Danksagung
Vorwort und Einleitung
Inhaltsverzeichnis
I
Grundlagen
Kapitel-1
Einleitung
Kapitel-2
»Burnout«
2.1	Entstehung des Begriffs
2.2	Definition, Terminologie und Symptome
2.3	Burnout – eine Krankheit?
2.4	Diagnose von Burnout
2.5	Burnout und Depression
2.6	Phasen des Burnout – die Burnout-Spirale?
Kapitel-3
Ein mehrdimensionales Burnout-Modell
Kapitel-4
Zusammenfassung
II
Ursachen des Burnouts
Kapitel-5
Persönlichkeit oder Umwelt als Burnout-Ursachen?
Kapitel-6
Personale Faktoren
6.1	»Heroen der Arbeit« als Persönlichkeitstyp für ein Burnout?
6.2	Die Bedeutung von Glaubenssätzen bzw. »Antreibern«
6.3	Personale Kompetenzen und Anforderungsdruck der Umwelt
6.4	Die Relevanz der eigenen Lebensgeschichte
Kapitel-7
Organisationale Faktoren
7.1	Burnout in psychosozialen Berufen
7.2	Burnout als Zeichen einer Störung in der Organisation
7.3	Burnout als fehlende Passung zwischen Arbeitsumgebung und Mensch
7.4	Organisationen und ausgebrannte Teams
Kapitel-8
Forschungsergebnisse zu Burnout
Kapitel-9
Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung
9.1 Kurzdarstellung eines Organisationsmodells der systemischen Organisationsentwicklung
9.2 Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell
Kapitel-10
Zusammenfassung
III
Burnout adäquat anpacken
Kapitel-11
»Irrwege« und »Auswege«
11.1	»Modell Burnout-Syndrom«
11.1.1	Fokus Organisation
11.1.2	Fokus Person
11.2	Burnout aus systemischer Perspektive
11.2.1	Der systemische Blick auf Organisationen
11.2.2	Die systemisch-konstruktivistische Perspektive
11.2.3	Die systemtheoretische Perspektive
Kapitel-12
Wie weiter?
12.1	Unternehmen zwischen Hochleistung und Erschöpfung
12.2	Herausforderungen in der Zukunft und neue Maßnahmen
12.3	Ein neues Paradigma von Gesundheit in Betrieben und Organisationen
12.4	Prophylaxe – Prävention – Intervention
12.5	Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe
12.5.1	Betriebliche Gesundheitsförderung als Wettbewerbsvorteil
12.5.2	Der »Return on Investment« bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung
IV
Prophylaxe
Kapitel-13
Prophylaxe
13.1	Eustress – auch das gibt es!
13.2	Salutogenese
13.3	Die Sinnfrage als verborgener Antriebsmotor oder blockierte Energie in der Arbeitswelt
13.4	Leben (auch) in der Arbeit
13.5	Belastungsreduzierung – weitere Hilfen
13.5.1	Fragebogen zur individuellen Belastung
13.5.2	Unterstützende Aktivitäten
Kapitel-14
Prophylaxe
14.1	Sich selbst führen
14.1.1	Selbstreflexion als Führungskraft
14.1.2	»Was Sterbende am meisten bereuen«
14.1.3	»Wie lebe ich den Rest meines Lebens?«
14.1.4	»Blick auf meine Persönlichkeit«
14.1.5	Rollenklarheit, -konflikte und -überlastung
14.1.6	Selbstmanagement als Führungskraft
14.2	Die Organisation bzw. das Unternehmen führen
14.2.1	Überschätzung der Feldkompetenz und Einmischung in fremde Bereiche
14.2.2	Mangelnde Managementkompetenz
14.2.3	Managementkompetenz konkret
14.2.4	Kernfunktionen und -aufgaben im Management
14.2.5	Grundsätze und Werkzeuge des Führens
14.3	Mitarbeiter führen
14.3.1	»Führung als Kunst« – wider triviale Annahmen
14.3.2	Der Beitrag der Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg
14.3.3	Führung im Kommunikationsprozess
14.3.4	Grundlegende Themen im Führungsprozess
14.3.5	Beziehungen
14.3.6	Gesundheitsförderliche Führung – einige Stichworte
14.3.7	Früherkennung von Burnout
Kapitel-15
Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen
15.1	Betriebliche Gesundheitsförderung
15.1.1	Grundsatzüberlegungen
15.1.2	Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements
15.1.3	Mögliche Angebote und Maßnahmen im BGM
15.2	Verhaltensprophylaxe in Organisationen
15.2.1	Modul »Motivationale Anreize«
15.2.2	Modul Stress
15.2.3	Modul
15.3	Verhältnisprophylaxe in Organisationen
15.3.1	Prophylaxe »Unternehmenscheck«
15.3.2	Analyse und Diagnose von Disstress im Unternehmen
15.3.3	Kreative Methoden
15.3.4	Infoworkshop für Führungskräfte
15.3.5	Infoworkshop Belegschaft
15.3.6	Beispiel
V
Prävention
Kapitel-16
Gefahren für Organisationen bzw. Unternehmen
16.1	Präsentismus
16.2	Musterwiederholung bei organisational bedingtem Burnout
Kapitel-17
Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung
17.1	Interner oder externer Berater?
17.2	Der Nutzen systemischer Burnout-Beratung
17.3	Forschungsergebnisse zu Interventionen
17.4	Prinzipien einer systemisch orientierten (Burnout-)Beratung
17.5	Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung
17.5.1	Sorgfältige Analyse und Diagnose
17.5.2	Ziele bzw. Visionen bestimmen
17.5.3	Information bzw. Bewusstseinsbildung
17.5.4	Beteiligung der Mitarbeiter
17.5.5	Aktive Mitarbeit der Führungskräfte
17.5.6	Kommunikation
17.5.7	Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse
17.5.8	Bezugsrahmen
17.5.9	Nutzung der bestehenden Ressourcen
17.5.10	Die Wichtigkeit einer sorgfältigen Auftragsklärung
Kapitel-18
Analyse und Diagnose der Ursachen
18.1	Personale Faktoren
18.1.1	Erste Anzeichen von Erschöpfung – Warnzeichen wahrnehmen
18.1.2	Unterstützung durch die Führungskraft
18.2	Organisationale Faktoren
18.2.1	Ein Mitarbeiter als Symptomträger
18.2.2	Organisationale Faktoren im engeren Sinne
Kapitel-19
Beratungsarchitekturen und –designs
19.1	Orientierungsphase
19.2	Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung
19.2.1	Schnelltest
19.2.2	Die »Burnout-Ampel«
19.2.3	Pinnwand-Abfrage zu relevanten Burnout-Faktoren
19.2.4	Online-Mitarbeiterbefragungen
19.2.5	Qualitative Interviews mit Führungspersonen
19.2.6	Workshops mit der Geschäftsleitung bzw. mit Führungskräften
19.2.7	Workshops mit (möglichst vielen) Mitarbeitenden
19.2.8	Zukunftsmodellierung 1
19.2.9	Zukunftsmodellierung 2
19.2.10	 Zukunftsmodellierung 3
19.3	Phase der Zielfindung, -auswahl und -entscheidung
19.4	Installieren der Steuerungsstruktur
19.5	Information des Gesamtsystems
19.6	Bearbeiten der ausgewählten Ziele
19.7	Absichern des Prozesses
VI
Interventionen bei Burnout
Kapitel-20
Unzulänglichkeiten und Gefahren
Kapitel-21
Der Umgang mit Betroffenen
21.1	Allgemeine Empfehlungen
21.2	Verhalten des Vorgesetzen
21.3	Kommunikation im Unternehmen und Überprüfung organisationaler Faktoren
21.4	Rückkehr in das Unternehmen
21.5	Erfahrungen aus der Beratungsarbeit
21.5.1	Gute Situationsanalyse nötig
21.5.2	Arbeit mit Führungskräften
21.5.3	Arbeit mit Angestellten und Arbeitern
VII
Fazit
Kapitel-22
Wichtige Ergebnisse
Kapitel-23
Ausblick
Serviceteil
Anhang
Literatur
Stichwortverzeichnis
Текст
                    
Stress und Burnout in Organisationen
Ulrich Scherrmann Stress und Burnout in Organisationen Ein Praxisbuch für Führungskräfte, Personalentwickler und Berater Mit 32 Abbildungen 1  C
Ulrich Scherrmann MSc in Organisational Development Gais/AR Schweiz www.scherrmann-beratung.ch Ergänzendes Material finden Sie unter 7 http://extras.springer.com/978-3-662-45535-7 ISBN 978-3-662-45535-7 DOI 10.1007/978-3-662-45536-4 ISBN 978-3-662-45536-4 (eBook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 7 http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: © Fotolia.com/ K.-U. Häßler Herstellung: Crest Premedia Solutions (P) Ltd., Pune, India Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer-Verlag ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer.com
V Danksagung Dieses Buch wäre ohne die zahlreichen Gespräche und Diskussionen mit vielen Kollegen und Bekannten nicht zustande gekommen. Frau Dr. Brigitte Hausinger, wissenschaftliche Leiterin des Masterstudiums »Organisationsberatung« der Fachhochschule Vorarlberg/ Schloss Hofen, inspirierte mich dazu, das Thema »Burnout« aus systemischer Perspektive zu beleuchten, und ermutigte mich zu dieser Publikation. Ein ganz besonderer Dank gilt den beiden Chefärzten der psychosomatischen Abteilung der Klinik Gais/AR (Schweiz), Dr. Torsten Berghändler (ehem. Chefarzt) und Dr. Thomas Baisch. Sie haben beide die Notwendigkeit erkannt, mithilfe von Coaching die Patienten nach einem stationären Aufenthalt »zurück ins Leben« zu begleiten. Mein Dank gilt der Schweizer Gesundheitsorganisation SWICA und ihrem Leiter »CareManagement Privatkunden«, Herrn Erich Scheibli, sowie den vielen Care-Managerinnen: Sie haben durch ihre fürsorgliche Begleitung und ihr großes Engagement vielen Reha-Patienten geholfen, wieder Freude und Engagement im Privat- und Berufsleben zu entwickeln. Ein Dank gilt der Psychiaterin und Psychotherapeutin Elke Broos-Koenitz und der Diplompsychologin und Psychotherapeutin Beatrix Ott: Sie haben mir durch vielfältigen Austausch immer wieder spannende Anregungen gegeben. Danken möchte ich Frau Dr. Yvonne Fleischmann und dem Leiter HR-Beratung der Helvetia Versicherung, Herrn Fernando Ferrari, für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die wertvollen Hinweise. Nicht zuletzt gilt mein Dank meiner Familie, die mich in vielen Stunden an meinem Schreibtisch entbehren musste, und den vielen Organisationen und Coachees, die sich meiner Begleitung anvertraut haben. Ohne sie und ihre herausfordernden Situationen wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Im Prozess der Buchpublikation war Herr Joachim Coch vom Springer-Verlag ein wertvoller Ansprechpartner. Auch ihm gebührt mein Dank, ebenso der Lektorin, Frau Daniela Böhle, für die wertvollen Hinweise, Korrekturvorschläge und Rückfragen. Liebe Leserinnen und Leser: Ich freue mich auf Ihre Anregungen, Hinweise und Rückmeldungen. Ulrich Scherrmann Gais/AR (Schweiz) im Oktober 2014
VII Vorwort und Einleitung »Stress«, »Burnout«, »Arbeitsüberlastung« – die Fülle der Wörter, mit denen viele Arbeitnehmer ihre persönliche Situation und ihr Befinden am Arbeitsplatz beschreiben, ist (zumindest in der veröffentlichten Meinung) von negativen Attributen geprägt. Die Genugtuung bei einer erbrachten Leistung und die Sinnerfüllung, die viele Tätigkeiten den Menschen bringen, werden scheinbar nicht beachtet. Auch die vielfältigen Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Menschen, die in international tätigen Unternehmen möglich sind und eine Horizonterweiterung mit sich bringen, sind kaum eine Meldung oder eine größere Reportage wert. Dieses Buch kann diesen Mainstream der Berichterstattung über Belastungen und Erfolge am Arbeitsplatz wohl kaum beeinflussen. Es will allerdings einen Beitrag dazu leisten, dass Führungskräfte, Organisationen bzw. Unternehmen und die Arbeitnehmer selbst mit anderen Perspektiven, Einstellungen und Verhaltensweisen mit den Belastungen an ihrem Arbeitsplatz umgehen können. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Burnout ist u. a. deshalb nötig, weil in den letzten Jahren die Zahl der von Burnout betroffenen Menschen sprunghaft gestiegen ist. Viele scheinen den Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht mehr gewachsen zu sein. Die Ursache für Burnout wird in der öffentlichen Diskussion hauptsächlich an personalen Faktoren der Betroffenen festgemacht. Diese einseitige Sichtweise ist wissenschaftlich nicht haltbar und hilft vielen Betroffenen nicht weiter. Deshalb wird diese traditionelle Sicht um mögliche organisationale Faktoren von Burnout erweitert und in einem systemischen Organisationsmodell transparent gemacht. In diesem Buch werden nach der Darlegung elementarer Grundlagen zur Burnout-Problematik (z. B. Abgrenzung zur Depression) Ursachen des Burnouts entfaltet. Darauf aufbauend wird für einen adäquaten Umgang mit diesem Phänomen plädiert, der u. a. ein neues Paradigma von Gesundheit in Betrieben und Organisationen und eine gute betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe umfasst. Im Praxisteil werden Möglichkeiten der Prophylaxe sowohl für einzelne Mitarbeiter als auch für Führungskräfte und die ganze Organisation mit vielen Checklisten dargestellt. Die Prävention fokussiert auf die Gefahren für Unternehmen (Musterwiederholung, Präsentismus) und erläutert darauf aufbauend zahlreiche bewährte Beratungsmodelle, die von Beratern, Führungskräften oder Personalentwickeln in der Praxis angewandt werden können. Konkrete Möglichkeiten der Intervention für Betroffene und Führungskräfte sowie Erfahrungen aus der Beratungsarbeit runden dieses Praxisbuch ab. Die Begriffe »Organisation« und »Unternehmen« werden in diesem Buch sowohl gemeinsam als auch separat verwandt. Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Stress und Burnout sowohl in gewinnorientierten als auch nicht gewinnorientierten Einrichtungen auftreten.
VIII Vorwort und Einleitung In einer Organisation findet man Personen, die für ein bestimmtes Ziel arbeiten und dabei in einer bestimmten Struktur organisiert sind. Damit zählen sowohl traditionelle Unternehmen als auch soziale Einrichtungen, Sportvereine, Krankenhäuser, Kirchen oder Behörden als Organisation und sind potenziell wegen ihrer Eigenheiten für Disstress und Burnout anfällig (Robbins, Coulter & Fischer, 2014, S. 25). Hintergrund für die Entstehung dieses Buches sind einerseits vielfältige Erfahrungen als Organisationsberater mit Organisationen und Unternehmen, die weniger Disstress und Belastungen für die Mitarbeiter und die ganze Organisation erreichen wollten. Andererseits durfte ich in den letzten Jahren als Coach Menschen begleiten, die nach einem Burnout bzw. einer Depression meist einen stationären Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik verbracht hatten und anschließend zu mir ins Coaching kamen. In diesen Beratungen erfuhr ich immer wieder, dass bei vielen Führungskräften in Unternehmen und Organisationen die Meinung vorherrscht, dass Burnout auf die mangelnde Stresskompetenz des Mitarbeitenden zurückzuführen ist. Dies ist die eine Seite der Medaille: Es gibt Faktoren in der Biographie und Persönlichkeitsstruktur des Coachees, die zu den »klassischen Burnout-Dispositionen« zählen, z. B. nicht Nein sagen können oder Perfektionismus. Die andere Seite der Medaille will aber auch gesehen werden: Es gibt darüber hinaus viele äußere Faktoren, z. B. übermäßige Arbeitsanforderungen, schlechtes Betriebsklima oder unklare Prozesse, die zu einer erhöhten Belastung der Coachees führen. Da Burnout in der Vergangenheit meist als persönliches Schicksal der Betroffenen dargestellt wurde, begann ich mich immer mehr dafür zu interessieren, wie neben den personalen auch die interpersonalen und organisationalen Faktoren von Burnout in der öffentlichen Diskussion und v. a. im betrieblichen Gesundheitsmanagement berücksichtigt werden können. Eine Schlüsselerkenntnis aus meiner Coaching-Tätigkeit ist, dass Führungskräfte durch organisationale Interventionen eine große Entlastung im Prozess der Wiedereingliederung ins Arbeitsleben erfuhren. Auch nach dieser Phase konnte die Entlastung durch regelmäßiges Coaching aufrechterhalten werden, weil besonders die organisationalen Faktoren im Coaching-Prozess fokussiert und verändert werden konnten. Zur besseren Lesbarkeit wird im Text die geschlechtsneutrale Schreibweise angewandt. Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher oder weiblicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.
IX Inhaltsverzeichnis I Grundlagen 1  Einleitung: Relevanz des Themas���������������������������������������������������������������������������������������������������   3 Ulrich Scherrmann 2  »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose�����������������������������������   7 Ulrich Scherrmann 2.1  Entstehung des Begriffs�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������   8 2.2  Definition, Terminologie und Symptome �������������������������������������������������������������������������������������������   8 2.3  Burnout – eine Krankheit?������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 11 2.4  Diagnose von Burnout ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 13 2.5  Burnout und Depression ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15 2.6  Phasen des Burnout – die Burnout-Spirale?��������������������������������������������������������������������������������������� 16 3  Ein mehrdimensionales Burnout-Modell ��������������������������������������������������������������������������������� 19 Ulrich Scherrmann 4  Zusammenfassung ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 27 Ulrich Scherrmann II Ursachen des Burnouts 5  Persönlichkeit oder Umwelt als Burnout-Ursachen? ������������������������������������������������������� 31 Ulrich Scherrmann 6  Personale Faktoren��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 33 Ulrich Scherrmann 6.1  »Heroen der Arbeit« als Persönlichkeitstyp für ein Burnout?����������������������������������������������������� 6.2  Die Bedeutung von Glaubenssätzen bzw. »Antreibern«��������������������������������������������������������������� 6.3  Personale Kompetenzen und Anforderungsdruck der Umwelt������������������������������������������������� 6.4  Die Relevanz der eigenen Lebensgeschichte ����������������������������������������������������������������������������������� 34 35 38 39 7  Organisationale Faktoren������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 43 Ulrich Scherrmann 7.1  Burnout in psychosozialen Berufen: Herbert J. Freudenberger������������������������������������������������ 7.2  Burnout als Zeichen einer Störung in der Organisation: Christina Maslach������������������������� 7.3  Burnout als fehlende Passung zwischen Arbeitsumgebung und Mensch: Cary Cherniss ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 7.4  Organisationen und ausgebrannte Teams: Jörg Fengler ������������������������������������������������������������� 44 45 48 50 8  Forschungsergebnisse zu Burnout����������������������������������������������������������������������������������������������� 53 Ulrich Scherrmann
X Inhaltsverzeichnis 9  Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung���������������������������������������������������������������������������������������������������������������  57 Ulrich Scherrmann 9.1  Kurzdarstellung eines Organisationsmodells der systemischen Organisationsentwicklung ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  58 9.2  Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell �����������������������������������������������  58 10  Zusammenfassung �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  67 Ulrich Scherrmann III Burnout adäquat anpacken 11  »Irrwege« und »Auswege« ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������  71 Ulrich Scherrmann 11.1  »Modell Burnout-Syndrom«: Fehlende Passung Person – Organisation �����������������������������  72 11.1.1 Fokus Organisation: Belastung durch die Arbeitsaufgabe���������������������������������������������������������������  74 11.1.2 Fokus Person: Gratifikationskrise�������������������������������������������������������������������������������������������������������������  74 11.2  Burnout aus systemischer Perspektive����������������������������������������������������������������������������������������������  76 11.2.1 Der systemische Blick auf Organisationen���������������������������������������������������������������������������������������������  77 11.2.2 Die systemisch-konstruktivistische Perspektive: Die Bedeutung des Kontextes�����������������������  79 11.2.3 Die systemtheoretische Perspektive: Zur Logik von Organisationen �������������������������������������������  79 12  Wie weiter?�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  81 Ulrich Scherrmann 12.1  Unternehmen zwischen Hochleistung und Erschöpfung�����������������������������������������������������������  82 12.2  Herausforderungen in der Zukunft und neue Maßnahmen �����������������������������������������������������  83 12.3  Ein neues Paradigma von Gesundheit in Betrieben und Organisationen���������������������������  85 12.4  Prophylaxe – Prävention – Intervention �������������������������������������������������������������������������������������������  86 12.5  Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe���������������������������������������������������������������������������������  87 12.5.1 Betriebliche Gesundheitsförderung als Wettbewerbsvorteil�����������������������������������������������������������  88 12.5.2 Der »Return on Investment« bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung �����  90 IV Prophylaxe: Bevor das Feuer erlischt 13  Prophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen�����������������������������������������������������  95 Ulrich Scherrmann 13.1  Eustress – auch das gibt es!���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  96 13.2  Salutogenese: Gesunderhaltung durch Verstehbarkeit – Handhabbarkeit – Bedeutsamkeit���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  97 13.3  Die Sinnfrage als verborgener Antriebsmotor oder blockierte Energie in der Arbeitswelt�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  97 13.4  Leben (auch) in der Arbeit�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������  99 13.5  Belastungsreduzierung – weitere Hilfen������������������������������������������������������������������������������������������� 100 Fragebogen zur individuellen Belastung����������������������������������������������������������������������������������������������� 101 Unterstützende Aktivitäten����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 101 13.5.1 13.5.2
Inhaltsverzeichnis XI 14  Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung ������������������������������������������������������� 105 Ulrich Scherrmann 14.1  Sich selbst führen ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.1.1 Selbstreflexion als Führungskraft������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.1.2 »Was Sterbende am meisten bereuen«��������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.1.3 »Wie lebe ich den Rest meines Lebens?«����������������������������������������������������������������������������������������������� 14.1.4 »Blick auf meine Persönlichkeit«��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.1.5 Rollenklarheit, -konflikte und -überlastung ����������������������������������������������������������������������������������������� 14.1.6 Selbstmanagement als Führungskraft��������������������������������������������������������������������������������������������������� Die Organisation bzw. das Unternehmen führen ������������������������������������������������������������������������� 14.2  14.2.1 Überschätzung der Feldkompetenz und Einmischung in fremde Bereiche������������������������������� 14.2.2 Mangelnde Managementkompetenz: unzureichende Wahrnehmung der zentralen Aufgaben Verbinden und Entscheiden ����������������������������������������������������������������������� 14.2.3 Managementkompetenz konkret: Herausforderungen des normativen, strategischen und operativen Managements��������������������������������������������������������������������������������������� 14.2.4 Kernfunktionen und -aufgaben im Management������������������������������������������������������������������������������� 14.2.5 Grundsätze und Werkzeuge des Führens����������������������������������������������������������������������������������������������� 14.3  Mitarbeiter führen ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.3.1 »Führung als Kunst« – wider triviale Annahmen��������������������������������������������������������������������������������� 14.3.2 Der Beitrag der Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg��������������������������������������������������������������������� 14.3.3 Führung im Kommunikationsprozess����������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.3.4 Grundlegende Themen im Führungsprozess��������������������������������������������������������������������������������������� 14.3.5 Beziehungen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 14.3.6 Gesundheitsförderliche Führung – einige Stichworte����������������������������������������������������������������������� 14.3.7 Früherkennung von Burnout��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 106 107 107 108 109 110 111 112 116 117 118 122 124 125 127 128 130 132 136 136 138 15  Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen ����������������������������������������������� 139 Ulrich Scherrmann 15.1  Betriebliche Gesundheitsförderung ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.1.1 Grundsatzüberlegungen����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.1.2 Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements��������������������������������������������������������������� 15.1.3 Mögliche Angebote und Maßnahmen im BGM����������������������������������������������������������������������������������� 15.2  Verhaltensprophylaxe in Organisationen����������������������������������������������������������������������������������������� 15.2.1 Modul »Motivationale Anreize« ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.2.2 Modul Stress��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.2.3 Modul: »Ein Blick auf meinen Arbeitsplatz«������������������������������������������������������������������������������������������� 15.3  Verhältnisprophylaxe in Organisationen ����������������������������������������������������������������������������������������� 15.3.1 Prophylaxe »Unternehmenscheck«��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.3.2 Analyse und Diagnose von Disstress im Unternehmen��������������������������������������������������������������������� 15.3.3 Kreative Methoden��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.3.4 Infoworkshop für Führungskräfte ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.3.5 Infoworkshop Belegschaft������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 15.3.6 140 140 141 142 144 144 145 146 147 148 148 150 151 153 Beispiel: Stressmanagement in der Abteilung eines Krankenhauses������������������������������������������� 155
XII Inhaltsverzeichnis V Prävention: Rechtzeitig handeln 16  Gefahren für Organisationen bzw. Unternehmen ����������������������������������������������������������� 163 Ulrich Scherrmann 16.1  Präsentismus������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 164 16.2  Musterwiederholung bei organisational bedingtem Burnout������������������������������������������������� 165 17  Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung��������������������������������������������������� 169 Ulrich Scherrmann 17.1  Interner oder externer Berater? ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.2  Der Nutzen systemischer Burnout-Beratung����������������������������������������������������������������������������������� 17.3  Forschungsergebnisse zu Interventionen ��������������������������������������������������������������������������������������� 17.4  Prinzipien einer systemisch orientierten (Burnout-)Beratung������������������������������������������������� 17.5  Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung ��������������������������������� 17.5.1 Sorgfältige Analyse und Diagnose����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.2 Ziele bzw. Visionen bestimmen: Salutogenese als neues Paradigma für Organisationen?�������� 17.5.3 Information bzw. Bewusstseinsbildung������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.4 Beteiligung der Mitarbeiter����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.5 Aktive Mitarbeit der Führungskräfte������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.6 Kommunikation��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.7 Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.8 Bezugsrahmen: Systemisches Organisationsmodell ������������������������������������������������������������������������� 17.5.9 Nutzung der bestehenden Ressourcen ������������������������������������������������������������������������������������������������� 17.5.10 Die Wichtigkeit einer sorgfältigen Auftragsklärung��������������������������������������������������������������������������� 170 171 172 173 174 176 177 179 180 180 181 181 182 182 183 18  Analyse und Diagnose der Ursachen����������������������������������������������������������������������������������������� 185 Ulrich Scherrmann 18.1  Personale Faktoren������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 18.1.1 Erste Anzeichen von Erschöpfung – Warnzeichen wahrnehmen��������������������������������������������������� 18.1.2 Unterstützung durch die Führungskraft ����������������������������������������������������������������������������������������������� Organisationale Faktoren ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 18.2  18.2.1 Ein Mitarbeiter als Symptomträger��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 18.2.2 Organisationale Faktoren im engeren Sinne����������������������������������������������������������������������������������������� 186 186 188 190 190 190 19  Beratungsarchitekturen und –designs������������������������������������������������������������������������������������� 193 Ulrich Scherrmann 19.1  Orientierungsphase����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 19.2  Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung ��������������������������������������������������������� 19.2.1 Schnelltest: Wie belastet sind meine Mitarbeiter? ����������������������������������������������������������������������������� 19.2.2 Die »Burnout-Ampel«����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 19.2.3 Pinnwand-Abfrage zu relevanten Burnout-Faktoren������������������������������������������������������������������������� 19.2.4 Online-Mitarbeiterbefragungen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 19.2.5 Qualitative Interviews mit Führungspersonen������������������������������������������������������������������������������������� 19.2.6 19.2.7 19.2.8 19.2.9 19.2.10 Workshops mit der Geschäftsleitung bzw. mit Führungskräften��������������������������������������������������� Workshops mit (möglichst vielen) Mitarbeitenden ��������������������������������������������������������������������������� Zukunftsmodellierung 1: Unsere Organisation in x Jahren ������������������������������������������������������������� Zukunftsmodellierung 2: Herausforderung gesundheitsförderliche Organisation ����������������� Zukunftsmodellierung 3: Film »gesundheitsförderliches Unternehmen«����������������������������������� 195 197 198 199 200 202 202 203 205 206 208 209
Inhaltsverzeichnis XIII 19.3  Phase der Zielfindung, -auswahl und -entscheidung������������������������������������������������������������������� 19.4  Installieren der Steuerungsstruktur ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 19.5  Information des Gesamtsystems ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 19.6  Bearbeiten der ausgewählten Ziele����������������������������������������������������������������������������������������������������� 19.7  Absichern des Prozesses�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� VI 209 210 211 211 212 Interventionen bei Burnout 20  Unzulänglichkeiten und Gefahren ��������������������������������������������������������������������������������������������� 217 Ulrich Scherrmann 21  Der Umgang mit Betroffenen��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 221 Ulrich Scherrmann 21.1  Allgemeine Empfehlungen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 21.2  Verhalten des Vorgesetzen��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 21.3  Kommunikation im Unternehmen und Überprüfung organisationaler Faktoren����������� 21.4  Rückkehr in das Unternehmen ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 21.5  Erfahrungen aus der Beratungsarbeit ����������������������������������������������������������������������������������������������� 21.5.1 Gute Situationsanalyse nötig��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 21.5.2 Arbeit mit Führungskräften����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 21.5.3 Arbeit mit Angestellten und Arbeitern��������������������������������������������������������������������������������������������������� VII 222 222 224 226 228 228 228 230 Fazit 22  Wichtige Ergebnisse����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 235 Ulrich Scherrmann 23  Ausblick�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 239 Ulrich Scherrmann Serviceteil Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen������������������������������������������������������������������������������������� 244 Literatur ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 251 Stichwortverzeichnis��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 254
1 Grundlagen Kapitel 1 E  inleitung: Relevanz des Themas – 3 Ulrich Scherrmann Kapitel 2 »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose – 7 Ulrich Scherrmann Kapitel 3 E  in mehrdimensionales Burnout-Modell – 19 Ulrich Scherrmann Kapitel 4  Zusammenfassung – 27 Ulrich Scherrmann I
3 Einleitung: Relevanz des Themas Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 1
4 Kapitel 1 • Einleitung: Relevanz des Themas 1 Vermehrte Burnout-Diagnosen Starker Anstieg von Krankschreibungen und Fehltagen Burnout-Diagnose zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen Die Zahl von 12 Millionen Suchergebnissen unter dem Stichwort »Burnout« bei Google (Stand 10.7.2014) ist nur ein Indiz dafür, wie bedeutsam Burnout mittlerweile in der (digitalen) Öffentlichkeit ist. Auch ein Blick auf den Büchermarkt zeigt, dass Burnout ein Thema ist, das Autoren aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln angepackt haben. Im Buchhandel findet man Titel wie: »Burnout kommt nicht nur von Stress: Warum wir wirklich ausbrennen«, »Der Burnout-Irrtum: Ausgebrannt durch Vitalstoffmangel. Burnout fängt in der Körperzelle an« oder »Burnout: Erkennen, verhindern, überwinden. Die eigenen Emotionen steuern lernen«. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen in Deutschland belegt, dass immer mehr Ärzte ein Burnout diagnostizieren (Wissenschaftliches Institut der AOK, 2011). Die Zahl der Krankheitstage ist innerhalb von sieben Jahren (2004–2010) um fast das Neunfache gestiegen. Dabei wird erwähnt, dass vor allem Frauen und Arbeitnehmer in erzieherischen und therapeutischen Berufen von einem Burnout betroffen sind. Das vermutete veränderte Diagnoseverhalten der Ärzte allein erklärt diesen Anstieg nicht; wesentlich werden »insbesondere die gestiegenen psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz als Ursache benannt« (Wissenschaftliches Institut der AOK, 2011). Im Juni 2012 hat die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in Deutschland eine differenzierte Studie zu psychischen Erkrankungen und Burnout im Hinblick auf eine Arbeitsunfähigkeit veröffentlicht (Bundespsychotherapeutenkammer, 2012, S. 5–7). Dabei verwertete die BPtK die Angaben der großen gesetzlichen Krankenkassen AOK, BKK, DAK und TK aus dem Jahr 2010 und kam zu folgenden Ergebnissen: Seit dem Jahr 2004 (hier liegen erstmals verlässliche Zahlen vor) ist die Zahl der Krankschreibungen aufgrund von Burnout um 700%, die Zahl der Fehltage sogar um fast 1 400% gestiegen. Gleichzeitig wies die BPtK darauf hin, dass bei mehr als 40% der wegen Burnout Krankgeschriebenen gleichzeitig eine psychische Erkrankung (Depression oder Anpassungsstörung) diagnostiziert wird. Betrachtet man die Krankheitstage von Burnout im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen fällt auf, dass diese nur 4,5% der Fehltage ausmachen. Krankheitstage »nur« mit der Zusatzkodierung Z73 sind eher selten. Die BPtK macht auch auf die Tatsache aufmerksam, dass gegenwärtig nur eine Studie existiert, in der Burnout im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen betrachtet wurde. Dabei zeigte sich, dass »mit zunehmender Schwere des ‚Burnouts’ die Überlappungen mit psychischen Krankheiten zunehmen. Es wurde gezeigt, dass 53% der Arbeitnehmer mit ‚schwerem Burnout’ und 20% der Arbeitnehmer mit leichtem Burnout depressiv erkrankt waren. Ohne Anzeichen von Burnout waren 7% der Arbeitnehmer an Depressionen erkrankt.« (Bundespsychotherapeutenkammer, 2012, S. 21)
1 5 Einleitung: Relevanz des Themas 10 9.1 9 8 7 6 5 2004 4 2011 3 2 1 0.67 0 Fehltage . Abb. 1.1 Betriebliche Fehltage aufgrund von Burnout (Z73.0). (Studie der Bundespsychotherapeutenkammer 2012) Eine grundlegende Schwierigkeit in der Erfassung relevanter Daten und Zusammenhänge ist die, dass Diagnosen nach ICD-10 (die ICD-10 ist die »International Classification of Disease« der Weltgesundheitsorganisation WHO) ohne die Berücksichtigung von Ursachen erfolgen und das Burnout-Syndrom oftmals mit der Diagnose Depression versehen wird und damit statistisch schwer zu erfassen ist (Bundespsychotherapeutenkammer, 2012, S. 22; . Abb. 1.1). Das Schweizerische Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat eine Stressstudie 2010 publiziert, in der es das Stressempfinden in der Bevölkerung im Jahr 2010 mit dem Jahr 2000 vergleicht (Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, 2010, S. 6 f). Dabei sind im Jahr 2010 34,4% der Bevölkerung häufig oder sehr häufig gestresst; im Jahr 2000 lag diese Zahl noch bei 26,6%. Auch das Hauptmerkmal von Burnout wurde untersucht: die emotionale Erschöpfung. Dabei zeigte sich, dass 25% der Befragten von diesem Zustand betroffen sind (. Abb. 1.2). Diese wenigen Zahlen zeigen, dass das Thema Burnout zu einem wichtigen Faktor im Arbeitssektor geworden ist und vermehrt Aufmerksamkeit für die verursachenden Faktoren nötig ist. Schwierige Datenerfassung Gesteigertes Stressempfinden Thema Burnout ist wichtig für den Arbeitssektor
6 1 Kapitel 1 • Einleitung: Relevanz des Themas 50 45 40 34.4 35 30 26.6 25 2000 20 2010 15 10 5 0 . Abb. 1.2 Stressempfinden in der Schweizer Bevölkerung in Prozent – Studie des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO)
7 »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose Ulrich Scherrmann 2.1 Entstehung des Begriffs – 8 2.2 Definition, Terminologie und Symptome – 8 2.3 Burnout – eine Krankheit? – 11 2.4 Diagnose von Burnout – 13 2.5 Burnout und Depression – 15 2.6 Phasen des Burnout – die Burnout-Spirale? – 16 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 2
8 Kapitel 2 • »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose 2.1 2 Herbert J. Freudenberger Als »Vater« des Begriffs Burnout wird gemeinhin der deutschstämmige amerikanische Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger genannt (Freudenberger, 1974). Freudenberger beschrieb die emotionale und physische Erschöpfung zunächst bei sozialen und pflegerischen Berufen; die Mitarbeiter in Selbsthilfe- oder Kriseninterventionszentren zeigten eine Reihe von Symptomen, z. B. Zynismus oder Erschöpfung, die Freudenberg mit dem Begriff »Burnout« charakterisierte. Er zeigte die Spannung auf zwischen den Helfern auf der einen Seite, die mit ihren Talenten und Fähigkeiten die wahrgenommene Not von Hilfsbedürftigen in Frauenkliniken, therapeutischen Wohngemeinschaften oder Krisentelefonen anpacken, dabei aber sich der Gefahr aussetzen, dass sie zu viel, zu lang und zu intensiv arbeiten und damit in die »Burnout-Falle« geraten. 2.2 Keine einheitliche Definition Entstehung des Begriffs Definition, Terminologie und Symptome Bis heute gibt es keine einheitliche Definition von Burnout. Zumindest in der Umgangssprache wird so ziemlich alles, was mit Stress, Ermüdung oder Motivationsverlust zu tun hat, mit Burnout gleichgesetzt. In diesem Buch beziehe ich mich auf eine Definition von Ina Rösing, die der derzeitigen Burnout-Forschung zugrunde liegt: »» Burnout ist ein Zustand emotionaler Erschöpfung am Beruf. Er geht einher mit negativen Einstellungen zum Beruf, zu den Inhalten oder den Mitteln des Berufs (Zynismus) oder zu den Partnern oder Klienten im Beruf (Depersonalisation). Hinzu kommt ein erheblich reduziertes Selbstwertgefühl in Bezug auf die eigene berufsbezogene Leistungsfähigkeit. Burnout ist ein sich langsam entwickelndes Belastungssyndrom, das nicht selten wegen der kreisförmigen, gegenseitigen Verstärkung der einzelnen Komponenten (emotionale Erschöpfung führt zu geringerem Selbstwertgefühl, welches nur zu mehr emotionaler Erschöpfung führt etc.) zur Chronifizierung neigt. (Rösing, 2008, S. 20) Medizinische Definition Eine medizinische Definition führt der Arzt und ärztliche Direktor der Gezeiten Haus Klinik Bonn, Dr. Manfred Nelting, auf. »» Laut medizinischer Definition ist das Burn-out-Syndrom eine prozesshafte Erkrankung. Sie bezeichnet eine Systemerregung aus einer anhaltenden, sich allmählich aufschaukelnden Hyperstressreaktion. Diese leitet einen Auflösungsprozess der psychophysischen Selbstregulation ein (die alle willensunabhängigen Regulationsvorgänge steuert, u. a. das vegetative Nervensystem)
9 2.2 • Definition, Terminologie und Symptome 2 Erschöpfung: psychisch und physisch Burnout Zynismus Ineffektivität Arbeit . Abb. 2.1 Die drei Dimensionen des Burnouts und mündet meistens in eine manifeste schwere Depression. (Nelting, 2010, S. 30 f ) In der Definition von Rösing werden v. a. die drei Hauptsymptome benannt, die immer wieder in der Literatur erwähnt werden (Schulze, 2009, S. 201 f; . Abb. 2.1): 55 körperliche und seelische Erschöpfung; 55 Zynismus gegenüber der Arbeit, Kollegen oder Kunden; 55 Ineffektivität des beruflichen Handelns und Verlust der beruflichen Kompetenz. Drei Hauptsymptome Es bleibt wichtig zu erwähnen, dass als zusätzliche Kriterien auch die Dauer der Belastung sowie die Tatsache, dass es sich bei Burnout um eine arbeitsbezogene Erkrankung vorher gesunder Menschen handelt, hinzugenommen werden müssen. Die verschiedenen Schreibweisen »Burnout«, »Burn out« oder Burnout-Syndrom sorgen mitunter für Verwirrung und verlangen nach einer Klarheit. In der Literatur gibt es diese Klarheit nicht. Viele verwenden das Wort Burnout im Zusammenhang mit dem Prozess des Ausbrennens, während das Burnout-Syndrom (BOS) am Ende des Prozesses steht und eine gewisse Anzahl von Symptomen beinhaltet. In diesem Buch werden beide Begriffe synonym verwandt. Der deutsche Burnout-Spezialist Matthias Burisch, der sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit dem Burnout-Syndrom befasst, hat eine ausführliche Symptomatik anhand der in der Literatur häufig genannten Symptome erarbeitet. Sie ist heute – aufgrund der neueren Position der wissenschaftlichen Fachgesellschaft DGPPN und anderer Autoren (DGPPN, 2012) – z. T. fragwürdig. Gleichzeitig wird sie in der Praxis immer wieder verwandt und soll deshalb hier mit einer Auswahl der möglichen Symptome eine erste Orientierung geben: . Tab. 2.1. Dauer der Belastung und arbeitsbezogene Erkrankung wichtig Verschiedene Schreibweisen Symptomatik von Burnout
10 Kapitel 2 • »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose . Tab. 2.1 Verfasser 2 Burnoutsymptome, aus Burisch (2014), S. 25 f – Auswahl durch Warnsymptome der Anfangsphase Überhöhter Energieeinsatz – Hyperaktivität – Freiwillige unbezahlte Mehrarbeit – Verdrängung von Misserfolgen und Enttäuschungen Erschöpfung – Nicht abschalten können – Unausgeschlafenheit Reduziertes Engagement Für Klienten, Patienten etc. – Verlust positiver Gefühle gegenüber Klienten – Meidung von Kontakt mit Klienten und/oder Kollegen Für andere allgemein – Kälte – Verlust von Empathie Für die Arbeit – Verlust von Idealismus – Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen Erhöhte Ansprüche Gefühl mangelnder Anerkennung Gefühl, ausgebeutet zu werden Emotionale Reaktionen, Schuldzuweisung Depression – Schuldgefühle – Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühle – Selbstmordgedanken Aggression – Launenhaftigkeit – Häufige Konflikte mit anderen Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit – Konzentrations- und Gedächtnisschwäche – Desorganisation der Motivation – Verringerte Initiative – Dienst nach Vorschrift
