stud, bereits im 18.Jh. bekannt war. Jem. aufs Dach steigen /Dach. Jem. steigen lassen: ihn erregen, sein Blut in Wallung bringen. Die Wndg. stammt aus Oberoesterr. Sie meint, daß jem. zum Narren gehalten wird, aber von dieser Absicht nichts merkt, was die Freude derjenigen erhöht, die ihn heimlich ,aufziehen‘. steil. Mit drastisch-komischen Vergleichen wird die Steilheit einer Gebirgsgegend bildhaft verdeutlicht. Da der Bergbauer am Steilhang bei seiner Arbeit gelegentlich sogar Steigeisen anlegen muß, liegt es nahe, dies im Spott auch auf die Tiere zu übertragen. Aus dem Wallis wird z. B. berichtet: „Eine Menge von Höfen und kleinen Weilern liegen seitlich an den Berghängen, die so steil sind, daß ein bekanntes Witzwort spottet, die Saasthaler lassen ihre Hühner mit Fußeisen beschlagen, damit sie nicht vom Berg herunterfallen“ (J. Hunziker: Das Schweizerhaus I: Das Wallis, Aarau 1900, S. 119). Auch als Ortsneckerei ist die Wndg. belegt: „Der Hang ist so steil, dass man von Emd sagt, man müsste den Hennen Fusseisen anlegen, damit sie nicht ab- fallen. Die Emder heissen deshalb scherzweise in der Nachbarschaft ,Henne- bschlaer“‘ (F. G. Stebler: Die Vispertaler Sonnenberge, in: Jb. des Schweiz. Alpenclub 56, 1921; publ. 1922, S.22). Die gleiche Vorstellung besteht im Unterwallis, im Kanton Bern, im Emmental, im Bündnerland, aber auch im Allgäu und in Tirol. Im Emmental erhält auch der Hahn angeblich Fußeisen, man nennt das rdal. ,der Güggel spitze4. Für die Ziegen ist das gleiche sogar aus Arkansas bezeugt: „A St. Louis newspaperman once declared that he had visited a place in Baxter County, Arkansas, where the farmers put spiked boots on all their goats“ (V. Randolph: We always lie to strangers. Tall tales from the Ozarks, Columbia University Press, New York 1951, S.18). Eine Steigerung der bildhaften Umschreibung der Steilheit bedeutet es, wenn sogar die Bienen Fußeisen anziehen müssen: „Ja, bei ins isch gsund. A guats Wasser habe mr und a Milch und Arbeit gnua und zfriede sein mr, wenn a bei ins ins Bschlabs die Beia (Bienen) Eisa haba müassa“ (Maria Lang-Reitstätter: Lachendes Oesterreich, 2. Aufl. Salzburg 1948, S.8). Eine andere Bildvorstellung besteht am Luganersee: es ist so steil, „dass den Hühnern Säckchen umgebunden werden, damit die Eier nicht den steilen Hang hinab in den See rollen“ (J. Jörgen Bei den Walsern des Valsertales, 2. Aufl., bearbeitet von Paula Jörger, Basel 1947, S.8, Anm.2). Menschen, Tiere und Gegenstände muß man anbinden, damit sie nicht vom Hang herunterpurzeln. Dies wird bei kleinen Kindern wohl tatsächlich nötig gewesen sein, wird aber auch scherzhaft von Hühnern und Katzen berichtet. Besonders komisch ist es, wenn sogar vom Annageln von Gegenständen gesprochen wird. Die nordsteirischen Waldbauern klagen über die Steilheit ihrer Felder: „Bei uns wär’ not, man nagelt die Erdäpfel am Boden an“ (M. Lang-Reitstätter: Lachendes Oesterreich, 2. Aufl. Salzburg 1948, S.7). Alles, was nicht befestigt ist, kann den Steilhang hinunterfallen, der Bauer beim Arbeiten, die ganze Ernte, z.B. die Kartoffeln, wenn man die Zeile unten öffnet, wie man in Amerika behauptet. In der Umgebung von Innsbruck sagt man sogar, es sei ,so stickl (steil) ’n ass d’Amess’n (Ameisen) oa’kugeltV. Lit.: R. Wildhaber: Bildhafte Ausdrücke für Steilheit, in: Rechtsgesch. und Vkde., Dr. Josef Bielander zum 65. Geburtstag (Brig 1968), S. 103-109. Stein. Einen Stein auf jem. werfen, auch: den ersten Stein auf jem. werfen: ihn einer Schuld zeihen, ihn anklagen, belasten. Die Rda. ist bibl. Herkunft; Joh. 8,7 sagt Jesus zu den Pharisäern und Schriftgelehrten, als sie ihm eine Ehebrecherin zuführen, die er verurteilen soll: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“. Die Rda. erinnert an die altjüd. Strafe der Steinigung (vgl. 3.Mos. 20,27 und Jo- sua 7,25), wobei der Ankläger auch den ersten Stein auf den Verurteilten bei seiner Hinrichtung zu werfen hatte. Er mußte deshalb seiner Anschuldigung wirklich si- 1007
Stein cher sein. Jesus warnt also vor Verleumdung und Anklage, wenn man selbst nicht frei von Fehlern (den gleichen Sünden) ist. Andere Wndgn. beziehen sich ebenfalls auf die gefährliche Position des Anklägers, dessen Anklage entweder falsch sein kann oder der ähnl. Fehler besitzt. Bei Burkard Waldis ist 1527 ein Reimpaar belegt, das sich inhaltlich eng an das Bibelwort anschließt: Wer auf andere will werfen einen Stein, Kehr' erst vor seiner Thüre rein! Es wird auch darauf hingewiesen, daß eine Anklage ebensowenig zurückgenommen werden kann wie der erste Stein, den man geworfen hat. In seinem ,Florilegium Politicum1 aus dem Jahre 1630 schreibt Christoph Lehmann: „Wenn der stein auss der Hand vnd dass wort aussm Mund ist, können sie nicht widerbracht werden“. Vgl. auch ndl. ,Een geworpen steen, een afge- schoten pijl en een gesproken woord zijn niet te herroepen4. Obwohl die Rda. ,einen Stein auf jem. werfen1 durch die Bibel- übers. in nahezu allen Sprachen geläufig ist, wäre es einseitig, nur auf die jüd. Quelle hinzuweisen, denn die Steinigung als Todesstrafe war auch den germ. Völkern bekannt. In der Regel wurde der Täter an einen Pfahl gebunden und zu Tode gesteinigt. Vgl. Gregor von Tours (111,36): „vinctis post tergum manibus ad columnam lapidibus obruunt“. In übertr. Bdtg. verwendet August v. Platen das Verb ,steinigen1 auch lit. (Bd.I, S.372): (Sie) steinigen den als Egoisten, Der tiefre Lust und Qual empfand. Auch vor der Rückwirkung einer Verleumdung wird sprw. gewarnt, z. B. heißt es: ,Der Stein, den man auf andere wirft, fällt uns meist selbst auf den Kopf4. Den Stein auf jem. erheben: ihn verurteilen und verfluchen. Die Geste des erhobenen Steines über einem Sünder hat bei uns offenbar auch symbolische Bdtg. im Rechtsbrauch besessen, ln der Chronik des Ulrich Richental über das Konzil von Konstanz (1414-18) ist eine solche Szene bildl. dargestellt worden: Die feierliche Absetzung und Verfluchung des Papstes Benedikt XIII. erfolgt vor dem Portal des Münsters; der zuvorderst stehende Bischof er¬ hebt einen Stein auf ihn. In Wirklichkeit ist der Papst dabei jedoch nicht anwesend gewesen, der auf dem Bild in demütiger Haltung gezeigt wird, die er niemals angenommen hat. Jem. einen Stein in seinen Garten werfen: ihm einen Schaden zufügen, ihm Schwierigkeiten bereiten, ihm einen bösen Streich spielen, wie Beete durch böswillig in den Garten geworfene Steine zerstört werden können. In dieser urspr. negativen Bdtg. ist die Wndg. lit. früh bezeugt: „bezzert er mir niht, ich wirfe im einen stein in sinen garten und eine kletten in den bart“ ^Minnesinger4 3, 104b). 1498 erklärt Geiler von Kaisersberg die Bdtg. der Rda. als ,mit Worten schaden4 in einer Predigt über Seb. Brants ,Narrenschiff4 im Straßburger Münster: „Und als man gemeinlich spricht, wa man offenlich ret und ein mit Worten rürt, so spricht er, er hat im ein stein in garten ge- worffen“. Die Wndg. „Wirft jn heimlich ein stein in garten“ ist auch in der Fabelsammlung ,Esopus4 des Burkard Waldis 1527 belegt. Auch Abraham a Sancta Clara hat die Rda. mehrfach lit. gebraucht, z. B. im Judas4 III, 350, in ,Reim dich4 104 und im ,Kramer-Laden4I, 101. Überhaupt ist die Wndg. von Luther über Goethe bis in die neuere Zeit beliebt geblieben. Interessanterweise besitzt sie in manchen Gegenden Dtls. entgegengesetzte Bdtg., so vor allem in unterfränk., obersächs., schles. und westf. Mda., indem sie besagt, daß man jem. bei passender Gelegenheit einen Gefallen erweisen, einen Gegendienst leisten wird. Zum Beispiel ist aus Zwickau die Wndg. bezeugt: ,Dadervor schmeiß’ch dr emal en annern Steen in dein’ Garten4, vielleicht wurde dabei urspr. an einen wirklichen Hilfsdienst, die Abwehr der die Saat wegfressenden Spatzen, gedacht. In der urspr. Bdtg. ,jem. schaden4 wird die Rda. nur in Schwaben, im Elsaß und in Rhein- franken gebraucht. In manchen Orten besitzt die Rda. aber gleichzeitig beide Bdtgn., so daß man nur durch Tonfall, Mienenspiel oder Situation erkennen kann, wie sie gerade gemeint ist. In der Steiermark sagt man, um für eine Gefälligkeit zu danken, ähnl.: ,Ich will dir einen Stein in den Rücken werfen4. Bismarck hat die Wndg. im urspr. Sinne ge- 1008
Stein I VV-wTF fia V V»w c^<‘^ v%4v' (>Nï <MW VV#» pIKH CLX 5** vw(Vrtrt^ »Wfcwiv V rt4n v(<f* »♦< w<ntf»^ /.»»ut <%>♦<OAcfrv»/^ tnu^V %»» HU*«m*' St »vw*i5 «u« IMM4 i'V^^VMTiUrt/V ^4'<^M,,*U'' "M<l ■>&*$ W* fit -^MK*%*\*M*%*+ h*#r*« y-ÄH»tf «Afc* W<M<J ^Wi/'PfintUhKU« S<v ^U^HtAf $fc ^«nhu\4*Ai», AéusvU^V 5rfv(nfUVt^%V*V>^A)%vv- r MlO>V*- .Den Stein auf jem. erheben1 braucht (.Reden4 12, 535): „Wo man irgend etwas ausfindig machen kann, einen Stein, den man in den Garten des Reiches werfen kann, da greift man mit beiden Händen zu“. Jem. einen Stein in den Stiefel werfen: seine Unruhe, Zweifel erregen, ihn in eine unangenehme Lage bringen, die ihn wie ein lästiger Stein im Schuh drückt. Jem. einen Stein in den Weg legen (werfen): ihm ein Hindernis schaffen, ihn zu Fall bringen wollen. Thomas Murner sagt schon in seiner ,Schelmenzunft4 (9,20): Ich streich im an seyn hossen dreck Und leit im heimlich steyn an wegk. Grimmelshausen verwendet im Simplicissimus4 (I, Kap.25) dafür die Wndg. einem den Stein stoßen: ,,Ich hab ihm den Stein 1009
Stein gestoßen, daß er den Hals hätt brechen mögen“, d. h. er hat ihm unvermutet einen Stein unter die Füße gerollt, der ihn zu Fall bringen sollte. Vgl. auch frz. ,11 m’a jeté le chat aux jambes4. Jem. alle Steine aus dem Wege räumen: ihm alle Schwierigkeiten beseitigen, sein Fortkommen tatkräftig unterstützen. Vgl. lat. .Lapis Iapidem terit4. Den Stein werfen und dann die Hand verbergen: sich unschuldig stellen. Den Stein ins Rollen bringen: den ersten Anlaß zu etw. geben; bewirken, daß eine schwierige Angelegenheit in Bewegung kommt, auch: etw. Unangenehmes aufdek- ken; der Stein kommt ins Rollen: eine wichtige Angelegenheit wird in Angriff genommen, der Anstoß zu einer Untersuchung ist gegeben worden, ein Skandal beginnt. Ein Stein des Anstoßes sein: ein Ärgernis bilden. Die Wndg. ist bibl. Herkunft. Bei Jes. 8,14 heißt es: „So wird er ein Heiligtum sein, aber ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses den beiden Häusern Israel“; vgl. auch Rom. 9,32 und 1. Brief Petri 2,8. Auch in einer wahren Begebenheit soll der ,Stein des Anstoßes4 eine Rolle gespielt haben: In Pillkallen stritten sich im Jahre 1822 zwei Verwandte um das Eigentumsrecht eines großen Steines, der auf der Grenze der beiderseitigen Besitzungen lag. Da jeder den Stein für sich beanspruchte, kam es zu einem Prozeß. Der Richter schlug folgenden Vergleich vor: „Der Stein soll keinem von beiden gehören, sondern soll vor der Schwelle des Gerichtshauses unter dem Namen ,Stein des Anstoßes4 eingesenkt werden, damit jeder durch diesen Stein erinnert werde, das Gericht nicht wegen eines so geringen Gegenstandes zu behelligen“ (K.E. Krack, Redensarten unter die Lupe genommen, Berlin-Charlottenburg 1961, S. 167). Vgl. auch ndl. ,Hij is een steen des aanstoots4 und frz. ,C’est une pierre de scandale4. Steine können auch bildl. im Wege liegen, an denen man sich stößt. So heißt es z. B. in Seb. Brants ,Narrenschiff4: Wer uff sin frumkeit halt allein Und ander urtelt böß und klein, Der stoßt sich oft an herte stein. Von der Last des Steines handeln verschiedene Wndgn.: Der schwerste Stein ist geho¬ ben: das Schwierigste ist vorbei, oder: Der Stein ist abgewälzt. Diese Rda. bezieht sich auf die Grablegung Christi: der schwere Stein, der das Grab verschlossen hatte, war durch göttliche Macht beseitigt worden, als die Auferstehung erfolgte. Vgl. ndl. ,De steen is van het graf gewenteld4. Einen Stein auf dem Herzen haben: eine drückende Sorge haben; einem Steine aufs Herz wälzen: ihn ängstigen, ihm Kummer bereiten. Am häufigsten ist diese Rda. in der Form einer erleichterten Feststellung zu hören: Es fällt mir ein Stein vom Herzen, vgl. pomm. ,Dar fêl mi’n Stên vam Harten4, da wurde ich leichteren Mutes, und ndl. ,Er valt een stein van mijn hart4, ich bin einer schweren Bedrückung ledig, ich kann wieder frei atmen, /Alp. Früher galt es auch als Strafe für verurteilte Weiber, Öffentl. einen Lasterstein eine Strecke weit vor aller Augen zu tragen (/anhängen). Darauf spielt Hans Sachs an: Wo du mich nit mit friden last, Wil ich dein frömbkeit alle sagen, Das du auch noch den stein must tragen. Den Stein, den seine Vorfahren nicht lichten (heben) konnten, wird er auch liegen lassen: er wird auch nicht mehr ausrichten. Zwischen die Mühlsteine geraten: Schaden erleiden, in äußerst bedrängte Lage kommen, /Mühle. Sprw. ist der Stein auch wegen seiner Härte. Es möchte einen Stein (in der Erde) erbarmen (erweichen) heißt es oft bei dem Bericht von einem Unglück: auch die unempfindlichsten Herzen müssen von Mitleid bewegt werden. Schon in der Lit. des klassischen Altertums begegnet die Wndg., vgl. lat.,adamanta movere lacrimis4 (Ovid, Cicero). Auch in der eddischen Sage vom Gott Baldr (,Snorra-Edda4, ,Gylfaginning4 Kap. 49) spielt diese Vorstellung eine Rolle: ,.Menschen und Tiere, Erde und Gestein, das Holz und alles Metall beweinten den (toten) Baldr44. Auch christl. Legenden wissen davon zu erzählen, daß steinerne Heiligeitbilder von dem Flehen der Gläubigen zu Tränen gerührt wurden. Auch in der mhd. Lit. ist die Rda. bezeugt, z.B. bei Oswald von Wolkenstein (1,103, 12): „Es möcht ain stain erparmen“. Im Liederbuch der Clara Hätzlerin heißt es 1010
Stein *\Pcr $xrifc()cn (Tein rn& jlc/n fîcÇ feit Vnb viffiit vff$cr jungen 9rcit Sem wiberfert Salb fct)ab vnb fci'bt Mancher 9er Çat <JrofJ freüb 9ar an das er rerewrrer yeberman Vnb machen Kinn 9i jj Çor v|f 9as dar vß vnfrüntfcÇafft fpring vnb Ça|J ,Zwischen die Mühlsteine geraten4 später ähnl. (I, 35, 18): „Das möcht ain hertten stain erparmen“. Auch Seb. Brant und Joh. Fischart haben die Rda. lit. verwendet. Dagegen heißt es von einem, der sich nicht erweichen läßt: Er ist wie Stein so hart oder er hat einen Stein statt des Herzens in der Brust; einem Steine sein Leid klagen oder man könnte ebensogut Steinen predigen: es hat keinen Zweck, auf ihn einzureden, er läßt sich nicht rühren oder umstimmen. Seb. Franck verzeichnet in seinen Sprichwörtern4 (II, 97 b) die ähnl. Wndg. „Er hat stein im busen“. Die Wndg. Da möchten doch die Steine weinen (schreien) ist bibl. Herkunft. Luk. 19,40 spricht Jesus zu seinen Jüngern: „Wo diese werden schweigen, so werden die Steine schreien“, d.h. wenn die Menschen schweigen, werden die Steine ihre Stimme für sie erheben. Bei Habakuk 2,11 heißt es ähnl.: „Denn auch die St ine in der Mauer werden schreien, und die Sparren am Balkenwerk werden ihnen antworten“. Auch in der ,Stralsunder Chronik4 (1,295) ist die Wndg. bezeugt: „Das die steine weinen möchten44. Vgl. ndl. ,Dan zouden de stee- nen spreken4. Da will kein Stein zischen: jede Hilfe und Anteilnahme ist fern. Bei Fischer heißt es erläuternd im ,Psalter4 (147,1): „Da hat Christus gewehklaget; aber seine Hülffe ist ferne gewest, da hat kein Stein zischen wollen44. Die Prophezeiung Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben: es wird alles restlos zerstört werden, beruht ebenfalls auf einer Bibelstelle. Matth. 24,2 spricht Jesus in Jerusalem: „Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde44. Stein und Bein schwören: etw. mit den festesten Eidesschwüren versichern. Man hat die rdal. Formel aus alten Rechtsbräuchen zu erklären versucht: Beim Schwören vor Gericht war es üblich, bestimmte Gegenstände zu berühren. In heidnischer Zeit legte man die Hand zum Schwur z. B. auf den Stäb des Richters, auf das Schwert, die Erde und das Gras, auf Bäume, man berührte heiliges Wasser, Brunnen, heilige Berge, Felsen und Steine, aber auch seine Brust, die Haare oder den Bart. Im 3. Gu- drunlied der Edda wird der Eid bei einem weißen Stein geleistet. Der heidnische Brauch, bei einem heiligen Stein zu schwören oder die Hände auf den Altar der Gottheit zu legen (vgl. lat. ,Jovem lapidem jurare4), soll sich nach Einführung des Christentums weiterentwickelt haben. Die Christen berührten die steinerne Altar- platte oder einen Reliquienschrein, der die Gebeine eines Heiligen barg. Im 6.Jh. n.Chr. erwähnt die ,Lex Alamannorum4, daß die Schwörenden und Eideshelfer die Hände auf ein Reliquienkästchen legten. Auch in Wolframs ,Parzival‘ findet sich dafürein Beleg: In der Klause des Einsiedlers Trevrizent findet Parzival einen Reliquienschrein und leistet auf ihn bzw. auf die darin liegenden Gebeine einen Eid. Man hat nun daraus geschlossen, da die Heiden beim Stein, die Christen jedoch beim Heiligengebein geschworen haben, daß die Verbindung beider Gerichtsbräuche .einen unlös- 1011
Stein ,Stein und Bein schwören4 baren Eid bedeutet habe und die rdal. Formel davon abzuleiten sei (vgl. Abb.). Vermutl. ist aber die reimende Formel ,Stein und Bein4 viel älter als die Rda. und nur der bildl. Ausdr. für große Festigkeit. So steht sie auch in der 1. H. des 13. Jh. bei Freidank (164,17): Diu zunge hät dehein bein und bricht doch bein unde stein. Freidank verdeutscht damit ein älteres Sprw., das uns in lat. Form überliefert ist: ,Osse caret lingua, secat os tamen ipsa maligna4 („Die Zunge hat keinen Knochen, doch schneidet die böse selbst einen Knochen“). Dadurch, daß Freidank das Wort ,Stein4 hinzusetzt, beweist er, daß die Verbindung ,Stein und Bein4 üblich und formelhaft war. Die Vielfalt an parallelen Wndgn. mit Stein und Bein, wie Stein und Bein klagen, Stein und Bein jammern, Stein und Bein frieren, Stein und Bein leugnen, spricht dafür, daß die Verbindung von Stein und Bein nur eine bildhafte Verstärkung bedeutet. Die Rda. Es hat Stein und Bein gefroren meint: die Kälte ist so stark gewesen, daß der Frost sogar in solch feste Dinge wie Stein und Knochen gedrungen ist. Schon in einem Soldatenlied von 1641 ist diese Wndg. bezeugt: Wenn andre ziehen ins Quartier, Die Waffen von sich legen, So kriecht ihr erst im Winter für, Wollt große Ehr einlegen, Wo Stein und Bein gefrieren ein. Im Ndd. begegnen auch noch die mdal. Wndgn. ,Steen und Been floken4 (fluchen) und ,He löpt sik Steen und Been af4. Stein dient auch ähnl. wie ,Stock4 in Zusammensetzungen zur Steigerung: ,stein- alt4,,steinreich4, im 16. Jh. auch ,steintaub4, was wohl aus Zusammensetzungen übertr. ist, in denen das Wort Stein einen Sinn hatte, wie z.B. in ,steinhart4. Einen Stein bei jetn. im Brett haben: gut bei ihm angeschrieben sein, sein Wohlwollen genießen, bevorzugt werden. Die Rda. stammt vom Brettspiel ab, das Puffspiel oder Tricktrack heißt und bereits im MA. beliebt war. Johann Agricola gibt für die Rda. in seiner,Sprichwörtersammlung4 von 1529 einen ersten dt. Beleg (418): ,Ich hab eyn guten steyn im brette4, und erklärt dazu: „Wer auff dem spill eynen gutten bund im brette hatt / darüber ein ander sein steyne spilen muß der hatt das spil halbs gewunnen. Also auch wer vor grossen Herren und Rädten zu schaffen hatt / vnd hatt yemand der sein sach trewlich fordert vnd treibet / der hat eynen gutten steyne im brette / einen gutten freundt / der ym zu seiner Sachen redt vnd hilffet.44 ,Bund‘ bedeutet zwei nebeneinanderstehende Steine, über die der Gegner nur schwer hinwegkommen kann; hat der Spieler aber auch nur einen Stein schon im nächsten Felde stehen, so kann er dem Gegner das Weiterspielen erschweren, /"fünfzehn. Luther hat die Wndg. in seinen Tischreden4 (211a) gebraucht; in übertr. Bdtg. findet sich die Rda. ferner 1560 in des Verlegers Christian Egenolff Sprichwörtern4 ( 199b). Der bekannteste lit. Beleg für diese Rda. steht in Schillers Drama ,Wallensteins Lager4, wo der erste Kürassier folgendes über Max Piccolomini sagt: Der versteht sich auf solche Sachen, Kann bei dem Friedländer alles machen. Hat auch einen großen Stein im Brett Bei des Kaisers und Königs Majestät. Die Rda. zeigt auch Abwandlungen, indem andere Verben eingesetzt werden, z.B. rhein. ,He hat sich bi dem en Stein in’t Brett gesatt4 oder schlesw.-holst. ,Dat leggt ’n groten Steen op dat Brett4. Vgl. ndl. ,een schreefje voor hebben4, d. h. im Spiel anderen voraus sein, eigentl. mehr Punkte auf 1012
Stein seinem Streifen verzeichnet haben, und engl. ,to be in someone’s good books1. Den Stein der Weisen suchen: sich eifrig um ein hohes Ziel bemühen, ein Phantast sein und sich um etw. bemühen, das es nicht gibt. Der ,Stein der Weisen1 war in der Sprache der Alchimisten das Universalmittel, die,Materia prima1, mit der man unedle Metalle in Gold verwandeln kann. Trotz aller Mißerfolge, einen solchen Wunderstein zu entdecken, wurde die Suche nach ihm doch eifrig fortgesetzt. Der Fabeldichter Lichtwer (1719-83) gebraucht den Ausdr. in übertr. Bdtg.: „Vergnügt sein ohne Gold, das ist der Stein der Weisen“. Für Goethe ist dieser Stein der Inbegriff des Glücks. Er schreibt im ,Faust4 (II, V. 5061-64): Wie sich Verdienst und Glück verketten, Das fällt den Toren niemals ein; Wenn sie den Stein der Weisen hätten, Der Weise mangelte dem Stein. Der Stein der Weisen soll also Glück und Reichtum bringen und Geheimnisse enthüllen können. Deshalb glaubte man, Salomo habe ihn einst besessen. Da es ihn aber leider nicht gibt, bedeutet das Suchen nach ihm etw. Törichtes und Unnützes. Den Stein des Sisyphus wälzen, /Sisyphus. Die Wndg. einem Steine statt Brot geben: ihm Wertloses reichen, nur Phrasen sprechen, statt Trost zu spenden und tatkräftig zu helfen, ist bibl. Herkunft. Matth. 7,9 heißt es: „Welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet ums Brot, der ihm einen Stein biete?“ Ludwig Uhland gebraucht in seinem Gedicht Schwäbische Kunde4 eine ähnl. Verbindung, wenn er schreibt: „Viel Steine gabs und wenig Brot44. Steine verdauen können, auch: kleine Steine vertragen können: einen guten Magen haben, auch Schweres verdauen können. Den Stein verstecken und das Brot zeigen: jem. mit Hinterlist und falschen Versprechungen an sich locken, um ihn dann um so sicherer zu verderben. Vgl. lat. ,Altera manu fert lapidem, altera panem ostentat4. Aus Steinen Brot machen wollen: etw. Unmögliches versuchen, vgl. frz. ,faire de pierre pain4. Das ,Platt-Deutsche Wörter-Buch der al¬ ten und neuen Pommerschen und Rügi- schen Mundart4 von Dähnert (1781) bringt auf S.458a die Rda. ,Up’n breeden Steen staan4, zur Trauung stehen. Einen weiteren Nachweis für diese Wndg. gibt Rud. Eckart in seinen ,Ndd. Sprww. und Rdaa.4 (1893, S.502), wenn er mitteilt: ,Up'n breeden Stên stân4 (bei der Trauung). Damit hängt zusammen der schlesw.-holst. Ausdr. ,Da mutt en breeden Steen in’t Huus wesen4, wenn mehrere Mädchen aus dem gleichen Hause kurz hintereinander heiraten (Handelmann in: Jahrbücher für die Landeskunde von Schleswig-Holstein, 10 [1869], S.369). Diese Wndgn. erinnern noch an alte Hochzeitsbräuche. Der Brautstein, der als ,breiter4 oder ,heißer4 Stein in den Rdaa. bez. wird - im Schles. heißt ,uff m heßa Stëne stihn4: vor dem Traualtar stehen -, war urspr. der Stein des Ahnengrabes. John Meier schreibt dazu in seiner Untersuchung ,Ahnengrab und Brautstein4: „Er (dieser Stein des Ahnengrabes) wirkt selbsttätig mit bei den auf ihm und an ihm vollzogenen Handlungen, verkörpert in sich die magischen Kräfte, die dem Ahnengrabeignen, und gibt sie an die ihn in feierlicher Weise durch Betreten, Umkreisen oder Überspringen Berührenden weiter. Er dient dem Kult und dem Recht, denn auch die Rechtsakte sind urspr. Kulthandlungen und kultisch gebunden44. John Meier vermutet, daß der Brautstein einem Initiations- und Scheidebrauch der Braut gedient habe. Ein alter Pfandlösereim, der in ganz Dtl. bekannt ist, erinnert noch an den alten Hochzeitsbrauch: Ich stehe auf einem breiten (heißen) Stein Wer mich lieb hat, holt mich heim. Das Mädchen, das sich gern verheiraten möchte, stellt sich oder setzt sich auf den Stein, auf dem gewöhnlich die Braut nach der Trauung stehen muß, in der Hoffnung, daß die zauberhafte Wirkung des Steines, auf dem so viele Glückliche gestanden haben, ihr ebenfalls einen Mann beschert. In einem ndd. Lied von der Nord- und Ostseeküste heißt es: Sit en lütje Deern op’n breeden Steen, Fangt so bitterlich an to ween ’n. All de lütten Deems de kriegt en Mann, Ik mutt Sitten ün kiken dat an. 1013
Stelle Einen ähnl. Brauch gibt es noch in Pommern, wenn das heiratslustige Mädchen sich bei einer Hochzeit auf den Stuhl der Braut setzt. Lit.: J. P. Schmitz: „Stein u. Bein schwören“, in: Zs. f. d. U. 10 (1896), S. 832; G. Staak: Brautstein, in: Die Heimat 49 (1939), S. 44ff.; J. Meier: Ahnengrab u. Brautstein, in: Untersuchungen zur dt. Volkskde. (Halle 1944), H. 1, S. Iff. Stelle. Auf der Stelle treten: nicht vorankommen oder: absichtlich nicht weitermachen, langsam arbeiten. Die Rda. steht mit dem preuß. Befehl ,Auf der Stelle getreten!1 beim Exerzieren zusammen, der besagt, daß auf demselben Fleck die Bewegung des Marschierens nachgeahmt werden soll. Nicht von der Stelle kommen: steckenbleiben, nicht weiterkommen. Die Rda. bezog sich urspr. auf einen Wagen, der unterwegs zum Halten gezwungen wurde, später erfolgte eine Übertr. auf die Arbeit im allg., die nicht erfolgreich weitergeführt wurde. Zur Stelle sein: anwesend sein, um sofort helfen, eingreifen zu können. Auf der Stelle! Der Befehl verlangt, daß etw. sofort zu geschehen hat. Vgl. lat. ,E vestigio1. Die wunde Stelle berühren: einen empfindlichen Punkt treffen (/Punkt). Vgl. auch ndl. ,iemand op zijn zeer treden (trappen, tasten)1. Ähnl. Sinn hat die Textstelle in Schillers ,Don Carlos1 (I, 6), wo Philipp II. von sich selbst sagt: „Das ist die Stelle, wo ich sterblich bin“. Eine trockene Stelle im Halse haben: gern trinken, weil sie oft angefeuchtet werden muß. Diese scherzhafte Rda. über den Trinker kennt auch das Ndl.: ,Hij heeft eene drooge stee in den hals\ /trinken. Stelzen. Auf Stelzen gehen: sich in Sprache oder Gebärden nicht natürlich, sondern gezwungen, geschraubt benehmen. Im 16. und 17. Jh. ist die Rda. Die Kuh geht auf Stelzen häufig, um das unnatürliche Gebaren eines Menschen zu bezeichnen; andere Bilder für eine derartige Unart stecken in den Worten: hochtrabend, gespreizt, breitspurig, in Schwulst und geschwollen. In westdt. Mdaa. bedeutet ,auf Stelzen gehen4 auch: hochmütig sein, sich über andere erhaben dünken. Zu Anfang des 16. Jh. gebrauchte Murner die Wndg. mit Beziehung auf die nahe Gefahr, beim Stelzenlaufen zu stürzen, in seiner ,Schelmenzunft‘ (42, 33) bereits in übertr. Bdtg.: Wie ist ein frummer rat so seltzen! Ach gott, es gat yetz als vff steltzen, Biß daß ein mal den hals ab stürtzt, Vnweyser rat ein landt verkürtzt. ,Auf Stelzen gehen4 In der ,Zimmerischen Chronik4 bedeutet • ,uf stelzen gehn4 große Schritte tun, weit draußen sein, im 17. Jh. wird die Rda. gleichbedeutend mit ,hinken4 gebraucht, z.B. vom Reiche Mahomets nach den großen Türkensiegen. Schiller beklagt in den ,Räubern4 mit Karl Moor die großen Helden des Altertums, die jetzt nur noch dazu da seien, in Gymnasien ein trauriges Leben zu fristen - „oder, wemTs glücklich geht, von einem Tragödienschreiber auf Stelzen geschraubt und mit Drahtfäden gezogen zu werden44. In Gubitz' Gesellschafter4 (S.555) heißt es 1836: ,,Seht den Narr’n, wie er auf Steltzen geht! ruft der Plebs, wenn jemand edlere Gefühle, höhere Gesinnung zeigt. Aber muss er nicht auf Stelzen gehen, um rein durch den Schmutz des Lebens zu kommen?44 Vgl. auch ndl. ,op stelten staan4 und engl. ,to go upon stilts4. Einem die Stelzen beschlagen: ihm einen Schaden zufügen, seinen an sich schon unsicheren Stand durch die Eisen noch mehr gefährden, so daß er rutscht und stürzt. Ähnl. im Sachs. ,Den wär’ch de Stelz bestreichen4, ich werde sein Vorhaben verei¬ 1014
Stentor teln, eigentl.: ich werde die Stelzen einfetten, damit er ausrutscht. ,Stelze geben4 heißt eis. einen ermutigen, in seinem hochmütigen Benehmen fortzufahren, ihm die Mittel dazu selbst reichen. Hohe Stelzen haben: lange Beine besitzen, eine scherzhafte Übertreibung. Und wenn der Teufel auf Stelzen kommt: es kann kommen, was will. Stempel. Die sind mit einem Stempel geschlagen: sie sind sich sehr ähnl., sie passen gut zueinander, ihre Ansichten und Pläne stimmen überein. Die Rda. bezieht sich auf den Metallstempel, der in die Münzen geschlagen wurde, um ihnen gleiches Aussehen zu verleihen und ihren vollen Wert zu Prägestempel bestätigen. Vgl. lat. eiusdem farinae\ ,ovo prognatus eodem1 und ndl. ,Hij is van den zelfden Stempel1. Ähnl. Beziehung zum Münzwesen hat die Wndg. ,vom alten (guten) Schlage sein4 (/Schlag und /prägen), die im Ndl. auch ,van de oude Stempel4 lautet. Der Stempel ist darauf oder Das ist der richtige Stempel: die Sache ist in Ordnung, die Echtheit ist garantiert. Urspr. war ebenfalls die Echtheit der Münze gemeint, später wurde mehr an den Stempel auf dem Papier gedacht, und es erfolgte eine Übertr. auch auf geistiges Gebiet. Vgl. ndl. ,Dat is van de regten Stempel4. Darauf will ich meinen Stempel nicht drük- ken: ich will mich nicht dafür verbürgen, ich möchte mit dieser Sache nicht in Verbindung gebracht werden. Vgl. ndl. ,1k druk mijnen Stempel daar niet op4. Jem. stempeln: ihn beeinflussen, sich nach den Wünschen und Absichten anderer zu richten. Der ist gestempelt: er spricht nicht unbeeinflußt, äußert seine Meinung nicht, aber auch: er ist durch ein Vorurteil einer bestimmten Kategorie zugeteilt worden. Stempeln gehen: Arbeitslosenunterstützung empfangen, wobei das Datum mit einem Stempel in die Papiere eingetragen wird, damit eine Kontrolle über Meldung und Auszahlung möglich ist. Stengel. Vom Stengel fallen (kippen): überrascht, sehr erstaunt sein, vor Schreck vom Stuhl fallen. Die Rda. ist im 19. Jh. in Berlin aufgekommen: ,Fäll nich von’ Stengel!4 galt als scherzhafte Mahnung, die Fassung nicht zu verlieren. Der rdal. Vergleich bezieht sich auf eine Pflanze, deren Blüte vom Stengel fallen kann, es ist also eigentl. ,das Kopfloswerden4 damit gemeint oder daß jem. vor Erstaunen zu Boden fallt. Stentor. Mit einer Stentorstimme schreien (rufen): überlaut rufen, eine ungewöhnlich starke Stimme besitzen wie Stentor, von dem Homer in seiner ,Ilias4 (V, 785) berichtet, daß er eine ,eherne Stimme4 besessen habe und ,so laut schreien konnte wie fünfzig andere4. Aristoteles verwandte bereits das Wort im rdal. Vergleich, da er in seiner,Politik4 (VII, 4) fragt: „Wer könnte 1015
Sterben Feldherr einer riesigen Menge sein oder ihr Herold ohne eine Stentorstimme?“ Auch in andere europ. Sprachen wurde der Ausdr. Homers übernommen, vgl. ndl. ,een stentorstem\ frz. ,une voix de Stentor1 und engl. ,a stentorian voice4 (Büchmann). sterben /zeitlich. Stern. Die Sterne befragen, auch: in den Sternen lesen: sein vorherbestimmtes Schicksal mit astrologischen Methoden berechnen wollen. Die Rdaa. weisen auf die Beschäftigung mit der Sterndeutung, die in Dtl. vom 13.-18. Jh. Gelehrte und Laien bewegte und z.T. auch ihr Handeln bestimmte. Die Anfänge der Astrologie gehen auf die Versuche der babylonischen Chaldäer und der Ägypter zurück, aus dem Stand der Gestirne und ihrer schicksalhaften Beziehung zu den Menschen die Zukunft zu enträtseln. Die Griechen systematisierten die von ihnen überkommene Lehre von den Planeten und Tierkreiszeichen und ihrer Wirkung auf das Leben und Geschick der Menschen. Sie versuchten, die Sterndeutung durch die Verbindung mit der Astronomie und ihren exakten Beobachtungen und Berechnungen zur Wissenschaft zu erheben. Durch humanistische Studien und die Vermittlung arabischer Kenntnisse über Spanien wurde die Astrologie auch im Abendland bekannt, aber nicht eigentl. volkstümlich. Die Sterndeutung setzte spezielles Wissen voraus und blieb deshalb meist den Kundigen überlassen, die in hohem Ansehen standen und ehrfürchtig bewundert wurden. Bes. an den Fürstenhöfen hielten sich ständig geschätzte Astrologen auf, die vor allem bei Geburten oder vor wichtigen Entscheidungen den Stand der Sterne beobachteten und Glück oder Unglück vorhersagten. Wallenstein z. B. war ganz dem Sternenglauben verfallen und machte seine Entschlüsse davon abhängig. Irrtümlich hielt er gerade dann seine,Sternstunde4 für gekommen, als sein Untergang begann. Schiller stellt dies anschaulich in seinem Drama dar und gibt als persönliche Stellungnahme dazu in den ,Piccolomini4 (II, 6) den Hinweis: „ln deiner Brust sind deines Schicksals Sterne“. Auch in anderen westeurop. Sprachen sind ähnl. Wndgn. gebräuchl., z. B. ndl. ,iemand zijn planeet lezen“ engl. ,to cast a horoscope1. Etw. steht in den Sternen geschrieben: es ist eine (völlig ungewisse) Sache der Zukunft. Vermutlich auf eigener Beobachtung des Sternhimmels und der volkstümlichen Deutung beruht die Vorahnung des Todes in der Volksballade ,Die Rheinbraut4 (Röhrich-Brednich, Dt. Volkslieder, I, S. 157), deren erste Str. lautet: Christinchen ging im Garten, Den Bräutigam zu erwarten. Sie hatte schon längst in den Sternen gesehn, Daß sie im Rhein sollt’ untergehn. Nach dem Volksglauben besitzt jeder Mensch einen Stern am Himmel, der bei seiner Geburt erscheint und beim Tode entweder fällt oder untergeht. Diese Vorstellungspiegeln mehrere Rdaa., bei denen Stern mit Leben, Glück oder Ruhm gleichgesetzt werden kann: Ein Stern ist vom Himmel gefallen: jem. ist gestorben; sein Stern erbleicht: sein Glück schwindet; sein Stern ist gesunken (untergegangen): sein Ruhm, sein Erfolg sind dahin. Dagegen sagt der, dessen Glück noch aussteht, der aber geduldig und hoffnungsvoll wartet, bis seine Stunde gekommen*ist: Mein Stern ist noch nicht auf gegangen. Von einem, dessen Ansehen oder Reichtum ständig wächst, heißt es entspr.: Sein Stern ist im Aufgehen: er hat den Höhepunkt seines Glückes noch längst nicht erreicht. Der Mensch selbst kann mit seinem Stern verglichen oder sogar gleichgesetzt werden, wenn es rdal. von ihm heißt: Er (sie) ist ein aufgehender Stern oder Es ist ein Stern erster Größe:er ist ein Künstler oder Wissenschaftler, der Hervorragendes leistet. Vgl. ndl. ,Het is eene ster van de eerste groote4. Volkstümlich geworden ist bei uns die allg. Vorstellung von einem Glücksstern, unter dem ein ganzes Leben, ein bestimmtes Vorhaben oder nur Tag und Stunde stehen kann. Hierbei ist das Glück nicht i. S. v. Astrologie und genauen Horoskopen an einen bestimmten Stern oder ein Sternbild gebunden, d.h. jeder beliebige Stern kann für jem. zum Glücksstern werden. Davon zeugen verschiedene Rdaa., wie unter einem guten (glücklichen, günstigen) Stern geboren sein (stehen): günstige Vorausset- 1016
Stern Zungen haben, ein Glückskind sein, bei allen Unternehmungen Erfolg haben; ähnl.: einen Glücksstern haben. Vgl. auch ndl. ,onder een gelukkig gesternte geboren zijn4; frz. .être né sous une bonne étoile"; engl. ,to be born under a lucky (propitious) star\ Wenn jem. mehrere glückliche Zufälle erlebt und bei einem Unternehmen unerwarteten Erfolg gehabt hat oder wenn sich ihm jem. als bes. glückbringend erwiesen hat, stellt er fest: Ein (mein) guter Stern (Glücksstern) hat mich geleitet oder Er ist mein guter Stern (gewesen). Auch die Wndgn. einen Stern haben, an seinen Stern glauben und seinem Stern folgen, die kein Attribut besitzen, meinen ebenfalls nur den glücklichen Stern, das günstige Geschick. Die Rda. weder Glück noch Stern haben verdeutlicht dies. Sie begegnet auch im Lied ,Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht4, in dem es von den Liebenden heißt, die in die Fremde zogen: „Sie haben gehabt weder Glück noch Stern44. Die Rdaa. unter keinem guten Stern geboren sein (stehen), unter einem bösen (unglücklichen) Stern zur Welt gekommen sein, keinen Sternam Himmel haben oder gar einen Unstern besitzen werden dann gebraucht, wenn jem. nicht vorankommt, wenn er nur Mißerfolge aufzuweisen hat. Der vom Pech Verfolgte trifft diese Feststellungen resignierend selbst, wenn er durch mehrere Schicksalsschläge hintereinander deprimiert ist und nach einer übernatürlichen Erklärung sucht oder wenn er sich die eigene Schuld an seinem Versagen nicht eingestehen will. Der Ausruf Da ist kein Stern, der leuchtet! umschreibt die Hoffnungslosigkeit des Verzweifelten, der keinen Ausweg, kein Licht mehr sieht. Das sprachl. Bild stammt aus der Seefahrt, bei der der Kurs eines Schiffes nach dem Stand der Sterne festgelegt wurde. Da bei Sturm und Unwetter die Sterne verdeckt waren, verloren die Seefahrer die Orientierung und irrten hoffnungslos umher, vgl. hierzu die zehnjährige Irrfahrt des Odysseus. Die Sterne des Himmels zählen: eine aussichtslose Arbeit unternehmen, sich vergeblich bemühen, Unnützes tun. Nur Gott wird die Fähigkeit zugesprochen, diese Aufgabe zu vollbringen. Deshalb wird er sogar durch diese alles überragende Leistung umschrieben. Bereits im Mhd. begegnet die Wndg. „Der die sterne hat ge- zalt“ (,Parzival‘, 659, 20), und noch im heutigen Kinderlied ,Weißt du, wieviel Sternlein stehen?‘ klingt diese Vorstellung von der Allmacht Gottes an. Vgl. auch lat. ,stellas numerare4. Die Rda. Sterne an den Himmel setzen (heften) meint ebenfalls das sinnlose Tun, vgl. ,Eulen nach Athen tragen4. Seb. Franck verzeichnet diese Wndg. in seinen Sprichwörtern4 (2, 129a) bereits 1541: Stern an himmel setzen, holtz in wald tragen und wasser in Rhein, das ist geben, da vorhin genug ist. Jem. (Namen, Ruhm) bis zu den Sternen (zum Himmel) erheben: ihm den höchsten Grad von Achtung erweisen, übertrieben rühmend von ihm sprechen, ihm beinahe göttliche Verehrung entgegenbringen. Die Rda. steht vermutlich in Zusammenhang mit den Sternsagen, in denen die Versetzung eines Menschen unter die Sterne geschildert wird. Diese Verstirnungssagen sind bereits bei den Griechen bekannt, wobei die Versetzung an den Himmel entweder Belohnung oder auch Strafe bedeuten kann. Nach den Sternen greifen: nach dem Höchsten, auch Unerreichbarem, streben, sein Ziel sehr weit stecken und von sich selbst das Äußerste fordern. Goethe mahnt dagegen in seinem Gedicht,Trost in Tränen4 vor Enttäuschung: Die Sterne, die begehrt man nicht, Man freut sich ihrer Pracht. Die Sterne vom Himmel holen wollen: bereit sein, alles, selbst das Unmögliche, für jem. zu tun, im übermäßigen Glück der Liebe seine Kräfte wachsen fühlen und im Überschwang alles versprechen. Die Rda. ist eine steigernde Umschreibung für die ,himmelstürmende4, junge Liebe. Sie wird aber auch von enttäuschten Ehefrauen gebraucht, die dann bei einer Auseinandersetzung ihrem Manne Vorhalten: ,Und dabei hattest du doch versprochen, mir die Sterne vom Himmel zu holen!4 Im Schwäb. heißt es von einem Übermütigen: ,Er schlägt (guckt) die Sterne vom Himmel ’rab4. 1017
Steuer(n) Einen die Sterne sehen lassen: einem große Schmerzen oder große Lust verursachen. Bereits Abraham a Sancta Clara gebraucht diese Wndg. in ,Etwas für alle4 (2, 17) lit.: „gäbe sie (die Schlange) ihm etliche bisz und zwick... mit solchen schmertzen, dasz er die stem im himmel sehen kunnte auch bei dem tag“. Die Rda. wird aber auch auf einen Geizigen bezogen, der seine Leute so hungern läßt, daß sie ganz kraftlos werden und eine Art Sinnestäuschung von tanzenden Sternen vor ihren Augen kurz vor der Ohnmacht erleben. Sterne sehen: benommen sein durch einen Schlag oder Stoß, vorübergehend einer Ohnmacht nahe sein. Nicht mehr die Sterne am Himmel sehen (können):einen Rausch haben. Auch mdal. Wndgn. umschreiben die Trunkenheit auf ähnl. Weise, so heißt es z. B. in Hessen: ,Er hot en Stern4. Vgl. auch die Ausdrücke ,sternvoir, ,sternhagelbesoffen4. Den Stern mit einem treiben: Scherz, Spott mit jem. treiben. Die Rda. ist bes. im Schwäb. und Bair. bekannt und steht vielleicht in Zusammenhang mit der häufigen Wirtshausbez.,Stern4, wo in lustiger Runde gern Schabernack mit einem getrieben wird. Im Dreikönigslied der Sternsinger begegnet die heute unverständliche Wndg. der finstere Stern, die eigentl. eine Umdeutung von ,finis terrae4 (Ende der Welt) ist. Sie bedeutet wie in der Wunderhornstr. (2, 551): Wir seind die König vom finstern Stern, Und brächten dem Kindlein Opfer gern, daß die Könige von weither gezogen sind. Dagegen meint der minnesängerische Ausdr. ,der tunkele stern4 den nur schwach leuchtenden, d. h. den untergehenden Stern. So schreibt z. B. der Kürenberger: „der tunkele sterne birget sich“ (,Minnesangs Frühling4 10, 1). Ein Stern putzt sich: eine Sternschnuppe fällt. Dagegen heißt im Schwäb. ,den Stern putzen4 scherzhaft: seine Notdurft befriedigen. Lit.: HdA. VIII, Sp. 458 ff. Art. ,Stern‘ von Stegemann; Troels-Lund: Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten (51929); Boll-Bezold-Gundel: Sternglaube und Sterndeutung (4,1931); W. Gundel: Sternglaube, Sternreligion und Sternorakel (1933); E. Zinner: Sternglaube und Sternforschung (München 1953); W. Schadewaldt: Griech. Sternsagen (München 1970); RGG. I, Sp. 664-666 Art. Astrologie von F. Strunz u. C. M. Edsman; H. Wetter: Heischebrauch und Dreikönigsumzug im dt. Raum (Diss. 1933); H. Moser: Zur Gesch. des Sternsingens, in: Bayer. Jb. H. 5 (1935); K. Meisen: Die hl. Dreikönige u. ihr Festtag im volkstüml. Glauben u. Brauch (1949). Steuer(n). Das Steuer führen, auch: am Steuer sitzen (sein): an der Regierung sein, den Staat lenken, die Richtung in der Politik bestimmen, vgl. ,am Ruder sein4. Das sprachl. Bild der Rdaa. bezieht sich urspr. auf das Steuer des Schiffes, durch das sein Kurs bestimmt wird, in übertr. und erweiterter Bdtg. dient es zur Umschreibung von Herrschaft, Leitung und richtungweisendem Handeln und Eingreifen überhaupt, vornehmlich jedoch im öffentlichen Leben, in Wirtschaft und Politik. Das Neutrum ,Steuer4 ist ein ndd. Wort, das erst spätmhd. als ,stiure4 bezeugt ist. Wegen seiner Grundbdtg. von körperlicher Stütze kann es mit anord. ,staurr‘ = Pfahl und lat. ,restaurare4 = wiederherstellen in Zusammenhang gebracht werden. Das schwache Verb ,steuern4 beruht auf mhd. ,stiuren4 = lenken, leiten, stützen. Das Steuer (fest) in der Hand haben: an der Macht sein, seinen Willen (mit Gewalt) durchsetzen, seine Ziele konsequent ver¬ las Steuer fest in der Hand haben4 1018
Stich folgen, sich auf seinem Wege durch nichts und niemanden beirren lassen. Das Steuer ergreifen: die Herrschaft an sich reißen, die Führung übernehmen, ordnend eingreifen. Das Steuer herumwerfen: einen neuen oder entgegengesetzten Kurs einschlagen, die bisherige Richtung in der Politik (Wirtschaft) plötzlich und grundlegend ändern. Die Wndg. einer Sache steuern: ihr Einhalt gebieten, beruht auf der gleichen Vorstellung und meint eigentl. das Entgegensteuern, um das Abweichen vom rechten Maß oder Wege wieder auszugleichen. Ohne Steuer treiben: ohne feste Führung sein, die Richtung verloren haben, einer unsicheren Zukunft ohne Ziel entgegensehen, die Gewalt (Herrschaft) über sein Leben (die Politik, Wirtschaft) verloren haben, ähnl.: des Steuers verlustig sein: Halt und Stütze vermissen müssen. Die mdal. Wndgn., die vor allem von der nordd. Küste stammen, zeigen ihren Zusammenhang mit der Seemannssprache noch deutlicher als die hochsprachlichen, z.B. heißt ,oever Stür gän4, über Bord gehen. Davon abgeleitet ist die Rda. ,Et geit mit em over Stür\ es geht rückwärts mit ihm, da sich ja das Steuer am Ende des Schiffes befindet. ,Van 't Stür sein4, außer Fassung geraten, eigentl. ohne Steuer sein und sich nicht mehr selbst helfen können, dagegen: ,to Stür kommen4, einem zustatten kommen. Diese Wndg. ist bereits bei Burkard Waldis (III, 50, 13) lit. bezeugt als Feststellung: „Der kompt vns wol zu steur44. Die Rda. ,De besten Stüer- lüd (Käptens) stahn jümmen an Land4 bezieht sich auf die Besserwisser an Land und stammt auch aus der Seemannssprache. Etw. zur Steuer der Wahrheit tun (sagen): der Wahrheit ihr Recht geben. Das Femininum ,Steuer4 geht auf ahd. ,stiura4 = Abgabe, eigentl. Unterstützung durch Abgaben, zurück und bezeichnet urspr. die Stütze in sinnlicher Bdtg., was sich noch im bair. Ausdr.,Steuerleiste4 = Stützleiste am Wagen, erhalten hat. Steuer und Bett von Toten nehmen: übergroße Forderungen stellen. Die Rda. erinnert an das frühere Recht der Grundherren, den persönlichen Besitz der verstorbenen Leibeigenen für sich zu fordern, den sogenannten ,Todfall4. Die Steuerschraube anziehen: die Steuern ständig erhöhen. Die Wndg. ist als anschauliche Schelte des künstlich gesteigerten Steuerdruckes in den sechziger Jahren des 19. Jh. aufgekommen und von Bismarck 1881 inseine politischen Reden4 (8, 370) aufgenommen worden. Lit.: W. Stammler: Seemanns Brauch u. Glaube, in: Dt. Philologie im Aufriß, 2. Aufl. Bd. III, Sp. 2901 ff.; Kluge-Götze, S.763. Stich. Etw. (jem.) im Stich lassen: etw. preisgeben, jem. in einem kritischen Augenblick nicht unterstützen, ihm nicht helfen, ihn in Gefahr verlassen; versagen, nicht funktionieren. Diese seit dem Ende des 15. Jh. vereinzelt, vom 17. Jh. an sehr reich bezeugte Rda. ist auf die verschiedenste Weise erklärt worden. Fr. Seiler führt in seiner ,Dt. Sprichwörterkunde4 (S. 232 f.) nicht weniger als sechs Erklärungen an, dazu noch vier bis fünf Varianten. Völlig gesichert ist keine. Am wahrscheinlichsten scheint die Herleitung vom Turnierwesen, wobei, etwa im Massenturnier, ein Kämpfer die Gefährten verläßt, die nun ,im Stich4 des Feindes bleiben. Die Rda. ist allerdings wohl nicht unmittelbar aus dem ritterlichen Turnierwesen des MA. in die Umgangssprache übergegangen, sondern wahrscheinl. aus dem bürgerlichen Stechen4, Kampfspielen, die in Nachahmung der ritterlichen Turniere im sinkenden MA. von den Städten abgehalten wurden. Es gab Gesellenstechen, Fischerstechen usw., bei denen es um einen Preis ging, so daß stechen die Bedeutung bekam: um einen Preis ringen, streiten. Späterhin wurde die Rda. sogar auf Schützenfeste übertr., wo man statt mit der Lanze mit der Armbrust kämpfte. Zwei, die gleich gut geschossen hatten, mußten miteinander stechen4, indem sie noch einmal schossen. Vom Schießen ging der Ausdr. auf andere Spiele, wie Kegel- und Kartenspiel, über. Beim Fußturnier, das unter Kaiser Maximilian aufkam, stachen sich die Kämpfer über eine hölzerne Schranke hinweg. Da sie ohne Beinzeug kämpften, war es streng verpönt, unter der Schranke durchzustechen, das nannte man ,durch den Zaun stechen4, später (in der Preuß. Kammerordnung von 1648) ,Durchstich treiben4 und 1019
Stich heute noch üblich als Durchstechereien treiben4 i. S. v. betrügerische Manipulationen in einer Vertrauensstellung vornehmen. Übertr. sagt man auch ,jem. bestechen4, in einer früheren Form ,jem. zu stechen suchen', nämlich ,mit dem goldenen Spieß4, d.h. ihn durch Gold korrumpieren. Diese Rda. findet sich bei Luther (Sir. 8,3) „Denn viele lassen sich mit Gelde stechen, und es bewegt auch wohl der Könige Herz44. - Ganz unwahrscheinl. ist die Herleitung dieser Rda. von der Biene, die ihren Stachel beim Stich in der Wunde zurückläßt, obgleich Luther die Rda. einmal so deutet (,Auf des Bocks zu Leipzig Antwort4, 1521; Weimarer Ausg., Bd.VII, S.277): „die weil ich sihe, das du deyne seele daran setzen wilt, und wie eine tzor- nige bien das leben ym stich lassen44. Auch die Wndg. im Stich bleiben: verloren - gehen, kommt vom 16. bis zum 18. Jh. gelegentlich vor; so 1639 bei Lehmann (S.921; ,Wohlthat4 42): „Die guten Werck vnd Wohlthaten, so den Armen geschehen, folgen vns nach in den Tod vnd ins ewige Leben, das man sonst erspart und hinterlassen, das bleibt im Stich44. Stich halten: sich als zuverlässig (richtig, wahr) erweisen, die Probe bestehen; bei Luther und im 16. bis 17. Jh. in der Form ,den Stich halten4, seit dem Ende des 17. Jh. in der artikellosen Form bezeugt. Auch der Urspr. dieser Rda. ist nicht sicher. Man hat sie vom Stich beim Nähen abgeleitet (so schon 1741 Frisch in seinem deutsch-lateinischen Wörterbuch4), dann vom Stich beim Kartenspiel (,den Stich behalten, festhalten4); am wahrscheinlichsten ist jedoch wiederum die Herkunft vom Kampf mit der Waffe (,den Stich des Gegners aus- halten4). ,Hieb- und stichfest4 mußte ein Turnier- panzer sein; heute überträgt man diese Rda. auf Argumente, die so überzeugend sind, daß der Gegner keine Gegenargumente findet. Ähnl. sagt man von einem Argument, es sei stichhaltig4. Wenn bei einer letzten Stichwahl4 zwischen zwei Bewerbern der eine den anderen ,aussticht4, so klingt auch hier das ritterliche Stechen an. Zwar kennt die ritterliche Dichtung des hohen MA. die Wdg. noch nicht, aber die ältesten Belege zeigen deutliche Beziehung auf den Kampf: „Also heit dieser glaube den puff und stich nicht44 (Luther, Weimarer Ausgabe, Bd. XVI, S.234); „Derhalb das buch den stich nicht halten würde, so es soit von den Widersachern angefochten werden44 (Luther, Jenaer Ausgabe Bd. II, S. 279a). Von den fünf weisen Jungfrauen sagt Luther: „Sie haben Gottes Werk bei sich und nicht einen gedichteten, gemachten Wahn, der den Stich nicht halten mag44. Götz von Berlichingen erzählt in seiner Lebensbeschreibung: „Aber Heydeck das hielt den stich und ergab sich nit“ (,Götz von Berlichingen4, Lebensbeschreibung, hg. v. Bieling, S. 30). In einem Gedicht aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (J. Opel u. A. Cohn, Hist. Gedichte und Prosadarstellungen aus dem Dreißigjährigen Kriege, 1862) heißt es: Die spanischen Reuter wichen hinter sich, Das Fußvolk hielt noch lang den Stich, Auf sie wurd hart geschossen. Nach dem Tod Gustav Adolfs wurde den Evangelischen prophezeit: Eur Sach kan nit haben den Stich, Sicht ihme gleich; es gang hinter sich. Auf das Kartenspiel weist jedoch folgender Beleg hin: Des Pfennigs mancher haust Gab er Unterschlauf, Hält den Stich - ich passe. (F. W. v. Ditfurth, Die hist.-polit. Volkslieder des Dreißigjährigen Krieges, Nr. 50, 58) Den letzten Stich halten (auch vom Kartenspiel): als Sieger bleiben: Als widern Kaiser bochet ich Und hielt doch nicht den letzten Stich. (Ebd. Nr. 18, 17.) Immerhin erscheint ,Stich halten4 gelegentlich schon im 16. Jh. mit Beziehung auf die Näharbeit, bes. in der Form ,keinen Stich halten4 und in der Doppelform ,(den) Stich und (die) Farbe halten4 (vgl.,Farbe'), ferner als ,Stich und Strich halten4 mit Anklang an bergmännische und Goldarbeitergebräuche. Jem. einen Stich geben (versetzen): ihn verletzen, kränken; eine dem Gesprächspartner unangenehme Angelegenheit durch eine Bemerkung andeuten (vgl. ,jem. eine Spitze, einen Seitenhieb geben4). 1020
Stiefel ,Die Sonne sticht' ist wohl, ähnl. wie der ,stechende Blick4, vom Bild des Strahles genommen, der von etw. ausgeht und konkret mit einer Spitze vorgestellt wird, die fühlbar ist. Einen Stich haben: verrückt sein, wobei wohl urspr. an den Sonnenstich gedacht ist, der zu Fieber und Ohnmacht führt. ,Etw. hat einen Stich4, z. B. ,die Milch hat einen Stich', ,das Bild hat einen Stich ins Blaue', bez. die Abweichung vom Normalen, d. h., die Milch ist sauer, bzw. das Bild hat eine zu starke Blautönung. Ähnl. sagt man, daß ,Kinder voneinander abstechen', d. h., ihre Charaktere sind völlig verschieden. ,Einen Abstecher machen', auch ,Stich- fahrten' von einem bestimmten Ort aus unternehmen, von der geraden Route abweichen und einen abseitsliegenden Ort aufsuchen, um dann wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Die Rda. ist vielleicht vom Bild des Zirkels genommen, mit dem man die Strecke auf der Landkarte abmißt. Lit.: Dt. Wb., Bd.X. 2. Abteilung, Sp. 2693; Fr. Seiler: Dt. Sprww.-Kunde, S.232L Stichblatt. Einem zum Stichblatt dienen: jem. zum Gegenstand scherzhafter, auch boshafter Verspottung dienen, eine seit dem 18. Jh. häufig bezeugte, in der Ggwt. aber seltener gewordene Rda., die auch in anderen Formen vorkommt, z. B. einen zum Stichblatt brauchen: ihn gern hänseln, mit ihm Schabernack treiben4, oder jem. zum Stichblatt machen und das Stichblatt (aller Welt) sein: von allen gern verspottet werden. Vgl. auch frz. ,être le bardot d’une compagnie'. Das Wort Stichblatt hat verschiedene Bdtgn. Es ist einmal die Bez. der Querscheibe zwischen Griff und Klinge der Stoßwaffen, worauf im Gefecht die meisten Stiche gehen; in übertr. Sinne in der Rda. dann der Mensch, auf den der Spott, das verletzende Wort gerichtet ist. Andererseits ist im älteren Obd. die Bdtg. Zielscheibe belegt, was noch besser zur Erklärung der Rda. dienen kann, sagt man ja auch: ,jem. zur Zielscheibe des Spottes machen4. Es bleibt ihm das Stichblatt in der Hand: sein Plan war falsch angelegt, er hat sein bestes Mittel nicht zu nutzen gewußt. In der älteren Sprache war das Stichblatt auch die Spielkarte, mit der man sticht, also die Trumpfkarte, die das Spiel endgültig entscheidet (/Karte). Die Rda. ist auch lit. bezeugt. Schiller schreibt im ,Fiesko' (V, 13): „ist das Stichblatt des unendlichen Bubenstücks44. Bismarck wollte in seinen ,Reden4 (4, 45) „darauf verzichten, einzelne Redefiguren als Stichblatt zu nehmen'4. Stichprobe. Eine Stichprobe nehmen: einen einzelnen aus einer Menge beliebig herausgegriffenen Teil oder ein Einzelstück genau untersuchen, um danach auf die Beschaffenheit oder Qualität des Ganzen zu schließen, auch: von Zeit zu Zeit nachprüfen, ob alles in Ordnung ist. Die Wndg. stammt aus dem Hüttenwesen. Die alten Schmelzöfen, die auch ,Stichöfen4 hießen, hatten vor sich einen ,Stichherd4, aus dem mit dem Probelöffel ein kleiner Teil der Schmelzmasse zur Bestimmung des Metallgehaltes entnommen wurde, was seit dem Ende des 16. Jh. bezeugt ist. Hardanus Hake schrieb 1583 in der ,Bergchronik4 (S. 140): „so mannig- mahl alß nun der Schmeltzer sticht, so mannigmahl nimmet ehr eine Stichprobe darvon44. Von der Metallprüfung wurde die Rda. um die Mitte des 19. Jh. auch auf die Prüfung anderer Materialien und schließlich auf Geistiges übertr. Als der urspr. Zusammenhang mit dem Schmelzvorgang weitgehend vergessen war, entstand die jüngere Wndg. eine Stichprobe machen. Man kann heute auch eine Stichprobe geben, indem man aus einem Werk, einer Dichtung einen Teil vorträgt. Stiefel. Einen (guten, tüchtigen) Stiefel vertragen (können): viel Alkohol vertragen können, holst, auch in der Form bezeugt: ,en gooden Stevel supen4; eine bes. ndd. geläufige Rda., die auf die seit dem 16. Jh. bezeugte Stiefelform von Trinkgläsern zurückgeht: „ein glass, was geformiert wie ein stiffel“ (Thomas und Felix Platter, Zur Sittengeschichte des 16. Jh., 1529; bearb. von Heinrich Boos, 1878); „Ja, sie soffen aus gestifleten Krügen“ (Joh. Fischart, Ge- schichtklitterung, 1575, Ndr., S.123). In 1021
Stiefel älterer Zeit haben vielleicht wirkliche Stiefel als Trinkgefäße gedient. Um 1030 heißen im ,Ruodlieb\ dem ältesten Abenteuer- und Ritterroman Dtls., ein paar, wie es scheint, lederne Weinflaschen, die lobpreisend dargeboten werden, im Scherze Stiefel. Im ,Theatrum diabolorum4 von 1569 ist bezeugt (449b): „Man seufft auß Theereimern, Hüten, Schuen44. Es gibt zahlreiche ätiologische Ursprungsanekdoten der Rda. 1860 erzählt G. Pfar- rius in dem Gedicht ,Der Trunk aus dem Stiefel4, wie sich Ritter Boos von Waldeck dadurch, daß er einen Kurierstiefel auf einen Zug leert, das schone Dorf Hüffelsheim ertrinkt. Dieselbe Rolle spielte der Stiefel bei dem berühmten ,Trunk von Rothenburg4, durch den der Bürgermeister 1631 die von Tilly eingenommene Stadt rettete. Nach Ansicht des Berliner ,Frei- müthigen4 (1806, Nr. 71) soll ein Geistlicher an der Tafel Augusts des Starken, nachdem alle anderen Anwesenden unter den Tisch getrunken waren, sich seinen Stiefel mit Wein haben füllen lassen und ihn auf einen Zug ausgetrunken haben. Eine andere Anekdote berichtet, Bassompierre, der 1602 von Heinrich IV. als Gesandter in die Schweiz geschickt wurde, habe als Begrüßungstrunk für die dreizehn Kantonsabgesandten seinen Stiefel, der dreizehn Flaschen Wein faßte, geleert. Unter den barocken Trinkgefäßen waren solche in Form eines Stiefels, in die ein volles Quart Wein ging. Sie waren hauptsächlich in Schwaben gebräuchl. Seit dem Anfang des 18. Jh. wird aus Stiefeln nur noch Bier getrunken. Von einem Betrunkenen sagt man, er habe einen gehörigen Stiefel (/trinken). In negativer Bdtg. findet sich Stiefel in zahlreichen Rdaa. Einen Stiefel zusammen reden: Unsinn reden, ist mdal. weit verbreitet. Redewndgn. wie seinen Stiefel fortmachen: unentwegt, unkritisch etw. fortsetzen, kommen im 18. Jh. auf, zuerst in der Form seinen Stiefel gehen. Hier entspringen übertr. Wndgn., die das Handwerksmäßige und Geistlose hervorkehren, so schon 1752: „er predigt dir... seinen Stiefel weg, daß es eine Art hat44 (G. W. Rabener, Sämmtl. Schriften 3,44). In Gerhart Hauptmanns ,Vor Sonnenuntergang4 heißt es: „Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort44. Als Ausdr. für Dummheit, Unsinn ist Stiefel auch mdal. weit verbreitet: „Ein Weiberleut redet oftmals einen Stiefel zusammen44 (A. Schott, Seltsame Leut, 1914, 10). In Kleists Verbrochenem Krug4 (9. Auftr.) sagt der Dorfrichter Adam vom angeblich krummbeinigen Leberecht: Ach was! Krummbeinig! Schafsgesicht! Der Kerl Geht seinen Stiefel, der, trotz einem. Einen Stiefel arbeiten, schreiben, spielen bedeutet soviel wie: schlecht. Der Musiker Joseph Joachim schreibt (1831-1907) in einem Brief (hg. v. Moser, Bd.I, S. 119): „Der schöne Stiefel (kennst Du den Ausdruck für schlechte Schreibweise?) paßt zu den Schuhen, die ich dir schicke44. Wie in der Rda.,einen Stiefel vertragen4 ist Stiefel oft auch in anderer Anwendung eine Mengenbez.: sich einen gehörigen Stiefel einbilden: eine viel zu hohe Meinung von sich haben. Das zieht einem die Stiefel aus oder Das ist zum Stiefelausziehen sind Ausdrücke der Kritik, des scheinbaren Entsetzens oder gespielter Verzweiflung, etwa beim Anhören schlechter oder falsch gespielter Musik. Gestiefelt und gespornt: völlig ausgerüstet, reisefertig, eine alliterierende Formel, oft auch als mit Stiefeln und Sporen belegt. Luther schreibt vom Buch Salomonis: „Es sollte völliger sein, es hat weder Stiefeln noch Sporn, es reitet nur in Socken44. Weder Stiefel noch Sporen haben: unvollständig sein. In Shakespeares ,AlFs Well That Ends Well4 heißt es; ,,You have made shift to run into’t, boots and spurs and all44. Stiefel muß sterben ist eine Rda., die nach einer ätiologischen, d. h. ad hoc erfundenen Erzählung auf ein geschichtl. Ereignis zurückgeht: Im Jahre 1533 kam der Pfarrer Stiefel zu Luther und erzählte ihm, der Weltuntergang stehe nahe bevor, er habe es durch Berechnungen untrüglich festgestellt. Der Reformator ließ sich nicht überzeugen, desto besser gelang dies Stiefel bei den Bauern, die nun alles verzehrten und vergeudeten, was sie besaßen. Als nun der Weltuntergang ausblieb, ergriffen die zornigen Bauern den Pfarrer und führten ihn 1022
Stiefmutter gebunden nach Wittenberg, wo sie seine Bestrafung verlangten. Auf dieses Ereignis dichtete ein Student ein Lied, das schon bald zum Studentenlied wurde, heute jedoch, nachdem das ursächliche Ereignis vergessen wurde, in der Umdichtung gesungen wird: Stiefel muß sterben, ist noch so jung, jung, jung! Wenn das der Absatz wüßt, daß Stiefel sterben müßt... Die Strophe ,Stiefel muß sterben ...‘ taucht zuerst in A. v. Arnims Sammlungen 1806 auf, ist aber auch später noch häufig als Kinder- und Scherzlied belegt. Einem span. Stiefel anziehen: ihm die Freiheit zwangsweise einschränken; frz. Bonner des brodequins au criminer. Der span. Stiefel war im MA. ein zum Erzwingen von Geständnissen dienendes Folterinstrument, in das Waden und Knie eingezwängt wurden. Bei Goethe (,Faust‘ I, Studierzimmer) sagt Mephistopheles zum Schüler: Mein teurer Freund, ich rat Euch drum Zuerst Collegium Logicum. Da wird der Geist Euch wohl dressiert, In spanische Stiefeln eingeschnürt... Die Stiefelanhaben:d\e Herrschaft im Haus besitzen, /"Pantoffel. Sich etw. an den Stiefeln abgelaufen haben /Schuh. Stiefkind. Jem. (etw.) wie ein Stiefkind behandeln: jem. (etw.) lieblos zurücksetzen, zu Unrecht vernachlässigen. Etw. ist ein Stiefkind: es ist zuwenig beachtet, nicht gefördert worden. Die Vorstellung, daß Stiefkinder schlechter als eigene Kinder behandelt werden, ist schon seit der Antike bezeugt. In der ,Alkestis‘ des Euripides (V. 309-310) heißt es um 438 v. Chr.: Verfolgt die zweite Mutter doch Stiefkinder stets Mit giftigen Blicken, einer wilden Schlange gleich. Bis heute ist dieses Vorurteil weit verbreitet und gilt so als Regel, daß die Rdaa. immer davon ausgehen. Auch mdal. Wndgn. sind entstanden, z.B. heißt es im Schwäb. ,Du sollst net’s Stiefkind sein4: du sollst nicht schlechter dran sein als die anderen. Ein Stiefkind der Natur sein: weder körperliche noch geistige Vorzüge besitzen, sich selbst von der Natur als Mutter alles Lebens ungerecht behandelt fühlen und ihr die eigene Unvollkommenheit zum Vorwurf machen. Lit.: /’Stiefmutter. Stiefmutter. Etw. seiner Stiefmutter klagen: alle Mühe umsonst aufwenden, an die falsche Stelle gehen, kein Gehör finden. Die Rda. beruht auf der lat. Wndg. ,apud novercam queri1, die bei Plautus bezeugt ist. Vgl. auch: ,dem Wolf (Henker) beichten4. Die Rda. verzeichnet auch Seb. Franck (II, 16a). Vgl. ndl. ,Klaag het uwe stiefmoeder4. Im Gegensatz zum Stiefvater spielt die Stiefmutter in Märchen, Sage und Volksglauben eine bedeutende Rolle. Die Stiefmutter wurde schon in früher Zeit als hart, boshaft und grausam geschildert. In ahd. Sprache findet sich ein Beleg bei Notker (1, 800, Piper): ten sin stiefmuoter vilo willigo sougta, doh si anderiu iro stiefchint hazeti. Bes. im Märchen wurde die Stiefmutter zur typischen, festausgeprägten bösen Gestalt, die die Kinder quälte, hungern ließ und vom Hause vertrieb oder sie sogar als böse Hexe verwandelte, verfolgte und tötete. In den KHM. der Brüder Grimm finden sich dafür viele Beisp. In dem Märchen von ,Brüderchen und Schwesterchen4 (KHM. 11 ) sagt das Brüderchen beim Verlassen des Elternhauses: „Seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr; die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkrusten, die übrigbleiben, sind unsere Speise, und dem Hündlein unter dem Tisch gehts besser; dem wirft sie doch manchmal einen guten Bissen zu44. Auch Hans Sachs übernahm noch bedenkenlos dieses Vorurteil und reimte (20, 364, Ausg. Keller-Goetze): Da wurd sie irem stieffson feind, Wie gwönlich all stieffmütter seind. Häufig begegnet die Stiefmutter auch im Sprw. in einer negativen Rolle. Bei Petri heißt es z.B. in ,der Teutschen Weiszheit4 (2, y 5a): Ein stieffmütter ist ein böse ruth Und thut den kindern selten gut. An der Stiefmutter Grabe weinen, auch : um 1023
Stielauge die Stiefmutter weinen: Tränen und Trauer heucheln. Vgl. ndl. ,Hij schreit op zijn stiefmoeders graf1. ,Du gäbst e rechte Stiefmutter4 heißt es im Schwab, als Vorwurf gegenüber einer harten, boshaften und geizigen Person. Seinem Maule (Munde, Leibe) keine Stiefmutter sein:sich nichts abgehen lassen, sich selbst alles gönnen. Die Wndg. ist bes. im mdt. u. obd. Raum verbreitet. Er braucht keine Stiefmutter sagt man scherzhaft von einem Menschen, der sich gut in der Zucht hat, der sehr streng gegen sich ist. Jem. (etw.) stiefmütterlich behandeln: jem. (etw.) unnatürlich hart behandeln, ihn zurücksetzen, etw. vernachlässigen. Lit.: G. Schambach: Die Familie im Spiegel plattdt. Sprww., in: Bremer Sonntagsblatt, 3 (Bremen 1855), Nr. 4, S. 28/9; J. Haltrich: Die Stiefmutter in der siebenb.-sächs. Volkspoesie (Wien 1856); IV. Lincke: Das Stiefmuttermotiv im Märchen der germ. Völker (= Germ. Studien 142) (Berlin 1933); F. Vonessen: Die Unglaublichkeit der Wahrheit. Zur Mythologie des Stiefmuttermärchens, in: Scheidewege I (1971), S. 429-449. Stielauge.Stielaugen machen (bekommen): begehrlich oder neugierig auf etw. blicken, neidisch werden, auch: Stielaugen wie die Setzeier machen. Sold, wurden im 1. Weltkrieg stark hervorquellende Augen als Stielaugen bez. Die junge, durch student. Kreise verbreitete Rda. ist nicht von den an einem Stiel sitzenden Gläsern der Lorgnette hergeleitet, sondern vom Bild der bei Überanstrengung stark hervortretenden Augen, die gleichsam an einem Stiel zu sitzen scheinen. Stier. Den Stier (Bock) bei den Hörnern fassen (packen), also dort, wo der Stier seine beste Wehrkraft besitzt, in übertr. Bdtg.: eine Sache, ein Unternehmen mutig an der schwierigsten Stelle beginnen, den einzig richtigen Weg einschlagen, um eine Schwierigkeit zu bewältigen, kühn die größere Gefahr auf sich nehmen und einem Gegner offen entgegentreten, sich einem Wütenden stellen. Vgl. auch das ndd. Sprw. ,Gott giwt uns wohl ’n Koh, aber nich gliek bide Höörn4. ln Politik und Presse wird das sprachl. Bild gern verwendet. Bereits 1874 hieß es in der ,Schlesischen Presse' (Nr. 237): ,,Diese Partei verläßt den Kampfplatz, auf den sie in der Absicht ge¬ treten war, den Stier bei den Hörnern zu fassen, in sehr niedergeschlagener Stimmung“. Von den deutschfeindlichen Hetzern schrieben 1887 die ,Berliner Politischen Nachrichten4: ,,Der imposante Durchbruch des nationalen Gedankens bei den deutschen Reichstagswahlen (21. Februar 1887) hat sie etwas stutzig gemacht, und ihr momentanes Schweigen deutet möglicherweise darauf hin, daß sie erkannt haben, es habe immer seine Bedenken, den Stier bei den Hörnern zu packen“. /Horn. Es ist ein fremder Stier in der Weide gewesen heißt es, wenn der verbotene Umgang eines fremden Mannes mit einer verheirateten Frau bekannt geworden ist. Vgl. ndl. ,Er is een vreemde stier in de wei geweest4. Zur Erklärung für leicht aufbrausendes Verhalten eines Menschen sagt man: Er ist im Stier geboren. Vom Tierkreiszeichen bei der Geburt wird also auf den Charakter geschlossen. still, Stille. Es ist still um jem. geworden: er wird von der Öffentlichkeit nicht mehr so beachtet wie früher, er lebt im Alter sehr zurückgezogen, seine Werke (sein Verhalten) erregen nicht mehr die Gemüter, sie sind nicht mehr in der Diskussion. In einer Gesellschaft versucht man die eingetretene peinliche Stille durch den Ausruf zu überwinden: Es ist so still, nun ist's Zeit zum Hafersäen! Gewöhnlich fließt dann der Redestrom wieder lebhafter; denn daß der Landmann seinen Hafer an windstillen Tagen sät, weiß jedermann, er weiß aber auch, daß die Rda. hier die Mahnung enthält, sich ein wenig mehr an der Unterhaltung zu beteiligen; /Engel. Auf eine längere Pause in der Unterhaltung bezieht sich auch die pomm. Rda. ,Es ist so still wie in der Schmalentiner Kirche!4 Sie ruft in einem Kreise immer Heiterkeit hervor, dem bekannt ist, daß im Dorf Schma- lentin (Kreis Greifenberg) keine Kirche steht. Auch in diesem Falle wird die Unterhaltung wieder in Fluß gebracht. Dieselbe Rda. gibt es auch von der Kirche des Dorfes Trampke (Kreis Saatzig). Um die dastende Stille4 zu charakterisieren, werden gern die rdal. Vergleiche still wie das Grab oder still wie in der Kirche be¬ 1024
Stinken nutzt. Von einem Schweigsamen sagt man auch: Er ist so still wie eine Maus (,mäuschenstill4) oder Er ist so still wie die Glocken am Karfreitag. Diese Wndg. bezieht sich auf den kirchlichen Brauch, die Glocken von Karfreitag bis Ostern nicht zu läuten, /Karfreitagsratsche. In der (aller) Stille etw. tun (vorbereiten): ohne Aufsehen zu erregen, heimlich, auch im stillen bei sich selbst, unbemerkt. Goethe gebraucht die Wndg. lit., in seinem ,Tasso4 (I, 2) heißt es: Es bildet ein Talent sich in der Stille, Sich ein Charakter in dem Strom der Welt. Der Ausdr. die Stillen im Lande beruht auf Ps. 35, 20: ,,Denn sie trachten Schaden zu tun und suchen falsche Anklagen wider die Stillen im Lande“. Im 18. Jh. wurde dies die Bez. für die Anhänger der pietistischen Bewegung. Friedrich der Große äußerte verwundert: „Können das die Stillen im Lande!“, als man ihm Teerstegens Kritik an seiner unchristl. Haltung zu lesen gab (Büchmann, S.33). Lil.: O. Knoop: Stargarder Sagen, Überlieferungen u. Geschichten (1929), Nr.68. stinken. Es stinkt, auch: Hier stinkt es: etw. ist nicht in Ordnung, eine Sache erscheint verdächtig, eine Beteiligung oder Unterstützung wäre bedenklich, weil das Unternehmen entweder nicht genügend gesichert, rechtswidrig oder sogar eine verräterische Falle sein könnte, auch: es besteht Verdacht auf ein verborgenes Unrecht oder auf ein geplantes Verbrechen. Vgl. die Rda. ,Hier ist etw. /faul4. Urspr. bezog sich die Wndg. nur auf verdorbene Lebensmittel, die bereits in Zersetzung oder Verwesung übergegangen waren. Von dem dabei entstandenen unangenehmen Geruch, der zuerst wahrgenommen wurde, schloß man auf den inneren Zustand der Speisen. In übertr. Bdtg. ist gemeint, daß schon erste Anzeichen genügen, um einen Verdacht auf Unordnung, Unsitte, Verfall und Verbrechen aufkommen zu lassen. Goethe machte die Rda., die aus der Umgangssprache stammt, durch seine Verwendung im ,Faust4 literaturfähig. In der Szene ,Am Brunnen4 läßt er Lieschen verächtlich von einer Freundin sagen: Es stinkt! Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt. Dastinkts bei /7/az/.* in diesem Gebiet (Wissenschaft) geht es nicht vorwärts bei ihm, seine Kenntnisse fehlen. Hier stinkt es: hier hat sich jem. selbst gelobt. Die moderne Wndg., die bes. bei Schülern und Studenten zur Abweisung und Verspottung von Prahlereien beliebt ist, beruht auf dem Sprw.,Eigenlob stinkt4. Etw. stinkt zum Himmel: es ist ein offensichtliches Unrecht, es ist unerhört. Es stinkt mir in die Nase: es ist mir äußerst unangenehm und widerwärtig, ich tue etw. nur höchst ungern. Häufig hört man heute nur die Kurzform der Rda.: Mir stinkt es! in der Bdtg.: ich habe endgültig genug, ich habe es satt. Vgl. auch die Wndg. ,die /Nase von etw. voll haben4. ,Den Dreck rütteln, daß er stinkt4 ,Den Dreck rütteln, daß er stinkt4, eine in Vergessenheit geratene Angelegenheit wieder aufrühren, Unangenehmes durch seine Einmischung noch ärger machen. Th. Murner hat die Wndg. „den dreck rutlen, das er stinckt“ in seiner ,Schelmenzunft4 lit. verwendet. Es stinkt in der Fechtschule: etw. ist nicht in Ordnung, es kommt zu einer unangenehmen Auseinandersetzung, es gibt Streit und Ärger. Vgl. auch die Rda. ,Es spukt in der Fechtschule4 (/spuken) und die Wndg. ,Hier ist dicke /Luft4. Nach Geld stinken: geradezu unanständig reich sein, durch großen Aufwand und sein 1025
Stint bes. Auftreten auf seinen Reichtum hin- weisen. Die Rda. wird heute meist im negativen Sinne mißbilligend gebraucht, wenn jem. bloß seines Geldes willen zur großen Gesellschaft gezählt wird, ohne genügend Bildung und vornehme Zurückhaltung zu besitzen. Luther gebrauchte diese Wndg. bereits in seinen ,Tischreden4 (339a): ,,Das stincket nach Gelde44, jedoch in etw. anderer Bdtg. als heute. Er wollte damit aus- drücken, daß bei einer Sache ein Profit zu erwarten ist, daß es bei etw. nur auf das Geld abgesehen ist. Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang mit der Feststellung Geld stinkt nicht, die eigentlich das Gegenteil besagen will und auf einem Ausspruch von Kaiser Titus Flavius Vespasianus beruht, der damit seinen Sohn belehren wollte, daß man es dem Geld nicht anmerken könne, auf welche Weise es verdient wurde (,pecunia non ölet4). ,Stank fur Dank' ,Stank für Dank4, arger Undank; vgl. ndl. ,Stank voor dank4. Vor Dummheit stinken: sehr dumm sein. Diese Wndg. ist der bekannteren Rda. vor Faulheit stinken nachgebildet. Die zahlreichen rdal. Vergleiche dienen zur drastischen Steigerung: etw. stinkt sechs Meilen gegen den Wind; es stinkt wie ein Nest voll junger Fiichs, wie die Pest; mdal. sagt man schwäb. ,Des stinkt ärger ass’s Bocks Loch4 und schles. ,Das stinkt hier, als wenn sich der Teufel (die Hosen) zerrissen hätte4. Jem. stinkt wie ein Aas, wie ein Bock, wie faule Eier, wie der Teufel, wie eine Wanze, wie ein Wiedehopf, wie ein Ziegenbock. Die mdal. Vergleiche sind bes. anschaulich, z. B. heißt es schwäb. ,Dear stinkt wia a Kist voll kranke Affa\ ,wia d’Pest voar Wien4, ,wia sieba Juda vo Hürba4. Allg. verbreitet sind auch die Wndgn. Er stinkt, als wenn er beim Schinder in der Kost wäre (vgl. ndl. ,Hij stinkt, of hij bij een’ vii- ler in den kost is4) und Er stinkt durch die Rippen. Eine Umschreibung für gestorben sein sind die derben Feststellungen: Er hat sich auf das Stinken gelegt oder Der stinkt schon lange nicht mehr, /zeitlich, ln Berlin gebraucht man gern die scherzhafte Umkehrung:,Stinken Se mal, wie det riecht4. Stint. Sich freuen wie ein Stint: sich sehr seines Lebens freuen, sich freuen wie ein /Schneekönig. Der Prediger Friedrich Wilhelm August Schmidt zu Werneuchen hat in seinem Gedicht ,Der Mai 17954 (Neuer Berlin. Musenalmanach f. 1797, 86) den kleinen Weißfisch erwähnt, der im Ndd. den Namen ,Stint4 trägt, und damit den Anlaß zu dieser Rda. gegeben: O sieh! wie alles weit und breit. Von lindem Schmeichelwind Mit Wonneblüten überstreut. An warmer Sonne minnt! Vom Storche bis zum Spatz sich freut, Vom Karpfen bis zum Stint! ,Geh Stint stechen4 heißt es in Ostpr., wenn jem. eine Ablehnung oder Verwünschung erfährt, weil dies als äußerst mühevolle Arbeit galt, die wenig einbrachte. Erging ein Stintlein zu angeln und hat einen Lachs gefangen sagt man, wenn einem ein unerwartetes Glück widerfährt. Das angeblich planlose Verhalten des geringgeachteten Fisches, den nur arme Leute auftischten, hat in Norddtl. den Anlaß zu mehreren rdal. Vergleichen gegeben: die holst. Rda. ,He riskërt sien Leben as’n Stint4 meint: er ist höchst unvorsichtig; häufig hört man in Berlin: ,Er ist besoffen wie’n Stint4 oder ,Er ist stintmäßig besoffen4, er ist sinnlos trunken und weiß nicht mehr, was er tut; aber auch: Er ist verliebt wie ein Stint: er ist so verliebt, daß er auf nichts mehr in seiner Umgebung achtet und einen zerstreuten, abwesenden Eindruck macht. Stirn. Es steht ihm an der Stirn geschrieben: seine Gesinnung verrät sich schon durch 1026
Stock seinen Gesichtsausdr., man kann seine Gedanken ablesen. Ob ein Zusammenhang der Rda. mit dem Kainszeichen besteht, ist nicht sicher, doch läßt sie sich bis ins 15. Jh. zurückverfolgen. Bes. bekannt geworden ist sie durch Gretchens Worte über Mephistopheles (,Faust* 1, V. 3489), den sie rein gefühlsmäßig ablehnen muß: Es steht ihm an der Stirn geschrieben. Daß er nicht mag eine Seele lieben. Ähnl. Wndgn. sind: Man kann’s ihm an der Stirn lesen (vgl. lat. ,ex fronte perspicere*), etw. an der Stirn tragen und, ins Negative gewendet. Es steht nicht alles auf der Stirn geschrieben: man kann nicht alle geheimen Gedanken erraten (vgl. engl. ,Every one's faults are not written on their foreheads*), oder Es ist ihm nicht an die Stirn geschrieben wie den Schafen auf den Pelz und nicht wissen, was hinter jeni. Stinte vor geht. Aus der Bibel stammt die Rda. eine eherne (eiserne) Stirn haben: sich nicht einem fremden Willen beugen, sehr hartnäckig sein. Bei Jes. 48,4 heißt es: „Denn ich weiß, daß du hart bist, und dein Nacken ist eine eiserne Ader, und deine Stirn ist ehern“. Ähnl. etw. mit eherner (frecher) Stirn behaupten. etw. ganz dreist behaupten. Bildl. wird Stirn für Kühnheit und Frechheit gebraucht. Seitdem 18. Jh. begegnet deshalb die Rda. auch in verkürzter Form : die Stirne zu etw. haben: die Unverschämtheit besitzen. Vgl. frz. ,avoir le front*. Die Rda. ist auch lit. bezeugt, z.B. schreibt Wieland 1794 (Sämtl. Werke Bd.XXII, S.293): Was ist so arg, das nicht, um sich genug zu tun, Ein Weib die Stirne hat zu wagen? ln ähnl. Weise läßt Schiller in ,Kabale und Liebe* (V, 4) den Ferdinand sich fragen: „Wie? Hab’ ich auch Brust für das?“ Einem die Stirn bieten: jem. harten Widerstand entgegensetzen. Einem die Stirn brechen: der gezeigten Hartnäckigkeit (Frechheit, Unverschämtheit) Gewalt entgegensetzen und sie besiegen. Nach seiner Stirn und Gehirn leben: nach seinem Kopfe leben, sich nicht beeinflussen lassen. Einen vor (fiir) die Stirn stoßen: ihn beleidigen und entmutigen, ihn grob abweisen, /Kopf. Die Rda. ist alt, denn sie ist bereits bei Fischer im ,Psalter* (647, 1) bezeugt. Sich wie vor die Stirn geschlagen Vorkommen, auch: wie vor die Stirn geschlagen sein: durch das unerklärliche Verhalten eines Menschen oder durch ein unerwartetes Ereignis völlig verstört sein. Vgl. auch sie- benb.-sächs. ,E äs vuer de Stern geschlön*. Sich an (vor) die Stint schlagen: seine eigene Dummheit einsehen und dies mit einer Geste des Unwillens ausdrücken. Vgl. lat. ,ferire frontem*. Sich an die Stirn greifen (müssen): etw. ist unglaublich, man kann nur den Kopf darüber schütteln. Du, greif dem mal an die Stirne!: mach ihm deutlich, daß er nicht recht gescheit ist, ei- gentl.: prüfe einmal nach, ob er vielleicht im Fieber spricht. In Sachsen zieht man deshalb nach der Berührung der fremden Stirn sofort die Hand zurück, als habe man sich dabei verbrannt, und fügt hinzu: ,Die ist aber heiß!4 Nicht auf die Stirn gefallen sein: nicht dumm sein, /Kopf. Seine Stirn runzeln über etw.: Mißfallen oder Verdruß ausdrücken, etw. (moral.) beanstanden. Vgl. ndl. ,Hij fronselt zijn voorhoofd*. Er hat eine gelehrte Stirn: er hat eine Glatze, aber auch: er ist ein völlig unwissender Mensch, da ,gelehrt* scherzhaft für das ei- gentl. gemeinte ,geleert* steht. Für die euphemist. oder übertreibende Kennzeichnung der Glatzenbildung sind im 19. und 20. Jh. humorvolle Wndgn. bes. in den Großstädten entstanden: Die Stirn wächst in den Rücken hinein; eine hohe Stirn bis hintenhin (bis in den Nacken) haben; eine erweiterte (entlaubte, überhöhte) Stirn haben. Stock. Über Stock und Stein: über alle Unebenheiten hinweg. Das Bild des stabreimenden Ausdr. ist von den primitiven Straßenverhältnissen des ausgehenden MA. genommen, wo man morastige oder aufgeweichte Wegstrecken mit Stöcken bzw. Knüppeln und Steinen befestigte ^Knüppeldamm*). Strabreimend hat sich die Rda. auch noch in einem Kinderlied erhalten: Hopp, hopp, hopp, Pferdchen, lauf Galopp, Über Stock und über Steine... 1027
Stock Die Rda. ist aber wesentlich älter, ln Hugo von Trimbergs Lehrgedicht , Renner1 (12524ff.) heißt es (um 1300): über rüch, über sieht, über stein, über stocke sül wir hurren, loufen, springen. Auch mit Endreim: ,über Stock und Block4, z.B. in einer dt. Übers, der ,Clarissa4 von Richardson (1749); oder mit einem Stabreim in den Worten der Unholdin bei Hans Sachs: Auch kan ich faren auff dem Bock, Far vber Stauden, stein und stock. Bismarck gebraucht die Wndg. ,einen Stock zwischen die Räder schieben4 (,Reden4 6, 453): ,,Wenn man zur Unrechten Zeit jemand, der sich in einer schwierigen Situation befindet, einen Stock zwischen 1 1/2 Stock, Stockhaus (,1m Stock sitzen1) die Räder schiebt, so ist es möglich, daß der Stock für den Augenblick wirkt44. Wie ein Stock dastehen: stumm und steif dastehen, kein Unterhaltungstalent besitzen. Ähnl. die Rda. bei Grimmelshausen (,Simplicissimus41,12): Ich aber stand da wie ein Stockfisch44; als Schelte für den ungelenken Langweiler schon bei Joh. Fischart 1572 (,Praktik4 15). Dazu die Bildungen: ,stockdumm4, ,stocktaub4, stocksteif4, »stockfinster4, ,stockblind4. Die Ableitung des Ausdr. ,ein verstockter Sünder4, ein störrisch in Bosheit verhärteter Mensch, von dem Strafinstrument, dem »Stock4, ist lt. Dt. Wb. 12, 1, Sp. 1761, nicht zutreffend. Ähnl. erklärt Seiler (S. 250) verstockt als unempfindlich wie ein Stock. Aber: im Stock sitzen: gefangensein (vgl. »Stockhaus4, »Stöcker4 und »Stockmann4 für Gefängniswärter). Seiler führt auch »stockfinster4 auf das Stockhaus zurück, die Rda. bedeute, es sei so finster wie im Stockhaus, im Gefängnis. In älteren Belegen heißt es jedoch ,stickfinster4, und auch das Subst. »Stick4 ist belegt als ndd. Form für Stich. So heißt es in Hans Sachs’ Schwank »Der faule Fritz im Schranke4 (108): ,,kein Stick ich noch nicht sehen kan44. Bereits mhd. findet sich ,stic4 für »Stich4. So sagt man noch heute »keinen Stich sehen können4, vgl. auch ,stichdunkel4. Durch Volksetymologie ist also »stichfinster4 zu »stockfinster4 geworden, als das Präfix »stich-4 nicht mehr verstanden wurde; dieser Vorgang ist relativ früh anzusetzen, denn schon im »Simplicissimus4 heißt es »stockfinster4. »Er schneidet selbst den Stock, mit dem er geschlagen werden soll4, er trägt zu seinem eigenen Schaden bei. Holst, sagt man auch: ,He sleit en goden Stock4, er weiß sich gut zu wehren, zu verteidigen. Westf. »metn witten Stocke der- van gan4, verarmen, vgl. ,am Bettelstab gehen4, /Stab. Feucht in den Schrank gelegte Wäsche wird »stockfleckig4. Göhring (Nr. 407) leitet die Rda. von den Flecken her, die die vom Stockmeister in den Stock (Block) eingeschlossenen Verurteilten durch die Eisenbänder auf der Haut davontrugen. Etw. mit dem Stock fühlen (greifen) können, iron, gebraucht (»das fühlt [sieht] ein Blin- 1028
Stolz, stolz ,Er schneidet selbst den Stock, mit dem er geschlagen werden solP der mit dem Krückstock'): wenn man jem. auf eine offensichtliche Tatsache hinweisen will, auch: wenn man etw. für große Aufschneiderei hält, /Blinder. Stoffel /Christoph. Stolz, stolz. Stolz sein auf (über) etw.: voll berechtigter Freude und Genugtuung über etw. gut Gelungenes, Anerkennenswertes sein, ein gesteigertes Selbstgefühl dadurch besitzen. Stolz sein auf jem.: seine Hoffnungen und Erwartungen durch jem., in den man sein Vertrauen gesetzt hat, in schönster Weise erfüllt sehen, sich über seine guten Eigenschaften, seine Erfolge und Fortschritte mitfreuen und ihn im stillen bewundern und schätzen. Das Adj. stolz kann aber auch negative Bdtg. besitzen. Die Feststellung Er (sie) ist stolz geworden meint, daß er (sie) eingebildet und hochmütig geworden ist, daß er seine ehemaligen Freunde verachtet, weil er vergessen hat, woher er einmal gekommen ist. Vgl. auch ndl. ,prat gaan op‘. Warum so stolz? fragt man auch scherzhaft, wenn man von einem Bekannten übersehen und deshalb versehentlich nicht begrüßt wurde. Der rdal. Vergleich stolz wie ein Pfau besitzt ebenfalls negative Bdtg. und wird in tadelndem Sinne gebraucht, wenn nur auf das Äußere Wert gelegt wird und die Eitelkeit zu auffallend ist, /Pfau. Die bekannte Wndg. stolz wie ein Spanier sein meint den übertriebenen Stolz, der als bes. Eigenart der Spanier gilt. Schiller gebraucht eine ähnl. Wndg. in durchaus positivem Sinne in seinem ,Don Carlos' (III, 10): „Stolz will ich den Spanier“. Doch gerade wegen dieses sprw. Stolzes wurde der Spanier auch gern verspottet und Gegenstand von Karikaturen bei den Nach- aifonê, t>«r 3pamer, 3$ ein gar großer £err. 2 1/2 ,Stolz wie ein Spanier4 1029
Stopfen barvölkern. Mit der Wndg. stolz wie ein Prenßemrd bes. in Oberdtl. deren Mut und Selbstbewußtsein bewundert und anerkannt. Bes. Dünkel bezeichnen die rdal. Vergleiche stolz wie ein Kutschenpferd sein und stolz wie ein reichgewordener Bettler. Vor Stolz nicht wissen, wie man den Kopf halten soll: durch eine übertriebene Körperhaltung seinen Hochmut zum Ausdruck bringen, seine Verachtung anderer deutlich zeigen, ,die /Nase sehr hoch tragen1. Der (falsche) Stolz verbietet jem. eiw.: er schämt sich, etw. Demütigendes zu tun, um etw. zu bitten oder in der Notlage eine Hilfe anzunehmen. Dagegen: jem. fehlt es (offenbar) an Stolz: er erniedrigt sich bedenkenlos. Seinen (ganzen) Stolz in etw. setzen: sich bes. bemühen, anstrengen, weil man es sich selbst schuldig ist. Stopfen. Stopfen blasen: das Signal zum Aufhören geben. Die Wndg. stammt aus der Soldatensprache. Der Hornist erhielt den Befehl ,stopfen4 zu blasen, um damit das Ende einer militärischen Übung bekanntzugeben. Stopfen ist ein lat. Lehnwort. Es kommt von ,stuppa4 = Werg und bedeutet urspr. etw. mit Werg ausstopfen, Risse, Löcher ausfüllen, auch: einen Weg verstopfen, jede Bewegung hemmen. Die letztere Bdtg. liegt der Rda. zugrunde, in der stopfen meint, daß etw. zum Halten (Aufhören) gebracht wird. Vgl. engl. ,to stop4. Stoppel(n). Das Stoppel abgrasen: seinen Acker ausmergeln, Raubbau treiben, ei- gentl. sein Stoppelfeld nach der Ernte noch von den Schafen abgrasen lassen. Die Wndg. ist auf allg. Anstrengung und schädliche Ausbeutung und Ausnutzung des Letzten übertr. worden. Von den Stoppeln auf die Ernte schließen: sich aufgrund unzureichender Tatsachen ein Urteil bilden wollen, falsche Schlüsse ziehen, vgl. lat. ,ex stipula cognoscere4. Stoppeln haben: schlecht rasiert sein. Die Bartstoppeln werden scherzhaft mit den abgeschnittenen Halmresten auf einem abgeernteten Feld verglichen. Etw, mühsam (znsammen)stoppeln: Reste zusammensuchen. Die Wndg. bezieht sich auf das Stoppeln von Ähren (auch von Kartoffeln oder Rüben): auf den Feldern suchten sich die armen Leute das zu ihrer Nahrung zusammen, was beim Ernten heruntergefallen oder zufällig liegengeblieben war. In den Notzeiten nach den beiden Weltkriegen war das Stoppeln für viele lebensnotwendig. Ein Stoppelhopser sein: ein Infanterist. Die sold. Wndg. ist um 1870 aufgekommen, später wurde auch der Gutsverwalter so bez. (Küpper I, S.309). Stör. Auf der Stör arbeiten, auch: auf (den, die) Stör gehen: in einem fremden Hause auf dem Lande für Kost und Tagelohn arbeiten und sein Handwerkszeug dazu mitnehmen. Die Wndgn. stammen aus der Handwerkersprache und werden in herabsetzendem, verächtlichem Sinne auf Meister und Gesellen angewandt, die die Aufträge ihrer Kunden nicht in der Werkstatt ausführen, sondern im Lande umherziehen und überall nachfragen, ob es für sie etw. herzustellen oder zu reparieren gibt. Diese Art, als Wanderarbeiter seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sahen die Zünfte nicht gern, weil die ansässigen Handwerker dadurch benachteiligt werden konnten. In einigen Berufen wurde viel auf die Stör gegangen, vor allem Schneider, Schuster, Sattler, aber auch Böttcher und Weber nahmen auswärtige Arbeit an. Die Etymologie von Stör ist schwierig. Das Subst. gehört vermutl. zu den mdal. Verbformen ,storen‘ (bair.) = im Lande herumfahren (vagari) (vgl. auch ,stör- zen4 = nicht an einer Stelle bleiben) und ,sturenl oder ,stüren4 (ndd.) = von zu Hause fortschicken. Die konkrete Bdtg. von Stör ist ein Strauß, den man zu bestehen hat, die Mühsal. Schmeller verweist dazu im ,Bayr. Wb.4 auf ,storie\ ,storje4 = Kriegsschar, Gedränge, Gefecht. Die urspr. Bdtg. der Rda. wäre demnach: in den Streit hinausziehen. Sie ist später verblaßt zu: hinausziehen, so daß die Wndg. heute den Gegensatz von daheimbleiben umschreibt. Ul.: O. Rüdiger: Stör, in: Ndd. Korrespondenzblatt, 10 (1885), S. 45; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk u. Gewerbe, in: Alem. Jb. (Bühl/Baden 1973). 1030
Stossgebet Storch. Da brat' mir (aber) einer ’neu Storch! (auch mit dem Zusatz: ,aber die Beine recht knusprig'): da bin ich aber sehr erstaunt, das ist unerhört, das ist unmöglich. Dieser rdal. Ausruf der Verwunderung hängt damit zusammen, daß Störche in der Tat nicht gebraten und gegessen werden. ,Du kannst mir 'nen Storch braten!' bedeutet aber auch: du kannst mir gewogen bleiben. Von einem Anmaßenden sagt man auch: ,Der will einen Storch (extra) gebraten haben1, der will immer etw. Besonderes, eine Extrawurst haben. Wie ein Storch im Salat: steifbeinig, ungelenk, ungraziös. Der Storch kommt zu jem.: bei jem. kommt ein Kind an; der Storch hat sie ins Bein gebissen: sie wird ein Kind bekommen. Moderner: ,Der Storch hat angerufen (angeläutet)4, sie ist schwanger. Lit.: HdA. VIII. Sp. 498 ff., Art. ,Storch* von Schneeweis; O. Filitz: Warum bringt der Storch die Kinder? (Diss. Erlangen 1940): R.Beitl: Der Kinderbaum. Brauchtum und Glauben um Mutter und Kind (Berlin 1942); Psychologisches Forum: Woher kommt der Klapperstorch?, in: Selecta. 7 (1965) H.6. S.209L; L.Röhrich: Der Klapperstorch als Kinderbringer, in: Selecta, 7 (1965), H.8. S.302-308. Stoß, stoßen. Den Stoß abgleiten lassen: einen empfindlichen Schlag geschickt ab- wehren, einem Angriff ausweichen, ein Vorhaben des Gegners vereiteln, nicht voll zur Wirkung kommen lassen, was einem Schaden bringen sollte, sich gut verteidigen. Die Rda. stammt aus der Fechtersprache, wie eine Abb. aus dem Fechtbüchlein erweist: der Fechter links hat von innen nach außen gewechselt und stößt geraden Stoß, den der Gegner durch seine Waffe nach außen abgleiten läßt. Einen Stoß erleiden: erschüttert werden, seine bisherige Festigkeit verlieren, vor allem von Freundschaft oder Vertrauen gesagt. Einen Stoß vertragen können: etw. aushal- ten, nicht sehr empfindlich oder wehleidig sein. Vgl. auch holst. ,He kann en gôden Stot verdragen4. Jem. einen Stoß (in die Rippen) geben (versetzen): ihn nachdrücklich (schmerzhaft) auf etw. hinweisen, ihn verletzen, aus seiner Ruhe aufschrecken. Sich (seinem Herzen) einen Stoß geben: sich energisch zusammenreißen, sich überwin¬ den, sich endlich zu etw. entschließen, einem Wunsch entsprechen, etw. genehmigen. Auf etw. stoßen: zufällig etw. finden, eine unverhoffte Entdeckung machen. Jem. auf etw. stoßen: ihn nachdrücklich auf etw. hinweisen, auch: jem. mit der Nase auf etw. stoßen: ihn in grober Weise aufmerksam machen, ihn aus seiner Unaufmerksamkeit aufschrecken. Sich an etw. stoßen: Moral und Anstand verletzt sehen, sich ärgern oder beleidigt fühlen. Die mdal. Wndg. aus Franken ,Ar het si g’stoss’n4 meint: er hat sich sehr geirrt, vgl. ,sich geschnitten haben4, /'schneiden. Lit.: J. Schmied-Kowarzik u. H. Kufahl: Fechtbiichlein, 2. Aufl. (Leipzig o.J. [1894]), S.255, TafelIII. Stoßgebet. Ein Stoßgebet tun (sagen, sprechen, murmeln, loslassen), auch: ein Stoßgebet zum Himmel schicken: ein kurzes, in Angst und Erregung hervorgestoßenes Gebet sprechen, in höchster Not und Gefahr, im letzten Augenblick vor dem Tode zu Gott flehen, mit großer Inbrunst beten. Die frühesten Belege für,Stoßgebet4 finden sich bei Luther und Fischart, oft auch in der Deminutivform. Das Stoßgebet war in den Kreisen der religiös Erweckten als kurze Erhebung zu Gott bes. beliebt und wurde bei den ,Stillen im Lande4 fast zu einem Schlagwort. In einem Lied aus dem ,Gesangbuch der Brüdergemeinde4 (9) von 1765 heißt es: Eh die Lippen kalt sein, Soll uns kein Stoßgebet Zu simpel und zu alt sein, Das zu Christi Blut Eine Wallfahrt thut. Eine ähnl. dt. Bildung war ,Schußgebet4, die sich jedoch nicht allg. durchgesetzt hat. Vgl. ndl. ,een schietgebedje doen‘. Im Ndl. kann unter einem ,schietgebed(je)4 auch in scherzhaftem Sinne ein Fluch gemeint sein. ln der Verbindung mit dem Verb ,tun4 ist die Rda. bis heute geläufig und auch in der Lit. häufig bezeugt, machmal auch in anderem Zusammenhang. So schreibt z. B. Brentano (Schriften 7,394): Ein Stoßgebet in Noth erhöht Des Mannes Muth, und Scheffel dichtet (,Gaudeamus4 55): 1031
Strafe Verfahrner Schüler Stoßgebet Heißt: Herr, gib uns zu trinken! Nur noch (kaum noch) Zeit für ein Stoßgebet haben (finden): ein sehr plötzliches Ende erwarten, seinen Tod vor Augen sehen. Lit.: F. Heiler.'Das Gehet (s1923); E. Mimk:T\\Q world of prayer (1954); RGG. Hl, Sp. 1209ff. Art. Gehet. Strafe. Jem. eine Strafe aufbrummen: ihm eine Strafe auferlegen, das Strafmaß zumessen. Die Rda. enthält eine blasse Erinnerung an die alte entehrende Strafe des Maleinbrennens, denn sie müßte eigentl. ausführlicher und richtiger heißen: „Der Richter brannte dem Verurteilten die Strafe hinauf“. Eine Strafe abbrnmmen: eine Strafe im Gefängnis verbüßen, absitzen. Die moderne Wndg. ist zuerst in Berlin aufgekommen. Eine Strafe über jem. verhängen: ihn verurteilen zu einer dem Vergehen entspr. Strafe, die nicht umgangen werden kann. Jem. die Strafe schenken (nachsehen): ihn begnadigen, Milde walten lassen. Etw. unter Strafe stellen: etw. sehr streng verbieten und mit der Ahndung drohen. Seine Strafe schon noch bekommen: später doch noch für seine Schandtaten büßen müssen. Die Wndg. dient entweder als Warnung des Übermütigen und Schuldbeladenen vor der ungewissen Zukunft, die Unheil verschiedenster Art bringen kann, oder dem zu Unrecht unter einem anderen leidenden Menschen zum Trost, daß die ausgleichende Gerechtigkeit doch einmal kommen wird. Dabei wurden Krankheit u. anderes Unglück als himmlische Strafen angesehen, die Gott verhängt, wenn sie der Mensch verdient hat und zu lange ungestraft sündigte. Für gnädige Strafe danken .die Strafe als ein Mittel zur Erziehung und Besserung und damit als einen Liebesdienst anerkennen. Die Wndg. erinnert an einen früheren Brauch: der Gezüchtigte mußte seinem Herrn untertänig für die Prügel mit den Worten danken: „Ich danke für gnädige Strafe“. Jetzt wird die Rda. gebraucht, wenn man beim Kartenspiel verloren hat oder auch sonst einen Schaden erleiden mußte. Strafe muß sein!: Siehst du, der Übermut wird sofort bestraft, der Schaden, den du beklagst, war vorauszusehen und erscheint deshalb ganz folgerichtig auf das falsche Verhalten hin. Die Wndg. ist sehr häufig und wird bei den verschiedensten Gelegenheiten gebraucht, oft mit gewisser Schadenfreude oder als Mahnung Kindern und unbedachten Erwachsenen gegenüber. Ähnl. Sinn hat die Feststellung Das ist die Strafe (dafür)! Etw. ist eine wahre Strafe: es ist fast unerträglich und quält deshalb sehr. Lit.: W. Hävernick: „Schläge“ als Strafe (Hamburg 4 1970). Strahl, strahlen. Einen bedeutenden Strahl reden: sich ausführlich und gewichtig äußern. Die Rda. hat sich von Berlin aus verbreitet, wo sie seit 1880 durch Stinde bezeugt ist. Dabei wird der ,Redeschwall1 bei einem ,Herzenserguß' mit einem nie versiegenden Wasserstrahl verglichen. In Berlin braucht man daneben auch noch die Wndg. ,’n jebildten Strahl red’n'. Einen duften Strahl blasen, auch: einen satten Strahl auf der Kanne haben: ausgezeichnet Trompete blasen. Diese modernen umg. Wndgn. sind vor allem unter Jugendlichen beliebt. Über das ganze Gesicht strahlen: voller Freude (Dankbarkeit) sein. Das sprachl. Bild beruht auf einem Vergleich mit den Sonnenstrahlen, die allem einen besonderen Glanz verleihen, es hell und glänzend machen. Eine scherzhafte Steigerung der sichtbaren, übergroßen Freude enthalten die Wndgn.: über alle vier Backen strahlen: wie ein frischgeputzter Dreckeimer strahlen oder wie eine rostige Gießkanne strahlen. Strambach. Gott Strambach! oder Ei Strambach nimmermehr! sind mdal., bes. berl. und obersächs. rdal. Ausrufe der Verwunderung. Strambach ist dabei ein Hüllwort für ,Gott strafe mich!' Strand ka no ne. Besoffen wie eine Strandka- none (Strandhaubitze), ist eine Verstärkung des rdal. Vergleichs: ,Er säuft wie eine Kanone'. Ähnl. schon im 18.Jh.: ,Sein Ka- nönchen ist geladen'; /trinken. Strang. Über den Strang (auch über die Stränge) schlagen: im Übermut, in ausgelassener Laune zu weit gehen, das normale 1032
Strasse Maß überschreiten, leichtsinnig sein. Das sprachl. Bild stammt von mutwilligen Pferden, die ,ausschlagen\ d,h. mit den Beinen über das Geschirr, die Zugstränge hinausfahren. In übertr. Anwendung ist die Rda. am frühesten gegen Ende des 16. Jh. in der Form ,über die Stränge treten' bezeugt, zu Beginn des 17. Jh.: ,iiber die Stränge aus- schlagen\ Die heutige Form ist seit dem 19.Jh. allg. Im Schwäb. bedeutet ,der schlägt aus dem Strang4 auch: er ist ungeraten. An einem (an dem gleichen) Strange ziehen: nach demselben Ziele streben, einer Gesinnung sein (vgl. ,in ein Horn blasen4). Ähnl. schreibt 1639 Lehmann S.820 (,Vneinigkeit48): ,,Von den vneinigen pflegt man zu sagen, sie ziehen nicht an einem Seil, tragen nicht an einer Stang (nämlich Wasser; die an einer Stange Wasser tragen, sind einträchtig, sie müssen gleichen Schritt halten, um nichts zu verschütten), ziehen nicht gleich, sie stimmen zusammen wie der Hanen vnd der Hennen Gesang, wie der Hund bellen, sie stehen oder halten zusammen, wie Zähn im gesotten Kalbskopff, sie sind einig wie die Zak- ken in einer Mistgabel, jeder will auff ein besondern Berg“. Bismarck: ,,Ich glaube nicht, daß der Herr Abgeordnete Richter mit mir an demselben dynastischen Strange zieht44 (,Reden4 VI, 134). In neuerer Zeit hört man auch seinen Strang ziehen in der Bdtg.: seine tägliche Arbeit verrichten. Auch hier steht wohl das Bild des Zugpferdes dahinter. In diesen Zusammenhang gehört auch die Rda. ,von jem. (oder einer Sache) abfallen4, d.h. einer Sache oder Person untreu werden, sie im Stich lassen, die früher deutlicher hieß: ,ab dem Seil fallen4, so z.B. in der ,Zimmerischen Chronik4: ,,Das disel- ben von Lupfen hern Wörnhern wider ab dem sail gefallen“. Die Rda. bildet in ihrer Bdtg. wohl die negative Entsprechung zu der Rda. ,bei der /Stange bleiben4. Die konditionale Rda. wenn alle Stränge (Stricke) reißen wendet man an, um auszudrücken, daß man stärkere Mittel anwen- den wird, wenn kein gewöhnliches mehr hilft, wenn alles andere fehlschlägt. Auch diese Rda. ist wohl von dem mit Zugtieren bespannten Wagen übertr. worden. Vgl. die zahlreichen Rdaa. aus diesem Bereich: ,ins Geschirr gehen4, ,sich ins Zeug legen4, ,nicht locker lassen4 usw. Wie viele Rdaa. wird auch diese manchmal mit einem scherzhaft paradoxen Zusatz versehen: ,Wenn alle Stricke reißen, werde ich Seiltänzer4. Man spricht auch von dem ,Schienenstrang4 der Eisenbahn; Bismarck legt dieses Bild zugrunde, wenn er sagt: „Sie sind damit auf einen falschen Strang geraten ...“ (,Reden4 XII, 216). Strang-, Strebekatze /Katze. Straße. Auf der breiten (großen) Straße bleiben: die Bequemlichkeit vorziehen und keine neuen Wege suchen; von der altgewohnten Weise nicht abgehen; dem Schlendrian folgen; es mit der Mehrzahl halten. Vgl. frz. ,suivre le chemin battu4. Der fetten Straße nachgehen: als Schmarotzer leben und nur freigebige Bekanntschaften pflegen; nur mit wohlhabenden und gastfreundlichen Menschen verkehren, um Vorteile zu erlangen. Die Straße abklappern: von Haus zu Haus gehen, an allen Türen nachfragen oder eine Ware anbieten. Einen auf die Straße setzen: ihn mit Gewalt aus seiner Wohnung vertreiben, auch: ihn entlassen, ihn hinauswerfen und brotlos machen. Vgl. ndl. ,Hij wordt op straat ge- zet4 und Jemand aan de dijk (Deich) zetten4; engl. ,to turn out a person4. Auf der Straße sein (sitzen): seine Arbeitsstelle verloren haben und deshalb untätig auf der Straße herumstehen und warten. Auf der Straße liegen: viel unterwegs sein. Meist wird die Rda. aber heute von Kindern und Jugendlichen gebraucht, die auf der Straße spielen, die müßiggehen und von ihren Eltern nicht beaufsichtigt und zu Pflichten herangezogen werden. Vgl. frz. ,battre Pestrade4. Auf die Straße gehen: seine politische Ansicht auch außerhalb des Parlaments vertreten, die Öffentlichkeit aufmerksam machen wollen und deshalb aufbegehren und demonstrieren. Jem. von der Straße auflesen: einen Menschen in einfachen Kreisen finden und ihn in eine bessere Umwelt bringen; einen 1033
Strauss Menschen von zweifelhafter Herkunft fördern, der jederzeit in seine schlechten Gewohnheiten zurückfallen kann und sich der Hilfe nicht immer würdig erweist. Ich bin auch nicht auf der Straße gefunden sagt deshalb der, dessen persönlicher Wert nicht recht erkannt wird, um seine gute Herkunft zu betonen. Mit etw. die Straße pflastern können: etw. überreichlich haben. Die Rda. bezieht sich meist auf Geldbesitz, dessen anscheinende Unerschöpflichkeit durch die sprachl. Steigerung gekennzeichnet wird. Möglicherweise stammt die Wndg. aus einem Märchen, in dem ein Reicher voller Übermut seine Straße mit Dukaten pflastern läßt. Auf der Straße mähen wollen: eine vergebliche Arbeit unternehmen. Vgl. lat. ,ad publicam viam acuere falcem4. Das Verhalten auf der Straße gilt als charakteristisch für einen Betrunkenen, das überall verstanden wird. So sagt man z.B. in Oberösterr., wenn ein Trunkener im Zickzackkurs torkelt: ,D’ Strass’ war iem bald z’eng4, ähnl. in der Schweiz: ,D’Stross isch em z’schmal4. Allg. in Dtl. heißt es: Er mißt die Straße: er ist gestürzt, aber auch in der Bdtg. : Er ist betrunken und kann sich deshalb nicht auf den Beinen halten, /trinken. Strauß. Mit jem. einen Strauß ausfechten: eine Streitigkeit austragen. Das Subst. ist bereits in mhd. Zeit als ,strüz\ neben dem Verb ,striuzen‘ = sträuben und streiten bezeugt. Es wie der Vogel Strauß machen: eine Gefahr nicht sehen wollen, sich wegen eines Gegners von der Außenwelt abschließen. Dem Strauß wird nachgesagt, daß er seinen Kopf unter die Flügel oder in den Sand steckt, um seinen Feind nicht zu sehen. Damit in Zusammenhang stehen auch die Wndgn. ,den Kopf in den Sand stecken4 und Straußenpolitik treiben. Häufiger wird jedoch dafür der Ausdr. Vogel-Strauß-Politik verwendet, wenn man so tut, als sei die Gefahr nicht vorhanden, wenn man bewußt seine Augen davor verschließen möchte. Die Wndg. ist auch in unseren Nachbarländern geläufig, vgl. ndl. ,Struisvogelpoli- tiek4, frz. ,une politique d’autruche4 und engl. ,an ostrich policy4. Einen Straußenmagen besitzen: viel vertragen, harte Worte verdauen können. Bereits Seb. Franck hat die Wndg. in seinen Sprichwörtern4 (II,66b) verzeichnet: ,,Er hat eins straussenmagen, er verdewet eisen44, auch Joh. Fischart (111,856) schreibt: „Der Strauß... frißt das Eisen44, vgl. auch ndl. ,Hij heeft eene struisvogel- maag4. Strecke. Jem. (etw.) zur Strecke bringen: einen Gegner überwältigen, ihn zur Niederlage zwingen, seine Existenzgrundlage vernichten, auch: einen Verbrecher gefangennehmen, ein Tier töten. Nach Adelungs , Versuch eines grammatisch-kritischen' Wörterbuches4 von 1774 ff. (Bd. IV, Sp.810) stammt die Rda. aus der Jägersprache und bedeutet eigentl.: das Wildbret erlegen. „Die Jäger strecken das Wild, wenn sie es auf den Boden der Länge nach hinlegen44, heißt es bei Adelung zur Erklärung. Vgl. auch die Rda. .alle viere von sich strecken4, /vier. Im heutigen übertr. Sinne läßt sich die Rda. erst aus dem 19. Jh. nach- weisen. Auf der Strecke bleiben: nicht mehr weiterkönnen, mit seiner Kraft am Ende sein, versagen und deshalb das Ziel nicht erreichen. Die moderne Wndg. stammt aus dem Bereich des Sports und bezieht sich auf die Rennstrecke. Im übertr. Sinne bez. sie allg. ein Zurückbleiben wegen schlechter Leistung und fehlender Kraft, auch auf geistigem Gebiet und im wirtschaftlichen Wettbewerb. Sich nach der Decke strecken /Decke. Streich. Auf einen Streich: auf einmal, eigentl.: auf einen Schlag des Fechters. „Sieben auf einen Streich44 rühmt sich das Schneiderlein, als es sieben Fliegen mit einem Schlag sofort totgeschlagen hatte (KHM.20). In Fischarts ,Gargantua4 wird bereits auf das Märchen angespielt: „Ich will euch töten wie die Mucken, neun auf einen Streich, wie jener Schneider44. Ein Beleg aus dem 17. Jh. für diese Rda. findet sich in C. Dietrichs Erklärungen über den Propheten Nahum in 63 Predigten4 (Ulm 1658): „14 Mucken, wie jener Schneider sagte, auf ein Streich erschlagen44. Die Feststellung Der schlägt mit einem Streich 1034
Streich zwei Fliegen zu Tode: er erledigt zwei Aufgaben in einem Arbeitsgang, entspricht der häufigeren Wndg. ,zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen1. Im Mhd. ist das Wort Streich nur i. S. v. Schlag, Hieb bezeugt. Heute wird es nur noch selten in dieser Bdtg. angewandt, die sich aber in den Rdaa. erhalten hat. Da geht kein Streich verloren, außer der danebengellt: jem. hat seine Prügel verdient. Diese schlagkräftige Erziehungsmethode galt früher als die beste, und man glaubte, daß Kinder unbedingt Schläge bekommen müßten, um zu rechtschaffenen Menschen heranzuwachsen. Davon zeugen auch die verschiedenen mdal. Wndgn.: ,Bei Kinnern gihn kan Strech verlorn, als die, wu derne- wigt gihn4 (Rheinl.); ,Es isch ke Streich verlorn ass wied, wo denewe fällt4 (Lothringen); ,Kae Straehh vo’lo’n, als der de’nebn gêht4 (bair.). An dem ist jeder Streich verloren: alle Bemühungen, ihn zu bessern, bleiben erfolglos, er ist ein Taugenichts. Daß man auch durch zu viele Prügel Schaden nehmen kann, besagt die Feststellung: Er hat einen Streich zuviel gekriegt: er ist nicht ganz normal, /Schlag. Einen Streich in die Luft (ins Wasser) tun: sich vergeblich bemühen, ohne Erfolg bleiben. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet: ,Es ist grad, man tu’n Straich in den Bach4 (schwäb.) und ,Das is a Strach ins Wasser4 (wien.). Vgl. auch ndl. ,Het is een houw in de lucht4 und frz. ,donner un coup d’épée dans l’eau4. In einigen Rdaa. bedeutet Streich eine sehr kurze Zeitspanne, die nur so lange dauert wie der Schlag einer Uhr: ,ein Strech fort sein4 (rhein.), nur einen Moment abwesend sein; ,alle Straich4 (schwäb.), jeden Augenblick, fortlaufend; ,auf dem Straich4 (bair.), auf der Stelle, sofort, vgl. auch frz. ,tout à coup4; ,kene Strech halen4 (rhein.), keinen Bestand haben. Zu Streich kommen: eine Sache meistern, gut mit etw. (jem.) zurechtkommen, dagegen: nicht zu Streich kommen: nicht vorankommen, mit einer Arbeit nicht fertig werden. Mit einem gut zu Streich kommen: sich mit jem. gut verstehen, bestens mit ihm aus- kommen, eine Übereinkunft erzielen. Le¬ xer weist auf den möglichen Zusammenhang dieser Rdaa. mit der Versteigerung: wer einen gewünschten Gegenstand sofort kaufen kann, ist ,zu Streich gekommen4, denn es wird nach der Nennung der Kaufsumme mit dem Hammer zum ersten, zweiten und dritten Mal geschlagen, wenn keine weitere Steigerung erfolgt. Die Rda. ist auch mdal. bezeugt, z. B. westf. ,te streke kuemen4; schwäb. ,ordentlich z’Stroich komma4. Keinen Streich tun: herumtrödeln, nichts arbeiten, nicht das mindeste tun. Die Wndg. ist überaus häufig, auch in den Mdaa.: bair. ,net en straehh tun4; westf. ,hai brenget nicks te sträeche4; tirol. ,kuan stroach nit thun4. Das kommt mir wie ein kalter Streich: das trifft mich ganz unerwartet. Der Streich ist hier der kalte Schlag, der Blitz, der nicht zündet, vgl. ,wie ein Blitz aus heiterem Himmel4. Sich großer Streiche rühmen: mit seinen angeblichen Taten prahlen. Bereits 1515 findet sich für diese Rda. ein Beleg in Hauers ,Grammatik4: ,gross straich sagen4. In den Mdaa. ist die Wndg. noch lebendig: ,Mach kani solch’n strach!4, brüste dich nicht so, spiel dich nicht so auf!, heißt es z. B. in Wien. Im Schwäb. bedeutet die Wndg. ,Streiche sage4 Zoten reißen. Der Bedeutungswandel von Streich zu dem heute üblichen Sinn von mutwilliger Handlung, Schabernack ist wahrscheinl. über die Bdtg. Unternehmen, Staatsstreich (1678 als Verfassungssturz bezeugt) erfolgt. Im 18.Jh. trat dann eine Verharmlosung ein, die nun von lustigen, dummen, losen, tollen Streichen sprechen läßt. Am häufigsten wird die Rda. jem. einen Streich spielen gebraucht, wobei,spielen4 iron, zu verstehen ist und ,Streich4 entweder eine geplante, schändliche Tat sein kann, die einem anderen Schaden oder zumindest Ärger zufügt, oder nur der lustige Einfall, der necken oder verspotten soll. Goethe gebraucht in seinem ,Clavigo4 (Ende des II. Aktes) die ähnl. Wndg.: „Da macht wieder jemand einmal einen dummen Streich44, und Wilhelm Busch gliedert seine lustige Geschichte von ,Max und Moritz4 in 7 Streiche (1865) und kündigt sie im Text immer auf ähnl. Weise an: 1035
Streit, streiten Dieses war der erste Streich. Doch der zweite folgt sogleich. Auch in den Mdaa. ist die Rda. vorhanden und fest mit dem Verb ,spielen4 verbunden, z.B. sagt man in Köln, wenn man sich an jem. rächen möchte: ,Dem Spille ich noch ens ne Streich, datte sie levelang dran denke weed4. Vgl. auch ndl. Jemand een trek speien4; engl. ,to play a person a trick4 und frz. jouer un tour à quelqu’un4. Von einem, der immer lustige Einfälle hat und andere gern neckt, heißt es: Der steckt voller Streiche oder Er hat nichts wie Streiche im Kopf\ mdal. köl. ,Dä hat nix wie domm Streiche em Kopp4, anders im Ndl. ,Hij heeft streken onder zijn’ staart4. Beliebt sind auch rdal. Vergleiche zur Steigerung: Er steckt voller Streiche wie ein alter Weiberpelz voller Flöhe; ,Er ist voller Streiche wie der Bock voller Lorbeeren4 (preuß.); ,Hei ös voll Streich wie de Su voller Farkel4, sagt man in Niederdtl.; vgl. auch engl. ,He has as many tricks as a dancing bear4. Er hat seine Streiche gemacht: er ist ernster und gesetzter geworden, er hat sich ,die Hörner abgestoßen4. Nichtsnutzige und törichte Handlungen benennt man auch nach Personen oder Orten, die durch sie berühmt geworden sind. Die Wndg. Das ist ein Eulenspiegelscher Streich bez. etw. Närrisches und bezieht sich auf Eulenspiegel, der sich als das Abbild des Bauern durch erheuchelte Einfalt und das Wörtlichnehmen seiner Aufträge an den verachteten Städtern im 14.Jh. gerächt hat. Die ihm z.T. nur angedichteten Streiche wurden im 15. Jh. im ,Niederdeutschen Volksbuch vom Eulenspiegel4 gedruckt und verbreitet. Ebenso bekanntgeworden sind die ,Schwabenstreiche4, die bereits im 16.Jh. in Dtl. als ,Schwabenstücke4 bekannt waren. Die eigentl. Heimat dieser Streiche ist das im Filstal gelegene Dorf Ganslosen. Deshalb sagt man in Württemberg auch: ,Das ist ein Gansloser Streich4. Fast jedes Land, jede Gegend verlegt an einen bestimmten Ort die Quelle des Narrentums. Davon zeugen noch zahlreiche Wndgn., die z.T. nur regionale Geltung besitzen: ,Es ist ein Laienburger Streich4 /Schildbürger; ,ein Karauner Streich4 (Tirol); ,ein Büsumer Streich4 (Holst.); ,’ne Kölnsche Strech4 (Rheinl.); ,ein Schöppenstädter Streich4 (Braunschweig); ,ein Lichtenauer Streich4, (Ostpr.). Erst aus dem vorigen Jh. stammt die Rda. ,Es ist ein Mülhauser Streich4. Er ist ein Streich: er ist ein Sonderling, einer, der tolle Streiche verübt, der nicht recht bei Verstände ist. Diese Rda. ist bes. in Süddtl. verbreitet, sie bez. in Augsburg jem., der unbesonnen und leichtsinnig handelt. Schwäb. heißt es von einem rechten Narren: ,Der hat ’n Streich, der gaht neunmal um ih’ rum4. Hierbei ist wieder der Schlag auf den Kopf gemeint, der an der Unzurechnungsfähigkeit schuld sein soll. Vgl. dazu die Rdaa. ,einen Hieb haben4; ,einen Hau weg haben4. Lit.: E. Strassner: Schwank (Stuttgart 1968); W. Hävernick: „Schläge“ als Strafe (Hamburg 41970). Streit, streiten. Einen Streit vom Zaune brechen: andere mutwillig provozieren, ohne eigentl. Grund aus einer plötzlichen Laune heraus, so wie man unvermittelt eine Latte vom fremden Zaun bricht, wenn man nichts Besseres zur Hand hat, um sich gegen Angriffe zu wehren oder um seinen Ärger abzureagieren. Vielleicht beruht das sprachl. Bild auch mit auf der Tatsache, daß unverträgliche Nachbarn oft jahrelange Streitigkeiten wegen geringfügiger Anlässe ausfechten oder kostspielige Prozesse um eine Nichtigkeit führen, z.B. um die Herbstblätter, die der Wind über den Zaun vom Nachbargarten herübergeweht hat, über ein Tier, das durch den schadhaften Zaun eingedrungen ist, oder darüber, wer für die Reparatur eines morschen Zaunes verantwortlich ist. Die Streitenden vermeiden es natürlich, das Grundstück ihres Widersachers zu betreten, und verhandeln nur noch überden Zaun hinweg. Dabei können spöttische Zurufe, Beleidigungen und Unterstellungen den besänftigten oder nur mühsam unterdrückten Zorn aufs neue entflammen und zu Drohungen und sogar zu Prügeleien herausfordern. Den Streit suchen: sich über Kleinigkeiten erregen, sich überall einmischen, alles besserwissen wollen, Freude an Zwietracht und Auseinandersetzungen haben. Oft wird Streit tatsächlich gesucht, weil man sich nach den vorhandenen Vorzeichen, die auf ihn deuten, bereits darauf eingestellt 1036
Streit, streiten hat. Nach verbreitetem Volksglauben ist ein Streit nämlich unumgänglich, wenn man z.B. Salz oder gar Pfeffer verschüttet hat, wenn die Messer zufällig gekreuzt auf dem Tisch lagen, wenn spitze Gegenstände, wie Messer, Gabel, Schere, beim Herunterfallen im Boden stecken blieben oder wenn man sie geschenkt erhielt, wenn man sich bei einer Begrüßung mehrerer Personen die Hände übers Kreuz gab, wenn man sich gegenseitig die Hände besah oder wenn jem. während des Essens ins Haus kam. Auch eine Verunreinigung sollte zu Streit und Feindschaft führen; sie erfolgte, wenn man mit dem gleichen Löffel aß, ohne ihn abzuwischen, oder dasselbe Waschwasser oder Handtuch benutzte. Dagegen: jedem Streit aus dem Wege gehen: überaus friedfertig sein, nachgeben und sogar auf sein Recht verzichten. Einen Streit Hervorrufen (verursachen): aus Böswilligkeit, Eifersucht oder Mißgunst alles tun, um Freunde und Eheleute zu entzweien. Selbst Zaubermittel und magische Handlungen dienten diesem Zweck, so sollten z.B. bestimmte Kräuter, wie Farn, Immergrün, Labkraut, Teufelsabbiß und fünfblättriger Klee, Unfrieden ins Haus bringen oder Streit unter den Gästen bewirken. In einen Streit verwickelt werden: als Außenstehender eine Auseinandersetzung gütlich beenden wollen, aber durch sein Eingreifen das Gegenteil erreichen, für jem. Partei ergreifen und deshalb, ohne es recht zu wollen, mit in den Ärger, den Prozeß, die Schlägerei gezogen werden. Einen Streit schlichten (wollen): ihn beilegen (wollen), jedem zu seinem Recht verhelfen, die Erzürnten besänftigen, durch vernünftige Argumente überzeugen und eine zufriedenstellende Übereinkunft herbeiführen. Das Verb, das mit der Rda. fest verbunden ist, erscheint bereits in mhd. Zeit als ,slichten4 in der Bdtg. von ausglei- chen, entscheiden, beruhigen, Recht erteilen. So sprechen wir noch heute von einem Schlichtungsverfahren4 vor Gericht. Etw. ist ein Streit um die Geißwolle (um des Kaisers /'Bart): es ist eine unnötige und zwecklose Auseinandersetzung um eine geringfügige oder niemals mit Sicherheit zu entscheidende Sache. Die Streitaxt begraben: Frieden schließen, die Feindseligkeiten einstellen. Diese Rda. ist weniger häufig als die Wndgn. ,das Kriegsbeil begraben1 und ,eine Friedenspfeife rauchen4, erinnert aber wie sie an die Bräuche der nordamer. Indianer, /Friedenspfeife. Ein Streithammel sein: unbelehrbar auf seiner Meinung beharren, als unduldsam und leicht erregbar gelten, stets angriffslustig sein und immer den Anlaß zu Streitigkeiten geben. Der spracht. Vergleich beruht auf guter Tierbeobachtung. Streiten, wer die Hose anhat: sich in der Ehe auseinandersetzen, wer die Entscheidungen treffen darf, d.h. wer der eigentl. Herr im Hause ist. Dies wird zum Problem, wenn die Frau ihrem Mann überlegen ist und sie seine Unterordnung unter ihren Willen anstrebt. Zahlreiche Abb., Erzählungen und Schwänke haben den Streit um die Männerhose zum Thema, /Hose. Sich um des Esels Schatten streiten: um eine nichtige Sache Prozesse führen, /Esel. Sich steiten, ob man gesottene Eier am dik- ken oder am dünnen Ende anschlagen müsse: eine sinnlose Auseinandersetzung führen. ,Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte4 Sie streiten sich um ein Ei und lassen die Henne fliegen: sie beharren kleinlich auf ihrem Recht und bemerken deshalb nicht den Verlust von etwas viel Wertvollerem. Ähnl. Bdtg. hat das bekannte Sprw. ,Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte4, d.h., der Unbeteiligte nimmt seinen Vorteil wahr. Ferdinand Raimunds ,Hobellied4 aus dem Zaubermärchen ,Der Verschwender4 (1833), das volkstümlich geworden ist, 1037
Streusand macht die Fruchtlosigkeit des Streites bes. deutlich, denn es heißt darin: Da streiten sich die Leut’ herum Oft um den Wert des Glücks. Der eine heißt den andern dumm, Am End’ weiß keiner nix! Scherzhaft-iron. sagt man deshalb auch, wenn man die anderen auf die Lächerlichkeit ihres Streitens hinweisen will: Streitet euch nicht, schlagt euch lieber! Jem. etw. streitig machen: einem anderen nicht nachgeben wollen in einer strittigen Sache, seinen Anspruch, seinen Besitz (Anrecht) anzweifeln. Ut.: Büchmann, S. 301; HdA. VIII, Sp.523ff., Art. ,Streit1 von Mütter-Bergström. Streusand /Punkt. Strich. Jem. auf dem Strich haben: ihn nicht mögen, nicht leiden können, ihm feindlich gesinnt sein, eigentl.: ihn töten (erschießen) wollen. Die Rda. ist auch mdal. verbreitet, z. B. heißt es in Berlin: ,Den hab’ ick uf’n Strich4, ich hege Groll gegen ihn. Die Wndg. erinnert an andere Rdaa. wie ,einen auf dem Korn haben4, ,einen auf dem Zug haben4 und läßt sich ähnl. erklären. Sie hatte früher einen weit feindseligeren Sinn als heute, denn der Strich bezeichnete die den Gewehrlauf über das Korn hinaus fortsetzende Schußlinie oder Visierlinie zum Ziel hin, also zum Wild oder zum Feind, dem die Kugel gelten sollte. Man spricht in diesem Sinne noch heute von Gewehren, die ,den Strich nicht halten4, denen also die Treffsicherheit mangelt. Die Rda. kann evtl, auch mit der Vogelstellerei in Verbindung gebracht werden, da in frühnhd. Zeit Strich halten aufpassen wie ein Vogelsteller bedeutete. Strich und Zug hatten aber auch urspr. den Sinn von Richtung, Weg, Gebiet oder Bezirk, vgl.,Landstrich4. Deshalb läßt sich die Rda. schließlich auch im Munde der obd. Strickreiter (eigentl. Strichreiter) denken. Diese berittenen Polizisten, die einen bestimmten Landstrich überwachten und durchsuchten, konnten gut von einem sagen, nach dem sie fahnden mußten, daß sie ihn ,auf dem Striche4 hatten. Auf den Strich gehen: auf Männerfang ausgehen, auf der Suche nach Liebesabenteuern umherstreichen, von der Prostitution leben. Die Rda. wird bei uns heute ganz speziell auf Dirnen angewandt und ist so für Berlin seit der Mitte des 19. Jh. bezeugt. Man hat die Wndg. ebenfalls mit der Vogelstellerei in Zusammenhang gebracht und gemeint, daß sie eigentl. ,Finken fangen4 bedeutet habe. Dafür spricht eine Stelle bei Hans Sachs (,Das böse Weib4 264): Wann e und ich mich umb gesich, So ist sie auf dem finckenstrich. ,Strich4, das mit ,streichen4 = ziehen verwandt ist, ist die Richtung, die die Vögel bei ihrem Zuge nehmen; so war schon in mhd. Zeit ,strich4 = Richtung, Weg. In übertr. Bdtg. begegnet das Wort in heutigem Sinne in Lindeners ,Rastbüchlein4 (28), wo es von einer Frau, die ihre Anständigkeit und Ehrbarkeit nur vortäuscht, heißt: „Dann sie fromb ist, wann mans sihet und tag ist, aber bey nacht hat sie iren strich“. Die Rda. ist auch mit dem ,Schnepfenstrich4, einer jägersprachl. Bez., in Verbindung gebracht worden. Das Männchen der in Mitteleuropa lebenden Sumpf- oder Waldschnepfe durchstreift auf seinem abendlichen Balzflug den Wald in einer bestimmten Höhe, den der Beobachter den Schnepfenstrich nennt. Da ,Schnepfe4 zur Schelte für die Dirne wurde, ist ein Zusammenhang mit der Rda. denkbar. Strich als Abkürzung von ,Schnepfenstrich4 wäre demnach der Weg, den die Dirnen gehen. Wolf lehnt diese Deutung ab. Er hält den Ausdr. ,Schnepfenstrich4 für eine witzige jüngere Bildung und meint, daß die Rda. aus der Gaunersprache stammt. Das rotw. Strich ist synonym mit ,Leine4, das dem lat. linea entlehnt ist und die Bdtg. von Grenzlinie besitzt. Der Strich ist also der abgegrenzte Bezirk, in dem die Dirnen ihrem Gewerbe nachgehen und in dem sie keine Außenseiterinnen dulden. Mdal. besitzt die Rda. aber auch noch andere Bdtg. Das nächtliche Umherschwärmen der unverheirateten Burschen, die zum Fensterin gehen und den Kiltbrauch ausüben, kann ebenso damit bez. werden, wie z. B. im Schwab, das Betteln in einer bestimmten Gegend. In einem Vers von Logau aus dem 17.Jh. erscheint das Wort Strich doppeldeutig und mit deutlichem Bezug auf die Prostitution: 1038
Strich Prava stand im Hurenbuche, Bessert aber ernstlich sich; Ward drauf ausgelescht im Buche; Dennoch aber bleibt der Strich. Noch auf dem Strich gehen können: nicht sehr betrunken sein, noch gerade gehen können. Angetrunkene wollen diese Fähigkeit oft nachweisen und probieren es manchmal mitten auf der Straße aus, dem gezogenen Strich zu folgen, während der Volltrunkene nur einen Zickzackkurs ein- schlagen kann. Er hält den rechten Strich: er schlägt den rechten Weg ein, um zum Ziel zu gelangen. Diese Rda. stammt aus der Seemannssprache. ,Strich halten' bedeutet in der Schifffahrt: das Schiff nach einem bestimmten Striche des Kompasses gerichtet halten, den rechten Kurs halten. Er ist von seinem Strich: er ist krank, ei- gentl.: er ist von seinem normalen Wege abgewichen. Er ist wieder auf den Strich gekommen: seine Gesundheit ist wiederhergestellt. Uber den Strich kommen: in einer Sache zu weit gehen. Vgl. lat. ;vagari ultra terminum1; ndl. ,over de schreef gaan' und engl. ,to go over the line'. Einem einen Strich durch die (seine) Rechnung machen: seine Absichten durchkreuzen, ihn an der Durchführung seiner Pläne hindern, seinen Erfolg zunichte machen. Durch einen Querstrich wurde eine Rechnung entweder als falsch oder als beglichen gekennzeichnet. Machte nun jem. dem Wirt oder einem Kaufmann einen solchen Strich durch seine Rechnung, erklärte er sie damit für ungültig, die Bezahlung wurde hinfällig und damit die Hoffnung auf einen guten Gewinn zerstört. Auch an einen Zusammenhang dieser Rda. mit der Schule ist gedacht worden. Der Lehrer streicht die mühsam berechnete Aufgabe des Schülers durch, wenn ihr Ergebnis falsch ist, obwohl dieser geglaubt hat, daß er richtig gerechnet habe. Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß die Wndg. aus dem Geschäftsleben stammt. Dafür spricht auch ihre fast ausschließliche Verwendung im Bereich der Erwachsenen. Vgl. auch ndl. ,Hij krijgt eene streep door zijne rekening'. Einen Strich durch etw. gehen lassen: eine Sache für abgetan und endgültig erledigt betrachten. Bereits Murner gebraucht diese Wndg. in seiner Schrift ,Vom großen lutherischen Narren' (in Kloster, X,56): Ich hob es doch vormals abgthon, Ein strich da hindurch lassen gon. Einen Strich unter etw. machen, auch: einen Strich darunter (dahinter, dazwischen) ziehen: etw. endgültig abschließen und vergessen, eine alte, unangenehme Sache begraben, sich für einen Neubeginn von alten Erinnerungen frei machen. Vgl. die ähnl. Rda. ,einen Schlußstrich ziehen', wobei an die Bilanz zu denken ist. Keinen Strich mehr tun: nichts mehr arbeiten, faul sein und nicht das geringste mehr tun wollen. Das geht mir gegen den Strich: das paßt mir nicht, es steht mir nicht an, es ist mir unangenehm. Strich ist die Richtung, in der die Haare gewachsen sind. Ähnl. Wndgn., wie gegen den Strich barbieren und wider den Strich bürsten, verdeutlichen dies. Tiere, bes. Katzen, werden leicht gereizt, wenn man ihnen gegen den Strich über das Fell fährt. Die Beobachtung dieses Unbehagens wurde auf den Menschen übertr., der durch falsche Behandlung mißgestimmt werden kann. So bedeutet z.B. in Südhessen die Feststellung ,Er ist gegen den Strich gebürstet': er ist schlecht gelaunt. Vgl. auch ndl. ,tegen de draad' und Jemand tegen de borst zijn' und engl, ,1t goes against the grain (my stomach)'. Bismarck gebrauchte die Wndg. in seinen ,Reden' (7,394): ,,Ich habe noch andere Konzessionen gemacht, die mir sehr gegen den Strich gingen". Etw. nach Strich und Faden tun (untersuchen):etw. gehörig, tüchtig, genau tun (beurteilen). Die Ausdrücke ,Strich' und ,Faden' stammen aus der Fachsprache der Weber. Der Meister mußte die Arbeit eines Gesellen ,nach Strich und Faden' ganz genau prüfen, um feststellen zu können, aus welchem Material das Gewebe bestand und ob es mit aller nötigen Sorgfalt gefertigt worden war. Nur Stoffe, die nach Strich und Faden einwandfrei waren, galten als gute Ware. Von hier aus erfolgte die Übertr. auch auf andere Lebensbereiche, und der Zusammenhang mit der Weberei schwand aus dem allgemeinen Sprachbewußtsein, /'Faden. Einen Strich haben: so fehlerhaft, verkehrt 1039