2.3 • Burnout – eine Krankheit? . Tab. 2.1 11 2 Fortsetzung der Kreativität – Verringerte Phantasie Entdifferenzierung – Rigides Schwarzweißdenken Verflachung des emotionalen Lebens – Gleichgültigkeit – Verflachung gefühlsmäßiger Reaktionen des sozialen Lebens – Meidung informeller Kontakte – Eigenbröteleien Psychosomatische Reaktionen – Schlafstörungen – Albträume – Kopfschmerzen – Verdauungsstörungen Verzweiflung – Negative Einstellung zum Leben – Existentielle Verzweiflung 2.3 Burnout – eine Krankheit? Die Definitionen von Rösing und Nelting zu Burnout scheinen recht klar und eindeutig zu sein. Gleichzeitig verwundert es, dass im internationalen Klassifikationssystem von Diagnosen (ICD 10)Burnout als eigentliche Krankheit nicht auftaucht. Dies hat mitunter auch schon dazu verleitet, die Existenz eines Burnout-Syndroms gänzlich zu bestreiten oder von einer Modediagnose zu sprechen (Dech, 2009, S. 210). Burnout wird heute im ICD-10-WHO 2013 im Kapitel XX I (»Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen«) unter dem Schlüssel Z73 erfasst. Die Z-Kategorien Z00–Z99 umfassen Diagnosen oder Probleme, die nicht als Krankheit unter die Kategorien A00–Y89 klassifizierbar sind. Burnout wird unter Z73 (»Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung«) in Z73.0 »Ausgebranntsein (Burn out), Zustand der totalen Erschöpfung« benannt (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2014). Dieses allgemeine Verständnis von Burnout kann im Abschnitt Z56 (»Probleme mit Bezug auf Berufstätigkeit oder Arbeitslosigkeit«) spezifiziert werden. Burnout keine Krankheit nach ICD 10 Burnout in Z7-Kategorie
12 Kapitel 2 • »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose Arbeitsplatzfaktoren Individuelle Faktoren 2 1) Arbeitsüberforderung Vegetative Stresssymptome, Erschöpfung Andauernde Erholung führt zur Besserung Überforderung 2) Burnout (Z 73.0) (Risikozustand) Erschöpfung, Zynismus, Leistungsminderung Chronifizierter Stress Leistungseinschränkung 3) Folgekrankheiten z.B. Depression, Angsterkrankungen, Tinnitus, Hypertonie + Burnout (Z 73.0) . Abb. 2.2 DGPPN) Kurze Erholungsphasen (am Wochenende) bringen keine Rückbildung 4) Somatische und psychische Erkrankungen, z.B. MS, Krebs, beginnende Demenz, Psychose DGPPN-Konzept zum Übergang von Arbeitsbelastung und Krankheit. (Mit freundlicher Genehmigung der Positionspapier der DGPPN Berücksichtigung arbeitsplatzbezogener und individueller Auslösefaktoren Stresssymptome u. Ä. bilden sich zurück Die mediale Beachtung und z. T. unseriöse Diskussionen über Burnout haben die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) im März 2012 bewogen, ein Positionspapier zu Burnout zu veröffentlichen, um »erhebliche Verwirrungen und potenzielle Fehlentwicklungen« (DGPPN, 2012a, S. 1) aufzuklären. Die Autoren wehren sich gegen eine undifferenzierte Verwendung des Begriffs Burnout, der auf der einen Seite sehr schnell für jede psychische »Krise und Erkrankung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung« und andererseits als Begriff »ersatzweise für Depressionen von arbeitenden Menschen« (DGPPN, 2012a, S. 1) gebraucht wird. Die DGPPN spricht sich dafür aus, die arbeitsplatzbezogenen und die individuellen Auslösefaktoren in einer Gesamtschau zu berücksichtigen und auch schon evtl. bestehende Krankheiten mit einzubeziehen. Das DGPPN-Konzept beinhaltet die Elemente aus . Abb. 2.2 (DGPPN, 2012a, S. 3–7). 55 Aufgrund von individuellen oder arbeitsplatzbezogenen Faktoren kann es zu Stresssymptomen, Schlafstörungen oder Erschöpfung kommen. Klingen diese Phänomene nach einer gewissen
2.4 • Diagnose von Burnout Zeit wieder ab bzw. bilden sie sich in Erholungsphasen zurück, liegt noch kein Burnout vor. 55 Dauert dieser Zustand aber über längere Zeit (mehrere Wochen bis Monate) an, und bildet er sich in kurzen Erholungsphasen nicht zurück, sollte die Bezeichnung Burnout verwendet werden. Als Ursachen eines Burnouts kommen sowohl individuelle als auch arbeitsplatzbezogene Faktoren infrage. Die auftretenden Beschwerden stellen aber noch keine Krankheit nach ICD-10 dar. »Die DGPPN empfiehlt deswegen Ärzten, bei Patienten mit einem Burnout-Beschwerdebild ohne eine psychische Erkrankung nach ICD-10 diese mit der Z73.0-Ziffer zu codieren.« (DGPPN, 2012a, S. 5) 55 Allerdings können die Stresserfahrungen im Zusammenhang mit Burnout dazu führen, dass eine »ernsthafte« Erkrankung ausgelöst wird: Der Stress eines Burnouts kann dazu führen, dass Menschen, die z. B. in früheren Jahren eine Depression hatten, wieder erkranken. »Die klinische Erfahrung deutet darauf hin, dass das Burnout auch zur Entstehung körperlicher Krankheiten wie Tinnitus, Hypertonie oder Infektionskrankheiten beitragen kann.« (DGPPN, 2012a, S. 5) Deshalb sollten zukünftig diese Krankheiten zusätzlich mit der Z-Kategorie Z73.0 versehen werden – allerdings nur, wenn die Arbeitsüberforderung entscheidend zum Ausbruch und Andauern der Erkrankung beiträgt. Dadurch soll erreicht werden, dass in Zukunft Arbeitsbelastungen stärker bei der Erfassung von Krankheiten berücksichtigt werden. 55 Eine Umkehrung von Auslöser und Wirkung findet statt, wenn eine bestehende Krankheit, z. B. eine Psychose oder Depression, zur Erschöpfung am Arbeitsplatz oder zum Gefühl von Überforderung führt. Eine normalerweise zu bewältigende Arbeit wird zur übergroßen Belastung. Deshalb empfiehlt die DGPPN, dass »vor der Feststellung eines Burnout und der Z73-Zusatzcodierung eine genau medizinische Diagnostik erfolgen« (DGPPN, 2012a, S. 6) muss. 2.4 13 2 Kurze Erholungsphasen bewirken keine Besserung Burnout kann zur Entstehung körperlicher Krankheiten beitragen Bestehende Krankheit führt zur Erschöpfung Diagnose von Burnout Sowohl Ärzte als auch Laien sind schnell dazu verführt, bei Erschöpfungszuständen ein Burnout-Syndrom zu diagnostizieren. Nicht selten passiert es, dass dabei mittlere oder schwere Depressionen »übersehen« werden oder umgekehrt ein Burnout-Syndrom ohne eine Depression unter einer Depression subsumiert wird und auch medikamentös behandelt wird. Die Deutsche Agentur für Health Technology Assessment (HTA) des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit) hat eine umfangreiche systematische Literaturrecherche in (Zu) schnelle Diagnosen Keine differential-diagnostisch validierten Burnout-Messinstrumente
14 Kapitel 2 • »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose 36 Datenbanken gemacht. Sie hat dabei Studien in deutscher oder englischer Sprache zur medizinischen Diagnostik und Differenzialdiagnostik von Burnout ab 2004 untersucht und kam zu folgendem Ergebnis: 2 »» Zentrales Ergebnis des HTA-Berichts ist, dass es bisher kein stan- dardisiertes, allgemeines und international gültiges Vorgehen gibt, um eine Burnout-Diagnose zu stellen. Derzeit liegt es im ärztlichen Ermessen, Burnout zu diagnostizieren. Die Schwierigkeit besteht darin, etwas zu messen, das nicht eindeutig definiert ist. Die bisher diskutierten Burnout-Messinstrumente erfassen größtenteils verlässlich ein dreidimensionales Burnout-Konstrukt. Die bisher gelieferten Cutoff-Punkte erfüllen jedoch nicht den Anspruch der diagnostischen Gültigkeit, da die Generierung dieser Werte nicht der wissenschaftlichen Testkonstruktion entspricht. Die verwendeten Burnout-Messinstrumente sind nicht differenzialdiagnostisch validiert. (Korczak, Kister & Huber, 2010, S. 1) MBI ohne theoretische Fundierung Ein häufig benutztes Instrument zur »Diagnose« von Burnout ist das Maslach Burnout-Inventar (MBI). Es erfasst keine objektiven Daten, sondern ist ein Fragebogen zur Selbstbeurteilung mit 22 Items zu den drei Skalen »Emotionale Erschöpfung«, »Depersonalisation« und »Persönliche Leistungsfähigkeit«. Das MBI wird in der Forschung sehr häufig verwandt. Der HTABericht kommt in seiner Schlussfolgerung bzw. Empfehlung zu einer sehr kritischen Sicht des MBI, indem er schreibt: »» Es ist eine einseitige Verwendung des MBI nach dem Kriterium ‚mehr vom Gleichen’ festzustellen. Das MBI liefert eine zu einseitige und simple Definition von Burnout, die keine theoretische Fundierung enthält (Burnout ist, was das MBI misst). (Korczak, Kister & Huber, 2010, S. 99) Klinische Diagnose Weil bis jetzt keine objektiven Parameter zur Diagnostik von Burnout existieren, eine Diagnose aber dennoch gestellt werden muss, behelfen sich Ärzte mit einer klinischen Diagnose. Dort wird ein Burnout festgestellt durch: 55 das Leitsymptom der andauernden Erschöpfung und anderer psychosomatischer Beschwerden und 55 den Begleitphänomenen der Distanzierung von der Arbeit und reduzierter beruflicher Leistung. In der Differenzialdiagnostik sollen laut von Känel klare somatische Ursachen (z. B. Herzinsuffizienz oder Eisenmangel) und psychiatrische Störungen (z. B. generalisierte Angsterkrankung oder Essstörungen) für einen Erschöpfungszustand ausgeschlossen werden. Auch Schlafstörungen im Sinne einer Insomnie (Schlaflosigkeit), die sich in einem »Schlaf ohne Erholung« oder in Durchschlafstörungen zeigen,
2.5 • Burnout und Depression 15 2 sollen von Schlafstörungen aufgrund einer organischen oder psychiatrischen Erkrankung abgegrenzt werden (von Känel, 2008, S. 479 f). 2.5 Burnout und Depression Häufig wird Menschen, die am Burnout-Syndrom leiden, nachgesagt, dass sie die »vornehme« Bezeichnung Burnout wählen, um eine Depression zu verschleiern. Unsere Leistungsgesellschaft »honoriert und akzeptiert« die Diagnose Burnout eher als die Diagnose Depression, weil dem Leidenden unterstellt wird, dass er mit guter Absicht »einfach zu viel gearbeitet hat«. In der Tat wird Burnout oft in Verbindung mit Depression gebracht. Es gibt auch viele Übereinstimmungen von Symptomen des Burnouts und der Depression, z. B. Antriebslosigkeit, eine niedergedrückte Stimmung oder erhöhte Ermüdbarkeit. Gleichzeitig tauchen bei einer Depression Symptome auf, die über das Burnout-Syndrom hinausgehen, z. B. verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen oder Suizidgedanken bzw. -handlungen. Es gilt auch zu berücksichtigen, dass der Ort der Entstehung und die Charakteristik der Personen, die in ein Burnout geraten können, andere sind: Burnout ist immer an Belastungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz gekoppelt und wird dadurch erklärt, dass Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen an ihrem Arbeitsplatz mit schwierigen Bedingungen konfrontiert werden, die sie permanent überfordern, und sich daraus ein Burnout entwickelt (Unger & Kleinschmidt, 2007, S. 80). Zur Abgrenzung Depression – Burnout sind aus meiner Perspektive Aussagen des Berner Psychosomatikers Roland von Känel hilfreich (von Känel, 2008, S. 481 f): 55 Hauptsymptom eines Burnout-Syndroms ist eine über Monate andauernde Erschöpfung. 55 Demgegenüber sind lt. ICD-10 eine niedergeschlagene, gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit sowie ein verminderter Antrieb über zwei Wochen Dauer Hauptsymptome einer depressiven Störung. Eine Erschöpfung muss nicht zwingend vorliegen. 55 Mit zunehmendem Schweregrad steigt die Wahrscheinlichkeit, dass gleichzeitig mit einem Burnout auch eine Depression vorliegt. 55 In der Anamnese kann eine Unterscheidung zwischen Burnout und Depression aufgrund einfacher Fragen und Antworten erfolgen: 55 Ein Patient ist nicht relevant depressiv, wenn er eine Reihe von Aktivitäten aufzählen kann, die er bei geringerer Erschöpfung tun würde. Demgegenüber hat ein depressiver Burnout als vornehmeres Wort für Depression? Gemeinsamkeiten und Unterschiede Burnout an Arbeitsplatzbelastung gekoppelt
16 Kapitel 2 • »Burnout«: Begriff – Definition – Terminologie und Diagnose Patient keine Lust etwas zu unternehmen und weiß auch keine Aktivitäten. 55 Sowohl depressive Menschen als auch bei Burnout-Betroffene zeigen einen verminderten Antrieb und sozialen Rückzug. Menschen mit Burnout verspüren eigentlich einen Antrieb, etwas zu unternehmen, sie setzen ihre Idee aber nicht in die Tat um, weil sie erfahren haben, dass sie nachher noch erschöpfter sind und dies in Zukunft vermeiden möchten. 2 Thesen zu Burnout und Depression Pointiert trägt Roland von Känel seine Thesen zu Burnout und Depression bei einem Symposion in einer Klinik für Stressfolgeerkrankungen vor (von Känel, 2013): 55 »Burnout und Depression sollen voneinander abgegrenzt werden. 55 Patienten können komorbid ein Burnout und eine Depression haben. 55 mittelgradige depressive Episode F32.1 55 Z 73.0 Burnout-Syndrom 55 Z 55 Probleme in Verbindung mit Berufstätigkeit 55 Burnout kann, muss aber nicht in eine Depression als eine mögliche Folgekrankheit von übermäßiger Arbeitsbelastung münden. 55 Liegt eine Depression vor, soll Burnout nicht als ein beschönigendes Label (‚Depression der Starken’) für eine Depression verwendet werden. 55 Liegt Burnout vor, aber kein depressiver Affekt und keine Anhedonie (Freudlosigkeit), soll der Patient nicht für depressiv erklärt werden. 55 Die Abgrenzung hat therapeutische Konsequenzen (z. B. kein Ansprechen von Burnout-Fatigue auf Antidepressiva).« (Von Känel, 2013) 2.6 Phasenmodelle ohne empirische Studien Phasen des Burnout – die Burnout-Spirale? Neben der Beachtung der o. a. Symptome ist es gleichzeitig wichtig, die Dynamik eines Burnout-Prozesses nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sämtliche Phasenmodelle (z. B. von Freudenberg, Cherniss oder Maslach) nicht auf systematischen empirischen Studien beruhen (Burisch, 2014, S. 40–44). Phasenmodelle, z. B. das dreiteilige von Hans-Peter Unger (Unger & Kleinschmidt, 2007, S. 97) (»Erste Anzeichen der Erschöpfung – Die Erschöpfung schreitet voran. Alles dreht sich nur noch um die Arbeit – Die Erschöpfung. Leistung und Lebensmut sinken«), besitzen keine diagnostische Relevanz, können aber Hinweise auf einen ernsthaften Zustand liefern. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde warnt sogar vor Burnout-Spiralen, »bei denen
2.6 • Phasen des Burnout – die Burnout-Spirale? Symptome wie gewichtige Konzentrationsstörungen, depressive Stimmungen und Suizidalität als Vorstufen eines voll ausgebildeten Burnout-Syndroms aufgelistet werden« (DGPPN, 2012, S. 3). Sie begründet dies damit, dass Phasen- und Stufenmodelle wissenschaftlich nicht evident und auch mit den Diagnosekriterien nach ICD 10 unvereinbar sind. Der Arzt Thomas M.H. Bergner hat ähnliche Phasen herausgearbeitet. Er ist zudem der Überzeugung, dass nur in der Stufe 1 eine Diagnose einigermaßen zuverlässig ist. In den darauffolgenden beiden Phasen würden Phänomene wie z. B. Sucht oder eine Angsterkrankung die Burnout-Diagnose erschweren. Allerdings gibt Bergner zu bedenken, dass gerade in der Anfangsphase die Betroffenen noch kein Bewusstsein für eine mögliche Erkrankung haben (Bergner, 2010, S. 11). Die Anwendung von Phasenmodellen zeigt auf den ersten Blick eine gewisse Plausibilität. Auch für die Betroffenen können sie eine Hilfe dabei sein, den Fortschritt des Erschöpfungszustandes anzuzeigen. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine seriöse Abklärung von Burnout aufgrund der mangelnden wissenschaftlichen Absicherung nicht möglich ist. 17 2 Mangelndes Bewusstsein erschwert Diagnose
19 Ein mehrdimensionales Burnout-Modell Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 3
20 Kapitel 3 • Ein mehrdimensionales Burnout-Modell 3 Organisationale Faktoren Interpersonale Faktoren Personale Faktoren Idealtypische Trennung schwierig Betrachtet man die Burnout-Forschung in historischer Perspektive, erkennt man, dass sich einerseits das Burnout-Syndrom auf immer mehr – nicht nur psychosoziale – Berufe ausdehnte und andererseits nicht nur der personale, sondern auch der organisationale Faktor Berücksichtigung fand. In diesem Buch möchte ich zunächst die »drei klassischen Faktoren« unterscheiden und v. a. die organisationalen näher untersuchen. Unter organisationalen Faktoren verstehe ich die Einflussgrößen, die mithilfe eines Organisationsmodells der systemischen Organisationsentwicklung identifiziert werden können (Häfele, 2009, S. 50). Dazu gehören z. B. Belastungen aus dem Existenzgrund, der Kultur, der Ordnung, Strukturen) und der technisch-wirtschaftlichen Ressourcen einer Organisation. »Im Existenzgrund« einer Organisation ist der Zweck der Organisation für die darin arbeitenden Menschen und für die Umwelten formuliert. Dabei wird z. B. die Frage beantwortet, was das Kerngeschäft bzw. die Kernkompetenzen der Organisation sind. Darüber hinaus wird die Identität einer Organisation (ihre Einmaligkeit, ihr Nutzen für die Umwelt, die Gesellschaft etc.) und ihre Absicht (Wohin will sich die Organisation in den nächsten Jahren entwickeln? etc.) thematisiert. Weiterführende Erläuterungen sind in 7 Kap. 9 zu finden. Interpersonale Faktoren sind Belastungen, die in Teams oder Gruppen auf einen Menschen einwirken können. Dies können Konflikte, unklare Rollenverteilungen oder auch mangelnde Ziele für die Arbeit sein. Zu den interpersonalen Faktoren zählen auch die Belastungen, die in pädagogischen oder psychosozialen Berufen vonseiten der Adressaten der Dienstleistung an die Dienstleister herangetragen werden. So können beispielsweise undisziplinierte Schüler, aufsässige Studenten oder unzufriedene und nörgelnde Patienten Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen. Manche Autoren zählen auch familiäre Belastungen zu den interpersonalen Faktoren. Die Berücksichtigung dieser Belastungsart (z. B. Tod oder schwere Krankheit eines Angehörigen und damit einhergehende vermehrte familiäre Verpflichtungen) kann zusätzlich eine schon bestehende Krise verschärfen. Gleichzeitig sollte man solche Belastungen im Sinne einer genauen Analyse separat aufführen, damit keine Vermischung von beruflichen und privaten Faktoren geschieht. Die personalen Faktoren sind Faktoren, die in einem Menschen selbst grundgelegt sind. Sie können in vielfältiger Art und Weise auftauchen, z. B. in Gestalt von starken Antreibern (»Sei perfekt«, »Leiste immer 120%«) oder in nicht verarbeiteten frühkindlichen oder familiären Erfahrungen, die eine tiefe Spur im Seelenleben eines Menschen hinterlassen haben und im Erwachsenenleben weiterhin wirksam sind. Diese idealtypische Trennung in verschiedene Faktoren ist im konkreten Einzelfall nicht immer durchzuhalten. Es gibt Überschnei-
Ein mehrdimensionales Burnout-Modell dungen oder Überlagerungen, sodass man davon ausgehen kann, dass Burnout meistens durch multifaktorielle Phänomene ausgelöst wird, die sich gegenseitig auch verstärken können. Meiner Meinung nach ist es wichtig, diese drei Faktoren um weitere zu ergänzen, weil sich in den letzten Jahren die verschiedenen Umwelten der Unternehmen und Organisationen radikal geändert haben. Im Bereich der technologischen Umwelt führt der rasche Wandel in der Informations- und Kommunikationstechnologie dazu, dass sich Menschen innerhalb kurzer Zeit in neue IT-Systeme einarbeiten. Nicht nur der Zeitdruck, unter dem solche Innovationen meist stattfinden, sondern auch die erhöhten Anforderungen dieser neuen Technologien bringen (nicht nur ältere) Arbeitnehmer an ihre physische, geistige und psychische Leistungsgrenze. Die soziale Umwelt entwickelt sich ebenfalls in einer immer stärkeren Dynamik und beeinflusst sowohl Menschen im privaten Bereich als auch Unternehmen und Organisationen: Die Halbwertszeit von Produkten z. B. auf dem Gesundheitsmarkt wird immer kürzer, sodass Unternehmen zu intensiverer Marktbeobachtung und Innovation gezwungen sind. Die bestehenden Kapazitäten sind darauf aber nicht ausgerichtet. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Belastung des Managements und der Mitarbeiter. Ein gewichtiger Faktor wird in Zukunft der demographische Wandel sein, der sich auf die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte auswirkt. In der ökonomischen Umwelt sind nicht nur die Folgen der Finanzkrise und das Bestreben nach Regulierung der Märkte weiterhin bestimmende Einflussgrößen. Auch die Zunahme der internationalen Konkurrenz selbst für kleine und mittelgroße Betriebe, die ständige Verschiebung der globalen Arbeitsteilung, das Auftauchen und Verschwinden neuer Märkte oder eine immer umfassendere Information der Käufer setzen Unternehmen zu. Sie müssen deshalb z. B. sehr wachsam politische und wirtschaftliche Veränderungen beobachten, schnell reagieren und mehr in eine sorgfältigere Kommunikation ihrer Produkte investieren. In der politischen Umwelt haben die Themen Klimawandel und saubere Technologien an Bedeutung gewonnen, sodass Unternehmen zusätzlich herausgefordert sind, eine steigende Verantwortung in diesen Bereichen wahrzunehmen. Neben diesen kurzen Andeutungen zu den einzelnen Umwelten erwähne ich einige Veränderungen im Arbeitsleben in den letzten 20–30 Jahren, die es zu berücksichtigen gilt. Bedeutende Einflussgrößen, die von außerhalb auf Organisationen und damit auch auf ihre Mitarbeiter einwirken, sind hinzugekommen. Beispielhaft werden einige dieser Einflussfaktoren benannt (Unger & Kleinschmidt, 2007, S. 43–55). Individualisierung: Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der letzten 20 Jahre (z. B. Abbau des Ost-West-Konflikts) haben dazu geführt, dass Menschen in viel stärkerem Maße als bis- 21 3 Neue Faktoren als Ergänzung Technologische Veränderungen Vielfältige soziale Veränderungen »Asien und der Finanzsektor« Politische Herausforderungen Veränderungen im Arbeitsleben Individualisierung
22 Kapitel 3 • Ein mehrdimensionales Burnout-Modell 3 Eingegrenzte Freiheit Globalisierung – die Welt als Dorf Shareholder-Value Entgrenzung Arbeitsplatz her selbst die Verantwortung für ihr Leben übernehmen müssen. Es gibt z. B. keine kommunistische Partei mehr, die dem Einzelnen vorschreibt, was er zu denken und zu tun hat. Der Einzelne muss sein Leben selbstbestimmt gestalten. Er kann dies einerseits in Freiheit tun. Andererseits wird er häufig durch die Fülle an Konsum- oder Informationsangeboten, zwischen denen er sich entscheiden muss, überfordert. Er weiß: »Es könnte noch diese oder jene Spiegelreflexkamera geben, die ich mir noch nicht genau angeschaut habe!« Ein Gefühl von Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit stellt sich ein. Diese Stimmung streift er auch nicht an seinem Arbeitsplatz ab, sodass sie auch einen Einfluss auf seine Leistungsfähigkeit haben kann. Abhängigkeit: Die Individualisierung hat auf der einen Seite den Menschen das Gefühl vermittelt, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können. Gleichzeitig sind sie aber an ihrem Arbeitsplatz zum großen Teil Situationen ausgesetzt, die diese Freiheit enorm eingrenzen: Rationalisierung, Beschleunigung, permanente Erreichbarkeit per Handy oder Internet, Informationsüberfluss etc. Das Phänomen der Globalisierung ist ohne Zweifel mit der Erfindung des Internet verbunden. »Die Welt wird zum Dorf« ist eine der Metaphern, die diese neue Qualität des Zusammenlebens und Wirtschaftens beschreiben. Globalisierung macht Menschen und Unternehmen einerseits Angst, weil sie sich nun mit einer globalen Konkurrenz auseinandersetzen müssen, andererseits ergeben sich damit für viele, v. a. auch für größere Unternehmen, neue Chancen in Gestalt neuer Absatzmärkte. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass viele neue Kompetenzen und Einstellungen gefordert sind: Flexibilisierung, interkulturelle Kompetenz, lebenslanges Lernen oder internationale Zusammenarbeit per Videokonferenz über Zeitgrenzen hinweg. Die Philosophie des Shareholder-Value hat im letzten Jahrzehnt die Mentalität vieler Manager (nicht nur) großer Unternehmen geprägt. Quartalsberichte, der tägliche Blick auf den Aktienkurs und das Trimmen der Unternehmen in Hinblick auf Kostenreduktion und Kreieren neuer Produkte hat einen immensen Einfluss auf die Belegschaften. Nicht nur Führungskräfte der obersten Ebene »drehen sich im Hamsterrad«, auch Mitarbeiter auf allen Ebenen sind immer wieder neu gefordert, Anstrengungen zu unternehmen, um Kosten zu senken oder Abläufe zu optimieren. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie kreativ in zeitlich knapp bemessenen Perioden neue Produkte entwerfen und zu Marktreife bringen. Die Entgrenzung des Arbeitsplatzes setzt ebenfalls völlig neue Dynamiken in Gang. Der vorherige Rhythmus von Arbeit an einem festen Arbeitsplatz im Betrieb mit den entsprechenden Sozialkontakten wird zusehends aufgelöst. Die Tätigkeiten am betrieblichen Arbeitsplatz werden zu Hause erledigt. Die Grenze zwischen Freizeit und Arbeit verschwindet immer mehr – mit Chancen, aber auch mit Gefahren.
23 Ein mehrdimensionales Burnout-Modell 3 Individuum Interpersonal – Kunde Interpersonal – Team bzw. Gruppe Organisation Markt – Mitbewerber Politik – Gesellschaft – Welt . Abb. 3.1 Das mehrdimensionale Burnout-Modell Diese wenigen Ausführungen mögen genügen, um deutlich zu machen, dass die Qualität von Arbeit heute eine andere ist als noch vor 30 Jahren. Demzufolge dürfen sich auch Gesundheitsprävention und -intervention in Betrieben nicht auf die personale Seite reduzieren lassen, sondern müssen analytisch und lösungsorientiert zugleich eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Faktoren anvisieren, v. a. auch in ihren Wechselwirkungen (Burisch, 2009, S. 257). . Abb. 3.1 kann als Leitbild Hintergrundfolie für das systemische Arbeiten mit Burnout und anderen Herausforderungen in der betrieblichen Gesundheitsförderung sein. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass sich die verschiedenen Faktoren des Burnout-Modells auch gegenseitig beeinflussen, d. h. es gibt z. B. Wechselwirkungen zwischen Organisation und Team oder Organisation und Kunde oder zwischen gesellschaftlichen Faktoren und dem Individuum. Dieses von mir entwickelte Burnout-Modell hat gegenüber anderen Modellen den Vorteil, dass es die Komplexität der auf ein Unternehmen und die darin arbeitenden Menschen einwirkenden Faktoren abbildet. Es wird deutlich, dass nicht nur organisationsintern bedeutende Faktoren zur Belastung von Mitarbeitern werden kön- Differenzierte Betrachtung der Belastungen Burnout-Modell als »Leitbild«
24 3 Kapitel 3 • Ein mehrdimensionales Burnout-Modell nen, sondern auch äußere Faktoren einen gewichtigen Einfluss auf Unternehmen haben können. Allein die Differenzierung in unternehmensinterne und -externe Faktoren kann helfen, die »Schuld« für Disstress nicht bei der Unternehmensleitung zu suchen, sondern als Einflussfaktoren des Marktes zu identifizieren, denen auch die Unternehmensleitung ausgesetzt ist. zz Erläuterung zum Burnout-Modell Die Darstellung der beiden äußeren Dimensionen soll den oftmals indirekten Einfluss dieser Ebenen unterstreichen. Politische und rechtliche Veränderungen, z. B. in der Sozial- oder Steuerpolitik, neue gesellschaftliche Entwicklungen, z. B. ein Bedürfnis nach besserqualifizierten ausländischen Arbeitnehmern oder globale Veränderungen, z. B. Schulden- und Finanzkrise, zunehmende Gefahr bewaffneter internationaler Konflikte, tangieren auch Unternehmen und Organisationen: Zusätzliche Kosten müssen an anderen Orten eingespart werden – neue Absatzkanäle für wegbrechende Märkte müssen erschlossen werden. Auch die Marktsituation (z. B. Anfragen, Aufträge) muss als Einflussfaktor berücksichtigt werden. Verändert sich der Markt, müssen Unternehmen rasch reagieren. Dies erfordert meist zusätzliche Anstrengungen und führt zu zusätzlichen Belastungen. In gleicher Weise setzt ein Mitbewerber mit besserer Produktqualität oder besserem Kundendienst das eigene Unternehmen unter Druck und »zwingt« zum Handeln. Zusätzlich zu den interpersonalen Faktoren auf der Ebene Team bzw. Gruppe gilt es, auch die Belastungen durch Kunden im weitesten Sinne in den Blick zu nehmen. Pflegekräfte in Krankenhäusern oder Seniorenheimen erzählen, wie stark – neben dem oftmals vorhandenen Personalmangel – auch die zu Pflegenden selbst zu einer Belastung werden: Demente Patienten, Konfrontation mit dem Tod oder mit unheilbaren Krankheiten stellen psychisch und physisch hohe Anforderungen, denen die eine oder andere Person nicht (mehr) gewachsen ist und zu einem Burnout-Fall wird. Beispiel aus der Beratungspraxis Die äußeren Faktoren des Burnout-Modells zeigten sich für mich in einem Beratungsauftrag bei einer sozialmedizinischen Einrichtung. Dort werden die Leistungen für den Patienten als »Quartalspauschale« vergütet. Diagnostik und Therapie sind bei den Patienten oft sehr zeitaufwendig und erfordern die Beteiligung und Absprache mehrerer Personen aus unterschiedlichen Berufsgruppen. Das Besondere an diesem Fall war, dass die Höhe der Vergütung sehr unterschiedlich war: Während in einem Bundesland z. B. € 550.- vergütet wurden, erhielt die von mir beratene Einrichtung nur € 400.-.
Ein mehrdimensionales Burnout-Modell Im Erstkontakt stellte sich u. a. heraus, dass einige Mitarbeiter Angst vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes hatten, weil die finanzielle Grundlage der Einrichtung durch die Einnahmen nicht gedeckt war. Außerdem arbeitete man in der Beratung und Therapie sehr intensiv, um dem Patienten die bestmögliche Hilfestellung zu ermöglichen. Im Beratungsprozess war es deshalb wichtig, den individuellen Leistungsauftrag für die Patienten genauer zu erfassen. Nicht alles, was an Behandlung für einen Patienten wünschbar ist, ist auch finanziell tragbar und letztlich für die Einrichtung verkraftbar. Durch die Konzentration auf das für eine Behandlung Notwendige konnte eine Senkung der Kosten pro Patient erreicht werden und es wurde wieder möglich, zusätzliche Ressourcen gezielt für einzelne Patienten einzusetzen. Darüber hinaus stand immer wieder im Fokus des Beratungsprozesses, wie Prozesse und Strukturen so angepasst werden können, dass sowohl effektiv als auch effizient gearbeitet wird. Es ist hier offensichtlich, dass ein von außen einwirkender Faktor nämlich die durch die Krankenkassen festgelegte Vergütung, große Auswirkungen auf die Einrichtung hat; nur durch eine große Achtsamkeit der Mitarbeiter untereinander und durch geeignete Maßnahmen konnten eine chronische Überlastung der beteiligten Personen und damit potenzielle Burnout-Risiken eliminiert werden. 25 3
27 Zusammenfassung Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 4
28 4 Kapitel 4 • Zusammenfassung 55 Verschiedene Studien von Krankenkassen, Psychotherapieverbänden oder staatlichen Institutionen zeigen, dass das Stressempfinden der Bevölkerung stark zugenommen hat und die Zahl der Krankheitstage aufgrund von Burnout stark gestiegen ist. 55 Der Begriff »Burnout« tauchte erstmals in den 70er-Jahren bei sozialen und pflegerischen Berufen in den USA auf. Die drei Hauptsymptome sind: körperliche und seelische Erschöpfung, Zynismus gegenüber der Arbeit, Kollegen oder Kunden bzw. Anvertrauten und eine Ineffektivität des beruflichen Handelns bzw. der Verlust der beruflichen Kompetenz. 55 Die Symptome von Burnout können ein breites Spektrum umfassen: Dazu gehören z. B. nicht abschalten können, das Gefühl mangelnder Anerkennung, Schlafstörungen oder eine Verflachung der gefühlsmäßigen Reaktionen. 55 Burnout entwickelt sich über verschiedene Phasen, von ersten Anzeichen der Erschöpfung, über »alles dreht sich nur noch um die Arbeit« bis hin zur völligen Erschöpfung. 55 Burnout wird oft in Verbindung mit Depression gebracht; es gibt auch viele Übereinstimmungen von Symptomen des Burnouts und der Depression. Trotzdem ist es wichtig, die beiden Phänomene zu trennen, damit eine adäquate Behandlung möglich ist. Der Ort der Entstehung eines Burnouts ist immer auch an Belastungen am Arbeitsplatz gekoppelt. 55 Neben der Betrachtung der üblichen Auslösemechanismen von Burnout (Organisation, Individuum, Team bzw. Gruppe) braucht es auch die Einbeziehung weiterer Faktoren. Dazu gehören neben dem Kunden bzw. Patienten und privaten Belastungen auch externe Faktoren wie z. B. die Veränderung des Marktes, der Wettbewerbssituation oder politische und gesellschaftliche Faktoren.
29 Ursachen des Burnouts Kapitel 5  Persönlichkeit oder Umwelt als Burnout-Ursachen? – 31 Ulrich Scherrmann Kapitel 6 Personale Faktoren – 33 Ulrich Scherrmann Kapitel 7  Organisationale Faktoren – 43 Ulrich Scherrmann Kapitel 8  Forschungsergebnisse zu Burnout – 53 Ulrich Scherrmann Kapitel 9 Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung – 57 Ulrich Scherrmann Kapitel 10 Zusammenfassung – 67 Ulrich Scherrmann II
31 Persönlichkeit oder Umwelt als Burnout-Ursachen? Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 5
32 Kapitel 5 • Persönlichkeit oder Umwelt als Burnout-Ursachen? Welche Ursachen führen zu Burnout? Individuelle Faktoren im Vordergrund 5 Amerika: Fokus auf interpersonale und organisationale Ebene Differenzierte Ursachenanalyse wichtig Auflösung der Antipoden Persönlichkeit vs. Umwelt »Huhn oder Ei – was war zuerst?« Eine solche Analogie drängt sich auch auf, wenn man die Diskussion über Ursachen des Burnouts verfolgt (Burisch, 2014, S. 170–182). Liegt die Schuld beim Menschen, der nicht Nein zu Anforderungen sagen kann? Oder liegt sie bei katastrophalen Arbeitsumständen, die den Menschen an den Rand seiner Leistungsfähigkeit und damit ins Burnout bringen? Die Beantwortung dieser Frage scheint zumindest in den veröffentlichen Publikationen sehr eindeutig beantwortet zu werden. Die Mehrzahl der Bücher, die im Buchhandel erworben werden können, konzentriert sich auf die Bewältigung der individuellen Faktoren, die ein Burnout auslösen. Eine kleine Auswahl von Titeln belegt das: 55 »Burnout besiegen: Das 30-Tage-Programm« 55 »Burnout: Erkennen, verhindern, überwinden. Die eigenen Emotionen steuern lernen. Wie neuste Erkenntnisse helfen« 55 »Soforthilfe bei Stress und Burn-out: Neue Energie in wenigen Tagen – Coaching mit Neuroimagination – Strategien der Vorbeugung« In der amerikanischen Sozialpsychologie wird dagegen die Umwelt dafür verantwortlich gemacht (z. B. bei Christina Maslach); demzufolge sei eine Änderung der Situation nur durch die interpersonale oder die organisationale Ebene zu bewerkstelligen. Meines Erachtens lohnt sich die intensivere Beschäftigung mit möglichen Auslösern, um den Hintergrund eines Burnouts zumindest in den Blick zu bekommen. Damit ist gemeint, dass u. U. recht schnell die Ursache für ein Burnout bei der Organisation oder dem Team gesucht wird, weil die Psychodynamik der Person und ihre lebensgeschichtlichen Hintergründe, die zu ihrem entsprechenden Verhalten in Stresssituationen führen, zu wenig beachtet werden. Das Gleiche kann natürlich auch in umgekehrter Reihenfolge passieren: Die personalen Faktoren werden zu wenig beachtet und man begnügt sich mit manchmal oberflächlichen Erklärungen zu organisationalen Ursachen. Ich halte eine differenzierte Ursachenanalyse bei einem von Burnout betroffenen Menschen für zentral; dies ist allerdings nicht einfach, weil die Komplexität der Situation sehr hoch ist und sie differenzierende »Werkzeuge« zur Erhellung der Ursachen benötigt. Ich möchte den Versuch unternehmen, die Antipoden »Persönlichkeit« vs. »Umwelt« in einem ersten Schritt etwas aufzulösen. Zunächst gehe ich auf die persönliche Prägung sowie die daraus ­abgeleiteten Motive ein und schildere anschließend organisationale Faktoren. Diese werden zuletzt in einem eigenen Erklärungsmodell im Sinne eines möglichen Kontinuums zusammengefügt.
33 Personale Faktoren Ulrich Scherrmann 6.1 »Heroen der Arbeit« als Persönlichkeitstyp für ein Burnout? – 34 6.2 Die Bedeutung von Glaubenssätzen bzw. »Antreibern« – 35 6.3 Personale Kompetenzen und Anforderungsdruck der Umwelt – 38 6.4 Die Relevanz der eigenen Lebensgeschichte – 39 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 6
34 Kapitel 6 • Personale Faktoren 6.1 Heroen der Arbeit »Keine Burnouttypen« 6 Grobkategorien gefährdeter Menschen »Heroen der Arbeit« als Persönlichkeitstyp für ein Burnout? In Zeitschriften, die sich des Themas Burnout annehmen, werden immer wieder Menschen porträtiert, die als »Heroen der Arbeit« in ein Burnout fallen. Zumindest indirekt wird damit suggeriert, dass Menschen mit speziellen Persönlichkeitsmerkmalen eher ins Burnout fallen als andere. Matthias Burisch entlarvt diese Meinung, indem er verschiedene Widersprüche der Burnout-Forscher aufdeckt: So spricht z. B. Herbert Freudenberger von begeisterungsfähigen, dynamischen und zielorientierten Personen – Christina Maslach hingegen von zurückhaltenden, gewöhnlichen Persönlichkeiten mit Mangel an Selbstvertrauen und Ehrgeiz, die burnout-gefährdet sind (Burisch, 2014, S. 172). Burisch ist der Meinung, dass die Festlegung auf Burnout-Typen wenig Relevanz besitzt, auch weil in Längsschnittstudien keine Klarheit darüber geschaffen wurde. Gleichwohl erwähnt er fünf Grobkategorien von Charakteristika burnout-gefährdeter Menschen, ohne allerdings diesen eine wissenschaftlich begründete Relevanz zuzuschreiben. Ich erwähne diese Kategorien (mit Beispielen) in aufzählender Art und Weise (Burisch, 2014, S. 173–180). 55 Allgemeine Persönlichkeitsmerkmale, Bedürfnisse, Motive: 55 Merkmale des Neurotizismus: Ängstlichkeit, mangelnde Selbstachtung, Neigung zu Irritationen, Sorgen und Depressionen, 55 labiles Selbstwertgefühl, das auf äußere Bestätigung angewiesen ist, 55 Schuldanfälligkeit und zwanghafte Neigungen, 55 Ungeduld und geringe Belastbarkeit, 55 Suchtstruktur, 55 Bedürfnis, eine Wirkung bei Menschen zu erzielen (Lehrer, Sozialarbeiter…). 55 Speziellere Persönlichkeitsstrukturen: »Helfersyndrom« nach Schmidbauer in sozialen und helfenden Berufen. 55 Besonderheiten des Weltmodells: 55 Externalität: Menschen sehen ihr Schicksal von äußeren Faktoren oder vom Zufall bestimmt, 55 Perfektionismus ohne Kompromiss, 55 Lebensskripte, z. B. »Arbeit ist mein Leben!« 55 Fähigkeiten und Defizite: 55 Ausbildungsdefizite, 55 Unvermögen, Mitmenschen Grenzen zu setzen. 55 Coping-Stile (individuelle Bewältigungsstrategien): 55 Rückzug in die Erschöpfung zum Überleben des Organismus, 55 indirekt-inaktive Strategien.
6.2 • Die Bedeutung von Glaubenssätzen bzw. »Antreibern« 6.2 35 6 Die Bedeutung von Glaubenssätzen bzw. »Antreibern« Mittlerweile ist durch die Neurobiologie recht gut erforscht, dass unser Gehirn »formbar« ist, d. h. es passt sich an die Nutzungsbedingungen an, sodass es bei Aktivitäten Netzwerke ausbildet. Diese »erfahrungsabhängige Neuroplastizität« geschieht schon vorgeburtlich. Aus einem Bündel von Erfahrungen – gleich ob positiver oder negativer Art – bilden sich (nicht nur beim Kind) feste Überzeugungen und Grundhaltungen heraus. Diese Grundprägung geschieht primär durch Erfahrungen in unserer Ursprungsfamilie (oder »Ersatzfamilien«). Dabei passen wir uns den Denk-, Gefühls-, oder Empfindungsmustern unserer Familie an, weil diese dem menschlichen Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit entsprechen. So ist es kein Zufall, dass sich »Familiendynastien« herausbilden, die über Generationen hinweg im gleichen Berufsfeld tätig waren, z. B. »Stahlbarone« oder Privatbankiers. In systemischer Perspektive können wir sagen, dass Muster im Familiensystem über Generationen hinweg weitertradiert werden. Genetik und Sozialisation spielen eine wichtige Rolle; gleichzeitig sind wir nicht auf unsere Gene und die familiäre Prägung festgelegt. Neben dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit kommt als wichtige zweite Komponente unser Bedürfnis nach autonomer Gestaltung zur Geltung. Durch den eigenen Lebenswillen geschieht eine Einordnung der (frühkindlichen) Erlebnisse in ein persönliches Koordinatensystem, durch das die Erlebnisse als positiv oder negativ bewertet werden. Dadurch lässt sich erklären, dass Kinder, die unter den gleichen familiären Bedingungen aufwachsen, sehr unterschiedlich diese Erfahrungen verarbeiten: Negative Erfahrungen hindern die einen nicht daran, Selbstvertrauen aufzubauen und starke Persönlichkeiten zu werden. Andere dagegen werden durch das Negative stark beeinflusst und leiden schon früh unter Minderwertigkeitsgefühlen. Diese Grundprägungen oder Glaubenssätze bestimmen unseren Alltag und werden normalerweise nur dann überprüft, wenn sie mit schwerwiegenden Erlebnissen kollidieren, d. h. wenn Erlebnisse und Glaubenssätze nicht mehr zusammenpassen. Dies geschieht z. B. dann, wenn dynamische, offene, inspirierende Menschen in einer Organisation »landen«, die sehr starr und rigide ist. Die immer wieder neuen Versuche, die Organisation mit neuen Ideen zu inspirieren, werden abgeblockt. Die persönliche Analyse dieser Situation ergibt eine externale Schuldzuweisung, es wird beispielsweise den anderen Mitgliedern der Organisation Denkfaulheit oder Bequemlichkeit unterstellt. Dadurch wird die eigene innere Überzeugung nicht infrage gestellt. Der Betroffene kann nicht erkennen, dass seine Glaubenssätze nicht zu dieser Organisation passen und ihn dadurch behindern. Glaubenssätze, die Menschen antreiben oder (im Gegenteil) stark einschränken, begünstigen das Auftreten von Disstressphänomenen, Unser Gehirn bildet feste Überzeugungen Weitertradierung von Mustern Persönliches Koordinatensystem zur Bewertung Glaubenssätze bestimmen uns und können hinderlich sein. Glaubenssätze und Disstress
36 Kapitel 6 • Personale Faktoren Eigene Glaubensüberzeugungen Realität . Abb. 6.1 Glaubensüberzeugungen treffen auf die Realität und erzeugen Spannungen 6 Perfektion Eile Stärke Anpassung Anstrengung weil man so sehr in der eigenen Überzeugung gefangen ist und nicht mehr wahrnimmt, wo und wie diese Überzeugung hinderlich ist (. Abb. 6.1). Blockierende oder antreibende Glaubenssätze können z. B. sein (Kypta, 2006, S. 89 f): 55 Sei perfekt! Menschen mit diesem Glaubenssatz laufen der Illusion hinterher, alles perfekt machen zu müssen. Das Gute genügt nicht; dabei übersehen sie, dass die größte Perfektion noch überboten werden kann und ein unendlicher Kreislauf von Perfektionsstreben und Nicht-gut-genug-Sein aufrechterhalten wird. 55 Beeile dich! »Müßiggang ist aller Laster Anfang!« Solche Sätze wurden internalisiert und prägen das Verhalten. Es versteht sich von selbst, dass unter Zeitdruck nicht unbedingt die besten Ergebnisse erzielt werden – im Gegenteil: Kreativität braucht Freiräume und genügend freie Zeit. 55 Sei stark! Früher impfte man Jungs ein: »Sei stark« oder »Jungen weinen nicht«. Teilweise ist diese alte Rollenverteilung auch heute noch verbreitet. Diese kulturell bedingte Prägung verhindert es, sich Unterstützung zu holen oder andere zum Mittragen von Entscheidungen zu gewinnen; als Chef eines Unternehmens kann es dann eine große Last sein, einsame Entscheidungen zu treffen und dafür den Kopf hinzuhalten. 55 Mach es immer allen recht! Dahinter verbirgt sich eine tiefe Scheu vor Konflikten und Konfrontation, weil beim Eingehen von Konflikten damit zu rechnen ist, anzuecken und nicht mehr von allen geliebt zu werden. Diese Angst vor Liebesentzug setzt alle Hebel in Bewegung, um möglichst viele mit ihren z. T. sehr unterschiedlichen Ansprüchen zu befriedigen, was mitunter nur unter Aufgabe der eigenen Ansprüche und Wünsche möglich ist. 55 Streng dich an! Eine Arbeit ist nur dann befriedigend, wenn »viel Schweiß und Tränen« vergossen wurden.
6.2 • Die Bedeutung von Glaubenssätzen bzw. »Antreibern« 37 6 Beispiele aus der Beratungspraxis Eine alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern und einem eigenen Geschäft muss sehr viel Energie aufwenden, um die Familienarbeit und ihr berufliches Engagement zu vereinbaren. Sie wird immer wieder von Gewissensbissen geplagt, weil sie den Eindruck hat, dass sie ihrem jüngsten Kind nicht gerecht wird. Gleichzeitig unternimmt sie mit ihrem Glaubenssatz »Sei stark« und »Du musst alles alleine bewältigen« ungeheure Anstrengungen, um sowohl ihre Kinder als auch ihre Kunden zufriedenzustellen. Dies geht sogar soweit, dass sie ihren Kunden Dienstleistungen ohne entsprechendes Entgelt anbietet. Eine Frau, die in einem kleineren Betrieb in der Produktion arbeitet, wird – nach einer Fußoperation im letzten Jahr – im laufenden Jahr durch eine Minderung ihrer Sehkraft beeinträchtigt. Für ihre Tätigkeit ist sie auf gute Augen angewiesen. Obwohl es wichtig gewesen wäre, möglichst rasch den Augenarzt aufzusuchen, »kämpft sie sich durch« und versucht diese Einschränkung zu kompensieren, was sie an den Rand ihrer Kräfte und schließlich in eine Depression und ins Burnout führt. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebes musste die letzten Jahre intensiv an dessen Erweiterung und Ausbau arbeiten. Eine 60-Stunden-Woche war der Regelfall. In ihm war der Glaubenssatz: »Sei stark«! Er übersah dabei, dass Strukturen, Prozesse und Abläufe im Unternehmen nicht mehr angemessen waren. Die dadurch entstandenen Defizite versuchte er durch noch mehr Arbeit auszugleichen. Er wurde immer jähzorniger, gereizter und »vergaß sich« mitunter im Kontakt mit den Angestellten. Als ihm durch den Inhaber der Firma ein weiterer Geschäftsführer zur Seite gestellt wurde, empfand er dies als Kränkung und wurde für alle im Betrieb unerträglich. Er wurde depressiv und zu einem stationären Aufenthalt in eine Klinik eingewiesen. Neben diesen klassischen Antreibern gibt es eine ganze Menge anderer Glaubenssätze, die – in entsprechenden Situationen und über längere Zeit praktiziert – fatale Auswirkungen haben können. Hier eine Auswahl: 55 »Ich darf nicht Nein sagen! Ich muss immer alles ohne Murren übernehmen.« 55 »Ich will niemandem zur Last fallen, ich manage die Sache alleine und brauche keine Hilfe!« 55 »Ich muss anderen helfen, damit es mir gut geht!« 55 »Ich will, dass es meine Kinder einmal besser haben als ich, und dafür tue ich alles!« 55 »Wenn sonst keiner Verantwortung übernimmt, muss ich es wohl machen, weil ansonsten das Projekt bzw. der Betrieb scheitert.« Weitere Glaubenssätze Je nach psychologischer Schule lässt sich die Palette der personalen Faktoren beliebig erweitern. Sehr bekannt ist z. B. in den sozialen Helfersyndrom
38 Kapitel 6 • Personale Faktoren Berufen das sog. »Helfersyndrom«. Freudenberger wies erstmals im Zusammenhang mit seiner eigenen Erfahrung darauf hin. Im deutschen Sprachraum wurde es durch Wolfgang Schmidbauer bekannt (Schmidbauer, 1992). Damit ist die übertriebene Hilfsbereitschaft von Menschen gemeint, die genährt wird von zu wenig erfahrener Bedürfnisbefriedigung in der Kindheit. Um diese jetzt als Erwachsener zu erhalten, begibt diese Person sich in eine helfende Position. Allerdings ist das Bedürfnis nach Zuwendung so hoch, dass es kaum gestillt werden kann. Sobald eine Person aus der Hilfsbedürftigkeit herausgeführt worden ist, muss ein neues »Opfer« gefunden werden, was zu einem permanenten Helfen führt. Dies kann ins Burnout führen, weil die Person sich weit über ihre Kräfte hinaus verausgabt. 6 6.3 Grundprägung ist am Arbeitsplatz hinderlich Burnout als misslungener Anpassungsversuch Aufatmen und Innehalten Personale Kompetenzen und Anforderungsdruck der Umwelt Die personalen Faktoren allein müssen noch nicht zu einem Burnout-Syndrom führen. Dies geschieht erst dann, wenn ein Mensch an einem Arbeitsplatz ist, an dem er mit seiner Grundprägung in Konflikt mit den dort gestellten Anforderungen gerät. Es gelingt ihm nicht, sich darauf einzustellen. Dies ist u. U. deshalb schwierig, weil die Arbeitsrealität nicht mehr oder nur ungenügend wahrgenommen wird: Die eigenen Glaubenssätze werden mit einem »Tunnelblick« versucht am Arbeitsplatz umzusetzen, was zu einer überhöhten Belastung, über längere Zeit zu Überbelastung und zum Burnout führt. Die allgemeinen Zusammenhänge zwischen Burnout und der Arbeitsumgebung macht Manfred Nelting sehr schön deutlich, indem er Burnout als einen nicht gelingenden »Anpassungsversuch unseres Körpers an die Lebensbedingungen und Anforderungen der heutigen Welt« sieht (Nelting, 2010, S. 119). Eine Anpassung aufseiten der Gene ist nach dem heutigen Kenntnisstand bei sehr bedeutenden, permanenten und kurz aufeinanderfolgenden Lebenssituationen nicht zu erwarten. Auch eine Anpassung des Stresssystems ist nicht möglich. Um der »Burnout-Falle« zu entkommen, braucht es eine Anpassung des Menschen an die Lebens- und Arbeitsbedingungen: Dies bedeutet ein Rückzug des Menschen auf seine »Mitte«, auf den Kern seiner Persönlichkeit, um von dort aus seine Fähigkeiten im Umgang mit stressbelasteten Situationen zu entwickeln und einzusetzen. Nelting vergisst dabei allerdings nicht, die äußeren Faktoren mit einzubeziehen: »» Dies [d. h. die Entwicklung und den Einsatz der eigenen Fähigkeiten] setzt menschenwürdige Lebensbedingungen im globalen Maßstab voraus, die auch ein Aufatmen zulassen. Dies gilt es, gemeinsam zu erreichen. Aufatmen und Innehalten sind zentrale Punkte dieser Rahmenbedingungen, sowohl im persönlichen Bereich (…) – als auch darüber hinaus – von Anreizen für nach-
6.4 • Die Relevanz der eigenen Lebensgeschichte 39 6 haltiges Wirtschaften, was zur Entschleunigung und besserem Wirtschaftsergebnis führt (…). (Nelting, 2010, S. 120) Um Bewältigungsmöglichkeiten genauer zu erfassen, sind nach Nelting vier Leitfragen wichtig: 1. Welche Anforderungen stellt die jetzige Situation? Es geht hier darum zu schauen, ob z. B. die erworbenen Fähigkeiten kaufmännischer oder handwerklicher Art zum entsprechenden Beruf passen. 2. Welche Persönlichkeit sind Sie? Die Prägung aus Familie, Gesellschaft, Umwelt und die biologischen Grundlagen hat im Laufe des Lebens zu speziellen (Über-)Lebensstrategien geführt, die oftmals mit Schlagworten charakterisiert, z. B. Draufgänger, Karrierist oder Drückeberger. 3. Welche Anforderungen stellt die Umwelt? Hier gilt es genau zu schauen, ob die Persönlichkeit und die erworbenen Fähigkeiten zu den Anforderungen passen. Ein »Buchhaltertyp«, der ruhig seine Arbeit verrichtet, ist wohl kaum geeignet für ein hektisches, unruhiges Börsengeschäft. 4. Haben Sie die Situation gewählt? Es kann beides eintreten: Eine gewählte Situation kann plötzlich überfordern, während eine von außen »befohlene« Arbeit zunehmend gefallen und erfüllen kann. 6.4 Vier Leitfragen zur Bewältigung Die Relevanz der eigenen Lebensgeschichte Der Versuch, bestimmte Persönlichkeitstypen zu beschreiben, die »notgedrungen« bei der entsprechenden Situation zu einem Burnout führen, wird von Nelting (wie auch von Matthias Burisch) als ein Irrweg bezeichnet. Er ist der Auffassung, dass sowohl Menschen mit einer gelungenen Kindheit als auch Menschen mit schwierigem familiärem Hintergrund in ein Burnout fallen können, und zieht als Fazit: Kein allgemein verbindliches Persönlichkeitsprofil »» Es gibt kein allgemein verbindliches Persönlichkeitsprofil als Grundlage für eine Burnout-Erkrankung. Allen gemeinsam ist aber, dass ihnen vom Leben etwas abverlangt wird, was sie letztlich nicht bewältigen können. (Nelting, 2010, S. 123) In einem kurzen Abschnitt möchte ich überblicksartig wichtige Fragen und Themen vorstellen, die im Zusammenhang mit personalen Faktoren des Burnouts auftauchen. Die Bedeutung der Gene: Manche Menschen beruhigen sich in einem Burnout, indem sie auf ihre Gene verweisen, die zu ihrer Erkrankung geführt hätten. Als Beweis wird der Vater bzw. Bruder zitiert, der auch schon unter Burnout gelitten hat. Gene als Rahmen
40 Kapitel 6 • Personale Faktoren Prädisposition für Depression 6 Frühkindliche Entwicklungsstörungen Motorische Unruhe Sport als Kompensation Fehlende Bindungsfähigkeit Familiäre Belastungen Dieser Zusammenhang erscheint auf den ersten Blick plausibel zu sein, widerspricht aber der wissenschaftlichen Meinung, die – bis auf schwere Krankheiten – die Theorie vertritt, dass Gene den Rahmen eines Handelns bestimmen, aber nicht unmittelbar einen Einfluss auf eine Erkrankung haben. Die Depression – genetisch bedingt? Mitunter wird in der Öffentlichkeit ein Zukunftsszenario präsentiert, das vorgibt, schon bald depressionsauslösende Gene zu finden; ebenso wird versprochen, in Zukunft schon vor Ausbruch der Krankheit mit entsprechenden Medikamenten zu therapieren. So verlockend dieser Gedanke auch ist: Laut Nelting ist dies ein sehr unwahrscheinliches Szenario, weil laut der internationalen Literatur einerseits viele Gene am Entstehen einer Depression beteiligt sind, andererseits aber auch die Genumgebung eine Rolle spielen. Demzufolge ist es nötig, Menschen, die aufgrund genetischer Faktoren eine Prädisposition für eine Depression haben, so zu stärken, dass sie mit Belastungen des Alltags gut umgehen können. Frühkindliche Entwicklungsstörungen: Neurophysiologische Entwicklungsstörungen, die schon früh auftreten, können einen wichtigen Einfluss auf die spätere Gesundheit haben. Beispielsweise führt das Fehlen der Krabbelphase dazu, dass durch das Aufrichten entstehende Streckspannungen schon früh zu motorischer Unruhe führen und eine grundlegende Prägung bewirken. Im späteren Leben sind diese Menschen sportlich sehr aktiv, um sich von diesen Spannungen zu befreien. Steht der Sport als Kompensation aufgrund von Arbeitsüberlastung oder Sportverletzungen nicht mehr zur Verfügung, sind sie einem hohen Burnout-Risiko ausgesetzt. Diese Störung kommt häufig bei Führungskräften vor: Durch ihren Ehrgeiz und ihre Ungeduld passen sie gut zum Anforderungsprofil heutiger Manager – die wahre Quelle ihrer Ungeduld und ihres Ehrgeizes ist aber nicht offensichtlich. Auf diese Weise ist bei fehlendem Ausgleich der Weg ins Burnout vorgezeichnet. Eine weitere frühkindliche Störung, die sich später fatal auswirken kann, ist die fehlende Bindungsfähigkeit (meist) der Mutter zum Kind. Dadurch wird mitunter im späteren Leben der Aufbau von tragenden Beziehungen verhindert; diese wiederum sind wichtig für die Prävention von Burnout. Belastungen in der Kindheitsfamilie: Ein wichtiger Faktor für die gesunde Entwicklung eines Kindes ist eine stabile familiäre Umgebung. Damit wird nicht die traditionelle Familie mit Vater, Mutter und Kind bzw. Kindern gleichgesetzt; verschiedene Konstellationen, z. B. auch eine »Ersatzfamilie«, können eine stabile Umgebung schaffen. Die stabile familiäre Umgebung kann durch vielerlei Ursachen nicht vorhanden sein, z. B. durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile. Auch eigene unverarbeitete Konflikte und Traumata der Eltern spielen eine wichtige Rolle, weil sie meist unbewusst auf das Kind übertragen werden. Diese Prägung wird vom Kind mit ins spätere Leben genommen und führt dazu, dass der er-
6.4 • Die Relevanz der eigenen Lebensgeschichte wachsene Mensch aufgrund mangelnden Selbstwertes burnout-, depressions- oder suizidgefährdet ist. Krankheit, Trennung und elterliche Botschaften: Kommt ein Kind durch eine Krankheit in eine längere Trennungsphase von der Mutter, kann dies zu einer einschlägigen Prägung führen, weil ein physiologischer Mechanismus (Erhöhung Stresshormonspiegel – Wirkungsabschwächung der Endorphine) ausgelöst wird, der beim Kind zu anhaltenden körperlichen Schmerzen führen kann. Besonders für die Generation der Männer im 6. Lebensjahrzehnt kann ein wichtiger Faktor aus der Vergangenheit bedeutsam sein: Aufgrund der Kriegserlebnisse waren ihre Väter oftmals traumatisiert, haben sich in ihre Welt (Arbeit, Hobby, Sucht etc.) zurückgezogen und standen den Jungen nicht als wertschätzende Bezugspersonen zur männlichen Initiation zur Verfügung. Auch Mädchen wurde die wichtige Wertschätzung der Väter vorenthalten. Für beide Geschlechter können daraus ernsthafte Schwierigkeiten in Ehen und sonstigen Beziehungen führen, sodass die Ressource »gesunde Beziehungen« in schwierigen Arbeitssituationen nicht mehr zur Verfügung steht. Elterliche Botschaften, die auf das Kind einwirken, z. B. »Du bist dumm!« oder »Wut wird in unserer Familie runtergeschluckt«, bewirken ebenfalls eine bleibende Prägung beim Kind und machen es anfällig für Burnout. Weitere Faktoren: Glaube als Erfahrung von Aufgehobensein und Vertrauen in soziale Beziehungen, aber auch Glaube an ein transzendentes Wesen im religiösen Sinne bilden in einer gesunden Ausprägung (jenseits von Fanatismus, Gewissenszwang etc.) einen Gesundheitsschutz und fördern bei Krankheit eine raschere Genesung. Nelting kritisiert in seinem Buch das gegenwärtige Schulsystem heftig, weil es seiner Meinung nach die Kinder nicht auf die Welt von heute und morgen vorbereitet. Sie fördert weder die Lust am Lernen und an der Kreativität noch motiviert sie Kinder, sich gemeinsam schöpferisch mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Er schreibt: 41 6 Trennung von Eltern Abwesende Väter Elterliche Botschaften Glaube als Gesundheitsschutz Kritik am Schulsystem »» Insofern sind viele Menschen durch die Schule nicht darauf vorbereitet, kreativ mit den aktuellen Anforderungen in der Globalisierung umzugehen, die ohne neue Bewältigungskonzepte den Weg in ein Burnout ebnen und fördern (…). Ausbildung und Studium stellen kein ausreichendes Rüstzeug bereit, um dem Einzelnen ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen. Selbstwirksames Handeln wird unterminiert, obwohl es für einen gelingenden eigenen Alltag und auch für den Schutz vor Burn-out dringend gebraucht wird. (Nelting, 2010, S. 138) Die Wirksamkeit der Belastungen im späteren Leben: Die o. g. Fak- toren, die selbst in therapeutischer Behandlung nach einem Burnout zunächst unbewusst bleiben können, führen dazu, dass versucht wird, die entstandenen Defizite durch erhöhte Leistung zu kompensieren. Defizitkompensation durch Leistung
42 Kapitel 6 • Personale Faktoren Vergangenheit kein blindes Schicksal 6 So verbirgt sich erst beim genaueren Hinschauen hinter der Maske »Arbeitstier« ein Mechanismus, der vor alten Wunden schützt. Werden diese Kompensationsstrategien (»Arbeit bringt mir Anerkennung«) aber durch Ereignisse am Arbeitsplatz unwirksam gemacht, entsteht in der Folge eine hohe Belastung, die zum Burnout führen kann. Gleichzeitig bleibt es wichtig zu erwähnen, dass die Erfahrungen aus der Vergangenheit kein blindes Schicksal sind: Sie können bearbeitet werden, sodass ein Mensch ein von Burnout schützendes Verhalten aufbauen kann.
43 Organisationale Faktoren Ulrich Scherrmann 7.1 Burnout in psychosozialen Berufen: Herbert J. Freudenberger – 44 7.2 Burnout als Zeichen einer Störung in der Organisation: Christina Maslach – 45 7.3 Burnout als fehlende Passung zwischen Arbeitsumgebung und Mensch: Cary Cherniss – 48 7.4 Organisationen und ausgebrannte Teams: Jörg Fengler – 50 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 7
44 Kapitel 7 • Organisationale Faktoren 7.1 Organisationale Faktoren von Burnout 7 Geringe Fürsorge Extreme Belastung Unpersönliche Kommunikation Unfähige Führungspersonen Zu viel oder zu wenig Arbeit Ausgebrannte Teams Burnout in psychosozialen Berufen: Herbert J. Freudenberger Schon in seiner ersten Publikation aus dem Jahr 1974 zeigte Freudenberger einige Präventionsmaßnahmen auf, die einen indirekten Bezug zu organisationalen Faktoren haben (Freudenberger, 1974, S. 162–164). Dazu gehören z. B. eine Beschränkung der Arbeitszeit, Abwechslung im Job – nicht immer die gleiche Tätigkeit machen, ein Erfahrungsaustausch in der Gruppe über die Arbeit oder die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Freiwilligen für eine umfangreiche Arbeit. Sechs Jahre nach seiner ersten Publikation veröffentlichte Freudenberger zusammen mit Geraldine Richelson eine größere Monographie, in der er besonders anhand von Einzelschicksalen von Menschen auch – allerdings eher unsystematisch – die organisationalen Faktoren von Burnout reflektierte (Freudenberger, 1980, S. 165–206). Einige von ihm genannte, wichtige Aspekte, hauptsächlich in den psychosozialen Berufen, sind: 55 Die Fürsorge der Führung für die Mitarbeiter ist sehr gering. Es wird kaum gelobt; die Führung ist mit anderen, scheinbar wichtigeren Aufgaben beschäftigt. 55 Die Belastung an extrem herausfordernden Arbeitsplätzen wird zu wenig beachtet, z. B. wird die Arbeit einer Schwester auf der Intensivstation zu wenig wahrgenommen, sodass auch die Frage der Ablösung, Entlastung oder temporären Versetzung kaum in den Blick kommt. 55 Die Größe vieler Unternehmen und Behörden bewirkt, dass sich durch die Aufteilung auf viele Bereiche und Abteilungen eine »gesichtslose Kommunikation« ergibt: Es ist nicht klar, wer am anderen Ende des Telefons sitzt; man wird durch die Schwerfälligkeit der Organisation und den Bürokratismus an der eigenen Kreativität gehindert. 55 »Peter-Prinzip«: Nach den Studien von Dr. Laurence Peter und Raymond Hull geschieht es in hierarchisch strukturierten Organisationen immer wieder, dass Menschen in Führungspositionen gelangen, für die sie nicht ausgebildet sind und die sie z. T. auch nicht innehaben wollen. Diese unsicheren Führungskräfte können oftmals weder Entscheidungen treffen noch Mitarbeiter stützen – gerade dann, wenn diese eine Unterstützung sehr nötig hätten. 55 Arbeitsüberflutung oder Langeweile: Nach Meinung von Freudenberger haben »große Organisationen die Tendenz, zwischen zwei Extremen zu pendeln: Entweder gibt es nichts zu tun oder aber so viel, dass die Zeit dazu beim besten Willen nicht reicht.« (Freudenberger, 19980, S. 192) 55 Fehlende Anerkennung für Teams: Nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Teams können an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangen. Ein Projektteam z. B., dem die not-
7.2 • Burnout als Zeichen einer Störung in der Organisation wendige Unterstützung von außen versagt wird, dem dringende finanzielle Mittel vorenthalten werden und die Anerkennung für die geleistete Arbeit nicht gezollt wird, entwickelt plötzlich eine ganz neue Teamdynamik: Die anfänglich hohe synergetische Arbeit wird abgelöst von einer gereizten Stimmung und vom Kampf jeder gegen jeden. 55 Unterordnung unter das System: Freudenberger hat eine große Skepsis bzgl. der Behandlung von Menschen in Systemen. Seiner Meinung nach «unterjochen« Systeme ihre Mitarbeiter plan- und regelmäßig. Sie schneiden diese z. B. von zu viel Machtfülle ab, kürzen Aufgaben oder führen Leistungsbeurteilungen ein, um die Menschen gefügig zu machen. Sie ködern mit finanziellen Anreizen Mitarbeiter und bringen sie sogar dazu, einen sie nicht erfüllenden Job weiterhin zu tun. 7.2 45 7 Unterordnung unter System Burnout als Zeichen einer Störung in der Organisation: Christina Maslach Christina Maslach ist v. a. durch das Maslach Burnout Inventory (MBI) in aller Munde. Es handelt sich um einen Fragebogen zu Burnout, der heute in den meisten Forschungsvorhaben eingesetzt wird und von ihr und ihrer Kollegin Susan E. Jackson im Jahr 1981 publiziert wurde (Maslach, Jackson & Leiter, 1996). Hintergrund des MBI ist ein dreistufiges Phasenmodell, das Maslach aufgrund ihrer Studien an Menschen in psychosozialen Berufen entwickelt hat. Die Kernsymptome von Burnout sind darin: 55 Emotionale Erschöpfung: durch fehlenden Dank oder ausbleibenden Erfolg in der Arbeit; 55 Depersonalisation: durch Aufbau von Distanz zu den Klienten und deren Abwertung; 55 Leistungsunzufriedenheit: aufgrund der veränderten persönlichen Einstellung zum Klienten und den daraus folgenden Misserfolgserlebnissen. Christina Maslach unterscheidet bereits die individuelle, die interpersonale und die organisationale Ebene von Burnout, betont aber, dass die Bedeutung dieser Ebenen noch zu wenig eindeutig sei, um genauere Aussagen über die jeweiligen Einflüsse treffen zu können. Fast zwei Jahrzehnte später (1997, deutsch 2001) zeichnet Maslach zusammen mit ihrem Kollegen Michael P. Leiter ein eindeutiges Bild: Für sie ist evident, dass Burnout ein klares Anzeichen einer Störung innerhalb der Organisation und nicht des Individuums ist. Sie schreibt: »» Die gängige Ansicht ist, dass Burnout in erster Linie ein Problem der Einzelperson ist (…). Aber unsere Forschungen haben zu einem völlig gegensätzlichen Resultat geführt. Unsere umfassen- Maslach und das MBI Kernsymptome von Burnout Burnout als Störung innerhalb der Organisation
46 Kapitel 7 • Organisationale Faktoren den Studien haben ergeben, dass Burnout nicht das Problem der Menschen selbst ist, sondern das Problem des sozialen Umfeldes, in dem Menschen arbeiten. Die Strukturierung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes prägt die Interaktion zwischen den Menschen und der Art und Weise, wie sie ihre Arbeit erledigen. Wenn das Arbeitsumfeld die menschliche Seite der Arbeit nicht berücksichtigt, dann steigt das Risiko von Burnout und ein hoher Preis ist dafür zu bezahlen. (Maslach & Leiter, 2001, S. 19f ) Arbeitsüberlastung 7 Kontrolle dominiert Fehlende Anerkennung Ihrer Meinung nach sind sechs Faktoren auf der Ebene der Organisation für ein Burnout verantwortlich (Maslach & Leiter, 2001, S. 41–64): 55 Arbeitsüberlastung: Menschen können durch zu viel Arbeit »in die Knie gehen«. Es gilt ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Arbeitsumfang, den das Unternehmen vorgibt, und den Möglichkeiten der Mitarbeiter. Dabei ist dieses »Zuviel« des Arbeitsumfangs nicht eindeutig messbar, sondern kann von Mensch zu Mensch sehr verschieden aussehen. Es gilt immer im Auge zu behalten, dass v. a. Umstrukturierungen, Kostensenkungsprogramme oder allgemeine Umbrüche in Organisationen mit einem größeren Arbeitsumfang verbunden sind, der mit den Mitarbeitern abgesprochen werden muss bzw. müsste. Auch gilt es zu beachten, dass vermeintliche Optimierungen von Prozessen nicht immer den gewünschten Erfolg bringen: Man glaubt, eine höhere Produktivität zu erwirtschaften; in Wahrheit gelingt diese nur, weil die Mitarbeiter mehr arbeiten. Diese Mehrarbeit ist temporär möglich, auf Dauer führt sie jedoch zu einer übermäßigen Beanspruchung und damit zum Leistungsabfall. Die Arbeitsüberlastung kann sich auch dadurch zeigen, dass die aufgewendete Arbeitszeit immer größer wird: Heimarbeit, Konferenzen, die früh beginnen bzw. spät abends enden oder das Bearbeiten von E-Mails am Wochenende sind nur einige dieser »Fallen«, durch die Menschen mitunter an den Rand ihrer Kräfte kommen. Zugleich wird die Arbeit immer komplexer: Die modernen Informationstechnologien machen ein Multitasking möglich, sodass man nicht mehr nur Lehrer oder Polizist ist, sondern zugleich auch verantwortlich ist für eine ganze Menge Büroarbeit, die früher Sekretärinnen erledigten. 55 Zu viel Kontrolle: Menschen möchten an ihrem Arbeitsplatz etwas bewirken. Sie haben dabei, je nach den persönlichen Erfahrungen und Kompetenzen, individuelle Herangehensweisen an Probleme und Aufgaben. Wird dieses individuelle Handeln durch ein Zuviel an Kontrolle eingeengt, verschwindet die Motivation, sodass es eine immer größer werdende Kluft gibt zwischen den Interessen der Organisation und dem eigenen Interesse an der Arbeit. 55 Unzureichende Belohnung: Anerkennung für die geleistete Arbeit ist etwas absolut Notwendiges. Diese kann in Form von Geld, besseren Aufstiegschancen o. Ä. ausgedrückt werden. Da-
7.2 • Burnout als Zeichen einer Störung in der Organisation bei ist es wichtig, Möglichkeiten für Wertschätzung und Freude an der Arbeit zu schaffen. Diese intrinsische Komponente muss gleichzeitig ergänzt werden durch Möglichkeiten, auch in Gruppen oder Teams durch herausfordernde Tätigkeiten Befriedigung zu erfahren. Ohne diese Komponenten sinkt die Motivation des Mitarbeiters. Gerade in den letzten Jahren hat in vielen westlichen Industrienationen für viele Menschen und Betriebe die finanzielle Seite eine große Rolle gespielt: Unternehmen haben bei Kostensenkungsprogrammen Lohnkürzungen und Reduzierungen von Boni vorgenommen, die Sicherheit des Arbeitsplatzes stand durch Verlagerungen ins Ausland auf dem Spiel; aber auch flachere Hierarchien haben dazu geführt, dass Menschen ihren Wunsch nach Aufsteigen auf der Karriereleiter loslassen mussten. 55 Zusammenbruch der Gemeinschaft: Infolge kurzfristiger Orientierung am Profit (Shareholder-Value-Doktrin) rückt in einem Unternehmen einseitig die Kostenseite in den Vordergrund. Die menschlichen Verfasstheiten und damit auch die sog. »weichen Faktoren« geraten ins Hintertreffen. Durch Umstrukturierungen entstehen immer rascher wechselnde Teams, Arbeitsaufgaben werden immer stärker individualisiert, sodass die Teamdimension verloren geht, und damit auch der Raum und die Zeit, in der Menschen Gemeinschaft erfahren können – durch eine sie erfüllende Teamaufgabe oder durch Gespräche mit Kollegen. Das Gemeinschaftsgefühl wird immer mehr durch Arbeitsplatzunsicherheit untergraben, weil jetzt sowohl das Individuum als auch Teams in Konkurrenz zum anderen stehen. Notwendigerweise kommt es zu Konflikten und zu sinkender Synergie, die aber für eine effiziente und effektive Teamarbeit notwendig wäre. 55 Fehlen von Fairness: Vertrauen in die Erfüllung der Aufgaben, Offenheit und Respekt im Umgang miteinander sind notwendige Komponenten, damit Menschen sich einer Aufgabe mit Engagement widmen und sich ein Gemeinschaftsgefühl in einem Unternehmen entwickelt. Fehlt in Krisenzeiten das Vertrauen, dass Mitarbeiter nicht nur sich selbst, sondern auch den Kunden im Blick haben, wird nur spärlich kommuniziert oder werden Menschen als austauschbare Manövriermasse angesehen, sinkt deren Engagement. Es kommt zu Enttäuschungen und Frustrationen bis hin zu Zynismus. 55 Widersprüchliche Werte: Unterschiedliche Interessen und dahinter stehende Werte sind in Organisationen mitunter nicht zu leugnen: Das Unternehmen will z. B. möglichst viel Gewinn machen, der Arbeitnehmer will einen ihn erfüllenden Job. Ohne gemeinsame Werte entsteht aber keine Organisationsidentität. Diskrepanzen entstehen auch dadurch, dass nach außen kommunizierte Werte, z. B. Servicequalität für den Kunden, durch das genaue Gegenteil konterkariert werden, nämlich den Abbau von Kapazitäten. Arbeitnehmer, die den direkten Kontakt mit 47 7 Vernachlässigung der »weichen Faktoren« Fairness fehlt Widersprüchliche Werte
48 Kapitel 7 • Organisationale Faktoren Kunden schätzen und für wichtig halten, geraten in einen Loyalitätskonflikt. Kritik an Maslach und Leiter 7 Diese sechs Faktoren werden von Maslach und Leiter eingebettet in ein Modell von Burnout, den »Person-Job-Mismatch«. Der Mensch ist in einem ungünstigen Arbeitsverhältnis, sodass daraus ein Burnout entsteht. Matthias Burisch kritisiert den Anspruch auf Eindeutigkeit in der Ursachenanalyse, den Maslach und Leiter erheben, und verweist in seiner Begründung v. a. darauf, dass keine Beweise für ihre These geliefert werden und die Faktoren eine gewisse Beliebigkeit aufweisen. Er gibt den Vorwurf von Maslach und Leiter – den organisationalen Faktoren würde zu wenig Beachtung geschenkt – zurück und wirft ihnen vor, dass sie die personalen Faktoren mehr oder minder ausblenden. Als Illustration bringt er ein simples Beispiel: Warum gerät von zwei Personen, die unter den gleichen Bedingungen in der gleichen Organisation arbeiten, eine in ein Burnout, die andere dagegen nicht? 7.3 Gute Einstiegsphase nötig Qualitative und quantitative Arbeitsbelastung Burnout als fehlende Passung zwischen Arbeitsumgebung und Mensch: Cary Cherniss Cary Cherniss, Professor für angewandte Psychologie in den USA, begann im Jahr 1973 ein aufwendiges Projekt, in dem er die Suche nach Gründen von Burnout-Fällen ausschließlich auf Interviews stützte (Cherniss, 1999). Er befragte 28 Akademiker (Lehrer, Anwälte für soziale Schwache, Sozialarbeiter etc.), die am Anfang ihres Berufslebens standen. Die Essenz seiner Erkenntnisse, die er aus dem mühsamen Destillieren der Interviewantworten zog, fasste er in einem Modell zusammen, in dem er acht Faktoren für Burnout in der Arbeitsumgebung (d. h. interpersonale und organisationale Faktoren) beschrieb: 55 Qualität des Einführungsprozesses: Entscheidend für eine gute Einstiegsphase ist, dass die Menschen darin begleitet werden und – je nach Fortschritt – mit immer anspruchsvolleren Aufgaben konfrontiert werden. Die Einführungsphase kann abgekürzt oder ganz ausgesetzt werden bei Menschen, die die Organisation schon von einem Praktikum her kennen. Findet ein solcher Einführungsprozess nicht statt, kann es sogar zu traumatischen Erfahrungen kommen, die aufgearbeitet werden müssen. Eine Ressource in dieser Phase sind unterstützende und aufmunternde Interventionen von Kollegen, die mit einem guten Wort sowie mit Rat und Tat den Neulingen zur Seite stehen. 55 Arbeitsbelastung: Sie umfasst einerseits einen quantitativen Aspekt (Anzahl der Kontakte mit Klienten bzw. Patienten), andererseits aber auch einen qualitativen Aspekt: Die hilfsbedürftigen Menschen können auch einen professionellen Helfer mitunter aus dem seelischen Gleichgewicht bringen.
7.3 • Burnout als fehlende Passung zwischen Arbeitsumgebung und Mensch 49 7 55 Intellektuelle Anregung: Es ist wichtig, einen Arbeitsplatz so zu gestalten, dass sich über die bloßen Routineaufgaben hinaus immer wieder neue Herausforderungen ergeben, die Menschen fordern und damit auch in ihrem Selbstwertgefühl fördern. 55 Einseitigkeit des Klientenkontakts: Kommen Menschen nur in ihrer bedürftigen Seite – womöglich noch unter Zeitdruck – zu professionellen Helfern, ist die Korrelation mit Burnout höher als in Situationen, in denen sie mit verschiedenen, auch gesunden Facetten der Menschen in Kontakt treten und in Gesprächen auch nichtdefizitäre Seiten zeigen können. 55 Ausmaß bürokratischer Kontrolle: Ist die Kontrolle des Berufsanfängers durch Vorgesetzte zu stark und werden die Neulinge zu sehr mit Routineaufgaben konfrontiert, gibt es eine enge Verbindung zu Burnout. In den Untersuchungen von Cherniss arbeiteten sieben von acht der schweren Burnout-Fälle unter diesen Bedingungen. 55 Eindeutigkeit der Arbeitsziele: Eine ähnliche Korrelation zu Burnout gibt es bei der genauen Bestimmung von Arbeitszielen. Sind diese klar formuliert, eindeutig und vom Kollegium getragen, stellt dies einen stabilen Faktor dar. Im umgekehrten Fall kann es zu Konflikten mit Vorgesetzen und Kollegen kommen. 55 Führung: Ein guter Chef kann in großem Maße auf das Selbstwertgefühl und Kompetenzerleben eines Berufsanfängers einwirken. Tatkräftige fachliche Unterstützung, aber auch »menschliches Lob« sowie konstruktive Kritik sind dabei wichtige Aspekte. 55 Verhältnis zu Kollegen: Wie schon unter Punkt 1) erwähnt, bildet ein gutes Verhältnis zu Arbeitskollegen eine wichtige Ressource in der Burnout-Prävention. Kollegen können fachliche und menschliche Unterstützung anbieten, Feedbacks geben oder auch durch anregende Inputs die eigene Freude an der Arbeit und das Anpacken neuer Herausforderungen unterstützen. Eine besondere Herausforderung stellt sich für Menschen, die vorwiegend alleine arbeiten, z. B. Lehrer; sie müssen sich um diese wertvolle Ressource aktiv bemühen. Fehlt allerdings ein gutes Verhältnis zu Kollegen, z. B. ausgelöst durch Konflikte oder Rivalitäten im Team oder durch Wert- bzw. Zielkonflikte zwischen den »Neuen« und den »Alten«, führt dies zu einem schlechten Organisationsklima und ist keine Stütze für Berufsanfänger. Spannende Herausforderungen Zwölf Jahre nach der aufwendigen qualitativen Studie besuchte Cherniss seine früheren Interviewpartner erneut, um in Interviews herauszufinden, welche Aspekte bei denjenigen, die von Burnout genesen waren und wieder (z. T. mit noch mehr Engagement) im Beruf tätig waren, eine Rolle gespielt hatten. Das Fazit dieser Studie ist: Burnout als Mischung aus persönlichen, arbeitsplatzspezifischen und lebensphasentypischen Variablen »» Burnout ist kein unvermeidbares Schicksal von Menschen in helfenden Berufen. Es ist auch nicht an eine bestimmte Persönlichkeits- Einseitiger Klientenkontakt Bürokratie Klare Arbeitsziele Gute Führung Gutes Verhältnis zu Arbeitskollegen
50 Kapitel 7 • Organisationale Faktoren struktur gebunden (…). ‚Burnout’ ist vielmehr das Ergebnis einer implodierenden Mischung von unterschiedlichen persönlichen, aber v. a. arbeitsplatzspezifischen und lebensphasentypischen Variablen, die voraussehbar sind, die aktiv angegangen werden können und für deren Vermeidung nicht nur die Angehörigen helfender Berufe verantwortlich sind, sondern auch und v. a. die Institutionen, in denen sie arbeiten, deren Vorgesetzte – und die Kolleginnen und Kollegen. Also jeder von uns. (Cherniss, 1999, S. 18 f ) 7.4 Teamdynamik und Burnout 7 Fehlendes Personal Zu viele Klienten Fehlende Unterstützung Organisationen und ausgebrannte Teams: Jörg Fengler Neben den bisher geschilderten organisationalen Faktoren scheint es mir wichtig zu sein, auch die Teamdynamik in Organisationen im Zusammenhang mit Burnout in Umrissen zu skizzieren. Jörg Fengler, Klinischer Psychologe, Gruppendynamiker und Professor an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln, hat v. a. Burnout in der Gruppe der psychosozialen Berufe untersucht. Sein Buch »Helfen macht müde«, das 1991 erstmals erschien, liegt mittlerweile in der 7. Auflage vor. Er betont dabei v. a. die Wechselwirkung, die sich auf den Ebenen des Individuums, des Teams und der Organisation ergeben; auf der Ebene der Organisation hat er folgende Faktoren identifiziert (Fengler, 2008, S. 79–91; 233–246): 55 Personalknappheit: Fengler erwähnt hier nicht nur die Tatsache, dass aufgrund fehlenden Personals Arbeiten liegen bleiben, sondern verweist auch auf die Tatsache, dass Mitarbeiter, die nur mit Zeitverträgen ausgestattet sind, immer wieder eine Zitterpartie durchmachen müssen, ob ihr Vertrag verlängert wird. Dabei sollen sie sich einerseits in der Einrichtung engagieren, sich gleichzeitig aber aus persönlichem Interesse auch nach Alternativen umschauen. 55 Hohe Klientenzahl: Eine Institution, die ihren Mitarbeitern zu viele Klienten und zu viele Sitzungen pro Tag und Woche auferlegt, verursacht damit eine sehr hohe Belastung bei ihren Mitarbeitern. 55 Fehlende Unterstützung seitens der Organisation: Oftmals besteht eine große Diskrepanz zwischen den Anliegen der Helfer und den Erwartungen der Organisation. Dies zeigt sich z. B. im Krankenhausbereich: Krankenschwestern, die sich über die Pflege hinaus auch in Gesprächen um Patienten kümmern möchten, erregen den Unwillen der Leitung, weil in deren Vorstellung und Kalkulation dafür keine Zeit ist. Deshalb werden solche wichtigen Elemente der Zuwendung vernachlässigt und nur mit einem schlechten Gewissen gemacht. Fengler formuliert deshalb sehr pointiert, dass »in manchen Fällen (…) aufgrund von Rangunterschieden und Abhängigkeiten, Seilschaften und Kumpaneien oder auch nur aus bloßer Bequemlichkeit Maßnahmen
7.4 • Organisationen und ausgebrannte Teams: Jörg Fengler 55 55 55 55 unterlassen oder unterbunden (werden), deren Dringlichkeit auf der Hand liegt.« (Fengler, 2008, S. 84) Unwirksamkeit der Arbeit: In Hochglanzprospekten wird oft das Ideal einer Organisation samt Schlüsselwörtern wie »Kundenorientierung« dargestellt. Die Realität innerhalb der Organisation ist aber oft eine andere. Mitarbeiter erleben, dass das Ziel, das nach außen definiert wird, nicht im Zentrum ihrer Tätigkeit steht: So werden beispielsweise Drogenabhängige verwaltet und bürokratisiert, anstatt ihnen in Sofortmaßnahmen und längerfristigen Projekten einen Ausstieg aus der Sucht zu ermöglichen. Fehlende Supervision: Zweifellos ist Supervision ein Beratungsund Weiterbildungsangebot, das finanzielle und zeitliche Ressourcen benötigt. Nicht selten ersetzt die private Initiative das fürsorgliche Handeln der Organisation, die eigentlich ein Interesse haben müsste, gute Mitarbeiter zu haben, die eine qualitativ gute Arbeit verrichten. Dabei ist es gerade für die hoch belasteten Helfer wichtig, Supervision als entlastende Unterstützung zu haben. Fehlende Autonomie: Fengler vertritt die Ansicht, dass dies ein primärer Belastungsfaktor ist, weil der Handlungsspielraum des Helfers durch inadäquate Anweisungen Dritter zu Leerlauf oder zum »Durcharbeiten von Fällen« führt und demotivierend wirkt. Mangelhafte bzw. überhöhte Information zum Arbeitsplatz: Sehr oft geschieht es, dass bei Bewerbungs- bzw. Eintrittsgesprächen die Organisation in höchsten Tönen geschildert wird, die Schattenseiten aber, z. B. die Belastungsmomente, geflissentlich unter den Tisch gekehrt werden. Dies führt beim Mitarbeiter zu einem falschen Bild der Organisation und bei Desillusionierung zu Enttäuschung und Frustration. In seiner neusten Publikation, die Fengler zusammen mit verschiedenen Co-Autoren erstellt hat, nimmt er v. a. ausgebrannte Teams näher unter die Lupe und identifiziert auch hier die Faktoren, die durch die Organisation ausgelöst werden. Die Ausführungen liefern auch Hinweise, die über die Teamebene hinaus Geltung beanspruchen können. Fengler identifiziert folgende Faktoren (vgl. Fengler, 2011, S. 96–106): 55 Fehlendes Interesse der Leitung und Verwaltung für die Belegschaft: Dies zeigt sich u. a. in der Abweisung von dringenden Gesprächen, Verstöße gegen Gebote von Anstand und Höflichkeit oder die Distanz einer Verwaltung, die mit sich selbst beschäftigt ist und auf Anliegen von Teams nicht eingeht. 55 Unsinnige Leitungsvorgaben: Es kann geschehen, dass Führungskräfte – trotz Abbau von Personal – Teams dazu anhalten, die bisherige Leistung aufrechtzuerhalten oder sogar noch neue Projekte zu übernehmen – verbunden mit der Forderung, das Zeitmanagement zu optimieren und die Arbeitseffizienz zu erhöhen. 51 7 Unwirksamkeit der Arbeit Keine Supervision Keine Autonomie Ungenügende Information über Arbeitsplatz Mangelndes Leitungsinteresse »Die Zitrone auspressen«
52 Kapitel 7 • Organisationale Faktoren Fehlende Wertschätzung Leitbild und Unternehmensrealität 7 Konflikte 55 Keine Würdigung der Leistungen: Es gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen, für Leistungen auch einen entsprechenden Lohn zu erhalten, und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht. Burnout kann u. a. dadurch entstehen, dass das Interesse an der Arbeit von Menschen in Organisationen nicht geteilt wird. 55 Täuschung, Lüge und Vertuschung: Mitunter gibt es eine große Diskrepanz zwischen den Aussagen zur Unternehmenspolitik, wie sie im Leitbild stehen, und der Unternehmensrealität: Es werden unangenehme Wahrheiten unterdrückt, Lügen verbreitet oder Tätigkeiten, die z. B. eine gemeinnützige Organisation in ihrer Imagepflege in den Vordergrund stellt, treten in den Hintergrund. Der Abschied vom eigentlichen »Kerngeschäft« löst mitunter Frust und eine »innere Kündigung« bei den Mitarbeitern aus. 55 Konflikte zwischen Team und Organisation: Haben sich Konflikte verfestigt, kann das zu Ohnmachtsgefühlen und der Lähmung von Teams oder Gruppen führen. Es ist wichtig zu sehen, dass nicht einzelne Episoden zum Burnout innerhalb von Teams führen. Es sind Belastungen mit besonderer Intensität nötig, die über längere Zeit wirken, mitunter auch in größerer Anzahl auftreten und auf unterschiedlichen Ebenen ein Team treffen; gleichzeitig fehlen dem Team notwendige Ressourcen zur Bewältigung dieser Belastungen. Die von Jörg Fengler erwähnten Aspekte machen deutlich, dass eine Betrachtung von Burnout auslösenden Faktoren unbedingt auch die Arbeitsweise von Menschen in Teams oder Arbeitsgruppen berücksichtigen muss. Es kann sich z. B. darin zeigen, dass unsinnige Leistungsvorgaben, die von der Unternehmensleitung gemacht werden, nicht nur von einem Einzelnen als Belastung erlebt werden, sondern ganze Teams bis hin zur überwiegenden Mehrzahl der Mitarbeiter betreffen können. Damit wird deutlich, dass eine personale Betrachtungsweise zu kurz greift.
53 Forschungsergebnisse zu Burnout Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 8
54 Kapitel 8 • Forschungsergebnisse zu Burnout Qualitative Methoden Empirische Phase 8 Maslach Burnout Inventory Unklarheiten über Zusammenhänge: Berufserfahrung und Geschlecht Organisationsebene kaum thematisiert Ina Rösing hat in einer beeindruckenden Arbeit die Forschungen zu Burnout zusammengestellt und dokumentiert (vgl. Rösing, 2008). Sie liefert eine Fülle von Informationen und Empfehlungen, die für die Zukunft der Burnout-Forschung relevant sein können. Gleichzeitig gibt sie (zumindest indirekte) Hinweise, welche Impulse für die Burnout-Prävention und -Intervention aufgenommen werden können. Ich beschränke mich auf eine summarische Aufzählung relevanter Ergebnisse. 55 In der ersten Phase der Burnout-Forschung (70er-Jahre) wurde hauptsächlich mit qualitativen Methoden gearbeitet: Interviews, Beobachtungen, Fallstudien u. Ä. (Rösing, 2008, S. 42–45, 53 f) 55 Die empirische Phase begann Anfang der 80er-Jahre und ist v. a. durch die Forschung von Christina Maslach und ihren Mitarbeitern und ihrem MBI (Maslach Burnout Inventory) geprägt (7 Kap. 7.2). Das MBI wurde neben dem Gesundheitswesen auch auf andere Berufsfelder angepasst und entsprechend angewandt. In einer Statistik der Burnout-Forschung, die bis 1996 reicht, wurden bei 91% der Dissertationen das MBI benutzt. Die am meisten vertretenen Berufsfelder sind das Gesundheitswesen, Schule und Erziehung und die Sozialarbeit. Von den Dissertationen, die 2000 und 2001 erstellt wurden, benutzten 76% das MBI, keine einzige ist qualitativer Art. Ina Rösing schreibt dazu: »Ich betone die Monotonie der Burnout-Forschung in provokanter Absicht. Mir erscheint, dass ihr Ausmaß und ihre Notwendigkeit einmal kritisch reflektiert werden muss.« (Rösing, 2008, S. 55). Damit wird deutlich, dass sich eine qualifizierte Forschung über Burnout noch fast in den Kinderschuhen befindet und weiterer Klärungsbedarf besteht. Diese Tatsache entspricht allerdings nicht der gängigen Praxis, in der – ohne valide wissenschaftliche Absicherung – der MBI auch als Diagnoseinstrument benutzt wird. 55 Das MBI ist kein Diagnoseinstrument, d. h. es zeigt nicht an, ob ein Mensch im Burnout steckt oder nicht, sondern ist ein Forschungsinstrument, um die Hauptkomponenten, emotionale Erschöpfung, negative Einstellung gegenüber Klienten bzw. Kunden und reduzierte Leistungsfähigkeit, zu erfassen. Darüber hinaus werden die drei Aspekte nicht statisch, sondern im Sinne eines spiralförmig abwärts führenden Prozesses verstanden. 55 Es gibt keine Klarheit in der Forschung über den Zusammenhang von Berufserfahrung (teilweise verbunden mit einem höheren Alter) auf der einen und weniger Burnout auf der anderen Seite. Auch die Variable »Geschlecht« wird in der Forschung nicht einheitlich bewertet: Es gibt sowohl Studien, in denen Männer anfälliger sind für Burnout, als auch Studien, in denen das auf Frauen zutrifft (Rösing, 2008, S. 93–95). 55 Die Ebene der Organisation wurde in der Forschung noch kaum thematisiert, kann aber in Zukunft eine neue, wichtige Bereicherung und Erweiterung der Burnout-Forschung bringen.
Forschungsergebnisse zu Burnout 55 Die Forschung zur Entstehung von Burnout auf der personalen Ebene hebt v. a. innerpsychische Unstimmigkeiten und Widersprüche zwischen beruflichem Selbstbild und vorgefundener Realität am Arbeitsplatz hervor. 55 Zur Prävention und Behandlung von Burnout werden in Organisationen meist Interventionen auf der Ebene der Organisationsentwicklung, des Trainings für Führungskräfte oder der Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsprozesse durchgeführt. 55 Auf der individuellen Ebene gibt es nur wenige spezifische Interventionen, die auf Burnout zugeschnitten sind. Dazu gehören z. B. Meditation, Entspannungstrainings, Stresstraining oder Verhaltenstherapie (Rösing, 2008, S. 119 f). 55 Die gesellschaftlichen Verhältnisse (z. B. Werteverlust, Globalisierung) werden bisher in der Ursachensuche und bei der Betrachtung möglicher Interventionsmöglichkeiten ausgeklammert (Rösing, 2008, S. 240–244). Ina Rösing schreibt süffisant: »» Burnout ist leichter messbar als heilbar. Außerdem hat das relativ geringe Praxisinteresse der Burnout-Forschung bedingt, dass unvergleichlich viel mehr über das reine Vorliegen von Burnout geforscht wurde – in noch einer Berufsgruppe, noch einem Land mit noch einem Korrelat etc. – als über seine Linderung. Im Bereich der Interventionen herrscht, mit Ausnahme einiger entwickelter Gruppeninterventionen, die absolute Beliebigkeit. (Rösing, 2008, S. 250) Für die Zukunft kann man nur hoffen, dass sich Vertreter aus dem Bereich der Organisationspsychologie und Arbeitsmedizin dieses Desiderats annehmen und sowohl für die Diagnostik als auch für die Intervention geeignete(re) Designs entwickeln und evaluieren. 55 8 Personale Ebene Organisationale Interventionen Wenige spezifische individuelle Interventionen Gesellschaftliche Verhältnisse nicht berücksichtigt
57 Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung Ulrich Scherrmann 9.1 Kurzdarstellung eines Organisationsmodells der systemischen Organisationsentwicklung – 58 9.2 Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell – 58 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 9
58 Kapitel 9 • Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung Zusammenschau der Ergebnisse Organisationsmodell als Landkarte 9 Will man die bisher dargelegten Ergebnisse der verschiedenen Autoren für eine fruchtbare Weiterarbeit nutzen, braucht es eine Zusammenschau der Ergebnisse. Dabei ist es wichtig, die unterschiedlichen Hintergründe der jeweiligen Forschungsergebnisse zu berücksichtigen: Es handelt sich einerseits um Erkenntnisse aus psychosozialen Berufsfeldern, andererseits aber auch aus profitorientierten Unternehmen. Zudem erstreckt sich der Zeitraum der Forschungen über mehr als 30 Jahre. Des Weiteren ist es von großer Bedeutung, die verschiedenen Faktoren für die Bearbeitung so zugänglich zu machen, dass damit auch in einer gewissen Systematik gearbeitet werden kann. Das Organisationsmodell von Häfele (2009, S. 48–61) ist eine Art Landkarte, mit der sich Berater in einer Organisation orientieren können (. Abb. 9.1). Zunächst soll dieses Modell in einigen wenigen Grundzügen vorgestellt werden, um anschließend die bisher beschriebenen Faktoren einordnen zu können. In meiner Praxis ist dieses Organisationsmodell eine gute Hilfe, um sowohl analytisch als auch diagnostisch Faktoren in einer Organisation zu untersuchen, die positiv und negativ die tägliche Arbeit prägen. 9.1 Kurzdarstellung eines Organisationsmodells der systemischen Organisationsentwicklung In diesem Modell werden vier Kreise oder Teilsysteme unterschieden, wovon die beiden äußeren die Oberflächenstruktur der Organisation bilden, die unter den Gesichtspunkten von Funktionalität und Effizienz zu gestalten bzw. zu verändern sind. Die beiden inneren Kreise bilden die sog. Tiefenstruktur der Organisation, d. h. es geht um den »Wesenskern der Organisation« (Häfele, 2009, S. 50), den es immer wieder neu zu entwickeln gilt. Es versteht sich von selbst, dass es sich nicht um ein geschlossenes System handelt, sondern die Organisation als Ganzes und ihre Teilsysteme in Austausch mit der Umwelt (z. B. mit dem Markt, mit gesellschaftlichen Gruppen) stehen. Sie wirken also auf die relevanten Umwelten ein und werden auch von diesen beeinflusst. Die Fragen in . Tab. 9.1 können eine Hilfe sein, um organisationsintern die einzelnen Teilsysteme mit ihren Komponenten näher zu untersuchen. 9.2 Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell Die Zusammenstellung in . Tab. 9.2 versucht eine Zuordnung unter je einen Aspekt des Organisationsmodells – im Bewusstsein, dass es Verschränkungen und Vernetzungen gibt.
9 59 9.2 • Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell Oberflächenstruktur Anatomie der Organisation VERÄNDERN Finanzen Umwelt: Politik, Gesellschaft Umwelt: Markt Strukturen Menschen Kernkompetenzen Identität: Werte, Einmaligkeit, Technik Prozesse Ethik Führung bzw. Steuerung Absicht: Vision, Ziele, EXISTENZGRUND Funktio nen Räume Kommu nikation KULTUR Umwelt: Mitbewerber Umwelt: »Welt« ORDNUNG TECHNISCH-WIRTSCHAFTLICHE AUSSTATTUNG Tiefenstruktur Wesenskern der Organisation ENTWICKELN . Abb. 9.1 Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung nach Häfele (2009, S. 50; mit freundlicher Genehmigung des Haupt-Verlags) Exkurs: Fokussierung auf »Arbeitsbedingungen « – ein arbeitsplatzbezogenes Modell Beispiel aus der Beratungspraxis In einem großen internationalen Konzern mit Niederlassungen in verschiedenen Ländern arbeitete eine Person als Führungskraft in der Logistikabteilung. Nachdem sie vorher in anderen Firmen große Erfahrung gewonnen hatte, als Ausländerin aber mit den landestypischen Verhältnissen noch nicht vertraut war, wurde sie von der Firma einem Abteilungsleiter unterstellt, dem sie sowohl fachlich als auch menschlich überlegen war. Der Leiter war anscheinend mit der Führung der Abteilung überfordert, sein Umgangsstil war rau, er war im Begreifen von komplexen
60 Kapitel 9 • Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung . Tab. 9.1 Fragenkatalog Existenzgrund Kerngeschäft – Kernkompetenzen (»Was können wir?«) – Was ist das Kerngeschäft bzw. was sind die Kernkompetenzen der Organisation? – Welcher Nutzen entsteht beim Empfänger des Produkts bzw. der Dienstleistung? Identität (»Wer sind wir?«) – Wie versteht sich die Organisation selbst? – Welche Werte sind der Organisation wichtig? Absicht (»Was wollen wir«) – Wie will die Organisation zukünftig ihr Wirken gestalten? – Welche Visionen gibt es? – Wie (bzgl. Beteiligung und Information) werden Visionen und daraus abgeleitete Strategien bzw. Ziele gewonnen? Kultur der Organisation Menschen – Wie ist die Mitarbeiterstruktur aufgebaut (Anzahl, Qualifikation, Alter, Geschlecht, Nationalität etc.)? – Wie sind die Mitarbeiter für ihre Arbeit engagiert? 9 – Wie ist das Betriebsklima? – Wie wird mit Anerkennung bzw. Disziplinarmaßnahmen umgegangen? – Wie ist die Personalentwicklung organisiert und welchen Stellenwert hat sie? – Was zeichnet die Führungs- bzw. Steuerungsarbeit aus? – Was sind Kennzeichen der Führungskräfte? Kommunikation – Wie wird kommuniziert: wertschätzend, abwertend, bewertend? – Wie wird über Erfolge bzw. Probleme kommuniziert? – Wie wird mit Konflikten umgegangen? Ethik – Welches Menschenbild wird gelebt: Wird der Mensch in seiner Würde, seinem Entwicklungspotenzial, seiner Eigenverantwortung wahrgenommen? – Welche Werte sind der Organisation wichtig und werden auch so gelebt? Ordnung der Organisation Strukturen – Ist die Struktur für die Funktion der Organisation dienlich? – Wie ist die Funktionsweise der Steuerungsstrukturen? – Wie funktionieren folgende Strukturen: Information, Kommunikation, Besprechungen etc.? – Welche informellen Strukturen gibt es? – Gibt es Projektstrukturen für Veränderungen bzw. Erneuerungen in der Organisation?