Strick sein wie ein Wort, das durchgestrichen werden mußte, nicht ganz richtig (im Kopfe) sein. Zu der jungen Rda. gibt es auch einen Scherzrebus: r und si, d. h., er (r) hat einen Strich und sie (si) ist nicht richtig. Einen Strich zuviel haben: seine Sinne nicht beisammen haben, sich wie ein Betrunkener verhalten. Wahrscheinl. besteht bei dieser Rda. ein Zusammenhang mit dem Trinken aus Maßkrügen und großen Gläsern, deren Inhalt nach den auf ihnen angebrachten Strichen gemessen wurde. Hatte man einen Strich zuviel getrunken, konnte das bereits sichtbare Folgen haben. Nur noch ein Strich sein, auch: der reinste Strich sein, dünn wie ein Strich sein: sehr schmal geworden sein, elend und abgemagert aussehen. Lit.: S. A. Wolf: Wb. des Rotw. (Mannheim 1956), S.321, Nr.5656. Strick. Sich selbst einen Strick drehen: seinen Untergang selbst herbeiführen. Jem. einen Strick (aus etw.) drehen: eine Sache böswillig gegen ihn benutzen, ihn wegen einer unbedachten Äußerung oder Tat zu Fall bringen. Da diese Rda. im Erzgeb. noch einen Zusatz erhält: ,daß er darin hängenbleibt4, kann an einen Zusammenhang mit Jagd und Vogelstellerei gedacht werden, wo man Tiere durch »Fallstricke4 zu überlisten sucht. Wahrscheinl. ist aber der Strick zum Hängen gemeint, so daß die Rda. aus der Welt des Rechts stammt (vgl. Bair. Jb. f. Vkde., 1962, S.54b). Der Hinweis auf die Verurteilung zum Galgen ist auch in den folgenden Rdaa. deutlich: einem zum Strick verhelfen:ihn der gerechten Strafe zuführen; an seinem Strick spinnen: auf dem Wege zum Galgen sein; vgl. ndl. ,Hij spint zijnen strop4; den Strick (längst) verdient haben: genug Verbrechen begangen haben, die mit dem Tode bestraft werden, vgl. lat. ,Culleo dignus est4; den Strick (zum Hängen) nicht wert sein: gar nichts taugen, vgl. ,Die Kugel ist zu schade für ihn4 und frz. ,Cet homme file sa corde4; einem den Strick um den Hals legen: ihn an den Galgen bringen. Ähnl. heißt es schon im »Eulenspiegel4 (LII): „Ein strick an halß wolt ich dir werffen44. Mit Jungfer Strick kopuliert werden /Seiler. Ein liederlicher Strick sein: ein Mensch, der wenig taugt, /Galgenstrick. Der Strick in neueren Rdaa. kann zur Umschreibung des Selbstmordes dienen: Es bleibt ihm nur der Strick übrig: es gibt keinen Ausweg mehr für ihn. Ist jem. sehr verzweifelt oder enttäuscht, wird er zuweilen gefragt: Du wirst doch deshalb nicht gleich ,Sich verstricken1 1040
Stroh den Strick nehmen (znm Strick greifen)?, um damit zu sagen, daß es ja so schlimm eigentl. nicht sei, um einen Selbstmord zu begründen, daß es nicht allzu tragisch genommen werden sollte. Den Strick dem Kessel nachwerfen: alles aufgeben. Vgl. ndl. ,Hij werpt de koord naar den ketel, het moet al op‘. Den Strick an das Seil binden: in einer Sache zuviel tun. Einen Strick ans Sand drehen: Dinge tun, die zu nichts führen, /'Seil. Einen am Strick haben: ihn auf seiner Seite haben, so daß er tun muß, was man von ihm verlangt. Einem den Strick über die Hörner werfen /Seil. Die Feststellung Er hat schon an allen Strik- ken gezogen und keinen zerrissen meint: er hat schon sehr vieles begonnen und noch nie Erfolg gehabt. Wenn alle Stricke reißen: im Notfall, wenn alles fehlschlagen sollte, /Strang. Sich verstricken: sich selbst fangen, seine Fesseln nicht mehr abstreifen können, ,ins /Netz gehen'; auch: in immer größere Widersprüche oder Lügen hineingeraten. Strippe. An der Strippe liegen: gebunden sein, in seiner Bewegungs- und Entwicklungsfreiheit gehemmt sein, nicht sein eigener Herr sein. Die Ende des 19. Jh. in Berlin aufgekommene Rda. bezieht sich auf den Hund, der an der Strippe (Leine) liegt oder geführt wird. Strippe ist das ndd. Wort für Bindfaden. Es stammt aus dem Rom., wurde früh ins Westgerm, entlehnt und geht auf lat. ,stroppus‘ = Schnur, Riemen zurück und dieses auf griech. ,OTp6(poç< = Seil, Band, eigentl. das Gedrehte. Jem. an der Strippe haben: einen in seiner Gewalt haben, ihn ganz seinem Willen unterworfen haben. Diese ebenfalls aus Berlin stammende Rda. leitet sich vom Puppentheater her, /Gängelband, /Leine, /Schnur. Die Strippe ist im Berl. auch eine moderne Bez. für den Telefondraht, was sich bei Rdaa. zeigt, die erst im 20. Jh. aufgekommen sind: sich an die Strippe hängen: anfangen zu telefonieren, verschiedene Fernsprechteilnehmer nacheinander anzurufen suchen. Jem. an die Strippe kriegen: mit der gewünschten Person am Telefon sprechen können, den Anschluß erreichen. Im Zusammenhang damit steht die Wndg. eine Quasselstrippe sein: endlose Gespräche führen, sehr redselig sein. Voll wie eitle Sackstrippe sein: stark betrunken sein, /trinken. Lil.: H. Meyer: Der richtige Berliner in Wörtern und Rdaa. (München 1111965). Stroh. Leeres Stroh dreschen sagt man, um die Vergeblichkeit einer Arbeit auszudrük- ken, in übertr. Bdtg. meint die Rda. auch: unnütze Reden führen ; so steht es schon bei Thomas Murner (,Lutherischer Narr', 1522, 2056): Sein (Petri) Wörter luten nit also Wie dan du (Luther) die für wendest do Und drischst ein leres haberstro. Auch Grimmelshausen (,Simplicissimus II, Kap.5) erwähnt diese Rda.: „... rede wenig, damit dein Zugeordneten nicht an dir merken, daß sie ein leer Stroh dreschen “ Vgl. auch Geiler von Kaisers¬ berg (,Has in pfeffer' Bb. 4 a) und Ditfurth 1632 (Nr. 61, Str.9): O mine echte Kinder Thun ji also bi mi! Sind ji denn Beest und Rinder Tresch ick so leddig Stroh? Auch Wieland benutzt dieses Bild (2,262), wenn er von Leuten spricht, „die aus allen Kräften und mit der feierlichsten Ernsthaftigkeit leeres Stroh dreschen“. Goethe schreibt in ,Faust'I (1839): Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen? Das Beste, was du wissen kannst, Darfst du den Buben doch nicht sagen. Dasselbe Bild hat auch den Ausdr. abgedroschenes Zeug' geschaffen, ebenso das frz. ,Ce sont des choses cent fois rabattues', ein ähnl. das lat. ,verba trita'. Eine ganze Reihe ähnl. Rdaa. für den gleichen Sachverhalt bringt Lehmann S. 784 (,Vergeblich' 1): „Welcher vergebliche vnnütze Arbeit gethan, von dem sagt man: er hat leer Stroh getroschen, ein leer Nuß aufgebissen, den Esel beschoren, ein Mohren gebadet, den Krebs lernen für sich gehen, den Tauben ein Lied gesungen, den Blinden ein Spiegel geschenckt, den Frö- 1041
Strom sehen ein Fuder Wein zum Bad verehret. Hat den Speck im Hundsstall gesucht, der Flöh gehüt, die Garn vergebens gesteckt, Moses’ Grab gesucht. Welche das thun, die verrichten ebenso viel, als die mit dem Hindern ein Nuß wollen aufbeißen“. Ähnliches meint die ndl. Rda. ,Monniken- werk verrichten4 (Mönchswerk tun) sowie engl. ,to plough the sands4. Auf dem Stroh sein:sich in traurigen Umständen befinden. Eis. ,ufs Stro lein (bringe)4, unter den Boden bringen oder übers Ohr hauen; ,er lijt ufm Stro4, er ist tot. Dieselbe Rda. hat im Besonderen auch den Sinn: in Kindsnöten sein; in Bayern geschah die Geburt oft auf dem Stroh, ehe die Frau ins Kindbett ging, vgl. auch /Strohwitwe. Strohwitwer sein: scherzhafte Bez. für einen verheirateten Mann, dessen Frau verreist ist, so daß er nachts auf dem Bettstroh so gut wie verwitwet ist. Vgl. die Worte der Frau Marthe in Goethes Faust: Gott verzeih’s meinem lieben Mann, Er hat an mir nicht wohlgetan! Geht da stracks in die Welt hinein Und läßt mich auf dem Stroh allein. Als Strohjungfer wurde eine Braut bez., die nicht mehr unbescholten war und daher bei der Hochzeit statt eines frischen Kranzes einen Strohkranz tragen mußte (vgl. Göh- ring, S.36 Nr. 53). Einen Strohmann vorschieben ist neueren Urspr. Man bez. damit eine Persönlichkeit, die vorgeschoben wird (z. B. beim Kauf von Aktien oder anderen Geschäften), um den wahren Interessenten zu verdecken; die Rda. ist wahrscheinl. entlehnt aus dem frz. ,homme du paille4. Stroh zum Feuer tun: eine Angelegenheit durch Reden oder Taten verschlimmern, ein ähnl. Bild wie ,Ö1 ins Feuer gießen4, wird oft in Beziehung auf das Verhältnis beider Geschlechter gesagt; so schon in alter Zeit, z. B. bei Freidank (121,3), im jüngeren ,Titurel‘ (5776,3) usw. Bei Hans Sachs: Mannsbilder Junge oder alt In wort vnd wercken euch enthalt Wo Stroh bey fewer nahend leit Das wird brennend in kurtzer zeit. Vgl. auch den alten Reim: „Feuer und Stroh, eins des andern froh“. Als Strohfeuer bez. man eine flüchtige Nei¬ gung oder Begeisterung, die rasch wieder vergeht; in dieser Bdtg. findet sich das Wort bei Ovid: „Flamma de stipula nostra brevisque erit“ (= Unsere Liebesglut wird von Stroh und kurz sein). Als Bild des raschen Entbrennens ist es in allen Sprachen des MA. ungemein häufig und wird auch schon in der Bibel erwähnt (Jes. 5,24): „Sicut devorat stipulam lingua ignis“. Bei Freidank findet sich der iron, gemeinte Vergleich: „Ez ist staete als im fiure ein stro“. Als Bez. für etw. Wertloses, Nichtiges schreibt Hartmann von Aue: „ern gaebe drumbe niht ein stro44 (,Iwein‘ V. 1440); /Deut. Die Wndg. vom Stroh auf die Federn helfen findet sich bei Abraham a Sancta Clara (,Krämer-Laden4) und bedeutet: jem. zum Erfolg verhelfen, ihn unterstützen, damit er sich statt des Strohsackes ein Federbett leisten* kann. Stroh im Kopf haben, ein Strohkopf sein drückt die Dummheit eines Menschen aus. Christian Schubart schreibt 1790 in der von ihm gegründeten Zeitung ,Dt. Chronik4 (55): „Der Mann, der Weise betrog wie Strohköpfe“. ,0 du gerechter (auch: allmächtiger, heiliger) Strohsack!4 ist, bes. mdt., ein Ausruf starker Verwunderung; wohl urspr. eine Hüllform für einen stärkeren Ausruf. Strom. Gegen den Strom schwimmen sagt man von jem., der sich bewußt anders verhält als die Masse und dafür unter Umständen auch Nachteile in Kauf nimmt; eigentl.: mit großer Anstrengung und wenig Erfolg der Strömung entgegenstreben. Das Bild geht auf Sir. 4,31 zurück: ,;Schäme dich nicht, zu bekennen, wo du gefehlt hast, und strebe nicht wider den Strom44. Bei Ovid heißt es: „Stultus pugnat in adversas ire natator aquas44 (= Der törichte Schwimmer strebt dem Wasser entgegen), ln anderer Form lat. „Contra fluminis tractum niti difficile44 (= sich wider den Lauf des Stromes zu stemmen ist schwierig). Vgl. auch Erasmus: „Contra torrentem niti44. Bei Tunni- cius (16. Jh.) heißt es unter Nr. 888: „Tegen den stroem ys gweet swemmen“, bei Heinrich Bebel 1507 (Nr. H 93): „Durum est natare contra impetum fluminis; hoc est: periculosum est potentibus adversari44. 1042
Stube Hier wird zugleich die iibertr. Bdtg. angegeben (= Es ist schwer, gegen die Gewalt des Stromes zu schwimmen, das heißt: es ist gefährlich, den Mächtigen zu widerstreben). Luther schreibt 1534: „Und strebe nicht wider den Strom“. Auch bei Abraham a Sancta Clara wird die Rda. erwähnt (,Judas4 IV, 249: „Wider den Strohm schwimmen44). Im ,Herzog Ernst4 heißt es um 1180: Swer swimmet wider wazzers stram Ergêt ez im ein wile wol, Er vert ze jungest doch ze tal. Auch hier wird die negative Bdtg. dieser Rda. unterstrichen. Die Rda. ist auch im Engl, bekannt: striving against the stream4, sowie im Frz.: ,11 ne faut pas aller contre le courant4. In neuester Zeit kann man die humoristische Abwandlung der Rda. hören: sich auf den Strom schwingen: mit der Straßenbahn fahren. Strumpf. Sich auf die Strümpfe machen: einen Weg antreten, sich davonmachen, fort- gehen, urspr. wohl: sich heimlich auf den Strümpfen aus dem Hause schleichen, um nicht bemerkt zu werden. Die Rda. ist eine Parallelbildung zu ,sich auf die Socken machen4, /Socke. Da ,Socke4 urspr. den niedrigen Schuh bez., setzt die Wndg. eine Bedeutungsveränderung zu ,kurzer Strumpf4 voraus. Sie ist erst seit 1795 stud, bezeugt. Die Rda. Er hat sich früh auf die Strümpfe gemacht meint: er will eine günstige Gelegenheit nicht verpassen und beginnt frühzeitig. Holtei gebrauchte diese Wndg. in seinem ,Eselsfresser4 (I, 228). Vgl. auch ndl. ,Hij is vroeg in de kousen4. Auf die Strümpfe kommen: Erfolg haben, in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gut vorankommen. Da die Strümpfe erst seit Anfang des 17. Jh. als Bekleidungsstücke in Gebrauch kamen, waren sie zunächst noch Luxusartikel, die sich nicht jeder leisten konnte. Wer Strümpfe trug, galt deshalb als bes. wohlhabend. Jem. auf die Strümpfe helfen oder jem. auf den Strumpf bringen: jem. aus einer Verlegenheit helfen, ihn unterstützen. Vgl. ,jem. auf die Beine helfen4, /Bein. Gut im (auf dem) Strumpfsein: gesund und munter sein, sich in angenehmer Lage befinden. Heinrich Heine schrieb in einem Brief an Jos. Lehmann (Hamburg, 26. Mai 1826): „Meine Gesundheit verbessert sich allmählig, und komme ich einmal ganz auf den Strumpf, so dürfen Sie viel Erfreuliches von mir erwarten“. ,Er isch (nicht) im Strumpf4: er ist gut (übel) gelaunt, sagt man in der Schweiz, allg. verbreitet ist die Wndg. Die Strümpfe verkehrt angezogen haben: schon am Morgen übel- gelaunt sein. Dicke Strümpfe anhaben, auch: zwei Paar Strümpfe anhaben: schlecht hören oder nicht hören wollen; sehr langsam denken. Die Strümpfe über einer Regentonne getrocknet haben: scherzhafte Beschreibung eines Menschen mit gekrümmten Beinen. Die Wndg. ist sold. 1914/18 aufgekommen. Etw. in den Strumpf steckendem Geld nicht auf die Bank tragen, sondern zu Hause in einem Strumpf aufbewahren u. verstecken, heute bes. in der Bdtg. von geizig sein, sich selbst nichts gönnen. In der seit Luther belegten Rda. mit Strumpf und Stiel ausrotten hat Strumpf seine urspr. Bdtg. Baumstumpf bewahrt; gleich alt ist ,mit Stumpf und Stiel4. Erst im 18. Jh. tritt die Form ,mit Strunk und Stiel4 auf. Stube. Die Stube zum Fenster hinauswerfen wollen: äußerst ausgelassen und zu allen Streichen aufgelegt sein; in toller Laune zu allem fähig sein und Freude am Tumult haben, eigentl.: in einer solchen Stimmung sein, daß man vor Übermut alles Zimmergerät zum Fenster hinauswerfen könnte. Die Rda. ist im Obersächs. seit dem 17. Jh. bezeugt. Sie erinnert an den Studentenulk, einem anderen ,die Bude auf den Kopf zu stellen4, ihm alles in Unordnung zu bringen und ihm damit einen Streich zu spielen. Gelegentlich wurde jedoch bei einem städtischen Aufruhr damit wirklich Ernst gemacht. Einem verhaßten Mann wurde das Haus gestürmt und die Einrichtung zerstört und auf die Straße geworfen. Dies geschah auch noch in unserem Jh. bei den Judenverfolgungen. Vgl. auch engl. ,to throw the house out of the window4. Die Stube mit dem Weibe fegen (um das Geld für Besen zu sparen): die Frau mißhandeln und sie mit den Haaren durch die 1043
Stück Stube ziehen. Geiler von Kaisersberg berichtet in seinem ,Narrenschiff* (72, in Kloster 1,615) von „Säwnarren, von denen die Weiber säwische gebärden dulden müssen und doch gute wort darzu geben, damit sie jhnen die haut voll schlagen oder sie mit dem haar die Stuben auff vnd ab ziehen vnd die Stuben mit jnen fegen, damit sie kein gelt für bäsen dörffen geben“. Die Stube ist nicht gekehrt: es gibt unwillkommene Zuhörer; mit Rücksicht auf anwesende Personen kann man nicht alles sagen, was man möchte. Immer herein in die gute Stube! Diese Wndg. fordert zum Nähertreten auf und ist wohl von Berlin ausgegangen. Die ,gute Stube* war ein Raum, der von der Familie nur benutzt wurde, um darin Besuche zu empfangen. Stuben vermieten: geheime Prostitution treiben, eine euphemist. Umschreibung für die käufliche Liebe selbständiger Frauen. In der Stube hocken: nicht an die frische Luft gehen, viel arbeiten, menschenscheu sein. Stück. Ein schweres Stück liefern: eine unschöne Handlung, eine grobe Dummheit begehen. Vgl. schwäb. ,Er tuot mer koa guots Stückle*. Ähnliches meint die heute häufiger benutzte Rda. sich ein Stück leisten: einen Streich vollbringen, etw. Törichtes tun und sich selbst dadurch schaden, die Achtung anderer durch sein unbedachtes Handeln verlieren. Mit ,Stück* ist hierbei die listige Tat, die sittlich bedenkliche Handlungsweise gemeint, vgl. auch Bubenstück*, ,Heldenstück* u. ,Kunststück*. Das ist ein starkes Stück!: das ist unglaublich, das ist eine Unverschämtheit. Die Rda. ist eine Verkürzung von ,das ist ein starkes Stück, das er sich herausgenommen hat* und bezieht sich auf unschickliches Benehmen bei einem Gastmahl, wenn sich jem. rücksichtslos das größte Stück heraussucht. Das beste Stück sein: scherzhafte Bez. für den Ehepartner. Vgl. ,die bessere Hälfte sein*. ,Stück* steht in den Rdaa. häufig für Mensch, man spricht deshalb auch von einem ,guten Stück*, einem gutmütigen, hilfsbereiten Menschen, und einem frechen Stück*, einer unverschämten Person. Große Stücke auf jem. (etw.) halten (setzen): ihm sehr viel vertrauen, ihn wertschätzen und viel von ihm erwarten. Die Wndg. ist seit dem 17. Jh. bezeugt und ist wahrscheinl. vom Wetten hergenommen, wo im Vertrauen und in der Hoffnung auf einen guten Gewinn ein großer ,Einsatz*, d.h. ein hoher Geldbetrag, gewagt wird. Man wird zwei Stücke ans ihm machen: man wird ihn hinrichten. Die Wndg. gehört zu den verhüllenden Ausdr. der älteren Rechtsspr. und meint die Enthauptung mit Schwert oder Beil. Vgl. auch das Sprw. ,Zwei Stück aus einem machen, daß der Leib das größte und der Kopf der kleinste Teil bleibt*. Sich von jem. ein Stück abschneiden können: jem. zum Vorbild nehmen, /abschneiden. Er hat ein Stück vom Schulsack gefressen: er besitzt nur eine recht mangelhafte Bildung, /Schulsack. Mehrere Stücke verbrochen haben: mehrere Theaterstücke verfaßt haben, eine scherzhafte, moderne Wndg., die das Schreiben von mittelmäßigen und schlechten Stücken als ein ,Verbrechen* kennzeichnet. Stuhl. Einem den Stuhl vor die Türe setzen: jem. aus dem Hause weisen, einen Dienst, ein Verhältnis aufkündigen. Die Rda. geht auf einen Rechtsbrauch zurück, wobei der Stuhl als Rechtssymbol zur Bez. von Eigentumsrecht und Herrschaft gilt (vgl. ,be-sitzen‘). Umgekehrt verliert man durch Entsetzung Macht und Eigentumsrecht (vgl. , Amtsentsetzung*, Thronentsetzung*). So war es auch in alter Zeit Rechtsbrauch, Personen, die sich zum zweiten Male verheirateten, die ,ihren Witwenstuhl verrückten*, von der Gütergemeinschaft mit den Kindern erster Ehe auszuschließen. Es wurde ihnen der Stuhl wirklich vor die Tür gesetzt, was aus dem folgenden Zeugnis hervorgeht: „Ob sich das mensch verändert, möchten die kind ihm oder ir ein Stuhl für die thür setzen, alles von altem herkommen und hotte dasselb mensch kein recht mehr in dem haus** (vgl. Jac. Grimm, Rechtsaltertümer 1, 259ff.). Ein Beleg für diese Rda. findet sich auch bei Abraham a Sancta Clara (,Narren-Nest* II, 23). In 1044
Stuhl 52t>ifebtc ftrdeii mocr fit3ê bcrUg* r leicbnam / vno bot3 Darin Jcb mriru gar offt/icbfcflfc warm ©no brttim bao ern gftre bitjcn ©o m fill icb fcbcnrlic b nioer fitjcn Zwifcbrcn jwcfcn Wer nen ftielcn ©o mc fcbelmen mocr fielen 1-5 ,Sich zwischen zwei Stuhle setzen* übertr. Bdtg. ist die Wndg. seit der 2. H. des 16. Jh. bezeugt; auch mdal. kommt sie vor, z. B. ,enem den Stool vor de Döre set- ten4, einem den Contract oder den Dienst aufsagen (,Bremisch-niedersächs. Wb/, 1767 ff., 4, 1046). Sich zwischen zwei Stühle setzen: zwei Dinge (Vorteile) gleichzeitig anstreben, von denen man keines erhält; sich in seinen Hoffnungen betrogen sehen; in Not und Verlegenheit sein; zwischen zwei Meinungen oder Parteien hin und her schwanken. Nach den ,Proverbes au vilain4 heißt es ebenso wie in der ,Fecunda ratis4 des Eg¬ 1045
Stumm, Stummer bert von Lüttich (11. Jh.): „Entre dous se- les chiet eus a terre“ (= Zwischen zwei Stühlen sitzt der Arsch am Boden). Ähnl. heißt es lat.: Labitur enitens sellis haerere duabus. Sedibus in mediis homo saepe resedit in imis, dann auch mhd., so in einem Lied Walthers von Metze (um 1250): Ez ist ein wunder an mir daz ich elliu wîp dur si mîde sus bin ich an die blôzen stat zwischen zwein stüelen gesezzen. An der selben stat hat si mîn vergezzen. Vgl. noch Bebel Nr. 587: „Inter duo scabella in terram residere“. Tunnicius (1515): „De vp beiden stolen will sytten, de sytten dar vake tusschen dale“. In einem Streitgedicht von Burkard Waldis gegen den Wolfenbüttler Herzog heißt es: „Auffs letst sitz neben stul darnider“. Auch Abraham a Sancta Clara kennt (Judas4 IV, 194): „Zwischen zweyen Stühlen niedersitzen“. Ebenso Thomas Murner: „Zwischen stuelen nider sitzen14. Vgl. engl. ,Between two stools one goes (falls) to the ground4; frz.,demeurer entre deux selles le cul par terre44. Vor Schreck vom Stuhl (Stengel) fallen (vgl. 1. Sam. 4,18) sagt man, um die Stärke einer plötzlichen Gemütsbewegung auszudrük- ken. Lit.: K. Rumpf: Hess. Brautstühle, in: Volkswerk (1942), S. 37-53; P. Geiger: Eigentum und Magie, in: Vkdl. Gaben..., Festschrift John Meier (Berlin u. Leipzig 1934), S. 36-44; L. Schmidt: Bank und Stuhl und Thron, in: Antaios XII, 1 (1970), S. 85-103. stumm, Stummer. Jem. stumm machen: tu- phemist. Umschreibung für töten, ermorden. Dies geschieht oft aus Furcht, daß etw. aus geplaudert, verraten werden könnte, vgl. daher auch die Wndg. ,jem. für immer zum Schweigen bringen4. Die umg. Feststellung Er ist ein stummer Mann kann bedeuten, daß sein Schicksal bereits entschieden, daß er so gut wie tot ist oder daß er bereits nicht mehr lebt. Von jem., der absolut zuverlässig und verschwiegen ist, heißt es: Er ist stumm wie ein Fisch. Dieser rdal. Vergleich ist international verbreitet (/Fisch). Oder man versichert: Er ist stumm wie das Grab (wie ein Toter): eher würde ein Stummer geredet ha¬ ben. Ähnl. verzeichnet Seb. Franck bereits in seinen Sprichwörtern4 (II, 53a): ,Du hetsts an eim stummen ehe erfaren4. Beliebte Zwillingsformeln sind: still und stummt starr und stumm und dumm und stumm. Etw. auf die Stumme tun: sich wortlos, aber mit vielsagenden Blicken verständigen. Die moderne Wndg. ist als Verkürzung aus ,etw. auf die stumme Tour machen4 (vgl. .krumme Tour4) entstanden. Stümper. Ein (elender) Stümper sein: ungeübt und ungeschickt, ein Nichtskönner sein, der nichts Rechtes zu schaffen (zu leisten) imstande ist. Der Ausdr. stammt urspr. aus der Handwerkersprache. Der Stümper (frühnhd.,Stümpler4) war ein Handwerker, der nicht zünftig gelernt hatte, der mit angeblich stumpfen, unzulänglichen Werkzeugen herumpfuschte, dessen Arbeit unvollkommen wie ein Baumstumpf blieb, dem das Wichtigste, die Krone fehlte. In den alten Zunftordnungen wird den „Stümpern, Störern und Pfuschern44 mit Geldstrafen, Beschlagnahme der Arbeiten und des Werkzeugs gedroht, vor allem deshalb, weil sie die Preise unterboten, /Pfuscher und /Stör. Die verächtliche Bez. ist auch in anderen Lebensbereichen üblich geworden, wenn sich jem. an etw. versucht, das er nicht recht versteht und beherrscht. Vor allem in Malerei und Dichtung wurde zwischen echten Meistern und Stümpern unterschieden, was lit. mehrfach bezeugt ist. Vgl. auch das Sprw. ,Der Stümper macht die meisten Späne4. Das Subst. bedeutete im Mdt. vom 14. bis zum 17. Jh. auch Schwächling, Verstümmelter (als Ableitung zu ,Stump4), später allg. einen Menschen in mißlicher Lage, der sich schlecht zu helfen wußte. Daher auch die mitleidige Bez. .armer Stümper4. Lit.: L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich von Handwerk u. Gewerbe, in: Alem. Jb. (Bühl/Baden 1973). Stumpf. Etw. mit Stumpf und Stiel ausrotten (auch: wegnehmen, verzehren): es ganz und gar vernichten, eigentl.: einen Baum mit der Wurzel roden. Die Griechen sagten dafür: ,etw. wie eine Fichte ausrotten4, weil der Wurzelstock der Fichte nicht wie der 1046
Sumpfhuhn vieler Laubhölzer neu ausschlagen kann. Die durch einen Stabreim gebundene Rda. hat bereits Seb. Franck in seinen ,Sprichwörtern4 (II, 61a) in ähnl. Form verzeichnet: ,Es ist stumpff vnd Stil dahin\ es ist nicht das geringste übriggeblieben. Vgl. auch lat. ,una cum templis et aris4 und frz., ebenfalls mit Stabreim, ,11 n’y a ni fric, ni frac4. Stunde, Stündlein. In einer glücklichen (unglücklichen) Stunde geboren sein: ein Glückskind sein, dem alles zum Guten ausschlägt, was immer es auch beginnt, weil in der Stunde seiner Geburt die Sterne günstig standen (vom Pech verfolgt werden), /Stern. Die rechte Stunde wahrnehmen: die sich bietende günstige Gelegenheit ohne Zögern ergreifen. Zur rechten Stunde gekommen sein: gerade im richtigen Moment, noch rechtzeitig. Warten, bis seine Stunde gekommen ist: sich ruhig Zeit lassen, bis es sicher ist, daß nun der Augenblick der Rache, des Triumphes da ist. Die Rda. ist bibl. Herkunft. Auf der Hochzeit zu Kana (Joh. 2,4) spricht Jesus zu seiner Mutter, ehe er das erste Wunder vollbringt: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“. Dem Gebot der Stunde gehorchen: das tun, was unbedingt erforderlich und unumgänglich ist. Die Wndg. ist ein etw. abgewandeltes Zitat aus Schillers Drama ,Maria Stuart4 (III, 3): ,.Gehorcht der Zeit und dem Gesetz der Stunde!“ Etw. in zwölfter Stunde tun: so lange zögern, bis es höchste Zeit damit wird, es im letzten Augenblick noch erledigen. Die Rda. beruht auf einer Bibelstelle (Matth. 20,6), wo es im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg jedoch um die „elfte Stunde“ geht. Keine gute Stunde bei jem. haben: es schwer haben, ständig angetrieben, schikaniert und unwürdig behandelt werden. Der schweren Stunde entgegensehen: als Schwangere kurz vor der Entbindung stehen. Etw. in einer schwachen Stunde tun: etw. tun, was man später bereut, eigentl. schwach werden und dem Drängen nachgeben. Die Wndg. wird gern zur Entschul¬ digung und Erklärung von falschen Entscheidungen oder unmoralischem Verhalten gebraucht. Wissen, was die Stunde geschlagen hat (auch:,wieviel Uhr es ist4): genau Bescheid wissen, das unabänderliche Geschick kennen, das einem bevorsteht, merken, daß sein Leben zu Ende geht. Seine letzte Stunde (sein letztes Stündlein) hat geschlagen (ist gekommen): er muß sterben. Vgl. ndl. ,Zijn laatste uurtje heeft geslagen4. Die euphemist. Wndgn. ,Sein letztes Stündlein schlägt ihm‘ und ,Seine Uhr ist abgelaufen4 sind dichterisch und erst der nhd. Sprache angehörig. Inwieweit die Totentänze (vgl. auch die Sanduhr in der Hand des Todes auf Dürers Kupferstich ,Ritter, Tod und Teufel4) auf die Bildung solcher Phrasen einwirkten, wird sich schwer entscheiden lassen, /zeitlich. Früher hat man den Tod auch mit der Wndg. umschrieben: ,Es ist eine böse Stunde4. Agricola verzeichnet in seiner Sammlung der Sprichwörter (Nr. 444): ,Es ist vmb eyn böse stund zuthun4, und erläutert dies: „Eyn böße stunde heyßt man den todt/der alle ding frißt vnd verzeret“. Lit.: F. Wilhelm: Die Euphemismen über Sterben und Totsein, in: Alemannia 27 (1900), S.73 ff., bes. S.83. Sturm. Sturm im Wasserglas: viel Lärm um nichts, geht auf Montesquieu zurück, der die Wirren in San Marino „une tempête dans un verre d’eau“ nannte. Ndl. ,een storm in een glas water4 und engl. ,a storm in a teacup4 und lat.,fluctus in simpulo4 (Cicero), eine Sturmflut in einem Schöpflöffel. Suade. Er hat eine entsetzliche Suade: er hat ein sehr lebhaftes Mundwerk, das nicht totzukriegen ist. Das lat. Wort,suada4 = Redegabe wurde im Anfang des 18. Jh. eingedeutscht zu,Suade4 und mdal. zu Schwade. Die ähnl. Wndg. ,Er hat eine gute Schwade4 meint ebenfalls verächtlich ein allzu gutes Mundwerk, das nie stillsteht. Durch die Klangnähe wurde Suade im Obersächs. sogar zu /Schwarte, so daß die Rda. dort heißt: ,Der hat ja enne tiicht’ge Schwarte4. Sumpfhuhn. Ein Sumpfhuhn sein: ein liederlicher, verkommener Mensch sein. Bes. wird damit der Säufer bez., der gesell¬ 1047
Sünde schaftlich und moralisch immer mehr absinkt, in den Sumpf gerät (vgl. versumpfen). Um 1850 war das Wort,sumpfen1 bei Studenten aufgekommen, um damit das ausschweifende Leben, das übermäßige Trinken zu umschreiben und treffend zu charakterisieren. Seit Ende des 19. Jh. wurde dem schon lange vorher bekannten Sumpfhuhn durch eine Assoziation mit ,sumpfen*, ,versumpfen* und ,Sumpf* die neue, abwertende Bdtg. im Vergleich mit dem Menschen beigelegt. Die Feststellung Es sind Sumpfhühtier ist eine am Ende des 19. Jh. aufgekommene Schelte für liederliche Weiber mit einem unsittlichen Lebenswandel. So schreibt Germanicus 1899 (,Der Sozialismus und die Frau* S. 22): „daß die soliden und gesunden... (Frauen) eine gesundere Nachkommenschaft haben, als die Sumpfhühner (liederliche Weiber), deren Kinder nicht selten... die sittlichen Schwächen vererben“. Sünde. Sünde undSchandeisi eine seit etwa 1200 belegte, aber vermutlich ältere Formel, die sich bis heute erhalten hat, um ein sehr schandbares Benehmen zu kennzeichnen. So heißt es z.B. verurteilend: Es ist eine Sünde und Schande, wie er sich aufführt. Im 16. Jh. war diese Formel auch im Volkslied üblich. Bei der Hätzlerin (II, 62, 58) steht: „Es ist sünd vond schand“. Bes. die Mdaa. haben die Sprachformel bewahrt, im Schles. z.B. sagt man: ,'s is ane Sinde und ane Schande*. Daneben besteht heute auch die Wndg.: Es ist Sünde und Jammer. Etw. (jem.) wie die Sünde hassen (meiden): sich vor etw. hüten, einem Menschen aus dem Wege gehen, ihn zutiefst verachten und seinen schlechten Einfluß fürchten. Eine Sünde wider den Heiligen Geist begehen: eine schwere Sünde, eine Todsünde auf sich laden, die nicht vergeben werden kann. Die Sünde vergibt dir der Küster: es ist nicht schwerwiegend. Die Rda. wird zur Beruhigung eines Menschen gesagt, der sich zu viele Vorwürfe macht und schon bei Kleinigkeiten große Bedenken und Gewissensbisse hat. In Pommern heißt es mdal. auch: ,De Sünd’ vergivt die de Koster, där brukst den Paster nich to*. Das (die) ist eine Sünde wert: eine Sache ist äußerst begehrenswert, so daß eine Sünde von vornherein als natürliche Folge und deshalb vor dem eigenen Gewissen als entschuldigt gilt; eine Frau (ein Mädchen) ist so schön, daß die Sünde der Verführung durch den Genuß und das Vergnügen aufgehoben würde. Mit seinen Sünden Staat machen: sich seiner bösen Taten noch rühmen, sich damit vor anderen aufspielen und ihre Bewunderung erregen wollen. Bereits Ovid gebrauchte eine ähnl. Wndg.: „Gloria peccati nulla po- tenda tui est“. Eine Sünde mit der andern zndecken: immer neue Schandtaten begehen, um die vorigen in Vergessenheit geraten zu lassen und ihre Aufklärung durch die Beseitigung von Hinweisen und Zeugen zu verhindern. Vgl. lat. ,Lutum luto purgare*. Wieder in seine alten Sünden fallen: alte Fehler wiederholen, schlechte Angewohnheiten wieder annehmen, die eine Zeitlang überwunden schienen. Der ist auch nicht bei der ersten Sünde gestorben heißt es von einem, der ungestraft immer wieder Böses tut. ln seinen Sünden nmkommen: sehr plötzlich sterben, ohne darauf vorbereitet zu sein, d.h. ohne gebeichtet und seine Sünden bereut zu haben. Er ist von Sünden frei wie der Hund von Flöhen: er kann genausowenig wie ein Hund seine Peiniger verlieren und nicht von seinen Sünden lassen. Diese iron. Wndg. gebraucht schon Hans Sachs (,Schwänke\ Kiel 1827, S.215): „Er ward seiner Sünden ledig gar und rund, gleich wie seiner Flöh der Hund**. Dumm wie die Sünde sein /dumm. Schlecht wie die Sünde sein /schlecht. Siindenbock. Der Sündenbock sein: selbst ohne Schuld sein, aber die Schuld anderer auf sich nehmen und dafür leiden müssen, derjenige sein, auf den andere alles schieben, der verantwortlich gemacht werden soll. Ähnl. stellt der unschuldig Leidende selbst fest, daß er immer den Sündenbock für andere machen müsse. Die Rda. bezieht sich auf einen jüd. Brauch, der bei 3. Mos. 16,21 f. geschildert wird: Am Versöhnungstage wurden dem Hohenpriester zwei 1048
Sündenbock Böcke als Sühneopfer für die Sünden des Volkes übergeben. Nach dem Los wurde der eine Bock für den Herrn geopfert, der andere erhielt die Sünden Israels aufgebürdet, indem ihm der Hohepriester symbolisch die Hände auflegte. Danach wurde er in die Wüste gejagt und seinem Schicksal überlassen, um die Schuld der Menschen stellvertretend zu entgelten, ln übertr. Bdtg. wurde ,Sündenbock‘ zur Bez. des zu Unrecht Beschuldigten. Die ersten Bibelübersetzungen kannten das Wort ,Sünden- bock' noch nicht, auch in der Lutherbibel fehlte es, nur von dem ,ausgesandten Bock' war die Rede. Die Vulgata bezeichnete ihn als ,caper emissarius'. Vgl. auch frz. ,Cest le bouc émissaire', nedl. ,de zondebok zijn' und engl. ,to be a scapegoat'. Bei Ausbruch des Krieges von 1866 erklärte Bismarck, den man dafür verantwortlich machen wollte: „Ueberall macht man mich verantwortlich für eine Situation, die ich nicht geschaffen, sondern, die mir aufgedrängt worden; ich bin für die öffentliche Meinung der Sündenbock“. Der Brauch, anstelle eines Tieres auch einen eingefangenen Fremden oder Verbrecher zum Sündenbock zu machen, war weit verbreitet und ist bis heute in harmloseren Formen erhalten geblieben. Nach einem handschriftlichen Manuskript von Fritz Rumpf ist er am ursprünglichsten im Land Owari bewahrt worden, am Ko-no-miya- Schrein von Inazawa Naoe-matsuri ist er dargestellt. Die älteste Nachricht vom Shinto Myômoku stammt von 1699: Am 11. I. ziehen die Priester mit zahlreichem Gefolge, Fahnen tragend, auf die Landstraße und fangen dort den ersten besten Reisenden, der ihnen in den Weg kommt. Nachdem er eine religiöse Reinigungszeremonie über sich ergehen lassen hat, wird das ,Opfer' in reine, weiße Kleidung gehüllt, zum Altar gebracht und dort auf ein Manaita (Hackbrett) gelegt. Höchö (Schlachtmesser) und Haski (Stäbchen) werden daneben niedergelegt. Man formt aus Lehm eine Figur und legt sie auf das Manaita. Der Gefangene muß daneben während der ganzen Nacht sitzen. Am nächsten Morgen wird die Figur entfernt. Dem Gefangenen wird ein Mochi (Opferkuchen) aus Lehm (Lehm der Figur?) mit einem Seil auf den Rücken gebunden, zusammen mit einer Schnur Kupfermünzen. Dann treibt man ihn aus dem Tempel und jagt ihn so lange, bis er vor Erschöpfung niedersinkt. An der Stelle, wo er zu Boden fällt, wird dann der Lehmkuchen vergraben. Dieser Brauch wurde dann (um 1740) dahingehend abgeändert, daß man keine Fremden mehr einfing, sondern durch das Los einen ,Sündenbock' bestimmte; meist einen Mann, der in dem betreffenden Jahr sein 40. Lebensjahr vollendete. Das Einfangen auf der Landstraße fand nun nur noch symbolisch statt, d.h. man ,fing' das bestimmte Opfer statt eines Fremden. - In seiner noch heute üblichen Form macht das Fest einen recht harmlosen Eindruck. Noch im 19. Jahrh. spielte es sich in sehr viel rauheren Formen ab. Der ,Shin‘ wurde noch von schwertschwingenden Leuten gejagt, bis er zu Boden fiel. Heute ist der ,Shin‘ immer ein sich freiwillig anbietender Mann der Gemeinde. Auf urspr. Menschenopfer läßt erstens die auf das Manaita gelegte Lehmfigur mit Hackmesser und Stäbchen schließen, zweitens das Hetzen des Mannes bis zum Zusammenbrechen und das Vergraben des Kuchens mit der Strohpuppe. Rumpf beschreibt dann aus China und Japan noch ähnl. Feste; z.T. scheint es sich dabei um Fruchtbarkeitszauber zu handeln: Bei den heutigen Formen muß der Sündenbock z.T. geschlagen werden, und es heißt, wenn nicht fest zugeschlagen wird, gibt es im Jahre keinen guten Fischfang u. ä. Auch aus einem chinesischen Dorf wird ein ähnl. Brauch berichtet: Wenn an diesem Tag ein Fremder ins Dorf kommt, wird er schweigend bewirtet, beim Verlassen des Hauses aber hinterrücks mit einem Stein erschlagen. Wesentlich dabei ist, daß urspr. ein Fremder getötet wurde. In Tibet wird ein Bettler (für Geld gemietet) durch Verkleidung zum ,Teufel' gejagt, in ein Fellkleid gehüllt wie ein Tier (Sündenbock). Er symbolisiert alles Übel des kommenden Jahres, Unglück, Krankheit usw. So rennt er zum Tor des Lamatempels hinaus; in diesem Augenblick werden vom Volk Trommeln wie wild geschlagen und Trompeten geblasen. Man wirft nach ihm mit Steinen, schlägt ihn mit Knüppeln. Er rennt durch die Straßen und flüchtet zu ei- 1049
Sündenregister nem Platz außerhalb der Stadt. Oft wird er, bevor er das Stadttor erreicht, getötet. Auch bei den Griechen war der Siinden- bock bekannt. Dort <I>ap|iocx6ç (Attika) oder Oappâxoç (Ionien) genannt, schon 399 vor Chr. erwähnt und noch im 3. Jh. nach Chr. üblich. Man wählte dafür meist Verbrecher, je 1 Mann und 1 Frau, aus. Das Opfer geschah gewöhnlich zur Zeit der öapyf|Xia , der Zeit der Erstlingsopfer der Feldfrüchte für Apollo, oder auch wenn Seuchen in der Stadt herrschten. Der Mann trug eine Schnur mit schwarzen Feigen, die Frau eine mit weißen Feigen um den Hals. In den Händen trugen sie Gerstenbrote. So wurden sie durch alle Straßen geführt, um alle Unreinheit anzunehmen. Dann führte man sie zur Stadt hinaus, steinigte und verbrannte sie. Ihre Asche wurde in die See und in den Wind gestreut. Der Sündenbock erscheint bei diesen Bräuchen also im Zusammenhang mit den Ablösungserscheinungen eines Menschenopfers. Lit.: R. Andree: Ethnographische Parallelen und Vergleiche (Stuttgart 1878), S. 29-34; J. Frazer: The golden bough, vol. VI,The scapegoat (31913); C. Feinberg: The scapegoat of Leviticus 16, in: Bibliotheca Sacra 115 (1958), S. 320-333; RGG.3 Bd. VI, Sp. 506-507, Art. ,Sündenbock‘ von E. Kutsch. Sündenregister. Jem. sein Sündenregister Vorhalten: ihm seine Fehler vorwerfen, die er im Laufe der Zeit gemacht hat. Der Ausdr.,Sündenregister4 beruht auf der ma. Auffassung, daß der Teufel alle Sünden der Menschen aufschreibe, um nach ihrem Tode dieses Register vorzeigen zu können, wenn über ihre Seele von Gott Gericht gehalten wird. In übertr. Sinne ist die Rda. seit der 2. H. des 18. Jh. bezeugt; urspr. war das ,Sündenregister1 auch eine kirchliche Liste der häufigsten Einzelsünden, bes. für den Beichtgebrauch. Danach sagt man auch: Dein Sündenregister ist voll. Wahr- scheinl. besteht bei dieser Wndg. auch ein Zusammenhang mit dem Sündenregister auf der /Kuhhaut und der Rda. ,Das geht auf keine Kuhhaut4. Jem. Sündenregister auf schlagen: die schlechten Eigenschaften und Untugenden von jem. vor der Öffentlichkeit ausbreiten, seine versteckten Schandtaten bekanntma¬ chen, um sein Ansehen zu untergraben. Vgl. ndl. ,iemands doopceel lichten4, seinen Taufschein untersuchen, um seiner Abstammung nachzuspüren mit dem Versuch, ihn dadurch zu beschämen und in der Gesellschaft unmöglich zu machen. Lit.: J. Boite: Der Teufel in der Kirche, in: Zs. f. vgl. Litgesch., N. F. 11 (1897), S. 249-266; R. Wildhaber: Das Sündenregister auf der Kuhhaut, FFC 163 (Helsinki 1955); L. Röhrich. Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, in: Bayerisches Jb. f. Vkde. (1959), S. 75f.;ders.: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, in: Volk. Sprache. Dichtung, Festgabe f. Kurt Wagner (Gießen I960), S.266L; ders.: Der Teufel in der Kirche und das Sündenregister auf der Kuhhaut, in; Erzählungen des späten MA., Bd.I (Bern u. München 1962), S. 113-123 u. S. 267-274. Sünderstühlchen. Auf dem Sünderstühl- chen sitzen: einem strengen Verhör unterzogen werden, auf der Anklagebank bei der Gerichtsverhandlung sitzen. Im kirchlichen Bereich war mit dem Sünderstühlchen auch der Beichtstuhl gemeint oder ein bes. Platz, den reuige Sünder während des Gottesdienstes einnehmen mußten, um öffentl. Buße zu tun. Vgl. auch ndl. ,op het zon- daarsbankje zitten4, frz. ,tenir quelqu’un à la sellette4 und engl. ,to be on the stool of repentance4. Suppe. Die Rdaa. über Suppe sind recht zahlreich. Dies erklärt sich aus der Tatsache, daß die Suppe seit alters her ihren festen Platz in der mehrgängigen Speisenfolge der Mahlzeiten hat und in vielen Gegenden, vor allem bei der Landbevölkerung und bei den Arbeitern, auch heute noch vielfach eine selbständige Mahlzeit bildet (vgl. die ,Frühstückssuppe4). Auf die synonyme Verwendung von Suppe und Mahlzeit weisen verschiedene Ausdrücke hin, z. B.,Brautsuppe4 für das Hochzeitsessen, ,Henkerssuppe4 für die Henkersmahlzeit, ,Totensuppe4 für den Leichenschmaus. In den Alpengebieten werden die drei Tagesmahlzeiten Morgen-, Mittag- und Nachtsuppe genannt. Gleichbedeutend mit Mahlzeit wird Suppe daher in folgenden Rdaa. gebraucht: zur Suppe laden; die Suppe versäumen; jem. in die Suppe (den Suppentopf) fallen: auf Besuch kommen, wenn gerade gegessen wird; ,die Uhr jeht nach de Suppe4 sagen die Berliner für etw. Verkehrtes und Schlechtes, da richtiger¬ 1050
Suppe weise das Essen zu festgesetzten Zeiten aufgetragen werden soll. Zunächst seien die wenigen positiven Rdaa. in Verbindung mit Suppe angeführt: die Suppe anfschmalzen: sich verbessern, ebenso Schmalz auf die Suppe tun oder die Suppe schmälzen; in die Suppe zu brocken haben:vermögend sein; Petersilie (Schnittlauch, Pfeffer) auf allen Suppen sein: aus der Umgebung herausstechen, vornedran sein (/Petersilie). Die gelbe Suppe galt früher als Bez. für ein üppiges Leben, so bei Luther (16,25): „also sehen solche Gesellen auch, das am Hofe gele Suppen gessen werden, viel Fressens und Sauffens dran ist“. Die Rdaa. in Verbindung mit Suppe sind zum größten Teil aus sich heraus verständlich. Sie bedürfen keiner bes. Erklärungen, da sie sich in der Hauptsache auf reale Vorgänge bei der Zubereitung und dem Verzehr dieser Speise beziehen. Daraus resultiert sicher bis zu einem gewissen Grad die große Zahl der Rdaa., vor allem der mit negativer Bdtg. Denn gegenüber den wenigen Möglichkeiten, eine Suppe durch Zutaten zu verbessern, steht die Vielzahl der Beisp., wie man eine Suppe verderben und unappetitlich machen kann. So kann man jem. in die Suppe spucken. Man kann ein Haar in der Suppe finden und bei jem. die Suppe verschütten: es mit jem. verderben. Schon Abraham a Sancta Clara (,Judas der Erzschelm1 IV) kennt die Rda. „einem die Suppen versaltzen“ (auch: verpfeffern, versauern). Da ist mir die Suppe übergekocht: da habe ich die Fassung verloren. Weiter sind zu nennen: die Hand aus der Suppe ziehen: sich aus einer Angelegenheit zurückziehen; seine Suppe dabei kochen (brauen): sich unredlich Vorteil oder Gewinn verschaffen, ähnl.: sein Süppchen am Feuer anderer kochen; eine Suppe und ein Mus sein: eng befreundet sein; Pfeffer an die Suppe tun: sich Mut machen; in die (eine böse) Suppe geraten (kommen): in Bedrängnis geraten, so schon bei Thomas Murner; entspr. jem. in die Suppe bringen (führen, ziehen); zwei Suppen in einer Schüssel kochen: zwei Dinge zugleich tun. In mehreren Beisp. ist eine Überschneidung mit anderen Rdaa. zu beobachten: in der Suppe (Tinte) sitzen; die Suppe (Zeche) zahlen müssen; die Suppe (das Kraut) fett machen, heute vor allem in verneinendem Sinne verbreitet. Klar wie dicke Suppe (Kloßbrühe), /klar. Jem. die Suppe (Petersilie) verhageln; jem. in die Suppe (Karten) sehen, vor allem in bezug auf häusliche Verhältnisse gebräuchlich. Die zusammengesetzte Rda. die Suppe auslöffeln (ausessen) müssen, die man sich eingebrockt hat bezieht sich auf das Einbrocken des Brotes in die Suppe, um diese gehaltvoller zu machen. Sie ist in verschiedenen Varianten und auch als Sprw. verbreitet. Beide Teile der Rda. existieren auch für sich: jem. (sich) eine (schöne, dicke) Suppe einbrocken (anrichten) und die Suppe auslöffeln müssen. Von einer Frau, die sich kurz nach der Hochzeit als schwanger erweist, heißt es im Schwäb. ,Die hat auch keine Suppe umsonst angerichtet1. Als Übers, von Jean Potage4, einer Spott- bez. für den Franzosen, ist im Dt. der Name ,Hans Supp4 (so schon bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus4) zu finden. ,Suppenschwaben4 nennt man Personen, die gerne Suppe essen, und im Gegensatz dazu steht als warnendes Beisp. für Kinder die Gestalt des ,Suppenkaspars4 aus dem Struwwelpeter4 (1845) von Heinrich Hoffmann. An umg. Ausdrücken in Verbindung mit Suppe sind noch zu nennen: ,Suppenanstalt‘, Wohltätigkeitsküche und Suppendiener4, Schmeichler, Höfling; Suppendemut4, Unterwürfigkeit aus Berechnung; Suppenfreund4, falscher Freund, Schmarotzer; im gleichen Sinne: Suppenfreundschaft4; Suppenpoet4, Lobredner aus Berechnung. In der Gaunersprache heißen junge Mädchen ohne Erfahrung Suppengrünes4. Ein ,venedisches (welsches, span.) Süpplein (Suppe) ist ein Gifttrank, vgl. auch jem. ein Süppchen brauen. ,Aus 7 (9, 100 oder mehr) Suppen oder aus der siebenten (neunten usw.) Suppe ein Schnittlein (Tünklein)4 ist eine schwäb.-alem. Bez. für weit entfernte Verwandtschaft. Suppe wird, ähnl. wie Brühe und Soße, seit Ende des 15. Jh. als Bez. für eine schmutzige Flüssigkeit gebraucht und existiert in dieser Bdtg. auch in vielerlei Zusammensetzungen, wie Drecksuppe, Lehmsuppe, 1051
Susanna Nebelsuppe usw.; ,rote Suppe1 ist eine derbe, euphemist. Umschreibung für Blut. Verschiedene Kinderspiele tragen den Namen Suppe. So nennt man schwäb. das Zusammendrillen und wieder Auseinanderwirbeln der Schaukel ,die Suppe machen', rhein. das Springenlassen der Steine auf dem Wasser,Suppe schlagen'. Eine Priigel- suppe bekommen heißt im Kindermund: Prügel bekommen. Ein Haar in der Suppe finden /Haar. Ul.: E. M. Schranka: Die Suppe. Ein Stücklein Kultur- gesch. (Berlin 21890); N.-A. Bringéus u. G. Wiegelmann (und andere Autoren): Ethnologische Nahrungsforschung in Europa, in: Ethnologia Europaea 5 (1971). Susanna. Eine keusche Susanna sein: eine zurückhaltende, ehrbare Frau sein. Die Wndg. bezieht sich auf das 13. Kap. im Buche Daniel: Susanna, die schöne Gemahlin von Jojakim, der ein angesehener Bürger Babylons war, wurde von zwei alten Män- ,Eine keusche Susanna' nern beim Baden beobachtet. Da sie deren Werbungen zurückwies, wurde sie von den Erzürnten des Ehebruches beschuldigt und zum Tode verurteilt. Daniel konnte durch seine Fragen die Ankläger als Lügner bloßstellen und Susannas Ehre wiederherstellen. Neben ihrem urspr. Sinn wird die Rda. auch iron, verwendet, so wie man auch vom ,keuschen Josef' spricht. So kann .Susanne' gleichbedeutend mit ,Dirne' gebraucht werden und der Ausdr. liederliche Susannenschwester als Schimpfwort. In Schwaben nennt man ein bes. aufgeputztes Mädchen ,Susanna Preisnestel' (lit. bei Mörike im .Hutzelmännlein', S.158). Die Rda. eine rechte Suse sein bez. entweder eine einfältige, langsame Frau oder eine bes. unaufmerksame und ungeschickte. Wahrscheinl. entstand die Wndg. im 19. Jh. als Verkürzung von ähnlichen verächtlichen Bezeichnungen wie Brummsuse, Heulsuse, Transuse. Ein Susannenbruder (Susannist) sein: ein alter Lüstling sein. Paulini erklärt diese ebenfalls nach der Geschichte von Susanna gebildete Rda. in seiner .Zeitkürz. Lust' (3, 923): „Wenn die Teutschen einen alten, doch noch geilen Bock etwas verblümt durchhecheln wollen, nennen sie ihn einen alten Susannen-Bruder". Bei Corvinus heißt es im .Fons lat.' um 1660: „cuculus, qui alterius uxorem adulterat ein Susannenbruder“ (4§2). B. Schupp erwägt sogar einen Vorteil in seiner .Corinna' (49): „ich solte nicht sehen allein nach jungen Gesellen, sondern auch nach alten Susannenbrüdern, dann dieselbe können spendiren"; auch Goethe spricht von den „pharisäischen Susannenbrüdern“ (IV, 40, 257 W.). P. Winkler nahm 1685 in seine ,2000 gutte gedancken' (C 8b) eine Erklärung für .Susannisten' auf: „alte Susannisten seyn dem Knoblauch gleich, der zwar einen weiszen kopff, doch grünen stiel hat“. Lit.: W. Baumgartner: Susanna, in: Archiv f. Relig. Wiss. 24 (1926) und 27 (1929): R. A. F. Mac Kenzie: The Meaning of Susanna story, in: The Canadian Journal of Theology 2 (1927), S. 211-2IS: RGG.3 Bd. VI, Sp. 532, Art. ,Susannabuch‘ von M. Weise. Süßholz. Süßholz raspeln: schöntun, schmeicheln, jem. süßlich umwerben, einem angenehme Dinge, übertriebene Artigkeiten sagen, einer Dame Komplimente, den Hof machen. Die noch allg. sehr ge- bräuchl. Rda. wird bes. von dem /Scharwenzen junger Burschen um die Mädchen gesagt, ln Leipzig heißt derjenige, der sich darauf versteht, ein .Sirupsbengel', in Oberdtl. kennt man auch die Wndg. .Lebkuchen austeilen' dafür. Vgl. auch ndl. ,Zoete broodjes bakken'; engl. ,to eat hum- ble-pie‘. Die Rda. bezieht die heute weit¬ 1052
Szene gehend vergessene Tätigkeit, eine Süßholzwurzel zu schaben, wortspielerisch auf das süßliche Sprechen eines Mannes. Früher wurden aus den zuckerhaltigen Wurzelstöcken des glatten span. Süßholzes (Gly- cyrrhiza glabra) oder des stachl. russ. (Glycyrrhiza echinata) Drogen, Süß- und Genußmittel hergestellt. Bereits seit dem 14. Jh. ist das mhd. Wort ,süezholz* bezeugt. Konrad von Megenberg z.B. empfiehlt es in seinem ,Buch der Natur* als Heilmittel für unreine Wunden. Später wurde es bes. bei Husten und Schwindsucht verwendet. Die bildhafte Übertr. auf Schmeichelei* und falsche Freundlichkeit* seit dem 16. Jh. beruht auf dem Gebrauch von Süßholz als Genußmittel. Seb. Franck kennt die Wndg. etw. ist Süßholz für jem., denn er schreibt 1538 in seiner ,Chron. German.* (229): ich weisz wol, das dir der tod deines mans nit süszholz ist gewesen, sonder wermuot und gallenn. Die ältere Rda. Süßholz in den Mund (ins Maul) nehmen: mit unterwürfiger Freundlichkeit reden, um einen Gegner zu besänftigen, ist bis ins frühe 17. Jh. bezeugt und zeigt den alten Sinnzusammenhang noch deutlicher, ln einem Fastnachtsspiel (Keller 302) heißt es: „wir namen süeszholz in den munt**, und Hans Sachs (,Dreierlei Pritschengesang* 13) empfiehlt es als wirksames Mittel gegen ein zanksüchtiges Weib: Nem nur sues holcz in den mund Das ist für die kiffarbis (= Keifen) gesund. Süßholz kauen galt als besondere Beschäftigung eines Stutzers, den Rabener (Schriften 1, 237) wie folgt beschreibt (1777): Die Hände wusch er sich in Rosenwasser Und kaute beständig Süßholz. Man bez. ihn deshalb heute noch als Süßholzraspler*. So sagt man z.B. in Ludwigsburg von einem, der den Leuten nur angenehme Dinge sagt: ,Dar is e rechter Süssholzraspier*. In Berlin entstand als Liedparodie zu ,1m Grünewald ist Holzauktion* der Text: De janze Fuhre Süßholz kost'n Daler, Un Raspeln jib’s umsonst. Szene. Jem. eine Szene machen: einen stürmischen Auftritt herbeiführen, heftige Vorwürfe machen, sich vor jem. übertrieben aufregen. Das Wort,scene* wurde erst spät aus dem Frz. entlehnt und ist im Dt. erst im 18. Jh. nachweisbar. Die Rda. bezieht sich auf das Theater, das in der volkstümlichen Auffassung mit übertriebener und unnatürlicher Steigerung gleichgesetzt wurde, wie ähnl. Rdaa. beweisen: ,ein Theater aufführen*, ,einen Auftritt machen*. Die engl. Wndg. ,to make a scene* ist der dt. so ähnl., daß man diese für eine Übers, aus dem Engl, hielt, was wohl nicht zutrifft. Vgl. auch engl. ,to blow a person up* und ndl. ,een scène maken*. Etw. in Szene setzen: etw. geschickt vorbereiten, künstlich und planvoll herbeiführen, groß heraussteilen. Sich in Szene setzen: sich auffallend benehmen, so daß man beachtet wird, sich in den Vordergrund drängen, seine guten Eigenschaften zur Geltung bringen. Die Szene beherrschen: dominieren, die führende Rolle spielen. In seinem Gedicht ,Die Alten und die Jungen* schreibt Th. Fontane über die Jungen: „Sie beherrschen die Szene, sie sind dran!“ 1053
T Tabak« Das ist starker Tabak (ndd.: Tobak): das ist eine starke Zumutung, eine große Unverschämtheit, ein derber Witz, ein grobes Wort, etw. Unerhörtes. Die Rda. beruht auf dem Schwank (AaTh. 1157) vom Teufel, der im Wald einem Jäger begegnet und ihn fragt, was er da in der Hand halte und welchen Zweck das habe; darauf gibt der Jäger sein Gewehr für eine Tabaksdose aus, und als der Teufel um eine Prise bittet, schießt ihm der Jäger eine Ladung ins Gesicht, worauf der Teufel sagt: ,Das ist starker Tabak4. Im ndd. Raum hat sich der Schwank vom geprellten Teufel zu einem Sagwort verdichtet: ,Dat ’s n starken Toback, säd de Düwel, as de Jäger em in’t Mul schäten harr, un spogt de Hagelküm ut4; lit. z.B. bei Goethe (Weimarer Ausg., Briefe, I, 217): „Ey! ey! das ist starker Toback!44. Das ist alter Tabak: das ist eine bekannte oder längst abgeschlossene Sache. Von jem., der alles verträgt und ohne Bedenken alles glaubt, heißt es: Für den ist kein Tabak zu stark. Im Schwäb. gilt der Ausdr. ,Nex Tabacks!4 als Zeichen der Ablehnung in der Bdtg.: Es wird nichts daraus. Keine Pfeife Tabak wert sein: nichts wert sein. Diese Umschreibung für ,nichts4 begegnet auch im Ndl.: ,Dat is geene pijp ta- bak waard4, und in anderen dt. Rdaa. So heißt es z.B. in Bedburg: ,Ich gev ken Pif Tuback nich für se Leaven4.; /Deut. Ul.: L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S.248. tabu. Etw. ist tabu: es ist verboten, gefährlich, unantastbar, heilig. Der Ausdr. ,tapu4 oder ,tabu4 stammt aus Polynesien und bedeutet urspr. das nach einer geheiligten Sitte für eine bestimmte soziale Gruppe Gefährliche und Verbotene. James Cook hörte ihn zuerst 1777 auf den Tonga-Inseln und führte ihn in den abendländischen Sprachgebrauch ein. In der naturvölkischen Religion der Südsee galt alles als tabu, was mit einer besonderen Kraft, einem Orenda oder Mana erfüllt ist: Götter, Dämonen, Könige, Priester und Häuptlinge, aber auch deren Eigentum. Die Wndg. etw. mit einem Tabu belegen weist auf die Vorstellung von der Tabuiergewalt. Sie gab Priestern und Häuptlingen große Macht, denn durch das Berühren eines Menschen, des Bodens, eines Gegenstandes und sogar durch ihren Befehl vermochten sie zu tabuieren, d. h. zu verbieten, dem allg. Gebrauch zu entziehen, abzusondern, zu opfern, zu weihen und zu heiligen. Diese Tabukraft, die als erblich galt, erregte bei den Schwächeren und Untergebenen Scheu, Ehrfurcht und Furcht und den festen Glauben, daß eine Übertretung des Tabus, also ein Frevel, zur unausweichlichen Bestrafung durch die Götter und andere übernatürliche Wesen führen müsse, da diese streng auf die Einhaltung der Tabus achten. Im heutigen Sprachgebrauch ist der Begriff tabu sehr häufig und hat immer mehr negative Bdtg. erlangt. Gemeint sind damit un- bewältigte Probleme, Vorurteile, überlebte, aber durch die Tradition geheiligte Anschauungen und Grundsätze, die kritisch betrachtet, diskutiert und schließlich beseitigt werden sollen. Die heutigen Rdaa. beinhalten deshalb fast immer die Einstellung gegen die Tabus, die man nicht mehr als bindend für sich betrachtet. Bei einem Vergleich der Wndgn. ergibt sich eine gewisse Steigerung im sprachl. Ausdr., die der wachsenden Angriffslust gegen Einengendes und Überlebtes entspricht. Die Rda. etw. ist nicht mehr tabu meint: es ist nicht mehr unverletzlich, es kann öffentl. darüber diskutiert werden. Die Wndg. ein Tabu verletzen hieß urspr. ein Verbot 1054
Tag übertreten, die Überlieferung mißachten. Heute ist die Bdtg. eingeengt worden auf das Verletzen der guten Sitte und Moral, es kann aber auch das Aufbegehren gegen überholte politische Meinungen und Grundsätze darunter verstanden werden. Forderungen, die immer häufiger in der Presse begegnen, sind: ein Tabu mutig in Angriff nehmen, überlebte Tabus abbauen, alte Tabus über Bord werfen. Hinter ihnen steht das Bewußtsein, daß bei den ständigen Wandlungen wohl neue Tabus entstehen, die alten aber beseitigt werden müssen, weil sie die Entwicklung hemmen oder den modernen Verhältnissen nicht mehr gerecht werden können. Die Rda. ein Tabu brechen: es mit Gewalt zerstören, spiegelt etw. von dem Widerstand, den Tradition und konservative Kräfte den Neuerungen entgegensetzen. Den Wandel in der Einstellung zum Tabu zeigt am besten die heute in verächtlichem Sinne gebrauchte Wndg.: Er ist tabu für mich. Sie meint nicht, daß ein Mensch und seine Lebenssphäre einem anderen als heilig und unantastbar erscheint, sondern, daß dieser nichts mehr mit ihm zu tun haben will, daß er ihn aus seinem Gedächtnis verbannt und daß selbst sein Name nicht mehr genannt werden soll. Lit.: F. R. Lehmann: Die polynes. Tabusitten (1930); F. Pfister: Tabu. Ein Beitrag zu „Wörter und Sachen“, in: Obd. Zs. f. Vkde. 6 (1932); W. Havers: Neuere Lit. z. Sprachtabu, in: Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Wien, Phil.-hist. Klasse, Bd. 223 (1946); HdA. VIII, Sp. 629ff.; R. Beitl: Wb. d. dt. Volkskunde (Stuttgart 21955),*S.745; L. Röhrich: Tabus in Volksbräuchen, Sagen und Märchen, in: Festschrift für Werner Neuse (Berlin 1967), S. 8-23. tabula rasa /Tisch. Tabulatur hieß bei den Meistersingern die auf einer Tafel (lat. tabula) aufgezeichnete Satzung, in der die Regeln für Wort und Weise eines Meisterliedes zusammengefaßt waren. Nach der Tabulatur bekam in wörtl. und übertr. Sinne die Bdtg.: streng nach der Regel. So wird 1771 im ,Bremisch-nieder- sächs. Wörterbuch1 (V, 3) erklärt: „He singt na’r Tabulatur: er singt richtig und kunstmässig; dat geit na’r Tabulatur: das gehet nach der bestimmten Ordnung“. Mdal. und volksetymol. zurechtgebogen, wird daraus: ,nach der Tafeltur4, in gehöri¬ ger Ordnung, und obersächs., mit der Anlehnung an ,tippeln4 und ,Tour4: ,nach der Tippeltappeltur4; z. B. ,bei dem geht’s nach der Tippeltappeltur4, er tut alles bedächtig, sorgfältig und genau; ,hier geht alles seine Tippeltappeltur4, alles geht in altgewohnter Weise weiter. Der Singer singt ins Gemerk (,Nach der Tabulatur4) Tafel. Die Tafel aufheben: das Zeichen zur Beendigung der Mahlzeit geben. Im MA. wurden die Tischplatten erst, wenn gespeist werden sollte, auf Gestelle gelegt und nach dem Essen wieder aufgehoben oder fortgenommen; vgl. auch Tischtuch. Tag. Verschieden wie Tag und Nacht: völlig verschieden, diametral entgegengesetzt; der geläufige rdal. Vergleich bez. einen vollkommenen Gegensatz. Zu seinen Tagen kommen war eine altdt. Rechtsformel für: mündig werden, /Jahr. Du suchst wohl den gestrigen Tag? fragt n\pn einen, der zerstreut nach etw. herumsucht, ohne es zu finden. Die Frage ist ein bildl. Scherz, der den Eindruck der Vergeblichkeit dieses Suchens charakterisiert. Die Rda. wird meist auf eine hist. Anekdote zurückgeführt, die sich in den ,627 Historien von Claus Narren4 (1572) des Volksschriftstellers Wolfgang Büttner findet, wonach der Hofnarr Claus (gest. 1515) den Kurfürsten Johann Friedrich von 1055
Tag Sachsen, der klagt: ,Den Tag haben wir übel verloren', tröstet: ,,Morgen wollen wir alle fleißig suchen und denTag, den du verloren hast, wohl wieder finden". Dem lieben Gott den Tag stehlen: ein Faulenzer sein, ein Tagedieb' sein (schon mnd. ,dachdêf'). In den Tag hinein leben: unbekümmert um die Zeitrechnung, sorglos, ohne Überlegung leben; schon lat. ,in diem vivere', was auch der Humanist Erasmus von Rotterdam in seinen ,Adagia' (I, 8, 62) bucht: ,,In diem vivere, est praesentibus rebus contentum vivere atque ex parato, minime sollicitum de futuris". Die Wndg. war auch im klassischen Latein geläufig (vgl. z. B. Cicero, De orat. II, 40, 169; Plinius, Ep. V, 54). Tag werden wird im Scherz oft auf geistige Helle und Klarheit übertr.: Jetzt wird's Tag, auch:,jetzt dämmerts', von einem, dem die Wahrheit einzuleuchten beginnt. Vgl. ndl. ,Daarna worde het dag'. Ähnl.: an den Tag (zutage) bringen (oder kommen): ans Licht kommen. KHM. 115 trägt den Titel: ,Die klare Sonne bringt’s an den Tag' (AaTh. 960). Das Grimmsche Märchen ist die Quelle, bildet Titel und Kehrreim des Gedichtes ,Die Sonne bringt es an den Tag' von Adalbert v. Chamisso (1781-1838), /Sonne. Dem Tag die Augen ausbrennen: abends zu zeitig oder morgens zu lange das Licht brennen; schwäb. ,e Loch in de Tag brenne', /Loch; westf. ,den Dag anstea- ken‘. Alle Tage, die Gott gibt: immer; am Jüngsten Tage, eher nicht: niemals; dafür ist der kürzeste Tag lang genügst man von einer unangenehmen Beschäftigung, vgl. ndl. ,De kortste dag is daar lang genoeg voor'; seinen guten Tag haben: gut gelaunt sein; vor Tag und Tau (stabreimende Zwillingsformel): in aller Herrgottsfrühe; vgl. ndl. ,voor dag en dauw'. Es geht mir von Tag zu Tag besser und besser. Zum geflügelten Wort wurde die Lehre des frz. Heilkünstlers Émile Coué (1857-1926), nach der Kranke durch Autosuggestion geheilt werden sollen. In seinem Hauptwerk heißt es: „Er (der Kranke) muß am Morgen, bevor er aufsteht, am Abend, gleich wie er zu Bett geht, die Augen schließen ..., dann muß er ganz eintönig zwanzigmal folgendes Sätzchen wiederholen: Mit jedem Tage geht es mir in jeder Hinsicht immer besser und besser" (Tous les jours, à tous points de vue, je vais de mieux en mieux'. Man sagt rdal. auch gleichbedeutend: ,bei mir Coué'. Der Couéismus wurde in den Jahren 1924-25 in Dtl. fast eine Art Epidemie (Büchmann, S.635 f.). Auf seine alten Tage: in hohem Alter. Die Rda. den Tag vor dem Abend loben ist aus dem längeren Sprw. abgeleitet: ,Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben'. Dieses ist auch lit. mehrfach aufgegriffen worden, so z. B. von Friedrich v. Hagedorn in seiner Fabel ,Der Zeisig': „Man muß den schönsten Tag nicht vor dem Abend loben"; ebenso bei Schiller in ,Wallensteins Tod' (V, 4): Und doch erinnr’ ich an den alten Spruch: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Der vermutlich älteste Beleg, der ins 10. oder 11. Jh. datiert werden darf, findet sich im ,Havamäl‘, dem alten Sittengedicht der Edda (81, 1 ): ,,at kveldi skal dag leyfa .. d.h. (erst) am Abend soll man den Tag loben, was dann fortgesetzt wird: Das Weib, wenn es verbrannt ist. Das Schwert, wenn es versucht ist, Das Mädchen, wenn es vermählt ist. Das Eis, wenn man hinübergelangt, Das Bier, wenn es getrunken ist. Der allg. Gedanke ,nichts zu früh loben!' hat an weit entlegenen Stellen zu gleichartigen sprw. Prägungen geführt. Dasselbe Sprw. kommt z. B. auch schon in lat. Epigrammen des MA. vor: „Sed vero laus in fine canitur, et uespere laudatur dies" (12. Jh.), und es begegnet zur selben Zeit auch im ma. Frankr.: „Au vespre loue len le iour". In den ,Schwabacher Sprüchen' vom Ende des 14. Jh. heißt es: „Ein guten tag soi man auff den obent loben", und um 1550 ist es in der Form geläufig: ,Guoten tac man zabende loben sol‘. Die heute als fest betrachtete Form des Sprw. mit der typischen formelhaften Einkleidung ,Man soll...' hat sich erst im Laufe der Zeit herausgebildet und eine feste Tradition begründet. 1056
Tantalus Die Sentenz ,Noch ist nicht aller Tage Abend4 findet sich schon bei dem röm. Schriftsteller Livius (XXXIX, 26, 9): „Nondum omnium dierum solem occidisse44 (= noch sei die Sonne aller Erdentage nicht untergegangen). Die hundert Tage von jem. nennt man die wichtigsten Tage, in denen er sich zu bewähren hat. Die Wndg. wird meist auf Herrscher oder führende Politiker bezogen, die nur in einem kurzen Zeitraum regieren, sich in einer Wahlperiode durchsetzen müssen. Die Rda. bewahrt die Erinnerung an Napoleons Versuch, nach seiner Absetzung als Kaiser von der Insel Elba aus nochmals die Macht zu ergreifen. Seine Herrschaft der hundert Tage begann mit seiner überraschenden Landung am 1. März 1815 bei Cannes und endete mit seiner Niederlage am 18. Juni 1815 bei Belle-Alliance, nach der er lebenslänglich auf die engl. Insel St. Helena verbannt wurde. Auch das Zwischenreich von 1815 nennt man ,les cent jours4 = die hundert Tage, obwohl es über diese Zeitdauer hinausging. Die Schuld daran trägt der Seinepräfekt Chabrol, der den am 19. März aus Paris verschwundenen Ludwig XVIII. bei seinem Wiedereinzug am 8. Juli als schlechter Rechner in seiner Anrede „hundert Tage44 aus Paris abwesend sein ließ. Die kurze Regierungszeit Kaiser Friedrichs III. vom 9. März bis 15. Juni 1888 bez. man ähnl. als die ,Neunundneunzig Tage4. Lit.: A. Heusler: Sprww. in den eddischen Sittengedichten, in: Zs. f. Vkde. 26 (1916), S. 42f.; A. Taylor: ,In the evening praise the day1, in : Modern Language Notes 36 (1921), S. 115-118 (s. d. weitere hist. Nachweise und Lit.-Angaben); Büchmann, S.631. Taillenweite. Jem. die Taillenweite prüfen: ihn innig umarmen; das ist genau meine Taillenweite: das entspricht genau meinem Geschmack, das ist das Zutreffende; Mitte 20. Jh. (Küpper II, S.280). Takt. Im Takte (intakt) sein: gesund, in Ordnung sein; eigentl.: wie eine richtig gehende Uhr, ein gleichmäßig-geordnetes Leben führen; vgl. ndl. ,slag houden4; engl. ,to keep time of stroke4. Den Gegensatz bedeutet: nicht taktfest sein: kränklich sein, auch: unzuverlässig sein. Den Takt angeben: alles bestimmen, vgl. ,den Ton angeben4. Einen Takt dreingeben: dreinreden, sich einmischen, wie wenn bei einer mehrstimmigen Musik einer ab und zu auch einen Takt mitbläst. Nach Takt und Noten: gehörig, gründlich, tüchtig, sehr (um 1900). Jem. aus dem Takt bringen: ihn verwirren, aus der Fassung bringen. Dagegen: sich nicht aus dem Takt bringen lassen: größte Ruhe und Sicherheit auch bei unvermuteten Zwischenfällen bewahren. Den Takt in der Bdtg. von richtigem Verhalten, Zartgefühl meinen die folgenden Rdaa., die einen Tadel beinhalten: keinen Takt im Leibe haben, den Takt verletzen und gegen den Takt verstoßen. Taler. Er tut so, als wenn jedes Wort 'nen Taler kostet heißt es in Nordostdtl. von einem Maulfaulen. Der Taler kann in den Rdaa. zur Umschreibung eines hohen Wertes benutzt werden, z. B. seinen hübschen Taler (bei einer Sache) verdienen: einen sehr großen Gewinn erzielen, aber auch zur Bez. von etw. Wertlosem gebraucht werden: keinen Taler wert sein: nichts oder nur wenig taugen (vgl. Deut). Tamtam. Tamtam um etw. machen: viel Aufhebens um eine Sache machen. ,Mach kein Tamtam!4 sagt man umg. zu einem, der sich marktschreierisch gebärdet oder der übermäßige Aufregung zeigt. Tamtam ist die lautmalende Bez. der Eingeborenentrommel in Vorder- und Hinterindien (die Lautmalerei gibt den Doppelschlag auf die Trommel wieder). Das Wort ist durch frz. Vermittlung zu uns gekommen und in bildl. Anwendung auch in die Lit. eingedrungen; z. B. in Immermanns ,Münchhausen4 (I, 91): „Wir müssen (im Stil) den Tamtam schlagen, und die Ratschen in Bewegung setzen44. Tantalus. Tantalusqualen erdulden (müssen): schreckliche Schmerzen, auch furchtbare Angst ausstehen müssen, von ungestillter Begierde gepeinigt werden. In Homers ,Odyssee4 (XI, 582-592) berichtet Odysseus von Tantalus, er habe den phrygischen König in der Unterwelt zur Buße für seine Frevel bis zum Kinn im Wasser stehend ge¬ 1057
Tanz funden. Dieses schwand hinweg, sobald er sich zum Trinken neigte, während die Fruchtzweige zu seinen Häupten vom Winde entführt wurden, wenn er sich nach ihnen reckte. Für die Qualen solch unstillbaren Durstes und Hungers, dann aber iibertr. auf jeden Schmerz, bildete sich das Wort von den ,Tantalusqualen4 (Büchmann, S. 106). Tanz. Den Tanz anfangen: mit einer Sache den Anfang machen. Einen Tanz hinlegen (oder aufs Parkett legen): schwungvoll tanzen, etwa seit 1900 aufgekommen. Der Schwab, rdal. Vergleich ,tanze wie dr Lump am Stecke4 meint ebenfalls einen sehr ausdauernden Tänzer. Das Tanzbein schwingen: tanzen; die etw. umständliche Umschreibung hat ihren Urspr. wohl in der Studentensprache um 1900. Vom Tanz zum Rosenkranz sagt man bei einer plötzlichen Vertauschung des Weltlichen mit dem Geistlichen. Der rdal. gewordene Tanz ums Goldene Kalb bezieht sich auf 2. Mos. 32,4, wo wörtl. ,gegossenes4 Kalb steht. Allerdings hatten sich die Israeliten zur Herstellung des Götzenbildes ihres goldenen Geschmeides entäußert; vgl. dazu die Schlußstrophe von Theodor Storms Gedicht ,Für meine Söhne4 (1854): Wenn der Pöbel aller Sorte Tanzet um die goldnen Kälber, Halte fest; du hast vom Leben Doch am Ende nur dich selber. Hess. ,Dos es’ jo im de Koowe gedanzd4. Die ,Koowe4 oder die Haferspreu ist nicht wert, daß man sich darum bemüht. Der Sinn der Rda. ist deshalb: Der Gewinn hat die Mühe nicht gelohnt; das ist nicht der Mühe wert. Das Wort wird aber auch in dem Sinn gebraucht: das ist um die Hauptsache herumgegangen oder der Hauptsache ausgewichen. Tanz wird bildl. und übertr. auch i. S. v. Zank, Wortkampf, geräuschvolle Auseinandersetzung gebraucht; z. B. jetn. einen Tanz machen .ihm eine Strafpredigt halten, ihm laut und energisch Vorhaltungen machen; die seit dem späten 19. Jh. belegte Wndg. ist eine Parallelbildung der Rda. ,eine Szene machen4; ähnl.: der Tanz geht los:die Auseinandersetzung hat begonnen; und das wird noch ein Tänzchen geben: die Szene steht noch bevor. Mach keine Tänze: Laß die Umstände, die Umschweife! Mit an den Tanz müssen: an einem anstrengenden, gefährlichen Unternehmen teilnehmen müssen; /Affe, /Eiertanz. Den Tanz kennen wir schon: deine Vorspiegelungen sind mir bekannt. Einen Tanz mit der Jungfer Birke tun: ausgepeitscht werden. Schweiz. ,Chumm mer z Tanz4 ist eine deutliche Abfertigung. Berl. ,Danzboden hat’n Loch4, die Sache steht schlecht. Nach jem. Pfeife tanzen /Pfeife. Tapet. Etw. (nicht) aufs Tapet bringen (früher auch werfen): etw. (nicht) zur Sprache bringen, die allg. Aufmerksamkeit auf etw. lenken. Tapet ist eine Nebenform zu .Tapete4 und bezeichnete früher den meist grünen Bezug der Tische in Sitzungszimmern (daher auch die Wndg. .am grünen Tisch4). Die Rda. ist eine Lehnübers. von frz. .mettre une affaire (une question) sur le tapis4; sie ist seit 1697 im Dt. belegt; Schiller gebraucht sie in den .Räubern4 (I, 2): „Wie wär's, wenn wir Juden würden und das Königreich wieder aufs Tapet brächten?44 Auch mdal., z. B. rhein.. ober- sächs., ist die Rda. verbreitet; vgl. auch ndl. ,iets op het tapijt brengen4; engl. ,to bring on the tapis4. Etw. auf dem Tapet haben: gerade davon sprechen, darüber verhandeln. Der kojnmt nicht aufs Tapet: er tritt nicht in Erscheinung, wird keine Rolle spielen. Seit einiger Zeit hört man häufig, daß ,etw. auf das Trapez kommt4. Vor nicht allzulanger Zeit war dafür noch üblich .aufs Tapet kommen4. So steht es auch noch im Sprach- brockhaus (1944), im Duden (1951), im Borchardt-Wustmann-Schoppe (71955), ja sogar bei Küpper; auch Lexika wirken sprachkonservierend. Tapet ist aus dem Frz. in der Barockzeit zu uns gekommen, lebt seit langem nur noch in dieser Wndg. und ist nicht mehr recht verständlich. Was .Trapez4 ist, weiß dagegen jeder; es bietet sich geradezu als Ersatz an. Dabei trifft es sich gut, daß es dasselbe grammatische Geschlecht hat (,auf’s4 kann bleiben). - Nun 1058
Tasche hört man aber nicht selten auch: ,Das kommt nicht aufs Trapez', in bestimmtem Ton der Ablehnung gesprochen (,das kommt nicht auf die Platte', ,den Topf' usw.). Vielleicht wird es wie diese beiden Wndgn. eines Tages nur noch negiert gebraucht; vorläufig kann die Verneinung stehen oder nicht wie bei: etw. ,kommt (nicht) in Frage4. Zunächst war ,kommt nicht aufs Trapez' eine sachliche Feststellung: etw. ist nicht auf die Tagesordnung gesetzt worden, wird also nicht zur Beratung gebracht; dann ergab sich als vermeintliche oder tatsächliche böse Absicht dessen, der die Tagesordnung festlegt : ,Das kommt nicht aufs Trapez', ich lasse das keinesfalls zu, daß diese Frage erörtert wird. Neben dem Formwandel der Rda. findet also auch ein Bedeutungswandel statt. Lit.: J. Werner: Altgriech. Sprww. nach Sachgruppen geordnet (Diss. Leipzig 1957). S.33f. Tapete. Die Tapete wechseln: sich verändern, sowohl von beruflichen wie von Ortswechseln gebraucht (20. Jh.). Die Veränderung heißt dementspr. .Tapetenwechsel', z.B. ,Ichmußmal die Tapete wechseln', ich muß einmal Urlaub machen und in eine andere Umgebung kommen, auch: das Lokal beim Zechen wechseln. Tarantel. Wie von der TaranteI gestochen: wie besessen, urplötzlich (z.B. auffahren, emporfahren, umherrennen). Die Tarantel ist eine südeurop. Wolfsspinnenart, die in Erdhöhlen lebt; sie hat ihren Namen (ital. ,tarantola4) daher, daß sie sich z. B. auch bei Tarent in Apulien, einer Landschaft im südöstlichen Italien, findet. Ihr Biß ruft angeblich eine Krankheit hervor, die sich in heftigen Zuckungen, ähnl. dem Veitstanz, äußert (,Tarantismus'). Man hat diese im MA. durch einen Tanz zu heilen gesucht, wie auch in Dtl. solche Heiltänze Besessener Vorkommen. Vielleicht hängt auch der Name des neapolitanischen Volkstanzes, der ,Tarantella4, eines anfangs langsamen, dann immer rascher werdenden Tanzes, mit dem Namen der Spinne zusammen: die Tänzer springen ,wie von der Tarantel gestochen'. Die Rda. begegnet in bildl. Anwendung im Dt. seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts. Tasche. Einen in der Tasche haben: ihn in seiner Gewalt haben, mit ihm anfangen können, was man will; ähnl.: einen in die Tasche stecken: seiner Herr werden, mit ihm fertig werden, ihm überlegen sein (vgl. Sack, das in älterer Sprache auch Tasche bedeutet); auch lit., z.B. in Schillers ,Fiesko' (I, 7): „Mag er Genua in die Tasche stecken ... was kümmert’s uns?" Etw. noch nicht in der Tasche haben: etw. noch nicht sicher haben. Tief in die Tasche greifen: viel Geld ausgeben müssen; jem. auf der Tasche liegen: ihm finanziell zur Last fallen, auf jem. Kosten leben; mit Tasche ist hier die Geldtasche gemeint. Auf die Tasche klopfen: Geld von anderen verlangen. Die Hand auf der Tasche halten: geizig sein. Sich selbst die Taschen füllen: sich auf Kosten anderer bereichern. Ähnl.: in die eigene Tasche wirtschaften:zu seinem Vorteil in betrügerischer Weise Vorgehen, nicht das Geschäftsinteresse obenan stellen. Jem. in die Tasche arbeiten: ihm zu ungerechtem Vorteil verhelfen. Der hatys in der Tasche (zu ergänzen ei- gentl.: das Geld): er ist reich; er hat keine schwere Tasche: er ist arm, er hat wenig Geld. ,,Er hat nichts in den Taschen als seine Hände", sagt Lichtenberg von einem Arbeitslosen. Eine humorvolle berl. Wndg. für den Habenichts ist die paradoxe Aufforderung Faß mal einem nackten Mann in die Tasche/, die jetzt allg. verbreitet ist. Etw. kennen wie die eigene Tasche: etw. genau kennen (auch: ,etw. wie seine eigene Westentasche kennen4). Aus der Tasche spielenwar im 18. Jh. die Umschreibung für die Tricks der Taschenspieler. Leck’ mich in der Tasche bedeutet eine grobe Abweisung, wobei Tasche euphe- mist. für /Arsch steht; die Wndg. ist vermuth im Sächs. aufgekommen, weil dort die Aussprache der beiden Wörter eine gewisse Klangähnlichkeit aufweist; ähnl.: Er kann mir in die Tasche steigen. Die Hände in die Taschen stecken: untätig Zusehen, /Hand. Eine alte Tasche sein, die nichts mehr taugt: ein häßliches, altes Weib sein, ähnl.: eine einfältige Tasche sein: eine geistlose weibl. Person sein. Vgl. frz. ,C’est une hape- lourde4. Tasche als abfällige Bez. der Frau 1059
Tasse stammt aus der Jägersprache. Es ist dort der Ausdr. für das weibl. Geschlechtsorgan des Tieres und wird ,pars pro toto4 auf die Frau übertragen. Der Ausdr. ist weit verbreitet in der Kurzform eine Plaudertasche sein: eine geschwätzige Person sein; /Schachtel. Tasse. Nicht alle Tassen im Schrank (Spind) haben: nicht ganz bei Verstand, verrückt sein; einer der vielen Ausdrücke, die be- schönigend-euphemist. zum Ausdr. bringen, daß einer ,nicht alle Sinne beisammen4 hat; ähnl.:,nicht alle beisammen haben4, ,er braucht sie nicht alle der Reihe nach4, wobei jeweils das zu ergänzende ,Sinne4 ausgefallen ist. Auch: Seine Tasse hat einen Sprung: er ist nicht recht bei Verstand. Tasse kommt ja auch mehrfach als Schimpfwort vor, z.B. ,müde, alte, dämliche, trübe Tasse4 etc. Hoch die Tassen!: Hoch die Gläser! Prost! (zuweilen mit dem iron. Zusatz: ,in Afrika ist Muttertag4), moderne, vor allem großstädtische Wndg., in Berlin schon 1925 notiert. Taste. Auf die falsche Taste drücken: eine falsche Andeutung machen, mit einer kleinen Andeutung jem. beleidigen. Die Rda. leitet sich her von der Taste entweder des Klaviers oder der Schreibmaschine ; die falsche Taste erwischen: sich irren; etw. auf den Tasten haben: vorzüglich maschine- schreiben können, übertr.: überhaupt etw. können, eine Sache beherrschen; nicht alle Tasten auf dem Klavier haben: nicht recht bei Verstand sein (Küpper II, S. 282). Taube. Tauben im Kopf haben: sonderbare Einfälle haben; im 16. und 17. Jh. öfters bezeugt (ähnl.: ,Rosinen im Kopf haben4, ,Grillen haben4), z.B. im ,Simplicissimus4. Warten, bis einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen: ohne Anstrengung etw. erreichen wollen; nichts tun und dennoch auf gute Einnahmen warten. Die Rda. bezieht sich auf die Erzählungen vom /Schlaraffenland (KHM. 158), wo den Faulen tatsächlich die gebratenen Tauben in den Mund geflogen kommen. Schon Luther gebraucht die Anspielung auf die Schlaraffenland-Erzählung rdal. (Weima¬ rer Ausg., Bd. XII, S. 635): ,,Dir wird keine gebratene Taube in den Mund fliegen44; 1532 heißt es in der ,Namenlosen Sammlung4 (Nr. 631): „Har biß dir ein gebratne taub ins Maul fliege44. In der beigefügten Erklärung steht, daß man dies Sprw. anwendet ,,gegen denen, die nichts thun woellen, vnd meynen Gott soll jn geben vnd thun was sie begeren, on arbeyt vnd fleiß44. ,Warten, bis einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen4 Bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus4: „Keine gebratene Taube kommet auch keinem in das Maul geflogen, er muß danach gehen und sie zuvor fangen44. Goethe erweitert die Rda. in sprichwörtlich4: Wer aber recht bequem ist und faul, Flog dem eine gebratne Taube ins Maul, Er würde höchlich sich's verbitten, Wär sie nicht auch geschickt zerschnitten. Auch andere Vögel kommen in der gleichen Wndg. vor, so bei Luther ein gebratenes Huhn, das dem faulen Glückspilz zufällt; 1639 bei Lehmann S.407 (,Hoffnung4 32): „Hoffnung ist ein pein: wart biß ein gebraten Lerch ins Maul fleucht44. Ebenso heißt es schon in Rabelais1 ,Gargantua und Pantagruel4: „II attend que les alouettes lui tombent toutes rôties44 (Er erwartet, daß ihm die Lerchen ganz gebraten herabfallen). In der antiken Vorstellung vom Goldenen Zeitalter ist im selben Zusammenhang von gebratenen Krammetsvögeln die Rede. Schon der griech. Komiker Tele- kleides (5. Jh. v.Chr.) sagt: „Gebratene Krammetsvögel mit kleinen Kuchen flogen einem in den Schlund hinein44, während sie nach Pherekrates voll Sehnsucht, verspeist 1060
Teil zu werden, einem „um den Mund herumflogen“ (Büchmann, S. 118f.). Lit.: Boite-Poltvka III, 244-258; Joli. Boite: Bilderbogen des 16. u. 17. Jh., in: Zs. f. Vkde. 20 (1910); weitere Lit. /^Schlaraffenland. Taubenschlag. Hier geh fs zu wie in einem Taubenschlag: hier herrscht ständiges Kommen und Gehen. In einem Taubenschlag fliegen die Tiere ständig aus und ein. Zelter an Goethe: „Es wohnt niemand bequem bei mir, weil es zu unruhig ist und meine Wohnung wie ein Taubenschlag ist“ (Briefe zwischen Zelter und Goethe, hg. v. F. W. Riemer, II, 141). Die Rda. ist auch in den Mdaa. bekannt, vor allem berl. ,Det jetzt immer rin un raus wie in’ Dauben- schlag\ Das Herz ist wie ein Taubenschlag (vgl. ,Bienenhaus*): die Liebe ist unbeständig, die Partner werden häufig gewechselt. ,Es geht zu wie in einem Taubenschlag1 Sich davonstehlen wie die Katze vom Taubenschlag: sich wegen eines bösen Gewissens unbemerkt davonmachen wollen (wie die Katze, die im Taubenschlag geräubert hat und sich mit der Beute entfernt); seit dem 17. Jh. bezeugt. Taufessen. Man kann bei ihm noch das Tauf essen sehen sagt man niederrhein. von einem, der gähnt, ohne die Hand vor den Mund zu halten. lausend steht als übersteigernder Ausdr. in vielen Wndgn. formelhaft für eine große Zahl:,Tausend Dank!4, ,er ist ein Tausend¬ sassa4; berl. ,is ja noch dausend Zeit4, ,nich um dausend Taler4, obersächs. ,der Tausendste nicht4, nur sehr wenige; vgl. auch ,vom Hundertsten ins Tausendste kommen4 (/'hundert). Auch in Ausrufen wie Potztausend! (/Potz) und Ei der Tausend! liegt eine Steigerung vor. In Wndgn. wie Der Tausend soll mich holen!, HoTs der Tausend! ist Tausend eine Hüllform für /Teufel. Tee. Im Tee sein: betrunken sein, närrisch, in ausgelassener Stimmung sein; einen im Tee haben: betrunken sein; Tee gilt z.T. verhüllend für,Schnaps4; doch könnte Tee auch eine Abk. für /Tran, ,Torkel4 oder eine andere mit T oder D anlautende Bez. der Trunkenheit sein. Laß dir Tee kochen oder Du kannst mir mal Tee kochen sind Ausdrücke der Abweisung. Gemeint ist wohl, daß man sich einen Tee gegen das Fieber kochen soll. Seinen Tee kriegen: barsch abgefertigt, zurückgewiesen werden. Tee reiten: sich einschmeicheln (Küpper). Tee nach China tragen: etw. Sinnloses tun. Abwarten und Tee trinken! /abwarten. Teer. Im Teer sein: betrunken sein (evtl, mißverstanden aus ,im /Tee sein4); im Teer sitzen: in Not, in Verlegenheit sein; die Sache ist geteert: die Sache ist gut ausgeführt, abgemacht; du mußt den Kragen wiedermal teeren lassen: du trägst einen schmutzigen Kragen, die Grundfarbe Weiß schimmert durch den Schmutz hindurch (Küpper II, S. 283). Teil. Sein Teil (schon noch) bekommen (kriegen): das zu erwarten haben, was seinem Handeln, seinem Betragen gebührt, getadelt, bestraft, gezüchtigt werden. Die Wndg. kann in Form einer Drohung oder Warnung gebraucht werden, wie z. B. mdal. in der Altmark: ,Du säst dîn Dêl wol kri- gen4. Genugtuung und eine gewisse Schadenfreude enthält die Feststellung einer vollzogenen Strafe, einer unangenehmen Auseinandersetzung: Er hat sein Teil gekriegt, vgl. ndl. ,Hij heeft zijne portie gekregen4. Derjenige, der weitere üble Folgen scheut, sagt: Ich habe mein Teil: ich bin gestraft ge¬ 1061
Teilstrecke nug, der Ärger hat mir den Rest gegeben. Die Wndg. kann aber auch positive Bdtg. besitzen: ich habe genug erhalten, ich besitze bereits, was mir zusteht (an Gewinn, Speisen u.ä.). In Zusammenhang damit steht auch die Wndg. ich für mein Teil: soweit es mich betrifft, ich persönlich. Sich seinen Teil denken /denken. Das bessere Teil erwählt haben: sich richtig entschieden haben. Die Rda. ist die Umgestaltung eines Bibelwortes, denn bei Luk. 10, 42 heißt es: ,,Maria hat das gute Teil erwählt“. Auch Schiller gebraucht die veränderte Wndg. bereits lit. in seiner ,Maria Stuart* (V, 6), indem er Maria feststellen läßt: „Bertha, du hast das bessere Teil erwählt“ (Büchmann, S. 78). Teilstrecke. Auf Teilstrecke kaufen: auf Raten kaufen; berl. seit 1920 gebucht; der Begriff Teilstrecke stammt aus dem Tarifwesen der Straßenbahn. Tempel. Einen zum Tempel hinauswerfen (oder hinaustreiben, hinausschmeißeny hinausjagen): ihn aus dem Haus weisen; die Rda. geht auf die bibl. Erzählung von der Vertreibung der Wechsler und Händler aus dem Tempel zurück; Joh. 2,15 (vgl. Matth. 21,12; Mark. 11,15; Luk. 19,45) heißt es von Jesus: „Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus“. Ruhe im Tempel: Aufforderung zu Ruhe und Ordnung, damit eine wichtige Mitteilung erfolgen kann. Tempelherr. Eine ganze Reihe von Rdaa. spielt auf die sagenhafte Überlieferung von den Tempelherren an, die vor allem im Rheinl. als frevlerische und gottlose Menschen im Andenken der Bevölkerung fortleben. In Lothr. sagt man z. B.: ,Er rächt ewei en Tempelher*; ,Wander (II, 936) verzeichnet: ,Er hurt wie ein Tempelbruder*. In anderen Landschaften heißt es: ,He zup wie ennen tempeleer* (ndl. Prov. Limburg), in Aachen: ,einen Tempelherren nehmen*, eine unpassende Heirat machen. In einer Nacht sollen nach der Sage alle Sitze der Tempelherren mit vielen Reich- tümern versunken sein; in Remich sagt man darum: ,Er ist verschwunden wie ein Tempelherr*. Lil.: M. Zender: Die Sage als Spiegelbild von Volksart und Volksleben im westdt. Grenzland (Diss. Bonn 1940), S. 52: L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S. 259. Teppich. Auf den (breiten) Teppich treten in älterer Zeit gleichbedeutend mit .heiraten*, da vor den Traualtar ein Teppich gelegt wurde. Die Rda. ist lit. bezeugt bei Hippel (,Über die Ehe* 176): „Wehe dem Mädchen, das darum auf den Teppich tritt, weil es Lust hat, auszuschweifen“. Auf dem Teppich bleiben: sachlich bleiben, sich gesittet benehmen, also sich so verhalten, wie es sich in einem vornehmen Raum mit einem kostbaren Teppich gehört. Vielleicht ist die Rda. aber auch als Entstellung aus /Tapet entstanden, da das Wort Teppich im 7. Jh. aus dem Rom. entlehnt wurde und mit lat.,tapetum* im Zusammenhang steht, wie ndd. und ndl. Lautformen (tapijt, tep(pe)t) beweisen. Dazu würden dann auch die Rdaa. auf dem Teppich sein: eine günstige Gelegenheit zu nutzen wissen, und Das kommt nicht auf den Teppich!: es kommt nicht in Betracht, nicht in Frage, als Abwandlungen von .Tapet* in Beziehung stehen. Eine schülersprachl. bes. in Norddtl. bekannte neue Rda. als Umschreibung für geistige Beschränktheit ist: geistig (zu weit) unter den Teppich gerutscht sein. Etw. unter den Teppich kehren: zum spürbaren Verschwinden bringen, aus der Diskussion ausklammern, von der Tagesordnung absetzen. Teufel. Der Teufel kommt in unzähligen sprw. Rdaa. vor, von denen hier nur ein Teil herausgegriffen werden kann. Den Teufel mit Beelzebub austreiben: ein Übel durch ein noch schlimmeres Übel beseitigen. Die Rda. geht auf das N.T. zurück, ist also eigentl. ein Bibelzitat: „Aber die Pharisäer, da sie es hörten, sprachen sie: Er treibt die Teufel nicht anders aus denn durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Jesus kannte aber ihre Gedanken und sprach zu ihnen:... So ich aber die Teufel durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben sie eure Kinder aus?** (Matth. 12, 24-27; ebenso Luk. 11, 14-19; vgl. Matth. 9,34 1062
und Mark. 3,22). In Christoph Lehmanns ,Florilegium politicum' (1639) heißt es (S.459): „Wenn Gottlose Obristen vnd Soldaten gegen einander streiten, so treibt ein Teuffel den andern auß". S. 713 verzeichnet Lehmann zwei gleichbedeutende Rdaa., die aber nicht allg. umg. Bdtg. erlangt haben: „Einen Donner mit dem andern vertreiben. Man muß Pilatum mit dem Keyser schrecken". Dahinterhersein wie der Teufel nach einer armen Seele: auf etw. gierig sein; meist: ,auf s Geld wie der Dübel up de arm' Seel'. Die Formulierung ist als Rda. erst relativ jung bezeugt (17. Jh.), bezieht sich aber auf das eschatologisch-apokalyptische Motiv vom Kampf der Engel und Teufel um den Besitz der Seele, ein der ma. Apokalyptik und Erzählungslit. vertrautes Thema (vgl. schon das ahd. Muspilli-Gedicht). Aus der alten Vorstellung, daß der Teufel gebunden in der Hölle liege, erklärt sich der Ausruf: Der Teufel ist los! da ist der Teufel los.-da herrscht Zank, Unfriede, Ausgelassenheit. Über wen eine Menge Unfälle mit einemmal hereinbrechen, der fragt verzweifelt: ,Sind denn heute alle Teufel los?4 Die Vorstellung beruht auf der bibl.-apo- kalyptischen Aussage: „Und wenn tausend Jahre vollendet sind, wird der Satanas los werden aus seinem Gefängnis...'4 (Offenb. 20, 2.3 u. 20,7). Dieser Gedanke ist aber auch sonst in die volkstümlichen Vorstellungen eingegangen und hat sich mit heimischen Sagen vom gefesselten Unhold und vom ,kalten Schlag der Schmiede' vermischt. Die Heimat dieser Sage ist, wie A. Olrik und F. v. d. Leyen nachgewiesen haben, der Kaukasus. Von hier hat sich die Sage sowohl nach Süden wie nach Norden verbreitet. Praetorius (1630-80) berichtet eine Sage von der Schwäb. Alb, wonach Christus einst den Teufel in die Teufelsklinge gestürzt habe, wo er gefesselt, aber noch immer lebendig liegt. Wenn bei heftigem Regen der Bach anschwillt, sagt man, der Teufel winde sich in seinen Banden. Bei Christoph Lehmann (,Florilegium politicum', 1639, S.838) wird empfohlen: „Wenn der Teufel ledig wird, so muß man vntertretten. Item, wenns Spies vnnd Büchsen regnet4'; vgl. aus der Kapuzinerpredigt in ,Wallensteins Lager4 die Stelle: „Die Kriegsfuri ist an der Donau los!44 Den Teufel im Leibe haben, vom Teufel besessen ^///.unbeherrscht, temperamentvoll sein. Nach alter krankheitsdämonistischer Auffassung fährt der Teufel in den Körper Exorzismus (,Den Teufel im Leibe haben4) 1063
Teufel des Menschen und ist dort Urheber jeglicher Krankheit und Absonderlichkeit; vgl. mhd. ,der tiuvel var im in den bale (in den munt)4; ,tüsent tiuvel üz dir bellen!4 Verwandte Wndgn. sind:,Der Teufel liegt ihm im Magen1;,er hat alle Teufeleien im Kopf* (schles.); ,dear hot da leibhaftiga Teuf’l im Leib4; ,dui hot da Teuf’l lebendig im Leib4 (schwäb.); vgl. frz. ,avoir le diable au corps4 ; engl. ,to have the dog in one’s belly4 ; ndl. ,den duivel inhebben4, ,de hel inheb- ben4. Durch den Exorzismus wollte man den Besessenen vom Teufel befreien. Ihn plagt (reitet) der Teufel: er ist mutwillig, bösartig, unbeherrscht. Nach dem Volksglauben setzt sich der Teufel auf den Menschen und quält ihn vor allem als Aufhok- ker und Alp (Incubus- und Succubus- Glaube); schon in mhd. Zeit geläufig. „Das euch allda der Teufel reut44 (Fischart, Flöhhatz); „Das dich der Valant reiten soll44 (Luther; Burkard Waldis); vgl. engl. ,to have the black dog on one’s back4. urspr. Bdtg. das ,sein4 aufzufassen wie lat. esse c. Gen., d.h. als ,besitzen4. Des Teufels sein ist also: dem Teufel zugehören. Aus der großen Anzahl von Belegstellen nur zwei: In Hans Sachs’ Schwank vom Mönch, Bettler und Landsknecht, welche „Hosen desselben Tuches“ tragen, sagt (V.54) der Mönch zum Landsknechte, der ihm all seine Schandtaten gebeichtet: „Darumb du gwis des teuffels pist“, und gibt ihn damit dem Teufel in Besitz. Genauso findet sich die Rda. in Hans Sachs’ Schwank ,Kunz Zweifel mit dem Erbsenacker4 (V. 72, 78) und an vielen anderen Stellen. Noch klarer tritt die Bdtg. dieses ,sein4 hervor an Stellen, an denen es sich um Sachen handelt. So im ,Simplicissimus4 (II, 20): „weil man sagt, der Wurff, wan er auß der Hand gangen, sey des Teuffels“. Auch ,des Herrgotts sein4 findet sich, und zwar ,Katzipori‘ 71: „Ich bin unsers Herrgotts und ir des teu- fels“, sagt der Mönch zum Junker. - Heute bedeutet ,des Teufels sein4 etwa: besessen, ,Dem Teufel vom Schubkarren gehüpft1 Dem Teufel vom Schubkarren (von der Schippe) gesprungen (gehüpft) sein: ein äußerst gefährlicher Mensch sein; vgl. ober- oesterr. ,Der ist dem Teufel aus der Butte gesprungen4. Des Teufels sein: unbeherrscht, ausgelassen sein; sich austoben. Die älteste, vollständige Wndg. hieß: ,Des Teufels Eigen sein4, und ist schon mhd. bekannt; geläufig etwa seitdem 16. Jh.; vgl. schwäb. ,Do möcht ma grad’s Teuf’ls wera4. In der Rda. ist in ihrer toll sein und wird nicht selten in launiger Weise gebraucht. Heine: „Doktor, sind Sie des Teufels?“ Sich zum Teufel scheren: sich fortmachen (meist imperativisch: ,Scher dich zum Teufel!4). Erhalten geblieben ist in dieser Rda. ein altes intrans. Verbum ,scheren4, mhd. ,schern4 = schnell eilen, entkommen. Zum Teufel! (,Zum Teufel nochmal!4 ,Zum Teufel noch eins!4): Fluch, Verwünschung, verkürzt aus,Scher dich zum Teufel!4; jem. 1064
Teufel Der Meineidige verschwört sich (,Der Teufel soll mich holen ...‘) zum Teufel jagen (wünschen): jem. energisch verabschieden, entlassen. Der Bösewicht, der vom Teufel geholt wird, spielt in vielen Rdaa. eine Rolle:,Der Teufel hat ihn am Kragen (Seil)4, oder z.B. schwäb. ,Dear ischt am Teufl gwiess gnuag4; ,dear ischt am Teufl naus komma1; ,des ischt doch zum Teufl hola4; ,dear ischt am Teufl z’schlecht, soscht hätfn dear scho lang gholaf ; ,was hilft mi’s, wenn dea dr Teufl holt, und i muass ’s Fuahrloah zahla4. Das Zum-Teufel-Wünschen geschieht meist in Form einer imperativischen Fluchformel: Der Teufel soll dich holen!, erweitert und verstärkend: ,Den soll dr Teuf’l lothweis hola!‘; ,meinetweag gang zum Teuf’l oder zum Taud4 (schwäb.); ,dich soll der Teufel frikassieren!4 (berl., Ggwt.); reiches Material hierzu enthalten fast alle Mda.-Wbb. Hist. Belege z.B. bei Joh. Fischart: ,,Der Teuffel hol dich in der Senffte, so zerstoßt kein knie“; „der Teufel soll dich lecken“; „... als dann nemm euch der Teuffel zum Giseipfand“; ,,derTeuffel hol den letzten“; „der Teuffel zerreiss dir das Fidle“. - Auch Verlorenes ist ,zum Teufel4, ,der Teufel hat es geholt4, ,der Teufel hat es gesehen4. ,Es geht zum Teufel4, es geht verloren, zugrunde, d.h. was beim Teufel ist, kehrt eben nicht zurück (lit. im 18. Jh. häufig). Der Teufel soll mich holen! Da Ausruf gilt zur Versicherung und Bekräftigung der Wahrheit, da man glaubt, daß der Falsch- schwörer vom Teufel geholt wurde. Auf den gleichen Zusammenhang weist die Wndg. in aller Teufels Namen schwören. Nach dem Volksglauben kann man den Teufel als Superlativ alles Bösen und als Fürsten der Hölle durch bloßes Nennen seines Namens herbeizitieren, auch durch Malen seines Bildes herbeiholen, denn das Bild stellt nicht nur den Teufel dar, sondern ist er selber (Bildzwang, Bildzauber). Die Rda den Teufel an die Wand malen: von etw. reden, etw. als möglich annehmen, was man weit weg wünscht, meinte urspr., man würde durch leichtsinniges Handeln ein Unglück heraufbeschwören. Man fürchtet sich nicht nur, den Teufel zu nennen, sondern auch bloß zu malen, als ob er sich dadurch zitiert fühlen könnte. Die Rda. ist auch bekannt als Sprw.-Vollform: ,Man darf den Teufel nicht an die Wand malen4; sie hat sich erst im Laufe der Zeit auf diese Formulierung festgelegt. Früher sagte man gewöhnlich: ,den Teufel über die Tür malen4 (statt des Segenszeichens CTM + B). Seb. Franck (1541) schreibt in seinen Sprichwörtern4 (2, 104a): ,,Man braucht den teuffei nit über die thür malen, er 1065
Teufel kompt von selbs ins hauß“. Bei Luther finden sich noch beide Versionen nebeneinander: „Man soll den Teufel nicht an die Wand malen“, häufiger aber „den Teufel über die Tür malen“, ebenfalls mit dem Nachsatz: „er komt von sich selber“. Seit dem 18. Jh. wird nur noch die Wndg. ,an die Wand malen4 gebraucht: „Willst du noch dazu keinen Teufel glauben? O! male ihn nicht an die Wand!“ (Lessing im Freigeist4, 1749, II, 5). Grillparzer schreibt in der ,Jüdin von Toledo* (I): Doch soll den Tag man nicht vor Abend loben Und malen nicht den Teufel an die Wand. ,Den Teufel an die Wand malen* Bismarck verwandte die Rda. gern, z.B.: „Wo sind denn die Gefahren gewesen, die an die Wand gemalt werden als wahrscheinlich eintretend44, oder: „Warten Sie doch ruhig ab, bis der unglückliche Krieg gekommen und geführt ist, und enthalten Sie sich der Sünde, ihn an die Wand zu malen44 (,Reden4 XI, 130), oder (VIII, 143): „Seitdem ist es Sitte geworden, seit ungefähr Jahr und Tag, Reaktion zu schreien und auf diese Weise vielleicht den Teufel an die Wand zu malen44. Verwandt und sinngleich ist das Sprw. ,Wenn man vom Teufel spricht, kommt er4; engl. ,talk of the devil and he is sure to appear of4; frz. ,Quand on parle du loup, on en voit la queue4; ndl. ,Als je van de duivel spreekt, trap je op zijn staart (rammelen zijn be- nen)4; laL,lupus in fabula4. Dem Sprw. liegt der alte Volksglaube zugrunde, daß man ein Unheil, einen Dämon durch bloßes Nennen herbeilocken (,berufen4 oder ,be- schreien4) könne (Namenzauber). Auch die verhältnismäßig junge Rda. auf Teufel komm raus! {19. Jh.) leitet sich von dem Glauben her, daß der Mensch durch bestimmte Handlungen und Worte das Erscheinen des Teufels hervorrufen könne; sie ist vor allem nordd. bezeugt, z.B. ,Er schuftet auf Deiwel komm raus4, aus Leibeskräften, sehr stark; ,er lügt auf Teufel komm raus4, er lügt dreist. Teufel gilt hier als verstärkendes Wort. Der besondere Akzent, der in jeder Teu- fclsnennung liegt, hat dazu geführt, daß der Teufel auch in zahlreichen Negativen vorkömmt, z.B. in den Wndgn. sich den Teufel um etw. kümmern; den Teufel danach fragen; ,â en Teuf e\ tun4, nichts tun; ,es hält ihn kein Teufel4. Die Wndg. ,den Teufel4, nichts, ist vermutlich entstanden aus Ausdrücken wie ,Er fürchtet nicht den Teufel4, also nicht einmal den Fürchtenswertesten, d.h. eben niemanden und nichts; vgl. A. v. Chamissos Gedicht ,Der rechte Barbier4: Den Teufel auch! Das ist des Landes nicht der Brauch! Die mhd. Negation ,tiuvels wenig4 lebt in neuzeitlich ,verteufelt wenig4 weiter. Der gefürchtete Teufelsname wird oft durch Hüllworte, wie ,Gottseibeiuns4, ,der Böse4,,Leibhaftige!4 ,pfui Spinne!4 u.a., ersetzt (Euphemismus, Tabu). Die Verwünschung ,Der Teufel soll dich holen!4 wird vielfach verhüllt, z.B. ,Dich soll der Deixel (oder: der Kuckuck) holen4; ähnl.: ,Ich will des Donners sein4;,sich zum Kuckuck (zum Henker) scheren4. ,Kuckuck4 als Hüllwort für den Teufel hat dazu geführt, daß umgekehrt auch der Teufel in eine Reihe von Rdaa. Eingang gefunden hat, die sich primär auf den /Kuckuck beziehen: ein Teufelsei ins Nest legen, der Teufel schmeißt seine Kinder aus dem Nest. Eine Reihe von Rdaa. spielt auf den Teufelspakt der Sage an, etwa Das müßte mit dem Teufel zugehen!; mit Teufels Gewalt (z.B. schwäb. ,Dear will mit’s Teufls G’walt reich wera4); der Teufel hat seine Hand im Spiele meint das Kartenspiel, das nach dem Volksglauben des Teufels ist (,Des Teufels Gebetbuch4). Man sagt ferner noch heute, wer etw. im Glase stehen lasse, bringe dem Teufel ein Opfer (s. ,der Rest ist für die Gottlosen4); vgl. „... Vnd es, wie man sagt, dem Teufel zum neuen Jahr auff opferen44 (Fischart im ,Ehzucht- 1066
Teufel büchlein‘). Das schles. Sprw. ,Der Teufel hilft manchmal, eine Kirche zu bauen4 bezieht sich auf die in allen dt. Landschaften bezeugten Sagen vom Teufel als Baumeister. Der Teufel bringt demjenigen Reichtum, der ihm seine Seele verschreibt. Als ,Geld- teufel4 findet er immer wieder Anhänger. Die bair. Rda. den Teufel im Glaslein haben: ten Teufel als geheimen Helfer, in allem Glück haben, bezieht sich auf die weitverbreitete Sage vom ,spiritus familiaris4, einem Dämon in der Flasche, der seinem Besitzer zunächst Glück, dann ewiges Verderben bringt; vgl. Joh. Fischart: „Die wüßten den Teuffel in kein Glaß zu beschweren44. Von derselben Sage abgeleitet ist auch die Rda. einem den Teufel im Gläs- lein zeigen: ihm Angst, ihm die Hölle heiß machen; schon bei Joh. Fischart bezeugt: „Ich will dir den Teuffel im Glas zeigen44 (,Geschichtklitterung4). Eine große Anzahl von Rdaa. spielt auf die Schnelligkeit des Teufels an, wie sie z.B. aus der Faustsage (Puppenspiel) lit. bekannt geworden ist: wieder Teufelotex Das geht wie's Teufelshaschen: sehr schnell. Von einem flinken und entschlossenen ,Der Teufel hat seine Hand im Spiel1 Menschen sagt man: ,Der fängt den Teufel auf freiem Felde4. Ndd. sagt man auch: ,Dat geit, as wenn de Düwel Spörken (Sperlinge) frett4, bair. ,glatt wegk wie de Tuifl Eittfotmcmaiifro&cfo Dn.jlrvarfrvntmufr. Du foliituicbzvfrcnh [BufofrgfjubctMigot fanem turmn I ) & » jolt nit tpn folt mnine DnloUintficmbDeut, Du/dl; -ypjytfcf) fan fcHtfoltmfftckn ,Des Teufels Gebetbuch4 1067
Teufel 1 1 ,Geldteufel‘ 2 ,In des Teufels Küche kommen1 - Teufelsbraten' n Bauern holt‘ heißt soviel wie: ohne alle Zeremonien. hi (des) Teufels Küche kommen: in große Verlegenheit oder Gefahr geraten. Nach ma. Volksglauben hatte der Teufel eine Küche, in der die Hexen (daher ,Hexenkü¬ che'; vgl. ,Faust‘ I) und Zauberer am Werke waren. Auch die Hölle hieß im 16. Jh. ,des Teufels Küche1. In Fischarts Brotkorb' (1584) heißt es: „S. Patricius Loch, darin der Teufel ist Koch". Verwandt ist die Rda. ,in des Teufels Badstube kommen', in 1068
Teufel die höchste Not geraten; vgl. schon mhd. ,ze helle baden1 (Thomasin). Von der Volkssage werden oft Teufelsbäder und Teufelsküchen genannt. In der folgenden Gruppe von Rdaa. tritt der Teufel als Widersacher Gottes und als negativer Nachäffer des Göttlichen in Antithese zu Begriffen des Christentums, wie dies auch aus zahlreichen Sagen, Märchen und Sprww. bekannt ist, z.B. ,Wenn Gott heut’ sagt, sagt der Teufel morgen'; ,wo eine Kirche ist, da baut der Teufel eine Kapelle daneben4. Luther hat in seinen Predigten und Schriften des öfteren die Redewndg. vom Teufel als dem Affen Gottes gebraucht. In den Predigten über das Buch Mose, die 1523/ 24 gehalten worden sind, erscheint das Wort wohl zum ersten Male; in der Nachschrift findet sich der Satz ,Semper simia vult esse dei diabolus4 (Weimarer Ausg. 14, 434). In der Schrift ,Von den Konziliis und Kirchen4 (1539) hat Luther in längeren Ausführungen die verschiedenen Möglichkeiten des Wortes ausgebaut. Nach der Darlegung der sieben Hauptstücke, woran das heilige, christliche Volk äußerlich erkannt werden könne, hat er auf das Gegenteil der Kirche hingewiesen: des Teufels Kapelle, die dieser stets neben die heilige Kirche baue, „wie er denn allezeit Gottes Affe ist und will alle Dinge Gott nachtun und ein Besseres machen44. Alles das rechnet Luther zu dem „Affenspiel“ des Teufels. In den Vorlesungen über 1. Mos. 37,9 findet sich die zugespitzte Formel: „a Diabolo, qui est Simia Dei“ (Weimarer Ausg. 44, 247). Die Quelle, aus der Luther den Ausdr. geschöpft hat, ist nicht Agricolas Sprww.-Sammlunggewesen. Zwar ist in ihr das Wort unter Nr. 24 verzeichnet: „Der Teuffel ist unsers Herr Gotts affe44, aber schon die viel frühere Verwendung in der Predigt von 1524 zeigt Luthers Unabhängigkeit von Agricola. Doch zeigt Agricolas Sammlung, daß es sich bei diesem Ausdr. um eine sprw. Rda. handelt (vgl. Wander IV, 1076, Nr. 416). Bei keinem Autor der alten Kirche kommt der Ausdr. ,simia Dei4 vor. Das Belegmaterial des Thesaurus Linguae Latinae in München, das bis zum Jahre 600 n.Chr. reicht, enthält keine Nachweise für diesen Terminus. Die sprw. Wndg. ist vielmehr im dt. MA. geprägt worden. Bei Caesarius von Heisterbach (gest. 1240) heißt es: „facies eius (sc. diaboli) ad instar simiae disposita44. Hier ist der Teufel noch nicht als ,Gottesaffe4 definiert, vielmehr ist in ganz konkreter Denkweise das Antlitz des Teufels als ,Affengesicht4 bezeichnet. An anderer Stelle redet Caesarius von den bösen Geistern als den „daemones in formis simiarum44. - Immer wieder ist in ma. Darstellungen der Teufel als affenartig beschrieben. Offenbar schwebte den Verfassern das Bild des Menschenaffen vor. Es kommt vor allem in der Predigt der Zisterzienser vor, und das bildkräftige Wort ist dann zweifellos weiterentfaltet worden: Der Teufel wird zum Nachäffer Gottes. Schon in frühkirchlicher Zeit aber ist der Gedanke zu finden, daß die Dämonen die christl. Sakramente nachgeäfft haben. In der iran. Religion ist die genaue Nachahmung der göttlichen Welt durch den Gegengott bezeichnend. Dieser Dualismus ist in frühchristl. Vorstellungen übernommen worden. Des Teufels Dank; Jörg Wickram bringt in seinem ,Rollwagenbüchlein4 Nr. 37 (S. 148), die Geschichte von dem Spieler mit dem Teufel, die Hans Sachs in einen Meistergesang und ein Spruchgedicht eingekleidet hat. Dem Teufel ein Licht anzünden (oder: eine Kerze anzünden, auf stecken; auch: dem Teufel zwei Lichter auf stecken): einer schlechten Sache aus Gewinnsucht huldigen; vgl. frz. ,se confesser au renard4; engl. ,to go to the wrong shop4. Das Bild der dt. Rda. zeichnet die teuflische Verkehrung eines Gottesdienstes: In der Kirche zündet man ein Licht an und steckt es vor einem Gnadenbild auf; wer aber den Teufel für sich günstig stimmen möchte, steckt ihm ein bzw. zwei Lichter auf. Hier wird der Teufel zum Gegenstand eines Kultes gemacht. Zur Rda. gehört folgende Erzählung: Beim Kirchenbesuch geschah es einer Frau, daß sie irrtümlicherweise unter dem Bild des Teufels - er versteckte sich hier in einer Darstellung des Erzengels Michael - ein Licht anzündete. Als man sie ihres Irrtums wegen verspottete, verteidigte sie sich mit den Worten: ,Es ist gut, in allen Lagern Freunde zu haben4. 1069
Teufel 1/2 .Dem Teufel ein Licht anzunden’ 3 ,Beim Teufel zur Beichte gehen1 4 ,Dem Teufel auf den Schwanz gebunden' Den Teufel anbeten: sich einem falschen Idol verschrieben haben, dem Bösen huldigen. Auch beim Hexensabbat bildete die Teufelsanbetung den Höhepunkt des wilden Treibens. Es handelt sich um ein Bild der verkehrten Welt, wie es auch Bruegel neben der verwandten Rda. beim Teufel zur Beichte geben (ndl. ,bij de duivel te biecht gaan") in seinem Rdaa.-Bild dargestellt hat; vgl. „Das wird e schö Kloster sei, wo der Teufel die Beicht hört“ (Zuckmayer, Schinderhannes, L. Akt). Einen solchen Teufelskult schildert auch Hans Sachs in seinem Schwank .Der Spieler mit dem Teufel" (1, 518f.): ... Mit dem der spiler da hin get, Der nur noch ainen pfening het. Kauft ein Wachslicht vor der thumthuer Vnd zuent das an vnd steckt das fuer Den dewffel, sprach: ,0 gsele mein, Nem von mir an das Opfer klein!" Das weiß der Teufel!: Das weiß ich nicht! Frag andere! Ebenso: ,Das mag der Teufel (der Kuckuck) wissen!"; schwäb. ,Des 1070
Teufel verschtand dr TeufT; ,des mag dr Teuf’l leasa4; vgl. frz. ,Le diable le sait1; ndl. ,Dat mag de duivel weten4; aber engl.,Goodness knows4. Weil man den Namen Gottes nicht mißbräuchlich verwenden soll, hilft man sich in Flüchen und fluchähnlichen Äußerungen mit dem Umweg über den Teufel, der auf solche Weise ein Stück von Gottes Allwissenheit erbt. Allerdings sind in dä- monistischer Auffassung auch die Dämonen Alleswisser, vor allem Wisser des Ungünstigen (vgl. das ,Alwislied‘ der Edda). Der Fluch In Teufels Namen !\s\ eine Parallelbildung zu ,in Gottes Namen4; die Formel ,in drei Teufels Namen' eine Gegenphrase zu den heiligen Namen der Dreifaltigkeit. Sie ist lit. im 18. Jh. belegt. Die in Oesterr. verbreitete Rda. den Teufel ausläuten wird gebraucht, wenn nervöse Kinder mit den Beinen hin und her schlenkern. Es wird das Bild eines stummen Geläutes veranschaulicht: für den Teufel wird keine Glocke geläutet, sondern nur einem gläubigen Menschen (vgl.,Hunde aus- oder einläuten4; ,einen Esel zu Grabe läuten4). Heute ausgestorben ist die Rda. dem Teufel auf den Schwanz binden. Thomas Murner sagt in der ,Schelmenzunft4 von den Selbstmördern, sie seien dem Teufel auf den Schwanz gebunden, der sie darauf mit in die Hölle nimmt. Die Szene ist auch in den Abb. der ,Schelmenzunft4 vertreten. In dem Roman ,Der Wassermann4 des schles. gebürtigen Schriftstellers Friedr. Bischoff findet sich die Wndg. über den Teufelsschwanz springen: auf die schiefe Bahn geraten (S.260). Sehr drastisch ist die erst in der jüngsten Zeit (20. Jh.) aufgekommene Rda. Der Teufel hat (ihm, auf ihn) durchs Sieb geschissen: er hat Sommersprossen. In einer großen Zahl von Sprww. und Rdaa. ist der Teufel nur noch ein sprechender Name. Das Volk sieht in ihm nicht so sehr das geistige Wesen, den Widersacher Gottes, als vielmehr eine recht vermenschlichte Erscheinung mit ganz konkreten menschlichen Eigenschaften und Fehlern, die ihn wohl lächerlich, aber doch im großen und ganzen nicht abstoßend machen. Immer mehr ist also die Furcht vor dem Teufel geschwunden. Die mitleidigen Wndgn. armer Teufel, dummer Teufel: armer, bedauerns¬ werter Mensch, stehen jedenfalls auf einer ganz anderen Ebene als die bibl. und Volksglaubens-Auffassungen vom Teufel. Sie beruhen auf dem betrogenen Teufel des spätma. Fastnachtsspieles und Schwankes. Es gibt z. B. einen Schwank von Hans Sachs, wo der Teufel hinter dem Ofen - der Platz heißt im Volksmund Hölle - spielenden und trinkenden Landsknechten zusieht, um sie womöglich zu holen; hinterm Ofen haben die Landsknechte aber auch einen erbeuteten toten Hahn aufgehängt. Einer von ihnen sagt zum Wirt: Geh hinter den Ofen in die hei Und paid den armen deuffel nem. Rupf und lass praten in. Das bezieht der Teufel auf sich und flieht entsetzt. Jörg Wickram erzählt 1555 in seinem ,Rollwagenbüchlein4 von einem Bauern, der vor Christi Bild eine Kerze aufstecken will und dabei sieht, daß man das Bild des Teufels in einen finsteren Winkel gestellt hat; da beschleicht ihn Mitleid, und mit den Worten ,Ach, du armer Teufel!4 stellt er auch vor den Teufel eine Kerze. Ähnl. volkstümliche Erzählungen über den geprellten und verkannten Teufel sind in der Schwank- und Märchenlit. seit dem 16. Jh. häufig. Teufelserzählungen, meist schwankhafter Art, und Rdaa. stützen sich hier gegenseitig. Eine oberhess. Erzählung der Sammlung Th. Bindewalds vom Typ AaTh. 1130 begründet z. B. ,Warum man spricht: Der arme Teufel4: Aufgrund eines Paktes hat der Teufel einen Sack mit Goldstücken zu füllen. Da ihm jedoch ein durchlöcherter Sack aufgehalten wird, verliert er nicht nur eine Unmenge blanker Taler, sondern auch dazu noch die Seele seines Kontrahenten, weil er den Pakt nicht einhalten kann. Die rdal. Wndg. ,der arme Teufel4 geht vermutlich auf den bibl. Bericht von der Versuchung Jesu zurück. Die Reiche und Herrlichkeiten der Welt, die der Satan verspricht, sind nur Blendwerk: Jesus weist ihn in einer dramatischen Bearbeitung dieser Episode mit den Worten ,verfluchter armer Sathan...44 zurück. Ähnl. sagt auch Berthold von Regensburg: „so sprechent echt eteliche, man ergebe sich dem tiuvel umbe guot. Daz ist ein gespöte: wan er mac einen helberlinc niht geleisten, er ist reht 1071
Teufel ein armer wiht, ein dürftiger... pfi, ir tiuvel, schämt ir iuch des niht, daz ir also liegent, daz ir pfeffinge habent? geloubet mir, ir hêrschaft, der tiuvel ist reht ein dürftiger armer: er enmac einen helbelinc niht geleisten“. Die urspr. metaphorisch gemeinte Stelle scheint später - etwa in der Zeit der Hexenprozesse - konkret aufgefaßt worden zu sein, wenn in den Hexenprozessen immer wieder zu lesen ist, daß sich den Hexen das vom Teufel empfangene Handgeld andern Tages in wertloses Zeug verwandelte. 1689 bekennt eine Hexe aus Ostrau bei Halle: „ihr Junker... wäre ein gar armer Teufel, hätte ihr 6pf. versprochen, aber nicht gehalten“. Ähnl. läßt noch Goethe seinen Faust zwar nicht die konkrete Wirklichkeit der Teufelsgaben bezweifeln, doch ihre Beständigkeit in einem höheren Sinne: „Was willst du armer Teufel geben?“ (,Faust‘ V. 1675). Die Armut des Teufels wird aber auch damit begründet, daß er weder Leib noch Seele habe. Doch ist dies keine spezifisch teuflische Eigenschaft, sondern eine der Engel, ohne daß man diese deshalb ,arml nennen würde. Von einer streitsüchtigen Frau sagt man: Sie kann selbst den Teufel auf ein Kissen binden; ndl. ,de duivel op een küssen binden1. Die Rda. ist abgebildet in Bruegels großem Rdaa.-Bild, scheint jedoch heute ausgestorben. Die Darstellung bei Bruegel ist nicht singulär, sondern hat ihre Parallelen in der älteren fläm. Kirchenkunst. Frz. heißt es von einer listigen und energischen Frau noch immer: ,Elle lierait le diable sur un coussin avec des rubans1, wie es im flandrischen Aershot, im frz. Isle-Adam (Seine-et-Oise) und selbst in Tarragona und zu Saragossa dargestellt ist, durch die fläm. Beeldesnyders importiert. Dieselbe Deutung hat das Sprw. ,Sie sägt dem Teufel ein Ohr ab‘, dessen Abb. uns nach einer Zeichnung bei Champfleury aus St-Spire in Corbeil (16. Jh.) erhalten ist, ähnl. wie in St-Martin-aux-Bois. ,Den Teufel auf ein Kissen binden1 1072
Teufel Er schwätzt (geigt, lügt), dem Teufel ein Ohr (Bein) weg (oder an); schon in der ,Ge- schichtklitterung4 von Joh. Fischart heißt es: ,,Er flucht dem Teufel ein Bein aus dem Ars und das linke Ohr vom Kopf“, des Teufels Dank davon haben;... und wenn der Teufel auf Stelzen kommt; schwäb. z.B. ,Dear muass Reacht hau, und wenn dr Teuf’l auf Schtelza drhear kommt1; wie der Teufel noch ein kleiner Bub war... (schwäb.); in der Not frißt der Teufel Fliegen. Bei Joh. Fischart finden sich die Wndgn.: „Er trifft das Mittel, wie der Teuffel mit den zweyen alten Weibern“ (,Aller Praktik Großmutter1, 1572); „So fahr der Teuffel in Hew“ (,Geschichtklitterung4); „Hei Teufel, schlag’ dem Fass den Boden aus und schlupf ins Korn“ (,Geschichtklit- terung4); „Das heißt dem Teuffel in den Höllen ein Stuhl in Himmel stellen wollen“ (,Die Gelehrten1). An die Redewndg. vom ,Teufelsbraten4 erinnern die folgenden Rdaa.-Belege, denen aber moderne Entsprechungen fehlen und deren urspr. Bdtg. unklar ist: Die Seel mit Meien besteckt dem Teufel senden (Burkard Waldis). Bei Hans Sachs (III, 3) will einer zwei alte Weiber ,,mit einer Bärenhaut zudecken, mit grünen Rauten bestecken und dem Teufel zum neuen Jahr schenken“; und bei Christian Weise heißt es: „Ja man sollte ihn mit Rosmarin bestek- ken, die Nase vergülden und ihm einen Borstorfer Apfel zwischen die Zähne drük- ken, so könnte man den Teufel drauf zu Gaste bitten“. Von Leuten, die noch schlimmer sind als der Teufel, manchmal aber auch bewundernd, sagt man: Er ist ein Teufelskerl (mhd. heißen die von ihm in Besitz Genommenen ,des tiuvels kinf); ,er ist ein eingefleischter Teufel4; schwäb. ,bei deam möcht’s dr Teuf’l auf d’Läng aushalta4; ,dear glaubt an koin Herrgott und an koin Teuf’l; Joh. Fischart (,Geschichtklitte- rung4): „Die mit dem Teuffel inn die Schul ist gangen“. Der Teufel kommt schließlich in mehreren rdal. Vergleichen vor, z.B. schwarz wie der Teufel; ,er krümmt sich wie der Teufel, wenn er mit Weihwasser begossen wird4;,es geht schluckweise, wie der Teufel ’nen Juden holt4; Abschied nehmen wie der Teu¬ fel - mit Gestank4 (/’Abschied); „auf meim Dachbode sieht’s aus, als hätte tausend Teufel durch die Dachsparrn geschisse“ (Zuckmayer, Schinderhannes, 2. Akt). Weitere Teufels-Rdaa. seien nur aufgezählt: ein Teufel voll Geld; den hat der Teufel im Galopp verloren; vgl. Joh. Fischart in ,Geschichtklitterung4; „Da hat der Teuffel ein gleichs geworffen“. Einer ist dem andern sein Teufel; einer ist des anderen Widersacher. Ein Beleg findet sich in Hocks ,Schönem Blumenfelde4 (Kap. 17, 1601): Es ist kein Freundschafft mehr auff Erdt, Ein Mensch deß andern dheufel. In mehreren Rdaa. spielt des Teufels Großmutter oder (älter) seine Mutter eine Rolle: mit des Teufels Großmutter verwandt sein; er würde den Teufel und seine Großmutter hineinfressen, wenn sie nicht zappelten; ,den Teufel bei seiner Mutter (Großmutter, bei der Hex’) verklagen4; ,du kannst zum Teufel oder seiner Mutter laufen4; ,der Teufel und seine Großmutter hat’s gesagt4; ,wenn der Teufel nicht schon eine Großmutter hätte, die müßte es werden4 (auch bei Jeremias Gotthelf belegt); schwäb. ,die ist wüster als des Teufels Nahne4; vgl. ndl. ,Wij hebben daar met den donderenzijnemoederte doen gehad4; ,hij geeft om den drommel noch zijne moër4; dän. heißt es: ,at slippe fanden og tage ved hans oldemoder4. Schwed. bedeutet ,fanen och hans mor4: alle Welt. In den Rdaa. bedeutet des Teufels Großmutter meist eine Verstärkung der bloßen Teufelsrdaa., z.B. ,Versteh’ das der Teufel und seine Großmutter4 (18. Jh.); „Der Tag wird heiß, der Teufel ist mit seiner Großmutter los“ (Chamisso). Die heute märchenhafte, schwankhaft-komische Figur ist u.a. entstanden aus der häufig zu beobachtenden Tendenz, allen mythischen Gestalten an- dersgeschlechtige Entsprechungen an die Seite zu stellen. Die Rolle, die des Teufels Großmutter im Grimmschen Märchen vom ,Teufel mit den drei goldenen Haaren4 (KHM. 29) hat, ist dieselbe, die schon in der motivgleichen Erzählung des Saxo Grammaticus Lokis Gattin in Lokis Fahrt zu Utgarthilocus spielt. Während im Volksglauben die Gestalt der Großmutter des Teufels durchaus feststeht, tritt uns in der ma. Lit. durchweg des Teufels Mutter 1073
Text entgegen, und zwar nicht nur als Gegenstück zur Mutter Gottes. Nach kabbalistischer Vorstellung hat Gott mit Adam zugleich die Teufelin Lilith erschaffen. Von ihr stammen die unzähligen bösen Geister ab. Ein Fastnachtsspiel von Hans Folz zeigt, daß sie auf dt. Boden wohl bekannt war, und auch in anderen Fastnachtsspielen vom Ende des 15. Jh. wird Lilith tatsächlich als des Teufels Großmutter eingeführt. Für Liliths Ahnfrauenstellung paßte der Name Groß- oder Ellermutter besser als Mutter. Im 16. und 17. Jh. gehen beide Ausdrücke (Mutter und Großmutter) nebeneinander her, z.T. sogar bei denselben Schriftstellern. In der 2. H. des 18. Jh. ist des Teufels Mutter gänzlich seiner Großmutter gewichen. Namentlich hat dann Wilh. Hauff (,Memoiren des Satans4, 1826) die Gestalt mit harmlosem Humor zu beleben gewußt, wie sie dann in die komische Lit. des ganzen 19. Jh. übergegangen ist und noch jetzt gilt. Der Teufel prügelt sein Weib /Kirmes. Der Teufel schert ein Schwein /Geschrei. Ul.: HdA. II, 1575 ff.; RGG3 VI, 703-712; Grimm:Dt. Wb., Bd. XI, I. Abtlg., 1. Teil, Sp. 265-277; Wander IV, Sp. 1058-1130; J. Grimm: Dt. Mythologie, II, 822-860, III, 291-303; Der Teufel im dt. Sprw., in: Protestant. Monatsbl. f. innere Zeitgesch. 22 (1863), S. 108-112; G. Roskoff: Geschichte des Teufels, 2 Bde. (Leipzig 1869-73); Th. Bindewald: Oberhess. Sagenbuch (Frankfurt 21873), S. 148-153; F. Körner: Dt. Götter u. Göttersagen (Leipzig 1877), S. 357-360 (der Teufel im Sprw.); R. Wossidlo: Gott und Teufel im Munde des meckl. Volkes, in: Korrespondenzbl. d. Ver. ndd. Sprachforscher 15 (1891), S. 18-32, 44-48; W. Unseld: Der Teufel in schwäb. Sprww. und Rdaa., in: Alemannia 20 (1892), S. 203-206; A. Wünsche: Der Sagenkreis vom geprellten Teufel (Leipzig u. Wien 1905); A. Götze: Teufels Großmutter, in: Zs. f. dt. Wortf., Bd.7 (1905/06), S. 28-35; E. Lehmann: Teufels Großmutter, in: Archiv f. Religionswiss. 8 (1905), S. 411 ff.; F. v. d. Leye;»; Der gefesselte Unhold, in: Prager Dt. Studien 8 (1908); R. Eckart: Der Teufel im Sprw. der Oberlausitzer Wenden, in: Mitt. d. Ver. f. Sachs. Vkde. 4 ( 1908), S. 311-314; O. Schell: Der Teufel in Sprww. und Rdaa. des Bergischen, in: Zs. d. Ver. f. rhein.-westf. Vkde. 14 (1918), S.215; K. Drewes u. P. Fischer: Der Teufel im Sprw., in: Niedersachsen 25 (1920), S. 529, 26, S. 15; A. Olrik: Ragnarök (Berlin u. Leipzig 1922), S. 287ff.; W. Fraenger: Der Bauern- Bruegel u. das dt. Sprw. (Erlenbach-Zürich 1923); A. Haas: Der Teufel im pomm. Sprw., in: Heimatleiw und Mudderspr. 12 (1931), Nr. 10-13; O. A. Erich: Die Darstellung des Teufels in der christl. Kunst (Berlin 1931 ); M. Rudwin:The Devil in Legend and Literature (Chicago 1931); L. Schmidt in: Das dt. Volkslied 38 (1936), S. 81 f.; H. Colleye: Histoiie du diable (Brüssel 1945); L. Röhrich: Der Dämon u. sein Name, in: PBB. 13 (1951), S. 456-468; ders.: Teufelsmärchen und Teufelssagen, in: Sagen u. ihre Deutung (Göttingen 1965); ders.: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, in: Bayer. Jb. f. Vkde. ( 1959), S. 67 ff. ; R. Dubai: La psychoanalyse du diable (Paris 1953); A. H. Blesken: Gott und Teufel im westf. Sprw., in: Westf. Heimatkalender 9 (1955), S. 69-71 ; /. M. Boberg: Baumeistersagen, FFC 151 (Helsinki 1955); R. Wildhaber: Das Sündenregister auf der Kuhhaut, FFC 163 (Helsinki 1955); J. Sailer: Die Armen Seelen in der Volkssage (Diss. München 1956); W. K. Tantsch: Dt. Teufels- u. Hexennamen (Diss. Heidelberg 1956), S. 8ff.; W. Kayser.Dzs Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung (Oldenburg 1957), S. 35ff.; J. Grauls: Volkstaal en volks- leven in het werk van Pieter Bruegel (Antwerpen u. Amsterdam 1957), S.32ff.; W. Hofmann: Das rhein. Sagwort (Siegburg 1959), S. 164-170; C. Seignolle: Le diable dans la tradition populaire (Paris 1959); A. Adam: Der Teufel als Gottes Affe. Vorgesch. eines Lutherwortes, in: Luther-Jb. 28 (1961), S. 104-109; R. W. Brednich: Der Teufel und die Kerze, in: Fabula 6 (Berlin 1963), S. 141 f.; H.-J. Lixfeld: Gott und Teufel als Weltschöpfer, in: Motive, Freiburger folkloristische Forschungen, Bd.Il (München 1971). Text. Einem den Text lesen: ihn zur Rede stellen, ihm rücksichtslos die Meinung sagen, ihn gründlich vornehmen, eigentl.: einem eine bestimmte Bibelstelle Vorhalten und erklären. Zur Besserung der verwilderten Geistlichkeit stellte Bischof Chrodegang von Metz 760 einen Kanon auf. Nach ihm mußten sich die Geistlichen jeden Tag nach der Morgenandacht versammeln, wobei ihnen der Bischof ein Kap. aus der Bibel (bes. aus 3. Mos,) vorlas, das religiöse Gesetze enthielt, um daran die nötigen Ermahnungen und Rügen zu knüpfen. Verallgemeinernd gelangt die Rda. zum Sinn: eine Strafpredigt halten. Die urspr. Beziehung auf den Bibeltext geriet in Vergessenheit. Schon 1551 heißt es im ,Grobianus4 des Kaspar Scheidt: Der Frawen soit ein Text her lesen. Die Kost sey gar nichts wert gewesen. Vgl. auch: ,die /Leviten lesen'. Einem den richtigen (scharfen) Text lesen (singen): ihn durchprügeln. Aus dem Text kommen und vom Text ab- komrnen stehen im inneren Zusammenhang mit jem. aus dem Text bringen: einen von seinem Thema abbringen, ihn aus der Fassung bringen, das wie alle bildl. Wndgn. mit Text ebenfalls auf die nach dem Bibeltext gehaltene Predigt zurückgeht. Zu tief in den Text kommen: zuviel von einer Sache reden. Beim Text bleiben: folgerichtig erzählen, handeln. Schlesw.-holst. ,Wedder to’n Text griepen4, sich wieder zum Handeln aufraffen. Nun zum Text: Zur Sache! Weiter im Text: 1074