9.2 • Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell . Tab. 9.1 61 Fortsetzung Funktionen – Sind die Funktionen mit ihren vier Aspekten »Verantwortung«, »Rolle«, »Aufgaben« und »Kompetenzen« klar beschrieben? – Wie wird das Wahrnehmen der Funktionen kontrolliert bzw. evaluiert? – Werden Funktionen personenunabhängig verstanden oder sind sie (zu) eng mit dem Inhaber der Funktion verknüpft? Prozesse – Sind die einzelnen Prozesse (Management-, Dienstleistungs-bzw. Geschäfts-, und Unterstützungsprozesse) in der Organisation definiert und geregelt? – Werden die Prozesse in der Organisation und in der Beziehung mit ihren Umwelten immer wieder reflektiert und ggf. weiterentwickelt? Technische und wirtschaftliche Ausstattung Finanzen – Wie sieht die finanzielle Situation der Organisation aus und werden Zukunftsszenarien dazu reflektiert? – Werden die Prozesse unter dem Aspekt der ökonomischen Steuerung untersucht? Technik – Wie ist der Zustand von Anlagen und technischen Einrichtungen (IT-Bereich, Kommunikationstechnologien etc.)? Räume – Wie ist der Zustand der Räume? . Tab. 9.2 Zusammenstellung organisationaler Faktoren Existenzgrund der Organisation Kerngeschäft Identität Absicht – Unklarheit der Ziele und Erfolgskriterien – Widersprüchliche Ziele – Verlagerung in kostengünstigeres Umfeld Kultur der Organisation Menschen Personalknappheit – Geringe Fürsorge – fehlende Unterstützung – Belastung an extrem herausfordernden Arbeitsplätzen – Fehlende Anerkennung und Wertschätzung – Unzureichende Belohnung – Mangelnde Kontrolle über eigene Arbeit 9
62 Kapitel 9 • Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung . Tab. 9.2 Fortsetzung – Zusammenbruch Gemeinschaft – Fehlende intellektuelle Anregung – Schlechtes Verhältnis zu Kollegen – Fehlender Raum zum Einbringen besonderer Fähigkeiten – Mangelhafte Wertschätzung von Erfahrungen – Fehlende Karriereberatung und berufliche Entwicklung – Mangelhafte Ausbildung Führung bzw. Steuerung – »Peter-Prinzip« – Fehlendes Interesse Leitung für Belegschaft – Unsinnige Leitungsvorgaben Kommunikation – Mangelhafte bzw. überhöhte Information zum Arbeitsplatz – Konflikte, Mobbing – Mangelhafte Kommunikation in wichtigen strategischen Fragen 9 Ethik – Fehlende Fairness – Widersprüchliche Werte – Täuschung, Lüge, Vertuschung – Fokussierung auf Finanzmärkte – Vernachlässigung Interessen Mitarbeiter Ordnung der Organisation Strukturen – Größe Unternehmen – Unterordnung unter System – Bürokratische Kontrolle – Fehlende Autonomie und Entscheidungsfreiheit Funktionen – Arbeitsüberlastung, Arbeitsmenge und Arbeitszeit – Einseitigkeit Klientenkontakt – Uneindeutigkeit Arbeitsziele – Hohe Klientenzahl – Zeitraubende, sinnlose Verwaltungsarbeit – Mangelhafte Arbeitsorganisation – Bürokratisierung
9.2 • Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell . Tab. 9.2 Fortsetzung Prozesse – Qualität Einführungsprozesse Mitarbeiter? – Innovation durch Zusammenarbeit mit Experten? – Unwirksamkeit Arbeit – Hoher Leistungsdruck – Inadäquate Anpassungs- und Umstrukturierungsprozesse – Zu häufige Veränderungsprozesse Technisch-wirtschaftliche Ausstattung Finanzen – Personalabbau – Budgetkürzungen Technik Räume Zusammenhängen eher limitiert. Er blockte Veränderungsvorschläge, die von dem Coachee und anderen Teammitgliedern eingebracht wurden, immer ab. Nach diversen Gesprächen mit ihrem Chef, die allerdings kaum fruchtbar waren, erreichte die Coachee, dass sie in eine andere Abteilung versetzt wurde. Dabei kam sie aber »vom Regen in die Traufe«: Sie wurde in einen Betriebsbereich versetzt, in dem sie völlig unterfordert war und nur für Administratives zum Einsatz kam, obwohl ihr versichert wurde, dass es eine abwechslungsreiche Tätigkeit sei. Das Pikante an diesem Arbeitsplatz war, dass in einem kurzen Zeitraum schon zwei Arbeitskräfte, die das Administrative erledigten, wegen Burnout krankgeschrieben waren. Damit war die Coachee mit einer Situation konfrontiert, dass sie in einem 80%-Pensum die administrative Arbeit von zwei Kollegen (je 100% Arbeitsumfang) erledigen musste und dabei keine Zeit mehr für das ihr zugesicherte Aufgabengebiet fand. Die Person reagierte mit massiven körperlichen Problemen und begab sich in ärztliche Behandlung. Nach weiteren Wochen, die keine Verbesserung der Situation vor Ort brachten, wurde sie vom Arzt zunächst für 50% krankgeschrieben, um einer beginnenden Erschöpfungsdepression (mit Ergänzung »Burnout«) vorzubeugen. Dies führte dazu, dass es zu immer stärkeren konflikthaften Auseinandersetzungen mit ihrem Vorgesetzten kam, der anscheinend die Situation nicht meistern konnte und als Führungskraft völlig überfordert war. Die Situation der Frau verschlechterte sich immer mehr, so dass sie ärztlicherseits zu 100% krankgeschrieben wurde und sich auf die Suche nach einem neuen Job machte. 63 9
64 Kapitel 9 • Burnout-Faktoren in einem Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung Arbeit - Aufgaben Arbeitszeit – geringe Sinnerfüllung, – zu große Intensität, – Über- oder Unterforderung in Schwierigkeit – Zeitdruck, und Menge, – wenig Pausen, – fehlende Qualifikation für Aufgaben, – zu lange Dauer, – fehlender Handlungs-, Entscheidungs-und – Störungen durch Unterbrechungen. Kontrollspielraum, – nicht planbar, – monoton - nicht herausfordernd, – keine Hilfsmittel bzw. Informationen, – mangelnde Einarbeitung, – fehlende Unterstützung, Belastungen – mangelnde Weiterbildung. am Arbeitsplatz 9 . Abb. 9.2 Belohung - Anerkennung - Klima Führung – mangelnde Wertschätzung, – ungerechte Vergütung, – unsicherer Arbeitsplatz, – schlechtes Arbeitsklima. – Primat der Kontrolle, – unzureichende Kommunikation, – Unklarheit Erfolgskriterien, – Intransparenz Entscheidungen, – Machtausübung, – mangelnde Wertschätzung. Analyse der Belastungen an einem konkreten Arbeitsplatz In diesem Fallbeispiel können einige der o. a. organisationalen Faktoren deutlich werden: Kultur der Organisation 55 Menschen 55 Personalknappheit, 55 fehlende Anerkennung und Wertschätzung 55 fehlender Raum zum Einbringen besonderer Fähigkeiten, 55 mangelhafte Wertschätzung von Erfahrungen. 55 Führung bzw. Steuerung 55 »Peter-Prinzip« 55 Kommunikation 55 Mangelhafte bzw. überhöhte Information zum Arbeitsplatz, 55 Konflikte, Mobbing. 55 Ethik 55 Täuschung, Lüge, Vertuschung. Ordnung der Organisation 55 Strukturen 55 Fehlende Autonomie und Entscheidungsfreiheit.
9.2 • Zuordnung der Burnoutfaktoren in das Organisationsmodell 65 9 55 Funktionen 55 Arbeitsüberlastung, Arbeitsmenge und Arbeitszeit, 55 zeitraubende, sinnlose Verwaltungsarbeit. 55 Prozesse 55 Hoher Leistungsdruck. Neben der Einordnung in ein Organisationsmodell kann es hilfreich sein, den Fokus auf die Arbeitsbedingungen eines konkreten Mitarbeiters zu legen, um dort – sozusagen noch eine Stufe näher an der betroffenen Person – Maßnahmen zu reflektieren (Kernen, 2008, S. 210–213; . Abb. 9.2). Fokussierung Arbeitsbedingungen
67 Zusammenfassung Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 10
68 Kapitel 10 • Zusammenfassung 55 Die große Mehrheit der »Ratgeberliteratur« und der veröffentlichten Meinung konzertiert sich auf das Herausfinden und Bewältigen der personalen Faktoren, die ein Burnout auslösen. Dabei werden meist die Psychodynamik der Person und ihre lebensgeschichtlichen Hintergründe aufgezeigt, die zu einem bestimmten Verhalten in Stresssituationen führen und zu wenig beachtet werden. 55 Ein gefährdeter Persönlichkeitstyp (»begeisterungsfähige, zielorientierte, dynamische Personen mit 16-Stunden-Tag«) lässt sich in der Literatur zwar ausmachen, die Darstellungen sind aber sehr widersprüchlich. Zudem konnte bisher in Längsschnittstudien dazu keine Klarheit geschaffen werden. 55 Das immer wieder auch zur Diagnose verwendete MBI ist »nur« ein Forschungsinstrument, um die Hauptkomponenten von Burnout (emotionale Erschöpfung, negative Einstellung gegenüber Klienten bzw. Kunden und reduzierte Leistungsfähigkeit) zu erfassen. 55 Die von verschiedenen Forschern genannten organisationalen Faktoren lassen sich zur Analyse, Diagnose und Intervention in einem Organisationsmodell transparent veranschaulichen. 55 Organisationen als Burnout auslösende Faktoren wurden in der Forschung noch kaum thematisiert. 10
69 Burnout adäquat anpacken Kapitel 11 »Irrwege« und »Auswege« – 71 Ulrich Scherrmann Kapitel 12  Wie weiter? – 81 Ulrich Scherrmann III
71 »Irrwege« und »Auswege« Ulrich Scherrmann 11.1 »Modell Burnout-Syndrom«: Fehlende Passung Person – Organisation – 72 11.1.1 11.1.2 Fokus Organisation: Belastung durch die Arbeitsaufgabe – 74 Fokus Person: Gratifikationskrise – 74 11.2 Burnout aus systemischer Perspektive – 76 11.2.1 11.2.2 Der systemische Blick auf Organisationen – 77 Die systemisch-konstruktivistische Perspektive: Die Bedeutung des Kontextes – 79 Die systemtheoretische Perspektive: Zur Logik von Organisationen – 79 11.2.3 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 11
72 Kapitel 11 • »Irrwege« und »Auswege« Organisationale und personale Faktoren als Auslöser 11 Erklärungsmodell für Burnout In diesem Praxisteil wird der systemische Beratungsansatz für Organisationen im Umgang mit Burnout vorgestellt. Die Erkenntnisse und Vorgehensweisen sind in analoger Weise für externe wie interne Organisationsberater, Führungskräfte, Personalentwickler oder Betroffene anwendbar. Die verschiedenen Autoren (7 Kap. 7 und 7 Kap. 8) haben in quantitativen und qualitativen Studien die Einflüsse der Organisation auf die Burnout-Erkrankung von Mitarbeitern untersucht und sind zu eindeutigen Ergebnissen gekommen: Organisationale Faktoren sind begünstigend für ein Burnout von Menschen in Organisationen. Vergleicht man diese Forschungsergebnisse mit der konkreten Realität, zeigt sich, dass eine einseitige Betonung der personalen oder organisationalen Faktoren als Auslöser für Burnout zu kurz greift. Personale Faktoren können die Tatsache nicht erklären, dass in den vergangenen 10 Jahren die Zahl der Burnout-Fälle massiv gestiegen ist. Die Menschen sind wohl kaum narzisstischer, schizoider oder zwanghafter geworden. Organisationale Faktoren ihrerseits erklären die Tatsache nicht, dass Menschen, die den genau gleichen organisationalen Bedingungen ausgesetzt sind, sehr unterschiedlich reagieren: Die eine Person kann die Belastung »wegstecken«, während die andere immer stärker in eine Burnout-Spirale gerät. Es braucht daher ein tragfähiges Modell, das die Zusammenhänge zwischen Person und Organisation auf einfache Weise verständlich macht. Im Praxisteil dieses Buches wird der Schwerpunkt auf drei Bereiche gelegt: In einem ersten Teil soll ein tragfähiges Modell, wie Burnout bei einem Menschen zu erklären ist, dargestellt werden (7 Abschn. 11.1). Im zweiten Teil wird die systemische Perspektive auf Burnout erläutert (7 Abschn. 11.2). Im dritten Teil wird geschildert, mit welchen Herausforderungen Betriebe und Organisationen in Zukunft konfrontiert sein werden und welchen Stellenwert das Thema Burnout zukünftig haben müsste (7 Kap. 12). Es wird der Nutzen einer systemischen Burnout-Beratung in einer Organisation aufgezeigt und welche Interventionsarten aufgrund der Forschung wichtig sind. Anhand von Workshop-Architekturen und -Designs wird vorgestellt, wie eine Prophylaxe, Prävention und Intervention aussehen kann. 11.1 Ratgeberliteratur mit personalen »Rezepten« »Modell Burnout-Syndrom«: Fehlende Passung Person – Organisation Der Blick in die Literatur zur Burnout-Prävention und -Intervention beschränkt sich leider darauf, dass hauptsächlich personale »Rezepte« als Ratgeberliteratur angeboten werden, um Burnout entweder zu verhindern bzw. zu heilen.
73 11.1 • »Modell Burnout-Syndrom«: Fehlende Passung Person – Organisation 11 personale Ressourcen: physisch – psychisch – extern (Coaching etc.) Verausgabung: evtl. ausgelöst durch übersteigerte Erwartungen bzw. Antreiber fehlende organisationale Ressourcen: Wertschätzung, Entscheidungsspielraum etc. Belastungen bzw. Anforderungen: Organisation – Team – Kunde bzw. Klient Fehlende Passung: Person – Organisation . Abb. 11.1 Modell Burnout-Syndrom von Ulrich Scherrmann Es ist allerdings wichtig, sowohl für die Prävention als auch für die Intervention auf eine gute Erklärung des Burnout-Syndroms zurückgreifen zu können; dadurch kann Menschen und Organisationen eine kognitive Landkarte angeboten werden, durch die sowohl das Individuum als auch die Organisation plausible Gründe und Hinweise finden kann, warum und wie eine sorgfältig geplante Organisationsentwicklung stattfinden bzw. wie ein unterstützendes Coaching aussehen kann. Um die Zusammenhänge zwischen Person und Organisation auf einfache Weise verständlich zu machen, möchte ich in meiner Erklärung diese Beziehung in den Vordergrund stellen (. Abb. 11.1). Das vorliegende Modell gründet auf den Erkenntnissen von Cary Cherniss und ist eine vereinfachte Darstellung seines Modells (7 Abb. 7.1). Darüber hinaus stelle ich zwei vertiefende Modelle vor, die empirisch in den letzten Jahrzehnten hinreichend validiert wurden und aus unterschiedlichem Blickwinkel das aufgeführte Modell illustrieren. zz Zur Erläuterung In einem Burnout-Fall kann Person A mit ihren personalen Ressourcen die Belastungen in der Organisation und die fehlenden Ressourcen nicht bewältigen. Person B kann den gleichen Belastungen und fehlenden organisationalen Ressourcen ausgesetzt sein, bewältigt die Situation aber aufgrund ihrer personalen Ressourcen besser, sodass es nicht zu einem Burnout kommt. Kognitive Landkarte Zusammenhänge Person – Organisation
hoch Geringe Beanspruchung (»ruhiger Job«) Aktive Tätigkeit (»aktiver Job«) gering Kapitel 11 • »Irrwege« und »Auswege« Entscheidungsspielraum bzw. Kontrolle 74 Passive Tätigkeit Hohe Beanspruchung (»stressiger Job«) gering hoch Aktive Beanspruchung, Eustress Gefahr von Disstress und Überlastung Arbeitsanforderungen . Abb. 11.2 Anforderungs-Kontrolle-Modell von Karasek und Theorell. (Copyright © Apr 12, 1992, Tores Theorell. Reprinted by permission of Basic Books, a member of the Perseus Books Group) 11.1.1 Demand-Control-Model 11 Der amerikanische Soziologe Robert A. Karasek und der schwedische Arzt Töres Theorell entwickelten das sog. »Anforderungs-Kontrolle-Modell« (Demand-Control-Model; . Abb. 11.2), in dem v. a. die Arbeitsaufgabe, die jemand zu leisten hat, im Zentrum steht. Dabei setzen sie die Anforderungen an die Arbeit (»demand«) in Beziehung zum Entscheidungsspielraum (»control«), den eine Person hat und arbeiteten vier Grundtypen von Arbeitssituationen heraus (Karasek, 1979, S. 285–308; Karasek & Theorell, 1990, S. 32). Die Hauptaussage des Modells ist, dass hohe Arbeitsanforderungen in Kombination mit geringer Kontrolle bzw. geringen Entscheidungsspielräumen bei der Arbeitsausführung zu Disstress führen. Ein Beispiel für solche Tätigkeiten sind Fließbandarbeiter, Mitarbeiter in Call-Centern oder Kassiererinnen im Supermarkt. Vergleicht man diese Berufsgruppen mit anderen belastenden Berufen, z. B. Managern oder Ärzten, wird deutlich, dass diese auch eine hohe Arbeitsbelastung haben, aber der Entscheidungsspielraum (meist) höher ist. Dies bewirkt, dass Menschen sich trotz hoher Arbeitsbelastung als selbstwirksam erleben. 11.1.2 Gratifikationskrise Fokus Organisation: Belastung durch die Arbeitsaufgabe Fokus Person: Gratifikationskrise Ein zweites empirisch gut belegtes Modell stammt von einer Arbeitsgruppe um Johannes Siegrist am Institut für Medizinische Soziologie der Universität Düsseldorf (Siegrist, 1996; . Abb. 11.3). Dieses Modell
11.1 • »Modell Burnout-Syndrom«: Fehlende Passung Person – Organisation Extrinsische Komponente 75 11 – Lohn – Gehalt – Aufstiegsmöglichkeiten – Wertschätzung – Anforderungen – Verpflichtungen Belohnung Verausgabung Erwartung (»übersteigerte Verausgabungsneigung«) Erwartung (»übersteigerte Verausgabungsneigung«) . Abb. 11.3 Verlags) Intrinsische Komponente Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Johannes Siegrist. (Mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe- nimmt die Beziehung zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitsgebers unter die Lupe und stellt Folgendes fest: Steht die Belohnung des Arbeitnehmers in Form von Geld, Aufstiegsmöglichkeiten im Betrieb oder immaterieller Wertschätzung nicht in einem adäquaten Verhältnis zu seinem Arbeitseinsatz, kommt es zur »Gratifikationskrise«. Diese Krise kann nicht nur durch von außen an ihn gestellte Anforderungen ausgelöst werden, sondern auch durch zu hohe Erwartungen an sich selbst, Perfektionsstreben oder andere Antreiber, die im Laufe des Lebens erworben wurden und Stress auslösen. Durch die epidemiologische Forschung sind mit diesen beiden Modellen v. a. koronare Herzkrankheiten und Depression gut untersucht. So zeigte sich z. B. in einer Studie zum Gratifikationsmodell bei belasteten englischen Regierungsbeamten, dass das Risiko, an einer depressiven Episode zu erkranken, zweieinhalbmal höher ist als bei Beamten, die nicht unter diesem Arbeitsstress leiden. Daneben wurden bei gestressten Mitarbeitern höhere Blutdruckwerte oder eine höhere Ausscheidung des Stresshormons Cortisol nachgewiesen. Als vorläufiges Fazit kann man sich angesichts des Modells zum Burnout-Syndrom die Frage stellen, wann Arbeit (überhaupt) gesund macht. Johannes Siegrist hat dazu ein pointiertes Statement verfasst: Herzkrankheiten und Depression
76 Kapitel 11 • »Irrwege« und »Auswege« Gesundheit und Arbeit »» Aus der dargestellten wissenschaftlichen Evidenz können wir folgern, dass Tätigkeiten zwar anspruchsvoll, jedoch nicht überfordernd gestaltet werden sollten und dass sie den Beschäftigten nicht nur mehr Autonomie, sondern auch Lern- und Entwicklungschancen gewähren sollten. »» Zweitens sollten angemessene Erfahrungen von Erfolg und sozialer Anerkennung mit guter Leistung einhergehen, sowohl auf der materiellen wie auf der nichtmateriellen Ebene. »» Drittens sollte die Zusammenarbeit in Betrieben und Organisationen von Vertrauen, Fairness und transparenten, gerechten Verfahrensweisen gekennzeichnet sein, und schliesslich wäre wünschenswert, wenn Erwerbstätige ihren beruflichen Einsatz mit Sinn erfüllen und in einem gesicherten Kontext einbringen könnten. (Siegrist, 2012, S. 7) Im Folgenden wird dieses Modell – durch Anwendung der systemisch-konstruktivistischen, der systemtheoretischen Perspektive und der umfassenden Systemsicht – benutzt, um die systemische Organisationsberatung für die Prophylaxe, Prävention und Intervention bei Burnout fruchtbar zu machen. 11.2 11 Triviale Betrachtung von Burnout Systemische Betrachtungsweise Burnout aus systemischer Perspektive Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass in der Behandlung des Themas Burnout v. a. in der Öffentlichkeit meist monofaktorielle Betrachtungsweisen vorgeherrscht haben: Es wurden entweder personale oder organisationale Faktoren für das Burnout eines Menschen verantwortlich gemacht. Infolge dieser Analyse wurde auch meist nach dem einfachen Modell gehandelt: »Wenn Mitarbeiter A an Burnout erkrankt ist, behandele ich ihn mit Methode B (stationäre oder ambulante Psychotherapie, evtl. mit Medikamentenunterstützung) und erreiche damit, dass nach einigen Wochen C eintritt, dass also A wieder gesund wird.« Oder: »Wenn Mitarbeiter A an Burnout erkrankt ist, entlasse ich ihn nach der Rückkehr aus der Therapie, um mich des Problems in Zukunft zu entledigen. Das Burnout von A hat nichts mit meiner Organisation oder seinem Team zu tun, sondern resultiert aus seiner mangelnden Personal- und Sozialkompetenz.« Diese Ansicht wird durch die Argumentation gestützt, dass andere Mitarbeiter, die unter den gleichen Arbeitsbedingungen arbeiten, nicht ins Burnout fallen. Gegenüber dieser einfachen Sichtweise im Stile einer »trivialen Maschine« sehe ich es als absolut notwendig an, dass – gerade auch im Hinblick auf die vielfältigen Herausforderungen, die von der Umwelt auf Organisationen einwirken – eine systemische Betrachtungsweise
11.2 • Burnout aus systemischer Perspektive 77 11 des Handelns von Menschen in Organisationen geboten ist, um einen sinnvollen Umgang mit der Komplexität des Burnout-Phänomens zu ermöglichen. Ein theoretisches Modell dieses Verständnisses liefert die in 7 Abschn. 11.2.2 und 7 Abschn. 11.2.3 erläuterte systemischkonstruktivistische und die systemtheoretische Perspektive. Die folgenden Ausführungen sind eine kurze Einführung in das systemische Denken und werden im Hinblick auf eine systemische Organisationsberatung mit dem Phänomen Burnout präzisiert. 11.2.1 Der systemische Blick auf Organisationen Die Systemtheorie ist im Zusammenhang zu sehen mit neuen Paradigmen in den Sozial- und Naturwissenschaften, die bisher gewohnte Denkweisen und Handlungsstrategien infrage gestellt und neue Blicke auf die uns umgebende Wirklichkeit eröffnet haben. Dazu gehört z. B. der Abschied vom bisher gültigen Newtonschen Weltbild, das eine mechanistische Anschauung von Ursache und Wirkung vertrat und durch die Relativitätstheorie und Atomphysik infrage gestellt wurde. Fortan wurden einzelne Teilchen der Materie nicht mehr als isolierte Gebilde betrachtet, sondern als Elemente, die mit anderen in Beziehung stehen und ein komplexes Gewebe von Zusammenhängen ergeben, inklusive dem Menschen, der dieses Gewebe beobachtet. Die Systemtheorie ist auch ein Ergebnis dieses Paradigmenwechsels. Sie wurde zunächst in der Biologie und Physiologie entwickelt. Ihre Anwendung im Bereich der Psychotherapie erfolgte in der Familientherapie und ging von dort auf andere Ansätze von Beratung, Supervision und Organisationsentwicklung über (Schlippe, 1995, S. 15–30; Schlippe & Schweitzer, 2002, S. 49–115; Ellebracht et. al., 2003, S. 15–38). Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass es »die Systemtheorie« als eine geschlossene Theorie nicht gibt, sondern zahlreiche Varianten mit unterschiedlichen Schwerpunkten und unterschiedlichen Handlungskonsequenzen existieren. Im Folgenden sollen einige Grundelemente sozialer Systeme und der systemischen Beratung vorgestellt werden, weil sie für die zukünftige Arbeit mit dem Phänomen Burnout eine wichtige Rolle spielen. In diesem Buch betrachten wir Organisationen als soziale Systeme, die im Innenbereich aus Subsystemen bestehen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl im Inneren als auch mit ihrer Umwelt mit anderen (Sub)Systemen interagieren, indem sie mit ihnen kommunizieren und in Beziehung treten. »» Im systemischen Denken (…) betrachten wir nicht einzelne Perso- nen oder Beziehungen, sondern die Elemente, die in einem Bedingungsgefüge stehen. Wir gehen davon aus, dass jedes Element die Bedingungen aller anderen mitbestimmt. Unser Interesse gilt den Strukturen, den Funktionen und dem Verhältnis der Bestandteile innerhalb des Gesamtgefüges, den Mustern und Regeln der Systemtheorie Paradigmenwechsel Grundelemente sozialer Systeme und der systemischen Beratung Soziale Systeme bestehen aus Subsystemen
78 Kapitel 11 • »Irrwege« und »Auswege« Transaktionen und den Veränderungen von Systemzuständen. (Ellebracht et al., 2003, S. 16) Abgrenzung gegenüber der Umwelt »Wir-Gefühl« Zweck Austausch mit Umwelten Strukturen Subsysteme 11 Rückkoppelung Selbstorganisation Vergänglichkeit und Dauerhaftigkeit Komplexitätsreduktion und Muster Systeme werden dadurch konstituiert, dass man sie gegenüber ihrer Umwelt abgrenzt. Durch den Prozess der Unterscheidung zwischen Elementen des Systems und außerhalb liegenden Elementen stellt man eine Trennung des Systems von seiner Umwelt her. Diese Trennung hat viele Funktionen, z. B. behauptet man in der Abgrenzung gegenüber einem Mitbewerber die eigene Identität und eigene Stärken oder man hebt sie in der Werbung besonders hervor. Gleichzeitig ist ein System immer auch Teil einer weiteren vernetzten und dynamischen Wirklichkeit. Charakteristische Merkmale von Organisationen sind (Königswieser & Hillebrand, 2009, S. 32–36): 55 Organisationen bestehen aus Menschen, die (oftmals) ein »WirGefühl« leben. 55 Organisationen verfolgen einen Zweck, der zu Handlungszielen führt. 55 Organisationen stehen in einem Austausch mit ihren Umwelten. Um längerfristig überlebensfähig zu sein, müssen Organisationen Veränderungen in den für sie relevanten Umwelten erkennen und entsprechend darauf reagieren. 55 Organisationen haben Strukturen, in denen Rollen, Regeln oder Arbeitsabläufe festgelegt werden. 55 Organisationen bestehen wiederum aus Subsystemen, die ihrerseits eigene Regeln haben und in typischen Mustern miteinander in Interaktion treten. Dadurch können Spannungen und Konflikte auftauchen, die eine Entwicklungsdynamik in Gang setzen können. 55 Eine Entwicklung von Elementen erfolgt immer in Rückkoppelung (Zirkularität) mit anderen Elementen. 55 Organisationen funktionieren nach dem Prinzip von »Selbstorganisation« und »Chaos und Struktur« (Engelhardt et al., 2000, S. 73). Unter »Selbstorganisation« versteht man die Fähigkeit offener Systeme, ihre inneren Strukturen und Abläufe den sich immer wieder wandelnden äußeren Bedingungen anzupassen. Diese Anpassung ist mit einer Phase der Instabilität, des Chaos verbunden und führt günstigstenfalls zu einer Neuorganisation des Systems. Aus der Chaosforschung wird dabei die Erkenntnis aufgenommen, dass sich eine Veränderung nicht genau prognostizieren lässt, sondern oftmals neue und nicht vorhersehbare Ergebnisse eintreten. 55 Organisationen bewegen sich zwischen den Polen Vergänglichkeit und Dauerhaftigkeit. 55 Um die Komplexität und Dynamik in Organisationen bewältigen zu können, nehmen Menschen eine Komplexitätsreduktion vor: Sie richten ihr Verhalten oder ihr Denken nach bestimmten
11.2 • Burnout aus systemischer Perspektive 79 11 Mustern aus, indem sie sich z. B. an Ritualen, Sinngebilden oder bestimmenden Weltbildern orientieren. 55 Ein Beobachter bzw. Berater kann ein System nicht von außen objektiv erkennen, weil er selbst Teil des Beobachtungsrahmens ist. In aller Bescheidenheit kann er die Wechselwirkungen der Systemelemente untereinander und mit der Umwelt beschreiben als seine subjektive Beobachtung. Dabei nimmt er zwangsläufig eine »Komplexitätsreduktion« vor, d. h. er vereinfacht das System und dessen Umwelten, um es überhaupt beschreiben zu können. 11.2.2 Die systemisch-konstruktivistische Perspektive: Die Bedeutung des Kontextes Die konstruktivistische Perspektive betont, dass Menschen u. a. durch Sprache ihre Wirklichkeit herstellen, in der sie leben und arbeiten. Systemisch-konstruktivistische Ansätze betonen, dass auch Phänomene wie Burnout sozial konstruiert sind. Sie sensibilisieren die Beteiligten für die Teile der Wirklichkeit, denen sie keine Aufmerksamkeit schenken, oder für Wahrnehmungen, die sie in inadäquater Weise interpretieren (Bergknapp, 2009, S. 240 f). Mit diesem Zugang wird z. B. hinter die Fassade eines BurnoutFalles in einer Organisation geschaut: Es wird auch das organisationale Problem fokussiert, das sich hinter dem personalen oder interpersonalen Problem zeigt. Anhand eines Burnout-Opfers enthält man wichtige Informationen über die Organisation, die im Sinne einer Intervention oder für Prävention eingesetzt werden können. Der Kontext einer Erkrankung und die Rückkopplung der unterschiedlichen Faktoren rücken ins Zentrum. 11.2.3 Keine objektive Beobachtung Soziale Konstruktion von Burnout Opfer gibt Informationen über die Organisation. Die systemtheoretische Perspektive: Zur Logik von Organisationen Nach Ansicht von Niklas Luhmann ist es wichtig, Organisationen als soziale Systeme zu betrachten, die den Menschen zunächst als ein Organisationsmitglied behandeln, das spezifische Erwartungen zu erfüllen hat. Wie es den betreffenden Menschen bei ihrer Arbeit physisch oder psychisch geht, steht zunächst nicht im Vordergrund (Bergknapp, 2009, S. 241 f). Da Menschen sich allerdings nicht allein auf ihre »Arbeitskraft« reduzieren lassen, kommt es in der »strukturellen Koppelung« zwischen dem Individuum und der Organisation zu einer Krise: Die ­Erwartungen der Organisation sind für den sich in der BurnoutSpirale befindenden Mitarbeiter nicht erfüllbar, während gleichzeitig das Verhalten des Menschen durch die Organisation nicht mehr steuerbar ist. Wird diese Krise auf personaler Ebene gelöst, kommt Spezifische Erwartungen der Organisation Krise in der strukturellen Koppelung
80 Kapitel 11 • »Irrwege« und »Auswege« es meist zu einer Freistellung des Mitarbeiters. Ist eine Organisation allerdings in der Reflexion ihres Verhaltens geübt und auch für die Gesundheitsthematik ihrer Mitarbeiter sensibilisiert, kann auch die Veränderung von Strukturen in den Blick kommen, die eine weniger anfällige Arbeitsumgebung kreieren. 11
81 Wie weiter? Ulrich Scherrmann 12.1 Unternehmen zwischen Hochleistung und Erschöpfung – 82 12.2 Herausforderungen in der Zukunft und neue Maßnahmen – 83 12.3 Ein neues Paradigma von Gesundheit in Betrieben und Organisationen – 85 12.4 Prophylaxe – Prävention – Intervention – 86 12.5 Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe – 87 12.5.1 12.5.2 Betriebliche Gesundheitsförderung als Wettbewerbsvorteil – 88 Der »Return on Investment« bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung – 90 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 12
82 Kapitel 12 • Wie weiter? 12.1 12 Unternehmen zwischen Hochleistung und Erschöpfung Burnout kein Massenphänomen in KMUs Das Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen hat unter der Leitung von Prof. Dr. Heike Bruch und Sandra Kowalevski das Vorkommen von Burnout in deutschen kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) untersucht (Bruch & Kowalevski, 2012). Als Fazit wird formuliert, dass Burnout kein Massenphänomen ist, weil die Unternehmen es verstehen, die Mitarbeiter vor Erschöpfung zu schützen. Die Studie mit fast 15’000 Mitarbeitern aus 94 KMUs kommt zu folgenden Ergebnissen: 55 »In 87% der Unternehmen bestätigen die Mitarbeitenden eine gute oder sehr gute Passung im Bereich der Arbeitsbelastung. Sie fühlen sich weder unter- noch überfordert. 55 In zwei Drittel der Unternehmen fühlen sich die Mitarbeitenden durch ihre Führungskraft sehr anerkannt. 55 Das Gemeinschaftsgefühl in KMUs ist groß. In 97% der Unternehmen schätzen die Mitarbeitenden die Gemeinschaft positiv ein. 55 In 75% der Unternehmen erleben die Mitarbeitenden Gerechtigkeit. 55 Übereinstimmende Wertvorstellungen erleben die Mitarbeitenden in 97% der Unternehmen. 55 In 41% der Unternehmen schätzen die Mitarbeitenden ihre Work-Life-Balance positiv ein.« (Bruch & Kowalevski, 2012, S. 5) Gefahr des kollektiven Burnouts durch Beschleunigungsfalle Gleichwohl beschreiben die beiden Autorinnen als große Gefahr, dass Unternehmen in ein kollektives Burnout geraten können, wenn sie sich in der sog. Beschleunigungsfalle befinden. Diese Gefahr ist umso akuter, je größer ein Unternehmen ist (33% bei kleineren Unternehmen – 58% bei mittelgroßen Unternehmen – 77% bei großen Unternehmen; durchschnittliche Mitarbeiterzahlen: 53 bei kleineren Unternehmen, 231 bei mittleren Unternehmen, 1 548 bei großen Unternehmen). Unter kollektivem Burnout wird dabei nicht die Summe von individuellen Burnouts der Mitarbeiter verstanden, sondern das Burnout, in den das Unternehmen als Ganzes gerät. Hauptsächlicher Auslöser dafür ist die Marktdynamik mit steigendem Wettbewerbsdruck und damit verbundenen höheren Leistungsanforderungen. Auf der Seite des Managements wird dieser Tatsache so begegnet, dass die Mitarbeiter zu immer höheren Leistungen angetrieben werden, dauernd neue Projekte lanciert werden oder immer rascher versucht wird, Innovationen zu lancieren. Durch diese Drucksituation werden Mitarbeiter »chronisch überlastet und ganze Organisationen werden überhitzt oder in die Beschleunigungsfalle manövriert (…). Statt phasenweiser Hochleistung werden die Kapazitäten des Unternehmens und der Mitarbeitenden dauerhaft überstrapaziert. Dies kann zu organisationalem Burnout führen.« (Bruch & Kowalevski, 2012, S. 13) Unternehmen gerät in Burnout
12.2 • Herausforderungen in der Zukunft und neue Maßnahmen 83 12 Überlastung Mehrfachbelastung Dauerbelastung . Abb. 12.1 Die Beschleunigungsfalle Die »Beschleunigungsfalle« (. Abb. 12.1) wird dabei anhand von drei Dimensionen beschrieben: 55 Zur Überlastung kommt es, wenn den Mitarbeitern zu viele Anforderungen gestellt werden, ohne dass sie die dafür nötige Zeit und Ressourcen haben. 55 Eine Mehrfachbelastung wird v. a. durch eine große Zahl verschiedener Aufgaben ausgelöst. Die Folge davon ist der Verlust von Prioritäten und eine fehlende klare Ausrichtung. 55 Eine Dauerbelastung tritt ein, wenn permanent Veränderungen und außerordentliche Belastungssituationen auftreten. Unternehmen kommen so an ihre Leistungsgrenze und Mitarbeitern fehlt die nötige Zeit zur Erholung. Beschleunigungsfalle Die Folgen der Beschleunigungsfalle zeigen sich sowohl beim Unternehmen als auch bei den Mitarbeitern: Leistung, Engagement, Stimmung, Arbeitgeberattraktivität, Vertrauensklima und Identifikation sinken. Ein Hebel, um der Beschleunigungsfalle zu entkommen, sind Führungskräfte, die zielorientiert und inspirierend arbeiten. Zielorientierte Führung bewahrt vor Überforderung, indem zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ehrgeizige, aber gleichzeitig erreichbare Ziele vereinbart werden. Inspirierende Führung heißt, mit einer Vision zu führen und diese auch im Alltagsgeschäft zum Ausdruck zu bringen. Die Führungskraft ist ein Vorbild, begeistert die Mitarbeiter mit seinem Charisma und delegiert viel Verantwortung, sodass sie in großer Eigenständigkeit am gemeinsamen Ziel arbeiten. Einbuße an Leistung, Engagement etc. 12.2 Überlastung Mehrfachbelastung Dauerbelastung Zielorientierte und inspirierende Führung Herausforderungen in der Zukunft und neue Maßnahmen Die bisherigen Ausführungen zu organisationalen Faktoren von Burnout und die Gefahren für Organisationen, die mit dem »systemischen Blick« beschrieben wurden, machen deutlich, dass der bisherige Erweiterung und Neuausrichtung im Umgang mit Burnout
84 Kapitel 12 • Wie weiter? Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen Globaler Konkurrenzdruck Grenzen Privat- und Berufsleben durchlässiger Längere Arbeitszeiten aufgrund Demographie 12 Mangel an Facharbeitskräften und Spezialisten Kostendruck, z. B. im Gesundheitswesen Umgang mit Burnout unzureichend ist und dringend einer Erweiterung und Neuausrichtung bedarf. Darüber hinaus werden Betriebe und Organisationen mit großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen konfrontiert, die auch auf den Umgang mit der Gesundheit der Mitarbeiter einen wichtigen Einfluss haben. Die Weltwirtschaft wird wohl auch in den kommenden Jahren dynamische Phasen erleben: In globalisierten Märkten wächst der Konkurrenzdruck immer stärker (auch bei KMU-Betrieben), so dass Arbeitnehmer in ihren Betrieben weiterhin mit Arbeitsplatzabbau, Kosteneinsparungen und Umstrukturierungen konfrontiert werden. Gleichzeitig wird immer mehr »kreativer Geist« gefordert, weil Volkswirtschaften wie die Schweiz oder Deutschland nur mit Innovationen und High-Tech-Produkten bestehen können. Kreativität zur Entwicklung neuer Produkte entsteht aber gerade dann nicht, wenn Mitarbeiter psychisch stark belastet oder ausgebrannt sind. Die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben werden vermutlich immer mehr aufgehoben. Auch wenn es dabei durchaus positive Ansätze gibt (»home office days«), bleibt doch zu berücksichtigen, dass die permanente Erreichbarkeit durch Handys oder E-Mails und das neu hinzukommende »Arbeiten in der Cloud« immer mehr private Zeit in Anspruch nehmen und evtl. fehlende Regenerationsmöglichkeiten die Folge sind. Aufgrund der demographischen Entwicklung und der damit einhergehenden Belastung der Sozialwerke werden Menschen in Zukunft wohl länger arbeiten müssen. Damit sind Betriebe herausgefordert, auch die Gesundheit dieser älteren Mitarbeiter mehr im Auge zu behalten und für sie unterstützende Maßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig sind sie herausgefordert, auch gegenüber ihren jungen Mitarbeitern Sorge zu tragen, um deren Überbelastung zu vermeiden. Besonders in der Schweiz (aber auch in Deutschland) ist ein Mangel an Facharbeitskräften und Spezialisten schon jetzt Fakt. Unternehmen werden sich dem Wettbewerb um diese Personen stellen müssen. Da gesamtgesellschaftlich das Thema Gesundheit einen hohen Stellenwert besitzt, wird für diesen Personenkreis die betriebliche Gesundheitsförderung eine immer größere Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes spielen. In einzelnen Bereichen der Gesellschaft, z. B. im Gesundheitswesen, wird der Kostendruck wohl weiter anhalten. Die Belastung von Menschen, die dort arbeiten (ärztliches Personal, Pflegepersonal) wird damit nicht – wie es aufgrund der hohen Zahl an Burnout-Fällen notwendig wäre – abnehmen, sondern im Gegenteil weiter zunehmen. Um diese Belastungen wenigstens zu mildern, braucht es auch Maßnahmen auf der organisationalen Ebene. Diese Themen können immer wieder als Metathemen in Gespräche mit Führungskräften einfließen; damit kann auch der Sinn prophylaktischer oder präventiver Maßnahmen in Organisationen aufgezeigt werden. Gleichzeitig kann man in solchen Gesprächen
12.3 • Ein neues Paradigma von Gesundheit in Betrieben und Organisationen deutlich machen, dass ein zukünftig besserer Umgang mit Burnout umfassende Maßnahmen erfordert. Einige dieser Maßnahmen werden im Folgenden genannt: 55 In Betrieben und Organisationen ist eine stärkere Bewusstseinsbildung über die verschiedenen Auslösefaktoren für ein Burnout nötig. Konkret bedeutet dies, dass mein mehrdimensionales Burnout-Modell (7 Abb. 3.1) zukünftig zum Standardwissen über Burnout in Organisationen gehören sollte. 55 Die Betriebliche Gesundheitsförderung ist ein unverzichtbarer Bestandteil für gesunde Mitarbeiter in einer (gesunden) Organisation und als wichtiger Wettbewerbsvorteil. 55 Die Organisation als Ganzes, d. h. auf allen Ebenen und unter aktiver Beteiligung besonders der Führungskräfte, muss für die Burnout-Thematik sensibilisiert werden. 12.3 85 12 Bewusstseinsbildung Betriebliche Gesundheitsförderung Sensibilisierung der Organisation Ein neues Paradigma von Gesundheit in Betrieben und Organisationen Angesichts der Zunahme von Stresserkrankungen und BurnoutFällen in den letzten Jahren und den entsprechenden betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten hat sich Burnout zu einer Symptomkrankheit entwickelt, die umfangreichere Maßnahmen erfordert als nur Betroffene zum Arzt zu schicken oder als Prävention ein Kurs in Stressmanagement anzubieten. Hierbei geht es wesentlich auch um eine Bewusstseinsbildung über den Wert von Gesundheit für die Leistungsfähigkeit einer Organisation. Zumindest in einzelnen Organisationen bahnt sich ein Paradigmenwechsel an, weil diese nicht nur etwas für die Vermeidung von Krankheit ihrer Mitarbeiter tun, sondern auch immer stärker in den Blick nehmen, wie sie ihre Mitarbeiter stärken können, ohne dass diese ausbrennen. Im Zusammenhang mit einem solchen Paradigmenwechsel tauchen Themen bzw. Fragenkomplexe auf: 55 Werden organisationale Faktoren, die (immer wieder) zu einem Burnout von Mitarbeitern führen, auch als Faktoren erkannt, die evtl. die Existenz der Organisation gefährden können? 55 Welche Bedeutung hat die Gesundheit von Mitarbeitern in den Führungsetagen? Ist z. B. das Bewusstsein vorhanden, dass sich hinter dem »sichtbaren« Burnout eines Mitarbeiters Phänomene wie Präsentismus, Demotivation, innere Kündigung oder verminderte Leistungsfähigkeit und -bereitschaft auch anderer Mitarbeiter verbergen können? 55 Werden Investitionen in die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und das betriebliche Gesundheitsmanagement als Investitionen in den Erhalt der Leistungsfähigkeit und des Images eines Unternehmens angesehen, die auch einen »return on invest« abwerfen? Burnout als Symptomkrankheit Mitarbeiter empowern Burnout existenzbedrohend für Organisation? Führung und Gesundheit BGF lohnt sich
86 Kapitel 12 • Wie weiter? BGF in Organisation eingebunden? Organisationen als Systeme mit eigener Steuerungslogik? Soft-facts Mitarbeiter als Bedürfniswesen Sinndimension Globale Herausforderungen Ältere Mitarbeiter Gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen 55 Wird die betriebliche Gesundheitsförderung auch als Teil der Organisationsvision, ihrer Struktur, Strategie und Kultur angesehen? 55 Werden Organisationen in Zukunft vermehrt als soziale Systeme gesehen, die eine eigene »Steuerungslogik« haben, oder bleibt man dem »alten Maschinenmodell« verhaftet? 55 Werden die sog. »soft facts« (z. B. Motivation, Engagement der Mitarbeiter) zumindest als wichtige Faktoren für den Erfolg eines Unternehmens neben den »hard facts« (z. B. Klarheit der Strategie, Effizienz der Prozesse) berücksichtigt? 55 Nimmt man Menschen über ihre Funktion als Produktionsfaktor hinaus auch als Wesen mit körperlichen, seelischen und geistigen Bedürfnissen wahr, die auch in Organisationen befriedigt werden möchten? 55 Welche Rolle spielt die »Sinndimension« in Unternehmen – sowohl auf der Ebene des Unternehmenszwecks als auch auf der Ebene der Mitarbeiter? 55 Wie bereiten sich Organisationen in Zukunft auf die globalen Herausforderungen und auf schon jetzt sich abzeichnenden Entwicklungen vor? 55 Was tut man für den Erhalt der Leistungsfähigkeit der oftmals sehr kompetenten und erfahrenen älteren Mitarbeiter? 55 Berücksichtigt man im Wettbewerb um begehrte Facharbeitskräfte und Spezialisten auch den Wert gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen? 12.4 12 Prophylaxe = Verhütung Burnout Prävention = frühes Erkennen einer Krankheit Prophylaxe – Prävention – Intervention Die Konkretisierung von Maßnahmen geschieht in den drei Bereichen Prophylaxe, Prävention und Intervention (. Abb. 12.2). Um Klarheit in der Terminologie herzustellen, möchte ich die von mir verwendeten Begriffe und die damit verbundenen Inhalte erläutern. Die in der Arbeitswissenschaft gebrauchten Begriffe »primäre«, »sekundäre« und »tertiäre Prävention« sowie »therapeutische Maßnahmen« erscheinen mir zu unscharf und Beratungskunden nur schwer vermittelbar (Semmer & Zapf, 2003, S. 774). Unter Prophylaxe sind alle Maßnahmen zu verstehen, die zur Verhütung eines Burnouts getroffen werden. Der Schutzfaktor steht im Zentrum der Bemühungen, sodass sich die Prophylaxe in einer Organisation an gesunde Menschen richtet und Themen wie Stressmanagement, gesunde Ernährung oder den Umgang mit Suchtmitteln umfasst. Die Prävention dient in erster Linie dazu, beim frühen Erkennen einer Krankheit einschreiten zu können bzw. den weiteren Verlauf einer Krankheit einzuschränken. Zur Prävention im Burnout-Bereich würde z. B. das Coaching eines Mitarbeiters gehören, der Stressfolgesymptome wie Schlaflosigkeit oder Magen-Darm-Probleme zeigt.
87 12.5 • Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe Prophylaxe: Vorbeugung Prävention: Verhinderung Krankheitsausbruch 12 Intervention: Maßnahmen bei Krankheit Individuum Führungskraft Organisation . Abb. 12.2 Die Ebenen der Prophylaxe, Prävention und Intervention Die Intervention umfasst alle Maßnahmen, die bei einer ausgebrochenen Krankheit erfolgen bzw. zur Rehabilitation des Mitarbeiters getroffen werden. Sowohl Prophylaxe als auch Prävention und Intervention können Maßnahmen für ein Individuum, ein Team oder die ganze Organisation umfassen. Eine klassische Prophylaxemaßnahme in einer Organisation wäre z. B. die Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Ansatzpunkte sind also die »Verhaltensprävention«, d. h. die Veränderung von Verhalten einer Person oder eines Teams und die »Verhältnisprävention«, in der v. a. die Arbeitssituation verändert wird. 12.5 Intervention nach Ausbruch einer Krankheit Ebene Individuum, Team und ganze Organisation Verhaltens- und Verhältnisprävention Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe Die dargelegten Überlegungen machen es notwendig, das Thema Burnout in den weiteren Kontext des Umgangs mit Stress – oder positiv formuliert – der Gesunderhaltung einzuordnen. Nach meiner Erfahrung ist es das Wichtigste, Betriebe und Organisationen für diese Thematik zu sensibilisieren und Ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie konkret in der Prophylaxe, Prävention und Intervention vorgehen können. Dabei ist es sehr nützlich, die verschiedenen Arbeitsebenen bzw. Einflussebenen des Betriebs oder der Organisation anzuschauen. Die betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe kann 55 den individuellen Umgang der Mitarbeiter mit Stress bzw. mit ihrer Gesunderhaltung thematisieren. Dies ist entweder im Betrieb selbst (durch den Betriebsarzt, einen Coach oder Arbeitspsychologen) möglich oder es kann nach außen verlagert werden, indem z. B. die Mitarbeiter auf bestimmte Veranstaltungen hingewiesen werden, die von den verschiedensten Organisationen (Volkshochschule, Erwachsenenbildung etc.) angeboten werden. Kontext Gesunderhaltung Sensibilisierung Betriebe Zielgruppe Mitarbeiter
88 Kapitel 12 • Wie weiter? Mitarbeiter Adressaten Stress- und BurnoutArbeit Unternehmen– Organisation . Abb. 12.3 Führungskräfte Adressaten der Stress- und Burnout-Prophylaxe, -Prävention und -Intervention Zielgruppe Führungskräfte Fokus Organisation 12 Unterstützung in der Prävention 55 Führungskräfte in ihrer Tätigkeit unterstützen. Dazu gehören diverse Maßnahmen bzw. Reflexionen zu Führungsgrundsätzen, zum Einfluss der Führungskräfte auf die Arbeitsbedingungen, zum »gesunden Führen« der Mitarbeiter und der Organisation, zu Stressoren oder zum Umgang mit der eigenen Gesundheit. 55 den Betrieb bzw. die Organisation selbst thematisieren. Es stellen sich dabei Fragen, was beispielsweise die Organisation selbst zur Prophylaxe und zum betrieblichen Gesundheitsmanagement beitragen kann oder wie eine betriebliche Prävention und Intervention aussieht. In der Prävention, d. h. der Verhinderung einer Erkrankung bei schon von Disstress oder drohendem Burnout betroffenen Mitarbeitern ist es wichtig, dass der Betrieb oder die Organisation entsprechende Unterstützung gewährt. Dazu gehört z. B. die Frage, woran ein drohendes Burnout bei einem Mitarbeiter zu erkennen ist, wie präventive Maßnahmen für den Betroffenen auf Ebene der Organisation aussehen können oder wie ein Mitarbeiter nach seiner Rückkehr aus einer Auszeit oder einem stationären Aufenthalt wieder in den Betrieb eingegliedert werden kann (. Abb. 12.3). 12.5.1 BGF und die Zukunft der Organisation Betriebliche Gesundheitsförderung als Wettbewerbsvorteil Die zahlreichen Aspekte, die bisher genannt wurden, zeigen, dass es in Zukunft immer wichtiger sein wird, die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) in das alltägliche Handeln einer Organisation zu
12.5 • Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe integrieren, ja sogar als Teil der Vision, Struktur, Strategie und Kultur einer Organisation zu sehen. In Publikationen zur BGF wird mitunter von Investitionen in das Sozial- und Humankapital gesprochen, um den Unternehmenserfolg zu gewährleisten (Badura & Hehlmann, 2003, S. 1–12). Die beiden Begriffe reduzieren allerdings sehr auf die monetäre Dimension des Sozialen und Humanen; deshalb möchte ich als Alternative die Begriffe »Sozialbeziehungen« und »Mitarbeiter« verwenden. Dadurch werden auch die personalen und interpersonalen Faktoren von Burnout angesprochen und in ihrer unterschiedlichen Möglichkeit zur Weiterentwicklung in den Blick genommen. Bernhard Badura ist davon überzeugt, dass Maßnahmen, die auf die Förderung der Sozialbeziehungen und Menschen in einer Organisation abzielen, wesentlich auch zum Organisationserfolg beitragen. Dabei ist es nicht sinnvoll, diese »soft facts« gegenüber den »hard facts« (z. B. eine gute Produktpalette oder einen guten Marketingplan) auszuspielen, sondern die Verschränkung beider »facts« zu sehen. Beide tragen auf ihre eigene Weise zum Organisationserfolg bei. Zur Förderung der »Sozialbeziehungen« werden u. a. Maßnahmen ergriffen zur Vernetzung der Mitarbeiter, zum Aufbau einer Vertrauenskultur oder zum Aufbau einer klaren Organisationsidentität, die von bestimmten Überzeugungen, Werten und Regeln geprägt ist. Dadurch wird erreicht, dass Informationen und Wissen schneller fließen und ausgetauscht werden, Mitarbeiter weniger Fehlzeiten aufweisen oder die Produktivität durch eine hohe Identifikation mit der Organisation gesteigert wird. Zusammen mit der ressourcenorientierten Förderung der Mitarbeiter, z. B. durch Weiterbildung, Gesundheitsförderung oder eine konstruktive Feedbackkultur, wird ein wichtiger Teil zum Organisationserfolg beigetragen (. Abb. 12.4). Badura und Hehlmann formulieren auch die »Vision einer gesunden Organisation«, die aus folgenden Aspekten besteht: 55 »Ausmaß sozialer Gleichheit, 55 Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen, Werten und Regeln, 55 Identifikation mit übergeordneten Zielen, 55 Vertrauen in die Führung, 55 Ausmaß an Partizipation, 55 Ausmaß an Vertrauen und Kooperation, 55 Anzahl, Qualität und Vereinbarkeit sozialer Beziehungen, 55 positive Beziehungen am Arbeitsplatz bzw. im Arbeitsteam, 55 Qualität der sozialen Kompetenz, 55 Identifikation mit der Arbeit« (Badura & Hehlmann, 2003, S. 41–45) 89 12 Sozialbeziehungen und Mitarbeiter Kein Ausspielen von »soft facts« gegenüber »hard facts« Förderung Sozialbeziehungen Vision gesunde Organisation
90 Kapitel 12 • Wie weiter? Sozialbeziehungen Mitarbeiter Sachkapital – Vernetzung der Mitarbeiter – Vertrauens- und Konfliktkultur – Qualifikation – Technik – gegenseitige – Motivation ⇒ ⇒ – Gebäude ⇒ Unterstützung – Gesundheit – Ausstattung – Organisations– etc. identität – Werte – etc. ⇑ ⇑ ⇑ Unternehmenserfolg – Qualität – Produktivität – Ertrag Betriebliches Gesundheitsmanagement . Abb. 12.4 Der Zusammenhang von betrieblichem Gesundheitsmanagement mit den Sozialbeziehungen, Mitarbeitern und Unternehmenserfolg nach Badura (Badura & Hehlmann, 2003, S. 10) 12.5.2 Unterschiedliche Motivation für BGF 12 BGF zahlt sich aus Der »Return on Investment« bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung Die Motivation für Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung kann sehr unterschiedlich sein: Einzelne Arbeitgeber sind vielleicht philanthropisch gesinnt und betrachten es aus tiefer innerer Überzeugung als ihre ureigenste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter gute Arbeitsbedingungen und -verhältnisse vorfinden. Andere sind eher an Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten orientiert und lassen sich nur von Maßnahmen der BGF überzeugen, wenn »es auch finanziell etwas bringt« (Uhle & Treier, 2011, S. 211–227). Die Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA), ein gemeinsames Projekt verschiedener deutscher Krankenkassen, hat im März 2008 eine Literaturübersicht veröffentlicht, in der sie auch untersucht hat, ob sich Maßnahmen im Rahmen der BGF auch für Unternehmen auszahlen (vgl. IGA, 2008). Dabei lautet das Fazit: »» Insgesamt zehn Übersichtsartikel beschäftigen sich mit dem ökonomischen Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung. Alle kommen zu dem Urteil, dass Unternehmen langfristig auch aus wirtschaftlicher Sicht von den Maßnahmen profitieren (…). Die erzielbaren Kosten-Nutzen-Verhältnisse (Return on Investment, ROI) werden mit Werten zwischen 1:2,5 und 1:10,1 für Absentismus bzw. 1:2,3 und 1:5,9 für medizinische Kosten beziffert. Für jeden investierten Dollar konnten also bei den Fehlzeiten mindestens 2,50 Dollar, bei den medizinischen Kosten mindestens 2,30 Dollar eingespart werden. (IGA, 2008, S. 2)
12.5 • Betriebliche Stress- und Burnout-Prophylaxe Weitere Untersuchungen zeigen, dass sich Maßnahmen der BGF auch langfristig auszahlen. Auch wenn die Zahlen je nach Studie und Evaluationsdesign mitunter sehr differieren, kann aufgrund des Zahlenmaterials nicht mehr bestritten werden, dass Maßnahmen der BGF (worunter auch Maßnahmen zur Burnout-Prophylaxe und -Prävention zählen) sich auch finanziell für Unternehmen bezahlt machen. Eine breit angelegte Untersuchung in der Schweiz, in der in acht Betrieben mit 5 000 Mitarbeitern zwischen 2008 und 2011 Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Stressprävention durchgeführt wurden, zeigte – trotz damaliger Finanz- und Schuldenkrise – ein positives Ergebnis. Maßnahmen zur Stressprävention zeigten bei 25% der Mitarbeiter eine positive Wirkung auf die Gesundheit und die Arbeitsleistung. In der Berechnung des Nutzens wurde betont, dass sich die seit Projektbeginn getätigten Investitionen nach fünf Jahren mit ROI 1.02 bezahlt machen und nach 6 Jahren den ROI von 1.31 erreichen (Jenny et al., 2011, S. 65–82). 91 12 Wirkung von Stressprävention
93 Prophylaxe: Bevor das Feuer erlischt Kapitel 13 P  rophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen – 95 Ulrich Scherrmann Kapitel 14  Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung – 105 Ulrich Scherrmann Kapitel 15  Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen – 139 Ulrich Scherrmann IV
95 Prophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen Ulrich Scherrmann 13.1 Eustress – auch das gibt es! – 96 13.2 Salutogenese: Gesunderhaltung durch Verstehbarkeit – Handhabbarkeit – Bedeutsamkeit – 97 13.3 Die Sinnfrage als verborgener Antriebsmotor oder blockierte Energie in der Arbeitswelt – 97 13.4 Leben (auch) in der Arbeit – 99 13.5 Belastungsreduzierung – weitere Hilfen – 100 13.5.1 13.5.2 Fragebogen zur individuellen Belastung – 101 Unterstützende Aktivitäten – 101 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 13
96 Kapitel 13 • Prophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen Die Gesundheit im Beruf erhalten Die vielfältigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte hatten bedeutende Auswirkungen auf das Verhalten und Wohlbefinden der Menschen (nicht nur am Arbeitsplatz). Die folgenden Überlegungen verstehen sich nicht als Rezeptbuch für gestresste Menschen, sondern möchten Hinweise geben, welche Einflüsse und Faktoren Menschen für den Erhalt ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit berücksichtigen können. Zu allen Themen gibt es umfangreiche Ratgeberliteratur – bei Burnout sind Publikationen zur individuellen Vorsorge geradezu inflationär. Die zentrale Frage dieses Kapitels lautet: Was hilft Menschen, in der beruflichen Anspannung gesund zu bleiben? Damit wird eine Sichtweise aufgegriffen, die immer mehr in den Vordergrund tritt und die gesundheitsfördernden Aspekte der Lebensgestaltung betont. Im Folgenden werden zunächst einige Aspekte erläutert (Eustress, Salutogenese, Sinnfrage, Leben in der Arbeit); anschließend werden exemplarisch Hinweise zu relevanten Verhaltensweisen aufgeführt. 13.1 Eustress vs. Disstress 13 Tagesrückblick: Eustress oder Disstress? Eustress – auch das gibt es! »Ich bin gestresst« – wie oft fällt dieser Satz im Gespräch mit Kollegen. Schaut man dann allerdings genauer hin und fragt die Menschen, welche Art von Stress sie erleben, tauchen oftmals nicht belastende Stressfaktoren auf, sondern eine Arbeitsanspannung bzw. Arbeitseinflüsse, die gleichzeitig fordern (aber nicht überfordern) und eine innere Zufriedenheit und Erfüllung bringen. In der Regel kommt es kaum einem Menschen in den Sinn, beim Ausüben einer sportlichen Tätigkeit, die mit Anspannung, Verausgabung und hoher Belastung verbunden ist, von Stress zu reden. Diese Aktivitäten werden als angenehm und lustbetont erlebt, auch wenn die eigentliche Tätigkeit enorme Kraftreserven verlangt und Menschen bisweilen an ihre physischen Grenzen bringen kann (Kaluza, 2005, S. 23). Es ist deshalb sehr wichtig, genau hinzuschauen und sich immer wieder zu fragen, ob die Belastungsfaktoren, denen ich ausgesetzt bin oder mich selbst aussetze, die eigenen Ressourcen übersteigen bzw. ob mir genügend organisationale Ressourcen für meine Tätigkeit zur Verfügung stehen. Erst wenn dies über einen längeren Zeitraum nicht der Fall ist, kann ich von schädlichem Stress (Disstress) reden. Zur Unterscheidung, ob Tätigkeiten während eines Tages mehr Eustress oder Disstress waren, hilft es, sich in einer Pause oder am Ende eines Tages (»Tagesrückblick) für einen kurzen Moment hinzusetzen und sich zu fragen: 55 Welche Belastungen habe ich heute erlebt? 55 Haben diese meine persönlichen Ressourcen bzw. die mir vom Betrieb zur Verfügung gestellten Ressourcen überschritten (Disstress)? 55 Was hat mich heute – trotz Anspannung und Belastung – erfüllt (Eustress)?
13.3 • Die Sinnfrage als verborgener Antriebsmotor … 97 13 55 Wo bin ich an meine physischen Grenzen gestoßen – und habe trotzdem positive Gefühle erlebt, weil ich etwas geschafft habe (Eustress)? 55 Fällt die Bilanz am Ende des Tages eher zugunsten von Disstress oder Eustress aus? Ist die Bilanz während Tage und Wochen negativ, überwiegt also der Disstress, ist es wichtig, genauer hinzuschauen und Maßnahmen zu ergreifen, damit es nicht zu einer verhängnisvollen Burnout-Spirale kommt. 13.2 Salutogenese: Gesunderhaltung durch Verstehbarkeit – Handhabbarkeit – Bedeutsamkeit Der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky untersuchte in seinen Forschungen die Ressourcen, auf die Menschen in herausfordernden Situationen zurückgreifen können und die zu ihrer Gesunderhaltung beitragen können (Antonovsky, 1997, S. 34– 36).Er prägte dabei den Ausdruck »Kohärenzgefühl«, dem er die drei Kompetenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit zuschrieb. Menschen, die ihr Leben kohärent in diesen Ausprägungen erleben, können auch belastende Situationen besser bewältigen. In der Anwendung der Philosophie von Antonovsky kann sich jeder Mensch zu den drei Komponenten die folgenden Fragen stellen bzw. im Gespräch mit Kollegen und Freunden oder in einer Intervisions- bzw. Supervisionsgruppe erörtern: 1. Verstehbarkeit: Kann ich das, was ich derzeit erlebe, ordnen und strukturieren? Erkenne ich Muster und kann ich evtl. voraussehen, wie die weitere Entwicklung verläuft? 2. Handhabbarkeit: Habe ich genügend persönliche Ressourcen oder Unterstützung in meinem familiären oder sozialen Umfeld, um belastende Ereignisse bewältigen zu können? 3. Bedeutsamkeit: Erlebe ich in dem, was ich gerade tue, einen Sinn? Gestalte ich etwas, was einen Wert hat? Ist die Anforderung, der ich mich stelle oder mit der ich konfrontiert werde, eine positive Herausforderung, die mich motiviert und mir (auch zumindest zeitweise) Freude macht bzw. mich zufrieden macht? 13.3 Kohärenzgefühl als Ressource Fragen zum Kohärenzgefühl Die Sinnfrage als verborgener Antriebsmotor oder blockierte Energie in der Arbeitswelt Ein dritter Zugang zum individuellen Umgang mit Belastungen in der Arbeitswelt und eine weitere Ressource können Gedanken und Ausführungen des großen Wiener Psychiaters Viktor E. Frankl Der Mensch auf der Suche nach Sinn
98 Kapitel 13 • Prophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen (1905–1997) sein. Frankl, Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, ist davon überzeugt, dass der Mensch ein Wesen ist, das auf der Suche nach Sinn und auf der Suche nach der Begegnung mit anderen Menschen ist. »» Der Mensch ist immer schon ausgerichtet und hingeordnet auf etwas, das nicht wieder er selbst ist, sei es eben ein Sinn, den er erfüllt, oder anderes menschliches Sein, dem er begegnet. (Frankl, 2007, S. 11) Sinn muss gefunden werden Existentieller Sinn Arbeit sinnstiftend und befriedigend 13 Zusammenhänge erkennen Kein »Sinnautomatismus« in der Arbeit Sinnfrage am Arbeitsplatz Frankl betont, dass das Streben des Menschen nicht darin besteht, glücklich zu sein, sondern dass er einen Grund zum Glücklichsein braucht und dann als Folge glücklich ist. Die Sinnerfahrung des Menschen kann ihm aber nicht von außen »verordnet« werden, sondern sie ist ein Prozess, in dem der Mensch selbst gefordert ist. Eine der Kernsätze von Frankl lautet: »Sinn kann nicht gegeben werden, sondern muss gefunden werden« (Frankl, 2007, S. 19). Damit es zu keinem Missverständnis kommt: Es geht nicht darum, religiöse Dimensionen in die Arbeitswelt einzuführen, d. h. es geht im Kontext der Arbeitswelt nicht um die Auseinandersetzung mit dem »Sinn des Lebens« (bei Frankl der ontologische Sinn), sondern um Sinndimensionen, die Menschen in ihren jeweils individuellen Lebenssituationen als Wert oder Wertvolles vorfinden oder erspüren (existentieller Sinn). Kurzgefasst kann man sich fragen: Für was ist das gut, was ich hier tue oder hinnehme? Die Suche nach dem existentiellen Sinn hat für den Menschen in der Arbeitswelt, für Unternehmen und Organisationen eine enorme Bedeutung, weil die Leistungsfähigkeit von Unternehmen wesentlich von der Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter abhängt, die das Unternehmen an sich bindet. Dies geschieht v. a. dadurch, dass Menschen ihre Arbeit als sinnstiftend und befriedigend erleben (Berscheider, 2003; Pircher-Friedrich, 2005). Ähnlich wie Antonovsky betont auch Frankl, dass Menschen ihr Leben verstehen und nach eigenen Werten gestalten wollen. Um dies zu erreichen, geht es in erster Linie darum, Zusammenhänge zu erkennen. Menschen wollen ihr Dasein und ihr Erleben verstehen; sie sind dann auch bereit, Anstrengungen und Mühen auf sich zu nehmen. In der Anwendung auf Betriebe und Organisationen muss betont werden, dass Sinn nicht automatisch entsteht, sondern davon abhängt, ob man sich mich mit dem, was einem in seiner Arbeit begegnet, auseinandersetzen will. Dabei ist es enorm wichtig, dass man als Arbeitnehmer auch eine gewisse Gestaltungsfreiheit am Arbeitsplatz hat, um Akzente setzen zu können, sodass die Arbeit positive Emotionen auslöst, ja sogar Spaß machen kann. Die folgenden Fragen können eine Hilfe sein, sich mit der Sinnfrage am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen: 55 Habe ich eine Aufgabe, zu der ich Ja sagen kann, die ich als sinnvoll erlebe?
13.4 • Leben (auch) in der Arbeit 99 13 55 Vermittelt mir mein Vorgesetzter »Sinndimensionen«, die er oder das Unternehmen bzw. die Organisation sehen? 55 Kann ich diesen Sinn verstehen und akzeptieren? Wird darin etwas von der Bedeutung meiner Tätigkeit für das Unternehmen bzw. die Organisation, den Kunden oder die Gesellschaft deutlich? 55 Sind meine Arbeitsbedingungen so beschaffen, dass ich sinnvolle Aufgaben übernehmen und damit Wertvolles tun kann? 13.4 Leben (auch) in der Arbeit Die gängige (meist oberflächliche) Rede von der Work-Life-Balance ist oft ein Grund dafür, dass sich in den Köpfen vieler Menschen festgesetzt hat: »Arbeit ist ein notwendiges Übel zum Gelderwerb – das eigentliche Leben findet jenseits der Arbeit statt.« Dies hat zur Folge, dass viele Menschen mit der Einstellung zur Arbeit gehen, dass diese kaum etwas zu ihrem Glück und ihrer Sinnerfüllung beitragen kann. Von daher bemühen sie sich auch nicht, Sinn(elemente) zu entdecken oder bei ihren Vorgesetzten dafür einzustehen, dass sie eine sinnvolle(re) Arbeit erhalten. Mit dieser Grundhaltung nehmen sie Belastungen am Arbeitsplatz in Kauf, weil sie ja nach der Arbeit wieder die Möglichkeit haben, im eigentlichen Leben Glück zu erfahren und sich zu regenerieren. Diese Einstellung ist aber sehr trügerisch, weil jeder weiß, dass auch das private Leben mitunter sehr belastend sein kann: Kinder sind krank und brauchen aufopfernde Pflege, die nervige Steuererklärung muss erledigt werden, ein Konflikt mit einem Nachbar wartet schon längere Zeit auf eine Lösung etc. Alle drei bisher vorgestellten Grundhaltungen können eine Hilfe sein, »Leben« auch in der Arbeit zu entdecken. Dies kann so geschehen, dass ich mich frage, ob 55 in meinem Arbeitsalltag neben Disstress auch Eustress vorkommt, 55 meine Arbeit verstehbar, bedeutsam und handhabbar ist, 55 ich in meiner Tätigkeit Sinn erlebe. Stellt sich heraus, dass eine oder mehrere dieser Grundhaltungen am Arbeitsplatz nicht gelebt werden können, sollte der Impuls dahin gehen, die Bedingungen am Arbeitsplatz zu verbessern, anstatt sich auf die freie Zeit jenseits der Arbeitszeit zu vertrösten. Eine interessante Ausweitung des üblichen Work-Life-Balance Ansatzes haben Forscher der Technischen Universität Dresden entwickelt. Sie haben neben der »Zeit für Soziales« und »Zeit für Arbeit« als dritte Komponente die »Zeit für Persönliches« eingebracht (Grisslich, Proske & Körndle, 2012).Es erstaunt sehr, dass dieser – schon jahrhundertelang in Klöstern vieler Religionen praktizierte – Ansatz nun auch für das Leben des »normalen Menschen« erforscht und Eigentliches Leben jenseits der Arbeit? Arbeit ohne Glücks- und Sinnelemente? »Leben« in der Arbeit entdecken Zeit für Soziales – für Arbeit – für Persönliches
100 Kapitel 13 • Prophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen »Stille Stunde« 13 Schritte der Veränderung propagiert wird: In den benediktinischen Klöstern z. B. gehen die Mönchen einer »normalen« Arbeit als Lehrer, Gärtner oder Seelsorger nach. Daneben treffen sie sich gemeinschaftlich zum Gebet und zur »recreatio« (Erholung mit Gespräch, Spiel oder Sport). Wichtig ist in den Klöstern aber auch die »Zeit für Persönliches«. Meist ist dies eine individuelle Zeit der Stille oder der Meditation, in der die Mönche ihr Leben (im Angesicht Gottes) in den Blick nehmen und sich evtl. Veränderungen vornehmen. Es ist wohl kein Zufall, dass in vielen Klöstern die Menschen sehr alt werden. Laut Angaben der Forscher haben Untersuchungen gezeigt, »dass ein dreidimensionaler Life-Balance-Ansatz ein besserer Prädiktor für Gesundheit ist als ein zweidimensionaler Work-Life-Balance Ansatz mit den Komponenten Arbeit und Soziales. Personen mit einem hohen Life-Balance-Wert berichten von hohen Gesundheitswerten.« (Grisslich, Proske & Körndle, 2012, S. 167) Im Anschluss an diese Erkenntnisse kann ich in einer stillen Stunde über folgende Impulse nachdenken: 55 Gönne ich mir systematisch Zeit für mich selbst mit Phasen der Aktivität und der Ruhe? Habe ich sie in meinen Terminkalender eingeplant oder überlasse ich sie mehr dem Zufall? 55 Gönne ich mir Zeit für Entspannung? Praktiziere ich Techniken und Rituale, um körperlich, seelisch oder geistig abzuschalten und zu regenerieren (z. B. durch Yoga, Handy abschalten, Lesen, Meditation etc.)? 55 Nehme ich mir Zeit zum Nachdenken über wichtige Bereiche meines Lebens: Arbeit, Familie, soziale Beziehungen, Sinn im Leben etc.? 55 Gehe ich einem Hobby nach, das ich alleine betreibe: joggen, malen, schreiben, tanzen etc.? 55 Kenne ich Orte und Momente, an denen ich Kraft tanken kann, z. B. ein Spaziergang im Wald, ein Saunabesuch, eine Stunde Nordic Walken oder Skilanglaufen etc.? In der Umsetzung von Veränderungen haben sich für alle Bereiche die Reflexion und anschließende Umsetzung folgender Fragen bewährt: 55 Was will ich verändern? 55 Wie soll ich das anpacken? 55 Wann und ggfs. wo will ich es anpacken? 55 Wer kann mich dabei unterstützen? 55 Wie schaffe ich es, mich in meinem positiven Vorhaben zu blockieren und was mache ich dagegen? 13.5 Belastungsmomente am Arbeitsplatz erfassen Belastungsreduzierung – weitere Hilfen Neben den erwähnten Grundhaltungen im Umgang mit dem eigenen Leben und Erlebnissen in der Arbeitswelt gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Techniken, Tools und Instrumenten, um ggf.
13.5 • Belastungsreduzierung – weitere Hilfen 101 13 ­Belastungsmomente am Arbeitsplatz zu erfassen und ihnen wirksam zu begegnen. Da eine ausführlichere Darstellung den Rahmen dieses Buches sprengen würde, beschränke ich mich auf einige ausgewählte Hilfen. 13.5.1 Fragebogen zur individuellen Belastung Eine einfache Hilfe kann es sein, sich mittels eines Fragebogens (. Tab. 13.1) einen Überblick über einzelne Aspekte seines jetzigen Lebens zu machen. Dabei wird die Summe der Bewertungen durch die Anzahl der Items dividiert. Die Fragen lehnen sich an die Ausführungen von Bergner (2010, S. 61–71) an. Sie erheben nicht den Anspruch, ein individueller Burnout-Test zu sein, sondern sollen Anhaltspunkte für weitere medizinisch-therapeutische Abklärungen sein. Ergibt der Belastungswert einen Wert über 1,5 Punkte, sollte immer eine Intervention erfolgen. Die geeignete Intervention (Hausarzt, Psychiater, Psychologe bzw. Psychotherapeut oder Coach) kann mit dem Betriebsarzt, dem Personalleiter, einer Vertrauensperson im Betrieb oder dem zuständigen Vorgesetzten abgesprochen werden. 13.5.2 Unterstützende Aktivitäten Es gibt eine fast nicht mehr zu überblickende Fülle von Ratgebern, die sich der individuellen Prophylaxe von Stress und Burnout widmen und dazu mehr oder minder hilfreiche Tipps geben. Im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus Psychiatrie und Psychotherapie und in eigenen Coaching-Sitzungen stellte ich fest, dass sich das Buch von Thomas Bergner (Bergner, 2010) sehr gut sowohl für die Beratung als auch für die individuelle (nachbereitende) Arbeit eignet. Die folgenden Ausführungen geben darüber hinaus Hinweise auf die breite Palette von Möglichkeiten und Ansatzpunkten. Die Aufzählung der Instrumente ist nicht abschließend: 55 Reflexion der eigenen Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen: 55 Was brauche ich z. B. zusätzlich an Zeit-, Kommunikationsoder Konflikttraining, um die Arbeit besser zu bewältigen? 55 Welche Aus- oder Weiterbildung kann mich stärken? 55 Evaluation der eigenen Stressoren und der typischen Stresssignale; 55 Veränderungen am Arbeitsplatz vornehmen: Ausstattung, Beleuchtung, Lärmbelastung etc.; 55 Probleme bei der Arbeit aktiv (in Team, Gruppe bzw. Organisation) ansprechen; 55 evtl. freundschaftliche Beziehungen am Arbeitsplatz aufbauen bzw. pflegen; Individuelle Prophylaxemöglichkeiten Vielfältige Möglichkeiten
102 Kapitel 13 • Prophylaxe: Individueller Umgang mit Belastungen . Tab. 13.1 Fragebogen in Anlehnung an Bergner (2010) Fragen zur individuellen Belastung Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu Bewertung in Punkten 0 1 2 3 Ich bin öfters gereizt, weil mir alles zu viel wird. Ich habe Angst, von anderen unberechtigt kritisiert oder abgewertet zu werden. Ich habe keine Freude mehr an meiner Arbeit. Ich fühle mich an meinem Arbeitsplatz alleingelassen und bisweilen einsam. Ich engagiere mich in meiner Organisation sehr stark und bin niedergeschlagen, wenn ich die entsprechende Anerkennung nicht erhalte. Ich bin ein stark rationaler Mensch, analysiere gerne, denke viel nach und stehe Gefühlen eher skeptisch gegenüber. Ich bin eher ein unsicherer Mensch; das Vertrauen in mich und die Welt ist wenig ausgeprägt. Die Arbeit ergibt keinen Sinn mehr für mich; ich fühle mich innerlich leer. Blicke ich auf die letzten Monate und Jahre zurück, werde ich traurig und resignativ. Ich verbeiße mich manchmal in Probleme, die ich nicht ändern kann. Ich möchte Kollegen oder Klienten unbedingt in meinem Sinne beeinflussen oder verändern. 13 Wenn es die Situation erfordert, bin ich auch bereit, 150% meiner Arbeitsleistung zu geben und Opfer im Privatleben zu bringen. Ich bin in der Vergangenheit auch krank zur Arbeit gegangen. Ich schlafe nicht gut. Ich nehme Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Ich trinke manchmal zu viel Alkohol. Ich mache zu wenig Pausen. Ich bewege mich zu wenig. Summe Belastungswert = Summe dividiert durch 18 (Anzahl Items) 55 ein Mitarbeitergespräch beim Vorgesetzten anmelden, um gemeinsam mit ihm bzw. ihr nach Möglichkeiten zur Reduzierung der belastenden Faktoren zu suchen; 55 sich für Team- bzw. Organisationsentwicklung im Arbeitsbereich einsetzen, um Belastungen durch das Team bzw. die ­Organisation
13.5 • Belastungsreduzierung – weitere Hilfen 55 55 55 55 55 55 55 55 zu reduzieren: Rollen und Funktionen klären, Schnittstellen analysieren, Effektivität und Effizienz der Sitzungen erhöhen etc.; evtl. einen Teil der Berufsarbeit von zu Hause aus erledigen; die Hilfe eines Coachs, eines Psychotherapeuten oder eines (Betriebs-)Arztes in Anspruch nehmen; die Angst um den evtl. Verlust des Arbeitsplatzes wahrnehmen und mit Dritten nach Auswegen suchen (Coach, Berufs- und Laufbahnberater, Personalvermittler etc.); Entspannungstechniken lernen: Yoga, Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Edmund Jacobson, Tai Chi, Chi Gong etc.; körperliche Aktivitäten (Sport, Wandern, Tanzen etc.) pflegen; maßvoller Umgang mit Alkohol und anderen Suchtmitteln (inkl. Medikamenten), gesunde Ernährung; sich immer wieder an die eigenen Stärken und Kompetenzen erinnern: die eigenen »Erfolge« honorieren, sich vom Perfektionismus verabschieden, Selbstvertrauen und selbstsicheres Auftreten trainieren; eine berufliche Standortbestimmung vornehmen: Was will bzw. kann ich an diesem Arbeitsplatz noch erreichen? Passt die jetzige Arbeit(sumgebung) zu meiner Lebensvision? Steht eine Veränderung an? 103 13
105 Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Ulrich Scherrmann 14.1 Sich selbst führen – 106 14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4 14.1.5 14.1.6 Selbstreflexion als Führungskraft – 107 »Was Sterbende am meisten bereuen« – 107 »Wie lebe ich den Rest meines Lebens?« – 108 »Blick auf meine Persönlichkeit« – 109 Rollenklarheit, -konflikte und -überlastung – 110 Selbstmanagement als Führungskraft – 111 14.2 Die Organisation bzw. das Unternehmen führen – 112 14.2.1 14.2.4 14.2.5 Überschätzung der Feldkompetenz und Einmischung in fremde Bereiche – 116 Mangelnde Managementkompetenz: unzureichende Wahrnehmung der zentralen Aufgaben Verbinden und Entscheiden – 117 Managementkompetenz konkret: Herausforderungen des normativen, strategischen und operativen Managements – 118 Kernfunktionen und -aufgaben im Management – 122 Grundsätze und Werkzeuge des Führens – 124 14.3 Mitarbeiter führen – 125 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.3.5 14.3.6 14.3.7 »Führung als Kunst« – wider triviale Annahmen – 127 Der Beitrag der Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg – 128 Führung im Kommunikationsprozess – 130 Grundlegende Themen im Führungsprozess – 132 Beziehungen – 136 Gesundheitsförderliche Führung – einige Stichworte – 136 Früherkennung von Burnout – 138 14.2.2 14.2.3 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 14
106 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Führungskräfte als Vorbilder Keine Trennung in »soft« und »hard facts« Sich Zeit für Reflexionen nehmen ERFA- oder Intervisionsgruppen Coaching 14 Auszeiten und Rituale Es versteht sich von selbst, dass Führungskräfte eine besondere Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für die Mitarbeiter und die Organisation bzw. das Unternehmen haben. Sie werden in ihrem Verhalten, ihrem Tun und (Unter-)Lassen von den Mitarbeitern und Kunden wahrgenommen und erfüllen damit sowohl im Positiven als auch im Negativen eine Vorbildfunktion. In diesem Buch werden die Begriffe »Führung«, »Leadership« und »Management« synonym gebraucht. Auch die übliche Trennung in »soft facts« (Fähigkeiten, Mitarbeiter, Unternehmenskultur, Vision betreffend) und »hard facts« (Struktur, Strategie, System betreffend), in die Unternehmen oder Organisationen aufgeteilt werden, ergibt wenig Sinn. Beides sollte von einer Führungskraft im Auge behalten werden, weil in beiden Bereichen Dissonanzen auftreten und zu ungutem Stress führen können. Entscheidend ist, ob Führungskräfte sich Zeit nehmen, um immer wieder ihre Selbst-, Sozial- und Fachkompetenz zu thematisieren und in Verbindung bringen mit ihrer eigenen Person, dem Umgang mit den Mitarbeitern und ihrem Führungsverhalten in der Organisation bzw. dem Unternehmen. Die Möglichkeiten dies durchzuführen können vielfältig sein. Bewährt haben sich z. B. Erfahrungsaustausch- (ERFA-Gruppen) oder Intervisionsgruppen, in denen man Inputs durch Kollegen zu eigenen Fragen erhält, Anregungen geben kann zu Fragen anderer Kollegen oder sich inspirieren lassen kann im Sinne von »best practise«. Eine professionelle Unterstützung kann in einem Coaching erfolgen. Ziele, die in einem solchen Prozess bearbeitet werden können, sind z. B. eine neue Rollenfindung und -gestaltung, Analyse und evtl. Verbesserung der systemischen Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz, Verhaltenstraining (z. B. Konfliktmanagement, Kommunikation), verbesserter Umgang mit Stress, Arbeitsorganisation und Zeitmanagement oder berufliche Zukunftsperspektiven und Sinnfragen im Beruf. Neben dem Austausch mit Kollegen oder dem professionellen Coaching gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, sich Gestaltungselemente für die individuelle Reflexion zu suchen. Dazu gehören z. B. ein »Klausurtag mit mir selbst«, Auszeiten (in einem Kloster) oder ganz einfach auch Rituale am Ende eines Tages oder am Ende einer Woche, in denen man auf die an diesem Tag bzw. in dieser Woche geleistete Arbeit zurückblickt. 14.1 Selbstreflexion und Selbstmanagement Sich selbst führen Generell kann die Reflexion der eigenen Selbstkompetenz die beiden Elemente »Selbstreflexion« und »Selbstmanagement« beinhalten (Seliger, 2010, S. 127–140). In der Selbstreflexion geht es darum, die eigene Persönlichkeit mit dem eigenen Selbstbild und den verschiedenen Rollen im Berufs- und
14.1 • Sich selbst führen 107 14 Privatleben in den Blick zu nehmen. Im Selbstmanagement dagegen liegt der Fokus mehr auf der Reflexion der eigenen Arbeit, d. h. Themen wie die persönliche Arbeitsmethodik, Zeitmanagement, Kommunikationskompetenz oder Konfliktmanagement stehen im Zentrum. 14.1.1 Selbstreflexion als Führungskraft In meiner Beratungspraxis erlebe ich häufig, dass Führungskräfte mit klassischen Interventionen und Tipps zu Stress- oder Zeitmanagement oder zur Arbeitsorganisation allein nicht zufrieden sind. Für sie ist das bewältigte Burnout oft der Auslöser, sich mit tiefergehenden Lebensthemen und Fragen nach dem Sinn ihrer Tätigkeit auseinanderzusetzen. Ihr Burnout ist eine einschneidende Zäsur, die von ihnen fordert, sich diesen grundsätzlichen Fragen zu stellen. Die humanistische (z. B. C.G. Jung) und transpersonale Psychologie (z. B. Roberto Assagioli) haben dazu wertvolle Hinweise und Hilfen gegeben. Jung spricht beispielweise vom »Schatten«, d. h. dem Ungelebten, das in einer Krise ans Licht kommt und in die Persönlichkeit integriert werden will, damit man auf dem eigenen Individuationsweg ein Stück weiterkommt (Schnocks, 2013, Dönges, Brunner & Dubey, 2005). Die folgenden Übungen bzw. Fragen können in der Selbstreflexion im Sinne einer Analyse und Bestandsaufnahme auch ohne einen Coach bearbeitet werden. Für die weitergehende Arbeit und die »Erdung« der Erkenntnisse, d. h. die Integration in den privaten und beruflichen Alltag, ist es empfehlenswert, die professionelle Begleitung eines Coachs in Anspruch zu nehmen. 14.1.2 Burnout als Auslöser für grundsätzliche Fragen zum Leben Selbstreflexion als Analyse und Bestandsaufnahme »Was Sterbende am meisten bereuen« Eine sicherlich außergewöhnliche Annäherung an grundsätzliche Lebensthemen bietet die Australierin Bronnie Ware. Als Pflegerin in einem englischen Hospiz begleitete sie Sterbende in deren letzten Lebenswochen und kam mit ihnen über das ins Gespräch, was sie im Rückblick auf ihr Leben am meisten bereuen. Die Essenz der Gespräche fasste sie in 5 Einsichten zusammen. 55 »Versäumnis Nummer 1: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarten. 55 Versäumnis Nummer 2: Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet. 55 Versäumnis Nummer 3: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. 55 Versäumnis Nummer 4: Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten. 55 Versäumnis Nummer 5: Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.« (Ware, 2013, S. 61, 107, 151, 197, 242) Lebensrückblick und 5 Einsichten
108 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung »Meine Versäumnisse?« Diese Einsichten von Bronnie Ware können Ausgangspunkt für eigene Reflexionen sein, indem man die »Versäumnisse« auf sich und die eigene Lebensrelevanz bezieht. 55 Habe ich den Mut, meinen eigenen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen zu folgen, um mir und meinen Lebensträumen treu zu bleiben, oder lasse ich mich (nur) von außen (von der Arbeit, der Partnerin, den Kindern etc.) steuern? Bin ich bereit, selbstgemachte Fesseln abzulegen? 55 Was ist die Motivation für meinen Arbeitseinsatz: Suche ich (nur) Geld, Anerkennung, Karriere, Prestige etc.? Was ist der »Preis« für meinen hohen Einsatz? Bin ich bereit, weiterhin z. B. die Beziehung zu meinen Kindern oder zu meiner Partnerin bzw. meinem Partner zu vernachlässigen? 55 Gestatte ich mir, meine Gefühle wahrzunehmen – auch wenn ich sie im Moment nicht erklären kann oder sie mir unangenehm sind? Lebe ich meine Gefühle (Freude, Trauer, Wut, Angst) in einer »breiten Klaviatur« oder beschränke ich ihren Ausdruck auf eine einfache Oktav? 55 Wann habe ich das letzte Mal mit einem wichtigen Freund bzw. einer wichtigen Freundin telefoniert oder etwas gemeinsam unternommen? Wer ist überhaupt mein Freund bzw. meine Freundin und was verbindet mich mit ihm oder ihr? 55 Wann habe ich zuletzt Glücksmomente erlebt? An welchen Orten und in welchen Zusammenhängen fanden sie statt (z. B. in den Bergen mit Freunden eine Wanderung machen)? Glück kann sich jetzt einstellen: Was tue ich dafür, dass ich jetzt »Glück erleben« kann? 14.1.3 Rückblick vom Lebensende her 14 Wertschätzung für Erreichtes »Wie lebe ich den Rest meines Lebens?« Es gibt viele Möglichkeiten, das Leben von seinem Ende her einmal zu denken und daraus Impulse für das Jetzt zu nehmen. In einfacher Form kann man sich vorstellen, was Kollegen mir als Inschrift auf meinen Grabstein schreiben würden; man kann sich aber auch selbst fragen, was die eigene Persönlichkeit ausmacht und welche kurzen Gedanken oder Sätze ich mir selbst auf meinen Grabstein schreiben würde. In solchen Momenten kann man für sich da sein und sich fragen, was man am Ende des Lebens in der rückblickenden Bilanz haben möchte und was man bereits bewirkt und geleistet hat. Damit denkt man vom »Gewinn« her, anstatt von dem noch Ausstehenden, dem noch nicht Erreichten. Dabei kann sich auch ein gewisser Stolz entwickeln, weil deutlich wird, dass man unter Umständen schon sehr viel geleistet hat. Einzelne Leistungen erhalten so ihre (vielleicht späte) Wertschätzung. In der Konsequenz daraus können Prioritäten und Ziele, die man sich gesetzt hat, verändert oder ggfs. neu bestimmt werden.