Tier vorwärts in unserer Hauptsache, die durch Reden unterbrochen wurde wie die Verlesung oder Behandlung des Textes durch Zusätze. Die Rda. stammt wohl aus dem Munde von Predigern, die den Bibeltext auslegen und, vom Hundertsten ins Tausendste gekommen, mit diesen Worten zu ihm zurückkehren. Vorgebildet ist diese Wndg. in Lutherischen Ausdrücken, wie z.B. (1523) „Das sey davon gnug gesagt. Folgt nu weytter ynn der Epistel“ (Weimarer Ausg. 12, 335), und „Das wollen wir weiter ym Euangelio sehen“ (ebd. 519). Aber auch ,weiter im Text1 kommt schon bei Luther vor, z. B. „Folget weiter im Text: Solches habe ich zu euch geredet, daß ihr euch nicht ärgert“ (Schriften, hg. v. Walch 11, 1352). Aus der Theatersprache sind folgende Rdaa. entlehnt: Bei dem kommt kein Text: er ist beschränkt, er weiß in einer Unterhal- Saint Thomas4; engl. ,an unbelieving Thomas4. Tick. Einen Tick //tffo//: eigensinnig, eingebildet sein, wunderliche Einfälle haben; entlehnt aus frz. ,tic4 in der Bdtg. wunderliche Angewohnheit4; im 18. Jh. zuerst lit., danach auch mdal. belegt (Küpper I S.318). Tier. Das arme Tier haben: in gedrückter Stimmung sein, sich Selbstvorwürfe machen, mit sich und allem uneins sein. ,Armes Tier4 ist umg. ein bedauernswerter Mensch. Die Umgangssprache, die so viele Tiernamen auf den Menschen überträgt (z.B. Hund, Katze, Esel, Pferd, Ochse usw.), setzt auch das neutrale Tier dem Menschen gleich. Zum Tier herabsinken: roh, ohne Beherrschung seiner Leidenschaften sein. ,Zum Tier herabsinken4 tung nichts zu sagen, nicht einmal Einstudiertes, Auswendiggelerntes kann er Vorbringen. Der Text liegt an der Kasse heißt es spöttisch bei den Kollegen, wenn ein Schauspieler in seiner Rolle steckenbleibt. Lit.: A. Götze: Alte Rdaa. neu erklärt, in: Zs. f. d. Wortf. 4 (1903), S. 332. Thomas. Er ist ein ungläubiger Thomas: er glaubt nur das, wovon er sich selbst überzeugt hat. Die Wndg. bezieht sich auf Joh. 20, 24-29, wo der Jünger Thomas nicht eher an die Auferstehung Jesu glauben will, als bis er dessen Wunden betastet hat („Er aber sprach zu ihnen: Es sei denn, daß ich in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, will ich’s nicht glauben“); ebenso ndl. ,een ongelo- vige Thomas4; frz. ,être incrédule comme Ein gutes Tier sein: gutmütig, aber beschränkt sein. Ein hohes Tier geworden sein: zu einer hohen gesellschaftlichen Stellung und zu Ansehen gekommen sein, ohne geringschätzigen Nebensinn. Als ,großes Tier4 bezeich- nete man dagegen seitdem 18. Jh. den bloß äußerlich vornehmen Menschen, den ,Wichtigtuer4 ohne innere Werte. Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen: jeder hat seinen Vogel. Dersächs. Dialektdichter Edwin Bormann (1851-1912) und Adolf Oberländer betitelten ihre Sammlung humoristischer Gedichte (München 1887) ,Ein jedes Thierchen hat sein Pläsierchen. Zoologischer Lieder-Garten4. Ein Tierfreund sein, ebenso im Tierschutzvereinsein: auf Gewaltanwendung verzich- 1075
Tinte ten, nachsichtig sein; die Anwendung der Rda. setzt stillschweigend voraus, daß man den anderen für einen Ochsen, Esel oder dergleichen, d. h. für ein dummes Tier, hält. Tinte. In die (dicke) Tinte geraten: in Unglück oder Verlegenheit geraten; in der Tinte sitzen: in der Klemme, in der Patsche sitzen. Schon 1520 bei Geiler von Kaisersberg in seinen Predigten über Seb. Brants ,Narrenschiff‘ (130d): „Du bist voller sünd... du steckst mitten in der tincten**. ,In der Tinte sitzen* Tief in der Tinte stecken: in großer Verlegenheit sein. Tinte als dunkle, schmutzige Flüssigkeit steht in diesen Rdaa. parallel mit den gleichbedeutenden Worten ,Brühe‘, ,Patsche*, ,Sauce‘ usw.; entspr. aus der Tinte kommen, sich (oder jem.) aus der Tinte helfen. Du hast wohl Tinte gesoffen?: Du bist wohl verrückt?; in diesem Sinne bei Gottfr. Keller in den ,Mißbrauchten Liebesbriefen* (Ges. W., V, 148): „O du Erznarr! Du mußt Tinte gesoffen haben, daß du ein solches Weibchen kannst fahren lassen!“ Da möchte man doch Tinte saufen! sagt man, wenn man über etw. entrüstet ist oder sich verwundert. Er ist mit Tinte rein gewaschen: er ist vor Gericht freigesprochen worden aus Mangel an Beweisen. Sich mit Tinte waschen: etw. schöner machen wollen und dadurch verderben. Darüber ist viel Tinte verspritzt worden: es ist viel Unnötiges darüber geschrieben worden. Klar wie dicke Tinte /klar. Tippeltappeltur /Tabulatur. tipptopp. Tipptopp sein: in äußerst sauberem und ordentlichem Zustand sein. Die Rda. hat sich gegen Ende des 19. Jh. wahr- scheinl. von Hamburg aus verbreitet; vgl. das gleichbedeutende engl. ,tip-top‘ (zu ,tip* = Spitze, ,top* = Spitze); also eigentl.: ,Spitze der Spitze1. Tisch. Etw. unter den Tisch fallen lassen: einen im Gespräch berührten Gegenstand absichtlich nicht wieder erwähnen, weil man davon kein Aufhebens gemacht zu haben wünscht; erst im 19. Jh. belegt. Bismarck (,Reden* XI, 356): „Die Regierung selbst hat das Monopol unter den Tisch fallen lassen**; /Teppich. Jem. unter den Tisch stecken: ihn überwältigen, ihn zur Ruhe bringen. Jem. unter den Tisch trinken: im Trinkwettstreit überlegen sein; einen klaren Kopf behalten, während der Gegner schon betrunken ist. Unter dem Tisch liegen: betrunken sein. Es geht über Tische und Banke: es geht lustig, unruhig, unordentlich zu. Schlesw.- holst. ,He speit ünner’n Disch*, er betrügt, mogelt. Die Wndg. ist vom Kartenspiel abgeleitet. Schwäb. ,Dem hat man den Tisch vor die Tür gestellt*, man hat ihn fortgewiesen. Die Füße unter anderer Leute Tisch stecken (hängen): sich von anderen ernähren, freihalten lassen, schmarotzen. Der Tisch hat mehr Beine: die Sache ist schwieriger, komplizierter, als gedacht. Reinen Tisch mit etw. machen: es erledigen, beseitigen, gründliche Ordnung schaffen*, aber auch: alles aufessen, was auf den Tisch gekommen ist. Heutzutage wird die Rda. wohl meist auf den Arbeits- oder Schreibtisch bezogen, auf dem nach Beendigung der Arbeit kein Werkzeug oder keine Aktenstücke mehr liegen. Die Rda. ist aber eine Lehnübers. von ,tabula rasa*. In seiner ,Ars amandi* (I, 437) benützt Ovid den wohl schon vor ihm geläufigen Ausdr. „tabellae rasae**, was wir meist in der Einzahl als ,tabula rasa* rdal. gebrauchen; ,tabula rasa machen* auch i. S. v.: noch einmal ganz von vorne anfangen. Bei der lat. Rda. sind die wächsernen Schreibtäfelchen gemeint, auf denen man die eingeritzten Schriftzeichen wieder ausdrückte oder abschabte, um die Platte neu beschriften zu können. 1076
Toast Vom grünen Tisch entscheiden (beurteilen, verordnen). Die Beratungstische der Behörden waren früher mit grünem Tuch bezogen. Die Rda. steht danach geringschätzig für eine von oben ohne wirkliche Sachkenntnisse erlassene Verordnung, des weiteren für jede aus Unkenntnis geäußerte Meinung. Von Tisch und Bett getrennt sein: geschieden sein, die Ehegemeinschaft aufgehoben haben; Fachausdr. der älteren Rechtssprache für ein faktisch getrennt lebendes Paar. Auf den Tisch hauen: energisch werden. Ein Gespräch am runden Tisch führen: ein zwangloses Gespräch mit gleichberechtigten Partnern führen. Ihr dürft mal an der Tischecke riechen: sagt der Vater, wenn die Kinder zu spät zum Essen kommen. Tischtuch. Das Tischtuch ist zwischen ihnen zerschnitten wild von zwei Partnern gesagt, die lange in innigem freundschaftlichem oder verwandtschaftlichem Verhältnis gelebt, sich dann aber entzweit haben, so daß eine Wiedervereinigung, eine Versöhnung unmöglich erscheint. Wahrscheinl. geht diese Rda. im letzten Grunde auf einen alten Rechtsbrauch bei Ehescheidungen zurück: Die Ehegatten faßten ein Leinentuch und zerschnitten es so, daß jeder Teil ein Stück behielt (vgl. J. Grimm, Dt. Rechtsaltertümer II, 304f.). In übertr. Sinne begegnet die Wndg. seit dem 16. Jh. Allg. bekannt ist der Auftritt zwischen Graf Eberhard dem Greiner und seinem Sohn Ulrich nach der für Ulrich unglücklichen Schlacht bei Reutlingen 1377, den Uhland folgendermaßen erzählt: cii.ii in îl.iit, ihr Klfbirn' 5h»«w fomm.nt hin iw ,v«v« Uni iJ'iirtt.-«. u„r purer ui.. «M«**'' ,Das Tischtuch zwischen sich zerschneiden4 Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an dem Tisch, Er schlägt die Augen nieder; man bringt ihm Wein und Fisch; Da faßt der Greis ein Messer und spricht kein Wort dabei Und schneidet zwischen ihnen das Tafeltuch entzwei. Die Zs. ,Kladderadatsch4 kommentiert 1874 (Nr. 57) den Kampf Bismarcks mit der Reichstagsfraktion des Zentrums: Das Tischtuch ist zerschnitten, Ihr wißt, wie das gemeint, Nach ritterlichen Sitten Nun sind wir ewig feind. Wie wir heute sagen ,die /Tafel aufheben4 sagt Hans Sachs ,das Tischtuch aufheben4: Als sie nun das mal gessen hatten, Das gracias sie peten theten. Das Dischtuch man aufhubb danach. Titte ist die ndd. Form von hd. Zitze, umg. und geringschätzig für die Frauenbrust verwendet; übertr.: nichts auf der Titte haben (auch schwach auf der Titte sein): mittellos sein;berl. seit etwa 1910; wie Titteschmek- ken (auch wie Titte mit Ei schmecken): sehr gut schmecken (Küpper II, S.285). Dazu die moderne Sprw.-Parodie: Andere Länder - andere Sitten, Andere Frauen - andere Titten. Toast. Einen Toast auf jem. ausbringen: jem. vor einer Gesellschaft rühmen und nach abschließendem Trinkspruch das Glas zu seinem Wohle leeren. ,Einen Toast ausbringen4 1077
Tobias Tobias. Tobias sechs, Vers drei wird scherzhaft oder rügend zu einem Gähnenden gesagt, der die Hand nicht vor den Mund nimmt. Die Wndg. dient ebenso als Ausdr. der Langeweile, oder man kritisiert damit eine langweilige Gesellschaft. Tob. 6,3 steht u.a.: „O Herr, er will mich fressen!“ In seiner Rede zum Shakespeare-Tag am 14. Oktober 1771 wendet Goethe die Worte „Herr, er will uns fressen“ als Ausdr. der Furcht vor einer schreckenerregenden, ungewohnten Erscheinung an. Die Tobiasnächte halten: nach der Vermählung enthaltsam bleiben. Im 8. Kap. des Buches Tobias wird berichtet, daß Tobias in seiner Hochzeitsnacht betete und enthaltsam blieb und dadurch den bösen Geist Asmodeus überwand, der in seine Braut gefahren war und bereits sieben seiner Vorgänger getötet hatte. Die Forderung der Enthaltsamkeit und des keuschen Beilagers spielt auch im älteren Hochzeitsbrauchtum eine Rolle. Lit.: HdA. II, Sp. 586, Art. ,Ehe‘ von Kummer; HdA. III, Sp. 739, Art. Geschlechtsverkehr4 von Kummer; RGG3 VI, 907; W.-E. Peuckert: Ehe, Weiberzeit, Männerzeit, Saeterehe, Hofehe, freie Liebe (Hamburg 1955); H. L. Jansen:D\e Hochzeitsriten im Tobitbuche, in: Temenos, I (Helsinki 1965), S. 142ff.; L. Röhrich: Tabus in Volksbräuchen, Sagen und Märchen, in: Festschrift Werner Neuse (Berlin 1967). Personifizierter Tod Tod. In einer ganzen Reihe von Rdaa. wird der Tod personifiziert: ,Dem Tod in die Augen sehend ,der Tod hält reiche Ernte1; ,den Tod austreiben4 bzw. ,austragen4 (von den Lätarebräuchen); ,den Tod vor Augen sehen4; schwäb. ,der ist zum Tod in d'Kost gangen4;,der Tod guckt ihm aus allen Gliedern heraus4; ,der Tod hat angepocht4. ,Mit dem Tode ringen4, was ebenso wie der noch heute geläufige Begriff ,Todeskampf4 ur- spr. wörtl. gemeint war, lebt doch der Tod in Volksglaube und Sage noch bis heute als Knochenmann. Der Tod läuft mir übers Grab sagt man beim Empfinden eines plötzlichen Schauers, dessen Ursache nicht erklärbar scheint; niederoesterr. ,Er hat dem Tod ein paar Schuhe gegeben4 (wenn jem. von einer schweren Krankheit genesen ist). So auch pomm. ,dem Tod ein paar Schlurrtüffeln geben4; ,dem Dod he par Schauh schenke4. Die Rda., die von U. Jahn mythologisch gedeutet wurde, ist noch nicht befriedigend erklärt. Er ist gut nach dem Tod schicken sagt man von einem Langsamen und Trägen: er bleibt lange aus. Würde man ihn beauftragen, den Tod zu holen, so bliebe den Zurückbleibenden noch viel Zeit zum Leben. Auch: Der wäre gut nach dem Tod zu schik- ken: er kommt so bald nicht wieder, ln Hans Sachs' bekanntem Fastnachtsspiel ,Der Krämerkorb4 wird zu einem säumigen Knecht gesagt: Du werst gut nach dem tod zu senden, Du dest (tätest) nit paid dein potschafft enden; belegt auch bei Eyering: „Man soit dich nach dem tod aussenden44. Das wird einen sanften Tod haben: die Sache wird wieder still einschlafen. 1078
Tod Er wird einen leichten Tod haben: er ist dumm; eine witzige Rda. des 20. Jh., deren Erklärung erst die Pointe bringt: er hat nicht viel Geist aufzugeben, wird also unbeschwert sterben. Aussehen wie der Tod von Basel: sehr schlecht, totenblaß aussehen. Die Wndg. ,Tod von Basel4 findet sich u.a. in einem Volkslied, das im Almanach von Nicolai abgedruckt ist (E. B. II, 701, Nr. 914): Als ich ein jung Geselle war, Nahm ich ein steinalt Weib; Ich hatt’ sie kaum drei Tage, Da hat's mich schon gereut. Da ging ich auf den Kirchhof Und bat den lieben Tod: Ach lieber Tod zu Basel Hol mir mein' Alte fort! Das junge Weibel, das ich nahm. Das schlug mich alle Tag: Ach lieber Tod von Basel Hätt ich mein' Alte noch! der Klage der Menschen beigefügt, denn solche Texte waren auch sonst integrierende Bestandteile der meisten Totentanzdarstellungen. Da Basel 1439 von einer Pestepidemie heimgesucht wurde, ist der große Auftrag vermutlich kurz danach vergeben worden. Nach neuesten stilistischen und ikonographischen Untersuchungen an restaurierten Resten des Wandbildes datiert man es um 1440 und schreibt es Konrad Witz zu. Der Prediger-Totentanz hat mehrere Übermalungen erfahren. Eine solche Neufassung zeigt die Kupferstichfolge von Matthäus Merian d.Ä. von 1621. Der Klein-Basler Totentanz im Dominikanerinnenkloster Klingental ist als eine Kopie des Prediger-Totentanzes von 1460/80 anzusehen. Hans Holbein schuf erst 1526 seine Holzschnittfolge. Es sind 51 Genreszenen, in denen der Tod die Menschen bei ihrer spezifischen Tätigkeit überrascht. Sie unterscheiden sich wesentlich von der feierlichen Reihung der Paare im Basler To- Klein-Basler Totentanz (,Aussehen wie der Tod von Basel4) Der rdal. Vergleich findet sich auch gelegentlich in der Form ,aussehen wie der Tod im Basler Totentanz4, und diese Variante deutet zugleich den Urspr. der Rda. an. Sie bezieht sich auf eine ehemals in Basel befindliche und berühmte Darstellung, die fälschlicherweise Holbein zugeschrieben wurde. Der ,Basler Totentanz4 war urspr. ein Wandbild, das im 15. Jh. auf die Innenseite der Kirchhofsmauer des Predigerklosters gemalt worden war. Die Darstellung bildete einen fortlaufenden Streifen mit 39 lebensgroßen Figurenpaaren. Der Tod begleitete die Vertreter der einzelnen Stände. Den einzelnen Gruppen waren je zwei Strophen mit der Anrede des Todes und tentanz, der seit dem Abbruch der Friedhofsmauer im Jahre 1805 nur noch aus wenigen geretteten Fragmenten (Hist. Museum Basel) besteht. Der Platz vor der Predigerkirche in Basel heißt noch heute Totentanz4. Totentanz- und Todesdarstellungen vor allem des 16. Jh. haben in anderen Landschaften zu verwandten Rdaa. geführt; bekannt sind vor allem: ndd. ,He sütt ut as de Dod van Lübeck4; ,aussehen wie der Dresdner Totentanz4; ,aussehen wie der Tod von Warschau4;,aussehen wie der Tod von Ypern4 (ndl. ,uitzien als de dood van Ieperen4, im Anschluß an eine wohl zur Erinnerung an die Pest in der Hauptkirche 1079
Tohuwabohu von Ypern aufgestellte Todesfigur von realistisch-schauerlichem Aussehen). Auch lit. verwendet, z. B. in Gottfr. Kellers ,Grünem Heinrich1 (Teil III, Kap. 9): „da ich am Wege eine große vorjährige Distel, die aussah, wie der Tod von Ypern, ins Büchlein zeichnete“. Vgl. auch ,wie das Leiden Christi ausse- hen\ Tod ist schließlich Verstärkung in superlativischen Ausdrücken, wie ,todmüde4, ,todschick4 (sehr elegant),,todsicher1 (ganz bestimmt, eigentl.: so sicher wie der Tod), ,todunglücklich4; ,zu Tode betrübt4 (eigentl.: „zum Tode betrübt44) ist ein Zitat aus Klärchens Lied in Goethes ,Egmont4 (III, 2). Goethe entlehnte die sprw. Wndg. Matth. 26, 38: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod44. ,Mit allem Dod und Deiwel4, mit allem, was dazugehört, mit allen /Schikanen, ndd. Rda. Vgl. auch ,das Zeitliche segnen4 (/zeitlich). Lit.: H. F. Massmann: Die Basler Totentänze in getreuen Abb. nebst geschichtl. Untersuchung (Stuttgart 1847); W. Unseld: Der Tod in schwäb. Sprww. und Rdaa., in: Alemannia 22 (1894), S. 87-89; Bacher: Der Tod von Basel, in: Zs. f. Vkde. 10 (1900), S. 326f.; Der Tod in Rätsel und Sprw. des dt. Volkes, in: Unsere Heimat (Köslin 1933), Nr. 16; A. Gäulen: Die Totensagen des alem. Wallis (Diss. Fribourg 1947); H. G. Wackernagelm: Schweiz. Arch. f. Vkde. 35 (1936), S. 199; A. Gühring: Der Tod in der Volkssage der dt.-sprachigen Gebiete (Diss. Tübingen 1957); H. Rosenfeld:Der ma. Totentanz (Münster u. Köln 1954), S. 103 ff.; Kunstdenkmäler der Schweiz, Kt. Basel Bd.IV (Basel 1961), S.95ff.; P.-H. Boerlin: Der Basler Prediger-Totentanz, Gesch. und erste Restaurierungsergebnisse, Sonderdruck aus: ,Unsere Kunstdenkmäler (Mitteilungsblatt der Ges. für Schweiz. Kunstgesch.) 17 (1966), Nr.4, S. 128-140 (Basel 1967). Tohuwabohu. Es herrscht ein (unbeschreibliches) Tohuwabohu: es herrscht ein großes Durcheinander, ein Wirrwarr. In l.Mos. 1,2 findet sich das von Luther mit „wüst und leer44 übersetzte hebr. ,töhü wa-böhü4. In neueren jiid. Sagen über die Weltschöpfung wird dies z.T. noch näher ätiologisch ausgeführt, wobei ,Tohu4 und ,Bohu4 als die ersten Elemente dargestellt werden: „Die Erde war zu Anfang ,Tohu4 und ,Bohu4, und Finsternis lag auf der Tiefe. ,Tohu4, das war ein grüner Streifen, der die ganze Welt umgab und von dem die Finsternis ausging; ,Bohu4, das waren Ab¬ gründe voller schlammiger Steine, durch die das Wasser rieselte44. Lit.: M. J. hin Gorion: Die Sagen der Juden. Von der Urzeit. Jüd. Sagen u. Mythen (Frankfurt 1913), S.4. toi-toi-toi. Die Wndg. Unberufen, toi-toi- toi! \si um 1930 durch einen Schlager verbreitet worden; sie steht jedoch mit einem alten Volksglauben in Zusammenhang: Lobende Äußerungen wurden allg. gefürchtet, weil diese die bösen Geister aufmerksam und neidisch machen konnten. Um kommendes Unheil abzuwehren, mußte man deshalb dem Lob sofort ein /unberufen hinzufügen. Diese Schutzhandlung wurde noch durch dreimaliges Klopfen auf Holz und den Ausruf ,Toi- toi-toi!4 verstärkt, der lautmalerisch für dreimaliges Ausspucken steht. Der Speichel galt als unheilbannend. Das Ausspuk- ken vor einem Menschen war also urspr. ein Abwehrzauber, kein Zeichen der Verachtung wie heute. Auch das zuerst eingenommene Geldstück, das noch mehr Reichtum bringen, der Spielwürfel, der Gewinn garantieren sollte, wurden bespuckt. Die Formel toi-toi-toiW\rà heute unabhängig von ,unberufen4 gebraucht, wenn man jem. zu einer schwierigen Aufgabe, z. B. zu einer Prüfung, gutes Gelingen wünschen möchte. Li!.: HdA. I, Sp. 1096, Art. .berufen, beschreien* von Perkmann: H. Küpper: 99 uralte Regeln, das Glück zu mehren, dem Unglück zu wehren (München 21952). toll. Toll und voll: völlig betrunken; eine verstärkende Reimformel; urspr. ,voll und toll4, so noch oft bei Luther, z. B. ,An den christlichen Adel deutscher Nation4 (Werke 1,298b). „ßo wurdenn sie zu Rom mercken, das die deutschen nit alletzeit toi und vol sein44. Im ,Ambraser Liederbuch4 (164, 11) heißt es dagegen: „und soit ich werden taub und toll44 (ganz betrunken), ln Umgangssprache und Mdaa. ist die Rda. reich belegt, z.T. auch in erweiterter Form: „Voller Kropf, toller Kopf4; ndd. ,En full Mann, en dull Mann4. Im Sinne des Außerordentlichen prägt toll als Modewort eine Anzahl von festen umg. Wndgn., wie toll vor Freude, jem. ist toll auf etw..’ versessen ; toll essen (trinken, schlafen u.a.); unmäßig. Etw. zu toll treiben: über 1080
Ton das Maß des Vernünftigen hinausgehen. Es kommt noch toller: es wird noch schlimmer. Jem. hat Tollbeerefigegessen:er ist nicht bei Verstand. Immermann 1839 (Werke 2,333 Maync): „Ich glaube, der hat Tollbeeren gefressen“. Der Rda. liegt die Vorstellung von der angeblich toll (d.h. wahnsinnig) machenden Tollbeere oder Tollkirsche (Atropa belladonna) zugrunde. Tomate. Eine treulose Tomate sein: ein unzuverlässiger Mensch sein, der Verabredungen und Abmachungen nicht einhält, aber auch: ein Freund, ein Bekannter, der nicht schrieb oder sich lange nicht sehen ließ. Diese Rda. ist seit 1920 verbreitet und bezieht sich entweder auf die ersten Mißerfolge beim Tomatenanbau größeren Stils am Ende des 19. Jh. oder, was wahrscheinlicher ist, als Schelte auf die im 1. Weltkrieg unzuverlässigen und treubrüchigen verbündeten Italiener. Da sie viel Tomaten anbauten und aßen, wurden sie damit identifiziert; ähnl. bezeichnete man sie in dieser Zeit auch als ,Treubruchnudeln\ Alle Rdaa. über die Tomate sind zu Beginn oder in der Mitte des 20. Jh. entstanden, da die Tomate erst seit der Revolution in der frz. Küche beliebt wurde und später zu uns gelangte. Da die aus Mexiko stammende Tomate seit dem 16. Jh. bes. in südd. Gärten nur als Zierpflanze gezogen wurde, weil sie für giftig galt, und sie auch unter den Namen ,Paradies-4, ,Gold-4 und ,Liebesapfel4 bekannt war, kann das Adj.,treulos4 in der Assoziation zu ,Liebe‘ und ,Gift4 der Tomate später beigefügt worden sein. Eine faule Tomate sein: ein Versager sein, keinen Wert besitzen. Rot wie eine Tomate werden: vor Scham oder Verlegenheit stark erröten. Der rdal. Vergleich dient der Steigerung. Tomaten auf den Augen haben: etw. übersehen, auch: übernächtigt aussehen, noch nicht ganz munter sein. Ähnl.: Tomaten unter den Augen haben: Schatten unter den Augen haben, müde oder krank aussehen. Als Umschreibung für ,dumm sein4 entstand die schülersprachl. noch junge Rda. Tomaten auf der Brille haben. Ton. Den Ton angeben: die Richtung bestimmen, maßgebend sein, regelmäßig den Anfang mit etw. machen, worauf es alle anderen nachahmen. Man möchte bei diesen Rdaa. heutzutage an einen Dirigenten denken, der den Chorsängern oder den Musikanten den Stimmungston angibt, doch stammen die Rdaa. noch aus einer Zeit, in der Ton entspr. der ma. Kunstlehre Tonart4, ,Singweise4, ,Melodie4 bedeutet; in übertr. Sinne seit dem 18. Jh. bezeugt (vgl. ital. ,dare il tono4, frz.,donner le ton4; engl. ,to give the tone4). „Daß in einer Residenz sich alles nach dem Ton stimmt, den der Fürst angiebt44, schreibt der Freiherr v. Knigge (,Roman meines Lebens4 3,11), der durch sein Buch ,Umgang mit Menschen4 wesentlich zur Verbreitung seines Lieblingsausdruckes der gute Ton, d. h. die in einer gesellschaftlichen Schicht übliche Umgangsart, beigetragen hat. Gottfr. Keller (6,236): „Damit er ohne Verletzung des guten Tons alle der Reihe nach ansehen konnte44. Entspr. ein ungezwungener Ton: ein nicht streng an gesellschaftliche Anstandsregeln gebundenes Verhalten. Sich einen anderen Ton ausbitten: ein freundlicheres Verhalten; wien. ,1 bitt’ mir an andern Ton aus4. In einen anderen Ton verfallen, den Ton wechseln: sein Verhalten ändern. Nun gehts aus einem anderen Ton: nun werden strenge Saiten aufgezogen; also urspr.: Jetzt sollt ihr ein anderes Lied, eine andere Melodie singen. So im 16. Jh. in der ,Zimmerischen Chronik4 (11,274): „So Herr Heinrich die zeit erlept haben sollt, wurt er schenk Eberharten auß chraft der acht ain anders liedlein haben singen lernen“. Aus dem Tone kommen, eigentl.: aus der Melodie kommen; erweitert: die Fassung verlieren. Die Rda. ist schon im 14. Jh. bei Gerhard von Minden (61,78 Seelmann 95) vorgeprägt: Unde how it (das Pferd) sere mit den sporen, das it vil gerne hedde enboren, went it is was vil ungewone. do lest do it quam üt der done, do sprak is: ,holdet, leve here,... Den Ton verloren haben: außer Fassung sein, sich nicht mehr zu raten und zu helfen wissen, auch: keinen Ton herausbringen. Keinen Ton verlauten lassen: nichts andeuten oder verraten. 1081
Topf Eine Anzahl von sprw. Rdaa. weist auf die Gleichsetzung von Ton und gesprochenem Wort hin, die seit mhd. Zeit bezeugt ist. Rede doch keine Töne: mach keine Geschichten, Umschweife, ist eine urspr. stud. Rda. Els. ,Du has wider bsundere Tön im Kopf4, Gedanken, Späße. Dicke (oder große, hohe) Töne spucken (reden, kotzen, schwingen): mit Worten sich großtun, großspurige Reden führen, prahlen, ist eine junge umg. Rda. Jem. in den höchsten Tönen loben: ihn überschwenglich loben. Haste Töne?:z\n aus dem Berl. stammender Ausruf des Staunens: Parallelbildung zu: ,Hast du Worte?1 Da haste keine Töne mehr!: da bist du äußerst verblüfft, eine junge Rda., die ebenfalls aus der Berliner Umgangssprache stammt. In diesen Wndgn. bedeutet Ton soviel wie ,Wort4; vgl. ,Er red’t keen Ton4; ,Nu sagen Se aber keen Ton mehr, nich mal Anton!4 Red keine Töne: red keinen Unsinn; etwa seit 1900 aufgekommen. Einen Ton am Leibe haben: ungebührlich sprechen, meist etwa in der Form: ,Hat der aber einen Ton am Leibe!4 Sich im Ton vergreifen: etw. unpassend formulieren. Nicht alle Töne auf der Flöte haben, nicht alle Töne auf der Zither haben: nicht recht bei Verstand sein; berl. seit etwa 1920. Topf. Alles in einen Topf werfen: Verschiedenartiges gleich behandeln, alles vermengen, gleichmäßig behandeln und somit der Eigenart der einzelnen Dinge oder Fälle nicht gerecht werden; in älterer Form 1671 bei Christian Weise in dem Roman ,Die drei Hauptverderber4 (S.85): „dass man den rechten Gebrauch mit dem Mißbrauch in einem Topffe kochen will44. Goethe (Weimarer Ausg. 37,195): „Nachdem die Herren Theorienschmiede alle Bemerkungen in der Dichtkunst, der Mahlerei und Sculptur in einem Topf gerüttelt hatten, so wäre es Zeit, daß man sie wieder herausholte44. Bismarck (,Reden4 1,169): „In Bauerndörfern sollten die Bauernhöfe alle in einen Topf geworfen werden“. Im Oberharz heißt ,Ä Topp un ä Löffel sein4, enge Freundschaft halten, vgl. ,ein Herz und eine Seele sein4. Wie Topf und Deckel zusammenpasseu: sehr gut, so als wären sie von Anfang an füreinander bestimmt. Deshalb auch in Heiratsannoncen: „Suche passenden Dek- kel zu Topf14. Vgl. dazu das Sprw.: ,Auf jeden Topf gehört ein Deckel4; mdal. Jeder Pott hat en Deckel4. Es ist noch nicht in dem Topfe, wo es kochen soll. es ist noch nicht richtig im Gange; ndd. heißt es dafür: ,Dat is lange nich in’t Fat, wo’t suren sal!4 (in dem Faß, wo es säuern, pökeln soll). Der Topf kocht über: die Sache geht schief, vgl. lat. ,011a male fervet4 (Petronius) und frz. ,1e pot s’enfuit4. Sächs. ,Da kannste gleich Töpfchen malen4, du wirst durch kein Mittel etw. erreichen; ,Ich wer’ eich Teppchen malen!4, bildet euch nur nichts ein! Die Rda. ist schon um 1700 bezeugt; sie ließe sich zwar mit dem Hinweis auf gemalte Töpfchen erklären, die wohl für Bauernstuben einen gewissen Wert hatten, ist aber doch mißverständlich eingetreten für ,Döckchen malen4, d.h. Püppchen malen, ein Kind mit gemalten Püppchen freundlich stimmen, und würde also bedeuten: Dir kann man noch so liebenswürdig Zureden, es hilft nichts. Den Topf beim Henkel fassen: eine Sache an ihrem besten Anknüpfungspunkt anfassen. Einen mit dem Topflappen gekriegt haben: nicht ganz bei Verstand sein. Töpfchengucker oder Topfgucker ist die umg. und mdal. Bez. für einen Neugierigen. 1893 bei Gerhart Hauptmann: „Toppguk- ken is nich!44 (,Biberpelz4). Tor. Kurz (oder unmittelbar) vor Torschluß: im letzten Augenblick, gerade noch zur rechten Zeit. An den urspr. Sinn der Wndg. wird heute kaum mehr gedacht. Es zeigt sich aber z.B. in Joh. Peter Hebels Worten „Kann ich vor Torschluß noch in die Stadt kommen?44 (Werke, 1843, IV, 183), daß bei dieser Rda. eigentl. die Stadttore gemeint waren. Wo solche heute noch vorhanden sind, schließen sie die Stadt doch nicht mehr ab. Aber noch bis 1824 wurde z. B. in Leipzig von jedem, der nach der Schließung der Tore in die Stadt wollte, eine Einlaßgebühr, der ,Torgroschen4, erhoben. Wer also gerade noch ,vor Torschluß4 hineinschlüpfte, war froh über die Ersparnis. 1082
Trab Noch vor Torschluß in Abrahams Schoß wollen: beichten, wenn der Tod bevorsteht. Torschlußpanik bekommen (haben) sagt man von einer Frau, die fürchtet, keinen Mann mehr zu bekommen, und deshalb oft überstürzt und ohne zu überlegen unpassende Bindungen eingehen will. Das Tor im Fußballspiel ist im bildl. Gebrauch gemeint in den Wndgn. ein Tor schießen: als Zeuge (oder als Anwalt) dem Angeklagten einen Vorteil verschaffen; ins eigene Tor treffen: sich selber (oder seinen Gesinnungsgenossen) schaden. Dastehen wie die Kuh vorm Scheunentor (oder neuen Tor) /Kuh. tot, Toter. Den Toten vertrinken (oder versaufen, verzehren) wird umg. gesagt von einer Leichenfeier, einem Totenmahl. Vgl. schlesw.-holst, .den Doden sin Hut verte- ren4; mhd. .die Seele vertrinken4; ital. .mangiar i morti\ ,Einen vertrinken4 meint eigentl.r auf dessen Kosten trinken. Der Rda. liegt die alte Vorstellung zugrunde, daß der Tote selbst die Kosten des Mahles tragen muß, also noch Eigentümer der Hinterlassenschaft ist. Das Totenmahl entspricht altdt. Rechtsverhältnis, nach dem der Überlebende sich so lange nicht in den Besitz der Erbschaft setzen durfte, bis der .Erbtrunk4 zum Gedächtnis des Toten feierlich abgehalten war. ,Haut und Habe4 verbleiben dem Erben und werden zur Bestreitung des Totenmahles herangezogen; vgl. ,das /Fell versaufen4. Der tote Punkt /Punkt. Lit.: E. L. Roehholz: Dt. Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit. Bd.I (Berlin 1867) S.302; K.Ranke: Indogerm. Totenverehrung, FFC 140 (Helsinki 1951), I, S. 192f. Totalschaden. Einen Totalschaden haben: völlig verrückt sein; Totalschaden meint eigentl. den nicht mehr zu reparierenden Bombenschaden, die totale Zerstörung eines Hauses; seit dem 2. Weltkrieg (vgl. Sachschaden4); auch ein Automobil kann einen Totalschaden erleiden4. töten. Ausgelöst durch das Mosaische Gesetz .Du sollst nicht töten4, wird der Begriff töten durch eine Fülle verhüllender bildl. Wndgn. umschrieben, z. B. ,um die Ecke bringen4, ,einem den Garaus machen4, ,jem. kaltmachen4, ,killen4 etc.; /zeitlich. Lit.: L. Röhrich: T abus in Volksbräuchen, Sagen und Märchen, in: Festschrift für Werner Neuse (Berlin 1967), S. 8-23. Totengräber. Dem Totengräber von der Schippe gehopst sein: dem Tode entgangen sein; sold, seit dem 1. Weltkrieg belegt. Den Totengräber nicht erwarten können: durch eigene Schuld vorzeitig sterben. Vgl. engl. ,He that lives too fast, goes to his grave too soon4. Wenn etw. verlorengegangen ist, heißt es: Der Totengräber hat's geholt. Tour. Das frz. Wort ,tour4 = Reise, Reiseweg in der übertr. Bdtg. ,der übliche Verlauf4 kennen die Wndgn.: in einer Tour: ohne Unterbrechung; seine Tour haben: seinen üblichen Anfall von Verrücktheit haben (wohl verkürzt aus frz. ,tour de folie4). Auf die krumme (dumme) Tour reisen: tiw. auf unehrliche (scheinbar naive) Art versuchen. Auf diese Tour nicht!: So geht es nicht! Die Tour kenne ich!: Diesen Trick durchschaue ich, ich lasse mich nicht täuschen. Jem. die Tour vermasseln: jem. ein Vorhaben vereiteln; jem. auf Touren bringen: ihn antreiben, aufregen; diese Rda. bezieht sich wohl auf ,tour4 im Sinne der Drehungszahl eines Motors, der erst langsam und allmählich ,auf Touren4 kommt (Küpper I, S.321L). Auf vollen Touren laufen: intensiv arbeiten, voll in Betrieb sein. Trab. Jem. auf Trab bringen (oder auf den Trab helfen): einen zu regerer Tätigkeit veranlassen, ihm Beine machen, ihn antreiben, zurechtweisen; vgl. frz. ,faire aller quelqu’un plus vite que le pas4. Jem. in Trab halten: ständig dafür sorgen, daß er viel zu arbeiten hat und keine Zeit zum Ausruhen bekommt. Nun mach aber Trab: beeile dich; diese Rdaa. sind vom Pferdetrab abgeleitet und haben als Bild der Schnelligkeit auch in den Mdaa. vielfältige Verbreitung gefunden, hn alten Trab bleiben (fortgehen usw.) wird schon im 15.Jh. von Fischart bildl. angewandt: 1083
Tran aber auf manung er nichts gab, er blieb in seinem alten trab und lebet übel on all schäm. Jem. aus dem gewohnten Trab bringen: ihn von seinen Gepflogenheiten abbringen. Jeremias Gotthelf 1841 in ,Uli der Knecht4: „Das gibt Leute, die nicht aus dem Trapp zu bringen sind, die sich nie weder anstrengen können noch anstrengen mögen, die mit der gelassensten Lauheit dem Elend zuwandern“. Auf (immer auf dem) Trab sein: unterwegs sein, auch aufs Geistige übertr. : geistig sehr wendig und von rascher Auffassungsgabe sein. Tran. Im Tran sein: unaufmerksam, verträumt, schläfrig, langsam sein; eigentl.: etw. betrunken, so vor allem in ndd. Mdaa., z.B. schlesw.-holst. ,He isümmer inTraan4, er ist immer leicht betrunken; von mnd. ,trän4 = Tropfen; westf. ,Tran4 = Tropfen geistigen Getränks. In dieser eigentl. Bdtg. auch lit., z.B. bei Heinrich Heine (Sämtl. Werke, hg. v. Elster, 1,21): „Hat er einen Groschen in der Tasche, so hat er für zwei Groschen Durst, und wenn er im Tran ist, hält er den Himmel für ein blaues Kamisol und weint wie eine Dachtraufe44. Eichendorff (1,200): „Schon vom nüchternen Morgen seid ihr im romantischen Tran!44 Als Tranfunzel (eigentl. eine mit Tran gespeiste, schwach, trübe brennende Lampe) wirdeine langweilig-schläfrige Person umg. bez.; ähnl. Ausdrücke auch in den Mdaa., z.B. sächs. ,Tranfritze4, ,-hanne4, ,-tiegel4, ,-toffel4 und vor allem ,Transuse4. Träne. Eine Träne nehmen: nur einen Schluck trinken, zechen; in Tränen schwimmen: sehr heftig weinen; Tränen melken: Mitleid hervorzurufen suchen (z.B. bei einer Leichenpredigt durch Hervorhebung trauriger Lebensumstände des Verstorbenen das Trauergefolge zum Weinen bringen); auf jem. Tränen Kahn fahren können: ihn zutiefst rühren; ihm laufen die Tränen kreuzweise den Rücken (über den Buckel) runter: er schielt stark. Danken mit einer Träne im Knopfloch: gerührt danken; verkürzt aus iron.: ,danken mit einer Träne im Knopfloch und einer Nelke im Auge4, wobei das Zusammengehörige absichtlich vertauscht wird. Auf die Tränendrüsen drücken: das Mitleid wachzurufen suchen (Küpper I, S.322, II, S.287). Tränen trocknen helfen: Not und Leid lindern; vgl. ndl. demands tränen droogen4. Jem. (etw.) keine Träne nachweinen: den Abschied (Verlust) nicht bedauern. Trapp /Trab. Trara. Ein großes Trara um etw. machen: viel Lärm, langes Gerede um etw. machen. Trara ist ein vom Klang der Trompete oder des Posthorns hergeleitetes Schallwort; lit. bei Christian Weise (,Komische Opern4, 1776, III, 30): „In dem schönen Trarara, das sie um sich hat44 = im Kleiderputz; Fontane (Ges. W„ 1905, 1. Serie V,262): „Um die sechste Stunde kam sie wirklich mit Lärm und Trara, weil Leisesein ... nicht ihre Sache war“. Heute meist in negativer Anwendung: ,Mach kein großes Trara4, mach nicht viel Umstände; ,sich jedes Trara verbitten4, sich Festreden und Ehrungen verbitten. Traube. Die Trauben hängen ihm zu hoch; er macht es wie der Fuchs mit den Trauben: die Trauben sind ihm zu sauer: oder auch nur einfach: saure Trauben!s&gl man sprw. von einem, der aus einem äußeren Zwang von einem Begehren hat abstehen müssen und nun so tut, als ob ihn freie Entschlie- ,Saure Trauben' — ,Die Trauben hängen ihm zu hoch' ßung dazu gebracht hätte. Die Rda. bezieht sich auf die Fabel (Mot. 871) des Äsop (6. Jh. v. Chr.) vom Fuchs mit den Trauben: Der Fuchs, der an schönen, leider für ihn zu hoch hängenden Weintrauben vorüberkommt, tröstet sich mit den Worten: ,Sie 1084
Tretmühle sind mir zu sauer* (vgl. die Abb. aus Stein- höwels ,Äsop4 von 1476). In übertr. Sinne ist die Wndg. seit dem Ausgang des 16.Jh. bezeugt; 1601 bei Eyering (,Proverb. cop.‘ I, 462): ,,Gleich wie der fuchs auch etwan sprach, dem die drauben hingen zu hoch“. < Im Ndd. lautet ein Sagwort: ,De Beeren (Birnen) sün doch suur, sä de Foß, as he se nich langen kunn4; ,wenn kên kummt, wilTk ôk kên, säd de Voss, un slôg mit'n Stêrt an’n Bêrbôm4. Ähnl.: ,Se is mi to krumm, sä de Voss, do hung de Wust an'n Balken4; ,se is mi to krumm, sai de Voss, da satt de Katt met 'ner Worst oppem Borne4. Die Vielzahl und auch die Abweichungen der volkstümlichen Sagwort-Varianten zeigen, daß die Kenntnis von der Äsopschen Fabel offenbar nicht allein auf lit. Wege in die Rda. gelangt ist. Vgl. ndl. ,De druiven zijn zuur4; engl. ,The grapes are sour4 und frz. ,Les raisins sont trop verts4. Li!.: L. Röhrich: Sprw. Rdaa. aus Volkserzählungen, S.271. Traufe /Regen. Traum. Das fällt mir nicht im Traum ein: daran habe ich gar nicht gedacht; darüber hinaus Ausdr. der Ablehnung: Was nicht einmal als Trauminhalt möglich ist, ist in der wachen Wirklichkeit noch weit unmöglicher; lit. schon bei Joh. Pauli: ,,Das komt jhm nicht im trawm für“. Du kannst einem (ja) im Traum erscheinen: wie eine Schreckgestalt Angst einflößen. Dieser Traum ist ausgeträumt: diese Hoffnung ist zerstört. Das ist (du bist) der Traum meiner (schlaflosen) Nächte: der Inbegriff des höchsten Wunsches; oft auch iron, gebraucht in der Anrede: ,Na, du Traum meiner schlaflosen Nächte!4 Einem aus dem Traume helfen: einem Aufschluß über etw. verschaffen. Wie im Traum umhergehen: die Wirklichkeit nicht wahrnehmen. Es ist mir noch so wie im Traum: ich erinnere mich nur dunkel, vgl. lat. ,per nebulam4 (Plautus). Jem. ins Traumland schicken: ihn niederboxen, ihn knockout schlagen; aus dem angloamer. ,dreamland4 der Sportreportersprache etwa seit 1920; entspr.: im Traumland sein (weilen): niedergeboxt werden, besinnungslos sein (Küpper II, S. 288). Treff. Da ist Treff Trumpf: wenn man's gerade gut trifft, gewinnt man; die Bemühung kann aber leicht auch umsonst sein. Die Rda. stammt vom Kartenspiel, wo Treff die Eichel bedeutet. Treff bildete sich, vielleicht mit Anlehnung an ,Treffer4 (,treffender Schlag4), aus südwestdt. ,Treffle\ das man für eine schwäb. Verkleinerungsform hielt, das aber tatsächlich auf frz. trèfle4 = schwarzes Dreiblatt im Kartenspiel (aus lat. ,trifolium4) zurückgeht. In Schwaben kennt man die scherzhafte Verdrehung: ,Da ist jetzt Dreck Trumpf4, da steht es schlecht, da ist nichts mehr zu machen. Dastehen wie Treff-Sieben: ratios sein (vgl. Pik-Sieben), ostdt.-mdt. und nordd. Rda., um 1900 aufgekommen. Von Treff = treffender Schlag stammen die Rdaa.: Jem. kriegt seinen Treff: kriegt etw. ab und jem. einen Treff geben: éinen tüchtigen Hieb versetzen. Treppe. Die Treppe hinauffallen: befördert werden, insbes.: nach Amtsenthebung oder Degradierung eine vorteilhaftere Stellung erhalten. Die Treppe heruntergefallen sein: sich die Haare haben schneiden lassen; Treppen sch neiden: die Haare in unschönen Abstufungen schneiden. Einen die Treppenstufen zählen lassen: ihn die Treppe hinabwerfen, so daß er von einer Stufe zur anderen fällt. Vgl. ndl. ,iemand de trappen laten teilen4. Tretmühle. In die Tretmühle kommen (in einer Tretmühle leben, sein): in einem ständig gleichförmig sich wiederholenden Arbeitsrhythmus stehen; seit dem 19.Jh. bis heute von einer aufreibenden, rein mechanischen alltäglichen Berufsarbeit gesagt. Lit. z.B. bei Hebbel: „Sie können nach Ihren Neigungen und Wünschen leben. Ich arbeite in einerTretmühle44 (,Briefe4, 1904, V, 142); E.v. Wildenbruch (1894): „Gehalt ergattern, Beamter werden, in der Tretmühle gehen, das war’s, woran sie sich ergötzten, wofür sie sich begeisterten44. Vgl. ndl. ,in de tredmolen lopen4. Die Tretmühle entspricht einer alten Mühlentech- 1085
Treu, Treue 1/2 Tretmühle (,In die Tretmühle kommen4) nik; mit einem großen Tretrad, das von innen durch einen oder mehrere Treter gedreht wurde, trieb man Tretmühlen an. Neben von Menschenkraft angetriebenen (wie z. B. die Tretmühle im Bergbau aus Georg Agricola: ,De re metallica1, 1556), gab es auch solche, die durch Ochsen, Pferde oder Hunde bewegt wurden. Auch zur Hebung von schweren Lasten mit dem Kran wurde die Tretmühle benutzt. Im Strafvollzug hat sich die Tretmühle z.T. bis in die Neuzeit erhalten. Noch der engl. Dichter Oscar Wilde mußte sie zur Strafe wegen homosexueller Betätigung besteigen. Ireu, Treue. Jem. ist treu wie Gold: man kann sich auf ihn unbedingt verlassen. Vgl. den lat. Ausspruch über einen treuen Freund: ,Aurum igni probatum est4 (= Er ist Gold, in Feuer geprüft). Im Ndd. sagt man scherzhaft ,He is so tru as’n Lus‘. Die iron, gemeinten Vergleiche bezeichnen dagegen den untreuen Diener oder Beamten: Er ist so treu wie eine Katze bei süßer Milch, wie die Katze im Speisegewölbe, wie ein Kettenhund. Auf Treu und Glauben (handeln): sich auf Anstand, Ehrlichkeit und Recht verlassen, sich nach der alten guten Sitte richten; das Vertrauen eines anderen nicht enttäuschen, eigentl.: nicht von seinem gegebenen Wort, seinem Treuegelöbnis abgehen, auf das sich der andere in gutem Glauben verläßt. Vgl. frz. ,agir de bonne foi4. Ähnl. Wndgn^sind: Treu und Glauben halten und einen auf Treu und Glauben hingehen lassen. Die sprachl. Formel ,auf Treue und Glauben4 war bereits im Mhd. üblich und wurde speziell auf das Verhalten des Minnesängers bezogen. Der höchste Lohn für einen dienenden Ritter war eine Liebesnacht, die ihm seine verehrte Dame nach langem Werben und Drängen manchmal gewährte. Diese mußte im 12. und 13. Jh. jedoch unbedingt enthaltsam bleiben, was man,beischlafen4 oder,Schlaf auf Treu und Glauben4 nannte. Schon Reinmar wünschte und verlangte eine keusche Probenacht und dichtete: Mac si mich doch lazen sehen ob ich ir waere liep, wie si mich haben wolte. sit mir niht anders mac geschehen. so tuo geliche deme als ez doch wesen solte. und lege mich ir nahe bi... In der ,Zimmerischen Chronik4 ist das „beischlafen uff glauben44 als eine ,,in Sachsen und dann in Niderland an etlichen Orten44 noch bekannte Sitte bezeugt. Sie erfordert starke Zucht und Selbstbeherrschung und bedeutet damit eine sittliche Formung und Ethisierung des Menschen. Diese ritterliche Sitte stammt urspr. aus der viehbäuerlichen Gesellschaft mit ihren alten knabenschaftlichen Bettgemeinschaften und ist später wieder in den bäuerlichen Bereich gelangt, wo die Sitte des Schlafens auf Treu und Glauben vom 17. bis zum beginnenden 20. Jh. bezeugt ist. Das Ndl. kennt im 17.Jh. die beiden Rdaa.: ,op er en deugd queesten4, auf Ehr und Tugend schlafen, oder: ,op goed vertrowen4. Im Ndd. heißt das: ,uppe truwe und loven bi- 1086
Trinken slapen\ und auch im Berner Oberland übte man das Miteinanderverkehren auf Ehre und Treue. Bei meiner Treu! gilt als häufiger Ausruf des Erstaunens oder wird als Beteuerungsformel gebraucht, ähnl. Schweiz. ,Bi Treu und Säligkeit Lit.: K. R. V. Wikman: Die Einleitung der Ehe, Acta Academiae Aboensis, Humaniora XI, 1 (Abo 1937); W.-E. Peuckert: Ehe. Weiberzeit, Männerzeit, Saeter- ehe, Hofehe, freie Liebe (Hamburg 1955), S.394L Trichter. Auf den (richtigen) TricJiter kommen: den richtigen Weg finden, eine Sache richtig erfassen, endlich begreifen; einen auf den (rechten) Trichter bringen: ihm den Weg zum Richtigen weisen. Diese Rdaa. sind seit dem 17./18. Jh. bezeugt und gehen auf den Trichter als Gerät zum Einfüllen zurück, vgl. den .Nürnberger Trichter' (/Nürnberg); entspr. eis. ,Der hat och kein kleinen Trichter', er hat einen großen Kopf. Dazu noch schwäb. ,in den Trichter jagen4, in die Enge treiben. Vielleicht bedeutet diese Wndg. eine Parallele zu der Rda. ,ins Bockshorn jagen', falls damit das Hineinjagen in das hohle Horn gemeint ist, das sich ebenfalls wie ein Trichter verengt, /Bockshorn. Trick. Das ist sein Trick, auch Das ist Trick Siebzehn: ein ihm eigentümlicher Kunstgriff, Kniff, der überraschend angewandt wird und nicht immer ohne Täuschung zu sein braucht; einer der beliebtesten und wirksamsten Tricks von jem. ,List\ ,Kniff4, .Täuschung4 drückt auch ,trick4 im Engl, aus, woher der kartenspieltechnische Ausdr. im vorigen Jh. in die dt. Umgangssprache übernommen wurde. „Jedenfalls ist dieser neue Trick (seines Vaters, ihm die Ausgaben zu kürzen) wieder sehr unangenehm44 schreibt Friedrich Engels an Karl Marx (1851). Bismarck: „Sie kompromittieren sich ganz unnütz für ein Spiel, in dem der Trick für Sie gar nicht in den Karten steckt, wo gar nichts zu gewinnen ist44 (,Reden4 XII, 232). Die Tricks von jem. (allmählich) kennen und hinter den Trick von jem. kommen: hinter seine Schliche kommen. Auf einen neuen Trick gekommen (verfallen) sein: sich ein wirksames Mittel ausgedacht haben. Triller. Mit einem Triller über etw. hinweggehen: etw. leichtfertig abtun. Die Rda. läßt an das Bild des Sängers denken, der über Schwierigkeiten trillernd hinweggeht. Bismarck gebraucht die sonst vor allem in den Mdaa. nicht belegte, nach seinen Worten aber geläufige Rda.: „Das eigentliche Ingrediens im Gesetze fehlt gänzlich. Sie sind darüber, wie man sagt, mit einem Triller hinweggegangen, mit der Hinweisung auf den Bundesrat44 (.Reden4 XIV, 431). Vom Berl. ausgegangen ist die Wndg. Du hast einen Triller: du bist wohl verrückt. „Entschuldigen Sie, aber Sie haben in dieser Beziehung einfach einen kleinen süßen Triller44 (M. Hausmann, Abel mit der Mundharmonika, 1933, 204). Vielleicht ist die Wndg. durch Übertr. aus dem gleichbedeutenden ,Du hast wohl einen Vogel4 entstanden, denn die Vögel trillern; vgl. auch: .einen Piep haben4. trinken. Die rdal. Wndgn. für trinken und die Folgen des Trinkens sind unerschöpflich. Kein anderes Rdaa.-Feld zeigt so sehr die metaphorische Kraft der Volkssprache, einen solchen Reichtum von Anschauungsweisen, immer neue Ausdrucksmöglichkeiten und Weiterbildungen. Hier kann nur eine kleine Auswahl vorgeführt werden. Einzelne Mdaa.-Bereiche, für die schon Sammlungen über Ausdrücke des Trinkens und der Betrunkenheit vorliegen, seien dazu beispielhaft herausgegriffen. Allein für die pomm. Mda. hat H.-F. Rosenfeld weit über tausend verschiedene Wndgn. verzeichnet, wobei er versucht hat, ,Zu tief ins Glas sehen' 1087
Trinken das Material nach den Vorstellungen und den angewandten sprachl. Mitteln zu ordnen. Der einfache Ausdr. ,betrunken1 (besoffen) ist häufig mit Tiervergleichen verbunden: Schwein, Reiher, Hering, wobei teils an das nasse Element, teils an die Folgen der Trunkenheit gedacht ist. Bes. beliebt ist der /Affe, z.B. ,He hett ’n Apen anbunden4, wobei der drollige Affe das Symbol der Heiterkeit ist. Daneben stehen Sachvergleiche, z.B. »betrunken wie ein Faß4. Lieber als das offene Wort »besaufen4 verwendet man beschönigende Ausdrücke, vor allem die, die das Trinken als ein bloßes Nippen oder Lutschen bezeichnen, auch als ein Naschen, Sich-Genehmigen. Beschönigend sind auch die Ausdrücke, die ein nützliches Tun vorgeben: indem man ,die Kehle geölt4 oder »geschmiert4 hat. Öfter wird der Kneipe die Schuld gegeben: ,Hei hett to lang in'n Krog seten4. Im Gegensatz zur Kneipe steht die Kirche. Aber der Ausdr. »selig4 verbindet beides. Daraus entsteht dann: ,Hei is beseelt4; ,he hett de Seel dööpt4, und der Trinker ruft bei einem großen Schnaps seiner Seele zu: »Duuk di, arm Seel, jetzt waast dööpt4 oder »Duck di, arm Seel, jetzt kimmt ne Wolkenbruch (Platzreje)4. - Die Flasche als das volkstümlichste Trinkgefäß spielt in mehreren Rdaa. eine Rolle, z.B. ,Hei hett tau deip in e Buddel keken4. Bes. auf das restlose Austrinken der Flasche wird gern angespielt: ,Hei het dat Unnerst in'n Buddel hebben wullt4. ,Zu tief ins Glas sehen4 ist eine allg. gebräuchliche Rda. Mit Bezug auf das Faß heißt es: ,He hett to lang unnat Spundloch legen4. Verschiedene Kleidungsstücke werden pars pro toto in Trinkrdaa. genannt: ,He hat sich enen un- ner de Jack goten4; ,he hat enen in de Mütz4; ,he hat dei Steewla vull4. - Von Körperteilen werden die nächstliegenden, d.h. Hals und Kehle, am meisten genannt: ,den Hals bet haben hin vull hebben4; »den Kanal vull hebben4; daneben ähnl.: ,den Leib (den Pansen, den Balg) vull hebben4. - Sehr reich sind die Zusammensetzungen mit voll, ndd. vull: »drangen-4, ,kna- ren-4, »proppen-4, »schwibbendig vull4. - ,Dicke4 für betrunken gehört in der Hauptsache dem westl. Ndd. an: ,Er ist dick4, »himmelhageldick4, »pudel-4, »katzen-4, »sternblinddick4. Das eigentl. ndd. Lieblingswort aber ist »duun4. Es bedeutet eigentl. »angeschwollen4 und beruht also auf sehr ähnl. Bildvorstellungen wie »dick4 und ,fett4. »Duun4 begegnet vor allem in Zusammensetzungen: z. B. »kanonenduun4, »knall-4, »knüppel-4, »pitskeduun4, »proppe- duun4, »sternhagelduun4, »poppeduun4, auch: »oltduun4 (noch vom Vortag betrunken). - Allg. dt. ist /blau für betrunken. Daneben steht das steigernde »bicksbeern- blau4, total betrunken, »koornbloomblau4, »stiernhagelblau4, »himmelblau4. Für total betrunken wird gern gebraucht: ,He is fa- rich4 (fertig), ,fix und fertig4.- Weitere Wndgn. zeigen das Abhandenkommen des Verstandes: ,He is nich mier bi sich4; ,hei hetts nich mehe all toop4; ,he is total bede- melt4; »dwatsch in’n Kopp4. Bes. Freude hat die Volksphantasie daran, den Zustand des nicht mehr ganz seiner Sinne Mächtigen durch immer neue Bilder zu kennzeichnen: ,Em keem all’t Kleinjeld dörchenanner4; ,he hat sien Huusnummer verjeten4; ,he wett nich meha, wo re tu Huus höört4; ,he find’t Schlötelloch nich mier4; ,hei kinnt siee eijen Wief nich4, ,nich mier Vadder un Mudder4, »sien’n eigen Vadder nich mier4; ,he kennt sich sülfst nich meer4; ,dee kennt sienen Herrgott nich mier4; ,hei is so besa- pen, dat hei von sinem Jesum nicks afweit4; ,he siet den Himmel fere Dudelsack an4; ,de kennt den Himmel nih vöör de Höll4; ,he süht den Hiemel füarn Twegroskenstücke an4; ,dei wett ni, off’t Dach ore Nacht is4; ,he kann den Sünndach nich von Olldach unnerscheiden4; »hesüht sien Großmudder vör'n Postkasten an4; ,den Nachtwächter vor'n hohem Pahl an4; ,he sühd de Katte füärn Lülink (Sperling) an4. Beliebt ist auch die Bezugnahme auf das liebe Vieh: ,He kann nich Koh noch Kalf unnerscheiden4. - Bes. anschaulich wird das Durcheinander im Kopfe des Bezechten gemalt in Wndgn., die sonst eine Benommenheit bezeichnen: ,He hett'n Dussel4, ,he is bedusselt4. Zahlreich sind dabei die bildl. Ausdrücke für den Kopf: ,Dei hett einen in’e Bauwestauw4; ,he hett watt im Steppsel4. Die beliebteste Metapher für den Kopf ist die /Krone. ,He hett einen inne Krone4; ,he hat sich gekroont4; ,de föört all Karussell4. Wo es so im Kopf bereits im Kreis herum¬ 1088
Trinken geht, da sieht man einen Kampf zwischen dem Bezechten und dem Alkohol, der mehr oder weniger personifiziert wird: ,Wer is nu de sterkst, hei oder dei?4 - Wer bezecht ist, steht nach volkstümlicher Auffassung in Flammen. Brand bez. vielfach den Durst, der erst gelöscht werden muß: ,Hei hett 'n schönen Brand‘ (großen Durst; /Brand). Er wirti dabei gern personifiziert und häufig mit dem Vornamen Johann versehen: ,He hett mit Johann Brand snaakt4; ,he hett sinen Fründ Brand drapen'; ,he hett mit Herrn Brand Brüderschaft maakt4. Dieser Gebrauch ist wohl beeinflußt von der Benennung der Trunkenheit nach bekannten Schnapsfabrikanten; z.B. ,Sien best Fründ is Carl Saß4 (Carl Saß war der Inhaber einer bekannten Kornbrennerei in Stralsund). Vom Feuer ist der Begriff .einheizen1 genommen. Andere Wndgn. zielen auf das gerötete Gesicht des Bezechten: ,Hei hett illuminiert1; ,sien Nees lücht rich- digk; ,hei lücht as ’n Roos4. - Verschiedene Ausdrücke sind vom Schwanken des Schiffes genommen: ,He het hoge Seegang4; ,er hat Schlagseite4; ,he hett sine Ladung wech4; ,schwer geladen4.- Fast unerschöpflich sind die Ausdrücke, die den Betrunkenen von der Art seiner schwankenden Fortbewegung her bezeichnen: ,He is schreeg4; ,he kann nich mier grad gan4; ,he geit, as wenn a Hunnliss von e Hochtied kimmt4; ,he stölwert öwer sine egen Be- nen4; ,he kann nich meh upp de Ritz gan4; ,denn is ’t Straat to smal4; ,wenn dee de Wenn man nich inlÖppt4. Das Torkeln oder Fallen wird gern auf einen Schaden oder eine Krankheit der Beine bzw. Füße zurückgeführt: ,He is schwach up de Beinen; demm dreje de Feit nich mee4; ,dem is dei Brannwien inné Bein schate4; ,he hett’t Spatt in de Kneegeling4; ,he hett sich dei Bein uuthuukt (ausgehakt)4. Das Fallen selbst wird durch mancherlei Bilder ausgemalt: ,He het mit de Dele Frindschaft4. Aus den Sammlungen des südhess. Wb. verzeichnet H. Schudt die folgenden mdal. Rdaa.: ,Er is bloo4, ,brau\ ,grie‘,,schwarz4; ,er is so schwarz wie e Krobbe4 (eiserner Kochtopf); ,er hot e Hieb4, ,en schwere Hieb4; ,er hot en Balle4, ,e Schraub4, ,e Rad4. Ein Andenken an die wüsten Verhältnisse im Dreißigjährigen Krieg dürfte der Ausdr. ,Er hot en Schwed4 (vielfach belegt) sein. ,Er es net me alia4; ,er hot an setze4; ,er hot aner hocke4; ,er hot aner weg4; ,er hot sich ane eigewickelt4; ,er hot zu dief ins Dippche geguckt4; ,der hot zu dief in Gläsje geguckt4; ,er hot zu vel ge- howe4; ,der hot viel hinner die Bind ge- gosse4; ,er hot ohn geheerig iwwer die Schnur geha4; ,er hot an iwwern Durscht gedrunke4; ,er hot e Fässl im Kopp4; ,in de Krön4; ,er hot sich die Schnut gedünkt4, ,er hot aner im Dibbe4; ,er hot sich die Kutt vollgesoff4; ,er hot den Stiwel voll4; ,er hot sei beschte Zug im Hals4. Vom Bild des beladenen Wagens kommt: ,Er hot gelade4; ,er hot schebbgelade4; ,er hot sei Fuhr4. ,Er is so voll wie e Kanoune4; ,er is kano- nevoll4, ,stechkanonevoll4, ,stechgranate- vollgesoff4; ,so voll wie en Nachtstuhl4, ,wie en Sack4, ,wie en Krobbe4, ,wie e Kuh4, ,wie e Sau4, ,wie 100000 Mann4. Eine Fülle von lebensnahen sprachl. Bildern und gleichnishaften Rdaa. hat auch das Schwäb. aufzuweisen; W. Unseld hat u.a. zusammengetragen: ,Komm m’r teant a bisle Gottg’segnes4; ,i moi, den häb’s4; ,der mag’s Bier au’ net!4; ,der schütt’ nex in StiefT; ,der hat au z’tuif ins Gläsle guk- ket4; ,der sauft wie a Roigl4 (Mitglied einer Studentenverbindung); ,des ischt a wan- delnd’s Fäßle4; ,der sauft, bis’m Binsa im Arsch wachset4; ,der sauft wia a Bürschta- binder4; ,der hot koin schleachta Zopf4; ,der hot koin übla Brand4; ,der hat koin schleachta Balla4; ,der hat au seine beschte Züg im Hals4; ,dem ischt dr Wei in Kopf gschtiega4; ,der hat fescht glade4; ,der hat a Fäßle gwichst4; ,der hat scho en Schtern- haglrausch4;,der hot über d’Schnur ghaue4; ,der hat en Dapps4; ,der hot koin schleachta Dampel4; ,der sauft wia a Loch4; ,der hat scho a ganz Heuretguat versoffa4; ,der hot au en Schtich4; ,der hot sei Debetat4; ,der hot koin schleachta Dulo4; ,der hot a bissele z'viel g’lupft4; ,der haut z’tief in da Kruag g’luaget4; ,der hot z’viel unterm Dächle4; ,der hot a bissele z'viel unter d’r Kappa4; ,der hot schiaf g’lada4; ,der hot de richte Bettschwere4; ,der handlat mit Affa4; ,der hot en scheana Dampes4; ,der trait en scheana Fahna hoim4 ; ,der isch z’lang in der Kircha gwea, wau ma mit de Schoppagläser zämaläutet4. 1089
Trippstrill An weiteren Rdaa. sind noch zu nennen: ,Der Flasche (dem Glas) einen vors Köpf- chen hauen1, sie öffnen, zu trinken beginnen (Sauerland); ,jem. unter den Tisch trinken1; ,sich die Kuttel vollsaufen4 (Pfalz); ,sich die Hucke vollsaufen‘ (Westf.); ,sich die nötige Bettschwere antrinken4 ; ,sich einen auf die Lampe gießen4 ; ,jem. hat zu tief ins Glas geschaut4; ,jem. hat sich eklig einen angeduddelt4; ,sich einen unter die Weste jubeln4; ,jem. ist voll über beide Ohren4, ,vollgelaufen bis zum Rand4; ,sich einen ankümmeln4 (vor allem das Trinken von Kümmelschnaps); ,einen zischen4; ,die Uhr aufziehen4, ein Gläschen Alkohol trinken. $ a tiß $ mit e ft. Zur Bez. eines Trinkers wird ferner gesagt: ,Jem. hat eine trockene, durstige Leber4, trinkt gerne; ,jem. mag das Bier (den Schnaps usw.) nicht umkommen lassen4; ,jem. ist ein Suffkopp4 (Mainz); ,jem. ist ein Saufaus4; ,ein Hans Immerdurst4; ,jem. ist ein wandelndes Bierfaß4; ,jem. säuft wie ein Loch4, ,ist ein Saufloch4; ,jem. säuft wie ein Ochs, Kamel, Pferd, wie eine Kuh, Gans, eine Unke4 usw.; ,jem. säuft wie eine Jungfer, ein Deutscher, Bürstenbinder, Zim¬ mermann, Kapuziner, Mühlrad, Loch, Schwamm4 usw.; ,jem. trinkt das Bier (Schnaps usw.) wie Wasser4; ,jem. tutet gern einen4; ,jem. hat keinen schlechten Brand4; ,jem. bläst gerne einen4; ,jem. trinkt sich den Tod4; ,jem. ist eine Bierleiche, Schnapsleiche4, total betrunken. Ausdrücke für betrunken sein sind weiter: ,kanonen-4, ,haubitzen-4, ,granatenvoll4, ,sternhagel voll4; auch ,besoffen wie eine /"Strandkanone4 (altenburgisch, in student. Kreisen gebräuchl.; vgl. die Stelle in einem hist. Roman von Hans v. Zobeltitz: „Besoffen wie eine Haubitze44); ,sturzbesoffen4, ,blitzbesoffen4; ,jem. ist fett wie eine Eule4 (Westf.), völlig betrunken; ,jem. läuft die Suppe (= Alkohol, Bier, Schnaps usw.) aus den Ohren wieder heraus4 (Münsterland); ,unter dem Tisch liegen4; ,sich einen (ver)löten4; ,sich einen in’n Kappes rammeln4 (Münsterland); ,Talsperre spielen4, sich langsam betrinken (die Talsperre läßt man ,vollaufen4); ,zuviel im Tank haben4; ,im Teer sein4; ,eine Turmspitze für einen Zahnstocher ansehen4; ,einen kleinen Aal haben4; ,einen abbeißen4; ,einen Zopf heimschleifen4. Trinken /Kanal, /Kanne, /Kapuziner, /Kater, /Kehle. Leikauf trinken /Leikauf. Lit.: G. Chr. Lichtenbergs .Patriotischer Beytrag zur Methyologie der Deutschen1 (1773); Woeste: Ndd. Ausdrücke für .trunken sein1, in: Die dt. Mdaa., V (1858), S. 67-74; W. Körte: Sprw. Rdaa. der dt. Zech- und Saufbrüder (Leipzig 21861); A. Otto: Essen u. Trinken im Sprw., in: Archiv lat. Lexicogr. 4 (Leipzig 1887), S. 345-357; H. Schrader: Das Trinken in mehr als fünfhundert Gleichnissen und Rdaa. Eine Sprachwissenschaft!. Untersuchung aus der Methyologie (Berlin 1890); J. Cornelissen: De dronkenschap in de volkstaal, in: Ons Volksleven IX (1897), S. 48f.; W. Unseld: Schwab. Sprww. und Rdaa. Trinken und Verwandtes, in; Zs. f. dt. Mdaa. 1 (1906), S. 177-185; Friedli: Bärndütsch V (1922), S. 455-494; K. Rother: Die schles. Sprww. und Rdaa. (Breslau 1928), S. 104 ff.; H. Schudt: Er ist betrunken (Aus den Sammlungen des Südhess. Wb.), in: Hess. Bl. f. Vkde. 27 (1928). S. 76-89; A. Haas: Das Trinken im pomm. Sprw., in: Blinkfür (Stettin 5./6. November 1932); H. F. Rosenfeld: Ausdrucksfähigkeit und Bildkraft der ndd. Sprache, dargelegt an der Bez. des Bezechten; Sonderschrift des Stader Geschichts- und Heimatvereins 7 (Neumünster 1956). Trippstrill. Nach Trippstrill ist die rdal. Scherzantwort auf die neugierige Frage ,Wohin?4 Im schwäb. Kindertanzlied heißt es noch heute: 1090
Tropfen Danz mit der Dorl, Danz mit der Dorl! Bis nach Trippstrill mit der Dorl. Die Wndg. ist südd. ähnl. verbreitet wie nordd. ,nach /Buxtehude1. Die ältesten lit. Belege für den erdichteten Namen Trippstrill, der z.T. ebenso wie Schilda zur Kennzeichnung eines Narrenortes dient, reichen bis ins 15. Jh. zurück. In einem Nürnberger Fastnachtsspiel vom Ende des 15. Jh. schließt der Herold: Herr Wirt, nun gebt uns euern Segen! Hört ir jemand, der nach uns wolt fragen, Den weist zu uns gen Trippotrill, Da sitzt ein Wirt, der heißt der Füll... In den heutigen Mdaa. finden sich z.T. noch ergänzende Zusätze, z. B. ,Er ist von Trippstrill, wo die Gänse Haarbeutel tragen1 (thür. und schwäb.); ,nach Dribsdrill, wo's die alten Weiber jung mahlen4 (Ober- oesterr.; / Weibermühle), undbes. grob im Schwäb.: ,wo ma de Weiber krumme Arschlöcher bohrt4. Man hat in dem Ortsnamen Trippstrill das württembergische ,Treffentrill4 oder die weimarische Stadt ,Triptis4 finden wollen. Beide Orte werden im Volksmund Trippstrill genannt. Jedoch wird es sich hier wohl um eine nachträgliche Verknüpfung der Rda. mit ähnl. klingenden Ortsnamen handeln. Im Unterschied zum Ortsnamen Trippstrill ist Trippstrill = Dümmling, Tölpel auch im ndd. Sprach- raum bezeugt. Frischbier verzeichnet für Ostpreußen: ,Drepsdrell‘ = langsamer, einfältiger Mensch. Lit.: J. Bolle in: Herrigs Archiv 102, S.253; O. Weise: Firlefanz, Quirlequitsch, Trippstrill, in: Zs. f. d. Wortf. (Straßburg 1902), S.122ff. trocken. Jem. ist noch nicht auf dem trocke- nen:d\t Gefahr ist noch nicht gebannt. Dagegen: auf dem trockenen sitzen: hilflos sein, in Geldverlegenheit sein, festsitzen. Der Realbezug der Rda. ist der Fisch, der auf dem Trockenen ersticken muß (vgl. den Gegensatz: ,wie ein Fisch im Wasser4; ,in seinem Element sein4), oder das Schiff, das bei Ebbe festliegt. Die Rda. ist in übertr. Anwendung seit der Mitte des 18. Jh. bezeugt. Seit dem 19. Jh. bedeutet ,auf dem trockenen sitzen4 auch: ein leeres Glas vor sich stehen haben, nichts zu trinken bekommen (vgl.,trockenes Gedeck4); dazu in der Mitte des 20. Jh. umg.: trocken leben: den Alkohol meiden; trocken reden: eine Unterhaltung ohne Getränke führen; hier ist trockene Luft: hier werden keine Getränke verabreicht; trocken sitzen: nichts zu trinken haben. Jem. ist trocken: hat einen nüchternen, aber treffenden Humor. Ein bes. hagerer Mensch wird als vertrocknet4 bez. Diese Vorstellung des Zusammengetrocknetseins erfährt eine Steigerung durch rdal. Vergleiche: ,so drüge äs en Stock Holt4 (Westf.); ,hei es sau druck es de Forke in 't Heu4 (Sauerland); ,so drög as’n Braotbär4 (Altmark); ,so draige asse Pulver4 (Grafschaft Mark). Vgl. ndl. ,Het is zoo droog als een puimsteen4; ,het is zoo droog als poeder4. Sein Schäfchen ins trockene bringen /Schaf ; noch nicht trocken hinter den Ohren sein /Ohr. Trommel. Etw. auf die Trommel bringen: etw. aufs /Tapet bringen, lit. bei Gotthelf (,Käserei4 385). Ein wahres Trommelfeuer: übertr. für alles, was in großen Massen auftritt. Für jem. die Werbetrommel rühren: für ihn Reklame machen. Eine gelungene Sache begrüßt man: ,Gottsei’sgetrommelt und gepfiffen!4 Nicht auf sich herumtrommeln fassen: sich nichts gefallen lassen. Trompete. Alles austrompeten: vorzeitig Geheimnisse verraten; ebenso: laut in die Trompete stoßen: prahlen und die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen. Er ist seine eigene Trompete: er macht für sich selbst Reklame. Er bläst eine gute Trompete: er trinkt viel und kann noch mehr vertragen. Mit Pauken und Trompeten durchfallen /Pauke. Tropfen. Ein Tropfen auf einen heißen Stein: viel zuwenig und daher völlig wirkungslos. Das leicht verständliche Bild ist seit der 1. H. des 19. Jh. belegt; auch in der selteneren Form: ,Das ist ein Tropfen ins Meer4. Tir. im selben Sinn: ,Das is grad, as wenn man a Gbetle i d’Höll wurf4; in der Pfalz:,einen Bettelbuben indie Hölle werfen4. Bert Brecht verwendete die Rda. in seiner ,Ballade vom Tropfen auf den hei¬ 1091
Trost ßen Stein‘ (,Gedichte4, Bd. III, Frankfurt 1961, S. 170f.). Ein Tropfen Wermut (ein bitterer Tropfen) war dabei (fiel in den Becher der Freude): die Freude wurde durch etw. getrübt. Jem. den letzten Tropfen Blut aussaugen: ihn bis aufs äußerste ausnutzen. Ein guter (edler) Tropfen: ein köstlicher Wein, der sehr alt ist. Gern einen Tropfen nehmen, auch einen Tropfen hinter die Binde gießen: gern Alkohol trinken. Vgl. ndl. ,Hij houdt veel van den drop4; /trinken. ,Steter Tropfen höhlt den Stein4, Beständigkeit führt schließlich zum Ziel. Trost. Nicht recht (ganz) bei Tröste sein: nicht recht bei Sinnen, bei Verstand sein; bes. häufig in der Frage: Du bist wohl nicht ganz bei Trost? Seit der Mitte des 18. Jh. bezeugt: „Trost wird, außer der gemeinen Bedeutung, gantz sonderbar gebraucht, wann wir sagen: He is nich recht by Trost: er ist unrichtig im Kopffe44 (Richey, Idioticon Hamburgense, 1755, S.315). Bei Wieland (Sämtl. Werke, 1794ff., IV, 42): Denn, wenn der König manchmal (Was andern Königen wohl zuweilen auch geschehen) Nicht wohl bei Tröste war. Bei E. T. A. Hoffmann (,Der goldene Topf4): ,,,Der Herr ist wohl nicht recht bei Tröste!4 sagte eine ehrbare Bürgersfrau (zum verzückten Studenten Anselmus)44. Vielleicht knüpft die Wndg. an die Bdtg. ,Hilfe4, ,Schutz4 von ,Trost4 an, vielleicht auch an die von ,Hoffnung4, ,Zuversicht1. Schwab. ,Des isch aller Hure Trost4; man sagt dies, wenn einer sich damit entschul¬ digt, daß andere denselben Fehler gemacht haben. Etw. zum Trost nehmen: zum Ersatz für Verlorenes. Jem. ein Trostpflaster auflegen: ihn durch ein Geschenk beruhigen, meist von einem Kind gesagt, das gefallen ist und durch eine Süßigkeit die Tränen und Schmerzen vergißt. Einen Trostpreis erhalten: auch als Verlierer einen Preis erhalten, um über die Enttäuschung schneller hinwegzukommen. Trotzkopf. Einen Trotzkopf aufsetzen: eine eigensinnige, halsstarrige Haltung zeigen, erscheint zuerst 1679 bei Chr. Weise als trotzende Gebärde4; eigentl. ist der Kopf selbst mit seinen widerspenstigen Gedanken gemeint: „Denn es mag darnach Vorgehen, was da wil, so haben sie ihren Trotzkopf aufgesetzt und wollen entweder recht behalten oder die Heimligkeit soi gleich an den Tag kommen44 (,Polit. Näscher4 67). Die Wndg. scheint nicht in die Mdaa. gelangt zu sein. trüb. Im trüben fischen: aus unklarer Lage Vorteil ziehen, bei dunklen und nicht ganz einwandfreien Geschäften seinen Profit machen; früher gern in Beziehung auf das öffentl. und staatliche Leben gebraucht in der Bdtg.: die gemeine Not oder die Verwirrung der Zeit zu seinen Gunsten wenden und ausnützen. In älterem Nhd. heißt es, ebenso wie z.T. noch in den Mdaa., vollständiger: ,im trüben Wasser fischen4. Die Rda. gehört zu dem über ganz Europa verbreiteten Sprw. ,In trübem Wasser ist gut fischen4; engl. ,it is good fishing in troubled (muddy) waters4; ndl. ,in troebel water is het goed vissen4; vgl. Wander IV, 1339 f. Sprw. und Rda. sind im Dt. seit dem 16. Jh. bezeugt. Der früheste Beleg findet sich in Walter Maps: ,De nugis curalium4, einem Werk, das kurz vor 1200 in England verfaßt wurde, dort in der Formulierung: „In aqua turbida piscatur uberius44. Zur gleichen Zeit sagt auch Peter of Blois, Erzbischof von Bath: „Vulgo enim dicitur, aqua turbida piscisior44. In einer spätma. Sprww.- Sammlung heißt es: ,Flumen confusum reddit piscantibus usum4. Das Sprw. bezieht sich auf eine alte praktische Erfahrung der 1092
Trumpf Fischer, zum Aalfang das Wasser zu trüben, die schon für das alte Griechenland bezeugt wird. In den ,Rittern1 des Aristophanes (11, 864ff.) wird der urspr. Sinn ganz deutlich. Dort sagt der Wursthändler zu Kleon: Gleich ja wie Fischer, wenn sie Aal’ einfangen wollen, tust du: Solange ruhig steht der See, bekommen sie durchaus nichts; Doch wenn sie aufwärts und hinab den dicken Schlamm gerührt. Dann gibt es was. - Auch du bekommst nur, wenn die Stadt du aufwühlst! Dieser Gedanke ist von Erasmus in seinen ,Adagia1 (Paris 1579, Nr. 3679) wiederaufgenommen worden. Außerdem besteht offenbar noch die Beziehung zur Äsopischen Fabel vom Fischer, der das Wasser eines Flußlaufes peitscht, um in dem aufgewühlten, schlammigen Gewässer die Fische in seine Netze zu treiben. Vgl. noch Franz Schuberts Lied ,Die Forelle4 (Text von Schubart): Doch endlich ward dem Diebe Die Zeit zu lang. Er macht das Bächlein tückisch trübe, Und eh ich es gedacht, Da zuckte seine Rute, Das Fischlein zappelt dran. Und ich mit regem Blute Sah die Betrogne an. Kein Wässerchen trüben können / Wasser. Lit.: A. Taylor: ,1t is good fishing in troubled (muddy) waters1, in: Proverbium 1 1 (1968) S. 268-275. Trübsal. Trübsal blasen (seltener : spinnen): trüben Gedanken nachhängen, mißmutig sein; auch: traurig dasitzen. Die Wndg. kann vielleicht ebenso wie die schwäb. Variante ,Trauer blasen4 auf die einen Trauerfall anzeigende Blasmusik vom Kirchturm zurückgeführt werden. Im Gegensatz hierzu steht Schweiz.,Freud blasen4. Heyne (Dt. Wb. III, 1059) hält die Wndg. für eine Erinnerung an das Volkslied: ,,Ich schell (lasse erschellen) mein Horn in Jammerton, mein Freud ist mir verschwunden44 (Herzog Ulrichs Jagdlied; E. B. II, 51, Nr. 258). Sicher erklärt ist die Rda. jedoch nicht. Seit dem 18. Jh. ist sie lit. bezeugt. 1775 schreibt Eva König an Lessing (Lessings sämtl. Schriften 21, 72 Muncker): „Ich Armselige habe so lange in Wien Trübsal geblasen, und nun ich gerne da seyn wollte, sitze ich hier (in Heidelberg)44. In neuerer Zeit ist die Rda. bes. in den obd. Mdaa. mit vielfachen Erweiterungen verbreitet, die ihrerseits wieder Eingang in die Umgangssprache gefunden haben; schwäb. Trübsal blasen und Elend geigen (schwitzen)4; auch: .Langeweile geigen4 (Tirol), .Trübsal blasen und Angst und Not weinen4, über seine Verhältnisse viel klagen, .Trübsal nach Noten blasen4 (köl. und fränk.). In Anlehnung an eine Heilige des Volksglaubens entstand die oberoesterr. Erweiterung .Trübsal blasen und Kummernus geig'n4 (/Kümmernis). Truhe. Etw. in die lange Truhe legen: ungebührlich lange aufschieben, in Vergessenheit geraten lassen, ist nicht so verbreitet wie das gleichbedeutende ,auf die lange /Bank schieben4, jedoch schon 1525 bei Urbanus Regius bezeugt (,Von Leibaygen- schaft oder Knechthait4, 103a): „Laßt der armen leut hendel nit jar und tag in der langen truchen ligen zu irem mercklichen verderben“. Trumpf. Einen Trumpf darauf setzen: etw. mit einem derben Zusatz bekräftigen, das Bisherige überbieten. Die Rda. stammt aus dem Kartenspiel, wo Trumpf, eine volks- sprachl. Vereinfachung von .Triumph4, seit der Mitte des 16. Jh. die siegende, stechende Farbe bez. Die übertr. Anwendung des Wortes ist seit dem 18. Jh. belegt. Zum selben Rdaa.-Feld gehören die Wndgn.: Einen Trumpf ausspielen (oder den letzten Trumpf ausspielen): mit einer bisher zurückgehaltenen, entscheidenden Angabe den Gegner besiegen, etw. Entscheidendes zum Einsatz bringen; Trumpf sein: ausschlaggebend sein; jem. übertrumpfen . ihn übertreffen; jem. abtrumpfen (lassen): ihn zurückweisen, ihn durch eine derbe Antwort zum Stillschweigen bringen; einen Trumpf in Händen haben (oder behalten): einen Vorteil besitzen; alle Trümpfe in der Hand halten: schlechthin unschlagbar, überlegen sein; seine besten (alle) Trümpfe aus der Hand geben: sich seines Vorteils begeben, vgl. ndl. ,Hij ver¬ 1093
Trunkenheit liest zijne beste troeven; jem. die Trümpfe aus der Hand nehmen: die Vorteile des anderen wirkungslos machen; Trumpf wider Trumpf:,Wurst wider Wurst\ Gleiches mit Gleichem vergelten; jem. zeigen, was Trumpf ist: ihm deutlich machen, wie die Dinge wirklich liegen, wer der Mächtigere ist. Vielfache Varianten kennen auch die Mdaa.: ,’s Bschisse isch halt wirklig Trumpf1 sagt man im Bad., wenn Betrüger gerade Oberwasser haben. Zur Bez. einer schwierigen, ausweglos erscheinenden Situation schwäb. ,Da ist Dreck Trumpf1. Ebenfalls schwäb. ,nicht wissen, was Trumpf ist\ sich nicht auskennen. Schlesw.-holst. ,He hett all sien Trümf ut- spelt\ er weiß nichts mehr zu machen. /Treff. Lit.: /Karte. Trunkenheit /trinken. Tube. Auf die Tube drucken: der Maschine erhöhte Geschwindigkeit abgewinnen; mit der Tube ist hier die Vergaserdüse des Verbrennungsmotors gemeint; übertr.: Mitleid und Tränen zu erregen suchen (vgl. ,auf die Tränendrüsen drücken1, /Träne). Tuch. Wie ein rotes Tuch wirken: aufreizend wirken; eine erst in neuerer Zeit belegte Rda., die vom Stierkampf hergeleitet ist. Bismarck sagte im Reichstag (,Reden1 IX, 425): „Ich wirke gewissermaßen wie das rote Tuch - ich will den Vergleich nicht fortsetzen“. Kein Tuch von einer Farbe sein: es herrschen widersprechende Ansichten, gleicher Sinn und Charakter fehlen in einer Gemeinschaft. Vgl. ndl. ,Het is geen Iaken van eene kleur\ Zweierlei Tuch nannte man früher die Uniform der Soldaten, an der Kragen und Aufschläge von anderer Farbe waren als der übrige Rock; dann wurde die Bez. auf den Soldatenstand selbst übertr.: ,Frauen (Mädchen) lieben zweierlei Tuch\ d. h. die Soldaten. Die Rda. wurde auch auf ehemals uniformierte Beamte, in Schwaben auch auf Jäger und Sträflinge angewandt. Die obd. Kennzeichnung eines leichtsinnigen Menschen als,leichtes Tuch‘ war früher so geläufig, daß man auch nur sagte: ,Du bist ein Tuch\ auch: ,ein erzfaules Tuchk; vgl. schwäb. ,Der hat e leicht’s Tuch am KitteP. Das Tuch an fünf Zipfeln nehmen wollen: übergenau, sehr knauserig sein, zu viele Vorteile für sich haben wollen. Ins volle (ganze) Tuch schneiden können: die ausreichenden Mittel für ein Unternehmen besitzen, nicht rechnen müssen; vgl. frz. ,11 peut tailler en plein drap‘. Tuchfühlung halten: eng nebeneinander stehen, auch übertr.: eine Verbindung nicht abreißen lassen; geht von der Soldatensprache aus und hat 1909 eine erste Aufzeichnung erfahren. Während urspr. das Berühren mit den Ärmeln der im Glied stehenden Truppe gemeint war, hat die Rda. im 20. Jh. viele übertr. Bdtgn. erhalten: ,auf Tuchfühlung eingestellt sein‘, engumschlungen, intime Beziehungen zu einer Person des anderen Geschlechts unterhalten; ,auf Tuchfühlung gehen1, eng an jem. heranrücken, sich anbiedern; ,in Tuchfühlunggehen1, eng aneinandergeschmiegt gehen. Tuck. Jem. einen Tuck antun: einem einen hinterlistigen Streich spielen, ihm heimlich schaden. Tuck, verwandt mit ,Tücke\ bedeutet mhd.: schnelle Bewegung, böser Streich und ist bis auf einige mdal. Ausnahmen nur in Form der sprw. Rda. in der heutigen Umgangssprache geläufig. Meckl. ,Tuck hoIlen\ bei einer Sache bis zum Ende ausharren. Tüpfelchen /i. Tür. Mit der Tür ins Haus fallen: etw. unvorbereitet Vorbringen wie einer, der, anstatt erst an die Türe zu klopfen und dann ins Haus zu treten, die Tür einstürmt. So ,Mit der Tür ins Haus fallen1 1094
Tür erklärt 1639 Lehmann (S. 826 Ungeschicklichkeit4 1): „Der vngeschicktfält mit der Tür ins Hauß, ist auß der Plumpardey, platzt drein wie ein Saw in Rübenacker, wie ein Pfeiffer ins Wirthshauß“. Die Rda. ist seit der 2. H. des 16. Jh. bezeugt. In den Mdaa. gibt es z.T. abweichende Varianten, z.B. rhein. ,Dä fällt mit der Schürendür en et Hus‘. Mit ihm kann man Türen einrennen: er ist sehr dumm, eigentl.: seine Knochendecke ist so dick, daß sie für das Gehirn wenig Platz läßt (in Berlin 1950 gebucht). Offene Türen mit etw. einrennen: nichts Neues zur Sprache bringen, sich unnötige und damit vergebliche Mühe machen, etw. mühsam klarstellen, worüber ein Zweifel gar nicht besteht; ebenso engl. ,to force an open door4; ndl. ,een open deur, open deu- ren intrappen4; frz.,enforcer une porte ouverte4. Jem. eine Tür öffnen: ihm zu wichtigen Bekanntschaften, zu Arbeit verhelfen. Jem. stehen alle Türen offen: er wird überall gerne gesehen, hat einzigartige Verbindungen. Sich eine Türe offen halten: sich einen Ausweg sichern. Schwäb. ,alle Türen aufstoßen4, alle Mittel versuchen; ,es geht alleweil wieder e Tür auf4, es kommt immer wieder unvorhergesehene Hilfe. Einer Sache Tür und Tor öffnen: ihr ungehinderten Eingang verschaffen. Die stabreimende Zwillingsformel ,Tür und Tor4 ist scheinbar eine Tautologie, aber etwa bei dem charakteristischen Hofeingang des mdt. Hauses gibt es beides nebeneinander: die Tür für den Menschen und das Tor für das Großvieh und für die Erntewagen. Am 6. September 1899 richtete der Staatssekretär John Hay (1838-1905) ein Rundschreiben an alle amer. Botschafter im Ausland, um die Aufrechterhaltung der offenen Tür in China zu sichern. Es wurde darin der Wunsch der Vereinigten Staaten ausgesprochen, daß die Märkte in China dem Handel der ganzen Welt geöffnet würden. Am 27. März 1901 erschien dann zu Washington eine Sammlung aller zwischen den Vereinigten Staaten und den Mächten über die ,Politik der offenen Tür4 gewechselten Noten. Das Wort stammt aus der Bibel. Wörtl. kommt die Wndg. vor in Of- fenb. 3,8, wo es heißt: „Ich weiß deine Werke. Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen44. 2. Kor. 2,12 spricht Paulus von einer ihm zur Predigt des Evangeliums aufgetanen Tür. Vielleicht ist durch die bibelkundigen Angelsachsen dieses Wort zu einem Schlagwort der modernen Weltpolitik geworden. Aber im politischen Sinne gebraucht den Ausdr. ,offene Tür4 bereits Bismarck in einem in ,Gedanken und Erinnerungen4 (1,184) veröffentlichten Brief an Gerlach, wo er sagt: „Ich bin gar nicht für ,Defensiv-Politik‘; ich sage nur, daß wir ohne aggressive Absichten und Verpflichtungen uns auf die Annäherungsversuche Frankreichs einlassen können, daß dieses Verhalten uns gerade den Vorteil bietet, uns jede Tür offen, jede Wendung frei zu erhalten, bis die Lage der Dinge fester und durchsichtiger wird“ (Büchmann, S.651). Vor verschlossenen Türen stehen: keine Unterstützung finden. Die Türe in der Hand haben: zum Aufbruch bereit sein. Einer gibt dem anderen die Türe in die Hand:ein Besucherstrom reißt nicht ab, die Besucher folgen unmittelbar aufeinander. Hinter der Türe Abschied nehmen: ohne Abschied fortgehen, findet sich ähnl. bei Seb. Franck (,Zeytbuch4 CCXXXV6): „Nam hinder der Thueren vrlaub“. Die Tür von außen zumachen: sich entfernen. Du kriegst die Tür nicht zu!: neuer Ausdr. der Verwunderung in der burschikosen Sprache seit 1930. Tür meint in diesem Fall den offenstehenden Mund des sprachlos Staunenden. Jem. die Tür zeigen (weisen): ihn schimpflich fortgehen heißen. So bei Hans Sachs ,Der kram der narren kappen4 (16): Wen einer hat nimer gelt herfür, So weisen wir im die haustür. Die Rda. ist auch 1580 bei Fischart (,Bienenkorb4 50b) belegt: „Schreiben die Vät- ter undienliche Sachen für sie (die römische Kirche), so zeigt sie inen die Thür und leßt sie lauffen“. Die unfreundliche Aufforderung Vor der Tür ist draußen! verwendet Abraham a Sancta Clara gerne (z.B. Judas4 II, 282, III, 64; ,Reim dich4 131. 184. 248; ,Gehab dich wohl4 20.258). Jem. mit 1095
Türke der Tür schlagen4, ihn zum Haus hinausjagen (schwäb., Fischer II, 478). ,Einem die Thür vor den Hintern schlagen4, ihn unsanft hinausbefördern (Wander IV, 1196). Jem. die Türe vor der Nase zuschlagen: einen grob, unhöflich abweisen, taucht seit dem 17. Jh. vielfach in der Lit. auf. Der früheste Beleg ist 1615 in ,Der Landstörzer Gusman von Alfarache4 von Ägidius Al- bertinus (S.206) gegeben. Von Tür zu Tür gehen: betteln. Türklinken putzen: betteln gehen, ist aus der Gaunersprache in Umgangssprache und Mdaa. gelangt. Bekannt sind auch: Tür an Tür (wohnen): nebeneinander, und vor der Tür stehen: nahe bevorstehen, das Adelung (IV, 596) 1801 aufnimmt (vgl. ,jem. den Stuhl vor die Tür setzen4, /Stuhl). Auf einen alten Rechtsgrundsatz weist die Wndg. Der letzte macht die Tür zu: der überlebende Gatte erbt unter Ausschluß der Verwandten des Verstorbenen. (Erst) vor der eigenen Türe kehren: zunächst einmal die eigenen Angelegenheiten in Ordnung bringen (ehe man sich in anderer Leute Angelegenheiten einmischt). Georg Rollenhagen (1542-1609) läßt 1595 in seinem ,Froschmeuseler4 die wohl schon damals sprw. Weisheit vortragen: Für seiner tür ker jeder fein. So wirds in der ganzen Stadt rein, was Goethe in die Fassung brachte (,Zahme Xenien4 9. Buch): Ein jeder kehre vor seiner Tür, Und rein ist jedes Stadtquartier. Ein jeder übe sein’ Lektion, So wird es gut im Rate stöhn! Zwischen Tür und Angel: in einer bedrängten Lage, ,in der Klemme4, in größter Eile, eigentl.: zwischen zwei Möglichkeiten eingekeilt, ohne zu wissen, welche man ergreifen soll. Schon der mhd. oesterr. Dichter Peter Suchenwirt (2. H. des 14. Jh.) kennt die Rda.: Ein Sprichwort ist lang gesait: Wer zwischen tüer und angel stöszt seinen vinger unverzait, der gewint an frewden mangel. Martin Luther gebraucht die Rda. in seinen ,Tischreden4 (91b): „Wiewol ich zwischen Thür und Angel komme und gedrenget muß werden44. Seb. Franck verzeichnet sie 1541 in seiner Sprww.-Sammlung: ,,Ich stehe zwischen thür vnnd angel, weyss nit, ob ich auss oder ein soi44. Die gleiche Bdtg. hat die ndd. Rda. ,tüschen Bork und Boom stecken4. Vgl. auch das Wort ,dürängeln\ durchprügeln, quälen, plagen. Hans Sachs: O geh nur hin, du Galgenschwengel, Du DÖlp, eh dass ich dich dürengel. Gemeint ist offenbar: zwischen die Türangel klemmen, dann überhaupt: quälen, plagen. Lit.: R. Köhler: Dürängeln, in: Kleinere Schriften, Bd.III (Berlin 1900), S.632f. Türke. Einen Türken bauen: eine oft geprobte Übung als spontane Originalleistung vorführen, etw. vorspiegeln, Vortäuschen, einen rettenden Einfall haben, in der Not aus dem Stegreif etwas erfinden, etwas so stellen, als ob es echt wäre, etwas dem Original gleichtun, um Eindruck zu machen, auch: Ehrenbezeigungen vollführen. Die Rda. ist heute bes. in Kreisen des Rundfunks, des Films und der Presse verbreitet mit der Sonderbdtg.: einen gestellten Partner, ein Double, statt des echten im Interview befragen, statt echter Dokumentation als Notlösung gestellte Filmszenen bringen. Urspr. stammt die Wndg. wohl aus dem militärischen Bereich. In der Soldatensprache ist ,Türke4 ein Fachausdr. für eine eingedrillte Gefechtsübung gegen einen angenommenen Feind und für das parademäßige Vorexerzieren bei militärischen Besichtigungen, aber auch für die taktische Erfindungsgabe der Kommandeure bei solchen Übungen gewesen. In der Form einen Türken stellen i. S. v. ,bei Besichtigungen jem. etw. vormachen4 ist der Ausdr. in die heutige Umgangssprache gedrungen. Krüger-Lorenzen meint, daß die Rda. auf einem Vorfall bei der kaiserlichen Marine beruht: „Als 1895 Kaiser Wilhelm II. den nach ihm benannten Kaiser- Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostsee-Ka- nal), eine der wichtigsten Weltseeverkehrsstraßen, einweihte, trafen sich im Kieler Hafen Kriegsschiffe aller seefahrenden Nationen. Der Kaiser hatte aus diesem Anlaß zu einem Galadiner auf dem Flottenflaggschiff SMS Deutschland4 eingeladen. Jedes Boot, das den Vertreter eines Staates an Bord der Deutschland4 brachte, 1096
führte die entspr. Nationalflagge. Sobald ein hoher Würdenträger seinen Fuß auf das oberste Fallreeppodest setzte, präsentierte die Sicherheitswache, und die Marinekapelle spielte die Nationalhymne des betreffenden Landes. Als plötzlich ein Boot mit der roten türkischen Halbmondflagge anrauschte, stellte der Kapellmeister bestürzt fest, daß weder Noten der türkischen Nationalhymne vorhanden waren, noch einer seiner Musiker diese kannte. Als dann die türkischen Seeoffiziere mit Fez und Halsorden das Fallreep heraufstiegen, intonierte die Marinekapelle kurz entschlossen: ,Guter Mond, du gehst so stille durch die Abendwolken hin4. So wurde der erste Türke gebaut44. Vermutl. ist das Verb .bauen4 erst als neueres Modewort zu dem Fachausdr. .Türke4 getreten, vgl. Wndgn. wie ,das Abitur bauen4, .einen Unfall bauen4 usw. Möglicherweise bezieht sich die Rda. auf einen sog. Schachspielautomaten, bei dem eine Türkenpuppe die Züge des Spielers erwiderte, während die Partie in Wirklichkeit von einem unsichtbaren Spieler gelenkt wurde. W. Benjamin gebraucht dieses Bild in seinen .Geschichtsphilosophischen Thesen4: ,,Bekanntlich soll es einen Automaten gegeben haben, der so konstruiert gewesen sei, daß er jeden Zug eines Schachspielers mit einem Gegenzug erwidert habe, der ihm den Gewinn der Partie sicherte. Eine Puppe in türkischer Tracht, eine Wasserpfeife im Munde, saß vor einem Brett, das auf einem geräumigen Tisch aufruhte. Durch ein System von Spiegeln wurde die Illusion erweckt, dieser Tisch sei von allen Seiten durchsichtig. In Wahrheit saß ein buckliger Zwerg darin, der ein Meister im Schachspiel war und die Hand der Puppe an Schnüren lenkte. Zu dieser Apparatur kann man sich ein Gegenstück in der Philosophie vorstellen. Gewinnen soll immer die Puppe, die man „historischen Materialismus44 nennt. Sie kann es ohne weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und häßlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen44. Lit.: Dt. Wb. XI, I, II, Sp. 1853f.; P. Horn:Die dt. Soldatensprache (Gießen 1899), S.76; Th. Imme: Soldatensprache (1917), S.79; Krüger-Lorenzen: Kuhhaut, S.264f.; Küpper II, S.290; H. Dittrich: Rdaa. auf der Goldwaage (Bonn 1970), S.252; W. Benjamin: Gesch.-phil. Thesen 1, in: Schriften, hg. v. Th. W. Adorno u. G. Adorno, Bd. I (Frankfurt a.M. 1955), S. 494; S. özyurt: DieTiirkenliederunddasTiirkenbild in der dt. Volksüberlieferung vom 16. bis zum 20. Jh. (Diss. Freiburg 1969), in; Motive. Freiburger folklo- ristische Forschungen Bd. IV (München 1972). Turm. Kennst du die Mehrzahl von Turm?: ein Ausdr. der Abweisung. Die Mehrzahl von Turm lautet .Türme4 und ist lautgleich mit dem Imperativ .türme4 von .türmen4 = fliehen, entweichen. Es handelt sich also um ein witziges Spielen mit Lautgleichheiten, unbeschadet der etymol. Verschiedenheiten; seit dem 1. Weltkrieg belegt (Küpper I, S. 326). Im elfenbeinernen Turm sitzen: abgeschlossen leben, die harten Realitäten nicht kennen. Tüte. Kommt nicht in die Tüte!: ein in Berlin seit dem Ende des 19.Jh., dann auch allg. bekanntgewordener Ausdr. der Ablehnung. Aus der Tüte geraten: aus der Fassung kommen, die Beherrschung verlieren (bezieht sich wohl auf die platzende Tüte). Du bist aber eine Tüte!: ein Dumm köpf. Tüten drehen (kleben):im Gefängnis sitzen. luten. Von Tuten und Blasen keine Ahnung haben: völlig unwissend, unfähig sein, geht auf die gleichbedeutende Wndg. .weder tuten noch blasen können4 zurück, die wohl im Gedenken an die mindergeachteten Berufe des Kuhhirten und Nachtwächters entstanden ist. 1601 bei Eyering (.Proverb.4 2, 385): ,,Er kan weder thuetten noch blasen44. 1 77 1 erklärt das bremische Wb. (5,135): „He wect so veel van tuten, as van blasen: er versteht von dem einen so viel als vom andren: er ist dumm44. Die Rda. ist in südd. und nordd. Mdaa. belegt. Sprw. ist auch: Da hilft kein Tuten und Bla- sen: da hilft keine Gegenrede. Gern einen tuten: gern trinken. In dasselbe Horn tuten /Horn. Iz. Bis zum tz, auch bis aufs tz: bis zum äußersten, bis zum Ende, .durch und durch4, z. B. ,etw. bis zum tz kennen4; ,er peinigt einen bis aufs tz4. Die Wndg. ist eine Steigerung der Rda. ,von A bis Z4 (/Abc), da tz als Verdoppelung des z in alten Fibeln als allerletzter Buchstabe des Alphabets aufgeführt wurde. 1097
U Übel. Das kleinere Übel wählen. Im Protagoras* des Plato sagt Sokrates: „Auoiv xaxoîv.. .oûôeiç tô |ieï(ov aipf|oeTaie£ôv tô ëÀaTTOv“ (= Von zwei Übeln wird niemand das größere wählen, wenn er das kleinere wählen kann); vgl. auch Aristoteles' ,Nikom. Ethik1 (V, 3,16). ,Minima de ,Das kleinere Übel wählen4 malis* (= von mehreren Übeln das kleinste) war nach Cicero (,De officiis* III, 29, 105) im klassischen Altertum sprw. (Büchmann, S. 484f.) Jem. (etw.) als ein notwendiges Übel betrachten:jem. (etw.) in Kauf nehmen müssen. Die Wndg. ist sehr alt, sie wurde wiederholt von griech. Schriftstellern gebraucht, zuerst von dem griech. Komödiendichter Menandros (342-293 v.Chr.). Stobaios hat in seinem ,Florilegium* (69, 10)folgenden Vers Menanders überliefert: „Tô yapelv, éav tiç tt)v àÀf)ûeiav oxoTifj, xaxôvpèv ëoTiv, àMîâvayxoâov xaxöv“ (= Heiraten ist, wenn man’s bei Licht besieht, ein Übel, aber ein notwendiges Übel). Die lat. Übers, des Ausdr.,malum necessarium4 findet sich zuerst bei Lampridius, einem spätröm. Historiker (4. Jh. n. Chr.), in der Lebensbeschreibung des Kaisers ,Alexander Severus4 (Büchmann, S. 488). Daß mir’s nicht übel (schlecht) wird! sagt man im Ernst oder Scherz, wenn man durch Reden oder Klagen unangenehm berührt wird. Einem übel mitspielen: ihm heimtückisch Schadenzufügen. Jem. etw. übel vermerken (übelnehmen). ihm wegen einer Sache oder Äußerung böse sein. Uhl. Was dem einen sin Uhl ist dem anderen sin Nachtigall. Der Gegenvergleich beider Tiere dient zum rdal. Bild der Verschiedenheit menschlicher Wünsche. Die ndd. Form Uhl = Eule ist weit über das eigentl. ndd. Sprachgebiet in der allg. Umgangssprache bekannt. Schlesw.-holst. ,Dor hett’n Uul seten*, daraus ist nichts geworden, es ist nicht geglückt. Die sehr häufige Wndg. bez. Enttäuschung und geht aus vom Glauben, die Eule mache den Platz, an dem sie sich niederlasse, zu einem un- glückbringenden. Aus dieser Bdtg. der Eule im Volksglauben sind beide Rdaa. zu verstehen; /Eule, /Uhu. Uhr. Seine Uhr ist abgelaufen: er muß bald sterben, er stirbt, er ist gestorben; lit. in Schillers ,Tell* (IV,3): ,,Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt! Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen44. Das bekannte Zitat ist aber keineswegs die einzige Quelle der Rda.; vielmehr ist die Wndg. schon lange vorher rdal. bekannt gewesen und auch lit. verwendet worden; z.B. heißt es in Goethes ,Leiden des jungen Werthers4 (1774, 2. Buch, 12. Dez.): ,,Meine Uhr ist 1098
Ulk noch nicht ausgelaufen, ich fühle es“, wobei an eine Sanduhr zu denken ist. Auch schon in Ayrers ,Tragedia4 vom reichen Mann und armen Lazarus: Die Uhr ist auß: besieh sie eben! Du mußt noch sterben in wenig stundt. Und einige Verse darauf: Sich da! Er hat ein kleine Zeitt, So ist im di Uhr außgeloffen. Schon auf das frühe 16.Jh. läßt sich die Rda. zurückverfolgen: wissen, was (oder wieviel) die Uhr geschlagen hat: Bescheid wissen (meist: um eine ernste Sache, um das bevorstehende Ende), auch: eine Sache durchschauen. Wenn die Uhren alle gleich schlagen: Umschreibung für niemals. Eine Uhr geht nach dem Mond.'sie geht ungenau, falsch; ebenso: ,eine Uhr geht nach dem /Pfandhaus4. Die Uhr steht bei ihm stets auf Mittag: Qi ist immer hungrig; seine Uhr geht nach: er merkt alles zu spät; die Uhr geht richtig: die Sache nimmt den vorausgesagten Verlauf; die Uhr rund schlafen: volle 12 Stunden (oder noch länger) schlafen (vgl. engl. ,to sleep around the clock4); dabei ist keine goldene Uhr zu gewinnen: das verlohnt nicht die Mühe. Uhu. Ein Uhu sein: als Unglücksbote auf- treten. Shakespeare läßt z.B. seinen König Richard in übertr. Sinne zu dem 3. Boten, der schlechte Nachricht bringt, sagen: „Fort mit euch, Uhus! nichts als Todeslieder?44 Das Wort Uhu ist eine schallnachahmende Reduplikationsbildung, auch ,Buhu‘ und ,Schuhu4 sind gebräuchl. Bereits im klassischen Altertum galt der Uhu als unheilbringend. Man mied und scheute ihn, denn er war der Vogel der Unterwelt, der Trauer- und Totenvogel, der sich gern in der Nähe von Grabstätten aufhielt. Sein Erscheinen bedeutete Krieg, Hungersnot, Krankheit oder Tod. Noch heute hält man es bei uns für ein böses Vorzeichen, wenn er sich auf einem Haus niederläßt oder in dessen Nähe sein Ruf erklingt. Ein Kranker halt seinen nächtlichen Schrei für seinen Todesruf. Schon Fischart besaß die gleiche Vorstellung, denn er schrieb in seinem ,Eulenspiegel4 (446 H): ach, leider, es ist nun an diesem, dasz Eulenspiegel wil beschlieszen,... der uhu schüttelt nun die flügel, das todtenvöglein sitzt aufm hausz. Nimmt eine Sache einen schlechten Ausgang, heißt es in Norddtl.: ,Dar hedd ’ne Ule seten\ Der Uhu auf der Krähenhütte sein: sich in exponierter Stellung befinden und von allen Seiten angegriffen werden. Konrad von Megenberg (,Buch der Natur4 143) berichtet bereits, daß der Uhu der Feind aller Vögel sei und daß diese ihn ebenfalls angreifen und bedrängen, wenn er ihnen nicht entgehen kann. Diese Tatsache nutzte man beim Vogelfang in der Krähenhütte: der Uhu lockte seine Feinde in die Falle, wenn sie ihn wütend angriffen. Bismarck gebrauchte die Rda. von sich selbst, als er sich in einer ähnl. Bedrängnis befand (,Reden4X, 242, 245). Vgl. hierzu das ndd. Sprw. ,He was dar als de Ule unner de kreien4 (/Eule). Goethe (,Sprüche in Reimen4) wendete das Bild vom ,Uhu unter den Krähen4 auf die schlechten Eigenschaften eines Unternehmers an, der von seinen Konkurrenten bedrängt wird, und spottete und mahnte: Will Vogelfang dir nicht geraten, So magst du deinen Schuhu braten. Ul.: HdA. VIII, Sp. 1287ff., Art. ,Uhu‘ von W.-E. Peuckert; E. Jngersoll: Birds in legend, fable and folklore (New York 1923, Ndr. Detroit/Michigan 1968). Ulk. Einen Ulk ausfressen (machen): einen losen Streich ausüben, gewollten Unsinn treiben. Die Wndg. kommt aus der Studentensprache. Wilhelm Raabe schreibt 1859 in,Kinder von Finkenrode4: „Da stehen wir wieder einmal wie drei Studenten, die einen Ulk ausfressen wollen44. Das Wort Ulk entstammt urspr. der ndd. Mda., wo es Unglück4 bedeutet. Schlesw.-holst. ,He hett vel Ulk4, er muß viel ausstehen; ,du mußt ok lehren, was Ulk is4, bereite dich auf Unglück vor. Die ndd. Rda. ,De is mit den Ulks beseten4 steht in Zusammenhang mit dem Volksglauben. Man meinte, daß ein Plagegeist, der Ulk genannt wurde, Unglück und Verlust brachte, wenn er von dem Menschen Besitz ergriff, ähnl. wie ein Krankheitsdämon. Im erweiterten Sinn von ,Lärm4 wird Ulk in schles., nassauischen, ostfries., westf. und obersächs. Mdaa. gebucht. Der früheste lit. Beleg als ,lärmende Bewegung4 findet sich 1582 in Fischarts 1099
Ulrich ,Geschichtklitterung4 (Ndr. 231), und 1620 nimmt Helvegius in seine ,Origines dictionum germ.* (S.288) auf: „ulck vulgus nostrum usurpat pro afflictione et calamitate“. In die Studentensprache gelangt, wird Ulk zuerst 1831 in Leipzig als ,lärmender Spaß* bezeugt. Lit.: F. Kluge: Studentensprache (Straßburg 1895), S.131. Ulrich. Den (heiligen) Ulrich cinrufen, Sankt Ulrich rufen:sich erbrechen; ein bes. in süd- und westdt. Mdaa. viel bezeugter und seit dem 16.Jh. auch lit. belegter Wortwitz, der kaum auf den 993 heiliggesprochenen Bischof Ulrich von Augsburg zurückzuführen ist, sondern der einfach auf dem Gleichklang des Wortanfangs ,Ulr* und den Lauten des sich erbrechenden Magens beruht. Früher gebrauchte man in gleichem Sinne auch den Ortsnamenscherz ,nach Speyer appellieren4 wegen des Wort- anklangs an ,speien4 = sich übergeben. Der Wortwitz beruhte außerdem darauf, daß Speyer bis 1689 Sitz des Reichskammergerichts war. Heutzutage sagt man zu einem, der sich übergeben muß, auch: ,Du wirst alt!4, und auf die erstaunte Frage ,Warum?4 erhält er zur Antwort: „Unser Leben währet siebzig Jahr, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre...** (Ps. 90, 10). umgekehrt. Umgekehrt (auch rückwärts) essen (oder frühstücken): sich erbrechen; etwa um 1900 aufgekommen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus sagt man im Scherz, wenn einer etw. gerade auf die entgegengesetzte Weise anfängt, als es richtig wäre. Man hat geglaubt, die Rda. stamme von einem Spiel, bei dem es gelte, die Worte umzudrehen: Aus ,Husch* wird umgekehrt ,Schuh* usw. Doch sind die Worte ,wird ein Schuh daraus* wohl weiter nichts als ein scherzhafter Zusatz zu umgekehrt = verkehrt. Schon Luther sagt (Briefe, hg. v. Seidemann, V, 154): „Kehren aber den schuch umb, und lehren uns das gesetz nach dem evangelio, und den zorn nach der gnade“; in dem ndd. Spiel vom ,Claws Bur* (V.374) heißt es: „Her Fiscal, keret dat umme, so wert it cn got Scho“. In der heutigen Form ist die Rda. seit 1745 bezeugt. Vielleicht hatte die Rda. urspr. doch einen Realbezug, der in Vergessenheit geriet: beim Nähen der versteckten Nähte im Inneren wurde der Schuh früher tatsächlich gewendet, d.h. nach den ersten Nähten auf der Rückseite des Leders oder Stoffes mußte der Schuh umgekehrt werden, wenn etw. aus ihm werden sollte. Die schlesw.-holst. Rda. ,He kehrt üm as Gott vor Gammendörp4 bezieht sich auf eine regionale Ortsneckerei auf den Ort Gammendorf: „De leev Gott güng dar ni rin, dar wahn so’n rog Volk. De leev Gott wull nix mit er to don hebb’n“ (Aufzeichnung von G.Fr. Meyer, ZA. 54073). umbauen. Das haut mich um! (wörtl.: ,das schlägt mich zu Boden4) ist eine seit dem 19. Jh. belegte Wndg. der großen Überraschung. Die heutige Umgangssprache kennt außerdem sich umbauen: schlafen legen. In der Soldatensprache dieses Jh. bezeugt ist ,Umhauer* für einen hochprozentigen Schnaps. In Holstein sagt man: ,Dat haugt anners üm, segt Mês Mül*, wenn etw. anders zu verstehen ist oder ausgeht, als man erwartete. umhergehen /Löwe. Umlauf. Jem. aus dem Umlauf ziehen: ihn zu einer Freiheitsstrafe verurteilen, be- schönigend-euphemist. in Anlehnung an die Gewohnheit des staatlichen Münzamtes gebildet, alte Geldscheine und Münzen ,aus dem Umlauf zu ziehen* (etwa seit 1930). Etw. in Umlauf bringen: ein Gerücht verbreiten. umsonst. Umsonst ist nur der Tod (und der kost' bloß das Leben) ist ein scherzhaft- iron. Zusatz zu dem Wort umsonst i. S. v. .kostenlos*. Man wendet die Rda. an z. B. bei einer kostenlosen Arbeitsleistung, die man aber nicht unbezahlt annehmen möchte; ähnl. ndd. ,Umsiiss is der Dôd un de ôk nich, Prêster un Köster wilPn ok er Dêl*. Etw. nicht umsonst gesagt (getan) haben: aus gutem Grund, nicht ohne eine besondere Absicht damit zu verbinden. Die Wndg. kann auch als Drohung gemeint sein. 1100
Undank Etw. auch nicht umsonst bekommen haben: die Wndg. dient zur Rechtfertigung eines Preises, der anderen zu. hoch erscheint. Umstand. Umstände machen: weitläufig reden, sich förmlich benehmen, seine Dinge schwerfällig erledigen. Man hat diese Rda. auf den alten Rechtsausdr. Umstand (das sind die in der Rechtsversammlung um das Gericht herumstehenden Gemeindemitglieder) zurückführen wollen (mhd. ,umbestant4 = das Herumstehen, die Gesamtheit der Umstehenden; frühnhd. ,Umständer1 = Zuschauer bei Gerichtsverhandlungen); doch läßt sich die seit dem 16.Jh. bezeugte Rda. ,(keine) Umstände machen4 nicht unmittelbar auf den Rechtsbrauch zurückführen, sondern beruht wohl nur auf einer Ubers, des spätlat. circumstantia4, das in abstraktem Sinne für das besondere Verhältnis, wovon etw. umgeben ist4, gebraucht wird. Ebenso frz. ,Ne faites pas de circonstances4 = Machen Sie keine Umstände. Unsere erschwerenden4 oder ,mildernden4 Umstände entsprechen frz. den circonstances aggravantes4 bzw. atténuantes4. In der Bdtg.,zögern4 ist die erstmalig 1493 belegte Rda. zunächst auf die Rede bezogen, wie auch 1561 bei J.Maaler in ,Teutsch Spraach4: „vil umbstend und unnötig geschwätz, ambagibus sermo, einen mit langen umbstenden aufziehen, ambage longa morari aliquem44. Zahlreich sind die umg. und mdal. Bez. für einen langsamen Menschen: Umstandskrämer4, ,-fritze4, ,-peter4, ,-kästen4, ,-meier4, ,-kommissar4. Unter keinen Umständen!: Unter keiner Bedingung, Steigerung einer Ablehnung. Ohne Umstände!\si die Kurzform der Aufforderung, sich nicht aufzuhalten, ebenso: Es braucht keiner Umstände! Sich keine Umstände machen /keine besonderen Vorbereitungen für einen Gast treffen. Sich in anderen Umständen befinden, umschreibende Wndg. für: schwanger sein (vgl. ndl. ,in gezegende omstandigheden verkeren4). unberufen. ,Unberufen4, ,unberedet4, ,un- beschrien4, ,unbeschladdert4 und ähnl. Wndgn. haben sich als urspr. magische Ab¬ wehrformeln des Volksglaubens auch heute noch im gesamten dt. Sprachgebiet erhalten. Sie werden der Erwähnung glückhafter Umstände hintangestellt, um das Gegenteil nicht heraufzubeschwören. Mit ,beschreien\ ,berufen4, ,bereden4 u.a. bez. der Volksglaube die Be- oder Verzauberung von Personen und Sachen durch den magischen Bann des Wortes. Damit hängt zusammen, daß durch unvorsichtige Bewunderung und unzeitiges Lob das gegenteilige Schlechte gleichsam herbeigezogen wird. Das Alter dieser Vorstellung wird kaum zu ermessen sein. Um Unheil zu vermeiden, fügt man deshalb die Abwehrformeln hinzu und übt damit einen apotropä- ischen Zauber aus. So führt 1715 Johann Christian Ettner in ,Des Getreuen Eckarths unvorsichtige Hebamme4 (937) an, daß man die Kinder nie ,,ohne zugesetzten Ge- deyungs-Wunsch44 loben solle. Theodor Fontane (1,113) schreibt: „Übrigens ist sie, unberufen und unbeschrien, recht gut44 /beschreien. Ut.: HdA. I, Sp. 1096ff., Art. »berufen, beschreien* von Perkmann; HdA. I, Sp. 1157 ff. Art. besprechen* von Perkmann. Undank. Einem alles zu Undank(e) machen: ihm nichts recht machen können. Heute sagt man statt dessen häufiger: hinein nichts zu Danke machen können4. Die Rdaa. einem Undank wissen und den Undank auf sich laden: sind ebenfalls veraltet. Vgl. lat. ,Accersere malam gratiam, offendere aliquem4. Luther gebraucht sogar die Wndg. „der undanck wirt uns schla- hen“ (Werke 17,1, 194,16 Weimarer Ausg.). Üblicher sind die Wndgn. Undank davontragen (empfangen, ernten) und jem. mit Undank belohnen, neben dem allg. bekannten Sprw. »Undank ist der Welt Lohn4. Für dieses Sprw. gibt es veranschaulichende Volkserzählungen, z. B. bei Müller, Sagen aus Uri III, Nr. 1274b, S. 167 (AaTh. 155), wo der geprellte Teufel das Sprw. benutzt. Die Rda. Undank säen: selbst kommenden Undank hervorrufen, nutzt Voss lit.: „ward denn Undank wo gesät44 (»Gedichte4 6,68). Undankbar wie ein Kuckuck sein: sehr undankbar. Der rdal. Vergleich führt zu einer Steigerung der Aussage, da es nichts Schlimmeres zu denken gibt als das Ver¬ 1101
Ungebrannt halten des jungen Kuckucks im fremden Nest, der die Jungen seiner Pflegeeltern verdrängt, /Kuckuck. ungebrannt /Asche. ungehobelt /Hobel. ungeschoren. Jem. ungeschoren lassen: ei* nen unangefochten, unangetastet lassen; hängt wohl kaum mit der germ. Strafe des schimpflichen Haarabschneidens zusammen. Auch lassen sich keine Belege aus mhd. Zeit erbringen. Als Erklärung für die Entstehung bietet sich das völlig harmlose, aber doch unangenehme Scheren von Tieren, z.B. des Schafes, an. Ferner kann an die Aufnahmezeremonie der Zünfte und anderer Organisationen gedacht werden (vgl. ungeschliffen1, ,ungehobelt1). Grimmelshausen baut im Simplicissimus1 die Rda. zu einem Wortspiel aus: „zu dem siehe ich euch auch vor kein scherergesin- del an? darum lasset mich ungeschoren“. Goethe schreibt (Weimarer Ausg. 2,276): „Macht, was ihr wollt; nur laßt mich ungeschoren“. Die Wndg. ist mdal. und umg. weit verbreitet. Ähnl. ist ungeschoren davonkommen: unbeschädigt, unbelästigt davon kommen. ungut. Etw. nicht für ungut nehmen (halten): etw. nicht übelnehmen, eine Bemerkung nicht böse oder falsch auffassen. In der verkürzten Form Nichts für ungut! wird die Wndg. als Formel der Entschuldigung gebraucht. Bes. bei der Verabschiedung wird der Gesprächspartner damit um Nachsicht für freie und kritische Äußerungen gebeten, die nicht als beleidigend aufgefaßt werden sollten. Der Ausdr. ist schriftsprachl. und mdal. üblich, z.B. schles. ,Sie war’n’s nich (fer) ungittig nahmen1 und niederoesterr. ,Nix fiär unguad!1 Vgl. auch ndl. ,Niet te ondieft!1; engl. ,No harm!1 Oft steht die Formel auch als Einleitung der in Norddtl. beliebten Sagte- Sprww.:,Nichts für ungut, sagte die Henne zum Regenwurm, da fraß sie ihn1; ,Nix för ungut, säd’ de Hahn, do trêd he op de Henn1 (Holst.); ,Nix vor ungut, säd’ de Voss, un bat ’r Gaus ’n Kopp av1 (Lüneburg), und in Hamburg: ,Nix vor ungod, säd’ de Bür, do slög he den Eddelmann an’n Hals1. Die doppelte Verneinung bei ,Nichts für ungut!1 wird deutlicher, wenn man sie mit anderen Wndgn. vergleicht. Bei Hans Sachs (,Micillus, der arme Schuster1 13) steht: Doch nam er also mit vergüt Und het einen leichtsinnigen mut, i.S.v.: alles wie etw. Gutes (auch die Armut), ohne zu murren, hinnehmen, und an anderer Stelle heißt es: „und woist mit mir nemen vergüt“ (Fastnachtsspiel ,Der Bauer mit dem Kuhdieb1 45), in der Bdtg.: fürliebnehmen. Dagegen heißt etw. für ungut nehmen: es übel auffassen, sich ärgern. Die Negierung des schon negativen ungut gibt der Rda. heute wieder positiven Sinn, wie urspr. bei ,vergüt1. Unkraut wird schon bei Hans Sachs bildl. für einen nichtsnutzigen Menschen gesetzt. Die Lutherische Ubers, von Matth. 13,25 - „Unkraut zwischen den Weizen säen11 - wird zur Verbreitung des Vergleichs beigetragen haben. Unkraut vergeht nicht: das Schlechte bleibt bestehen, ein nichtsnutziger Mensch läßt sich nicht aus der Welt schaffen, kommt dem Sinne nach schon in Freidanks Bescheidenheit1 (120,7, vgl. SingerIII, 81) vor: „Unkrût wehset âne sät, so ez schoenem krüte missegät“. Nicht selten sind den Pessimismus der Wndg. steigernde Zusätze belegt, so bei Seb. Franck: „es kerne eh ein platzregen drauff1, im , Simplicissimus1 von Grimmelshausen (1,595): „es müste eh ein hund daran pissen11, und 1870 in Holstein: ,so koold is de Winter upstünds nich mehr1. In Umgangssprache und Mda. bagatellisieren Kranke scherzhaft ihr Leiden durch das Sprw. (vgl. ndl. ,Onkruid vergaat niet1; frz. ,Mauvaise herbe croît toujours1; engl. ,111 weeds grow apace1). Die Rdaa. Unkraut unter den Weizen säen und das Unkraut vor dem Weizen abschnei- den sind bibl. Urspr. und beziehen sich auf Matth. 13,25 und 30. unrein. Sag's erst ins unreine! sagt man zu einem Stotterer, der nicht gleich einen ganzen zusammenhängenden Satz herausbringt; auch: ins unreine reden (oder quatschen): sich seine Worte erst reiflich überlegen, zögernd sprechen. 1102
Urteil Ins unreine schreiben: ein Konzept schreiben. Unschuld. Sich in Unschuld baden: für etw. nicht verantwortlich gemacht werden wollen; übertreibende Abwandlung von:,seine Hände in Unschuld waschen1 (/Hand). Die gekränkte Unschuld spielen: sich harmlos stellen, Unschuld Vortäuschen. Jem. die Unschuld nehmen (rauben): ihm durch Worte oder Taten die Naivität nehmen. Die Unschuld verlieren: verführt werden, meist von Mädchen gesagt; dagegen: seine Unschuld bewahren: sich nicht verführen lassen, Natürlichkeit und naive Ursprünglichkeit behalten. Die Unschuld vom Lande sein (spielen): ein einfaches, naives, unerfahrenes Mädchen vom Dorfe sein, das in der Stadt auffällt und durch die Rda. charakterisiert und verspottet wird. unsicher. Einen Ort (eine Gegend) unsicher machen: ihn (sie) aufsuchen, eigentl.: sich unerwünschterweise dort blicken lassen; erst nach der Mitte des 19.Jh. lit. belegt; abgeschwächt aus dem Unsichermachen von Straßen oder Landschaften durch Räuber oder durchziehende Kriegshaufen. Berl. ,Er macht die Schweiz unsicher', er reist in der Schweiz, /Kantonist. Jem. unsicher machen: ihn verwirren, in Verlegenheit bringen. Unterhose. Die starke Unterhose anhaben: sich stark fühlen, mit seiner Stärke prahlen; schülersprachl. seit 1930; ich stoße dich aus der Unterhose!: Drohrede, seit etwa 1930, auch verstärkt: ,ich schlage dich pfundweise aus der Unterhose'; jem. bis auf die Unterhosen entkleiden: sein Ansehen völlig untergraben, seit 1959 gebucht; auf der Unterhose fahren: auf abgenutzten Reifen fahren; gemeint ist das Sichtbarwerden der Leinwandunterlage des Fahrzeugreifens (KüpperII, S.295). Uriasbrief. Einen Uriasbrief überbringen wird gesagt nach 2. Sam. 11, 14.15: David schickte den Uria, dessen Frau er besitzen wollte, an Joab mit einem Brief des Inhalts: „Stellet Uria an den Streit, da er am härte¬ sten ist, und wendet euch hinter ihm ab, daß er erschlagen werde und sterbe“. Aus dieser urspr. Bdtg. des Uriasbriefes wird dann allg. ein ,Unglücksbrief'. Urteil. Sich selbst das Urteil sprechen sagt man rdal., wenn ein gesprächsweise geäußertes abschätziges Urteil durch Zufall auf den Urteilenden selbst zutrifft. Was als bloße Rda. erscheint, konkretisiert sich in zahlreichen Volksmärchen (z.B. KHM. 13, 89, 111, 135): Dem Verbrecher, der sich sicher glaubt und nicht an seine Entdek- kung denkt, wird sein eigenes Verbrechen erzählt und er um sein Urteil gefragt. Ganz verblendet, spricht er sein eigenes Urteil. So wird der Missetäter im Selbsturteil übertölpelt; das von ihm gefällte Urteil wird dann an ihm selbst vollstreckt: Der Böse geht gewissermaßen an sich selbst zugrunde. Der Hintergrund dieses Motives ist die magisch bindende Kraft gesprochener Worte. Sie wohnt jedem feierlich gesprochenen Wort inne und damit auch dem Rechtswort. Es ist das eine Anschauung, die in mannigfacher Abwandlung bei sehr verschiedenen Rechtsvorgängen, wie beim Gottesurteil, beim Eid u.a., zu beobachten ist. Das Motiv der Selbstverurteilung spielt aber nicht nur in Märchen und Sagen eine Rolle, sondern ebenfalls in geschichtl. Zeugnissen aus ganz verschiedenen Zeitaltern und Kulturen. Es ist ein alter Rechtsgedanke, daß jeder Richter an sein eigenes Urteil gebunden ist - auch dann, wenn es wider sein Erwarten gegen ihn selber ausschlägt: Ödipus verfolgt und verdammt den Beflecker der heimischen Stadt, ohne zu wissen, daß er sich selber verurteilt. Mit der gleichen Großartigkeit tritt uns der Gedanke der Selbstverurteilung in der Gesch. vom Tode desgriech. Gesetzgebers Charondas entgegen. Als Charondas, eben vom Lande zurückkehrend, entgegen seinem eigenen Gesetz bewaffnet in der Volksversammlung erschien und darauf hingewiesen wurde, daß er sein eigenes Gesetz mißachte, da rief er aus: „Nein, beim Zeus, ich bekräftige es“, und stieß sich das Schwert in die Brust. Dieser antike Rechtsgedanke hat im Juristenrecht der Römer einen formulierten Ausdr. gefunden: Die Digesten 1103
Urwald behandeln unter dem Titel ,Quod quisque juris in alterum statuerit, ut ipse eodem jure utatur4 die Bindung des Rechtsfinders an seine eigene Erkenntnis. Die Vorstellung hat schließlich ihren Niederschlag in einem bes. Rechtssprw. gefunden: Nicht unbillig man selber leidet, Was man anderen für Recht bescheidet. (,Tu patere legem, quam ipse tuleris4). Dieser Grundsatz wird ebenso in der röm. Rechtsprechung des europ. MA. herangezogen, wobei noch auf den gleichartigen Gedanken im Schluß der Bergpredigt Bezug genommen wird, vor allem wohl auf Matth. 7,2: ,,Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden“. Das Motiv ist auch in der Dichtung vielfach verwendet worden (z.B. bei Shakespeare, Heinrich V., II. Akt, 2. Sz.; Kleist, Der zerbrochene Krug; Clemens Brentano, Das Myrthenfräulein). Damit verbindet sich noch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich die Überlegung, daß ein unparteiisches Urteil am besten gewährleistet erscheint, wenn dem Urteilsfinder selbst nicht bekannt ist, gegen wen sich das Urteil richten soll, ein Gedanke, an den sich noch gewisse Anklänge im Kinderspiel der Ggwt. behaupten. Eine ähnliche Situation kennt nämlich auch das Pfänderspiel, dessen rechtshist. Bdtg. allg. anerkannt ist: Die Pfänder werden mit einem Tuch verdeckt, so daß der Urteilsfinder nicht wissen kann, wen der Urteilsspruch trifft, ja ob die von ihm erdachte lästige Aufgabe nicht gar ihn selbst trifft. Natürlich ist es zweierlei, ob der Gesetzgeber sich seinem eigenen Recht beugt oder ob ein Angeklagter sein eigenes Urteil fällen muß. Gegenüber ihrer alten rechtsge- schichtl. Bdtg. und auch gegenüber ihrer Funktion im Märchen ist die Rda. heute völlig sinnentleert, denn an die Vollstrek- kung eines Urteils wird dabei nicht mehr gedacht (vgl. die verwandten Redewndgn. ,sich selbst richten4, Selbstmord begehen; der Übeltäter ,schaufelt sich sein eigenes Grab4; ,wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein4, /Grube; jem.,glaubt zu betrügen und wird selbst betrogen4; ,es bindet mancher eine Rute für seinen eigenen Hintern4). Das ist ein Salomonisches Urteil: eine weise Entscheidung. Diese Rda. beruht auf dem bibl. Bericht (l.Kön. 3,16-28) von der Schlichtung des Streits zweier Mütter um ein Kind durch König Salomo (Büchmann, S.25). Sich selbst ein Urteil über etw. (jem.) bilden wollen: nicht die Vorurteile anderer übernehmen, sondern selbst prüfen. Lit.: O. Ludwig: Richter und Gericht im dt. Märchen (Bühl [Baden] 1935), bes. S.42 und Anmerkg. 29; A. Erter: Sich selbst das Urteil sprechen, in: Obd. Zs. f. Vkde. 17 (1943), S. 143; S. Anger: Das Recht in den Sagen, Legenden und Märchen Schleswig-Holsteins (Diss. Kiel 1947); K.Simon: Abendland. Gerechtigkeitsbilder (Frankfurt a.M. 1948), S.49; K. Frölich in: Zs. der Savigny-Stiftung für Rechtsgesch., Germ. Abt. 66 (1948), S.557f.; E. v. Kiinssberg: Rechtsbrauch und Kinderspiel (Heidelberg 21952), S. 54f., § 72; M. Lüthi: Zum Thema der Selbstbegegnung des Menschen in Volksdichtung und Hochliteratur, in: Volksliteratur und Hochliteratur (Bern u. München 1970) S. lOOff. Urwald. Jem. mit etw. aus dem Urwald lok- ken:m\X etw. Anreiz auf einen ausüben, ist eine berl. Prägung des 20. Jh. Für 1920 ist berl. bezeugt: ,Dir ham se woll mit’ne Mohrrübe (Banane) aus’n Urwald jelockt4. Das scherzhafte, spöttische Bild ist heute allg. in der städtischen Umgangssprache des nördl. Dtl. bekannt. Es heißt auch manchmal ,Bananenschalen4 oder Brotkrusten4 statt Bananen. Zur Veranschaulichung und Steigerung für schlechtes Benehmen sagt man: Ein Benehmen wie im Urwald haben:sich also wie ein Wilder verhalten. 1104
V Valentin. Einem alle Sankt Velten wünschen: jcm. verfluchen und ihm alle Übel und Krankheiten wünschen. Dieser Fluch ist in der ,Limburger Chronik4 belegt und neben anderen Verwünschungsformeln, in denen Valentin (Velten) eine Rolle spielt, im späten MA. sehr häufig. Am 14. Febr. wird unter dem hl. Valentin ein röm. Presbyter verehrt, der zum Märtyrer geworden war, und außerdem der gleichnamige Bischof von Interamna in Umbrien, der 280 n.Chr. als Märtyrer enthauptet worden war und vom Volk als Patron gegen Pest und Epilepsie (Valtins- krankheit) angerufen wurde. Der Name wurde durch den Wortanklang mit ,fallen4 in Zusammenhang gebracht, woraus sich die volkstümliche Verehrung von Valentin als Schutzheiligem gegen ,Fallsucht4 erklärt. Die Verwendung des Namens im Fluch beruht auf einem Wortspiel: ,Val- thin4 wurde zu ,Fallt hin!4, und auf dem Volksglauben, daß der Heilige einen bei mangelnder Verehrung mit Fallsucht bestrafe. Lit. Belege für die boshafte Verwünschung zu einer Krankheit finden sich bei Murner (,Vom großen lutherischen Narren4 216): ,,Dass dich potz Valtin schendt!44, und bei Pauli (,Schimpff und Ernst4 265). Noch heute üblich ist der böse Wunsch: Daß dich Sankt Velten ankomme oder sehende! Der Name des Heiligen konnte auch im Fluch euphemist. für die gemeinte Krankheit stehen. So schreibt z. B. J. Ayrer im Fastnachtsspiel vom Beck4 (94b): „ichwolt, dasz er Sanct Veltin het44. St. Velten wird auch oft anstelle des Teufels angerufen. Man will dadurch den Namen des Teufels umgehen und führt Valentin (Velten) dabei auf,Valant4 zurück, eine im MA. übliche Verhüllungsform für /Teufel, die sich von ,valen (välen)4 = irreführen ableitet. Fischart bringt St. Velten und Val- ten in direkten sprachl. Zusammenhang (,Sämtl. Dichtungen4 I, 67, 2545 hg. v. H. Kurz), wenn er schreibt: Die lügen haben schier St. Velten Dasz sie von diesem Valten melden. In Grimmelshausens »Simplicissimus4 (1, 326) ist ebenfalls der Teufel gemeint: ,,ich erschrack, da ich diese worte hörete und gedachte: hat dirs dann St. Velten gesagt?44 Auch im ,Eulenspiegel4 (XII, 1696) heißt es: „Hat dich Sanct Velten hergebracht“: hat dich der Teufel geschickt? In Holstein ist der Fluch ,Dat di Sant Velten häl4! bis heute üblich. Den hat Sankt Velten beschissen: den hat der Teufel betrogen. Philander von Sittewald gebraucht die Wndg. öfter (I, 236 u. II, 35): „Hat mich S. Velten mit euch Welt-Narren beschissen“. Aus der gedanklichen Verbindung von Valentin und Teufel entstanden die allg. verbreiteten, kurzen und formelhaften Frage- und Ausrufesätze, um Unwillen oder Erstaunen auszudrücken: Wie, hast du Sankt Velten?: Bist du verrückt, bist du des Teufels? Wie (was) zum Velten? Ei zum Velten! Bei Sankt Velten! Dagegen galt im 16.Jh. der Ausruf Bei Sankt Veltin zu Ruf ach! als beliebter Schwur beim Namen des Heiligen, der bes. in Rufach im Elsaß verehrt wurde. In vielen Fällen wird das ,Potz4 als Verhüllung für Gott vorangestellt: „Potz Velten!“ und „Potz tausend feiten!“ heißt es z. B. bei Gryphius im ,Peter Squenz4 (S. 113). Lit.: Grimm: Dt. Wb. XII, 1. Abt.; O.v.Hovorka u. A.Kronfeld: Vergleichende Volksmedizin, Bd.II (Stuttgart 1909), S. 209ff.; O. Erich u. R. Beitl: Wb. d. Vkde., S. 779. Valet. Valet sagen: Abschied nehmen. Die Wndg. entstand aus dem urspr. »valete!4 = lebet wohl! Hans Sachs gebraucht das Wort in seinem Schwank »König Richard mit dem Bauer4 (143) sogar als Subst. 1105
Vater in der Bdtg.,seinen Abschied bekommen4: Darmit das valete entpfing, Das man sein vurpaß (fernerhin) müssig ging. Vater. Ach du dicker Vater! (auch Ach du dicker Vater, hast du dünne Kinder!)'. Ausruf der Überraschung und des Erstaunens; berl. seit etwa 1900. Dagegen heißt seinem Vater nachschlagen: ihm auffällig ähnlich sehen, sein Wesen, seine Fähigkeiten, aber auch seine Fehler und schlechten Gewohnheiten besitzen. Dasselbe meint die Feststellung: Der ist ganz sein Vater! Vgl. ndl. ,De vader mag hem niet verloochenen4. Der will seinen Vater lehren Kinder machen: er dünkt sich überklug. Seb. Franck (II, 34a) schreibt dafür: „Er ist auff seines vat- ters hochzeit gewesen“. Vgl. ,Das Ei will klüger sein als die Henne4, und ndl. ,Hij will zijn vader kinderen leeren maken4. Er will seinen Vater fromm machen: der Sohn handelt so übel, daß sein Vater für besser gelten muß, oder: er verschleudert das Gut derart, daß der Geiz seines Vaters nun als eine Tugend erscheint. Die Wndg. ist bei Seb. Franck (II, 64a) lit. bezeugt. Vgl. ndl. ,Hij maakt zijn’ vader tot een’ goed' man4. Vor dem Vater in die Schüssel fahren: sich ohne Rücksicht auf das Alter vordrängen, eigentl. beim gemeinsamen Essen aus einer Schüssel nur an sich denken und das Beste für sich beanspruchen. Auf Vaters Sohlen gehen: scherzhafte preuß. Umschreibung für barfuß gehen. Ebenfalls humoristisch gemeint ist die Frage Dein Vater war wohl Glaser?, wenn jem. einem anderen beim Arbeiten im Licht steht oder ihm die Aussicht versperrt. Die Mdaa. verwenden Umschreibungen für die uneheliche Geburt. Wenn der Vater nicht zu ermitteln ist, heißt es z. B. in Henneberg: ,Dam sei Voatter is off en Nössbäm dersoff’n4. In der Eifel steht statt des ,Nußbaumes4, der beim Volksglauben an die Herkunft der Kinder eine bes. Rolle spielt, der,Kirschbaum4. In Iserlohn sagt man von einem unehelich Geborenen: ,Sin Var is im Häcksel verdrunken4. Der Häcksel wurde auch zur Verspottung eines Paares vor die Häuser gestreut, wenn die Braut vor der Hochzeit ein Kind erwartete. Zu seinen Vätern versammelt werden: eine Umschreibung für sterben, die bereits bibl. Herkunft ist und im Buch der Richter (2,10) und Kön. (22,20) verwendet wird, da die Vorstellung besteht, daß sich die Verstorbenen wieder vereinen werden. Vgl. ndl. ,tot zijn vaderen gaan4. Von dieser bibl. Rda. abgeleitet sind die Wndgn.: Er wird zu seinen Vätern gehen: er wird bald sterben, vgl. ndl. ,Hij zal wel tot de vaderen körnen4, und Er ist zu den Vätern gegangen: er ist bereits gestorben, vgl. ndl. ,Hij is al voor lang naar de oudva- deren gereisd4; /"zeitlich. Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen (umkehren), wenn er es wüßte, heißt es, wenn sein Sohn einen schlechten Lebenswandel führt oder wenn er schlecht behandelt wird und im Elend leben muß. Neuere Wndgn. sind: der geistige Vater von etw. sein.-der Urheber sein; berl. ,der Vater vons Janze4, der eigentl. Mittelpunkt, Antrieb, Anführer und Leiter sein. Der Vater des Gedankens wird der genannt, der als erster etw. Bestimmtes ausgedacht und den Anstoß zur Ausführung gegeben hat. Vaterunser. Dem kann man ein Vaterunser durch die Backen blasen sagt man von einem Menschen mit sehr eingefallenen Bak- ken. Dabei ist wohl kaum an die mageren und hohlwangigen Christusbilder der spätgotischen Kunst zu denken, sondern an die vierte Bitte im Vaterunser „Unser täglich Brot gib uns heute44. Ein Vaterunser lang ist eine sprw. Zeitangabe, die bereits Luther kennt; ähnl.: alle Vaterunser lang: in ziemlich kurzen Zeitabständen. Er ist wie das kath. Vaterunser: ohne ,Kraft und Herrlichkeit4. Vgl. ndl.: ,Het is een Roomsch Onzevader, de kracht en de heerlijkheid is eruit4. Einem das Vaterunser lehren: ihn streng zurechtweisen. Im Obersächs. heißt ,Du werst noch manch Vaterunser bäten lärn4: du wirst schon auch noch den Ernst des Lebens kennenlernen. Etw, wie das Vaterunser können: es sehr gut können, etw. ganz mechanisch tun, ohne sich anstrengen zu müssen. Die Feststellung aus Schlesw.- Holst. ,He kann ni mal sien Vadderunser beden4 bedeutet: er ist sehr beschränkt. Siebenbürg.-sächs. sagt man dafür: ,Det 1106