14.1 • Sich selbst führen 109 14 Eine sehr herausfordernde Übung zur Selbstreflexion stellen folgende Überlegungen dar. Sie lassen den Umgang mit der Zeit bewusster werden, die (hoffentlich) bis zum Rest meines Lebens geschenkt ist und die sehr unterschiedlich genutzt werden kann. 55 Setzen Sie sich bitte an einen ruhigen Ort, nehmen Sie Schreibmaterial mit und reservieren Sie sich genügend stille Zeit (mindestens 45 Minuten). 55 Bestimmen Sie Ihr Wunschalter, bis zu dem Sie aktiv und tatkräftig arbeiten und leben möchten. (Beispiel: »Ich will bis 85 Jahren fit und möglichst gesund sein«). 55 Berechnen Sie, wie viele Tage Ihnen von heute bis zu Ihrem Wunschalter (hoffentlich) bleiben. (Beispiel: aktuelles Alter: 45 Jahre – Wunschalter: 85 Jahre; 40 Jahre à 365 Tage = 14 610 Tage inkl. Schalttage) 55 Rechnen Sie diese Tage in Stunden um, wobei Sie die durchschnittliche Schlaf- und Ruhezeit (z. B. 8 Stunden) abziehen (Beispiel: 14 610 Tage x 16 (24–8) Stunden = 233 760 Stunden. 55 Nehmen Sie sich jetzt genügend Zeit und stellen Sie sich kritisch folgende Fragen: 55 Will ich den Rest meines Lebens in der bisherigen Art und Weise weiterleben? 55 Vertröste ich mich auf die Zukunft, z. B. auf die Pensionierung mit 65, um von da an »anders« zu leben? Damit bleibt mir evtl. nur noch die Hälfte der Zeit, d. h.116 880 Stunden. 55 Was will ich in meinem Leben noch »entfalten«? Welche Träume oder Sehnsüchte tauchen immer wieder auf und werden anschließend von mir verdrängt oder zur Seite geschoben? 14.1.4 »Blick auf meine Persönlichkeit« In der Selbstreflexion als Führungskraft kann ich mich immer wieder – in Bezug auf Stressoren – mit meinen Lebensgewohnheiten auseinandersetzen. Dabei können die folgenden Fragen nicht nur beantwortet werden, sondern ihre Relevanz auch mit A bis C (A = dringend und wichtig, B = wichtig, aber nicht dringend und C = Sonstiges, d. h. diesem Punkt kann man sich widmen, man muss es aber nicht unbedingt) gewichtet werden, sodass ich prioritär entsprechende Maßnahmen angehen kann. 55 Kann ich mir die nötige Anerkennung für die vielfältigen Tätigkeiten in meiner Rolle als Führungskraft bzw. in meinen privaten Rollen geben? 55 Kenne ich meine Antreiber (z. B. »Sei perfekt!«) und weiß ich Wege, wie ich mit ihnen gut umgehen kann? 55 Bin ich eher Skeptiker oder Optimist – und was hat das für mein Privatleben oder für meinen Beruf für (negative) Konsequenzen? 55 Habe ich Zugang zu meinen Lebens- und Kraftquellen? Selbstreflexion mit Lebensgewohnheiten
110 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung 55 Mache ich mir von Zeit zu Zeit Gedanken, ob mein Geist, mein Körper oder meine Seele genügend Aufmerksamkeit von mir bekommen? 55 Gönne ich mir gesunde Nahrung, Bewegung, Sport, Urlaub und Ruhezeiten? 55 Richte ich Berufs- und Privatleben nach Werten aus, und verfolge ich »Sinnspuren« in meinem Leben? 55 Kann ich mir Zeit gönnen, um innezuhalten und mir bewusst zu werden: 55 Wo stehe ich momentan: was freut mich, was bedrückt mich? 55 Wo will ich überhaupt hin, was ist mir wirklich wichtig im Leben? 55 Stehen meine Ziele im Einklang mit meiner Lebensvision (und meiner »Berufung«)? 55 Wie abhängig oder unabhängig bin ich in meiner Lebensplanung? Will ich mehr oder weniger auf die Meinung anderer achten? Muss ich jemandem beweisen, was ich alles imstande bin zu leisten? 55 Gibt es Zeiten, in denen ich in der Familie oder in der Organisation bzw. im Unternehmen »schweigend und hörend« da bin, um Stimmungen und Klima (besser) zu erfassen? 14.1.5 Arbeitsumfeld Rollenklarheit 14 Rolle als Schnittstelle zwischen Person und Organisation Rollenüberlastung Rollenkonflikt Rollenklarheit, -konflikte und -überlastung Neben diesen grundsätzlich auf die Lebensführung bezogenen Fragen und Anregungen ist es wichtig, sich auch das Arbeitsumfeld als Führungskraft anzuschauen. Als Quelle von ungutem Stress haben sich oftmals unklare Rollen, Rollenkonflikte oder Rollenüberlastung herausgestellt (Glatz & GrafGötz, 2007, S. 87–89). In der Selbstreflexion geht es hauptsächlich darum, die verschiedenen Selbstbilder und die Rollen im Privat- und Berufsleben kritisch zu überprüfen und ggfs. zu revidieren. Unter einer Rolle wird dabei die Schnittstelle zwischen der Organisation und der Person bestimmt. Eine Person, die in einer Organisation bzw. einem Unternehmen arbeitet, bekleidet dabei eine oder mehrere organisatorische Rollen, die sich auf seine Funktion und seine Aufgaben beziehen, z. B. »Bereichsleiter Marketing«. Hier kann es vorkommen, dass sich zwischen den Erwartungen, Bedürfnissen und Fähigkeiten, die die Person an diese Stelle mitbringt, und den Erwartungen und Bedürfnissen der Organisation Diskrepanzen ergeben oder diese überhaupt nicht geklärt sind. Ebenso kann es zu einer Rollenüberlastung kommen, weil die damit verbundenen Arbeiten nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit oder mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen sind. Ein Rollenkonflikt liegt vor, wenn durch mindestens zwei Personen ihnen gegenüber widersprüchliche Erwartungen geäußert werden. Am besten ist es in allen Fällen, möglichst rasch für Klarheit
14.1 • Sich selbst führen zu sorgen, um nicht unnötige Energie in diese Situation(en) zu investieren. Organisationsinterne soziale Rollen beziehen sich auf das Sozialverhalten als Rolleninhaber in der Organisation: Darunter fallen z. B. Fragen, wie ich als Chef das Verhältnis zu meinem Mitarbeitern gestalte (partnerschaftlich oder autoritär?) oder wie ich eine neue Situation gestalte, in der ich vom Mitarbeiter zum Chef einer Abteilung befördert wurde und nun die Beziehung zu den ehemaligen Kollegen klären möchte. Auch hier kann es zu Rollenunklarheit, -überlastung oder -konflikten kommen. Organisationsexterne soziale Rollen umfassen den Bereich des privaten und öffentlichen Lebens neben der Arbeit. Hier sind vielfältige Rollen denkbar, z. B. Familienvater, Ehemann, Trainer einer Fußballmannschaft oder Stadtpolitiker. Dabei kann es zwischen den einzelnen sozialen Rollen zu Konflikten, Unklarheiten oder Überlastung kommen: Als Familienvater möchte ich viel Zeit mit der Ehefrau und den Kindern verbringen, als Fußballtrainer stellt der Verein hohe Ansprüche an meine zeitliche Präsenz. Selbstverständlich kann es auch zu Konflikten zwischen den externen und den internen Rollen kommen, z. B. durch die Krankheit eines Kindes und die gleichzeitige Abwesenheit meines Ehepartners kann ich meine organisatorische Rolle im Moment nicht erfüllen, weil ich mich um das kranke Kind kümmern will oder muss. Zu diesen verschiedenen Rollen kann ich mir als Führungskraft folgende Fragen stellen: 55 Ist meine Rolle bzw. sind meine Rollen mit den entsprechen Erwartungen, Funktionen, Aufgaben, Kompetenzen, Ressourcen etc. in der Organisation bzw. im Unternehmen geklärt? 55 Kann ich diese Rolle(n) in der mir zur Verfügung stehenden Zeit und mit der zur Verfügung stehenden Kraft erledigen? 55 Gerate ich immer wieder in Konflikte um meine organisatorische oder organisationsinterne soziale Rolle(n)? 55 Wie bin ich mit meiner privaten Rolle als Ehemann oder Familienvater zufrieden? Kann ich die Erwartungen der Familienmitglieder und meine Erwartungen größtenteils in Einklang bringen? 55 Entstehen immer wieder Konflikte zwischen meinen privaten und organisatorischen Rollen, z. B. dadurch, dass ich zu viel Zeit in der Organisation bzw. im Unternehmen verbringe? 14.1.6 111 14 Organisationsinterne soziale Rollen Rollen im privaten und öffentlichen Leben Selbstmanagement als Führungskraft Meiner Einschätzung nach gibt es im Bereich von Zeitmanagement, Arbeitsorganisation oder Sitzungsgestaltung kaum eine größere Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Der Wunsch, die Arbeitszeit effizienter und effektiver nutzen zu können, der Wunsch nach einem optimal eingerichteten Arbeitsplatz oder der Wunsch Wunsch und Wirklichkeit
112 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Wille – Disziplin – Ausdauer Belastende Arbeitsumgebung? 14 nach kürzeren und effektiveren Sitzungen ist in vielen Chefetagen nicht zu überhören. Gleichzeitig zeigt die Realität, dass sich viele Führungskräfte oftmals mit reaktiven und unproduktiven Aktivitäten befassen. Es wird Zeitverlust durch das Lesen unwichtiger Mails oder durch unwichtige Anrufe generiert oder eine enorme Energie darauf verwandt, Krisen oder Konflikte zu meistern, die aufgrund zu wenig strategischer oder proaktiver Führung entstanden sind. Ein Spruch des römischen Philosophen Seneca, der im 1. Jh. n.Chr. lebte, trifft (leider) den Punkt: »Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.« Es geht also im Zeitmanagement nicht darum, die Zeit zu managen, sondern sich selbst in der Nutzung der zur Verfügung stehenden Zeit zu managen. Die folgenden Ausführungen verstehen sich nicht als umfassende Einführung ins Selbstmanagement, sondern sind als Anregung zur Reflexion und als erste Impulsgeber für Veränderungen gedacht. Die Literatur zum Selbstmanagement füllt ganze Bücherregale, so dass ich auf die Nennung konkreter Titel verzichte. Entscheidend ist allerdings, Veränderungen mit Wille, Disziplin und Ausdauer anzugehen. Ein nur halbherziger Veränderungswunsch ohne die nötige Willenskraft zur Umsetzung fällt ins Leere. Das Gleiche gilt für Disziplin und Ausdauer: Es lohnt sich, Verhaltensänderungen gezielt einzuüben. Es hat sich dabei bewährt, nicht alle Veränderungen auf einmal, sondern portionsweise Schritt für Schritt über einen längeren Zeitraum konkret anzugehen. Dazu gehört auch, sich dafür täglich, wöchentlich und monatlich eine gewisse Zeit (z.B. pro Tag 10 Minuten) für die Planung dieser Umsetzung zu reservieren (. Tab. 14.1). Des Weiteren ist es natürlich auch sinnvoll, sich über eine belastende Arbeitsumgebung Gedanken zu machen, z. B. ein Großraumbüro mit vielen Störfaktoren, schlechter Beleuchtung oder schlechter Zufuhr von frischer Luft. 14.2 Feldkompetenz wichtig Die Organisation bzw. das Unternehmen führen Es ist wohl eine »Binsenweisheit«, dass Führungskräfte in Organisationen und Unternehmen eine besondere Verantwortung für Disstress in der Organisation, bei ihren Mitarbeitern oder den Stakeholdern haben. Deshalb ist es wichtig, dass sich Führungskräfte immer wieder darüber Rechenschaft ablegen, was ihre Feldkompetenz ist und was es heißt, eine Organisation zu führen. Aus meiner Beratungspraxis kenne ich die narzistisch geprägte Haltung: Führungskräfte, die sich mitunter auch in neuen Bereichen nach einer kurzen Einarbeitungszeit als kompetent erleben und manchmal in Arbeitsabläufe einmischen, von denen sie überhaupt keine Ahnung haben. So kann es vorkommen, dass ein Manager aus der Automobilwirtschaft sich in Produktionsabläufe eines Lebensmittelkonzerns einmischt, ohne sich
Zeitmanagement – P: Pufferzeiten reservieren – L: Länge (Zeitdauer) abschätzen – A: Aktivitäten und Aufgaben erfassen – Ich plane nach der ALPEN-Methode: – Ich plane berufliche und private Termine fest ein. – Ich sortiere Prioritäten nach A-, B- und C-Aufgaben – Ich fertige einen Tages,- Monats,- Vierteljahres, -Jahresplan an. Ich verplane 60% meiner Arbeitszeit fest und lasse die übrige Zeit für Unvorhergesehenes frei. Konkrete Zeitplanung: Aktivitätenplanung: Ich ordne meinen Aktivitäten eine Priorität und einen Fertigstellungstermin zu und beziehe sie in die Jahres-, Monatsund Tagesplanung ein. Ich überprüfe die Aktivitätenliste periodisch, z. B. alle 2 Tage oder am Ende einer Woche. Zielplanung: Ich versehe meine Ziele und die daraus abgeleiteten Maßnahmen (für die nächsten Monate, Wochen, Tage) mit Prioritäten. Zeitfresser: Ich kenne meine Zeitfresser, z. B. Perfektionismus, nicht »Nein« sagen können, keine Ziele und Prioritäten. Verzicht: Ich weiß, worauf ich evtl. zukünftig verzichten, bzw. weniger Zeit investieren will. Zeit nehmen: Ich weiß, wofür ich mir in meinem Berufs- und Privatleben (Freizeit und lebensnotwendige Zeit) mehr Zeit nehmen will. Ich plane genügend Zeit für meine persönliche Weiterbildung in meinem Terminkalender ein. Ich nehme ausreichend Flüssigkeit zu mir (Wasser, Fruchtsäfte, Tee) und esse gesund und nicht zu viel. Ich baue immer wieder kreative (Bewegungs-)Pausen in meinen Arbeitsalltag ein: Treppensteigen statt Liftbenützung, Streck- und Dehnübungen, Musik zur Entspannung, Yoga, Meditation, Pilates etc. Ich beherrsche die Kunst des Delegierens: Was? An Wen? Was ist konkret zu tun? Welchen Freiraum gewähre ich? Wie interveniere ich ggf.? Wie bewerte ich die erbrachte Leistung (Controlling – bzw. loben) Ich habe ein gutes (elektronisches) Ablagesystem. Ich nutze technische Möglichkeiten, um mir die Arbeit zu erleichtern, z. B. die Notizfunktion im Smartphone zum Aufzeichnen guter Ideen. Ich habe einen gut aufgeräumten Arbeitsplatz. Veränderungen angehen: die Planung Arbeits- und Selbstorganisation . Tab. 14.1 14.2 • Die Organisation bzw. das Unternehmen führen 113 14
. Tab. 14.1 Fortsetzung 14 Ich nehme mir Zeit für meine privaten und familiären Kontakte und Verpflichtungen und plane dafür feste Termine ein. Ich beginne den Tag positiv und schließe ihn positiv ab (Ritual »Tagesbeginn« und »-rückblick«) Ich stelle das Telefon während der Zeit ab, in der ich nicht gestört werden will. Ich schaffe mir »Stille Stunden« (Sperrzeiten), z. B. am frühen Morgen oder nach der Mittagspause, um A-Aufgaben erledigen zu können. Ich bündele Detailaufgaben und führe diese im »Loch« meines Zeitplanes aus. Ich plane Zeit für kurze Besprechungen, Telefonate oder E-Mails ein. Ich schaffe Sprechzeiten, um Gespräche so besser lenken zu können. – Private Erledigungen – Zeit für Notizen – E-Mails – Telefonate – Termine – Neue Aufgaben – Unerledigte Aufgaben Der Aufgabenkatalog meiner Tagesplanung umfasst: – N: Nachkontrolle bzw. Unerledigtes auf den nächsten Tag übertragen – E: Entscheidungen über Prioritäten treffen 114 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung
115 14.2 • Die Organisation bzw. das Unternehmen führen Handlungsebenen – normativ – strategisch – operativ 14 Kernfunktionen – Planung – Organisation – Personaleinsatz – Steuerung Führungszweck – Verbinden – Entscheiden Feldkompetenz . Abb. 14.1 Erfolgsfaktoren Die Organisation führen Grundsätze und Werkzeuge Aspekte der Organisationsführung seriös eingearbeitet zu haben und die entsprechende Feldkompetenz zu besitzen. Generell gilt es, sich bewusst zu machen, dass sowohl Organisationen Führung beeinflussen als auch Führung die Organisation beeinflusst. Dabei spielt z. B. die Struktur (Matrixorganisation oder Linienorganisation) oder die Größe einer Organisation eine wichtige Rolle, weil in ihr die Komplexität des Führungshandelns größer ist. Ebenso ist es bedeutsam, zu berücksichtigen, in welcher Phase sich eine Organisation befindet: Eine sich im Aufbau befindliche Organisation stellt andere Anforderungen als eine, die schon etabliert ist und sich in der Differenzierungsphase befindet (Glasl & Lievegoed, 2004). Nicht zuletzt sollte ein neuer Manager in einer Firma, die von bestimmten Werten oder bestimmen Traditionen geprägt ist, diese berücksichtigen (Seliger, 2010, S. 169–198). Die folgenden Ausführungen fokussieren auf das Themenfeld »Organisation führen« (. Abb. 14.1). Sie gelten in analoger Art sowohl für größere Unternehmen bzw. Organisationen als auch für KMUs und stellen sich als Aufgabe für den Einzelunternehmer genauso wie für den Manager eines großen Konzerns. Die Auswirkungen des eigenen Handelns als Führungskraft betreffen mitunter viele Menschen und können sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Ebene der Organisation zu Distress führen. Gegenseitige Beeinflussung Führung – Organisation Organisation führen
116 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung 14.2.1 Führungskräfte ohne Fachkompetenz Überschätzung der Feldkompetenz und Einmischung in fremde Bereiche In Gesprächen mit Mitarbeitern von Unternehmen oder im Coaching von Führungskräften taucht immer wieder ein Phänomen auf: Führungskräfte mischen sich in Abläufe oder in die Anwendung von Technologien ein, obwohl sie dafür keine Fachkompetenz besitzen. Dazu ein Beispiel: Beispiel Die Führungskraft eines mittelständischen Unternehmens, der als Betriebsleiter für die Produktion verantwortlich ist, beklagt sich darüber, dass der CEO sich immer wieder in Produktionsabläufe einmischt, obwohl er von der Materie als ausgebildeter BWLer überhaupt keine Ahnung hat und auch bisher noch nicht in der Branche gearbeitet hat. Darüber hinaus macht er sich noch über Arbeiter lustig, die bei hohen Temperaturen und in Schutzkleidung ihre Arbeit verrichten. Die Einmischungen des CEO, der wohl von »Kontrollzwang« geleitet ist, werden nicht nur von den Mitarbeitern als erniedrigend erlebt, sondern auch vom Betriebsleiter als Einmischung in seine Kompetenzen beurteilt. Dazu besteht überhaupt kein Anlass, weil der Betrieb gut läuft und wirtschaftlich gesund dasteht. Nach seiner Interpretation mischt sich der CEO deshalb in seinen Bereich ein, weil ihm die Beschränkung auf die betriebswirtschaftliche Seite der Unternehmensführung zu wenig wäre. Klarheit über Position, Funktion und Rolle 14 Die hier gezeigte Selbstüberschätzung und mangelnde Sozialkompetenz des CEO löst Unwillen und Aggressionen bei dem Betriebsleiter und den Angestellten aus und führt damit zu Disstress, der nicht sein müsste. Deshalb ist es wichtig, sich als Führungskraft immer wieder darüber im Klaren zu sein, was die eigene Position (z. B. CEO), die meine Funktion mit den entsprechenden Aufgaben (z. B. Verkaufsleiter) und was die eigene Rolle mit dem erwünschten Verhalten in der Position und Funktion ist (die z. B. in einem Führungsleitbild dargestellt werden kann; Seliger, 2010, S. 73–80). Im aufgeführten Beispiel überschätzt der CEO ganz klar seine Fachkompetenz, indem er sich trotz fehlender Fachkompetenz in die Produktion einmischt. hat. Gleichzeitig hat er Defizite in der Fachkompetenz als Führungskraft, weil er Grundfehler begeht, die sich sehr negativ auf die Belegschaft und seinen Betriebsleiter auswirken.
14.2 • Die Organisation bzw. das Unternehmen führen 14.2.2 117 14 Mangelnde Managementkompetenz: unzureichende Wahrnehmung der zentralen Aufgaben Verbinden und Entscheiden In der Führungs- und Managementliteratur tauchen bisweilen Autoren von renommierten Unternehmen auf, die als (Ex-)Manager ihre Erfahrungen in Buchform an Kollegen weitergeben. Dabei werden auch sehr unterschiedliche Bilder von Führung sichtbar, die diese Personen in ihren Unternehmen verkörperten. Es gibt den »General«, der das Unternehmen in Krisenzeit mit harter Hand führte und sanierte, den »Experten«, der durch große Branchenkenntnis den Teilbereich eines Betriebs wieder »auf Vordermann brachte« oder den »Patron alter Schule«, dem neben dem Wohl des Unternehmens v. a. auch das Wohl der Mitarbeiter wichtig war. Es ist müßig, sich darüber zu streiten, wie eine ideale Führungskraft handelt; die heute meistvertretene Ansicht ist, dass eine situationsangepasste Führung die beste Art ist, um mit den unterschiedlichen Einflüssen, die auf Unternehmen im Inneren und Äußeren einwirken, fertig zu werden. Unabhängig von diesen Überlegungen ist es wichtig, sich immer wieder als Führungskraft über Sinn und Zweck des eigenen Führungshandelns Rechenschaft abzulegen (Seliger, 2010, S. 33–37). Es geht 55 einerseits darum, die Organisation mit ihren wichtigsten internen und externen Umwelten (z. B. Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Aktionären) zu verbinden, d. h. Beziehung und Kommunikation pflegen, um herauszufinden, was diese Umwelten bewegt und was das für die Organisation bedeutet. 55 andererseits darum Entscheidungen im Innern und Äußeren zu treffen. Diese sind deshalb nötig, weil Organisationen sowohl im Außen (in ihren Umwelten) als auch im Inneren (durch kommunikative Prozesse) mit enormer Komplexität konfrontiert sind. Im Äußeren gibt es die zahlreichen, sich z. T. widersprechenden Ansprüche der Stakeholder. Im Innen muss Kommunikation in der Organisation organisiert werden, die dort meist nicht direkt von Angesicht zu Angesicht stattfindet. Bei hoher Komplexität, d. h. vielen gleichzeitig auftauchenden Impulsen, entsteht Verwirrung und Unklarheit, bei zu geringer Komplexität werden wichtige Momente der Aktivitäten in der Organisation nicht wahrgenommen und infolgedessen sind zu treffende Entscheidungen zu wenig fundiert. Sowohl die Komplexitätsreduzierung als auch die -erweiterung sind von daher wichtige Aufgaben für Führungskräfte. Durch Entscheidungen (zu Zielen, Strategien oder Prozessen) wird Komplexität reduziert und eine Hierarchisierung von wichtigen Tätigkeiten vorgenommen. Auf diese Weise kann die Organisation mit einer klaren Fokussierung, Orientierung und Festigkeit in die Zukunft gehen. Mir scheint es dabei wichtig, immer wieder zu betonen, dass Prognosen, die Grundlage von Entscheidungen, mit Unsicherheit behaftet sind. »Bilder von Führung« Situationsangepasste Führung Verbindung Organisation – Umwelten Entscheidungen im Inneren und Äußeren treffen
118 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Das macht Entscheidungen zwar risikoreich – gleichzeitig sind aber solche Risiken nicht zu vermeiden. Stress durch (Nicht-)Entscheiden und (Nicht-)Verbinden Managementmodell als Orientierung Diese eher theoretischen Ausführungen scheinen auf den ersten Blick keinen Bezug zu Stress oder Burnout zu haben. Gleichwohl zeigen die Forschungsergebnisse, dass Führungskräfte diese Faktoren in ihrer Organisation sowohl positiv als auch negativ durch (Nicht-)Entscheiden und (Nicht-)Verbinden sehr wesentlich beeinflussen können. Um die oben skizzierten Aussagen in der Prophylaxe umsetzen und proaktiv handeln zu können, hilft es, sich an einem Managementmodell zu orientieren. Mögliche Modelle sind das St. Galler Management-Modell (Rüegg-Stürm, 2003) oder das in diesem Buch beschriebene Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung (7 Kap. 9). 14.2.3 Verbinden und entscheiden im normativen, strategischen und operativen Management Normatives Management 14 Sorgfältige Entscheidungsfindung nötig Managementkompetenz konkret: Herausforderungen des normativen, strategischen und operativen Managements Die Anwendung der zentralen Aufgaben von Verbinden und Entscheiden geschieht auf den Handlungsebenen des normativen, strategischen und operativen Managements. Die nachfolgende Aufteilung auf diese drei Ebenen dient der besseren Übersichtlichkeit. Grundsätzlich ist es für eine Führungskraft wichtig, die Vernetzung der einzelnen Ebenen immer wieder zu berücksichtigen (Waibel & Käppeli, 2009, S. 18–22). Beim normativen Management geht es darum, die unterschiedlichen Anspruchsgruppen mit ihren Wertvorstellungen und Interessen (z. B. Mitarbeiter wollen attraktive Arbeitsbedingungen, Aktionäre einen hohen Gewinn) wahrzunehmen und zwischen den z. T. widersprüchlichen Interessen eine Verständigung zu finden. Ein Leitbild, in dem sich das Management unter aktiver Beteiligung der Mitarbeiter und Eigentümer über grundsätzlich geltende Werte und Normen verständigt hat (evtl. unter Formulierung einer Unternehmensethik), erleichtert diesen Prozess ungemein. Beim Treffen von Entscheidungen versteht es sich von selbst, dass Alternativen bzgl. ihrer Vor- und Nachteile und ihrer Konsequenzen sorgsam analysiert und bewertet werden. Werden Entscheidungen ohne diesen sorgfältigen Prozess getroffen, können sie sehr rasch zu großen Turbulenzen und Irritationen führen: Die Eigentümer oder Aktionäre sind nicht mehr bereit zu einer Kapitalaufstockung, in der medialen Öffentlichkeit werden die Defizite des Unternehmens in puncto Umweltschutz ausführlich behandelt oder die Mitarbeiter sind mit der Mehrarbeit, die ohne Lohnausgleich eingeführt wurde, empört und verrichten einen »Dienst nach Vorschrift«. Führungskräfte sind für diesen Distress, der längerfristig zu ausgebrannten Mitarbeitern und zum ausgebrannten Unternehmen führen kann, voll verantwortlich (Greve, 2010).
14.2 • Die Organisation bzw. das Unternehmen führen Im strategischen Management ist es immer wieder die große Herausforderung, adäquat die Verbindung zur Umwelt und den Bedingungen auf dem Markt bzw. den Märkten zu suchen. Die Auseinandersetzung mit den folgenden Fragen darf für eine Führungskraft bzw. ein Führungsteam keine »Sonntagsveranstaltung« sein, sondern muss elementarer Bestandteil der Fachkompetenz von Führungskräften, ihnen also »in Fleisch und Blut« übergegangen sein. 55 Was ist unsere Vision? Welche Ziele sowohl qualitativer als auch quantitativer Art streben wir an? 55 Was ist unsere Mission? Was ist der Zweck unserer Organisation und wofür sind wir »die beste Adresse«? 55 Was macht die Organisation einzigartig? Was ist ihre USP (»unique selling proposition«), ihr Alleinstellungsmerkmal? 55 Mit welchen Maßnahmen erreicht die Organisation die festgelegten Ziele? In der operativen Umsetzung dieser Maßnahmen (operatives Management) sollte es immer wieder Ansporn sein, die gesteckten Ziele mit begrenzten Mitteln (Ressourcenknappheit) und unter Konkurrenzdruck zu erreichen. Reflexionen zu den drei Managementebenen werden in 7 Kap. 15 anhand des systemischen Organisationsmodells besprochen, weil Prophylaxe idealerweise unter Einbezug weiterer Führungskräfte, Teams und Mitarbeiter stattfinden. Gleichwohl sollte es für eine Führungskraft immer wieder auch Ansporn sein, diese Themenbereiche des Organisationsmodells zu reflektieren, weil sie aufgrund ihrer Position u. U. den unmittelbarsten Einfluss auf die Verbesserung oder Verschlechterung der einzelnen Faktoren hat. In Ergänzung und Vertiefung zu den Fragen halte ich folgende Punkte noch für bedenkenswert: Sinn, Identität, Entwicklung und Balance in Organisationen. 119 14 Strategisches Management Reflexionen als Führungskraft, im Team, mit Mitarbeitern Sinn in Organisationen Neben der Reflexion der vier Ebenen einer Organisation (Existenzgrund, Kultur, Ordnung, technisch-wirtschaftliche Ausstattung) stellt die »Sinndimension von Organisationen« eine besondere Herausforderung dar, weil hier die Verbindung des Individuums in seiner Suche nach Sinn mit der Organisation geschieht. Der einzelne Mitarbeiter kann Sinn für sich erfahren, indem er in der Organisation Sinn, sinnvolle Ziele und Aufgaben erfährt. Die Organisation ihrerseits wird durch Menschen herausgefordert, sich der Sinnfrage v. a. auch bei Change-Prozessen zu stellen. Sinn in Organisationen ist dabei ein Faktor, der im Existenzgrund aufscheint und mit Fragen verbunden ist wie: 55 Warum gibt es unsere Organisation – was ist unser Auftrag? 55 Was sollen wir für wen in dieser Gesellschaft bzw. Welt tun? 55 Wie zeigen sich Sinn und Werte in unserer Organisation? Mitarbeiter auf der Suche nach Sinn in der Organisation Sinn im »Existenzgrund«
120 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Sinn – Motivation – Leistung Erfahren Menschen Sinn in der Organisation, sind sie motiviert und leistungsfähig, weil sie sich mit Werten verbinden können und einen Horizont haben, der über die alltägliche Arbeit und Mühe hinausgeht. Gleichzeitig wird eine Organisation ohne Sinndimension in ihrer Existenzgrundlage bedroht, weil Energie und Motivation der Mitarbeiter verlorengeht. Identität der Organisation Leitbild Permanente Reflexion 14 Nicht selten geschieht es, dass Unternehmen ihre Corporate Identity hauptsächlich in Form von Logos, Hochglanzbroschüren oder spezieller Kleidung der Mitarbeiter zum Ausdruck bringen. Diese können zwar wichtige Elemente der Darstellung nach innen und außen sein, sie müssen allerdings mit Inhalten gefüllt werden. Ein dafür geeigneter Prozess ist die Erstellung eines Leitbildes, bei dem nicht das Endprodukt, sondern der Prozess das Entscheidende ist. Identität ist einerseits nach innen gerichtet und verbindet die Mitarbeiter in der Antwort auf Fragen wie: 55 Wer sind wir als Unternehmen bzw. als Organisation? 55 Was sind wichtige Entwicklungsschritte, die wir in den letzten Jahren gemacht haben? 55 Was beschäftigt uns heute und in (naher) Zukunft? 55 Welche Organisationskultur leben wir? Identität richtet sich aber auch nach außen und nimmt die Stakeholder oder Umweltsphären mit in den Blick, weil sie es sind, für die eine Dienstleistung erbracht, bzw. denen ein Produkt verkaufen werden will. Wichtig ist es, Fragen nach der Identität einer Organisation, die meist im Zusammenhang mit der Erstellung eines Leitbildes geklärt werden, im Alltagsgeschäft nicht zu vergessen, sondern permanent zu reflektieren. Dies ist nötig, weil sich sowohl die Organisation im Innern als auch die Umwelt permanent verändern und damit auch Weiterentwicklungen der Identität auslösen. Entwicklung der Organisation Evolutionäre oder revolutionäre Veränderungen Entwicklungsperspektive Organisationen stehen unter einem permanenten Druck, sich zu entwickeln, sei dies durch Druck von außen (z. B. durch den Markt oder durch die Anteilseigner) bzw. durch Druck von innen (z. B. durch Lancierung neuer Produkte oder eine neue Geschäftsführung). Der Druck kann dabei zu einer evolutionären Veränderung führen oder plötzlich radikal und »revolutionär« Althergebrachtes über den Haufen werfen. Wird durch eine Führungskraft (sei es ein CEO oder ein Abteilungsleiter) die Entwicklungsperspektive nicht gesehen und nicht bearbeitet, entwickeln die Kräfte von außen oder innen eine Eigendynamik und können zu negativen Ergebnissen führen. Um dies zu vermeiden, braucht es Entscheidungen, die allerdings immer mit dem Risiko einer ungewissen Zukunft getroffen werden und sich evtl. erst im Nachhinein als richtig oder falsch herausstellen.
14.2 • Die Organisation bzw. das Unternehmen führen Werden diese Entscheidungen nicht wahrgenommen, führt dies nicht selten zu großer Verunsicherung in der Belegschaft einer Organisation, weil Mitarbeiter vor Ort z. B. eine größere Kundennähe haben und Trends und Entwicklungen besser wahrnehmen als eine Führungskraft mit geringerer Kundennähe. Von daher ist diese Aufgabe selten allein zu erledigen; idealerweise wird die Intelligenz und Erfahrung vieler Mitarbeiter einbezogen, um zu richtigen Analysen, Diagnosen und Schlussfolgerungen zu kommen. Fragen, die in einem solchen Prozess gestellt werden können, sind z. B.: 55 Wie sind wir in der Vergangenheit mit Herausforderungen von außen (Markt erc.) oder innen umgegangen? Was hat sich dabei bewährt? 55 Wie sind wir im Markt positioniert bzgl. Produkt, Qualität, Kunden, Konkurrenten etc.? Wo liegen die größten Stärken, Schwächen, Bedrohungen und Chancen (SWOT-Analyse)? 55 Wie möchten wir in fünf oder zehn Jahren dastehen? Was soll unsere USP (unser Alleinstellungsmerkmal) sein? Wie kommen wir zu diesem Ziel? 121 14 Intelligenz und Erfahrung der Mitarbeiter nutzen Balance in der Organisation Aus systemischer Sicht ist ein Merkmal von Organisationen, dass diese bestrebt sind, in einer Balance, in der Homöostase zu sein. Dieser Zustand wird allerdings nur selten und nur für kurze Zeit erreicht– aufgrund der Veränderungskräfte im Inneren der Organisation bzw. durch Außeneinflüsse. Gleichwohl gilt es, die Balance als »Fließgleichgewicht sowohl im Inneren der Organisation als auch zwischen der Organisation und ihren Umwelten« (Seliger, 2010, S. 190) herzustellen. Fehlt dies, ist man Kräften ausgeliefert, die Veränderungsdruck erzeugen. Dies kann im Inneren eine Abteilung sein, die um die Priorisierung ihrer Projekte kämpft, oder im Außen das zu starke Berücksichtigen der Interessen der Anteilseigener zulasten der Belegschaft. So hat die einseitige Orientierung am Shareholder-Value anfangs dieses Jahrhunderts zu einer sinkenden Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen und zu sinkender Motivation geführt: zu einem Ungleichgewicht zugunsten der Anteilseigener. Ein gutes Mittel dafür, fehlende Balance zu erkennen, ist das Ernstnehmen von Kritikern und Nörglern. Sie sprechen oftmals Themen an, die aus der Balance geraten sind, und fordern die Balance auf mitunter provokative Art und Weise ein. Gleichwohl machen sie auf vergessene Aspekte aufmerksam, die prinzipiell auf allen Ebenen der Organisation anzutreffen sind (Strategie, Kultur, Vision, Ordnung etc.). Fragen, die die Balance in einer Organisation thematisieren, sind z. B.: 55 Ist die Balance zwischen den inneren und äußeren Kräften in der Organisation gegeben? 55 Wie wird mit widersprüchlichen inneren Kräften umgegangen? Gibt es ein Bestreben zur Balance? Balance herstellen Kritiker als Indikatoren eines Ungleichgewichtes
122 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung 55 Welche Konfliktthemen tauchen immer wieder auf, sind also organisationsimmanent? 55 Was könnten in Zukunft potenziell ein Ungleichgewicht auslösende Faktoren oder Ereignisse sein? 55 Wie wird in stabilen Phasen und in Veränderungsphasen der jeweils andere Pol aktiviert bzw. einbezogen, d. h. wie werden in Veränderungsphasen stabilisierende Elemente und in stabilen Phasen verändernde Momente einbezogen und gelebt? 14.2.4 Führungskreislauf Kernfunktionen und -aufgaben im Management Die folgenden Überlegungen (Waibel & Käppeli, 2010, S. 23–27) sind im Sinne grundlegender Aussagen auf viele Positionen und Funktionen anwendbar (z. B. Marketing, Produktion, Personal). Dabei werden in diesem Führungskreislauf in den äußeren Elementen mehr die rationalen Momente von Führen und Organisieren benannt, während im Zentrum stärker die psychologisch geprägten Elemente der Mitarbeiterführung stehen (. Abb. 14.2). Eine Führungskraft kann sich zu den einzelnen Funktionen und Aufgaben folgende Fragen stellen: zz Planung 55 Ist der Strategieprozess mit seinen drei Teilen Ist-Analyse, Vision und Strategieumsetzung sorgfältig durchgeführt worden? 55 Sind die aus der Strategie abgeleiteten Ziele, die Auswahl der Handlungsmöglichkeiten und die daraus abgeleiteten Maßnahmen konsistent und folgt alles in Maßnahmenplänen und Abläufen diesen Zielen? 55 Werden Trends frühzeitig erkannt? Gibt es eine regelmäßige Auseinandersetzung mit künftigen Entwicklungen? 14 zz Organisation 55 Sind die Strukturen, Prozesse und Abläufe zur Umsetzung der Ziele und Maßnahmen adäquat? Wo besteht Anpassungsbedarf? 55 Wird die Wirkung der Maßnahmen regelmäßig kontrolliert? Wird regelmäßig Feedback eingeholt (z. B. von Kunden oder Lieferanten)? 55 Sind Positionen, Funktionen, Aufgaben, Rollen etc. geklärt? 55 Werden Aufgaben koordiniert oder gibt es Doppelspurigkeiten? 55 Werden wichtige strategische und operative Entscheide genügend kommuniziert? zz Personaleinsatz 55 Hat die Auswahl des Personals und der Personaleinsatz sorgfältig stattgefunden? 55 Sind Mitarbeiter mit ihren Aufgaben über- oder unterfordert?
123 14.2 • Die Organisation bzw. das Unternehmen führen Planung – Ziele, Maßnahmen, Abläufe etc. – Was, wie erreichen? Steuerung – Ergebniserfassung – Vergleich Plandaten – Analyse Abweichungen – Neue Planung Führung im engeren Sinn Organisation – Umsetzung Planung – Kompetenzen – Koordination Aufgaben – Kommunikation Personaleinsatz – Adäquate Stellenbesetzungen – Blick auf "Human Ressources" . Abb. 14.2 Grundschema des Führungskreislaufs nach Waibel & Käppeli (2009, S. 24; mit freundlicher Genehmigung des Versus-Verlags) 55 Wird Wert auf die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern gelegt? Werden geeignete Instrumente des Human Ressources Management (z. B. Talentmanagement) angewandt. zz Steuerung 55 Werden kontinuierlich Ist- mit Sollzahlen verglichen? 55 Werden Abweichungen sorgfältig analysiert und Korrekturen eingeleitet? 55 Werden geeignete Instrumente für die Steuerung, also das Controlling, angewandt, z. B. die Balanced Score Card? zz Führung 55 Werden die Grundaufgaben von Führung, d. h. Information, Kommunikation, Personaleinsatz, Teamentwicklung, Konfliktmanagement, angemessen umgesetzt? Wo gibt es Defizite bzw. Handlungsbedarf? 55 Kann ich bzw. kann die Führung Mitarbeiter für die Vision, Mission und Strategie begeistern? 55 Werden Aufgaben mit der nötigen Sorgfalt und den nötigen Kompetenzen und Freiräumen delegiert? 14
124 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Finanzen – Return on Investment – Kosten – Umsatzrendite Kunden – Zufriedenheit – Marktanteil – Produkt- und Servicequalität Strategie – Marktanteil – Wertsteigerung – Innovation – USP Mitarbeiter – Führungsqualität – Motivation – Zufriedenheit – Produktivität Prozesse – Qualität – Effektivität – Effizienz- und Produktivitätssteigerung . Abb. 14.3 Schlüsselfaktoren Unternehmenserfolg nach Waibel & Käppeli (2009, S. 44; mit freundlicher Genehmigung des Versus-Verlags) Schlüsselfaktoren für Unternehmenserfolg 14 Als Schlüsselfaktoren für den Erfolg eines Unternehmens gelten im Rahmen eines Modells des unternehmerischen Handelns (das Gleiche gilt auch in abgewandelter Form für Non-Profit-Organisationen) die in . Abb. 14.3 genannten Aspekte. Sie sind je mit einer unternehmerischen Perspektive verknüpft und stellen eine Auswahl dar. 14.2.5 Instrumente und Haltungen Grundsätze und Werkzeuge des Führens Die Umsetzung und Realisierung der Kernfunktionen und Kernaufgaben bedarf einer Vielzahl von Instrumenten und Haltungen, um die gewünschten Effekte zu erreichen. Dabei ist es entscheidend, die Grundsätze und Werkzeuge nicht nur zu kennen, sondern im Alltag auch anzuwenden. Deshalb werden im Sinne einer »Merkliste« die wichtigsten Grundsätze und Werkzeuge noch einmal in Erinnerung gerufen (auf Führungstechniken (z. B. Management by ideas, oder Management by objektives) wird im Rahmen des Buches nicht gesondert eingegangen; nähere Hinweise s. Glasl, 2004, S. 174–192).
14.3 • Mitarbeiter führen 125 14 Grundsätze des Führens Der Fokus dieser Grundsätze (Glatz & Graf-Götz, 2007, S. 118 f) liegt darin, als Führungskraft vorbildhaft und mit klarer Ausrichtung zu handeln, um damit die Mitarbeiter bzw. Teams zum Erfolg anzustiften. 55 Orientieren Sie sich am Ergebnis der Arbeit und nicht am Arbeitsaufwand. Ein hoher Arbeitsaufwand führt nicht zwangsläufig zu einem guten Ergebnis. Das Ergebnis ist das entscheidende Faktum. 55 Vertiefen Sie sich nicht detailverliebt in jede Kleinigkeit, sondern konzentrieren Sie sich im Sinne eines »Generals« auf die wichtigsten Fakten und Tätigkeiten. 55 Seien Sie sich der Risiken des Führens bewusst und treffen Sie Entscheidungen immer wieder unter Berücksichtigung von Ungewissheiten und kommunizieren Sie diese auch so. 55 Trennen Sie sich durch Delegation von bestimmten Aufgaben, die andere (evtl. sogar besser) erledigen können. 55 Konzentrieren Sie sich auf die eigenen und die Stärken der Mitarbeiter. Damit ist man selbst und sind Menschen und Teams zu Höchstleistungen fähig. 55 Verhalten Sie sich wertschätzend und integer gegenüber Kunden, Mitarbeitern und anderen Anspruchsgruppen. Dadurch wird Vertrauen in sie als Führungskraft und in die Organisation aufgebaut. 55 Holen Sie sich durch Coaching oder Gedankenaustausch in ERFA-Gruppen Unterstützung. Vorbild sein und klare Ausrichtung »Werkzeuge des Führens Der Alltag einer Führungskraft ist bestimmt von ganz konkreten Aufgaben, z. B. Gesprächen mit Mitarbeitern oder Strategiekonferenzen, für die es nützlich ist, bestimmte »Werkzeuge« zur Verfügung zu haben. Die Fragen in . Tab. 14.2 greifen den Einsatz dieser Werkzeuge im Sinne einer Praxisreflexion auf (Glatz & Graf-Götz, 2007, S. 118 f). 14.3 Tätigkeiten als Werkzeuge Mitarbeiter führen Es wäre vermessen, innerhalb der Thematik »Prophylaxe von Stress und Burnout« eine umfassende Anleitung zur Mitarbeiterführung zu geben. Dazu sind die Felder der Mitarbeiterführung, z. B. Führung durch persönliches Vorbild, Kommunikationsfähigkeit, Führung von Teams oder gruppendynamisches Wissen, zu komplex und vielfältig (Seliger, 2010, S. 140–169). Ich beschränke mich daher auf vier Unterthemen und deute weitere Aspekte nur an. Aus meiner Beratungserfahrung ist es wichtig, 55 sich immer wieder »klassische Fehler«, die Führungskräfte begehen, bewusst zu machen. Dabei kommt es durchaus vor, dass die Bewusstwerdung schon oft erfolgt ist, die Implementierung in Vier Unterthemen
Kommunizieren Informieren Beurteilen Fördern Entscheiden Verhandeln Delegieren Kann ich Mitarbeiter, Kunden und evtl. Vorgesetzte von meinen Ideen überzeugen und sie dafür gewinnen? Initiative ergreifen Rede ich mit Mitarbeitern und Kollegen offen und ehrlich? Bemühe ich mich auch in schwierigen Situationen um authentische Kommunikation? Verwende ich geeignete Informationskanäle? Führe ich regelmäßig Gespräche mit Mitarbeitern über aktuelle und für sie relevante Themen? Lebe ich eine Fehlerkultur vor, die Fehler als Lernchance sieht? Beurteile ich meine Mitarbeiter in konstruktiver Art für die bisher geleistete Arbeit und unterstütze ich sie in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten? Erkenne ich ihre Erfolge in ausreichendem Maße an? Fördere ich die Mitarbeiter in ihrem fachlichen und menschlichen Potenzial? Beziehe ich in meine Entscheidungen die davon Betroffenen ein? Entscheide ich auf Grundlage der mir jetzt vorliegenden Informationen klar und eindeutig? Behandele ich meine Verhandlungspartner fair und strebe ich bei Konflikten eine Win-win-Situation an? Verhandele ich sachlich und ergebnisorientiert? Kann ich zur Entwicklung ihrer Fähigkeiten meine Mitarbeiter herausfordern und unterstütze ich sie bei evtl. auftretenden größeren Schwierigkeiten? Habe ich klare Vorgaben bei meinen Delegationen? Kann ich mich auf das Wesentlichste konzentrieren? Gestalte ich Sitzungen und Besprechungen aktiv mit? Fordere ich Ergebnisse ein? Setze ich klare Ziele und gebe ich klare Vorgaben? Kriterien Tätigkeit (Werkzeug) Fragenkatalog für den Praxisalltag 14 . Tab. 14.2 126 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung
14.3 • Mitarbeiter führen 127 14 den Führungsalltag aber noch zu wünschen übrig lässt. Kurzum, die tägliche Arbeit mit diesen »klassischen Fehlern« ist gefragt; 55 die Mitarbeiter mit ihrer Produktivität, Zufriedenheit, Motivation und der Unternehmenskultur im Blick zu haben; 55 den Zyklus von »Ziele setzen, beobachten, Informationen gewinnen etc.« zu beachten; 55 die Rollenerwartungen der Mitarbeiter und der Organisation zur Sprache zu bringen, möglichst gute Bedingungen zur Leistungserbringung zu schaffen und »Teamgeist« zu fördern. 14.3.1 »Führung als Kunst« – wider triviale Annahmen Es gibt nicht den »richtigen« Führungsstil Bisweilen herrscht in der Literatur über Mitarbeiterführung der Eindruck, dass der Bestseller xy den ultimativen Führungsstil beschreibt, der ab jetzt (nach dem Lehrbuch) anzuwenden ist und Erfolg verspricht. Aus systemischer Sicht hängt der »richtige Führungsstil« ab von 55 der Reife der Mitarbeiter. Eine Person, die bisher als »Einzelkämpfer« eine gute Arbeit machte, ist schnell damit überfordert, die Leitung eines Teams zu übernehmen. Sie ist weder dafür ausgebildet, noch der »Leadertyp«. 55 der Art der Aufgabe. Es kann sein, dass ein Mitarbeiter seine bisherigen Tätigkeiten, die in klaren Abläufen geregelt sind, gut bewältigen kann. Anspruchsvollere, komplexere Aufgaben erfordern mehr Aufmerksamkeit und einen viel »engeren Führungsstil«. 55 der Entscheidungssituation. Muss eine Entscheidung unter Zeitdruck getroffen werden, kann ein partizipativer Führungsstil schnell an seine Grenze kommen. Dann ist Entscheidungsmacht gefragt! 55 darüber hinaus auch von der Beziehung der Führungskraft zum Mitarbeiter und seiner Position in der Organisation. Ist die Beziehung sehr konflikthaft, braucht es mehr Vorsicht und Aufmerksamkeit. Sind darüber hinaus mit der aktuellen Position viele Unklarheiten verbunden (z. B. nicht definierte Kompetenzen), wird die Akzeptanz einer »Anweisung von oben« gering sein. Kein »richtiger« Führungsstil Führung funktioniert nicht nach dem Input-outputSchema Bisweilen herrscht (noch) in manchen »Teppichetagen« die Ansicht, dass Mitarbeiter nach dem Muster von Befehl und Gehorsam geführt werden können und dass man 1:1 die Ergebnisse als Output erhält, die in Form einer Anweisung oder eines Befehls als Input gegeben wurden. Befehl und Gehorsam?