Verflixt, verflucht Vôterûser entfäl em\ Aus Schlesw.-Holst, stammt auch die Wndg. ,He bed ok bald sien letzt Vadderunser4, er wird bald sterben (vgl. AaTh. 1199). Die Rda. eitlen mit drei Vaterunsern laufen lassen: ihm nur einen leichten Verweis, eine geringe Strafe erteilen, bezieht sich auf die Beichte: für geringe Sünden müssen zur Buße nur einige Vaterunser gebetet werden. Veilchen. Riechen wie ein (März-) Veilchen: heftig stinken; beschönigend-um- schreibender Vergleich; etwa seit den dreißiger Jahren des 20.Jh. Blau wie ein Veilchen /blau. Jern. ein Veilchen überreichen: ihm ein Auge blau schlagen, als Boxerausdr. um 1900 aufgekommen. Venedig. So spielt man in Venedig (auch mit dem Zusatz: ,und in den umliegenden Dörfern4, oder ,Badeorten4). Die Rda. ist ein Ausruf beim Kartenspiel, wenn man in einem fort sticht und den Gegner auf diese Weise besiegt. Die Wndg., die mit dem Nebensinn ,einem übel mitspielen4 gebraucht wird, soll sich auf das eigentümliche System der altvenezianischen Rechtspflege beziehen, wo Spione und Angeber in Menge ihr Umwesen trieben, so daß mancher für ein unbedachtes Wort in den Kerker kam. Eine frühere Form der Rda. ist die obersächs. bezeugte Wndg. ,Er läßt ihm venedische Seifen geben4, er zaust ihm die Haare ein wenig. verballhornen /Ballhorn. Verbandsstoff. Du weißt wohl nicht. was hundert Meter Verbandsstoff kosten?: Drohfrage, etwa seit 1920 bekannt (Küpper II, S. 297). verbeißen. Sich in etw. (z. B. in eine Ansicht) verbissen haben: sich irrigerweise darauf festgelegt haben. Die Wndg. ist eine Ubertr. aus der Weidmannssprache: Der Hund verbeißt sich so leidenschaftlich in das Wild, daß ihn der Jäger von der Beute lösen muß. Die Rda. findet sich lit. z. B. bei Grimmelshausen im ,Simplicissimus4 (II, 128): „Ich war dannoch so hart verbaist, solches zu wissen, daß ich mir dieselbige Gedancken nicht mehr ausschlagen konte44. Den gleichen Urspr. hat wohl auch das adjektivisch gebrauchte Partizip verbissen: grimmig, doch spielt heute in Wndgn. wie verbissener Groll4, mühsam niedergezwungener Groll, auch verbeißen4 in der Bdtg.: durch Beißen (auf die Lippen oder auf die Zähne) seinen Schmerz (sein Lachen) unterdrücken, mit hinein. Oft etw. verbeißen müssen: sich bei Ärger beherrschen, sich einer heftigen Äußerung enthalten. Ein Leipziger Kindervers dient zur Erheiterung des Zürnenden; mit kunstvollem Reim und mdal. Stabreim in der 1. Zeile lautet er: Biste beese, beiß in Beiz, Bis de gommst nach Weißenfels; Bis de gommst nach Halle, Sin de beesen alle! Verderb /Gedeih. verdienen. Bei dem wird verdienen groß geschrieben (oder Der schreibt verdienen mit einem großen V): er schlägt sehr viel auf seine Waren, er verkauft sehr teuer, seine Geschäfte gehen ausgezeichnet. Der erst im 20.Jh. aufgekommene Ausdr. stammt wohl aus Berlin. Etw. nicht besser verdienen: einen Tadel, eine Niederlage zu Recht erhalten, d. h. nur in den Augen anderer, die das vorausgesehen haben. verflixt, verflucht. Verflucht und zugenäht! ist eine Steigerung des einfachen Fluches Verflucht4 = verwünscht; die Erweiterung stammt aus dem Schluß eines Studentenliedes: „da hab ich meinen Hosenlatz verflucht und zugenäht“, das schon am Ende des letzten Jh. geläufig war. Urspr. soll es ein Zitat aus Fritz Reuters ,Festungstid4 sein: „Als mir mein Liebchen die Folgen unserer Liebe gesteht, da hab’ ich meinen Hosenschlag verflucht und zugenäht44. Ähnl. Erweiterungen einfacher Flüche sind: ,Verflixt und zugenäht!4, ,Verdammt und zugenäht!4,,Verdammt juchhe!4 Seiler (S.274) meint, daß der Ausruf ,Verflucht und zugenäht!4 dann gebraucht wurde, wenn beim Fechten einer der Paukanten einen schweren Schmiß erhielt, der sofort zugenäht werden mußte. Der Ausruf bedeutet, daß man sich durch ein Unglück oder einen bösen Zufall nicht aus der Fas- 1107
Vergasung sung bringen läßt, sondern weiter seinem Ziele zustrebt.,Au, Backe!4 hat wohl ebenfalls auf der Mensur seinen Urspr. gehabt. Verflucht und vier ist neunzehn! dient zum Ausdr. des Erschreckt- oder Überraschtseins. Das Adj. verflixt (verflucht) wird zur Steigerung beigefügt, z. B. verflucht gescheit sein, oder enthält sogar ein anerkennendes Lob wie in der Wndg. ein verflixter Kerl sein. Vergasung. Etw. bis zur Vergasung tun (auch bis zur kalten Vergasung): etw. bis zum Überdruß tun oder üben. Der Ausdr. ,bis zur Vergasung4 geht keinesfalls auf Hitler und Auschwitz zurück. Er entstammt dem Begriffsbereich der Chemiker und Physiker. Er betrifft die Aggregatzustände. Wenn man einen festen Stoff erwärmt, wird er flüssig, bei weiterer Erwärmung gasförmig. Dieser anschauliche Vorgang erlebte damals schon seine Übertr. auf individuelle Vorgänge. Etw. ,bis zur Vergasung tun4 heißt: es bis ins Extrem übertreiben. Küpper meint, daß die Rda. mit dem Giftgas, das im Kriege angewendet wurde, in Zusammenhang steht. Man ist einer Sache so überdrüssig, daß man sich lieber durch Giftgas toten ließe, als noch weiterzumachen. Die Wndg. soll 1925 bei der Reichswehr auf gekommen und im 2. Weltkrieg durch die Soldatensprache verbreitet worden sein. Nach den Massenvernichtungen der Juden mit Giftgas hat der Ausdr. eine makabre Bdtg. erhalten, so daß er im Schrifttum nicht gedankenlos gebraucht werden sollte. verheiratet. Mitjem. (etw.) nicht verheiratet sein: sich jederzeit von einem (etw.) trennen können; z.B. ,Er ist mit dem Sessel nicht verheiratet4, er nimmt auch mit einer anderen Sitzgelegenheit vorlieb. verkaufen. Nichts zu verkaufen haben: bei einer Geselligkeit still sein; nicht zur Unterhaltung beitragen; hergenommen vom Kaufmann, der mangels Kunden ein stilles Geschäft hat; 20.Jh. Jem. für dumm verkaufen: ihn für dumm halten; ebenfalls erst 20.Jh. Sich verkaufen: zum Verräter werden, auch: von der Prostitution leben. Sich wie verraten und verkauft Vorkommen: hilflos, preisgegeben sein. Schwäb. heißt es: ,Di verkauf i hundertmol bis du mi oimol4, ich werde dich überlisten, denn ich bin schlauer als du. Vgl. frz. ,Cet homme vous vendrait tous à beaux deniers comptants4. Ähnl. meint die Kölner Rda. ,Dö verkäufss mêr kein Aeppel för Zitrone4 (,kein Flätte [= Nelke] för Viüle4), dir wird es nicht gelingen, mich zu übervorteilen, mir eine Lüge glaubhaft zu machen. verkehrt /Welt. verlassen. Da verließen sie ihn sagt man, wenn ein Gedanke plötzlich abbricht, auch dann, wenn ein Spieler sich mit seinen guten Karten verausgabt hat und nicht mit weiteren Stichen rechnen kann; hergeleitet aus Matth. 26,56: ,,da verließen ihn alle seine Jünger44; etwa seit 1900 aufgekommen (Küpper II, S. 301). Sich auf andere verlassen: mit der Hilfe anderer rechnen, häufig in der Erweiterung, die warnen soll:,Wenn du dich auf den verläßt, dann bist du verlassen4. Die Unzuverlässigkeit wird gern mit recht unsicheren Dingen umschrieben: Man kann sich auf ihn verlassen wie auf das Kalenderwetter, das selten zutrifft; wie auf das Eis einer Nacht, das nicht fest genug ist. Nordd. heißt es: ,Man kann sik up em so vêl verlâten as up en dode Rött4 (Ratte), also überhaupt nicht. Verlust. Ohne Rücksicht auf Verluste: um jeden Preis, unbekümmert, großzügig; die Rda. stammt aus den Wehrmachtsberichten des 2. Weltkriegs (z.B. „ohne Rücksicht auf Verluste wurde die Höhe XY genommen44). Noch ein Wort, und du stehst morgen auf der Verlustliste oder Mensch, sei vorsichtig. sonst konunste auf die Verlustliste: Drohreden, sold, seit dem 1. Weltkrieg; ähnl.: ,Du bist wohl lange nicht als Verlust gemeldet worden?4 (Küpper II, S.301). Verputz, verputzen. Der Verputz eines Hauses wird rdal. übertr. in den Wndgn.: Der Verputz bröckelt ab .'das Make up gerät in Unordnung; jem. den Verputz abkratzen: 1108
Verstand den Nimbus eines Menschen zerstören (KüpperII, S.302). Jem. nicht verputzen können: jem. nicht leiden können. Viel verputzen können: sehr viel essen können. verrückt. Auf jem. verrückt sein: heftig nach ihm verlangen (im Sinne eines unsinnigen Begehrens); wie verrückt: sehr; ich werde verrückt!ist ein Ausdr. der Verwunderung und Überraschung; bereits vorgebildet etwa in Ausdrücken wie ,vor Freude aus dem Häuschen geraten1 u.a. (Küpper I, S.336). Verrückt und //////(auch verrückt und drei) ist nenne sagt man berl. und mdt., wenn jem. einen recht gewagten Entschluß äußert; eigentl.: der Verrückte hat außer den fünf gesunden Sinnen noch einen oder mehrere weitere Sinne, wie z.B. den Wahnsinn, Blödsinn usw. Vers. Sich auf etw. keinett Vers machen können: den Zusammenhang einer Sache nicht verstehen; eine Äußerung oder Maßnahme nicht begreifen; meint dasselbe wie: ,sichetw. nicht zusammenreimen können'; 19. Jh. Die Rda. steht wahrscheinl. in Verbindung mit den Moritatenaufführungen auf den früheren Jahrmärkten, wo die einzelnen Szenen der Moritat in Bildern dargestellt und in Liedversen erklärt und glossiert wurden. War eine Geschichte am Ende gar zu merkwürdig oder verblüffend, dann fiel selbst dem gewandtesten Sänger kein passender Reim oder Vers dazu ein. Der letzte Vers ist noch nicht gesungen: etw. ist noch nicht entschieden, noch nicht abgeschlossen. Einem einige Verse aus Klopstock vorlesen: humoristische Umschreibung durch das Wortspiel für: Prügel verabreichen. verschissen. Es bei jem. (bis zur Steinzeit) Verschissen haben: bei ihm jegliche Achtung verloren haben. Die sehr junge und übertreibende Rda. bezieht sich auf das stud. Wort ,Verschiß' = Verruf. Auch Goethe kennt das derbe Wort aus seiner Straßburger Studentenzeit. verschossen. In jem. verschossen sein .in ihn verliebt sein. Die Grundvorstellung, die vermutl. aus der Studentensprache in die allg. Umgangssprache gekommen ist, bezieht sich auf die Pfeile des Liebesgottes Amor: wer von ihm ,geschossen4 ist, muß in Liebe entbrennen. Seine Pfeile (sein Pulver) verschossen haben: in einer Diskussion keine Gegenargumente mehr bringen können, sich verausgabt haben; /Pfeil. verschüttet. Es bei jem. verschüttet habett /Öl. Versenkung. In der Versenkung verschwinden: plötzlich und spurlos verschwinden, sich entfernen. Die Wndg. ist durch die Theatersprache in weitere Kreise gedrungen und schließlich allg. umg. bekanntgeworden; sie bezieht sich auf die Versenkungsmaschinerie der Theaterbühne, ähnl. wie einst der ,Deus ex machina4 sprw. geworden war. Wie dieser plötzlich und unerwartet als Retter erschien, so heißt es von manchen Personen, die man plötzlich nicht mehr bemerkt, sie seien in der Versenkung verschwunden, etwa wie Don Giovanni am Schluß der Mozartschen Oper. Bismarck: „Ich weiß wirklich gar nicht, wovon Sie reden werden, wenn ich plötzlich in einer Versenkung verschwinde“. Aus der Versenkung heraufholen (auftauchen): etw., das in Vergessenheit geraten war, wieder als wichtig hinstellen. versessen. Auf etw. (jem.) ganz versessen sein, oft mit dem Zusatz: wie der ATeufe! auf die arme Seele: etw. unbedingt besitzen, erreichen wollen, sein ganzes Streben, alles Interesse auf etw. richten, jem. sehr gern haben. Weniger häufig sagt man dafür auch: Er ist darauf versessen wie der Stößer auf die Taube. Verstand. Nur den Verstand sprechen fassen: ganz konsequent handeln, ohne auf Gefühle Rücksicht zu nehmen. Dagegen: wider den Verstand handeln: gegen besseres Wissen, töricht, ohne Einsicht handeln. Seinen Verstand zusammennehmen: sich sehr anstrengen und sich auf eine Aufgabe konzentrieren. Etw. mit Verstand genießen: etw. wie ein Kenner zu würdigen wissen, sich des Besonderen bewußt werden. Diese Rda. begegnet häufig auch als Aufforderung: ,Iß es mit Verstand!', vor allem wenn es der Rest 1109
Verstehen einer extra für jem. aufbewahrten köstlichen Speise ist. Jem. bleibt der Verstand (vor Ehrfurcht, parodiert auch: vor Erfurt) stehen: der Verstand scheint bei etw. Unbegreiflichem nicht mehr zu funktionieren und wird hierbei einem Uhrwerk verglichen; in einer berl. Parodie auf ein bekanntes Kirchenlied heißt es: Wenn ich dies Wunder fassen will, So steht mein Jeist vor Erfurt still. Kein endlicher Verstand ermißt, Wie jroß die Festung Erfurt ist. Ähnl. schreibt Schiller in ,Kabale und Liebe4 (III,2): „Mein Verstand steht still“. Sich den Verstand verrenken: angestrengt nach Lösungen oder Auswegen suchen. Die Rda. beruht auf einem Vergleich mit großen körperlichen Anstrengungen der Sportler, die unter Umständen zu Verletzungen und Verrenkungen der Glieder führen können. Für jem. Verstand fürchten: sich um jem. sorgen, der sich plötzlich unberechenbar wie ein Verrückter verhält. Den Verstand verlieren: sich zu unsinnigen Taten hinreißen lassen, über einem Unglück verzweifeln, wahnsinnig werden. Mit seinem Verstand (/’Latein) am Ende sein: etw. nicht begreifen können, weil es das Fassungsvermögen übersteigt, keinen Ausweg, keine Hilfe wissen. Häufig erscheint der Verstand in den Rdaa. zur Umschreibung der Dummheit. Die Feststellung Er wachst aus dem Verstände heraus meint: er wird täglich dümmer, mit zunehmendem Alter nimmt der Verstand ständig ab statt zu. Scherzhaft heißt es auch: Er hat zuviel Verstand, um einen Esel Kollege zu nennen. Durch Lokalisierung des Verstandes an unpassenden Stellen soll ebenfalls ausge- drückt werden, daß er seine Funktion nicht zu erfüllen vermag. So sagt man z.B.: Der hat seinen Verstand im Ellenbogen, oder: in der Kniescheibe. Vgl. ndl. ,Hij heeft een goed verstand, maar het zit wat diep‘. Hält man jem. für plötzlich nicht recht gescheit, fragt man ihn: Du hast wohl deinen Verstand in der Garderobe abgegeben?, oder man stellt fest: Er hat seinen Verstand in der Tasche. Vgl. ndl. ,Hij heeft het verstand in den zak‘. Überlegene Klugheit meint dagegen die Rda.: mehr Verstand im kleinen Finger als ein anderer im Kopfe (im ganzen Leibe) haben. verstehen. ,So to verstahn, dat Kind schall Jochen heten!‘ heißt es im Dithmarschen, wenn man erst nach vieler Mühe etw. begriffen hat. Zur Entstehung der Rda. wird in Schlesw.-Holst, folgende Geschichte erzählt: En jungen Burn sin Fru leg in Wee- ken. En Jung weer opstahn. De Bur gung na sin junge Fru an’t Bett un segg, he will dat Kind anmelln, wo dat heten schall. „Ja“, segg de Fru, „dat Kind schall Jochen heten“. „Oh! worüm denn jüst Jochen“, meent de Bur. „Dat Kind schall Jochen heten“, seggt de Fru. He kann dat ne begrie- pen un seggt: „Worüm denn jüst Jochen?“ „Dat Kind schall Jochen heten“, seggt de Fru. De Bur will dar ne mit aftreken. ,,Ja“, seggt de Fru, „dat Kind schall Jochen heten“. Do seggt de Bur: „Sooo to verstahn! dat Kind schall Jochen! heten!!“ De Grot- knecht heet Jochen. Jem. etw. zu verstehen geben: etw. andeuten, einen Wink geben, aber auch: ihm klar die Meinung sagen. Etw. versteht sich von selbst (am Rande): es ist natürlich und selbstverständlich, es muß nicht einmal nebenbei bemerkt werden. Vgl. lat. ,Illud indictum intelligitur4. Das Preuß. kennt diese Rda. mit einem humorvollen Zusatz: ,Dat versteh söck am Rand, wenn de Schätel voll öss\ Die Kurzform Versteht sich! dient der Bekräftigung. Etw. falsch verstehen: etw. anders auffassen, als es gemeint ist, etw. übelnehmen. Die Fragen Ich verstehe wohl nicht recht? und Habe ich (wirklich) recht verstanden? dienen zum Ausdr. ungläubigen Staunens und heftiger Entrüstung, ebenso wie der Zweifel am eigenen mangelnden Verständnis, indem man einen anderen fragt: Verstehst du das? In Norddtl. kann darauf die scherzhafte Zurechtweisung erfolgen: Das verstehst du nicht, das verstehe ich kaum. Sich zu etw. verstehen: sich überzeugen lassen, sich bereit finden. Häufiger erscheint diese Rda. ins Negative gewendet: sich nie (nicht) dazu verstehen: sich niemals zu etw. herbeilassen, seine Zustimmung versagen. 1110
Vielliebchen Sich auf etw. verstehen: etw. völlig beherrschen, es gelernt haben, besondere Geschicklichkeit zu etw. besitzen. Sehr häufig sind rdal. Vergleiche mit Tieren, die zur Steigerung des Nichtverstehens und Nichtkönnens dienen, z. B. ,Du verstehst soviel davon als eine Kuh Spanisch1, oder: ,Er verstoht so vil dervo as e Chue von ere Muschgetnuss und en Esel von ere Fige* heißt es in der Schweiz; ,Er versteht's wie ein Nashorn den Generalbaß1; ,Er versteht davon soviel wie der tote Hund vom Bellen1 ; ,Er versteht davon so viel als meine Katze1; vgl. ndl. ,Hij heeft er zooveel verstand van als onze kat*; ,Er versteht sich darauf, wie der Esel aufs Harfenspielen*, ,wie die Ziege auf die Petersilie* (Wander IV, Sp. 1608 f.)* Hat jem. offensichtlich Glück bei seinen Unternehmungen, heißt es anerkennend: Der versteht's! oder Er versteht quid juris: er weiß sich in die Welt zu schicken, vgl. frz. ,Cet homme sait aller et parier*. Das Gegenteil besagt die Wndg. die Welt nicht mehr verstehen. Sie beruht auf Friedr. Hebbels Trauerspiel ,Maria Magdalena* (1843/44), in dem Meister Anton am Schluß sagt: ,,Ich verstehe die Welt nicht mehr**. Verstandez vous? Verstehen Sie? ist eine scherzhafte Fragebildung neuerer Zeit nach frz. Konjugationsmuster. Verzierung. Sich keine Verzierung abbrechen: sich nichts vergeben, /abbrechen. Vetter. Die Vetternstraße ziehen: auf Reisen Verwandte besuchen, um billig zu leben. Die Wndg. kann erst seit der 2. H. des 19. Jh. umg. nachgewiesen werden. Fontane schreibt in ahnl. Sinne (Gesammelte Romane und Novellen, 1. Serie von 1890, V, 233): „Nachdem beide der Verlockung einer neumärkischen Vetternreise glücklich widerstanden hatten**. Es herrscht eine (üble) Vetternwirtschaft; häufig auch allg. umg. in schwäb. mdal. Form: ,Vetterleswirtschaft* oder in imper. Form: ,Schluß mit der Vetternwirtschaft (Vetterleswirtschaft)!*: Machenschaften zugunsten von Verwandten und Freunden, denen ohne persönliches Verdienst zu Ansehen und hohen Ämtern verholfen wird. Die Rda. den Papst zum Vetter haben hat ähnl. Bdtg. und bezieht sich auf den Nepotismus der Renaissancepäpste. viel. Einen zuviel haben: einen Sinn zuviel, iron, gemeint: den Sinn der Unvernunft. So sagt in Hans Sachs1 ,Kunz mit dem Hute* die Mutter als Entschuldigung von ihrem einfältigen Sohne: „Mein Kunz hat eins sins zu viel im häufen“. Das urspr. ,einen Sinn zuviel* ist dann gekürzt in ,einen zuviel*. Nicht viel los sein mit jem.: einer besitzt wenig Kenntnisse und Fertigkeiten, er taugt nicht viel und ist nicht zu gebrauchen. Nicht viel daran sein: eine Sache ist wenig nütze, eine Nachricht, ein Gerücht entspricht kaum der Wahrheit. Nicht viel danach fragen: sich wenig darum kümmern, sich an keinen Vorschriften stören, sich über eine Zurechtweisung nicht ärgern. Das ist ein bißchen viel auf einmal: die plötzliche Belastung, Zumutung ist zu groß. Viel vertragen können: ohne Schaden viel Alkohol trinken können, aber auch in übertr. Sinne: viel Kummerund Schmerzen aushalten können, Angriffe und Niederlagen länger als andere geduldig hinnehmen können. Vgl. ,ein dickes /Fell haben*. Vielliebchen. Finden junge Leute verschiedenen Geschlechts bei einem Zusammensein in einer Nuß oder einer Mandel zwei Kerne, so nennen sie diese ,Vielliebchen*; jedes ißt einen davon, und wer bei der nächsten Begegnung dem andern zuerst ,Vielliebchen* zuruft, bekommt von ihm ein Geschenk. In Frankr. redet man statt von ,Vielliebchen* von ,Philippe* und philippine*. Die Schweiz. Belege lauten dahin, daß zwei Personen, die gleichzeitig dasselbe Wort aussprechen, zusammen ,eine Philippine machen*. Haben zwei Personen gleichzeitig denselben Gedanken, so haben sie ,eine arme Seele erlöst*, ,en Schnider in Himmel ufe glupft*, ,eine Pfaffechöchin us em Fegfür erlöst* (schweiz.). Wenn im Allgäu zwei Personen in Gesellschaft im nämlichen Augenblick denselben Einfall haben und das gleiche sagen wollen, so sagt man: ,Jetzt ist eine Pfarrersköchin erlöst worden*. Die beiden können sich auch schnell 1111
Vier(e) etw. wünschen; das soll dann in Erfüllung gehen. Eine rein rationale, aus der Bildungsschicht stammende Deutung der Gleichzeitigkeit desselben Wortes finden wir schließlich in der frz. Rda. ,Les beaux esprits se rencontrent4, die ihr ital. Gegenstück hat: ,1 geni si incontrano4. Gleichzeitigkeit als zufälliges4 zeitliches Zusammentreffen ist - ebenso wie das räumliche Zusammentreffen besonderer Art - eine der fundamentalen Erfahrungen, auf welche sich die sogenannte sympathetische Magie aufbaut. Aus auffallendem zeitlichem oder räumlichem Kontakt werden Schlüsse auf Wesenszusammenhänge gezogen. Wenn zwei Personen gleichzeitig dasselbe Wort aussprechen oder auch nur denselben Gedanken haben oder nach derselben Sache greifen, so folgert die magische Logik eine sympathische Beziehung zwischen den beiden Personen: sie werden zusammen an eine Hochzeit gehen, sie werden zusammen Paten sein, sie seien für eine bestimmte Zeit Cousins oder Geschwister, sie sterben zusammen, oder sie haben Glück zusammen, kurz: sie sind irgendwie in Glück oder in Unglück verbunden. Andere Folgerungen magischen Denkens, die aus der Feststellung der Gleichzeitigkeit desselben Wortes gezogen werden, führen über die Verbindung der unmittelbar beteiligten zwei Personen hinaus: Es kommt eine Nachricht, es geht ein Wunsch in Erfüllung, man erlöst eine Arme Seele. Die nichtrationale Logik kennt keinen Satz des Widerspruches. Also kann man die genannten Folgerungen, die aus der Gleichzeitigkeit desselben Wortes gezogen werden, auch umkehren: Entweder heißt es, die zwei Personen leben noch lange zusammen, oder es heißt, sie sterben beide binnen einem Jahr. An Wunscherfüllung glaubt man nicht nur bei Gleichzeitigkeit des Wortes, sondern auch wenn Sterne fallen. Wie in der antiken Mantik die Zukunft, je nachdem, ob es sich um divinatio artificiosa oder divinatio naturalis handelte, von natürlichen Ereignissen oder von künstlichen Veranstaltungen abhängig gemacht wurde, so kann die Wunscherfüllung aus entspr. selbstgeschaffenen oder Vorgefundenen Bedingungen gefolgert werden. Auch in der spieleri¬ schen ,Kindermagie4 wird die erwünschte Gleichzeitigkeit - nach dem Vorbild traditioneller magischer Praxis - provoziert oder bestätigt: Zwei Kinder geben sich schnell die Hand, indem sie sich gleichzeitig im stillen etw. wünschen; dann zählen sie zusammen auf drei und sagen gleichzeitig ,Schiller4 oder ,Goethe4; wenn sie das gleiche sagen, geht der Wunsch in Erfüllung; und dementspr. im Welschland, nur daß anstelle von Schiller oder Goethe ,chien4 oder ,chat4, auch ,rose4 oder ,bleu- ciel4 gesagt werden muß. Der Schweiz. Vkde.-Atlas (Teil II, Karte 245) hat die Rdaa. bei zufälliger Gleichzeitigkeit kartenmäßig dargestellt, und zwar aufgrund einer Umfrage: ,Was sagt man, wenn zwei Personen gleichzeitig dasselbe Wort aussprechen?4 Dem Kommentar-Teil sind die vorstehenden Belege und Ausführungen entnommen. Ut.: H. L.A. Visser:7MUi Problem der nicht-rationalen Logik, in: Kant-Studien, 32 (1927), S.242ff.; HdA. III, Sp. 863, Art. .Gleichzeitigkeit1 von H. Bächtold- Stäubli; HdA. VIII, Sp. 1661 f., Art. ,Vielliebchen‘ von P. Sartori. vier(e). Er ist auf allen vieren beschlagen und hat noch ein Hufeisen in der Tasche: er ist sehr listig und geschäftstüchtig, er hat immer noch einen Hinterhalt, einen Ausweg, er weiß stets eine treffende Antwort, eigentl.: es mangelt ihm wie einem gutbeschlagenen Pferd nichts, ein Verlust hält ihn nicht lange auf, denn er besitzt Reserven. Die in Norddtl. verbreitete Rda. begegnet auch in mdal. Form, z.B. siebenbürg.-sächs. ,Di äs af alle vären be- schlöen4. Mit allen vieren danach greifen: so begierig sein, daß die Hände zum Zufassen nicht reichen und am liebsten noch die Füße zu Hilfe genommen würden. Alle viere grade sein lassen: sich nicht im geringsten bemühen, faulenzen, sich nicht mehr um seine eigenen Angelegenheiten und die anderer kümmern. Alle viere von sich strecken: Umschreibung für schlafen, sich faul ausstrecken, aber auch für sterben. Auf allen vieren gehen (kriechen): auf Händen und Füßen gehen, sich nur mühsam fortbewegen können, schwach und krank sein und sich deshalb nicht aufrichten kön¬ 1112
Vogel nen, aber auch: einen gefahrvollen Weg (glatt, steil, beobachtet) zu bewältigen suchen. Auf alle viere fallen: bei einem Unglück zu keinem größeren Schaden kommen. Die Rda. bezieht sich auf die Katze, die bei jedem Sturz sicher auf den Füßen landet und sich nicht verletzt. Ein Vierer sein: ein dummer Mensch sein, dem ein Sinn fehlt. Unter vier Augen / Auge. Auf seinen vier Buchstaben /Buchstabe. In seinen vier Wänden / Wand. In alle vier Winde / Wind. Violine. Das spielt keine Violine: das spielt keine Rolle. Scherzhafte Zurückführung des Spielens auf seine eigentl. musikalische Bdtg.; etwa seit 1920 bezeugt (Küpper II, S. 304). Zur Umschreibung von Empfängnis und Geburt sagt man in Westf.: ,Es geht mit der Violine hinein und mit dem Basse heraus'. Die erste Violine spielen /Geige. Lit.: M. Willberg: Die Musik im Sprachgebrauch, in: Muttersprache (1963), S. 201 ff. vis-à-vis. Dem stehst du machtlos vis-à-vis: in dieser Sache bist du machtlos; etwa seit 1900 bezeugt. Die Rda. wurde auch parodiert: ,Da stehst du machtlos vorm Service!4 Visier. Mit offenem Visier kämpfen: offen, anständig kämpfen, eigentl.: ohne das das Gesicht abschirmende Helmgitter; in übertr. Sinne seit Herder belegt; das Visier lüften: sich zu erkennen geben, z. B. bei Ludwig Börne bezeugt. Beide Wndgn. knüpfen an das Kampfleben und an das Turnierwesen des MA. an, ohne doch unmittelbar darauf zurückzugehen. Er naht ihm mit geschlossenem Visier: er gibt sich beim Kampf nicht zu erkennen, er führt versteckte Angriffe. Vgl. ndl. ,Hij na- dert hem met gesloten vizier4. Vogel. Einen Vogel haben (z.T. noch scherzhaft ergänzt: ,einen Vogel mit Freilauf haben4): nicht ganz bei Verstand sein, eine fixe Idee haben, närrisch sein; umg. und mdal. vielfach bezeugt. Nach altem Volksglauben wird die Geistesgestörtheit durch Nisten von Tieren im Kopf verursacht. Die zugrunde liegende Vorstellung zeigt sich auch in parallelen Wndgn., wie ,Bei dir piepts wohl?4 (/Pfeife), auch: ,Dich pickt wohl der Vogel?4 Sein Vogel braucht Wasser (oder Futter); sein Vogel ist Amok gelaufen: zi ist nicht recht bei Verstand. Viele Redewndgn. und bildl. Ausdrücke für Geistesgestörtheit und der Gebrauch von Tiernamen für abnormale Geisteszustände beruhen auf den volkstümlichen Anschauungen vom Wesen der Krankheit als Dämonenbesessenheit, etwa auch: ,Mäuse im Kopf haben4; ,Grillen im Kopf haben4; ,ihm steckt der Kopf voll Mäusenester4; ,es läuft ihm eine Ratte durch den Kopf4; ,er hat einen Hirnwurm4, ,einen Spatz im Dach4, ,einen Engerling4, ,einen Käfer4, ,eine Motte4,,Fliege im Kopf4, ,eine Mücke4, ,Schnake4, ,einen Regenwurm4, Xgel4. Jem. einen Vogel zeigen, sich einen Vogel in die Stirn bohren: gegen jem. die Dummheitsgebärde machen (auch als ,Autofahrersprache4 oder ,Autofahrergruß4 bez.). * Vögel (öfter noch: Spatzen) unter dem Hut haben.dzn Hut zum Gruß nicht abnehmen. Einen toten Vogel in der Tasche haben: einen Darmwind entweichen lassen, nach Darmgasen riechen (seit 1900 belegt). ,Den Vogel abschießen4 Den Vogel abgeschossen haben: die beste Leistung erzielt haben; vom volkstümlichen Brauch des Vogelschießens hergenommen (vgl. die Darstellung auf dem ndl. Bilderbogen der Bauernkirmes), wo derjenige Schützenkönig wird, der den Vogel herunterschießt. Einem die Vögel auf dem Dache weisen: ihn nicht bezahlen, eigentl. auf einen sehr unsicheren Besitz verweisen, der wie die Vögel auf dem Dache plötzlich verschwunden sein kann. Von einem Menschen in unsi¬ 1113
Vogel cherer Position sagt man ähnl. z.B. in Bedburg: ,Dä ess jetzt wie ’ne Voggel op de Heck4. Dem Vogel noch Flügel ansetzen: den Eiligen noch anspornen. Den Vogel fliegen (pfeifen, singen) lehren: etw. Überflüssiges tun. Friß Vogel oder stirb!: wer das Vorgesetzte Futter nicht mag, wird verhungern müssen; übertr.: es gibt nur diese eine, unangenehme Möglichkeit. Um einen Vogel kirre zu machen, wird ihm bestimmtes Futter vorgesetzt und kein anderes. Luther JFriß Vogel oder stirb! schreibt: „Wie du wilt, Vögelin, wiltu nicht essen, so stirb“; in der ,Zimm£rischen Chronik4 (I, 271): „es hieß ,compelle intrare, vogel iß oder sterb!‘ “; auch in Grimmelshausens ,Simplicissimus4 (II, 203) heißt es: „Ich dachte, jetzt heißts: Friß Vogel oder sterb“. Der Straßburger Pfarrer Johann Nikolaus Weislinger (1691-1755) verfaßte 1722 eine Schmähschrift auf Luther ,Friß, Vogel, oder stirb!4 Wie ein Vögelchen essen: sehr wenig zu sich nehmen, häufig von Kindern und Kranken gesagt. Sich die gebratenen Vögel (Tauben) in den Mund fliegen lassen: zs sich wie im /Schlaraffenland ohne Arbeit wohl sein lassen. Abraham a Sancta Clara gebraucht diese Wndg. öfters, z.B. schreibt er in seinem ,Judas4 (III, 155): „Ihnen fliegen die gebratenen Vögel ins Maul“; /Taube. Ein Vögelchen davon haben singen hören: auf geheimnisvolle Weise Kunde von etw. erhalten haben, die für andere unerwartet und überraschend ist. Diese Rda. geht wohl auf alten Volksglauben zurück, nach dem die Vögel den Menschen geheime Mitteilungen machen oder sie warnen, wie dies in vielen Märchen, Sagen, Volksliedern als Motiv vorkommt. Sigurd versteht in der ,Edda4 die Sprache der Vögel, die ihn warnen, und Odin hatte die Raben Hugin und Munin zur Seite, die ihm über alles berichten, was sie sehen und hören. Die Vorstellung, daß die Vögel Nachrichten verbreiten, ist bereits in bibl. Zeit vorhanden. Beim Prediger Salomo 10,20 heißt es warnend: „Fluche dem König nicht in deinem Herzen und fluche dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer; denn die Vögel des Himmels führen die Stimme fort, und die Fittiche haben, sagen’s weiter“. Ein Volkslied von 1632 (F. W. v. Ditfurth, Historische Volkslieder, 1882, Nr. 61) sagt: Ich hör ein Vöglin singen, Dat lut (lautet) mich wol vorwahr! Wollt Gott, dat an den Dingen All nichtes were gar. Friedr. Hebbel (,Die Nibelungen4) läßt seinen Siegfried sagen: So hätt’ vielleicht ein Vogel das Gerücht Verbreitet, daß sie mich erschlagen hätten. Er hat den Vogel pfeifen hören: er hat die Sache gemerkt; was verborgen bleiben sollte, ist ihm auf geheimnisvolle Weise zu Gehör gekommen. Die entgegengesetzte Bdtg. hat die Rda. ,Die Spatzen pfeifen es von den (allen) Dächern4, das angebliche Geheimnis ist in aller Munde, die ganze Stadt spricht schon davon; westf. ,Dat wie- tet de Vüegel upm Dake4. Seinen Vogel auslassen: sein eigentl. Anliegen Vorbringen. Der Vogel ist ausgeflogen: der Gesuchte ist nicht daheim (vgl. Nest), der Gefangene ist entflohen. Dagegen heißt Der Vogel sitzt: der Dieb ist im Gefängnis. Der Vogel ist ins Garn (auf den Leim) gegangen: er hat sich überlisten lassen. Die Rda: kommt aus dem Bereich der Vogelstellerei, bei der die Vögel mit Netzen oder Leimruten gefangen wurden, die von ihnen nicht als gefährlich erkannt werden konnten. Häufig wird der Mensch mit einem Vogel verglichen, der durch verschiedene Adj. noch näher charakterisiert wird. Bereits Wickram bez. im 16. Jh. einen ausgelassenen oder liederlichen Menschen als losen 1114
Voll Vogel. Ein Mensch mit sonderbaren Ansichten und merkwürdigen Gewohnheiten wird ein seltener (rarer, Römischer) Vogel genannt. Vgl. ndl. ,Dat is ook een rare vo- gel‘. In den ,Satirae4 (I, 46) des Aulus Persius Flaccus (34-62 n.Chr.) findet sich wie bei Juvenal (60-140 n.Chr.) der Ausdr. „Rara avis“ = ein seltener (rarer) Vogel. Die älteste dt. Benutzung der Wndg. i. S. v. äußerst seltener Erscheinung findet sich bei Luther. In seiner Schrift ,Von weltlicher Obrigkeit* (Weimar. Ausg. 11, 267) steht: „Und soit wissen, das von anbegynn der wellt gar èyn seltzam vogel ist umb eyn klugen fürsten, noch viel seltzamer umb eyn frumen fürsten“. Vgl. auch: ,ein weißer Rabe sein4, ein Ausdr., der von Juvenal (,Sat.4 VII, 202) überliefert ist. Ein Leichtsinniger ist ein leichter (lockerer, lustiger) Vogel. Im ,Rollwagenbüchlein4 (XVI u. XXXII) wird ein Taugenichts als nasser Vogel treffend charakterisiert, denn er ist sowenig nütze wie ein naßgewordener Vogel, der nicht mehr fliegen kann. Es sind Vögel von einerlei Federn: es sind Menschen von gleichem Schlage, einer ist nicht besser als der andere. Vgl. ndl. ,Het zijn vogels van eender veren4. Die Rda. Ich bin ein gesprenkelter Vogel: ich werde von allen Seiten angegriffen, ist bibl. Herkunft. Jer. 12,9 heißt es: Mein Erbe ist wie der sprenklige Vogel, Um welchen sich die Vögel sammeln. Vgl. auch ndl. ,Het is een gesprenkelte vogel4. Vogel-Strauß-Politik treiben /Strauß. Lit.: R. Riegler:Tiernamen zur Bez. von Geistesstörungen, in: Wörter u. Sachen 7 ( 1921 ), S. 129 ff.; E. Inger- soll: Birds in Legend, Fable and Folklore (New York 1923); L. Honko: Krankheitsprojektile. FFC. 178 (Helsinki 1959); L. Röhrich: Krankheitsdämonen, in: Volksmedizin (Darmstadt 1967), S. 283ff.; L. Röhrich u. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.316L vogelfrei. Jem. für vogel frei erklären: ihn für schutzlos erklären. Der seit der 1. H.des 16. Jh. bezeugte Ausdr. stammt nicht unmittelbar aus der alten Rechtssprache, gehört aber doch in den Bereich des Rechts: „aqua et igni interdictus“ seit Seb. Franck (1538, ,Chron. Germ.4); auch bei N. Frischlin (Nomenkl. 577): „igni et aqua interdicere, vogelfrei machen“. Die Wndg. geht darauf zurück, daß dem Körper des Geächteten das Grab versagt, daß er vielmehr ,den Vögeln erlaubt4 (avibus permissus), d.h. den Raubvögeln anheimgegeben wurde. Vgl. auch ndl. ,Hij is vogelvrij ver- klaard4. Die Wndg. wird später in freierer und übertr. Verwendung nicht nur von Personen, sondern auch von Sachen gebraucht: „So wäre denn mein Buch in Deutschland vogelfrei erklärt“ (Börne, Ges. Schriften, Bd.XI, S. 183). Jac. Grimms Erklärung ,frei wie ein Vogel in der Luft, den jeder schiessen darf4 trifft nicht zu, weil die Jagd auf Vögel zum Wildbann gehörte. Dagegen ist ein anderes vogelfrei, das zuerst 1490 (,Tirol. Weistümer4 III, 171) auftritt und ,völlig frei von Herrschaftsdiensten4 bedeutete, zunächst ,frei wie der Vogel in der Luft4 (Kluge-Götze). Lit.: H. Siuts: Bann und Acht und ihre Grundlagen im Totenglauben, in: Schriften zur Volksforschung, Bd.I (Berlin 1959). Vokativ. Ein rechter Vokativus wird in zahlreichen Mdaa. jem. genannt, dem nicht zu trauen ist, der es ,hinter den Ohren4 hat. So schon bei Grimmelshausen im »Vogelnest4 (2, 6): „Der Apotheker, welcher gar ein arger Vocativus ist44. »Vocativus4 ist in derlat..Deklination der Anredefall; da man diesen oft in mißbilligendem oder strafendem Sinne anwendet, hat der aus dem Lateinunterricht geläufige Ausdr. seinen sprw. Sinn angenommen. Volksfest. Es ist mir ein Volksfest, iron. Verstärkung der Wndg. ,Es ist mir ein Vergnügen4, ,es ist mir angenehm4, ,es freut mich sehr4; ebenso: ,es ist mir ein innerer Reichsparteitag4 oder ,es ist mir ein innerer Vorbeimarsch4, mit Beziehung auf die Reichsparteitage der Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren aufgekommen. voll. Jem. nicht für (ganz) voll nehmen: ihn nicht ernst nehmen, nicht für vernünftig genug halten, seine Zurechnungsfähigkeit bezweifeln. Vielleicht stammt dieser Ausdr. aus der Münzkunde: eine Münze war dann nicht vollgültig, wenn sie den gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich Gewicht und Metall nicht entsprach (Küpper). Da diese Rda. umg. häufig unter Jugendlichen zu hören ist, die sich beklagen, daß 1115
Volte ,man sie nicht für voll nimmt\ ist es wahrscheinlicher, daß ein Zusammenhang mit der Erreichung der Volljährigkeit besteht, nach der man erst für seine Taten voll verantwortlich gemacht werden kann. Indie vollen gehen: mit ganzer Kraft Vorgehen und dabei alle Chancen offenhaben, die jedoch verspielt werden können. Die Wndg. stammt vom Kegelspielen her, wo mit dem ersten Treffer alle Kegel fallen können, doch diese Gelegenheit auch durch Ungeschick verpaßt werden kann. Aus dem vollen leben (schöpfen, wirtschaften): ein uneingeschränktes Luxusleben führen, aus einem Überfluß (eigentl. aus gefüllten Vorratsspeichern) sorglos wählen können, in übertr. Bdtg.: reiche Kenntnisse und Erfahrungen souverän nutzen. Ins volle greifen: sich alles leisten können, sich keinen Wunsch versagen müssen. Bis obenhin (bis zum Eichstrich) voll sein: sehr satt oder betrunken sein. Rdal. Vergleiche dienen zur Schilderung hochgradiger Trunkenheit : voll wie ein Sack sein; voll wie ein Schwamm sein, der sehr saugfähig ist und viel auf nehmen kann; so voll wie eine Strandhaubitze (Strandkanone) sein, vgl. ndl. ,zoo vol (geladen) als een kanon4 oder ,kanon zijn4. Auch Tiervergleiche sind äußerst beliebt: so voll wie eine Sau, wie eine Zecke sein; in Köln heißt es: ,Hä ass esu voll wen Krät4 (Kröte); /trinken. Sich vollaufen lassen: viel Alkohol trinken. Sich vollmachen: sich beschmutzen, aber auch: großes Getue, unnötiges Theater machen. Die häufige Zurechtweisung ,Mach dich nicht voll!4 heißt demnach: rege dich nicht künstlich auf, spiele dich nicht zu sehr auf! Bedrängnis und Enge werden anschaulich und wirkungsvoll durch Vergleiche geschildert: Es ist so voll wie ein Ei: es ist überhaupt kein Platz in einem Raum mehr vorhanden, vgl. frz. ,C’est plein comme un œuf4; ein Saal (ein Verkehrsmittel) ist zum Brechen voll; es ist so voll, daß kein Apfel zur Erde kann (/Apfel), daß man keinen Hundeschwanz mehr hindurchziehen kann; es istproppen-(pfropfen-) voll, vgl. ndl. ,zoo vol als mud4. In Moers heißt es: ,Et es so voll wie en Pöttche met Pieren4, vgl. auch ndl. ,Het was er zoo vol als gepakte haring4. Volte. Eine Volte schlagen: eine rasche Wndg. vollführen. Die Rda. entstammt als Fachausdr. der Reit- und Fechtkunst und gelangte im 17. Jh. zu uns. Volte gehört zu lat. ,volvere4, ital. ,volta4 und frz. ,volte4. Vgl. frz. ,faire la volte4. Beim Stoßfechten gehört die Volte zu den Bewegungen der Füße, wenn man dem feindlichen Stoß entweder ausweichen oder den Gegner mit Vorteil treffen will. Diese Bewegung wird ausgeführt, indem man den linken Fuß nach rechts hinter den rechten setzt. Lit.: J. Schmied-Kowarzik u. H. Kufahl: Fechtbüchlein, 2. Aufl. (Leipzig o.J. [1894]), S.195; Kluge-Götze, S.843. Vordermann. Auf Vordermann bringen: eine Gruppe von Menschen zur gleichen Ansicht bewegen. Die Rda. stammt aus dem militärischen Exerzierreglement: die Soldaten werden so ausgerichtet, daß Kopf hinter Kopf steht und der Vordermann die Richtung des Hintermanns bestimmt. Da es dabei erfahrungsgemäß nicht sanft zugeht, hat die Rda. auch den Nebensinn des Rügens und Zurechtweisens erhalten (Küpper I, S.341). Vorschuß. Er hat Vorschuß genommen: er hat Gattenrechte bereits vor der Heirat verlangt. Die Rda. bezieht sich eigentl. auf eine Regelung bei der Lohnzahlung: in bedrängter finanzieller Lage kann der Arbeitnehmer um die Vorausbezahlung eines Teillohnes bitten. Vorschußlorbeeren erhalten: ein Lob schon vor vollendeter Tat erhalten. Die Wndg. wurde durch Heinrich Heines Gedicht ,Plateniden4 im ,Romanzero4 bekannt, in dem Heine auf die öffentl. Dichterehrung mit einem Lorbeerkranz anspielt. In Str. 5 rühmt er das Verhalten großer Dichter (Schiller, Goethe, Lessing, Wieland): Wollten keine Ovationen Von dem Publico auf Pump, Keine Vorschuß-Lorbeerkronen, Rühmten sich nicht keck und plump. Lit.: Büchmann, S.313. Vorsicht. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!: große Sicherheitsvorkehrungen, die übertrieben und unnütz erscheinen, sind einem späteren Schaden vorzuziehen. Gern gebraucht der Überängstliche 1116
Wachtmeister diese Wndg., wenn man seine Maßnahmen und Vorschriften belächelt. Diese scherzhafte Umformung der älteren Wndg. Vorsicht ist die Mutter der Weisheit1 stammt wahrscheinl. aus Berlin und ist wohl im Hinblick auf das häufig warnende Schild beim Transport: ,Vorsicht, Porzellan!“ (Glas, zerbrechlich) entstanden. E. Ströbele weist nach, daß die zugrunde liegende Bildformel ,,X ist die Mutter von Y“ auf dem griech. Sprw. ,Die Erde ist die Mutter des Reichtums4 beruht und dem Mythos der Erdgöttin (Demeter) nahesteht. Nach diesem Formmodell verlaufen zahlreiche Sprww. aus vielen Sprachbereichen; /Mutter. Jem. ist nur mit Vorsicht zu genießen: er ist launisch und unberechenbar. Lit.: E. Ströbele: „X ist die Mutter von Y“ - Zum Lebenslauf einer Bildformel, Archer Taylor octogenario in honorem, in: Proverbium 15 (Helsinki 1970), S. 120-121. W Waage. Einem die Waage halten: ihm an Stärke (eigentl.: an Gewicht) gleich sein, es mit ihm aufnehmen können; seit dem 17. Jh. häufig bezeugt, daneben früher auch: ,gleiche Waage halten4. Die Rda. verweist auch auf ein Kinderspiel, das ,Waagetreten4. Die Kinder setzen sich an beide Enden eines Balkens, der quer über einem anderen liegt, ein Kind in der Mitte hält das Gleichgewicht. Ähnl. Wndgn. sind: Sie können einander die Waage halten: sie sind sich gleich; etw. hält sich die Waage: es bleibt sich gleich. Das Zünglein an der Waage sein: der entscheidende Faktor sein, den Ausschlag geben. Etw. auf dieselbe Waage legen: mit gleichem Maß messen. Vgl. lat.,eadem pensari trutina4; ,hanc veniam damus petimusque vicissim4;,patere legem, quam ipse tuleris4. Die Waage verlieren: das Gleichgewicht verlieren. Bair, bedeutet ,auf der Waage sein4 noch ungewiß sein, nach welcher Seite sich etw. entscheiden soll; dafür sonst: ,auf der Kippe stehen4; /Goldwaage. In der mhd. Lit. findet sich ein Beleg bei,Herzog Emst4: „üf eine wäge setzen den Hp44. Zahlreiche Ausdrücke und Wndgn., bei denen wir heute im allg. nicht mehr an die Waage denken, stammen doch von ihr her und bezeugen so ihre Wichtigkeit für das öffentl. Leben. ,Sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen4 ,Wichtigkeit4 selbst gehört dazu, samt ,wichtig4 und »gewichtig4; ferner Rdaa. wie Gewicht auf etw. legen; sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen: sein Ansehen, seine Autorität als Mittel einsetzen; schwer in die Waagschale fallen: ins Gewicht fallen, entscheidend sein, (nahezu) den Ausschlag geben. Das Schwert in die Waagschale werfen /Schwert. Wachtmeister nennt man scherzhaft einen dicken Tabaksqualm im geschlossenen Raum: Hier ist aber ein Wachtmeister im Z/>«/?2er;auchmdal.,z.B. obersächs.: ,Hier is ja e scheener Wachmeester hinne, da kammer jaglei mit’n Säbel durchhaun!4 Die 1117
Wagen Rda. geht darauf zurück, daß in Wachtstu- ben meist stark geraucht wurde und daß der Wachtmeister einen fürchterlichen Qualm erzeugte, so daß man ihn nur noch vermuten, aber nicht mehr selbst sehen konnte. 1881 ist aus Leipzig bezeugt: ,’s is e Damp wie in enner Wachstube, wie uf der Hauptwache4. Wagen. Einem an den Wagen fahren (mdal., z.B. schwäb. auch: ,einem an den Karren kommen1): ihm zu nahe treten, ihn beleidigen; jem. nicht an den Wagen fahren können: keinen Anlaß haben, ihn ins Unrecht zu setzen; lit. seit dem Ausgang des 18. Jh. bezeugt; so 1779 in Johann Gottwerth Müllers Roman ,Siegfried von Lindenberg4 (IV, 368): ,,Herr Fix... wußte, daß er nicht viel Federlesens zu machen pflegte, wenn man ihm mutwilligerweise an den Wagen fuhr44; ndd. ,Laat di ni an’n Wagen föhrn!4;pomm. ,Helett sik nich an Wagen kamen4, er läßt sich nicht zu nahe kommen. Moderne Varianten der Rda. sind: ,jem. an den Wagen pissen4, ihm in die Quere kommen; ,sich nicht an den Wagen pinkeln lassen4, sich keiner Unredlichkeit schuldig machen; ,jem. nicht an den Wagen pinkeln können4, ihm nichts Unredliches vorwerfen können (Küpper II, S. 307). Vgl. frz. ,11 faut faire venir la croix et l’eau bénite pour l’avoir1. Altmärk. ,Dat is min Waog’n un Plôg4, das ist mein tägliches Handwerkszeug, das ist mein Stand und Beruf. So schon ähnl. bei Seb. Franck (,Weltbuch4 134): „es ist der guten herren wagen und pflüg44; vgl. ndl. ,Dat is mijn wagen en mijn ploeg4; /'Pflug. Das fünfte Rad am Wagen /Rad. Sehen, wie der Wagen läuft: abwarten, wie sich eine Sache entwickelt. Sich nicht vor jem. Wagen spannen lassen: sich nicht vor jem. Karren spannen lassen, sich nicht für ihn abplagen wollen, ihm keinen Vorschub leisten. Dagegen: am Wagen geschoben haben: bei einer Sache beteiligt gewesen sein, Hilfe und Unterstützung geboten haben. Er kann den Wagen nicht im Gleise halten: er kommt vom rechten Wege ab, steuert selbst seinem Unglück entgegen; vgl. ndl. ,Hij weet den wagen niet regt te houden4. Der Wagen ist aus den Geleisen: die /Karre ist in den Dreck gefahren worden; vgl. ndl. ,De wagen is uit het spoor4 und den lit. Beleg in Fischers,Psalter4 ( 121,1 ): „den wagen in kot füren“. Der Wagen wird für (vor) die Rinder gespannt: etw. wird verkehrt begonnen; vgl. lat.,Plaustrum bovem trahit4. Gleiche Bdtg. hat die Wndg. das Pferd hinter den Wagen spannen. Von einem, der am unpassenden Ort oder vorzeitig redet, sagt man in Rottenburg: ,Dear lädt au ällaweil da Waga voar der Schur a4. Vom Wagen auf die Karre kommen: in schlechtere Verhältnisse geraten; vgl. ,vom /Pferd auf den Esel kommen4. Einem den hinteren Wagen schmieren: ihm Beine machen, meist als Drohung verwendet. Einen Horizont wie ein Wagenrad haben: ganz geringes Interesse oder gar kein Verständnis besitzen. wahr. Schon gar nicht (bald nicht) mehr wahr sein: zs ist schon so lange her, daß man es kaum noch glauben kann. Die Rda. wird bereits von Hans Sachs in seinem Fastnachtsspiel ,Der Teufel nahm ein altes Weib4 (6) verwendet, wo er schreibt: Es ist so lange her, „das schier ist nimer war44. Etw. nicht wahrhaben wollen: z\vt. nicht als Tatsache anerkennen wollen, bewußt seine Augen vorder Wirklichkeit verschließen. Das ist zu schön, um wahr zu sein! Die Wndg. war urspr. eine Schlagerzeile aus dem Film ,Der Kongreß tanzt4 (1931). Häufig erscheint das Wort wahr in Beteuerungsformeln wie So wahr ich hier sitze; so wahr ich Hans heiße und in Vergleichen: Es ist so wahr wie das Amen in der Kirche; wie das Evangelium; es ist so wahr, als wenn's Gott selber sagte, vgl. lat. ,Non Apollinis responsum magis verum atque hoc dictum est4; es ist so wahr wie zwei mal zwei vier ist, vgl. ndl. ,Het is zoo waar, als dat twee maal twee vier is4; es ist so wahr wie das Einmaleins; wiedas Gesetz und die Propheten; es ist wahrer als wahr. Bei Zweifeln an der Richtigkeit einer Mitteilung und bei einer offensichtlichen Lüge sagt man: Wer weiß, ob 's wahr isty oder ost- preuß. ,lst’s wahr? Waar’ hat der Jud’ im Sack4. Es muß wahr sein, denn es ist gedruckt; denn ich höre den Hahn auf seinem 1118
Wald Miste krähen. Im scherzhaften Vergleich heißt es: Es ist so wahr, als daß der Frosch Haare hat, vgl. ndl. ,Het is zoo waar, als dat de hond de bijl opät en den steel voor staart achter uit stak*. Wenn das wahr ist, will ich ein Schelm sein, vgl. lat. ,Locusta prius bovem pariet*. Beteuerungsformeln waren auch in der Lit. beliebt. Fischart (,Geschichtklitterung‘, in Kloster VIII, S. 264) schrieb: „Wo es nicht war, wolt ich mein Lebenlang ein Mechelburgischer Schunckenmadenfresser vnd Speckhencker aus Engem bleiben**. Von der Formel Wenn es nicht wahr ist, so schneuze mich der Teufel berichtete Hars- dörffer in seinen ,Gesprächspielen*, daß der Teufel einen, der diese Versicherung oft gebrauchte, mit einer glühenden Zange geschneuzt habe, und Abraham a Sancta Clara bemerkte dazu: „Wann dieser Höllegast allezeit sollte denjenigen die Nasen schnäuzen: welche anders reden als sie im Herzen haben, so werde man mehr gestutzte Nasen als gestutzte Hund finden“. Zur Bekräftigung eines Eides wurde auch gesagt: Wenn es nicht wahr ist, soll mich der Teufel holen! Wahrheit. An der Wahrheit sein: gestorben sein. Diese euphemist. Umschreibung meint eigentl., daß der Verstorbene das irdische Leben voller Lüge verlassen habe und sich nun im Reich der göttlichen Vollkommenheit und Wahrheit aufhalte. Auch Agricola (I, S.518) erklärt, daß die Wndg. ,Er ist an der warheyt, wir sind an der lugen* dann gebraucht wurde, wenn von einem Verstorbenen die Rede war. Vgl. ndl. ,Hij is aan de waarheid, wij zijn aan de leugen*; /zeitlich. Der Wahrheit die Ehre geben: nicht zu eigenem Vorteil eine Notlüge machen, sondern die reine Wahrheit sagen, auch wenn es schwerfällt. Der Wahrheit ein Mäntelchen umhängen (ein Hemdlein anziehen, einen Deckel machen): die Wahrheit vertuschen; vgl. frz. ,cotoyer la vérité* und ndl. ,hij heeft de waarheid een mantelje omgehangen*. Der Wahrheit eine Nase drehen, auch: die Wahrheit bei der Nase ziehen: die Wahrheit listig vertuschen, Ausflüchte gebrauchen, /Nase. Mit der Wahrheit herausrücken oder Die Wahrheit kommt aus dem Winkel hervor heißt es, wenn jem. einzugestehen beginnt. Die Wahrheit hinter der Tür schmücken: sich nicht offen aussprechen, vgl. ndl. ,Hij spaart de waarheed*. Hinter die Wahrheit kommen: etw. bisher Verborgenes erfahren, die eigentl. Ursachen erkennen. Einem die Wahrheit unter die Nase reiben: ihm unverblümt, derb die Meinung sagen. Ähnl.: einem die Wahrheit geigen, /geigen. Waisenknabe. Ein Waisenknabe in etw. sein: sehr wenig davon verstehen; eigentl.: der Sache so beraubt sein wie das Waisenkind seiner Eltern. Gegen den bin ich ein (oder der reine) Waisenknabe: an ihn reiche ich bei weitem nicht heran. Die Wndg. ist zwar erst aus dem 19. Jh. belegt, doch geht der übertr. Gebrauch von ,Waise* bis ins Mhd. zurück. So rühmt Heinrich von Freiberg von seinem Helden Tristan (V. 1349 f.): Herr Tristan, der kurteise (der Feine), der valscheit ein weise (d.h.: ganz ohne Falsch). Wald. Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen nennt man es, wenn einer unmittelbar vor dem Ding steht, das er sucht, und es trotzdem nicht sieht; ähnl. spottet man in Norddtl.: ,He sitt up’t Perd un söcht der na*. In der vorliegenden rdal. gewordenen Form geht die Wndg. auf Christoph Martin Wieland (1733-1813) zurück, der im ,Musarion* (Buch 2, V. 142, 1768) sagt: Die Herren dieser Art blend’t oft zu vieles Licht; Sie sehn den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wieland hat die glücklich geprägte Wndg. in seiner,Geschichte der Abderiten* (1774, V.2), in der Schrift ,Uber die vorgebliche Abnahme des menschlichen Geschlechtes* (1777) und in Horazens Briefen, aus dem Lat. übers. (1782), wiederholt. Blume- nauer bestätigt diese Autorschaft durch ,Aeneis* (II, Str. 9): Er sieht oft, wie Herr Wieland spricht, Den Wald vor lauter Bäumen nicht. Aber Wieland hat nur die Form und nicht 1119
Walze ,Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus1 den Gedanken geprägt. Dieser findet sich schon bei Ovid (,Tristia4 V. 4, 9f.): Nec frondem in silvis nec aperto mollia prato Gramina nec pleno flumine cernit aquas. (= Weder die Blätter im Walde noch auf sonniger Wiese das zarte Gras noch im strömenden Fluß weiß er das Wasser zu sehn); vgl. auch Properz (1,9, 61): ,,Medio flumine quaerere aquam“ (mitten im Fluß das Wasser suchen). Auf Ovid beruht wohl auch der Vers von Hagedorn in dem moralischen Gedicht ,Horaz4 (Hamburg 1751): Wie Democrit vertieft er sich in Träume, Sitzt in dem Wald und sucht im Walde Bäume. Vgl. Büchmann, S. 160 f. Goethe schreibt in den ,Materialien zur Geschichte der Farbenlehre4: „Man sieht lauter Licht, keinen Schatten, vor lauter Heilung keinen Körper, den Wald nicht vor Bäumen; die Menschheit nicht vor Menschen44. Im Walde aufgewachsen sein: kein gesittetes Benehmen haben; sind wir im Wald? ist dementspr. eine zurechtweisende Frage an einen, der sich ungesittet benimmt; im Wald wohnen: dumm sein, sich dumm stellen. Nicht für einen Wald voll Affen: durchaus nicht, um keinen Preis; scherzhaft übertreibende Wndg., urspr. wohl berl. Marke deutscher Wald; Wald und Wiese; Wald, Wiese und Bahndamm: minderwertiger Tabak, selbstangebauter Tabak mit Tee vermischt; 1914/18 aufgekommen; wiederaufgelebt in und während des 2. Weltkriegs (Küpper I, S. 342, II, S. 307). Das bekannte Sprw. ,Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus4 ist auch bildl. dargestellt und dabei ganz wörtl. genommen worden. Lit.: W. Baumgart: Der Wald in der dt. Dichtung, in: Stoff- und Motivgesch. der dt. Lit. 15 (Berlin 1936); D. Rebholz: Der Wald im dt. Märchen (Diss. Heidelberg 1944). Walze. Auf der Walze sein: auf der Wanderschaft sein, bes. von Handwerksburschen gesagt. Walze geht auf ahd. ,walzan4 = sich drehen, fortbewegen zurück, das zur germ. Wurzel ,walt4 gehört (vgl. Walzer = Dreher). Ein Lied aus L. Jessels Operette ,Schwarzwaldmädel4 hat den bekannten Refrain: „Wir sind auf der Walz...“ Etw. auf der Walze haben: etw. in Bereitschaft haben; es ist nicht auf der Walze: Ausdr. der Ablehnung; die Rdaa. beziehen sich auf die Walze der Drehorgeln und Spieluhren, mit denen man stets dieselbe Melodie hervorbringt; immer die gleiche Walze: immer die gleichen Worte gebrauchen, geläufiger ist heute: immer dieselbe Platte (Schallplatte). Wams. Etw. aufs Wams kriegen: Prügel beziehen; einem das Wams ausklopfen: ihn verprügeln; dazu: (durch-)wamsen, verwamsen: verprügeln. In diesen und ähnl. Wndgn., die vor allem mdal. weit verbreitet sind, steht Wams (ähnl. wie /Jacke) für den betroffenen, in der Jacke bzw. im Wams steckenden Körperteil. Auch lit. sind diese Ausdrücke seit dem 17. Jh. bezeugt. Dagegen: Es geht ihm unters Wams. nicht ins Herz, die Sache geht bei ihm nicht tief; es hat ihn nur oberflächlich berührt. Niederrhein. .Langsam kommt /Hannes in et Wammes4, allmählich geht es den Leuten wirtschaftlich besser. Der Ostfriese sagt: ,He hett wat in’t Wams4, er ist kräftig vom guten Essen. Wand. Die vier Wände: Haus, Wohnung; stammt aus der ma. Rechtssprache und wurde bes. seit dem 18. Jh. üblich. Es ist, um an der Wand (oder die Wände) in die Höhe zu laufen (oder hinaufzuklettern)'. es ist nicht mehr auszuhalten, es ist 1120
Wand empörend. DieRda. ist schon im 16. Jh. lit. bezeugt: „Lauff die wend auff weil du so fuchswild bist“ (Scheit, Grobianus, 1551, V. 3890). Doch heißt es auch gegensätzlich: die Wände hochspringen vor Freude. Jem. an die Wand drücken: ihn ausschalten. Schon 1605 sagten die bair. Landstände zu ihrem Herzog: „Würde uns Gott behlitten und verwahren, das wir Ew. Fürstl. Durchlaucht gleichsamb an die Wandt trukhen oder zu einer Ungebürlichkeit Bewegnus geben wolten“. Bismarck wird der Ausspruch zugeschoben, er werde die Natio- nalliberalen „an die Wand drücken, daß sie quietschen“. Er soll ihn zu Anfang des Jahres 1878 gebraucht haben, als sich die Verhandlungen mit Bennigsen über dessen und seiner Parteigenossen Stauffenberg und Forckenbeck Eintritt in das Ministerium zerschlagen hatten. Bismarck hat es allerdings auf das entschiedenste abgelehnt, den Ausspruch getan zu haben. So äußerte er sich am 11. Juli 1890 in Friedrichsruh gegenüber dem Herausgeber des frankfurter Journals1, Julius Rittershaus: „Mit den Nationalliberalen habe ich mich meist gut vertragen. Es ist mir das Wort in den Mund gelegt worden: ich hätte sie einmal an die Wand gedrückt, bis sie quietschten. Dieser Satz ist mir niemals in den Mund gekommen; nie habe ich einen derartigen Ausdruck gebraucht. Er ist mir gar nicht geläufig; entspricht so wenig meinem Fühlen und Denken, daß er mir unsympathisch, ja geradezu ekelhaft ist. Dem Sinne nach aber haben die Nationalliberalen seinerzeit mit mir so verfahren wollen: mich wollten sie an die Wand drücken, mir wollten sie die Macht aus den Händen winden“ (Büchmann, S.724). Einen an die Wand werfen: ihn in grober Weise ausschalten. Die Wndg. kommt in mancherlei rdal. Drohungen und auch in mannigfachen modernen Variationen vor, z. B. ,Du fliegst gleich an die Wand, daß du hängenbleibst; dann kann dich deine Alte mit dem Spachtel abkratzen!4; ,er bleibt an der Wand kleben1, er ist gleichgültig, interesselos; ,wenn man ihn an die Wand wirft (haut), bleibt er kleben4, er ist überaus unreinlich. Wie an die Wand gepißt: völlig unbrauchbar, elend. Scheiß die Wand an!: Ausdr. der Verzweiflung, der Gleichgültigkeit. Mit dem Rücken an die Wand kommen: Zusehen, daß man im Vorteil ist; die Rda. stammt aus der Fechtersprache: der Angegriffene sucht an der Wand Deckung. Aber auch in umgekehrtem Sinne: mit dem Rük- ken zur Wand kämpfen: in aussichtsloser Lage sein und: jem. an die Wand spielen: seinen Einfluß geschickt ausschalten. Weiß werden wie eine (gekalkte oder frischgekalkte) Wand: kreidebleich werden; obersächs. ,weiß wie ’ne Kalchwand4. Die Wand mit nehmen: sich den Rücken an getünchter Wand weiß machen. Mit dem kann man Wände einrennen (oder einstoßen): er begreift schwer, er nimmt keine Belehrung an, solch einen harten Kopf hat er; der harte Schädel meint sinnbildlich die schwere Auffassungsgabe. Die Rda. erscheint vorgebildet in Hans Sachs’ Fastnachtsspiel vom ,Eulenspiegel mit dem Pelzwaschen4 (22): „man sties mit im ain thür auf wol44. Mit dem Kopf durch die Wand wollen: starrköpfig sein, /Kopf. Für (gegen) die Wände reden: umsonst reden, keine Aufmerksamkeit finden; singen, daß die Wände wackeln: laut singen, schreien. Das Bild der wackelnden Wand veranschaulicht den Begriff der kräftigen Wirkung; wird in Anlehnung an den bibl. Bericht vom Fall der Mauern Jerichos durch Posaunenklang genommen. Eine junge Rda. ist: Da wackelt die Wand! (oft mit dem Zusatz: ,da muß was los sein4): da ist etw. Außerordentliches los, das ist sehr erstaunlich; berl. ,1, da muß doch jleich ’ne olle Wand wackeln!4 als Ausdr. entrüsteten Erstaunens. Die Wände begießen: den Einzug in die neue Wohnung fröhlich feiern. Den Teufel an die Wand malen /Teufel. Von der Wand in den Mund leben: Bilder für den Lebensunterhalt veräußern; nach der Inflationszeit aufgekommen als paro- distische Abwandlung der Wndg. ,von der Hand in den Mund leben4; angeblich nach einer Äußerung des Malers Max Liebermann oder auch in der Bdtg.: den an einer Leine im Zimmer getrockneten Tabak rauchen (Küpper II, S.308). Nicht von hier bis an die Wand denken: sehr unüberlegt handeln. 1121
Wartburg Eine Wand zwischen jem. errichten: etw. Trennendes schaffen, die Beziehungen stören. Jem. an die Wand stellen: ihn (ohne größere Gerichtsverhandlung) sofort erschießen. Die Wände haben Ohren: man kann nicht ohne Gefahr frei seine Gedanken äußern, man wird belauscht. Die Wndg. stammt aus der Zeit der Bartholomäusnacht. Katharina von Medici ließ damals unsichtbare Horchkanäle in die Wände des Louvre ein- mxtjQ uaqofi aquo#* mq, bauen, damit sie aus verschiedenen Zimmern hôrçn konnte, was man über sie sprach. Mehreren Mordplänen soll sie dadurch zuvorgekommen sein. Wartburg. Auf der Wartburg sitzen: lange warten, und zwar in den verschiedensten Situationen: auf den Freier, auf den Tänzer, als Schwangere auf die Entbindung, als Prostituierte auf den Kunden; mit Ausnahme Oberdtls. etwa seit 1900 bezeugt (Küpper II, S.309). warten. Auf dich haben wir gerade (noch) gewartet: dich können wir nicht brauchen. Die Rda. ist ebenso wie die Wndg. ,Du hast gerade noch gefehlt1 iron, zu verstehen. Das kann warten!: das hat noch Zeit. Der kann warten!: er kann sehr lange oder vergeblich warten. Oft erfährt diese Rda. noch eine Steigerung durch den Zusatz: ,bis er schwarz wird1, eigentl.: bis er stirbt und verwest, /schwarz. Als scherzhafte Drohungen werden bes. gegenüber Kindern die Ausdrücke Warte nur!Na warte!und Warte, dir werde ich helfen! oft gebraucht. Warten mit Schmerzen, ein Ausdr., bei dem wir heute an eigentl. Schmerzen kaum noch denken, sondern der lediglich ein sehnsüchtiges Warten bedeutet, ist bereits alt. „Ich warte nur mit Schmerzen, wie es ablaufen wird“ heißt es in ,Frau Schlampam- pes Tod1 (S. 136). Wenn jem. in geselliger Runde den Kuchen oder die Butter anschneidet, sagt man in Norddtl. am häufigsten, er müsse sieben Jahre warten, d.h. so lange dauere es noch bis zur Hochzeit. Die anderen bei dieser Gelegenheit üblichen Rdaa. sind: ,keinen Mann bekommen'; ,im selben Jahr einen Mann1; ,den schönsten (besten) Mann bekommen1 und vor allem in Süddtl. ,für jem. freien gehen'. Die Karte über das Verbreitungsgebiet bezieht sich auf Frage 233a des ADV (= Dt. Volkskunde-Atlas). Daß man 7 Jahre warten müsse, heißt es in Norddtl. aber auch, wenn man an die Tischecke zu sitzen kommt, während es dabei sonst vor allem heißt, daß man ,eine böse Schwiegermutter1 bekomme, /Schwiegermutter. 1122
Wasser waschen, Wäsche. Das hat sich gewaschen: es ist vortrefflich, rein von Mängeln und Fehlern. Ein Kerl, der ,sich gewaschen hat\ ist ein tüchtiger Mensch; aber auch: ,eine Ohrfeige, die sich gewaschen hat4, eine tüchtige, kräftige Ohrfeige. Im Gegensatz dazu steht ,ungewaschen4 in dem Ausdr. ein ungewaschenes Maul haben: ein Lästermaul sein. Mit allen Wassern gewaschen sein: durchtrieben sein, /Wasser. Einem den Kopf waschen /Kopf. Sich rein (weiß) waschen wollen: dit Schuld von sich abzuwälzen suchen, /weiß. Seine Hände in Unschuld waschen, / Hand. Schmutzige Wäsche waschen: über die Fehler und Schwächen anderer sich unterhalten. Lit. 1870 bei Wilhelm Raabe in ,Schüdderump4. Bismarck sagte (,Reden1 XI, 115): „Wir wollen lieber mal unsere schmutzige Wäsche unter vier Augen waschen“. Dumm aus der Wäsche gucken: einfältig dreinblicken; sold, aus dem 2. Weltkrieg. Jem. aus der Wäsche hauen: ihn verprügeln (ähnl. wie ,Jacke4 und ,Wams4). Waschweib. Schwatzen wie ein Waschweib. Waschen heißt in dieser Rda. bekanntlich schwatzen, wie es z.B. in Hayneccius’ Komödie ,Hans Pfriem4 (1582) erscheint, in welcher der verschlagene Pfriem sagt: „Du woist denn waschen aus dem Rath (d.h. aus der Schule schwatzen)“. Das Waschweib ist ganz unschuldig zu der für die Gute leider typisch gewordenen Rda. gekommen. Von einem Schwätzer ist ferner die Rede im ,Venus-Gärtlein‘, in welchem ein bedauernswerter Jüngling seufzt: Als ich nun frischer redte, Da sagten sie, ich hätte Mich trefflich wol geschickt Zum guten Zungen-Träscher, Ich sei ein großer Wäscher, Mit Plaudern ausgespückt. Wasser. Bis dahin läuft noch viel Wasser den Berg (Bach) hinunter (auch: den Rhein, Main, die Elbe u.a. hinunter - je nach der Landschaft wechselt in der Rda. der Fluß): es wird noch viel Zeit vergehen, bis das Erwartete eintritt;ndd. ,Bet dahen kann noch viel water bargdal f leiten4; vgl. frz. ,Avant que cela arrive, il passera bien de l’eau sous les ponts4 (= Bis das geschieht, wird viel Wasser unter den Brücken durchfließen). Der Tübinger Dichterhumanist Heinrich Bebel verzeichnet 1507 die Rda. in lat. Sprache (Nr. 574): „Interea multum aquae in Neccaro vel Rheno praeterfluit44 (= Inzwischen ist viel Wasser im Neckar oder Rhein vorübergeflossen); Burkard Waldis gebraucht sie in der 1. H. des 16. Jh.: „Eh man ym die globten (Gelübde) gab, leufft viel wasser den Rhein herab“. In Luthers Briefen (V, 249) heißt es: „Indesz wird viel Wassers verlaufen und wird aus Nachtsfrist Jahrfrist werden“. Das umgekehrte Bild verwendet die schwäb. Mda. von einem Großsprecher; bei ihm ,läuft’s Wasser de Berg nauf4. Dem Wasser seinen Lauf lassen: etw., das nicht zu ändern ist, ruhig geschehen lassen. Die in vielen Sprachen bekannte Wndg. ,Alle Wasser fließen ins Meer‘ ,Alle Wasser fließen ins Meer4 ist bibl. Ursprungs. Bei Pred. Salomo (1,7) heißt es: „Alle Wasser laufen ins Meer“. Das kann alles Wasser im Meer nicht ab- waschen: der Schimpf, die Schande ist zu groß, wird nicht vergessen; vgl. ndl. ,Dat kan al het water van de zee niet afwaschen4. Wasser ins Meer (in die See, die Elbe, Werra, Reuß, Limmat, Donau, in den 1123
Wasser Wasser in den Brunnen schütten1 Rhein) tragen, auch: Wasser in den Brunnen (Bach) schütten: etw. ganz Überflüssiges, Vergebliches tun (/Eule). Ovid gebrauchte die lat. Wndg. ,aquas in mare fundere4 sprw. im gleichen Sinne. Die Rda. kommt schon 1512 in Murners ,Schelmen- zunft‘ (17, 15 ff.) vor: Die iunge weit ist so verkert, Mich dunckt, wer sy ietzt boßheit lert, Der dreit (trägt) das wasser in den Ryn. In Seb. Brants ,Narrenschiff4 findet sich auch schon eine frühe 111. der Rda. Der Volksprediger Geiler von Kaisersberg gebrauchte die Version: „Ein böser brunn, in den man allwegen muoz wasser tragen44, hier allerdings noch in dem heute verlorengegangenen Sinn: dem geben, der schon genug hat. An die ältesten Formen des Sprw. erinnert die Stelle (26, 1) in der ,Schelmenzunft4: Man sagt myr, der brunn sey nit gut Daryn man Wasser dreit und dut. Merkwürdig verschoben ist die Vorstellung bei Freidank (130, 26): Des brunnen fluz wirt selten breit, da man das wazzer in treit. Der Fehler liegt hierbei an dem Grund des Brunnens, der das Wasser versickern läßt, wie dies auch das Sprw. gelegentlich betont, vgl. auch, Ambraser Liederbuch4 ( 120, 15 ). Wasser in ein Sieb schöpfen (auch: in einem Sieb tragen, holen; mit einem Siebe Wasser schöpfen): sich vergebliche Mühe machen. 1639 verzeichnet Chr. Lehmann (S.380, ,Haushaltung4 97): „Wer dasjenige, was er gewonnen, nicht kan erhalten, der schöpft Wasser in Sack“. Die Rda. mag letztlich humanistisch gebildetes Wortgut sein und mit der griech. Sage vom Faß der /Danai- den Zusammenhängen: Die Töchter des Königs Danaos, die ihre Männer ermordet hatten, mußten zur Strafe in der Unterwelt Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpfen. Allerdings ist in unserer Rda. nie vom Wasser in einem bodenlosen ,Faß‘, sondern immer vom Wasser in einem ,Sieb‘ die Rede. Näher liegt deshalb der Zusammenhang mit dem Volksschwank AaTh. 1180, bei dem man sich den Teufel mit derartigen unmöglich zu leistenden Aufgaben vom Leibe hält (vgl. Bolte-Polivka III, S. 16, zu KHM. 125). Einem Wasser und Feuer verweigern: ihn ächten, des Landes verweisen. Die Rda. spiegelt einen alten Rechtsbrauch. Vgl. lat. ,aqua et igni interdicere4 und ndl. demand water en vuur ontzeggen4. Einem das Wasser abgraben: ihm durch Verleumdung schaden, seinen guten Ruf verletzen, jem. die Existenz vernichten, das Geschäft verderben. Die Rda. findet sich erst in neuerer Zeit; ihre Bildhaftigkeit scheint entweder aus dem Belagerungskrieg oder (wahrscheinlicher) aus dem Vorstellungskreis der Wassermühle genommen zu sein: Wird der Bach, der die Mühle treibt, abgeleitet, so ist das der Ruin der Mühle. Das Gegenteil: Das ist Wasser auf seine Mühle: das kommt ihm gelegen, das ist von Vorteil für ihn, paßt in seine Pläne; ferner: alle Wasser auf seine Mühle leiten: sich (auf unredliche Weise) Vorteile verschaffen; /Mühle. Abläufen wie das Wasser am Entenflügel (am Pudel): ohne Wirkung sein, keinen Einfluß haben. Bismarck hat die Rda. in seinen Reden gerne gebraucht, z. B. (,Reden4 XI, 25): ,,Gewärtigen zu müssen, daß all Ihre Agitation und selbst die berühmte Wahlmache, wie sie jetzt üblich ist, an der Masse der ländlichen Besitzer ablaufen werde, wie das Wasser am Entenflügel“. Nahe ans Wasser gebaut haben: bei geringfügigem Anlaß weinen, bes. von Kindern gesagt. Wasser auf beiden Schultern tragen : unaufrichtig, doppelzüngig sein, zwei Parteien nach dem Munde reden, zwei Herren die¬ 1124
Wasser nen. Die Rda. ist eine Nebenform von ,auf beiden Achseln tragen1, / Achsel. Bei Hans Sachs und bei Abraham a Sancta Clara ist belegt: ,Mit jem. Wasser an einer Stange tragen*, mit ihm einig, oder: seinesgleichen sein. In der ,Zimmerischen Chronik* (II, 3, 139, 40) heißt es schon: „Sie trüegen noch wol Wasser an der Stangen mit anderen Leuten“. In den Mdaa. hat sich diese Form der Rda. z.T. noch bis heute erhalten. Ein stilles Wasser sein: seine Gefühle und Ansichten nicht zeigen, ruhig, verschlossen, auch: undurchsichtig sein; vgl. das Sprw. ,Stille Wasser gründen tief". Kein Wässerchen trüben können: niemand etw. zuleide tun, harmlos, ungefährlich, unschuldig sein (oft allerdings mit dem Nebensinn der eben nur scheinbaren Harmlosigkeit); obersächs.-erzgeb. ,Mancher kann kee Wässerchen trüben*, er ist gutmütig, dumm. In der Altmark sagt man in gleichem Sinn: ,He hat keen Minschen dat waoter gelömert* (zu ,lumig* = trübe). Die Rda. geht offenbar auf die Äsopische Fabel vom Wolf und Lamm zurück: Ein Wolf trinkt aus einem Bach und bemerkt weiter unten an demselben Bach ein Lamm; er fährt darauflos und frißt es, weil es ihm das Wasser getrübt habe, trotz des demütigen Einwandes des Schafes, daß das ja gar nicht möglich sei, weil das Wasser nicht bergauf fließe. Auch Phaedrus berichtet um 40 n.Chr. diese Begebenheit in seinen fabulae' (I, 1). In völliger Verkehrung der Tatsachen ruft bei ihm der Wolf dem Lamm zu: „Cur (inquit) turbulentam fecisti mihi aquam bibenti?“ (= Warum machst du mir das Wasser trüb, wenn ich hier trinke?) Vgl. Büchmann, S. 549. Die Rda. kommt in übertr. Bdtg. schon bei dem Prediger Ber- thold von Regensburg im 13. Jh. vor, dann in Seb. Brants ,Narrenschiff* und bei Luther; bei Hans Sachs in der Formulierung: „und hat kein wasser nie betrübet“. Die Form ,kein Wässerchen betrüben* hält sich bis ins 18. Jh. Der Rda. liegt wohl außer der antiken Fabel auch die alte Vorstellung zugrunde, daß der klare Spiegel des Wasserssich trübe, wenn ein böser Mensch hineinschaut. Wer also nicht böse ist, trübt es nicht. Eine andere Färbung gewinnt der Ausdr. aufgrund einer Stelle des ,Venus- Gärtleins*, in welcher von dem Turteltäubchen, dem das Weibchen gestorben ist und das infolgedessen auf dürrem Aste sitzt, gesagt wird: Wanns sich dann wil laben, Thut es sich dann baden, Und macht das wasser trüb, Das kompt von großer lieb. Die Taube trübt also das Wasser, indem sie ihm gleichsam ihre eigene seelische Trübung (Betrübnis) mitteilt. Dieses Wasser- trüben würde nicht eintreten, wenn sie nicht in Betrübnis und Schmerz sich befände. Verallgemeinert: Wer nicht in Kümmernis und Harm befangen, vielmehr harmlos (in altem Sinne) ist, trübt das Wasser nicht, nicht einmal ein Wässerchen. Daher die Rda. von völlig harmlosen oder, in Weiterentwicklung, von harmlos scheinenden Menschen gebraucht. In letzterer An- 1125
Wasser 1/2 ,Einem das Wasser reichen1 Wendung in Hans Sachs’ ,Heiß Eisen1 (232): Die durchaus nicht harmlose Frau stellt sich, „sams nie kein wasser trübet het“. (F. Sohns, S. 640f.) Einem das Wasser nicht reichen (können): tief unter ihm stehen. Der urspr. Sinn der Rda. ist: nicht einmal wert sein, ihm den niedrigen Dienst des Wasserreiche ns nach Tisch zu tun. Die Rda. erklärt sich aus der allg. ma.-höfischen Sitte des Wasser- herumreichens bei Tische. Nachdem der Truchseß dem Herrn des Hauses die Mel¬ dung gemacht hatte, daß das Mahl angerichtet sei, ließ dieser durch Hornblasen oder durch Zuruf den Herrschaften das Zeichen geben, sich an ihren Platz zu bemühen. Unter der Leitung des Kämmerers wurde dann den Tischgästen von den Edelknaben kniend eine Schüssel gehalten und ihnen Wasser über die Hände gegossen. Ein Tuch zum Trocknen hing um den Hals der Knappen. Damen mußte das Wasser zuerst gereicht werden. Deshalb fehlt in keinem höfischen Epos, sobald der Dichter seine Helden sich zu Tische setzen läßt, ein Hinweis auf ,das wazzer nemen4, der Ausdr. ,wazzer reichen4 fehlt in mhd. Zeit noch, ln Heinrich von Freibergs ,Tristan4 (V. 602ff.) wird das z. B. folgendermaßen beschrieben: Die tische wurden geriht, tuoch unde brot dar üf geleit nü was daz wazzer bereit, Isöt die maget des êrsten mit juncfrouwen den hêrsten in zühten wazzer da nam, dar nach manch vrouwe wunnesam, vil herren dar zuo quämen und manch ritter wunneclich, die namen wazzer und satzten sich. Noch 1548 gebrauchte Burkard Waldis im gleichen Sinne den Ausdr. .handwasser4 im ,Aesop4 (III 84, 22): ,,So er doch selb nit so viel töcht, das er im das handwasser brächt44. Dieses Waschen der Hände, das nach aufgehobener Tafel wiederholt wurde, erklärt sich daraus, daß Gabeln und Mundtücher damals noch zu den Seltenheiten gehörten: man führte den Bissen mit der bloßen Hand zum Mund (/Gabel). Die Gabel als Tischgerät ist erst im 16. Jh. bei uns in Gebrauch gekommen und von der Fleischgabel in der Küche ausgegangen. Auch die Messer waren spärlich vorhanden und wurden von Hand zu Hand weitergereicht. Auf einem Bild im ,Hortus deliciarum4 der Äbtissin Herrad von Landsberg sieht man vier Personen an einem gedeckten Tisch sitzen, auf dem nur zwei Messer und zwei Gabeln liegen. In Immermanns .Münchhausen4 essen die westf. Bauern noch ohne Gabel. Auch das Altertum kannte die Sitte des Wasserreichens bei Tisch; vgl. lat. ,dare aquam manibus4 (Plautus). Das A.T. bezeugt ebenfalls den 1126
Wasser Brauch; vgl. 2.Kön. 3,11: „Hier ist Elisa, der Sohn Saphats, der Elia Wasser auf die Hände goß“, d.h. der ihm diente; dazu l.Kön. 19,21. Bei der Messe gießt der Ministrant dem Priester das Wasser auf die Hände. Luther knüpft an das Reichen des Wassers zum Waschen der Füße an (Weimarer Ausg. 28,104): „Was du für heiliges leben preissen ... kannst, so reicht es dem gemeinen Christenleben das wasser nicht, ja es ist nicht wert, des Herrn Christi fustuch zu sein“. In übertr. Bdtg. begegnet die Wndg. seit dem 16. Jh. häufig; bekannt ist das Wort Valentins in Goethes ,Faust‘ (I, V. 363Iff.): Aber ist eine im ganzen Land, Die meiner trauten Gretel gleicht. Die meiner Schwester das Wasser reicht? Da wird auch (oder Es wird überall) nur mit Wasser gekocht: eine Sache sieht schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit ist; oder: dort hat man auch keine feinere Arbeitsweise als bei uns; auch hier geht es natürlich zu; vgl. wien. ,Arme Leud’ koch’n mit Wasser4, haben kaum das Notdürftigste. Die Rda. ist gebräuchl. als scherzhafte Entschuldigung bei einer Einladung zu einfachem Mittagsbrot. Wasser predigen und Wein trinken: von anderen Enthaltsamkeit fordern und sie selbst nicht üben. Wasser in den Wein (der Begeisterung) schütten (gießen):6\e Begeisterung für eine Sache abschwächen, mäßigen, die Freude verderben. Goethe wandelt in Sprichwörtlich4 die geläufige Rda. ab: In des Weinstocks herrliche Gaben Gießt ihr mir schlechtes Gewässer! Ich soll immer unrecht haben Und weiß es besser. Dagegen verwendet Bismarck in einem Brief an seine Braut die Rda. in der gewöhnlichen Form: „Aber wir sind ebenso schnell berauscht wie verzagt, und ich habe die undankbare Aufgabe, Wasser in den brausenden Wein zu gießen“. In seinen ,Gedanken und Erinnerungen4 (Bd.II, S.75) schreibt er: „hielt ich aber für wahrscheinlich, daß Rußland es nicht ungern sähe... wenn eine numerisch überlegene Coalition einiges Wasser in unseren Wein von 1866 gegossen hätte“. Wie mit kaltem Wasser begossen sein: plötzlich sehr erschreckt, enttäuscht sein, wie erstarrt dastehen, ernüchtert sein. Ins Wasser fallen: mißlingen, nicht verwirklicht, vereitelt werden, verlorengehen - wie ein Gegenstand, der unwiderbringlich ins Wasser fällt. Die Wndg. (umgeformt aus älterem ,in den Brunnen fallen4) wird übertr. auch von Geistigem gebraucht (z.B. ,eine Hoffnung ist ins Wasser gefallen4). Scherzhaft heißt es auch von einer Veranstaltung, die wegen zu schlechter Witterung nicht stattfinden konnte, daß sie ,ins Wasser gefallen sei4, wobei auf den Regen angespielt wird. Zu Wasser werden (auch machen): zunichte werden, vergehen (vereiteln), in der Sprache der Bibel noch: den Mut verlieren; z. B. Josua 7, 5: „Da ward dem Volk das Herz verzagt und ward zu Wasser“. In Lessings ,Minna von Barnhelm4 (5, 3) heißt es: „Können es (das Vermögen) ihr die Vormünder völlig zu Wasser machen“. Ins Wasser gehen: Selbstmord verüben, sich aus Verzweiflung ertränken. Einen (sich) über Wasser halten: ihn (sich) vor dem Untergang retten, nur mühsam existieren, einem in der Not helfen, daß er nicht untergeht. Das Bild der Rda., die erst seit dem 18. Jh. belegt ist, kommt vom Schwimmer, der den Ertrinkenden über Wasser hält. Sich kaum noch über Wasser halten können: kurz vor dem völligen Ruin stehen. Das Wasser steht (geht) ihm bis zum Hals (an die Kehle, den Kragen): er befindet sich in höchster Not, in bedrängter Lage. Die Wndg. ist seit dem 17. Jh. belegt. ,Das Wasser läuft einem in den Mund (ins Maul)4 ist heute noch zur anschaulichen Bez. der größten Zwangslage in der Volkssprache gebräuchl. Sie ist lit. z.B. in Lohensteins ,Arminius4 (I, 23b) belegt: „Das Wasser gienge der deutschen Freyheit in mund“. Das Wasser schlägt einem über dem Kopf zusammen: ex (man) kann seine Not nicht mehr wenden, er (man) ist verloren. Bes. von nordd. Schriftstellern gebraucht, findet sich auch mit gleicher Bdtg.: ,Das Wasser geht über die Körbe4 (gemeint ist dann das Flechtwerk, Faschinen zum Uferschutz am Meer. 1127
Wasserglas Wasser treten: Stillstehen, sich über Wasser halten, aber nicht vorwärtskommen. Die neuere Wndg. wird gern in politischer Hinsicht gebraucht. So schreibt z. B. ,Die Zeit4 vom 14. Juni 1963 (18. Jg., Nr.25): ,,daß die Sowjets auf der Genfer Abrüstungskonferenz ... offensichtlich ,Wasser treten4. Ihre Unterhändler bewegen sich mechanisch auf der Stelle, bis ihnen gesagt wird, wie es weitergehen soll“. Ubers große Wasser fahren: nach Amerika gehen. Bei Wasser und Brot sitzen: im Zuchthaus sein. Wasser haben: eigentl.; an der Wassersucht erkrankt sein. Die Wndg. wird meist scherzhaft von einem bes. Dicken gebraucht, dessen angebliche Krankheit man bedauert. Vom reinsten Wasser sein: ganz echt und unverfälscht. Das Bild ist von dem wasserhellen Glanz von Edelsteinen hergenommen. Wasser ist geradezu ein Fachausdr. in der Edelsteinschleiferei: Man unterscheidet z.B. Diamanten ,vom ersten Wasser, vom zweiten, vom dritten Wasser4 usw. Die Ubertr. auf den Menschen findet sich seit dem 16. Jh. belegt. Dennoch ist auch in relativ späten lit. Zeugnissen der Bezug zum primären Bild des Edelsteins erhalten geblieben. In Schillers ,Kabale und Liebe4 (I, 4) heißt es z.B.: „Ich schaue durch deine Seele, wie durch das klare Wasser dieses Brillanten“. Jean Paul sagt in ,Leben Fi- bels4 1812: „Wir besitzen Dichter vom ersten Wasser, vom zweiten, vom dritten“, oder (ebenfalls bei Jean Paul): „Die Träne des Grams ist eine Perle vom zweiten Wasser, die Freude vom ersten44. Seit 1848 dient die Wndg. häufig zur Hervorhebung der politischen Richtung (z. B. ,ein Demokrat reinsten Wassers4). Der rdal. Vergleich wie Wasser und Fetter kennzeichnet einen scharfen Gegensatz. Luther sagt z. B.: „Das dise zwen Sprüche so ehnlich sind alls wasser und fewr“ (Weimarer Ausg. 18, 210). Wasser und Feuer zugleich tragen: doppelzüngig sein, /Feuer. Neuere Wndgn. aus dem Anfang des 20. Jh. sind: Wasser in den Ohren haben: etw. absichtlich überhören; Wasser im Vergaser haben: nicht recht bei Verstände sein; denselben Sinn hat die etw. ältere Rda. mit kaltem Wasser verbrüht sein (Küpper II, S.309). Das Wasser läuft einem im Munde zusammen: man hat großen Appetit auf etw., und der Speichel bildet sich, in übertr. Bdtg.: ein verlockendes Angebot bekommen, /Mund. Ein Schlag ins Wasser /Schlag. Mit allen Wassern gewaschen: verschlagen, durchtrieben, welterfahren sein, urspr. von den weitgereisten Seeleuten gesagt. Lit.: E. Schröder: Walther in Tegernsee. Ein Exkurs über altdt. Tischsitten, in: Zs. f. Vkde. 27 (1917), S. 121-129; A. Risse in: Zs. f. d. U. 31 (Leipzig 1917), S.297. Wasserglas /Sturm. Wasserkopf. Einen Wasserkopf haben: völlig dumm sein ; ähnl.: es plätschert in seinem Wasserkopf: er ist nicht recht bei Verstand; ,laß deinen Wasserkopf nicht plätschern!4, rede keinen Unsinn. Leih mir mal deinen Wasserkopf, mein Flolzbein brennt! sagt man zu einem Dummen; seit den dreißiger Jahren des 20. Jh. (Küpper II, S. 310). Modern ndd. sagt man iron, beschönigend über ein häßliches Kind: ,Das Kind hat 'n Wasserkopp, steht ihm aber ganz gut4. Webfehler. Einen Webfehler haben: nicht ganz bei Verstand sein, auch: einen Charakterfehler besitzen. Der Webfehler mindert die Güte eines Stoffes; um 1900 für Berlin bezeugt (Küpper I, S.344). Nach dem 2. Weltkrieg spricht man auch von hinein politischen Webfehler4, worunter man die frühere Zugehörigkeit zur Partei versteht, die für die weitere Karriere eines Menschen zum Hindernis werden kann. Wecker. Jem. auf den Wecker fallen: ihn nervös machen, ihm lästig werden, eine moderne humoristisch-übertreibende Abänderung der gleichbedeutenden Wndg. ,einem auf die Nerven fallen (gehen)4; fußt auf der Vorstellung vom Verstand als Uhrwerk; nicht alle auf dem Wecker haben: nicht recht bei Verstand sein. Da bleibt der Wecker stehen!: Ausruf des Erstaunens, nach dem Muster von ,da bleibt mir der Verstand stehen4; etwa seit den zwanziger Jahren des 20. Jh. (Küpper II, S.310). Weg. Einetn nicht über den Weg trauen: ihm mißtrauen, ist seit dem Ausgang des 18. Jh. 1128
Weg bezeugt; eigentl.: ,Einem nur so weit trauen, als man ihn vor Augen hat4 (oder: ,nicht trauen, einem über den Weg zu gehen4). Einen Weg einschlagen: in einer bestimmten Richtung gehen. Die Wndg. spiegelt altartige zivilisatorische Verhältnisse wider, als erst noch Bäume und Sträucher niedergeschlagen werden mußten, um sich einen Weg zu bahnen. Neue Wege einschlagen: neue Methoden anwenden, selbst die Initiative ergreifen und Hindernisse überwinden. Jem. den Weg ebnen: ihn in seinem Vorhaben unterstützen, ihm ein leichtes Vorankommen ermöglichen, ähnl. jem. den Weg bereiten. Die Wndgn. stehen wahrscheinl. im Zusammenhang mit der bibl. Vorstellung von Johannes als Wegbereiter Christi (vgl. Mark. 1,2). Das Gegenteil meinen die Rdaa. jem. den Weg verlegen, einem etw. in den Weg legen und: einem den Weg abschneiden: ihn hindern, ihn in eine ausweglose Lage bringen. Jem. im Wege stehen: für jem. ein Hindernis sein, ihn stören. Sich selbst im Wege stehen: sich durch negative Eigenschaften selbst schaden. Etw. oder jem. aus dem Wege räumen: etw. Hemmendes beseitigen, einen unliebsamen oder gefährlichen Menschen umbringen. Den Weg allen Fleisches (alles Irdischen) gehen. Die Rda. als bildl. Umschreibung der Vergänglichkeit ist bibl. Urspr. ( l. Mos. 6, 12-13; vgl. auch l.Kön. 2,2 und Hiob 16, 22); /zeitlich. Jem. ( einer Sache) aus dem Weg gehen: jem. nicht begegnen wollen, etw. nicht tun, eine Frage nicht beantworten, eine Entscheidung nicht treffen wollen. Jem. etw. mit auf den Weg geben: gute Lehren für das weitere Leben mitgeben. Auf halbem Wege stehenbleiben: nicht bis zum Erfolg (Ziel) gelangen. Jem. (sich) auf halbem Wege entgegenkom- men: Kompromisse schließen. Etw. auf kaltem Wege tun: etw. ohne Umstände erledigen, nicht erst den Dienstweg einhalten; ohne sich Mühe zu machen, hintenherum, illegal etw. zu erreichen suchen. Krumme (schiefe) Wege gehen: unehrlich, unaufrichtig handeln, Richter 5,6 (vgl. ,krumme Touren drehen4). Den bequemsten Weg gehen (zur Hölle): keine Mühe auf sich nehmen, sondern der Representation of the different Ways leading to Everlasting Life or Eternal Damnation. Verschiedene Wege zum ewigen Leben oder zur Verdammnis 1129
Weg WERFEN Bequemlichkeit und dem Laster und damit der ewigen Verdammnis verfallen. Den goldenen Mittelweg gehen /Mittelweg. Den unteren Weg gehen: nachgiebig sein; nicht auf seinem Recht beharren. Auf dem besten Wege zu etw. sein: bald sein Ziel erreicht haben, aber auch iron, gemeint: die falsche Richtung eingeschlagen haben, seinem Untergang, einem bösen Ende entgegengehen, wenn es so weitergeht. Das hat gute Wege: darum braucht man nicht bange zu sein; das wird ohne besondere Sorge und Zutun gut erledigt werden; auch: Das hat noch gute Wege: das liegt noch in weiter Feme. Gute Wege = sichere Wege, figürlich: es hat keine Gefahr, nichts zu sagen. Auf der Grenze zwischen wörtl. Bdtg. und figürlicher Anwendung steht folgende Stelle aus ,Frau Schlampampes Tod4 (S.98). „Camille: Je nun, Glück auf die Reise, und nehmt Eure Jungfern fein in acht, damit sie nicht Unglück unter Wegens nehmen. Lorenz: Ei vor dem Unglück hat’s gute Wege“. Auch der erste Schritt der Weiterentwickelung der Rda. zu dem Sinne: es hat keine Gefahr, also auch keine Eile, ist hier bereits getan (Sohns, S. 648). Seinen Weg machen: im Leben vorankommen, Erfolge haben, höher aufsteigen. Seinen Weg gehen, auch: seine eigenen Wege gehen: sich nicht beirren lassen, ent- spr. seinem Charakter und Talent das tun, was man allein für richtig hält, sich nicht der Masse anschließen. Sich einen Weg offenhalten: eigentl. sich seinen Fluchtweg bei einer Belagerung von Feinden frei halten, in übertr. Bdtg.: ein Mittel zur Rettung haben, einen Ausweg kennen. Jem. stehen alle Wege offen: er kann sich für verschiedene Möglichkeiten entscheiden, er besitzt die besten Voraussetzungen. Die Wege trennen sich: Menschen, die bisher gemeinsam gehandelt haben, trennen sich wegen verschiedener Ansichten in einer wichtigen Angelegenheit. Die Wndg. bezieht sich auf das Bild des Scheideweges4: eine spätere Begegnung erscheint unmöglich. Etw. auf den (oder in einen) Weg richten: einer Sache eine bestimmte Richtung ge¬ ben. Die Rda. ist heute selten. Häufiger ist dafür die modernere Wndg. etw. in die Wege leiten: etw. unternehmen, anordnen, den Anstoß zum Beginn geben. Um die Wege sein: in der Nähe, vorhanden sein. Dieähnl. Wndg. bei Wege: im Vorbeigehen, nebenher, beiläufig, wird von einigen nordd. Schriftstellern gebraucht. Thür. ,nicht bei Wege4, nicht im geringsten. Etw. zuwege bringen (bei Luther noch ,zu Wegen bringen4): sich etw. verschaffen, etw. fertigbringen, eigentl. zu dem Wege, auf dem (für den) es gebraucht werden soll. Bei Hans Sachs’ ,Maler und Domherr4 (9) heißt es: der maler det mit ir ratschlagen, wie sie das gelt zu wegen precht. Die Rda. wird mit dem älteren Sinn ,sich verschaffen4 nur noch im obd. Raum gebraucht, sonst überall im neueren Sinne von zustande bringen, fertigbringen4. Nichts zuwege bringen: nichts erreichen, keinen Erfolg haben, nicht vorwärtskommen. wegwerfen. Ein wegwerfendes Urteil über einen (oder etw.) fällen; wegwerfend urteilen; jem. wegwerfend behandeln. Die Wndgn. haben nichts zu tun mit dem Brechen und Wegwerfen des /Stabes über dem Verurteilten, sondern wegwerfen bedeutet hier einfach: von sich wegstoßen, dann: verächtlich behandeln, geringschätzen. So bei Luther: „Also soi er (der falsche Prediger) auch verachtet und weggeworfen werden“ (Weimarer Ausg. 32, 358). Daher auch: sich wegwerfen: sich gemein machen, sich erniedrigen, eigentl.: sein eigenes Ich wie einen verächtlichen Plunder behandeln, den man in die Ecke wirft; seit dem 18. Jh. (vgl. lat. ,se abicere4 = sich hoffnungslos zu Boden werfen, allen moralischen Halt verlieren). Im 11. Auftr. von .Wallensteins Lager4 fragt der erste Kürassier den Schützen, der sich mit dem Bauern in ein Spiel eingelassen hat und dabei von ihm betrogen wurde: Kannst dich so wegwerfen und blamieren, Mit einem Bauer dein Glück probieren? Weib. Weiber hüten: etw. Unnützes und Sinnloses tun. Die mhd. Zeit wandte diesen Gedanken mit entspr. verwandeltem Sinne 1130
Weibermühle an, um die Nutzlosigkeit der offiziellen ,huote‘ zu kennzeichnen, da allein der gute Wille der Frau eine Garantie für ihre Tugend bieten könne. ,Weiber hüten4 wurde so einer von den vielen rdal. Ausdrücken für verlorene, unsinnige und vertane Arbeit. Vgl. ,Eulen nach Athen tragen4; ,Wasser in den Rhein tragen4; ,Gänse beschlagen4 u.a. Das zänkische Weib Das zänkische Weib ist oft Gegenstand bildl. Darstellung geworden, z. B. hat Pieter Bruegel in seinen ,Zwölf vlämischen Sprww.4 den Spruch ill.: Een leeckende dack ende een roockende schouwe, Ja daer de simme aenden heijrt sit en siet, Een craijende hinne een kijfachtige vrouwe Is ongheluck in huijs ja quellinghe en verdriet. (Ein leckes Dach und ein qualmender Kamin, Ja, wo der Affe am Herd sitzt und zuschaut, Eine krähende Henne und ein zänkisches Weib Ist Unglück im Haus, ja Qual und Verdruß.) Lit.: A. Taylor: „Sunt tria damna domus“, in: Hess. Bl. f. Vkde. 24 (1926), S. 130-146; A. Risse: Sprww. u. Rdaa.bei Th. Murner, in: Zs. f.d. U. 31 (1917), S.300. Weibermühle. Auf die Weibermühle (nach S'Trippstrill) gehen, wo man alte Weiber jung macht: etw. völlig Aussichtsloses un¬ ternehmen, eigentl.: sich vergeblich bemühen, vergangene Jugend, Schönheit und Lebenskraft oder auch die verlorene Unschuld durch Zaubermittel zurückzugewinnen, sich der trügerischen Hoffnung auf die Möglichkeit der Verjüngung und grundlegenden Verwandlung hingeben. Ähnl.: Jem. auf die Weibermühle bringen, wo die bösen Weiber umgemahlen werden: sein altersschwaches, häßliches und zanksüchtiges Weib in der Wundermühle gegen ein junges eintauschen wollen. Die Rdaa. bewahren die Vorstellungen von der Weibermühle, die im 19. Jh. noch sehr verbreitet waren, wie die populäre Druckgraphik bezeugt. Dieser Glaube an die Verjüngung durch Zaubermittel begegnet bereits in der Antike: aus den Verjüngungskräutern der Medea wurden Zaubertränke und -salben hergestellt. Im MA. hoffte man auf die Kraft des Jungbrunnens und später auf den Verjüngungszauber der Mühle. In einem Bilderbogen aus Neu-Ruppin werden die Frauen aufgefordert, zur Weiber-Mühle zu kommen: Weiber, die euch Runzeln drücken, Die ihr gehen müßt an Krücken, Die das Alter drückt so schwer, Kommt in diese Mühle her! Dte ffletßetr.fllüjjfe. 1131
Weihnachten Altweibermühle (,Auf die Weibermühle gehen4) Die ihr Männern nicht gefallet, Deren Zunge nur noch lallet, Und die launenhaft ihr seid, Euch steht Hülfe hier bereit. Falten werden hier geglättet, Und verlorne Liebe, wettet, Wird euch wieder hier zu Theil. Hier ist für Geld die Jugend feil. Zank und Hader wird vertrieben, Und aus jeder bösen Sieben Wird ein sanfter Engel gleich, Liebevoll und tugendreich. Die Darstellung der Altweibermühle ist noch immer ein beliebtes Thema von heutigen Fastnachtsspielen und -Umzügen geblieben wegen der kontrastreichen und grotesken Szenen, vor allem aber wohl wegen des allgemein menschlichen und immer wiederkehrenden Wunsches nach Überwindung des Alters und Rückkehr der Jugend. Lit.: J. Holte: Die Altweibermühle, in: Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen u. Lit. 102 (1899); M. de Meyer: Verjüngung im Glutofen - Altweiber- und Altmännermühle, in: Zs. f. Vkde. 60 (1964), S. 161-167; RGG3 IV, Sp. 1064L Art. „Jungbrunnen' von L. Röh- rich. Weihnachten. Ein Gefühl wie Weihnachten haben: ein Gefühl von Behaglichkeit, Herzlichkeit, Feierlichkeit, Friedlichkeit. Der sold. rdal. Vergleich stammt aus dem 2. Weltkrieg. Lieber nichts (oder lieber zehn Jahre nichts) zu Weihnachten: Ausdr. der Ablehnung einer Zumutung (etwa seit 1930); sich freuen wie ein Kind auf Weihnachten: sich sehr freuen; der rdal. Vergleich ist schon dem 19. Jh. bekannt (Küpper I, S.345). Weihnachtsmann. Noch an den Weih- nachtsmann glauben: noch nicht aufgeklärt sein, unerfahren, einfältig, weltunerfahren sein; etwa seit 1920 aufgekommen. Deutlicher: ,noch an den Klapper storch glauben1. Ein (richtiger) Weihnachtsmann sein:, ein wunderlicher, einfältiger Mensch sein. Die Wndg. kam um 1920 auf, als man bes. die Vollbartträger verächtlich machen wollte. Weihrauch. Jem. Weihrauch streuen: ihm schöne Worte sagen, ihm schmeicheln und huldigen, ihm übertriebenes Lob spenden (und ihm dabei doch blauen Dunst vormachen); seitdem Anfang des 18. Jh. bezeugt; in neuerer Zeit auch: jetn. beweihräuchern: ihn über Verdienst feiern (vgl. Bismarck, Reden IV, 281). Die Rda. knüpft urspr. an die altröm. Sitte an, daß jeder Senator beim Eintritt in den Senat auf den Altar, der neben dem Standbild der Göttin stand, Weihrauch streute. In abschätzigem Sinne begegnet eine ähnl. Rda. schon 1649 bei Gerlingius (Nr. 79): „Dare verba. Glatte Worte schleiffen. Hoffweirauch verkaufen. Die sieben wort geben. Se solden juw gern brillen verkoopen“. 1132
Weisen Der Weihrauch ist ihm zu Kopfe gestiegen: Glück und Huldigungen haben ihm den Kopf verdreht. Siebenb.-sächs.: ,Er recht (riecht) no Wei- rûch\ er ist Katholik. Wein. Jem. reinen (klaren) Wein einschenken: ihm unumwunden, unverblümt die volle Wahrheit sagen. Schwäb. ,eim pure Wei eischenke4. In schles. Mda. heißt es abweichend: ,A hot em rechten Wein eige- schankt4. Während das Verbum der Rda. fest ist, wechseln Adj. und Subst. Im 16. Jh. ist wiederholt bezeugt: ,lauteren Wein einschenken4. 1593 sagt Heinrich Julius von Braunschweig im gleichen Sinn: „Damit ich dir rein Bier einschenke44 (.Susanna4 II, 1). Seit der Mitte des 18. Jh. setzt sich die heutige Form durch. Goethe: „Mag der alte Wieland... in diesen Hefen des 18. Jh. sich betrüben... so viel klaren Wein, als wir brauchen, wird uns die Muse schon einschenken44 (Weimarer Ausg. IV, 12, 372). Gottsched: „Denn ich habe ihr reinen Wein eingeschenkt44 (.Deutsche Schaubühne4, 1741, Bd.I, S.533). Bemerkenswert häufig findet sich die Rda. in der politischen Rhetorik, z.B. bei Bismarck: daß der Fi¬ nanzminister Ihnen den reinsten Wein einschenke44. Selten einmal wird der urspr. Sinn durchgeistigt: „Aus dem tiefsten Herzen kann ich dir immer nur den reinen Wein einschenken, in dem dein Bild sich spiegelt44 (Bettina v. Arnim, Tagebuch 42). Jungen (neuen) Wein (Most) in alte Schläuche fassen (füllen). Die Rda. ist bibl. Ursprungs und beruht auf Matth. 9,17. Wasser in den Wein schütten (gießen) /Wasser. Jem. den Wein ausrufen: zunächst nur: eine Neuigkeit verkünden, dann bes.: jem. schmähen, verleumden. Die alte Rda. (lit. z. B. bei Murner u. Fischart) ist heute unge- bräuchl. geworden. Sie knüpft an das Weinausrufen und -anpreisen, eine feste Einrichtung ma. Städte, bes. in Süddtl. an. Der Ausrufer des Weins konnte den Wirt schädigen, wenn er einen zu hohen Preis nannte. Der Vorgang wird vollends zum rdal. Bild der Verleumdung, wenn gar kein Wein im Keller liegt (vgl. die Abb. in Murners ,Schelmenzunft4). Murner schreibt dazu: Cartheuser, Prediger, Carmeliten rüffst du den Wein, zu allen ziten, der dich doch darumb nie gebat vnd dir kein leid auff erden that Ist das dein Ampt, so sey dein Ion, Vom Pranger zu dem Galgen gon. Du rüffst den Wein; doch nur zuruck. Ist das nit eine böse Art, das der Schelm kein menschen spart. Vgl. jem. das Bier verrufen /Bier. Lit.: A. Risse: Sprww. und Rdaa. bei Th. Murner, in: Zs. f. d. U. 31 (Leipzig 1917), S. 291 ; H. Gerke, S. 313. weinen /lachen. Weinkauf. Weittkauf trinken (halten) ist als Rda. fest geworden in der Bdtg.: Trunk oder Schmaus zur Bestätigung oder Feier eines Kauf- oder Tauschgeschäftes. Mhd. ,winkouf4 ist seit 1218 nachgewiesen. Weinkauf ist ein Wort des Südwestens, Westens und Nordens, während der gleichbedeutende ,Lei(t)kauf4 als bair.-oesterr. und ostmdt. gilt. Es geht zurück auf mhd. ,lît4 = Obstwein. 1562 heißt es bei Erasmus Alberus (,Praec. mor.4 D 2b): die bawern kommen auch zuhauff und halten gern ein weinkauff eins ochsen halben, der zeucht wol, bisz das sie werden vol und toi. Im 18. Jh. bezeugt J. Möser: „Die Deutschen nahmen bei allen Vorfällen gern Weinkäufe oder, wie es in den Registern heißt, etw. ad vinalia44. Wesentlich für den Weinkauf ist, daß dabei die Zeugen unentgeltlich mittrinken. Darum halten ländliche Kreise namentlich beim Viehhandel daran fest. Schwäb. ,Die trinke Wei, wenn s’ nur e Hu (Huhn) verkaufe4. weisen. Jem. etw. (anderes) weisen:\Yvm die Meinung sagen, auch: Ich will dir weisen, wo die Katze im Heu liegt. Ähnl. mdal. im Ndd.: ,Ik wei didat wîsen4, oft mit verschiedenen Zusätzen: ,1k will di wîsen, wâr Abram de Ton (Zaun) uphangt4, ich will dich züchtigen, oder: ,1k will di wîsen, wo de Timmermann ’t Gatt (Loch) laten hett4, ich werde dir die Tür zeigen, dich hinauswerfen. Jem. den (blanken) Hintern weisen: ihn kräftig verhöhnen, ihm seine Verachtung deutlich zeigen. Urspr. galt das Zeigen des entblößten Hinterns als wirksamer Ab¬ 1133
Weisheit wehrzauber, vor allem gegen den bösen Blick, gegen Unwetter und böse Geister, /Arsch. Etw. weit von sich weisen: etw. entschieden ablehnen, nichts damit zu schaffen haben wollen, einen geäußerten Verdacht entrüstet abtun. Etw. ist nicht (ganz) von der Hand zu weisen: etw. (bes. ein Plan, ein Gedanke, ein Gerücht, ein Vorschlag) enthält etw. Richtiges (einen wahren Kern), es sollte deshalb gründlich darüber nachgedacht werden, es ist nicht grundsätzlich und von vornherein abzulehnen. Mit Fingern auf jem. weisen /Finger. Jem. in die (seine) Schranken zurückweisen /Schranke. Jem. die Tür weisen /Tür. Weisheit. Seine Weisheit für sich behalten: sich nicht einmischen, seine Meinung selbst bei größerer Erfahrung nicht äußern. Die Wndg. wird häufig in imperativer Form gebraucht: ,Behalte deine Weisheit für dich!4 Mit seiner Weisheit (seinem /*Latein) zu Ende sein: sich keinen Rat mehr wissen, keinen Ausweg sehen. Die Weisheit auch nicht mit Löffeln (Schöpflöffeln) gegessen haben: beschränkt sein, aber sich für bes. klug halten, /Löffel. Einem die Weisheit eintrichtern: ihn mit Gewalt weise machen wollen, obwohl er beschränkt ist, vgl. ndl. ,Hij zal hem de wijsheid door de Neurenburger trechter in den kop gieten4; /Trichter. Die Weisheit gepachtet haben: sich allein für überklug halten. Etw. ist der Weisheit letzter Schluß: es ist eine endgültige Lösung, selbst wenn oder obwohl sie schlecht ist. Goethe gebrauchte die Wndg. zuerst in seinem ,Faust4 (II. Teil, V. Akt,,Großer Vorhof des Palastes4) und läßt Faust am Ende seines Lebens bekennen: Das ist der Weisheit letzter Schluß: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muß! weismachen. Einem etw. weismachen: ihm etw. vormachen, aufbinden, einreden, was nicht so ist (vgl. ndl. demand iets wijsma- ken4). Die bis ins 19. Jh. vorkommende Schreibung mit ß (,weißmachen4) ist irrig. Die Rda. ist durch Konstruktionsänderung entstanden aus mhd.,einen eines dinges wîs (d. h. weise, wissend) machen4. Bis zum 16. Jh. hat die Wndg. nur bedeutet: ihn in Kenntnis setzen. Durch häufigen iron. Gebrauch nahm sie dann ihren heutigen Sinn an: ihm Unwahres sagen. So 1594 bei Heinrich Julius von Braunschweig (,Von einer Ehebrecherin4 II, 3): „So wil ich meiner Frawen weis machen, ich wil verreisen44. Jean Paul spottet über seine Leser: „Damit ich aber nach dem bisherigen Weismachen der Gesellschaft glaubhaft werde, so will ichs ihr ... beschwören44 (Werke 26,48). Goethe spielt in einem Distichon auf den engl. Physiker Newton mit ,weiß machen4 und ,weismachen4 an: Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar manches Hat er euch weisgemacht, das ihr ein Säkulum glaubt. Vgl. auch das schwäb. Wortspiel: ,Du machst mr nix weis - was schwarz ist4. weiß. Sich weiß (rein) waschen (wollen): sich für unschuldig ausgeben, sich von einem Vorwurf, von einem Verdacht reinigen. Die Rda. gebraucht schon Luther in seinen ,Tischreden4. Sich weißbrennen /brennen. Die Rda. von der Mohrenwäsche4 (einen Mohren weiß waschen: etw. Unmögliches oder Vergebliches tun) geht zurück auf Jer. 13,23. Die Griechen sagten: ,einen Äthiopier abreiben4(Aiüumcc aprixeiv, vgl. Aesop, ree. Halm, Fab. 13). So noch engl. ,to wash an Ethiop white4. Eine weiße Weste haben /Weste. Ein weißer Rabe sein /Rabe. Weiß werden: plötzlich erbleichen, ,weiß wie eine Kalkwand (Kreide, Leiche) werden4, aber auch: weißes Haar bekommen. Weiß und schwarz aus einem Tiegel malen: bald so, bald anders reden, doppelzüngig sein, /blasen. Weiß machen, was schwarz ist: die Tatsachen entstellen, lügen. Die Wndg. kennt bereits Luther. Vgl. lat.,Adversus solemne loquitur4. Er sieht weder auf weiß noch schwarz: heißt es von einem Unparteiischen, der sich durch nichts zu einem Vorurteil verleiten läßt. Vgl. ndl. ,Hij ziet wit noch zwaart aan4. Einem nicht das Weiße im Auge gönnen:
Weizen ihm nicht das geringste lassen wollen. Der Bedrängte, dem sein letzter Besitz genommen werden soll, zieht deshalb manchmal das untere Augenlid herunter, so daß das Weiße in seinem Auge sichtbar wird, und fragt: ,Wollt ihr vielleicht auch das noch?' weit. Nicht weit her sein: unbedeutend, geringwertig sein, nichts gelten; urspr. vom sittlich-gesellschaftlichen Gebiet, später auch auf andere Verhältnisse übertr. Die Wndg. bezieht sich auf die verbreitete Ansicht, daß die beste Erfahrung nicht in der Heimat, sondern in der Fremde erworben wird. Deshalb machte auch die Zunftordnung den Gesellen die Wanderjahre zur Pflicht. Schon Grimmelshausen spottet 1673 im deutschen Michel4 (S.21) über den Fehler der Deutschen, das Einheimische zu mißachten und das Fremde zu überschätzen: „Es ist aber schon vorlängst eine allgemaine Sucht eingerissen derart, daß die jenige, so daran kranck ligen, weit von ihrem Vatterland gebürtig zu seyn wünschen ; diese wurde so hefftig, daß auch aus selbiger ungereimten Thorheit ein Sprichwort entsprungen, welches man zu denen gesagt, die man verachten wollen, nemblich: Du bist nit weit her“. Friedrich Leopold Graf zu Stolberg klagt zu Anfang des 19. Jh. bitter: „Statt mit der Billigkeit, die der deutschen Gemütsart eigen ist, das Fremde zu würdigen, überschätzt der Deutsche es mit jener Schwäche, die ihm auch sehr eigen ist und die er zu oft naiv genug ausdrückt, wenn er, Geringschätzung anzudeuten, sagt: Das ist nicht weit her!“ Vgl. auch das auf Matth. 13,57 und Mark. 6,4 zurückgehende Sprw. ,Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande4. Die Wndg. weit (in der Welt) herumgekommen sein: viel gesehen und erlebt haben, große Erfahrung besitzen, enthält dagegen hohe Anerkennung. Mit etw. (jem.) ist es weit gekommen: es hat sich sehr zum Nachteil, ins Negative verändert, jem. ist tief gesunken; iron, gebraucht. In etw. zu weit gehen: etw. übertreiben, den Anstand verletzen. Es einmal (im Leben, im Beruf) weit bringen: große Erfolge haben. Das Weite suchen (gewinnen): davonlaufen (entkommen). Weizen. Sein Weizen blüht: seine Sache geht gut, er kommt vorwärts, er hat Erfolg, Glück in seiner Tätigkeit. Die Rda. stammt aus der bäuerlichen Erlebniswelt und meint eigentl. einen, dessen Weizenfeld vor anderen blüht, ln übertr. Sinne findet sich die Rda. schon in einem Volkslied des 15. Jh. (Uhland, Alte hoch- und ndd. Volkslieder, 1844, S.660): An solichem zank und hader verdirbt die herrschaft nit, der ambtman noch der bader, ir waiz der blüt damit. Neben ihrer Verbreitung in den Mdaa. und in der Umgangssprache wird die Rda. auch lit. gebraucht: „Sein Weizen blüht, und eh das Jahr um ist, erleb ich eine Hochzeit“ (Mörike). Vgl. lat. ,Adhuc tua messis in herba est'. Der Weizen steht auch in anderen Wndgn. pars pro toto für die materielle Habe wie für die geistig-seelische Einstellung des bäuerlichen Menschen. Von einem Bauern, der die Mütze stolz auf der Seite trägt, sagt man: Er hat Weizen feil. Aventin: „seinen Waitz darunter scharen“, seinen Nutzen aus einer Sache zu ziehen suchen. Eis. ,Was gilt dr Waize?', Wie steht die Sache? Im erzgeb. Volkslied heißt es bildl.: Böhmischer Wind, ich bitt dich schön, Wollst mir mei Waizen nit verwehn. Oder: Lass mr mei Waaz aufm Bergle stehn. Die Spreu vom Weizen sondern (scheiden): Gut und Böse, Nützliches und Unnützes, Echtes und Falsches trennen. Die Rda. ist bibl. Ursprungs und beruht auf Matth. 3,12: „Er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer“. 1639 führt Lehmann S.447 (,Krieg4 37) an: „Ein Capitän ^Hauptmann4), da sein Vortrab vom Feind ward geschlagen, sagte er, es sey gut, daß die Sprewer vom Kern abgedroschen werden“. Bei Moltke heißt es (,Schriften und Denkwürdigkeiten4 I, 240): „Die Schärfe seines Verstandes schied sofort die Spreu vom Weizen44. Auch der bildl. Gebrauch der Wndg. Unkraut unter dem Weizen gehi auf eine Stelle des N.T., das Gleichnis vom Unkraut im Weizen (Matth. 13,25ff.), zurück. 1135
Welle Den Weizen mit dem Unkraute aus jäten: das Gute mit dem Bösen vernichten, keine Unterschiede machen. Welle. Etw. wird (hohe) Wellen schlagen: es wird spürbare Auswirkungen haben. Die Wellen gehen hoch: Empörung (Erregung, Begeisterung) werden groß. Der Vergleich bezieht sich auf das unruhige, sturmgepeitschte Wasser. Die Wellen glätten sich: man beruhigt sich wieder, die Erregung klingt langsam ab. Keine Wellen machen: kühl und ruhig bleiben, sich nicht aufregen, sich nicht übertrieben gebärden; berl., 20. Jh.; ebenso: eine dicke (mächtige) Welle angeben: stark prahlen. ,Quatsch keine Wellen!*, prahle nicht!; ,eine Welle mehr, und du kannst schwimmen!* sagt man zu einem Prahler. Eine Welle haben: betrunken sein; in der Eifel meint die Rda. ,mit der Welle fortschwimmen* sich anpassen, der allg. Entwicklung folgen. Auf lange Wellen zahlen: auf Raten zahlen, vor allem im Hinblick auf das Rundfunkgerät, abgewandelt aus ,auf lange Sicht zahlen*. Die folgenden Wndgn. sind der Rundfunktechnik entlehnt: auf der falschen Welle liegen: sich geirrt haben; auf eine falsche Welle eingestellt haben: nicht verstehen wollen. Welt. Von alter Welt sein: altmodisch sein, einer vergangenen Zeit angehören (auch von lebenden Zeitgenossen gesagt). Oft wird diese Wndg. auch im positiven Sinne gebraucht: ,Das ist noch einer von der alten Welt*, er ist ohne Falsch; auf ihn kann man sich verlassen; er ist bieder und treu; er lebt noch nach den alten moralischen Grundsätzen. Sich in die Welt zu schicken wissen und in die Weltpassen. 'im Leben zurechtkommen, sich gut anpassen können; ähnl.: sich durch die Welt schlagen: Hindernisse überwinden, auch: mühsam seinen Weg suchen, ihn bahnen müssen. ,Man muß sich krümmen, wenn man durch die Welt kommen will*, man muß sich redlich abmühen, auch: man muß sich untertänig, devot und unauffällig verhalten. Dagegen heißt weder für diese noch jene Welt passen: lebensuntüchtig, weltfremd sein; ähnl.: zu gut für diese Welt sein: verkannt, verspottet und ausgenutzt werden. Nicht von dieser Welt sein: dem Jenseits (Paradies) angehören; überirdisch schön sein. Die Wndg. bezieht sich auf Joh. 8,23, wo es heißt: „Ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt“. In einer anderen Welt leben: im Reich des Geistes, der Kunst leben, sich über das Alltägliche erheben. MET * RECHT* SOVD1C * (TERNE^DOE* COMMEN * ♦DE'WERELT IC + ßENDER'DOE.R'MÄEB IC » MOET *CROMMEN ♦ ,Wer durch die Welt kommen will, muß sich krummen4 1136
Welt Wie in einer anderen Weft sein: sich wie verzaubert Vorkommen. Die Welt nicht mehr verstehen: die Ereignisse, die bestehenden Zustände nicht mit seinen alten Vorstellungen in Zusammenhang und Einklang bringen können. Friedrich Hebbel läßt am Schluß seines bürgerlichen Trauerspiels ,Maria Magdalena' (1843/44) den Meister Anton sagen: „Ich verstehe die Welt nicht mehr“. Die Welt hat sich nmgedreht sagt man, wenn man sich darüber wundert, daß jem. gegen sein gewohntes früheres Betragen handelt. Ähnl. wird die Wndg. Die Welt ist rund (und muß sich drehn) oft als sprw. Erklärung für allerlei Wechsel gebraucht. Sie ist eigentl. ein Zitat aus der Oper ,Der Templer und die Jüdin' von Wilh. August Wohlbrück, zu der Heinrich Marschner die Musik schrieb (1829). Mathematikers und Physikers Archimedes (285-212 v. Chr.): „Aôç poi xoü otd) xocl xivd) tt|v yT)v“ (= Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde!). Vgl. Büchmann, S. 591. Die ganze Welt mit Blindheit strafen: sich einbilden, gescheiter als alle übrigen Menschen zu sein. Vgl. lat. ,cornicum oculos configere'. Etw. aus der Welt schaffen: es endgültig beseitigen. Etw. ist (nicht) aus der Welt: es ist (nicht) unwiederbringlich verloren, es ist (nicht) allzu weit entfernt. Es ist ja nicht die Welt! sagt man tröstend, wenn etw. nicht so bedeutend ist, wenn sein Verlust leicht zu verschmerzen ist. Das wird die Welt nicht kosten: es wird nicht zu teuer für uns sein. Die Welt auf seinem Daumen tanzen fassen: sich selbst als Mit- ,Die Sorgen der Welt auf sich laden' ,Die Sorgen der Welt auf sich nehmen', sich mit Problemen belasten, die außerhalb des eigenen Lebensbereiches liegen. Die Welt aus den Angeln heben wollen: sich sehr stark fühlen, das Leben vieler Menschen grundlegend verändern wollen, noch nie Dagewesenes vollbringen. Die Rda. bezieht sich auf einen Ausspruch des ,Die Welt auf seinem Daumen tanzen lassen' telpunkt der Welt verstehen, alles leicht nehmen und die Sorgen anderen überlassen. Der Ausdr. übermütigen Glücksgefühls Was kost’ die Welt? und die Beteuerungsformel um alles in der Welt sind seit 1749 häufig in der Studentensprache bezeugt. Die verkehrte Welt wurde vor allem in früheren Jhh. sinnbildhaft für die Narrheiten und Dummheiten der Menschen gebraucht. Pieter Bruegel d.Ä. hat die verkehrte Welt' auf seinem großen Redensartenbild von 1559 an ein Narrenwirtshaus 1137
Wenn 1-4 ,Verkehrte Welf als Aushängeschild gemalt. Mensing gibt in seinem ,Schlesw.-holst. Wb.4 (Bd. V, Sp. 222 ff.) einen mdal. Beleg für diesen Ausdr. Zum Treiben in den ,Twölften‘ (25. 12. bis 6. 1.) heißt es: „twischen de Dagen speit man hier de verkehrte Welt; de Knechen un Derns hebbt to reden und de Wertslüde möten se bedenen“. Die Welt geht auf Stelzen /Stelze. Die Welt ist mit Brettern vernagelt /Brett. Moderne Wndgn. sind: Für einen bricht die Welt zusammen: alles, was er bisher für wert und teuer hielt, woran er geglaubt hatte, zerbricht; er verliert seine besten Freunde, jeden Halt, jede Hoffnung und Orientierungsmöglichkeit, und: Es liegen Welten zwischen ihnen: sie sind durch größte Unterschiede (Lebensauffassung, Charakter, geistiges Niveau) getrennt. Sich in der Weltgeschichte herumtreiben: unstet von Ort zu Ort reisen, seinen Arbeitsplatz oft wechseln; die Rda. ist erst in unserem Jh. aufgekommen. Ebenso der Ausruf des Erstaunens oder Unwillens: Da hört (ja) die Weltgeschichte auf; seit etwa 1900 belegt. Lit.: Kluge: Dt. Studentensprache (Straßburg 1895), 134b. wenn. Das viele (ewige) Wenn und Aber!: Immer diese Einwände und Zweifel! Gottfr. Aug. Bürger gebrauchte diese Wndg. in seiner Ballade ,Kaiser und Abt4 mehrmals (Str.30): „Ha44, lachte der Kaiser, „vortrefflicher Haber! Ihr futtert die Pferde mit Wenn und mit Aber. Der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht, Hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht44. In Str. 31 warnt der Kaiser: „Was denk' ich, das falsch ist? Das bringe heraus! Nur bleib' mir mit Wenn und mit Aber zu Haus!44 Wenn das Wörtchen wenn nicht wär! gilt als Einwand, wenn man am Gelingen eines Vorhabens berechtigte Zweifel hat. Oft erfährt diese Wndg. noch scherzhafte Zusätze, wie z. B.: dann wär’ mein Vater Millionär (ein Herr), oder im Obersächs.: ,dann gäb's dafür ein andres4, ein Hindernis wäre bestimmt vorhanden. Das Wenn erscheint oft in der Form eines irrealen Bedingungssatzes: wenn meine Tante Räder hätte (datin wäre sie ein Omnibus): wenn Dumm sein weh täte (da müßte er ununterbrochen schreien); wenn der Hund nicht gemußt hätte (dann hätte er den Hasen gekriegt). 1138
Werwolf Und wenn du dich auf den Kopf stellst!: Ich tue es auf keinen Fall! Diese Rda. erhält im Obersächs. noch einen Zusatz zur Steigerung: ,und mit den Beinen wackelst4. Wennschon - dennschon!: wenn überhaupt, dann richtig, dann mit der größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, dann kommt nur das Beste (Teuerste) in Frage. Werg. Als Werg werden im Gegensatz zum feineren Hanf die beim Schwingen und Hecheln des Flachses abfallenden kürzeren und minderwertigeren Fasern bez. Rdaa. mit Werg gehören also zum Umkreis des alten Spinnrades. Werg am Rocken haben: etw. auf dem Kerbholz, Strafe zu erwarten haben, eine noch ungebüßte Schuld mit sich herumtragen; im wörtl. Sinne: wirre Fasern, Abfallfäden am Spinnrocken haben. Lux. ,Wierek um Raecken hoin4, in der Klemme sein; westerwäld. ,He hot Werk am Racke4, er hat etw. verbrochen; Basel ,Er hett Wärch a der Chunkle4, er hat etw. Unangenehmes auszufechten; schwäb. ,Der hat’s letzt Werg an der Kunkel4, er ist am Rande seines Könnens. Früher sagte man mit gleichem Bild auch: ,noch etw. bei jem. auf der Kunkel haben4. Ein Zeugnis aus dem 15. Jh. findet sich in dem Liederbuch der Hätzlerin (68a, 89), wo von der derben Abweisung eines unwillkommenen Werbers die Rede ist: Hett ich nit liebers, dann du mir bist, Zwar so hett ich gern mist, Du hast vil wercks am rocken. Anders in einem Briefe Luthers: ,,Nun ist’s wohl wahr, daß Herzog George merkliche Knoten bei mir am Rocken hat“. Werg spinnen: Unsinn, tolles Zeug reden: Do die fürsten das erfuren und horten, Ir deichseln von der stat sie kerten Und zugen naher auf einen Perg Und spunnen aber ungehechelts werg, Wie sie den feinden wolten nahen. (Hist. Volkslieder, hg. v. Liliencron, I, 335). Die Rda. kommt heute noch in der thür. Mda. vor. Vereinzelt findet sich auch: sein eigenes Werg spinnen: nur seine eigenen Interessen verfolgen. Gotthelf (Ges. Schriften, 1855, 15, 193): „So fiel das fürstliche Grafenhaus, und Oesterreich hatte keinen Schwerdtstreich zu dessen Rettung geschlagen. Es spann damals sein eigen Werg44. Lit. selten ist ,den Werg verspinnen4, seine Kräfte, seine Reserven verbrauchen: „Wer immer handeln will, verspinnt zu rasch den Werg“ (Immermann, Werke 15, 346). ,Immer neues Werg am Rocken haben4 sagt man von einem Vielbeschäftigten, der nichts zu Ende bringt: „der nimmer keyn ruow,alwegeinwerckan der gunckel hat, das er schwerlich abspint“ (Seb. Franck, Sprichwörter, 1541,2,133a). Jem. etw. am Werg zupfen: ihm etw. am Zeug flicken. Werg kommt auch vor i. S. v. Geld, z. B. schles. ,Se hat Werg ums Been4, viel Vermögen. Wermutstropfen. Es ist ein Wermutstropfen in seiften Wein gefallen: er hat eine bittere Erfahrung machen müssen; es ist ein Unglücksfall innerhalb einer Reihe von glücklichen Ereignissen eingetreten, seiner Freude ist Leid beigemengt worden. Jem. einen Wermutstropfen in den Wein gießen: ihm seine Freude verderben, seine Begeisterung dämpfen. Die Rdaa. gründen sich auf die Erfahrung, daß ein Tropfen Wermutsaft, der aus dem Kraut einer Beifußart (Artemisia absynthium) zu Heilzwecken gewonnen wird, genügt, um jede wohlschmeckende Flüssigkeit (bes. Wein und Honig) in einen bitteren Trank zu verwandeln. Das Gegenteil meint die Wndg. in seinen Wermut etw. Honig tun: sein Leid, seine Trauer etw. zu mildern suchen. Vgl. lat. ,amaro dulce miscere4. Werwolf. Es ist ein Werwolf: er ist unheimlich und gefährlich, er benimmt sich unmenschlich roh und frevelhaft. Der Werwolf ist eigentl. ein ,Mannwolf4, vgl. ahd. ,wër4 und lat. ,vir4. Bes. aus dem germ. Nor- Werwolf 1139
Wespennest Werwolf den ist der Werwolfglaube überliefert: Ein ,alter ego‘ verläßt den Körper des Schlafenden und nimmt die Gestalt eines Wolfes (Bären) an und verhält sich entsprechend. Später glaubte man jedoch, daß eine solche Tierverwandlung nur durch einen Zauber herbeigeführt werden könne, wie Prozeßakten aus dem 18. Jh. erweisen: durch das Überstreifen eines Wolfsfelles oder Wolfsgürtels kann jeder Mensch zeitweilig zu einem Wolf werden, der jedoch noch reißender und gefährlicher als ein gewöhnlicher Wolf ist und wegen seiner zauberischen Kräfte kaum besiegt werden kann. Vgl. auch ndl. ,hij is een weerwolf4. Einen wie einen Werwolf fürchten: ihn wie ein dämonisches Wesen fliehen. Sagen vom Werwolf sind bes. in Norddtl. noch sehr lebendig. Auf diese volkstümlichen Vorstellungen beziehen sich auch die vor allem im Hess, belegten rdal. Vergleiche für einen starken Esser, z.B. ,Er frißt wie ein Werwolf4. ,Ha wiehlt wie en Warwolf4 sagt man von einem unüberlegt und hastig arbeitenden Menschen; wenn die Pferde den Wagen nicht von der Stelle bringen können, heißt es: ,Es steckt ein Werwolf im Rad4. Lit.: W. Hertz: Der Werwolf (Stuttgart 1862); K. Müller: Die Werwolfsage. Studien zum Begriff der Volkssage. Phil. Diss. Marburg (Karlsruhe 1937), S. 14; E. Odstedt: Varulven i svensk folktradition. Skriftner ut- givna genom Landsmals - och Folkminne-arkivet i Uppsala, Ser. B 1 (Uppsala 1943); A. Roeck: De weer- wolf in de Nederlandse Volkssage van de negcntiende en twintigste eeuw (Diss. Leuven 1967); K. Völker: Von Werwölfen und anderen Tiermenschen (München 1972). Wespennest. In ein Wespennest greifen (stechen): eine heikle, gefährliche Sache anfassen, aufgreifen, die Leute gegen sich aufbringen, sie herausfordern. In der Wormser Ausg. von 1538 des um 1230 entstandenen Lehrgedichts »Bescheidenheit4 von Freidank steht vor dem Kapitel ,Von neid vnd haß4 ein Teufel, der sich mit einem Wespenschwarm herumschlägt; dazu heißt es 146, 1 ff.: Fliegen, floehe, des tuivels nit, die müent die liute z'aller zit. Adelung bucht: ,in ein Wespennest stören4 (IV, 1509); so noch bei Goethe (Weimarer Ausg. I, 15, 1, 12): Verbiete wer, was alle wollten, Der hat ins Wespennest gestört. Aber auch schon im Lat. war sprw. »irritare crabrones4 = die Hornissen reizen (Plautus, Amphitruo II, 2). Unserer Rda. kommt nahe 1561 : „ln ein hurnussen näst stächen, das ist, ein vnrüwigen menschen reitzen, crabrones irritare44 (Maaler, Die Teutsch Spraach). Die Rda. scheint also zunächst tatsächlich eine Lehnübers. aus dem Lat. zu sein, bis sie 1586 bei Mathesius in der heutigen Form erscheint. Auch in den Mdaa. ist sie reich bezeugt. Im »Wandsbecker Bothen4 des Matthias Claudius (Bd. VII, Hamburg 1803) heißt es: Greif nicht leicht in ein Wespen-Nest; Doch, wenn Du greifst, so stehe fest. Das Zitat ist in leicht abgewandelter Form zu einem volkstümlichen Spruch geworden: 1140
Weste Greif nicht in ein Wespennest, Doch, wenn du greifst, so greife fest. Bismarck schrieb im 2. Bd. seiner Gedanken und Erinnerungen4 (Cotta 1921, S. 22): „die Regierung, namentlich eine solche, die ohnehin in manches Wespennest hat greifen müssen, unter dem Beifall der Massen zu tadeln, hat nichts Schwieriges“. Vgl. auch lat. Gicadam ala corripuisti4 und ndl. ,Hij heeft het Wespennest verstoord4. Wespentaille. Eine Wespentaille besitzen: überaus schlank sein. Die Wespentaille gehört seit Jahrtausenden zu einem immer wiederkehrenden Ideal der Körperform in der Damenmode, das für Kreta bereits 2600 v. Chr. bezeugt ist. Um es zu erreichen, muß die Taille fest eingeschnürt werden. Da der Ober- vom Unterkörper fast getrennt erscheint, bietet sich der Vergleich mit der Wespe an. Grandville hat dies in seiner Zeichnung wieder ganz wörtlich genommen. Jem. um seine Wespentaille beneiden: seinen schlanken Wuchs bewundern und sich heimlich ärgern, dieses Ziel nicht ebenfalls erreichen zu können. Weste. Eine weiße (reine, saubere) Weste haben: untadelig, anständig, gut beleumundet sein; ohne Vorwürfe dastehen. Die Vorstellung, daß eine weiße Brustbekleidung Kennzeichen eines reinen Gewissens ist (Weiß als Sinnbildfarbe der Unbescholtenheit und Unschuld), ist schon alt. Abraham a Sancta Clara,,Etwas für alle4 (1711, 2,10): „(dass sie russig aussehen) wird ih- ,Eine weiße (reine) Weste haben4 1141
Wetten nen (den Schmieden) aber zu grossem rühm gesagt, da sie stets bey der russigen arbeit doch einen weissen brustfleck oder weisses gewissen haben können“. Die ,reine Weste4 im Sinne einer sauberen Handlungsweise, eines reinen Gewissens (bes. in politischer Beziehung) ist jedoch erst seit dem Ende des 19. Jh. bekannt. Nach seinen Erinnerungen hat Bismarck die Wndg. schon 1866 gebraucht: „Ich fragte Moltke, ob er unser Unternehmen bei Preßburg für gefährlich oder für unbedenklich halte. Bis jetzt hätten wir keinen Flecken auf der weißen Weste“ ^Gedanken und Erinnerungen4, 1911, 11, S.41). Nach einer anderen Version ist die Rda. erst seit etwa 1890 üblich geworden und wurde damals scherzhaft auf den dem Bund der Landwirte angehörenden Abgeordneten Oertel angewandt, der stets in weißer Weste erschien. Das ist eine alte Weste: eine längst bekannte Geschichte. Immer feste uff de Weste! ist (zunächst in Berlin, dann auch anderwärts) ein Hetzruf bei einer beginnenden Prügelei oder allg. eine Aufforderung zu energischem Vorgehen. Einem unter die Weste wollen: sein Herz erforschen, seine geheimsten Gedanken erfahren wollen. Jem. etw. unter die Weste schieben (drük- keny jubeln, deuen): ihn einer nicht begangenen Tat bezichtigen, rügen; jem. etw. Vorhalten. Was man unter die Weste schiebt, soll nahegehen. Aus dem körperlichen Nahegehen wird im 20. Jh. ein seelisches. Seine Weste ist mit Hasen feil gefüttert:^ ist furchtsam und feige, ähnl.: Die Weste ist jem. zu eng geworden: er ist von Besorgnis und Furcht vor einer Bedrohung erfüllt. Schlesw.-holst, ,1k heff er’n paarmal an de West drückt4, mit ihr getanzt. Ober- sächs.-erzgeb. ,Das is eene Weste4, das ist einerlei. Jem. kennen wie die eigene Westentasche: ihn gründlich kennen. Etw. aus der Westentasche bezahlen können: ohne Schwierigkeiten; das Geld mit Leichtigkeit aufbringen; eine solche Summe immer bei sich tragen. Eine grotesk übertreibende Rda. der Umgangssprache und der Mdaa. aus dem späten 19. Jh. veranschaulicht bildhaft den Begriff schielen: ,mit dem linken Auge in die rechte Westentasche sehen4. wetten. So haben wir nicht gewettet: das war nicht vorgesehen; meist als Ausdr. einer Weigerung, eine Zumutung hinzunehmen. Der urspr. Sinn ist: ,so haben wir es nicht abgemacht4. Die Rda. bezieht sich also ei- gentl. auf den Inhalt einer Wette, dann auf jegliche Vereinbarung ohne Wette, schließlich auf jede unbefugte Handlung. 1620 heißt es in Stapelius’ ,Tragico-Co- moedia4 (B 7a): „O nein, so haben wir nicht gewettet, gehe du mir hierher“ ; 1812 in den KHM. der Brüder Grimm (Nr. 10): „Du kommst mir recht, sagte das Hähnchen, lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als daß ich mich Vorspannen lasse; nein, so haben wir nicht gewettet“. Obersächs.-erzgeb. ,So ham mer ni(ch) gewett4, mit dieser Auffassung bin ich nicht einverstanden. - Vgl. auch lat. ,Nihil ad fides4. Wetter. Um gut (schönes) Wetter bitten (anhalten, flehen): um Nachsicht, Verzeihung, Milde bitten. Christian Weise (1642-1708) gebraucht die Wndg. ,um schön Wetter bitten4: „Das ist meine Meinung nicht, daß ich’s bei den Leuten auf einmal verschütten will, ich werde wieder um schön Wetter bitten44. Wetter meint im übertr. Sinn die Stimmung des Menschen. Deshalb spricht man kurz auch von schlecht Wetter4 und ,gut Wetter4, zorniger und friedlicher Stimmung (schon im 17. Jh. lit. bei Grimmelshausen). Wie ein Wetter re/'//: sehr veränderlich, unstet sein. Ähnl.: das Wetter Vorbeigehen lassen: sich abwartend verhalten; ebenso: auf gut (besseres) Wetter warten. „Die erste Lieferung der neuen Ausg. meiner Werke ist schon abgedruckt, Cotta secretiert sie aber und wartet mit der Subscriptionsanzeige auf besseres Wetter“ (Goethe im Briefwechsel mit Zelter 11, 202). Gut Wetter machen: geneigte Stimmung hervorrufen; daneben aber auch umg. und dem Volksglauben entsprechend: alles aufessen, was vorgesetzt wird. Dieser Volksglaube beruht auf einem sprachl. Mißverständnis. Im Ndd. wurde gesagt, wenn alles aufgegessen würde, gäbe es am nächsten Tag wieder etw. Gutes: ,Goods wedder‘, was im Hd. als ,gutes Wetter4 gedeutet wurde, ln älterer Sprache begegnet: gut Wetter sein lassen: unbeschwerten Mutes, gleichgültig sein. 1142
Wichs Ich zog mich ab und legt mich nieder, Thet mein gebet, schlieff drüber ein, Und Hess also gut wetter sein. (Wolf Ferber, 1610, in: ,Armbrust schies- sen\ C 2 a). Er kann sich das Wetter machen, wie er will: er ist Herr der Situation. Vgl. frz. ,faire la pluie et le beau temps1. Ähnl.: Wetter und Wind dienen //iah: alle Umstände sind ihm günstig. Vgl. ndl. ,Weer en wind dienen hem4. Dagegen: Es ist kein Wetter fiir ihn: es ist ungünstig. Wie ein Wetter dazwischenfahren: andere auseinandertreiben wie ein plötzliches Unwetter. Ein Wetter sieden: Zank und Unfrieden mutwillig heraufbeschwören. Die Rda. bezieht sich auf die Vorstellung, daß die Wind- und Wetterhexen schlechtes Wetter machen konnten, indem sie einen Topf mit Urin ans Feuer setzten. Vor dem Wetter läuten: sehr voreilig sein. Für schlechtes Wetter gibt es viele scherzhafte Umschreibungen, z. B. Das Wetter ist gut genug zum Kuchen backen, vgl. ndl. ,Het is beter weer om koeken te bakken, dan om meel te halen4; es ist schön Wetter zum Zuhause bleiben: es ist ein Wetter drauß \ man jagt nicht gern einen alten Hund hinaus, vgl. holst. ,en Wedder, dat man kên Hund utjagen much4 und ndl. ,Het is geen weer, om kat of hond uit te jagen1; es ist ein Wetter, als wenn der Jüngste Tag (der Weltuntergang) kommen wollte. Dagegen heißt es von bes. schönem und warmem Wetter: Das ist ein Wetter zum Eierlegen! In Ulm sagt man: ,’s durstig Wetter4, um starkes Trinken zu entschuldigen. Das Wetter geht durcheinander: die Meinungen sind sehr geteilt. Ein Wettermädchen sein: ein kluges, erfahrenes Mädchen sein, eigentl. ein Mädchen, das wie die Wetterkröte das kommende Wetter vorhersehen kann. Ähnl. anerkennend ist auch der Ausdr. ,Blitzmädel4. Lit.: A. Yermoloff: Die landwirtschaftliche Volksweisheit in Sprww., Rdaa. und Wetterregeln, Bd. I (Leipzig 1905). Wetterfahne, Wetterhahn. Sich nach der Wetterfahne richten: sich nach dem günstigen Wind, der politischen Windrichtung einstellen. Sich drehen wie eine Wetterfahne; unbe¬ ständig (auch iron, beständig) wie ein Wetterhahn: von wankelmütiger Gesinnung, unstet sein; bes. in polit. Beziehung. Auch in den Mdaa. belegt, z. B. schwäb. ,Der ist de reinst Wetterfa4. Luther schreibt 1539: „Ich befürchte aber, daß leider unter uns viel Wetterhanen, falsche Brüder und dergleichen Unkraut seyn werden44 (Werke 47, 777). 1649 bucht Gerlingius unter Nr.74: „Cothurno versatilior. Unbeständiger als ein zweyfüssiger schuch. Unstäther denn ein wetterhahn44. - Der junge Goethe schreibt am 12. Juni 1771 an Johann Daniel Salzmann: „Meine animula vagula ^unstetes Seelchen4) ist wie’s Wetter-Hähngen drüben auf dem Kirchthurm; dreh dich, dreh dich, das geht den ganzen Tag44. Wichs. Sich in Wichs werfen (schmeißen, setzen etc.): sich fein anziehen, die Gesellschaftskleidunganlegen, in Wichs sein: gut, gesellschaftsfähig gekleidet sein. Die Rda. stammt aus der Studentensprache (seit dem Ende des 18. Jh.), ist aber dann auch in au- ßerstudent. Kreisen teilweise gebräuchl. geworden. „En Wix heißt bey den Studenten so viel als en Galla, sehr geputzt44 (Kindleben, Studentenlexicon, Halle 1781, S.217). Mhd. ,wihsen4 bedeutet eigentl.: mit Wachs bestreichen, d.h. glänzend machen. Zunächst bezog sich der Ausdr. Wichs auf die glänzend gewichsten Stulpenstiefel, „den grössten Teil des Studen- ten-Staates“ (1795). Dagegen führt Campe 1807 im ,Wörterbuch der dt. Sprache4 (Bd.I, S.275) ,aufwichsen4 in der Bdtg. ,herausputzen4 auf das Aufwichsen des Schnurrbartes durch heißes Wachs zurück. Wichs für Festgewand, bester Anzug ist in Mdaa. und Umgangssprache weit verbreitet und hat auch Eingang in die Lit. gefunden: „Kommen Sie, wenn Sie in Wichs sind, man... wartet... auf uns, wir sind gemeldet44 (W. Raabe, Hungerpastor, 1864). Es ist alles eine Wichse: es ist alles dasselbe. Das ist Wichse, die auf alle Schuhe paßt heißt es von Leuten, die sich für alle Zwecke verwenden lassen. Die Vorstellung vom kräftigen, schnellen, wiederholten Reiben und Streichen hat zur Umdeutung von Wichse = Prügel geführt. Dazu gehört auch ,verwichsen4 (oder: durchwichsen), verprügeln. Jer. Gotthelf 1143
Wichsbürste schreibt 1855: „Ob nun ein Schaden oder keiner entstanden, so erhielt ich Wix von der Frau“ (Ges. Sehr. I, 70). Geld verwichsen: Geld durchbringen, vorzeitig oder unsinnig ausgeben; etw. vergeuden (eigentl.: für bloße Kleiderpracht ausgeben); auch mdal. seit dem 19. Jh. verbreitet. In der sexuellen Umgangssprache ist wichsen1 = masturbieren. LH.: C. W. Kindleben: Studentenlexikon (Halle 1781), S. 217. Wichsbürste. Einen Schlag mit der Wichsbürste bekommen haben: nicht ganz bei Verstand sein; beruht auf der auch in vielen anderen Rdaa. enthaltenen Grundvorstellung einer durch einen Schlag gegen den Kopf hervorgerufenen Geistesgestörtheit; seit dem 1. Weltkrieg zunächst in der Soldatensprache bezeugt. Wicke. In die Wicken gehen: verlorengehen; auch: entzweigehen (/Binse). Mdal. ist die Rda. vielfach bezeugt: westf. ,wickn gan‘, sich aus dem Staube machen; ndd. ,glîks in de Wicken gan\ leicht aufgeregt werden. Schon mhd. bedeutet ,wicke‘ etw. Wertloses, Geringes, ein Nichts, wobei wohl an den den Erbsen gleichen, aber nicht verwertbaren Samen der Wickenschotegedacht wird: nhd. ,nihteine wicke\ nichts (ebenso und gleichbedeutend: ,niht eine böne\ ,niht eine nuz\ ,niht ein riet4, ,niht ein swam4). „Böse ungezogene pau- ren... geben weder umb gebott noch ver- bott nit ein wicken“ (Wickram, Werke 3, 66 Lit.-Ver.). Im Liederbuch der Hätzlerin (II, 56, 260) heißt es auch im abschätzigen Sinn: ,,Nit dreyer wicken wert“. Seit frühnhd. Zeit steht Wicke häufig in abwertendem Vergleich und bildl. als Gegenbegriff zu Weizen. Der Ansicht, die Rda. leite sich aus der Jägersprache, vom Untertauchen des Niederwildes in einem Wickenfeld, her, so daß es sich dem Auge des Jägers und dem Zugriff des Hundes entzieht, steht entgegen, daß die Wicken zur Jagdzeit gewöhnlich bereits abgeerntet sind. In ihrer heutigen Form kommt die Rda. erst im 19. Jh. vor, ist aber bis zur Lit. der Ggwt. bezeugt. Gerhart Hauptmann schreibt 1904 in ,Rose Bernd4: „Dr Bräuti¬ gam is nahe ... aber de Braut gieht drweil ei de Wickn“. „Ein donnerartiger Streit entsteht, daß der Preis in die Wicken geht“ (,Kladderadatsch4,1938, Nr. 35). Vgl. ähnl. Rdaa., wie ,in die Binsen, Erbsen, Rüben, Pilze, Nüsse, Fichten gehen4. Lit.: O. Weise: In die Wicken gehen, flöten gehen und Verwandtes, in: Zs. f. hd. Mdaa. 3 (1902), S. 211-217. Wickel. Jem. beim (am) Wickel (haben) kriegen: ihn zu fassen bekommen, ihn fest- halten, auch: einen zur Verantwortung ziehen. Eigentl. kann man nur ein Kind beim Wickel kriegen, und auch dieses urspr. nur bei der Wickel. Das Wort hat im Laufe seines Bestehens sein Geschlecht gewechselt und außerdem die Färbung von etw. unsanfter Behandlung angenommen. In alter Lit. findet sich kein Beleg für die Rda., in neuester hat sie Heyse in seinem ,Kolberg4 (II, 3): Da ist kein Wunder, wenn alles fliegt Und die Viktoria beim Wickel kriegt. Indessen besteht daneben die Wickel bekanntlich auch weiter. Heyses ,Kolberg4 (III, 5): ,als er noch in der Wickel lag4. Küpper (I, S. 347) meint, daß unter Wickel die zusammengedrehten Haare im Nacken zu verstehen seien, an denen man einen Menschen packen und halten kann. Nicht recht beim Wickel sein: nicht ganz gescheit sein. wie. Urspr. war ,wie‘ mit ,so4 verbunden (ahd. ,so wio4) und ist seit der Verselbständigung in mhd. Zeit die Vergleichspartikel im verkürzten und stehenden rdal. Vergleich - bei Gleichheit und Ungleichheit -, welche allmählich das ältere ,als4 ersetzte. Bei Luther werden beide noch gleicherweise verwendet: „seyn angesicht gluehete wie die Sonne vnnd seyne kleyder worden weysß als ein liecht“ (Weimarer Ausg. 6, 78). Vergleichendes ,als4 behauptet sich noch länger in Verbindung mit Adjektiven (Adverbien) und vorausgehendem korrelativem ,so‘ (seit dem 16. Jh.), etwa bei Grimmelshausen: (ich) „schweig so still als ein mauß“ (,Simplicissimus4, 1669, Schölte 96). Als Mischform im verkürzten Vergleich steht ,wie‘ in der Verbindung mit ,als4: „du schlachtest jhn als wie ein lamb“ 1144
Wie (Paul Gerhart, in: Ev. Kirchenlied 3307, Fischer-Tümpel). ,Wie‘ kann eine persönliche oder sachliche substantivische Größe nach Art und Beschaffenheit vieler bestimmen: „reich- thumb wie der sand am meer“ (Hans Sachs, Keller-Goetze 1, 112), oder z.B. an ein Adj. oder Adv. eine Vergleichsgröße anknüpfen: (der Tod überfällt uns) „gantz ungestuem wie ein sturme wind“ (Hans Sachs, 1530, Keller-Goetze 1, 434). Die sprw. Fügung gebraucht gern ,wie‘ mit korrelativem ,so4 (seit dem 15. Jh.): ,Wie der Herr - so der Knecht1. Diese wenigen Angaben zum Gebrauch des vergleichenden ,wie‘ nach dem Grimmschen Wörterbuch geben zugleich Anhaltspunkte für die zeitliche Einordnung mancher unserer rdal. Vergleiche und Wndgn. und ihre sprachl. Form. Im sprw. Vergleich - den wir ja auch in anderen Sprachen seit alter Zeit finden - bemüht sich der Sprecher um die anschauliche und bedeutungsverdichtende und - im Gegensatz zu Gleichnis und Parabel - möglichst knapp gefaßte Darstellung von Zuständen, Eigenschaften (,hell wie die Sonne4), Vorgängen und Handlungen (,Er brüllt wie ein Löwe4). Dabei steht der sprw. Vergleich in seiner verkürzten, formelhaften Prägung in einem festen Sinnzusammenhang und besteht nicht für sich wie das Sprw., wird aber wie dieses, solange Sinn und Satzzusammenhang klar sind, oft über Jahrhunderte hinweg unverändert überliefert. Solche sprw. Vergleiche gehen nicht nur auf volkssprachl. Prägungen und allgemeine Beobachtungen zurück, sondern haben oft ihre Quelle in lit. Vergleichen aus der Bibel, den Klassikern, der volkstümlichen Lit., aus Naturgesch. und Technik. Umgekehrt sind aber auch sprw. Rdaa. und Vergleiche aus der Umgangssprache in die Lit. eingegangen. Eine eindeutige Unterscheidung von populären rdal. Vergleichen von solchen einer lit. gebildeten Schicht scheint auch der Forschung äußerst fragwürdig (Taylor). Die meisten sind aber- bei aller möglichen Stilisierung - in ihrer Treffsicherheit und Bildlichkeit, ihrem Humor und ihrer Ironie feste Bestandteile unserer alltäglichen Umgangssprache, und zwar so sehr, daß sich über ihre Herkunft und ihr Alter meist nichts Genaues mehr sagen läßt; man weiß höchstens, daß ein Vergleich wie ,Bitter wie Galle' bei den verschiedensten Völkern seit der Antike zu belegen ist. Neben freien Fügungen (,So gelb wie Schwefel4 und ,Wie ein Elefant im Porzellanladen4) stehen solche, die fest mit einem Subst. oder Verb verbunden sind: ,Augen wie Mühlräder' (sprw. Übertreibung); (Er kann) ,schwimmen wie ein Fisch4 oder, witzig das Gegenteil behauptend, ,wie eine bleierne Ente4. Adverbielle und adjektivische Vergleiche sind: ,Frech wie Oskar4 oder ,Er ist so dumm wie (er) lang (ist)4. Bes. die iron. rdal. Vergleiche in ihrer prägnanten Kürze (d.h. Vergleiche vom Typ ,arm wie eine Kirchenmaus4,,frech wie Oskar4) eignen sich vornehmlich zu einem komischen Kontrast. Durch eine Art Verfremdungseffekt wird hierbei die komische Wirkung bewerkstelligt, insofern als die gewohnte Rda. in eine fremde, schockierend neue Umgebung verpflanzt wird, denn der Vergleich paßt nicht, und der Witz liegt dann in dem Unsinn: ,Klar wie Wurstsuppe (Kloßbrühe, dicke Tinte, Torf)4; ,schlank wie eine Tonne4; ,gespannt wie ein alter Regenschirm4; ,ausreißen wie Schafleder4 (wobei,ausreißen4 doppelsinnig in den beiden Bdtgn. ,zerreißen4 und ,flüchten4 gebraucht wird);,Einfälle haben wie ein altes Haus4; ,gerührt wie Apfelmus4; ,frech wie Rotz am Ärmel4;,passen wie die Faust aufs Auge4 (,wie der Igel als Arschwisch4); verschwiegen wie eine Plakatsäule4; ,er hat’s im Griff wie der Bettelmann die Laus4; ,er sieht aus wie eine Hundehütte - in jeder Ecke ein Knochen4; ,er ist zu dumm, um einen Eimer Wasser anzuzünden4. Der iron. rdal. Vergleich wird oft bewußt gebraucht, der witzige Kurzschluß zwischen zwei heterogenen Dingen, der Vergleich zwischen Unvergleichbarem oder Gegensätzlichem absichtlich hergestellt. Die Urheber solch geistreicher oder iron. Vergleiche sind meist nicht feststellbar; vieles Zeitbedingte (etwa der Wortwitz im Vergleich) verschwindet wieder als nicht mehr verständlich, anderes wird Bestand¬ 1145
Wiege teil der Umgangssprache und oft erweitert oder umgeformt: ,Dumm wie die Sünde* - ,Häßlich wie die Sünde* ,Rund wie ein Apfel* - ,Rund wie ein Fußball*. Doch sind die Bedeutungsträger in solchen Vergleichen nicht beliebig austauschbar: ,Rund wie die Sünde* wäre Unsinn. Während ,Galle* und ,bitter* in vielen Sprachen zusammengehören, können die Vorstellungen bei anderen Vergleichen in den verschiedenen Sprachen und Sprach- landschaften durchaus auseinandergehen, obwohl von demselben ,Vergleichsträger* ausgegangen wird: Im Engl, heißt es etwa: ,crazy like a fox*, während bei uns der Fuchs schlau ist. Rdal. Vergleiche mit ,wie* können schließlich auch Elemente der Wortkomposition sein, wie sie stilistisch vor allem der Lyriker (im Volkslied) und die Volkssprache gern bildhaft verwendet. Sie führen, den Vergleich sozusagen nochmals formal verkürzend, zu jenen Adjektivkomposita (mit einem Subst. oder Adj. als Determinativ oder einem selbständigen Adj. als zweitem Kompositionsglied) wie in: apfelrund, grasgrün, himmelblau, lilienweiß, messerscharf, rosenrot. Die Lit. über solche rdal. Vergleiche ist bislang spärlich. Bes. für den dt. Sprachbe- reich fehlt eine entspr. Untersuchung zu den rdal. Vergleichen, obwohl gerade hier die Beispiele bes. zahlreich sind, so daß sie auch in diesem Lexikon nicht vollständig erfaßt werden konnten. In alphabetischer Reihenfolge sei noch auf die Stichworte verwiesen, unter denen einzelne sprachl. Vergleiche gesammelt worden sind und behandelt werden: aussehen - dasitzen - dumm - falsch - Faßbinder - faul - frech - fressen - (sich) freuen - Galgen - Gans - gehen - Geiß - gern - Gesicht - gleich - Heftelmacher - Hering - Hunger - Kaktus - kaputt - Kater - Kirchenmaus - Kesselflicker - klar - Klee - krümmen - Kuh - Luchs - lügen - Maulwurf - Pfau - Pudel - pünktlich - Quark - rar - rauchen - reden - Regenschirm - Reiher - reimen - Rock - Röhrwasser - Rom - Rose - rot - Rotz - Sack - Salbe - Salomo - Sand - Sau - sauer - saufen - Schaf - scharf - schaukeln - Schaum - Scheunendrescher - schielen - Schießhund - schimpfen - schlafen - Schlag - Schlange - Schlaraffenland - schlecht - Schlitten - Schnabel - schnappen - schnarchen - stolz - Tag - Tarantel - Taubenschlag - Tempelherr - Teufel - Tod - Topf - Traum - treu - trinken - trocken - umkehren - Veilchen - verlassen - versessen - verstehen - Vogel - voll - Wachtmeister - wahr - Waschweib - Wasser - Weihnachten - Werwolf - Wiesel - Wilde - Wind - Windsbraut - Wolf - Wolke - Wort - Wurm - Zachäus - Zahnbrecher - Ziege - Zieten - Zinshahn - zittern - Zureden - Zustände. Lit.: Dt. Wb., Bd. 14,1, 2, Sp. 1448ff.; O. Weise: Die volkstümlichen Vergleiche in den dt. Mdaa., in: Zs. f. Mdaforsch. 1921; W. Widmer: Volkstümliche Vergleiche im Frz. nachdem Typus »Rouge comme un Coq‘ (Diss. Basel 1929); H. W. Klein: Die volkstümlichen sprw. Vergleiche in lat. und rom. Sprachen (Diss. Tübingen, Würzburg 1936); A. Taylor: Proverbial Comparisons and Similes from California (Berkeley/Los Angeles 1954); S. L. Aronda: Proverbial Comparisons in Ricardo Palma’s »Tradiciones peruanas\ in: Folklore Studies 16 (Berkeley/Los Angeles 1966); L. Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie, S. 197f. Wiege. Das ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden: das hat er nicht erwartet; davon hat er sich nichts träumen lassen; diese bittere Erfahrung hätte er früher nicht für möglich gehalten; seine Lebensumstände haben sich sehr verschlechtert. Die Rda. spielt wohl auf die optimistischen Texte der Wiegenlieder an. Die treffende Kürze der Wndg. hat zu ihrer häufigen lit. Verwendung geführt. So sagt Daja in Lessings ,Nathan* (1,6): Auch mir ward’s vor der Wiege nicht gesungen, Daß ich nur darum meinem Ehgemahl Nach Palästina folgen würd\ um da Ein Judenmädchen zu erziehn. 1852 schreibt Berthold Auerbach (,Neues Leben*, Bd. II, S. 250): ,,Das war oder ward mir nicht an der Wiege gesungen**. Aus dem Holst, ist 1840 die ähnl. Rda. bezeugt: ,Dat is em bi de Dope (Taufe) nich vör- seggt*. Es ist ihm in die Wiege gelegt (gebunden): es eignet ihm von Hause aus (/Angebinde). 1897 schreibt Treitschke in seiner ,Dt. Geschichte im 19. Jh.‘ (1,271): „Der Gedanke der deutschen Einheit ... war 1146
Wiesel diesem stolzen reichsfreien Herrn in die Wiege gebunden“. Berl. Mda.: ,Mit die Wieje bin ik schon je- wiejt4, damit betrügt man mich nicht mehr. Jem. aus der Wiege werfen: ihn brüskieren; wurde im 16. Jh. viel gebraucht. So von Hans Sachs (22,69 Lit. Ver.): ,,Ich hab in (den andersgläubigen Schwäher), yetzt am freytag acht tag, gar ausz der wiegen ge- worffen44. 1689 findet sich die Rda. in Lohensteins ,Arminius4 (1,71b): „Den Römern einen Dienst zu thun oder zum minsten selbte nicht gar aus der Wiege zu werffen44. In der Wiege erdrücken (ersticken); gewöhnlich transitiv, steht im 17. und 18. Jh. für das jüngere ,im Keim ersticken4. „Im Anfang der Unruhen, ... wo ein rascher Entschluß und männliche Stetigkeit die Rebellion noch in der Wiege erdrücken konnten44 (Schiller, VII, 18). Für die Wiege sorgen, ehe das Kind geboren ist: sehr voreilig sein. Diese Rda. ist bereits bei Seb. Franck (II,50a) bezeugt: „Für die wiegen sorgen, eh’ das kindt gemacht ist“. Vgl. ndd. ,He sorgt fär de Wêg êer he 't Kind het4 und ndl. ,Hij zorgt voor de wieg, eer het kind geboren is4. Von der Wiege an: von Anfang an, vom Ausgangspunkt an. Vgl. lat. ,ab incunabulis4. Von der Wiege bis zum Grabe (zur Krücke): das ganze Leben lang, von der Geburt bis zum Tode. Auf die übertriebene Bürokratie bezieht sich der Reim: Von der Wiege bis zur Bahre - Formulare, Formulare! Wiese. Etw. auf der grünen Wiese errichten: etw. neu schaffen. Diese seit dem 16. Jh. bezeugte Rda. hat sich noch bis in die Gegenwartssprache erhalten. 1955 stand z. B. in der frankfurter Allgemeinen Zeitung4 (Nr. 146, S. 9): ,,Rossenray ist seit 15 Jahren die einzige Schachtanlage im Ruhrgebiet, die auf der grünen Wiese errichtet wird44. Wasser auf seine Wiese leiten: seinen eigenen Vorteil suchen. Adelung (IV, 1540) bucht 1801: „Das ist Wasser auf seine Wiese“, das ist von Vorteil für ihn (/Mühle, /Wasser). Dagegen: fremde Wiesen wässern: unberufen Geschäfte für andere besorgen und davon weder Lohn noch Dank haben. Das ist (mir) eine gemähte Wiese: eine erwünschte Gelegenheit; vor allem im bair. und oesterr. Mda.-Gebiet. Schriftsprachl. griff die Rda. seit dem 16. Jh. über das Bair. hinaus: „Das war nun eine gemähete Wiese vor ihn44 (Grimmelshausen II, 544, Keller). Bei Ignatius Ertl (,Sonn- und Feyer-Tägli- ches4 Tolle Lege, München 31715, S. 224) heißt es auch: „Das wäre dem Weib eine gemachte Wiesen / wer war froeher / als sie?44, als ihr Mann erblindete und sie nun Aussicht hatte, sich mit ihrem Liebhaber unbeobachtet vergnügen zu können. Auf neuer (fremder) Wiese grasen (mähen) sind verhüllende, für das 15. und 16. Jh. bezeugte Rdaa., die sich auf das Sexualleben beziehen. Frau, habt ihr uns verstanden recht, so gebt eur tochter ainn jungen knecht, der wol auf neuer wisen kan meen. (Fastnachtsspiele 2, 749, Lit. Ver.) Seine Wiese pflastern lassen: etw. Unsinniges, Absurdes tun. 1641 Harsdörffer (,Ge- sprächsp.4 3,74): „Desgleichen ist die That oder Rath dessen, der seine Wiesen hat wollen pflastern lassen“. Vgl. engl. ,He paves the meadow4. Wiesel. Wie ein Wiesel sein (arbeiten, laufen): rasch in seinen Bewegungen, überaus flink bei allen Arbeiten und Vorhaben sein, schnell reagieren können. Die Rda. steht als Verkürzung neben dem häufigen Vergleich flink wie ein Wiesel sein. Der Name des Wiesels selbst kann als Sinnbild seiner munteren Beweglichkeit verstanden werden. H. Meier weist darauf hin, daß die verschiedenen Bez. des Wiesels in den rom. Sprachen keine schmeichelhaften Tabunamen sind, wie vielfach angenommen, sondern Merkmalsbez., die das Adj. flink umschreiben und von dem lat. Verb ,pen- dicare4 (= sich schnell hin und her bewegen) abzuleiten sind. Nach Kluge-Götze gehört das hd.,Wiesel4 als Verkleinerungsform zu germ. *,wis(j)o4 = Iltis, das mit spätlat. ,vissio‘ = Gestank urverwandt ist. Demnach bezieht sich die dt. Bez. ebenfalls auf ein wichtiges Merkmal des Tieres, die 1147
Wild Verbreitung eines unangenehmen Geruches, das es wie der größere Iltis besitzt. Seit der Antike bestehen mythische Vorstellungen vom Wiesel, das z. B. als dämon. Wesen Krankheiten bringen und den Menschen seiner Stimme berauben kann. Darauf deutet bereits die altgriech. Rda. ,YaA.f|v xon;e7ie7iG)xei‘ = er hat ein Wiesel verschluckt, d.h. er hat seine Stimme verloren. Vgl. frz.,avoir un chat dans la gorge4 und das dt. ,einen Frosch verschluckt haben4. Die vor allem in Kärnten übliche rdal. Umschreibung ,Sie ist von einem Wiesel gebissen worden4 für eine bestehende Schwangerschaft weist auf die allg. erotische Bdtg., die das Wiesel im Volksglauben besitzt. Diese beruht vor allem auf der antiken Vorstellung, daß das Wiesel durch das Ohr empfange und durch den Mund gebäre, was aber im Physiologus als umgekehrt angegeben wird. Im 16. Jh. wurde deshalb auch der Wieselfuß im Liebeszauber benutzt. Ut.: HdA. IX, Sp. 578 ff., Art. ,Wiesel* von Riegler; Kluge-Götze, S.876; H. Meier: „Flink wie ein Wiesel“. Ein Beitrag zur Entdämonisierung eines onomasiologi- schen Feldes, in: Lebende Antike, Symposion für Rudolf Sühnei, hg. v. H. Meller u. H.-J. Zimmermann (Berlin 1967), S.34-54. wild. Der am Ende des 19. Jh. aufgekommene rdal. Vergleich toben wie die Wilden: ausgelassen sein; auch: heftig schimpfen, ist im 20. Jh. noch grotesk gesteigert worden zu: toben wie zehn nackte Wilde im Schnee. Angeben wie zehn nackte Wilde (Neger): mehr scheinen als sein. Das ist (nur) halb so Wild: es ist nicht so schlimm. Die Wndg. scheint mit einem Male im Volk aufgetaucht zu sein und sich nun immer mehr und mehr einzubürgern. Sie hat indessen nur geschlafen, geboren ist sie schon vor Jhh. Schon Fischart sagt, und zwar bereits genauso bildl. wie wir heute (,Gargantua4 S.459): ,,Aber nicht halb so wild, es mags einer versuchen44 (Sohns, S.694). Wild erscheint häufig in rdal. Vergleichen, z. B. wie wild arbeiten (lachen, schreien, toben, um sich schlagen); sich wie wild gebärden. Die Rda. wild wie ein Holzbock sein, die heute veraltet ist, erscheint bereits im Liederbuch der Hätzlerin: Bis gütig allzeit, schönes pild, vnd tu nit als ain Holtzpock wild. Neuere Wndgn. sind: jem. wild machen: ihn aufregen, in Wut bringen, und wild nach etw. (auf jem.) sein: begierig auf etw. sein, an jem. stark interessiert sein. Wildbret. Ein seltenes (seltsames) Wildbret sein: ein ungewöhnlich feiner, vortrefflicher und hochgeschätzter Mensch sein, aber auch: etw. Ungewöhnliches, das unklar ist und nur schwer bestimmt werden kann. Schon Luther kennt die Rda. in dieser übertr. Bdtg.: ,,Er ist gar ein selten Wildbret, dem die großen Herren viel Gutes tun“ (Dt. Wb. XIV, 52L). Vgl. lat. ,lac gallinaceum4 (Plinius) und ,Phoenice rarior4 und ndl. ,Het is een zeldzaam wild- brood4. Das ist kein Wildbret für ihn: das ist nichts für ihn ; das ist ihm zu hoch ; dazu hat er kein Geschick; es gehört nicht in sein Fach. Die Wndg. bezieht sich auf den Grundsatz, daß das Wildbret nur vornehmen Herren als Speise Vorbehalten bleibt; vgl. den ober- bair. Spruch: Wildpret und Fisch Gehören auf der Herren Tisch. Wildfang. Ein Wildfang sein: ein ungebärdiges Kind, ein ausgelassener junger Mensch sein, der seine Freiheit liebt und sich nur schwer den Regeln fügt. Vgl. ndl. ,Het is een wildvang\ In dem seit spätmhd. Zeit bezeugten Ausdr. ,wiltvanc‘ mischen sich zwei Bdtgn.: das Jagdrecht, der Wildbann und die Sachbez. für lebendig gefangene Tiere. Seit der Steinzeit ist der Wildfang die nachweisbare Jagdmethode, Großwild in Gruben zu fangen oder an Steilhängen zum Absturz zu zwingen. Der Wildfang, der in der Rda. übertr. Bdtg. erhielt, war urspr. der im ausgewachsenen Zustand gefangene Falke, der sein Element, die Luft, bereits kennengelernt hatte. Er wurde zwar gezähmt, doch erhielt er für kurze Zeit die Freiheit wieder, wenn er zum Jagen benutzt wurde. In mhd. Zeit gewann das Bild des Falken symbolische Bdtg. und diente in der Lit. und im Volkslied zur Umschreibung des in die Feme strebenden Mannes, der sich nicht halten ließ. Vermutlich sind hier die Wurzeln für die Übertr. 1148
Wind des Wortes Wildfang in den menschlichen Bereich zu suchen. Lit.: H. Schulz in: Zs. f. dt. Wortf. Nr. 11 (1909), S.241 ff.; Kluge-Götze, S.876; W.Lehnemann: Standessprache und Gemeinschaftssprache, in: Deutschunterricht 15 (Febr. 1963)H. 1,S. 51 ft.; L. Röhrichu. G. Meinet: Rdaa. aus dem Bereich der Jagd u. der Vogelstellerei, S.322f. Wilhelm. Den feinen Wilhelm markieren: vornehm tun; ähnl.: den dicken Wilhelm machen (oder markieren, spielen): prahlen, großsprecherisch auftreten. Bezieht sich entweder auf Kaiser Wilhelm II. wegen seiner Vorliebe für Prunk und prunkvolle Reden oder auch auf Willem, die Verkörperung des Holländertums; in volkstümlicher Vorstellung ist der Holländer wohlgenährt; sold, seit dem 1. Weltkrieg (Küpper I, S. 348). Einen falschen Wilhelm tragen: einen falschen Zopf tragen. Die vor 1900 entstandene Rda. enthält entweder eine Erinnerung an das verhaßte ,Zopfregiment4 des Kurfürsten Wilhelm von Hessen oder eine Anspielung auf Kaiser Wilhelms II. Vorliebe für unechten Prunk (Küpper II, S.313). Seinen Friedrich Wilhelm druntersetzen: etw. unterschreiben. Wimper. Mir kann keiner an den Wimpern klimpern: mich kann niemand übervorteilen, täuschen; mir kann keiner etw. anha- ben, etw. vorwerfen; wahrscheinl. berl. Herkunft. Auszugehen ist wohl von klimpern4, insbes. vom Klimpern mit Geld, etwa in dem Sinne: mich kann keiner mit Geld verlocken. Zu ,klimpern4 stellt sich aus Reimlust auch ,Wimpern4 ein, im wesentlichen also eine entstellende Verschnörke- lung; seit dem 19. Jh. bekannt (Küpper I, S.348). Auf einem Neu-Ruppiner Bilderbogen (Nr. 8329) steht unter der Darstellung von ,Vier gleichen Seelen4 folgendes Couplet: Vier gleiche Seelen zogen aus, Drei Männer und ein Weib, Sie thäten lustig singen Zum Zeitvertreib: „Uns kann keiner, keiner, keiner An die Wimpern klimpern, klimpern!“ Da kam ein Polizeier Und sagte: „Still!“ Pier aleicbe Seelen. wUupfcl. ,An den Wimpern klimpern1 Sie trabten lustig weiter nun Und setzten sich zum Bier, Sie sangen immer heitrer Jetzt alle vier: „Uns kann keiner, keiner, keiner An die Wimpern klimpern, klimpern!“ Da kam ein Polizeier Und sagte: „Still!“ Und als es nun sehr späte war, Da taumelten sie sehr, Doch grölten sie beim Heimgang Das Lied noch mehr: „Uns kann keiner, keiner, keiner An die Wimpern klimpern, klimpern!“ Da sprach ein Polizeier: „Nun kommt ’mal rin!44 Wahrscheinl. ist der Refrain des nach der Melodie ,Drei Lilien, drei Lilien4 gesungenen Liedes sprw. geworden. Ohne mit der Wimper zu zucken und mit keiner Wimper zucken: sich seine Gefühle nicht anmerken lassen, Schmerzen standhaft ertragen; kein Zeichen von Angst, Erregung, Anteilnahme geben. Die scherzhafte Drohrede Ich reißemireine Wimper aus und steche dich damit tot! beruht auf einem Schlagertext aus der Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jh. und wurde über die Studenten- und Schülersprache volkstümlich (Küpper II, S.313). Wind. Wind von etw. bekommen (kriegen): heimlich davon erfahren, eine Ahnung von 1149
Wind etw. haben. Die Rda. stammt aus der Jägersprache. Das Wild bekommt vom Jäger Wind, d.h. ,Witterung4; der Wind bringt seiner feinen Nase den Geruch des Jägers zu, und so wird es gewarnt, ln Hakes ,Bergchronik4 (1583) heißt es: ,,Aber sie hatten den nasenwind davon bekommen und gerochen, kamen nicht zu ihnen, sondern haben sich stracks nach ihrer gewahrsam gemacht“. Die Rda. ,Wind bekommen4 ist seit dem 17. Jh. häufig belegt. Lessing schreibt in ,Emilia Galotti4 (III,2): „Aber er muß Wind gehabt haben. Denn er war nicht so ganzunbereitet“. Bekannt ist die Stelle aus dem Anfang von Schillers ,Kabale und übertreibend: ,etw. riecht zehn Meter gegen den Wind4, stinkt sehr stark; die Wndg. ist erst im 20. Jh. aufgekommen. Etw. in den Wind schlagen: es unbeachtet lassen, sich nichts daraus machen, geringschätzig von sich weisen; z.B. Bedenken, Warnungen, einen guten Rat. Die Rda. gibt in Worten die bekannte abweisende Handgebärde wieder; sie kann aber auch auf eine ältere Rechtsgebärde zurückgehen: Das Sachsenspiegelrecht sagt uns, daß sie beim gerichtlichen Zweikampf tatsächlich ge- bräuchl. war, wenn der Beklagte nicht erschien. Der Kläger sollte dann dreimal in den Wind schlagen und hatte damit formal ,Etwas in den Wind schlagen1 Liebe4 (1,1): „Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind“. „Man kann nicht wissen, wie’s verschwätzt wird, wie er Wind kriegt“ (Goethe, Weimarer Ausg. XI, 107). Früher hieß es auch ,Wind vernehmen4: „Da sie nu vernahmen den Wind von des Tilly Crabaten“ (Opel- Cohn, 30jähriger Krieg 248,8). Veraltet ist die Wndg. ,Wind geben4, geheime Nachricht geben; so z.B. bei Lohenstein (,Arminius4): „Diesem nach bestellte sie den Lepidus... in den Servilschen Garten; gab dem Antonius aber Wind und Schlüssel44. Die pfälz. Rda. ,Ich bin hinner Wind', außer Gefahr, ist iibertr. vom Tier, das hinter dem Wind steht und dessen Geruch die Spürhunde nicht wahrnehmen können. Dagegen iron. den Zweikampf gewonnen. Im Sachsenspiegel heißt es dazu: „unde slâ tzwêne siege unde eynen stek weder den Wind44. Der Stabreim weist auf das hohe Alter dieser symbolischen Handlung hin. Wind kommt in vielen älteren Wndgn. für ,nichts4 vor (/Bohne), z.B. mhd. ,niht ein wint4, gar nichts. Die Verwendung solcher Ausdrücke bei den einzelnen Dichtern ist ganz verschieden häufig. Das Nibelungenlied kennt z.B. keine solche volkstümliche Verneinung und braucht als Bez. des Unbedeutenden und Nichtigen nur das übliche ,wind4: das ist gar ein wint das was wider in ein wint. So sagt noch Hiob (7,7) in Luthers Übers.: „Gedenke, daß mein Leben ein Wind ist44. 1150
Wind ,In den Wind blasen4 Das Lat. kennt die ahnl. Wndg. ,ventis tradere' (= ,den Winden übergeben1), die sich bei Horaz und ebenso bei dem Humanisten Erasmus von Rotterdam in den ,Adagia4 (III,4) findet. Mnd. findet sich die Rda. im Bremer Gebetbuch vom Ende des 16. Jh.: „Lat my dyt exempel nicht vorge- ten unde in den wind slän“. In der ^imme- rischen Chronik4 (Bd. II, S.435 heißt es): „Solchs gab grad Wilhelmen wenig zu schaffen, nams uf die leicht achsel und schluegs in wind44. Die plötzliche Häufigkeit der Rda. im 16. Jh. hat zur Annahme geführt, Martin Luther habe sie durch seine Übers, des ,exsufflare4 des Vulgata-Textes erst geschaffen (Mal. 1,13: „Und ihr sprecht: Siehe, es ist nur Mühe! und schla- get’s in den Wind“), doch ist die Rda. sicher schon vorher mdl. gebräuchl. gewesen. Im Sinne von ,preisgeben4, ,drangeben4 erscheint sie bei Grimmelshausen ^Simplicissimus4 37 Ndr.): „Die ... Reuter warfen ... Sach und Pack von sich, schlugen also ihre ganze Beute in den Wind44; bei Opitz (,Poem.4 25 Ndr.) für ,geringachten4: „Die (teutsche) Sprache, für der vor viel Feind erschrocken sind, vergaßen wir mit Fleiß und schlugen sie in Wind44. Die Rda. ist auch in den Mdaa. reich belegt und hat bis heute ihren Sinn nicht geändert. Vgl. engl.,to throw something to the winds4; ndl. ,iets in de wind slaan4. In den Wind (oder die Luft) reden (sprechen): vergeblich reden. Der Wind trägt die Worte dahin, ohne daß sie fruchtbar werden. Luther hat die Rda. in seiner Bibel- übers. benutzt (1. Kor. 14,9): „So ihr nicht eine deutliche Rede gebet, wie kann man wissen, was geredet ist? Denn ihr werdet in den Wind reden“. Die lat. Entsprechungen sind: ,ventis loqui4 (Ammian), ,dare verba in ventos4 (Ovid),,profundere verba ventis4 (Lukrez). Von der Flüchtigkeit und Ungebundenheit des Windes abgeleitet sind auch andere Bilder für vergebliches Tun: in den Wind blasen (hauchen, streuen, schießen). Schiller (,Räuber4 11,3): „Der Graf schoß aus dem Wagen in den Wind“. Wind macheti (einem Wind vormachen): prahlen, sich brüsten, leere Worte schwatzen, Unwahrheiten erzählen. Schon im Mhd. bedeutet Wind leeres Gerede, wobei wohl die Flüchtigkeit der Luftbewegung den Anlaß zum Vergleich gegeben hat. So findet sich in Mones ,Schauspielen des MA.4 (II, S.336) die Wndg.: „Dine wort sind luft und wind“. So ist die Rda. noch in der Neuzeit bezeugt. Schiller an Goethe: „Krüger, der ehemals in Weimar (als Schauspieler) engagiert war, ist mit ihm assortiert; sie machen erschrecklichen Wind, scheinen aber doch viel Geld einzunehmen44. Bismarck (,Briefe an seine Braut4 Nr.492): „Wie wird es denn mit dem Enkel? War es Wind?“ Bismarck gegen Virchow: „Die Kritik des Herrn Vorredners über den Wechsel unseres Verfahrens kritisiere ich lediglich mit einer einzigen Phrase, die er selbst gebraucht hat. Er hat uns vorgeworfen, wir hätten, je nachdem der Wind gewechselt hätte, auch das Steuerruder gedreht. Nun frage ich, was soll man denn, wenn man zu Schiffe fährt, anderes tun, als das Ruder nach dem Winde drehn, wenn man nicht etwa selbst Wind machen will? Das überlassen wir andern“ (,Reden4 II, 373). Mit Wind in der Bdtg. ,leeres Gerede4, ,Lüge‘ hängen auch Bez. zusammen wie ,Windbeutel4 und Windmacher4, ,windiger Patron4 für einen Schwätzer, Flunkerer, auch,Windhund4 für einen leichtsinnigen Menschen dürfte dadurch beeinflußt sein. Die Rda. nicht vom Wind leben findet sich schon in Wernher des Gartenaeres ,Meier Helmbrecht4 aus der 2. H. des 13. Jh.: „Si lebten niht des windes“ (V. 1482). Der Wind wird hier anschaulich festen Speisen entgegengesetzt. „Jetzt aber brauch’ ich Geld, denn niemand lebt vom Winde“ (Goethe, Weimarer Ausg. IV, 314). Hess. ,Dä läbt ach net vom Wend4, er ist ein starker Esser und daher wohlgenährt. 1151
Wind Wie der Wind: schnell und unvermutet. „Er ritt wie der Wind das Treppengeländer hinab“ (Storm, Werke III, 14). Einem den Wind ab gewinnen: ihm zuvorkommen. Jem. den (allen) Wind aus den Segeln nehmen: seine Bestrebungen lahmlegen. Dagegen: Das ist Wind auf jem. Segel: das gereicht ihm zum Vorteil, das unterstützt sein Vorhaben. Vgl. ,Das ist Wasser auf seine Mühle1, /Wasser. Vor dem Winde segeln (fahren) erscheint im übertr. Sinn schon um 1500 in Thomas Murners ,Schelmenzunft4 (53,8): wer eins hie lügt, das ander dort der selb mit allen winden fort. Im Ndd. sagt man auch zur Beruhigung und zum Trost bei Widerwärtigkeiten: ,’t geit neet altied vöör de Wind4, es geht nicht immer nach Wunsch. Wind in den Segeln haben: mit gutem Erfolg rasch vorankommen. Vgl. ndd. ,Dat geit mit vullem Wind4, das geht flott vonstatten. Wind von vorn bekommen: einen Verweis bekommen; ndd. ,he krigt de Wind von vorn4, ein Hindernis entsteht; den Wind im Gesicht haben und dem Wind ausgesetzt seiti:\iel aushalten müssen; mit Hindernissen und Schwierigkeiten kämpfen müssen. Vgl. lat. ,ventum a facie habere4. Beliebte und verbreitete stabreimende Zwillingsformeln sind: Wind und Wasser, Wind und Wellen, Wind und Wetter, Wind und Wogen. Ndd. ,De stan sik as Wind und Sandberg4, sie sind Feinde. Wissen, woher der Wind weht: sich auskennen; aha, daher weht der Wind: das ist gemeint, das liegt zugrunde. Wo hat dich der Wind hergewellt? fragt man, wenn man durch das unverhoffte Erscheinen eines anderen freudig (oder auch unangenehm) überrascht wird. Ähnl. in A. W. Schlegels Shakespeare-Übers. (,Heinrich IV.4): „Welch ein Wind hat dich hergeblasen, Pistol?44 (II, 5, 3). Die Wndg. in alle Winde zerstreut werden ist eine bibl. Rda.nach Hes. 17,21, ebenso: in alle vier Winde zerstreut werden, die auf Sacharja 2,10 beruht. Wie vom Winde verweht sein: zerstreut, verschwunden, plötzlich nicht mehr vorhanden sein. Die Rda. beruht auf dem Romantitel ,Vom Winde verweht4 (Gone with the wind) der Amerikanerin Margaret Mitchell. Wie der Wind in der Laterne sagt man von einem aufgeregten, bald da, bald dort auftauchenden Menschen. Sich (noch viel) den Wind um die Nase (um die Ohren) wehen (gehen) lassen (müssen): in der Fremde Erfahrungen sammeln, weit reisen. Wind steht hier für die verschiedensten Einflüsse und Widerwärtigkeiten, denen der Weltreisende ausgesetzt ist; seit dem frühen 19. Jh. belegt. In der ,Ehrlichen Frau Schlampampe4 (34) heißt es ähnl.: „sich den rauhen Wind unter die Nase gehen lassen44. Eine ältere Rda. ist: viel Wind in der Nasen haben: herrisch, übermütig auftreten: Du bist ein Fremdling und Auslender Herkommen auch in unser Stat, Der vil Winds in der Nasen hat, Und woltst uns gern all regiern. (Hans Sachs, 10, 30, 8 Keller). Der Wind hat sich gedreht: die Stimmung ist umgeschlagen. Es weht kein guter Wind: es herrscht schlechte Stimmung vor. Der Wind pfeift aus einem anderen Loch (Ton) und Hier weht ein anderer (scharfer, frischer) Wind: es herrscht mehr Ordnung, ein anderer, strengerer Ton. Auf günstigen Wind warten: abwarten, bis sich die Lage verbessert. Mit dem Wind segeln: die günstige Gelegenheit nutzen; sich anpassen, vgl. ,mit dem Strom schwimmen*. Mit allen Winden segeln: wetterwendisch sein; vgl. engl. ,to turn with every wind*; ndl. ,met alle winden waaien4. Sich nach dem (jedem) Wind drehen (wie eine Kirchturmfahne): seine Gesinnung be¬ zieh nach jedem Wind drehen* 1152
Winkelzug, Winkelholz denkenlos verändern, wenn es Vorteile verspricht. Ähnl. Bdtg. hat die aus einem anderen Bereich stammende Rda. durch den Wind gehen: von seinem anfänglichen Standpunkt abweichen, zur anderen Partei übergehen. Die Rda., zu der keine alten Belegstellen bekannt sind, kommt aus der Seemannssprache und meint urspr.: sein Segelschiff so drehen, daß man den Wind, der anfänglich von einer Seite einfiel, zuerst von vorn und dann von der anderen Seite in die Segel bekommt. Die Fahne (den Mantel) nach dem Winde (hängen) kehren /Fahne, /Mantel. Lit.: Liipkes, S. 23 f. ; Kiipper\,S. 348; L. Berthold: Ma. Sprww.. S.66; L.Röhrich: Sprw. Rdaa. in bildl. Zeugnissen, S.76; /?. Wildhaber: Volkstümliche Auffassungen über den Wirbelwind in Europa, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, C. (1970), S. 397-415; M. Zender / Windsbraut. Windei. Windeier legen (ausbrüten): nutzlose Arbeit verrichten. Die Rda. beruht auf der Übertr. des Windeis in der seit dem 16. Jh. belegten Bdtg. als unbefruchtetes, zum Brüten untaugliches Ei‘ auf eine auf Täuschung durch den Schein berechnete wertlose Sache. Das Wort Windei ist eine Lehn- übers. von lat. ,ova zephiria‘. Es heißt nach Varro so, weil es vom Wind empfangen sein soll. Die Wndg. wird namentlich bei hohlen Geisteserzeugnissen, aussichtslosen Plänen und lügnerischen Behauptungen angewandt. ,,Das deutsche Publikum, ein ägyptischer Brutofen, (brütet) über solchen Windeiern am liebsten“ (Goethe, Weimarer Ausg. IV, 23,153). Dagegen meint die Wndg. Das wird (soll) ihm keine Windeier legen: es wird ihm keinen unbedeutenden Vorteil bringen. Windmühle. Gegen (mit) Windmühlen kämpfen: gegen bloß eingebildete Gegner kämpfen, einen sinnlosen, von vornherein aussichtslosen Kampf führen. Die Rda. ist seit Lessing belegt und geht auf Don Quijotes Kampf mit den Windmühlen zurück, die er für Riesen hält (Cervantes, Don Quijote 1,8: „acometer molinos de viento“). Vgl. ndl. ,Hij vecht tegen de windmolen1; ndd. ,Dei mott en scharp Mess (Messer) hewwen, wei (wer) Wind snien will*. Windsbraut. Wie eine Windsbraut durchs Land fahren: schnell und mit ungestümer Kraft, wie ein Wirbelwind alles mitreißend. Dieser spracht. Vergleich gehört zu den Rdaa. mit beweglichem Hintergrund. Das Wort ist bereits im 8. Jh. als ,whites pruP und im Mhd. als ,windes bruP bezeugt. Der Wirbelwind wird ohne bisher nachweisbare mythologische Grundlage als weibl. Wesen gefaßt, das vom männl. verkörperten Wind gejagt wird. Vgl. die gleichbedeutenden Ausdrücke im Ndl. ,vaerende wijf (moeder, vrouwe)' und im Pfälz. ,Windhexe'. Lit. Belege für die Rda. finden sich z.B. bei Grimmelshausen: „ich fuhr herum wie eine Windsbraut“ (,Simplicissimus‘ 206, Kögel), und bei Schiller: „Das riß uns wie die Windsbraut fort“ (Werke 1, S.346). Sagen von der Windsbraut sind erst sekundär entstanden. Meist jagt sie mit dem ,Wilden Heer‘ vereint durch die Lüfte und wird mit Frau Holle gleichgesetzt, oder sie erscheint als Arme Seele, die gejagt wird und so ihr Vergehen büßen muß. Häufiger wird sie jedoch als Wetterhexe gedacht, die das Unwetter als Schadenzauber erzeugt und selbst im Wirbelwind als nacktes Weib durch die Sturmwolken fährt. Sie straft den Spötter, indem sie ihn durch die Luft entführt, und kann durch einen Messerwurf abgewehrt und verletzt werden. Thompsons Motif-Index hat für die Wirbelwindhexe die bes. Nummer G 242.2 „Witch flies as whirlwind“. In moderner Deutung ist eine Windsbraut eine Motorradbeifahrerin und seit 1945 eine Flugzeug-Stewardeß. Lit.: HdA. IX, Sp. 636ff., Art. ,Wind‘ von Zimmer- mann; R. Loewein: Idg. Forsch. 47 (1929), S.272; ders. in: Zs. f.d. Ph. 55 (1930), S.84; L. Röhrich: Die Frauenjagd, in: Erzählungen des späten MA., Bd. II (Bern 1967), S.5-52 u.S. 393-407; R. Wildhaber: Volkstümliche Auffassungen über den Wirbelwind in Europa, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, C. (1970), S. 397-415; M. Zender: Meinungen u. Rdaa. zu Sturm und Wirbelwind, in: Festschrift f. R. Wildhaber, hg. v. W. Escher, Th. Gantner u. H. Trümpy (Basel 1973), S. 722-37. Winkelzug, Winkelholz. Winkelzüge nlachen: Ausflüchte suchen, nicht geradeheraus reden, ausweichend antworten, Vorwände machen. Die Rda. tritt lit. seit dem 16. Jh. auf. Burkard Waldis schreibt: mit schel, schief sehen vnd mit mawlen, mit winckelzügen, heymlich schawlen, mit vbelwünschen, schelten, fluchen... (,Streitgedichte gegen Herzog Heinrich 1153
Winken d. J.‘ 37, Ndr.). 1663 findet sich bei Schottel (,Teutsche Hauptsprach1 439): „wenn ihr ... anstatt rechtzusprechen, tausend winkelzüge macht“. Seltener erscheinen die Winkelzüge ohne abschätzigen Beiklang i. S. v. gewitztem, schlauem Vorgehen: „Durch Winkelzüge und Fragen kriegt ichs aus dem Lehrer heraus, daß weiter nichts passiert war“ (Bettina v. Arnim, Die Günderode, 1840, I, 186). Die Rda. ist mdal. bes. im Ndd. beliebt. Anhänger Bismarcks, die,Getreuen von Jever1 in Oldenburg, sandten dem Kanzler jedes Jahr zu seinem Geburtstag am 1. April die von ihm hochgeschätzten Kiebitzeier. Als die Kiebitze eines Jahres erst Mitte April legten, schickten die Getreuen die Eier mit dem plattdeutschen Vers: De Kiewitt lewt de Winkeltög just wie de Diplomaten, Drum hett he uns in diesem Johr allwedder luern laten. Adelung erklärt 1786 in dem ,Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuches4 (Bd. V, Sp.242) Winkelzüge als „Züge, welche im Winkel, d.i. im Verborgenen gemacht werden“. Es ist aber damit die Wegabkürzung gemeint, die man an einem Winkel vornehmen kann, indem man kurz vor dem Scheitel des Winkels auf den andern Schenkel überspringt, also nicht in den eigentl. Winkel vordringt. So heißen auch schräg in einem Winkel stehende Hölzer ,Winkelhölzer4, und daher kommt die ebenfalls seit dem 16. Jh. bezeugte und noch heute mdal. verbreitete Rda. Winkelhölzersuchen (später auch machen): Ausflüchte suchen. Luther sagt in den /Tischreden4: „Der Satan sucht immerdar Winkelhölzer und Beirede wider Gottes Ordnung“. Diese ursprüngl. Vorstellung ist freilich schon früh verkannt worden; in der mndl. ,Hövelschen Chronik4 heißt es z. B. im gleichen Sinne: „De Deutschen hebben deswinkelholtes so vele gehouwen“, wobei der Verfasser ganz offensichtlich an das Schlagen von Holz in einem Waldwinkel gedacht hat. winken /Zaunpfahl. Wippchen. Wippchen machen: Ausflüchte suchen, Flausen machen; jem. Wippchen vormachen: jem. veralbern, jem. etw. vorlügen; mach mir keine Wippchen vor: flunkere nicht, mache keine Ausflüchte. Die Rda. ist bes. in den mdt. und ndd. Mdaa. sehr verbreitet und geht auf ndd. Wippken zurück; Wippchen gehört zu,wippen4 in der Bdtg.,schaukeln4, schnellen4 und meint eigentl. die kleine Schaukel, dann auch kleine akrobatische Kunststücke und Sprünge, schließlich Possen und Lügen (/Kapriolen). Zur weiteren Verbreitung der Rda. hat wohl die von Julius Stettenheim in dem von ihm gegründeten satirischen Witzblatt ,Die Wespen4 (1863 ff.) erfundene Person des flunkernden Kriegsberichterstatters Wippchen beigetragen. Wippe /Kippe. Wirt. Ohne den Wirt rechnen: sich täuschen. Die veraltete Wndg., die schon bei Seb. Franck (II, 139b) als „on den wirt rechnen“ belegt ist, wird heute meist durch die Rda. die Rechnung ohne den Wirt machen ersetzt (/Rechnung). Grimmelshausen gebrauchte im ,Simplicissimus4 (III, Kap. 14, S.259) die ähnl. Wndg.: „Ich machte aber die Zech ohne den wirt41, und ausführlicher an anderer Stelle (Kap. 19, S. 567): „also machte ich die Zech ohne den Wirt, weil ich nicht wußte, was der liebe Gott mit mir zu verschaffen vorhatte11. Er ist in des Wirtes Kreide: er steht in seiner Schuld, /Kreide. Er will seinem Wirt tiichts schenken heißt es scherzhaft, wenn einer tüchtig ißt und trinkt und keine Reste stehenläßt. Vgl. ndl. ,Hij wil zijnen waard niet schenken1. Vgl. auch den Spruch: Lieber den Magen verrenkt. Als dem Wirt was geschenkt. Von einem Wirt, der seinen Gast übervorteilt und prellt, sagt man: Es ist ein Wirt, der den Barbieren ins Handwerk greift, hat er den Wein arg verdünnt, gebraucht man die Wndg. Der Wirt hat den Wein mit zuviel Wasser Hochzeit machen lassen. Er soll den Wirt zu Hause finden: er wird an den Rechten kommen. Die Wndg. dient zur Erklärung, daß man sich nicht fürchte, daß man auf irgendeinen Angriff gefaßt und gerüstet ist. Vgl. lat. ,Cauponi inest mens, ut quidem visum est mihi1 und ndl. ,Kom, waar gij wilt, gij zult er altijd den 1154
Wissen waard t’ huis vinden*. Dagegen meint die Wndg. Der Wirt war nicht zu Hause: er eignet sich dazu nicht, er versteht davon nichts. Vgl. die Rdaa. ,nicht vom Bau sein* und ,in einer Sache nicht zu Hause sein*. Wisch. Unterm Wische kaufen, häufiger: etw. unter dem Wisch tun: etw. rasch und heimlich tun, um nicht bemerkt, ,erwischt* zu werden; betrügerisch handeln. Die Rdaa. bewahren die Erinnerung an den ,Marktwisch*, der aus Stroh bestand. Er wurde früher auf dem Marktplatz zum Zeichen dafür aufgesteckt, daß der Einkauf nur Stadtbewohnern gestattet sei. Fremde und Wiederverkäufer durften nichts einhandeln, solange der Wisch zu sehen war. Wer es trotzdem tun wollte, mußte schnell und heimlich verfahren. Vgl. frz. ,faire quelque chose sous la cape*. Die niederrhein. Wndg. /ne Kölsche Wisch* bez. eine unordentliche Frau, die nur oberflächlich sauber macht. Lit.: R. Schmidt- Wiegand: Der ,Wisch* als Bann- und Verbotszeichen. Hist. Rechtssprachgeographie und volkskundliche Karte, in: Zs. f. Vkde. 64 (1968), S. 203-222. Wischer. Einem einen Wischer geben (jem. eines auswischen): ihm einen Verweis, eine Rüge, einen Tadel erteilen. Die Rda. ist in den Mdaa. überall verbreitet und lit. seit der 2. H. des 17. Jh. belegt. Christian Weise: ,,Wie ofte hab ich ein Wischer kriegt, wenn ich wegen der lieben Obrigkeit was versäumt habe** (Kürschner, Nat. Lit., Bd.39, S.205). Schiller schreibt (,Kabale und Liebe* 1,1): ,,Der junge Baron bringt’s mit einem Wischer hinaus“. Wischer bedeutet ursprüngl. einen Schlag über etw. hin; doch könnte auch an eine säubernde Bewegung über einen Gegenstand hin gedacht werden (vgl.,einen herunterputzen*). wissen. Das wissen die Götter!: das ist völlig ungewiß, das liegt noch im Dunkel der Zukunft, das kann niemand Voraussagen. Der gebräuchl. Ausruf geht auf Homers ,Ilias* (XVII, 514) zurück: „öecöv ev yoüvaoi xeiTai“ (= Das liegt [ruht] im Schoße der Götter). Heinrich v. Kleist hat den Ausdr. ähnl. im ,Prinz Friedrich von Homburg* (1,1) wiederverwendet: „Das mögen die gerechten Götter wissen** (Büchmann, S.547). Umg. hört man häufig dafür auch: Weiß Gott! Weiß der Himmel/, aber auch: Weiß der Teufel (Kuckuck, Henker)! Das weiß doch alle Welt!: das ist kein Geheimnis, das ist allg. bekannt. Derjenige, dem eine altbekannte Tatsache mitgeteilt wird, der von einem Jüngeren belehrt werden soll, sagt scherzhaft oder abweisend: Das habe ich gewußt, ehe an dich gedacht worden ist oder Das habe ich seit Menschengedenken gewußt; das habe ich schon gewußt, als du noch die ersten Hosen trugst. Vgl. lat. ,Hoc noveram, priusquam Theognis natus est*. Luther gebraucht die Wndg. in seinen ,Tischreden* (302b): „Das wusste er schon, eh’ er auf den Strohwisch gethan hat**. Mdal. heißt es in Hamburg: ,Dat heff ik all wêten, as min Scho nog drê Sösling kosten*, das wußte ich schon als kleines Kind, als ich noch billige Schuhe tragen konnte. Selbst am besten wissen, wo einen der Schuh drückt: seine eigenen Probleme am besten beurteilen können. Die Rda. erscheint auch in negativer Form als: nicht wissen können, wo einen anderen der Schuh drückt. Sie beruht auf einer Erzählung Plutarchs; /Schuh. Wer sich nicht von seiner vorgefaßten Meinung abbringen lassen möchte, sagt: Ich weiß, was ich weiß! In Norddtl. hört man dazu noch den scherzhaften Zusatz: ,kalte Erbsen sind nicht heiß*. Wissen wollen, was die Semmeln kosten: erfahren wollen, wie die Sachen wirklich stehen, sich genau informieren. Von einem Lebenstüchtigen, von einem, der Bescheid weiß, sagt man: Er weiß, was die Elle kostet: er ist durch Schaden klug geworden, er weiß, was dabei herauskommt; er weiß die Seide zu spinnen; er weiß die Feder nach der Schrift zu schneiden: er findet geeignete Mittel und Werkzeuge; er weiß, woher der Wind weht (kommt), vgl. ndl. ,Hij weet wol, van welchen kant de wind waait*; er weiß, wie der Hase läuft, wo der Hund begraben liegt, was die Uhr geschlagen hat. Viele mdal. Wndgn. umschreiben den gleichen Sachverhalt, z. B. heißt es in Bedburg: ,Dä wêss, wo Has höpp*, und im Siebenb.-Sächs.: ,Er wasst, äm wevel et wör*. Der Überkluge dagegen weiß sogar, wieviel Sprossen Jakobs Himmelsleiter hatte, wo 1155
Wissen das Gold im Rhein liegt, oder es heißt von ihm: Er weiß alles, er hört's Gras wachsen und die Flöhe husten. Die Wndg. Er weiß wohl, was er für Fleisch in der Tonne hat, die sich auf das Pökelfleisch bezieht, wird meist von Älteren in bezug auf die Kinder gebraucht, deren Charakter und Temperament ihren Eltern nur allzu gut bekannt sind. Wissen, was man will: seine Ziele genau kennen und konsequent verfolgen. Jetn. etw. wissen lassen: ihm etw. mitteilen. Oft heißt es auch im nachgeahmten Kanzleideutsch: jem. etw. kund und zu wissen tun. Weder aus noch ein wissen: in einer verzweifelten Lage sein, sich selbst nicht mehr helfen können. Diese Wndg. ist bibl. Herkunft und beruht auf einem Ausspruch Salomos (1. Kön. 3,7): „So bin ich ein junger Knabe, weiß nicht weder meinen Ausgang noch Eingang“. Auch im Liederbuch der Clara Hätzlerin (I, 112, 10) ist diese sprw. gewordene Wndg. bezeugt: „Ich waiss weder ein noch ûss“. Nicht mehr wissen, wo man her ist: vornehm tun, seine frühere Armut und niedere Abstammung vergessen haben und nichts mehr mit den ehemaligen Freunden zu tun haben wollen. Die Wndg. gilt als Tadel für die Neureichen. Nichts mehr von jem. (etw.) wissen wollen: jem. ablehnen, seinen Umgang meiden, von einer Sache nichts mehr hören wollen. Von einem, den man noch für sehr unerfahren, unschuldig oder einfältig hält, heißt es: Er weiß noch nicht, daß es zweierlei Menschen gibt, und von einem, der keine Ahnung von der aufgewendeten Mühe hat: Er weiß nicht, was der Elefant gefressen hat, bis er so groß geworden ist. Er soll nicht wissen, ob er ein Bub oder ein Mädel ist: gilt als Drohung vor einer beabsichtigten derben Züchtigung. Bereits Joh. Fischart kennt diese Wndg. und schreibt in der ,Geschichtklitterung‘: „Der Mönch versatzt jhm mit dem Creutzstock ein, dass er nichts vmb sich selbst wüst, ob er ein Knäblein oder ein Meydlin wer“. Von Betrunkenen und Menschen mit verworrenen Ansichten sagt man ähnl. in Oberoesterr.: ,A weiss nöt, ob er en Mandl oder en Weibel ist*. Einer, der nicht recht weiß, was er will, der unentschlossen ist, weiß nicht, ob ers will gebraten oder gesotten haben, ob's gehauen oder gestochen ist. Im Siebenb.-Sächs. sagt der Unschlüssige von sich selbst: ,Ch wiss net, bän ich gekocht äwer gebroden4 oder ,äs et der Péter âwer der Pâl\ Ist jem. über die Mittel in Verlegenheit, umschreibt man dies mit folgenden Wndgn.: Er weiß nicht, wie er der Hacke einen Stil, der Flasche einen Zapfen, dem Hafen einen Deckel finde?i soll. Nicht wissen, wo einem der Kopf steht: mit Arbeit überlastet, mit Geschäften überhäuft sein. Mitleidig oder iron, heißt es von einem sehr dummen Menschen: Er weiß weder G ix noch Gax, ndl. ,Hij weet van Feeuwes noch Meeuwes4, oder: Er weiß soviel davon wie der Blinde von der Farbe, wie die Kuh von der Muskatnuß, wie eine Katze vom Siebengestirn, vgl. ndl. ,Hij weet er zooveel van als het kalf van de hoogmis4, und scherzhaft: Er weiß auch flicht, warum die Frösche keine Schwänze haben; vgl. Schweiz. ,Er weiss au nid, worum d' Chrotte keini Schwänz händ\ Man weiß nicht, wer seine Enten und Gänse sind: er ist von unbekannter Herkunft. Bereits Seb. Franck verzeichnet diese Wndg. in seiner Sprichwörtersammlung (II, 90a): ,Es weyss niemand, wer sein gens sein4. 1156
Wolf Sehr häufig zu hören ist die sprw. Wndg. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Seb. Franck (I,67b) verzeichnet einen ähnl. Wortlaut: ,Was einer nit weyss, das thut jm nit wee‘. Vgl. lat.,Dimissum quod nescitur, non amittitur1 und frz. ,Ce qu’on ignore ne fait pas de mal1. Auch in Grimmelshausens ,Simplicissimus1 (VI, 531) findet sich ein lit. Beleg: „Wer ein Ding nicht weiss, dem macht’s auch nicht heiss“. Witwe. Grüß mir meine Witwe! sagt man scherzhaft vor einem gefährlichen Unternehmen. Die Rda. entstammt offensichtlich der Soldatensprache. In Berlin gebraucht man als Drohrede: .Sonst hinterläßt du eine Witwe!1 Eine politische Witwe sein: die Frau eines überbeanspruchten Politikers sein, der fast nie zu Hause ist und für die Familie keine Zeit hat (Küpper II, S.315). Eine grüne Witwe sein: außerhalb der Stadt wohnen, zwar in sehr schöner und gesunder Umgebung leben, aber viel allein sein. Die Wndg. ist erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden. wohl. Wohl oder übel /nolens. Wolf. Sich bessern wie ein junger Wolf: iron, für immer schlimmer werden. 1514 heißt es bei Tunnicius (Nr. 585): ,He sal sik beteren als ein junk wulf\ Schon 1646 wird die Rda. bei Corvinus (,Fons lat/ 578) als deutungsbedürftig empfunden: „alle tag ärger werden“. Auch eine ndd. Rda. der Ggwt. besitzt einen erklärenden Zusatz: ,Hei betert sek as en jung wulf, dei werd alle däge rîtender (reißender)4. Dem Wolf die Schafe (an)befehlen; den Wolf zum Hirten (Gänsehirten) machen: ,den Bock zum Gärtner machen4. Beide Rdaa. verbindet Aug. Herrn. Francke 1746 in seinen ,Sonn-, Fest- und Aposteltagspredigten4 (1,614): „was kan man... hoffen, wenn ... der Bock ... zum Gärtner und der Wolf zum Hirten... bestellet wird?“ Die Rda. wird heute z.B. von einem schlechten Vormund gesagt, dem unschuldige Kinder anvertraut werden. Das Gleichnis vom Wolf als Hirten ist alt. Schon um 1230 wird in Freidanks Lehrgedicht .Bescheidenheit4 (137, 11 ff.) gesagt: Swä der wolf ze hirte wirt, da mite sint diu schäf verirt (d.h. in die Irre geführt), swer den wolf nimt ze rätgeben, daz gäl den schäfen an daz leben. Von Herger, einem fahrenden Spruchdichter des ausgehenden 12. Jh„ stammt die Fabel (,Minnesangs Frühling4 27,27 ff.): Ein wolf sine sünde flöch, in ein klöster er sich zöch, er wolde geistlichen leben, do hiez man in der schäfe pflegen: sît wart er unstæte. dô beiz er schäf unde swin: er jach daz ez des pfaffen rüde tæte. Ulrich Boner hat den Spruch variiert: „Diu schäf verirt sint, wenn der wolf ze hirte wirt44. Walther von der Vogelweide hatte ihn auf den Papst angewendet: „Sin hirte ist zeinem wolve im worden under sinen schäfen“ (33,30). Auch Luther ist die Rda. geläufig: „Es were eben als so man den wolfen ein herde schaff bevelhen wölt“ (Briefe, Weimarer Ausg., Bd. 9, S. 29). Der Gedanke ist bereits in der Antike sprw. geformt: „O praeclarum custodem ovium, ut aiunt, lupum!44 (Cicero, Philippica 111, 11,27); „Mavelis lupos apud oves linquere, quam hos domi, custodes“ (Plautus, Pseudolus 140). Ebenso findet er sich im MA. in verschiedenen Sprachen: „Foulz est qui fait de leu bergier“ (altfrz. Lied); „Einsi a fet des lo pastor“ (Chrétien de Troyes, Philomena 704); „Io temo ehe forse alcuno di costoro ehe voglionoesser nominati guardiani delle inferme pecorelle non siano rapaci lupi“ (Petrarca, Vita solitaria I, 68, Cap. 21). In Schwaben sagt man dafür auch: ,Die Katzen nach dem Schmehr schicken4 oder ,einen Wolf zu einem Ganshirten machen4, 1157
Wolf einem anderen seine Geliebte, sein Weib anvertrauen. Ein Wolf in Schafskleidern (im Schafspelz) wird nach Matth. 7,15 ein Scheinheiliger genannt:,,Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe“. Das Bild ist schon früh in Dtl. bekanntgeworden. Um 830 heißt die Übers, der lat. Fassung einer ,Evangelienharmonie* des Syrers Tatian (41,1): „uuartet iu fon lugen uuizagon, sie quement zi iu in giuuatin scafo, inuuertes sind sie raze- uuolua“. Um 817 schreibt Otfrid von Weißenburg: „sie sint iu inanaratin,inscafinen giwatin, thar buent inne in wäre wolva filu suare“ (II, 23,10). Den lehrhaften Dichtem der mhd. Zeit ist das Bild ganz geläufig; so findet es sich z. B. in Hugo von Trim- bergs Lehrgedicht ,Renner* (V. 385 ff.): Der ist gar ein lemblîn ûzen, doch mac ein wôlflîn dâ wol lûzen (verborgen liegen). Im 16. Jh. reimt Burkard Waldis im Verlorenen Sohn* (V. 1993f.): Wan der wulf wil roven gan, So tuet he schapes kleder an. Noch anders gereimt bei Wegeier (,Philosophia Patrum* Nr. 2115): Oft aus Lammeshaut Wolfes Tücke schaut. Bei Lessing (,Nathan* 4, 4, 402) heißt es: „Ich werde hinter diesen jüdschen Wolf im philosophschen Schafpelz Hunde schon zu bringen wissen, die ihn zausen“. Der Volksmund kennt das Sprw.: ,Der Wolf ändert das Haar, sonst bleibt er als er war*. Ebenso sagt der Lateiner von Wolf und Fuchs: „Lupus (vulpes) pilum mutat, non mores“ (Sueton). Dem bibl. Hintergrund der Rda. entspr. findet sie sich auch in anderen Sprachen, z. B. engl. ,a wolf in sheeps clothing*; ndl. ,een wolf in schaapskleren* (oder: ,in een schapevacht*). Den Wolf bei den Ohren halten sagt man von einem mißlichen Unternehmen, das man weder abbrechen noch zu Ende führen kann. Wer den Wolf einmal bei den Ohren hält, kann ihn nicht wieder loslassen, ohne sich selbst zu gefährden, er ist also in Verlegenheit, weiß sich keinen Rat. 1592 heißt es bei Nigrinus: „Wann sichs begibt, dasz eines... edelmanns weib schlechter dinge beschreyet wird ... und (es) sind nicht genügsame beweissthumb fürhanden ..., warlich da hat der richter den wolff bey den ohren und weisz nicht was er thun soll“ (Grimm, Dt. Wb. 14,2). Schon dem lat. Sprw. war dieser Gedanke geläufig: Auriculis tenuisse lupum nimis horrida res est* (Tunnicius 273), und über Tiberius sagte man: ,Ut saepe auribus se lupum tenere diceret* (Suet., Tib. 25). Den Wolfsehen; vom Wolf angesehen werden: sehr erschrecken. Diese beiden Rdaa. zeigen noch den sprachlosen Schrecken und das Verstummen des Menschen früherer Zeiten vor einem Wolfsblick. 1531 heißt es in Seb. Francks,Chronica* (104a): „Socrates hat mit jedermans gespöt wider heim müssen ziehen und erstumpt gleich als hab ihn ein wolf gesehen“. Die Rda. findet sich heute nur noch in der Seemannssprache: ,He het de wulf (die stürmische See) seen, do is he al bang worden*. ,Wer vom Wolf spricht, findet ihn an seiner Tür*, wer das Übel nennt, wird von ihm ereilt, /Teufel. Man muß mit den Wölfen heulen ist ein schon seit spätmhd. Zeit bezeugtes Sprw., mit dem man sich entschuldigt, wenn man sich in seinen Äußerungen und Handlungen nach einer schlechten Gesellschaft richtet. Das Sprw. hat sich aber auch als Rda. verselbständigt: mit den Wölfen heulen: sich jeder Umgebung anpassen; auch lit. häufig belegt. Bei Agricola steht: „Wer unter Wölfen ist, muß mitheulen“; Geiler von Kaisersberg sagt: „Mit den Wölfen muoß man hülen“. In Lohensteins Arminius* ( 1,451a) heißt es 1689: „Wenn man mit den Wölffen heulet..., wird man allenthalben beliebt“. Wilh. Raabe schreibt im ,Hungerpastor* von 1864 (Bd.I, S.63): „Hans Unwirsch hatte... mit den Wölfen geheult und was die andern taten, hatte er... ebenfalls getan“. Ludwig Körner, Präsident des Dt. Bühnenklubs, Berlin, reimt: Mit den Wölfen muß man heulen, Eine alte Weisheit spricht, Aber mit dem Schwein zu grunzen, Braucht man drum noch lange nicht! Vgl. auch frz. ,11 faut hurler avec les loups*; engl. ,Who keeps company with wolves, will learn to howl* und ,One must howl with 1158
Wolf 1 ,Ein Wolf im Schafspelz4 2 »Wenn man vom Wolf spricht ...4 3/4 »Mit den Wölfen heulen4 the wolves1; ndl. »huilen met de wolven in het bos\ J. P. Hebel führt dieses Sprw. in seinem »Schatzkästlein des rhein. Hausfreundes1 ad absurdum: ,,,Man muß mit den Wölfen heulen4, d. h. : wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig tun wie sie? Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen* sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: ,Ich bin ein Mensch und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen wie ihr4. Drittens: Wenn du meinst, es sei nimmer anders von ihnen loszukommen, so will dir der Hausfreund erlauben, ein- oder zweimal mitzubellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen und anderer Leute Schafe fressen. Sonst kommt zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen erschossen“. Versuchen, dem Wolf etw. aus dem Rachen zu reißen: sich viel zumuten, ein zu großes, unmögliches Vorhaben beginnen. „Ihr 1159
Wolke sucht dem Wolf ein Lamm zu reissen aus dem Rachen“ (Gryphius, Trauerspiele 157). Die Wndg. ist schon lat. bezeugt: ,lupo agnum eripere* (Plautus). Eine Gegend, wo die Wölfe einander gute Nacht sagen, ist eine unsichere, wilde Gegend. „Spessert..., allwo die wölff einander gute Nacht geben“ (Grimmelshausen, Simplicissimus 11, Schölte); /Fuchs. Einen Wolfshunger haben. Der unersättliche Wolfsmagen ist früh sprw. geworden; schon das griech. Sprw. kannte ihn, und im Lat. heißt es (Plautus, Stich. 605): „Hereditatem inhiat quasi esuriens lupus“ = wie ein hungriger Wolf. Hebbel (Sämtl. Werke 9,101) schreibt: „Hungrig bin ich auch wie der Wolf, wenn er ein Schaf blöken hört“. ,Gier* ist der Name des Wolfes im ,Reineke Fuchs*, der der Wölfin JFrau Gieremund*. Lit.: S. Singer: Sprww. des MA., I, 75 f., III, 96f. Wolke. Wie aus den (allen) Wolken gefallen sein: höchst überrascht sein, ernüchtert werden, einer Sache verständnislos gegenüberstehen, als wäre man eben aus einer anderen Welt in diese ,hereingeschneit*, wie auch 1793 Hippel in seinem Roman ,Kreuz- und Querzüge des Ritters A- bis Z-* (Bd.I, S. 128) sagt: „Dies brachte ihn aus den Wolken auf die Erde“. Die Rda. ist seit dem 18. Jh. häufig bezeugt. Goethe (Weimarer Ausg. I, 51,67): „Und wenn sie nun gar wieder allein war, und aus den Wolken, in denen seine Leidenschaft sie emportrug, herab in die Erkenntnis ihres Zustandes fiel, dann war sie zu bedauern“. Auch im Frz. ist in gleichem Sinne üblich: ,tomber des nues*. Zum gleichen Bildbereich gehören: auf Wolken schreiten: in einem Zustand der freudigen Entrücktheit sich befinden; in den (über) Wolken leben (schweben): entrückt, weltfremd, zerstreut sein. Diese Rda. wurde zuerst aber als Bild der Überheblichkeit gebraucht; Seb. Franck sagt 1511 in seinen Sprichwörtern* (2,163 b): „Die hochtrabenden gelerten... schweben in wolcken“. Ähnl.: in einem Wölkenkuckucksheim leben: phantastische, völlig weit- und wirklichkeitsfremde Vorstellungen haben. ,Wölkenkuckucksheim* ist der Name des in den ,Vögeln* von Aristophanes gegründeten Vogelstaates in den Lüften (,vecpeÀoKOKXuyloc ). Das dt. Wort findet sich erstmals 1814 bei Schopenhauer (Sämtl. Werke, hg. v. Deussen und Hochstetter, Bd.XI, S.153). Andere Übersetzer sprachen von ,Wolkenguk- guksburg* (Wieland 1805), ,Kukukswolkenheim* (Voss 1821) usw. Lit.: Büchmann, S. 482; F. E. Hirsch: »Aristophanische1 Wortfügungen in der Sprache des 19. Jh., in: Zs. f. d. Wortf. 12 (1910), S.241-248. Wolle. (Warm und weich) in der Wolle sitzen (sein, stecken): ein sorgloses Leben führen, wohlhabend sein, es gut haben, ,warm sitzen*; eigentl. vom Schaf gesagt, das ein dickes, warmes Wollfell trägt. Die Schafwolle stellt einen großen Wert dar und wird deshalb sinnbildl. für großen menschlichen Reichtum gebraucht. Auch in die Wolle kommen (eigentl.: ,bald geschoren werden können*) wird übertr. gebrauchten der Bdtg.: zu Vermögen kommen. Keine Wolle gewinnen .keinen Vorteil dabei haben. Von guter Wolle sein: tüchtig, wertvoll sein. „Dieser Mönch... war nicht von der besten Wollen“, d. h. taugte wenig (Grunau, Preuß. Chronik I, 433). Sich in die Wolle geraten (kriegen): zw streiten beginnen, aufeinander zornig werden, untereinander handgreiflich werden. Wolle steht hier scherzhaft für das menschliche Kopfhaar. Die Rda. ist eine erst unserem Jh. angehörende Parallelbildung zu ,sich in die Haare geraten*, ,sich in den Haaren liegen*. Entspr. einen in der Wolle haben: sich mit ihm streiten; Wolle lassen (wie: ,Haare lassen*): Verlust erleiden; einen in die Wolle bringen: ihn erbosen. Älter ist einem in die Wolle greifen: ihm scharf zusetzen; urspr. auf das Schaf angewandt, das man an der Wolle packt und festhält. In übertr. Sinne schon bei Luther: „Das heyst dem bapste yn die wolle gegriffen“ (Weimarer Ausg. Bd.34, 2, S.312). Auch ,einem in den Beutel greifen* kann die Rda. bedeuten, z.B. in der ,Zimmerischen Chronik* (Bd. II, S. 169): „Als nun junker Heinrich vil verthon, derhalben in grosse schulden kommen, hat er angefangen, dem alten herrn mehr und gröber in die wollen zu greifen“. 1639 findet sich bei Lehmann S.679 (,Regenten* 201): „Alexander der Gross alß er vermahnt worden, er soit seinen Vnterthanen besser in Woll greiffen, 1160
Wort hat er geantwortet: Er möge keinen Gärtner haben, der fruchtbare Kräuter mit der Wurtzel außruppft\ Inder Wolle gefärbt: echt, treu, zuverlässig, unverfälscht; gilt urspr. von einem farbigen Stoff, der nicht erst als Tuch, sondern schon als unverarbeitete Wolle gefärbt worden ist und, da er völlig von ihr durchdrungen ist, die Farbe besser hält. Das Wortspiel wird gelegentlich sogar noch weitergeführt, z. B. bei Ina Seidel (,Lennacker\ 1938, S.449): „Heut aber sind ganze Völker, ja ganz Europa in der Wolle gefärbt durch das teure Blut unseres Herrn und Heilands Jesu Christi... da durch die Taufe viele Christen wirklich nur eben in der Wolle - nicht aber bis in die Seele hinein christlich gefärbt sind“. Viel Geschrei und wenig Wolle /Geschrei. Wort. Es in Worten haben (auch mit dem Zusatz: wie das Eichhörnchen im Schwanz) sagt man von einem, der mit hoher Gönnermiene in beredten, schönen Worten etw. verspricht, worauf nicht zu bauen ist, dessen ganze Stärke also die Worte sind, wie die Stärke des Eichhörnchens der Schwanz. 1529 bucht Joh. Agricola (Nr.43): „Es ist dir in Worten, wie manchem im synne“, mit der Erklärung: „Im synne hats mancher, er wolle gros ding thun, aber er feylet darnach weyt, wens zur that kompt vnd zum treffen gehen soll“. Thomas Murner behandelt in zwei Kapiteln seiner ,Schelmenzunft‘ (1512) die beiden heute ausgestorbenen Rdaa. ,dieffe Wort geben1 und ,glatte Wort schleifen', die beide auch durch eine 111. ausgezeichnet sind; /schleifen. Seine Worte auf die Goldwaage legen: seine Worte genau überlegen und abwägen. Die Rda. ist bibl. Urspr. und beruht auf Sir. 21,27 („die Weisen aber wägen ihre Worte mit der Goldwaage“; ähnl. Sir. 28,29). Zur Beliebtheit der Wndg. (nicht) viele Worte machen hat sicherlich ebenfalls die Übers, der Lutherbibel von Sir. 7,15 und Matth. 6,7 beigetragen („die Heiden... meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen“). Einem das Wort gönnen: ihn anreden, begrüßen, ihn um etw. bitten. Die Rda. ist bes. in den ndd. Mdaa. verbreitet, z.B. ,1k will em dat woort darum gunnen\ ihn darum bitten. Einem das Wort im Mund herumdrehen: seine Äußerungen verfälscht wiedergeben, jem. absichtlich mißverstehen. Die Rda. ist schon seit dem 16. Jh. bezeugt. Ein großes Wort gelassen aussprechen: etw. Wichtiges bescheiden äußern; vielfach iron, verstanden: eine dumme Bemerkung unbedacht machen. Die Wndg. beruht auf einem Zitat aus Goethes ,Iphigenie' (1,3); dort sagt Thoas: „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus“. Sprw. ist auch der Satz: Wenn das Wort eine Brücke war - dann ..., wobei im stillen zu ergänzen ist: ,ginge ich nicht darüber', /Brücke; vgl. Gellerts Fabel ,Der Bauer und sein Sohn'. Haste Worte? (auch mit dem Zusatz: ,for ,Glatte Worte schleifen* 1161
Wunder sonne Sorte1): Was soll man dazu sagen? Der rdal. Ausdr. des Erstaunens ist berl. Ursprungs und seit dem 19. Jh. belegt (vgl. Ton). Folgende bildhafte Wndgn. bedürfen keiner Erklärung: ,das letzte Wort haben (behalten)4, ,das große Wort führen4, ,mit leeren Worten abspeisen4, ,ein Wort mitzureden haben4, ,ins Wort fallen1, ,für jem. ein gutes Wort einlegen4, ,jem. das Wort reden1, ,jem. ein gutes Wort geben4, ,mit jem. ein ernstes (offenes) Wort reden (müssen)4, ,ein Wort fallen lassen4, ,sein Wort verpfänden (einlösen)4, ,beim Wort nehmen4, ,das Wort bleibt einem in der Kehle stek- ken4, ,jem. die Wörter einzeln aus der Nase ziehen4, ,jem. das Wort im Munde abschneiden4. Ein Wörtchen mitzureden haben: mitzuentscheiden haben. Wörtchen nimmt sich wegen der Diminutivform bescheiden aus, meint aber iron, das sehr gewichtige Wort, fast die Hauptentscheidung; seit 1811 lexi- kographisch (Küpper I, S.350). Einer Sache (jem.) das Wort reden: sich dafür einsetzen. Wunder. Sein blaues Wunder erleben: peinlich überrascht sein, eine unangenehme Erfahrung machen (/blau). Es geschehen noch Zeichen und Wunder sagt man rdal., wenn nach langem Stillstand wieder eine Neuigkeit zu verzeichnen ist. Die Rda. beruht auf einem abgewandelten Zitat aus Schillers ,Wallensteins Lager4 (8. Auftr.): „Am Himmel geschehen Zeichen und Wunder44; vgl. 2. Mos. 7,3. Wurf. Wndgn. mit Wurf sind bis auf wenige Ausnahmen nur noch in den Mdaa. zu finden. Einem in den Wurf kommen: ihm unversehens begegnen, in den Weg laufen, ihm gerade recht kommen, seit dem 16. Jh. nachweisbar; eigentl.: dem, der es auf einen abgesehen hat, der gleichsam mit dem Speer oder dem Stein in der Hand schon zum Wurf lauernd ausgeholt hat, als Beute in die Schußlinie laufen, in die Quere kommen; z.B. 1771 in Christian Felix Weißes ,Komischen Opern4 (Bd.IIl, S.7): „Und wer weiß, hätt’ ihm der König nicht hier in Wurf kommen können44. Dementspr.: in den Wurf laufen: ins Schußfeld kommen, in die Quere kommen. Eine Verdeutlichung wird durch die Wndg. entgegengesetzten Sinnes erreicht: aus dem Wurf gehen: ausweichen (vgl. ,aus dem Schußfeld gehen4). „ImentweychEttunauss dem wurff ynd der stab sprang an die gezelt stang44 (Hertzog Aymont [1535] r4a). Die artikellose Fügung ,in Wurf kommen4 hat im Sprachgebrauch des 16. und 17. Jh. das Übergewicht und tritt noch in den Quellen des 18. Jh. vielfach auf. Im 19. Jh. ist sie bis auf wenige Restfälle aus der Schriftsprache gewichen, lebt aber in den Mdaa. fort. Schwäb. ,Wenn mir der in (de) Wurf kommt, na -!4, wenn ich den geschickt erwische. Ndd. „Ok teiken un malen ded hei in olle Wis’ aliens, wat em in den Worp kam44 (Fr. Reuter, P. Warncke, 31910). Es im Wurfe haben: geschickt sein. ,Es im Worff habe4, vom Glück begünstigt sein (Tobler, Appenzell, 1837, 451). Adelung (IV, 1627) bucht: jem. in den Wurf bekommen: ihn irgendwo antreffen. Meist mdal. auf den schwäb.-alem. Raum beschränkt sind die Wndgn. ,im Wurfe sein4, ,im Wurf liegen4, vorgeschlagen sein (als Kandidat für ein Amt), geplant sein, und ,in Wurf bringen4, vorschlagen. Zschokke schreibt 1824 (Ausgew. Schriften 2,75): „Anfangs war nichts Geringeres im Wurfe, als gänzliche Abschaffung der neuen Staatsverfassung44. Gottfr. Keller (1889, Ges. W. 7,92): „Ich hörte zu, wie sie die Regine bereden wollten, auf dem im Wurfe liegenden Wohlthätigkeitsbazar eine Verkaufsstelle zu übernehmen44. ,Einen Wurf tun4, einen Anschlag versuchen, ausführen, mit der Grundvorstellung des Wurfes auf ein Ziel, das getroffen werden muß, ist bei Luther (Weimarer Ausg. 9,376) bezeugt, heute aber ungebräuchlich. Einen großen (guten) Wurf machen: Glück haben, mit leichter Mühe zu großem Gewinn kommen. Die Rda. stammt vom Würfel- oder Kegelspiel, /Würfel. Auch das bekannte Zitat aus Schillers Lied ,An die Freude4 von 1785 („Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein44) hat zur Beliebtheit des Bildes beigetragen. Dementspr. auch: alles auf einen Wurf set- OT/. alles auf eine Karte setzen. M. Herbert schreibt 1922 (,Liebesirrtum4 19): „Alles Glück des Lebens auf einen Wurf zu setzen44. 1162
Wurm Um den ersten Wurf spielen (werfen): den Anstoß erteilen, der die Entscheidung einleitet ; eigentl. : darum spielen, wer das Spiel beginnen soll. In erweiterter Bdtg. vom Mhd. bis zur Reformationszeit gebräuchl. Mdal. treten auf: ,De worff habe4, den Vorteil haben, und: ,de worff os de henda loh\ das Glück aus den Händen lassen (Tobler, Appenzell 451). Zwei Würfe mit einem Stein tun (wollen): mehr erreichen (wollen), als eigentl. zu erwarten ist, mehrere Ziele verfolgen; vgl. ,zwei Fliegen mit einer Klappe4. Diese Wndg. gebrauchte auch Lessing (Sämtl. Schriften, hg. von K. Lachmann u. F. Muncker, II, 80): „Es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man sagt, zwey Würfe mit einem Steine zu thun“. Würfel. Die Würfel sind gefallen (seltener Der Würfel ist gefallen)'. Der Entschluß ist gefaßt, die Entscheidung ist endgültig. Diese umg. oft gebrauchte Wndg., die aber in den Mdaa. durchweg fehlt, geht auf ein Zitat zurück: Als Caesar nach längerem Schwanken im Jahre 49 v.Chr. den Entschluß gefaßt hatte, über den Rubicon zu gehen, zitierte er Menanders Wort „Aveppupüo) xüßoc;“ (= der Würfel falle). Sueton (,Caesar‘ 32) gibt die nicht ganzwörtl. Übers.: „Iactaalea est!“, häufig zitiert: ,Alea iacta est!‘ (= Der Würfel ist gefallen). Mit dem Humanismus ist die Wndg. in die Sprache der Gebildeten eingedrungen und hat sich dort bis zum heutigen Tage erhalten. Auch Schiller (Werke 1,232) gebrauchte dieses Zitat, jedoch etw. abgewandelt: Eisern im wolkigten Pulverdampf, Eisern fallen die Würfel. Thomas Mann schrieb 1956 (,Felix Krull4 S. 127): „Ich begab mich ziemlich gelassenen Geistes dorthin (zur Musterung); denn ich war mir bewußt, daß heute der Würfel kaum fallen werde“. Lit.: Büchmann, S. 598 (vgl. S. 131). Wurm. Sich winden (krümmen) wie ein Wurm: sich hilflos sträuben, unterwürfig sich fügen; etw. nicht zugeben wollen, mit der Sprache nicht herauswollen; der geläufige rdal. Vergleich ist schon dem Mhd. bekannt. Um 1300 schreibt Heinrich von Neustadt (,Apollonius4 4219, hg. v. S. Sin- ger): Du leydest manigen sturm, das du dich pewgest als ain wurm. Um 1400 heißt es in einem Volkslied (Li- liencron, Hist. Volksliederl, 182): Sie teten einen scharpfen sturm, ir maniger rimpft sich (krümmt sich) wie ein wurm von wefen unde schieszen. Erst bei Joh. Fischart (,Flöhhatz4 Ndr. 17) kommt 1573 die Rda. in ihrer heutigen Form vor: Das büblein mochts (den Schmerz) erleiden nit, sonder krümbt sich gleich einem wurm vnd schrey als ob man lauttet sturm. Zahlreiche Belege finden sich in der neueren Lit., aber auch die Mdaa. kennen den Vergleich, z.B. pomm. ,He wund sikk as een worm4, er wollte nicht daran. Einem die Würm er aus der Nase ziehen: ihm langsam, aber durch geschickte Fragen seine Geheimnisse entlocken, ihn aushorchen; ebenso frz. ,tirer les vers du nez à quelqu’un4. Die Rda. geht auf die alte Vorstellung von wurmgestaltigen Krankheitsdämonen zurück, die nach volksmedizinischer Auffassung im menschlichen Leib bzw. in dem betroffenen Glied liegen. Einzelne Krankheiten wurden auf das Vorhandensein von Spezialwürmern (wie Magen-, Leber-, Ohr-, Zahn-, Hirn-, Herzwurm) zurückgeführt. Der Beschwörung von Krankheitsdämonen in Wurmgestalt dienen die von ahd. Zeit bis zur Ggwt. bezeugten Wurmsegen. 1350 vermerkt Konrad von Megenberg in seinem ,Buch der Natur4 (hg. v. Pfeiffer, S. 130f.): „In des hirzs haupt ist ain wurm, der in oft müet; aber ain iegleich tier und auch der mensch hat ainen wurm under der Zungen, und an derstat, dä diu runstädern gesellet werdent des rucks dorn, dä er sich veraint mit dem haupt, sein zwanzig würm“. Diesen Glauben machten sich Kurpfuscher des 17. und 18. Jh. zunutze, indem sie auf den Jahrmärkten behaupteten, Schwermütige dadurch heilen zu können, daß sie ihnen die Würmer durch die Nase aus dem Gehirn zögen. In derselben Weise prahlt Frosch in Auerbachs Keller (Goethe, Faust I, V. 2174 ff.): 1163
Wurm Laßt mich nur gehn! Bei einem vollen Glase Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn, Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase. (Im Urfaust: ,,Ich will ’en die Würme schon aus der Nase ziehn, wo sie herkommen“). Zur selben Grundvorstellung gehören zahlreiche weitere Rdaa. und Wndgn.: einen Wurm (im Kopf) haben: eine fixe Idee, eine Marotte haben, töricht und unverständig handeln; vgl. engl. ,He has worms (maggots) in his brain4. Goethe (,Sprüche in Reimen4): Noch spukt der babylonische Turm, Sie sind nicht zu vereinen! Ein jeder Mann hat seinen Wurm Kopernikus den seinen. Im Schwab, hat ein geisteskranker, aber ebenso auch ein launischer oder hochmütiger Mensch ,Würmer im Hirn4. Auch in anderen Mdaa. sind ähnl. Wndgn. reich belegt. In Süddtl. ist beim Steigen der Wassersucht heute noch der Ausdr. bekannt: ,Der Herzwurm b’seicht mi4; bair. ,den Wurm töten4, den Beinfraß (eine eiternde Sehnenentzündung) heilen; schwäb. ,Wer hat dir de Wurm tötet?4, wer hat dich aus der Not erlöst?; ,Daß dir der Wurm dreinfahr!4 ist eine gängige Fluchformel in Kurhessen. Es ist wie der Wurm unter dem Fuß: es ist zum Kotzen. Es wurmt einen: zs ärgert, quält, beunruhigt ihn (wie der Wurm im Leibe). In weiterer Übertr. ist der ,nagende Wurm4 auch das schlechte Gewissen, die Sorge, die Angst. Du hast den Drehwurm sagt man zu unruhigen Kindern, die sich dauernd im Kreise herumbewegen oder sich um sich selbst drehen. Jem. den Wurm schneiden (nehmen). Die seit dem 17. Jh. bezeugte Rda. bezieht sich auf die oft betrügerischen Praktiken der ,Wurmschneider4 auf den Jahrmärkten. Dementspr. ist der Sinn der Rda. zunächst: betrügen, übervorteilen. „O ho, sagte der Wurmschneider... sag an mein liebes Baewerlein, hastu niemals zuvor deiner eigenen Obrigkeit den Wurmb geschnitten. Hastu nicht deinen Juncker im Zehenden betrogen...?44 (Moscherosch, 1646, in ,Gesichte4 3,316). Die gleiche Bdtg. hat die _ —- 1 \cf>Io C un tu l>elLi »*N f i’hfr lYLtrmfVImrtiYv. Wurmschneider (,Jemand den Wurm schneiden4) Rda. bei Christian Weise (,Erznarren4, 1673, Ndr., S.30). Im 18. Jh. kommt die Rda. zur Bdtg.: einen von einer Torheit heilen. Dabei spielt die Vorstellung eine Rolle, daß jungen Hunden der angeblich die Tollwut verursachende Wurm (die wurmförmige Sehne unter der Zunge) entfernt werden müsse. Vorgang und Deutung der Rda. sind von Adelung (IV, 1630) für seine Zeit bezeugt. Gleichzeitig bürgert sich seit der 1. H. des 17. Jh. für Wurm die Bdtg. ,Marotte4, ,Schrulle4 ein, die eine Entmythologisierung der urspr. volksmedizinischen Vorstellung bedeutet. Diese Auslegung dringt auch in die Lit.; z.B. schreibt Goethe in ,Hans Sachsens poetische Sendung4: (Der Narr) bespottet eines jeden Fürm, Treibt sie ins Bad, schneid't ihnen die Würm’ Und führt gar bitter viel Beschwerden, Daß ihrer doch nicht wollen wen’ger werden. Mdal. hält sich die Rda. bis zur Ggwt.; z. B. wien. ,an in (den) Wurm nehma4, seinen Übermut dämpfen. Einem ein Würmchen aus dem Kreuze leiern: ihn drillen, eine neuere, sold. Wndg. Jem. den Wurm segnen: ihm gehörig die Meinung sagen, ihn kräftig zurechtweisen. 1164
Wurst Die Rda. bezieht sich auf die volkstümlichen Wurmsegen, die die Würmer als Krankheitsdämonen heftig beschworen, von ihrem Opfer zu lassen und sich an einen anderen Ort zu begeben, wo sie unschädlich waren. Auf den Wurm im Obst bezieht sich die Wndg. Da ist der Wurm drin: es sieht verlockend aus, birgt aber Nachteile. Vielleicht ist aber auch an den Holzwurm zu denken, der heimlich das Holz des Gebälkes und der Möbel durchnagt und seine Festigkeit zerstört, weil die Rda. auch oft in bezug auf eine gestörte Gesundheit, ein zurückgehendes Geschäft und eine zerrüttete Ehe gebraucht wird. Lit.: M. Höfler. Dt. Krankheitsnamen-Buch (München 1899), S. 820-835; O. v. Hovorka u. A. Kronfeld: Vergleichende Volksmedizin, 2 Bde. (Stuttgart 1908-09), I, S. 452 ff.: HdA. ÏX, Sp. 841-863, Art. ,Wurm‘ und ,Wurmsegen\ v. Riegler und Ohrt; /. Hampp: Beschwörung, Segen, Gebet (Stuttgart 1961), S. 62 ff.; G. Eis: Altdt. Zaubersprüche (Berlin 1964); L. Röhrich: Krankheitsdämonen, in: Volksmedizin (Darmstadt 1967), S. 283 ff. Wurst. Wurst wider Wurst!: Gleiches mit Gleichem vergelten. Der Realbereich der Rda. ist die Sitte, sich beim Schweineschlachten gegenseitig mit Wurst oder Fleisch zu beschenken. Schon Erasmus Al- berus führt 1540 in seinem ,Dictionarium‘ die Rda. auf diesen Brauch zurück: „sicut fecerunt mihi, sic feci eis, würst vmb wieder würst dicunt nostrates enim vincini tempore, quo mactantus sues, farcimina invicem mittere. Si quis primus mactarit, vicino nihil mittit, si postea a vicino mactante nihil mittitur“. In einem Volkslied aus dem Dreißigjährigen Krieg (1631, bei F. W. v. Ditfurth, Historische Volkslieder, 1882, Nr. 86) heißt es: Gleich wie wir sie vor kauzten (prügelten), Wenn sie uns jetzt auch dauzten (schmähten), Das wäre Wurst um Wurst. Der Rda. stehen zahlreiche Sprww. zur Seite, die ebenfalls eine solche Gegenseitigkeit ausdrücken: ,Wie du mir, so ich dir4 (vgl. Sprüche Salomonis 24, 29) ;,Brätst du mir eine Wurst, so lösche ich dir den Durst' (Seb. Brants ,Narrenschiff1 Kap. 81); ,Ein Eisen macht das andere scharf1 ; ,Eine Hand wäscht die andere1. Mit der Wurst nach der Speckseite werfen: mit Kleinem Großes erreichen wollen; durch ein kleines Geschenk ein größeres, durch eine kleine Gefälligkeit einen großen Vorteil zu erhalten suchen. Schon der röm. Dichter Martial sagt: „Quisquis magna dedit, voluit sibi magna remitti“ (= Wer Großes schenkte, wollte, daß ihm Großes wieder geschenkt würde). Das heute noch gebräuchl. Bild unserer Rda. ist schon mhd. bei Konrad von Würzburg bezeugt, und zwar noch in durchaus wörtl. Anwendung: Wer waget, der gewinnet vil: wirf die würst an bachen (Schinken), vil lîht so wirt er krachen, daz in diu würst erschellet (klingen macht) und daz er mit ir vellet. 1529 findet sich bei Joh. Agricola das Sprw.,,Schenken heißt angeln' mit der Erklärung: „Wer einem andern etwas schenket, der wirft ihn mit einer Bratwurst um ein Seiten Speck. Man schenkt gar selten aus lauter Lieb, ohn ein Schalksaug, sondern man handelt, angelt, jagt und fischt mit den Gaben, daß man mehr sehe und mit Gewinn wieder nehme... Man schickt keinem keine Wurst, man verhoffe dann, er werde auch ein Sau schlachten und des Sprichworts gedenken: Wurst wider Wurst, Korn umb Salz!" 1649 bei Gerlingius (Nr. 233): „Tribus minis insumptis duodecim imputat. Er wirfft wurst nach einer Seiten speck“. Jeremias Gotthelf sagt 1837 im ,Bauernspiegel‘ von einem pfiffigen Bauern: „Er wußte wie keiner Würste nach Speckseiten zu werfen, und selten mißlang ihm ein Wurf“; kurz darauf: „Das war auch so eine Wurst, die er nach der Speckseite bengelte“. Auch im Ndd., z. B. bei Fritz Reuter: „He smitt mit de Wust na’n Schinken“; sogar gereimt: „He smitt mit de Pink (kleinen Wurst) na de Schink“. Schwäb. ,die Wurst nach einer Blunze (,Speckseite') werfen'; /Speck. Er will immer eine besondere Wurst (oder eine Extrawurst) gebraten haben: er beansprucht eine besondere, ihn bevorzugende Behandlung. Ähnl. schon bei Abraham a Sancta Clara (,Lauber-Hütt‘ 1,314): „Man bratet keinem eine Wurst, man macht keinem etwas besonders“. 1165
Wurst Es geht um die Wurst: es geht um die Entscheidung. Die Rda. leitet sich wahrscheinl. von volkstümlichen Wettkämpfen her, bei denen der Sieger eine Wurst erhielt oder, wie beim Wurstklettern, Wurstschnappen, Wurstangeln usw., sich eine Wurst erringen mußte (1881 für Leipzig belegt). Vom Dorfschullehrer, der bei keiner Festlichkeit fehlte, wo er sich einmal sattessen konnte, hieß es im Spottlied: Die größte Wurst ist immer sein, Dem armen Dorfschulmeisterlein. ,Es geht um die Wurst4 Das kannst du in die Wurst hacken: das taugt nichts. Schwäb. ,jem. eine hölzerne Wurst aufs Kraut legen4, ihn prügeln. Das ist mir Wurs(ch)t. das ist mir gleichgültig; die Rda. ist wohl nicht als verkürzte Form aus der Wndg. ,Das ist Wurst wie Schale4 entstanden (vgl. Jacke wie Hose4); vielleicht ist nur an die Gleichartigkeit gedacht, die sich bei der Wurst an beiden Enden zeigt (vgl. die Sprw.-Parodie :,Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei4). Es ist gleichgültig, an welchem Ende die Wurst angeschnitten wird. Möglicherweise ist auch an Wurst als Werktagsessen in geringschätzigem Sinne gedacht, im Gegensatz zum Sonntagsbraten. Bismarck schrieb am 22. Dezember 1853 seiner Schwester vom Frankfurter Bundestag: ,,Ich gewöhne mich daran im Gefühle gähnender Unschuld alle Symptome von Kälte zu ertragen und die Stimmung gänzlicher Wurschtigkeit in mir vorherrschend werden zu lassen...44 M. Busch (,Graf Bismarck und seine Leute4, Leipzig 1878,1, 255) berichtet unter dem 21. Jan. 1871 bei Gelegenheit einer Erörterung über die Titulaturen »deutscher Kaiser4, »Kaiser von Deutschland4, »Kaiser der Deutschen4: „Als ein Weilchen darüber verhandelt worden war, fragte der Chef, der bisher zu der Debatte geschwiegen: Weiß einer der Herren, was auf lat. »Wurscht4 heißt? - »Farcimentum4 erwiderte Abeken. - »Farcimen4, sagte ich. - Chef, lächelnd: »Farcimentum4 oder »farcimen4, einerlei: Nescio quid mihi magis farcimentum esset, d. h. ich weiß nicht, was mir mehr Wurst wäre44 (Büchmann, S.702). - In der Ggwt. findet sich die Rda. auch pleonastisch verstärkt: »Das ist mir piepwurst4 oder »Das ist mir wurstepiep4 und »Das ist mir schnurzwurstpiepe4, »wurstegal4, /Pfeife. Die gekränkte Leberwurst spielen /Leberwurst. Lil.: E. Johann: Das Jahr des Metzgers. Der Lissner- schen Wurstologia anderer Band (Frankfurt a.M. 1957). 1166
XY X. Einem ein X fiir ein U vormachen: ihn täuschen, ihn belügen, irreleiten, ihm etw. vorspiegeln, ihn betrügen, übervorteilen. Bekanntlich wurden im MA. die Zahlen mit röm. Zahlzeichen ausgedrückt, wobei das V, das damals zugleich für U stand, fünf (5) bedeutete. Zwei V, das eine verkehrt an das andere gesetzt (X), bedeuten aber zehn (10). Demnach ist der urspr. Sinn der Rda.: jem. zehn statt fünf (d. i. ,mit doppelter Kreide‘, /Kreide) anschreiben. Schon in dem 1435 verfaßten Namenbuch von Konrad Dangkrotzheim heißt es: „do mache ein ickis für ein V“; und in einer Dichtung von Nikodemus Frischlin: Schreibs alles seinem Herren zu Oft zwei X für ein einigs V. Aus dem 16. Jh. wird berichtet (,Germania4 13, 270): Der wierte war ein gschwinder man, Die kreid in seine hand bald nam. Dieselb, wie es dann pflegt zu gen, Für einen strich recht kreidet zwen, Er macht ein X wol für ein V, Damit kam er der rechnung zu. Genauso 1639 bei Lehmann S.936 ^Zehrung1 22): Wenn der Wirth schreibt ein X vor ein V. So kompt er seiner Rechnung zu. Diese Deutung wird auch bestätigt durch eine Stelle in Johann Wilhelm Laurembergs ,Veer Scherzgedichten1 (1653; 1. Gedicht, V. 136ff.): (Ik) laet mi nicht verleiden, Voer L (50) to schriven C (100) und voer V schriven X, Kan ik den nicht veel mehr, so bin ich darup fix. Auf eine andere Erklärungsmöglichkeit weist Alb. Höfer (,Germania* XIII, 270, XIV, 215 und IV, 216) hin. Bis ins 15. Jh. war eine Geheimschrift üblich, in der tatsächlich ein ,X‘ für ein ,V‘ gemacht wurde, weil in ihr jeder Vokal durch den folgenden Konsonanten ersetzt wurde. Es kam also urspr. mehr auf das Verbergen und Täuschen als auf das Betrügen und Fälschen an, was eigentl. auch noch heute dem Sinn der Rda. besser entspricht. Die Zahlzeichen X und V mögen dann später eingewirkt und zur Bedeutungsänderung der Wndg. beigetragen haben. Einem etw. xmal sagen: es ihm unzählige Male sagen; x ist in der Algebra die Bez. für die unbekannte Größe. Ein x-beliebiger Mensch: irgendeine Person aus der Menge. Lit.: A. W. Strobel: Beiträge zur dt. Lit. und Lit.-Geschichte (Paris u. Straßburg 1827), S. 124; R. Köhler: X für U, in: Kleinere Schriften, Bd. III (Berlin 1900), S.541 f. Xanthippe. Eine wahre Xanthippe sein, auch: einer Xanthippe gleichen: eine bösartige Frau sein, die ihren Ehemann durch ihr Gezänk ständig plagt, für bes. streitsüchtig gelten. Der fremde, unverständliche Name erfuhr auch eine volkstümlich-scherzhaft 1167
erklärende Umformung in der Wndg. Sie ist eine Zanktippe. Xanthippe, die Gattin des griech. Philosophen Sokrates (470-399 v.Chr.), gilt zu Unrecht als das Urbild des unverträglichen Weibes. Die Schuld am häuslichen Unfrieden lag wohl nicht nur an ihr. Doch die parteiischen Schriften der zahlreichen Anhänger ihres Mannes brachten Xanthippe in ihren sprw. Ruf, z. B. hat sie Xenophon in seinem ,Gastmahl‘ als bes. zanksüchtig geschildert. Lessing unternahm 1747 für sie einen Rechtfertigungsversuch, und E. Zeller brachte in seinem Buche ,Vorträge und Abhandlungen geschichtlichen Inhalts4 (Leipzig 1875) noch einen Beitrag ,Zur Ehrenrettung der Xantippe4, in dem er schrieb: „Hätte Xantippe keinen Sokrates zum Manne gehabt, so wäre uns ihr Name wol kaum überliefert; und finge dieser Name nicht mit dem leidigen X an, so läsen wir schwerlich in den Fibeln: Xantippe war ein böses Weib, Der Zank war ihr ein Zeitvertreib44. Bis heute jedoch hat sich die öffentl. Meinung über die Xanthippe deshalb nicht im geringsten geändert. In einem Bilderbogen des 19. Jh. werden die Mädchen vor den bösen Folgen gewarnt, falls sie ihr ähnl. sind: Die Jungfrau, die ist übel d’ran, Die der Xanthippe gleicht, Vor ihr scheut sich ein jeder Mann, Es nimmt sie Keiner leicht. Die Sprww. enthalten widersprechende Feststellungen: ,Xanthippen werden nicht geboren4, sie entwickeln sich erst durch die schlechten Verhältnisse, in die sie geraten, und: ,Xanthippen werden noch immer geboren4, die bösen Weiber sterben niemals aus. Vgl. ndl. ,Xantippes worden nog wel geboren4. Ypern /Tod. z Z /Abc. Zachäus. Zachäus auf allen Kirchweihen (in allen Schenken) sein: überall anzutreffen sein, insbes. dort, wo es lustig hergeht und es etw. Gutes zu schmausen gibt. Schwab. ,Derisch auf alle Kirwe wie (der) Zachäus4. Die Rda. bezieht sich auf den herkömmlichen Text der Kirchweihpredigt über Jesu Einkehr im Hause des Zöllners Zachäus (Luk. 19, 1-10). Ein Frühbeleg für die Rda. findet sich in Wickrams ,Rollwagenbüchlein4 von 1555 (XLIX): „wenig aber wirt dass leiden Christi bedacht. Also predigt man vom Zacheo auff allen Kirchweihen, niemandt aber volget jm inn den wer- cken nach44. Vgl.,Petersilie auf allen Suppen4 /Petersilie4; ,Hans Dampf in allen Gassen4 /Hans. Zack, Zacken. Auf Zack sein: schlagfertig, tüchtig, ,auf /Draht4 sein; seinen Vorteil rasch erkennen und nutzen. Zack steht sinnbildl. für die sehr schnelle Bewegung, wohl hergenommen von der Zickzackbewegung des Blitzes. Zack sagt man, wenn man z.B. einen Nagel auf den ersten Anhieb richtig in die gewünschte Stelle schlägt. Die Rdaa. entstammen der Soldatensprache des 2. Weltkriegs, ebenso wie ,zackig4 und ,Zackigkeit4. Einen Zacken (in der Krone) haben: einen leichten Rausch haben. Sich einen Zacken (aus der Krone brechen) abbrechen: sich etw. vergeben (/abbrechen, /Krone). Neuere Wndgn. sind: einen Zacken weghaben: bezecht sein (/trinken) und einen Zacken draufhaben: sehr schnell fahren. Zahn. Das reicht (kaum) für (auf) einen hohlen Zahn: das ist sehr wenig (zu essen); seit dem Ende des 18. Jh. (Zs. ,OHa Po- trida4, Nr. 188, S.2) belegt: „Sie hat fast 1168
Zahn nicht mehr so viel, daß sie es könnte in einem hohlen Zahn verbergen“. Ähnl. heißt es schlesw.-holst, von einer guten Speise: ,Dat mutt man achter een Tähn eten\ sparsam essen. Vgl. ndl. ,Dat kan ik wel in mijne holle kies douwen4. Dagegen: Das bleibt nicht im hohlen Zahn: das geht einem seelisch nach und nahe. Seine Zähne (sein Gebiß) ins Holz hangen: nichts zu beißen haben. Die Zähne (hoch) heben; mit langen Zähnen essen: mit Widerwillen, ohne Appetit essen; doch bedeutet stellenweise ,mit langen Zähnen essen4 auch: gierig essen (so 1786 von Adelung gebucht); einem lange Zähne (oder die Zähne lang) machen: ihn begierig, lüstern machen (so z.B. bei Grimmelshausen); im letzteren Sinne meist: einem die Zähne wässerig machen; seit dem 17. Jh. belegt: „Aber ich wüste wol, daß die (prächtigen) Kleider... ihm nur angethan waren, mir die Zähne wässerig zu machen“ (Grimmelshausen, Simplicissimus, 5. Buch, 21. Kap.). .Einem eilige Zähne machen4 heißt in der Niederlausitz scherzhaft: ihn zur Eile antreiben. Sich an etw. die Zähne ausbeißen: eine Niederlage erleben müssen trotz größter Anstrengung, sich mit etw. Schwierigem abmühen. Auf die Zähne beißen: sich bezwingen. Die Rda. beruht auf der Beobachtung, daß man vor Zorn und Verbitterung, auch vor körperlicher Anstrengung die Zähne zusammenbeißt; in dieser Form seit dem 16. Jh. bezeugt. Vgl. Luthers Übers, von Fs. 37,12; ähnl. Apostelg. 7,54, wo die Mitglieder des Hohen Rates über die anklagende Rede des Stephanus ,mit den Zähnen knirschen4; ,mit den Zähnen klappern4 ist ein entstelltes Zitat aus Matth. 8,12, wo es heißt, daß in der Hölle „wird sein Heulen und Zähneklappen44 (nicht: -klappern). Die Zähne zeigen (älter: blecken): sich kraftvoll widersetzen, drohend entgegentreten; hergeleitet von den zähnefletschenden Hunden. 1650 schreibt Moscherosch in den ,Gesichten Philanders4 (Bd.II, S.99): „So zeigen sie (die Hunde) ihm die Zähne anstatt des Wadels (d.h. .Schwanzes)44. In übertr., nur noch bildl. Anwendung findet sich die Rda. schon 1517 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg (,Evangelia4 5üa): „Die zehen (Jünger) bleckten die zen gegen Jacobum und Johannem“. Jem. auf dem Zahn haben: ihn nicht leiden können. Einen durch die Zähne ziehen (,einen zwischen den Zähnen haben4): ihn verklatschen, durchhecheln, kritisch über ihn sprechen. Die Rda. bezieht sich wahr- scheinl. nicht auf die menschlichen Zähne, sondern auf die Zähne der /Hechel, des kammartigen Werkzeugs, mit dem die Flachsfasern gereinigt wurden. Eitlem etw. aus den Zähnen rücken: es ihm entziehen; vgl. Hiob 29,17 („Ich zerbrach die Backenzähne des Ungerechten und riß den Raub aus seinen Zähnen44). Das Gegenteil ist: einem etw. auf die Zähne binden (streichen): ihm unklugerweise etw. anvertrauen. Bis auf die Zähne bewaffnet setzt bildl. den Gebrauch der Zähne als letztverfügbarer Waffe. Die Rda. ist schon im Mhd. geläufig: „des reit er (Mars) dô mit sînen scharn ge- wâpent sêre unz ûf die zene“ (Konrad von Würzburg, Trojanerkrieg, V. 3495). Vgl. frz. ,être armé jusqu’aux dents4 und ndl. ,Hij is tot de tanden toe gewapend4. Einem auf den Zahn fühlen: ihn gründlich auf seine Kenntnisse und Fähigkeiten prüfen. Die übertr. Anwendung der Rda. ist seit etwa 1700 gebräuchl. Das Bild ist vom 1169
Zahnbrecher Zahnarzt genommen, der durch Befühlen und Beklopfen den schmerzenden Zahn ermittelt. Weniger wahrscheinl. ist die Herleitung von der Praxis des Pferdekaufs, bei dem man noch heute aus der Beschaffenheit der Zähne das Alter und den Wert der Tiere festzustellen sucht (daher auch das Sprw. ,Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul4). Jem. die Zähtie ziehen:ihm übel mitspielen. Einem einen Zahn ziehen: von ihm einen Sachverhalt erfahren; auch: ihn von einer Last befreien. Diesen Zahn laß dir ziehen: diesen törichten Gedanken mußt du aufgeben. Die Torheit eines Gedankens oder Plans wird mit dem schmerzenden Zahn verglichen, der den Menschen ähnl. plagt wie ein wirklichkeitsfremder Gedanke. Schlesw.-holst. ,Se hebbt em’n düchtigen Tähn uttrocken4, ihm viel Geld abgenommen; obersächs.-erzgeb. ,einer (Frau) ’n Giftzahn ausreißen4, ihr das Lästermaul stopfen. Zu einem Säufer sagt man: ,Nun muß der Bierzahn raus!4, das Trinken muß aufhören. Dem tut kein Zahn mehr weh.tr ist tot. Vgl. ndl. ,Zijne tanden doen hem niet meer zeer‘ und frz. ,11 y a longtemps, qu’il n’a plus mal aux dents4. Z um drittenmal Zähne kriegen: scherzhafte Umschreibung für: ein Gebiß bekommen. Einen tollen Zahn drauf haben: eine sehr hohe Geschwindigkeit entwickeln; sehr schnell fahren. Bezieht sich auf das Zahnradgetriebe des Automotors, vor allem auf den großen Gang. Ebenso: einen Zahn zulegen, sowie übertr.: einen Zahn schneller essen. Die Metapher vom Zahti der Zeit, der alles zernagt, stammt aus Shakespeares »Maß für Maß4 (V, 1): „Tooth of time44. Die Wndg. ist aber schon der Antike bekannt gewesen (z.B. bei Simonides von Keos). Zahn bedeutet in der Teenagersprache der Ggwt. soviel wie Mädchen, Freundin, Braut usw. (»blonder Zahn4, »flotter Zahn4, »steiler Zahn4 usw.); dem entsprechen die Rdaa.: jem. einen Zahn abschrauben: ihm die Freundin abspenstig machen; sich einen Zahn aufreißen: die Bekanntschaft eines Mädchens machen. Haare auf den Zähnen haben ZHaar. Lit.: O. Ladendorf: Büchmanniana, in: Zs. f. d. U. 17 (1903), S. 694 ff.; F Gruttmann: Ein Beitrag zur Kenntnis der Volksmedizin in Sprww., Rdaa., mit bes. Berücksichtigung der Zahnheilkunde (Greifswald 1939). Zahnbrecher. Schreien wie ein Zahnbrecher: laut und aufdringlich schreien, ei- gentl.: seine Geschicklichkeit selbst lobend bekanntgeben, sich laut rühmen. Die Rda. bezieht sich auf das früher übliche marktschreierische Anpreisen der ärztlichen Kunstfertigkeiten durch die wandernden Zahnbrecher (»Schreien wie ein Zahnbrecher4) 1170
Zapfenstreich Quacksalber und Kurpfuscher nach Art des Wunderdoktors Eisenbart. In einem Lied, das ihn und diese Art der Selbstanpreisung verspotten will, da die geschilderten Wunderkuren immer zum Tod des Patienten führen, heißt es in einer Strophe: Zu Wien kuriert ich einen Mann, Der hatte einen hohlen Zahn. Ich schoß ihn raus mit der Pistol, Ach Gott, wie ist dem Mann so wohl! Um möglichst viele ,Kunden1 zu bekommen, ließ der .Wunderdoktor* oder Zahnbrecher auf dem Markt ein Gerüst auf- schlagen und stellte sich darauf selbst und seine bisher erzielten, weitbekannten Erfolge in schwungvollen Reden dar. Davon zeugen auch die Wndg. .schreien, wie eyn hauffen Zanprecher auff eym Marckt* (Fischart, ,Binenkorb* 84b) und das Sprw. ,Wer am besten schreien kann, das ist der beste Mann*. Derrdal. Vergleich ist im 16. Jh., z. B. bei Caspar Scheit, Hans Sachs u.a.,sehr beliebt gewesen; in den Mdaa. ist er noch heute sehr geläufig, z.B. schlesw.- holst. ,He schrêt as en Tânbrêker*. Ähnl.: wie ein Zahnbrecher lügen: mit seiner Geschicklichkeit und Kunst prahlen, die selten wirklich vorhanden ist. Vgl. frz. ,11 ment comme un arracheur de dents*. Zahnfleisch. Etw. bis aufs Zahnfleisch auskosten: etw. bis zur Neige betreiben (seit 1960); auf dem rohen Zahnfleisch gehen: sich die Füße wundgelaufen haben, völlig erschöpft sein, auch: die Schuhsohlen durchgelaufen haben. Vgl. ndl. ,Hij loopt op zijn tandvleesclT. Ihm kräuselt sich das Zahnfleisch: er wird wütend, er verliert die Beherrschung wie der wütende Hund, der die Lefzen hochzieht (Küpper II, S. 318). Zange. Jem. in die Zange nehmen; jem. in der Zange haben: jem. unter Druck setzen (halten); ihn von zwei Seiten bedrängen; ihn fest anpacken, keine Ausflüchte zulassen; ihm ins Gewissen reden. Die Wndg. bezieht sich auf den Schmied, der das glühende Eisen in der Zange festhält, um es zu bearbeiten. Auf die Zange als Folterinstrument weisen die Rda. Man kann es mit keiner Zange (von ihm) herauskriegen: er verrät nichts, und die oesterr. Wndg. ,Aus dem zwickst mit Zang’n nichts aus‘, er plaudert nichts aus, läßt sich nicht zum Reden zwingen, aber auch: er gibt nichts gern her. Vgl. ndl. ,Men kan het met geene tang uit krijgen*. Etw. (jem.) nicht mit einer Zange anfassen mögen: sich ekeln vor Schmutz oder Häßlichkeit. Vgl. engl. ,1 would not touch him with a pair of tongs*. Zankapfel. Der Zankapfel sein: der Anlaß des Streites sein, den Gegenstand der Auseinandersetzung bilden. Die Rda. geht auf die griech. Sage vom Urteil des Paris zurück, der im Streit der drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite zum Schiedsrichter über ihre Schönheit erwählt wurde. Indem er den als Preis für die Schönste bestimmten Apfel der Aphrodite reichte, wurde dieser zum ,Zankapfel* und führte zum Trojanischen Krieg. Die Wndg. ist im Dt. zuerst 1570 belegt. Dementspr.: einen Zankapfel werfen: Einen Anlaß des Streites geben. ,,Gott bewahre mich aber, einen solchen Zankapfel nach Weimar zu werfen“ (Goethe, Weimarer Ausg. IV, 26, 16). Lit.: O. Weise: Unsere Muttersprache, ihr Werden und ihr Wesen (Leipzig 81912); Büchmann, S. 103 f. Zapfen. Der Zapfen ist gut für die Flasche (das Loch), auch: Es ist ein rechter Zapf auf diesen Essigkrug: es eignet sich gut, paßt vortrefflich zusammen, oft iron, gebraucht, um zu sagen, daß etw. in üblem Sinne zusammengehört, daß sich Menschen in ihren negativen Eigenschaften entsprechen, daß sie gleiche Interessen verfolgen. Joh. Fischart verwendet die Rda. bereits in dieser übertr. Bdtg., denn er schreibt in der ,Geschichtklitterung‘: ,,Es war eben ein zapff für diese Flasch, denn faul Eyer vnd stinkend Butter gehören zusammen“. Auch Seb. Franck verzeichnet in seiner Sammlung die Rdaa. ,Es ist ein rechter zapff für das loch* (II, 107b) und ,Es ist zapff für die flaschen* (II, 10). Über den Zapfen hauen: den Urlaub überschreiten, /Zapfenstreich. Zapfenstreich. Den Zapfenstreich schlagen (blasen): Schluß machen, ein Ende setzen. Der Zapfenstreich ist urspr. der Schlag auf den Zapfen des Bier- oder Weinfasses, der 1171
Zappeln erfolgte, wenn man zu schenken aufhörte, und wodurch man den Zapfen fest eintreiben wollte. So noch in westf. Mda. ,den Tappen inslan4, einem Zustand ein Ende machen. Der Ausdr. ist dann im 17. Jh. von den Soldaten auf den Trommelwirbel übertr. worden, durch den die Soldaten am Abend von der Straße in ihr Quartier gerufen wurden. Wallenstein ließ, um den Zechgelagen seiner Soldaten Einhalt zu tun, jeden Abend ein Signal blasen, das den Marketendern befahl, den Zapfen in die Tonne zu schlagen. Daher steht 1669 bereits in Grimmelshausens ,Simplicissimus4: „Trommelschläger, die den Zapfenstreich getan“. Hieran anknüpfend, aber sold, verkürzt: ,Zapfen einhalten4, ,iiber den Zapfen streichen4, ,den Zapfen wichsen4. Aus dem Zwecksignal des Zapfenstreiches entwickelten sich regelrechte Musikstücke. „Abends beim Zapfenstreich ging ich neben der Menge der Trommeln her, deren gewaltsame Wirbel und Schläge das Herz im Busen hätten zersprengen mögen“ (Goethe, Dichtung und Wahrheit). zappeln. Einen zappeln lassen: ihn in Ungewißheit halten, in peinlicher Lage hin- halten, ihn warten lassen; schon bei Luther und Hans Sachs belegt. Gleich alt ist ,vor Ungeduld zappeln4; hergeleitet vom Fisch, der an der Angelrute zappelt. Christian Weise 1771 (,Komische Opern4, 1, 165): „Er magein Weilchen zappeln“. Bismarck an Gerlach: „Oesterreich läßt uns ganz anders zappeln, wenn wir von ihm etwas verlangen“. Zauber. Das ist (ein) fauler Zauber: eine Sache ohne Wert, ein Schwindel. Die Rda. verbreitete sich in der 2. H. des 19. Jh. von Berlin aus. Wahrscheinl. wurde mit ihr zunächst die Gaukelei eines Scharlatans als ,faul4, d.h. unwirksam, verspottet; vgl. Fontanes iron. Gedicht ,Neueste Väterweisheit4; Werde kein gelehrter Klauber, Wissenschaft ist fauler Zauber. Zaum. Einen im Zaum halten: ihn bändigen, in Schranken halten; bes. häufig die stabreimende Wndg.: die Zunge im Zaume halten, beides seit dem 16. Jh. oft belegt; von der Lenkung des Pferdes hergeleitet (vgl. Zügel). Verwandt sind Rdaa. wie einem in den Zaum greifen (fallen): ihn zurückhalten, hemmen; den Zaum zu lang lassen: zu nachgiebig sein. So heißt es in dem Fastnachtsspiel ,Der böß Rauch4 von Hans. Sachs (V. 23 f.): Wenn du hast deim weyb aller maßen Erstlich den zaumb zu lang gelassen; oder bei Joh. Fischart (,Lob der Lauten4, hg. v. A. Hauffen, S.368): „Dass sie der bgird den zäum nicht häng“. Wisseny wo die Zäume hängen: wissen, wie man eine Sache angreift; sich auf seinen Nutzen verstehen; seit dem 18. Jh. belegt, auch mehrfach bei Goethe, z.B. „Ob ich gleich selbst wissen muß, wo in meinem Stall die Zäume hängen“ (Weimarer Ausg., 4. Abt., Bd. XX, S.91). Goethe an Zelter am 19. Mai 1812: „Und die lieben Wiener, die gar nicht wissen, wo die Zäume hängen, setzen einen Preis von hundert Ducaten auf die beste Oper, die irgend Jemand in Deutschland hervorbringen soll“. H. v. Kleist (,Der zerbrochene Krug4): „Die Jungfer weiß, wo unsere Zäume hängen. Wenn sie den Eid hier vor Gericht will schwören, so fällt der Mutter Klage weg“. Mdal. ist die Rda. bis zur Ggwt. geläufig, z.B. obersächs. ,Der war net äsu dumm un woßt, wu de Zaam hinge4. Das Pferd am Schwanz auf zäumen: eine Sache verkehrt anfangen, /Pferd. Zaun. Etw. vom Zaune brechen: verdeutlichend hieß es früher öfters: ,vom alten Zaun brechen4 und hatte dann den Sinn: ohne Umstände beschaffen. Goethe: „Bräch ich mir nicht gar manche Lust vom Zaun“ (Weimarer Ausg. V, 60). Heutzutage wird die Rda., mit Betonung des Mutwilligen und einengend, meist im Zusammenhang mit Streit u.ä. gebraucht. ,Einen Streit (Krieg) vom Zaune brechen4, ihn mutwillig, leichtsinnig herbeiführen; ei- gentl.: so unvermittelt damit beginnen, wie man die erste beste Rute, den ersten besten Stock vom Zaun an der Straße abbricht. Gemeint ist also, daß man sich aus dem nächst erreichbaren Gegenstand eine Waffe macht. Schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg bezeugt: „Sie brechen etwan ein ursach ab eim zaun“; 1534 schreibt Seb. Franck im ,Weltbuch4 1172
Zeche vom Rittertum: „Vil brechen etwan eine vähe (Fehde) ab einem zaun“. 1639 heißt es bei Lehmann S.863 (,Vrsach4 3): „Man bricht offt ein Vrsach vom Zaun oder biegt sie herbey“; ebd. S.864 (,Vrsach4 24): „Wenn man einem wil schaden thun, so find man vrsachen auff Hecken vnd Zäunen“; in der ,Zimmerischen Chronik4 (Bd. II, S.498): „dann sie (große Herren) imer drachten, ursach ab aim zaun zu reißen“. Für das Wesentliche des Begriffs ist auch die folgende Stelle in Oldecops Hildesheimer Chronik4 (S. 181 ) lehrreich: „Meine gi (Meint ihr), dat de ingelechte (gefangengesetzten) borgere von dem tune gebroken sein oder mit der kipen int lant gedragen?“ Bismarck gebrauchte die Wndg. ,Reden4 Bd.VI, S.22): „Konfessionelle Streitigkeiten vom Zaune brechen44. Einem über den Zaun helfen: ihm über Schwierigkeiten forthelfen; göttingisch: ,Du bist erk noch nich awere Tune nower4, über alle Schwierigkeiten hinweg; ost- preuß. ,He is bi de Har övers de Tun kamen4, mit knapper Not. Wir werden den Zaun schon pinseln: wir werden diese Sache schon erledigen, in Ordnung bringen. Diese erst dem 20. Jh. angehörige Rda. gilt als beruhigende Äußerung. Einen durch einen Zaun nicht ansehen: ihn geringschätzen. Den Zaun wegen des Gartens lieben (mögen, auch gießen): jem. nur aus geheimen Nebenabsichten schöntun, z.B. der Mutter um der Tochter willen; vor allem mdal. verbreitet. Auch andere Rdaa. haben nur in den Mdaa. ihre Geltung, z.B. sächs. ,Er hat auch hinterm Zaun gesteckt4, er ist schlau; westf. ,döer de Tuine grasen4, stehlen; schwäb. ,’s bricht allemal wieder e Loch in Zaun4, es ergibt sich immer wieder eine Gelegenheit; sächs. ,ein Zaunbillet (gelöst) haben4, eine Darbietung ohne Entgelt miterleben; vgl. auch ,Zaungäste haben4, unerwartete Zuschauer haben. Hinter dem Zaune auf gelesen worden sein: wird ähnl. wie ,auf der Straße gefunden4 als verächtliche Bez. niedriger Herkunft, unehelicher Abstammung gebraucht. Zaunpfahl. Mit dem Zaun(s)pfahl winken: allzu deutlich auf etw. anspielen, etw. grob und plump zu verstehen geben. Ein Zaunpfahl ist groß genug, daß ein Wink mit ihm nicht übersehen oder mißverstanden werden kann. Die Rda. ist in dieser Form erst aus dem 19. Jh. belegt. Gröber und zugleich für den Städter faßlicher ist: ,mit dem /Laternenpfahl winken4. Gleichbedeutend sind: ,mit dem /Scheunentor winken4, bair. ,mit dem Holzschlegel deuten4. Sächs. ,Der hot mer mit'n Zaunstecken gewunken4 bedeutet: er hat mir mit Schlägen gedroht. ,Winken4 scheint urspr. iron, gemeint gewesen zu sein, so daß die Wndgn. eigentl. den Sinn gehabt hätten: es einem gehörig zu fühlen geben. In diesem Sinne heißt es in Wolfram von Eschenbachs, Willehalm4 (90, 8): „Mit eime steine soi iu ge- winket werden“, und in Ulrich von Türheims ,Willehalm4 (244d): „Im wirt gewin- ket mit der Stangen“. Zeche. Die Zeche bezahlen müssen: für anderer Taten oder Schuld allein büßen müssen. Die Rda. meint nicht: die Zeche, die man selbst schuldig ist, zahlen müssen - das wäre nur in Ordnung -, sondern die Zeche, die bei gemeinsamem Essen und Trinken oder durch andere aufgelaufen ist. Zeche bedeutet urspr.: Reihenfolge, Anordnung, dann: Gesellschaft zu gemeinschaftlichen Zwecken, bes. zu gemeinsamem Essen und Trinken, erst seit dem 15. Jh. den dafür an den Wirt zu zahlenden Geldbetrag. In übertr. Bdtg. ist die Rda. zum erstenmal 1541 in Seb. Francks Sprichwörtern4 (1, 128b) bezeugt. In einem Lied aus dem Dreißigjährigen Krieg (Opel-Cohn 63) heißt es: Ob du (der Winterkönig) schon hast ein guten Muth Mit deinen Ketzern werth, Die Zech mußt du bezahlen theuer. Goethe schreibt (,Reinecke Fuchs4 8): Grimmig sah der König auf ihn, Er mußte die Zeche bezahlen. Anders verwendet hat Goethe die Rda. in Sprichwörtlich4: Du treibst mir’s gar zu toll, Ich fürcht’, es breche! Nicht jeden Wochenschluß Macht Gott die Zeche. Die Zeche ohne den Wirt machen: sich verrechnen, sich in der Durchführung von Ab¬ 1173
Zeh sichten entscheidend gehindert sehen, so schon in Joh. Fischarts ,Geschichtklitte- rung‘ (S.199, 25): „macht die zech ohn seinen Wirt“ (/Rechnung, /Wirt). Der letzte muß die Zeche bezahlen: vor allem mdal. mit gleichem Sinn gebraucht wie: ,Den letzten beißen die Hunde4. Zeh. Einem auf die Zehen treten: ihn beleidigen; vergröbernd veranschaulichende Parallelbildung zu hd. ,jem. zu nahe treten4. Im Barock hatte sich die bildl. Bdtg. der Rda. noch nicht voll ausgeprägt; so heißt es in Lohensteins ,Arminius4 (2, 251b): „Der Tod tritt keinem beherzten Mann auf die Zehen“, ein Mann empfindet den Tod nicht als unangenehm. Jem. drückt der Zeh: er wird von einer Sorge bedrängt. Er hat Schmerzen in der kleinen (großen) Zehe (ndd. ,Liefweh in’n groten Tehn4) sagt man von einem bloß eingebildeten Kranken. Ähnl.: Man darf ihn nicht an die kleine Zehe stoßen: er ist überempfindlich. Es im kleinen Zeh spüren: es ahnen; hergenommen vom Auftreten rheumatischer Schmerzen bei Witterungswechsel, auch von Frost in den Zehen; 20. Jahrhundert. Jem. geht über die große Zehe, d. h. mit einwärts gekehrten Fußspitzen: er ist betrunken; schlesw.-holst. ,He löppt öwer’n Tehn4. Schwab, zur Bez. einer gesuchten Lüge: ,Der holts vom großen Zehen herauf4; westf. ,up elw Teiwen gahn\ eitel, geckenhaft sein. Aus der Fülle der mdal. Rdaa. seien noch genannt: schlesw.-holst. ,Pedd di man ni op’n Tehn4, mach keine Dummheiten; schwäb. ,Dem ist’s Herz in große Zeh gfalle4, er hat den Mut verloren; ,0 weh, mei Zeh!4, weit gefehlt. Zehnte. ,Der Zehnte4 wird sprw. für .mancher4, .viele4 gebraucht, z.B. Das weiß der Zehnte nicht; das kann der Zehnte nicht vertragen. Ähnl. schon bei Luther: „Solchen glauben haben wir nicht alle, o wolt Got, das in der zehente mensch hätte“ (Weimarer Ausg., 10. Bd., 3. Teil, S.52). In den Mdaa. hat sich die Rda. bis heute erhalten, z.B. schwäb. ,der Zehnt net4, kaum einer, fast keiner; thiir. .Der nönt wuaß niet, wo de zähnt dr Schu dröckt4. Zeichen. Er ist seines Zeichens ein Schmied (u.a.): er ist Schmied von Beruf; so auch mdal., z. B. schlesw.-holst. ,He is seines Te- kensenSmid4. Die Wndg. geht aus von den ,Haus- und Hofmarken4, die seit alter Zeit als Personen- und Besitzzeichen dienten. Auch die Handwerker zeichneten ihre Ware auf ähnl. Weise. Im 16. Jh. war die weiteste Verbreitung der Haus- und Handwerkszeichen erreicht. Noch nach dem Wegfall des Brauches blieb der sprachl. Ausdr. für die Berufsbez. Das ist ein Zeichen der Zeit; die Zeichen der Zeit richtig verstehen. Beide Rdaa. gehen zurück auf Matth. 16, 3 („Könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen dieser Zeit urteilen?44). Dem gemeinsamen bibl. Urspr. entspr. findet sich die Wndg. auch in vielen anderen Sprachen, z.B. engl. ,a sign of the times4, frz. ,les signes du temps, de l’époque4, ndl. ,de tekenen des tijds4. Die schwäb. Rda. ,Heut ist er im böse Zei- che4, er hat Unglück, findet ihre Erklärung im Volksglauben an Vorzeichen und Sternbilder, /Stern. Lit.: E. G. Homeyer: Haus- und Hofmarken (1870); E. Grohne: Die Hausnamen und Hauszeichen (1912); T. E. Karsten: Finn, taika .Vorzeichen, Wahrsagung4 und die Etymologie des Wortes Zeichen, in: Festschrift F. Kluge (Tübingen 1926), S. 65-69; A. M. Frank: Hausmarken und Hauszeichen (1944); HdA. VIII, Sp. 1730-1760, Art. .Vorzeichen, Prodigia4 von W. E. Peuckert; Wander V, Sp. 521; RGG. 3IV, Sp. 1628f. Art. ,Omen4 von L. Röhrich. zeigen. Es einem zeigen: ihn zurechtweisen, scharf mit ihm reden, auch: sich Respekt verschaffen. Lit. bei Ina Seidel (,Lennak- ker4, 1938, S. 464): „Denen wer’n wir's schon zeigen, denen Leisetretern, den Heimlichtuern (raunt es in der erregten Menge gegen die Jesuiten)44. Die Rda. ist seit der 2. H. des 17. Jh. belegt und noch heute mdal. geläufig, z.B. schwäb. ,Dem will i's scho zeige4, bei dem will ich meine Absicht schon durchsetzen. Die Rda. stellt wohl eine Verkürzung ähnl. Ausdrücke mit gleichfalls ablehnender Tendenz dar, wie ,den Rücken, die kalte Schulter, die Zähne, die Faust zeigen4, ,es einem zeigen, wie stark man ist4, ,zeigen, was eine /Harke ist4, ,zeigen, wo der Zimmermann das /Loch gelassen hat4; oberoesterr.: ,Ich will ihm zeigen, wo ihm der Arsch steht4. Mit dem Finger auf jem. zeigen /Finger. 1174
Zeitlich Zeile. Zwischen den Zeileti lesen: etw. herauslesen, was die Worte des Textes nicht ausdrücklich sagen, was aber doch in ihnen liegt; Ungeschriebenes, Ungesagtes aus Andeutungen oder kennzeichnenden Liik- ken begreifen. Wirklich zwischen die Zeilenschrieb man im MA. die lnterlinearver- sionen, d.h. Übersetzungen der Art, daß über jedes einzelne fremdsprachl. (lat.) Wort das entsprechende dt. geschrieben wurde. Aber mit diesem Brauch der Klosterschreiber hat die Rda. nichts zu tun; sie ist vielmehr erst im 19. Jh. aufgekommen. „Daß es Euch gut und behaglich geht, hat mir ja der Brief von Euch in und zwischen den Zeilen gesagt“ (Wilh. Raabe, 1876, Sämtl. Werke 2, 5, 100). Zeit. Die Zeit totschlagen: drastisch übertreibendes Bild für: ein Mittel gegen die Langeweile suchen. Nur alle heilige Zeit etw. tun: sehr selten (eigentl.: nur zu den kirchlichen Feiertagen). Schwab. ,die Zeit abnehmen1, für einen Gruß danken (eigentl.: für das Entbieten eines Tageszeitgrußes, wie z.B. ,guten Morgen4, ,guten Abend*). Schlesw.-holst. ,Dat wer ok Tied4, das fehlte gerade noch. Die Zeichen der Zeit verstehen /^Zeichen. Zu Zeit oder Unzeit reden: immer, ob es nun günstig oder ungünstig ist, auch wenn es manchen nicht gelegen kommt und sie nicht zuhören wollen. Die Wndg. ist bibl. Ursprungs. Bei 2.Timotheus 4,2 heißt es: „Predige das Wort, halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit44. zeitlich. Das Zeitliche segnen: sterben; eine seit der 2. H. des 17. Jh. belegte rdal. Umschreibung, die von der alten Sitte ausgeht, daß der Sterbende sich auf den Tod vorbereitete und von der irdischen Welt, der ,Zeitlichkeit4, Abschied nahm, indem er Gottes Segen auf sie herabwünschte. Der eigentl. Segnende ist also Gott, der dabei den für bes. wirksam gehaltenen letzten Wunsch des Sterbenden erfüllt. So heißt es in Jakob Ayrers (gest. 1625) Drama Melusine4 (S.25 ff. Keller): Nun sieht mich kein Mensch nimmermehr, Gott gesegn euch alle, wo ihr seyt! Gott gesegn mir alle Wollustbarkeit! Gott gesegn mein Herren und Gemahl! Gott gesegn euch, Berg und tiefe Thal! Ähnl. Segensformeln der Sterbenden sind mehrfach in frühen Volksballaden und Abschiedsliedern bezeugt. In der Ballade von ,Peter Unverdorben* (E. B. I, Nr.60), die in einer Hs. des 15. Jh. aus dem Kloster St. Georgen zu Villingen überliefert ist, spricht der Gefangene vor seiner Hinrichtung: Gott gseg'n dich Laub, Gott gseg’n dich Gras, Gott gsegen alles das da was! Ich muß von hinnen scheiden. (Str. 10) Gott gsegn dich Sonn, Gott gsegn dich Mond! Gott gsegn dich schöns Lieb, wo ich dich han, Ich muß mich von dir scheiden. (Str. 12) Auch in der ndd. Fassung des ,Tannhäuserliedes4 (E. B. I, Nr. 17c), das auf einem fliegenden Blatt um 1550 Verbreitung fand, steht die bekannte Abschiedsformel von » der Welt, als Tannhäuser in den Venusberg zurückkehrt: Got gesegen di, Sünne unde Maen, Darto mine leven Fründe! (Str. 24) Noch in unserem Jh. ist die Abschiedsformel in einer Aufzeichnung aus Deutsch- Pilsen in ganz ähnl. Weise in der Ballade ,Abendgang4 vorhanden: (Röhrich-Brednich, Dt. Volkslieder, I, Nr. 12b, Str. 12) Gott gesegn dich Sonn und Monde, Deßgleichen Laub und graß, Gott gesegn dich freud und wonne, Und waß der Himmel beschoß. Durch die Zusammenfügung der Segensstrophen aus der Ballade ,Peter Unverdorben4 zu einem selbständigen Lied sind die Verse in Dtl. bis zur Ggwt. in der Erinnerungbewahrt geblieben. Ähnl. Wndgn. wie ,das Zeitliche segnen4 sind: das Zeitliche verlassen, den Weg alles Zeitlichen gehen und das Zeitliche mit dem Ewigen verwechseln. Außerdem kennt die dt. Sprache für ,Tod‘ und ,Sterben4 eine Fülle von verhüllenden oder umschreibenden Ausdrücken (Euphemismen). Man vermeidet das Wort ,sterben4 urspr. aus derselben Furcht, aus der man es vermied, den Namen des Toten 1175
Zeitlich auszusprechen, außer mit dem Zusatz ,selig4 (,de mortuis nil nisi bene4). Eine Gliederung des großen sprachl. Materials ergibt sich bei dem Versuch, die interessante Frage zu beantworten, welche kul- turhist. Vorstellung jeweils hinter den einzelnen Ausdrücken steht. Antike Ausdrücke leben fort in den Wndgn.: »entschlafen4, ,den Geist aufgeben4, ,das Feuer der Augen verbleicht (erlischt)4, ,die Augen schließen4, ,den Lebensfaden abschneiden4, ,sein Leben aushauchen4 (»animam efflare4) und ,die Asche ruht4. Die Euphemismen, die Lessing anführt: ,Er hat gelebt4, ,er ist gewesen4, sind nur in der Art ihrer Rhetorik und Stimmung den antiken Schriftstellern nachgeahmt, aber in der Umgangssprache nicht gebräuchl. (Wilhelm, S.80). Dichterisch und erst der nhd. Sprache zugehörig sind Wndgn. wie ,sein letztes Stündlein hat geschlagen4 und »seine Uhr ist abgelaufen4. Inwieweit die Totentänze (vgl. auch die Sanduhr in der Hand des Todes auf Dürers Kupferstich »Ritter, Tod und Teufel4) einwirkten, wird sich schwer entscheiden lassen. Viele der Ausdrücke entstammen der christl.-kirchlichen Sprache. Da die Kirche dem Menschen den ersten und den letzten Gruß gibt und die Trauernden am Grabe mit Trost und Hoffnung zu erfüllen versucht, gehen gerade von ihr viele Euphemismen und bildl. Ausdrücke über Sterben und Totsein aus, wobei die sprachl. Bilder den jeweiligen theologischen Anschauungen der Zeit entsprechen, in der sie entstanden. Verhältnismäßig früh haben sich Euphemismen in unserer Sprache eingebürgert, die auf scholastischen Anschauungen beruhen. Eine bes. fruchtbare Zeit dafür war die Mystik. Die Wndg. ,jem. ist abgeschieden4 stammt zweifellos daher, denn sie besagt, daß sich die Trennung zwischen Körper und Seele vollzogen habe. Der Idealzustand, den alle Mystiker erstrebten, war die »Abgeschiedenheit4, die sich erst nach dem Tod ganz erfüllen konnte (Wilhelm, S. 75 f.). Scholastisch-mystische Wndgn. wie »seine Seele fliegt zum Himmel4, »zur Engelschar4 leben z.T. in der Volkssprache weiter: ,es spielt mit dem Englein4 (beim Tode eines Kindes), ,himmeln4, ,einhimmeln4, ,zum Jesulein schappern4 (schles.); »der liebe Gott ist bei uns eingekehrt4 (Schwaben, 18. Jh.). Auf die lat. Kirchensprache geht zurück der köl. Ausdr. »Er ist ripsch4 (eine Abkürzung von »Requiescat in pace4). Verschiedene Wndgn. sind aus der Übers, des,Vocare in vitam aeternam (in coelum)4 u.ä. entstanden, wie »Gott ruft jem. in die Ewigkeit4, ,zu seinen Engeln4, ,in ein besseres Jenseits4, ,in die ewige Heimat4, »unter die Engel aufgenommen werden4, »ein Engel sein4, ,zum Herrn eingehen4 und »Gott hat ihn zu sich genommen4. Im MA. sind die Euphemismen, die die Bibel in großer Zahl aufweist, kaum verwendet worden, sie werden erst durch philologische Bibelstudien und die Einwirkung von Luthers Bibelübers. in die dt. Sprache aufgenommen. Auch die Blüte des ev. Kirchenliedes hat dazu beigetragen, daß viele Wndgn. aus dem A.T. und N.T. umg. geläufiggeworden sind. Auf 1. Mos. 3,19 bezieht sich die Wndg. ,zu Staub, zu Erde werden4. Die Rda. ,in den Himmel eingehen4 läßt sich wohl auf ,intrare in regnum coelorum4 zurückführen. »Den Kampf der Leiden auskämpfen4, ,den Geist aufgeben4 beziehen sich auf die Leidensgeschichte Christi. »Sein Stündlein ist nahe4 ist aus Matth. 26,18 genommen: ,tempus meum prope est\ Die Wndg. ,in das Reich seiner Väter4 oder auch bloß ,zu seinen Vätern versammelt werden4 findet sich im Buch der Richter 2,10: „omnisque illa generatio congregata est ad patres suos“; ,zu seinem Volke versammelt werden4 steht l.Mos. 25, 8; 49, 29. Genannt seien noch: ,in die Grube fahren4, ,in Abrahams Schoß eingehen4, ,den Weg alles Irdischen, allen Fleisches gehen4. In mehreren Rdaa. für »sterben4 wird auf Petrus als Himmelspförtner angespielt: ,bei Petrussan eis Ausgedinge gegangn4 (schles.); ,de möt bi Petrus ankloppen4; ,de geiht na Petrussen4; ,de möt nu ok Petrus de Piep stoppen4; ,de ward ok Petrus sin Handlanger4 (meckl.). Die oft phrasenhaften Wndgn. in Todesanzeigen, auf Grabmälem und Gedenktafeln stehen z.T. in bewußtem Gegensatz zur Volkssprache. Man sucht sich dabei möglichst gewählt, vornehm und feierlich auszudrücken. Insbes. die älteren Formeln 1176