128 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Demgegenüber gilt es zu betonen, dass jeder Input im Empfänger einer Nachricht – je nach seiner aktuell persönlichen Verfasstheit (Laune, Stresslevel etc.) – anders beantwortet wird. Deshalb ist es als Führungskraft wichtig, sich immer wieder mit dem Empfänger seiner Anweisung zu verbinden, um zu schauen, was mit dem Input geschehen ist. So kann es evtl. wichtig sein, Anpassungen in der Kommunikation vorzunehmen, um ein gewünschtes Resultat eher zu erreichen. Führung im Zusammenspiel nichttrivialer Systeme Gewohnheiten und Interessen erschweren Führung Berechenbares Verhalten 14 Die o.g. Ausführungen betreffen nicht nur die Face-to-face-Kommunikation, sondern sie treffen für Organisationen und ihre Systembestandteile insgesamt zu. Ich kann nicht vorhersagen, wie eine Anregung von mir als Führungskraft von einem Team aufgenommen wird und was daraus an Reaktionen erfolgt. Es entscheidet selbst, was es mit meinem Auftrag macht. Dabei spielen bestimmte Gewohnheiten oder aktuelle Interessen eine große Rolle. Die einzelnen Subsysteme in einer Organisation sind also in ihrem Verhalten unberechenbar und nicht wie ein Auto mit einer klaren Bewegung des Lenkrads steuerbar. Ein Vorgesetzter kann also eine in seinen Augen »lahme Abteilung« nicht durch Befehl »auf Vordermann« bringen. Die Abteilung entscheidet selbst, ob sie sich auf den Befehl einlässt oder ihn boykottiert. Gleichwohl verhalten sich Individuum und Gruppen in Organisationen auch trivial, d. h. berechenbar, weil sie sich entschieden haben, zum Wohle der Gesamtorganisation voraussehbare Handlungen zu vollbringen. Eine Feuerwehrabteilung, die an einem Brandherd nicht trivial arbeitet, gefährdet mitunter den gesetzten Auftrag der Brandlöschung und macht eine koordinierte Aktion der unterschiedlichen Löschtrupps unmöglich. Diese wenigen Bemerkungen mögen genügen, um den Blick hinzuwenden zum »Eigentlichen« von Führung, nämlich Organisationen oder Unternehmen zu ermöglichen, dass sie erfolgreich sind. Der Fokus auf den Erfolg und den Beitrag der Mitarbeiter bildet einen wichtigen Rahmen von Führung. 14.3.2 Mitarbeiterorientiere Unternehmensführung Indikatoren von Disstress Der Beitrag der Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg Im Folgenden werde ich Kernelemente einer »mitarbeiterorientierten Unternehmensführung« , die an die Schlüsselfaktoren für den Unternehmenserfolg anknüpft, in Umrissen schildern und durch grundlegende Aspekte und Themen vertiefen und erweitern (Waibel & Käppeli, 2009, S. 283–337). Wichtige Indikatoren für Disstress in einer Organisation oder einem Unternehmen sind eine geringe bzw. geringere Arbeitsproduktivität und Arbeitszufriedenheit, eine mangelnde Motivation der Mitarbeiter und Defizite in der Unternehmenskultur. Bei näherer Be-
14.3 • Mitarbeiter führen trachtung dieser vier Elemente können wertvolle Hinweise nicht nur für den Umgang mit Disstress, sondern auch für die Verbesserung des Unternehmenserfolgs gewonnen werden. Ich werde in Kernaussagen auf die Elemente eingehen und damit Führungskräften Momente der Reflexion bieten. Eine hohe Arbeitsproduktivität setzt sich aus einer Vielzahl von Ursachen zusammen: Dazu gehören z. B. ein gutes Leistungsvermögen des Mitarbeiters, eine gute Bezahlung, gute organisatorische Rahmenbedingungen, ein gutes Betriebsklima oder auch die »Erfahrung von Sinn« im ganz konkreten Tun. Eine hohe Arbeitszufriedenheit ergibt sich auch aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren. Wichtig sind über einen interessanten Inhalt der jeweiligen Arbeit hinaus v. a. Möglichkeiten zur eigenständigen Arbeitsgestaltung, persönliche Spielräume bei Entscheidungen, Wertschätzung der Person und der Arbeitsleistung, gute Beziehungen zu Kollegen oder Möglichkeiten zur Weiterbildung. Wird die Zufriedenheit eines Mitarbeiters oder einer ganzen Abteilung nicht beachtet, darf eine Kündigung von qualifizierten Kräften nicht verwundern. Eine hohe Mitarbeitermotivation wird durch eine innere (intrinsische) Motivation ebenso gefördert wie durch eine äußere (extrinsische) Motivation. Bei intrinsischer Motivation werden den Mitarbeitern Aufgaben gegeben, die für sie wertvoll sind, die sie fordern, aber nicht überfordern, oder es wird ihnen Verantwortung für etwas übertragen – mit den entsprechenden Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheiten. Die extrinsischen Anreize haben nichts mehr mit der Art der Tätigkeit zu tun, sondern honorieren das Ergebnis bzw. die Qualität der Arbeit in Form von Belohnungen (Geld, Karriereschritt etc.). Ideal ist es, wenn Führungskräfte es erreichen, dass beide Anreizsysteme zueinander passen, d. h. Arbeitnehmer bei ihrer intrinsischen Motivation »gepackt« werden und zugleich eine entsprechende Belohnung von außen erhalten. Lange Zeit wurde die Bedeutung der Unternehmenskultur für den Erfolg eines Unternehmens gering geschätzt. Die dazugehörigen Momente wurden als »soft facts« von rein an Zahlen orientierten Managern kleingeredet. Diese Sichtweise hat sich allerdings verändert. Der Erfolg eines Unternehmens ist wesentlich durch die Unternehmenskultur geprägt. Dies zeigt sich z. B. darin, dass die Art, wie mit Reklamationen von Kunden umgegangen wird, wesentlich durch die Unternehmenskultur bestimmt wird. Das gleiche gilt auch für Faktoren wie Innovationskraft oder Produkt- und Dienstleistungsqualität. »Eine leistungs-, kunden- und qualitätsorientierte Unternehmenskultur ist deshalb ein ganz entscheidender, wenn auch schwer greifbarer und messbarer Differenzierungsfaktor« (Waibel & Käppeli, 2009, S. 291). 129 14 Arbeitsproduktivität Arbeitszufriedenheit Mitarbeitermotivation Unternehmenskultur
130 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung Ziele vereinbaren Neue Ziele bzw. neue Interventionen Informationen gewinnen Feedback geben Ressourcenorientierte Hypothesen Fragen . Abb. 14.4 Führungskreislauf Zielgerichtete Führung 14.3.3 Führung im Kommunikationsprozess Um eine hohe Arbeitsproduktivität, eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit oder eine hohe Mitarbeitermotivation zu erreichen und eine gute Unternehmenskultur aufzubauen, muss die Führung zielgerichtet betrieben werden. Deshalb soll im Folgenden der Führungsprozess beschrieben werden (. Abb. 14.4), bevor genauer auf die Inhalte dieses Prozesses eingegangen wird. Die sorgfältige Ausführung dieses Prozesses wirkt in vielen Fällen stressmindernd, weil schon früh Fehlentwicklungen erkannt werden können, die sich in Frust oder Konflikten niederschlagen könnten. 14 zz Ziele setzen Ziele und Kriterien Ziele können Menschen motivieren, zur Kreativität anstacheln und oftmals ungeahnte Kräfte freisetzen. Ziele geben eine Orientierung, wohin sich eine Organisation sowohl quantitativ als auch qualitativ entwickeln will. Ziele sollten immer mit möglichst genau definierten Kriterien versehen werden, woran die Zielerreichung »gemessen« werden kann. Dabei gilt es, Kriterien auch für die »soft facts« zu formulieren, z. B. Kriterien für die Arbeitsmotivation oder Unternehmenskultur. Die Formulierung von Zielen sollte u. a. folgende Elemente beinhalten:
14.3 • Mitarbeiter führen 131 14 55 Was ist das Ziel und was soll damit erreicht werden? 55 An welchen Kriterien ist zu erkennen, dass das Ziel bzw. die Ziele erreicht wurden? 55 Welche Vor- und Nachteile sind für bestimmte Gruppen mit dem jeweiligen Ziel verbunden? 55 Wer soll in die Zielfindung mit einbezogen werden? 55 Was soll wie, wo, wann, von wem erreicht werden? Welche hindernden Kräfte können evtl. auftauchen? zz Informationen zur Umsetzung sammeln Controlling Es ist bekanntlich nicht damit getan, dass Ziele gesetzt werden; es muss auch geprüft werden, ob Ziele tatsächlich in Maßnahmen umgesetzt und erreicht werden. Es gilt also, genau zu beobachten, wahrzunehmen und zu bewerten, ob sich ein Unterschied im Prozess der Zielerreichung ergibt. Dies bedeutet, im gesamten Prozess immer wieder zu reflektieren, ob die ursprünglichen formulierten Ziele und Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden. Ist dies nicht der Fall, müssen die Ziele verändert werden bzw. andere Maßnahmen und Werkzeuge ausgewählt werden, um die (neuen) Ziele zu erreichen. zz Verdichtung von Informationen in ressourcenorientierten Hypothesen Informationsgewinnung Die mitunter große Fülle an gewonnenen Informationen muss auf wesentliche Kernaussagen »verdichtet« werden. Diese Aufgabe übernehmen Hypothesen, die idealerweise nicht an den Defiziten ausgerichtet sind, sondern in wertschätzender Art und Weise lösungs- und ressourcenorientiert Möglichkeiten zur Bewältigung eröffnen. Dazu ein kurzes Beispiel: Stelle ich bei meinen Beobachtungen fest, dass die vereinbarten Ziele und Maßnahmen zu großen Konflikten in und zwischen Abteilungen führen, nützt es wenig, diesen Zustand zu bedauern. Stattdessen kann ich mich fragen: Welche Anpassungen muss bzw. kann ich vornehmen, damit die betroffenen Mitarbeiter mit ihren Ressourcen eine verantwortbare Lösung umsetzen können? zz Fragen Im Prozess der Informationsgewinnung bin ich nicht nur auf passive Beobachtungen angewiesen. Ich kann mich ebenso mit Fragen vertieft »in die Welt des Mitarbeiters« hineinbegeben, um so sein Verhalten besser zu verstehen. Damit kann ich als Führungskraft nicht nur Neues für mich selbst erschließen, sondern durch geschicktes Fragen auch evtl. Nachdenken beim Befragten auslösen und ihn zu neuem Handeln anstiften. zz Feedback geben Erst durch Feedback wird für den Mitarbeiter klar, ob seine erbrachte Leistung gut oder nur knapp ausreichend war. Ohne Feedback »hängt er in der Luft« und weiß nicht, woran er ist. Feedback ist allerdings Passive Beobachtung und aktives Fragen Feedback
132 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung keine Einwegkommunikation Führungskraft – Mitarbeiter sondern sollte auch in umgekehrter Richtung erfolgen. Eine Führungskraft kann nur dann ihre Anweisungen ändern, wenn sie z. B. Informationen über die Erfolglosigkeit der angeordneten Maßnahmen hat. Neue Ziele und Interventionen zz Neue Ziele vereinbaren oder Interventionen durchführen Sind die gesetzten Ziele erreicht worden, können evtl. neue vereinbart werden. Tauchen dagegen Schwierigkeiten in der Umsetzung auf, gilt es neue, passende Interventionen durchzuführen, um die gesteckten Ziele doch noch zu erreichen. Mitunter kann auch eine Revision der Ziele wichtig und sinnvoll sein. 14.3.4 Rollenerwartung, Motivation, Zusammenarbeit Grundlegende Themen im Führungsprozess Unabhängig von der Art des Unternehmens oder der Organisation tauchen für Führungskräfte immer wieder drei grundlegende Herausforderungen in der Mitarbeiterführung auf: 55 Wie kann ich die Rollenerwartung des Mitarbeiters mit den Erwartungen des Unternehmens verbinden? 55 Wie kann ich Mitarbeiter dazu motivieren, ihre Arbeitskraft in den Dienst der Organisation zu stellen, sodass sie eine gute Leistung erbringen? 55 Wie kann ich eine gute Zusammenarbeit von Mitarbeitern in einem Team unterstützen? Rollenklärung und »emotionale Passung« Erwartungen Mitarbeiter – Erwartungen Organisation 14 Klare Rollenklärung Position Rollen Kommt ein neuer Mitarbeiter, der sich auf ein Stelleninserat beworben hat, in ein Unternehmen, ist er in der Regel von zweierlei Erwartungen geprägt: Er möchte einerseits einen interessanten Job ausführen und andererseits Geld für seinen Lebensunterhalt verdienen. Die Organisation ihrerseits ist (nur) an der professionell ausgeführten Arbeit des Mitarbeiters interessiert, nicht jedoch an seinen persönlichen Bedürfnissen. Um diese unterschiedlichen Bedürfnisse von Organisation und Mitarbeiter zu verbinden, ist es wichtig, eine klare Rollenklärung vorzunehmen. Zur Erinnerung: Die Position bezeichnet den im Organigramm vorgesehen Platz eines Mitarbeiters, z. B. Abteilungsleiter oder Stabsmitarbeiter. Die Position wird durch Funktionen (z. B. Verantwortung für den Einkauf in der Abteilung xy) und Aufgaben (z. B. Führung der elektronischen Agenda des Chefs) genauer beschrieben. Rollen sind dagegen oftmals nicht präzise formuliert und finden sich auch selten in Arbeitsplatzbeschreibungen. Gleichwohl ist es wichtig, sie zu thematisieren, weil ansonsten z. B. aufgrund von Rollenunklarheit Konflikte entstehen können und die Enttäuschung aufseiten des Mitarbeiters (und der Führungskraft) vorprogrammiert ist (»So habe ich mir die Arbeit nicht vorgestellt, ich wollte eigent-
14.3 • Mitarbeiter führen 133 14 lich…«). Um die Verbindung des Mitarbeiters mit der Organisation zu gewährleisten, ist es deshalb wichtig, in der Rollenklärung folgende Themen anzusprechen: 55 Was sind die Rollenerwartungen des (neuen) Mitarbeiters? 55 Was sind die Rollenerwartungen der Organisation an den Mitarbeiter? 55 Was sind die spezifischen Rollenerwartungen der Führungskraft an diesen Mitarbeiter? 55 Wo braucht es spezifische Klärungen und Anpassungen? Es versteht sich von selbst, dass Rollenklärungen keine Einmalveranstaltungen sind, sondern immer wieder thematisiert werden müssen, d. h. sie sind wie der Führungskreislauf immer wieder zu reflektieren und evtl. neu auszuhandeln. Neben der Rollenklärung gilt es, ein weiteres Augenmerk darauf zu richten, ob die »Chemie« zwischen Führungskraft und Mitarbeiter stimmt. Die Rollen können noch so klar kommuniziert und miteinander verbunden sein – wenn die Eigenheiten oder Verhaltensweisen zweier Menschen nicht zusammenpassen, sind Unzufriedenheit und Konflikte vorprogrammiert. Deshalb ist es keine schlechte Prophylaxe, wenn die Führungskraft eine gute Kenntnis der eigenen Persönlichkeit hat, ihre Stärken und Schwächen kennt und weiß, welche heiklen Situationen sie ärgern und provozieren. Permanente Rollenklärungen Emotionale Passung (»Chemie«) Motivation als Schlüssel zur Arbeitszufriedenheit und -produktivität Eine Kernaufgabe, um Menschen mit ihren (Rollen-)Erwartungen zu einer guten Arbeitsproduktivität zu führen, ist die Gestaltung der Motivation. Dabei gilt es zu bedenken, dass die intrinsische Motivation von Menschen nicht von außen gesteuert werden kann; ihre Interessen, Ziele, Bedürfnisse oder Vorlieben entziehen sich dem direkten Einfluss. Gleichwohl gilt es zu sehen, dass die intrinsische Motivation von Menschen keine statische Größe ist, sondern sich immer wieder verändert. Dadurch bietet sich die Chance, auf die (Arbeits-)Umgebung einzuwirken, damit Menschen mit ihrer jeweils spezifischen intrinsischen Motivation dazu bewegt werden, mit Freude eine gute Arbeit zu vollbringen. Dazu können einige Schlüsselfragen helfen: zz Fokus: Was treibt meine Mitarbeiter an? 55 Welche Teile der Arbeit machen meinen Mitarbeitern Freude? 55 Was sind intrinsische Motive meiner Mitarbeiter (Ziele, Bedürfnisse etc.) an diesem Arbeitsplatz bzw. in dieser Organisation? 55 Welche Erwartungen haben die Mitarbeiter an mich als Führungskraft und an die Organisation? Kann ich darauf entsprechend eingehen? Sind die Rollen geklärt? 55 Was löst eine außergewöhnliche Leistungsbereitschaft bei meinen Mitarbeitern aus? Intrinsische Motivation von außen nicht steuerbar Einwirkung auf Umgebung
134 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung zz Fokus: Meine Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz 55 Wie motiviert erlebe ich meine Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz auf der Skala von 1 bis 10? 55 An welchen Beobachtungen mache ich meine Bewertung fest? 55 Was müsste ich tun, um einen höheren Wert zu erreichen? 55 Was sind Erfolgserlebnisse, die meine Mitarbeiter freuen? 55 Welche konflikthaften Situationen tauchen immer wieder auf? 55 Haben die Mitarbeiter die für ihre Arbeit notwendigen Ressourcen (Räume, Arbeitsmittel, Finanzen etc.)? zz Fokus: Meine Mitarbeiter und ich als Führungskraft 55 Mit welcher »Brille« sehe ich meine Mitarbeiter: 55 Sind sie X-Typen, d. h. unmotiviert und faul, sodass sie mich als Antreiber brauchen? 55 Oder sind sie Y-Typen, d. h. motiviert und bestrebt, eine gute Arbeit zu machen, sodass meine Aufgabe ist, ihnen entsprechende Aufgaben und Verantwortungen zu geben? 55 Was sollte ich als Führungskraft unterlassen, um meine Mitarbeiter nicht zu demotivieren? 55 Was kann ich tun, um meine Mitarbeiter zu großer Motivation »anzustiften«? 55 Was löst eine vorübergehende Demotivation meiner Mitarbeiter bei mir aus? 55 Wie können meine Mitarbeiter mich ihrerseits als Führungskraft motivieren? zz Fokus: Ich als Führungskraft 55 Was motiviert mich selbst in dieser Organisation? 55 Wie und wie oft spreche ich meine Wertschätzung für die Arbeit meiner Mitarbeiter aus? 55 Wie und wie oft gebe ich konstruktives Feedback? 55 Kann ich meinerseits Feedback von Mitarbeitern annehmen? 14 Teamführung als Herausforderung Unterstützung guter Teamzusammenarbeit In vielen Unternehmen sind gerade Teams zur Erfüllung von Arbeitsaufgaben nicht wegzudenken. Die besondere Herausforderung für Führungskräfte ist es, sich immer wieder zu fragen, wie sie eine gute Zusammenarbeit in einem Team oder zwischen Teams unterstützen können. Dies kann einerseits in der Position als Teamleiter sein oder der Funktion als Führungskraft, die den Teams bestimmte Aufgaben gibt. In einem Team können vielfältige Situationen entstehen, die zu Burnout führen können, z. B.: 55 Die Ziele und Aufgaben eines Projekts, das in einem Team bearbeitet werden soll, sind nicht oder nur unzureichend geklärt. Das kann bei leistungsbereiten Teams dazu führen, dass sie mit der Arbeit beginnen, ohne zu realisieren, dass sie in eine Überforderung hineingehen. Die Arbeitslast wird immer größer und kann
14.3 • Mitarbeiter führen 135 14 so bei einzelnen Mitarbeitern zu starken Stresssymptomen bis hin zu einem Burnout führen. 55 In einem Team wurde durch die Geschäftsleitung ein neuer Teamleiter eingesetzt mit der Erwartung, das Team zu mehr Leistungsbereitschaft zu bringen. Die Rollenerwartung der Teammitglieder ihrerseits war, dass der neue Teamleiter mehr Verständnis für die schon jetzt herrschende permanente Arbeitsüberlastung zeigen und sich gegenüber der Geschäftsleitung für die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter einsetzen solle. Dieser Rollenkonflikt, dem der Teamleiter in seiner Sandwich-Position ausgesetzt ist, kann längerfristig ebenfalls zu Burnout führen. 55 Neid, Missgunst oder Rivalitäten führen mitunter zur Ausgrenzung einzelner Mitarbeiter bis hin zu Mobbing-Situationen. Wird in solchen Situationen von der Team- oder Geschäftsleitung nicht eingeschritten, können Menschen in ein Burnout geraten. 55 Burnout kann auch dadurch entstehen, dass Mitarbeiter in einem Team aufgrund ihrer Fähigkeiten und Begabungen unterqualifiziert sind. Manchmal nehmen sie diese fehlenden Kompetenzen nicht zur Kenntnis und versuchen, durch Mehrarbeit diesen Mangel auszugleichen. Sie verstecken ihre Überstunden und Mehrarbeiten vor den anderen Teammitgliedern und realisieren manchmal erst zu spät die daraus entstehenden fatalen Konsequenzen. Für das Funktionieren eines Teams sind vier zentrale Momente wichtig: 55 Sind die Ziele und Aufgaben des Teams geklärt? 55 Sind die Positionen, Funktionen und Rollen geklärt? 55 Arbeiten die Mitglieder eines Teams (in der Gestaltung ihrer Beziehungen) synergetisch zusammen? 55 Können sich die einzelnen Mitglieder mit ihrer Persönlichkeit, ihren Fähigkeiten und Begabungen in dieses Team einbringen? Sind sie dazu motiviert? Vier Komponenten guter Teamarbeit Das Zusammenarbeiten von Menschen unterschiedlicher Prägung in einem Team löst eine Beziehungsdynamik aus, die es zu beachten gilt. Kenntnisse in Gruppendynamik sind deshalb für die Führung eines Teams von großem Vorteil, um zwei Hauptgefahren anpacken zu können: Teams, die primär immer wieder ihre Beziehungen thematisieren, verlieren leicht den Bezug zu ihrer Aufgabe, während umgekehrt Teams, die sehr stark auf die gemeinsame Aufgabe fokussiert sind, sehr schnell den Zusammenhalt untereinander verlieren können, der für die Motivation der Mitarbeiter nicht zu unterschätzen ist. Deshalb gilt es, immer wieder die beiden Dimensionen von Teamentwicklung, die Gestaltung der Arbeits- bzw. Aufgaben- und der Beziehungsebene im Blick zu behalten. Folgende Fragen können bei der Führung von Teams helfen: Beziehungs- und Aufgabenorientierung in Teams
136 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung zz Ziele – Aufgaben 55 55 55 55 Ist eine Vision für die Teamarbeit vorhanden? Wurden aus der Vision Ziele und Aufgaben abgeleitet? Sind die Mitarbeiter für die Ziele und Aufgaben motiviert? Ist eine effektive und effiziente Aufgabenerfüllung (überhaupt) möglich? Stehen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung? zz Position – Funktionen – Rollen 55 55 55 55 Ist die Position des Teamleiters und der Stellvertretung geklärt? Sind Entscheidungskompetenzen klar? Ist das Team richtig in die Organisation eingebunden? Sind Rollen klar definiert? 14.3.5 55 55 55 55 Beziehungen Kooperiert das Team synergetisch? Wie ist das Teamklima? Wie geht das Team mit Konflikten um? Gibt es Außenseiter und Machtspiele? zz Personen 55 Sind die Menschen motiviert zur Teamarbeit? 55 Kann sich jeder mit seinen Kompetenzen einbringen? 55 Sind die Aufgaben nach der entsprechenden Qualifikation verteilt? 55 Wie ist die Zufriedenheit der Teammitglieder mit der Arbeitsund Beziehungsebene des Teams? 14.3.6 14 Kein neuer Führungsstil, aber Fokus auf Gesunderhaltung Gesundheitsförderliche Führung – einige Stichworte Die gelungene Führung einer Organisation und der Mitarbeiter enthält immer auch gesundheitsförderliche Komponenten. Von daher sollte es selbstverständlich sein, dass zur gesundheitsförderlichen Führung kein eigener Führungsstil notwendig ist, sondern das Thema Gesundheit in der Organisation eine größere Rolle spielt. Dies zeigt sich z. B. bei Zielkonflikten oder wichtigen Entscheidungen, in denen der Fokus stärker auf die Gesunderhaltung der Mitarbeiter gelegt werden sollte. Die folgenden Ausführungen fokussieren thesenartig auf einige wichtige Aspekte gesundheitsförderlicher Führung, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Führungskräfte beeinflussen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und verhindern Distress durch:
14.3 • Mitarbeiter führen zz Verhältnisprophylaxe und -prävention 55 Gesundheit am Arbeitsplatz und betriebliche Gesundheitsförderung thematisieren; 55 Aufbau bzw. Erhalt von Ressourcen (Teamentwicklung, Einarbeitungssupport, soziale Unterstützung, gute personelle Ausstattung etc.) und Abbau von Stressoren (Zeitdruck, lauter Arbeitsplatz etc.); 55 Steuerung des Arbeitsinhaltes: Tätigkeitsart, Abwechslung, der Ausbildung entsprechend; 55 Möglichkeiten zur Arbeitsgestaltung (Handlungsspielraum, Mitentscheidungen, Heimarbeit) und Veränderung von Arbeitsbedingungen (z. B. Lärm, Abgase, Temperatur); 55 Widersprüche in Strategie, Strukturen oder Prozessen etc. mit Zielen der Gesundheitsförderung aufdecken; 55 gute Planung und Organisation: gute Rollenklärung, klarer Führungszyklus, klare Ziele, Aufgaben und Kompetenzen; 55 gute Kommunikationsstruktur: einfache Informationswege, rechtzeitige und umfassende Informationen bei (weitreichenden) strategischen Entscheidungen; 55 Ermöglichung von Sinn (salutogenetisch: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit fördern); 55 gute finanzielle Bedingungen: gute Sozialleistungen, gerechter Lohn. zz Verhaltensprophylaxe und -prävention 55 Respektvoller Umgang mit Mitarbeitern und Anerkennung für Leistungen; 55 Beachtung von Krisenmerkmalen: 55 Absenzen am Arbeitsplatz: kurzzeitiges Verschwinden, Verspätungen, 55 Leistungserbringung: häufigere Fehler oder Unfälle, Konzentrationsmängel, Leistungsschwankungen, 55 Verhalten im Team bzw. in der Arbeitsgruppe: Einzelgänger, Abbruch von Beziehungen, auffällige Verhaltensänderung, 55 äußere Erscheinung: ungepflegte Kleidung, Gerüche, häufige Übermüdung,, Betrunkensein, 55 psychische Veränderungen: Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, Trauer, plötzliche Euphorie, 55 körperliche Veränderungen: starke Gewichtszu- oder abnahme, Migräne, Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen; 55 Gewährung von Coaching-Maßnahmen bzw. Weiterbildung für zukünftige Aufgaben; 55 regelmäßige Mitarbeitergespräche: konstruktives Feedback, Unterstützung und Beratung; 55 dialogischer Führungsstil, transparente Entscheidungen; 55 gutes Konfliktmanagement. 137 14
138 Kapitel 14 • Prophylaxe: Führungskräfte in der Verantwortung zz Intervention 55 Betroffenen Mitarbeitern aktiv und lösungsorientiert zur Seite stehen; 55 Angebot eines (externen) Beratungsdienstes (auch für persönliche Belange von Mitarbeitern). 14.3.7 Erste Anzeichen wahrnehmen Inanspruchnahme von Hilfsangeboten steigt Hinweise auf Burnout 14 Früherkennung von Burnout Die Führungskraft eines Unternehmens hat (neben den anderen Mitarbeitern) dafür Sorge zu tragen, dass erste Anzeichen von Erschöpfung und Burnout wahrgenommen werden und entsprechend damit umgegangen wird. In der Praxis taucht (leider) sehr schnell das Wort »Burnout« auf, wenn Mitarbeiter erschöpft und ausgelaugt sind; auch werden mitunter alltägliche Befindlichkeitsstörungen als psychische Krankheiten deklariert. Ebenso ist in der Bevölkerung das Bewusstsein vorhanden, dass in den letzten Jahrzehnten immer mehr Menschen an psychischen Erkrankungen leiden; diese Annahme wird dadurch gestützt, dass die Krankenkassen immer wieder von steigenden Fallzahlen berichten. Demgegenüber zeigen alle großen Studien über psychische Erkrankungen, dass es keine Zunahme der Erkrankungsraten gibt. Es steigt aber die Bereitschaft, bei einer psychischen Erkrankung Hilfe in Anspruch zu nehmen (DGPPN, 2012b, S. 1). Die folgenden Hinweise haben keine diagnostische Relevanz, helfen aber der Führungskraft, Phänomene auf Burnout oder eine andere Erkrankung zu erkennen. Es sei noch einmal daran erinnert, dass in der Literatur über 130 mögliche Symptome für Burnout genannt werden und viele, z. T. sehr unterschiedliche Stufenmodelle publiziert wurden, ohne dass daraus verbindliche Diagnosekriterien für Burnout entwickelt werden konnten. 55 Mangelnder Abstand von der Arbeit: Grübeleien, Schlafprobleme; 55 Konzentrationsschwierigkeiten und Probleme mit der Aufmerksamkeit: Vergesslichkeit, höhere Fehlerquote als vorher; 55 mangelndes Zeitmanagement: keine Prioritätensetzung, Stress, Hetze etc.; 55 zunehmende soziale Isolation: Distanz zu Kollegen, Fernbleiben bei Unternehmensanlässen; 55 Stimmungs- und Gefühlsschwankungen: Reizbarkeit, Wutausbrüche, Weinen; 55 verminderte Leistungsfähigkeit; 55 erhöhte Krankheitsrate: Grippe, Kopfschmerzen, Migräne, Magen-Darm-Erkrankungen.
139 Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen Ulrich Scherrmann 15.1 Betriebliche Gesundheitsförderung – 140 15.1.1 15.1.2 15.1.3 Grundsatzüberlegungen – 140 Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements – 141 Mögliche Angebote und Maßnahmen im BGM – 142 15.2 Verhaltensprophylaxe in Organisationen – 144 15.2.1 15.2.2 15.2.3 Modul »Motivationale Anreize« – 144 Modul Stress – 145 Modul: »Ein Blick auf meinen Arbeitsplatz« – 146 15.3 Verhältnisprophylaxe in Organisationen – 147 15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.3.6 Prophylaxe »Unternehmenscheck« – 148 Analyse und Diagnose von Disstress im Unternehmen – 148 Kreative Methoden – 150 Infoworkshop für Führungskräfte – 151 Infoworkshop Belegschaft – 153 Beispiel: Stressmanagement in der Abteilung eines Krankenhauses – 155 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 15
140 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen Gesunde Mitarbeiter tragen zum Unternehmenserfolg bei 15.1 Betriebliche Gesundheitsförderung 15.1.1 Grundsatzüberlegungen Nicht nur in größeren Unternehmen, sondern auch in vielen KMUs setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass gesunde Mitarbeiter kein Luxusgut sind, sondern (»nur« als gesunde Mitarbeiter) zum Erfolg eines Unternehmens beitragen können. Zusammen mit dieser neuen Haltung entwickelt sich immer mehr das Bewusstsein, dass es nicht nur darum geht, den einzelnen Arbeitsplatz gesundheitsorientiert zu gestalten, z. B. durch Ergonomie am Arbeitsplatz. Die gesamte Organisation mit ihren Strukturen, Prozessen, der Unternehmenskultur, der wirtschaftlichen Situation etc. hat einen Einfluss auf die Gesundheit von Mitarbeitern. Das neue Paradigma besteht darin, von der individuellen Gesundheitsförderung aus den Blick auf die einzelnen Ebenen der Organisation auszuweiten und dort zu untersuchen, inwieweit die einzelnen Faktoren einen Einfluss auf die Gesundheit von Mitarbeitern haben und wie sie verbessert werden können. »» Unter betrieblichem Gesundheitsmanagement verstehen wir die Entwicklung betrieblicher Rahmenbedingungen, betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Ziel haben. (Badura & Hehlmann, 2003, S. 19) Verhaltens- und Verhältnisprophylaxe wichtig 15 Zeitlich begrenzte und permanente Aktivitäten Organisation als Ganzes im Fokus Aus dieser Grundhaltung sind als Zielbereiche des BGM sowohl die Verhaltens- als auch Verhältnisprophylaxe und -prävention wichtig (. Abb. 15.1). Dies zeigt sich z.B. beim einzelnen Mitarbeiter in der Förderung seiner Arbeitszufriedenheit, seiner Motivation und seiner Gesundheitspotenziale sowie in der Ermunterung zu aktiver Mitarbeit am Ziel »Gesunde Organisation«. Auf der Ebene der Organisation geht es um Themen wie gesundheitsförderlicher Führungsstil, gemeinsam vereinbarte und getragene Werte und Normen, vertrauensvolle Unternehmenskultur oder die Entwicklung und Anpassung von Strategie, Struktur oder Prozessen an das Leitziel »Gesunde Organisation« (Badura & Hehlmann, 2003, S. 19). Das Erreichen der o. g. Ziele ist – ebenso wie alle anderen Ziele in einer Organisation – nur durch gute Analyse, Planung, Durchführung und Evaluation möglich. Gleichwohl darf die gegenwärtige Praxis, zeitlich begrenzte Aktionen (z. B. »Bike to work«) oder auch auf einen längeren Zeitraum ausgelegte Maßnahmen durchzuführen (z. B. gesunde Verpflegung, Betriebssport) nicht gering geschätzt werden. Wie in . Abb. 15.1 angedeutet ist, geht es aber bei den Zielen auch um die »gesunde Organisation«, d. h. die Organisation als Ganzes muss unter dem Fokus der Gesundheitsförderung analysiert und die
141 15.1 • Betriebliche Gesundheitsförderung 15 Verhalten: – Arbeitszufriedenheit – Motivation – Gesundheitspotenziale – Mitarbeit bei BGM Gesunde Mitarbeiter und gesunde Organisation Verhältnisse: – Führung – Unternehmenskultur – Werte und Normen – Strategie, Struktur, Prozesse . Abb. 15.1 Ziele des betrieblichen Gesundheitsmanagements daraus sich ergebenden Schritte umgesetzt werden, sodass sich als Kernprozesse folgende vier Schritte ergeben: 55 Analyse und Diagnose, 55 Planung von Interventionen, 55 Durchführung und 55 Evaluation. 15.1.2 Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements Die Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sollte mit dem Erreichen von vier Zielen verbunden sein (Walter, 2003, S. 73–108; Benz, 2009, S. 181–213): 55 Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter: Hier gilt es insbesondere darauf zu achten, dass sowohl das körperliche als auch das psychosoziale Wohlbefinden und die jeweiligen Auswirkungen auf die Gesundheit (z. B. Bluthochdruck, Kopfschmerzen) untersucht und ggf. verbessert werden. 55 Einbindung in die Führungsebene bzw. ins Management. Ohne die ideelle und finanzielle Unterstützung des Managements kann kein BGM nachhaltig installiert werden. Es braucht das Ja und das Zur-Verfügung-Stellen von Ressourcen in der Startphase, es braucht eine sorgfältige Durchführung des Zyklus und nicht Gesundheitsverbesserung Mitarbeiter Einbindung ins Führungshandeln
142 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen Stärkung Mitarbeiter und Sozialbeziehungen Arbeitsproduktivität, Qualität und Wirtschaftlichkeit festigen bzw. steigern Organisationsebenen als Umsetzungsebenen zuletzt die Integration von Maßnahmen in den betrieblichen Alltag. 55 Stärkung der Mitarbeiter und der Sozialbeziehungen: Der Fokus liegt hier auf den »soft facts«, d. h. es geht um die Stärkung von Motivation und Arbeitszufriedenheit sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Ebene von Teams oder Arbeitsgruppen. Dies geschieht durch eine gesundheitsförderliche Arbeits- und Organisationsgestaltung oder die Förderung der Gesundheitsressourcen der Mitarbeiter. 55 Festigung oder Steigerung der Arbeitsproduktivität, Qualität und Wirtschaftlichkeit: Dieses vierte Ziel sollte sich ganz selbstverständlich als Resultat von Bemühungen zu den drei vorherigen Zielen ergeben. BGM ist keine Alibiübung und nicht nur eine philanthropische Tat, sondern sie sollte sich auch im finanziellen Erfolg des Unternehmens und in seiner längerfristigen Festigung seiner Marktposition auszahlen. Die Umsetzung dieser Ziele kann entlang der einzelnen Organisationsebenen geschehen. Die Fragen in . Tab. 15.1 dienen als Anregung: 15.1.3 Angebote BGF wahrnehmen Mögliche Angebote und Maßnahmen im BGM Es gibt heute eine Fülle von Möglichkeiten, auch für kleine und mittelgroße Organisationen, Angebote in der Betrieblichen Gesundheitsförderung umzusetzen. Letztlich kommt es nicht entscheidend darauf an, was genau gemacht wird, sondern dass etwas gemacht wird. Im Folgenden wird eine Auswahl vorgestellt. Zur besseren Strukturierung werden verhaltensorientierte und verhältnisorientierte Angebote unterschieden. Verhaltensorientierte Angebote richten sich an den einzelnen Mitarbeiter, während verhältnisorientierte Angebote Wege aufzeigen, wie eine Organisation sich gesundheitsfördernd ausrichten kann. zz Verhaltensorientierte Angebote 15 55 Sport und Bewegung: bewegte Pause, Gymnastik, Lauftreff, Kraft- und Fitnesskurse, Kurse für Mitarbeiter in überwiegend sitzenden Tätigkeiten (Rückenschule etc.); 55 Entspannung: Yoga, progressive Muskelrelaxation (PMR), autogenes Training, Atemschule, MBSR («mindful based stress reduction«); 55 Ernährung: Ernährungsberatung, gesundes Kochen; 55 Beratung: Sozialberatung, Coaching, psychologische Beratung, Case- bzw. Care-Management, Karriereberatung, Betriebsarzt; 55 Gesundheit: spezielle Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheitsgespräche, Infos zu relevanten Themen.
15.1 • Betriebliche Gesundheitsförderung . Tab. 15.1 143 15 Betriebliches Gesundheitsmanagement: Checkliste zur Zielerreichung Existenzgrund der Organisation Ist der Kernauftrag zur Gesundheitsförderung formuliert? Gibt es eine Vision (»Salutogenese?«) des BGM mit Zielen (»Meilensteine«) und Strategien? Ist das BGM in die normative, strategische und operative Strategie eingebunden; existiert evtl. eine eigene Strategie zum Gesundheitsmanagement? Kultur Führung bzw. Steuerung: – Steht die Führungsebene hinter den Grundgedanken des BGM? – Wird das Thema »gesundheitsförderliche Führung« in das BGM einbezogen? Kommunikation: – Sind die Mitarbeiter über die Einführung des BGM informiert? – Werden sie aktiv beteiligt? – Wird kommuniziert, was – wie – wo – wann geplant ist? Ethik: – Welche Werte sind im BGM und werden sie auch so gelebt? Ordnung Funktionen: – Sind die Positionen, Funktionen und Aufgaben im BGM geklärt? – Sind die entsprechenden Positionen mit Kompetenzen ausgestattet? – Werden Personen für die Durchführung von Maßnahmen qualifiziert? Strukturen – Gibt es ein Steuerungsgremium (»AK Gesundheit«) und sind darin relevante Personen oder Gruppen aus dem Unternehmen vertreten, z. B. Geschäftsleitung, HR, Mitarbeiter(vertretung), Betriebsarzt, (externe) Organisationsberater? – Gibt es Projektgruppen zur Bearbeitung spezifischer Anliegen? – Gibt es eine Vernetzung mit externen Stellen (Arbeitsmedizin, Krankenkassen etc.)? Prozesse: – Sind die Prozesse (Analyse, Diagnose, Intervention, Evaluation) und Abläufe klar geregelt? – Werden dafür evtl. externe Experten einbezogen? – Gibt es eine Erfolgskontrolle anhand von Kriterien und Indikatoren? Technisch-wirtschaftliche Ausstattung Technik: Werden die gängigen Kommunikationsmittel eingesetzt? Finanzen: Stehen genügend finanzielle Mittel für das BGM und die Durchführung von Maßnahmen zur Verfügung?  äume: Stehen Räume für Maßnahmen des BGM zur Verfügung, z. B. Gymnastik- oder R Kraftraum, Kaffeeecke mit Obst, »Raum der Stille«?