Zeitlich dieser Art sind uns heute kaum mehr verständlich: ,das Ableben1, ,seine Ableibung erfolgte4 (18. Jh.), ,zur großen Armee abberufen werden4, ,das Zeitliche mit dem Ewigen verwechseln4 (häufig im 18. Jh.); ,im Lande der Vollendung wandeln4, meinen Lauf vollenden4, ,in die Gruft steigen4. Heute noch kann man häufig lesen: ,Er ist für immer von uns gegangen4, ,aus unserer Mitte geschieden4, ,er ist uns (in eine bessere Welt) vorangegangen4. Eine Reihe älterer und heute völlig vergessener Wndgn. für ,sterben4 hat Joh. Agricola in seiner Sammlung dt. Sprww. (1534) zusammengetragen: ,mit der hawt bezalen4, ,er ist zum Fuchß worden4 (mit Bezug auf die unterirdische Wohnung), ,er hat sich verkrochen4, ,er lest sich nymmer sehen4, ,er ist auff dem rucken zur kirchen gangen4, ,es ist vmb eyn böse stund zu thun4. Das Mhd. ist reich an solchen Wndgn.; sie sind oft aus der Kriegsoder Rechtssprache genommen: ,in wärn diu strites muoder mit swerten alze wit ge- sniten4 (Wolfram, ,Willehalm4 52, 6f.); aber auch außer solchen ganzen euphemistischen Sätzen wird ,sterben4im Mhd. meist umschrieben: ,den lîp län, Verliesen4, ,daz leben Verliesen4,,hinnen varn4, ,do schiet er und die sêle sich4, ,daz du wort nimmer mê gesprichest4, ,ze suone geben das leben4, ,ein phant lazen4, ,dannoch soi er mir sin leben vür min guot ze gelte geben4 etc. Gegenüber den oberschichtlichen Formulierungen kennt die heutige Volkssprache (Umgangssprache und Mundart) u.a. die folgenden rdal. Umschreibungen für Sterben4: ,den letzten Tag sehen4, ,den letzten Seufzer tun4, ,ein stiller Mann werden4, ,mit dem ist’s vorbei4, ,er hat’s Brotessen vergessen4, ,er hat’s Atemholen vergessen4 (schles.), ,de het sik utlacht4, ,de het sik up’t Uhr leggt4, ,de hürt den Kuckuck ok nich weder rupen4 (meckl.), ,ihm ist die Pfeife ausgegangen4, ,er hat den Eimer umgestoßen4, ,sich zur Ruhe begeben4, ,de slöppt den langen Slap4, ,de is sin Last los4, .seine Rechnung abschließen4, ,de brukt nix mihr4, ,die Finger werden gleich lang4, ,er hat sich fortgemacht4, ,er geht den Weg, den schon viele gegangen sind4, ,um die Ecke gehen4, ,he is’n Barg oawer4,,einpaar Schuh tiefer steigen4 („Jetzt gehts Erden zu! Jetzt steig i a paar Schuh tiefer44, Karl Schönherr, Erde),,einen hinaustragen, die Beine voraus4, ,auf’n Schragn kumma4 (bair.), ,den grasigen Weg gehen4, ,der grüne Rasen deckt ihn4, ,er hat ein grünes Kleid angezogen4, ,in die Nüsse gehen4 (,Hä es ii de Nesse gegange4), ,der Welt Lebewohl sagen4, ln Schlesien sagt man: ,Die schwarze ?Kuh hat ihn getreten4, ,die Schuhe drücken ihn nicht mehr4. Schon bei Fischart, Luther, Agricola, Seb. Franck und Grimmelshausen. In einigen Rdaa. wird auf den Gedanken der Jenseitsreise angespielt: ,die große Reise antreten4, ,den Reiserock anhaben4, ,die Reisegamaschen anhaben4, ,die Reisestiefel anziehen4. Wenn einem Kranken die Füße schwellen, sagt man: ,Er hat schon die Reisestiefeln an4. Auffallend ist der meckl. Ausdr. für einen moribundus: ,De schickt sin Seel ok bald na Kopenhagen4. Vor allem aus der Seemannssprache stammen solche Ausdrücke für ,sterben4, wie z.B. ,über Bord gehen4, ,die letzte Fahrt antreten4, ,absegeln4, ,abrudern4, ,sich einschiffen4, ,in den Hafen einlaufen4. Altertümlicher als diese allg. Bilder sind einige rdal. Umschreibungen, die an den Gedanken der Seelenüberfahrt erinnern, wie z. B. ,über die Wupper gehen4, ,an den Rhein gehen4. Diese Ausdrücke sind alt; schon Caesarius von Heisterbach (um 1250) bezeichnet in seinen Dialogen (XI, 33) das Sterben mit dieser Wndg. Andererseits ist im Ndl. ,over de Rijn gevaren zijn4 ein Ausdr. der erotischen Bildersprache für ein Mädchen, das Geschlechtsverkehr gehabt hat, doch ist der Übergang von einem Tabu-Bereich in den anderen durchaus denkbar. Aus der alem. Rda. ,in die Holzbirnen gehen4, sterben, will Rochholz auf den Wald als Aufenthaltsort des Todes schließen; doch werden die Holzbirnen lediglich auf den abgeernteten frostigen Spätherbst hin- weisen, eine kritische Zeit für die Greise, auf die bereits im ,Renner4 (V. 24344) des Hugo von Trimberg hingewiesen wird: seht als müzzen wir von hinnen alle scheiden nach der birn valle. Die Strelitzer Rda. ,De is up Nobelskrog (Nowerskrog), sett Kegel up4 bezieht sich auf den Nobiskrug, das sagenhafte Totenwirtshaus. 1177
Zeitlich Eine Reihe von Rdaa. bezieht sich auf ältere Totenbräuche : ,Et gäit met em bald tor Niendür herut4 sagt man in Westfalen von einem Todeskandidaten, weil der Sarg stets zur Niendür hinausgetragen wird. An die ,Doodenkringel\ die es beim Leichenschmaus gab, erinnert noch die Rda. ,De günnt uns woll’n Kringel1. Früher wurden die Toten auf Stroh aufgebahrt. Die Erinnerung an diesen Brauch lebt noch in rhein. Rdaa. wie ,et laid Schoof4, ,op et Schoof läute4 (= das Glockenzeichen, das von einem Todesfall Kenntnis gibt). In Hessen sagt man von einem Sterbenden: ,Der läuft auch auf de Kirchhofschlappe4. Die Rda. bezieht sich vielleicht auf die besonderen Totenschuhe, die dem Toten mitgegeben wurden. Die bair. Wndgn.,Brettl rutschen4, ,aufs Brett kommen4, sterben, spielen an auf die alte, sarglose Begräbnisart, wobei die Leiche auf dem Totenbrett zum Grab getragen und vom Brett hinuntergelassen wurde. Auch das Wort Sarg bleibt in den Rdaa. unausgesprochen, obwohl er der Sache nach zu zahlreichen rdal. Paraphrasen des Sterbens gehört, z. B. ,nach Holzhausen kommen4, ,sich den Holzrock machen lassen4, ,er hat einen hölzernen Rock angezogen4, ,er riecht nach Tannenholz4 (Mainz), schwäb.: ,er dannelet scho4 (im Gedanken an die Tannenbretter des Sarges). Vielfach spielen die Rdaa. auf den Kirchhof an. Der Verstorbene ,muß dem Pfarrer die Hühner hüten4, ,er ist dem Mesner sei Hennehirt4 (schwäb. ; der Mesner als Anwohner des Kirchhofes). ,Willst du St. Michaels Hennen hüten?* sagt man zu einem Kind, das sich leichtsinnig in Lebensgefahr begibt. ,He mutt na Kösters Kamp4 (Schleswig). Meist wird der Friedhof irgendwie umschrieben, bes. durch die Richtung seiner Lage, oder der traditionelle Weg des Leichenzuges bildet den Grundstoff zu lokal verschiedenen, aber strukturell gleichen Rdaa., in denen oft nur der Name ausgewechselt wird: ,nach Melaten tragen4 (Köln), ,auf den Schellenberg kommen4 (Erbach/Ehingen), ,do geht’s bald de Herschbrunn nuff4 (Künzelsau), ,mit dem goht’s de Krommschenkel na4 (Tübingen), ,uff dr Pitterschwäldr Seite lieja4 (schles.; der Friedhof liegt in Richtung Peterswalde), ,dai giit hurdich am Hänjer vorbei* (am Hansjörg vorbei; Ulfa/Wetterau), ,er muß in die Pappelallee4 (sächs.),,unter der Trauerweide liegen4, ,de is bi’n leiwen Gott in ’n Ellerbrock* (meckl.), ,de kümmt achteren Tun4, ,achter de Muer4, ,na de lang Reihg4 (meckl.), ,er muß nach Philippsgrün4 (Pommern; der Teufel stellt sich als ,Jan Kräuger aus Phillippsgrün4 vor). In Stuttgart kannte man beispielsweise die Rda.,Er sitzt auf dem Törle4, weil sich über dem Neuen Tor seit dem Jahr 1547 ein Gemach befand, in welches zum Tod verdammte Verbrecher nach der Urteilsspre- chung gebracht wurden; gleichbedeutend wurde mit Hilfe einer Flurbezeichnung gesagt: ,Mit dem geht’s bald dem Krauchen zu4. In Augsburg ging es entspr. zum ,Hen- nadone4, anscheinend nach einem viele Hühner haltenden Friedhofküster namens Anton. In München geht’s ,zum St. Stef- fej‘. Im Gegensatz zu all diesen umschreibenden Wndgn. stehen einige Ausdrücke, die keine Milderung, sondern eine drastische Realistik zeigen, die sich bis zur Frivolität steigern kann. Sie sind nicht Zeichen einer Gemütsroheit, sondern der kräftige Ausdr. enthält sozusagen eine Gegenkraft zu dem Begriffsinhalt,sterben*. Auch hier wird das Wort selbst vermieden, aber durch naturalistische Derbheit übertrumpft oder durch Humor bewältigt. Hierher gehören die Wndgn. ,abflattern*, ,abzwitschern*, ,abschnappen*, ,abkratzen*, ,verrecken*, krepieren4, ,hops gehen*, ,flöten gehen4, ,vor die Hunde gehen*, ,abnibbeln4 (sächs.), ,aufamseln4 (schwäb.), ,de is afschrammt, afschurrt*, ,de het sik dorvon afmakt* (meckl.), jetzt hat er a ausgschnauft4, ,es hat ihn verschnellt* (student, in den zwanziger Jahren), ,s macht Feirobd mid m‘, ,er hat sich den Rest geholt*, ,er hat die Hosen heruntergemacht4, ,nen Deckel auf die Nas kriegen* (rhein.), ,den halt de Deuwel ok uppe Schinnerkarr4, ,eine Schaufel Erde auf den Kopf bekommen4, ,Erde kauen4, ,Sand äten4,,unter die Mehlwürmer gehen4, ,den hebben se henbröcht, wo de Mullworms em uppe Näs danzen4, ,de kümmt na Madnhof4, ,sich die Radieschen von unten bekieken4 (berl.), ,de is de Juden los4, ,dem tut der Kopf nicht mehr weh4, .ihm tut kein Zahn mehr weh*, ,er hat’s letzte Brötche 1178
Zeug gefresse\ ,den letzten Dreck geschissen', ,den letzten Kringel gekakt', ,de het sin mihrsten Gesang sungen\ Jetzt hat der Arsch Feierabend', ,den Arsch zukneifen', ,dem ist der Arsch zugschnappt', ,er hat einen kalten Arsch', Jetzt schlagt ma ihm d'Schaufel aufs Loch'. Eine ganze Reihe dieser schnodderigen Rdaa. stammt aus der Soldatensprache; ihr grimmiger Humor ist gerade in dieser Sphäre psychologisch leicht erklärbar aus dem Bestreben, sich in widrigen Lagen nichts anmerken zu lassen. Hierzu gehört auch: ,ins Gras beißen' (to bite the dust), ,auf die Verlustliste kommen', ,Grüß mir meine Witwe!' (vor einem gefährlichen Unternehmen), ,sich beim alten Fritzen im großen Hauptquartier melden', ,sich von der Verpflegung abmelden'. Vgl. ferner: ,zur großen /Armee abberufen werden', ,das /Fell versaufen', ,daran /glauben müssen', ,sich im /Grab umdrehen4, ,Freund /Hein4, ,in die ewigen /Jagdgründe eingehen', ,die schwarze /Kuh hat ihn getreten', ,einen auf die /Lampe gießen', ,das /Leben kosten', ,das /Lebenslicht ausblasen', ,den /Löffel aufstecken (wegwerfen)', ,/Matthäi am letzten', ,mit des /Seilers Tochter Hochzeit machen'; /Seele, /Tod. Lit.: N. Beckmann: Über gewisse geringer oder schwächer gemachte Ausdrücke und Vorstellungen im gemeinen Leben, in: Dt. Museum 2 (1783), S.519ff.; J. Grimm: Dt. Mythologie, Nachdruck der 4. Ausg. (Tübingen 1953), II, 700-713; E. L. Rochholz: Dt. Unsterblichkeitsglaube (Berlin 1867), S. 140-143; R. Wossidlo: Der Tod im Munde des meckl. Volkes, in: Zs. f. Vkde. 4 (1894), S. 184-195; F. Wilhelm: Die Euphemismen ... über Sterben und Totsein, in: Alemannia 27 ( 1900), S. 73ff.; R. Neubauer:„Ex ist zur großen Armee abgegangen“, in: Zs. des Vereins f. Vkde. 14 (1904), S. 313-316; H. Schulz: Frühnhd. Euphemismen (Diss. Straßburg 1908); H. Höhn: Mitteilungen über volkstüml. Überlieferungen in Württ., Nr.7; Sitte und Brauch bei Tod und Begräbnis (Stuttgart 1913), S. 326; F. Seiler: Dt. Sprichwort künde (München 1922), S. 171 u. S. 409-413; K. Rother: Die schles. Sprww. und Rdaa. (Breslau 1928), S. 117-123; HdA. VIII, Sp. 439f.; F. Dornseiff: Der dt. Wortschatz nach Sachgruppen (Berlin 41954), S. 147ff.; D. Narr: Zum Euphemismus in der Volkssprache. Rdaa. und Wndgn. um ,tot‘, ,Tod‘ und ,sterben4, in: Württ. Jb. f. Vkde. 2 (1956), S. 112-119; H. Bausinger: Volkskultur in der technischen Welt (Stuttgart 1961); L. Röhrich: Gebärde- Metapher-Parodie (Düsseldorf 1967), S. 43 ff.; H. L. Cox: Die Bezeichnung des Sarges im Kontinental-Westgermanischen. Eine wortgeographischvolkskundliche Untersuchung. (Atlas der Dt. Vkde., NF., Beiheft 2), (Marburg 1967); Y. Rudolph: Grabinschriften (Staatsexamensarbeit Freiburg 1972). Zelt. Seine Zelle auf schlagen: sich niederlassen, bleiben. Seine Zelte abbrechen: ab- reisen; erst seit dem 20. Jh.; vielleicht eine Weiterbildung zu ,Hütten bauen', /Hütte. Zetermordio. Zetermordio (Zeter und Mordio, Zeter und Mord) schreien: laut, jammernd, gellend um Hilfe schreien. ,Zeter' ist vermutlich zusammengezogen aus ,ze aehte her', d.h. zur Verfolgung. Wer in Not,Zeter' rief, verpflichtete die Mitbürger zu sofortiger Hilfeleistung. ,Mordio4 ist ein aus Mord abgeleiteter Notschrei. Im heutigen verblaßten Sinne etwa seit dem 19. Jh. geläufig. Lit.: Kluge, S. 883, Küpper I, S.354; N. Törnquist in: Studia neophil. 11 (1938), S. 318ff. Zeug. Einem (etw.) am Zeuge flicken: ihn kleinlich tadeln, schulmeistern; wörtl. genommen: an seinem Zeuge, seiner Kleidung, etw. flicken, d.h. in Ordnung bringen. In bildl. Übertr. findet sich die Rda. seit der 2.H. des 18. Jh., so z.B. in G.A. Bürgers Gedicht ,Der Kaiser und der Abt4 von 1785: Der Kaiser will gern mir am Zeuge was flicken Und hat mir drei Nüss’ auf die Zähne gepackt. Auch mdal. ist die Rda., vor allem mit Betonung des gesuchten Tadels, geläufig; z. B. ndd. ,enem wat an dem Tüge flicken', einem Ungelegenheiten machen, Verdruß und Händel erwecken, sich an einem reiben. Auch lit. bei Reuter: „(sie klagten) dat en jeder ehr (der Judenschaft) an’t Tüg wat flickt44 (Läuschen und Rimels, ,Dat kümmt mal anders4). Ebenfalls zu Zeug = Kleidung gehört: gut im Zeug sein: anständig, gut gekleidet sein, über einen ausreichenden Kleidervorrat verfügen. Sich ins Zeug legen; tüchtig ins Zeug gehen: sich anstrengen, sich kräftig bemühen, sich für etw. einsetzen; ähnl.: ,ins /Geschirr gehen', ,sich in die Stränge legen4. Zeug bedeutet hier das Geschirr der Zugtiere (die gleiche Vorstellung liegt dem gegensätzlichen Ausdr. ,ausspannen4 = ausruhen, sich erholen zugrunde). Auch in den Mdaa. reich belegt, z.B. in Basel ,ins Züg haue4; obersächs.-erzgeb. ,sich ins Zeug werfen4, tüchtig an die Arbeit gehen. 1179
Zicke Scharf ins Zeug gehen: scharf Vorgehen, rücksichtslos sein. In etw. anderer Form lit. bei Goethe: „nun fuhren sie... mit einem leidenschaftlichen Monolog ins Zeug“ (Weimarer Ausg. 24, 168). Auch die sehr geläufige Rda. Was das Zeug hält (oder halten will): mit äußerster Anspannung, aus Leibeskräften (z.B. arbeiten, rennen), bezieht sich urspr. wohl auf das Geschirr der Zugtiere, vor allem der Pferde (vgl. ober- sächs. ,Er arbeitet drauflos, was das Leder hält1, /Leder), kaum auf das Gerät des Landwirts oder das Werkzeug des Handwerkers. Lit. belegt ist die Rda. z.B. 1778 bei Lessing (,Eine Parabel4): „Schreiben Sie, Herr Pastor, und lassen Sie schreiben, so viel das Zeug halten will: ich schreibe auch“. Auch in den Mdaa. sehr häufig belegt, z.B. ndd. ,lopen, wat dat Tüg holen well4; vgl. in der Gegenwartssprache: ,was der Motor hergibt4. Das Werkzeug dagegen ist urspr. gemeint in Wndgn. wie das Zeug zu etw. haben: zu etw. befähigt, begabt sein; lit. z.B. bei Gottfr. Keller ^Nachgelassene Schriften und Dichtungen4, 1893, S. 136): „Ein dem Herrn gefälliges Kunstwerk zu schaffen ..., da er das Zeug dazu empfangen hat44. Beim (im) Zeug sein; auf dem Zeuge sein: leistungsfähig, tüchtig, energisch sein. Lit. z.B. bei Brentano (Ges. Schriften 8,26): „Beständig im Zeug und voll Begeisterung“. Verwandte Rdaa. sind in den Mdaa. noch vielfach verbreitet, z.B. bair. ,bam Zuigsein4, einer Sache gewachsen sein; ,nit recht bam Zuig sein4, nicht recht bei Tröste sein; ,etw. zem Zeug bringen1, zustande bringen; schwäb. ,er isch nit im Zeug4, er geht nicht seinem Geschäft nach; ,im Zeug sein4, etw. besitzen, reich sein; sächs. ,auf dem Zeuge sein4, sich Wohlbefinden, gesund sein;,aus dem Zeuge gehen4, flott arbeiten; ostfries. ,sük fast upt Tüg setten4, sich gut vorbereiten, auf alles gefaßt machen. Ul.: E. Meyer: Jem. etw. am Zeuge flicken, in: Zs. f. d. U. 25 (1911), S. 572. Zicke. Zicken machen: dumme Streiche machen; närrische Einfälle, seltsame Anwandlungen haben; unüberlegt handeln. Die Rda. ist vorwiegend mdt. und bes. berl.; vgl. aber auch oberoesterr. ,bei dem zickts4, der hat seine Launen. Die Wndg. ist entweder vom unberechenbaren Gebaren einer/Ziege hergenommen, wofür die Parallelität zu ,Kapriolen machen4 (Bockssprünge vollführen) spricht, oder sie kann auch vom Gehen im Zickzack hergeleitet sein, denn berl. heißt ,’ne Zicke machen4 einen Bummel machen, und bei Gerhart Hauptmann steht in ,Rose Bernd4 (I): „Ich mecht bloß wissen, was du fer Fahrten und Zicken machst“. An anderer Stelle (,Mignon4, 1947, S.84) schreibt er: „Solche Zicken hast du schon als Student gemacht“. Im Kartenspiel ist Zicke zu der Bdtg. ,Zehn4 gekommen; dazu gehört die ober- sächs. Skatrda. ,Raus mit der Zicke ufn Deichdamm!4; schles. ,Raus mit dr Zicke uff a Markt!4 Ziege. Die Ziege beim Schwanz haben (halten): bei einem Unternehmen keinen Erfolghaben. Schles. ,die Ziege in den Garten lassen4, ,den /Bock zum Gärtner machen4. Schlesw.-holst. ,He geit davun as de Seg vun’n Sehet4, er läuft von der Arbeit weg, läßt alles stehen und liegen. Er hat es in sich wie die Ziegen das Fett: er läßt sich seine Schlauheit, seine Vorzüge äußerlich nicht anmerken; die Rda. findet sich in mehreren Mdaa. Auf die faule Ziege kommen: sich herumtreiben. Obersächs.-erzgeb.,Du kannst mir nicht die Ziege fuchsen4, kannst mir nichts anhaben. Vielleicht die längste und sonderbarste Entwicklungsgesch. eines Sprw., entstanden aus einer Erzählung, hat AÎÇ tf)v Mdxoupav = the goat (Var. the sheep) the knife = Die Ziege das Messer: Als eine Ziege geopfert werden sollte, konnte man kein Messer finden. Aber die Pfote des Tieres zeigte auf ein Messer im Boden, und das Opfer wurde vollzogen. Die Geschichte hat arabische und sogar Hindu-Parallelen. In einer merkwürdigen ital. Fassung des Sprw. ist eine Henne an die Stelle der Ziege oder des Schafes getreten. Wir könnten das als eine bloß zufällige Substitution ansehen, aber Wesselski, der die Gesch. der Erzählung und des Sprw. ausgiebig untersucht hat, zeigt, daß es entstanden ist aus einem mißverstandenen span. Wort (nach Taylor, Proverb, S. 29 f.). Ein dt. Sprw. hat in seiner 1180
Zimt längeren Fassung die Erinnerung an diese Erzählung deutlich bewahrt, denn es heißt: ,Es hat wohl eher eine Ziege ein Messer für die eigene Kehle aufgescharrt1. Lit.: A. Wesselski: Erlesenes, Gesellschaft dt. Bücherfreunde in Böhmen VIII (Prag 1928), S.98. Ziel. (Weit) übers Ziel hinausschießen: zu weit gehen. Die Rda. stammt aus der Schützensprache; ähnl. 1649 bei Gerlingius (Nr. 81 ): „De gradu dejicere. Vber das ziel werffen11. Früher auch: .weit über den Zweck (den Pflock inmitten der Zielscheibe) schießen'. Einem das Ziel verrük- ken: ihm die Erreichung seines Zweckes erschweren, seine Absichten vereiteln. Zieten. Wie Zielen aus dem Busch: plötzlich und unerwartet auftauchen, so rasch und entscheidend wie Friedrichs des Großen berühmter Reitergeneral Hans Joachim von Zieten (1699-1786) auf den Schlachtfeldern des Siebenjährigen Krieges. Schon 1774 erwarb dieser sich den Namen .Zieten aus dem Busch', und dieser Name erhielt die Prägekraft eines Zitats durch das hist. Gedicht Theodor Fontanes ,Der alte Zieten1, wo die Wndg. in der ersten und letzten Str. vorkommt: Wie selber er genommen, Die Feinde stets im Husch, So war der Tod gekommen Wie Zieten aus dem Busch. Lit.: Zieten. Gedenkblätter zum 8. Oktober 1880, S.23; Büchmann, S. 348, 669. Zigarre. Eine (dicke) Zigarre (verpaßt) kriegen: einen Verweis, eine Rüge erhalten. Diese junge, erst seit dem 1. Weltkrieg in der Soldatensprache aufgekommene Rda. wird in der Regel aus in Offizierskreisen üblichen Bräuchen hergeleitet, wo der rügende Vorgesetzte, wenn er seine Strenge wenigstens äußerlich mildern wollte, dem Untergebenen vorher eine Zigarre anbot. Zimmermann. Die Verspottung der Handwerker bezieht sich auch auf die Zimmerleute und das bekanntlich langsame Voranschreiten der Arbeiten auf einem Bau. In einem Sprw. heißt es: Der Zimmermann und Maurer Sind beide rechte Laurer; Ehe sie essen, messen und sich besinnen, So ist die Zeit und der Tag von hinnen. Vgl. dazu die Darstellung auf einem Bilderbogen des 19. Jh. Zimmermann (Handwerkerspott) Einem zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat: ihm die Tür weisen, /Loch. Das hast du wohl mit dem Zimmermannsbleistift gemacht?: das hast du sehr ungenau gemacht; mit Bezug auf den dicken Bleistift, mit dem der Zimmermann keine feinen Striche ziehen kann (seit etwa 1910 belegt). Es stimmt auf ein Zimmermannshaar: es stimmt nur sehr ungenau; ähnl.: Auf ein Zimmermannshaar kommt es nicht an: auf Genauigkeit wird kein Wert gelegt; seit der Mitte des 19. Jh. bezeugt. Als ,Zimmermannshaar1 bez. man die Entfernung, die der Zimmermann mit seiner Axt erreichen kann (Küpper II, S.320). Lit.: P. Rowald: Brauch, Spruch und Lied der Bauleute (Hannover 1892); E. Weiß: Die Entdeckung des Volks der Zimmerleute (Jena 1923). Zimt als wegwerfender Ausdr. für wertloses Zeug, Plunder, Krempel, minderwertige Sache stammt aus dem Rotw., wo es 1181
Zinken urspr. ,Goldwaren4, ,Geld4 bedeutet. Mit der Übernahme des Ausdr. durch die Mdaa. ist dann eine Bedeutungsverschlechterung eingetreten. Hierher gehören Rdaa. wie Was kostet der ganze Zimt?: der ganze Kram, obersächs. ,Mach keen Zimt!\ Rede nicht so dumm und ungereimt!, berl.,fauler Zimt4, Unsinn, ln mdt. Mdaa. bedeutet Zimt machen, zimtig tun: Umstände, Schwierigkeiten machen, dann auch: auf das Äußere halten, sich zieren, wobei vielleicht eine Kreuzung mit /zimperlich4 vorliegt. „Käthel, nicht so zimmtig tun! Ich freß dich nicht auf44 (Gerhart Hauptmann, Einsame Menschen, 1891,1). Vgl. auch die Wndg. ,eine (alte) Zimtziege sein4, sich gespreizt benehmen, sich über Geringfügigkeiten erregen, eine unangenehme Aufsichtsperson, Vorgesetzte sein; häufig von älteren Lehrerinnen gesagt. Zinken (sprachverwandt mit ,Zinne4) als scherzhafte Bez. des ,Gesichtserkers4, der Nase, ist schon im 16. Jh. geläufig und hat sich in den Mdaa. z.T. erhalten, z.B. schwäb. ,Nimm deinen Zinken in die Hand!4, faß dich an deine eigene /Nase. Einem den Zinken stechen (auch stecken): ihm derb die Meinung sagen, ihm eine empfindliche Belehrung erteilen. In einigen Landschaften (z.B. obersächs.) bedeutet ,Zinke4 nicht nur eine (stark gerötete Trinker-)Nase, sondern auch eine Schwäre. Im gleichen Sinne schreibt der Leipziger Bürgermeister Romanus in einem Brief vom Jahre 1705 von seinen Feinden im Rat: ,,Ich werde ihnen den annoch schuldigen Schwer zu seiner Zeit auffstechen44. Mit der Bdtg. Zinken = Nase vermischen sich die aus dem Rotw. stammenden ,Gaunerzinken4: Zinken (nach frz. ,signe\ lat. lignum4 = Zeichen) nennen die Gauner die von ihnen an Häusern und Wegen angebrachten geheimen Verständigungszeichen. In diesen Beziehungsbcreich gehört auch die Rda. einen Zinken stecken: heimlich etw. zu verstehen geben, ein Zeichen durch Husten, Räuspern u.ä. geben; pfeifen, rufen, wenn man verjagt wird. Ut.: S. A. Wolf: Wb. des Rotwelschen (Mannheim 1956), S. 349 f. Zinshahn. Leibeigene und Hörige hatten als jährliche Abgabe an ihren Herrn zu be¬ stimmten Zeiten und Gelegenheiten Hühner (,Zinshühner4) zu entrichten. Wie diese Abgaben aussahen, lehren die rdal. Vergleiche: Schweiz. ,alt wie ein Zinshahn4, sehr alt, oder schwäb. ,fett wie ein Zinshahn4, spindeldürr. Um sich zu sichern, gaben die Herren genaue Vorschriften: Alter und Stärke der Hühner wurden im einzelnen bestimmt, damit keine minderwertigen Tiere abgegeben wurden. Bei Hähnen sollte der Kamm rot durchblutet sein. Um dieses zu erreichen, lieferten die Bauern die Hähne bisweilen im Zustand künstlicher Erregung ab. Daher der mdal. Vergleich rot wie ein Zinshahn (von ungewöhnlicher Gesichtsröte gesagt); ähnl. obersächs. ,Da leeft’n der Kopp auf wie e Zinshahn4 ; sächs. ,Er wird gleich wie ein Zinshahn4, jähzornig, leicht erregbar. Lit. in Lessings Jungem Gelehrten4 (III, 12): „Du bist erhitzt, erhitzt wie ein Zinshahn44. Lit.: J. Grimm: Rechtsaltertümer I, S.251 u. 521. Zipfel. Etw. an (bei) allen (vier) Zipfeln haben (nehmen): fest und sicher haben; oft iron, gesagt von einem, der etw. ganz und gar in seiner Gewalt oder völlig verstanden zu haben glaubt. Dabei ist urspr. an ein Bettuch, an ein Kissen oder an einen Sack gedacht, wie die folgenden Beisp. zeigen. In Thomas Murners ,Mühle von Schwyn- delßheim4 (V.765ff.) heißt es: Dry zypffel handt wir zuo vns bracht, yetz handt wir vff den fierdten acht vnd flyssendt (befleißigen) vns, das er vns werd; dann lygt ir dann vff bloßer erd. In der ,Zimmerischen Chronik4 steht (Bd. Il, S.430): „Dieweil dozu mal die pfaffen das kiisin (Kissen) mit den drei zipflen in henden hatten44, ln anderem Sinne 1639 bei Lehmann S. 131 (,Disputiren4S): „Ein Disputierer thut offt nicht anders, als daß er den fünfften Zipffel am Sack sucht44; so noch heute in den Mdaa., z. B. schwäb. ,Der nimmt's Tuch an fünf Zipfeln4, er verlangt mehr, als ihm gebührt. Etw. beim rechten Zipfel an fassen (anpak- ken):ctw. richtig beginnen. Dagegen lit. bei Goethe (.Begeisterung4): „Fassest du die Muse nur beim Zipfel, hast du wenig nur getan44. Sich nach dem Bettzipfel sehnen /Bett. 1182
Zopf zittern. Voretw. (jem.) zittern: große Furcht haben. Um jem. zittern: um das Leben eines Menschen bangen. Häufig werden die formelhaften Wndgn. zittern und beben und zittern und zagen gebraucht. In Schlesw.-Holst. sagt man mdal. auch:,He zittert und flüggt vor Angst1. Der Ausdr. mit Zittern und Zagen geht auf die Antwort des Saulus im alten Luthertext auf den Anruf des Herrn zurück (Apostelg. 9,6). Sehr oft begegnet im bibl. Text auch die Wndg. mit Furcht und Zittern (Tob. 13,5; Eph. 6,5; Phil. 2,12; Hiob 4,14; Ps. 55,6; 1. Kor. 2,3), die auf Ps. 2,11 beruht, in dem es heißt: ,,Dienet dem Herrn mit Furcht, und freuet euch mit Zittern“. Zittern wie Espenlaub: vor Angst oder Kälte zittern, /Espenlaub. Auf das Zittern vor Kälte beziehen sich die neueren Rdaa. Ich kann nicht so schnell zittern, wie ich friere; nicht nachkommen mit Zittern und sich warmzittern. Zittre mal los! gilt als Aufforderung zum Gehen, Aufbrechen, Anfängen, bes. im Obersächs. häufig zu hören. Da hilft kein Zittern vorm Frost: da gibt es kein Zögern und Weigern. Die Wndg. wird auch scherzhaft bei der Annahme einer Einladung gebraucht. Zopf wird in mehreren Rdaa. bildl. für überaltertes Herkommen und Rückständigkeit gebraucht. Die im 18. Jh. aufgekommene männliche Haartracht des Zopfes, die als ,Musketierzopf1 unter Friedrich Wilhelm I. auch im Heer eingeführt wurde, verfiel unter dem Einfluß der Frz. Revolution nach 1790 der Lächerlichkeit. Jean Paul erregte zunächst noch Ärgernis, als er 1782 seinen Zopf als Leipziger Student wegwarf und ohne Perücke ging, denn noch bis ins 19. Jh. wurde der Zopf von den Konservativen getragen. Für die von den Gedanken der Frz. Revolution beeinflußte Generation, die in Dtl. zu Beginn des neuen Jh. hervortrat, stellte sich der Zopf als verhaßtes Sinnbild der politischen und sozialen Mißstände des unumschränkt herrschenden feudalen Staates dar und als Sinnbild des Absolutismus, trockener Aufklärung und Unnatur. Die Rda. Das ist so ein alter Zopf und die Scheltausdrücke ,zopfig4 und ,Zopfgelehrsamkeit4 in der Bdtg. veraltet, pedantisch, lächerlich dürften während der Freiheitskriege unter den Studenten entstanden sein, als der Zopf neben anderem der Scharnhorstschen Reform der preuß. Armee zum Opfer fiel. Wie sehr der Zopf als bekämpftes Symbol der Restauration galt, beweist seine feierliche Verbrennung durch die Studenten auf dem Wartburgfest von 1817. Den (einen) Zopf abschneiden: einen altmodischen Brauch, eine überlebte Tradition abschaffen, mit überaltertem Herkommen brechen. Einem den (einen) Zopf anhängen: ihn zum besten haben, hintergehen; schließlich: Vorwürfe machen, schelten. Beliebt ist die Rda. in der vormärzlichen Lit., z.B. bei Grabbe (1,425): „Bis daß ihm der Bube von hinten einen großen, papiernen Zopf angesteckt hat“. Vgl. A.v. Chamissos Gedicht Tragische Geschichte4 (1822) mit dem Kehrreim „Der Zopf, der hängt ihm hinten“. Zum Teil ist die Rda. noch in den Mdaa. erhalten, z.B. ostmdt. ,einem einen Zopf machen4; wien. ,a Zopferl anhäng’n4. Einem auf den Zopf kommen: jem. tadeln, scharf zurechtweisen, strafen. Diese Rda. ist älter als die männliche Haartracht im 18. Jh. Sie bezieht sich auf die Zöpfe der Frauen. Diese gingen sich gegenseitig schon im MA. im Zorn gern an die Zöpfe und zogen und rissen sich bei einer tätlichen Auseinandersetzung daran. Vgl. die Rda. ,sich in die Haare geraten4. Dafür gibt auch Hans Sachs (,Hausmagd und Wochenwärterin4 140) Belege: Die magd erwischt sie bey eim zopff Und ir den zornigklich außrieß. Und ebd. (145) heißt es: „(sie) thetten die zöpff einander dehnen“. Ähnl. Sinn haben die neueren Wndgn. einem auf den Zopf spucken:ihn schelten, und einen beim Zopf nehmen: ihn zur Rechenschaft ziehen; /Haar. Die Rda. sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen: sich durch eigene Kraft zu erheben, aus dem Unglück zu befreien suchen, beruht auf einer Lügenerzählung Münchhausens: „Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, 1183
Zucker wo ich hergekommen war, um einen größeren Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloß, wieder herausgezogen hätte“ (Gottfried August Bürger, Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande des Freyherrn von Münchhausen, Darmstadt 1959, S. 43). Als der Zopf vom Haarbeutel verdrängt wurde, verblieb ihm die übertr. Bdtg. von Rausch, z.B. in den folgenden Rdaa.: einen Zopf heimschleifen: betrunken sein, und sich einen Zopf trinken: sich einen Rausch antrinken (/trinken); lit. verwendet von Nestroy (6,197): So bleiben freisinnig die Köpfe, Bekommen vom Wein sie auch Zöpfe. Mdal. heißt es im Mansfeldischen: ,Dir rappelts wul ungern Zoppe?\ du bist wohl verrückt, du spinnst. |j(.: W. R. Schweizer: Münchhausen und Münch- hausiaden (Bern u. München 1969). Zucker. Einfach Zucker!: hervorragend, ausgezeichnet. Jem. Zucker in den Arsch blasen: sich bei jem. einzuschmeicheln suchen, etwa seit 1920 bezeugt, auch i. S. v. jem. antreiben, vor allem sold. Nicht von Zucker sein: Regen nicht scheuen, seit dem Ende des 19. Jh. bekannt, auch in allg. Sinne: nicht empfindlichsein, viel aushalten können (Küpper II, S.321). Etw. wie Zucker sparen: mit Wertvollem vorsichtig umgehen, vgl. schwäb. ,Dös muaß ma spara wia Zucker4. Mit solchem Zucker schluckt man solche Pillen: man nimmt Unangenehmes leichter hin, wenn es in netter Form mitgeteilt wird. Diese Tatsache umschreibt auch ein moderner Schlagertext von 1969, in dem es heißt: Mit ’nem Teelöffel Zucker Nimmt man jede Medizin. In Bedburg sagt man mdal. für Schmeicheleien, die einen bestimmten Zweck verfolgen: ,Hä hät im Zocker geklopp4. Soll das Zucker heißen? ist die iron. Frage in bezug auf unangenehme Mitteilungen oder eine Beleidigung. Vgl. frz. Appeliez-vous cela du sucre?4 Als grobe Abweisung gilt die euphemist. Aufforderung: Sie können mir den Zucker vom Kuchen lecken, /Arsch. Seinem Affen Zucker geben /Affe. Lit.: J. Baxaw. G. Bruhns: Zucker im Leben der Völker. Eine Kultur- und Wirtschaftsgesch. (Berlin 1967). zuerst. Die Wndg. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst stammt als Rechtssprw. aus Eike von Repgows ,Sachsenspiegel' (um 1230), in dem es heißt (II, 59,4): „Der ouch êrst zu der mül körnt, der sal erst malen“. Auch in der bayerischen Chronik4 (1,305) von Aventin steht dieser Rechtsgrundsatz: „wer eekumpt, der melt ee44. Vgl. auch ndl. ,Die het eerst komt, het eerst maalt\ Die Mühlen gehörten urspr. den Grundherrschaften, die Bauern und Bäcker konnten ihr Getreide dort selbst mahlen. Keiner erhielt dabei einen Vorrang, wie dieses Recht ausdrücklich betont; /mahlen. Lit.: Sven B. Ek: Den Som Kommer Forst Till Kvarns. Ett Ordsprlk och dess Bakgrund (Lund 1964) (Scripta Minora. 1963-64:1). Zug. ln den letzten Zügen liegen:im Sterben liegen. Zug meint hier Atemzug. Die 1184
Zügel Wndg. findet sich mehrfach in Luthers Bi- belübers., z. B. in der Erzählung von der Tochter des Jairus, Mark. 5,23; Luk. 8,42 (,,er hatte eine einzige Tochter bei zwölf Jahren, die lag in den letzten Zügen“)- ln anderen älteren Belegen steht Zug oder ,ziehen* ohne weiteren Zusatz und meint offenbar das Hinwegziehen ins Jenseits. In den von Keller (1854) herausgegebenen ,Altdt. Erzählungen1 heißt es von einem Sterbenden: ,,Wan er laeg am tot und züg“. Lehmann 1639 (S.443, .Krankheit'6) bucht: „Viel liegen in Zügen, vnd ziehen doch nicht“. Albr. Dürer schreibt in seiner Familienchronik: „hätt er von Stund an die Züg gegriffen“ (wäre er in den Todeskampf verfallen). Abraham a Sancta Clara redet im ,Huy und Pfuy der Welt' von denen, die erst schlafen gehen, „wenn die Nacht in Zügen liegt“, zu Ende geht. Die Rda. erscheint auch gelegentlich in übertr. Bdtg., so z. B. bei Gottsched in den .Beiträgen zur critischen Historie* (Bd. 1, S.310): „(Das Plattdeutsche) ist ganz herunter gekommen und liegt in den letzten Zügen“. In anderen Wndgn. ist der Zug beim Trinken gemeint, z. B. (mit) einem Zug: auf einmal; einen guten Zug (am Leibe) haben: in großen Schlucken, tüchtig trinken können; westf. .einen Zug durch die Gemeinde machen*, nacheinander viele Wirtshäuser im Ort aufsuchen; schlesw.-holst, .wir wem good in Tog‘, wir waren sehr vergnügt; ,mit’n Tog‘, in diesem Augenblick; das Leben in vollen Zügen genießen. Gut im Zuge; so recht im Zuge; im besten Zuge sein: eifrig bei der Arbeit, bei der Durchführung eines Planes sein. Diese Wndgn. beziehen sich wohl urspr. auf das Ziehen von Zugtieren; vgl. das .Dictio- narium' von Frisius von 1541 (1350a): ,gute und gschickte zierosz, die güt im zug sind“; vgl. sächs. ,’s’is Zug drhinter*, ,da is Zug drinne*, es geht kräftig vorwärts. Einen guten Zug tun: bei einem Unternehmen Erfolg haben; könnte vom Ziehen des Netzes beim Fischfang hergeleitet sein, auch vom Schachspiel, wie mhd. Versionen vermuten lassen; ebenso: zum Zuge kommen. Zugum Zug (zurückgeben, handeln) meist in der Kaufmannsprache das Nehmen und Geben. Ein weiterer Sinn ist: eins ums an¬ dere, schrittweise, auf Gegenseitigkeit. Goethe (Weimarer Ausg. IV, 33, S. 130): „Zwischen Freunden muß nicht alles Zug um Zug gehen“); vgl. schlesw.-holst. ,Tuur för Tuur un Tog för Tog*. Einen auf dem Zug haben: ihn nicht leiden können; vgl. ,einen auf dem /Strich haben*. Jörg Wickram schreibt (hg. v. Boite 1,148): „Die edel Hertzogin keyn andren trost sunst von nyemants empfahen mocht, dann das gantz Britanien sye in dem züg hat, wie wol jung und alt grosz mitleiden mit ir hatten“. Der Zug ist abgefahren bedeutet: es ist bereits zu spät. Zügel. Die Zügel schießen lassen, auch die Zügel lang (locker, schleifen) lassen: freien Lauf lassen; als Rda. nicht mehr vom Reiter gesagt, sondern in bildl. Übertr. gemeint, z.B. .einer Leidenschaft, seinem Eigenwillen die Zügel schießen lassen* (/locker). Seit dem Ende des 17. Jh. ist die Rda. in dieser übertr. Anwendung häufig bezeugt, z.B. in A. v. Knigges ,Reise nach Braunschweig' 1797 (S. 111): „Dann ließ sie ihrer Neugier die Zügel schießen“. Aus derselben Bildwelt von Roß und Reiter stammen noch zahlreiche andere Rdaa.: ,ein zügelloses (ungezügeltes, ausschweifendes) Leben führen*; ,mit verhängtem Zügel reiten* (zu mdh. verhengen = hängen, schießen lassen, nachgeben), in übertr. Bdtg. z.B. in Grimmelshausens ,Simplicissimus* (Bd. II, S.215): „verhängte derowegen meinen Begierden den Zügel“. Übertr. erscheint der Zügel, mit dem man die Tiere regiert, als ein Sinnbild der Herrschaft: in die Zügel greifen (fallen): jem. hemmen. „Dem Schicksal in die Zügel greifen, steht nicht in meiner Macht“ (H.Clauren, Sylvesterabend, 1825); die Zügel führen: herrschen, befehlen; die Zügel ergreifen (in die Hand nehmen): die Führung übernehmen; die Zügel kurz halten: einem Beaufsichtigten jede Entscheidung abnehmen, jem. gängeln; einem Zügel anlegen: ihn mäßigen, seine Freiheit einschränken. Goethe (,Wilhelm Meister*): „Werner tat sich etwas darauf zu gute, daß er dem vortrefflichen, obgleich gelegentlich ausschweifenden Geist Wilhelms mitunter Zügel und Gebiß anzulegen schien“. 1185
Zukunftsmusik Zukunftsmusik /Musik. Zunder. Einem Zunder geben: ihn zu größerer Aktivität antreiben. Zunder diente als leicht brennbares Material zur Entfa- chung eines Feuers. Wie der Funke plötzlich zur Flamme wird, kann man einen Trägen durch einen zwingenden Anlaß zum Handeln bringen. Die bildl. Rda. ist aus der Soldatensprache (1914-18) in die allg. Umgangssprache gelangt. Zunge. Mit gespaltener Zunge (mit zwei Zungen) reden: zum eigenen Vorteil gegenüber mehreren Personen verschiedene Meinungen äußern, ohne Bedenken lügen, ähnl.: glatt (leicht) von der Zunge gehen: ohne Hemmungen Unwahrheiten sagen, gegen seine innere Überzeugung jem. schmeicheln. Dagegen meint die Wndg. etw. nicht über die Zunge bringen: sich scheuen, eine Lüge zu machen, eine schlechte Nachricht zu überbringen. Eine Steigerung davon bedeutet die Rda. sich eher die Zunge abbeißen: nichts verraten, standhaft bleiben, trotz persönlicher Gefahr keine Andeutungen machen, aber auch: aus Scham oder falscher Rücksichtnahme keine Beschwerden oder Forderungen in eigener Sache Vorbringen. Jem. etw. auf die Zunge legen: ihm Hinweise geben, damit er im gewünschten Sinne aussagt, damit er die richtige Antwort finden kann, vgl. ,jem. etw. in den Mund legen4, /Mund. Jem. die Zunge lösen: seine Hemmungen beseitigen, ihn z. B. durch geheuchelte Anteilnahme oder durch Weingenuß redselig machen, aber auch: ihn durch Gewalt zu einer Auskunft zwingen. Diese Rda. erinnert an den alten Brauch, neugeborenen Kindern das Häutchen unter der Zunge zu lösen, damit sie (schneller) sprechen lernen sollten. Gab ein Kind nach der Geburt nicht gleich Laut von sich, öffnete ihm die Hebamme alsbald den Mund und löste ihm auch mitunter die Zunge. Diese sofortige Lösung des Zungenbändchens durch die Schere oder gar den Fingernagel der Hebamme war um 1900 allgemein verbreitet, obwohl sie schon von der Nürnberger Hebammenordnung von 1755 als abergläubisch bekämpft wurde. In Gutach (Kr. Offen¬ burg) spricht die Hebamme dabei sogar einen Spruch, den ihr die Wöchnerin dreimal nachzusprechen hat: „Ich löse meinem Kinde die Zunge zu alle gute Stunde (sic!), zur gerechten, aber nicht zur ungerechten. Die himmlische Ehr, die nimmermehr vergeht, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (E.H. Meyer, Badisches Volksleben im 19. Jh., Straßburg 1900, S. 17 f.). Seiner Zunge freien Lauf lassen: unbedacht, ohne bes. Vorsicht und Rücksichtnahme ganz frei und offen reden; ähnl.: sein Herz auf der Zunge haben (tragen): seine Gefühle zeigen, ungehemmt seinen Einfällen folgen und seine geheimsten Gedanken offenbaren. Diese Rdaa. dienen einer durchaus positiven Charakterisierung eines ehrlichen, unkomplizierten und impulsi¬ ven Menschen. Trotzdem warnen andere Wndgn. vor den Nachteilen dieses Verhaltens, das oft sehr undiplomatisch ist, wobei man sich leicht die Zunge verbrennen kann, /Mund. Seine Zunge hüten (im Zaum halten): vorsichtig sein, damit nicht unbedachte Äußerungen Ärger und Anstoß erregen, nur das sagen, was nicht falsch ausgelegt werden kann. Sich auf die Zunge beißen: sich mühsam be¬ 1186
Zunge herrschen, seine wahre Meinung verschweigen. Etw. auf der Zunge haben: etw. sagen wollen, es aber zum Glückïm letzten Moment noch unterdrücken können, aber auch: nach einem Ausdr. suchen, der einem trotz heftigen Nachdenkens im Augenblick nicht einfällt, z. B. ein Name, an den man sich nicht erinnern kann, obwohl man ihn häufig gehört hat, so daß er einem auf der Zunge schwebt. Jem. das Wort von der Zunge nehmen: seinen Gedanken vorwegnehmen, die gleichen Vorstellungen und Ideen wie der andere haben und ihm in seiner Äußerung zuvorkommen. Mit der Zunge ausrutschen: etw. Unpassendes, Unbedachtes sagen, das man später bedauern muß. Jem. die Zunge herausstrecken (zeigen): ihn verächtlich behandeln. Das Herausstrek- ken der Zunge ist eine Spottgebärde, die möglicherweise auch auf ältere Abwehrgebärden zurückgeht. Als schimpfliche Abweisung ist sie auch an Brücken und Stadttoren angebracht worden. Bekannt ist der Basler sog. ,LälIekönig‘, der nach Kleinbasel hinüber diese Gebärde machte, /Gähnmaul. Sich die Zunge ausrenken: pausenlos für etw. werben oder schwärmen, durch einen Wortschwall zu überzeugen suchen, einen unversieglichen Redestrom entwickeln; gleichen Sinn hat die moderne Wndg. eine elektrische Zunge haben. Sich (beinahe) die Zunge abbrechen: ein schwieriges Wort (Fremdwort) nicht oder nur schwer aussprechen können. ,Lällekönig‘ - ,Die Zunge herausstrecken‘ Jem. die Zunge lähmen: jem. zum Erschrecken oder Erstaunen bringen und ihn zunächst einmal sprachlos werden lassen, vgl. die ähnl. Wndg. etw. (die Angst) bindet einem die Zunge. Die Zunge klebt jem. am Gaumen (schon bei Hiob 29,10), hängt einem zum Halse heraus: ihm fehlt der Speichel vor großem Durst, wegen der Hitze oder: er ist völlig erschöpft vom schnellen Laufen. Dieses sprachl. Bild bezieht sich auf den hechelnden Hund. Etw. auf der Zunge zergehen lassen: ein Feinschmecker sein, etw. genießerisch auskosten, ähnl. eine feine Zunge haben. Das Schleifen der bösen Zunge 1187
Zureden Die vielen Adj., die der Zunge zugeordnet werden, ermöglichen sprachl. Differenzierungen, z. B. eine glatte Zunge haben: geschickt lügen, schmeicheln und heucheln; eine scharfe (spitze) Zunge besitzen: verletzende Kritik üben. In volkstümlichen Darstellungen wird dem Spitzzüngigen die Zunge abgeschliffen, /schleifen. Eine böse (falsche, giftige) Zunge haben: verleumden, bösartig sticheln; eine beredte (feurige) Zunge besitzen: redegewandt, »zungenfertig4 sein. Zunge wird auch im Sinne von Sprache gebraucht: in fremder Zunge reden und mit tausend Zungen predigen: es wiederholt und nachdrücklich sagen. Moderne Wndgn. sind: sich nicht an der Zunge ziehen lassen: sich nicht übertölpeln lassen, und über die Zunge scheißen: sich erbrechen (Küpper II, S.322). Lit.: L. Röhrich: Gebärde - Metapher - Parodie (Düsseldorf 1967), S. 26f. Zureden. Die Rda. jem. Zureden wie einem kranken Gaul kommt aus dem Rotw. Gemeint ist nämlich urspr. nicht ein Gaul, sondern ein ,chaule4 (hebr. cholé), das ist ,der Kranke4. Dann aber wurde chaüle als ,Gaul‘ mißverstanden, und um den alten Sinn wieder einigermaßen herzustellen, wurde das dt. Wort ,,krank“ beigefügt, so daß dadurch eine Tautologie entsteht. Der Satz bedeutet jetzt also genaugenommen: jem. Zureden wie einem kranken Kranken (Landmann, S. 86f.). zusammenläppern /läppern. Zustand. Zustände wie im alten Rom: unhaltbare, verkommene, unkontrollierte Zustände, Mißstände. Der rdal. Vergleich gehört der Studentensprache des 20. Jh. an. Zustände bekommen (kriegen): Anfälle von Wahnsinn bekommen, außer sich geraten vor Entrüstung oder Angst. Zweig. Auf keinen grünen Zweig (Ast) kommen:keinen Erfolg, kein Glück haben; es zu nichts bringen; ebenso in den Mdaa., z.B. rhein. ,op keine jröne Zwich kumme4; schlesw.-holst. ,he kümmt ni op’n grönen Twieg4. Die Rda. ist seit dem Ende des 15. Jh. belegt, z.B. in Seb. Brants ,Narrenschiff4 (80): Erberkeyt muosz verr hynden (ganz hinten) stan und kumbt gar kum (kaum) uff grünen zwig. Bei dem Prediger Geiler von Kaisersberg heißt es: „Sie mögent niemer begrünen oder vff grienen zweig körnen“; bei Abraham a Sancta Clara (Judas4 IV, 375): „Auf kein grünes Zweig kommen können44. Auch in der neueren Lit. finden sich zahlreiche Belege, z.B. bei Goethe (»Maximen und Reflexionen4): „Es ist traurig anzusehen, wie ein außerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel Bürger“. Man hat zur Erklärung der Rda. an einen alten Rechtsbrauch erinnert, wonach der Verkäufer eines Grundstücks dem Käufer eine Rasenscholle mit einem hineingesteckten Zweig von einem Baum des Gutes übergab; man hat die Rda. gar gedeutet als gegensätzliche Bildung zu der Wndg. ,den dürren Baum reiten4, gehängt werden. Auch an den grünen Zweig als Siegeszeichen und Kampfpreis beim Turnier ist gedacht worden (dann müßte es aber vom Erfolglosen heißen: ,er kommt zu keinem grünen Zweig4). Aber der ,grüne Zweig4 ist wohl nur das Sinnbild des Wachsens und Gedeihens überhaupt, wie /grün ja auch sonst in bildl. Rdaa. auftritt; vgl. auch Grimmelshausen im ,Simplicissimus4 (Bd. IV, S. 22): „Nach diesem bedachte ich, was ich thun und wie ich meine Händel anstellen wollte, damit ich wieder recht grüne würde4*. Noch wahrscheinlicher ist ein Bezug zu Hiob 15,32, wo es — ebenfalls negativ gewendet wie in unserer Rda. - heißt: „Er wird ein Ende nehmen vor der Zeit; und sein Zweig wird nicht grünen44. zweiundsiebzig. Die 72 ist eine volkstümliche Rundzahl für: unzählig, viel, alles. Sie ist in vielen Rdaa., Summenbez. und Volksglaubensäußerungen zu finden. In einer mdal. Rda. aus der Steiermark heißt es z.B.: ,G’scheida oa schwari Sau wie zwoa- rasiebzg Brühling4, besser eine schwere Sau als 72 Jungferkel. Von einem allzu sentimentalen, langen Lied sagt man, es habe 72 1188
Zwiebel Strophen. Hans Bärenknab schwingt im steir. Märchen einen Hebebaum, der ,72 Pfund4 wiegt, wie ein Stäbchen (Geramb, KHM., S.70). Durch 72 Hände geht der Flachs, ehe er als Hemd getragen wird, weil Säen und Ernten, Brechen und Hecheln, Spinnen und Weben so unendlich viel Arbeit erfordern. Die Belege lassen sich auch in hist. Tiefe durch viele Jhh. zurückverfolgen. Im 13. Jh. waren sehr häufig ,72 Pfennig4 die runde Summe einer Gerichtsbuße. Der gleiche Betrag galt noch bis in die Bauernkriege hinein als ,der kleine Wandel4, als Strafsatz bei verschuldeter Nichtbestellung der Fronfelder. Auch in der mhd. Lit. begegnet diese Zahl: Orendel, der Held des rhein. Spielmannsepos vom Heiligen Rock zu Trier, fährt auf 72 Schiffen aus, um in das Heilige Land zu kommen. Im mhd. Spielmannsepos von der Brautfahrt des hl. Oswald kehrt das Motiv übersteigert wieder: er zieht mit 72000 Mann auf 72 Schiffen aus, nachdem er 72 goldene Kreuze für die Führer seines Heeres hatte fertigen lassen. Die Zahl 72 erfuhr schon früh magische Verwendung. Zwei Spottstrophen (nid- visur) des nordischen Skalden Egill Skalla- grimssons sind nach Magnus Olsen so gebaut, daß jede der vier Helminge (syntaktische Stropheneinheiten), in Runen geschrieben, genau 72 Zeilen enthalten soll, also dreimal die Gesamtzahl der Runenbuchstaben, und deshalb mit starker magischer Kraft geladen ist. Auch auf einer schwed. Inschrift zu Fyrby enthält eine bestimmte Strophe genau 72 Runen (vgl. de Vries, Literaturgesch. 1, 1941, S.39). ImTraugemundslied wird in altertümlicher Weise gesagt, daß der Gefragte alle Länder kenne: Nu saget mir Meister Trougemunt, 72 Land die sind dir kunt. Auch in der dt. Schauerballade vom Pfalzgrafen und der Müllerstochter heißt es in einer Variante: Bei zwei und siebzig Kerzen und Schein Führt man die junge Braut herein. Beisp. für die Zahl 72 finden sich auch in der slaw. Volkskultur. Vermutlich besteht ein Zusammenhang dieser Rundzahl, die dem Dezimalsystem fremd ist, mit einer Bibelstelle des Lukasevangeliums (10,1-5), nach der sich Christus 12 Apostel und 72 Jünger erwählte (,,Designavit Dominus et alios septuaginta duos44). Die 72 wurde zur geheiligten Zahl als Ordnungsbegriff. Das Bewußtsein von der Heiligkeit dieser Zahl blieb ungebrochen bis in die religiöse Vorstellungswelt der nachma. Jhh. und bis zur Ggwt. Die Zahl 72 gehört in den weiten orientalischen Kulturkreis der heiligen Zahl 7 (/sieben), die auch zu 77 vervielfältigt und verstärkt erscheint. Daneben erscheint aber die 72 als gleichwertiger Begriff der Vielheit und der Unzählbarkeit. Diese Gruppe der hl. Siebenzahl tritt dem idg. System der hl. Neunzahl gegenüber (3 X 3). Die Auseinandersetzung zwischen den Zahlbereichen ging zugunsten der Siebenzahl aus. Im 17. Jh. wurden aus den 9 Schwaben die berühmten 7 Schwaben, aus den 99 Krankheiten in zahllosen Zaubersprüchen wurden 77 oder 72 Fieber oder Gichten. Lit.: L. Kretzenbacher: Die hl. Rundzahl 72. Zur Zahlenmystik in Legende und Sakralbau, in Volksglaube und Rda., in: Blätter für Heimatkunde, hg. v. Hist. Verein für Steiermark 26 (Graz 1952), S. 11-18. Zwickmühle. In der Zwickmühle stecken: in einer schwierigen, ausweglos erscheinenden, ,verzwickten4 Lage sein; auch mdal., z. B. schlesw.-holst. ,He war di kniepen in ’n Zwickmöhr, in die Enge treiben; ,he hett dat mit’e Zwickmöhr, er kann es nach seinem Willen leiten. Zwickmühle, seit dem 15. Jh. in übertr. Bdtg. gebraucht (z.B. auch bei Luther), geht auf einen Fachausdr. des Brettspiels,Mühle4 zurück, der die für den Angreifer günstigste Stellung der Steine in diesem Spiel bez. Der Angegriffene befindet sich in einer schwierigen Lage (,in der Zwickmühle4), deren Besonderheit es ist, daß man, wie man sich auch dreht und wendet, kaum aus ihr herauskommt. Lit.: E. Lasker: Brettspiele der Völker (1931). Zwiebel. Er sucht Zwiebeln: er möchte gern weinen, um Trauer und Anteilnahme zu heucheln, er zwingt sich zu Tränen. Vgl. lat. ,Bulbos quaerit4. Wenn jem. die Augen tränen, sagt man scherzhaft: Er hat Zwiebeln geschält oder gegessen. Bereits Seb. Franck (II, llla) 1189
Zwirn kannte diese Wndg.: „Er hat zwibel gescheht oder gessen“. Er hat sich die Zwiebel selbst gezogen, die ihm in den Augen beißt: er ist selbst an seinem Ärger (Ungemach) schuld, er hat sich sein Mißgeschick selbst zuzuschreiben. Zu den ägyptischen Zwiebeln zurückwollen: sich nach den guten alten Zeiten zurücksehnen. Einen zwiebeln: ihn quälen, plagen. Gemeint ist wohl, daß dem Gequälten die Augen wie von Zwiebelsaft dabei tränen, seit dem 17. Jh. belegt (Küpper I, S.357). Zwirn. Der Zwirn geht ihm aus: er ist fertig, hat keinen Redestoff mehr; mdal. auch: sein Geld geht zur Neige; vgl. ,den /Faden verlieren4. Lit. schon in den Versen aus Joh. Val. Andreas ,Geistlicher Kurtzweil4 von 1619 (S. 170): Bis du (Kritiker)... zwickst, strickst im Hirn, Ist mir schon abgehaspt die Zwirn. Zwirn spinnen (abwinden, abhaspeln): erzählen, reden. Auch ,Zwirn spinnen4, Gedankenarbeit leisten; in diesem Sinne z.B. bei Goethe (Weimarer Ausg. IV, 3, 46): „Habe die Nacht durch manches Knäulgen Gedancken Zwirn auf- und abgewickelt“. Zwirn kann auch ,Gedanken4 überhaupt umschreiben; KHM. 34 (,Die kluge Else4): „O, sprach der Vater, die hat Zwirn im Kopf44, sie ist gescheit. Campe (5,972b) verzeichnet ,blauen Zwirn4, lustige Einfälle. Außerdem wurde Zwirn früher als Tabuwort für Sexuelles und in obszönem Sinne gebraucht. Im 57. Fastnachtspiel (Keller) heißt es: Si ist sicher ain guote Dirn Und spint dar zu gar guoten zwirn; im 58.: Die Adelheit ist furwar ein schöne Dirn Die spint auß der maßen gutèn zwirn; und im 34. Fastnachtsspiel findet sich die Rda. ,vil Zwirns mit Einer abwinden4. Solange die beiden miteinander Zwirnenden einig sind, sind sie eben ,verzwirnt4, ent¬ zweien sie sich, so tritt eine ,Verunzwir- nung4 (= Streit, Hader) ein. So erklärt sich die Rda. sich mit jem. verunzwirnen: sich entzweien, in Uneinigkeit geraten (Sohns, 695 f.). Mdal. sind die Rdaa. mit Zwirn schier unerschöpflich: thür. ,Zwirn machen4, böse Streiche ausführen; ,schlimmen Zwirn haben4, Verdacht schöpfen, Argwohn haben; ,Zwirn wickeln4, auf einem Ball Sitzenbleiben; schlesw.-holst. ,he spinnt Twem4, er schnarcht; ,die Katze spinnt Zwirn (zwirnt)4, sie schnurrt; ,er spinnt blauen Twem4, er redet Gewäsch; obersächs. ,Schulmeisterzwirn4, langes Orgelvorspiel. ,Blauer Zwirn4 ist auch eine Umschreibung für Alkohol, bes. Schnaps; Grabbe (3,155): „Schlesier, da hast du zwei Münzgroschen. Hole mich von jene Marketenderin einen blauen Zwirn und vor dir einen halben44. Über einen Zwirnsfaden stolpern: wegen einer Kleinigkeit zu Fall kommen. So sagt in Schillers Verschwörung des Fiesko4 1783 (II, 5) Fiesko vom Volke: „Der blinde, unbeholfene Koloß, der ... Hohes und Niederes, Nahes und Fernes mit gähnendem Rachen zu verschlingen droht und zuletzt über Zwirnsfäden stolpert44. zwitschern. Einen zwitschern: ein Gläschen trinken; bezieht sich entweder auf das Trinken von Zwetschgenschnaps oder (wahrscheinlicher) auf die heitere Stimmung des Zechers, der lustig und frohgelaunt wie ein Vogel draufloszwitschert. Sold. 1914-18, aber schon 1880 für Berlin bezeugt und heute allg. umgangssprachlich; /trinken. zwölf. Das hält von zwölf bis Mittag: das hält nur ganz kurze Zeit. ,Zwölf Uhr4 und ,Mittag4 sind heute identische Begriffe, die dazwischenliegende Zeit ist also gleich Null. Zwölf solche geben auch ein Dutzend /Dutzend. 1190
QUELLEN UND DARSTELLUNGEN Das nachstehende Schriftenverzeichnis enthält nur allgemeine und zusammenfassende Werke, Quellen und Darstellungen. Es nennt auch die vollen Titel der Literatur, die bei den bibliographischen Angaben der Einzelartikel nur abgekürzt angegeben wurde. Dagegen wird bereits genannte spezielle Literatur nicht mehr aufgeführt. Mundart-Wörterbücher und andere Lexika sind in der Regel unter den Namen der Herausgeber bzw. des Erstherausgebers oder Begründers verzeichnet, z. B. Bayerisches Wörterbuch unter: Schmeller, Joh. Andreas, Deutsches Wörterbuch unter: Grimm, Jacob u. Wilhelm, Rheinisches Wörterbuch unter: Müller, Josef. Abraham a Santa Clara: Sämtliche Werke, 21 Bde., Passau (Lindau) 1834ff.; Werke, hg. v. d. Wien. Akad. der Wiss. 1943ff. Ade, Walter Frank Charles: Das Sprichwort in den dt. Werken des Andreas Gryphius, Diss. Northwestern Universitv, Evanston/Illinois 1949 Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, Bd. 1-5, Leipzig 1774-86 -: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 1-4, Leipzig 1793-1801 Aesopi Fabulae, ex recogn. Caroli Halmii, Lip- siae 1911 Ageno, Franca: Premessa a un repertorio di frasi proverbiali, in: Romance Philology XIII, 3. 2. 1960, S. 242-264 (Klassifikationsmöglichkeiten der sprichwörtlichen Redensarten) Agricola, Erhard (Hg.): Wörter und Wendungen, Leipzig 1965 Agricola, Johannes: Dreyhundert gemeyner Sprichwörter, der wir Deutschen uns gebrauchen, Hagenau 1529. Weitere Ausgaben: Auslegung gemeyner teutscher Sprüchwörter, 1534; 1537; 1548 -: Siebenhundert und funfftzig Deutscher Sprüchwörter/ ernewert/ vnd gebessert/ Durch... Mit vielen schönen lustigen vnd nützlichen Historien vnd Exempeln erkleret vnd ausgelegt, Wittenberg 1592 Alberus, Erasmus: Novum dictionarii genus, Frankfurt a.M. 1540 Alemannia, Zeitschrift für alemannische und fränkische Geschichte, Volkskunde, Kunst und Sprache, hg. v. Anton Birlinger, Bonn 1873ff.; Freiburg i.Br. 1892ff. Allan, C. Wilfrid: A collection of Chinese proverbs, Shanghai u. London 1926 A Isaticus, J. R.: Elsässischer Sprichwörterschatz. Achthundert Sprichwörter und sprw. Redensarten aus dem Elsaß, 2. Aufl. Straßburg 1883 Altenkirch, R.: Die Beziehungen zwischen Sla- ven und Griechen in ihren Sprichwörtern, in: Arch. f. Slav. Phil. XXX, 1909, S. 1-47, 321-364 Amaranthes{d. i. Gottlieb Siegmund Corvinus): Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzim- mer-Lexicon, Leipzig 1715 Amrain, K.: Deutsche Sprichwörter und Redensarten, in: Anthropophyteia, Bd. 5, Leipzig 1909, S. 184 Andresen, K. G.: Über deutsche Volksetymologie, 7. Aufl. Leipzig 1919 Apinus, Sigmund Jacob: Glossarium novum ad aevi huius statum adornatum, Nürnberg 1728 Appel, Heinz: Skatsprache. Humorvolle bebilderte Redensarten beim Skat (Lehrmeister Bücherei Nr. 965), Minden/Westf. 1950 Apperson, G. L.: English Proverbs and Proverbial Phrases, London 1929 Arewa, E. Ojo u. Alan Dundes: Proverbs and the Ethnography of Speaking Folklore, in: American Anthropologist 66, 1964, No 6, Part 2, S. 70-85 Aucourt, M. d’: Chants et dictons ajoulots, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 2, 1898, S. 152-58 Avé-Liallemant, Friedrich Christian Benedict: Das dt. Gaunerthum, Bd. 1-4, Leipzig 1856-62 Babrius: Fabulae Aesopicae, recogn. Otto Chrusius, Lipsiae 1897 Backer, G. de: Dictionnaire des proverbes français, Paris 1710 B'àchtold, Hanns: Einiges über die deutsch- schweizerische Soldatensprache, in: Rundschau des deutschschweizerischen Sprachvereins, 1920, S. 35-45 Bätschi, Josias: Der Davoser im Lichte seiner Sprichwörter und Redensarten, Davos 1937 Bahrdt, H. A: Zoologie in den Ausdrücken und Redensarten der Sprache, München 1872 Balzer, H.: Büschs Wesen und Werk im Spiegel seiner Spruchweisheit, Leipzig 1941 Barbour, Frances M.: Proverbs and proverbial 1191
Quellen und Darstellungen phrases of Illinois, Carbondale and Edwards- ville 1965 Bardön, César Moron: Refranes y sentencias populares, in: Revista de Dialectologia y tradi- ciones populäres, Madrid 1954 Baron, Joseph L.: A treasury of Jewish Quotations, New York u. London 1965 Bartlett, J.: Familiar Quotations, 14. ed. Boston u. Toronto 1968 Baritcq, A.: Le livre des proverbes, Paris 1964 Bauer. Karl: Waldeckisches Wörterbuch, hg. v. Herrmann Collitz, Norden u. Leipzig 1902 Bausinger, Hermann: Formen der ,,Volkspoesie“ (= Grundlagen der Germanistik 6), Berlin 1968 Bebel, Heinrich: Proverbia Germanica collecta atque in Latinum traducta. Straßburg 1508 (neugedruckt und bearbeitet v. W. H. D. Su- ringar, Leiden 1879) Becker, Julius: Über einige plattdeutsche Redensarten, in: Jb. Ver. niederdt. Sprachforsch. 43, 1918, S. 49-55 Beckerath, Raimund v. u. Eugen Vogelsang: Wie das Volk spricht. Sprichwörter u. Redensarten in Krefelder Mundart, Crefeld o. J. (1920) Beckmann, Nikolaus: Uber gewisse geringer oder schwächer gemachte Ausdrücke und Vorstellungen im gemeinen Leben, in: Dt. Museum 2, 1783, S. 519ff. Behaghel, Otto: Humor und Spieltrieb in der deutschen Sprache, in: Neophilologus 8, 1922, S. 180-193 Behaim, Michel: Buch der Wiener, hg. v. Karajan, Wien 1843 Beheim-Schwarzbach, Eberhard: Die Sprache in der Wirtschaftswerbung, in: Wirkendes Wort, 2. Sonderheft, Düsseldorf 1954, S. 13-23 Beinhauer, Werner: 1000 idiomatische Redensarten Spanisch, 8. Aufl. Berlin 1963 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, begründet von H. Paul u. W. Braune, Halle 1874ff. (= PBB.) Belezza, Paolo: Studio comparativo sui proverbi Inglesi, Milano 1893 Benecke, Georg Friedrich: Mhd. Wörterbuch. Ausgearbeitet von Wilhelm Müller u. Friedrich Zarncke. Bd. 1-3, Leipzig 1854-61 Benham, W. Gurney: Putnam’s complete book of quotations, proverbs and household words, New York 1926 Benjamin, Walter: Allegorie und Emblem, in: Richard Alewyn: Dt. Barockforschung, Köln 1968, S. 395-413 Bennett, Charles H.: Proverbs, London 1859 Bergmann, A.: Das Bildliche und Figürliche in der Denk- und Ausdrucksweise der ostfränkischen Mundart des Ochsenfurter Gaues, in: Zs. f. dt. Mundarten, 1917, S. 97-131 Berneker, Erich: Slawisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1908 ff. Berning, Cornelia: Vom »Abstammungsnachweis4 zum ,Zuchtwart4. Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 1964 Bernstein, Ignacy: Catalogue des Livres Par- cmiologiques composant la Bibliothèque de Ignace Bernstein, 2 Bde., Warschau 1900 u. Leipzig 1901 [Aufl. Warschau 1908 -: Jüdische Sprichwörter und Redensarten, 2. Berrey, Lester V. u. Melvin van den Bark: The American Thesaurus of Slang, New York 1942 Berthold, Luise: Beispielsprichworte in Hessen und Nassau, in: Hess. Bl. f. Vkde. 23, 1924, S. 113ff., 24, 1925, S.63 -: Hessen-Nassauisches Volkswörterbuch, Bd. Iff. Marburg 1927ff. Betz, Werner: Antiker Einfluß auf den europäischen Wortschatz, in: Acta Congressus Mad- vigiani, Proceedings of the Second International Congress of Classical Studies, Vol. V, 1957 Betz, Werner s. Paul, Hermann, s. Wasserzieher Bieri, Walter: Läbigs Bärndütsch. E Sammlig vo bärndütsche Wörtere u Redensarte (= Hochwächter-Bücherei 27), Bern 1958 Binder, Wilhelm: Novus thesaurus adagiorum la- tinorum, Stuttgart 1861 -: Sprichwörterschatz der deutschen Nation, Stuttgart 1873 Binowitsch, L. E.: Nemezko-russkij fraseologi- tscheskij slowarj, Gosudarstwennoje isda- telstwoinostrannych i nazionalnych slowarjej, Moskau 1956 Birlinger, Anton: So sprechen die Schwaben. Sprichwörter, Redensarten, Reime, Berlin 1868 Sprichwörter und Sprüche, in: Germania N. R. IV, XVI. Jg., 1870/71, S. 102-104 -: Sprichwörter und Redensarten, in: Alemannia, Bd. 1-16, 1873-88 Bischoff, Erich: Wörterbuch der wichtigsten Geheim- und Berufssprachen. Jüdisch- Deutsch, Rotwelsch, Kundensprache; Soldaten-, Seemanns-, Weidmanns-, Bergmannsund Komödiantensprache, Leipzig 1916 Black, Max: Models and Metaphers, Ithaca/ N. Y. 1968 Btadé, Jean-François: Proverbes et devinettes populaires, Paris 1879 Blanckenburg, Curt: Studien über die Sprache Abrahams a Santa Clara, Halle 1897 Blass, Armin: Französische Redewendungen und Sprichwörter, Bamberg 1956 Bloch, Oscar u. W. v. Wartburg: Dictionnaire étymologique de la langue française, 2 Bde., 2. Aufl. Paris 1950 Blümner, Hugo: Der bildliche Ausdruck in den Reden des Fürsten Bismarck, Leipzig 1891 Bock, Johann George: Idioticon prussicum ... darin die deutschen Redensarten und Ausdrücke... die allein in hiesigem Lande gebräuchlich sind, Königsberg 1759 Boeckfen, Adolf: Sprichwörter, Proverbs, Proverbes, Proverbi, Proverbios, 2. Aufl. Stuttgart o. J. Böhme, L.: Studien zum Stil und Sprachgebrauch Klaus Groths, in: Zs. f. den dt. Unterricht 25 (1911), S. 405-417 Böhtlingk, Otto: Indische Sprüche. Sanskrit und Datisch, 3 Bde., Petersburg 1863 Bohn, Henry G.: Handbook of Proverbs, Sentences, Maxims, London 1930 Boisacq, Émile: Dictionnaire étymologique de la langue grecque, 4. Aufl. Heidelberg 1950 Bollhöfer, W.: Gruß und Abschied in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit, Diss. Göttingen 1912 Boite, Johannes u. Georg Polivka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der 1192
Quellen und Darstellungen Brüder Grimm, 5 Bde., Leipzig 1913-32, 2. Aufl. Hildesheim 1963 Boite, Johannes u. Franz Weinitz: Die niederländischen Sprichwörter, in: Zs. d. Ver. f. Vkde 25, 1915, S.292ff. Bom, Kaj: Slang Ordbogen, Kobenhavn 1957 Bonser, Wilfried and T. A. Stephens: Proverb Literature. A Bibliography of Works relating to Proverbs, London 1930 Borchardt, Wilhelm u. Gustav Wustniann: Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund nach Sinn und Ursprung erläutert, 6. Aufl. vollständig neu bearbeitet von Georg Schoppe, Leipzig 1925 Borchardt, Wilhelm, Gustav Wustmann u. Georg Schoppe: Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund. Nach Sinn und Ursprung erläutert. 7. Aufl. neu bearbeitet von Alfred Schirmer, Leipzig 1954 Borneman, Ernest: Sex im Volksmund (Der obszöne Wortschatz der Deutschen). Die sexuelle Umgangssprache des dt. Volkes, Reinbek bei Hamburg 1971 Bouman, Ari C:Patterns in Old English and Old Icelandic literature, Leiden 1962 Brant, Sebastian: Narrenschiff, Faksimile der Erstausgabe von 1494, mit einem Nachwort von Franz Schultz. Straßburg 1913 Das Narrenschiff. Nach der Erstausg. (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausg. von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der dt. Originalausg. hg. v. Manfred Lemmer, 2., erweiterte Aufl., Tübingen 1968 (= Neudrucke dt. Literaturwerke. Neue Folge, Bd.5) Braun, J. M.: Sechs Tausend Deutsche Sprüch- wörter und Redensarten, in: Bibliothek d. Frohsinns, V. Section, Stuttgart 1840 Braun, Maximilian: Deutsch-russisches phraseologisches Wörterbuch, Göttingen 1958 Bremisches Wörterbuch. Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs. Hg. von der bremischen deutschen Gesellschaft, Bd. 1-6, Bremen 1767-71 und 1869 Brewer s Dictionary of Phrase and Fable, London 1963 Brondum-Nielsen, Johs.: Danske ordsprok, Kobenhavn 1942 Browning, D. C.: Everyman’s dictionary of quotations and proverbs, London u. New York 1951 Brückmann, Franz Ernst: Catalogus exhibens adpellationes omnium potus generum, Helm- städt 1722 Brunner, Hans Heinrich: 24 beliebte Redensarten, 3. Aufl. Zürich 1956 Brunvand, Jan H.: Dictionary of Proverbs and Proverbial Phrases from Books, Published by Indiana Authors before 1890, Bloomington 1961 Buchanan, Daniel: Japanese proverbs and sayings, Norman/Oklahoma 1965 Buchdrucker, Bruno: Wörterbuch der Elberfel- der Mundart, Elberfeld 1910 Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Der Zita- tenschatzdes deutschen Volkes, Berlin 1864, 31. Aufl. Berlin 1967 Bücking, Johann Jac. Heinr.: Medizinische und physikalische Erklärung deutscher Sprich¬ wörter und sprichwörtlicher Redensarten, Stendal 1790 Biinker, J. R.: Heanzische Sprichwörter, in: Eth- nolog. Mitt. aus Ungarn, 3. Bd., Budapest 1893/94, S. 11-12 und 287-291 Bues, Manfred: Die Versportung der deutschen Sprache im 20. Jh., Diss. Greifswald 1937 Burckhardt, J. L.: Arabic Proverbs; or the manners and customs of the ancient Egyptians, London 1830. Dt. Übersetzung, Weimar 1834 Burnadz, Julian M.: Die Gaunersprache der Wiener Galerie, Lübeck 1966 Cahier, Charles: Quelque six mille Proverbes et aphorismes usuels, Paris 1856 Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 1-5, Braunschweig 1807-11 Carl, Helmut: Unsere Haustiere in sprichwörtlichen Redensarten, in: Die Muttersprache, 1962, S. 333-339 Celakovsky, Frantisek Ladislav: Mudroslovi nârodu slovanského v prislovich (Lebensweisheit des slawischen Volkes in Sprichwörtern), hg. v. K. Dvorak, 3. Aufl. Praha 1949 Chaisemartin, A; Proverbes et maximes du droit germanique étudiés en eux-mêmes et dans leurs rapports avec le droit français, Paris 1891 Champion, Selwin Gurney: Racial proverbs, London 1938 Chitimia, /. C.: Paremiologie (= Studii si cercet- âri de istorie literara §i folclor 9), Bucuresti 1960 Cock, Alfons de: Proverbes et dictions flamans et hollandais sur différents métiers, in: Rev. trad. pop. 10, Paris 1895, S. 397-405 -: Spreekwoorden en zegswijzen, afkomstig van oude gebruiken, 2. Aufl. Gent 1908 -: Spreekwoorden en zegswijzen over de vrou- wen, de liefde en het huwelijk, Gent 1911 -: Spreekwoorden, zegswijzen en uitdrukkingen op volksgeloof berustend, 2 Bde., Antwerpen 1920-22 Cohen, Israel: Parallel proverbs in English, German and Hebrew, Tel Aviv 1954 Colberg, Carolus: Paroemiae „Kauf bricht Mie- the“, Diss. Halle 1858 Collins, J.: Dictionary of Spanish Proverbs, London 1938 Cordes, Gerhard: Zur Terminologie des Begriffs ,Umgangssprache4, in: Festgabe für Ulrich Pretzel zum 65. Geburtstag, dargebracht von Freunden und Schülern, hg. v. Werner Simon, Wolfgang Bachofer u. Wolfgang Dittmann, Berlin 1963, S. 338-354 Cornette, James C.: Proverbs and proverbial expressions in the German works of Martin Luther. Ph. D. dissertation University of North Carolina (Unpublished) Chapel Hill 1942 Crecelius, Wilhelm: Oberhessisches Wörterbuch, 2 Bde., Darmstadt 1897/99 Crusius, Otto: Märchenreminiszenzen im antiken Sprichwort (= Verhandlungen der 40. Philologenversammlung zu Görlitz, 1890), S. 38 -: Aus der Geschichte der Fabel, in: C. H. Kleu- kens Buch der Fabeln, 2. Aufl. Leipzig 1920, S. XLVII ff. 1193
Quellen und Darstellungen Dähnert, Johann Karl: Platt-Deutsches Wör- ter-Buch nach der alten und neuen Pommer- schen und Rügischen Mundart, Stralsund 1781 Dang, J. S.: Darmstädter Wörterbuch, Darm- stadt 1936 Dankert, Harald: Sportsprache und Kommunikation (= Volksleben Bd. 25), Tübingen 1969 Davidoff, Henry: A world-treasury of Proverbs from twenty-five Languages, New York 1954 Dedekind, Friedrich: Grobianus, verdeutscht v. Kaspar Scheidt, Halle 1882 Dejardin, Auguste Joseph: Dictionnaire des spots ou proverbes Wallons... précédé d’un étude sur les proverbes par J. Stecker, Liège 1863 Deutsche Wortgeschichte. Festschrift für Alfred Götze, 3 Bde, Berlin 1943 Deutscher Sprachatlas. Begründet von Georg Wenker, Marburg 1927-56 Deutsches Rechtswörterbuch -»Schröder Diefenbach, Lorenz: Glossarium latino-germa- nicum mediae et infimae aetatis, Frankfurt a.M. 1857 Novum glossarium latino-germanicum, Frankfurt a.M. 1867 Diefenbach, Lorenz u. Ernst Wülcker: Hoch- und Niederdeutsches Wörterbuch der mittleren und neueren Zeit, Basel 1885 Dietz, Ph.: Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schriften, Bd. 1 ff. (A-H), Leipzig 1870 Dijkstra, Waling: Friesch Woordenboek, 3 Bde., Leeuwarden 1900-11 Dirksen, Carl: Ostfriesische Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten, 2. Aufl. Ruhrort 1889 Dittmaier, Heinrich: Zum Wortschatz der rheinischen Umgangssprache, in: Rhein.-westf. Zs. f. Vkde. 4, 1957, S.79ff. Dobrovskÿ, Josef: teskych prislovi sbirka (Sammlung tschechischer Sprichwörter), Prag 1963 Doornkaat-Koolman, J. ten: Wörterbuch der ostfriesischen Sprache, 3 Bde., Norden 1879-84 Dopheide, Maria: Sprichwortsammlung im Archiv für westfälische Volkskunde, in: Proverbium 15, 1970, S. 26ff. -: Sprichwörter in der Rede des Isländers, dargestellt an ihrem Gebrauch in der Njäls saga, Diss. Freiburg 1973 Dornsei ff Franz: Die griechischen Wörter im Deutschen, Berlin 1950 -: Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen, 5. Aufl. Berlin 1959 Dnchs, E.: Murners Sprichwörter und ihre Quellen. Beiträge zur Deutschkunde, in: Festschrift Th. Siebs zum 60. Geburtstag, Emden 1925, S. 76-84 Der Große Duden: Bd. 2, Stilwörterbuch der deutschen Sprache, 5. Aufl. Mannheim 1963 -: Bd. 7, Herkunftswörterbuch. Etymologie, Mannheim 1963 Diiringsfeld, Ida v. u. O. Frh. v. Reinsberg-Dü- ringsfeld: Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen vergleichend zusammengestellt, 2 Bde., Leipzig 1872-75 Dunwoody, H. H. C.: Weather proverbs (Signal Service Notes IX), Washington 1883 Duplessis, M. G.:Bibliographie parémiologique, Paris 1847 Dyer, Thomas F.: Folk-Lore of women, London 1905 Ebel, Wilhelm: Über Redensarten und Recht, in: Moderna Sprâk 1960, S. 1-12 Eberhard, J. A.: Synonymisches Handwörterbuch der dt. Sprache, Wien 1807 Eberth, Hans Henrich: Die Sprichwörter in Sebastian Brants Narrenschiff. Ein Beitrag zur dt. Sprichwortgeschichte (= Deutsches Werden. Greifswalder Forschungen zur dt. Geistesgeschichte 3), Greifswald 1933 Eckart, Rudolf: Niederdeutsche Sprichwörter und volkstümliche Redensarten, Braunschweig 1893 -: Der Lehrer im Sprichwort, in: Rhein.-westfälische Schulzeitung, 16. Jg. Nr. 52, Aachen 29. 9. 1893 -: Stand und Beruf im Volksmund. Eine Sammlung von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten, Göttingen 1900 -: Der Teufel im Sprichwort der Oberlausitzer Wenden, in: Mitt. d. Ver. Sächs. Vkde. IV, 1908, S. 311-314 Egbert v. Lüttich: Fecunda ratis. Ed. v. Voigt, Halle 1889 Egenolff: Sprichwörter/ Schöne/ Weise Klugreden/ Darinnen Teutscher vnd anderer Spraachen Höfflichkeit/ Zier/ Höchste Ver- nunfft vnd Klugheyt/ Was auch zu Ewiger vnd Zeitlicher Weissheit/ Tugendt/ Kunst vnd Wesen diene/ gespürt vnd begriffen, Frankfurt a. M. 1575 Ehmann, Paul: Die Sprichwörter und bildlichen Ausdrücke der japanischen Sprache, 2. Aufl. Tokyo 1927 Eichholz, Karl: Lateinische Citate mit deutscher Übersetzung, 2. verm.'Aufl. Hamburg o.J. Eichwald, Karl (= Karl Tannen): Niederdeutsche Sprichwörter und Redensarten, gesammelt und mit einem Glossar versehen, 5. Aufl. Bremen 1881 Eilenberger, Rudolf: Pennälersprache. Entwicklung, Wortschatz und Wörterbuch, Straßburg 1910 Eiselein, Josua: Die reimhaften, anklingenden und ablautenden Formeln in der hochdeutschen Sprache, Konstanz und Leipzig 1841 -: Sprichwörter und Sinnreden des deutschen Volkes in alter und neuer Zeit..., Freiburg u. Constanz 1840, 3. Aufl. Donaueschingen 1868 Elmslie, William Alexander L.: Studies in Life from Jewish Proverbs, London 1917 Engelin, August u. W. Lahn: Der Volksmund in der Mark Brandenburg. Sagen ..., Sprichwörter..., Berlin 1868 Ennemoser, Herbert: Die Redensarten in Dornbirn, in: Heimat 7, 1916, S. 71-80 Erasmus v. Rotterdam: Adagiorum Opus, Basel 1528 ? Erk, Ludwig u. Franz Magnus Böhme: Deutscher Liederhort, 3 Bde., Leipzig 1893-94, Neudruck Hildesheim und Wiesbaden 1963 Esser, Wilhelm: Zu einigen Sprichwörtern und volkstümlichen Redensarten, in: Zs. f. 1194
Quellen und Darstellungen rhein.-westf. Vkde. 10, 1913, S 29-37 272-279 Eulenspiegel, Till. Abdruck der Ausg. vom Jahre 1515. Hg. von Hermann Knust (= Neudrucke dt. Litteraturwerke des XVI. u. XVII. Jh., 55-56), Halle 1884 Euling, AT.: Das Priamel bis Hans Rosenplüt ( = Germanistische Abhandlungen 25), Breslau 1905 Evans,' Bergen: Dictionary of Quotations, New York 1968 Eyering, Eucharius: Proverbiorum Copia, Et- lich viel hundert Lateinischer vnd Teut- scher... Sprüchwörter..., 3 Bde., Eisleben 1601-03 Faber, Georg: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten in der Leihgestemer Mundart, in: Hess. Bl. f. Vkde., Bd. 7, 1908, S. 160-182 Falk, Hjalmar S. u. Alf Torp: Norwegisch-dänisches etymologisches Wörterbuch. Dt. Ausg., Bd. 1-2, Heidelberg 1910-11 Favier, J.: Sentences et Proverbes recueillis en Lorraine, Nancy 1904 Firmenich, Johannes Matthias: Germ aniens Völkerstimmen. Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen..., 3 Bde., 3. Aufl. Berlin 1843-67 Firth, Raymond: Proverbs in Native Life, with Special Reference of those of the Maori, in: Folk-Lore 37, 1926, S. 134-153, 245-70 Fischart, Johann: Geschichtklitterung 1575; Aller Praktik Großmutter 1572; Flöhhatz, Straßburg 1573; Das philosophische Ehezuchtbüchlein, Straßburg 1607; Weibertratz. Sämtliche Dichtungen hg. v. H. Kurtz 1866/ 1867 (= Neudrucke deutscher Literaturwerke 65-71), hg. v. A. Alsleben, Halle 1891 -: Werke, hg. v. Adolf Hauffen, 3 Bde., Stuttgart o. J. (1895L) Fischbach, Peter Joseph u. J. van der Giese: Dü- rener Volksthum ... Eine Sammlung von Redensarten, Sprichwörtern... hg. v. H. J. Werners, Düren 1880 Fischer, Hermanne. Wilhelm Pfleiderer: Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 1-6, Tübingen 1904-36 Flachskampf, Ludwig: Spanische Gebärdensprache, in: Romanische Forschungen 52, 1938, S. 205-258 Follmann, Michael Ferdinand: Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten, Leipzig 1909 Fraenger, Wilhelm: Der Bauernbruegel und das deutsche Sprichwort, Erlenbach-Zürich, München u. Leipzig 1923 Fraenkel, Ernst: Litauisches etymologisches Wörterbuch (= Indogerm. Bibliothek R. 2), Heidelberg u. Göttingen 1955-65 Franck, J.. Die dt. Sprüchwörter und sprw. Rdaa. über das Geflügel seit den ältesten Zeiten, in: Tauben- und Hühner-Zeitung (Berlin 1861), Nr. 2, 19, 26, Nr. 1, 5, 6, 8, 10, 14. Franck, Sebastian: Erste namenlose Sprichwörtersammlung vom Jahre 1532, hg. v. Friedrich Latendorf, Poesneck 1876 -: Sibenthalbhundert Sprichwörter, Franckfurth 1532 -: Sprichwörter, Schöne, Weise, Herrliche Clüg- reden vnnd Hoffsprüch, Franckenfurt a. M. 1541; Ndr. Darmstadt 1972 Frank, Grace and Dorothy Miner: Proverbes en Rimes, Baltimore 1937 Frank, Johannes: Etymologisch Woordenboek der Nederlandsche Taal. Tweede Druk door N. van Wijk, Haag 1912. Supplement door C. B. Haeringen 1936 Freidank: Bescheidenheit, hrsg. v. H. E. Bez- zenberger, Halle 1872 Frenzei, Herbert u. Werner Ross: 1000 idiomatische italienische Redensarten, 7. Aufl. Berlin 1963 Frevtag, Georg Wilhelm: Arabum Proverbia, 4 Bde., Bonn 1836-43 Friederich, Wolf: Moderne deutsche Idiomatik. Systematisches Wörterbuch mit Definitionen und Beispielen, München 1966 Frings, Theodor u. Elisabeth Karg-Gaster- städt: Althochdeutsches Wörterbuch, Berlin 1925 ff. Frisch, Johann Leonhard: Teutsch-Lateinisches Wörterbuch, Bd. 1-2, Berlin 1741 Frischbier, Hermann: Preußische Sprichwörter und volksthümliche Redensarten... 2. verm. Aufl. Berlin 1865, 2. Sammlung Berlin 1876 -: Preußisches Wörterbuch. Ost- und Westpreußische Provinzialismen in alphabethischer Folge, Berlin 1882/83 Frisk, Hjalmar: Griechisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1956ff. Fuchs, Eduard: Thomas Murners Sprichwörter und ihre Quellen, in: Festschrift Theodor Siebs zum 60. Geburtstag. Beiträge zur Deutschkunde, Emden 1925, S. 76-84 Fuchs, Hardy: Die Funktion des Sprichwortes bei Theodor Fontane, Diss. Michigan State University 1970 Fulda, Friedrich Karl: Versuch einer allgemeinen teutschen Idiotikon-Sammlung, Berlin u. Stettin 1788 Fumagalli, Giuseppe: Dizionarietto di 2948 sen- tenze, proverbi, etc., Milano 1934 Gamillscheg, Ernst: Etymologisches Wörterbuch der frz. Sprache, Heidelberg 1928 Ganz, Peter Felix: Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz 1640-1815, Berlin 1957 Garrigues, Albert: Essais parémiologiques, Paris 1936 Gartner, Andreas: Proverbia Dicteria, Versibus Rhytmaticis, Teutsche Sprichwörter, Frankfurt a.M. 1566 (dann 1574, 1598) Gay, Jean: Les Chats. Extraits de pièces rares... proverbes..., Paris 1866, S. 201-208 Geibel, Joh. Daniel: JJ. Trivm Sermone Prov. Parvi fvres svspendvntur. Kleine Diebe hängt man, Altdorf 1726 Geissler, Friedmar: Die Sprache der deutschen PsoW. während und nach dem zweiten Weltkrieg in England und Kanada, in: Zs. f. dt. Philologie 73, 1954, S. 40-72 Gennep, Arnold van: Manuel de Folklore Français contemporain, Bd. IV, Paris 1938. (Enth. eine Bibliographie von ca. 150 frz. parömio- graphischen Werken und Abhandlungen, nach Landschaften bzw. Dialekten geordnet) Genthe, Arnold: Deutscher Slang. Eine Samm- 1195
Quellen und Darstellungen lung familiärer Ausdrücke und Redensarten, Straßburg 1892 Gering, Hugo: Alt nord. Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten, in: Arkiv för nordiske filologi 32, 1915 Gerke-Siefart, Hilde: Sprichwörter und Redensarten bei Johann Fischart. Hin Beitrag zur deutschen Sprichwortgeschichte, Diss. München 1953 Gerlingius, Johannes: Sylloge adagiorum aliquot Des. Erasmi Roterodami aliorumque iuxta ordinem alphabeticum digestorum et Germanico idiomate expressorum collecta, Leiden 1649 Gesner, Conrad: Historia Animalium, 5 Bde., Tiguri 1551-1587, Frankfurt 1586, 3 Bde., Frankfurt 1602, 1620 Giani, Leopold C. M.: Italienische Sprichwörter in deutschem Gewände, Stuttgart 1876. Giusti, Giuseppe u. Gino Capponi: Dizionario dei proverbi italiani, Milano 1956 Glück, Gustav: Das große Bruegel-Werk, 3. Aufl. Wien u. München 1955 Gluski, Jerzy: Proverbs. Proverbes-Sprichwör- ter-Proverbi-Proverbios-Poslovicy. A comparative book of English, French, German, Italian, Spanish and Russian proverbs with a Latin appendix, Amsterdam 1971 Göhring, Ludwig: Volkstümliche Redensarten und Ausdrücke. Deutung noch unerklärter, unvollständig oder gar unrichtig erklärter volkstümlicher Redensarten und Ausdrücke, München 1937 Gölpfert, Ernst: Die Mundart des sächsischen Erzgebirges..., Leipzig 1878, S. 93-95; S. 96-102 Götze, Alfred: Alte Redensarten neu erklärt, in: Zs. f. dt. Wortforschung 4, 1903, S. 330-332 -: Frühneuhochdeutsches Glossar, 6. Aufl. Bonn 1960 Gombert, Albert: Einiges über Schlagworte und Redensarten, in: Zs. für dt. Wortforschung 3, 1902, S. 144-182, 308-336 Gordon, Edmund L: Sumerian proverbs (University of Pennsylvania), Philadelphia 1959 Gossel, J.: Sprichwörtliche Redensarten mit ihren Erklärungen, Berlin 1880 Gottschalk, Walter: Die sprichwörtlichen Redensarten der französischen Sprache. Ein Beitrag zur französischen Stilistik, Kultur- und Wesenskunde (= Sammlg. Romanischer Elementar- u. Handbücher, IV. Reihe: Kul- turgesch.), Heidelberg 1930 -: Die bildhaften Sprichwörter der Romanen, 3 Bde. (= Sammlg. Romanischer Elementar- u. Handbücher, IV. Reihe Kulturgesch.), Heidelberg 1935, 1936, 1938 Graf, Adolf Eduard: 6000 deutsche und russische Sprichwörter, 3. Aufl. Halle 1960 -: 600 deutsche und europäische Sprichwörter, 2. Aufl. Halle 1958 -: Idiomatische Redewendungen und Redensarten der russischen und deutschen Sprache, München 1966 Graf Eduard u. Mathias Dietherr: Deutsche Rechtssprichwörter, unter Mitwirkung der Professoren J. C. Bluntschli u. K. Maurer gesammelt und erklärt... 2. Ed. Nördlingen 1869 Graff Eberhard Gottlieb: Althochdeutscher Sprachschatz, Bd. 1-7, Berlin 1834-46, Nachdruck Darmstadt 1963 Grambo, Ronald: Umulighetssymboler i. folke- tradisjonen, in: Maal og Minne 1-2, 1963, S. 60-71 Grauls, Jan: De spreekworden van Pieter Bruegel den oude verklaard, Antwerpen 1938 -: Volkstaal en Volksleven in het Werk van Pieter Bruegel, Antwerpen u. Amsterdam 1957 Grimm, Jacob: Deutsche Rechtsaltertümer, Göttingen 1828, 4. Ausgabe von A. Hübner u. A. Heusler, Bd. 1-2, Göttingen 1899 Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 1-16, in 32 Teilen, Leipzig 1854-1954 Grimm, Wilhelm: Über die Bedeutung der deutschen Fingernamen, in: Kleinere Schriften, Bd. 3, Berlin 1883, S. 428ff. Grober-Glück, Gerda: Zur Verbreitung von Redensarten und Vorstellungen des Volksglaubens nach den Sammlungen des Atlas der deutschen Volkskunde, in: Zs. f. Vkde. 58, 1962, S. 41-71 Gruenter, Rainer: Thomas Murners satirischer Wortschatz, in: Euphorion 53, 1959, S. 24-40 Gruttmann, Felicitas: Ein Beitrag zur Kenntnis der Volksmedizin in Sprichwörtern, Redensarten und Heilsegen des englischen Volkes, mit besonderer Berücksichtigung der Zahnheilkunde (= Arbeiten der deutsch-nordischen Gesellsch. f. Gesch. der Medizin, der Zahnheilkunde und der Naturwissenschaften 20), Greifswald 1939 Gspann, Luden: Gallicismes et Germanismes à gogo, Paris 1971 Gsteu, Hermann: Redensarten und Sprichwörter aus dem Hinterwald, in: Vorarlberger Monatshefte 13, 1932, S. 49 Guenther, Friedrich Joachim: Entwürfe zu Vorträgen und Aufsätzen über 100 Sprichwörter... (Erklärung und Illustrierungen von 100 Sprichwörtern und 100 Redensarten von Schiller), Eisleben 1861 Günther, Ludwig: Das Rotwelsch des deutschen Gauners, Straßburg 1905 Die deutsche Gaunersprache und verwandte Geheim- und Berufssprachen, Leipzig 1919 Güntert, Hermann: Grundfragen der Sprachwissenschaft, 2. Aufl. bearbeitet von Anton Scherer, Heidelberg 1956 Gi'intzel, yo//^///z^:Haubtschlüssel der teutschen und italiänischen Sprache, Augsburg 1648 Guershoon, Andrew: Certain aspects of Russian proverbs, London 1941 Guggenbiihl, Adolf: Schweizerdeutsche Sprichwörter, Zürich 1950 G niter, Henri: Proverbes et dictons catalans, Paris 1969 Haas, Alfred: Huhn und Hahn im pommerschen Sprichwort, in: Pommerscher Heimatkalender, Greifswald 1924, S. 59 ff. -: Der Bauer im pommerschen Sprichwort, in: Heimatkalender für Pommern 1925 -: Die Tiere im pommerschen Sprichwort ( = Pommersches Schrifttum. Denkmäler pommerscher Geschichte, Dichtung und Mundart), Bd. 2, Greifswald 1925 1196
Quellen und Darstellungen Haase, K. Eduard: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus der Grafschaft Ruppin und Umgegend, in: Zs. d. Ver. f. Vkde. 2, 1892, S. 437-440 Haeckel, Willi: Das Sprichwort bei Chaucer ( = Erlanger Beiträge zur englischen Philologie VIII), Erlangen 1890 Haefeli, Leo: Sprichwörter und Redensarten aus der Zeit Christi, Luzern o.J. (1934) Hält/, Emanuel: Pädagogische Sprichwörter, Stuttgart 1857 Hahn, Christian Diederich: Bauernweisheit unterm Mikroskop. Landbuch für Stadtleute, Oldenburg u. Berlin 1943 Hain, Mathilde: Sprichwort und Volkssprache. Eine volkskundlich-soziologische Dorfuntersuchung (= Gießener Beiträge zur dt. Philologie 95), Gießen 1951 Sprichwort und Rätsel, in: Dt. Philologie im Aufriß. 2. Aufl. Bd. 3, Berlin 1962, Sp. 2727-54 Haller, Joseph: Altspanische Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus den Zeiten vor Cervantes... verglichen mit den entsprechenden der Griechen und Römer, der Lateiner der späteren Zeiten, dersämmtl. german, und roman. Völker, 2 Bde., Regensburg 1883 Halpert, Herbert: Folklore and Obscenity. Definitions and Problems, in: Journal of American Folklore 75, 1962, S. 190ff. Haitaus, Christian Gottlieb: Glossarium germa- nicum medii aevi, Leipzig 1758 Haltrich, Josef: Negative Idiotismen der sieben- bürgischen Volkssprache, Hermannstadt 1866 -: Zur Volkskunde der Siebenbürger Sachsen ..., in: Kleinere Schriften, hg. von Wolff, Wien 1885, S. 91-102: Tierwelt im Sprichwort, S. 341-406: Sprichwörtl. Redensarten Hand, Wayland Debs: Folk Beliefs in Proverbial Form, in: Proverbium 15, 1970, S. 48ff. Handschin, Charles Hart: Das Sprichwort bei Hans Sachs (= Bulletin of the University of Wisconsin Nr. 103, Philology and Literature Series, Vol. Ill, Nr. 1), Madison/Wisconsin 1904 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. E. Hoffmann-Krayer und H. Bächtold- Stäubli, 10 Bde., Berlin u. Leipzig 1927-42 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Adalbert Erler u. Ekkehard Kaufmann, Berlin 1964ff. Hanzely, K. Erklärung lat. Sprichwörter für die studierende Jugend, Brünn 1794 Happich, K.: Bildbewußtsein u. schöpferische Situation, in: Dt. med. Wochenschrift 2, Berlin 1939 Harrebomée, Pieter Jacob: Spreekwoordenboek der nederlandsche taal. 3 Bde., Utrecht 1858 bis 1870 Hartnak, Karl: Sprichwörtliche und andere sog. stehende Redensarten aus dem Wittgen- steinischen, in: Zs. f. westdt. Vkde. 25, 1928, S. 133 ff. Haubich, Werner: Die Metaphorik des Sports in der deutschen Gegenwartssprache, Diss. Köln 1963 Haupt, Hermann: Oberrheinische Sprichwörter und Redensarten des ausgehenden 15. Jh., in: Zs. f. dt. Philologie 29, 1897, S. 109-110 Hauser, Christian: Sprüche und sprichwörtliche Redensarten aus Paznaun, in: Zs. f. Vkde. 7, 1897, S. 199-202 Havers, Wilhelm: Neuere Literatur zum Sprachtabu (= Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-hist. Klasse, Bd. 233), Wien 1946 Hayes, Francis C.: Collecting of proverbs in Spain before 1650, in: Hispania (Stanford Univ. Calif.) 20, 1936, S. 85-94 -: Should we have a dictionary of gestures?, in: Southern Folklore Quarterly IV, 1940, S. 239-245 -: Gestures. A working bibliography, in: Southern Folklore Quarterly XXI, 1957, S. 218 bis 313 Hazlitt, William Carew: English Proverbs and proverbial phrases, 3. Aufl. London 1907 Hedemann, Justus Wilhelm: Aus der Welt der Rechtssprichwörter, in: Das deutsche Privat- recht in der Mitte des 20. Jh. Festschrift für Heinrich Lehmann zum 80. Geburtstag, 2 Bde., Berlin-Tübingen-Frankfurt a. M. 1956 Heilfnrth, Gerhard: Das Bergmannslied, Kassel 1954 Heinzei, M.: Sprichwörter und Redensarten, in: Mitt. d. schles. Ges. f. Vkde. 5, 1903, S. 7-9 Helfft, Johann Jacob: Encyklopädisches Wörterbuch der Landbaukunst, Berlin 1836 Hellmann, Gustav: Über den Ursprung der volkstümlichen Wetterregeln (Bauernregeln) (= Sitzungsber. der preuss. Akad., phys.- math. Kl.), 1923, S. 148-170 Heflquist, Elof: Svensk etymologisk Ordbok,Bd. 1. 2, 3. Aufl. Lund 1957 Henisch, Georg:Teutsche Sprach und Weißheit, Augsburg 1616 Henkel, Arthur u. Albrecht Schoene: Emblemata, Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jh., Stuttgart 1967 Henkel, Hermann: Sprichwörtliches bei Goethe, in: Goethe-Jahrbuch 2 (Frankfurt a. M.), 1890, S. 179-183 Hentrich, Konrad: Wörterbuch der nordwest- thüring. Mundart des Eichsfeldes, Göttingen 1912 Henzen, Walter: Schriftsprache und Mundarten, 2. Aufl. Bern 1953 Herg, Emmi: Dt. Sprichwörter im Spiegel fremder Sprachen, Berlin 1933 Herles, Helmut: Sprichwort und Märchenmotiv in der Werbung, in: Zs. f. Vkde. 62, 1966, S. 67-80 Hermann, Leonhard: Das Bier im Volksmund. Alte Sprichwörter und Redensarten, Berlin o.J. (1930) Hertel, Ludwig:Thüringer Sprachschatz. Sammlungmundartlicher Ausdrücke aus Thüringen, Weimar 1895 Herzog, George: Jabo Proverbs from Liberia. Maxims in the Life of a native tribe, London 1936 Hetzel, S.: Wie der Deutsche spricht. Phraseologie der volkstümlichen Sprache, Leipzig 1896 Heuft, J.: Sprichwörter und Redensarten in Maifelder Mundart aus Trimbs bei Polch im Kreise Mayen (Rheinprovinz), in: Zs. f. 1197
Quellen und Darstellungen rhein.-westf. Vkde. 10, 1913, S. 284-286; 14, 1917, S. 209-213 Heupold, Bernhard: Dictionarium erklärend al- lerley schwäre vnbekanndte Teutsche, Griechische etc. auch anderer Nationen Wörter, so in die Teutsche Spraach eingerissen, Basel 1620 Heuseler: Luthers Sprichwörter aus seinen Schriften gesammelt, Leipzig 1824 Heusler, Andreas: Sprichwörter indeneddischen Sittengedichten, in: Zs. d. Ver. f. Vkde. 25, 1915, S. 108-115; 26, 1916, S. 42-47 Heyne, Moriz:Deutsches Wörterbuch, Bd. 1-3, 2. Aufl. Leipzig 1905-06 Hey wood, John: A dialogue of proverbs, ed. with introd., comm, and ind. by Rudolph Everett Habenicht. Berkeley and Los Angeles 1963 Hippe, Max: Reimsprüche aus einer Breslauer Liederhandschrift, in: Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde., Bd. XIII-XIV, 1911-12, S. 685-700 Hoefer, Edmund: Wie das Volk spricht. Sprichwörtliche Redensarten (Stuttgart 1859), 10. Aufl. Stuttgart 1898 Hofier, Max: Deutsches Krankheitsnamenbuch, München 1899 Honig, Fritz: Wörterbuch der Kölner Mundart, Köln 1905 -: Sprichwörter und Redensarten in Kölnischer Mundart (Köln 1896), Neudruck Köln 1912 Hörmann, Ludwig v.: Volkstümliche Sprichwörter und Redensarten aus den Alpenlanden, 2. Aufl. Stuttgart u. Berlin 1913 Hoffmann von Fallersleben, Heinrich: Die ältesten deutschen Sprichwörtersammlungen, in: Weimar. Jb. f. dt. Sprache, Lit. und Kunst, Bd. 2, Weimar 1855 Hoffmann, Hellmut: Die Metaphern in Predigten und Schriften Abrahams a Santa Clara, Diss. Köln, Düsseldorf 1933 Hofftnann, Konrad: Deutsche Sprichwörtersammlung aus dem 14. Jh., in: Sitzungsber. der Kgl. Bayr. Akad. d. Wiss., Bd. 2, H. 1, München 1870, S. 25-38 Hoffmann, Wilhelm: Rheinhessische Volkskunde (Mit einem Beitrag über Volkssprache von Fr. Maurer und A. Szogs), Bonn u. Köln 1932 Hofmann, Lieselotte: Der volkskundliche Gehalt der mittelhochdt. Epen von 1100 bis gegen 1250, Diss. München 1939 Hof mann, Winfried: Das Rheinische Sag wort (= Quellen und Studien zur Volkskunde 2), Siegburg 1959 Hofmannsthal, Hugo v.: Französische Redensarten. Gesamm. Werke in Einzelausg. [7.] Prosa 1, Frankfurt a. M. 1956 Holbek, Bengt og lorn Pie: Politikens Antolo- gier Alverdens Ordsprog, Kopenhagen 1966 -: Proverb Style, in: Proverbium 15, 1970, S. 54ff. [1965 Holm, Pelle: Ordspräk och Talesätt, Stockholm Holthausen, Ferdinand: Altenglisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1934 -.'Altfriesisches Wörterbuch, Heidelberg 1925 -: Etymologisches Wörterbuch der englischen Sprache, 3. Aufl. Göttingen 1949 -: Gotisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1934 -: Vergleichendes und etymologisches Wörter¬ buch des Altwestnordischen, Göttingen 1948 -: Altsächsisches Wörterbuch, Münster u. Köln 1954 Honold, Hubert: Arbeit und Leben der Winzer an der Mittelmosel, Diss. Köln, Wittlich 1941 Horn, Paul: Die deutsche Soldatensprache, 2. Aufl. Gießen 1905 Hürlimann, Martin: Stimmen der Völker im Sprichwort, Zürich 1945 [2., unveränd. Aufl. 1952] Hulme, Frederick Edward: Proverb Lore, London 1902 Hundhausen, Carl: Wesen und Form der Werbung, Essen 1954 Hunziker, Johann: Aargauer Wörterbuch, Aarau 1877 Huth, Marie Luise: Das Sprichwort bei Mosche- rosch. Unpublished Phil. D. dissertation, University of North Carolina, Chapel Hill 1940 Hymes, Dell: The Ethnography of Speaking, in: Anthropology and Human Behavior, ed. Thomas Gladwin and William C. Sturtevant, Washington D. C. 1962, S. 15-53 Idioma. Internationale Zeitschrift f. moderne Sprachen. (München) 1964 ff. Idiotikon, Schweizerisches /Staub Ihren, Heinrich v. d.: Eifeier Sprichwörter und Redensarten, in: Zs. d. Vereins f. rhein. u. westf. Vkde. 3, 1906, S. 151-159 Ilg, Gérard: Proverbes français suivis des équivalents en allemand, anglais, espagnol, italien, néerlandais, Amsterdam 1960 Imme, Theodor: Die deutsche Soldatensprache der Gegenwart und ihr Humor, 2. Aufl. Dortmund 1918 Ineichen, Heinrich: Der Volksmund im Luzer- nergebiet, in: Die Schweiz 3 (Schaffhausen) 1860 Ingersoll, Ernest: Birds in Legend, Fable and Folklore, New York 1923 Ischer, Rudolf: Redensarten und Sittenschilderungen in den Schriften Thomas Murners, in: Neues Berner Taschenbuch auf das Jahr 1902, S. 54 ff. Ittenbach, Max: Die symbolische Sprache des deutschen Volksliedes, in: Deutsche Vierteljahrsschrift f. Lit.-Wiss. 16, 1938, S. 476-510 Jaeger, Monika: Theorien der Mundartdichtung (= Volksleben 3), Tübingen 1964 Jahrbuch d. Vereins f. niederdt. Sprachforschung, 1875 ff. Jakob, Julius: Wörterbuch des Wiener Dialektes, Wien u. Leipzig o.J. (1929) Jaszczun, Wasyl u. Szymon Krynski: A dictionary of Russian idioms and colloquialisms, Pittsburgh 1967 Jellinghaus, Hermann: Sprichwörter und Redensarten aus Nordwestfalen, in: Jb. d. Ver. f. ndd. Sprachforschung 38, 1912, S. 155-164 Jente, Richard: The Proverbs of Shakespeare with early and contemporary parallels ( = Washington University Studies, St. Louis, Humanistic series XII), 1926, S. 391-444 -: A Review of Proverb Literature since 1920, in: Corona. Studies in Celebr. of the 80th Birthday of S. Singer, Durham 1941 Jörger, Karl: Das Sprichwort in der Spracherzie- 1198
Quellen und Darstellungen hung, in: Die neue Volksschule 1 (Bonn) 1949/50, S. 394-396 Jöhannesson, Alexander: Altisländisches etymologisches Wörterbuch, Bern 1951 f. Jolies, André: Einfache Formen, 3. Aufl. Tübingen 1958 Jungandreas, Wolfgang u. Heinrich Wesche: Niedersächsisches Wörterbuch, Neumünster 1953 ff. Kapeller, Ludwig: Das Schimpfbuch. Von Amtsschimmel bis Zimtziege, 3. Aufl. Herren- alb/Schwarzwald 1964 /fa/.-Bijbelsche Uitdrukkingen en Spreekwijzen in onze Taal, Zutphen 1926 Kayser, Wolfgang: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, Oldenburg u. Hamburg 1957 Kehrein, Joseph: Volkssprache und Volkssitte im Herzogtum Nassau, Bd. 1-3, Weilburg und Bonn 1862-72 Kehrein, Joseph u. Franz Kehrein: Wörterbuch der Weidmannssprache, Wiesbaden 1871, neue Ausg. Wiesbaden 1898 Kelly, Edmond Morgan: Fischart’s Use of the Proverb as a Stylistic Device in his,Geschichtsklitterung4, Diss. Michigan State University 1968 Keseling, Paul: Gleich und gleich gesellt sich gern, in: Gymnasium, Vierteljahrsschrift f. humanist. Bildung, H. 2, Heidelberg 1950, S. 124 Key, Willi: 1000 Worte Kölsch. Kölner Sprichwörter, Rodenkirchen b. Köln 1950 Kidner, Frank Derek: The proverbs. An introduction and commentary, London 1964 Kin, David: Dictionary of American Proverbs, New York 1955 Kindleben, Christian Wilhelm: Studenten-Lexi- kon, Halle 1781 Kirchhof er, Melchior: Wahrheit und Dichtung. Sammlung schweizerischer Sprichwörter, Zürich 1824 Kirchhoff, Hans Wilhelm: Wendunmuth, hg. v. Hermann Oesterley, 5 Bde., Stuttgart 1869 Klancar, Anthony J.: A tentative bibliography on the Slovene proverbs, in: Journ. of Amer. Folklore 61 (New York), 1948, S. 194-200 Klappenbach, Ruth u. Wolfgang Steinitz: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Berlin 196 Iff. Klapper, Joseph: Schlesische Sprichwörter des Mittelalters, in: Mitt. d. schles. Ges. f. Vkde. XII, 1910 -: Die Sprichwörter der Freidankpredigten. Ein Beitrag zur Geschichte des ostmitteldeutschen Sprichworts und seiner lateinischen Quellen. Proverbia Fridanci (= Wort und Brauch 16), Breslau 1927 -: Sprüche, Sprichwörter, Reime, Rätsel, in: Handbuch d. dt. Volkskunde, hg. v. Wilhelm Pessler, Bd. 2, Potsdam o. J., S. 389-400 Klein, Hans Wilhelm: Die volkstümlichen sprichwörtlichen Vergleiche im Lateinischen und in den romanischen Sprachen, Diss. Tübingen 1937 -: 1000 idiomatische französische Redensarten, Berlin 1937, 15. Aufl. 1000 idiomatische Redensarten Französisch, Berlin 1966 Kleinpaul, Rudolf: Das Leben der Sprache und ihre Wertstellung, Bd. I: Sprache ohne Worte, Leipzig 1893 Volkspsychologie. Das Seelenleben im Spiegel der Sprache, Berlin 1914 Klenz, Heinrich: Die deutsche Druckersprache, Straßburg 1900 -: Schelten-Wörterbuch. Die Berufs-, bes. Handwerkerschelten und Verwandtes, Straßburg 1910 Klimenko, Iwan: Formen und konstruktive Eigentümlichkeiten der russischen Sprichwörter, Diss. Freiburg 1946 -: Das russische Sprichwort, Bern 1946 Kloeke, Gesinus Gerhardus: Kamper Spreek- woorden. Naar de Uitgave van Warnersen Anno 1550, in: Taalkundige Bijdragen van Noord en Zuid, Assen 1959 Klotz, Volker: Slogans, in: Sprache im technischen Zeitalter 7, 1963, S. 538-546 Kluge, Friedrich: Deutsche Studentensprache, Straßburg 1895 -: Rotwelsch, I. Rotwelsches Quellenbuch, Straßburg 1901 [1911 -: Wörterbuch der Seemannssprache, Halle -: Wortforschung und Wortgeschichte, Leipzig 1912 -: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 19. Aufl. bearbeitet v. Walter Mitzka, Berlin 1963 Kluge, Friedrich u. Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 16. Aufl. Berlin 1953 Knauer, K.: Vulgärfranzösisch, 1954 Knoop, Otto: Plattdeutsche Sprüchwörter aus Hinterpommern, in: Korrespondenzblatt d. Ver. f. niederdt. Sprachforschung, 1885, H. 10, S. 52-59 -: Plattdeutsches aus Hinterpommern, in: Gymnasialprogramm Gnesen 1890, ed. Posen 1890, 3 Teile, Fortsetzung Rogasen 1891 Knortz, Karl: Der menschliche Körper in Sage, Brauch und Sprichwort, Würzburg 1909 Köhler, Reinhold: Kleinere Schriften zur neueren Literaturgeschichte, Volkskunde und Wortforschung, hg. v. Joh. Boite. 3 Bde., Weimar (Berlin) 1898-1900 Koehne, Carl: Gewerberechtliches in deutschen Rechtssprichwörtern, Zürich 1915 Könnecker, Barbara: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus, Wiesbaden 1966 Kokes: Schlagworte des Humors, Leipzig 1891 Kolbe, Wilhelm: Redensarten in der spanischen Sprache, 2. Teil, Frankfurt a. M. 1967 Körnens ky, Jan Arnos: Moudrost starych Cechü za zrcadlo vystavena potomkum. (Die Weisheit der alten Tschechen zum Spiegel den Nachkommen gestellt), hg. v. F. Svejkovskÿ, Praha 1954 Korn, Karl: Sprache in der verwalteten Welt, Frankfurt 1958 Korrespondenzblatt d. Vereins für niederdt. Sprachforschung, 1877 ff. Körte, Friedrich Heinrich Wilhelm: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen. Nebst den Redensarten der Deutschen Zechbrüder (142 sprw. Rdaa.) und Aller Praktik Großmutter, d. i. der Sprichwörter 1199
Quellen und Darstellungen ewigem Wetter-Kalender (256 Kal.Spr.), Leipzig 1837, 2., vermehrte u. verbesserte Ausgabe Leipzig 1861 Koschmieder, Erwin: Das Gemeinte, in: Lexis 3, 1953, S. 308-315 Krack, Karl Erich: Redensarten unter die Lupe genommen. Vom Ursprung und Sinn vielgebrauchter Redewendungen und Begriffe, Berlin-Charlottenburg 1961 1000 Redensarten unter die Lupe genommen (= Fischer Bücherei 965), Frankfurt a. M. u. Hamburg 1969 Kramer, Matthias: Das neue Dictio narium; Nürnberg 1678 Krauss, Werner: Die Welt im spanischen Sprichwort. Dreihundert spanische Sprichwörter, Wiesbaden 1946, 2. Aufl. (= Reclams Univ.- Bibl. 208), Leipzig 1967 Krebs, Gotthold: Militärische Sprichwörter und Redensarten (Der Redensarten neue Folge), Wien 1895 Kremer, Edmund Philipp: German Proverbs and proverbial phrases with their English counterparts, Stanford/California 1955 Kretschmer, Paul: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache, Göttingen 1918 Kriss-Rettenbeck, Lenz: Probleme der volkskundlichen Gebärdenforschung, in: Bayerisches Jahrbuch f. Vkde. 1964/65, S. 14-16 Kritzinger, Christian Wilhelm: Neues frz.-dt. Sprichwörterbuch, Leipzig u. Budissinae 1742 Krogmann, Willy (Hg.)- Helgoländer Wörterbuch, Wiesbaden 1957 ff. Krön, Richard: Alltagsdeutsch. Ein kleines Handbuch der geläufigen familiären und Slang-Ausdrücke in der zwanglosen Umgangssprache, Freiburg i. Br. u. Bielefeld 1916 Kronfeld, Ernst Moritz: Krieg und Soldat in der Spruchweisheit, München 1915 Krüger-Lorenzen, Kurt: Das geht auf keine Kuhhaut, Düsseldorf 1960 -: Aus der Pistole geschossen. Deutsche Redensarten - und was dahinter steckt II, Düsseldorf u. Wien 1966 Krüger, Werner A.: Dichter- und Denkerworte. 12 000 Zitate und Sentenzen aus der Weltliteratur, Basel 1945 Krumbacher, Karl: Mittelgriechische Sprichwörter (= Sitzungsberichte der philos.-philol. u. d. hist. Klasse d. bayer. Akad.), München 1893, II no. 1 Kruyskamp, Cornelis Helenus Adrianus: Alle- maal Mensen... Apologische Spreekwoor- den, 's-Gravenhage 1965 Krzyanowski, Julian: Madrej glowie dose dwie slowie, 2 Bde., Warszawa I960 -:Trzy centurie przyslow polskich, Warszawa 1958 Kiick, Eduard: Lüneburger Wörterbuch, Neumünster 1942 Küffer, Wilhelm: Sprichwörter und Redensarten in Gründener Mundart, in: Ethnolog. Mitteilungen aus Ungarn 5, 1896, S. 207-310 Küffner, Georg M.: Die Deutschen im Sprichwort. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, Diss. Heidelberg 1899 -: Die Engländer im Sprichwort (= Jahresber. d. Gymnasiums Ludwigshafen a. Rh. für 1915/16) Kiinssberg, Eberhard Frh. v.: Rechtliche Volkskunde (= Volk 3), Halle 1936 -: Rechtsgeschichte und Volkskunde, bearbeitet von Pavlos Tzermias, Köln u. Graz 1965 Küpper, Heinz: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Bd. 1, Hamburg 1955, 4. Aufl. Hamburg 1965; Bd. II, Hamburg 1963, 2. Aufl. Hamburg 1966; Bd. Ill, Hamburg 1964; Bd. IV, Hamburg 1966; Bd. V, Hamburg 1967; Bd. VI, Hamburg u. Düsseldorf 1970 Küpper, Marianne u. Heinz Küpper: Schüler- deutsch, Hamburg u. Düsseldorf 1972 Kuhberg, Werner: Verschollenes Sprachgut und seine Wiederbelebung in nhd. Zeit, Frankfurt a. M. 1933 Kunstmann, John C.: The bird that fouls its nest, in: Southern Folklore Quarterly (Univ. of Florida), III, 1939, S. 75-91 Kuusi, Matti: Regen bei Sonnenschein. Zur Weltgeschichte einer Redensart (= FFC. 171) , Helsinki 1957 -: Parömiologische Betrachtungen (= FFC. 172) , Helsinki 1957 -: Ein Vorschlag für die Terminologie der par- Ömiologischen Strukturanalyse, in: Proverbium 5, 1966, S. 97-104 How can a Type-Index of International Proverbs be outlined, in: Proverbium 15, 1970, S. 57ff. -: Towards an international type-system of proverbs, in: Proverbium 19, 1972, S. 699-736 Lachner, Johann: 999 Worte Bayrisch, München 1955 Ladendorf, Otto: Historisches Schlagwörterbuch, Straßburg 1906 Lämmle, August: Der Volksmund in Schwaben I, Schwäbische Lebensweisheit und Spruchkunst in Sprichwörtern, Redensarten und Reimsprüchen (in: Schwäbische Volkskunde 1), Stuttgart 1924 Lanier, Hans: Wörterbuch der Antike, Leipzig 1933 Landmann, Salcia: Jiddisch. Abenteuer einer Sprache, München 1965 -: Jüdische Anekdoten und Sprichwörter. Jiddisch und deutsch, München 1965 Lasch, Agathe: Berlinisch. Eine berlinische Sprachgeschichte, Berlin o. J. (1928) Lasch, Agathe u. Conrad Borchling: Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, Bd. Iff., Hamburg 1928 ff. Latendorf, Friedrich: Agricolas Sprichwörter, ihr hochdeutscher Ursprung und ihr Einfluß auf die deutschen und niederländischen Sammler, nebst kritischen Bemerkungen über die Sprichwörter und Sprichwörtersammlungen der Gegenwart, Schwerin 1862 Lauchert, Friedrich: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten bei Abraham a Santa Clara, in: Alemannia 20, 1892, S. 213-254 iMuffer, Otto: Farbensymbolik im deutschen Volksbrauch, Hamburg 1948 Lean, Vincent Stuckey: Collections of Proverbs..., Bristol 19()4 Le Bourgeois, Marcel: Deutsche und französische sprichwörtliche Redensarten, Leipzig 1891 Lefftz, Joseph: Die volkstümlichen Stilelemente 1200
Quellen und Darstellungen in Murners Satiren (= Einzelschriften zur El- sässischen Geistes- und Kulturgeschichte 1), Straßburg 1915 Le Gai, H.: Encyclopédie des proverbes français, Paris 1852 Lehmann, Christoph: Florilegium Politicum auctum. Das ist: Ernewerter Politischer Blu- menbinde-Garten/Darinn außerlesene Politische Sententz/Lehren/Reguln/ und Sprichwörter ... Itzo zum drittenmahl außgangen und... vermehrt... In vier Theil abgetheilt. Frankfurt a. M. 1662 Lehmann, Paul: Die Parodie im Mittelalter, München 1922, 2. Aufl. Stuttgart 1963 Leihener, Erich: Cronenberger Wörterbuch, Marburg 1908 Leineweber, Heinrich: Die Weisheit auf der Gasse. Neue Sprichwörtersammlung nebst Zusammenstellung und kurzer Erklärung sprichwörtlicher Redensarten, Paderborn 1897 Leistner, Ernst: Witz und Spott, Scherz und Laune in Sprüchwörtern und Volksredensarten, Lahr 1879 Lemmer, Manfred: Die Holzschnitte zu Sebastian Brants Narrenschiff (= Insel-Bücherei 593), Leipzig 1964 Deutscher Wortschatz. Bibliographie zur deutschen Lexikologie, Halle/Saale 1968 Lenschau, Martha: Grimmelshausens Sprichwörter und Redensarten (= Deutsche Forschungen 10), Frankfurt a.M. 1924 Leoprechting, Frh. Karl v.: Aus dem Lechrain. Zur deutschen Sitten- und Sagenkunde, München 1855 Lepp, Friedrich: Schlagwörter des Reformationszeitalters, Diss. Freiburg i. Br. 1908, Leipzig 1908 Lessmann, Heinrich: Der deutsche Volksmund im Lichte der Sage, hg. von Georg Hüsing, 2., unveränderte Aufl., Berlin 1937 Le Roux de Lincy: Le livre des proverbes français II, 2. Aufl. Paris 1859 Leucht, Alfred: Redensarten beim Kartenspiel, in: Unsere Heimat 6 (Köslin) 1932 Lewalter, Johann u. Georg Schläger: Deutsches Kinderlied und Kinderspiel, H. 1-8, Kassel 1911-14, Nr. 574ff. Lexer, Matthias: Kärntisches Wörterbuch, Leipzig 1862 -: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd. 1-3, Leipzig 1872-78, Nachdruck Stuttgart 1970 Liebe, Georg: Teutsches Wörterbüchlein, 1686 Liebrecht, Felix: Zur Volkskunde. Alte und neue Aufsätze, Heilbronn 1879 Liliencron, Rochus v.: Die historischen Volksliederder Deutschen vom 13. bis 16. Jh., Bd. 1-4, Leipzig 1865-69 Lindow, Wolfgang: Volkstümliches Sprachgut in der neuniederdeutschen Dialektdichtung, Diss. Kiel 1960 Lipperheide, Franz Frh. v.: Spruchwörterbuch. Sammlung deutscher und fremder Sinnsprüche..., 4. Aufl. Berlin 1962 Lipph Alois Johannes: Ein Sprichwort im Mund wiegt hundert Pfund. Weisheit des gemeinen Mannes in Sprüchen und Reimen, München 1958 Lipps, Hans: Metaphern, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 12, 1934 Die Verbindlichkeit der Sprache, Frankfurt a.M. 1944 Limnann, Enno: Morgenländische Wörter im Deutschen, 2. Aufl. Tübingen 1924 Lössi, Henri: Der Sprichwortschatz des Engadins, mit Einschluß der Sprichwörter des Münstertales sowie der in beiden Talschaften gebräuchlichen Landwirtschafts- und Wetterregeln, Diss. Zürich, Winterthur 1944 Löwi, K. : Jüdische Sprichwörter und Redensarten, Prag 1871 Lokotsch, Karl: Etymologisches Wörterbuch der europäischen (germanischen, romanischen und slavischen) Wörter orientalischen Ursprungs. Heidelberg 1927 Lommel, Hermann: Fremdwort im Volksmund, in: Bayer. Hefte f. Vkde., Jg. 1917, München 1917 Long, James: Eastern Proverbs and Emblems, London 1881 Ludwig, Christian: Teutsch-englisches Lexikon, Leipzig 1716 Lüpkes, W.: Seemannssprüche, Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten über Seewesen, Schiffer und Fischerleben in den germanischen und romanischen Sprachen, Berlin 1900 Lüthi, Max: Das Sprichwort in der Zeitung, in: Proverbium 15, 1970, S. 79 ff. Luther, Martin: Werke, Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1834f. -: Fabeln, neu bearbeitet von Ernst Thiele, 2. Aufl. Halle 1911 Lutz, Dieter: Volksbrauch und Sprache (= Ver- öffentl. des Staatl. Amtes für Denkmalspflege Stuttgart, Reihe C, Bd. 4), Stuttgart 1966 Luxemburger Wörterbuch i. A. hg. von der Wörterbuchkommission, Bd. 1 ff. Luxemburg 1955 ff. Maaler, Josua: Die Teütsch Spraach, Zürich 1561 Mackensen, Lutz: Die deutsche Sprache unserer Zeit, Heidelberg 1956 -: Deutsches Wörterbuch, 4. Aufl. Baden-Baden 1962 Mäder, Fritz: Proverbes français. Französische Sprichwörter, Zürich 1948 Maeterlinck, Louis: Le genre satirique, fantastique et licencieux dans la sculpture flamande et wallone. Les miséricordes de stalles (Art et folklore), Paris 1910 Magalhöes, R. Junior: Dicionârio de provérbis e curiosidades, Sâo Paulo 1960 Maloux, Maurice: Dictionnaire de proverbes, sentences et maximes, Paris 1960 Mann-Phillips, Margaret.The , Adages* of Erasmus, Cambridge 1964 Marbach, Gotthard Oswald: Sprichwörter und Spruchreden der Deutschen, Leipzig 1847 Margalits, Ede: Florilegium proverbiorum universae latinitatis, Budapest 1895, Supplementum ad Opus Florilegium, 1910 Martin, Ernst u. Hans Lienhart: Wörterbuch der elsässischen Mundarten, 2 Bde., Straßburg 1899 und 1907 Martin, Paul: Studien auf dem Gebiete des grie¬ 1201
Quellen und Darstellungen chischen Sprichworts, Programm, Plauen i. V. 1889 Marvin, Dwight Edwards: Curiosities in Proverbs, New York 1916 -:The Antiquity of Proverbs, New York and London 1922 Mary, Georg:Xum Ursprung des negerafrikanischen Sprichworts, Diss. Bonn 1954 Marzeil, Heinrich: Die Tiere in deutschen Pflanzennamen, Heidelberg 1913 Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen (unter Mitwirkung von W. Wissmann), Leipzig 1937 ff. Matsclioß, Alexander: Scherz, Spott und Hohn in der lebenden Sprache, Berlin u. Leipzig 1931 Mau, Jens Christian Eduard: Dansk ordsprogs- skat, 2 Bde., Kobenhavn 1879 Maurer, Friedrich: Volkssprache. Düsseldorf 1964 Maurer, Friedrich u. Friedrich Stroh (Hg.): Deutsche Wortgeschichte, 3 Bde., 2. Aufl. Berlin 1959-60 Mausser, Otto: Deutsche Soldatensprache, ihr Aufbau und ihre Probleme, Straßburg 1917 Mayrhofer, Manfred: Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen, Heidelberg 1953f. Meertens, Pieter Jacobus: Pro verbs and Emblem Literature, in: Proverbium 15, 1970, S. 82ff. Meier, Helmut:Deutsche Sprachstatistik, 2 Bde., Hildesheim 1964 Meier, John: Hallische Studentensprache, Halle 1894 -: Basler Studentensprache, Basel 1910 Meisinger, Othmar: Wörterbuch der Rappe- nauer Mundart, Dortmund 1906 -: Hinz und Kunz, Dortmund 1924 -: Vergleichende Wortkunde, München 1932 Meisser, Ulrich M.: Tfrersprichwörter und Verhaltensforschung, in: Studium Generale 22, 1969, S. 861-889 Melber, Johannes: Vocabularius praedicantium sive variloquus, Straßburg 1486 Melicheröik, Andrej u. Eugen Paulfny: Slo- venské ludové pnslovia (Slowakische volkstümliche Sprichwörter), Bratislava 1953 Mellbourn, Gert: Redensarten unter die Lupe genommen, in: Moderna Sprâk, Stockholm 1964, S. 12-17 Menantes(d. i. Christian Friedrich Hunold): Die allerneuste Art, höflich und galant zu schreiben nebst einem zugänglichen Titular- und Wörterbuch, Halle 1702 Mensing, Otto: Schleswig-holsteinisches Wörterbuch, Bd. 1-5, Neumünster 1927-35 Mésangère, Pierre de la: Dictionnaire des proverbes français, Paris 1821 Meuser, Leonhard .Reife Hirse beugt das Haupt. Afrikanische Aphorismen, Düsseldorf 1963 Meyer, Gustav: Etymologisches Wörterbuch der albanesischen Sprache, Straßburg 1891 Meyer, Hans: Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten, fortgef. v. Siegfried Mauermann u. f. d. 10. Aufl. bearb. u. erg. v. Walther Kiaulehn. München 1965 Meyer, Maurits de: Quelques thèmes médiévaux d’imagerie populaire, in: Actas do Congresso 1 nternacional de Etnografia, Promovido Pela Câmara Municipal de Santo Tirso 1963, Bd. 2, Lisboa 1965, S. 21-25 -: Een Spreekwoordenprent van J. C. Jegher, Antwerpen 1618-66, in: Volkskunde 69, 1968, S. 89-102 Meyer, Richard M.: Vierhundert Schlagworte, Leipzig 1900 Meyer-Lübke, W.: Romanisches etymologisches Wörterbuch, 3. Aufl. Heidelberg 1920 Mieder, Wolf gang: Das Sprichwort im Werke Jeremias Gotthelfs, Diss. Michigan State University 1970 -: Das Sprichwort in den „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ von Berthold Auerbach, in: Ländliche Kulturformen im dt. Südwesten. Festschrift für Heiner Heimberger, hg. v. Peter Assion, Stuttgart 1971, S. 123-147 -: Das Sprichwort und die dt. Literatur, in: Fabula 13, 1972, S. 135-149 Milner, George B.: De l’armature des locutions proverbiales. Essai de taxonomie sémantique, in: L’Homme, Vol. IX, 1969 Minnesangs Frühling, 30. Aufl. hg. v. Carl von Kraus, 35. Aufl. Stuttgart 1970 Mitzka, Walther: Deutscher Wortatlas, Gießen 1952 ff. Modersprak. Pia ttdütsche Monatsschrift, 1914 ff. Mönch, Wilhelm: Schwäbische Spruchkunst. Inschriften an Haus und Gerät, Stuttgart 1937 Moll, Otto E.: Sprichwörter-Bibliographie, Frankfurt a.M. 1958 Mommsen, Theodor u. Otto Jahn: Fiv unn twin- tig Sprekwörder voer Moriz Haupt, o. O. 1850 Mone, Franz Joseph: Zur Literatur und Geschichte der Sprüchwörter (= Quellen u. Forsch, z. Gesch. d. deutschen Lit. u. Sprache), Aachen und Leipzig 1830, S. 186f. -: Sprüchwörter aus Dichtern. Eine Gruppe von 35 Fragmenten aus verschiedenen althochdeutschen Dichtungen, in: Anz. f. Kunde d. deutschen Mittelalters 3, München 1834, S. 29-31 Mönkemöller, Otto Eduard: Geisteskrankheit und Geistesschwäche in Satire, Sprichwort und Humor, Halle 1912 Moratori, Antonio: Bequemes Correspondenz- und Conversations-Lexikon, Nürnberg 1727 Morawski, Joseph de: Les Diz et proverbes des sages, Paris 1924 Moritz, Karl Philipp: Grammatisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 1-4, Berlin 1793-1800 Moser, Hugo: Schwäbischer Volkshumor, Stuttgart 1950 -: Deutsche Sprachgeschichte, 6. Aufl. Tübingen 1969 Mosselmann, Frederik: Der Wortschatz Gottfrieds von Strassburg, Diss. Amsterdam, ’s-Gravenhage 1953 Mudrak, Edmund: Begriffsfelder und Wortsippen, in: Muttersprache 11, 1963, S. 321 bis 327 Müllenhoff, Karl u. Wilhelm Scherer: Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem 8.-12. Jh., 3. Aufl. Berlin 1892 Müller, Anton: Freiburger ABC, 2. Aufl. Freiburg 1967 Müller, Carl Friedrich: Der Mecklenburger 1202
Quellen und Darstellungen Volksmund in Fritz Reuters Schriften, Leipzig 1902 Müller, Josef: Der Bauer im Spiegel des rheinischen Sprichworts, in: Zs. d. Ver. f. rhein.- westf. Vkde. 15, 1918, S. 88-102 Der Bauer im plattdeutschen Sprichwort, in: Niedersachsen 24, 1919, S. 112 -: Rede des Volkes, in: John Meier: Deutsche Volkskunde, Berlin und Leipzig 1926, S. 169 ff. -: Rheinisches Wörterbuch, Bd. 1 ff., Bonn und Leipzig 1928 ff. Müller, Maria: Verhüllende Metaphorik in der Saga, Würzburg-Aumühle 1939 Miiller-Fraureuth, Karl: Wörterbuch der obersächsischen und erzgebirgischen Mundarten, Bd. 1-2, Dresden 1911-14 Müller-Schlösser, Hans: Wie der Düsseldorfer denkt und spricht, Düsseldorf 1952 Muntean, George:Proverbe româneçti, Bukarest 1967 Murner, Thomas: Narrenbeschwörung, hg. v. M. Spanier, Halle 1894 Murner, Thomas /"Risse u. Schultz Murray, James Augustus Henry, H. Bradley u. a.: A new English Dictionary on Historical Principles, Bd. 1-10 und Supplementband, Oxford 1888-1933 Muttersprache: s. Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins Nagy, Gabor O.: Magyar szölasok és köz- mondäsok, Budapest 1966 Narr, Dieter: J. M. Sailer und das deutsche Sprichwort, in: Bayer. Jb. f. Vkde. 1956, S. 139-147 -: Zum Euphemismus in der Volkssprache. Redensarten und Wendungen um ,tot\ ,Tod‘ und ,sterben*, in: Württ. Jb. f. Vkde. 2, 1956, S. 112-119 Nasur, Gerhard: Bismarcks Sprache, in: Historische Zeitschrift 177, 1932 Naumann, Hans: Über das sprachliche Verhältnis von Ober- und Unterschicht, in: Jb. f. Phil. 1, 1925, S. 55 ff. -.•Germanische Spruchweisheit (= Deutsche Volkskunde 17), Jena 1933 Neumann, Siegfried: Das Sagwort in Mecklenburg um die Mitte des 19. Jh. im Spiegel der Mundartdichtungen Reuters und Brinck- manns, in: Dt. Jb.f. Vkde. 12,1966, S. 49-66 -: Sagwörter im Schwank - Schwankstoffe im Sagwort, in: Volksüberlieferung. Festschrift für Kurt Ranke, Göttingen 1968, S. 249-266 -: Sagwort und Schwank, in: Lëtopis Reihe C, 1968/69, S. 147-158 Newiger, Hans-Joachim: Metapher und Allegorie, Studien zu Aristophanes, München 1957 Nick, A. Friedrich: Die Hof- und Volksnarren, Bd. 1, Stuttgart 1861, S. 187-222 Nicolson, Alexander: A collection of Gaelic proverbs and familiar phrases, 2 vols., Edinburgh 1881 Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde, 1922 ff. Niekerken, W.: Die Sprache des werktätigen Volkes im ndd. Raum, Hamburg 1948 Nieremberger, Benedikt Friedrich: Deutsch-lateinisches Wörterbuch, Regensburg 1753 Nies, Ludwig: Von den Dummen im Volksmund am Mittelrhein, in: Nassauische Blätter 9 (Montabaur) 1929, S. 183 ff. Nordland, Odd: Ordtak, sosial funksjon og kul- tursammenheng (Sprichwörter, ihre soziale Funktion und kultureller Zusammenhang), in: Norveg 7 (1960), S. 40-92 Northall, G. F: English folk-rhymes, London 1892 Ochs, Ernst: Badisches Wörterbuch, Bd. 1 ff., Lahr i. B. 1925 ff. öhman, Suzanne: Wortinhalt und Weltbild, Stockholm 1951 Ohly, Friedrich: Vom Sprichwort im Leben eines Dorfes, in: Volk-Sprache-Dichtung. Festgabe für Kurt Wagner. Hg. v. Karl Bischoff u. Lutz Röhrich, Gießen 1960, S. 276-293 Olsvanger, Immanuel: Elsäßisch-jüdische Sprichwörter und Redensarten, in: Schweizer Volkskunde 11, 1921, S. 4-6 Ondrusz, Josef: Przyslowia i powiedzenia lu- dowe ze Sl^ska Cieszynskiego (Volkstümliche Sprichwörter und Sprüche aus dem Teschner Schlesien), Ceskÿ Tësin 1953 O'Rahilly, Thomas Francis: A miscellany of Irish proverbs, Dublin 1922 Osenbrüggen, Eduard: Die deutschen Rechtssprichwörter, Basel 1876 Osmanische Sprichwörter, hg. v. d. k.k. orient. Akademie in Wien, Wien 1865 österley, H. (Hg.): Steinhöwels Äsop (= Bibi. d. Lit. Ver., Bd. 117), Tübingen 1873, S. 102f. Ostwald, Hans: Rinnsteinsprache. Lexikon der Gauner-, Dirnen- und Landstreichersprache, Berlin 1906 Otto, Essen und Trinken im Sprichwort, in: Archiv Lat. Lexicographie und Grammatik 4, 1887, S. 345-357 -: Familie und Freundschaft im Sprichwort, in: Archiv Lat. Lexicographie und Grammatik 5, 1888, S. 369-386 -: Geldverkehr und Besitz im Sprichwort, in: Archiv Lat. Lexicographie und Grammatik 6, 1889, S. 47-58 -: Landwirtschaft, Jagd und Seeleben im Sprichwort, in: Archiv. Lat. Lexicographie und Grammatik 6, 1889, S. 9-24 -: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Leipzig 1890, Neudruck Hildesheim 1965 -: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus A. Gryphii Seug-Amme, oder Untreues Gesind (Lustspiel, Breslau 1663), in: Dt. Sprachwart, Bd. 6, Leipzig 1872, Nr. 17 Oxford Dictionary /'Smith Paffen, Karl August: Deutsch-russisches Satzlexikon, München 1966 Palmer, Philip Motley: Neuweltwörter im Dt., Heidelberg 1939 Pansner, Lorenz v.: Deutsches Schimpfwörterbuch oder die Schimpfwörter der Deutschen. Zum allgemeinen Nutzen gesammelt und alphabetisch geordnet..., Arnstadt 1839 Panzer, Friedrich: Der deutsche Wortschatz als Spiegel deutschen Wesens und Schicksals, Köln 1944 Paredes, Américo: Proverbs and Ethnic Stereotypes, in: Proverbium 15, 1970, S. 95ff. 1203
Quellen und Darstellungen Partridge, Eric A.: Dictionary of Clichés, London 1940 Pastor, Eilert: Deutsche Volksweisheit in Wetterregeln und Bauernsprüchen, Berlin 1934 Paul, Hermann: Freidank, Diss. Leipzig 1870 Deutsches Wörterbuch, ab 5. Aufl. bearbeitet von Werner Betz, Tübingen 1957 ff. Peltzer, Karl: Das treffende Wort. Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke, 4. Aufl. Thun 1957 Das treffende Zitat. Gedankengut aus drei Jahrtausenden, Thun 1957 Permjakov, G. L.: Izbrannye poslovicy i i pogo- vorki narodov Vostoka, Moskva 1968 Der linguistische und sachliche Aspekt der Sprichwörter und Redensarten, in: Proverbium 12, 1969, S. 329f. Pesch, Jolt.: Geld und Gut im plattdt. Sprichwort, in: Niedersachsen Nr. 23, 1918, S.261 Petsch, Robert: Spruchdichtung des Volkes. Vor- und Frühformen der Volksdichtung (= Reihe Volk, hg. v. Kurt Wagner, Bd. 4), Halle 1938 Pfeffer, Jay Alan: The proverb in Goethe ( = Columbia University Germanic Studies, No. 18), New York 1948 Pfeiffer, Fr. W.: Volkstümliche Sprichwörter u. Redensarten aus Franken, in: Die deutschen Mundarten VI, Nürnberg 1859, S. 161-168, 314-330, 462-469 Pitre, Giuseppe: Proverbi siciliani raccolti e confrontai con quelli degli dialetti d’Italia, Palermo 1880 -: Bibliografia delle tradizioni popolari d’Italia, Torino/Palermo 1894, S. 177-257. Parte V. Proverbi (Nr. 2389-3416); Appendice (Nr. 6057-6166) -: Proverbi, motti e scongiuri del popolo sici- liano. Raccolti ed illustrati da G. Pitrè, Torino 1910 Plopper, Clifford Hedwig: Chinese Religion seen through the Proverb, 2. Ed. Shanghai 1935 Pokorny, Julius: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bern 1949 f. Polites, Nikolaos G.: Paroimiai ( = Bibliotheke Marasle 5), 4 Bde., Athen 1899-1902 Pongs, Hermann: Das Bild in der Dichtung, 2 Bde, 2. Aufl. Marburg 1960-1963 Popp, Liselotte: Ostpreußische Sprichwörter, Marburg 1948 Prantl, Carl v.: Die Philosophie in den Sprichwörtern, München 1858 Preime, August: Erklärung dt. Redensarten, in: Schulschrift d. städt. Realschule, Cassel 1875, S. 1-18 Prittwitz u. Gaffron, Erich v.. Das Sprichwort im griechischen Epigramm, Diss. Gießen 1912 Proverbia communia sive seriosa, hg. von H. A. Hoffmann v. Fallersleben, in: Horae Belgicae IX, Hannover 1854 Proverbia Latino-Germanica e variis auctoribus collecta et in alphabeti Serien digesta, 4. Ed. Schwäbisch Hall 1654 Proverbium - Bulletin d’informations sur les recherches parcmiologiques publié par Julian Krzyzanowski, Varsovie, Matti Kuusi, Helsinki, Démétrius Loucatos, Athènes, Archer Taylor, Berkeley, Iff., Helsinki 1965ff. Pützfeld, Karl: Jetzt schlägfs dreizehn. 1000 Redensarten und ihre Bedeutung, Berlin 1937 Puntscli, Eberhard: Zitatenhandbuch, 3. Aufl. München 1966 Pusch, Karl: Über Sebastian Francks Sprichwörterbuch vom Jahre 1541, Schulprogramm Hildburghausen 1894 Quitard, Pierre Marie: Dictionnaire étymologique, historique et anecdotique des proverbes et des locutions proverbiales de la langue française, Paris 1842 -: Études historiques, littéraires sur les proverbes, Paris 1860 -: Proverbes sur les femmes, Paris o.J. (1889) Raab, Heinrich: Deutsche Redewendungen, 2. Aufl. Wien u. Köln 1964 Rabener, Gottlieb WC-Fortgesetzte Abhandlungen von Sprichwörtern, wie solche zu verstehen und gebrauchen sind, Frankfurt 1774; in: Werke, Stuttgart 1839 Rädlein, Johann: Europäischer Sprach-Schatz, Leipzig 1711 Rahmil, Monica: Ghicitori si proverbe (= Bibliotheca Pentru Toti), 2 Bde., Bucure§ti o.J. Rahn, Fritz: Die Redensart - ein Kapitel Sprachkunde, in: Der Deutschunterricht I, 4, 1948/49, S. [22—38] 31 Rampoldi, Giovanni: 1 proverbi et le sentenze proverbiali, 3. Ed. Milano 1852 Ramsay, Allan: Scottish Proverbs, Edinburgh 1737 Rattray, Robert Sutherland: Ashanti Proverbs. The Primitive Ethics of a Savage People, Oxford 1969 (Neudruck v. 1916) Reichert, Heinrich, Georg: Urban und Human. Gedanken über lateinische Sprichwörter, 3. Aufl. Hamburg 1957 Reichmann, Oskar: Deutsche Wortforschung ( = Sammlung Metzler 82), Stuttgart 1969 Reimann, Hans: Vergnügliches Handbuch der deutschen Sprache, Düsseldorf u. Wien 1964 Reinirkens, Hubert: Sprichwörter und Redensarten. Deutsch-Japanisch (= Mitteilungen der dt. Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Suppl.-Bd. 21),Tokyo 1955 Reinsberg-Düringsfeld, Ida w: Das Sprichwort als Gastrosoph, in: Mag. f. Litt, des Auslandes, 32 (Berlin) 1863, S. 555-56, 569-71, 603-605 -: Das Sprichwort als Kosmopolit, 3 Bde., Leipzig 1863 Reinsberg-Düringsfeld, Ida i\ u. Otto Frh. r. Reinsberg-Düringsfeld: Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen vergleichend zusammengestellt, 2 Bde., Leipzig 1872-75 Reiser, Karl: Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus, 2 Bde., Kempten 1895-1902 Retnmert, Otto: Sprichwörter und Redensarten aus der Soester Börde, in: Zs. d. Ver. f. rhein.-westf. Vkde. 9, 1912, S. 147-150 Reusch, Friedrich: Uber deutsche Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten. Eine Vorlesung, in: Neue Provinzialblätter 1866 Richey, Michael: Idioticon Hamburgense, Hamburg 1754 Richter, Albert: Deutsche Redensarten, sprachlich und kulturgeschichtlich erläutert, Leipzig 1889, 5. Aufl. hg. v. O. Weise, Leipzig 1930 1204
Quellen und Darstellungen Richter, Joseph: Grammatisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Leipzig u. Wien 1791 Richthofen, Karl v.: Altfriesisches Wörterbuch, Göttingen 1840, Neudr. 1962 Riege, Rudolf: Plattdeutsche Sprichwörter, Wol- fenbüttel 1945 Riegler, Richard: Das Tier im Spiegel der Sprache, Dresden u. Leipzig 1907. (Neusprachl. Abhandlungen aus den Gebietend. Phraseologie, Realien, Stilistik u. Synonymik, H. 15, 16.) Tiernamen für ,Rausch1, in: Wörter und Sachen 6, 1914-1915, S. 194-196 Tiernamen zur Bezeichnung von Geistesstörungen, in: Wörter und Sachen 7, 1921, S. 129-135 Riesel, Elise: Stilistik der deutschen Sprache, Moskau 1959 Ripberger, G.:Der gemiethliche Sachse in volkstümlichen Redensarten, 3. Aufl. Dresden 1884 Risse, Anna: Sprichwörter und Redensarten bei Thomas Murner, in: Zs. f. d. dt. Unterricht 31, 1917, S. 215ff., 289ff., 359ff., 450ff. Robinson, Michel: Curieuse Sammlung von tausend in Schlesien gewöhnlichen Sprichwörtern und Redensarten, Leyden 1726 Röhrich, Lutz: Sprichwörtliche Redensarten in bildlichen Zeugnissen, in: Bayer. Jb. f. Vkde. 1959, S. 67-79 -: Gebärdensprache und Sprachgebärde, in: Humaniora, Honoring Archer Taylor, New York 1960, S. 121-149 Sprichwörtliche Redensarten aus Volkserzählungen, in: Volk - Sprache - Dichtung. Festgabe für Kurt Wagner, Gießen 1960, S. 247-275 -: Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart, 2 Bde., Bern u. München 1962-67 -: Gebärde - Metapher - Parodie. Studien zur Sprache und Volksdichtung (= Wirkendes Wort, Beihefte Bd. 4), Düsseldorf 1967 -: Die Bildwelt von Sprichwort und Redensart in der Sprache der politischen Karikatur, in: Kontakte und Grenzen. Festschrift f. Gerhard Heilfurth, Göttingen 1969, S. 175-207 Röhrich, Lutz u. Rolf W. Brednich: Dt. Volkslieder, Texte und Melodien, 2 Bde., Düsseldorf 1965-67 Röhrich, Lutz u. Gertraud Meinel: Reste mittelalterlicher Gottesurteile in sprichwörtlichen Redensarten, in: Alemannisches Jahrbuch, Bühl/Baden 1970, S. 341-346 -: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, in: Et multum et multa, Festgabe für Kurt Lindner, Berlin u. New York 1971, S. 313-323 -: Redensarten aus dem Bereich von Handwerk und Gewerbe, in: Alemannisches Jahrbuch, Bühl/Baden 1973, S. 160-195 Römer, Ruth: Die Sprache der Anzeigenwerbung (= Sprache der Gegenwart. Schriften des Inst. f. dt. Sprache in Mannheim, Bd. 4), Düsseldorf 1968 Rohr, Ursula: Der Theaterjargon (= Schriften der Ges. f. Theatergeschichte 56), Emsdetten 1952 Rosen, //.. Die sprichwörtlichen Redensarten in den Werken des Hans Sachs mit Entstehung, Bild, Bedeutung, Vorkommen untersucht und sachlich geordnet, Diss. Bonn 1922 Rosenfeld, Hans Friedrich: Ausdrucksfähigkeit und Bildkraft der niederdeutschen Sprache ... (=* Sonderschrift des Stader Geschichts- und Heimatvereins, Nr. 7), Neumünster 1956 Rot, Simon: Ein Teutscher Dictionarius daz ist ein außleger schwerer vnbekanter Teutscher, Griechischer, Lateinischer, Hebräischer, Welscher vnd Französischer etc. Wörter. Augspurg 1571, Neuausg. hg. vonE. öhmann (= Mémoires de la Société Néo-phil. de Helsingfors XI), 1936 Rother, Karl: Hund, Katze und Maus im schlesischen Sprichwort, in: Mitteilungen der Schles. Ges. f. Vkde. 26, Breslau 1926, S. 247-251 -; Die schlesischen Sprichwörter und Redensarten, Breslau 1928, Neudruck Darmstadt o. J. Rozan, Charles: Les Animaux dans les Proverbes, Paris 1902 Rubio, Dario: Refranes, proverbios y dichos y dicharachos Mexicanos, 2. ed., 2 Bde., Méjico 1940 Rudeck, Wilhelm: Geschichte der öffentlichen Sittlichkeit von Deutschland, Jena 1897 Rueb, J. A.: SprüchwÖrter und Redensarten aus dem Frickthal und Hauensteinschen, in: Die Schweiz 2, (Schaffhausen) 1859 Rüdenberg, Werner u. Kate Pearl: 4000 German Idioms and Colloquialisms with their English Equivalents, London 1955 Ruelius, Hermann: Auf der Palme. Bilder in der Sprache (Privatdruck der Linotype GmbH. Frankfurt), Frankfurt 1961 Ruh, Kurt: Mittelhochdeutsche Spruchdichtung als gattungsgeschichtliches Problem, in: Dt. Vierteljahrsschrift f. Lit.-Wiss. und Geistesgeschichte 42, 1968, S. 309-324 Rühmkorf, Peter: Über das Volksvermögen. Exkurse in den lit. Untergrund, Reinbek b. Hamburg 1967 Rupprecht, Karl: Artikel ,Paroimia‘ und ,Par- oimiographoi1, in: Pauly-Wissowa: Real- Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, hg. von Konrat Ziegler, Bd. 18, 2. H., Waldsee/Suttgart 1949, Sp. 1707ff. u. 1735 ff. Rydbeck, Lars: Fachprosa, vermeintliche Volkssprache und Neues Testament (= Acta Universitatis Upsaliensis 5), Uppsala 1967 Sachs, Hans: Sämtliche Fastnachtsspiele, hg. v. Edmund Goetze, 7 Bde., Halle 1880-87 Sadeler, Aegidius. Theatrum morum, Prag 1609 Sailer, Johann Michael: Die Weisheit auf der Gasse, oder Sinn und Geist deutscher Sprichwörter, Augsburg 1810, Sulzbach 1848 Sanders, Daniel: Wörterbuch der deutschen Sprache, 2 Bde. in 3 Teilen, Leipzig 1860ff. Ergänzungs-Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 1885 -: Zitatenlexicon. Sammlung von über 12000 Zitaten, Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten und Sentenzen, 4. Aufl. Leipzig 1922 Sandvoß, Franz: So spricht das Volk. Volkstüm- 1205
Quellen und Darstellungen liehe Redensarten und Sprichwörter, 2. Aufl., Berlin 1861 Sprichwörterlese aus Burkard Waldis mit einem Anhänge: zur Kritik des Kurzischen B. Waldis und einem Verzeichnis der von Melanchthon gebrauchten Sprichwörter, Friedland 1866 Sattler, Johann Rudolf: Teutsche Orthographey Vnd Phraseologey, Basel 1607 Sharbi, José A/fl/m’Diccionario de proverbios de la lengua espanola, Madrid 1922 Diccionario de Refranes, adagios, proverbios, modismos, locuciones y frases proverbiales de la lengua espanola, 2 Bde., Madrid 1923 Schade, Oskar: Altdeutsches Wörterbuch, 2. Aufl., 2 Bde., Halle 1872-82 Schaeffler, Julius: Der lachende Volksmund. Scherz und Humor in unseren Sprichwörtern, Wörtern und Redensarten, Berlin u. Bonn 1931 Schambach, Georg: Die plattdeutschen Sprichwörter der Fürstenthümer Göttingen und Grubenhagen. 1. Sammlung, Göttingen 1851; 2. Sammlung Göttingen 1863 Die Familie im Spiegel plattdeutscher Sprichwörter, in: Bremer Sonntagsblatt, Jg. 3, Nr. 4, Bremen 1855, S. 28f. -: Wörterbuch der niederdt. Mundart der Fürstentümer Göttingen und Grubenhagen, Hannover 1858 Scharf, Georg: Redensarten, Sprichwörter und Sprüche aus Alt-Reichenau in Schlesien, in: Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde. 34, 1934, S. 263-297; 35, 1935, S. 231-256 Schatz, Josef: Wörterbuch der Tiroler Mundarten, Innsbruck 1955 f. Schaubach, Ernst Eucharius: Eyering und seine Sprüchwörtersammlung, Teil I, 4 (32 S.) Gymnasial-Progr. Hildburghausen 1890 Schauffler, Th.: 100 Sprichwörter in mittelhochdeutscher Gestalt, in: Süddt. Blätter f. d. höheren Unterrichtsanstalten 2, 1894, S. 81-82, 92-93 -: Sprichwörtliche Redensarten aus dem Mittelhochdeutschen, in: Süddt. Blätter f. d. höheren Unterrichtsanstalten 3, 1895, S. 107-111 Scheid, Paul: Studien zum spanischen Sprachgut im Deutschen, Greifswald 1934 Schellhorn, Andreas: Teutsche Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten... Nebst einem Anhänge von Sprww. und Denksprüchen in lat. Versen..., Nürnberg 1797 Schiepek, Josef: Über die mnemotechnische Seite des sprichwörtlichen Ausdrucks, in: Programm des K. K. Gymnasiums zu Saaz/ Böhmen, Saaz 1891 Schiller, Karl u. August Lübben: Mittelniederdeutsches Wörterbuch, 6 Bde., Bremen 1875-81, Neudruck 1931 Schindlmayr, //ans: Mittelschwäbischer Volksspiegel. 2000 Sprichwörter und Redensarten in schwäbischer Mundart, Augsburg 1936 Schirmer, Adolf: Die Erforschung der deutschen Sondersprachen, in: Germ.-Rom.-Monatsschrift 5, 1913, S. 1-22 Schirmer, Alfred: Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache, Straßburg 1911 Schirmer, Alfred /Borchardt Schmeller, Johann Andreas: Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt, München 1821, Neudr. München 1929/30 -: Bayerisches Wörterbuch, 4 Bde., Stuttgart 1827-36; 2. Aufl. hg. v. G. Karl Frommann, Bd. 1-2, München 1872-77. Neudruck d. 2. Aufl. mit Vorwort von Otto Basler, Aalen 1961 Schmid, Johann Christoph v.: Schwäbisches Wörterbuch, Stuttgart 1831 Schmidt, Charles: Wörterbuch der Straßburger Mundart, Straßburg 1896 -: Historisches Wörterbuch der Elsässischen Mundart, Straßburg 1901 Schmidt, Erich: Galante Redensarten, in: Zs. f. dt. Wortf. 1, 1901, S. 250-253 Schmidt, Leopold: Wiener Redensarten, in: Das deutsche Volkslied 42, H. 7/8, Wien 1940ff. -: Zur Wiener Redensartenforschung, in: Volk und Heimat. Festschrift für Viktor v. Ge- ramb, hg. von Hanns Koren u. Leop. Kretzen- bacher, Graz, Salzburg u. Wien 1949, S. 209-220 -: Der Vogel Selbsterkenntnis. Zwischen Volkskunst und Redensart, in: Oesterr. Zs. f. Vkde., Kongreßheft 1952 -: Die volkstümlichen Grundlagen der Gebärdensprache, in: Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung, Spamer-Festschrift, Berlin 1953, S. 233-249 Schmidt-Hidding, Wolfgang: Sprichwörtliche Redensarten. Abgrenzung - Aufgaben der Forschung, in: Rhein. Jb. f. Vkde. 7, 1956, S. 95-144 -: Englische Idiomatik in Stillehre und Literatur, München 1962 -: Deutsche Sprichwörter und Redewendungen. Vom Gebrauch der bildhaften Redewendungen im Deutschen, in: Deutschunterricht für Ausländer 13, 1963, S. 13-26 Schmitz, Johann Hubert: Sitten und Bräuche, Lieder, Sprüchwörter u. Räthsel des Eifler Volkes..., 2 Bde., Trier 1856-58 Schönbach, Anton E.: Studien zur altdt. Predigt, Wien 1896-1907 (8 Hefte) Schoene, Albrecht: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, 2. Aufl. München 1968 Schoene, Albrecht f Henkel Schönsieder, Wolfgang: Promptuarium germa- nico-latinum, Augsburg 1618. (Spätere Ausg. München 1622 ff.) Schönwerth, F. X. w: Sprichwörter des Volkes der Oberpfalz in der Mundart, Stadtamhof 1873 Schöpf, Johann Baptist: Tirolisches Idiotikon, hg. v. Anton J. Hofer, 2. Aufl. Innsbruck 1883 Schoeps, Hans-Joachim: Ungeflügelte Worte. Was nicht im Biichmann stehen kann, Berlin 1971 Schollen, Matthias: Volkstümliches aus Aachen ... Wetter-, Gesundheits- und Rechtsregeln, Sprüchwörter etc., Aachen 1881, S. 28-32 Schoppe, Georg: Sprichwörtliche Redensarten, in: Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde. 29, 1928, S. 296-302 Schott(us), Andreas: Adagia sive Proverbia Graecorum, Antverpiae 1612 Schottelius, Justus Georgius: Ausführliche Ar- 1206
Quellen und Darstellungen beit von der Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663 Schrader, Herman: Der Bilderschmuck der deutschen Sprache in Tausenden volkstümlicher Redensarten. Nach Ursprung und Bedeutung erklärt, 7. Aufl. Berlin 1912 Das Trinken in mehr als 500 Gleichnissen und Redensarten, Berlin 1889/90 Schramm, Karl: Mainzer Wörterbuch, 3., verm. u. völlig neu bearbeitete Auflage. Mainz 1966 Schreger, Odilo: Lustig- und nützlicher Zeitver- treiber, Stadt am Hof 1769 Schröder, G: Hundert niederdeutsche Sprichwörter, gesammelt aus mittelrheinischen und niederrheinischen Dichtungen, in: Herrigs Arch. f. d. Stud. d. neueren Sprachen 43, 1868, S. 411-420 und 44, 1869, S. 337-344 Schröder, Richard u. Eberhard Frh. v. Kiinß- berg: Dt. Rechtswörterbuch (Wörterbuch der älteren dt. Rechtssprache), bearbeitet v. . . . Weimar 19I4ff. Schudt, Heinrich: Er ist betrunken (Aus den Sammlungen des Südhess. Wörterbuches), in: Hess. Bl. f. Vkde. 27, 1928, S. 76-89 Schueren, Gerard van der: Teuthonista of Duytschlender. uitgeg. door J. Verdam, Leiden 1896 Schullerus, Adolf, Georg Keintzel u.a.: Sieben- bürgisch-Sächsisches Wörterbuch, Bd. Iff., Straßburg u. Berlin 1908ff. Schulte-Kemminghausen, Karl: Eberhard Tappes Sammlung westfälischer und holländischer Sprichwörter, in: Niederdeutsche Studien. Festschrift für Conrad Borchling, S. 91 bis 112 Schultz, Franz: Das Narrenschiff und seine Holzschnitte, Straßburg 1912 - (Hg.): Thomas Murners Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke hg. unter Mitarbeit von G. Bebermeyer, K. Drescher, F. List, P. Merker, M. Spanier u. a. von F. Schultz (Kritische Gesamtausgaben El- sässischer Schriftsteller des Mittelalters und der Reformationszeit, Bd. I-IX), Berlin u. Leipzig 1918-31 Schulz, Dora u. Heinz Griesbach: 1000 idiomatische Redensarten Deutsch, Berlin-Schöneberg 1961 Schulz, Harts: Frühneuhochdeutsche Euphemismen, Diss. Straßburg 1908 Schulz, Hans u. Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. I Straßburg u. Berlin 1913, Bd. II Straßburg u. Berlin 1942, Bd. III in Lieferungen, zuletzt 1972 Schulze, Carl: Die biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache, Göttingen 1860 Die sprichwörtlichen Formeln der deutschen Sprache, in: Herrigs Arch. f. d. Stud. d. neueren Sprachen 48, 1871; 50, 1873 Schütze, Johann Friedrich: Holsteinisches Idiotikon. Ein Beitrag zur Volkssittengeschichte, oder Sammlung plattdt— Worte ... Sprichwörter..., 4 Bde., Hamburg 1800-02, 1806 Schützeichel, Rudolf: Althochdeutsches Wörterbuch, Tübingen 1969 Schuster, Friedrich Wilh.: Siebenbür gisch-sächsische Volkslieder, Sprichwörter..., Hermannstadt 1865, 2. Ed. 1931 Schuster, Mauriz: Alt-Wienerisch, Wörterbuch veraltender u. veralteter Wiener Ausdrücke u. Redensarten der letzten 7 Jahrzehnte, Wien 1951 Schwäbisches Wörterbuch /'Fischer Der Schwäbische Michel als Allerwelts-Spaß- macher. Nebst einem Anhang von schwäbischen Sprichwörtern und Redensarten mit ihrer Erklärung, Stuttgart 1870 Schweinichen, Hans v.: Denkwürdigkeiten, hg. v. Hermann Oesterley, Breslau 1878 Schweitzer, Charles: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten bei Hans Sachs, in: Hans Sachs - Forschungen, Festschrift zur vierhundertsten Geburtsfeier des Dichters. Im Aufträge der Stadt Nürnberg hg. von A. L. Stiefel, Nürnberg 1894, S. 353-381 Schweizerisches Idiotikon ./Staub Sébillot, Paul Yves: Légendes, croyances et superstitions de la mer, Paris 1886 Seiler, Friedrich: Soldatenleben im deutschen Sprichwort, in: Zs. f. Vkde. 31,1917, S. 14ff. -: Das deutsche Sprichwort, Straßburg 1918 -: Die kleineren deutschen Sprichwörtersammlungen der vorreformatorischen Zeit und ihre Quellen, in: Zs. f. dt. Philol. 47, 1918, S. 241 ff. (Nr. 1); S. 380-390 (Nr. 2-4); 48, 1920, S. 81-95 (Nr. 5-7) -: Das Sprichwort im Unterricht, in: Zs. f. d. dt. Unterricht 31, 1920, S. 480ff. -: das deutsche Lehnsprichwort, Bd. 1-4 ( = Teil 5-8 von: Dié' Entwicklung der deutschen Kultur im Spiegel des deutschen Lehnwortes), Halle 1921-24 -: Deutsche Sprichwörterkunde (= Handbuch des dt. Unterrichts an höheren Schulen 4, 3), München 1922,2. Aufl. (Neudruck) München 1967 -: Goethe und das deutsche Sprichwort, in: Germ.-Roman. Monatsschrift 10, 1922, S. 328-340 Seiler, G. A.: Die Basler Mundart, Basel 1879 Seitei, Peter: Proverbs. A Social Use of Metaphor, in: Genre 2, 1969, S. 143-161 Seilheim, Rudolf: Die klassisch-arabischen Sprichwortsammlungen, insbesondere die des Abu-Ubaid, ’s-Gravenhage 1954 Serz, Georg Thomas: Teutsche Idiotismen, Provinzialismen, Volksausdrücke, sprüchwörtli- che u.a Redensarten, in entsprechendes Latein übertragen... Nürnberg 1797. Neudruck: Alphabetisch geordnetes Wörterbuch über deutsche Idiotismen..., Leipzig 1821 Seybold, Joh. Georg: Viridarium ... Paroemia- rum... Latinogermanicarum ... Lust-Garten von ... Sprüchwörtern etc., Nürnberg 1677 Sibeth, Friedrich Gustav: Wörterbuch der Mecklenburg.^- Vorpom m ersehen Mundart, Leipzig 1876 Siebenbürgisch-sächs. Wb. /'Schullerus-Keint- zel Siebs, Theodor: Helgoland und seine Sprache, Cuxhaven 1909 -: Die deutsche Hochsprache, 19. Aufl. Berlin 1968 Siebs, Theodor u. Wolf gang Jungandreas: Schlesisches Wörterbuch, Breslau 1935 ff. Simrock, Carl Joseph: Die deutschen Sprichwörter, Frankfurt a.M. 1881 1207
Quellen und Darstellungen Singer, Samuel: Die deutsche Kultur im Spiegel des Bedeutungslehnworts, in: Aufsätze und Vorträge, Tübingen 1912 Alte schweizerische Sprichwörter, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 20, 1916, S. 389-419 -: Sprichwortstudien, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 37, 1939/40, S. 129-150 -: Schweizerische Sagsprichwörter, in: Schweiz. Arch. f. Vkde. 38, 1941, S. 129f. und 39, S. 137-139 -: Sprichwörter des Mittelalters, 3 Bde., Bern 1944-47 Siple, Ella S.: Flemish Proverb Tapestry in Boston, in: Burlington Magazine 1933, LXII, S. 29 ff. Sittl, Karl: Die Gebärden der Griechen und Römer, Leipzig 1890 Skeat, Walter William: Early English Proverbs, Oxford 1910 -: Etymological Dictionary of the English Language, Oxford 1928 SI a by, Rudolf Jan u. Rudolf Grossmann: Wörterbuch d. Spanischen Sprache, 4. Aufl. hg. v. Grossmann, Barcelona 1953 Smith, Arthur //.. Proverbs and common sayings from the Chinese, Shanghai 1902 Smith, William George: The Oxford dictionary of English proverbs, with an introduction by Janet E. Heseltine, 2nd Ed. revised throughout by Sir Paul Harvey, Oxford 1952 Söltns, Franz: Die Parias unserer Sprache, Heilbronn 1888 -: Erweiterungen und Ergänzungen zu Wustmanns Sprichwörtlichen Redensarten, in: Zs. f. d. dt. Unterricht 21, 1907, S. 483-499, 564-574, 635-649, 692-700 Sommer, Hans: Kulturgeschichtliche Sprachbil- der, Bern 1943 Spalding, Keith u. Kenneth Brooke: An Historical Dictionary of German Figurative Usage, Oxford 1959-65 Spamer, Adolf: Die deutsche Volkskunde, 2. Aufl. Leipzig 1935, Bd. 2: Bibliographischer Anhang, S. 36f. u. 47f. (Bibliographie) Spanutius, J. H.: Teutsch orthographisches Schreib-, Conversations-, Zeitungs- und Sprichwörterlexikon, 1720 Spengler, Walter Eckehart: Johann Fischart gen. Mentzer. Studie zur Sprache und Literatur des ausgehenden 16. Jh. (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 10), Göppingen 1969 Sperander(F. Gladow): A la Mode-Sprach der Teutschen Oder Compendieuses Hand-Lexicon, Nürnberg 1727 Speroni, Charles: The Italian Wellerism to the End of the Seventeenth Century (= Folklore Studies 1), Berkeley and Los Angeles 1953 Spieß, Balthasar: Henneberger Mundart. Sprichwörter und Volkssprüche, in: From- mann: Die dt. Mundarten II, Nürnberg 1855, S. 407-412 -: Volksthümliches aus dem Fränkisch-Henne- bergischen, Wien 1859, S. 38-62 -: Beiträge zu einem Hennebergischen Idiotikon, Wien 1881 Spitzer, Leo: Amerikanische Werbung als Volkskunst verstanden, in: Sprache im technischen Zeitalter 12, 1964, S. 951-973 Sprach-Verderber, Der Vnartig Teutscher (1643), hg. von Herman Riegel (= Wissenschaft!. Beihefte zur Zeitschrift des Allg. deutschen Sprachvereins, Reihe I, Nr. 1), Berlin 1891 Stalder, Franz Joseph: Versuch eines Schweizerischen Idiotikon, Bd. 1 u. 2, Aarau 1812 Stambaugh, Ria: Proverbial material in 16th century German jestbooks. Unpublished manuscript, University of North Carolina, Chapel Hill 1967 Stammler, Wolfgang: Seemanns Brauch und Glaube, in: Deutsche Philol. im Aufriß, Bd. 3, 1956, Sp. 1815-80 Stängel, Wolfgang: Redensarten im Dorfleben. Feldstudien in Niederselters/Taunus, in: Hessische Bl. f. Vkde. 57, 1966, S. 31-82 Staub, Friedrich u. Ludwig Tobler: Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizer- deutschen Sprache, Bd. 1 ff., Frauenfeld 188 Iff. Stechow, Walter: Sprichwörter, Redensarten und moralische Betrachtungen in den Werken Konrads von Würzburg, Diss. Greifswald 1922 Steiger, K.: Pretiosen dt. Sprichwörter, St. Gallen 1843 Stein, Æ: Sprichwörter und bildliche Redensarten der Wetterau, in: Hess. Bl. f. Vkde. 6, 1907, S. 44 ff. Steinbach, Christian Ernst: Deutsches Wörterbuch vel Lexicon latino-germanicum, Breslau 1725 -: Vollständiges deutsches Wörterbuch, 2 Bde., Breslau 1734 Steinhäuser, Walter: Slawisches im Wienerischen, in: Muttersprache, Reihe 7, Wien 1962 Steirischer Wortschatz /’Unger-Khull Stenzei, J.: Philosophie der Sprache, München u. Berlin 1934 Stephan, Joachim: Satire und Sprache, München 1964 Stendel, Johannes: Altes Erbgut in der ärztlichen Sprache der Gegenwart, Bonn 1944 Stevenson, Burton Egbert: The Home Book of Proverbs, Maxims and Familiar Phrases, New York 1948 Stiefel, Arthur Ludwig: Sprichwörter-Anekdoten aus Franken, in: Zs. d. Ver. f. Vkde. 18, 1908, S. 446-449 Stieler, Kaspar (= Spate): Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs, oder Teutscher Sprachschatz... Nürnberg 1691, Neudruck 1968 - Zeitungs-Lust und Nutz, Hamburg 1695, 2. Ausg. Hamburg 1697 Stiven, Agnes Bain: Englands Einfluß auf den deutschen Wortschatz, Zeulenroda 1936 Stöber, August: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten im Elsaß, in: Neujahrsstollen auf 1850, Mülhausen 1850/51; Neudruck in: Alsatia, Frankfurt 1851, S. 25-29 -: 496 Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus den Schriften Geilers von Kaisersberg gesammelt, Mülhausen 1868; vorher in: Alsatia, Frankfurt 1862-67, S. 131-162 -: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus Johann Michael Moscherosch’s Schriften, in: Alsatia 1868-72; NF Colmar 1873, S. 319-338 1208
Quellen und Darstellungen Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus Joh. Paulis Schimpf und Emst, in: Al- satia 1873-74, S. 83-96 Stöger, Anni: Einige Redensarten, in: Volkslied - Volkstanz-Volksmusik 48, (Wien) 1947, S. 39 Stoett, Frederick August: Nederlandsche Spreekwoorden, Spreekwijzen, Uitdrukkin- gen en Gezegden, 2 Bde., Zutphen 1901: 4. Aufl. Zutphen 1923 und 1925: 8. Aufl. 1953 hg. v. C. Kruyskamp Stoll, Liselotte: Der brauchtümliche Wortschatz im Überlieferungsbestand der Pfalz (= Veröffentlich. d. Pfälzer Ges. z. Förderung der Wiss. in Speyer, Bd. 51), Speyer 1966 Storm, Theodor: Sämtliche Werke, hg. v. Albert Köster, 8 Bde., Leipzig 1923 Stosch, Samuel Joh. Ernst: Versuch in richtiger Bestimmung der gleichbedeutenden Wörter der deutschen Sprache, Bd. 1-3, Frankfurt a.d. Oder 1770-73 Strafforeflo, Gustavo: La sapienza del mondo oversso dizzionario universale dei proverbi di tutti popoli, 3 vol., Torino 1883 Stridbeck, Carl Gustaf: Bruegelstudien, Stockholm 1956 Ström, Frederik: Svenskarna i sina Ordspräk, Stockholm 1926 Strömberg, Reinhold: Greek Proverbs. A collection of proverbs and proverbial phrases which are not listed by the ancient and byzantine paroemiographers (Göteborgs Kungl. Veten- skaps- och Vitterhets. Samhälles Handlingar. Sjätte Följden, Ser. A, Bd. 4, Nr. 8), Göteborg 1954 -: Griechische Sprichwörter. Eine neue Sammlung, Göteborg 1961 Siitterlin, Ludwig: Sprache und Stil in Roseggers Waldschulmeister, in: Zeitschrift f. Mundarten 1, 1906, 35-63 Sullivan, John F.: Das Sprichwort bei Johann Fischart (Geschichtklitterung), New York University Dissertation, New York (N. Y) 1937 Suolahti, Hugo: Die deutschen Vogelnamen, Straßburg 1909 Surdez, Jules: Proverbes, pensées, dictons et pronostics patois recueillis à Ocourt, in: Schweiz. Archiv für Volkskunde 46, 1949, 5. 1-34 Suringar, Wilhelm Heinrich Dominik: Lijst van geschriften over de Latijnsche Spreekwoorden. Ein Bijdrage voor de Bibliographie..., in: Tijdschrift voor de Nederlandsche Gymnasien, Leiden 1861, S. 111-134 -: Erasmus over nederlandsche spreekwoorden en spreekwoordenlijke uitdrukkingen, Utrecht 1873 - (Ed.): Heinrich Bebel’s Proverbia germanica, Leiden 1879 Sutermeister, Otto: Die schweizerischen Sprichwörter der Gegenwart in ausgewählter Sammlung, Aarau 1869 Sutphen, Morris Crater: A collection of Latin proverbs supplementing Otto’s Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten der Römer, Baltimore 1902 Swoboda, Michael: De proverbiis a Cicerone adhibitis, Torun (Polen) 1963 Tappius, Eberhard: Germanicorum adagiorum cum Latinis ac Graecis collatorum Centurae septem, Straßburg 1534, 1539, 1545 Tardef, Hermann: Altbremische Sprichwörter in plattdt. Mundart, in: Niedersächs. Jb. 1919, S. 30-41 -: Bremen im Sprichwort, Reim und Volkslied, Bremen 1947 Tavlor, Archer: The Proverbial Formula: Man soll, in: Zs. f. Vkde. 40, 1930, S. 152-156 -: An Introductory Bibliography for the Study of Proverbs, in: Modern Philology 30, 1932, S. 195-210 -: Problems in the study of proverbs, in: Journal of American Folklore 47, 1934, S. 1-21 -: Locutions for ,Never4, in: Romance Philology 2, 1948-49, S. 103-134 -: Proverbial Comparisons and Similes from California (= Folklore Studies 3), Berkeley and Los Angeles 1954 -: The proverb and an index to the proverb, Neudruck Hatboro and Copenhagen 1962 -: The Study of Proverbs, in: Proverbium 1, 1965, S. 1-10 -: Proverbia Britannica, in: Washington University Studies, Humanistic Series XI, S. 409-423 Taylor, Archer and Bartlett Jere Whiting: A dictionary of American proverbs and proverbial phrases, 1820-80, Cambridge/Mass. 1958 Taylor, Jeffervs: Old English Sayings, London 1827 Taylor, Ronald u. Walter Gotschalk: A Ger- man-English Dictionary of Idioms, München 1960 Teller, Wilhelm Abraham: Vollständige Darstellung und Beurteilung der deutschen Sprache in Luthers Bibelübersetzung, 2 Bde., Berlin 1794 u. 1795 Tendlau, Abraham: Sprichwörter und Redensarten deutsch-jüdischer Vorzeit, Frankfurt a.M. 1860, gekürzte Neuausgabe Berlin 1934 Tertier, Emil: Die Wortbildung im deutschen Sprichwort, Diss. Gießen, Gelsenkirchen 1908 Teuthonista / Zs. f. Mundartforschung Thiele, Ernst: Luthers Sprichwörtersammlung. Nach seiner Handschrift zum ersten Male herausgegeben und mit Anmerkungen versehen, Weimar 1900. (Neue Ausg. von Brenner und Thiele in Luthers Werken. Weimarer Ausgabe, Bd. 51, S. 634ff.) Thurnher, Eugen: Redensart, Volksschauspiel und Sagengut, in: Karl Ilg: Landes- und Volkskunde, Geschichte, Wirtschaft und Kunst Vorarlbergs, Bd. III, Innsbruck 1961, S. 135-167 Tilley, Morris Palmer: A dictionary of the Proverbs in England in the 16th and 17th Centuries: A Collection of the Proverbs found in English Literature and the Dictionaries of the Period, Ann Arbor/Michigan 1950 Timmermann, Gustav: Deutsche Seemannsausdrücke (Hamburger Heimatbücher), Hamburg 1953 Tobias, Anton: Beiträge zur Sprichwörterliteratur, in: Serapeum, Zschr. f. Bibliothekswiss. 29, Leipzig 1868, S. 149-155; 30, 1869, S. 336 Tobler, Titus: Appenzellischer Sprachschatz. 1209
Quellen und Darstellungen Sammlung appenzellischer Wörter, Redensarten, Sprichwörter..., Zürich 1837 Torp, Alf: Wortschatz der Germanischen Spracheinheit, unter Mitwirkung von Hjal- mar Falk gänzlich umgearbeitet (= Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen von August Fick, 4. Aufl. T. 3), Göttingen 1909 Nynorsk etymologisk Ordbok, Kristiania 1919 Transfeldt, Walter: Wort und Brauchtum des Soldaten. Geschichtliche und sprachliche Betrachtungen über Gebräuche, Begriffe und Bezeichnungen des deutschen Heeres in Vergangenheit und Gegenwart, 5. Aufl. bearbeitet v. Karl-Hermann Frh. v. Brand, Hamburg 1959 Trautmann, Reinhold: Baltisch-Slawisches Wörterbuch, Göttingen 1923 Treichlinger, Wilhelm Michael: Japanische Spruchweisheit. 330 japan. Sprichwörter, 2. Aufl. Zürich 1955. (Die kleinen Bücher d. Arche 183.) Trench, Richard Chenerix: On the lessons in proverbs (London 1853). Final edition ed. by A. Smythe Palmer, London 1905 Trenkler, Robert: 6275 deutsche Sprüchwörter, München o. J. (1884) Trier, Jost: Deutsche Bedeutungsforschung. Festschrift O. Behaghel, Heidelberg 1934 Trübner, Karl, Alfred Götze u. Walther Mitzka: Deutsches Wörterbuch, Bd. I—VIII, Berlin 1939-57 Trümpy, Hans: Schweizerdeutsche Sprache und Literatur im 17. und 18. Jh., in: Schriften d. Schweiz. Ges. f. Vkde., Bd. 36, Basel 1955 Tschinkel, Wilhelm: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten im Gottscheer Volksmunde, in: Zs. f. österr. Vkde. 12, 1906, S. 138-148 Tschirch, Fritz: Weltbild, Denkform und Sprachgestalt, Berlin 1954 Tuinman, C.: De oorsprong en uitlegging van dagelyks gebruikte nederduitsche spreek- woorden, 2 Bde., Middelburg 1720 Tunnicius, Antonius: Monasteriensis in prouer- bia siue paroemias Germanorum Monosticha, cum germanica interpretatione, Köln 1513 -: Monosticha. Die älteste niederdeutsche Sprichwörtersammlung. Gesammelt und in lat. Verse übersetzt (Köln 1513). Hg. mit hochdt. Übersetzung, Anmerkungen und Wörterbuch von Hoffmann v. Fallersleben, Berlin 1870 Turbayne, Colin Murray:The myth of metaphor, New Haven 1962 Unger, Theodor: Steirischer Wortschatz, gesammelt von Ph. Unger. Bearb. u. hg. v. Ferdinand Khull, Graz 1903 Unseld, Wilhelm: Die Pflanzen in den schwäbischen Sprichwörtern und Redensarten, in: Alemannia 25, 1898, S. 114-126 -: Schwäbische Sprichwörter und Redensarten, gesammelt in Stuttgart, Tübingen, Ulm und Blaubeuren, in: Zs. f. Hochdeutsche Mundarten 1, 1900, S. 30-34, 98-104, 155-165, 177-185, 264-268; 3, S. 373-376; 4, S. 38-45; 6, 1905, S. 31-37, 242-246 Urban, Wilbur Marshall: The Philosophy of Language and the principle of Symbolism, London 1951 Vannucci, Atto: Proverbi latini, 3 Bde., Milano 1880 Vasmer, Max: Russisches etymologisches Wörterbuch, 3 Bde., Heidelberg 1950-58 Vaughan, Henry Halford: Welsh proverbs with English translations, London 1889 Veith, Heinrich: Deutsches Bergwörterbuch, Breslau 1871 Verdam, Jakob: Middelnederlandsch Hand- woordenboek, 2. Aufl. ’s-Gravenhage 1932 (Nachdruck 1949) Verwijs, E. en J. Verdam: Middelnederlandsch Woordenboek, Bd. I-XI, 1885ff. Vibraye, Harri de: Trésor des proverbes Français, Paris 1934 Vilmar, August Friedrich Christian: Idiotikon von Kurhessen, Marburg 1868 Vogelpohl, Wilhelm u. Adolf Hoschke: Leben im Wort, Bilder aus der Sprachgeschichte u. Wortkunde, Stuttgart 1956 Voigt, Ernst: Uber die ältesten Sprichwörtersammlungen des dt. Mittelalters, in: Zs. f. dt. Altertum 30, 1886, S. 260-280 Voigt, Günther: Karl Friedrich Wander und sein politisches Sprichwörterbrevier1, in: Dt. Jb. f. Vkde. 2, 1956, S. 80-90 Volck v. Wertheim, Heinrich: Der auf neue Manier abgefaszte und allezeit fertige Briefsteller, 1722 Volkmar, Leopold: Paroemia et regula juris Romanorum, Germanorum, Franco-Gallorum, Britannorum, Berlin 1854 Voss, Karl: Redensarten der französischen Sprache, Berlin 1966 -: Redensarten der englischen Sprache, Berlin 1967. Voss, Karl, Domenico Longo u. Gisela Pasetti- Bombardella: Redensarten der italienischen Sprache, Berlin 1966 Waag, Albert: Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes, Lahr 1955 Wagener, Samuel Christoph: Sprüchwörter-Le- xiconmit kurzen Erläuterungen, Quedlinburg 1813 Wagenfeld, Karl: Volksmund, Plattdeutsche Sprichwörter und Redensarten des Münsterlandes in ihrer Anwendung, Essen 1911 Wagler, Paul Richard: Die Eiche in alter und neuer Zeit, Teil 1 in: Programm Kgl. Gymnasium Wurzen, Wurzen 1891, Teil 2 in: Berliner Studien f. klass. Phil. u. Archäol., Bd. 13, S. 27-31 Wagner, Eva: Sprichwort und Sprichworthaftes als Gestaltungselemente im ,Rennerk Hugos von Trimberg, Diss. Würzburg 1962 Wahrig, Gerhard: Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1968 Walde, Alois: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3. Aufl., neu bearbeitet von J. B. Hofmann, Heidelberg 1938 -: Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen. Hg. und bearbeitet von Julius Pokorny, 3 Bdc., Berlin u. Leipzig 1927-32 1210
Quellen und Darstellungen Waldis, Bnrkard: Esopus in hochdeutsch. 1548, Frankfurt 1565, ed. Gödicke Hannover 1882 Walsh, William S.: International Encyclopedia of prose and poetical quotations. New York 1968 Walther, Hans: Proverbia Sententiaeque Latinitatis medii aevi, 5 Bde., Göttingen 1963—67 Walther von der Vogelweide, hg. v. Karl Lachmann. 7. Aufl. besorgt von Carl v. Krauss Berlin 1907; 13., aufgrund der 10. von Carl v. Krauss bearb. Ausg. 1965 neu hg. von Hugo Kuhn Wander, Karl Friedrich Wilhelm: Scheidemünze oder neue dt. Sprichwörter, biblischen, natur- geschichtl., fabellehrigen u. vermischten Inhalts. Mit vielen erkl. Winken. 2. u. letzte Gabe, Hirschberg 1835 Abrahamisches Parömiakon. Die Sprichwörter, sprichwörtlichen Redensarten etc. des Pater Abraham a Santa Clara... Breslau 1838 Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, 5 Bde., Leipzig 1867, 1880, Neudruck Darmstadt 1964 Wanner, Hans: Woher kommt unser Deutsch?, 3. Aufl. Frauenfeld 1956 Wartburg, Walther v.: Französisches etymologisches Wörterbuch, Bonn (Leipzig) 1928f. Wasserzieher, Ernst: Woher? Ableitendes Wörterbuch der deutschen Sprache, 14., neubearbeitete Aufl. besorgt von Werner Betz, Bonn 1959 Weekley, Ernest: An Etymological Dictionary of Modern English, London 1921 Wehrle, Hugo u. Hans Eggers: Deutscher Wortschatz. Ein Wegweiser zum treffenden Ausdruck, 12. Aufl. Stuttgart 1961 Weigand, Friedrich Ludwig Karl: Deutsches Wörterbuch. 5. Aufl., neu bearbeitet von Karl v. Bahder, Herman Hirt u. Karl Kant, 2 Bde., Gießen 1909-10 Weimann, Karl-Heinz: Paracelsus und der deutsche Wortschatz, in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen 2, hg. v. L. E. Schmitt, Gießen 1963 Weinberg, Werner: Die Reste des Jüdischdeutschen (= Studia Delitzschiana, Bd. 12), Stuttgart 1969 Weinhold, Karl: Die deutschen Monatsnamen, Halle 1869 Weinreiter, Victorin: Sammlung von 500 Sprüchwörtern, Denksprüchen und Redensarten in deutscher und lateinischer Sprache, samt der Angabe des Ursprungs von mehr als 200 lateinischen Redensarten, Grätz 1826 Weise, Oskar: Deutsche Redensarten. Sprachlich und kulturgeschichtlich erläutert von Albert Richter, 3., vermehrte Aufl. Leipzig 1910 Unsere Muttersprache, ihr Werden und ihr Wesen, 8. Aufl. Leipzig 1912 -: Die volkstümlichen Vergleiche in den dt. Mundarten, in: Zs. f. Mundartforschung 1921 Weisgerber, Leo: Die Muttersprache im Aufbau unserer Kultur, Düsseldorf 1953 Verschiebungen in der sprachlichen Einschätzung von Menschen und Sachen, Köln u. Opladen 1958. (Wiss. Abhandl. d. Arbeitsgemeinschaft f. Forschung d. Landes Nordrh.- Westf., Bd. 2.) Weitnauer, Alfred: Allgäuer Sprüche, das ist Sammlung etlicher fürnehmer Sprüch und Gesätzlein und durch... trefflichste Schwaben-Sprüche vermehret, 13. Aufl. Lindau 1946 Weizsäcker, Wilhelm v.: Volk und Staat im deutschen Rechtssprichwort, in: Aus Verfassungsund Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, 2 Bde., Lindau u. Konstanz 1954/55, Bd. 1, S. 305-329 Wendt, M. F.: Goldkörner. 1000 Sprüchwörter, Sentenzen, Sinngedichte und Aphorismen ... gesammelt v. J. J. St., hrsg. v. Wendt, Leipzig 1863 Werner, Heinz: Die Ursprünge der Metapher ( = Arbeiten zur Entwicklungspsychologie 3), Leipzig 1919 Werner, Jakob: Lateinische Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters, aus Handschriften gesammelt, 2., überarbeitete Aufl. v. Peter Flury. Vorwort v. Heinz Haffter, Heidelberg 1966 Werner, Jürgen: Altgriechische Sprichwörter nach Sachgruppen geordnet, Diss. Leipzig 1957 -: Sprichwortliteratur (Forschungsbericht), in: Zs. f. Vkde. 57, 1961, S. 118-132; 58, 1962, S. 114-129 Werner, Otto Hermann: Der Saarbergmann in Sprache und Brauch, Diss. Bonn 1934 Wernher der Gartenaere: Meier Helmbrecht, hg. von Panzer, Halle 1902 Wesselski, Albert: Erlesenes (Gesellschaft deutscher Bücherfreunde in Böhmen VII1), Prag 1928 Westermarck, Edward Alexander: Wit and wisdom in Marocco. A study of native proverbs, 2. Aufl. New York 1931 westfälisch, s. Woeste Wheelwright, Philip: Metaphor and reality, 2. print Bloomington 1964 Whiting, Bartlett Jere^he. Origin of the proverb, in: Harvard University Studies and Notes in Philology and Literature 13, 1931, S. 47-80 -: The Nature of the Proverb, in: Harvard University Studies and Notes in Philology and Literature 14, 1932, S. 273-307 -: The Study of Proverbs, in: Modern Language Forum 24, 1939 -: Proverbs, sentences and proverbial phrases. From English writings mainly before 1500, Cambridge/Mass. 1968 Wick, Philipp: Die slawischen Lehnwörter in der neuhochdeutschen Schriftsprache, Marburg 1939 Widmann, Hans: Zitate und ihre Schicksale, in: Das Werk der Bücher. Festschrift für Horst Kliemann, Freiburg 1956, S. 73ff. Widmer, Walter: Volkstümliche Vergleiche im Französischen, Diss. Basel 1929 wienerisch /'Jakob Wilde, Julius: Die Pflanzennamen im Sprachschatz der Pfälzer, Neustadt a. d. H. o.J. (1923) Wildhaber, Robert: Formen der Besitzergreifung im Volksrecht, im Volksglauben und in der Volksdichtung. In: Poseban otisak iz caso- pisa „Narodno stvaralastvo - Folklor“ 1965, p. 15-16, Belgrad 1965 Wilhelm, Franz:Thiernamen in volksthümlichen 1211
Quellen und Darstellungen Zusammensetzungen und Redensarten des Saazer Landes, o. O. (Pilsen) o.J. (1898) Wilke, Georg: Über die Entstehung einiger Sprichwörter und Redensarten, in: Mitteldeutsche Blätter für Volkskunde 2, 1927, S. 125-130 Willberg, Max: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprichwörtern, in Redensarten, im Schrifttum, in: Die Muttersprache 1963, S. 201-221 Wilstack, Franz J.: A dictionary of similes, London 1917 Windekens, A. J. van: Lexique étymologique des dialectes tokhariens, Leuven 1944 Winkler, Leonhard: Deutsches Recht im Spiegel deutscher Sprichwörter, Leipzig 1927 Winter, Georg: Unbeflügelte Worte, Augsburg 1888 Wirth, Alfred: Der Mensch im Anhalter Volksmund. Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung, in: Spamer-Festschrift, Berlin 1953, S. 163 ff. Wissell, Rudolf: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 2 Bde., Berlin 1929 Witt, Arthur: Siebzig sprichwörtliche Redensarten aus niederdeutschen politischen Flugschriften des Jahres 1644, in: Zs. f. Vkde. 26, 1917, S. 355-357 Wolf, Siegmund A.: Wörterbuch des Rotwelschen. Deutsche Gaunersprache, Mannheim 1956 -: Großes Wörterbuch der Zigeuner-Sprache, Mannheim 1960 Wolff Theodor: Volks ge bräuche und Volksglauben an der oberen Nahe. Anhang: Bauernregeln und Sprüche, Volkssprüche u. Redensarten, in: Zs. f. rhein. u. westf. Vkde. 2, 1905, S. 299-309 Woods, Barbara Allen: English Sayings in Brecht’s Plays: A Preliminary Study, in: Proverbium 6, 1966, S. 121-129 -: Perverted Proverbs in Brecht and ‘Verfremdungssprache’, in: Germanic Review XLIII, 1968, S. 100-108 -: The Function of proverbs in Brecht, in: Monatshefte für den deutschen Unterricht LXI, 1969, S. 49-57 English Sayings in Brecht. An Addendum, in: Proverbium 15, 1970, S. 129-131 -: Unfamiliar Quotations in Brecht’s Plays, in: Germanic Review XLVI, 1971, S. 26-42 Wörter und Sachen, Bd. Iff., 1909ff. Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum dt. Sprachgebrauch. Hg. von Erhard Agricola u. a., 2. Aufl. Leipzig 1965 Wörterbuch der Gegenwartssprache, hg. v. Ruth Klappenbach u. Wolfgang Steinitz, Lieferung 1-2, Berlin 1961 Wörterbuch der luxemburgischen Mundart, Luxemburg 1926 Wörterbuch des Rotwelschen /S.A.Wolf Wörterbuch von deutschen Sprüchwörtern und Redensarten, mit den gleichbedeutenden Benennungen der holländischen Sprache, Breda 1839 Woeste, Friedrich: Sprichwörter, Redensarten und Ausdrücke, die sich auf das mittelalterliche Köln beziehen, in: Zs. d. Berg. Ge- schichtsver., Bd. 10, S. 107f. -: Wörterbuch der westfälischen Mundart, neu bearbeitet v. Erich Nörrenberg, Norden u. Leipzig 1930 -: Apologische Sprichwörter in Mundarten des märkischen Süderlandes, in: Die deutschen Mundarten 3, 1856, S. 253-264 -: Stehende oder sprichwörtliche Vergleiche aus der Grafschaft Mark, in: Die deutschen Mundarten 5, 1858, S. 57-66, 161-172 Wossidlo, Richard: Der typische Gebrauch der Vornamen im Mecklenburger Platt. A. Vornamen in Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten, in: Korrespondenzblatt d. Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung 9, Hamburg 1884, S. 82 -: Volkstümliches aus Mecklenburg. I. Heft: Beiträge zum Tier- und Pflanzenbuch, Rostock 1885 -: Gott und Teufel im Munde des mecklenburgischen Volkes, in: Korrespondenzblatt des Vereins niederdeutscher Sprachforschung 15, Hamburg 1891, S. 44-48 -: Der Tod im Munde des mecklenburgischen Volkes. In: Zeitschrift f. Vkde. 4, 1894, S. 184-195 -: Mecklenburgische Volksüberlieferungen — 4 Bde., Wismar 1897, 1899, 1906, 1931 Wossidlo, Richard u. Hermann Tendiert: Mecklenburgisches Wörterbuch, Bd. Iff., Neumünster 193 7 ff. Wrede, Adam: Altkölnischer Sprachschatz, Bd. Iff., Bonn 1928ff. [1956-58 -: Neuer kölnischer Sprachschatz, 3 Bde., Köln Wiirtenberger, Franzsepp: Bruegel d. Ä. und die altdeutsche Kunst, Wiesbaden 1957 Wunderlich, Gottlob: Sprichwörtliche und bildliche Redensarten. Zur Pflege vaterländischer Sprachkenntnis in der Volksschule, 2. Aufl. Langensalza 1886 Wunderlich, Hermann: Unsere Umgangssprache in der Eigenart ihrer Satzfügung, Weimar u. Berlin 1894 Wurzbach, Constant: Die Sprichwörter der Polen, 2., vermehrte Aufl. Wien 1852 -: Historische Wörter, Sprichwörter und Redensarten, 2. Aufl. Leipzig 1866 Wustmann, Gustav: Sprachdummheiten, 14. Aufl. Berlin 1955 Wustmann, Gustav /Borchardt Wykeham, Reginald: lOOOidiomat. Redensarten Englisch, 7. Aufl. Berlin u. München 1966 Yermoloff, Alexis: Die landwirtschaftliche Volksweisheit in Sprichwörtern, Redensarten und Wetterregeln I, (1905) Yoffie, L. R.: Yiddish Proverbs, Lancaster 1920 Zahlten, Emil: Sprichwort und Redensart in den Fastnachtsspielen des Hans Sachs, Diss. Hamburg 1921 Zaorâlek, Jaroslav: Lidova réeni (Volkstümliche Redewendungen), 2. Aufl. Prag 1963 Zâtureckÿ, Adolf Peter: Slovenské prislovia, porekadlâ a üslovia (Slowakische Sprichwörter, Sprüche und Redewendungen), hg. v. M. Kosovä u. A. Milichercik, 2. Aufl. Bratislava 1965 Zeidler, Johannes: Die deutsche Turnsprache bis 1819 (= Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Sprache, Heft 2), Halle/Saale 1942 1212
Quellen und Darstellungen Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Berlin 1886 ff. Seit 1925 unter dem Titel: Muttersprache. Seit 1949: Muttersprache, Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache, Lüneburg Zeitschrift für den deutschen Unterricht, begründet von Rudolf Hildebrand und Otto Lyon, Leipzig 1897 ff. Später unter dem Titel: Zeitschrift für Deutschkunde Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, begründet von Moriz Haupt, Leipzig 1841 ff., dann Berlin 1875ff. Zeitschrift für deutsche Mundarten, Bd. 1-19, Berlin 1906-24 Zeitschrift für Mundartforschung, begründet als Teuthonista, Bd. 1-10, 1924-34. Bd. 11 ff. Wiesbaden 1935 ff. Zeitschrift für deutsche Wortforschung, hg. v. Friedrich Kluge, Bd. 1-15, mit Beiheft 1-5, Straßburg 1901-14 Zeitschrift für deutsche Philologie, Stuttgart 1869 ff. Zerlett-Olfeniiis, Walter: Aus dem Stegreif. Plaudereien über Redensarten, 2. Aufl. Berlin 1944 Zieh, Otakar: Lidovâ pfislovi s logického hle- diska (Volkstümliche Sprichwörter vom Standpunkt der Logik), Praha 1956 Ziesemer, Walter: Preußisches Wörterbuch. Sprache und Volkstum Nordostdeutschlands, Königsberg 1935 f. ZimmerischeChronik, hg. v. K. A. Barack. Bibi, des lit. Vereins zu Stuttgart, Bd. 91-94, Stuttgart 1869, 2., verb. Aufl. Freiburg i. Br. u. Tübingen 1881-82; Neuausg. hg. v. Hans- martin Decker-Hauff, Bd. 1 u. 2 Darmstadt 1964 (Rev. Nachdr. 1966) - 1967 Zincgref, Julius Wilhelm: Der Teutschen Scharfsinnige kluge Spruch,.., Straßburg 1538 -: Teutscher Nation klug-außgesprochene Weißheit... Teutsche Apophthegmata... durch Jul. W. Zinkgräfen. Anitzo noch mit dem dritten Teil vermehrt durch Joh. Leonh. Weidnern, Leyden 1644-45 ; 5 Bde., Amsterdam 1653 Zincke, Georg Heinrich: Allgemeines ökonomisches Lexikon, 1753 Zingerle, Ignaz Vincent v.: Die deutschen Sprichwörter im Mittelalter, Wien 1864 Zinsli, Paul: Grund und Grat. Die Bergwelt im Spiegel der schweizerischen Alpenmundarten, Bern 1945 Zivy, Arthur: Elsässer Jiddisch. Jüdischdeutsche Sprichwörter und Redensarten, Basel o.J. (1966) Zoder, Julius: Sprücheln und Geschichten aus dem oberoesterreichischen Salzkammergut, in: Wiener Zs. f. Vkde. 26, 1921, S. 48-52 Zumpf, Karl F.: Uber J. Agricola’s Deutsche Sprichwörter, in: Philomathie, Bd. 2, Leipzig 1820, S. 239-244 1213
ABBILDUNGSNACHWEIS Für die freundliche Überlassung und den Nachweis von Abbildungen danke ich herzlich: Hauptkonservator Dr. Rolf W. Brednich, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Wolfgang Brückner, Würzburg; Hauptkonservator Dr. Bernward Deneke, Nürnberg; Frau Monika Eidel-Hase, Freiburg i. Br.; Dr. Paul Engelmeier, Telgte; Dr. Theo Gantner, Basel; Dr. Gerda Grober, Bonn; Peter Groß, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Walter Hävernick, Hamburg; Frau Heinke Hempel-Binder, Freiburg i. Br.; Dr. Maria Kosova, Bratislava; Prof. Dr. Leopold Kretzen- bacher, München; Konservator F. K. Mathys, Basel; Gertraud Meinel, Freiburg i. Br.; Dr. Dietz-Rüdiger Moser, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Bruno Schier, Münster i. Westf.; Wirklicher Hofrat Prof. Dr. Leopold Schmidt, Wien; Prof. Dr. K. Spyridakis, Athen; A. Paul Weber,Frankfurt a. M.; Dr. Robert Wildhaber, Basel; Prof. Dr. Matthias Zender, Bonn. Herzlicher Dank gilt weiter für freundliche Auskünfte und Hinweise sowie für die Reproduktionserlaubnis und die Herstellung von Originalfotos folgenden Museen, Bibliotheken, Archiven und Institutionen: Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie, Berlin Staatliche Gemäldegalerie Kassel Universitätsbibliothek Heidelberg Fürstlich Fürstenbergische Bibliothek, Donau- eschingen Universitätsbibliothek Göttingen Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Stadtbibliothek Nürnberg Städtische Kupferstichsammlung Nürnberg Bayerisches Nationalmuseum, München Kupferstichkabinett München Bayerische Staatsbibliothek München Walters Art Gallery, Baltimore/Maryland/USA Museum of Art, Philadelphia (Pennsylvania) Uffizien, Florenz Museo del Prado, Madrid Rijksmuseum, Amsterdam Königliche Bibliothek Den Haag Mauritshuis, Den Haag Stadsmuseum Brügge Bibliothek Albert Ter, Brüssel Bibliothèque Nationale, Paris Musée Alsacien, Strasbourg Schweizerisches Museum für Volkskunde, Basel Historisches Museum, Basel Schweizerisches Turn- und Sportmuseum, Basel K. und K. Kupferstichsammlung, Wien Albertina, Wien Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien Tiroler Volkskunst-Museum, Innsbruck Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz Slovenského nârodného müzea Martine, Martin (Slowakei) Slowenisches ethnographisches Museum, Ljubljana Augustinermuseum, Freiburg i.Br. Herder-Bildarchiv, Freiburg i.Br. Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Schiller-Nationalmuseum, Marbach Städtisches Museum Gotha Niedersächsische Landesgalerie, Hannover Ikonenmuseum, Recklinghausen Landesmuseum Wiesbaden Niederrheinisches Museum, Wesel Heimathaus Münsterland, Telgte Heimatmuseum Neuruppin Märkisches Museum, Berlin Heimatmuseum Wolfach Bally-Ausstellung Felsgarten, Schuhmuseum Schönenwerd Jeweils mehrere Abbildungen sind mit freundlicher Genehmigung der Verfasser, Herausgeber und des Verlags den folgenden Werken entnommen, die der Einfachheit halber im Bildverzeichnis nur abgekürzt zitiert werden: Ammann, Jost: Eygenlliche Beschreibung aller Stände, Frankfurt 1568, Neudruck Insel-Ver- lag Leipzig I960 (abgekürzt: Ständebuch) 1214
Abbildungsnachweis Bismarck-Album des Kladderadatsch. Mit dreihundert Zeichnungen von Wilhelm Scholz, 9. Aufl. Berlin 1890 (abgek.: Bismarck-Album) Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben hg. v. Manfred Lemmer, Verlag Niemeyer, 2., erweiterte Aufl. Tübingen 1968 (abgek.: Brant: Narrenschiff) Bruckner, Wolfgang: Populäre Druckgraphik Europas. Deutschland vom L5. bis zum 20. Jh., Callwey-Verlag, München 1969 (abgek.: Brückner: Druckgraphik) Bry, Jo. Theodor et Jo. Israel de: Emblemata Se- cularia mira et jucunda varietate, Francofurti MDXCVI (1596) (abgek.: de Bry: Emblemata) Frank. Grace and Dorothy Miner: Proverbes en Rimes. Text and Illustrations of the Fifteenth Century from a French Manuscript in the Walters Art Gallery Baltimore, The Johns Hopkins Press, Baltimore 1937 (abgek.: P. e. R.) Glaßbrenner, Adolf: Unsterblicher Volkswitz, 2 Bde., Verlag Neues Berlin, Berlin 1954 (abgek.: Glaßbrenner) Grandville (d. i. Jean-Ignace Isidore Gérard): Das gesamte Werk. Einleitung v. Gottfried Sello, 2 Bde., Rogner u. Bernhard, München 1969 (abgek.: Grandville: G. W.) Grober, Gerda: Zur Verbreitung von Redensarten und Vorstellungen des Volksglaubens nach den Sammlungen des Atlas der dt. Volkskunde, in: Zs. f. Vkde. 58 (1962) S. 41-71 (abgek.: Grober) Henkel, Arthur und Albrecht Schöne (Hrsg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, J. B. Metzler- sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1967 (abgek.: Henkel u. Schöne) Das Herz - Im Umkreis des Glaubens - Im Umkreis der Kunst - lm Umkreis des Denkens, Dr. Karl Thomae G.m.b.H., Biberach a. d. Riss,3Bde.,Biberach 1965-69(abgek.: Herz) Heurck, Em. van et G. J. Boekenoogen: L’imagerie populaire des Pays-Bas, Belgique - Hollande, Paris 1930 (abgek.: L’imagerie populaire des Pays-Bas) Murner, Thomas: Schelmenzunft, 1512, hg. von M. Spanier 1925 (abgek.: Murner: Schelmenzunft) Schöne, Albrecht: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, C. H. Beck’sche Ver- Iangsbuchhandlung, München 1964 (abgek.: Schöne: Emblematik) Die Schwiegermutter und das Krokodil, 111 bunte Bilderbogen für alle Land- und Stadtbewohner, so weit der Himmel blau ist, hg. v. Werner Hirte, Rogner u. Bernhard, München MCMLXIX (1969) (abgek.: S.u.K.) Steinhöwel, Heinrich: Esopus, gedruckt von Günther Zainer in Augsburg um 1477/78. Die lncunabel in ihren Hauptwerken, Müller u. Co. Verlag, Potsdam (1921) (abgek.: Steinhöwel: Esopus) Veit, Ludwig: Das liebe Geld, Prestel-Verlag Dr. Paul Capellmann, München 1969 (abgek.: Veit: Geld) Wäscher, Hermann: Das deutsche illustrierte Flugblatt, VEB Verlag der Kunst, Dresden 1955 (abgek.: Wäscher: Flugblatt) Abbildungsnachweis 20/21: Sprichwörter-Bild von Pieter Bruegel d. Ä.. 1559. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie Berlin - Dahlem 35: Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 37: Holzschnitt aus Bilder-Abc, Stralsund 1788 41 : Pfeilerkapitell im Chorumgang des Basler Münsters, 12. Jh. 47: Holzschnitt aus: Günther Zainer: Speculum humanae salvationis (ill. Ausg. v. 1476) 50(1): Kupferstich von 1556/57, Bibliothek Albert Ter, Brüssel - (2): Gemälde von Annibale Carracci, 16. Jh., Uffizien, Florenz - (3): Grandville: G. W., Bd. 2, S. 1055 51 (4): Steinhöwel: Esopus, Die XI. Fabel ,von dem affen vnd seynem kinde4 - (5): William Hogarth: Wirtshausschild, um 1740 - (6): Detail aus einem Festumzug, Sonderausstellung von Theo Gantner: Der Festumzug, Schweizerisches Museum für Volkskunde, Basel, 1970 - (7): Zeichnung von Albrecht Dürer, 1523 53: ,Frau Alraune4, Hortus sanitatis, 1485 54: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 57: Talhoffer's Fechtbuch, Bilderhandschrift von 1467, Herzogliche Bibliothek Gotha 59 (1):,Klapperstein4 vom Rathaus in Mulhouse (Elsaß) - (2): Stundenbuch der Katharina von Kleve, Anfang 15. Jh. (um 1440) 66: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 68: Holzschnitt von Albrecht Dürer zum ,Ritter vom Turn4. ,Von den Exempeln der Gots- furcht un Erberkeit4. Gedruckt bei Michael Furter, Basel 1493 70: ,,Dem die andere ins Loch kriechen“, de Bry: Emblemata, Nr. 41 74: Kupferstich eines allegorischen Reimspottblattes auf die Großmannssucht der Zeit, um 1610/20, aus: Brückner: Druckgraphik, S. 72, Abb. 63 75: Scherzhaftes Flugblatt mit Kupfer, 17. Jh., gedruckt von Johann Klockher, München, Kupferstichkabinett 76: Gemälde von Jakob Jordaens (1593-1678), Staatliche Gemäldegalerie Kassel 77: .Disharmonie4, Neuruppincr Bilderbogen, Nr. 8565, aus: S. u. K., S. 88 78(1): Kupferstich von Matthäus Merian zu: Julius Wilhelm Zincgreff: Emblematvm/Ethi- co-Politicorvm/Centvria, Heidelberg 1619, Nr. 1, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 400 - (2): Joachim Camerarius, jun.: Symbolorvm/ et/Emblematvm ex/Animalibvs Qvadrvpedi- bvs/Desvmtorvm/Centvria Altera/Collecta, Nürnberg 1595, Nr. 73, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 482 84: .Rolandslied4 des Pfaffen Konrad, 12. Jh., 1215
Abbildungsnachweis Universitätsbibliothek Heidelberg, Codex palatinus Germanicus 112 85: Steinhöwel: Esopus, Die XIIII. Fabel, von dem man vnd der agxst4 86: Holzplastik, Musée Alsacien, Strasbourg 87: James Gillray: Karikatur auf die Ereignisse des Jahres 1806: Nach der Schlacht von Austerlitz macht Napoleon die Herrscher von Bayern, Württemberg und Baden zu Satelli- ten-Monarchen 88: Misericordiendarstellung, Amsterdam, 16. Jh. 89: Holzschnitt aus der Schweizer Geschichte des Zürichers Johannes Stumpf, 1548, Bern, Historisches Museum 91: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 92 (1): Initiale aus der Parzival-Handschrift der Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek in Donaueschingen - (2): A. Paul Weber: Karikatur,Splitter kontra Balken4 (Lithographie) 95 (1): Detail aus einem Votivbild, 1. Hälfte 19. Jh. - (2): Spottblatt auf die Jahrmarktsänger: „Jean Pompesac, privilegirter Marckt- und Zeitungs Sänger mit seinem musikalischen Weibe“, anonymer Kupferstich aus der 1. Hälfte des 18. Jh. 97 (1 ): T. Severyn: Staropolska, Grafika ludowa, Warszawa 1956, S. 112 - (2): Grand ville: G. W., Bd. 1, S. 141 97 (3): Detail aus: ,Die zehen Wirthshaus-Ge- bote4, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 1030, aus: S. u. K„ S. 117 - (4): Zeichnung von Moritz v. Schwind (1804-71) 98: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der erste Beernhaeuter - nicht ohne sonderbare darunter verborgene lehrreiche Ge- heimniß..., Nürnberg 1670, Universitätsbibliothek Göttingen, aus: Felix Karlinger: Märchen des Barock, München 1965, S. 145 99: Steinhöwel: Esopus, Die VIII. Fabel ,von zweyen gesellen4 101 (1): Kapitell in Anzy-le-Duc (Saône-et- Loire) - (2): Spottblatt auf Bartlose, die sich einen neuen, modischen Bart kaufen wollen:,Newer Kram Laden4, 1641, aus: Wäscher: Flugblatt, S. 73 102 ( 1 ): Relief eines Richters in der Vorhalle der Münsterkirche zu Kastl (Oberpfalz), aus: Bayerischer Heimatschutz, 29. Jg., 1933, Abb. 8 - (2): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 103: Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 107: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 111: Relief eines sitzenden Richters, St.-Stephans-Dom, Wien, aus: Leopold Schmidt: Der Richter über dem Riesentor von St. Stephan, in: Jb. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Wien 8, 1949/50 118: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 119 (1): Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 - (2): Detail aus einem Bilderbogen aus Flandern, 19. Jh. 120 (1): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700, Sammlung Prof. Röhrich, Freiburg i. Br. - (2): Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 122: Gerda Grober: Karte zu Frage 233 d der Umfrage zum Atlas der deutschen Volkskunde 123 (1): Rundbild von Pieter Bruegel d. Ä. aus der Serie: ,Zwoelf vlaemische Sprichwörter4, gestochen von Jan Wierix und Pieter van der Heijden - (2): Misericordie in Presle (Flandern) 124: Rundbild von Pieter Bruegel d. Ä. aus der Serie: ,Zwoelf vlaemische Sprichwörter4 125: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 126: Steinhöwel, Esopus, Die XIIII. Fabel ,von dem bild vnd dem wolff4 133: Bauer und Mohr von 1485 vom Schembart- laufen in Nürnberg, aus: Fritz Brüggemann: Vom Schembartlaufen, Leipzig 1936 136: Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 140 (1): Fortuna mit Augenbinde v. J. Mucz- kowski, Krakow 1849, aus: J. Krzyzanowsky: Madrej glowie dose dwie slowie. Bd. 1, Warszawa 1960, Abb. 8 - (2): Zeichnung von Conrad Meyer (1618 bis 1680), aus: Conrad Meyer: Die Kinderspiele, hg. v. C. Ulrich, Zürich 1970, S. 10 141: Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., Herder-Bildarchiv 142 ( 1): Kupfer aus: de Bry: Emblemata, Nr. 46 - (2): P. e. R., Plate III 145 : Nach einem Originalaquarell von Geißler (1770-1844) 148: Detail aus Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 6167, aus: S. u. K.. S. 105 149: Politische Karikatur auf Napoleon, Blatt aus dem Historischen Museum der Stadt Prag 150: Conrad Meyer: Die Kinderspiele, S. 81 151: Botanische Darstellung des Bockshornklees 159 (1): Titelblatt des Lahrer Kalenders von 1969 - (2): Brenneisen mit Rad und Galgen, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 160: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 161 : Detail aus der Bauernhochzeit4 von Pieter Bruegel 165: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 166: Zeitungskarikatur 167 (1): Misericordiendarstellung in Hoogstraeten, 16. Jh. - (2): de Bry: Emblemata, Nr. 29 - (3): Rundbild von P. Bruegel d. Ä. aus der Serie: ,Zwoelf vlaemische Sprichwörter4 170: Karte für Redensarten-Belege aus der Westeifel und der Nahegegend nach M. Zen- der, aus: A. Bach: Deutsche Volkskunde, 3. Aufl. Heidelberg 1960, S. 394, Karte Nr. 46 174: Rundbild von Pieter Bruegel 177: Illustration von Moritz v. Schwind für G. Scherer: Alte und neue Kinderlieder, 1848/49 180: P. e. R., Plate Cll 183: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 810 1216
Abbildungsnachweis 187: Hauswüstung als Rügerecht, aus: H. Bausinger: Volkskunde, Berlin o. J., S. 128f. 188: Hauswüstungin Irland 1848, aus: K. Meuli, in: Schweiz. Volkskunde 41 (1951) 190: Guillaume de la Perrière: La Morosophic/ de Guillaume de la/PerriereTo-/losain,/Con- tenant Cent Emblemes/moraux, illustrez de Cent/Tetrastiques Latins, re-/duitz en autant de Qua-/trains Françoys. Lyon 1553 (Landesbibliothek Hannover), Nr. 30, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 1155 195: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 196: Die Folter. Holzschnitt aus dem 18. Jh., Bayerisches Nationalmuseum, München 198 (1): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 - (2): Einsegnung des Ehebettes, Deutscher Holzschnitt aus dem 15. Jh., aus: E. Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte. Renaissance, München 1909, S. 189 205: Charles H. Bennett: Proverbs, London 1859 209: Zeichnung von Wilhelm Scholz: ,Der Dorn im Auge der Schwarzen1, 1872, aus: Bismarck-Album. S. 68 212: P. e. R., Plate XXXVI 213: Dreier auf die Grundsteinlegung des neuen Rathauses in Nürnberg 1616, aus: Veit: Geld, S. 101 515: Detail aus: ,Bilder mit Versen1, Neuruppi- ner Bilderbogen, Nr. 2816, aus: S. u. K., S. 107 219: Detail aus: ,Lebens-Bilder', Münchener Bilderbogen, Nr. 736, aus: S. u. K., S. 74 221 : Holzschnitt aus Thomas Murners ,Geuch- matt\ 1519: Der treue Eckart als Wächter vor dem Venusberg 223 (1 u.2): Details aus einem Bilderbogen aus Ost-Flandern, um 1700 224 (1): Michael Meier: Scrutinium Chymicum, Frankfurt 1687: „Accipe ovum igneo percute gladio“, aus: Venetia Newall: An Egg at Easter, London 1971 - (2): Misericordiendarstellung aus Kleve, Foto: Getlinger, Kleve 226: Detail aus einem Kupferstich von J. B. Vrints nach de Vos 231: P. e. R., Plate CIX 232: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 234: Rumänisches Hinterglasbild, Mitte 19. Jh., Museum Bra$ov, aus: Cornel lrimie und Mar- cela Fosça: Rumänische Hinterglasikonen, Bukarest 1969, Abb. 101 235: Holzschnitt aus den ,Acht Schalkheiten', 1470 241 (1): Detail aus: ,Bilder mit Versen', Neu- ruppiner Bilderbogen, Nr. 2816, aus: S. u. K., S. 107 - (2): Der Esel als Schandbild für faule Schüler, Motiv des 16. Jh., Detail aus einem Holzschnitt mit Typensatz eines Textes aus dem 18. Jahrhundert, aus: Brückner: Druckgraphik, Abb. 49 242 (1): Detail aus: ,Till Eulenspiegel', 2. Bogen, Münchener Bilderbogen, Nr. 576, aus: S. u. K., S. 35 - (2): Steinhöwel: Esopus, Die 1III. Fabel ,von dem esel vnd der loewen haut' - (3): Grandville: G. W., Bd. 1, S. 515 244 (1): Kupferstich v. J. Mettenleiter (1750 bis 1825), München, Kupferstichkabinett - (2): Schulunterricht im 18. Jh., Kupferstich von 1751 245: Holzschnitt von Hans Weiditz 249: Holzschnitt v. Albrecht Dürer (1471 bis 1528) 250: Detail aus: ,Till EulenspiegeP, 1. Bogen, Nr. VI, Münchener Bilderbogen, Nr. 575, aus: S. u. K., S. 34 253: Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 256: Gilles Corrozet: Hecaton-Graphie. C’est à dire les descriptions de cent/figures et hystoi- res, contenants/plusieurs appophthegmes, prouer-/bes. sentences et dictztant des/an- ciens, que des modernes. Le tout/reueu par son autheur. Paris 1543, N. vii b, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 1663 259: Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 260 (1): Holzschnitt des Petrarca-Meisters, Augsburg 1532, aus: Walter Scheidig: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters, Berlin 1955 - (2): Detail aus einem Bilderbogen aus Antwerpen, aus: L’imagerie populaire des Pays- Bas 262: Handstudie von Albrecht Dürer. Federzeichnung 1494, Albertina, Wien 269: Detail aus einem Bilderbogen aus Antwerpen, aus: L’imagerie populaire des Pays-Bas 270: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 271: P. e. R., Plate CXXXII 273: Holzschnitt. Brant: Narrenschiff, zum Kap. ,Von eebruch' 277: Kupferstich nach Pieter Bruegel d. Ä., 1556/57, Bibliothek Ter, Brüssel 278: Detail aus Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 17, aus: S. u. K., S. 111 283: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, zum Kap. ,Von frowen huetten' 285: Detail aus ,Fabeln', Münchener Bilderbogen, Nr. 603, aus: S. u. K., S. 64 286: Eberhard Frhr. v. Künssberg: Rechtsgeschichte und Volkskunde, 2. Aufl. bearbeitet von Pavlos Tzermias, Köln und Graz 1965 290 (1): Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 - (2): Tonmodel, Landesmuseum Wiesbaden 292: Radierung von Moritz v. Schwind, um 1844 293: de Bry: Emblemata, Nr. 40 295: Illustration aus der Handschrift der Carmina Burana, Bayer. Staatsbibliothek München, Codex latinus 4660, 91 v 299: Misericordiendarstellung in der St.-Peters-Kirche zu Löwen, 15. Jh. 301 (1): Monogrammist ,S': Holzschnitt v. 1790 - (2): L. G. Dernisseau: Der Säugling, in: Ciba Zeitschrift (Schweiz. Ausg.), Jg. 6, Basel 1939, Heft 66 303 (1): Oxford, Manuskr. Bodley 264 - (2): P. e. R., Plate CLXXIX - (3) Misericordiendarstellung, Beverley Monster, 15. Jh. 306 (1): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 1217
Abbildungsnachweis - (2): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494, zum Kap. ,Von offlichë anschlag4 308: P. e. R., Plate XXXIV 314: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 821 315: Halsgeige aus Eichenholz, Hüngheim (Kr. Buchen), 18. Jh. 318 (1): Konsolfigur an einem mittelalterlichen Bürgerhaus in Goslar/Harz - (2): Detail aus einem flämischen Bilderbogen, 18. Jh., aus: L’imagerie populaire des Pays- Bas, S. 39 - (3): de Bry: Emblemata, Nr. 43 320: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 323 (1): Flämische Misericordiendarstellung - (2): Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 - (3): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 331 : Holzschnitt aus Thomas Murners ,Die Mühle von Schwindelsheim und Gredt Müllerin Jahrzeit4, 1515 338: Detail aus dem Gemälde ,Der Geldwechsler und seine Frau4 von M. van Reymeswaele, 1537, Museo del Prado, Madrid 345: Nach einem handkolorierten Druck von Geißler (1770-1844) 349: Steinhowel: Esopus, Fabel von der Grille 350: Der Narrenschneider, Herausdestillieren der Grillen aus dem Kopf sowie Abzapfen derselben aus dem Bauch, Kupferstich aus: de Bry: Emblemata 351: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494, zum Kap. ,Von alten narren4 356 (1): Antike Gebärden bei der Totenklage. Schwarzfiguriges Vasenbild, Louvre, Paris (nach: Karl Sittl: Die Gebärden der Griechen und Römer, Leipzig 1890) - (2): Slowenisches Bienenstockbrettchen von 1886 362: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 367: Detail aus ,Bilder mit Versen4, Neurup- piner Bilderbogen, Nr. 2816, aus: S. u. K., S. 106 368 (1): Grandville: G. W., Bd. 2, S. 825 - (2): Grandville: G. W., Bd. 1, S. 398 - (3): Illustration v. William Hogarth (1697 bis 1764) - (4): Holzschnitt aus der Jobsiade 370: Der Hahnentanz in der Baar 1825, Kupferstich von Nilson nach einer Zeichnung von J. G. Vollmar 372: Kupferstich um 1640, Satirisches Blatt auf die Untreue der Frauen. Der betrogene Ehemann muß auf einem Hahn reiten. Seine Kennzeichen sind die Brille, durch die er nichts sieht bzw. nichts sehen will, die Eselsohren und die Hörner. Sein Weib tröstet ihn und er sich selbst, daß er nicht der einzige Mann ist, dem es so geht, und reiht sich willig in das Regiment der Hahnreye ein, dessen Fahnen die obengenannten Attribute tragen. Aus: Wäscher: Flugblatt, S. 88 380: Handkuß beim Kaiser. Römisches Relief (nach: K. Sittl, a.a.O) 381 (1): Bauer vor seinem brennenden Hause. Holzschnitt aus: Cicero officia, deutsch von Schwarzenberg, Augsburg, Steyner, 1537 - (2): Holzschnitt von Hans Burgkmair, 1520 382: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 383 ( 1 ): Detail aus dem Bordesholmer Altar von Hans Brüggemann (um 1480- um 1540), Schnitzwerk um 1515-21, jetzt im Dom zu Schleswig (Herder-Bildarchiv) - (2): Rollenhagen, Gabriel: Nucleus Emblematum Selectissimorum, Quae Itali Vulgo Impresas, Arnheim 1611, II, Nr. 28 384 ( 1 ): Die Braut an der Hand in die Ehe führen (In matrimonium ducere), antike Darstellung, nach: K. Sittl, a.a.O - (2): Holzschnitt aus Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4, 1512 385 ( 1 u. 2): Heimatmuseum Wolfach (Schwarzwald) 388: Vera effigies rustici comici dich Hans Wurst, alias IND, 17. Jh. (nach: Holl: Dt. Lustspiel) 389: Kupferstich von Matthäus Merianzu: Julius Wilhelm Zincgreff: Emblematum ethico-poli- ticorum Centuria, Frankfurt 1614 391 (1): Grandville: G. W., Bd. 2, S. 822 - (2): Grandville: G. W., Bd. 2, S. 823 397: Titelblatt einer Haupt- und Staatsaktion, Grätz 1722 398: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 400: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 401: Joachim Camerarius: Symbolorum Et Em- blematvm Ex Aqvatilibvs Et Reptilibvs Desumptorum Centuria Quarta, Nürnberg 1604, aus: Schöne: Emblematik, S. 84 402 (1): Guillaume de la Perrière: La Moroso- phie, Lyon 1533, Nr. 58 - (2): Hechel, nach W. Bomann: Bäuerliches Hauswesen und Tagewerk im alten Niedersachsen, Weimar o.J. (1926), S. 230 403: Zeichnung von Wilhelm Scholz: ,Luxemburger Frage4, 1867, Bismarck-Album, S. 42 405: Holzschnitt von Jost Ammann, Ständebuch, S. 102 406: Kupferstich von C. J. Delff, 1608, Nürnberg, Germanisches Museum 407: Brehms Tierleben, Vögel IV, Leipzig und Wien 1913 408 (1): Lucas van Leyden: ,Der Fackelträger4, Rijksmuseum Amsterdam - (2): Illustration von Moritz v. Schwind zu Dullers,Freund Hein4. 1833/34: Freund Hein öffnet einem Gefangenen die Tür 409: Illustration von Moritz v. Schwind zu Dullers .Freund Hein4, 1833/34: Freund Hein als Freier im Kirchhof 410(1): Heller aus dem Hellerschatz Meilenhofen bei Eichstädt, vergraben um 1270 (enthielt ca. 6000 Haller Pfennige aus der Zeit um 1 190-1270), nach: Veit: Geld, S. 35 - (2): Federzeichnung des am Ende des 15. Jh. am Mittelrhein tätigen Zeichners und Kupferstechers (Hausbuchmeister) zum .Hausbuch4 (Schloß Wolfegg) 411: Wer aus Not spielt, verliert notwendigerweise, ital. Kupferstich v. Mitelli. 1678, Milano, Race. Bertarelli, Vol. A. A. 180, aus: Paolo Toschi: Populäre Druckgraphik Europas. Italien, vom 15. bis zum 20. Jh., München 1967, Abb. 112 1218
Abbildungsnachweis 412: Niederländ. Kupferstich, 17. Jh., Monogrammist JSD, aus: Gentsche Beiträge zur Kunstgeschichte, S. 193 416 (1): Hl. Gertrud, die das Christuskind im Herzen trägt, Kupferstich von Paul Seel, um 1700, in: Herz, Bd. 1, Tafel VI11 - (2): Emblem aus: Benedict van Haeften: Schola cordis, Antwerpen 1629: Dic Menschenseele opfert ihr Herz, in: Herz, Bd. 2, S. 82 - (3): Emblem aus: Fabianus Athyrus: Lehr- und Sinnreicher Hertzensspiegel, Nürnberg o. J., in: Herz, Bd. 2, S. 73 - (4): Backmodel, 1. Hälfte 18. Jh, Privatbesitz, in: Herz, Bd. 2, S. 158 417 (5): ,Die Demütigung des Herzens1, Emblem aus: Benedict van Haeften: Schola cordis, Antwerpen 1629, in: Herz, Bd. 2, S. 72 - (6): Elsässisches Minnekästchen, um 1400, Köln, Kunstgewerbemuseum - (7): Emblem aus: Benedict van Haeften: Schola cordis, Antwerpen 1929, in: Herz, Bd. 2. S. 72 418: Rundbild von Pieter Bruegel d. Ä. aus der Serie: ,Zwoelf vlaemische Sprichwörter1 419: Holzschnitt aus: /Tractatus von den bösen weibern, die man nennet die hexen1, Ulm um 1490, Druck von Johann Zainer 426: Illustration des ,Deponierens‘ eines Studenten aus dem Jahre 1713, aus: Rudolf Wis- sell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, Bd. 2, Berlin 1929, S. 37 429: Holzschnitt von Hans Weiditz 431: Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 8915, in: S. u. K., S. 87 435: Far le Corna, Wandmalerei aus Pompeji, nach: Grete Grossmann: Über die Handamulette der von Portheim-Stiftung in Heidelberg, in: Oberdt. Zs. f. Vkde. 5, 1931 437 (1): Rötelzeichnung von Georg Hoefnaghel, 1569 - (2): Illustration des ,Deponierens4 eines Studenten aus dem Jahre 1713, aus: Rudolf Wis- sell: Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, Bd. 2, Berlin 1929, S. 36 438: Wegweiser nach Hornberg (Schwarzwald) 439: Ansichtskarte vom Luftkurort Hornberg (Schwarzwald). Die Sage dient der Fremdenverkehrswerbung 440: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 441 (1): Kupferstich, 17. Jh., Rotterdam, Atlas van Stolk, aus: Maurits de Meyer: Populäre Druckgraphik Europas. Niederlande, vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, München 1970, Abb. 109 - (2): Niederländischer Kupferstich, 17. Jh., aus: Gentsche Beiträge zur Kunstgeschichte, S. 177 - (3): Misericordie aus Hoogstraeten, 16. Jh. - (4): de Bry: Emblemata 443: Grandville: G. W., Bd. 1, S. 510 447 (1): Misericordiendarstellung in Kempen (Niederrhein) - (2): P. e. R., Plate L1X - (3): Detail aus einem Antwerpener Bilderbogen, aus: L’imagerie populaire des Pays-Bas 448 (1): Posch-Missale 1526, Stiftsbibliothek Neustift Brixen - (2): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 449: Carl Schultze als ,Deubel\ 28. Juni 1862 - Geering: Klassisches Theater in der volkstümlichen Parodie, in: Beiträge der dt. Volksund Altertumskunde, hg. v. W. Hävernick und H. Freudenthal, Hamburg 1970, H. 14, Tafel 1 452 (1): Relief vom großen Brunnen in Perugia von Niccolo von Pisa und seinem Sohne Giovanni, 1277-80 - (2): Skizzenbuch des frz. Baumeisters Vil- lard (Album de Villard de Honnecourt, architecte du XIIIe siècle, Paris 1906, Blatt 24) (3): P. e. R., Plate CLVI1 456: Hungertuch aus Telgte von 1623, Heimathaus Münsterland 459: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S u. K., S. 110 460: Holzschnitt aus Thomas Murners ,Narrenbeschwörung4, 1512 468: Der ewige Jude, Holzschnitt aus Caen, Anf. 19. Jh., aus: P. L. Duchartre et R. Saulnier: L'Imagerie populaire, Paris 1925, S. 279 471 (1): Neuruppiner Bilderbogen, aus: S. u. K., S. 21 - (2): Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 472: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494, zum Kap. ,Von dantzeiT 480: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 481 (1): Doppelratsche aus der Kirche zu Mit- tel-Darching bei Holzkirchen (Oberbayern) - (2): Karfreitagsratsche, Zs. f. Vkde. 20,1910, S. 260 482 (1): Kolorierte Lithographie von Franz Krüger, aus: O. Pniower: Das Karnickel hat angefangen, in: Mitt. d. Ver. f. d. Gesch. Berlins 42, 1925, S. 111 - (2): Kolorierte Lithographie von Lami, aus: O. Pniower, S. 111 484: Gerichtliche Karrenfahrt, Basel 1795, aus: Schweizerische Volkskunde 42. Jg., Basel 1952 487: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 489: Aegidius Sadeler: Theatrum morum, Prag 1609: Vom Affen und der Katz 491: P. e. R., Plate II 492: Deutsches symbolisch-satirisches Sprich- wortflugblatt auf das Heiraten, Kupfer von G. Altzenbach 1648, München, Kupferstichka- binett 494: P. e. R., Plate LXXXVI1 496 (1): Misericordiendarstellung in Kempen (Niederrhein) - (2): Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 - (3): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494, zum Kap. ,Hynderred des guten4 499: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 1004 500: Kupferstich von 1650, Paris, Bibliothèque Nationale 502: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 987 504: Walliser Tesseln, Sammlung Groß, Freiburg i.Br. 505: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 508: Satirisches Flugblatt aus der ersten Kipper- 1219
Abbildungsnachweis zeit 1620-22, Kupferstich, Augsburg, bei Daniel Manasser, aus: Veit: Geld, S. 72 509: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 882 512 : Robert Högfeldt: Also geht es auf der Welt, Wien 1950 518: Holzschnitt des Petrarca-Meisters, Augsburg 1532, aus: Walther Scheidig: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters (zu Petrarcas Werk, von der Artzney bayder Glück des guten und widerwärtigen', Augsburg 1532), Berlin 1955 524: Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 527 (1): Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 - (2): Misericordiendarstellung in Hoogstraeten, 16. Jh. - (3): Detail aus einem Antwerpener Bilderbogen 528: Statue des Hl. Dionysius, 1506, Holzplastik von Niclaus Hagenower, Straßburg 529 (1): Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559 - (2): Holzschnitt von Lucas van Leyden, ca. 1520 - (3): Detail aus dem Maltererteppich ,Weiberlisten', 1310/20: ,Virgil im Korb', Freiburg i.Br., Augustinermuseum 534: Steinhöwel: Esopus, Die XIII. Fabel ,von dem fuchs vnd dem storcken' 535: Illustration aus der Manessischen Lieder- Handschrift 540 (1): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494, zum Kap. ,Furwiisenheyt gottes' - (2): Die Ermordung des Kredits durch die schlechten Zahler, Bilderbogen aus dem Verlag von P. J. Brepols in Turnhout, um 1820-30 - (3): Grabtragung des Kredits, kolorierte Tuschzeichnung auf Karton in einer Dresdener Wirtschaft, um 1925 541 : Der schlechte Zahler tötet die Credenza, Ital. Bilderbogen des 16. Jh., Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum 542: Diego de Saavedra Fajardo: Idea/De Un Principe Politico/Christiano, Amsterdam 1659, Nr. 65 546: Camerarius Joachim jun.: Symbolorum Et Emblematvm Ex Aquatilibus Et Reptilibus Desumptorum Centuria Quarta, Nürnberg 1604, Nr. 67 547 (1): P. e. R., Plate CLXXXV1 - (2): P. e. R., Plate XXXVII 548: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 549: Karikatur von James Gillray auf die Ereignisse des Jahres 1805: Pitt und Napoleon sichern sich ihre Einflußgebiete 550: Holzschnitt aus Thomas Murners ,Geuch- matt‘, 1519: ,den gouch vßbrieten' 551 : Holzschnitt aus Thomas Murners ,Gcuch- matt\ 1519: ,den gouch lernen singen' 554 (1): Martin Heemskerk ( 1498-1574): Triumphzug des Todes - (2): Trionfo della morte. Ital. Elfenbeinarbeit, XV. Jh., Collection Malcolm 555: Missale aus Amiens von 1323. Der Tod auf der schwarzen Kuh, Den Haag, Kgl. Bibliothek 556: Holzschnitt von Albrecht Dürer zum ,Ritter vom Turn1. Von den ExempelnderGotsfurcht un Erberkeit‘. Gedruckt bei Michael Furter, Basel 1493: ,Martins-Messe' 557 (1): Fresko des 14. Jh. in St. Georg, Reichenau-Oberzell - (2): Kirche in Chanteussé, 16. Jh. 560: Holzschnitt des H. Springinklee, Nürnberg 1513 562 (1): Zeichnung von Wilhelm Scholz: ,Pro- gnosticon', 1882, aus: Bismarck-Album, S. 135 - (2): Gerda Grober: Karte zu Frage 234 a der Umfrage zum Atlas der deutschen Volkskunde 568: Flämischer Haussegen, kolorierter Holzschnitt 575: Gemälde von Friedrich Prölß 579: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 585 (1): Lithographie von A. Paul Weber, aus: Das Jahr des Metzgers. Der Lissnerschen Wurstologia anderer Band, hg. von Ernst Johann aus Frankfurt am Main, Frankfurt 1957, S. 229 - (2): Holztafeldruck um 1500, aus: Brückner: Druckgraphik, Abb. 32 586: Holzschnitt des Petrarca-Meisters, Augsburg 1532, aus: Walther Scheidig: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters, Berlin 1955 590 (1): Wasserfarbenmalerei von Matheus de Sallieth, letztes Viertel des 18. Jh., aus: J. J. Fahrenfort und C. C. van de Graft: Dodenbe- zorging en Cultuur, I, Amsterdam 1947 - (2): Graphik von F. Hegi, 1. Hälfte 19. Jh., Schweizerisches Museum für Volkskunde, Basel 593 (1): Vogeljagd mit Netzen und Fallen. Kupfer aus einer Serie von 118 Jagdbildern des Adrian Collaert (ca. 1520-67) nach Zeichnungen des Joh. Stradanus - (2): de Bry: Emblemata, Nr. 61 595: Gemälde von David Rychaert, 1684 598: Illustration von Moritz von Schwind (1804-71) 599: Holzschnitt des Petrarca-Meisters, Augsburg 1532, aus: Walther Scheidig: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters, Berlin 1955 601: Illustration von Karl Arnold, 1921 602: Carlo Dolci: Die hl. Jungfrau mit dem Jesuskind, München, Pinakothek (Herder-Bildarchiv) 604: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 606: Vogelfänger mit dem Schuhu und den Leimspillen, Kupfer v. J. E. Ridinger, München, Kupferstichkabinett 607: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 1065 608: Moritz v. Schwind: Krähwinkeliaden, 1826 609: Steinhöwel: Esopus, Die XII. Fabel ,von dem alten loewë vn den fuchssen' 613 (1): Zeichnung von Gustav Broling: Auf dem Marsfelde in St. Petersburg während des Osterfestes, Nr. 8: Der Kraftmesser, Schweizerisches Turn- und Sportmuseum, Basel - (2): Zeichnung von M. de Haenen: ,Le jeu de la mailloche' (Kraftmesser vor der Fassade des Stadthotels in Antwerpen), Schweizerisches Turn- und Sportmuseum, Basel - (3): Illustration aus: O. H. v. Rhyn: Kulturgeschichte des dt. Volkes, 3. Aufl. Berlin 1892 Bd. 1, S. 360 615: P. e. R., Plate CLXXVII 1220
Abbildungsnachweis 617: Kupferstich von Martin Schongauer, um 1480/85, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett 619 (1): Kupfer von Israel van Meckenem, 15. Jh., Wien, K. u. K. Kupferstichsammlung. B 222 - (2): Detail aus einem Bilderbogen aus (Jst- Flandern, um 1700 621 : Detail aus .Bilder mit Versen', Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 2816, aus: S. u. K., S. 106 630: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 632/33; Teutsche Sprichwörter, 1. Hälfte 17. Jh., Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Kaps. 1293, H. B. 14925 634 (1): Olaus Magnus: Historia de gentibus septentrionalibus, dt. Ausg. Basel 1567, Kap. 16 - (2): Eiserne Kienspanklemme, im südlichen Böhmerwald .Mäuläff' genannt - (3): Fußwärmevorrichtung, Töpferware aus Lübeck, sog. ,Muläpen‘ - (4): Spanhalter aus Ton, Oberoesterreich, sog. .Geanmaul' 636 (1): Die hl. Gertrud von Nivelles, Einblattdruck um 1420/40 - (2): Steinhöwel: Esopus. Die XVIII. Fabel .von dem leuwen vnd der maus' 637: Steinhöwel: Esopus. Die XII. Fabel ,Von zweyen meusen' 639: Mecklenburger Wappen 643: Illustriertes Liedflugblatt, Kupferstich von 1641, aus: Wäscher: Flugblatt, S. 53 644: Flugblatt von 1625 auf Hans Micheln von Obentraut auß der Chur Pfaltz, Einblattdruck, Kurpfälzisches Museum Heidelberg 645 (1): Titelblatt eines Almanachs, Leipzig 1819 - (2): Illustration von Glaßbrenner, Bd. 1, S. 317 648 (1): Zeichnung von Eduard Mörike, Schiller-Nationalmuseum Marbach - (2): Andreas Alciatus: Viri Clarissimi, Augsburg 1531, E 3; Dt. Übertragung von Jeremias Held: Liber Emblematum D. Andreae Alciati Nunc Denuo Collatis Exemplaribus, Frankfurt a. M. 1566, Nr. 182, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 1087 (Staatsbibi. München) 649: Andreas Alciatus: Emblemata, Rovilium 1550; Dt. Übertragung von Jeremias Held: Liber Emblematum D. Andreae Alciati, Frankfurt a. M. 1566, aus: Schöne: Emblema- tik, S. 81 650: Jean Bungartz: Spitz und Mond, Leipzig 1885. 651: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 655: Liedflugblatt des 19. Jh. aus dem Hamburger Verlag I. E. Maier 658: Gilles Corrozet: Hecatongraphie, Paris 1543, aus: Schöne: Emblematik, S. 99 660: Holzschnitt aus Thomas Murners ,Mühle von Schwindelsheim und Gredt Müllerin Jahrzeit', 1515 662: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 663: Inneres einer Münzwerkstatt. Hinten rechts Kaiser Maximilian. Holzschnitt dem Hans Schäuflein zugeschrieben. Aus dem ,Weiß- kunig‘. 666 ( 1 ): Detail aus .Neuestes Traumbuch', Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 1878, aus: S. u. K., S. 95 - (2): Detail aus ,Neuestes Traumbuch', Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 1878, aus: S. u. K., S. 95 670: Illustration von Glaßbrenner, Bd. 2, S. 238 672: Holzschnitt aus Thomas Murners ,Mühle von Schwindelshcim und Gredt Müllerin Jahrzeit', 1515: ,Ein rohen narren fressen' 673 (1): Zeitgenössischer Holzschnitt (Mitte 16. Jh.) zu dem Fastnachtsspiel ,Das Narrenschneiden' v. Hans Sachs, aus: Drei Fastnachtsspiele von Hans Sachs, Insel-Bücherei Nr. 46, Leipzig o. J., S. 5 - (2): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, zum Kapitel ,Von buolschafft' 675: Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 676 (1): Detail aus ,Das Narrenfest' von Pieter Bruegel, 1559, Bibliothek Alb. Ter, Brüssel - (2): Verlorener Sohn, Radierung von Charles de Mallery (1571-ca. 1635) - (3): Detail aus: ,Das Bad am Samstagabend' von Wilhelm Busch - (4): Detail aus dem ,Struwwelpeter' von H. Hoffmann, 1845 678: Vogel Selbsterkenntnis, Tiroler Volkskunstmuseum, Innsbruck 681 : Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 682 (1): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512: ,Der vnnutz vogel' - (2): Vogelfang mit dem Schlagnetz. Holzschnitt aus: Sebastian Brant: Mythologia Aesopi, Basel, Jacob von Pfortzheim 1501 683: Kupferstich von Collaert und Galle nach Jon. Stradanus aus ,Venationes ferarum, avium, piscium, pugnae bestiarum...', Antwerpen, um 1580 687: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, Kapitel ,Ere vatter vnd mutter' 689: Illustriertes Flugblatt, Kupferstich von David Mannasser, Augsburg o. J., Stadtbibliothek Nürnberg 690: Principium Aritmeticum, Kupferstich von Hans Jerg Mannasser, Stadtbibliothek Nürnberg 692: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512: ,Nus durch eyn sack beyssê' 693: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 695: Illustration aus: Josef Schmied-Kowarzik und Hans Kufahl: Fechtbüchlein, 2. Aufl. Leipzig 1894, S. 171, Tafel IX 696: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512: ,Die oren lassen melke' 697 (1): Holzschnitt des Petrarca-Meisters, Augsburg 1532, aus: Walther Scheidig: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters, Berlin 1955 - (2): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494 Kap. ,von oren blosen' 698: Roemer Visschers Zinne-Poppen, Amsterdam, ca. 1620, Nr. 57, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 1380 702 (1): Zeichnung von Wilhelm Scholz (Der bewaffnete Friede, 1869), Bismarck-Album, S. 55 1221
Abbildungsnachweis - (2): Christus auf der Eselin reitend. Holzplastik, alpenländisch, frühes 16. Jh., österreichisches Museum für Volkskunde, Wien. - (3): Palmsonntagsprozession, Gemälde von Regine Dapra: ,Die schönen Monate1, April 704: Pan mit Bock, Figuren im Park des Nym- phenburger Schlosses (Herder-Bildarchiv) 708: Titelblatt einer Farce über die Pantoffel- Herrschaft, 1796 709: J. M. Molenar: Ehestreit, Mauritshuis, Den Haag 711: Illustration aus einem Fechtbuch, Gotha 1467, aus: Jos. Schmied-Kowarzik und Hans Kufahl: Fechtbüchlein, 2. Aufl. Leipzig o. J. (1894) 714: Weberei mit Darstellung eines geflügelten Pferdes, 6. Jh., Rom, Vatikan. Museum (Herder-Bildarchiv) 715 (1): Misericordiendarstellung in Aarschot - (2): Misericordiendarstellung in Hoogstraeten, 16. Jh. 716 (1): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 - (2): Misericordiendarstellung in Hoogstrae- Niederrhein 718: Hl. Petrus, Hinterglasbild aus dem Kanton Schwyz, 1. Viertel des 19. Jh. 720 (1): Steinhöwel: Esopus, Fabel vom Pfau und Kranich - (2): ,Svperbia*, aus der Folge der Todsünden, 1556/57, Bibliothek Alb. Ter, Brüssel - (3): Zeichnung von Wilhelm Scholz (Unser Stolz, 1884), Bismarck-Album, S. 162 723: Totentanz, Holzschnitt aus einem Heidelberger Druck von 1485 725 (1): Rundbild von Pieter Bruegel d. Ä. aus der Serie: ,,Zwoelf vlaemische Sprichwörter, Rijksmuseum Amsterdam - (2): ,Der Schöffer von der Newenstat\ Einblattdruck o. J., Schloßmuseum Gotha. Schloß Friedenstein (Inv.-Nr. 40, 55 - XLI/62/50) - (3): Misericordiendarstellung in Bristol/Eng- land 731: ,Preisträgerin1, zeitgenössischer Holzstich um 1850 735: Holzschnitt aus der ,Schedel’schen Weltchronik, 1493 (UB. Freiburg i. Br., fol. 104) (Originalausg. mit Holzschnitten v. Michael Wolgemut und Hans Pleydenwurff) (Herder-Bildarchiv) 741: Der Nürnberger Possenreißer Hans Ammann, genannt Leberwurst, in: Karl Friedrich Flögel: Geschichte des Grotesk-Komischen, München 1914, S. 262f. 743 (1): ,Der Muentzmeister*, Holzschnitt von Jost Ammann, Ständebuch, S. 31 - (2): Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 744 (1): Pranger in Obermarsberg/Westf., in: Eberhard Frhr. v. Künssberg: Rechtsgesch. und Volkskunde, 2. Aufl. Köln/Graz 1965, Abb. S. 40 f. (Rechtshist. Forschungsstelle Zürich) - (2): Schandsäulen und Schandbühnc 745 (1): ,Fuchsprellen*, 1724, in: Fleming: Des Vollkommenen Teutschen Jägers Anderer Haupt Theil, Leipzig 1724, Taf. XXVI11 - (2): ,Wolfsjagd1, Kupfer von Adrian Collaert (ca. 1520-67) - (3): Hinrichtung am Wippgalgen, von Jacques Callot, 1633 746 (1): Boccaccio: Historien von widerwärtigem Glück, ed. Ziegler, 1545 (Detail), 6. Buch, 1. Kap.: ,Von einem gesprech des Glücks mit dem Boccatio* - (2): Detail aus dem Festschießen von Zwik- kau, 1573 - (3): Francisco de Goya: ,E1 Pelele* (Die Strohpuppe), Museo del Prado, Madrid - (4): Jackeischutzen in Garmisch-Partenkirchen, 1971 748: Holzschnitt von Hans Frank, aus: Geiler von Kaisersperg, Sünden des Mundes, Straßburg 1518 750(1): Detail aus ,Der lustige Pudel*, Neu- ruppiner Bilderbogen, S. u. K., S. 38 - (2): Relief am Denkmal des Berthold Schwarz, Freiburg i. Br. 753: Kupfer von de Bry: Emblemata, Nr. 25 755: „Qui vive?“ - Darstellung aus der Napo- leonischen Besatzungszeit von Johann Gottfried Schadow um 1810 757 (1): der Geräderte, sog. Tübinger Wahrzeichen, Stiftskirche Tübingen - (2): Detail aus der Darstellung verschiedener Strafarten aus Tenglers Laienspiegel, 1509 758: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, Kap. ,Von gluckes fall* 762: Rattenbeschwörung aus dem Weimarer Wunderbuch von 1430, aus: Heinrich Spa- nuth: Der Rattenfänger von Hameln, Hameln 1951, Tafel 2 763: Holzschnitt von 1553, in: Guillaume de la Perrière: La Morosophie, Lyon 1553, Nr. 95, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 599 767: Wilhelm Busch: ,Aus dem Regen in die Traufe*, 1861 768: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 772: Titelbild des Rechenbuches von Adam Riese, 1550 775: Brehms Tierleben, Vögel IV, Leipzig und Wien 1913, S. 83 781 : Detail aus,Bilder mit Versen*, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 2816, aus: S. u. K., S. 107 787: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 930 791 (1): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 - (2): Detail aus ,Wie es wär\ wenn’s anders war’*, Münchener Bilderbogen, Nr. 656, aus: S. u. K., S. 104 - (3): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 - (4): Holzschnitt von Hans Weiditz, 792: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, Kap. ,Von guten reten* 793: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, Kap. ,Von groben narren* 794: Bekehrung Pauli, Hildesheimer Meister, 15. Jh., Niedersächsische Landesgalerie Hannover 796: Urban Görtschacher: Ecce homo, Tafel von Heiligenkreuz, Niederösterreich, 1508, Detail 799: A. Paul Weber: Er bringt sein ,Schäfchen* ins trockene, aus: Mit allen Wassern ..., I960 (Handzeichnung: Feder, getönt) 800: Mosaik in S. Apollinare Nuovo, Ravenna 804 (1): Zeichnung von George Cruikshank (1792-1878) 1222
Abbildungsnachweis - (2): Farblithographie von Grandville: G. W., Bd. I. S. 62 805 (1): Steinhöwel: Esopus, Fabel Von dem hund vnd stück fleisch • - (2): Gotische Buchmalerei, schwäbisch, um 1480 810 (1): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 - (2): Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 811: Letzter Scheiterhaufen in Deutschland, Berlin, 15. August 1786, gleichzeitiger Kupferstich, Berlin, Königl. Bibliothek, aus: Franz Heinemann: Der Richter u. die Rechtspflege in der dt. Vergangenheit, Leipzig o. J; Abb. 145 814: Titelblatt der ,Schelmenzunft‘von Thomas Murner, 1512 815: Holzschnitt von Jost Ammann: Ständebuch, S. 60 816 (1): Kupfer von de Bry: Emblemata, Nr. 12 - (2): Spielkarte: ,Parbirer\ Wien, um 1440 am Oberrhein entstanden 817: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 818: Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. . Bruegel, 1559 819: Holzschnitt von Jost Ammann: Ständebuch, S. 84 820: Kupferstich von F. Poledner: ,Wien im Schnee4, aus dem Jahresband der Zeitschrift ,Über Land und Meer4 1894/95, S. 427 828: Illustration aus der Minnesänger-Handschrift: ,Her Dietmar der Sezzer4 830: Titelblatt des ,Lalen-Buches4, 1597 832: Strafe des Riemenschneidens, Zeichnung nach einer Abb. in der Wickiana, 1581, aus: Franz Heinemann: Der Richter u. die Rechtspflege in der dt. Vergangenheit, Leipzig o. J., Abb. 114 833 (1): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, zum Kapitel ,Nit wellen eyn Narr syn4 - (2): Gemälde v. Geeraard David (1450 bis 1523): Folterung des meineidigen Richters, Stadsmuseum Brugge 835: Johannes Bükler (Schinderhannes) mit Frau und Kind; zeitgenössischer Kupferstich 836: Kupfer über den Abtransport des gefangenen Schinderhannes und seiner Gesellen zur Hinrichtung nach Mainz, 16. Juni 1802, Frankfurt am Mayn, 1802 839 (1): Englischer Holzschnitt um 1700, aus: H. F. Döbler: Kultur- und Sittengeschichte der Welt, Gütersloh 1971, S. 167 - (2): William Hogarth: ,Der Schlaf des Gerechten4, 1736, aus: James Laver: Populäre Druckgraphik Europas. England vom 15. bis zum 20. Jh., München 1972, Abb. 93 840 (1): Grandville: G. W., Bd. 2, S. 974 - (2): Zeichnung von Wilhelm Busch: ,Die fromme Helene4, 2. Kap. ,Der Geburtstag4 841: Moritz von Schwind: ,Krähwinkeliaden4, 1826 845: Fliegende Blätter, Bd. 45, 1866, S. 71, Nr. 1103, aus: W. Hävernick: ,Schläge als Strafe4, Hamburg 41970, Abb. 12 849: Kapitell am Kloster St. Trophime zu Arles, 12. Jh. (nach R. Kohl: Das Melusinenmotiv, 1934) 851: Schlaraffenland4 von Pieter Bruegel d. Ä. (Alte Pinakothek, München) 852 (1): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, zum Kapitel ,Das schluraffcn schiff4 - (2): Illustration zu dem Fastnachtspiel von Hans Sachs: ,Das Schlauraffenland4 854: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 855 (1): ,Wir, Macrobio Riesenarsch (Der Nasenschleifer), Rom, Museo N.A.T.P.IV, 1, a, Nr. 5823, aus: Paolo Toschi: Populäre Druckgraphik Europas. Italien vom 15. bis zum 20. Jh., München 1967, Abb. 97 - (2): Kupfer, aus ,De origine causis, typo, et cerem oniis illius ritus, qui vulgo in Scholis Depositio appelatur4. Oratio M. Joh. Dincke- lij, Erfurt 1578. Aus: Karl Friedrich Flögel: Geschichte des Grotesk-Komischen, München 1914 (nach S. 186) - (3): Illustration aus der ,Weltchronik4 des Rudolf von Ems, S. 104 v, Fürstlich Fürstenber- gische Hofbibliothek Donaueschingen, Aufnahme: Georg Goerlipp, Donaueschingen 856: Miniatur aus dem Giltbuch der Passauer Schiffszieher, Anf. 15. Jh., aus: Karl Gröber: Alte deutsche Zunftherrlichkeit, München 1936, S. 76 858: Grabfund, Museum in Martin, Fotoarchiv, Slovenského nârodného müzea Martine, Nr. 62811/1 860: Detail aus dem Gemälde von Diego Velasquez: ,Die Übergabe von Breda4, 1635, Museo del Prado, Madrid 861: Detail aus einem Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 17, aus: S. u. K., S. 111 862: ,De magere Keuken4, Kupferstich von Pieter van der Heyden nach einer Zeichnung von Pieter Bruegel d. Ä. 870: Grandville: G. W., Bd. 2, S. 845 874: Deutsche Bilderbogen aus Stuttgart: .Allerlei Lieder und Reime4, mit Zeichnungen von Vine. St. Lerche (Detail), aus: S. u. K., S. 108 875 (1): Bauernmajolika ca. 1790, Oberösterreichisches Landesmuseum Linz - (2): Der Schneider fährt auf dem Geißbock zur Hölle, Fayence, ca. 1790, Oberösterreichisches Landesmuseum Linz (Der Spruch lautet: „der fläck hab ich zu vill gestoln, drum thuet mich ietzt der geißbock holn44) - (3): Flugblatt, Moldorff, um 1700, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Sign. K. 1296, 24467 - (4): Kupferstich von Jost Ammann 1588: Rangstreit zwischen Schneider und Kürschner, Dresden, Kupferstichkabinett A 123 - (5): Die Abstammung des Schneiders von der Geiß. Slowenisches Bienenstockbrettchen, 2. Hälfte 18. Jh., Slovenski etnografski muzej, Ljubljana, Nr. 4469 878: Detail aus:, 1 Fräulein und 2 Dutzend Männer kauft man hierfür 6 Pf.4, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 2269, aus: S. u. K., S. 77 879: Zimmerleute bei der Arbeit, im Hintergrund Kaiser Maximilian, Holzschnitt von Hans Schäuflein(?), ca. 1492-1540, aus dem ,Weißkunig4 887: Glaßbrenner, Bd. 2, S. 395 890: Holzschnitt von Jost Ammann, Ständebuch, S. 53 1223
Abbildungsnachweis 892: Rötelstich, Blatt aus einem Eroticon, 18. Jh., Bally-Schuhmuseum 893: Der verliebte Schuhmacher, Kupfer von Jacob von der Heiden (ca. 1570-1640), Nürnberg, Städtische Kupferstichsammlung 894: P. e. R., Plate CLXXVIII 897: Sebastian Franck: Sprüchwoertcr. Gemeiner Tütscher nation/ erstlich durch Sebstian Franckcn gesamlet/nüwlich aber in komliche Ordnung gestellt vn gebessert. Getruckt zuo Zürich by Eustachin Froschouer, 1545 (Artikel: Schuld, schuldig) 899: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 904: Kolorierter Kupferstich, um 1820, nicht signiert 905: Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088, aus: S. u. K., S. 110 906: Radierungum 1640, in: Wäscher: Flugblatt I, S. 85 909: Frühgriech. Amphore, 6. Jh. v. Chr., Leningrad, Eremitage, aus: Jb. d. dt. Archäologischen Instituts XLII (1927). Arch. Anz. I/II, 70, Beil. 1 910(1): Brauchgerät beim Frühlings-Umzug mit der Schwalbe, Sammlungen der griech. Volkskunde-Gesellschaft, Athen, Foto: G. K. Spyridakis - (2-4): Frühlingsumzug der Kinder mit der Schwalbe aus verschiedenen griech. Landschaften 1940 und 1967 917: Zeichnung von Wilhelm Scholz (Das schwarze Gespenst, 1869), Bismarck-Album, S. 57 920: Holzschnitt von Jost Ammann: Ständebuch, S. 47 922: Gemälde von Arnold Böcklin (1827-1901) 929: Zeichnung von Wilhelm Scholz (Brennus pacificus, 1886), Bismarck-Album, S. 172 930: Gerda Grober: Karte zu Frage 234 c der Umfrage zum Atlas der deutschen Volkskunde 932 (1): Stadtrichterbild im Stadthause zu Graz, österreichischer Meister, 1478 - (2): Holzschnitt aus ,Der Seele Trost', Druck v. A. Sorg, Augsburg 1478 934: Verbrennung des Johannes Hus zu Konstanz 1415. Seine Seele steigt zu Gott auf. Holzschnitt aus dem 16. Jh. 938: Seiltänzerbude, ca. 1800, Kupfer aus: Weiße, Kinderfreund 939: Gemälde von IIja Repin (1844-1930) 943 (1): P. e. R., Plate XC - (2): Zeichnung von Moritz v. Schwind: ,Kräh- winkeliaden', 1826: Der Bürgermeister von Krähwinkel kommt zu sich selbst 951 : Die sieben Schläfer von Ephesus, russische Ikone, Novgorod, 16. Jh., Ikonenmuseum Recklinghausen 953 (1): Titelblatt des ersten Buches über den Simandi, Franckfurt am Mayn 1565 - (2): Dt. Spielkarte, Kupfer, Ende 16. Jh., Wien, K. K. Kupferstichsammlung - (3): Simandl-Brunnen in Kremsander Donau 962: Detail aus einem Bilderbogen mit Versen, aus: S. u. K., S. 101 963: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 970: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 971 : Detail aus einem Bilderbogen aus Flandern, 19. Jh. 977(1): Holzschnitt von Jost Ammann: ,Recht der langen Spieße4 aus Frundsbergers Kriegsbuch vom Jahre 1565 - (2): Radierung von Daniel Chodowiecki (1726-1801) 980: Detail aus dem Bildteppich von Bayeux, letztes Drittel des 11. Jh. 981: Barocker fläm. Kupferstich, Detail 990: Flugblatt auf den versoffenen Bettler, 18. Jh. („Gedruckt im Jahr/Da kein Geld bey Bettlern war“), Hamburg, Stadtbibliothek 991 (1): Stabbrechender Richter, Relief in der Gerichtsstube des Rathauses zu Neumarkt in der Oberpfalz - (2): Holzschnitt aus: Bambergische Halsgerichtsordnung, Mainz 1508, aus: Fr. Heinemann: Der Richter und die Rechtspflege in der dt. Vergangenheit, Leipzig o. J., Abb. 8 1001 (1): Streitende Geistliche, Misericordien- darstellung aus Hoogstraeten - (2): Konrad Meyer: Die Kinderspiele, Zürich o. J., S. 15 - (3): Holzschnitt aus Thomas Murners ,Narrenbeschwörung', 1512 1009: Illustration aus der Chronik des Ulrich Richental: ,Das Konzil zu Konstanz MCDXIV-MCDXVIIL 1011: Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, zum Kapitel: ,von zwytracht machen' 1012: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 1014: Konrad Meyer: Die Kinderspiele, Zürich o. J. 1015 (1): Hammerprägung, Fresko in der St. Barbarakirche von Kuttenberg, um 1500, aus: Veit: Geld, S. 34 - (2): Prägestempel (Obereisen und 2 Untereisen), um 1500, aus: Veit: Geld, S. 34 1018: Zeichnung von Wilhelm Scholz (Am Steuer, 1879), aus dem Bismarck-Album, S. 117 1025: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 1026: Misericordiendarstellung aus Hoogstraeten. 16. Jh. 1028 (1): Steinhövvel: Esopus, Esopus im Gefängnis des Xanthus - (2): Holzschnitt aus dem ,Layenspiegel', Augsburg 1512 1029 (1): P.e. R., Plate XXIV - (2): Englische Karikatur auf den stolzen Spanier, aus: W. Flemming: Deutsche Kultur im Zeitalter des Barock, Potsdam 1937, S. 65 - (3): Detail aus: ,1 Fräulein und 2 Dutzend Männer kauft man hier für 6 Pf.', Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 2269 (S. u. K, S. 77) 1037: Hernando de Soto: Emblemas - Morali- zadas, Madrid 1599 1040: Holzschnitt von Hans Weiditz aus: Cicero, officia, Augsburg, Steyner 1535 1045 (1): Holzschnitt, Murner: ,Schelmenzunft', 1512 - (2): P. e. R., Plate CXXXIV - (3): Misericordiendarstellung in Rouen, 15. Jh. - (4): Misericordiendarstellung in Amsterdam, 16. Jh. 1224
Abbildungsnachweis - (5): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 1052: Rembrandt Harmensz van Rijn (1606-69): Susanna und die beiden Alten, Berlin-Dahlem 1055: Der Singer singt ins Gemerk, aus: Georg Hagers dreizehntem Liederbuch* (Hs. Dresden M 6), in: B. Nagel: Meistersang, Stuttgart 1962 1060: Detail aus einem flämischen Bilderbogen, 18. Jh. 1061 : Kupfer von J. de Bry: Emblemata, Nr. 30 1063: Majolika Votivbild mit Darstellung eines Exorzismus; Madonna dei Bagni von Deruta/ ltal., aus: R. Kriss: Wallfahrtsorte Europas, München 1950, S. 237 1064: Slowenisches Bienenstockbrettchen, 19. Jh., Museum Ljubljana 1065: Baegert, um 1500: Die Eidesleistung (Detail), Niederrhein. Museum Wesel 1066: Zeichnung von Wilhelm Scholz (Guter Rath an gewisse Französische Heißsporne, 1882), Bismarck-Album, S. 141 1067 (1): ,.Advokaten und Soldaten sind des Teufels Spielcameraden*. frz. Graphik, 17. Jh. - (2): Spielkarten mit den 10 Geboten, Holzschnitt, 15. Jh. 1068 (1): Bilderbogen überden Geldteufel, Ed. Peilerin in Épinal, 1. Hälfte 19. Jh. (Imagerie d'Épinal. Nr. 9) - (2): ,Des Teuffels Garkuchen*, Kupferstich von F. Hildenberg, 1580, Graph. Sammlung der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle 1070 (1): Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 - (2): Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 - (3): Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 - (4): Holzschnitt aus Thomas Murners ,ScheI- menzunft, 1512 1072: Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 1075: Grandville: G. W.. Bd. 1, S. 304 1076: Handkolorierter Kupferstichaus: Sprichwörter, deutsche, eine Auswahl vorzügl. alter Denk- und Weisheitssprüche zur Veredlung des Geistes und Herzens. Ein Bilderbuch für die Jugend, Nürnberg um 1836 (Renner u. Comp.) 1077 (1): Zeichnung von Wilhelm Scholz (Frei nach ühland, 1864), Bismarck-Album, S. 25 - (2): Glaßbrenner, Bd. 2, S. 231 1078 (1): Holzschnitt aus der Jobsiade - (2): Zeichnung von Moritz von Schwind 1079: Klein-Baseler (Klingentaler) Totentanz, 1440 1084: Steinhöwel: Esopus, ,Die erste fabel von dem fuchs vnd dem trauben* 1086 (1): Tretmühle im Bergbau, aus: Georg Agricola: De re metallica, 1556 - (2): Weinmarkt in Brugge: Ein großer Holzkran wird durch ein Tretrad betrieben. Nach dem Flämischen Festkalender, 1. Drittel 16. Jh., Staatsbibliothek München, Cod. lat. 23638 1087: Rundbild von Pieter Bruegel d. A. aus einer Folge von 12 Sprichwort-Medaillons. Nr. 1 1090: Neuruppiner Bilderbogen, aus: S. u. K., S. 20 1092: Barptolemaeus Anulus: Picta Poesis. Ut Picturia Poesis Erit, Lugduni 1552 (Staats- u. Univ. Bibi. Göttingen), aus: Henkel u. Schöne, Sp. 110 1094: Handkolorierter Kupferstich aus: Sprichwörter, deutsche, eine Auswahl vorzügl. alter Denk- und Weisheitssprüche zur Veredlung des Geistes und Herzens. Ein Bilderbuch für die Jugend, Nürnberg um 1836 1098: Illustration von Charles H. Bennett zu seinen ,Proverbs*, London 1859 1113: Detail aus einem flämischen Bilderbogen: Vogelschießen als Volksbelustigung 1114: Zeichnung von Wilhelm Scholz (Reichstags-Prognostikon, 1878), Bismarck-Album, S. 105 1117: Kupfer von de Bry: Emblemata, Nr. 24 1120: Jacob Cats: Proteus, 3,1 Rotterdam 1627, aus: Henkel u. Schöne, Sp. 69 1122(1): Bilderrätsel, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 7088 aus: S. u. K., S. 110 - (2): Gerda Grober: Karte zu Frage 233 a der Umfrage zum Atlas der deutschen Volkskunde 1123: P. e. R., Plate CVII 1124: Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 1125 (1): P. e. R., Plate XLV - (2): Steinhöwel: Esopus, ,Die ander fabel Von dem wolff vnd dem lamp* 1126(1): P. e. R., Plate XI - (2): Gemälde von Ev. de Meer, Mauritshuis, Den Haag, Foto von A. Dingjan, Den Haag 1129: Populäre Druckgraphik: Weg zur Hölle, 19. Jh., Philadelphia/Pennsylvania, Museum of Art 1131 ( 1 ) : Pieter Bruegel d. Ä. : Zänkisches Weib, aus der Serie der 12 flämischen Sprichwörter - (2): Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 5772, aus: S. u. K., S. 25 1132: Holzschnitt um 1600, Kupferstichkabinett Amsterdam 1136: Niederländische Redensartenmalerei, 16. Jh. 1137 (1): Holzschnitt, Brant: Narrenschiff von 1494, zum Kapitel ,Von zu vil sorg* - (2): Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559 1138 (1-4): Details aus Bilderbogen. Image de chez Leloup. Au Mans, Ende des 18. Jh., aus: Pierre Louis Duchartre et René Saulnier: L’imagerie populaire, Paris 1925, S. 299 1139: Kupferstich: ,Ein Wahrwolf*, der angeblich 1685 in Neuses im Markgrafentum Onolz- bach aufgetreten ist, München, Kupferstichkabinett 1140: Kupfer von Georg Jacob Schneider in Nürnberg, Nürnberg, Germanisches Museum 1141 (1): Grandville: G. W., Bd. 2, S. 988 - (2): Zeichnung von Wilhelm Scholz (Avis au Public diplomatique de l’Europe, 1874), Bismarck-Album, S. 82 1149: Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 8329 aus: S. u. K., S. 91 1150: Heidelberger Sachsenspiegelhandschrift, 13. Jh. 1151 : Dionysii Lebei-Batillii Regii Mediomatn- 1225
Abbildungsnachweis cum Praesidis Emblemata, Frankfurt 1596 1152: Detail aus einem Bilderbogen aus Ost- Flandern, um 1700 1156: P. e. R., Plate XIX 1157: Steinhöwel: Esopus, Die XIII. fabel vö den wolffen schaffen vh hundë 1159 (1): Holzplastik, Bienenstock, 19. Jh., Fotoarchiv, Museum in Martin/Slowakei, Foto: Jân Dérer - (2): P. e. R., Plate XXVIII - (3): Zeichnung von Moritz v. Schwind (1804-1871) - (4): P. e. R., Plate XLVII1 1161 (1): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 - (2): Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512 1164: Nicolo Cantabella: ,Savoyardischer Wurmschneider4 1166: Lithographie von 1848: ,Die größte Wurst ist immer sein, dem armen Dorfschulmeisterlein4, aus: Ernst Johann: Das Jahr des Metz¬ gers. Der Lissnerschen Wurstologia anderer Band, Frankfurt 1957 1167: Detail aus ,Goldenes A.B.C. für Jungfrauen', II. Blatt, Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 2332, aus: S. u. K., S. 9) 1169: Zeichnung von Moritz von Schwind (1804-71) 1170: Jan Steen: Zahnbrecher, Mauritshuis, Den Haag, Foto: A. Dingjan, Den Haag 1181: Neuruppiner Bilderbogen, Nr. 8974, aus: S. u. K., S. 87 1184: Münchhausen-Illustration von Gustave Doré (1832-83) 1186: Detail aus einem Holzschnitt von 1539, aus: Hans Fehr: Das Recht im Bilde, Erlen- bach-Zürich, München und Leipzig 1923, Abb. 136 1187 (1): Basler Lällekönig, bewegliche Maske vom ehemaligen Rheintor an der Rheinbrücke, 16. Jh., Histor. Museum Basel - (2): Slowenisches Bienenstockbrettchen von 1882
REGISTER Das Register enthält Sprichwörter- und Redensarten-Stichwörter nach denselben Prinzipien, aus denen sonst die Stichwörter ausgewählt wurden; es ist kein Namen- oder Sachregister (keine Autorennamen und Werke). Seitenzahlen oder Stichwörter mit dem Zeichen * verweisen auf einen Hauptartikel. Fremdsprachliche und mundartliche Stichwörter erscheinen nicht im Register, man findet sie unter dem entsprechenden hochdeutschen Stichwort. Für die Auffindung einer sprichwörtlichen Redensart ist grundsätzlich deren erster Begriff maßgebend. Bei festgeprägten Zwillingsformeln wie z. B. ,Acht und Bann' oder »Hängen und Würgen' erscheint im Register jeweils nur der erste Begriff, in diesen Fällen: ,Acht' und »Hängen'. Zusammengesetzte Wörter sind nicht eigens aufgeführt, wenn das erste Kompositionsglied einen eigenen Artikel besitzt. Wörter wie ,Bäckerexamen' findet man bei dem Hauptstichwort,Bäcker',,Bärenhunger' bei ,Bär\ Ausnahmen davon bilden zusammengesetzte Stichwörter, die einen eigenen Lexikonartikel haben.z. B.,Bärenhaut' oder »Drachensaat'. In der Regel erscheint nur ein Wort im Register, und zwar in der Grundform, d. h. der Infinitiv bei Verben (gehupft /hüpfen), der Nominativ bei Substantiven, die grundsätzlich im Singular stehen (Ausnahmen bilden Pluraletanten wie »Maulaffen'), und ungesteigerte Formen des Adjektivs (älter /alt). A Aal 35* 355 1003 1090 Aas 36* 106 203 756 684 848 1026 ab 36* 109 488 abbalgen 846 abbeißen 37* 276 636637 1090 1186 abbetteln 846 abblitzen 37* 719 abblühen 883 abbrechen 37* 172 351 546 669 979 1111 1168 1179 1187 abbringen 988 abbröckeln 1108 Abbruch 33 37* 498 abbrummen 1032 Abc 37* 1097 abdecken 846 Abdecker 834 abdrehen 610 abdrücken 415 Abend 38* 69 158 651 965 978 1005 1056 1057 Abendmahl 38* 328 Aber 38* 1138 abfahren 39* 1185 Abfall 39* abfallen 39* 1033 abfertigen 384 abfingern 70 abflattern 1178 Abfuhr 39* abgebrannt 39* abgedroschen 1041; /Stroh* abgefeimt 39* 854 abgehen 40* 182 742 943 abgekartet 974 abgemacht 40* abgeschieden 1176 abgeschnitten 40* abgewinnen 683 941 1152 abgleiten 1031 abgraben 1124 abgrasen 1030 Abgrund 759 abhaspeln 1190 abhauen 796 1055 abkanzeln 40* 479 abkaufen 40* 834 872 abkehren 283 abklappern 40* 1033 abklauben 837 abklavieren 40* 70 275 abkommen 663 1074 abkratzen 1108 1178 Ablaß 40* 249 ablaufen 40 41 * 111 437 476 759 894 895 962 1023 1098 1124 Ableben 1177 ablegen 574 Ableibung 1177 ablesen 662 abmachen 101 abnehmen 459 546 650 1175 Abraharn 41 * 105 239 884 1083 1133 1176 Abreibung 847 abreißen 442 Absatz 822 982 Abschaum 40 794 abschieben 130 796 891 Abschied 42* 287 317 1073 1095 abschießen 824 1113 abschließen 764 abschmieren 269 abschnappen 1178 abschneiden 40 42* 170 213 222 252 661 674808 1044 1102 1129 1162 1183 abschöpfen 759 abschrauben 1170 abschütteln 465 843 Absehen 42* 60 absparen 589 661 abspeisen 43* 1162 abspenstig 967 abspielen 739 abstechen 1021 Abstecher 1021 abstoßen 437 438 Abt 793 abtakeln 43* 618 Abtrittdeckel 325 abtrumpfen 1093 abwälzen 1010 abwarten 43* 379 1061 abwaschen 1123 Abwesenheit 15 43* 761 abwinden 1190 abwischen 651 896 abzählen 70 275 520 Abzeichen 672 abzeichnen 763 abziehen 401 674 688 749 807 abzwitschern 1178 Ach 13 44* 55 109 212 313 532 Achillesferse 44* Arhcp 1 32 Achsel 10 11 17 44* 899 1125 Acht 45* 55 Achtel 609 achten 896 ächzen 44 Acker 363 467 Ackerfeld 870 Ackermann 999; /Bauklotz* ackern 495 Acta 45* 52 Adam 9 46* 401 Adamsapfel 545 Ader 48* 146 Aderlässen 890 Adler 69 533 877 Affe 28 48* 137 193 217 227 406 425 488 f 501 566 580 635 672 f 896 960 1058 1069 1088f 1120 1184 Afrika 1060 Ägypten 52* 281 ägyptisch 1190 ahnen 10 Ahnung 137 462 831 989 1097 Ähre 374 Akazie 52* 108 Akten /Acta* Aktie 52* Alarm 140 albern 302 Alkohol 147 all Bot, ällbot 30 310; /Gebot* alle 969 allein 884 1002 Allerweltsdiener 803 Allerwertester 70 alles 211 486 492 1227
all Hack all Häck 310; /Gebot* Allroundman 191 Alltag /Montag* Alp 53* 194 1010 Alraune 24 53* 450 alt 9 19 29 54* 55 108 166 231 289 392 398 426 445 458 520 618 739 768 871 1056 1059 1100 1182 Altar 340 Altenhausen 55* Altenteil 55* Alter 55* 121 Amboß 378 864 Ameise 1007 Amen 55* 463 946 1118 Ammersee 69 Amok 1113 Ampel 699 Amt 55* 209 1006 Amtmann 765 Amtsentsetzung 944 Amtsmiene 56* Amtsschimmel 56* anbahnen 91 anbändeln 57 anbeißen 56* 278 anbellen 649 anbeten 488 964 1070 anbinden 57* 97f 143 227 473 561 868 986 1007 Anblick 341 anbrechen 775 anbrennen 934 anbringen 902 anders 56* 107 329 555 anfahren 790 Anfang 17 56* 237 anfangen 552 822 1058 Anfänger 147 anfassen 223 237 385 822 1171 1182 anfeuchten 502 Angang 390 angeben 997 1057 1081 1136 1148 Angebinde 57* 1146 angebunden 57* 609 angehen 864 Angel 1096 1137 angeln 1026 angenehm 684 angeschossen 824 angeschrieben 58* angesehen 1158 Angesicht 925 angetan /antun* angezapft /anzapfen* Angriff 1055 Angst 56 94 247 468 704 1093; /bange* anhaben 58* 411 440 949 972 1023 1043 anhalten 610 758 1142 Anhalter 58* 92 anhängen 13 58* 73 244517 566 572 602 801 812 983 1010 1183 anhänglich 771 anheften 602 Anke 883 ankerben 59* ankleben 935 anklopfen 717 ankommen 883 904 ankrähen 59 Ankratz, ankratzen 59* ankreiden /Kreide* ankümmeln 1090 anlaufen 60* 136 anläuten 1031 anlegen 60* 613 982 1185 anlocken 499 anmessen 892* 894 annageln 1007 Anno 60* 700 anpacken 1182 anpassen 300 905 anpochen 1078 anreden 942 anrennen 561 anrichten 362 883 944 1051 anrufen 1031 1100 anrühren 161 ansalben 846 Anschlag 33 60 anschlagen 787 Anschluß 60* anschreiben 918 anschüren 271 anschwärzen 918 920 ansehen 222 424 553 677 780 822 846 899 941 f 1088 1090 1173 ansetzen 402 520 886 971 anspannen 786 anspinnen 62 253 anständig 401 anstecken 256 768 1000 anstellen 883 Anstoß 61* 1010 Antenne 26 Antichrist 505 Anton 61* antun 58 61* 191 449 590f 1094 Antwort 16 antworten 983 anwachsen 935 anzapfen 58 61* anzetteln 62* anziehen 640 774 786 896 1019 1023 1043 Anzug 463 846 anzünden 575 598 964 1145 Apfel 22 62* 83 113 129 202 219 224 248 282 395 423 444 520 793 823 970 1108 1116 Apfelbutzen 302 apfelrund 1146 Apostel 63* 727 Apostelpferde 904 Apotheke 241 502 727 865 Apotheker 384 Appelkuchen 548 Appelmus 322 April 24 63* 233 283 349 396 Äquatortaufe 427 Arbeit 103 257 289 381 392 396 465 649 657 695 734 808 846 arbeiten 189 213 728 276 342 480 607 752 821 842 918 1022 1030 1059 1147 f Arche Noah 218 ärgern 136 375 655 658 917 931 Argusaugen 64* Ariadnefaden /Faden* Arkadien 64* Arm 65* 111 315 383 455 528 580 657 749 arm 13 30 65* 256 401 425 466 509 637 859 925 935 1071 1145 Armee 66* 1177 1179 Ärmel 19 67* 69 73 84 211 257 779 Armenkasse 14 68* Armleuchter 70 599 Armloch 70 Armutszeugnis 68* Arsch 38 40f 68* 113 122 162 176 183 203 230 237 261 276 313 321 325 334 337 353 365 375 411 413 419 423f 442 498 503 510 526 538 544 554 562f 587 601 6ü4f 637 680f 690 722 748 769 790 792 847 907 945 993 1059 1079 1134 1174 1184 Arschpauker 996 Arschwisch 462 Art 55 70* 845 Asche 17 70* 524 735 786 843 871 1102 1176 Aschermittwoch 83 aschgrau 71* 713 Asmus 71 Aßmann 71* Ast 17 71* 163 171 177 286 431 443 545 547 565 822 1125 1188 Atem 47 961 Athen 249 Äthiopier 648 atmen 611 ätsch 24 aufbeißen 1042 auf binden 72* 97 f 783 aufblasen 289 aufbrechen 798 aufbremsen 845 aufbringen 91 aufbrummen 73* 1032 aufdämmen 845 aufdecken 485 aufdrehen 596 aufeinandergepfercht 414 auffahren 13 296 1059 auffassen 822 auffressen 680 aufgeben 669 1176 aufgedonnert 73* 731 aufgehen 521 598 651 688 720 1016 aufgeputzt 13 702 731 aufgießen 578 aufhaben 461 aufhalten 211 964 aufhauen 691 aufheben 73* 74 517 815 1055 aufhören 467 1138 aufklauben 479 aufkleben 551 aufknöpfen 520 696 auflegen 536 739 883 927 1092 auflesen 339 1033 1173 aufmachen 567 798 aufmerken 824 aufmessen 845 aufmutzen 74* aufnehmen 74* 253 822 958 auf passen 403 405 505 610 824; /Heftelmacher*, Luchs*, Schießhund* aufpflanzen 435 aufputzen 74 aufregen 488 aufreißen 513 629 677 756 1170 aufrühren 1025 aufschießen 738 aufschlagen 1050 1179 aufschmalzen 1051 aufschneiden 74* 97f 530 641 873 aufsenken 845 aufsetzen 480 527 536 1092 aufspannen 936 aufsperren 608 677 696 aufspielen 761 aufstecken 598 608 669 aufstehen 75* 370 aufstoßen 793 1095 aufsuchen 754 auftauchen 1109 auftischen 75 auftragen 903 Auftritt 1053 auf tun 661 aufwachsen 962 1120 1228
BEHÜTEN aufwärmen 476 522 524 aufwaschen 75* aufwichsen 1143 aufwiegen 337 aufwirbeln 999 aufzählen 407 845 aufziehen 786 887 994 1004 Augapfel 75* 1005 Auge 13 76* 85 92 122 128 136f 139 146f 166178 195 203 211 254 257 290 317 321 325 329f 352 381 392 41 Of 414 424 455 473 520 533 562 577 603 610 614 637 695 680 752 788 790 801 808 812 822f 840 847 874 882 888 917 931 964 981 993 996 1005 1056 1078 1081 1113 1135 1142 1145 1176 1190 Augenblick 842 Augias 994 Augiasstall 80* August 576 aus 55 80* 154 ausbaden 11 90f; /Bad* ausbeißen 1169 ausbieten 125 943 ausbitten 1081 ausblasen 583 ausbleiben 752 776 ausbrennen 639 964 1056 ausbringen 1077 ausbrüten 446 1153 ausbügeln 178 Ausbund 24 73 80* 219 254 883 auseisen 609 ausessen 173 1051 ausfallen 680 ausfechten 1034 ausfliegen 681 958 1114 ausfressen 81* 846 1099 ausgeben 725 783 ausgefahren 330 ausgehen 724 ausgerechnet 81* ausgraben 476 545 aushalten 496 532 727 aushängen 442 aushauchen 934 1176 ausjäten 1136 auskämpfen 1176 auskaufen 874 1120 ausklopfen 463 658 724 847 876 auskosten 1171 auskratzen 532 auslassen 1114 ausläuten 1071 ausleeren 630 auslegen 784 auslöffeln 161 ausmerzen 81* ausnehmen 970 ausposaunen 332 auspressen 617 auspusten 583 601 ausreißen 14 82* 112 588 800 914 1145 1149 ausrenken 1187 ausrotten 1043 1046 ausrufen 125 1133 ausruhen 608 ausrupfen 259 933 ausrutschen 1187 aussaugen 146 1092 Ausschlag 82* ausschlagen 844 1033 ausschleifen 802 ausschöpfen 639 934 ausschreien 125 Ausschreitung 890 ausschütten 125 415 ausschweifen 1185 aussehen 53 56 67 82* 118 169 215f 248 255 288 325 330 419 444 469 472 544 559 591 638 646 688 731 736 741 898 968 988 1073 1079f 1145 f aussetzen 1152 Aussicht 882 ausspannen 1179 ausspielen 486 1093f aussprechen 1161 ausspülen 502 ausstauben 846 ausstechen 84* 1020 ausstecken 768 ausstellen 716 ausstreichen 545 austeilen 168 170 Austrag 84* austragen 1078 austräumen 1085 austreiben 659 754 800 1062 1078 austreten 895 austrinken 639 austrocknen 639 austrompeten 1091 Ausverkauf 287 auswachsen 84* auswaschen 463 479 847 Ausweg 603 auswerfen 485 auswetzen 802 auswischen 13 84* 845 1155 ausziehen 410f 576 990 1022 aut 85* Autofahrergruß 1113 Autofahrersprache 1113 Aweck 85* Axt 85* 111 303 B Bacchus 30 86* [1035 Bach 30 86* 308 497 547 766 1023f Backe 86* 326 847 991 1032 1106 backen, Backen 87* 170 269 293 470 510 548 640 694 857 871 Backenzähne 847 Bäcker 87* Bäckerdutzend 24 251 Bäckerkind 249 Bäckerschupfe 839 Backfisch 11 Backhaus 864 Backobst 693 Backofen 17 88* 499 694 Backpfeife 729 Bad 29 80 88* 228 296 410 507 1042 baden 389 755 926 1103 Bader 91* 890 Badstube 1068 baff 91* Bahn 17 91* 94 600 821 965 Bahnhof 58 92* Bahre 670 1147 Balg 357 1088 Balken 14 92* 209 611 f 678 933 981 Ball 513 Balla 25 93* 1089 Ballast 158 826 Ballhorn, Balhorn 93* 1107 Ballon 93* 847f Banane 81 1104 Bananenschale 1104 Band 93* 235 301 759 Bande 397 Bändel 93* 286 785 Bandhaube 1003 bange 58 94* bangen 94* 386 Bank 10 18 28 55 59 69 94* 719 788 1076 1093 Bankerott, Bankrott, bankerott, bankrott 96* 189 434 479 508 bannen 739 Banner 12 bar 662 Bär 12 57 68 73 96* 98 100 173 288 388 401 455 473 523 586 649 733 783 793 840 846 868 869 889 958 999 Barbier 1154 barbieren 607 1039; /Löffel* Bärenhaut 27 98* 117 barfuß 443 Baron 779 Barrikade 12 Bart 17 25f 100* 173 316340433 471 517 538 579 657 1037 Barte 104* 110 Barthel 28 104* 655 657 853 Basel 83 729 1079 Baselemanes 105* Baß 173 1113 Basseltan 106* Baßgeige 36 106* 315 423 843 Bast 106* 202 264 847 896 Basta 106* Batterie 847 Batzen 847 Batzenstrick 680 Bau 106* 1155 Bauch 78 106* 117 204 580 604 614 652 793 974 993 bauen 107*172 230 233 246 293 398 486 513 611 647 681 688 777 789 859 919 1067 1069 1096f 1124 Bauer 56 107* 226 354 418 642 660 664 713 890 1102 Bauernbursche 373 Bauernjunge 107* 877 Bauklotz 45 107* 1000 Baum 82 107* 109 158 374 611 691 999 1119 1188 Baumeister /Einfall* Baumöl 108* 846 Baumwolle 871 Bauplatz, Baustelle 108* Bausch 12f 44 108* 154 212 Beamter 840 beben 1183 Becher 404 1092 Beckmann 109* 114 Beckum 830 bedecken 285 bedeppert 109* Beelzebub 1062; /Teufel* Beere 202 befehlen 1157 befinden 1101 beflecken 829 befragen 1016 befriedricht 110* begehren 997 begießen 110* 463 677 1121 begleichen 764 begossen 368 begraben 110* 175 449 544 664 727 967 1037 begreifen 241 928 Begriff 110* 928 begrüßen 926 begrüßlusen 845 begrüßvogeln 845 behalten 1134 behandeln 223 611 896 1023f 1130 behaupten 1027 beherrschen 514 1053 behüten 340 1229
BEIBRINGEN beibringen 851 Beichtspiegel 972 beichten 292 411 beigeben 110* Beil 75 104 110* 378 848 Beileid 33 111* Bein 41 45 55 66 76 82 111* 143 203 238 279 297 342 375 434 447 518 521f 582 603 620f 749 823 846 914 961 1006 1011 f 1031 1043 1073 1076 1089 1139 Beinbruch 375 beißen 109 113* 161 f 168 291 302 345f 424 477 498 544 554 603 635 638 652 671 694 698 721 838 850 800 914 993 1031 1070 1148 1169 1174 1186 Beißzange 215 442 bekämpfen 925 bekannt 446 717 bekehren 424 bekennen 255 bekleckern 113* 782 Beklemmung 94 bekloppt 114* 395 bekommen 610 839 902 911 1032 1061 1101 1149 1150 belegen 1054 belehren 120 beleidigt 585 beleuchten 996 belichtet 599 bellen 614 914 Bellmann 28 114* 701 belohnen 1101 bemoost 115* Benedicimus 739 957 Benedicite 115* benehmen 442 790 925 984 1104 beneiden 115* 1141 Bengel 506 Bengelsuppe 843 Benz 425 beobachten 64 bepflastern 847 bequem 1129 berappen 115* Berchtesgaden 115* bereden 1101 beredt 922 1188 bereiten 153 1129 Berg 15 17 55 86 115* 158 181 216 233 255 337 355 506 612 658f 693 730 1123 Berggeist 779 Bergleute 587 Berlin 208 611 Bern 40 Bernhardiner 288 Berserker 117* 573 bersten 158 berufen 1066 1101 berühren 787 1014 beschatten 316 Bescheid 92 117* 122 bescheiden 313 bescheißen 1105 Bescherung 10 117* 616 712 882 beschissen 313 811 beschlagen 23 117* 302 304 443 865 942 1014 1112 beschmutzen 682 beschneiden 285 358 477 671 Beschneidung 428 bescholten 813 beschönigen 620 beschreien 83 118* 263 1066 1101 Beschuß 24 Besen 9 22 119* 232 288 567 639 768 838 Besenbinder /Bürstenbinder* Besenstiel 490 Besenstiel - Pastete 843 besessen 1063 1099 Besessener 889 besiegen 943 Besitz, besitzen 120* 883 908 916 1044 1141 besoffen 233 490 925 1026 1032 besorgen 424 besser 12 120* 384 386 418 462 498 579 592 970 1056 1107 bessern 355 1157 Bestand 232 Beste 121* bestechen 976 1020 besteigen 713 bestellen 398 bestellt 193 bestes 1044 Besthaupt 583 bestreichen 657 1014 bestreiten 964 Besuch 122* besuchen 289 878 besudeln 866 beten 204 329 955 1106f Bethanien 122 Bethlehem 14 122 622 betrachten 941 1098 betreten 926 Betrieb 122* betrinken 32f; /trinken* betrübt 368 Betrug 979 betrügen 75 292 424 943 betrunken /trinken* Betschwester 471 Bett 122* 198 430 443 455 666 964 1019 1077 1182 Bettelbube 1091 Bettelleute 858 Bettelmann 123* 215 348 446 580 640 1145 betteln 215 560 Bettelsack 123* 446 790 Bettelstab 990 1028; /Stab* betten 777 Bettler 82 239 414 1030 Bettschwere 1089 1090 Bettzipfel 17 868 beugen 667 764 784 Beule 877 beurteilen 1077 Beutel 123* 181 195459 520 605 817 931 1160 Beutelschneiderei 879 bewaffnen 1169 bewahren 922 1103 bewandert 983 bewegen 934 Bewegung 402 421 Bewerbchen /Gewerbe* bewölkt 313 Bewußtsein 926 bezahlen 140 164 316 319 400f 410 513 944 967 865 1142 1173f Bibel 55 biblisch 55 biegen 85 109 124* 564 641 711 Bien, Biehn 124* Biene 246 433 846 1007 Bienenhaus 1061 Bienenhonig 433; /Honig* Bier 13 83 86 125* 294 525 808 943 1089 1090 1133 Bierfaß 1090 Bierglas 470 Bierleiche 1090 Bierzahn 1170 bieten 711 798 903 946 979 1027 Bild, Bildfläche 126* 193 336 341 652 822 bilden 1104 Bildermann 560 Bildstock 700 billig 465 765; /recht* Bilwis 126 127* 419 467 903 Bimbam 128* 413 478 Bimse 843 bimsen 128* bin 128* Binde 128* 520 539 858 1092 binden 112 128* 384 426 676 783 896 930 935f 1146 1169 1187 Bindfaden 877 Binding-Bier 26 Binse 29 128* 171 691 738 911 1089 1144 Binsenwahrheit 129* Birke 1058 Birnbaum 730 Birne 63 129* 193 205 217 219 292f 520 528 693 779 1085 Bischof 91 498 bißchen 1111 Bissen 38 168 170 203 446 661 987 Bitte 130* 949 bitten 109 694 1142 bitter 130* 169 300 336 495 737 1145 Blank, Jan Blank /Hans* blank 109 130* 829 Blase 131* 637 793 Blasebalg 865 blasen 123131 * 150 215250 259 284 426 438 476 622 661 664 697f 722 741 801 884 896 999 1032f 1090f 1093 1097 1106 1134 1151 1184 blaß 217 680 831 989 Blatt 28 132* 203 249 322 486 662 859 974 blau 79 135* 145f 155 160 166 181 200 208 216f 239 266 352 407 421 612620 652f 933 1088f 1107 1162 1190 blaufärben 177 Blaustrumpf 137* Blech, blechen 59 138* 478 Blechnapf 138* 288 blecken 1169 Blei 138* 330 519 609 657 928 bleiben 128 739 784 908 974 995 997 1011 1020 1034 1040 1062 1074 1083 bleichen 510 bleiern 931 Bleistift 139* bleuen 780 Blick 76f 263 498 822f 888 987 blind 139* 327 392 417f 445 843 Blindekuh 140* 553 Blinder 141* 255 765 844 888 1029 1041 1156 Blindheit 216 1137 blinzeln 717 Blitz 142* 193 302 313 877 1035 Blitzableiter 143* blitz besoffen 1090 blitzen 481 Blitzmädel 1143 Block 143* 1028 Blocksberg 143* 418 419 641 Blödsinn 143* 427 blöken 215 blond 144* 1170 1230
Damaskus bloß 130 Blöße 144* 276 941 Blücher 144* 945 blühen 156 418 487 777 1135 Blümchenkaffee 144* Blume 26 144* 778 796 850 877 1003 1165 Blumenstengel 202 Blumentopf 145* blümerant 137 146* Blut 13 55 83 131 135 137 146* 281 476 646 903 931 951 1092 Blüte 147* 877 883 bluten 890 925 Blutwurst 756 Bock 147* 290 272 316 365 493 569 730 749 765 779 792 800 823 889 928 960 985 1003 1024 1026 1036 1049 1157 1180 Bocksbeutel 149* Bocksdarm 932 Bockshorn 9f 25 28 143 148 149* 339 365 413 742 1087 Bocksmilch 444 Boden 55 153* 162 204 208 255f 306 340 353 524 530 f 612 738 810 824 845 925 962 968 990 1042 1100 bodenlos 530 Bogen 108 154* 987 Böhme 1005 Böhmerwald 54 böhmisch 208 böhmisches Dorf /Dorf* Bohne 131 137 154* 156 202 216 240 394 539 792 970 f 1150 Bohnenlied 155* Bohnenstange 156* Bohnenstroh 13 156* 215 255 Böhnhase 157* bohren 163 213 217 244 432 605 680; /Brett* Boje 528 Bolzen 157* Bombe 24 55 158* Bonbon 83 354 Bönhase 392 Boot 24 158 826 Bopfingen 830 Bord 158* 1055 borgen 633 Borke 108 158* 1096 Borste 158* 924 Böse 1066 böse 146 354 448 597 690 1188 Bote 158* 424 Botz 153 Box 153 boxen 845 Brand 271 1089f Brandbrief 39 159* brandmarken 159* 162 602 861 Bratbirne 1091 Braten 159* 173 638 666768772 971 braten 62 87 130 269 414 950 971 1031 1165 Bratkartoffelverhältnis 160* 222 Bratwurst 309 446 548 744 765 brauchen 835 1021 1024 brauen 125 1051 braun 109 160* 845 1089 Braus 794 brausen 463 Braut 193 230 939 Bräutigam 59 Brautpaar 479 Brautsar 161* Brautsuppe 1050 brav 401 brechen 113 124 161* 230 376 519 544 571 775 922 975 991 1027 1055 1116 1168 1172 Bredouille 161* Brei 161* 181 282 493f 499 506 663 709 721 944 breit 162* 254 779 900 1013 breiten 285 breitschlagen 844 Bremse 61 211 brennen 153 162* 251 431 605 616 668 671 714 824 873 918f 962 1134 brenzlig 613 660 Bresche 162* 774 Brett 163* 217 237 257 296 432 671 918 1012 1138 1178 Brevier 487 Brezel 165* 405 877 Brezelbacken 313 Brief 55 122 137 165* 235 562 604 609 721 952 Briefmarke 69 739 Brille 166* 918 1003 1081 1132 Brillenschlange 84 Brimborium 168* 573 bringen 154161 221 389 395 526 597 600 617 671 691 701 712 744 769 781 783 856 881 890 897 903 913 922 927 931 933 940f 945f 961 974 983 1004 1034 1043 1051 1056ff 1074 1083f 1087 1100 1131 1135 1160 1162 1186 Brocken 168* 614 brocken 645 671 1051 Brombeere 343 393 Brot 29 3883147169* 181f 193202f 248 257 443 446 488 502 560 601 661 694 717 735 788 843 935 964 1013 1128 Brötchen 890 1178 Brotkorb 170* 364 Brotkruste 1104 Brotschrank 534 Bruch 17 171* 190 230 574 814 846 Brücke 107 125 171* 337 612 825 1161 Bruder 172* 330 446 463 480 679 829 909 Brühe 173* 721 1076 brühwarm 173* brüllen 173* 888 1145 Brummbaß 423 brummen 73 96 103 173* 349 Brummsuse 1052 Brunnen 22 173* 249 428 473 547 650 754 842 930 994 1123f 1127 Brunnenputzer 219 832 Brunnenschwengel 955 brunzen 895 Brust 53 174* 507 580 738 844 907 brüten 681 Bus 1073 1156 Bubenstück 1044 Buch 14 175* 525 657 677 765 918 952 Buchholtz 114 175* 319 Buchsbaum 249 Büchse 176* 573 685 823 894 976 Buchstabe 70 176* 295 784 9451110 Buckel 69 72 176* 225 337 442 498 499 547 562 579 732 845 847 866 1084 bücken 780 bucklicht 822 bucklig 177* 824 Buddel 1088 Bude 106 177* 178 366 582 641 877 1043 Budenzauber 177 178* Bug 902 Bügelbrett 739 bügeln 178* 322 395 bumfassen 845 bummhasen 845 bumpsen 845 Bündel 178* bündig 561 ; /kurz* bunt 178* 221 446 769 774 Bürde 574 Bürgerpflicht 781 Buridan 178* Bürohengst 567 bürsten 463 846 1039 Bürstenbinder 120 179* 219 288 490 577 793 1089 f Busch 40 180* 189 249 290 404 844 1181 Busen 181* 391 580 649 849 Büsum 830 1036 Butte 382 1064 Butter 30 83 181* 193 203 276 278 299 326 382 385 453 476 488 554 865 964 971 1003 Butterbrot 62 182* 224 321 Buttermilch 219 282 720 846 Butzemummel 661 Büxenhusen 182 Buxtehude 182* 453 469 1091 Buxtehusen 182 C Calendas Graecas 731 Canossa 183* Chaisenträger 183* Chamäleon 183* Chance 656 Charivari 184* chick 264 China 1061 Chrisam 185* 434 Christ 185* 405 407 Christbaum 185* Christbaumschmuck 568 Christkind 185* Christoph 186* 1029 Christtag 467 Christus 932 Coca-Cola 26 Contenance 186* Cour 186* 428 Courage 186* Credo 736f Crux 543 cum grano salis 788 D Dach 23 28 44 55 199 184 186* 251 270 328 370 374 558 692 740 832 847 969 1007 1089 1113 Dachabdecken 184 244 Dachhase 157 Dachma(r)der 889 Dachrinne 215 Dachs 189* 269 840 869 Dachschaden 1083 Dachsperre 576 Dachtel 843 daheim 189* 408 dahinleben 471 962 daliegen 289 Dalldorf 216 Dalles 189* dalli 190* Damaskus 794; /Saulus* 1231
DÄMLICH dämlich 215 Damm 190* dämmern 598 1056 Dammichseite 461 Damnau 830 Damoklesschwert 190* 252 930 937 Dampf 26 190* 214 1118 Dämpfer 192* Dampfnudel 192* Dampfroß 869 Danaergeschenk 192* Danaiden 192* 256 1124 Dänemark 257 Dank 145 192* 551 1061 1069 1073 danke 192* danken 130 693 1032 1084 dann 44 Danzig 565 daran 1111 Darm 467 darstellen 822 darüberfahren 427 Dasein 574 dasitzen 13 161 193* 289 308 431 443 507 691 699 736 1146 dastehen 13 143 178 181 193* 337 465 602 608 693 699f 724 736 749 820 874 900 1028 1083 1085 dätschen 845 Dätz 847 Dauerwellen 104 Däumchen 195 Daumen 9124 193* 262 275 771 960 1137 daumendick 801 Daumenschraube 23 196* 886f Daus 197* David 505 davonkommen 401 501 davonlaufen 790 davonstehlen 1061 davontragen 1101 davorstecken 732 dazu 29 197* 213 309 dazugeben 161 410 944 dazwischenfahren 1143 Deck 197* 505 Decke 10 24 197* 470 547 618 939 1000 1034 Deckel 199* 362 458 847 1082 1119 1156 1178 decken 460 780 Deckmantel 199* Degen 61 854 Deichdamm 1180 deichseln 199* 206 demütig 44 dengeln 846 denken 113 199* 337 423 469 727 737 770 937 943 1062 1121 1155 denkste 199 Denkzettel 199* Deposition 437 f Deputat 200* 205 1089 der 200* dergleichen 200* derjenige 201* Detz 201* Deus ex machina 1109 Deut 201* 410 685 729 1042 1054 deuteln 212 Deuter 844 deutsch 153 204* 963 Deutscher 1090 Dezem 204* Diät 69 dicht 205* dichten 56 1001 Dichten und Trachten 55 205* Dichter 831 dick 29 109 168 205* 207 217 236 445f 488 527 695f801 1043 1088 1149 Dickicht 483 Dieb 67 205* 236 299 321 573 813 1005 Diebsdaumen 24 194 206* Diebsnest 681 Diele 249 dienen 106 616 736 748 1021 1143 Dienst 206* dienstbar 316 Diensteid 206* Ding 19 29 205 206* 212 dingfest 207* Dingskirchen 182 Distel 513 Dittchen 201 Docht 699 Dohle 1005 Doktor 207* 888 Dom 216 Domherr 793 Donau 249 1123 Donner 193 423 551 1066 donnern 393 576 776 Donnerschlag 296 659 Donnerwache 207 280 Donnerwetter 207* doof 93; /dumm* doppelt 176 207* 213 542 711 974 doppelzüngig 208* 661 1124 1128 Döpshofen 215 Dorf 154 208* 313 332 367 369 509 581 742 968 995 Dorfschelle 333 Dorn 79 209* 993 dörren 871 Dose 571 Dost 82 Dotter 225 Drache 24 209* Drachensaat 24 210* Dragoner 210* 549 Draht 26 210* 1168 Drahtseil 680 Drahtzieher 881 dran 210* Drau 249 drauf 109 draufgehen 553 draufhaben 1168 drauflos 418 Dreck 11 48 68 83 127 202 f 211 * 286f 319 325 433 472 483 503 507 677 696 722 753 846 926 971 1025 1085 1094 1118 1179 Dreckbarthel 387 Dreckeimer 1032 dreckig 847 925 Drecksuppe 1051 Dreh 212* 218 drehen 56 102 109 157 206 212* 218 472 603 615 f 675 681 688751 783 f 853 886 1040 1097 1143 1152 Drehwurm 1164 drei 19163 176 203 213* 251 325 410 487 544 958 1109 Dreier 213* 410 592 819 944 Dreierlicht 598 Dreierstrick 680 dreifach 208 dreimal 39f 677 876 dreinfahren 1164 dreingeben 1057 dreinschlagen 930 dreizehn 213* 251 294 333 461 845 Dresche 843 dreschen 214* 364 455 531 736 1041 Drescher 214* 248 Dreschflegel 995 Dresden 469 1079 Dritte 564 Drossel 417 607 Druck 214* 1171 drucken 14 612 888 drücken 154 194 214* 554 665 893f 897 908 952 1015 1060 1084 1094 1118 1121 1142 1174 Drücker 214* Druckposten 214* Drum 211 drunter 109 214* druntersetzen 1149 Drüse 214* Duckmäuser 475 Dudelsack 214* 242 423 591 843 964 Dujardin 26 Dukaten 810 Dukatenmännchen 319 Dukatenscheißer 319 dumm 13 147 156f 207 215* 233 241 302 377 651 684f 750 847 883 942 969 1046 1048 1071 1083 1108 1123 1145f Dummheit 215* 521 1026 Dummrian 465 Dummsdorf 182 Dummsein 1138 Dunkel 145 dunkel 142 223 dünn 147 205 217* 486 674 696 908 1040 Dunst 136 217* 763 866 1132 dürängeln 846 1096 durch 212 218* durcheinander 214 218* Durchfahrt 696 durchfallen 214 218* 529f 712 1091 durchgehen 308 430 727 durchhauen 521 durchhecheln 944 1169 durchmachen 444 898 durchschauen 974 Durchstecherei 218* 1020 Durchstich 1019 durchtrieben 218* 898 durchwachsen 193 219* durchwalken 587 durchwamsen 1120 durchwaschen 313 Durchzug 696 dürr 108 316 418 434 832 Durst 219* 1089 1165 dürsten 146 durstig 935 1143 Dusche 219* duschen 846 Dusel 219* Dussel 1088 Dutzend 24 81 213f 219* 234 883 961 967 1190 duun 1088 D-Zug 54 E Ebbe 220* 313 Ebene 220* 821 Eber 808 ebnen 153 1129 echt 448 Eckart 220* Ecke 109 217 221* 313 431 478 621 930 997 1083 1232
ESSEN Edelmann 511 Effeff 222* 272 Egel 146 1113 Ehe 222* 362 465 762 ehelichen 445 ehern 1027 Ehre 222* 935 1004 1119 Ehrenwort 222* Ehrfurcht 1110 ehrlich 401 Ei 13 82 202 223* 249 313 317 323 330 358 368f 412 443f 487 498f 551 665 681 738 784 798 850 1003 1005 1007 1026 1037 1077 1106 1116 eiapopeia 249 Eichel 225* Eichhörnchen 225* 1161 Eid 109 226* 991 Eierlegen 1143 Eiertanz 224 226* 1058 Eigengrübler 23 Eigenlob 1025 eilig 1169 Eimer 215 227* 462 651 775 1145 ein 206 227* Einäugiger 142 einbilden 908 1022 einbinden 57 936; /anbinden* einblasen 698 einbrechen 227* einbrocken 161 883 1051 ; /Suppe* Eindruck 834 eindrücken 993 Einfall 14 82 108 227* 399 462 966 1145 einfallen 421 694 839 1085 einfältig 1059 einfangen 938 einfetten 168 einführen 582 eingebildet 302 eingefleischt 227* 469 eingefuchst 228* eingehen 228* 928 eingießen 689 921 einhalten 1172 einhauen 967 einheizen 89 228* 301 692 846 1089 einhimmeln 1176 einigermaßen 313 einkaufen 621 einklemmen 913 einladen 67 503 einlegen 571 1162 einleuchten 130 598 einlösen 1162 einmal 25 1005 Einmaleins 1118 einmengen 455 einmischen 753 einnisten 682 einpacken 228* einrahmen 337 einrasten 513 einrennen 1095 1121 einsalzen 971 Einsatz 413 847 1044 einschenken 1133 einschlafen 608 einschlagen 143 158 809 1129 einschmeißen 694 einschmieren 394 einseifen 101 228* 607 einsetzen 470 809 Einsiedler 407 einspinnen 764 einstehen 1002 einstellen 1136 einstoßen 1121 einstreichen 663 Einsturz 421 Eintrag 33 228* eintränken 229* 305 eintrichtern 1134 Eintrittsgeld 834 einwickeln 229* einziehen 689 723 780 830 913 968 einzig 109 Eis 31 161 229* 329 476 858f 729 1108 Eisbein 847 Eisen 23 154 162 230* 271 322 380 410 426 524 614 779 846 1165 Eisenbahn 10 26 216 232* Eisenprobe 380 eisern 120 232* 784 887 1027 eisig 922 eiskalt 17 Elbe 249 730 1123 Elbetritsche 232* Elefant 14 241 282 233* 658f 741 1145 1156 Elefantenhaut 558 elektrisch 1187 Element 233* 276 Elend 233* 1093 elf 234* 461 581 Elfenbein 1097 elftausend 469 Elias 234* Elle 235* 1155 Ellenbogen 69 235* 1110 Elli 809 Elster 236* 755 1005 Eltern 236* 845 989 Emma 809 empfangen 770 1101 emporfahren 1059 Ende 17 56104 205 222 236* 499 574 598 601 621 776 886 939 969 1037 1110 1134 1166 enden 339 endlos 71 eng 442 715 772f 995 1034 1142 Enge 881 Engel 83 237* 422f 430 846 883 897 922 1024 1176 Engelschar 1176 Engelszunge 33 239* Engerling 1113 Englein 1176 englisch 822 1005 Ente 136 138 149 215f 239* 313 444 931 1145 1156 Entenarsch 630 Entenflügel 1124 Entenmarsch 304 Entepetente 249 entfalten 883 entflammen 915 entfliehen 933 entgegenkommen 1129 entgegensehen 1047 entkleiden 1103 entlaubt 1027 entlaufen 431 entrüsten 389 entscheiden 1077 entschlafen 414 1176 Entsetzen 704 entspringen 394 425 entstehen 883 entziehen 154 entzünden 415 Epistel 597 erbarmen 406 1010 Erbe 239* 564 968 erben 145 erbeuten 1005 erbleichen 1016 erblühen 883 Erbse 155 240* 325 366 970 1144 Erbsensuppe 219 Erbsenzähler 347 Erdäpfel 1007 Erdbeere 554 Erdboden 846 Erde 63112421 612 665 667 885 918 932 1006 1010 1176 1178 erdrücken 1147 erdulden 1057 erfahren 589 754 941 Erfahrung 665 erfinden 750 Erfinder 957 erfrieren 413 Erfurt 1110 ergötzen 69 ergreifen 120 990 1019 1185 erhalten 580 716 921 1092 1116 erheben 1008 1017 erklären 1115 erlangen 929 erlauben 1115 erleben 589 740 1162 erledigen 878 erleiden 851 1031 erlösen 1111 ernähren 1005 Ernst 147 969 Ernte 729 1030 1078 ernten 608 926 1101 erpicht 240* erquicken 394 erreichen 362 926 errichten 886 1122 1147 erringen 701 ersäufen 930 erscheinen 127 1085 erschöpfen 754 erstechen 267 ersticken 269 1147 erstunken 56 240* ertanzen 370 ertappen 726 erteilen 596 ertrunken 240* Ertrunkener 511 erwählen 1062 erwarten 1083 erweichen 1010 erweisen 223 erweitert 1027 erwischen 310 382 857 1060 erzählen 174 355 442 488 913 erzeugen 703 erziehen 850 Erziehungsfläche 70 Esel 193 200 215f 240 241* 264 300 320 324f 388 435 580 f 610 660 693 725 f 729 748 786 805 832 843 869 898 960 982 995 1003 1037 1041 1071 11lOf 1118 Esel ritt 437 Eselsbrücke 172 246* 741 Eselsgesang 955 Eselshaut 558 Eselsohren 129 Espenlaub 13 247* 1183 Esse 248* 764 884 essen 30 62 108 154f 161 169 189 196 248* 258 278 298 336 412 467 512 531 585 607 641 663 687 693 698 780 788 820 837 873 903 906 943 970 1080f 1114 1134 1169f 1189 1233
Essenkehrer Essenkehrer 918 Essig 248* 249 433 Essiggurke 793 Essigkrug 325 1171 Essigsaures 844 etepetete 248* Eule 19 40 193 249* 431 433 533 551 578 598 680 722 788 871 934 969 1017 1090 1098 f 1124 1131 Eulenpfingsten 729 Eulenspiegel 250* 1036 Evangelium 1118 ewig 251* 464 467 840 Ewigkeit 203 251* 464 711 1176 Examen 1007 Exempel 747; /Probe* Extrawurst 1031 1165; /Wurst* F Fach 189 251* 845 Fachmann 999 Fackel 142 598 964 fackeln 251* fädeln 716 Faden 37 64 190 202f 250 252* 273 306 355 526 583 596 635ff 779 881 937 978 f 1039 1190 fahl 726 Fahne 253* 995 997 1089 1153 fahren 101 113 233 253*397 401 484 505 520 547 605 629 662 674 711 714 716 759 776 821 858 870 880 919 936 957 989 1103 1118 1128 1152 f Fahrgeld 834 Fahrt 136 253* Fährte 988 Fahrwasser 253 254* Faible 254* Falke 78 254* 877 Fall 199 254* 518f Falle 26 254* 396 776 857 971 fallen 112f 135 154 158 297 350 396 421 425 484 516 527f 544 574 622 629 661 681 763 776 780 811 825 871 885 902 926 928 930 946 975 1003 1010 1015 1027 1046 1048 1050 1076 1113 1117 1127 f 1160 1162f 1172 1185 Fallschirm 350 Fallstrick 255* 306 1040 falsch 169 255* 279 297 299 322 330 376 428 486 567 716 751 756 850 965 974 986 988 1060 1110 1136 1146 1149 1188 Falten Streicher 261 Familie 884 fangen 282 290 348 495 565 638 713 762f 805 857 971 1038 1067 Farbe 141 255* 485 616 845 888 918 1020 1094 1156 1161 färben 783 Farrenschwanz 843 Fasnacht 24 255* Faß 86 125 192 255* 546 1088f 1124 Faßbinder 256* 577 1146 fassen 395 678 761 914 941 996 982 1024 1059 1133 Faßhahn 925 Fasson 256* Fassung 526 fasten 109 Fastnacht 769 Fasttag 474 fauchen 850 faul 130f 189 257* 278 281 647 726 773 837 941 1025 1081 1146 1172 1180 Faulbaum 561 Faulheit 163 257* 521 1026 Faust 79 232 257* 382 565 848 1145 1174 Fäustchen 274 faustdick 205 695 801 898 fäusteln 845 Fausttäflein 843 Faxen 258* Fazit 258* fechten 258* 517 571 805 905 930 954 Fechtschule 988 1025 Feder 17 22 25 258* 430 444 472 533 587 733 887 1042 1115 1155 Federlesen 24 74 132 259* 293 433 fegen 124 692 845 1043f Fegfeuer 321 431 Fehdehandschuh 26 261* 385 fehlen 756 764 933 1030 1122 Fehler 272 823 Fehltritt 255 Feierabend 69 261* 295 1178f feiern 268 622 Feige 45 130 262* 649 feil 1135 Feile 263* feilhalten 631 635 fein 674 1149 1187 Feind 172 feist 792 Feld 263* 369 861 Fell 24 83 100 205 264* 281 401 498 587 590 605 608 698 714 816 833 843 846f 916 959 1083 1111 1179 Fenster 140 250 266* 319 376 386 455 1043 Ferkel 267* 321 641 994f Ferkenstecher 157 Ferse 267* 961 Fersengeld 28 267* 713 fertig 538 566 577 877 1088 fesseln 122 Fest 268* 647 729 fest 609 790 895 festmachen 420 festnageln 268* Festtag 510 Fett 189 224 269* 316 759 808 1180 fett 147 168 523 533 538 1051 1090 1182 Fettnäpfchen 270* 538 699 719 Fetzen 847 Feuer 9 23 38 55 109 170 231 270* 286 380 385 419 430ff 488 555 698 713 730 864 985 1042 1051 1124 1128 1176 Feueresse 210 271* Feuerprobe 272* feuerrot 71 779 Feuertaufe 272* Feuerwehr 272* feurig 523 1188 ff /Effeff* Fiasko 222 272* Fichte 272* 1046 1144 fidel 398 fideln 845 Fiduz 272* Fiedel 272* Fiedelbogen 273* 315 fiedeln 272* 754 Film 273* Fimmel 217 273* finden 112 154f 171 288 358 386 604 617 682 698 726 764 770 778 782 860f 903 993 995 1034 1156 Finger 17 24f 37 70 162 166 196 203 257 273* 281 357 373f 382 488 514 586 600 659 662 733 773 781 823 847f 864 873 1005 1031 1110 1134 1174 fingerdick 801 Fingerhut 216 406 fingern 206 Fingerzeig 844 Fink 1038 finster 1018 Finsternis 52 963 Finte 276* Firlefanz 276* Firnis 32 Fisch 109 167 182 215 219 249 276* 281 289 302 47 6 487 493 565 788 843 f 869 931 1046 1091 1145 fischen 278* 306 683 1092 Fischer 278* Fischweib 832 Fisimatenten 25 279* Fittich 279* 285 841 fix 109 Flachs 102 565 Flagge 279* 936 Flamme 270 698 Flandern 279* Flanellwache 207 280* Flasche 376 1090 1156 1171 flatschen 845 flattern 145 411 flau 778 Flausen 280* 754 970 flechten 102f 530 757 783 Fleck 280* 415 Flederwisch 280* flehen 1142 Fleisch 39 55 111 146f 264 277 281* 289 493 678 719 805 873 879 1129 1156 1176 Fleischer 281* Fleischergang 641 Fleischerhund 320 869 Fleischtopf 15 52 281* flicken 456 572 814 847 1179 Fliege 13 78 203 233 282* 287 533 658 663 841 1035 1073 1113 1163 fliegen 204 259 488 717 852 968 1060 1114 1121 fliehen 805 fließen 1123 flink 225 425 1147 Flinte 85 282* 829 877 975 Floh 132 283* 344 349 363 447 462 579 f 698 1042 1156 flöhen 49 177 Flöhhaut 558 Floskel 145 Flöte 283* 285 873 1082 Flötekies 284* 488 flöten 28 120 283* 488 1178 Flötenton 284* 345 845 847 Flötepiepen 284 flott 285* 425 522 701 1170 fluchen 180 204 210 294 366 571 1012 Flucht 782 Flügel 72 275 279 285* 806 1114 Flunder 739 Fluß 754 Fohlen 904 folgen 253 267 312 805 1017 Folie 48 285* Folio 672 Folter 23 285* foppen 897 fordern 885f 922 967 979 Forelle 946 1234
Gegensatz Forke 1091 Form 286* 429 fort 286* fortbringen 727 fortgehen 1083 fortmachen 1022 fortschwimmen 264 Fotzen 843 Fracht 826 Frack 271 286* 566 Frage 1059 fragen 107 411 604 787 1066 1111 Fraktur 286* frank 109 286* 867 Frankreich 339f Franse 662 fransig 869 Franziskaner 67 793 französisch 42 287* 575 740 Fraßmontag 654 Frau 83 249 287* 433f 459 907 frech 13 68 287* 300 368 579 700 779 970 1027 1044 1145f Frechdachs 189 frei 286 296 584 869 974 1048 Freiberger, freibergern 679 freien 1122 Freiersfüße 287* freihalten 780 Freilauf 1113 fremd 119 166 169 258 279 362 367 428 531 837 962 1024 1147 Fresse 847 Fressen, fressen 119 180 214f 248 277 287* 345 384 474 493 591 607 615 672 f 717 755 761 763f770820 899 906 924 994 1114 1140 1146 Freude 44 198 414 447 591 753 1080 freuen 288* 835 871f 1026 1037 1132 1146 Freu nd 12 109 204 f 288 409 560 609 808 1089 Freundschaft 668 Frieden 13 288* 665 781 Friedenspfeife 31 288* 764 1037 frieren 136 446 873 965 1012 1183 Frikassee 361 frikassieren 1065 frisch 248 425 584 754 867 962 1152 frisieren 49 911 Fritz 289* 612 1179 fromm 768 1106 Front 289* Frosch 82 132 249 277 289* 319 476 509 573 793 960 1042 1148 1156 Frost 144 217 1183 Frucht 108 453 885 926 fruchtbar 154 früh 56 75 1043 früher 915 Frühling 14 911 Frühlingssonne 809 Frühstück 394 frühstücken 289* 296 780 970 1100 Fuchs 61 f 227 282 290* 302 389 392 440 447 511 540 583 604 633 746f 1084 1102 1160 1177 fuchsen 294 1180 Fuchsprellen 745f Fuchsregen 511 Fuchsschwanz 293* fuchsteufelswild 294* Fuchtel 294* fuchteln 845 Fuderfaß 23 Fug 55 Fuge 294* 881; /Schnur* fühlen 671 750 782 927 1028f 1169 Fuhre 1089 führen 263 272 448f 517 592 600 621 700 758 815 825f 828f 857 984 989 1018 1162 1185 Fuhrknecht 832 Fuhrmann 294* Fülle 444 Füllen 793 füllen 1059 1133 fummeln 845 fünf 69 84 213 234 274 294* 377 410 684 779 958 1109 1182 Fünffingerkraut 844 Fünfthalerschein 844 Fünfzehn 19 fünfzehn 295* 562 1012 Fünfziger 255 296* Funke, funken 202f 296* 598 864 funktionieren 596 Furcht 140 1183 fürchten 717 805 906 1066 1110 1140 Furie 83 Fürst 582 Fürstenberger 296* Fürstenspiegel 972 Furz, furzen 33 203 296* 659 717 Fuß 17 37 41 45 55 68 75 113 138 141 144 153f 170 202 204 209 261 296* 313 340f 344 379f 444 472 499 528 534 614 667 677 679 705 711 728 742 764 850 860 893ff 924 926 945 1001 1006 1076 10891164 Fußangel 298* Fußball 1146 Fußboden 586 Fußbreit 203 Fussel 217 fusselig 869 Fußmilch 844 Fußspur 32 Fußstapfen 890 futsch 298* Futter 56 445 1113 füttern 278 350 539 895 G Gabel 24 298* 418 1126 Gäbelimachen 795 Gabelmann 69 Gabelwurzel 843 Gäbili 795 Gähnaffe 631 634; /Maulaffe* gähnen 694 Gähnmaul 298* 1187 Gala 299* 518 568 801 Galgen83 182 206 255 299* 321 607 767 1146 Galgenfrist 23 Galgenholz 257 Galgenschwengel 567 Galgenstrick 928 1040 Galimathias 300* Galle 300* 327 433 585 855 Galopp 241 246 846 1073 Gamasche 300* Gang 23 29 109 183 300* 309 gang und gäbe 301* Gängelband 93 301* 901 1041 Gans 19 29 63 84 193 215 285 290 302* 310 327 344 363 443 573 823 846 869 942 1090 1091 1131 1146 Gänsehaut 304* Gänsehirt 1157 Gänsemarsch 304* Gänsemilch 63 444 Gänsewein 304* Ganslosen 830 1036 ganz 109 Garaus 304* 503 1083 Garderobe 1110 Gardine 305* 921 Gardinenpredigt 305* 745 Garn 10 24 51 221 255 305* 593 607 622 857 936 979 1042 1114 Garnsack 946 Garten 307* 602 693 1008 1173 1180 Gärtner 148 Gas 307* Gasbeleuchtung 938 Gasfabrik 13 598 938 Gaslaterne 598 gassatim 307 Gasse 307* 387 Gast 24 308* 534 Gäu 312f Gauch 551 Gaudeamus 320 739 957 Gaudeamus singen /Placebo* Gaul 9 215 246 308* 364 365 727 1170 1188 Gaulskur 727 Gaulsnatur 680 728 Gaumen 1187 Gaunerzinken 1182 Geanmaul 631 gebadet 637 Gebälk 519; /knistern* gebärden 1148 gebauchpinselt 537 geben 121 262 269 308* 360 596 632 691 710 714 729 782 797 838 905 914 916 946 975 983 1015 1020f 1031 1058 1085 1129 1150 1162 gebengelt 521 Gebersdorf 14 Gebet 479 598 1091 Gebetbuch 487 1066 gebieten 922 Gebiß 1169 geboren 215 335 739 1016f 1024 1047 1168 geborgen 193 Gebot 52 234 309* 1047 gebrannt 590 gebraten 370 1156 gebrauchen 769 Gebühr 834 Geburt 928 Geck 435 817 Geckengericht 187 Gedächtnis 743 947 Gedanke 203 310* 321 462 569 831 877 919 935 1106 Gedankenblitz 130 Gedeck 1091 Gedeih 311* 1107 Gedenkzettel 199 Geduld 204 311* geduldig 377 935 Geduldsfaden 311* 681 Gefahr 139 gefährlich 973 Gefälle 311* gefallen 239 677 gefangen 984 Gefängnis 931 Gefängnistür 325 gefärbt 1161 Geflügel 290 Gefreiter 289 gefrieren 147 gefroren 124 Gefühl 311* 778 1132 gegen 680 Gegend 312* Gegensatz 888 1235
Gegner Gegner 66 gehauen 312* 1156 Gehege 24 312* 885 gehen 113 154 164 193 223 240 270 272 313* 499 519 561 589 592 649 667 671 675 677 682 685 691 700 714 752 769 777 822 857 881 885 895 897 898 911 913 918f 928 934 937 ff 941 945 f 952 962 965 995 1015 1022 1030 1033 1038f 1065 1106 1112 1115 1127 ff 1135 1146 1153 1162 1171 1174f 1179 f Gehirn 424 577 769 931 947 1027 Gehirnerweichung 130 Gehör 696 gehorchen 687 1047 Gehorsam 139 gehupft /hüpfen* Geier 69 313* 314 551 Geige 106 273 289 314* 422 423 591 742 1113 geigen 45 50 222 272 315* 407 503 640 786 845 1073 1093 1119 geil 147 518 Geiß 316* 1146 Geißbuhler 876 Geißhirt 455 Geißwolle 1037 Geist 206 316* 344 506 929 1048 1176 geistig 1062 geistlich 918 Geizhals 532 geknickt 602 gekränkt 585 Gelächter 432 gelackmeiert 566; /Lack* Gelage 316* Gelände 915 gelb 203 225 317* 352 1145 Gelbschnabel 225 Geld 109 138 175 212 248 267 272 317* 365 396 413 418 478 479 550 562 606 650 679 721 802 810 827 877 879 883 907 931 960 989 997 1006 1025f 1063 1073 1144 Geldkiste 861 geleckt 313 Gelegenheit 319* 334 813 gelehrt 166 168 320* 398 502 595 1027 geliehen 193 geloben 991 gemäht 1147 gemeinsam 784 Gemüse 351 Gemüt 320* genehmigen 320* geneigt 696 Generation 925 Genick 107 Genickfang 844 genießen 412 1109 1117 1185 genullt 876 geölt 142 313 Georg 320* 339 469 957 gerade 213 313 gerädert /Rad* geradestehen 1000 geraten 389 622 703 721 931 933 1051 1076 1097 1160 Geratewohl 321* gerben 264 587 846f 916 gerecht 790 Gerechter 839 Gerhard 321* Gericht 886 896 gerieben 40 gerinnen 147 gern 69 288 321* 1146 Gerste 364 Gerstenfeld 310 321* Gertrud 636 Geruch 321* gerührt 63 82 322* 842 1145 gerüttelt 44 Gesangbuch 322* 332 845 Gesäß 330 445 Geschäft 935 941 geschehen 958 gescheit 467 924 Geschenk 878 geschenkt 308 Geschichte 322* 758 882 geschieden 1177 Geschirr 322* 1033 1179 Geschlecht 844 908 geschlossen 1113 Geschmack 553 geschmatzt 380 geschmiert 313 geschmückt 731 geschnappt 322* geschniegelt 44 82 322* geschnitzt 431 Geschrei 1012f 25 323* 373 573 633 800 848 924 1074 1161 Geschütz 24 324* 928 Geschwindigkeit 51 gesegnet 589 Gesetz 176 325* 1118 Gesicht 49 64 69 79 125 135 216 227 240 248 250 255 302 309 321 325* 330 389 396 461 465 499 546 573 593 674f 691 719 822 f 841 845 847 873 888 964 1032 1146 1152 Gesichtspunkt 822 Gesichtszug 373 gespalten 1186 gespannt 273 297 922 1145 Gespenst 83 gespornt 1022 Gespräch 1077 gesprenkelt 1115 Gestank 1073 gestern 326* 532 gesund 168 216 225 276 326* 564 896 Gesundheit 342 763 getauft 637 getraut 119 Getreide 249 Getriebe 758 789 getroffen 842 getunkt 637 Gevatter 326* 509 876 gewachsen 415 gewagt 973 Gewalt 1066 Gewehr 326* Geweih 426 Gewerbe 124 326* Gewicht 327* 1117 gewichtig 1117 gewickelt 822 gewinnen 145 154 535 570 609 973 1099 1135 1160 Gewissen 226 839 935 gewogen 321 327* gewöhnt 170 Gicht 195 Gicks 327* 353 Giebel 847 988 gießen 128 331 520 539 569 583 699 760 858 895 1089 1127 1139 1173 Gießkanne 1032 Gift 38 109 144 204 300 327* 850 873 giftig 978 993 1188 Giftzahn 1170 Giritzenmoos 28 Gitter 69 Gix 1156 Glacéhandschuh 328* 434 Glanz 328* glänzen 481 835 954 972 Glas 154 328* 341 477 581 677 960 986 1067 1088f 1090 Glaser 1106 Glashaus 960 Glasschere 816 glatt 35 129 993 1186 1188 Glatteis /Eis* glätten 1136 Glatze 749 Glaube 769 1004 1086 glauben 329* 411 553 770 924 1017 1073 1132 1179 gleich 16 330* 1099 1146 gleichen 1167 gleichgültig 65 454 Gleis 330* 1118 Glied, Glieder 138 330* 520 Glimpf 44 Glocke 18 30 213 245 331* 581 845 847 1025 Gloria 328 Glosse 333* Glück 9 109 122 139 333* 864 931 1017 glücklich 1016 1047 Glückshaube 335* Glückskäppele 335 Glücksrad 758 Glücksstern 1017 Glückstopf 335* glühen 524 583 Gnade 80 126 335* Gnadenbrot 336* 971 Gnadenstoß 336* Gockel 984 1003 Godersprech 336* Gold 9 116 139 337* 656f 716 786 830 954 1086 1156 golden 172 176 299 337* 472 552 607 647 683 685 773 842 976 Goldschmied 199 337* 469 Goldwaage 338* 508 981 1117 1161 gönnen 782 919 1135 1161 gordisch 521 Görgen 467; /Georg* Gosse 339* Goethe 69 1112 Gott, Götter 22 101 103 127 153 162 194 203321 339* 354 398414423 506 521 582 589 606 617 690 722 734 846 907 932 940 943 1005 1032 1056 1069 1071 1091 1100 1118 1155 1176 1178 Gottesaffe 1069 Gottesfrieden 570 Gotteslohn 342* Gottlieb Schulze 342* gottlos 339 342* 404 770 Gottseibeiuns 1066 G rab 14 83112 229 244f 297 317 341 342* 581 657 759 767 782 861 918 923 1023 1025 1042 1046 1078 1104 1106 1147 1179 Graben 125 342* graben 342 352 Grabscheit 772 Grabschicht 821 grade 1112 Graf 779 Granat(e) 55 158 343* granatenvoll 1090 Granit 113 1236
Hechsel Gras 13 22 28 31 113 283 343* 355 377 393 453 1156 1179 grasen 1147 1173 grasgrün 71 1146 grau 101 233 246 347* 356 655 774 Graupen 347* 353 764 778 Grazie 347* greifen 101 124 181 384 395 460 470 494 522 530 610 650 804f 1017 1027 f 1041 1059 1112 1116 1140 1160 1172 1185 G re inaffe 635 Grenze 918 920 Griebe, Griefe 348* 538 G rien affe 635 Griff 211 348* 384 580 1145 Griffel 887 Grille 348* 445 470 638 659 754 764 1113 Grind 579 grinsen 433 521 grob 156f 377 741 879 979 Grobian 465 Groschen 217 350* 517 679 725 groß 109 215 277 297 331 f 406 446 945 1107 Größe 1016 Großkopfete 205 Großmutter 288 324 411 510 933 1073 1088 Grube 112 140 297 313 342 350* 857 1104 1176 Grübelnuß 691 Gruft 1177 Grummet 351 grün 13 109 136 146 160 317 351* 431 514f 531 600 654 684 774 845 877 941 1058 1077 1089 1157 1188 Grund 17 55 109 253 353* 784 Grundeis 70 353* 442 grundlos 934 grünen 56 Gruß 44 178 202 700 grüßen 340 385 443 1157 Grütze 347 353* 520 gucken 386 485 486 491 605 651 736 775 883 946 1017 1078 1123 Gulasch 361 Gulden 730 gülden 859 Guler 795 günstig 1016 Gurgel 353* 359 399 502 532 gurgeln 770 Gurke 249 353* 413 677 793 Gürtel 605 862 gürten 929 Guß 354* gußeisern 680 Gut 44 146 588 650 825 g ut, Güte 56109 122 146 154 211 313 354* 561 652f 674 680 859 895 935 1003 1016 1044 1081 1142 H Haar 15 25 30 77 79101 f 112 117 158 202 259 291 324 355* 374 399f 454 498 501 528 537 559 669 933 1051 f 1158 1160 1170 1183 Haarbeutel 25 358* 386 Habchen 44 359* 971 Habe 359* 399 Habedank 192 haben 309 359* 719 Habenichts 414 Haber 360* Haberfeldtreiben 152 Habermus 573 Habicht 148 290 960 Hacke 41 313 360* 520 1156 Hackelberg 360* hacken 368 431 522 538 788 846 1166 Häcker 360* Hackfleisch 361* Häcksel 361* 786 1106 Hafen 29 362* 522 547 632 808 814 1156 Hafer 204 302 360 363* 374 455 673 846 Haferfeld 310 Haferkiste 148 Hafersäen 1024 Hagel 365* hageln 843 877 Hagenau 729 789 Hagestolz 366* Hahn 59f 69 188 203 367* 412 443 524 530 533 577 779 884 984 999 1007 1102 1118 Hahneneier 63 Hahnrei 371* 426 434 435 437 759 Haken 373* 521 538 802 861 halb 222 1148 halblang 373* halbmast 373* Halbzeit 373* Hälfte 120 1044 Halfter 857 Halljahr 466 Hallo 373* Halm, Hälmlein 260 293 373* Hals 10 38 55 103 113 161 289 320 366 375*461 471 518 534 543 576 667 669 756 857 931 963f 1004 1014 1040 1088 1127 1187 Halsband 386 790 Halstuch 939 Halt 1000 halten 194 496 589 600 629 662 780 790 798 840 869 886 889 913 941 989 995ff 1006 1020 1038f 1044 1083 1102 1117 1127 1133 1180 haltlos 821 Hammel 377* Hammelbein 848 Hammer 24 114 378* hämmern 845 Hampelmann 83 Hanau 379* Hand 19 23 38 55 65f 76 100 106 111 147 1 69 181 f 204 211 253 270f 283 328 341 357 376 379* 386 405 415 433 459 486 562 603 639 641 661 674 678 732 753 770 780 810 842 848 850 881 885 927 929 962 970 974 9871010 10181021 1051 1059 1066 1093ff 1103 1121 1123 1134 1165 1182 1185 1189 Handbreit 203 Handel 44 handeln 136 979 1109 1185 Handfeger 83 handfest 207 385* Handhabe 385* handhoch 417 Handschrift 838 888 Handschuh 261 385* 828 835 Handschuhmacher 326 Handschuhnummer 848 Handtuch 462 Handwerk 385* 734 1154 Hanf 386* 940 Hangen, Hängen, hangen, hängen 23 44 55 94 285 331 376 386* 424 527 589 603 610 629 669 670 674 681 689 698 785 901 1041 1084 1172 hängenbleiben 874 hängenlassen 913 Hannemann 386* Hannes 386* 1120 Hans 67 131 191 193 334 387* 410 412 465 501 605 623 769 863 962 1118 1168 Hansdampf 19 657 hänseln 803 838 1021 Hans Immerdurst 1090 Hans-tapp-ins-Mus 663 Hanswurst 387f Happen 203 Harfe 388* Harke 24 388* 1174 Harnisch 26 389* hart 168 442 570 667 690 696 865 1011 hartnäckig 667 Harzerwald 54 Hase 24 78 292 389* 426 499 516 632 639 712 722 960 985 1155 Hasel 393* 691 Haselnuß 691 Haseneier 203 Hasenfell 516 895 1142 Hasenfett 866 Hasenherz 610 Hasenpanier 268 Hasenregen 511 hasenrein 837 Hasenschlaf 840 Häslaus 505 960 Haspel 846 Haß 951 hassen 1048 häßlich 516 883 1146 Hast 468 Hastrup 830 Hau 395* 396 419 841 1036 Haube 24 395* 459 461 Haubitze 395* haubitzenvoll 1090 hauchen 1151 hauen 28 56 162 203 231 312 395* 423 467 471 477 480 503 505 518 522 561 576 612f 622 663 695 698 713719749 788 858 879 881 1077 1090 1123 1171 1179 Häufchen 193 234 Haufen 17f 66 396* 470 810 Haupt 70 375 435 523 652 930 Hauptquartier 1179 Haupt- und Staatsaktion 397* Hauptwache 1118 Haus, Häuschen 14 23 30 37 55 88 109 169 188f 212 225 227 288 366 376 398* 414 423 431 630 689 719 733 764 767 789 820 859 874 876f 889 940 964 966 985 1004 1094f 1109 1145 1154f Hausnummer 1088 Hausschuh 576 Haut 23 55 84 109 264f 358 399* 474 515 520 562 612 621 695 714 835 895 982 1083 1177 Hautsalbe 866 Havas 402* Hax pax max 429 430 Hebel 402* heben 402* 420 496 691 789 827 853 1006 1010 1137 1169 Hebräisch 402* 516 Hechel 24 96 293 402* 472 476 781 1169 Hechsel 218 1237
Hecht Hecht 403* Hecke 404* 1114 Hederlin 245 Heer 66f 404* Hefe 342 404* Heft 405* 641 Heftelmacher 74 403 405* 877 1146 helfen 952 962 1017 hegen 44 Hehmann 405* 888 Heide 139 405* 510 Heidelberg 406* Heidelerche 406* 872 954 heidi 407* heil 401 612 Heiland 544 heilig 407* 427 478 932 Heiligenschein 603 Heiliger 37 185 297 339 407* 932 Heiligkeit 321 Heim 399 heim 407* 711 Heimat 408* 1176 heimgarten 308 heimgeben 568 heimkommen 499 heimleuchten 19 315 845f heimlich 408* heimschleifen 1184 heimzahlen 662 Hein, Heinrich 137 288 408* 1179 Heinzelmännchen 409* heiraten 693 930 939f heiß 146 154 210 231 410* 430 476 524 668 694 865 951 1013 1027 1158 heißen 410* 623 701 813 1184 heiter 941 heizen 694 Hektor 413 Held 709 Heldenstück 1044 helfen 111 341 618 632 712 727 737 783 895 943 955 961 986 988 1043 1076 1083 1085 1122 1173 hell 131 528 600 692 814 1145 Heller 55 201 410* 725 Helm 335 Hemd 203 410* 4Ï4 774 833 1119 Hemdenmatz 387 Hengst 726 Henkel 1082 Henker 411* 549 834 933 1066 1155 Henkersmahlzeit 23 248 411* Henkerssuppe 1050 Henne 193 225 290 370 412* 443 573 730 960 1007 1037 1102 Hep Hep! 412* her 423 herabsinken 1075 herangehen 413* heraufholen 1109 heraus 413* 492 882 herausbringen 1081 heraushaben 212 728 heraushängen 815 herauskriegen 1171 herausnehmen 353 herausrücken 255 983 1119 herausschlagen 23 318 herausstrecken 126 1187 herauswachsen 1110 herauswollen 983 herauszwicken 876 herbeiziehen 356 Herberge 431 Herbst 23 413* Herculanum 413* Herd 343 470 herein 696 874 1044; /Schneider* hereinkommen 425 hereinschneien 1160 herfallen 998 Hering 413* 493 1146 Heringsseele 217 herleiten 754 Herodes 737 Herr 10 1376312414* 512f 518 540 839 846 940 966 1145 1176 Herrgott 193 414* 420 486 544 900 1064 1088 Herrjeh 413 herrlich 414* Herrschaft 413 herrschen 1111 herumdrehen 532 1161 herumführen 675 herumgehen 493 herumreden 162 herumreiten 414* herumschleppen 950 herumspielen 677 herumtanzen 677 herumtreiben 1138 herumtrommeln 677 1091 herumwerfen 1019 herunterfallen 1085 herunterputzen 1155 herunterstimmen 787 hervorkehren 993 hervorrufen 703 1037 Herz 12 16 1953 94 109 112 135 161 230 280 320 380 385 415* 442 515 569 589 602f 610 656 685 808 861 896 919 927f 935f 965 975 993 1004 lOIOf 1031 f 1120 1186 herzählen 275 669 Herzbändel 41 herzen 44 Herzwurm 1164 Hesse 417* hetzen 448 Heu 204 218 319 325 351 393 418* 499 879 Heuchel 418* Heuhaufen 667 heulen 325 438 1158f heulend 233 Heulpeter 387 Heulsuse 1052 heurig 392 970 Hexe 61 139 344 418* 497 510f 641 947 1073 Hexenküche 1068 Hexenschuß 127 Hieb 419* 710 841 843 848 1020 1036 1085 1089 hier, hierher 56 420* 1003 Hilfe 639 Himmel 16 24 33 106 109 136 142 214ff238282302315 329 341 407 420* 551 582 591 605 611 612 629 650 662 717 764 843 846 874 888 902 932 949 964 1016ff 1025 1031 1088 1155 1176 himmelblau 1146 himmeln 1176 himmelschreiend 888 himmelstürmend 1017 hin 56 423* hinauffallen 1085 hinaufklettern 1120 hinaus 423* 696 hinausjagen 1062 hinausschießen 1181 hinausschmeißen 1062 hinaustreiben 1062 hinauswerfen 1043 1062 Hindustan 722 hineinfressen 1073 hineinkriechen 424 Hinkebein 159 Hinkefuß 159 Hinkel 997 hinken 424* 448 876 942 hinkend 158 hinlegen 608 1058 hinschicken 722 hinschmeißen 752 hinschwinden 806 hinten 424* 425 449 902 hinter 651 695 897 Hinterbeine 424* Hinterer 70 Hinterhand 424* Hinterhaus 531 hinterlassen 988 hinterlistig 424* Hintermeier 424* Hintern 51 69 321 407 424* 444 445 608 652 727 847 858 1042 1096 1133 Hintertreffen 424* Hintertupfingen 182 Hintertür 425* Hinterviertel 215 hinweggehen 1087 hinwerfen 168 Hinz 408 425* Hiob 65 425* Hiobspost 742 Hirn 216 425* 1164 Hirngespinst 62 979 Hirnkasten 847 Hirnwurm 1113 Hirsch 180 425* 985 Hirschauerstückchen 830 Hirt 109 1157 historisch 426* Hitze 217 Hitz gi Hätz gi 361 hitzig 727 hobby-horse 1000 Hobel 69 131 426* 854 1102 hobeln 432 hoch 56 109164 170 232 308 364 369 422 427* 461 670 675 684 932ff 1006 1060 1084 1136 1169 hochgeschoren 818 hochkommen 470 hochnäsig 675 hochspringen 1121 Hochtour 427* Hochwasser 427* Hochzeit 411 427* 510 573 623 1154 Hochzeitsstrumpf 428* Hochzeitszug 511 hocken 395 681 1044 1089 Hof 186 399 428* hoffen 109 Hoffmannstropfen 434 Hoffnung 254 428* 1004 1127 Höflichkeit 922 Hofnarr 672 Höhe 428* 824 1120 höher 143 hohl 106 362 381 385 394 1168f Höhle 25 609; /Löwe* Hokuspokus, hocus pocus 67 429* holen 49 528 770 834 876 932 994 1017 1061 1065 f 1083 1105 1119 1124 Holland 430* holländisch 287 Holle 430* 510 [1129 Hölle 228 271 281 421 223 430* 466 510 512 730 818 895 932 965 1091 1238
Kante höllisch 505 holterdipolter 249 Holtfast 519 Holz 163 281 294 352 431* 487 693 843f 1091 1169 Holzbein 1128 Holzbirne 1177 Holzbock 1148 Hölzchen 432* Holzeimer 609 hölzern 117 465 1166 Holzhammer 432* Holzhausen 1178 Holzkiste 609 Holzmacher 288 Holzmann 432* Holzrock 1178 Holzschlegel 1173 Holzweg 432* Homer 432* homerisch 564 Honig 22 101 124 145 228 249 260 433* 538 630 646 769 866 1139 Honiglecken 587 Honneurs 33 Hopfen 55 433* Hopfensack 960 Hopfenstange 997 Hops 434* 1178 horchen 622 hören 56 278 344 434* 550 581 641 793 846 919 954 1114 Horizont 434* 954 1118 horizontal 327 Horn 28 41 44 132 147 244 288 316 371 376 418 426 434* 553 651 759 870 938 1024 1033 1036 1041 1097 Hornaffe 635 Homberg 25 438* Hose 69 113 215 287 325 373 401 415 440* 459 463 472 679 709 713 774 809 f 846 874 901 1003 1026 1037 1155 1178 Hosenboden 445 Hosenknopf 203 725 Hosenkoch 157 Hosenpauker 996 Hosentasche 94 630 Hosenträger 442* Hosianna 442* hott 204 442 hü 109 442* hüben 44 Hucke 177 442* 612 847 1090 Hückup 361 Hufeisen 442* 1112 Hufschlag 442* Huhn, Hühnchen 62 83 123 139 223 225 325 369 443* 553 565 664 681 690 852 884 888 923 1007 1133 Hühnerauge 113 297 444* Hühnerleiter 444* Hühnerstall 290 Hülle 12 44 444* hüllen 922 Hummel 349 424 445* 470 605 Hund 12 82 148 178 182 202 f 208 226 243 245 283 313 344 369 390 403 417 445* 493f 499 521 f 553 569 574 582 588 610 614 641 649 656 664 694 698 722 726 730 749 787 790 810 816 833 835 843 852 858 864 869 889 914 942 1003 1048 1071 1111 1138 1143 1155 1174 1178 Hundehütte 971 1145 Hundeloch 606 hundert 453* 464 693 1057 1061 1108 hunderttausend 26 Hundeschnauze 453 454* 476 Hundeschwanz 1116 Hundestall 476 971 994f Hundetragen 497 Hundsfott 202 Hundshaare 453 454* Hundshafer 455* Hundsloden 455* Hunger 9 55 171 213 455* 863 917 1146 hungern 56 Hungerpfote 456* 733 Hungertuch 18 456* 862 hungrig 820 hüpfen 10 34 203 289 313 457* 638 691 Hure 1092 huren 994 1062 Hurenhochzeit 511 Hurenkind 511 husten 9 131 169 283f 457* 616 Hut (der) 199 335 457* 479 665 728 826 911 970 978 1113 Hut (die) 461* hüten 64 122 246 283 792 885 924 975 1130 f 1186 Hutschachtel 506 Hutschnur 10 23 376 461* 881 967 Hütte 107 328 431 462* 1179 I i 462* 1094 ich 462* Idee 31 Of 462* 831 989 Igel 180 462* 793 869 993 1145 Igelshaut 769 illuminieren 1089 impfen 657 Initiative 12 Innung 463* in petto 222 intus 463* Irdisches 398 1176 Irren 14 J ja 55 463* Jacke 31 352 442 457 463* 638 740 774 879 1088 1120 1123 1166 Jackenfett 844 866 Jaffa 463* Jagdgründe 31 1179 Jagdhund 843 jagen 150 353 426 502 532 738 884 977 1065 1087 Jägerlatein /Latein* Jahr 55 121 203 215 251 393 463* 474 601 617 729 780 784 871 963 1055 1122 Jakob 464* Jammer 126 1048 jammern 204 445 1012 Jan 418 465* Januar 965 jäten 307 je 106 Jegerl 413 Jekus 413 Jerum 413 Jenseits 1176 Jericho 741 Jerum 413 Jessas 413 Jesses 413 Jesulein 1176 Jesum 1088 Jesus 575 Job 65 Joch 465* 714 jodeln 554 Johannes 63 465* 623 700 Johannis 414 Josef 1052 Jota 462 Jott we de /J.w.d.* Jubeljahr 466* jubeln 1142 jucken 176 537 698 780 846 Judas 65 255 321 466* 957 Jude 176185 336 467* 823 995 1026 1073 1178 Judenküche 321 Judenschule 469* 573 Judenspieß 469* 975* jüdisch 641 jung 54 113 469* 677 1131 Junge 337f 469* Jungfer 511 985 1040 1058 1090 Jungfrau 234 469* Junggeselle 228; /eingefleischt* Jürgen /Georg* J.w.d. 469* K Kachel 470* Kachelofen 470* 918 Kacke 470* 472 kacken 455 Käfer 113 217 470* Kaffee 470* 514 539 Kaffeebohnenzerbeißer 347 Kaffeewasser 847 Kahn 471* 576 1084 Kaiser 17 102 109 357 471* 497f Kakao 10 84 212 342 472* 944 Kaktus 228 472* 1146 Kalb 22 57 78f 84 109 174 204 215 472* 554 657 800 954 985 1058 Kälbermagen 769 kälbern 693 995 Kalbfell 473* Kalbfleisch 554 Kaldaunen 474* Kalendas Graecas 474* Kalender 330 474* 884 Kalenderwetter 1108 kalfatern 847 Kalkwand 1134 Kalmäuser, kalmäusern 474* Kalmus 475 kalt 132 144146 155 231 297 454 470 475*661 761 899 1035 1127 1129 kaltmachen 1083 Kamel 49 343 579 659 668 939 1090 Kamerad 93 Kamillen, Kamellen 476* Kamin 248 271 476* 884 Kaminkehrer 918 Kamm 90 368 476* 478 594 816f Kampf 441 1176 kämpfen 117 1113 1121 1153 Kanaan 984 Kanal 249 477* 1088 1090 Kandare 477* Kandelberg 568 Kanne 477* 553 1032 1090 Kanone395477* 656792*970 1032 kanone(n)voll 1089f Kante 222 478* 1239
Kanthaken Kanthaken 477 478* 841 Kantonist 478* 1103 Kantor 954 Kanzel 479* 605 Kanzlei 737 Kanzlern 250 Kap 428 Kapee 479* Kapelle 1069 kapern 1005 Kapital 24 318 479* 847 Kapitel 479* 597 623 kannrp«: 479* Kappe 44 140 215 395 438 479* 649 665 672 1089 Kappengeld 561 Kappes 218 523 Kappeskopp 847 Kapriolen 480* 1154 1180 kaputt 480* 1146 Kapuze 335 649 Kapuziner 480* 1090 Karaun 1036 karbatschen 845 Karbenade 848 Karbol 481* Karfreitagsratsche 393 481* 762 1025 Karfunkel 481* kariert 808 Karnickel 481* Karnickelmachen 313 Karpfenteich 403 Karre(n) 212 483* 567 858 1118 Kartause 484* Kartäuser 484* Karte 22 24 485* 812 861 903 973f 1021 1051 1162 Kartell 854 Kartenspiel 854 Kartoffel 487* 773 Karton 487* Karussell 487* 1088 Käse 130 162 463 487* 493 573 641 865 989 Kasse 220 807 908 919 1075 Kassel 37; /ab* Kastanie 9 25 271 325 488* 500 733 850 Kasten 204 490* 519 640 Kater 490* 492 500 1090 1146 Katharine 490* katholisch 491* 846 Kattun 491* Katze 10 12 25 28 49 84 148 162 193 203f 208 215 f 240 255 267 287 302 313 366 368 390 413 419 447 488f 491* 553 573 575 585f 614 661 730 786 793 813 840 864 877 950 955 986 999 1033 1061 1086 1088 1111 1133 1156f 1190 Katzendreck 203 Katzenjammer 358 454 490 Katzenmachen 877 Katzenschwanz 202 304 498 500* Katzenwäsche 501* Kauderwelsch 501* kauen 160 168 668 1053» Kauf 24 501* 564 kaufen49479f 491 501 * 710 713 783 793 983 997 1062 1155 Kauz 502* Kaviar 498 502* Kegel 29 506; /Kind* kegeln 717 Kehle 502* 518 641 699 756 866 954 1088 1090 1127 1162 Kehrab 502 Kehraus 305 502* kehren 56 780 975 993 1008 1044 1062 1096 Kehricht 202 211 503* Keile 843 847 Keim 1147 Kelch 404 Keller 104 387 503* Kellerrecht 23 Kellertreppe 503* 569 Kellner 522 kennen 669 710 728 739 754 783 856 861 941 1058 f 1083 1087 1142 kennenlernen 806 941 Kerbe 503* Kerbelsuppe 503* Kerbholz 11 18 59 256 503 504* 526 576 667 760 967 Kerl 96 107 250 505* 854 Kern 690 750 801 Kerze 668 1069; /Licht* Kerzenfabrik 13 Kerzenlicht 883 Kessel 792 1041 Kesselfang 380 Kesselflicker 505* 819 832 1146 Kesselschmied 573 Kette 55 330 Kettenhund 1086 Ketzer 889 933 Keule 834 Keulen 845 keusch 147 1052 Kevelaer 193 Kiefer 315 Kieker 504 505* 531 775 Kielwasser 505* Kien 505* Kienapfel 249 Kieselstein 740 killen 1083 Kimmung 417 Kind 9 22 29 52 79 90 99 109 113 161 174 193 204 207 212 225 308 316 410 462 502 506* 518 632 646 665f 765 807 823 864 907 994 1003 1066 1106 1110 1132 1147 Kindesnöte 889 Kindfell 335 Kindsmagd 290 Kindsnetzlein 335 Kinken 508* Kinkerlitzchen 279 508* Kippe 508* 838 1117 1154 kippen 895 1015 Kirche 55 203 209 332 509* 581 700 780 946 1024 f 1067 1069 1089 Kirchenlicht 599; /Licht* Kirchenmaus 13 65 425 455 509* 637 1146 Kirchhof 782 Kirchhofschlappe 1178 Kirchturm 612 Kirchturmfahne 1152 Kirchweih 69 510* 1168 Kirmes 28 31 430f 510* 569 597 847 871 1074 Kirschbaum 1106 Kirsche 512* Kirschkuchen 730 Kissen 430 513* 1072 Kiste 109 204 513* 577 807 1026 Kitt 513* kitzeln 564 696 klabastern 845 klagen 204 694 1011 f 1023 Klammerbeutel 217 513* Klammersack 659 klamüsern 474* Klang 789 Klappe 282 396 513* 1035 klappen 513* 518 566 Klapper 513* klappern 1169 Klapperstein 58 Klapperstorch 1132 klappsen 845 Klaps 498 514* klar 1482 130 158 173514* 517f 621 1051 1076 1145 f Klärchen 514 klarmachen 996 klauben 260 778 Klaue 438 klauen 680 1005 Klavier 514* 1060 kleben 328 514* 517 566 1097 1121 1187 klebrig 275 382 Klee 344 352 514* 1146 Kleid 515* 572 607 649 651 kleiden 888 klein 151 275 278 516* 561 895 Kleingeld 1088 Kleinholz 516* 518 Klemme 129 516* 1076 1096 klemmen 350 Klette 517* klettern 738 Klicker 520 Klimbim 573 klimpern 1149 Klinge 73 517* 641 979 985 997 klingeln 517* klingen 698 klingend 663 812 Klinke 214 517* klipp 12 109 514 517* klopfen 124180 275 348 395 404 547 601 691 812 845f 898 914 916 1059 Kloppe 516 Klopstock 1109 Kloß 78 518* 520 Kloßbrühe 14 514 1051 1145;/klar* Klosterbrühe 514 Klosterkatze 500 518* Klotz 112 193 431 518* 522 986 1003 Kluft 23 518* 801 klug 225 292 500 528 798 850 901 906f 924 Klugscheißer 810 Klump 518* Klunkertunke 514 Knabe 679 knacken 690 916 Knacks 986 Knall 12 44 217 254 518* Knalleffekt 519* knallen 471 576 Knallschote 844 Knecht 616 Kneifzange 442 960 kneipen 611 680 knickern 833 Knie 112 127 161 175 519* 605 651 Kniekehle 614 knien 240 406 411 671 Kniescheibe 1110 Kniff 783 Kniphausen 519* Knippken 878 knipsen 846 knirschen 1169 knistern 308 519* knitterfest 680 knitterfrei 680 Knochen 138 264 400 520* 621 667 845 847f 1240
Labbes Knochenmühle 660 knödeln 518; /Kloß* Knödeltenor 518 Knöllchen 748 Knopf 78 520* 677 695 979f Knopfloch 216 521* 1084 Knospe 848 Knoten 113 129 250 520 521* Knubbel 847 knuffen 845 Knüppel 112f 518 521* Knüppeldamm 1027 knüppeldick 205 695 knüppeln 845 knurren 614 750 Knüttel 521 f Kober 522* 530 Koblenz 686 Kobold 522* Kobolz 522* Koch, kochen 173 289 362 366 396 455 522* 549 793 1051 1061 1082 1127 Köcher 724 Kochlöffel 119 Kochstück 396 719 Kochtopf 123 Kohl 249 476 522* 538 944 Kohldampf 521 523* Kohle 71 202 403 523* 667 783 806 884 887 918 960 962 1003 Köhlerglaube 524* Kolbe 525* Kolleg 834 Köln 419 1036 Kolumbus 225 komisch 407 502 1115 Komma 688 kommen 56164 215313395 856 870 902 931 933 943 957 968 983 1035 1039 1135 1162 1183 1185 Kommode 848 Kompanie 228 König 525* Königreich 525* Konjunkturritter 45 können 525* 669 Kontenance /Contenance* Konto 526* Kontor 842; /Schlag* Konzept 526* Köpenick 830 Kopf 22 55 66 109 124 129 131 163 173 177f 181 189 199 205 214ff 235f 241 276 280 296 320 347 349 353 358 361 364 375 381 385 414 418 423 426 431 445 458f 461 465 469 520 526* 532 562 575 578f 600 604 621 638 656 658 665 670 681 698f 719 724 727 754 757 762 764 774 778 783 786 811 844 846ff 857f 877 887 894 900 915 928 938 969 f 982 987 f 992 1002 1008 1027 1030 1034 1036 1042 1044 1060 1064 1082 1113 1121 1123 1127 1133 1139 1156 1164 1178 1182 Kopfgroschen 844 kopflos werden 1015 Kopfnuß 691 Koppheister 596 kopulieren 1040 Korb 170 214 218 281 328 367 528* 1127 Korinther 713 Korn 10 83 204 217 282 345 363 393 505 530* 567 658 665 775 890f 1003 1038 Körnchen 203 Körper 804 Korsett 531* Kost 1078 kosten 269 376 411 479 532 553 565 570 680 710 723 926 997 1057 1107 1137 1155 1182 Kostgänger 414 Kostnitz 531* kostümiert 401 Kot 246 483 926 Kotzebue 531* kotzen 727 769 1004 1082 Krach, krachen 531* 916 Kraft 763 1004 1106 Kragen, Kragenweite 461 528 532* 709 1061 1065 1127 Krähe 249f 419 444 502 532* 888 1099 krähen 369f 412 498f; /Hahn* Krähenhütte 1099 Krähwinkelei 533* krallen 1005 Kram 235 533* 810 Kranich 292 313 534* krank, Krankheit 195 534* 564 589 851 Kränke 534* 928 kränken 146 Kranz 395 535* Kranzwirtschaft 768 kratzen, Kratzfuß 537* 554 585 Kratzer 739 kraulen 101 kraus 537* kräuseln 1171 Kraut 25 28 55 135 203 218 348 396 523 537* 579 737 779 824 970 1051 1166 Krawatte 373 386 539* Krebs 82 344 539* 730 779 1041 Kredit 540* Kreenfleisch 846 Kreide 60 63 208 504 541* 884 887 1134 1154 1167 kreidebleich 1121 Kreis 542* Kreissäge 869 Krems 952 Kren 542* 639 krepieren 895 1178 Kresse 82 Krethi und Plethi 44 542* Kreuz 329 407 423 543* 567 1164 kreuzen 517 Kreuzer 317 660 968 kreuzweise 1084 kriechen 150 424 513 544 592 638 870 1112 Krieg 1172 kriegen 113 269 534 544* 565 658 665 674719 839f857f 860911 976 1041 1061 1085 1149 1160 1181 Kriegsbeil 31 110 544* 1037 Kriegsbemalung 545* Kriegskasse 545* 747 Kringel 545* 547 1178f kringeln 165 Krippe 545* Krips 545* Kristall 14 Kritik 656 792 993 Krokodilstränen 17 22 545* Krone 37 255 546* 716 1088f 1168 krönen 246 435 792 Kronleuchter 598 Kropf 413 1080 Kröte 376 985 1116 Krücke 313 Krückstock 141 Krug 547* 639 1088f krumm 56 236 273 275f 300 547* 552 567 760 793 845f 853 986 1046 1083 1085 1129 krummbuckeln 499 krümmen 35 355 548* 564 1073 1136 1146 1163 krummlachen 822 Krummstab 990; /Stab* Krüppel 846 Kruzitürken 413 Kübel 270 278 399 Küche 109 169 392 549* 753 764 903 1068 Küche n 88 155170 548* 740 768 778 959 1143 1184 Küchenmeister 862 Küchlein 412 Kuckuck 149 225 550* 818 10661070 1101f 1155 Kugel, kugeln 313 551* 976 1040 Kugelfuhr 552* Kuh 28 30 32 38 56 84 139 174 193 204 215 217 246 249 287f 310 375 402 424 552* 565 575 646 664 693 726 793 820 994 1014 1024 1083 1088 ff 1111 1146 1156 1179 Kuhhaufen 19 558 Kuhhaut 10 19 25 28 58 556* 1050 Kühjunge 877 kühl 144 353 454 Kuhle 558* Kuhscheiße 558* Kuhschwanz 82 203 Kuhstall 781 994 Küken 204 Kulissen 559* 829 Kümmel 559* Kümmelspalter 347 Kummer 559* 978 kümmern 211 689 729 753 810 1066 Kümmernis 559* 1093 Kummerspeck 971 Kummertuch 457 kund 1156 Kunkel 667 1139; /Nadel* Kunst 560* 711 765f 807 919 939 Kunststück 1044 Kunz 425 Kupferdraht 680 Kupferstecher 288 560* Kuppelpelz 560* Kur 595 Kurbaum 561* Kürbis 17 528 Kurve 537 760 796 kurz 56ff 109 178 235 237 275 374 411 444516518 528 561*641 680 748 823 846 879 901 1185 Kurzschluß 596 Kuß 380 562* 1004 küssen 69 109 341 562* 665 708 780 Küste 827 Küster 332 1048 Kutschenpferd 1030 Kutscher 562* Kutte 1089 Kuttel 1090 Kuvert 563* K-v-Maschine 563* L I 563* Laban 563* 572 Laband 563 Labander 563 Labbatsch 563 Labbes 564 1241
Labet Labet 564* Labhäublein 335 Labommel 563 lachen 56 77 101 106 124 165 169 171 212 222 239 257 274 286 325 334 443 480 491 525 534 545 547 552 f 564* 616 808 824 954 1133 1148 lachend 239 Lachs 565* 987 1026 Lack 316 565* 577 Lackaffe 82 Lackel 566 Laden 170 205 501 f 566* 577 laden 119 140 510 567* 775 822 928 1050 1089 Ladenhüter 567* 959 Ladenschwengel 567* Ladestock 119 567* Ladung 1089 Laffe 564 567* Lage 822 Lager 568* lahm 499 lähmen 1187 Lahmer 142 Laib 568* Laie 999 Lakeband 563 Lakes 564 lala 313 Laienburg 1036 Lametta 185 568* Lamm 377 483 568* Lämmerschnee 569* Lämmerschwanz 417 Lämmerschwänzchen 569* Lämmerstag 569* Lampe 289 563 569* 583 699 1090 1179 Land 55 109 340 570* 689 888 1019 1025 1103 1177 Landfrieden 570* Landgericht 847 Landgraf 570* ländlich 571* Landluft 571* Landpomeranze 741 Landsknecht 571* 933 Landstrich 1038 lang 56 101 156 234f 237 251 264 275 375f 465 561 594 596 614 674 678 787 1056 1106 1169 1172 1185 Langeweile 1093 langsam 870 langweilen 655 langziehen 377 Lanze 26 161 571* 975 Lappen 17 24 27 109 137 572* 576 läppern 572* 1188 Lappland 871 Lappländer 564 Lappschwanz 569 Larifari 572* Lärm 140 469 573* 741 Larve 326 573* 622 lassen 566 597 680 931 974 1019 1160 Last 574* Laster 66 563 657 Lasterstein 58 1010 Lastwagen 611 Latein 309 574* 1110 1134 Laterne 141 162 569 575* 650f 964 1152 Laternenpfahl 13 459 575* 1173 Latsche 576* 895 962 Latte 564 572 576* 593 Latüchte 598 Latz 471 576* Laube 513 566 577* Laub-Ober 193 Lauch 202 Lauf 207 1123 1177 1186 laufen 53 180 183 256 331 389f 425 505 576 577* 674 700 739 758 822ff 870 873 898 947 962 975f 1073 1078 1083 1120 1123 1147 1162 Laufen bürg 577* laufenlassen 483 Lauffeuer 271 313 577* Laufmasche 577* Laufpaß 151 577* 711 896 Lauge 526 578* laugen 846 launisch 64 Laus 12 19 22 83 193 202f 283 303 348 578* 582 585 601 714817 833 840 871 946 960 992 1086 lausen 49 525 714 846 Lausewenzel 803 laut 1091 Laute 203 242 580* läuten 331 f 393 449 509 581* 664 793 884 954 1143 Lautenschlagen 241 Lautenschläger 242 Lazarus 65 Leben 16 55 83 147 165 168 177 213 286 341 581* 583 588 637 753 775 792 801 834 934 973 1004 1026 1100 1160 1176 1179 1185 leben 22 56 214 297 339f 409 444 484 505 542 581* 611 767 794 831 880 900 947 962 1005 1027 1056 1085 1091 1115 1136 1151 lebend 589 lebendig 582* 846 Lebensfaden 1176; /Faden* Lebenslicht 132 252 583* 601 1179 Leber 22 83 174 204 283 564 579 584* 867 906 1090 Leberwurst 1166 Lebkuchen 1052 Lebtag 203 Leck 826 leck 825 lecken 38 68 146 154 208 274 389 497 f 585* 608 972 1059 Leder 264 450f 587* 847 905 1180 ledern 847 ledig 930 leer 328 381 385 477 903 Leerdieschüssel 863 leeren 621 legen 231 386 401 544 566 574 576 622 647 698 772 802 804 857 900 903 935 1009 1093 1129 1146 1153 1179 1186 Lehmsuppe 1051 Lehre 338 591 lehren 49 248 315 656 930 969 1106 1114 Lehrgeld 588* 899 Leib 29 55 83 111 139 146 222 253 257 364 407 411 474 520 566 588* 672 714 846 888 890 896 1024 1044 1057 1063 f 1066 1082 1088 1134 1185 Leiche 265 589* 779 969 Leichenrede 14 611 Leichenstein 265 leicht 26 248 273 327 808 899 941 974 1094 1115 1186 Leichtsinn 903 Leid 162 590* 694 1011 Leiden 83 234 590* 1080 leiden 963 leidlich 313 Leier 242 315 591* 601 787 leiern 1164 leihen 1128 Leikauf 592* 1090 Leim 17 325 457 516 592* 713 881 1114 Leimstange 576 Leine 210 594* 1041 Leineweber 281 Leipzig 60 641 leise 963 Leisten 23 264 304 594* 894 905 leisten 595* 883 1044 Leistung 595* 882 leiten 1017 1124 1130 Leiter 595* Leitfaden /Faden* Leitung 26 563 596* Lektion 596*f Lerche 149 444 596* 1060 Lerchenfeld 432 lernen 32 101 402 930 lesen 175 242 596f 739 924 1016 1027 1074 1175 Letzt 596* letzte 597* 1047 letzter 622 Leuchte 131 185 597* leuchten 408 599 1017 1089 Leuchter 599 Leuchterweibchen 631 leugnen 1012 Leute 120 597* 662 835 852 890 983 1076 Leutnant 238 511 597* Leviten 40 315 358 479 559 585 596 597* 712 739 845 1074 Licht 13 16f 26 131 185 192 251 291 296 341 352 505 509 575 583 597 598* 658 668 779 804 808 822 896 936ff 964 966 995 1003 1056 1069 lichten 1010 Lichtenau 1036 Lichtenstein 920 Lichtlein 583 lieb 56 106 462 506 591 686 Liebe 29 37 139 582 619f 730 lieben 109 1173 lieber 12 601 * 614 622 776 993 1132 Lied 56 236 315 551 591 601* 954 956 liederlich 1040 liefern 601* 641 1044 liegen 106 146 163 230f 235 375 520 603 610 667 677 691 697f 719 788 809 853 884f 900 960 962f 1003 1033 1041 1059 1076 1136 1162 1184 Lieschen 700 Lilie 602* lilienweiß 1146 Lim mat 1123 Lineal 84 119 567 links 31 112 297 381 385 602* 698 Linse 155 717 Lippe 603* lirum-larum 573 List 760 Liste 918 listig 292 850 Lob 1004 loben 212 358 514 622 1056 1082 Loch 29107 124132 162 213 215 280 290 325 345 428 438 519 562 572 603* 638 691 712 717 724 748 754 768 790 793 810 823 840 945 1056 1058 1089f 1152 1171 1173f 1181 1242
Mondschein locken 254 309 592 682 1104 locken 992 locker 606* 670 886 1033 1115 1185 Lockeule 250 Lockvogel 606* Loden 455 Lödlein 607* Löffel 82 96 216 228 288 299 587 607*847 867 968 1082 1134 1179 Löffelstiel 589 Lohfeuer 577 Lohgerber 608* Lohn 808 lohnen 365 Lokal 834 1059 Lokomotive 26 869 Lorbeer 608* Los 609* los 106 609* 887 1063 1111 1114 löschen 1165 losdreschen 846 loseisen 609* lösen 521 748 1186 losgehen 430 713 1058 loslassen 640 1031 Lot 139 539 609* löten 609* 1090 lotsen 609* Lotterie 609 Löwe 101 173 429 451 453 455 522 609* 788 1100 Löwenhaut 242 Lübeck 1079 Luchs 74 78 610* 1146 Lüchterpiep 700 Luder 794 Lüderjahn 837 Luft 205 214 582 605 610* 680 753 859 902 987 1025 1035 1091 1151 lüften 853 1113 Luftschloß 11 107 136 486 611* 650 Lug 44 Lüge 979 lügen 1444 92 123f 136 180214240 376 402 421 611* 677 687 1005 1066 1073 1146 1171 Lügenbrücke 172 612* Lügengewebe 62 Lügenmaul 630 Lügenmeister 14 Lukas 612* Lulatsch 564 Lumen 599 Lumpen 507 613* 1058 lumpen 613* Lunte 613* 772 Lupe 505 613* Lust 12 553 591 lustig 172 233 401 1115 lutherisch 614 Lüttmann 83 M Machart 614* Mache 614* 846 machen 671 681 machtlos 1113 Mädchen 126 959 985 Made 78 579 582 614* 637 960 970 madig 614* Magen 12 78 138 463 493 614* 740 820 911 927 964 1064 Magengrube 841 Magenpflaster 732 mager 538 964 mäh 204 mähen 1034 1147 Mahl 755 mahlen 615* 640 660 1184 Mahlzeit 616* 657 Mai 616* Maienostern 729 Maikäfer 82 616* Main 616* 730 1123 Makulatur 616* malen 347 616* 829 917 f 1065f 1082 1134 Maler 883 Malz 125 433 Mameluck 664 Mammon 616* Mangel 616* 632 Mann 54 109 126 189 212 251 339 340 375 414 471 507 617* 676 686 698 721 756 761 825 919 928 943 968 985 997 1046 1059 1080 1122 Mannschaft /abtakeln* Manschette 300 618* Mantel 22 45 134 136 212 253 461 591 618* 780 826 885 999 1119 1153 Marder 889 Marderfangen 203 Mark 26 55 111 218 620* 725 Marke 1120 markieren 617 1149 Ma rkt 100 264 f 287 400 509 621 * 885 919 1180 Marktwisch 1155 Markus 621 Marotte 1164 Marsch 132 622* 858 Martin 622* Martini 729 Masche 622* Maske 326 573f; /Larve* Maß 55 287 538 868 874 Massengrab 12 622* mäßig 313 Maßstab 992 Matratze 123 622* matt 282 945 Matte 622* Matthäi 1179 Matthäus 465 622* Mattscheibe 623* Matz, Mätzchen 193 623* mau 623* Mauer 1003 1178 Maul 16 29 33 132 161 239 257 280 302 308 325 340 348 374 387 432f 481 554 586 597 629* 635 640 660 ff 709 756 808 847 852 854 859 866 873916 929 970f 978 993f 998 1024 1053 1060 1123 1127 1170 Maulaffe 10 18 51 193 298 568 631* 700 Maulauf 631 maulfaul 659 661 Maulschelle 843 Maulsperre 635* Maulwurf 139 635* 1146 Maulwurfshaufen 659 Maurer 751 Maurerschweiß 761 Maus 37 83 116f 141 193 203 240 253 325 349 493ff 511 614 617 635* 637 639 763 813 869 923 971 1025 1113 Mäuschen 203 mäuschenstill 1025 Mauseloch 681 mausen 726 1005 mausig 639* Mecklenburg 639* Meder 325 Medizin 564 Meer 162 249 471 639* 788f 826 931 1091 1123 Meerrettich 193 639* Megarertränen 545 Mehl 132 630 637 640* Mehlsack 341 385 Mehlspeise 640* Mehlsuppe 14 514 Mehlwurm 1178 Mehrzahl 1097 meiden 591 1048 Meier 410 Meile 291 1026 Mein 413 mein 44 Meinung 315 640* 687 Meise 640* Meißen 469 Meister 421 735 874 933 melken 147 412 444 638 693 696f 1084 Melodie 591 Menge 640* 764 mengen 485 974 Mensch 12334 426 638 640* 911 935 1156 Menschengedenken 1155 merken 332 390 638 800 Mesner 444 1178 Messe 502 640* 700 messen 235 426 847 1034 Messer 74143 419 502 553 641 * 777 837 873 889 1153 1181 Messerheld 709 messerscharf 1146 Methusalem 54 Metzgersgang 281 641* Michel 418 642* Miene 9 645* 974 985 Milch 13 83 I46f 253 358 493 553 645* 665 Milchbart 317 Milchmädchenrechnung 646* 968 Mine 646* 985 Minna 646* Minne 465 1004 Minute 729 mir nichts, dir nichts /nichts* mischen 161 364 485 Missionsfest 647* Mist 145 202f 257 307 367 444 647* misten 994f miterleben 759 mitmischen 485 mitnehmen 782 1005 1121 mitreden 1162 mitspielen 647* 974 1098 1107 Mittag 75 199 234 333 581 883 978 1099 1190 Mitte 36 266 647 Mittel 55 647* mittelmäßig 313 mittelprächtig 313 Mittelweg 337 647* 1130 mitten 582 Mittwoch 729 Möbel 648* Mohr 249 648* 897 1041 1134 Möhre 795 Mohrenwäsche 1134 Mohrrübe 1104 Molli 649* Mombotz 661 Mönch 649* 785 812 Mond 215 227 649* 846 859 964t 1099 Mondkalb 652* Mondschein 69 1243
Monogramm Monogramm 652* Monstranz 652* Montag 24 53 137 652* Moos 655* 657 Mops 368 649 655* Moral 154 Mord 55 979 Mördergrube 415 656* Mores 345 649 656* 657 Morgen 978 morgen 876 Morgenluft 656* Morgenstunde 656* Moritz 26 656 657* Morpheus 657* Moses 472 655 657* Most 104f 655 1133 Mosthannes 657* Mostrich, Mostert 657* 802 Motor 1180 Motte 349 600 658* 1113 Mottenkopf 349 Muck 531 658* Mücke 233 282 287 316 344 349 470 579 658* 775 981 1113 Muckefuck 659* Mückenfett 63 Mucks 203 müde 699 926 Muff, Muffe 217 659* muh 204 Mühe 55 313 648 Mühle 514 531 615 659* 786 845 1010 1124 1147 Mühlrad 1090 Mühlstein 252 937 1010 mühsam 226 Mûlâpen, Mulâpen 634 Mülhausen 1036 Müller 203 444 Mülleresel 889 Müllerknecht 246 mulmig 660* 778 Mummelputz 661 Mumpitz 661* Münchhausen 14 Mund 43 55 78 86 132 168 170 341 374 381 385 433 459 476 493 547 607 614 629ff 640 646 661* 677 765 822 847 852 858f 866 869 882 927 929 984 987 1024 1053 1060 11141121 1127 f 1161 f 1186 mundtot 662* Mundwerk 481 munter 53 370 425 937 Münze 10 547 662* murmeln 1031 Murmeltier 762 840 Mus 250 494 663* 846 1051 Muschel 249 Musik, Musikant 450 663* 1186 Muskat 553 Muskatnuß 664* 1156 Mut 120 186 664* Mutter 83 250 352 510 638 664* 901 904 1073 1116f Muttermilch /Milch* Mütze 215 363 465 664 665* 960 1088 Mützschen 469 N Nabel 469 Nachgeburt 666* nachgeben 988 1033 nachlaufen 392 804 883 900 nachschlagen 659 1106 nachsehen 1032 nachsteigen 1006 nachstellen 254 Nächstenliebe 199 Nächster 359 Nacht 12 109 169 199 205 215 230 251 292 392 464 651 915 1055 1085 1160 Nachteule 84 Nachtigall 14 533 551 666* 954 969f 1098 Nachtmütze 666* Nachtrabe 1005 Nachtschwärmer 915 Nachtstuhl 1089 Nachttopf 666* Nachtwächter 666* 1088 nachweinen 1084 nachweisen 355 nachwerfen 1041 Nacken 297 667 * 801 814 960 1027 nackt 56 618 Nadel 524 560 599 667* 874 939 960 1003 Nadelöhr 939 Nagel 146 162f 203 215 600 668* 671 725 770 865 919 960 nagen 113 671 * nahe 600 nähen 456 668 Nähkästchen 671* Nähmädchen 384 nähren 621 849f 1001 Nahrung 109 Nährwert 671* Naht 162 671* Name 207 392 506f 551 780 849 1017 1065 1071 Napfkuchen 193 Narr 14 51 63 288 492 596 632 635 660 671* 857 Narrenseil 812 naschen 69 348 971 Nase 22 73 103 128 168 175 181 199 211 213 259 276 316 326 353 465 520 562 566 594 605 629 662 673 674* 773 780 828 848 854 869 944 971 995 1025 1030f 1089 1096 1119 1152 1162 f 1182 Nasenstüber 844 Nashorn 1111 naß, nassauern 172 204 499 520 679* 695 753 863 1115 nässen 681 Natter 680 Natur 605 665 680* 734 1023 Naturbrille 69 Nazareth 830 Nebel 680* Nebelsuppe 1052 neben 897 Neckar 69 Neger 395 701 1148 nehmen 582 632 678 696 717 815 840 860 881 895 897 900 927 936 941 979 993 1005 1021 1041 1084 1092 1102 f 1115 1162 1164 1171 1183 Nehmersdorf 679 Neid 352 680* Neige 342 Nelke 1084 nennen 916 Nerv, Nerven 680* 1128 Nessel 681* Nest 225f 285 325530 550f 681* 810 958 1026 1066 1114 Netz 22 637 682* 857 1041 neu 119 211 464 915 Neugierde 503 Neujahr 683* Neumarchte 469 neun 352 401 684* 949 1109 neunmalklug 949f neunundneunzig 69 684* neunundzwanzig 684* nicht weit hersein /weit* nichts 62 201 647 684* 954 Nichtschen 685* nickein 803 nie, niemals 12 119 421; /Pfingsten* niederfallen 926 niederreißen 886 Niemand 942 Niendür 1178 Niere 416 685* 847 Niete 106 Nilhund 793 Nimwegen 679 Nixe 685 Noah 700; /Olim* Nobiskrug 1177 nolens 685* 1157 Nolte 71 Nonne 907 Norwegen 969 Not, nötig 15 44 55 130 162 202 430 665 686* 928 1073 Note 687* 752 843 845 954 1057 1093 notwendig 1098 Nudel 688* null 109 688* 751 numerieren 520 Nummer 58 688* 945 949 nun 109 Nurmi 689* Nürnberg 689* 1087 Nuß 10 202 225 394 444 622 690* 738 786 844 1041 f 1144 Nußbaum 1106 Nutzen 55 Nylonseil 680 O oben 695 931 obenhin 1003 Oberhand 692* Oberstübchen 189 692* 756 771 969 988 Oberwasser 18 692* Obst 130 193 217 693* Obstbaum 693* Ochse 30 56 84 117 141 163 173 193 203 215f 241 246 278 288 316 438 555 664 693* 726 730 1090 Ochsenhaut 558 Ochsenpost 313 Oder 693* 713 Ofen 88 170 418 446f 465 470 694* 871 Ofenbank 95 Ofenloch 481 Ofenrohr 775 offen 78 109 166 420 425 603 631 698 974 1095 1130 offenhalten 1130 offenlegen 485 offenstehen 995 Offizier 455 öffnen 1095 Ohmfaß 694* ohne 694* Ohne-mich-Standpunkt 996 1244
Porzellanladen Ohr 41 132155 205 209 211 216f 225 227 241 258 264 283 317 349 365 396 401 423 461 503 520 579 587 591 610 612 617 663 679 695* 779 790 801 835 839 844 846f 888 932 960 980 1042 1072f 1090f 1115 1122 1152 1158 Ohrenbläser 173 Ohrfeige 843 1123 Ohrwurm 548 öl 17 228 270 f 431 569 698* 841 846 1042 1109 ölen 866 1088 Ölgötze 14 193 631 634 652 699* Olim 685 700* Ölsardine 414 Onkel 540 700* 868 Oper 700* operieren 444 Opfer 641 Opferstock 700 Ordnung 566 Orgel 242 700* Orgelpfeife 700* Ort 55 1103 Oskar 13 287; /frech* Ost 13 Osterei 178 Ostern 199 729 846 848 907 Ostertag 874 Otto 28 115 285 700* Oxbox 430 P Paar 576 701* 1043 pachten 1134 Pack 463 786 Päckchen 701* packen 748 840 950 1024 Palme 52 395 701* 738 Palmesel 702* Pan 129 Pandora 176 Panik, panisch 703* 781 Pansen 1088 Pant 705* Pantine 848 Pantoffel 297 576 705* 787 893 1023 Pantoffelheld 952 Panzer 455 Papier 888 Papierkragen 709* Papierlaterne 32 Pappe, pappen 87 709* Pappenheimer 15 19 710* Pappenstiel 203 710* 729 753 papperlapapp 573 Paprika 802 Papst 710* 776 1111 Parabel 710* Parade 276 710* Paradies 341 Parfüm 711* parieren 844 Paris 419 788 Parkett 945 963 1058 Paroli 711* Partei 941 Paß 711* passabel 313 Passagier 140 Passau 711* passen 275 462 485 533 549 580 790 861 f 894f 1136 1145 Pastete 117 163 569 712* Pastorentöchter 712* 720 Pate 446 712* Patsche 390 516 712* 721 927 962 1076 patschen 845 Pauke 138 158 217 712* 1091 pauken 845 996 Paul 717 Paulus 325 713* 794 Pavia 771 Pech 593 605 657 713* 918 1047 Pechhütte 71 Pechjunge 918 pechschwarz 71 Pechstiefel 713* Pechvogel 713* Pegasus 713* peilen 195 Pelle 587 714* Pelz 19 250 578 580 658 714* 847 pelzen 847 Penne 739 Perle 31 546f 664 715* 773 Perser 325 Persil 26 Persilschein 716* Perücke 716* Pest 717* Peter 717* 919 1156 Petersilie 83 325 366 717 718* 1051 1168 Petroleumlampe 13 Petrus 193 717* 1176 Petschaftsstecher 560 petto 718* Pfad 889 Pfaffe 67 82 Pfaffenköchin 1111 Pfahl 281 719* 1003 pfänden 1162 Pfandhaus 719* 1099 Pfanne 37 96 193 348 396 445 538 719* 847 Pfannenflicker 707 Pfannkuchen 84 719* 730 739 759 852 931 Pfarrer 71 992 1178 Pfarrersköchin 1111 Pfarrerstöchter 26; /Pastorentöchter* Pfau 178 720* 1029 1146 Pfauenfeder 533 Pfeffer 129 390 460 720* 914 1051 Pfeife 203 314 723* 724 773 775 1054 1058 1113 1166 pfeifen 222 237 284 340 457 605f 637 724* 773 954 969 1114 1152 Pfeifer 724* Pfeil 724* 877 1109 Pfennig 55201 f 213 218 325 410 621 725* 1189 Pfennigsalbe 866 Pferd 36 63 76 174 243 f 246 308 418 428 446 525 566 674 725* 778 792 810 812 837 914 955 960 982 985 994f 999 1005 1090 1118f 1172 Pferdearbeit 728* 778 Pferdefuß 728* Pferdehaut 558 Pferdekopf 728* Pfiff 207 728* Pfifferling 203 728 729* 753 pfiffig 44 Pfiffikus 728 Pfingsten 148 199 268 353 467 474 569 616 685 729* 732 871 877 Pfingstochse 13 73 553 731* Pfingstrose 731* pflanzen 472 693 990 Pflaster 732* 894 pflastern 1034 1147 Pflaume 203 847; /Pfingsten* Pflaumenpfingsten 729 pflegen 589 Pflicht 15 55 226 732* 897 Pflock 732* 772 1000 pflücken 444 718 777 Pflug 225 693 732* 769 1118 pflügen 472 789 954 Pfosten 733* Pfote 25 274 456 489 499 733* 850 Pfropfen 733* pfropfenvoll 1116 Pfund 599 733* Pfundskerl 478 pfuschen 386 526 734* Pfuscher 157 392 594 734* 874 1046 Philippe 1111 Philippine 1111 philosophisch 502 Phoenix 71 735* Phrase, Phrasen 214 736* Pick 736 picken 1113 Picklicht 202 Pickpahl 700 Piep 1087 piepe 31 piepen 217 638 724 1113 Piepmatz 724 piepwurst 1166 Pike 736* 872 Pik-Sieben 736* Pilatus 64 736* 974 Pille 130 737* 1184 Pilz 128 738* 779 911 1144 Pingelpott 332 Pinie 738* pinkeln 846 1118 pinseln 697 1173 pipe 723 879 Pique Sieben 193 Pisse 33 738* pissen 511 651 846 1118 1121 Pistole 24 313 561 738* 975 Placebo 115 308 320 467 738* 957 plagen 214 349 834 1064 Plakatsäule 1145 Plan 397 919 Planet 739* Pläsierchen 1075 plätschern 1128 platt 178 719 739* Platte 26 739* 847 1059 1120 platterdings 206 Platz 556 739* 965 platzen 158 442 532 671 680 754 plaudern 671 898 Plaudertasche 1060 Pleite 739 740* Plunnen 572 Podex 70 Polen, polnisch 42 287 740* polieren 739 politisch 1157 Polizei 215 polizeiwidrig 215 Polkwitz 830 Polyphem 942 pomade 740* 879 Pomeranze 846 pommerisch 614 Pommern 740* Pontius 577 737 ponzen /Eselsbrücke* Popo 70 Portemonnaie 931 Porzellan 741* Porzellankiste 664 Porzellanladen 233 1245
Posaune Posaune 741* Posaunenengel 84 741* Posemuckel 741* Posse(n) 741* Post 742* Posto, Posten 742* 830 Potemkin 208 Potemkinsches Dorf /Dorf* Potz 143 153 197 379 413 742* 1061 1105 Pose 153 powidl 31 Prä 742* Pracht 743* prägen, Prägung 663 743* 1015 prahlen 905 Prahlhans 657 prangen 579 Pranger 23 58 273 400 743* Präsentierteller 744* predigen 95 189 239 290 696 996 1011 1127 1188 Prediger, Predigt 744* prellen 291 745* 839 Preuße 824 1030 Preußen, preußisch 419 747* Primel 228 Prinzessin 240 Pritsche 858 pritschen 845 Probe 251 258 747* Probebissen 38 987 Probenächte 491 Professor 216 747* Propeller 748* Prophet 102 793 1135 proppenvoll 1116 Protokoll 748* Prozent 147 Prozeß 18f 296 302 748* Prozession 581 prüfen 251 416 685 1057 Prüfung 1007 Prügel, prügeln 222 366 510 687 692 765 843 845; /schlagen* Prügelknabe 748* Prügelsaft 843 Prügelsuppe 843 1052 Puckelblau 63 Pudding 749* Pudel 41 83 149 193 578 724 749* 762 792 1124 1146 Pudelmütze 826 pudern 204 513 puffen 845 Puls 750* Pulver 203 216439474 733 750* 902 919 960 1091 1109 Pulverfaß 613 Punkt 462 751* 789 985 996 1014 1038 1083 pünktlich 751* 1146 Pupille 26 657 751* Puppe 752* Purpur 51 Purzelbaum 596 Puste, pusten, Pustekuchen 284 752* Puter 779 putzen 101 499 651 739 1018 1096 Q Quacksalber 752* quälen 146 508 Qualm 549 752* 783 Quark 488 677 753* 944 1146 Quarkspitze 548 Quarre 753* Quartalsäufer 753* Quartier 847 Quasselstrippe 1041 Quatember 474 quatschen 700 1102 Quelle 174 753* 960 quer 307 Quere 1162 quetschen 685 Quinte 754* quitt 754* Quivive 754* R Rabatz 761 Rabe 11 36 236 314 532 755* 1005 1115 1134 Rabenaas 11 36 Rabeneltern 11 Rache 756* 770 888 Rachegöttin 83 Rachen 756* 847 1159 Rachenputzer 798 Rad 23 34 58 295 299 321 355 484 530 756* 759 767 846 858 1028 1089 1118 1140 radebrechen, Rädelsführer, rädern, Radfahrer 23 757f 759*; /Rad* Radieschen 345 1178 Radio 376 Rädlitriber 757 raffiniert 40 Rahm 269 759* Rakete 877 Rand 44 93 759* 826 1090 1110 Rang 41 773 759* rangehen 144 Ränke 23 979 Ranzen 752 845 Rappe 648 904 Rappel 760* rappeln 217 349 692 Rapus(ch)e 760* rar 761* 1115 1146 rasen 480 rasieren 761* 937 Rasierklinge 802 Rasmus 71 761* raspeln 1052 Rast 781 f Rat 44 55 340 Rate 762* Ration 232 Ratsche /Karfreitagsratsche* Ratte 349 637 762* 763 827 1108 1113 Rattennest 681 Rattenschwanz 203 Ratz 762 823 840; /Ratte* Raub 763* rauben 546 680 1103 Räuber 763* Räuberhöhle 84 Raubnest 681 Rauch 218 270 767 783 rauchen 288 501 549 763* 884 916 1146 Rauchfang /Esse* räudig 800 raufen 356 rauh 941; /Menge* räumen 233 263 941 1010 1129 Raupe 217 347 349 764* raus 684 reagieren 793 rechnen 616 829 1154 Rechnung 296 422 432 721 764* 1039 1154 1174 Recht 325 335f 471 764* recht 56 127 330 399 692 764* 853 1047 1110 1182 1185 rechts 381 385 603 698 Rede 537 765* 844 998 reden 106 136 138 175 286 317 376 491 504f 514 534 538 584f 608 646f 660 662 671 700 765* 778 808 829 864 867 869 871 887 935 964 1001 1032 1082 1091 1102 1121 1146 1151 1162 1175 1186 1188 Redeschwall 1032 redlich 945 Reffträger 574 Regel 560 765* Regen, regnen 107 147 178 299 679 730 766* 767 843 877 903 976 1085 regen 431 569 572 Regenbogen 611 Regenschirm 767* 848 1145f Regentonne 1043 Regenwetter 83 325 412 Regenwurm 217 1113 regieren 283 472 784 Regiment 215 767* Register 767* 918 Reib 760 reiben 101 559 676 722 768* 992 Reich 806 1176 Reichartshausen, Reichenbach 768* reichen 535 982 1006 1126 1168 Reichsparteitag 768* 1115 Reichstag 573 Reif 768* reif 130 487 531 595 Reifenschaden 769* Reihe 55 178 769* 1060 Reiher 769 1146 Reim, reimen 288 769* 1146 rein 382 610 682 829 903 965 1128 1134 1141f Reinfall 882 reinhauen 845 reinstecken 424 Reis 808 Reise 641 958 reisen 693 777 904 1083 Reisgehalt 32 reißen 271 521 573 668 741 756 770* 772 1033 1041 1159 Reißmatismus 771 Reißmichtüchtig 771 Reißnagel 770* reiten 243 246 308 419 477 561 641 680 726f 777 904 927 962 982 lOOOf 1061 1064 1185 1188 Reiter 778 reitern 329; /glauben* reizen 146 Rennen, rennen 770* 819 Resedatopf 848 Rest 336 342 404 503 770* 922 1178 retten 239 Reue 591 Reuel 245 Reuß 1123 Revanche 756 770* revidieren 784 Rhabarber 771* Rhein 249 423 730 776 1123 1177 Rheumatismus 771* richten 826 861 936 1104 1130 1143 richtig 212 254 458 681 692 728 739 771* 864 988 1015 1099 1246
Scheffel richtigstellen 648 riechen, Riecher 159f 375 453 569 613 638 711 733 750 771 793 811 926 971 994 1077 1107 1150 Riegel 732 859; /Pflock* Riemen 587 770 772* 846 Riemenstecher 772* Riese 48 772* 805 Riffel 403 rin 773* Rind 632 1118 Ring 773* ringeln 850 Ringeltaube 773* ringen 1078 Rinke(n) 760; /Rang* Rippe 773* 847 1026 1031 riskieren 513 528 603 752 1026 Riß 603 774* Ritten 774* Rochen 83 Rock 774* 846 1146 1178 Rocken 636 978 1139 Rogen 413 roh 1171 Rohr, Röhre 227 521 651 774* 1003 Rohrspatz 287 775* 832 872 Röhrwasser 776* 1146 Rolle 776* rollen 552 719 1010 Rom 419 776* 1146 1188 röntgen, Röntgenaugen 777* Rose 290 393 430 515 602 730 777* 779 1146 Rosenkranz 881 1058 Rosenmontag 654 rosenrot 1146 Rosette 778* rosig 166 Rosine 22 347 778* Roß 12 109 427 617 724 726f 778* 960 Roßarbeit 728 Roßkur 727 Roßnatur 728 Roßstecken 1000 rot 13 17 252 291 368 370 410 474 641 778* 1052 1081 1094 1146 1182 Rottweil 246 Rotz, rotzen 83 287 752 779* 896 1145 f Rübchenschaben 796 Rübe 128 444 528 537f 738 779* 795 847 1144 Rübezahl 779* Ruck 477 781 Rücken 70 111 177 334 360 522 545 641 764 779* 843 847 965 978 1008 1027 1084 1121 1174 1177 rücken 109 589 648 671 714 1169 Rücksicht 1108 rückwärts 290 757 1100 Ruder 10 24 471 780* 936 1018 Ruf 121 rufen 582 677 1015 1100 1120 Rüffel 780* rüffeln 403 Ruhe 55 386 605 740 781* 935 1062 ruhen 339 885 ruhig 146 Ruhla 865 Ruhm 113 1017; /bekleckern* rühmen 1035 Rührei 322 Rühren 782* rühren 195 212 276 330 812 Rummel 783* Rumor 531 rümpfen 675 rumsdibums 249 rund 783* 1137 1146 Runde 783* runterlangen 845 runterputzen 870 runzeln 1027 rupfen 291 443f 846 Ruß 783* Russe 783* 802 Rüssel 847 rüsten 826 Rute 783* 842 845 1104 Rutenelixier 843 Rutsch 784* rutschen 177 897 1062 rütteln 44 845 S Saal 781 Säbel 1117 Sache 784* 807 Sachsenspiegel 784* sachte 727 Sack 10 44 49 53 55 70 203 211 243 258 283 363 382 396491 f 520 581 641 649 660 672 f 679 691 f 717 723 778 785* 810 1007 1059 1089 1116 1146 Sackpfeife, Sackpfeifer 242 548 Sackstrippe 1041 Sadowa 771 säen 56 363 789 1101 f Safran 249 721 Saft 44 Sägemühle 869 sagen 327 528 574 659f 694 709 739 887 955f 1031 1100 1167 sägen 680 Sägmehl 786* 789 939 Saite 315 591 768 786* 1081 Sakrament 786 Salat 135 1031 salbadern 11 Salbe 787* 1146 salben 865f Salm 787* Salomo 787* 1146 Salomon 500 1104 Salonlöwe 787* Salz 16 44 256 269 392 721 788* 798 837 871 914 Salzsäule 788* Salzweg 432 sammeln 807 Samt 109 Sand 26 79 91 107 132 140 230 398 786 788* 789 884 939 1005 1034 1041 1146 1178 Sandberg 1152 sanft 839 1078 Sang 44 789* 955 Sänger 922 St. Nimmerleinstag 729 871 St. Zilorgentag 729 Sapperment 413 sardonisch 564 Sarg 670 Sargnagel 670 Satan 678 Satire 993 satt 129 161 709 783 Sattel 11 19 26 84 149 241 789* 952 960 1003 1006 satteln 308 Sau 63 69 83 139 180 216 225 246 267 324f 366 477 553 664 715 790* 889 898 923ff 995 1003 1036 1089 1116 1146 1188 sauber 661 1141 Sauce 1076 sauer 16 62 125 147 169 292 582 646 792* 848 1084f 1146 Sauerampfer 325 Sauerkraut 505 769 Saufaus 1090 saufen 179 375 463 490 553 605 671 793* 967 1032 1062 1076 1089 1146 Sauf loch 1090 saugen 196 274 456 646 733 Sauglocke 792 793* Sauglück 923 Saul 793* Saulus 190 713 794* Sauregen 511 Saus 12 44 211 794* 951 sausen 778 931 Saustall 994 Sauwenzel 803 Schabab 11 145 298 438 758 779 794* schaben 438 779 795f 833f Schabernack 797* 1021 Schach, schachmatt 622 798* Schachtel 82 487 798* 1060 Schädel 205 727 Schaden 10 591 798* 982 Schaf, Schäfchen 27 147 215 321 430 484 492 632 717 798* 802 816f 825f 858 919 924 995 1027 1091 1146 1157 Schäfer 753 schaffen 610 635 941 1137 Schafleder 14 82 1145 Schafskleid 1158 Schafspelz 1158 Schakalregen 511 Schale 223 518 800* 1166 schälen 62 225 1189 Schalk 667 673 695 801* schalten 44 Schalwaari 184 Schamade 801* Schanddeckel 801* Schande 831 1048 schänden 148 Schandfleck 58f; /anhängen* Schandlappen 572 schändlich 571 Schandtat 726 Schanze 801* 973 Scharebari 184 Scharewares 185 scharf 761 802* 929 1146 1152 1180 1188 scharren 154 Scharrhans 803 Scharte 802* Scharwenzel, scharwenzeln 803* 1052 Scharwerk 803 Schatten 243 601 803* 965 1037 Schatz 450 806* Schau 807* 1005 schauen 671 728 903 Schaufel 1178f schaufeln 342 Schaukel(n) 807* schaukeln 206 507 1146 Schaum 807* 954 1146 Schauspiel 341 809 scheckig 446 808* scheel 808* 846 Scheffel 16 319 531 599 788; /Licht* 1247
Scheffeldrescher Scheffeldrescher 820 scheffeln 319 Scheibe 42 808* 809 Scheide 632 677 930 scheiden 44 1135 Scheideweg 1130 Schein, scheinen 651 809* 963ff scheinheilig 809 scheintot 12 601 622 Scheiße 203 658 808 809* scheißen 319 470 538 545 681 f 717 721 810* 846 947 1121 1188 Scheitel 811* 848 Scheiterhaufen 811* Scheiterkraut 843 scheitern 825 Schelle 59 495f 812* Schellen - Dreier 193 Schellenmoritz 812 Schelm 400 410 801 813* 960 1119 Schenke 1168 schenken 154 415 1032 1154 1165 Scherben 814* Scherbengericht 814* Schere 815* scheren 51 101 203 316 324 476 525 607 632 729 796 800 816* 819 900 937 1064 1066 Scherenauge, Scherenloch 818* Scherenschleifer 630 815 818* 832 Schererei 819* 900 Scherflein 213; /Dreier* Schermesser 433 873 Schêt 809 scheu 308 727 scheuen 271 600 Scheuklappen 819* Scheuleder 819 Scheune 531 Scheunendrescher 214 248 288 820* 1146 Scheunentor 13 216 820* 1173 Schib(b)oleth 820* Schicht 23 821* schicken 375 423 498 898 1078 1085 1136 Schicksal 139 937 Schickse(l) 821* schieben 181 551 559 688 739f 762 895 1118 1142 schief 91 127 220 363 461 547 567 577 614 629 665 757 821 * 844 899 1089 1129 Schiefer 897 schielen 78 808 823* 883 1146 Schiene 823* Schienenstrang 1033 Schießbudenfigur 83 schießen 127 134f 148 157 176 291 396 438 518 521 f 537 552 605 651 714 738 747 749 802 823* 850 877 911 970f 1083 1151 1185 Schießhund 74 824* 1146 Schiff 763 809 824* 827 930 Schiffbruch 362 471 827* schiffen 717 780 Schikane 827* 1080 Schild 26 109 827* 900 Schilda 831 Schildbürger 830* 1036 schildern 918 Schiller 462 582 831* 1112 Schilling 201 Schimmel 292 622 Schimmer 131 203 831* Schimpf 109 212 831* schimpfen 287 775 819 831* 872 1146 Schindaas 36 837 Schindel 203 832* 963 schinden 111 180 246 324 580 772 800 817 832* Schinder 669 834* 1026 Schinderei 835* Schinderhannes 835* Schindluder 836* Schinken 424 667 837* 847 Schinkenklopfen 837 Schippe 747 838* 1064 1083 Schiß 809 Schlachtbank 568 schlachten 443 472 554 924 Schlachtersgang 641 Schlachtschwert 630 schlackern 698 Schlaf 78 227 237 251 839*9401086 schlafen 71 78 96 122 189 325 392 509 595 605 683 752 762 785 839* 852 1080 1099 1146 Schlafittchen 279 286 478 840* Schlafmütze 666 schlafwandlerisch 946 Schlag, Schläge 12 411 519 521 526 546 666 841* 878 890f 1015 1035 1063 1128 1146 Schlagbalsam 843 Schlägelküchlein 843 sch lagen 70106108 136163 174 191 213 215 f 251 253'263 267 f 271 315 326 339 352 379 394 411 422 f 432 503 510 517f 522 531 544 561 574 576 580 594f 615 618 647 649 661 665 667 698 748f 757 801f 837 844* 878 914 930 941 957 960 964 1015 1017 1027 1032 1034f 1038 1044 1047 1096 1099 1103 1116 1136 1148 1150 1171 Schlagschatten 805 Schlagseite 1089 Schlagwurst 843 Schlamassel 848* Schlamm 483 Schlampe(r) 848* Schlange 181 849* 1005 1146 schlank 14 1145 schlapp, Schlappe 851* Schlappschwanz 569 851* 914 Schlaraffenland 1060 1114 1146 Schlaraffenland(-Ieben) 851* schlau 106 189 Schlauch 1133 schlecht 29 44 236 300 313 362 765 853* 941 1048 1146 schlechterdings 206 Schleckabartel /Barthel* Schlehe 202 Schleier 430 853* schleifen 427 619 678 815f 853* 1161 1185 1188 Schleifstein 499 Schleim 855* Schlemmerei 837 Schlendrian 465 573 schleppen 291 Schlepptau 24 855* schleudern 212 Schliche 856* 986 1087 schlichten 1037 Schlichtungsverfahren 1037 schließen 416 596 Schliff 381 857* schlimm 941 Schlinge 291 376 528 857* schlingen 972 Schlips 297 857* 914 967 Schlitten 484 858* 1146 Schloß 55 109 305 381 611 650 662 858* 862 Schlot 764 Schluck 740 schlucken 168 737 Schlucker 859* schluckweise 1073 schlüpfen 622 Schluß 1134 Schlüssel 416 980 859 860* 986 Schlüsselloch 1088 Schlußlicht 597 862* Schlußstrich 1039 Schmach 109 Schmachtlappen 572; /Hungertuch* Schmachtriemen 862* schmackhaft 412 schmal 414 1034 Schmalhans 105 387 550 657 862* Schmalz 189 224 788 1051 schmälzen 538 1051 schmarotzen, Schmarotzer 160 679 863* 1033 Schmarre(n) 863* Schmarren 203 402 Schmaus 794 schmecken 160 256 468 1077 Schmeichel 418 schmeicheln 914 Schmeichler 803 schmeißen 566 756 773 800 1143 Schmer 246 493; /Katze* Schmerz 131 1122 Schmerzen 1179 Schmerzensgeld 732 Schmetterling 145 Schmied 248 492 864* 1063 1174 Schmiede 23 25 864* schmieden 231 760 865* Schmiedknecht 288 Schmiere 843 865* 866 schmieren 14 161 169 176 269 353 381 483 502 630 688 787 790 845 847 864 865* 962 1088 1118 Schmierseife 383 schminken 204 Schmiß 595 Schmu 866* schmunzeln 442 Schmutz 866* schmutzig 608 schmutziger Löffel /Löffel* Schnabel 103 317 867* 954f 970 1146 Schnake 1113 Schnall 659 Schnalle 868* schnallen 772 868 schnappen 34 123 611 868* 1146 Schnaps 1090 Schnapsleiche 1090 schnarchen 762 869* 1146 schnaufen, Schnaufer 869* Schnauze 312 325 661 724 847 869* 881 Schnebersbrot 417 Schnecke 313 548 730 869* Schneckengang, - post, - tänze, - tempo 313 552 742 870* Schnee 13 60 63 87 203 249 366 515 646 729f 871* 1148 Schneeball 811 Schneekönig 288 871* 872 1026 Schneeschipper 872* Schneesieber 786 872* Schneid(e) 641 872* 1002 schneiden 74 124 127 163 182 196 275 280f 319 325 328 344 400 428 479 504 531 538 576 587 723 772f 1248
Sela 775 873* 887 1028 1031 10851094 1155 1164 Schneider 326 413 476 511 873* 904f 1111 Schneiderfretter 157 schneien 178 282 720 730 876* 976 schnell, Schnelle 142 157 677 747 824 877* 1170 Schnepfenstrich 1038 schniegeln 34 403; /geschniegelt* Schnippchen 868 878* Schnitt 873 878* Schnittlauch 1051 schnitzen 723 Schnitzer 272 879* schnorren 882 schnupfen 226 Schnupftuch 521 schnuppe 740 879* Schnur 57 93 294 313 671 879* 1041 1089 Schnurre, schnurren 881* Schnurrpfeifereien 882* schnurz 879 schnurzwurstpiep 1166 Schnüß 566 Schöberl 402 schofel 882* 892 Scholle 739 schön, Schönes 14 110 239 882* 1118 schonen 123 Schönhausen 883* Schönheit 883* Schönste 883* Schoof 581 884* 1178 Schopf 147 319f 333 710; /Zopf* schöpfen 269 754 947 1115 1124 Schöpflöffel 1134 Schöppenstädt 830 1036 Schorf 579 Schornstein 248 271 476 764 884* 887 918 Schornsteinfeger 916 Schoß 41 f 334 385 665 884* 1083 1176 Schote 446 885* Schotten 205 Schraalhans 863 schräg 841 1089 Schrägen 885* schrammen 846 Schrank 717 1060 Schranke 576 885* 1134 Schraube 189 217 886* 1089 schrauben, Schraubstock 887* Schreck 237 704 962 1046 schreiben 159 248 286 425 476 526 531 542 556 574 608 647 695 f 713 829 884 887* 1001 1016 1022 1026 f 1103 schreien 117 215f363 421 641 790 816 888*922 975 1011 1015 1148 1170 1179 Schrein 859 Schreiner 604 schreiten 889* 1160 Schritt 44 203 313 870 889* schröpfen 890* Schröpfkopf 779 Schrot 10 531 842 890* Schrulle 1164 Schub 891* Schubkarren 1064 Schublade 614 Schubsack 891* Schuft, schuften 892* 1066 Schuh 23 25 41 214 297 304 364 405 415 453 506 707 866 877 892* 905 1023 1078 1100 1143 1155 1174 Schuhsohle 962 Schuhwichse 14 514 Schulbank 897* Schuld 13 Schulden 71 238 283 358 365 376 392 461 670 695 991; /Engel* schuldig 725 Schuldigkeit 732 897* Schule 198 241 340 671 897* 915 1123 Schüler 199 Schulfieber 898* Schulfuchs 898* Schulgeld 588 898* Schulmeisterzwirn 1190 Schulsack 899* 1044 Schulter 25 44f66 72 619f 899* 1124 1174 Schultheiß 56 Schulze 56 Schund 866 Schupfe 839 Schuppen 32 76 128 900* 998 Schur 900* Schürze 280 395 605 900* Schürzenjäger 412 707 901* Schuß 203 533 750 901* 919 Schüssel 903* 1051 1106 Schußfeld 1162 Schußgebet 1031 Schußlinie 1162 Schuster 63 304 595 904* Schutt 71 schütteln 613 812 schütten 569 578 1127 Schutz 44 Schützenfest 770 Schwabe 386 418 642 905* 1189 schwäbeln 907 Schwabenalter 906 907* Schwabenstreich 830 1036 schwäbisch 68 schwach, Schwäche, Schwachheit 175 316 330 907* 941 1047 1077 1089 Schwade 1047 Schwadroneur, schwadronieren 908* Schwager 908* Schwalbe 459 729 909* Schwamm 639 793 911* 1090 1116 Schwan 987 schwanen, Schwansfeder 911* Schwanengesang 912* Schwang 913* schwanger 233 Schwank 760 913* schwanken 153 775 Schwanz 12 35f 101 113 182f 236 241 244 271 288f 291 f 297 392 412 437 446 453 473 498ff 553f 558 637 725 778 850 913* 914 924 1071 1161 1172 1180 Schwänzelpfennig 914* schwänzen 638 897 914* Schwarm, Schwarmgeist 915* schwärmen, Schwärmer 915* Schwarte 455 837 916* 1047 schwarz, Schwarze 165 175 203f 308 497 552 554 669 f 693 717 f 7 21 768 800 808 871 899 902 916* 924 1073 1089 1122 1134 Schwarzburg, Schwarzenberg 883 917 920* Schwärze, schwärzen 920* Schwarzfärber 920* Schwarzkünstler 919 920* schwatzen 898 1123 schwätzen 236 691 998 1073 schweben 610 1160 1187 Schwede 54 920* 1089 Schwedenkopf 921* Schwedentrunk 229 305 921* schwedisch 305 Schwefel 270 713 Schweif 501 Schweigen, schweigen 888 922* 984 1044 1046 Schwein 24 84 146 149 203 215 507 553 695 715 726 773 788 792 800 838 869 923* 933 1074 Schweinestall 994 Schweinfurt 925 Schweinigel 925 Schweiß 169 925* Schweizer 317 Schweizerhosen 193 Schwelgerei 665 Schwelle 926* schwellen 476 Schwemme 926* Schwenkdenrüssel 863 schwer 110 168 327 567 686 927* 941 990 1010 1047 1059 1089 1117 Schwerenöter 686 928* Schwert 55 252 873 929* 1117 Schwiegermutter 510 930* 1122 Schwiele 845 schwimmen 138 278 319930* 1042f 1084 1136 1145 Schwindsucht 124 931* schwingen 513 705 709 765 1043 1058 1082 schwirren 349 schwitzen 146 160 521 753 773 790 925 schwören 79 102 253 407 473 932* 935 1011 1065 Schwung 933* Scylla 32 767 933* sechs 684 957 Sedan 771 See 249 826 934* 1123 Seegang 1089 Seele 55 65 73 112 124 128 240 318 321 416 423 588f 621 782 917 927 934* 961 993 1063 1073 10831088 1111 1176 1179 Seemannsgarn /Garn* Segel 24 826f 936* 1152 segeln 279 362 segnen 89 270 282 1164 1175 sehen 139 141 163 230 273 275 434 485 547 559 570 614 638 677 689 726 765 779 822 829 862 883 911 914 918 942 947 954 963f 1018 1029 1051 1061 1065 1118f 1134 1142 1158 Seide 252 502 936* 979 1155 Seife, Seifenblase 40 526 648 937* 942 1107 Seifensieder 13 199 307 598 937* Seigbeutel 938* seigen 659 Seil 428 594 938* 952 1033 1041 1065 Seiler 364 376 411 428 939* 1040 1179 Seiltänzer 1033 sein 56 109 839 Seinen 940* Seite 122 424 461 908 940* 982 999 1005 Seitenhieb 1020 Sela 40 937 942* 1249
SELBST selbst 125 342 600 618 781 806 942* 945 1003 1129 1155 selchen 871 selig 256 329 339 379 Seligkeit 931 selten 1115 seltsam 407 Semmel 40 943* 1155 senden 724 1073 Senf 162 523 542 639 802 944* sengen 56 Senke 793 senken 811 Sense 10 944* Service 1113 Sessel 1108 Setzei 10 24 79 setzen 176 243 245 424 435 441 461 472 527 538 605 610 681 685 726ff 782 788 790 802 886 936 945* 952 973 995 998 1017 1030 1033 1044 f 1053 1093 1143 1162 sich 211 Sichel 975 sicher 55 144 362 637 647 688 754 784 884 945* Sicherheit 946* Sicht 1136 Sie 946* Sieb 192 329 611 946* 1071 1124 Sieben (Zahl) 130 175 248 282 420 464 684 784 859 930 947* 950 958 984 1034 1122 1189 sieben 947* siebengescheit 949* 950 Siebengestirn 1156 Siebenmeilenstiefel 949* Siebensachen 784 950* Siebenschläfer 950* sieden 366 539 950* 1143 Siegel 55 165 175 949 852* Sieghaube 335 Sieghemd 335 Siele 939 952* Siemann (Simandi) 952* Silbe 203 Silber, silbern 176 299 552 571 607 685 776 823 842 859 954* 976 Simson 954* 999 singen 14 44 54 95 109 204 237 242 250 305 320ff 325 365 406 410 422 466 467 522 528 551 601 638 666 696 738f 787 814 867 872 954* 969 998107411091114 1121 1146 sinken 1016 Sinn 55 120 765 822 844 906f 957* 1060 Sintflut 958* Sirup 514 Sirupsbengel 1052 Sisyphus 958* 1013 sittlich 571 sitzen 161 173 209 212 214 264 269 318 360 384 386 395 403 405 441 472 516 524 545 562 587 602 605 614 637 664 667 681 691 696 712 714 716 721 727 733 744 750 753 777 780 790 807 845f 848 865 873 884 902f 941 945 959* 970 1003 1018 1028 1033 1046 1050f 1061 1076 1089 1091 1114 1118 1122 1160 sitzenlassen 959 Sitzfläche 70 Sitzfleisch 960* Sitzleder 587 961 Sitzung 959 Six 935 961* Skorpion 961* Smachtlappen 456 Socke 111 313 572 603 896 961* 986 1043 Sod 962* Sodbrennen 69 Sohle 153 577 811 962* 1106 Sohn 787 864 Soldat 180 933 Soldatenhimmel 67 Soldatentornister 614 Soll 13 sollen 963* Sommer 729 876 909 sondern 1135 Sonne 12 29 181 496 598 714 730 740 809 847 871 963* 966 1021 1056 Sonnenbrille 141 Sonnenbruder 966* Sonnenschein 966* Sonnenseite 585 sonnig 680 Sonntag 553 693 729f 1088 Sonntagskind 966* Sonntagsstaat 989 Sorge 839 1137 sorgen 1147 Sorte 967* S. O. S. 967* Soße 944 spalten 559 568 Span 462 967* 1046 Spanier 1029; /stolz* spanisch 208 402 574 859 968* spannen 149 273 595 762 786 846 1118 sparen 168 493 600 968* 1184 Spargel 522 877 Sparren 249 670 969* Spaß 30 589 969* spät 255 742 Spatz 12 189 421 459 477 601 969* 1113 f Spatzenfutter 728 Spatzengehirn 970 spazieren 490 717 Speck 78 211 468 493 529 614 637 f 769 960 963 970* 1042 1165 Speckseite 249 1165 Speer 109 310 571 829 889; /Spitze* Speichel 68 586 972* Speicher 847 speien 327 Speierbach 770 Spendierhosen 972* Sperenzien 279 972* Sperling 9 459 911 Speyer 1100; /Ulrich* spicken 124 971 Spiegel 142 680 923 972* 1006 Spiegelberg 15 Spiegelschwab 829 Spie I 208 384f 400 486 f 581 645 801 f 822 973* spielen 237 250 305 312 314f 384 388 405 432 460 486 494 534 565 581 608 638 671 717 739 742 776 787 790 797 809 836 f 898 904 928 945 973f 1022 1035f 1059 1103 1107 1113 1121 1149 1163 1176 spielend 974 Spieler 933 Spielmann 219 Spieß 26 55 463 552 571 842 888f 975* 1020 1063 Spießbürger 976* spießein 979 Spießruten 23 976* Spind 1060 Spindel 217 Spinne 344 978* 1066 spinnefeind 978* spinnen 29 252 305ff 636 936f 939 978* 1040 1093 1139 1155 1190 Spinner 978 Spinnweben 630 Spitaluhr 313 Spitz, Spitze 501 711 972 979* 1003 1020 spitz 659 679 1188 Spitzbergen 871 Spitzbirne 979 Spitzbohne 659 Spitzbüberei 814 spitzen 630 670 696 979* 1007 Spitznase 678 Splitter 92 209 981* Splitterrichter 981 * Sporen 245 368 412 981* 1022 Spott 55 578 982* Spötter 96 Spottvogel 983* Sprache 168 922 983* 987 sprechen 584 617 662 671 762f 777 942 983 984* 1031 106611031109 1151 spreizen 720 984* Sprenkel 984* Spreu 16 202 353 1135; /Weizen* springen 112 147 162 175 203 316 319 353 425 457 517 520 565 576 594 646 751 754 769 804 941 955 984* 992 1006 1071 Springinsack 785 Spritze 617 985* Spröde 985* Sprossen 1006 1155 Sprung 24 645 961 985 986* 988 1060 Spucke, spucken 103 125 154 311 327 458 468 527 651 858 983 987* 1051 1082 1183 Spuk, spuken 987* 1025 Spund 988* Spundloch 968 1088 Spur 203 598 856 986 988* spüren 1174 sputen 989* Staat 965 989* 1048 Stab 23 123 161 548 845 989* 1028 1130 Stachel 16 992* Stachelbeere 993 Stachelschwein 463 Stadt 55 859 Stadtbahn 217 Stadtgraben 993* Stall 80 84 174 316 727 842 994* Stallaterne 13 598 Stallbaum 995 stallen 994 stammen 694 stampfen 154 Stand 441 Standarte 995* 997 Ständerling 995* standhalten 391 Standpauke, Standrede 996* Standpunkt 996* Stange 576 975 992 995 996* 1033 1125 Stank 1026 stänkern 997* Stapel 24 998* Star 27 147 998* stark 168 941 998* 1044 1054 1174 Stärke 391 1250
Taillenweite stärken 780 Starlet 11 starr 1046 Staub 68 132 202 847 972 999* 1176 staunen 107 999* stäupen 845 stechen 28 203 244 364 395 f 401 486 580 582 649 673 888 976 998 1026 1059 1140 1149 1182 stechgranatevoll 1089 stechkanonevoll 1089 Steckbrief 1000 Stecken, stecken 109 155 181 211 f 460 530 544 605 641 677 785 857 895 973 1000* 1036 1043 1059 1076 1160 1173 1182 1189 steckenbleiben 914 Steckenöl 843 Steckenpferd 415 989 1000* Stecknadel 667 Stecknadelsamen 63 Stegreif 1001* 1006 1096 stehen 56 111 113 122 175 222 297 420 483 524 541 545 596 600 617 665 667 700 712 727 754 765 769 774 804 838 850 886 895 900 902 926 930 941 957 960 964 973 985 994 f 1002* 1013 1016 1096 1128f stehenbleiben 1110 1129 stehend 296 stehlen 236 416 726 755 807 837 924 1004* 1056 steif 56 119 147 236 696 780 steifen 667 780 Steigbügel 26 1006* steigen 177 186 547 1006* 1059 steil 1007* 1170 Stein 13 25 44 61 111 143 162 164 170 203 295 307 328 417 546 601 615 660 716 733 752 888 922f 933 959 1007* 1027 1091 f 1163 steinern 308 774 steinigen 1008 Steinzeit 1109 Steiß 445 Stelle 296 1014* stellen 113 424 476 527 617 747 765 803 807 941 1032 1122 Stellung 822 Stelzen 554 579 1014* 1073 1138 Stempel 743 1015* Stengel 1015* 1046 Stentor 889 1015* sterben 24 44 128 215 240 415 467 537 582 831 895 907 939 952 1004 1022 1048; /zeitlich Sterbenswörtlein 203 sterblich 445 Stern 24 334 421 739 846 1016* 1047 1174 sternblinddick 1088 sternhagelvoll 1090 Steuer, Steuern 24 780 946 1018* Stich 27 135 217 959 1019* 1028 1089 Stichblatt 1021* stichdunkel 1028 sticheln 979 1188 Stichelreden 977 stichfest 419 Stichprobe 1021* stieben 203 Stiefel 109 415 706 822 865 968 987 1009 1021* 1088 f stiefeln 56 Stiefelschaft 614 Stiefkind 1023* Stiefmutter 614 1023* stiefmütterlich 680 Stiel 85 110 119 360 513 641 1043 1046 1156 Stielauge 78 1024* Stier 320 438 1024* stieren 681 Stierhaut 558 Stift 506 still, Stille 965 1024* 1031 1046 1125 Stimme 369 499 954 stimmen 314 stinken 33 36 147 212 215 257 291 375 521 717 773 994 1025* Stint 288 1026* Stirn 158 888 1026* 1113 Stock 109 142f 432 840 888 985 1027* stocken 147 Stockwerk 692 Stoffel /Christoph* stoffein 803 stolz, Stolz 367f 720 968 994 1029* 1146 stolpern 1089 1190 Stolprian 465 Stopfen 1030* stopfen 376 630 756 Stoppel(n) 366 1030* Stör 1030* 1046 Storch 113 313 499 517 729 1003 1031* stören 542 1140 Störer 157 störrisch 147 Stoß 415 532 1031* stoßen 148 150 211 396 527 693 773 823 899 1000 1009 1027 1031* 1103 1174 Stößer 1109 Stoßgebet 1031* Strafe 336 366 888 1032* strafen 1137 Strafpredigt 598 1074 Strahl, strahlen 433 616 1032* Strambach 1032* stramm 441 stranden 825 Strandhaubitze 136 1115 Strandkanone 477 1032* 1090 1116 Strang 594 939 1032* 1041 1179 Strang katze, Strebekatze 497; /Katze* Straßburg 729 Straße 509 610 732 1033* 1089 sträuben 380 Strauchdieb 84 Strauß 1034* 1115 Strecke 1034* strecken 197f 376 532 1112 Streich 742 841 844 949 1034* streicheln 846 streichen 103 254 293 500 502 671 846 936 1169 1172 Streichhölzchen 203 Streit 122 728 1036* 1172 streiten 102 291 365 500 569 597 805 1036* streuen 498 722 788f 1132 1151 Streusand 751; /Punkt* Strich 253 308 355 477 594 612 656 663 711 736 764 868 1020 1038* 1185 Strick 213 257 636 683 940 1033 1040* 594 striegeln 846 Strippe 1041* Stroh 24 39 102f 157 162 202 214f 259 271 345 353 361 374 418 433 487 637 736 786 959 979 1041* Strohhalm 203 373 Strohmann 432 Strohsack 413 478 Strohwitwe 1042 Strom 885 930 931 1042* 1152 Strophe 1189 Strumpf 111 463 487 847 895 961 1043* Strumpfkappe 614 Strunk 203 1043 Stube 238 267 308 341 692 773 1043* Stube 238 267 308 341 692 773 1043* Stubenfliege 848 Stubentür 846 Stück 42 74f 170 212 250 400 846 999 1044* studieren 531 Stufe 240 Stuhl 23 395 499 945 960 1044* 1096 Stuka 350 stumm, Stummer 44 276 1046* Stümper 157 392 1046* Stumpf 109 1043 1046* stumpf 42 668 Stunde, Stündlein 161 202 234 703 842 852 908 928 1047* 1176f stupsen 845 stur 147 Sturm 16 329 782 1047* 1128 sturmfrei 178 Sturmhaube 335 sturzbesoffen 1090 Stütze 989 stutzen 285 477 668 816 Suade 908 916 1047* sub rosa 778 suchen 56 246 362 575 599 650 667 681 727 860 871 971 1013 1036 1055 1135 1154 1189 Südfrüchte 693 Südpol 70 Suffkopp 1090 Sülfmeister 157 Sumpf 1183 Sumpfhuhn 1047* Sünde 55 341 422 853 1048* 1146 Sündenbock 411 479 1048* Sündenregister 504 768 1050* Sünder 466 Sünderstühlchen 1050* sündigen 505 Suppe 161 168 173 227 269 281 358 390 497663f 717f 722 788 896 907 987 1050* Suppenhuhn 17 Susanna 1052* süß 70 130 663 684 756 Süßholz 1052* Szene 1053* T Tabak 60 999 1054* Tabernakel 847 tabu 1054* tabula 133 tabula rasa /Tisch* Tabulatur 766 1055* 1076 Tafel 1055* 1077 Tag 9 38 54f 83 109 121 162 202f 249 251 257 313 380 414463f 574f 598 600 605 610 650 679 728f 752 778 781 794 823 846f 871 883 919 960 963 965f 1005f 1055* 1088 1143 1146 Tagedieb 414 1056 Taillenweite 1057* 1251
Takt Takt 1057* Taler 283 579 1057* 1061 Talglicht 598 938 Talsperre 1090 tampen 846 Tamtam 1057* Tand 689 Tank 1090 Tankwagen 793 Tanne 14 Tannenholz 772 1178 Tantalus 1057* Tante 563 1138 Tanz 472 724 1058* Tanzbär 843 846 tanzen 97 222 230 314 425 427f 503 510 613 663 723 729 750 752 769 845 894 938 f 999 1137 Tanzpferd 846 Tapet 19 1058* 1062 1091 Tapete 1059* Tarantel 13 1059* 1146 Tasche 69 140 236 258 391 618 641 717 725 785 861 878 970 972 1059* 1110 1113 Taschentuch 462 521 Tasse 185 1060* Taste 1060* Tat 919 Tatsache 153 Tau 1056 taub 394 418 691 696 Taube 13 72 239 349 533 755 842 852 946 952 970 1041 1060* 1114 taubengrau 71 Taubenhaus 417 Taubenschlag 218 313 499 1061* 1146 Taufe 185 434 1146 taufen 578 Taufessen 1061* taugen 895 Tausch 501 täuschen 632 Täuschung 253 tausend 197 453 464 729 1061* Tauziehen 497 Tee 43 539 1061* Teenager 11 Teer 1061* 1090 Teich 766f Teig 548 Teigaffe 635 Teil 121 199 1061* teilen 239 548 725 763 930 967 Teilstrecke 1062* telegraphieren 14 Teller 182 Tellerlecker 863 Tempel 1062* Tempelherr 1062* 1146 Templer 793 Teppich 622 1002 1062* 1076 Teterow 830 teuer 732 896 932 969 Teufel 17f 22 28 41 f 65 75 110 113 121 137 153 197f 200202213 225f 240 245 288 290 294 299 313 318 324 f 332 339 341 344 375 379 409 411 419 425 430 f 450 466 487 497 51 Of 513 537 549 551 556f 577 603 612 616679 681 691 699 726 728ff 810 814 818 834 847 850 869 900 907 918 932 935 948 f 960 978 987 997 1015 1026 1050 1054 1061 1062* 1105 1109 1119 1121 1146 1155 1158 1178 Teufelhaschen 466 Teufelsbraten 549 951 1073 Teufelskerl 928 1073 Text 597 845 1074* Thaler 823 Theater 1053 Themse 249 Thomas 1075* Thron 472 Thronentsetzung 1044 Tick 1075* tief 14 328 477 522 530 547 677 876 1074 1161 Tiegel 917 1134 Tier 446 740 1075* Tierarzt 9 Tierschutzverein 848 Tinte 1482 217 514 920 927 960 1051 1076* 1145 Tippelschickse 821 Tippeltappeltur 1055; /Tabulatur* tipptopp 1076* Tisch 55 95 111 123 258 283 352 485 600 793 818 874 945 1006 1055 1058 1076* 1090 Tischglocke 664 Tischler 905 Tisch 1055 1077* Titte 1077* Toast 1077* toben 117 1148 Tobias 1078* Tochter 282 384 428 940 949 Tod 38 55 83 109 122 506 539 555 583 591 832 838 854 889 917 1065 1078* 1090 1100 1146 1168 1179 Todaustragen 747 Todeskampf 1078 Todfall 1019 tödlich 946 Todsünde 949 Tohuwabohu 1080* toi-toi-toi 1080* toll 44 398 846 1080* 1170 Tölpel 938 Tomate 1081* Ton 205314283 719 848 1081 * 1152 tönen 332 tönern 297 Tonne 14 565 1145 Topf 22 173 193 199 225 362 503 522 638 651 814 1059 1082* 1089 1146 Topfguckerei 199 Tor 553 703 990 1082* 1095 1178 Torf 1145 Torkel 1061 Tornister 49 Torschlußpanik 703 Tort 191 tot 246 453 540 618 703 751 770 846 1083* Totalschaden 1083* töten 412 680 924 930 1083* 1164 Totenfresser 265 Totengräber 1083* Totenhochzeit 511 Totenreich 511 Totensuppe 1050 Totenvertrinker 265 Toter 83 265 582 839 1046 1083* totmachen 445 totschlagen 630 698 1175 Tour 547 760 1046 1083* 1129 Trab 301 1083* 1084 tragen 137 153 315 382 385 415 448f 543 621 701 742 786 819 884 899f 921 928 990 992 1027 1123f 1128 1149 1186 traktieren 845 847 Tran 1061 1084* Träne 146 214 931 1084* 1094 Trangötze 700 Transuse 1052 Trapez 1058 f Trapp /Trab* Trara 1084* Traube 25 302 427 645 292 793 1084* trauen 160 288 570 1128 Trauer 1093 Trauerlappen 572 Trauerstaat 989 Trauerweide 1178 Traufe 766f; /Regen* Traum 227 808 839 1085* 1146 träumen 326 708 835 Treff 1085* 1094 treffen 670 726 848 919 1083 treiben 147 150 214 552 668 684 701 741 757 763 797 836f 973 f 980 988 995 1018f 1080 trennen 1130 Treppe 1085* treten 113 171 212 243 247 267 270 297 477 554 f 657 685 719 732 749 774 857 866 885 900 914 941 1014 1033 1062 1128 1174 Tretmühle 18 660 1085* treu, Treue 55 146 220 935 961 1086* 1146 Treubruchnudel 1081 treulos 1081 Trichter 560 689f 1087* 1134 Trick 1087* Trieb 687 Triller 217 1087* trinken 32f 36 103 110 122 128 136 144 289 304 328 359 399 402 481 501 f 504 547 567 585 651 665 669 677 687 793 822 827 834 844 858 927f 964 985 995 1014 1021 1032 1034 1041 1076 1080 1087* 1092 1094 1133 1146 1168 1184 1190 Trippstrill 1090* 1131 Tritt 202 890 trocken 31 125 169 204 253 317 418 502 585 683 695 750 798 817 825 843 854 937 960 1014 1043 1091* 1146 trocknen 1084 Troddel 662 Troll 511 Trommel 391 1091* trommeln 340 Trompete 712f 1091* Tropfen 202 843 1091* Trost 217 591 1092* Trostpflaster 732 Trostpreis 923 Trotzkopf 1092* trüb 278 329 754 1092* trüben 1125f Trübsal 132 1093* Truhe 94f 1093* Trümelbraten 843 Trumpf 24 193 486f 1085 1093* Trunk 740 1021 trunken 233 Trunkenheit /trinken* Tube 214 1094* Tuch 779 1094* 1182 Tuck 1094* tüchtig 516 916 947 Tugend 80 607 686 889 tummeln 874 tun 12 56 109 Tüpfelchen 462; /i* Tür 9 42 108f 162 177 212 267 271 307 362 378 399 431 575 860 975 1252
Verpflegung 990 1008 1044 f 1065 f 1076 1094* 1119 1134 1158 1181 Türke 999 1096* Türklinke 463 Turm 1097* Turmspitze 848 1090 Turteltaube 72 Tüte 739 1097* tuten 132 1090 1097* Twen 11 Tyrannei 665 tz 38 1097* U U 1167 Übel 1098* übelnehmen 1098 üben 860 Überfluß 665 übergeben 811 860 überhöht 1027 überkochen 1051 überlassen 936 Überlaufen 793 überlaufen 300 übernachten 665 überreichen 1107 überschreiten 886 überschwenglich 913 überspannen 154 übersteigen 886 übertölpeln 432 übertrumpfen 1093 Übertür 935 überwechseln 568 Überwerfen 938 überwunden 996 überziehen 526 845 überzuckern 944 Ufer 825 Uhl 1098* Uhr 651 719 1047 1050 1090 1098* 1Î55 1176 Uhrwerk 313 Uhu 26 1098 1099* Ulk 1099* Ulmenbaum 130 Ulrich 972 1100* umdrehen 342 662 975 1106 1137 Umgang 978 umgehen 790 umgekehrt 786 896 1100* umhängen 620 umhauen 1100* umhergehen 610 1085; /'Löwe* umherlaufen 467 umherrennen 1059 Umkehr 123 umkehren 134 975 1106 1146 umkommen 1048 Umlauf 1100* umsatteln 790 Umschlag 844 umsonst 1100* Umstand 19 1101* umwenden 725 umziehen 39 717 Unarten 447 unbehauen 426 unberedet 1101 unberufen 118 1080 1101* unbeschladdert 1101 unbescholten 813 unbeschrieben 133 unbeschrien 1101 Undank 1101* undankbar 551 undeutsch 204 undicht 596 unerträglich 922 ungeboren 321 ungebrannt /Asche* Ungeduld 1172 ungeglättet 426 ungehobelt 854 857; /Hobel* ungekämmt 426 ungekocht 426 ungeleckt 96 ungelegt 223 ungeschlacht 70 844 ungeschliffen 426f 1102 ungeschoren 426 818 1102* ungespitzt 846 ungestriegelt 426 ungesund 802 ungewaschen 426 629 1123 Ungewisses 985 ungezügelt 1185 ungezwungen 1081 Unglück 139 334 397 633 889 969 unglücklich 1047 ungut 684 1102* Unke 1090 Unkraut 1102* 1135f Unnutzvogel 682 unpäßlich 711 unrasiert 408 Unrecht 12 422 unrein 147 888 1102* Unschuld 382f 385 1103* unsicher 1103* Unsterblichkeit 616 Unstern 1017 unterbelichtet 599 Untergang 759 untergehen 965 1016 Unterhaus 781 Unterhose 1103* unternehmen 890 untersuchen 1039 unterwerfen 958 unübertrefflich 913 Unzeit 1175 unzufrieden 609 Urian 465 513 Uriasbrief 1103* Urlaub 431 589 Urteil 822 984 1103* 1130 urteilen 830 1130 Urwald 217 1104* V Valant 726 1105 Valentin 1105* Valet 1105* Va ter 79f 93 111 204 259311 328 358 470 499 507 664 691 845 954 1088 1106* 1138 Vaterunser 87 130 193 325 1106* Veilchen 136 145 1003 1107* 1146 Veitle 193 Venedig 1107* Venus 964 Verabredung 717 verabschieden 740 verarbeiten 847 verballern 845 verballhornen 11 93; /Ballhorn* Verbandsstoff 1107* verbeißen 564 1107* verbergen 312 verbessern 474 verbeulen 845 verbieten 662 964 966 1030 verbimsen 845 verbissen 1107 verbleuen 654 845 verblüffen 310 verbolzen 846 verboten 693 verbrechen 1044 verbreiten 577 verbrennen 275 285 380 599f 629 661 724733 824 869 871 987 1186 verbrieft 56 verbrüht 1128 verdammt 1107 verdauen 1013 verdeckt 485 974 Verderb 311; /Gedeih* verderben 526 759 826 967 969 974 verdienen 364 560 600 774 788 919 981 f 1040 1057 1107* verdrehen 528 764 862 verdreht 887 verduften 711 verfahren 483 verfallen 1081 1087 verflixt, verflucht 413 961 1107* Vergangenheit 806 Vergaser 1128 Vergasung 1108* vergehen 565 806 1102 vergessen 110 122 681 896 943 Vergleich 424 822 834 Vergnügen 773 vergolden 276 737 vergraben 734 vergreifen 1082 verhageln 718 1051 Verhalten 985 verhängen 1032 verhauen 222 286 880 verheiraten 740 verheiratet 1108* verhelfen 1040 verholzen 845 verkaufen 98 108 166 215 235 294 433 473 631 792 838 871 919 935 1108* verkehren 297 verkehrt 113 170 322 376 1043 1137; /Welt* verklagen 1073 verkohlen 525 verkriechen 681 verlassen 316 339 362 754 763 1000 1108* 1146 1175 verlaufen 789 1081 verledern 846f verlegen 711 verletzen 312 1054 1057 verlieben 9 verliebt 677 695 901 1026 verlieren 154 230 241 253 326 442 486 527 536 540 680 974 988 1081 1103 1110 1117 verloren 396 468 740 830 1035 verlöschen 583 Verlust 1108* Verlustliste 1179 vermasseln 526 1083 vermerken 1098 vermieten 1044 vermöbeln 845 vernagelt 163 vernehmen 1150 vernichten 147 verordnen 845 1077 verpassen 206 845 verpfänden 935 verpflastern 846 Verpflegung 1179 1253
VERPUFFEN verpuffen 37 Verputz, verputzen 1108* Verrat 979 verraten 12 56 545 1108 verrecken 1178 verrenken 1110 verriegeln 56 verrollen 846 verrücken 1181 verrückt 507 1109* verrufen 125 Vers 770 1109* versalzen 161 538 663 718 969 1051 versammeln 1106 versaufen 264 1083 versäumen 1050 verschaffen 781 verschalen 846 verschenken 411 verschießen 725 750 Verschiß 809 verschissen 1109* verschlagen 844 983 verschlimmbessern 93 verschlissen 894 verschlossen 1095 verschlucken 119 235 567 659 993 verschneiden 837 873 verschnupft 674 verschossen 824 1109* verschütten 173 270 538 663 699 1051 verschüttet /öl* verschwiegen 1145 Verschwiegenheit 199 952 verschwinden 127 142 499 789 1062 1109 versengen 847 Versenkung 214 1109* versessen 1109* 1146 versetzen 108 115 703 841 845 851 1020 1031 versiegen 754 versilbern 381 737 954 versinken 153 versohlen 587 605 846 962* 963 versprechen 116 130 182 427 712 792 verspritzen 1076 verspüren 589 782 Verstand 225 333 476 607 854 957 1109* 1128 verstauchen 752 verstecken 1013 verstehen 251 553 664 693 728 753 759 783 856 864 969 1071 1073 1110* 1137 1146 1174 versteuern 216 verstoßen 1057 verstricken 415 683 1041 versuchen 425 597 985 versumpfen 1048 versüßen 737 vertauschen 776 vertobaken 845 vertragen 419 671 1013 1021 f 1031 1111 1174 Vertrauen 120 vertreiben 350 658 vertrinken 265 1083 vertrocknet 1091 vertun 880 verunzwirnen 1190 verursachen 1037 verwamsen 479 1120 verwechseln 1175 verweht 1152 verweigern 1124 verwelken 883 verwichsen 963 1143 verwickeln 1037 verwirren 306 983 verwischen 988 verzehren 265 1046 1083 Verzierung 37; /abbrechen* verzweifeln 649 Verzweiflung 759 verzwickt 1189 Vetter 643 710 1111* Vetterleswirtschaft 1111 Vetternstraße 11 1111 Vetternwirtschaft 11 1111 Vieh 215 640 viel 1111* Vielliebchen 831 1111* vier(e) 80 176 846 946 983 1034 1112* 1118 1120 1182 viereckig 964 Viernsel 528 Viertel 240 609 Violine 1113* vis-à-vis 1113* Visier 26 658 775 1113* Vogel 13 217 277 281 288 349 358 410 459 532 593 640 678 681f 724 823 867 954 1034 1087 1113* 1146 vogelfrei 23 1115* Vogel-Strauß-Politik 1034 Vokativ 1115* Volksfest 768 1115* Volksjustiz 187 voll 56 161 227 250 299 315 328 343 376 381 385 395 398 477 504 527 617 629 651 674 681 710 756 785f 806 869 925 985 988 1025 1041 1050 1080 1088 1090 1115* 1146 vollachen 442 vollaufen 1090 vollhaben 567 vollhauen 442 463 Vollmond 84 474 vollnehmen 661 vollsaufen 442 vollschlagen 614 vollügen 442 Volte 1116* voraus 949 Vorbehalten 890 Vorbeigehen 676 1142 vorbeikommen 986 Vorbeimarsch 1115 vorbereiten 384 1025 Vordermann 1116* Vorfahr 1010 Vorhalten 972 1050 Vorhand 742 Vorhang 232 Vorhut 461 vorjährig 871 Vorkommen 968 Vorlesung 834 vormachen 916 1151 1154 Vormittag 38 vorn 424 1152 vorschieben 1042 vorschießen 319 vorschreiben 701 Vorschuß 1116* vorsetzen 903 921 Vorsicht 30 664 741 1116* vorsintflutlich 958 Vorspannen 292 vorstellen 514 vortragen 1001 vorziehen 844 Vorzug 742 W Waage 327 807 1117* Waagschale 929 wachsen 101 129 307 343f 356 376 386 528 539 647 722 738 804 912 971 978 993 1027 Wachtmeister 1117* 1146 wackeln 103 555 1121 wacker 906 Wade 94 Waffe 954 Wagen 484 567 727 756f 778 1118* wagen 56 300 588 597 725 889 986 Wahl 236 689 wählen 1098 wahr 172 239 465 582 882 1118* Wahrheit 210 315 712 1005 1019 1119* wahrnehmen 1047 Waisenknabe 1119* Wald 85 108f 181 249 377 922 954 1119* Walfisch 869 888 walken 846 Walroß 869 Walze 1120* wälzen 339 1010 Wams 387 463 846 1120* 1123 wamsen 846 Wand 13 118 214 246 282 315 431 527 608 612 780 805 f 846 887 992 1065 f 1113 1120* wandeln 702 989 wandelnd 589 wanken 109 153 Wanze 1026 Wappen 241 414 639 Ware 689 warm 172 661 681 685 1160 warmzittern 1183 Warschau 83 1079 Wartburg 1122* warten 842 852 917 930 1047 1060 1122* 1142 1152 Waschbank 96 waschen, Wäsche 325 383 385 405 502 526f 532 578 587 648 714 755 783 898 958 1076 1123* 1128 1134 Waschküche 191 753 Waschlappen 848 Waschweib 1123* Wasser 23 25 30 45 55 84 109 128 146 186 192 198 217 249 271 276 278 283 340 375 433 473 497 530f 547 569 575 580 600 639 659ff 693 717 730 754 766f 779 787 789 793 806 827 841 853 896 899 902 930 934 942 947 963 970 982 997 1035 1090 1092f 1113 1123* 1131 1133 1147 1152 Wasserfall 765 Wasserglas 1047; /Sturm* wässerig 661 1169 Wasserkopf 1128* wässern 630 1147 Wasserprobe 927 Wassersuppe 417 Watte 228 Webfehler 217 1128* wechseln 486 821 1059 1081 wecken 448 Wecker 1128* wedeln 914 Weg 44 122 142 209 281 325 390 432 509 521 647 688 760 776 885 889 941 1009 f 1033 1037 1128* 1175 wegbleiben 776 983 wegfinden 1005 1254
Zapfenstreich weghaben 770 1168 wegleugnen 964 wegnehmen 661 1046 wegschnappen 676 wegtragen 500 wegwerfen 608 975 1130* weh 1170 1178 wehen 1152 Wehmutterhäublein 335 Wehr 438 wehren 380 668 Weib 216 283 334 f 390 430 440 492 507 510 594 660 721 877 885 1043 1074 1088 1091 1130* 1131 Weiberheld 709 Weibermühle 1091 1131* Weiberpelz 1036 weich 130 425 941 1160 Weide 461 730 1024 Weihnachten 467 691 1132* Weihnachtsmann 1132* Weihrauch 1132* Weihwasser 1073 Wein 14 24 399 574 705 730 827 896 1089 1127 1133* 1139 1154 weinen 77 139 146 262 521 646 1011 1023f 1093; flachen* Weingarten 193 Wein kauf 592 1133* weise 787 weisen 604 784 1095 1133* Weiser 1013 Weisheit 82 607 664 753 1134* weismachen 72 1134* weiß 13 162 203f 287 426 532 638 648 654 716755 769 787 916f 990 992 1121 1123 1134* 1141 Weißbier 424 Weiße 1005 weit 110 264 394 414 470 566 684 694 895 902 973 985 1134 1135* weiter 420 weiterbringen 889 weitergehen 889 weitersetzen 990 Weizen 366 817 984 1102 1135* Welle 1136* 1152 Wellenschlag 312 Welt70 163 165 203 214 341 548 570 579 605 665 671 739 810 876 945 1017 1021 1101 1108 1111 1135 1136* 1155 1177 Weltuntergang 1143 wenden 133 212 758 780 826 853 936 974 wenig 416 490 wenn 39 616 872 1138* Werbetrommel 1091 werfen 101 113 158 174212396f 460 521 566 571 665 684 715 756 800 804 806 829 844 853 896 903 938 1007 ff 1058 1082 1117 1121 1143 1147 1163 1165 1171 1179 Werft 825 Werg 1139* Werk 734 Werkstatt 611 874 Wermut 1092 Wermutstropfen 1139* Werra 1123 wert 130 211 213 262 316 410 520 538 579 710 729 750 785 896 902 926 963 1040 1048 1054 1057 Werwolf 288 455 1139* 1146 Wespennest 1140* Wespentaille 1141* Weste 162 280 716 1090 1134 1141* Westentasche 78 1059 Westerhemd 335 Westerhut 335 Westerwald 54 Wette 993 wetten 1142* Wetter 330 520 562 1142* 1152 Wetterdienst 14 Wetterfahne, Wetterhahn 1143* Wettlauf 823 wetzen 867 Wetzstein 931 955 Wichs 1143* Wichsbürste 841 1144* Wichse 843 865 wichsen 846 1172 wichtig 1117 Wicke 128 155 448 738 1144* Wickel 286 841 1144* wickeln 276 1190 widerspenstig 967 wie 505 509 1144* Wiedehopf 867 1026 Wiege 99 225 315 347 1146* wiegen 416 946 Wiesbaum 981 Wiese 249 1120 1147* Wiesel 1146 1147* wild 222 363 617 1148* Wildbret 1148* Wilde 1146 Wilder 573 Wildfang 1148* Wildsau 790 Wilhelm 1149* Wille 139 Wimpel 826 Wimper 1149* Wind 16 23 45 60 109 253 259 313 322 433 461 606 611 618f 688 765 775 780 826 877 936 965 984 1026 1113 1143 1146 1149* 1155 Windbeutel 1151 Windei 249 1153* windelweich 845f winden 35 405 850 1163 Windhexe 1153 Windhund 1151 windig 876 Windmacher 1151 Windmühle 249 841 1153* Windsbraut 404 1146 1153* windschief 823 Windschutzscheibe 657 Wink 156 820 Winkel 360 395 1119 Winkelschneider 157 Winkelzug, Winkelholz 1153* winken 820 839 1173; /Zaunpf Winter 345 Woche 82 589 730 846 wohl; wohl oder übel 56 685; /nolens* Woge 699 1152 wohnen 919 994 1120 Wolf 1525 107 148f 173 321 455 483 493 511 569 756 944 1146 1157* Wolfsklaue 407 Wolke 421 428 1146 1160* Wölkenkuckucksheim 15 1160 Wolle 13 205 246 259 323f 358 360 377 455 633 816 1160* Wort 40 43172 202 f 318 338 340 376 459 571 612 662 815 854 882 886 933 983 984 1002 1057 1082 1108 1138 1146 1161* 1187 wuchern 733 wühlen 635 1140 wund 751 Wunde 276 699 732 Wunder 136 1162* wunderlich 407 wundlaufen 962 wundschreiben 276 wünschen 411 423 722 921 1065 1105 Wupper 1177 Würde 44 55 Wurf 973 1162* Würfel 1162 1163* würgen 386 Wurm 349 538 614 764 850 1146 1163* Wurmstich 566 Wurst 1231 183 251 309 330 457 505 656 725 740 838 848 852 879 970f 995 1085 1094 1165* wurstegal 1166 wurstepiep 1166 Wurstkessel 42 Wurstsuppe 1145 Wurzel 85 844 Wüste 744 789 826 Wut 106 424 522 808 wütend 117 448 X X 9 38 542 1167* Xanthippe 947 1167* Y Ypern 83 1079; /Tod* Z Wippchen 1154* Wippe 508 839; /Kippe* Wipper 508 Wirsing 528 Wirt 130 614 764 1005 1154* 1173f wirtschaften 1059 1116 Wisch 1155* wischen 608 631 674 Wischer 85 1155* Wissen 14 44 109 wissen 9 104f 113 155 211 214 235 250 308 315f 327 332 340 363 384 389 f 443 486 522 527 551 577 581 f 596 603 606 754 779 787 834 845f 885 893 905 941 1027 1030 1047 1070f 1094 1099 1101 1107 1118 1152 1155* 1172 1174 Wissenschaft 597 Z /Abc* Zachäus 1146 1168* Zack, Zacken 37 546 1168* Zagen 1183 zäh 281 300 499 zahlen 124 146 408 576 588 1051 1136 zählen 213 240 294 538 616 661 773 809 890 924 1017 1085 Zahn 77 87 169f 358 438 547 650 671 691 845 847 914 1168* 1174 1178 Zahnbrecher 405 888 998 1146 1170* Zahnfleisch 1171* Zange 815 864 887 992 1171* Zankapfel 287 1171* zanken 211 392 505 805 Witwe 109 1157* 1179 Witwenstuhl 1044 Witz 216 353 anktippe 1168 apfen 694 790 968 1156 1171* apfenstreich 1171* 1255
ZAPPELN zappeln 1172* Zaster 521 Zauber 1172* Zaum 15 437 1172* 1186 Zaun 161 480 507 965 1019 1036 1172* 1178 Zaunbillet 1173 Zaunpfahl 13 575 820 1153 1173* Zaunstecken 1173 Zeche 317 513 747 1051 1173* zechen 256 Zecke 1116 Zeh 113 444 455 669 1174* zehn 274 455 Zehnte 1174* Zehren 124 269 880f Zehrung 575 Zeichen 1162 1174* 1175 zeigen 262 267 275 388 604 822 899 941 1067 1094f 1113 1169 1174* 1187 Zeile 834 1175* Zeisig 48 Zeit 55 287 326 340 698 780 834 885 965 1004 1006 1024 1032 1061 1170 1174 1175* zeitig 413 zeitlich 17 24 39 41 62 66 76 116 237 251 279 281 289 292 316 329 345 369 401 409 414 444 526 545 568 711 717 782 806 840 869 884f 1016 1026 1047 1080 1083 1106 1119 1129 1175* Zeitungspapier 739 Zelt 17 27 1179* Zepter 863 zerbrechen 130 zerfleischen 846 zergehen 1187 zermartern 425 zerplatzen 937 zerreißen 67 711 774 895 zerren 866 zerrissen 894 zerschlagen 741 757 zerschneiden 1077 zerstören 154 zerstreut 747f 1152 Zetermordio 1179* Zeug 214 322 588 843 1033 1179* Zicke 1180* Ziege 82 351 695 727 1111 1146 1180* Ziegenbock 1026 Ziegenhaut 558 Ziegenwolle 324 ziehen 212 375 404 465 472 483 497 542 552 561 f 570 587 594 600 609 733 736 764 768 812 839 847 857 866 886 913 939 941 981 994 1033 1039 1041 1100 1111 1163 1169f 1183 1188 Ziel 526 823 886 1000 1181* Zielscheibe 1021 Zieraffe 635 Zieten 1146 1181* Ziffer 688 Zifferblatt 847 Zigarre 1181* Zigeuner 144 918 Zigeunerregen 511 Zigeunersonne 511 Zimmer 238 1117 Zimmermann 355 604 1090 1133 1174 1181* Zimt 1181* Zimtziege 1182 Zinken 1182* Zinngießer 574 Zinshahn 368 779 1146 1182* Zipfel 123 1094 1182* zischen 659 850 1011 1090 Zither 1082 Zitherschlagen 1003 zitieren 886 zittern 13 56 109 247 330 569 827 1146 1183* Zivil 414 Zopf 359 386 884 1089f 1183* Zopfregiment 1149 Zorn 245 340 zornig 978 zubinden 785 züchtigen 961 zucken 1149 Zucker 48 69 433 1184* Zuckerlecken 852 zudecken 1048 zuerst 615 1184* Zufall 139 zufrieden 788 zufrieren 630 zuführen 964 Zug 27 39 311 1038 1089 1184* zugehen 968 1061 1066 Zügel 855 1185* zukneifen 1179 Zukunft 885 Zukunftsmusik /Musik* zulegen 1170 zumachen 567 995 1095 zünden 601 845 Zunder 779 1186* zunehmen 650 Zunge 15 69 203 271 358415481 569 630 635 859 873 927 929 934 977 987 1117 1172 1186* zupfen 678 1139 zurechtrücken 527 zurechtweisen 648 Zureden 998 1146 1188* zurückdrehen 758 zurückgeben 568 588 860 899 1185 zurücklassen 993 zurückstecken 605 732 zurückverlangen 898 zurückweisen 886 zurückwollen 1190 zurückzahlen 898 zurückziehen 870 Zurzach 826 zusammenbrechen 926 1138 Zusammenhalten 958 zusammenhauen 343 zusammenläppern /läppern* zusammennehmen 130 1109 zusammenreden 1022 zusammenreimen 1109 zusammenschlagen 520 zusammenschustern 904 zuschanzen 802 zuschlagen 256 864 zuschließen 994 zuschneiden 815 zuschustern 905 zuschütten 694 Zustand 777 1130 1146 1188* zustopfen 605 zuviel 354 547 569 576 757 903 969 1035 1040 1111 zuwege 1130 zuwenig 582 969 zuziehen 695 Zweck 957 1181 zwei 248 903 930 1037 1044 zweierlei 983 1094 Zweig 72 352 1188* zweischneidig 929 zweiundsiebzig 24 950 1188* Zwetschge 950 Zwetschgenbrühe 14 514 Zwickmühle 1189* Zwiebel 1189* zwiebeln 845 Zwilling 846 zwingen 150 Zwirn 1190* Zwirnsrolle 681 zwitschern 1190* zwölf 461 729 1047 1190* Zyklop 918