144 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen zz Verhältnisorientierte Angebote 55 Führung: Sensibilisierung zum Erkennen körperlicher und psychosozialer Belastungsfaktoren, Gesundheitskultur, Führungsseminare »Gesundheit«; 55 Anstellung: flexible Arbeitsmodelle, Sabbatical, Altersentlastungen, Mutterschafts- bzw. Vaterschaftsurlaub 55 Arbeitsgestaltung: Arbeitsumfang, Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation, Ressourcen, Ergonomie; 55 familiengerechte Angebote: Kinderkrippen, -garten, Ferienbetreuung für Kinder; 55 Gesundheitsbefragung, Gesundheitsdiagnostik zum Erkennen von Präsentismus (7 Abschn. 16.1; Magen-Darm-Erkrankungen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Atemnot, Migräne, Depressionen); 55 Beratung bei Konflikten oder Mobbing, Krisenintervention; 55 Arbeitsplatzgestaltung: Ergonomie, Lärm, Emissionen; 55 Unterstützung bei psychosozialen Belastungen: Trauer, Tod, Krankheit (von Angehörigen); 55 Wiedereingliederung nach Krankheit: Rückkehrgespräche, unterstützendes Coaching. 15.2 Fokussierung auf Disstress Externe und organisationsinterne Angebote 15 Programm »Umgang mit Stress« Es versteht sich von selbst, dass die vielfältigen Maßnahmen, die im Bereich des BGM angeboten werden, auch eine Relevanz für Stress und Burnout haben. Von daher gibt es kein entweder – oder, sondern es geht um eine Fokussierung von Aktivitäten und v. a. um genügend Aufklärung über die Wirkungen von Disstress. Grundsätzlich können in der Verhaltensprophylaxe alle Angebote, die für Einzelpersonen angeboten werden, auch als Verhaltensprophylaxe in Organisationen durchgeführt werden. Mitunter kommt es vor, dass eine Organisation – wenn keine betrieblichen Ressourcen zur Verfügung stehen oder keine organisationalen Möglichkeiten bestehen – ihre Mitarbeiter dazu ermuntert, außerhalb der Arbeitszeit Sport zu treiben oder Entspannungskurse zu besuchen, um einen physischen und psychischen Ausgleich zur Arbeit zu besitzen. Zum Teil werden diese Aktivitäten auch finanziell unterstützt. Ist eine Verhaltensprophylaxe in der Organisation selbst möglich, kann ein umfangreicheres Programm zum Umgang mit Stress im Rahmen des BGM angeboten werden. Drei Module werde im Folgenden vorgestellt. 15.2.1 Intrinsische Motivation wichtig Verhaltensprophylaxe in Organisationen Modul »Motivationale Anreize« Es fällt vielen Menschen nicht immer leicht, sich um den Erhalt ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu kümmern. Trägheit oder
15.2 • Verhaltensprophylaxe in Organisationen 145 15 schlechte Gewohnheiten stehen ihnen im Wege. Von daher ist es wichtig, ihnen für die intrinsische Motivation Anreize zu geben: Auf diese Weise können sie den Sinn dessen sehen, was sie tun, und erkennen, welche positiven Effekte ein Training in Stressbewältigung haben kann. Dazu gehören Informationen (Initiative Neue Qualität der Arbeit, 2013, S. 6) 55 zur körperlichen Gesundheit: Reduktion von hohem Blutdruck und überhöhten Cholesterinwerten, besserer Schlaf, Reduktion von Alkohol; 55 zur Lebensqualität: Balance Arbeitszeit- und Privatleben, mehr Energie und Freude für Familie und private Beziehungen; 55 zur psychischen Gesundheit: gute Grundstimmung und gute Laune, gute Konzentrationsfähigkeit, höheres Selbstwertgefühl; 55 zu Arbeit und Berufsleben: größere Arbeitszufriedenheit, bessere Leistungsfähigkeit, besseres Verhältnis zu Kollegen. Es ist im betrieblichen Rahmen wichtig, entsprechend der gegebenen Möglichkeiten an einer guten intrinsischen Motivation zur Verhaltensprophylaxe zu arbeiten. Entscheidend ist nicht, dass eine riesige Angebotspalette zur Verfügung steht, sondern dass der Mitarbeiter darin unterstützt und bestärkt wird, das für ihn Passende zu suchen und zu tun. 15.2.2 Verhältnisprävention als wichtige zweite Komponente Modul Stress Im »eigentlichen Stressmodul« (weiterführende Literatur: Allenspach & Brechbühler, 2005; Drexler, 2008; Kaluza, 2005) sollten auf jeden Fall grundlegende Informationen, Reflexionen und Übungen zu folgenden Themen enthalten sein: 55 Veränderungen in der Arbeitswelt und die Zunahme von Disstress; 55 Unterscheidung von Eustress und Disstress; 55 Folgen von Disstress in Organisationen: geringere Leistungsfähigkeit und Kreativität, sinkende Arbeitsproduktivität, geringere Arbeitsqualität, Präsentismus (7 Abschn. 16.1) und Krankheiten, schlechteres bzw. schlechtes Betriebsklima; 55 Stress-Sphären: Individuum – Organisation – Gesellschaft; 55 das transaktionale Stresskonzept von Richard Lazarus mit der Kernaussage: Die Qualität einer Situation als Stressor hängt von der individuellen Bewertung ab; 55 Stressoren: physikalische Umwelt, Leistungsstressoren (Überund Unterforderung), persönliches Anspruchsniveau, Finanzen, chronische Belastungen, psychosoziale Stressoren (persönliche oder familiäre Krisen), Arbeitswelt (Organisation, Rolle, Arbeitsumgebung, Person etc.); 55 Stresssymptome; Stress und Stressbewältigung
146 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen 55 Reaktionen auf Stresssituationen: emotional, motivational, kognitiv, physiologisch; 55 Stressabbau durch Coping: positiv (z. B. Beeinträchtigungen der Umwelt verringern, Selbstbild aufrechterhalten) und negativ (z. B. Alkohol, Nikotin missbrauchen); 55 Stressbewältigung: 55 instrumentell: mit Alltagsbelastungen (Zeitdruck) umgehen lernen, Leistungsstressoren erkennen (Delegieren), betriebliche Stressoren identifizieren (Teamentwicklung, Zeitmanagement etc.); 55 kognitiv: Änderung des individuellen Anspruchsniveaus (»Ich muss nicht perfekt sein!«), Normen oder Ansprüche in der Organisation als Stressoren überprüfen (z. B. »Wir sind die beste Abteilung in der Klinik!«); 55 regenerativ-palliativ: progressive Muskelentspannung, Meditationstechniken, autogenes Training, Tai Chi, Ausdauersport, Wandern etc. 15.2.3 Belastungen am Arbeitsplatz und im Umfeld reflektieren Berufs- und Privatleben 15 Arbeitsanforderungen Selbstbild Engagement für sich selbst Modul: »Ein Blick auf meinen Arbeitsplatz« Zur Sensibilisierung der Mitarbeiter im Umgang mit Stress gehört es auch, dass diese immer wieder den eigenen Arbeitsplatz und das Umfeld reflektieren (Initiative Neue Qualität der Arbeit, 2013, S. 12–16). Bei Teamsitzungen, Mitarbeiterversammlungen oder in kurzen Infolettern können Impulse gegeben werden, die konkret auf ein verändertes Verhalten der Mitarbeiter abzielen. Sie sollen animiert werden, aktiv Änderungen am Arbeitsplatz mit ihren Vorgesetzen oder Teammitgliedern anzusprechen. Zu den Momenten, die reflektiert werden können, gehören z. B.: 55 das Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben: Ist die Arbeitszeit zu lang? Werden zu viele Überstunden von ihnen erwartet? Setzen sie Prioritäten bei der Planung? Nutzen sie Möglichkeiten zur Heimarbeit? Haben sie Zeit zum Pflegen ihrer Beziehungen oder zum Ausüben ihrer Hobbies? Nehmen sie Urlaub? 55 die Arbeitsanforderungen: Ist der Umfang, die Schwierigkeit, der Zeitbedarf der Arbeit realistisch? Sind die (von ihnen selbst oder von außen) gesteckten Ziele realistisch? Stimmen das Arbeitsumfeld (Lärm, Licht etc.)? Ist die Entlohnung angemessen? 55 das eigene Selbstbild: Kennen sie ihre Stärken und Herausforderungen? Gehen sie wertschätzend mit sich selber um? Achten sie auf ihre körperliche, geistige und seelische Gesundheit? Haben Sie »Techniken«, ihre Defizite aktiv anzugehen und z. B. aus Unsicherheit Selbstsicherheit entstehen zu lassen? 55 das aktive Eintreten für sich selbst: Sprechen sie Probleme mit ihrem Vorgesetzten oder mit Kollegen an oder warten sie, bis
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen 55 55 55 55 55 55 »man etwas tut?« Sind sie offen für professionelle Hilfe (Arzt, Psychotherapeut, Coach)? Gehen sie ihrerseits auf Kollegen zu, bei denen sie Schwierigkeiten sehen oder vermuten? das Verhältnis zu den Kollegen: Haben sie gute Kollegen, bei denen sie auch Belastungen beruflicher oder evtl. familiärer Arbeit thematisieren können? Arbeiten sie in einem unterstützenden Umfeld? Ist die Kommunikation von Klarheit und Wertschätzung geprägt? Beteiligen sie sich aktiv in der Mitarbeitervertretung zum Einbringen von Anliegen? die Unterstützung am Arbeitsplatz: Können Sie bei körperlichen oder psychischen Problemen einen (Betriebs-)Arzt kontaktieren? Ist ihr Vorgesetzter für ihre Anliegen empfänglich? die Bewegung am Arbeitsplatz: 30 Minuten tägliche Bewegung senken das Risiko, am Herz zu erkranken, einen Schlaganfall oder Diabetes Typ 2 zu bekommen. Nutzen sie die vielfältigen Möglichkeiten am Arbeitsplatz für die tägliche 30-minütige Bewegung, z. B. Benutzung der Treppe statt Lift, »bike/walk/run to work«, bewegte Mittagspause, aktive Erholung nach 60 min Arbeitszeit, Teilnahme am Betriebssportangebot etc.? der Umgang mit Suchtmitteln: Greifen sie zu oft zu Alkohol als »Stressbekämpfer und Beruhiger«? Setzen sie Medikamente nur gezielt und wohldosiert zur Bekämpfung einer Krankheit ein? Greifen sie häufig zu Beruhigungs- oder Schlafmitteln zur Bekämpfung ihrer Stresssymptome? die Entspannung am Arbeitsplatz: Praktizieren sie kurze Entspannungstechniken (z. B. Atemtechniken, progressive Muskelrelaxation PMR) bei hoher Arbeitsbelastung? Halten sie ihre Pausen ein? die gesunde Ernährung: Gehen sie (erst) nach einem gesunden Frühstück, das sie ausreichend mit Energie versorgt, zur Arbeit? Trinken sie mind. 1 Liter Wasser am Tag? Essen sie lieber Obst statt Süßigkeiten? Ernähren sie sich ausgewogen (Vollkornprodukte, Obst, Gemüse, Wasser, etc.)? 15.3 147 15 Verhältnis zu Kollegen Unterstützung am Arbeitsplatz Bewegung am Arbeitsplatz Umgang mit Suchtmitteln Entspannung Gesunde Ernährung Verhältnisprophylaxe in Organisationen Die Verhältnisprophylaxe sollte eigentlich – angesichts der immer größer werdenden Bedeutung – eine Selbstverständlichkeit in Unternehmen und Organisationen sein. Denn es geht im Grunde immer darum, wie Unternehmen sowohl interne als auch externe Faktoren von Disstress erkennen und bekämpfen. Bei dieser Aufgabe sind alle gefordert: die Geschäftsleitung bzw. das Management, Teams oder Arbeitsgruppen und die einzelnen Mitarbeiter. Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass es nicht darum geht, etwas Zusätzliches neben dem Alltagsgeschäft zu berücksichtigen; stattdessen soll längerfristig der Faktor Gesundheit Verhältnisprophylaxe als Aufgabe aller Integration »Gesundheit« ins Alltagsgeschäft
148 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen »Unternehmenscheck« Strategie Liquidität Führung etc. Betriebliches Gesundheitsmanagement Einführung bzw. Reflexion Informationen Analyse und Diagnose Sensibilisierung MaßStress bzw. Wo Disstress Burnout nahmen im und BGM Entwicklung Unternehmen? und Umsetzung Verhaltens- und Verhältnisebene . Abb. 15.2 Verhältnisprophylaxe im Alltagsgeschäft integriert sein, um die Mitarbeiterzufriedenheit, ihre Motivation, die Arbeitsproduktivität und die Unternehmenskultur zu gewährleisten oder zu stärken. 15.3.1 Verschiedene Ebenen und Tätigkeiten 15 Die Verhältnisprophylaxe sollte von daher auf verschiedenen Ebenen ansetzen und verschiedene Tätigkeiten berücksichtigen. Als prophylaktische Maßnahme im weiteren Sinne gilt es, mit dem »Unternehmenscheck« permanent die inneren und von außen wirkenden Faktoren des Unternehmens zu reflektieren. Es kann wichtig sein, das betriebliche Gesundheitsmanagements einzuführen, bzw. Maßnahmen der gegenwärtigen BGF zu reflektieren und ggf. zu optimieren. Darüber hinaus sind Informationen zur Sensibilisierung für die Thematik Stress, Burnout und BGF nötig. Zum eigentlichen Kernauftrag gehören die Analyse und Diagnose von Disstress im Unternehmen, die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen auf der Verhaltens- und Verhältnisebene und nicht zuletzt die Evaluation und Qualitätskontrolle der Maßnahmen (. Abb. 15.2). 15.3.2 Arbeitsbedingungen und äußere Umwelt reflektieren Prophylaxe »Unternehmenscheck« Analyse und Diagnose von Disstress im Unternehmen Ein zentrales Element in der Verhältnisprophylaxe ist es, immer wieder die Arbeitsbedingungen und die Umwelt, die die Organisation
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen von außen beeinflusst, zu reflektieren. Die Analyse und Diagnose dieser Faktoren darf nicht nur an das Management delegiert werden, sondern ist einerseits Aufgabe jedes Mitarbeiters an seinem Arbeitsplatz und andererseits die Aufgabe von Arbeitsgruppen bzw. Teams und des Managements. Durch das Zusammenwirken aller Beteiligten werden Informationen generiert und Möglichkeiten zur Diagnose und zu späteren Maßnahmen eröffnet, die durch einzelne Beteiligte allein nicht leistbar wären. Wichtige Elemente einer Analyse und Diagnose von Disstress sind: Wichtige Elemente einer Analyse und Diagnose von Dissstress sind: 55 Die vier Ebenen der Organisation, wie sie im systemischen Organisationsmodell (7 Kap. 9) beschrieben sind, werden ebenso wie die Einflüsse der Umwelt systematisch erfasst: 55 Gibt es Disstress im »Existenzgrund« (z. B. in den Visionen, Zielen oder Strategien) der Organisation? 55 Ist die Kultur der Organisation gefährdet, z. B. die sorgfältige Kommunikation? 55 Braucht es Anpassungen in der Ordnung der Organisation, z. B. eine Veränderung von Strukturen oder Prozessen? 55 Genügt die technisch-wirtschaftliche Ausstattung noch, z. B. gibt es ausreichend viele Räume für die stark gestiegene Zahl von Mitarbeitern? 55 Das Burnout-Modell (7 Kap. 3) wird zur differenzierten Analyse und Diagnose eingesetzt. Es wird z. B. unterschieden, welcher Disstress von außen (Markt, Mitbewerber etc.) und von innen (Team, Gruppe, Organisation etc.) kommt. Die Analyse und Diagnose erfolgt in Teams bzw. Arbeitsgruppen, bei Führungskräftemeetings, im Coaching oder bei Abteilungs- und Betriebsversammlungen. 55 Es geschieht eine Verständigung innerhalb des BGM und der Unternehmensleitung darüber, ob neben internen auch externe Berater hinzugezogen werden. 55 Folgende Elemente haben sich bewährt: 55 Einsatz von Tools aus Organisationsentwicklungsprozessen, z. B. die teilnehmende Beobachtung der Organisation durch einen Berater oder Peer Reviews von Kollegen aus einer ähnlichen Organisation; 55 Einsatz von online-basierten Fragebögen: In der Schweiz gibt es z. B. das Stress-Befragungsinstrument »S-Tool« (7www. gesundheitsfoerderung.ch/wirtschaft/produkteunddienstleistungen/s-tool.html); 55 systemische Gruppengespräche auf allen Hierarchiestufen: Dabei kann die Organisation mithilfe des systemischen Organisationsmodells untersucht werden; es können Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zu anderen Unternehmen oder zu einer früheren Phase herausgearbeitet werden; 149 15 Wichtige Elemente
150 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen 55 Einzelgespräche mit Menschen aller Hierarchiestufen (Arbeiter, Angestellte, Führungskräfte, Unternehmensleitung); 55 einfache Fragebögen zur Erfassung der Ist-Situation und von Vorschlägen zu Verbesserung im Hinblick auf weniger Disstress; 55 Arbeitsklausur(en) mit der aktiven Auseinandersetzung zur Ist-Situation, dem Erarbeiten von Zukunftsbildern, Formulieren (erster) Veränderungsziele und Verabschieden individueller und organisationaler Maßnahmen. Methodik 15 15.3.3 Kreative Methoden Neben den genannten »traditionellen Elementen« einer Unternehmensanalyse und -diagnose empfiehlt es sich – besonders bei längeren oder wiederholten Zyklen im BGM – auch kreative(re) Methoden einzusetzen. Anstatt x-mal den gleichen oder einen ähnlichen Fragebogen zu verwenden, haben sich die folgenden Methoden als sehr gewinnbringend erwiesen. Sie können entweder einzeln oder in Kombination eingesetzt werden. 55 Unsere Organisation als Symbol: Die Teilnehmer machen individuell z. B. während einer Klausurtagung einen ca. 30-minütigen Spaziergang. Die Aufgabe lautet, aus der Umgebung einen Gegenstand bzw. ein Symbol für den Ist-Zustand und den von ihnen gewünschten Zielzustand der Organisation im Umgang mit Disstress mitzubringen. 55 Teamdarstellung mit Figuren: Mit Holzfiguren oder auf einem großen DIN-A3-Blatt soll jeder Teilnehmer seine Sicht auf das aktuelle Arbeitsteam darstellen. Darstellungskriterien können z. B. Nähe bzw. Distanz der Mitglieder zueinander sein, Koalitionen von Teammitgliedern, Auslöser von Disstress oder Konflikte (mit der Gesamtorganisation). Diese Teamdarstellung sollte auf jeden Fall durch einen internen oder externen Organisationsberater bzw. Supervisor begleitet werden! In diesem Prozess können eine gemeinsame Sicht auf die aktuelle Situation gewonnen, zentrale Themen bzw. Konfliktfelder herausgearbeitet und erste Veränderungsziele formuliert werden. 55 Szenische Darstellungen: Die Teilnehmer einer Klausurtagung erarbeiten kreativ drei Szenen, die eng mit der Thematik der Tagung verbunden sind. Dies können z. B. Situationen aus der Zusammenarbeit sein, zum Umgang mit Disstress bei schwierigen Abläufen oder aus der Kommunikation Unternehmensleitung bzw. Bereichsleitung und Mitarbeiter. Diese Szenen können in Form eines Sketches, einer kurzen Theaterimprovisation oder als (unbewegtes) Standspiel aufgeführt werden. 55 Vision der idealen Organisation: Die Workshop-Teilnehmer stellen sich vor, dass sie für einen Tag der CEO bzw. der Direktor der Organisation wären und Veränderungen durchführen könn-
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen 151 15 ten. Ziel ist es, 8–10 Veränderungen auf selbst angefertigten und kommentierten Bildern oder in Form von Cartoons zusammenzustellen. 55 Fantasiereise: Diese Methode beginnt mit einer Zentrierungsübung, in der die Teilnehmer sich in ihrem Körper wahrnehmen und von dem Geschehen, das bisher war, abschalten können. Anschließend werden die Teilnehmer dazu aufgefordert, sich ein Theater oder einen Kinosaal vorzustellen. Auf der Leinwand des Kinos oder der Theaterbühne sollen sie ganz spontan ein Bild bzw. Symbol oder eine kurze Szene zu einem positiven Zukunftsbild ihrer Organisation bzw. ihres Teams entstehen lassen. Die Aufforderung könnte z. B. lauten: »Lassen Sie ein Bild dazu entstehen, wie eine ideale Zusammenarbeit in ihrem Team bzw. ihrer Organisation aussehen könnte.« Anschließend werden diese Bilder, Symbole oder Szenen auf DIN-A3-Blätter skizziert (dies ist auch gestalterisch Unbegabten möglich) und zu einer Collage zusammengefügt. Diese wird vorgestellt und diskutiert und daraus werden sich ableitende Maßnahmen erarbeitet. 55 Eine Variante ohne die o. g. Fantasiereise könnte sein: Die Workshop-Teilnehmer erstellen entweder individuell oder in einer Gruppe von 3–4 Personen Bilder, Skizzen oder Kollagen zur IstSituation bezüglich Disstress in der Organisation. Als zusätzliche Aufgabe kann auch ein Idealbild der Organisation zum positiven Umgang mit Disstress in 2–3 Jahren erarbeitet werden. 15.3.4 Infoworkshop für Führungskräfte Im Sinne eines gestuften Vorgehens (Prophylaxe – Prävention – Intervention) und wegen der Wichtigkeit einer aktiven Beteiligung der Führungskräfte ist es bei der Prophylaxe wichtig, eine Sensibilisierung der Führungskräfte für die Thematik Stress und Burnout und die unterschiedlichen Faktoren zu gestalten. Der Einfachheit halber fasse ich die beiden Phänomene Stress und Burnout in den Workshops zusammen. zz Motto: »Nur Organisationen mit gesunden Mitarbeitern sind kreativ und leistungsfähig!« Die Ziele eines solchen Infoworkshops können sein: 55 Sensibilisierung der Führungskräfte für einen bewussten Umgang mit dem Thema: Veränderungen in der Arbeitswelt und die Zunahme von Disstress und Burnout; 55 Vermittlung von Grundinformationen über Stress und Burnout; 55 auslösende Faktoren für Stress und Burnout; 55 Folgen von Disstress in Organisationen; 55 die Rolle der Führungskräfte in der Prophylaxe, Prävention und Intervention; Sensibilisierung Führungskräfte
152 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen 55 Interventionsebenen in der Stress- und Burnout-Prophylaxe, -Prävention und -Intervention; 55 Dimensionen gesunder Führung; 55 Bewusstmachung der Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Produktivität, Innovation etc. Mögliche Inhalte sind: kkInformationen 15 55 Die Unterscheidung von Eustress und Disstress: Wann ist eine Arbeit, Aufgabe oder Situation eine kreative, auch mitunter anstrengende Herausforderung (Eustress) und wann wird sie zur (permanenten) Belastung (Disstress)? 55 Welche Folgen hat Disstress in Organisationen: z. B. geringere Leistungsfähigkeit und Kreativität, sinkende Arbeitsproduktivität geringere Arbeitsqualität, Präsentismus (7 Abschn. 16.1) und Krankheiten, schlechte(re)s oder schlechtes Betriebsklima; 55 Die Stresssphären: Stress, dem der einzelne Mitarbeiter ausgesetzt ist – Stressauslöser im Unternehmen – begünstigende gesellschaftliche Faktoren; 55 das transaktionale Stresskonzept von Richard Lazarus als Erklärungsmodell und Orientierungshilfe; 55 in Organisationen wirkende Stressoren: physikalische Umwelt, Leistungsstressoren, persönliches Anspruchsniveau, Finanzen, chronische Belastungen, psychosoziale Stressoren, Arbeitswelt; 55 welche Stresssymptome entwickeln Menschen auf physischer, psychischer und geistiger Ebene? 55 Welche positiven und negativen Reaktionen und Bewältigungsstrategien (Coping) zeigen Menschen beim Stressabbau: z. B. latente Teamkonflikte offen thematisieren bzw. Alkohol- oder Drogenmissbrauch? 55 Wege zur Stressbewältigung: Stressoren verringern (instrumentelle Stressbewältigung), Motive bzw. Einstellungen verändern (kognitive Stressbewältigung) und Stressreaktionen verringern bzw. lindern (regenerative bzw. palliative Stressbewältigung); 55 Burnout: Was ist Burnout? Was sind die Hauptmerkmale und wie unterscheidet sich ein Burnout-Syndrom von einer Depression? 55 Welche Faktoren können ein Burnout auslösen? Ursachen in der Persönlichkeit des Mitarbeiters – Spannungen oder Konflikte im Team – schwierige und anspruchsvolle Patienten bzw. Kunden – Dissonanzen in der Strategie, Struktur und Kultur der Organisation; 55 Präsentismus (Arbeitnehmer gehen krank zur Arbeit aus Angst vor xy) und mögliche Folgen für das Unternehmen(7 Abschn. 16.1); 55 relevante Forschungsergebnisse zu Burnout und zu geeigneten Interventionen;
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen 153 15 55 die Bedeutung der Organisation als auslösender Faktor: Ursachen von Stress und Burnout in der Organisation – exemplarisch dargestellt anhand einzelner Phänomene im Existenzgrund, in der Kultur, in der Ordnung und in der technisch-wirtschaftlichen Ausstattung einer Organisation (7 Kap. 9); 55 die Wichtigkeit einer wertschätzenden Führung als prophylaktisches Element. kkHinweise auf Einflussmöglichkeiten in der Prophylaxe, Prävention und Intervention 55 Die Wichtigkeit einer betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) als effiziente Prophylaxe; 55 wie kann bei Mitarbeitern, in Teams oder in der gesamten Organisation Disstress frühzeitig erkannt werden? 55 Wie sieht der Prozess einer (internen oder externen) BurnoutBeratung aus? Was kann ein solcher Beratungsprozess bewirken? 55 Welche Wege der Wiedereingliederung eines Mitarbeiters nach einem längeren, durch Burnout bedingten Ausfall haben sich bewährt? 55 Welche internen oder externen Ressourcen haben wir in unserem Unternehmen: Betriebsarzt, Betriebspsychologe, Coach, Teamsupervisor, Organisationsentwickler etc.? kkErste Möglichkeiten der Reflexion 55 Welche Elemente von Stress und Burnout tauchen in meinem Unternehmen (immer wieder) auf? Welchen belastenden Situationen sind wir in unserer Organisation häufig ausgesetzt? 55 Die Reflexion kann zunächst individuell erfolgen und im Sinne einer kollegialen Unterstützung dann im Austausch mit Kollegen weitergeführt werden. kkExemplarische Anwendung von konkreten Tools für die Praxis als Führungskraft 55 Wie kann ich Erschöpfungssymptome bei einem Mitarbeiter erkennen? Vorstellen und Diskutieren einzelne Phänomene mit Filmbeispielen; 55 welche Möglichkeiten der Verhaltensprävention sind für Mitarbeiter in meiner Abteilung hilfreich, z. B. Zeitmanagement, Work-Life-Balance, Stressmanagement? 55 Training eines Mitarbeitergesprächs mit einem Burnout-Betroffenen in einem Rollenspiel. 15.3.5 Infoworkshop Belegschaft Die allgemeinen Informationen zu Stress und Burnout sowie die Hinweise zu Einflussmöglichkeiten in der Prophylaxe, Prävention und Ergänzende Elemente für Mitarbeiter
154 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen Verschiedene Workshop-Arrangements Intervention können auch in einem Workshop für Mitarbeiter vermittelt werden. Darüber hinaus kann man einen solchen Workshop auch dazu nutzen, die Mitarbeiter über ihre Situation ins Gespräch zu bringen und von ihnen erste Verbesserungen erarbeiten zu lassen. Ein Workshop kann als offene Gruppe mit Teilnehmern aus verschiedenen Unternehmen bei einem externen Organisationsberater oder Supervisor gebucht werden. Dies hat den Vorteil, dass Menschen aus vielfältigen Erfahrungsfeldern zusammenkommen und sich gegenseitig unterstützen können. Eine weitere Möglichkeit ist es, Teams bzw. Gruppen aus der gleichen Organisation zu einem Workshop zu versammeln. Dies hat den Vorteil, dass sehr praxisnah und konkret an den Schwierigkeiten und Bedürfnissen der Mitarbeiter bzw. Teams und an Dissonanzen in der Organisation gearbeitet werden kann. zz Inhalte und Methoden (in Auswahl) 15 55 Eine erste Bestandsaufnahme: Wie erlebe ich Stress und evtl. Burnout in meinem Unternehmen? 55 In einer Gruppe könnten dazu Risikofaktoren an einer Pinnwand »auf Zuruf« gesammelt werden. 55 Alternativ kann man auch mit Fragebögen arbeiten: Zunächst werden die Fragen individuell beantwortet und anschließend in der Gruppe miteinander diskutiert. Dadurch können die hauptsächlichen Belastungsmomente herausgearbeitet werden. 55 Bearbeitung der Hintergründe: Was sind die Ursachen von Stress in unserer Organisation und wie kann man mit ihnen umgehen? 55 Auf welchen Ebenen (Team – Kunden/Patienten – Organisation – Mitarbeiter) sehen wir hauptsächlich die Ursachen des Disstresses? 55 Welche Veränderungen können wir als Mitarbeiter machen? Hier können konkrete Interventionen aus der Verhaltensund Verhältnisebene gesammelt, diskutiert und »verabschiedet« werden. 55 Welche konkreten Erwartungen haben wir an unsere Führungskräfte und welche Vorschläge zur Verbesserung möchten wir ihnen unterbreiten? Ideen können im Sinne einer Petition durch einen Mitarbeitervertreter oder einen anderen Verantwortlichen an die Unternehmensleitung gerichtet werden. 55 Es ist auch wichtig, das zu diskutieren, was im Moment nicht verändert werden kann. Die Leitfrage dabei kann lauten: »Wie können wir im Moment unsere Einstellung ändern, um dieser herausfordernden Situation zu begegnen?
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen zz Informationsblock und Austausch zu Stress und Burnout 55 Wie kann ich Stress und Erschöpfung erkennen? 55 Welche Hilfen kann ich in Anspruch nehmen: Betriebsarzt, Coaching, Psychotherapie etc.? 55 Austausch mit Kollegen: Welche Erfahrungen haben sie in der Prophylaxe bzw. Prävention von Stress und Burnout? Damit einer solcher Workshop die Teilnehmer auf verschiedenen Ebenen anspricht, hat sich auch bewährt, Übungen zum Stressmanagement einzubauen. Dies kann z. B. in Form von Körperübungen, kurzen Yoga-Einheiten oder verschiedene Formen der Meditation (z. B. MBSR: »mindful based stress reduction«) geschehen. Es empfiehlt sich, den Workshop mit konkreten Maßnahmen abzuschließen, die von den Teilnehmern in Zukunft praktiziert werden. Dies können »einfache« Dinge sein, z. B. mehr Bewegung und Sport zu treiben, aber auch Interventionen auf Team- oder Organisationsebene. Die Leitfragen zu diesen »Schritten zurück in den Alltag« können sein: 55 Was will ich bzw. was wollen wir verändern? 55 Wie wollen wir es tun? 55 Wann soll der erste Schritt dazu erfolgen? 55 Wo soll die Veränderung stattfinden? 55 Wer kann mich bzw. uns in diesem Vorhaben unterstützen? 55 Wo ist mit Widerstand zu rechnen und wie kann man damit umgehen? 55 Wie verhindere ich mich bzw. wie verhindern wir uns evtl. in der Umsetzung? 15.3.6 Beispiel: Stressmanagement in der Abteilung eines Krankenhauses Als Praxisbeispiel stelle ich einen zweiteiligen Workshop vor, den ich als Verhaltens- und Verhältnisprophylaxe mit der Abteilung eines Krankenhauses (ca. 25 Mitarbeitende: ärztliches Personal, Pflegepersonal, Sekretariat) durchgeführt habe. Dem jeweiligen Workshop ging eine genaue Auftragsklärung mit dem Chefarzt, der Pflegedienstleiterin und dem Sekretariat voraus. Für den ersten Workshop habe ich zudem eine Umfrage mit den Mitarbeitern durchgeführt, bei der diese jeweils in 1–2 Sätzen bis zu drei ihrer hauptsächlichen Stressauslöser schildern konnten. zz Ziele des ersten Workshops (. Tab. 15.2) 55 Team sensibilisieren für den Umgang mit Stress und Überlastung: 55 in veränderbaren Situationen, 55 in (momentan) nicht veränderbaren Situationen; 55 Erweiterung des Handlungsspektrums im Umgang mit Stress. 155 15
Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen 156 . Tab. 15.2 Erster Workshop Zeit Aktivität 15 min Einstieg: Vorstellung – Info über Ablauf Begrüßung Vorstellung meiner Person Wiedergabe der Infos aus den Vorgesprächen Ziele des Nachmittags vorstellen – Grundinfos zum Phänomen Stress und seiner Bewältigung – Exploration des persönlichen Umgangs mit Stress – Veränderter Umgang mit Stresssituationen im Fachbereich Ablauf Workshop Möglichkeiten zur Ergänzung 30 min Grundinformation - Einstimmung Teilnehmerinnen und Teilnehmer 60 min Präsentation Stresssphärenmodell Aufmerksamkeitsübung: Wie geht es Ihnen jetzt? – körperlich? → Was nehmen Sie in Ihrem Körper wahr? – geistig? → Was sind Ihre Gedanken zum Nachmittag? – seelisch? → Was freut bzw. belastet Sie? Zitate zu Stress (Disstress und Eustress) hängen an den Wänden; die Teilnehmer ordnen sich Stresszitaten zu und wählen eines aus, das sie anspricht bzw. dem sie widersprechen → Austausch in der Gruppe beim jeweiligen Stresszitat – Warum habe ich dieses Zitat gewählt? – Welche Bedeutung hat für mich Stress (Eu- bzw. Disstress)? – Welche Techniken bzw. Strategien wende ich im Umgang mit Stress an bzw. habe ich angewandt? 30 min Exploration des persönlichen Stresses Einzelarbeit mit einem Arbeitspapier 15 Teilnehmer sollen die typische Stresssituationen der letzten Tage innerlich intensiv Revue passieren lassen Exploration: – »Stressoren«: Was haben die Teilnehmer als stressig erlebt? – Reaktionen«: Wie haben sie auf diese Stressoren körperlich, emotional reagiert? – »Verhaltensweisen«: Was haben sie zur Bewältigung des Stresses getan? Evtl. Partneraustausch
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen . Tab. 15.2 157 15 Fortsetzung Zeit Aktivität 30 min Information Stress Informationsvortrag Raum für Fragen Einzelreflexion mit (vorher ausgefülltem) Arbeitspapier Stressoren-Reaktionen-Verhaltensweisen: Welche Infos sind für mich und mein Stressverhalten wichtig? Evtl. Partneraustausch Abschluss evtl. mit bewusstem Essen eines Apfels 15 min Pause 45 min Erweiterter Umgang mit einer Problemsituation: »Problem- und Lösungsdusche« Einführung: Ziel der Übung ist nicht eine Veränderung der Problemsituation, sondern eine veränderte Bewertung und evtl. ein verändertes Verhalten des Ratsuchenden Bestimmung von Problemen bzw. Belastungssituationen der Teilnehmer im Plenum: jeweils auf 1 Flip-Chart schreiben Aufteilung in Gruppen à 5 Personen – ein Teilnehmer kann Rolle des Moderators übernehmen – Gedanken sammeln, die diese Situation für alle Betroffenen verschlimmern, dramatisieren könnten → negative Gedanken nennen – nach 10–15 negativen Nennungen: Gedanken äußern, die die Situation erleichtern können → »Lösungsdusche« Vorstellen der Flipcharts im Plenum 20 min Partnerübung: Ausarbeitung von Selbstinstruktionen Vorgabe: anwendbar bei plötzlich und unerwartet auftretenden, aber mittel- bis langfristig vorhersehbaren Belastungsreaktionen, z. B. bei Notfallpatienten Beschreiben einer vorhersehbaren kritischen Situation Formulierung von Selbstinstruktionen: für Hosentasche, PC-Bildschirm, Schreibtisch, Bürotür Tipps zur Formulierung: positive Formulierung, ernste Absicht (»ich werde« statt »ich versuche«), realistisch und unter eigener Kontrolle, eine Formulierung verwenden → Beispiel geben 15 min Wahrnehmungsübung Übung: progressive Muskelrelaxation (PMR) 30 min Abschluss Evaluation: – Was nehme ich aus diesem Workshop mit (als Fische in Fischernetz eintragen)? – Was lasse ich los (als »Abfall« in Abfalleimer werfen)? Möglichkeit zu Rückmeldungen im Plenum
158 Kapitel 15 • Prophylaxe in der Organisation bzw. im Unternehmen zz Zweiter Workshop (. Tab. 15.3) Der zweite Workshop diente als »Follow-up« der Evaluation der getroffenen Maßnahmen und hatte das Ziel, »Erfolgsgeschichten« zu sammeln (»Was hat mir bzw. uns im Umgang mit Disstress geholfen – was sollten bzw. können wir mehr machen?«). Darüber hinaus sollten die gegenwärtige Situation mit dem sog. Organisationskompass bestimmt und neue Maßnahmen reflektiert und geplant werden. Aus dem genannten Beispiel aus einem Krankenhaus wird ersichtlich, dass auch ohne ein großes Zeitbudget sehr effektiv und effizient an der Verhaltens- und Verhältnisprophylaxe bzw. -prävention gearbeitet werden könnte. Damit dies umgesetzt werden konnte, war es wichtig, eine gute Auftragsklärung durchzuführen. In Vorbereitungsgesprächen wurden sowohl die Interessen des unmittelbaren Auftragsgebers berücksichtigt (hier war es eine aus Chefarzt, Pflegedienstleitung und Sekretariat zusammengesetzte Gruppe) als auch die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter bei der Vorbereitung des Workshops einbezogen. Dadurch geschah schon eine erste Fokussierung der jeweiligen Anliegen und es wurde ein gutes Committment für die Durchführung des Workshops erreicht. Sehr bewährt haben sich immer wieder auch Tools bzw. Übungen zum individuellen Umgang mit Stress. Wenn möglich, sollte eine breite Palette von Übungen eingesetzt werden, um den Teilnehmern Ideen zu geben, was für sie in ihrer Situation passt. Die Auswertung der beiden Workshops zeigte, dass die (sehr konkreten) Maßnahmen zu einem großen Teil umgesetzt wurden und sich insgesamt die Stressbelastung sowohl auf der Ebene des einzelnen Mitarbeiters als auch in der gesamten Abteilung reduziert hat. 15
15.3 • Verhältnisprophylaxe in Organisationen . Tab. 15.3 159 15 Follow-up-Workshop Zeit Aktivität 15 min Einstieg: Vorstellen – Info über Ablauf Begrüßung Infos aus Vorgesprächen und Ziele des Workshops – Standortbestimmung – Fokussierung auf weitere Optimierungen Ablauf Programm 15 min Grundinformation Repetition: Stresssphärenmodell Ergänzung mit Advance Organizer »Stress« Achtsamkeitsübung – etwas langsam und bewusst tun: körperlich – seelisch – geistig: Glas Wasser trinken – an schönen Moment denken – auf den Körper fokussieren 60 min Reflexion der »Lösungsdusche aus erstem Workshop« – Anerkennung der Veränderungen Gruppenarbeit in thematisch orientierten Gruppen: – Individuelle Skalierung: Wo stehen Sie jetzt auf Skala 1–10 (nicht verwirklicht – verwirklicht)? – Was hat in der Vergangenheit zu positiven Veränderungen geführt (auch wenn die Verbesserung nur auf einem Skalenpunkt passiert ist)? Notieren Sie diese Veränderung auf der linken Hälfte des Flip-charts – Sammeln Sie in der rechten Hälfte des Flip-charts, was Sie mehr machen können. Konkretisieren Sie 2 wichtige Aktivitäten, indem Sie sich überlegen: Was will ich bzw. wollen wir verändern? Wie wollen wir es tun? Wann soll der erste Schritt dazu erfolgen? Wo soll die Veränderung stattfinden? Wer kann mich bzw. uns in diesem Vorhaben unterstützen? Wo ist mit Widerstand zu rechnen und wie kann man damit umgehen? Wie verhindere ich mich bzw. verhindern wir uns evtl. in der Umsetzung? 15 min Pause 45 min Fokussierung auf weitere Optimierungen mit dem Organisationskompass Fokussierung mit Organisationskompass: – individuelle Bewertung vornehmen – Gruppenaustausch – Priorisierung einer Maßnahme für dieses Halbjahr: was, wie, wo, wann, wer? Marktplatz: Flips vorstellen und Austausch darüber 30 min Abschluss Stressübung kognitiv: – Ich stelle mir eine Lösungsmöglichkeit visuell vor – evoziere den positiven Zustand – Reflexion: Was tue ich, damit xy Wirklichkeit wird? – Evaluation: Kartenabfrage und Zuteilung zu    Möglichkeit zu Rückmeldungen im Plenum
161 Prävention: Rechtzeitig handeln Kapitel 16  Gefahren für Organisationen bzw. Unternehmen – 163 Ulrich Scherrmann Kapitel 17 Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung – 169 Ulrich Scherrmann Kapitel 18 A  nalyse und Diagnose der Ursachen – 185 Ulrich Scherrmann Kapitel 19 Beratungsarchitekturen und –designs – 193 Ulrich Scherrmann V
163 Gefahren für Organisationen bzw. Unternehmen Ulrich Scherrmann 16.1 Präsentismus – 164 16.2 Musterwiederholung bei organisational bedingtem Burnout – 165 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 16
164 Kapitel 16 • Gefahren für Organisationen bzw. Unternehmen Erste Anzeichen wahrnehmen und handeln Die Unterscheidung zwischen Prophylaxe und Prävention hat ihre Begründung darin, dass aufgrund der systemischen Perspektive Organisationen besonderen Gefahren ausgesetzt sind, die sich erst bei Anzeichen einer Beeinträchtigung oder Erkrankung eines Mitarbeiters bzw. mehrerer Mitarbeiter zeigen. Entscheidend für die Perspektive der Prävention ist es, ersten Anzeichen für das Entstehen eines Burnouts bei Mitarbeitern zu begegnen, um eine Verschlimmerung der Symptomatik zu vermeiden. Deshalb ist es absolut notwendig, die nötigen medizinischen oder psychologischen Abklärungen vorzunehmen und mithilfe einer externen Person (Coach, Organisationsberater) die Situation am Arbeitsplatz des Mitarbeiters zu analysieren und zu diagnostizieren. Dadurch können Handlungsstrategien ausgearbeitet werden, die sowohl die individuellen medizinisch-psychologischen als auch die organisationalen Faktoren berücksichtigen. Eine Berücksichtigung möglicher Ursachen allein auf der individuellen Ebene greift aufgrund des skizzierten Burnout-Modells zu kurz. 16.1 Mitarbeiter arbeiten trotz Krankheit Gefahr der Heroisierung Möglicherweise Verschlimmerung der Krankheit 16 Präsentismus und Burnout Präsentismus Als Präsentismus wird bezeichnet, wenn Mitarbeiter trotz Krankheit arbeiten. Dies kann damit zusammenhängen, dass sie Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes haben, aus (falsch verstandenem) Pflichtgefühl zur Arbeit gehen oder die Arbeitsmenge und ein (vermeintlicher) Termindruck kein Fehlen zulässt. Die Gefahr besteht, dass solche Mitarbeiter heroisiert werden, weil sie als stark und übermäßig belastbar angesehen werden und es honoriert wird, dass sie sogar noch »mit dem Kopf unter dem Arm« an ihrem Arbeitsplatz erscheinen. Die Folgen dieser Verhaltensweise können sein, dass sich eine zunächst harmlose Krankheit immer weiter verschlimmert. Der Ausfall eines Mitarbeiters durch Krankheit kann für die Organisation auf diese Weise zu zusätzlichen Fehlzeiten und damit zu zusätzlichen Kosten führen. Eine Studie der deutschen Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2009 hat gezeigt, dass 42% der Befragten innerhalb von zwölf Monaten mindestens zweimal krank zur Arbeit gegangen sind (Uhle & Treier, 2011, S. 195). Präsentismus kann besonders auch in Zusammenhang mit Burnout-Phänomenen auftauchen: 55 Auf der individuellen Seite gibt es immer wieder Menschen, die aus Pflichtgefühl keinen Arbeitstag auslassen und krank zur Arbeit gehen. Die Gefahr, dass dieser Mitarbeiter längerfristig ganz ausscheidet, ist nicht zu unterschätzen. 55 Auf der organisationalen Seite kann es sein, dass ein Team oder eine Führungskraft so starken Druck auf Mitarbeiter ausübt, dass diese sich innerlich gezwungen fühlen, auch krank ihrer Arbeit nachzugehen.
16.2 • Musterwiederholung bei organisational bedingtem Burnout 165 16 Beide Faktoren können in der sorgfältigen Analyse und Diagnose eruiert werden, sodass zur Prävention entsprechende Maßnahmen getroffen werden können. 16.2 Musterwiederholung bei organisational bedingtem Burnout Die heute vorherrschende Praxis ist, nach dem Ausfall eines von Burnout betroffenen Mitarbeiters die Stelle entweder für den entsprechenden Mitarbeiter freizuhalten oder sie bald mit einem anderen Mitarbeiter zu besetzen. Es wird völlig unterschätzt, dass auch systemische Faktoren zu einem Burnout geführt haben, die nicht damit behoben werden, Mitarbeiter zu einem Arzt oder in eine ambulante oder stationäre Rehabilitation zu schicken. Deshalb ist es wichtig, genauer zu untersuchen, ob das Burnout überwiegend mit organisationalen Faktoren zusammenhängt oder nicht. Ist das Burnout organisational bedingt, besteht die Gefahr, dass aufgrund der Musterwiederholung schon bald der nächste Mitarbeiter an Burnout erkrankt. Diese Sicht der Musterwiederholung ist für viele Führungskräfte neu. Deshalb sind in einem Gespräch auch Informationen über die systemische Sicht von Organisationen und Merkmale sozialer Systeme nötig, um die Aufmerksamkeit dafür zu schärfen, dass nach einem Burnout-Fall nicht nur eine Verhaltenssondern auch eine Verhältnisanalyse und evtl. Intervention nötig sind (König & Volmer, 2008, S. 46–52; Häfele, 2009, S. 40–48). Zur Musterwiederholung möchte ich in der gebotenen Kürze ein paar Hinweise geben. Bei einem Burnout-Fall ist in einer Organisation immer das Augenmerk darauf zu richten, welche Personen – neben dem Mitarbeiter – in der relevanten Umwelt an der Situation beteiligt sind. Es kann sein, dass das Burnout zu einem großen Teil in der Persönlichkeitsstruktur des Mitarbeiters begründet ist. Es kann aber gleichzeitig sein, dass außerdem ein oder mehrere Mitarbeiter bzw. Führungskräfte als Elemente des sozialen Systems eine Rolle bei der Erkrankung spielen. Menschen werden in ihrem Handeln, Erleben und Empfinden durch subjektive Deutungen der jeweiligen Interaktionen geprägt. So kann – je nach Persönlichkeit – Person A eine Aussage von Person B als herabsetzend bewerten, während Person C die gleiche Aussage von Person B scherzhaft aufnimmt. Die jeweiligen subjektiven Deutungen und Bewertungen einer Teamkommunikation, des Verhaltens einer Führungskraft oder der Arbeitsmenge und Arbeitsintensität spielen also eine große Rolle in einer Organisation und natürlich in einem Burnout-Prozess. Explizite und implizite soziale Regeln bestimmen sowohl das Verhalten von Menschen in Organisationen als auch ganze Systeme. In einem Burnout-Fall ist es deshalb wichtig zu reflektieren, welche Regeln in dieser Organisation herrschen und welche evtl. burnout- Neubesetzung häufige Praxis Gefahr der Musterwiederholung Beteiligte bei einem Burnout-Fall? Kommunikation und subjektive Deutungen Burnout-fördernde Regeln in der Organisation
166 Kapitel 16 • Gefahren für Organisationen bzw. Unternehmen Gefährliche Verhaltensmuster Materielle und soziale Umwelt Schleichende oder kurzfristige Entwicklung? Musterwiederholung 16 fördernd sind. Eine in vielen Unternehmen herrschende implizite (manchmal auch explizite Regel) ist z. B., dass Führungskräfte auch am Wochenende die wichtigsten Mails bearbeiten müssen oder telefonisch im Urlaub jederzeit erreichbar sein müssen. Menschen interagieren in einer Organisation mit vielen anderen Personen, sodass sich – aus Gründen der Berechenbarkeit – bestimmte Verhaltensmuster (Regelkreise) herausbilden. Diese Verhaltensmuster können burnout-fördernd sein, z. B. dadurch, dass eine Führungskraft einen Mitarbeiter immer wieder mit Aufgaben betraut, für die er zu wenig qualifiziert ist, und sich anschließend darüber beschwert, dass die Aufgaben ungenügend erledigt worden ist. Die materielle Umwelt (z. B. vorhandene Räume oder Geräte) und die soziale Umwelt (z. B. andere Personen, andere soziale Systeme) prägen das Verhalten eines Systems. Dadurch wird offensichtlich, dass beispielsweise schlecht ausgestattete Arbeitsplätze zu Frustrationen führen oder andere Teams oder Kollegen, die intrigant auftreten, zu einer großen psychischen Belastung werden können. Soziale Systeme entwickeln sich im Laufe der Zeit. Bezogen auf einen Burnout-Fall kann man z. B. untersuchen, wie die Entwicklung hin zum Burnout des Mitarbeiters verlaufen ist. Gab es z. B. ein besonderes Ereignis, das die Situation ausgelöst hat, oder hat sich die Erkrankung »schleichend« eingestellt? Entscheidend für die Hypothese, dass die Besetzung eines – aufgrund des Burnouts eines Mitarbeiters – vakanten Arbeitsplatzes durch einen neuen Mitarbeiter bei diesem ebenfalls zu einem Burnout führen kann, ist die Eigenschaft von Systemen, sich in wiederkehrenden Mustern zu verhalten. Diese Musterwiederholung gibt einer Organisation Sicherheit und Stabilität, sie kann allerdings auch dysfunktional sein. Ein Beispiel für ein negatives Muster ist, dass eine Geschäftsleitung in der Herstellung eines Produktes sehr stark auf die Kostenseite fixiert ist. Dieses Verhaltensmuster ist wichtig. Wird dabei aber nicht beachtet, dass Mitarbeiter unter den knappen personellen und materiellen Ressourcen leider, kommt das Unternehmen als Ganzes in eine Schieflage. Organisationen visieren immer die Reproduktion des gegenwärtigen Zustandes an, um ihre Identität zu bewahren. Gleichzeitig reagieren sie aber auch auf Veränderungen, die aus der Umwelt kommen und Irritationen bewirken können, wobei die Struktur der Organisation darüber entscheidet, was an Irritation aufgenommen und bearbeitet wird. Organisationen schotten sich aber nicht gänzlich von der Umwelt ab, sondern können auch auf Veränderungen reagieren, die aus der Umwelt kommen und Irritationen bewirken. Allerdings entscheidet die Struktur der Organisation darüber, was an Irritation aufgenommen und bearbeitet wird. Im erwähnten Beispiel gibt es Unternehmen, die für Anregungen von außen, z. B. die Arbeitsplätze besser personell und materiell auszustatten, offen sind und die nötigen Anpassungen vornehmen. Andere wiederum verschließen sich diesen Hinweisen und verbleiben in ihrem traditionellen Muster.
167 16.2 • Musterwiederholung bei organisational bedingtem Burnout o.F.: permanente Erreichbarkeit Burnout Mitarbeiter 2 o.F.: permanente Erreichbarkeit . Abb. 16.1 Burnout Mitarbeiter 1 Neubesetzung Musterwiederholung in Organisationen Die Musterwiederholung in Systemen bedeutet, dass sich auch Probleme reproduzieren (. Abb. 16.1). Die gleichen Faktoren, die bei Person A ein Burnout ausgelöst haben, können also bei Person B dasselbe auslösen. Zur Vermeidung dessen ist es wichtig, dass sich Berater in adäquater Weise so in Beziehung zum Klientensystem setzen, dass ihre Irritationen aufgenommen werden können und zu einer Veränderung von Verhaltensmustern, Werten oder Regeln führen. Im Sinne der Verhältnisprävention ist es also entscheidend, Veränderungsmöglichkeiten so zu analysieren und zu implementieren, dass auch soziale Regeln, Verhaltensmuster und die Entwicklung der Organisation berücksichtigt werden. Probleme werden reproduziert 16
169 Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung Ulrich Scherrmann 17.1 Interner oder externer Berater? – 170 17.2 Der Nutzen systemischer Burnout-Beratung – 171 17.3 Forschungsergebnisse zu Interventionen – 172 17.4 Prinzipien einer systemisch orientierten (Burnout-) Beratung – 173 17.5 Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung – 174 17.5.1 17.5.2 Sorgfältige Analyse und Diagnose – 176 Ziele bzw. Visionen bestimmen: Salutogenese als neues Paradigma für Organisationen? – 177 Information bzw. Bewusstseinsbildung – 179 Beteiligung der Mitarbeiter – 180 Aktive Mitarbeit der Führungskräfte – 180 Kommunikation – 181 Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse – 181 Bezugsrahmen: Systemisches Organisationsmodell – 182 17.5.3 17.5.4 17.5.5 17.5.6 17.5.7 17.5.8 17.5.9 17.5.10 Nutzung der bestehenden Ressourcen – 182 Die Wichtigkeit einer sorgfältigen Auftragsklärung – 183 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 17
170 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung Vielfältiger Fokus Wird ein (interner oder externer) systemischer Organisationsberater in eine Organisation gerufen, in der eine oder mehrere Personen Anzeichen eines Burnout zeigen oder an Burnout erkrankt sind, muss er mit einigen wichtigen Elementen arbeiten: 55 Er muss dem Auftraggeber eine plausible Erklärung anbieten können, warum diese Menschen an Burnout erkrankt sind. 55 Er muss die Vielfalt der möglichen auslösenden Faktoren benennen können. 55 Er muss Analyse- und Diagnoseinstrumente zur Verfügung haben, die die auslösenden Faktoren erfassen. 55 Er muss geeignete Interventionen anbieten bzw. einleiten, um den Gefährdungen der Mitarbeiter und der Organisation adäquat zu begegnen. 17.1 Erste Anlaufstellen Befangenheit interner Berater? 17 Frühzeitiges Engagement eines externen Beraters Interner oder externer Berater? In größeren Organisationen wird die Einführung und das Management der betrieblichen Gesundheitsförderung meist von der HumanResources-Abteilung geleistet oder an externe Fachleute vergeben. Kleinere und mittlere Unternehmen holen sich (temporär) externe Expertise oder bilden Mitarbeiter für diese Aufgaben aus. Sind bei einem Mitarbeiter erste Anzeichen von Erschöpfung oder Burnout sichtbar, stellt – neben dem Vorgesetzen und dem HumanRessources-Management (HRM) – der Betriebsarzt bzw. -psychologe oder der interne Coach eine erste Anlaufstelle für den Mitarbeiter dar. Hat sich in der Abklärung ergeben, dass überwiegend organisationale Gründe für das Burnout eine Rolle spielen, gilt es genau abzuwägen, ob ein interner Berater noch die nötige Unabhängigkeit besitzt, um adäquat auf die Problematik eingehen zu können. Am ehesten ist dies noch bei Auslösefaktoren möglich, die im Team oder der Arbeitsgruppe liegen. Dann kann der Berater mit entsprechenden Interventionen auf eine Verbesserung der Faktoren hinwirken. Zeigt sich allerdings, dass in der Organisation grundsätzliche Probleme bestehen, z. B. inadäquate Strukturen, mangelhafte Prozesse oder schlechte Unternehmenskultur, ist es ratsam, eine externe Fachperson hinzuzuziehen. Sie besitzt die Unabhängigkeit, um auf Defizite hinzuweisen und nötige Veränderungsvorschläge einzubringen. Ein externer Berater sollte allerdings nicht erst hinzugezogen werden, wenn sich die Burnout-Fälle in einer Organisation häufen und die Problematik offenkundig ist. Auch schon bei ersten Anzeichen eines organisational bedingten Burnouts lohnt es sich, unabhängige Expertise einzuholen, um ein weiteres Zunehmen der Symptome zu verhindern. Dadurch können die krankmachenden Elemente analysiert und diagnostiziert und entsprechende Maßnahmen angegangen werden. Das Engagement eines externen Beraters ist im Interesse der ganzen Organisation besonders dann nötig, wenn ein Burnout-
17.2 • Der Nutzen systemischer Burnout-Beratung 171 17 Syndrom bei einem oder mehreren Mitarbeitern eingetreten ist, weil hier die Gefahr ist, dass die Burnout auslösenden organisationalen Faktoren weiterhin bestehen bleiben. Dies soll im folgenden Kapitel erläutert werden. 17.2 Der Nutzen systemischer Burnout-Beratung Man braucht sich keine Illusionen zu machen: Burnout ist bei Führungskräften kein Thema, das mit positiven Assoziationen besetzt ist – es ist eher eine Last, sich damit auseinanderzusetzen. Infolgedessen ist es für Berater wichtig, den Nutzen einer systemischen Organisationsberatung für die Organisation deutlich zu machen. In einem Erstgespräch sollte sich der Berater deshalb auf folgende potentielle Kundenfragen einstellen, z. B.: 55 Was bringt es mir bzw. meiner Organisation, in einem BurnoutFall einen Organisationsberater zu engagieren? Habe ich davon zumindest längerfristig einen finanziell messbaren Nutzen? 55 Warum soll ich mich überhaupt mit dem Thema Burnout auseinandersetzen? Es genügt doch, den kranken Mitarbeiter durch einen neuen zu ersetzen. 55 Was erhalte ich für mich selbst und für die Mitarbeiter an Hilfen und neuen Umgangsweisen? 55 Was ist von mir als Führungskraft gefordert? Was muss ich tun? Burnout als Last Aufgrund dieser Überlegungen ist es sinnvoll, im Erstgespräch folgende wichtigen Informationen beim potenziellen Kunden zu platzieren: 55 Die Kosten von Maßnahmen zur Stress- und Burnout-Beratung sind schon bald durch den Return on Investment (ROI) ausgeglichen. Zukünftig können Fehlzeiten bei Mitarbeitern reduziert werden. 55 Aufgrund der demographischen Entwicklung und des zunehmenden Mangels an Facharbeitskräften und Spezialisten sind gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen wichtig, um Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. 55 Wird beim Burnout eines Mitarbeiters nur eine Intervention auf personaler Ebene vorgenommen, besteht die Gefahr der Musterwiederholung. Damit entstehen für die Organisation wiederum Kosten (Ausfall und Einarbeitung neuer Mitarbeiter). 55 Angesichts der immer zahlreicher werdenden Burnout-Fälle kann als Burnout-Prophylaxe die Belastung in der Organisation gemessen werden. Konkrete Interventionen können dann darauf abzielen, diese – wenn möglich – zu verringern. 55 Bei einem konkreten Burnout-Fall können – neben der Last – auch die Chancen aufgezeigt werden, die sich durch eine intensive Bearbeitung der jetzt eingetretenen Situation ergeben: Die Organisation kann durch engagiertere, gesündere und zufriedenere Mitarbeiter leistungsfähiger werden. Informationen für den Auftraggeber Erstgespräch ROI gegeben Demographie und Mangel an Facharbeitern bzw. Spezialisten Gefahr der Musterwiederholung Belastungsmessung in Organisation Chancen sehen
172 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung Infos zum systemischen Verständnis von Burnout 55 Hintergrundinformationen zum systemischen Verständnis von Burnout helfen der Führungskraft und den Mitarbeitern, ihre Arbeitsbedingungen zu reflektieren und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen. Dabei können z. B. folgende Themen aufgegriffen werden: 55 systemische Zusammenhänge von Burnout und die unterschiedlichen Burnout-Faktoren, 55 wichtige Elemente einer systemischen Stress- und BurnoutProphylaxe, -Prävention und –Intervention, 55 die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in der Vision, Strategie, Struktur und Kultur einer Organisation, 55 die besondere Rolle der Führungskraft in der BGF und im Umgang mit der Thematik Burnout, 55 Kernelemente der systemischen Organisationsberatung: der systemische Blick auf Organisationen – Prinzipien der systemischen Organisationsberatung. 17.3 Metastudie Personen- und organisationsbezogene Ansätze 17 Forschungsergebnisse zu Interventionen Im Jahr 2010 hat eine Forschungsgruppe der Medizinischen Hochschule Hannover eine Metastudie veröffentlicht, in der sie die Ergebnisse von 25 Studien zu Burnout-Interventionen analysierte (Awa et al., 2010, S. 184–190). Die Metastudie untersuchte Studien in deutscher und englischer Sprache zwischen Januar 1995 und März 2006 und zwischen April 2006 und Dezember 2007. Mindestvoraussetzung war, dass sowohl vor als auch nach der Intervention eine Datenerfassung durchgeführt wurde. Es wurden relevante Publikationen erfasst, unabhängig vom Untersuchungsdesign, der Art oder der Zielgruppe der Untersuchung, weil es relativ wenige evaluierte Studien zu BurnoutInterventionen gibt. Von insgesamt 535 Publikationen erfüllten nur 25 die aufgestellten Kriterien; die Studien kamen hauptsächlich aus den Niederlanden (12) und den USA (4). Die Teilnehmer an den Studien stammten aus einem breiten Berufsspektrum, von Zahnärzten über Polizeioffiziere bis zu angehenden Krankenschwestern bzw. -pflegern. Personenzentriert waren 17 Interventionen. Sie umfassten Maßnahmen wie Psychotherapie, Coaching oder kognitives Verhaltenstraining. Organisationsbezogen waren zwei Studien; sechs umfassten sowohl personen- als auch organisationsbezogene Ansätze. Die Dauer der Interventionen reichte von zwei Tagen bis zu zehn Monaten, eine kombinierte Intervention dauerte sogar knapp ein Jahr. Die Ergebnisse dieser Metastudie sind interessant: 55 In 21 Studien (84%) kam es zu einem Rückgang von Burnout. Drei Studien zeigten keine positiven Resultate, in einer der personenzentrierten Studien kam es gar zum Anstieg von Burnout. Die beiden organisationsbezogenen Studien waren widersprüchlich: eine zeigte positive, die andere keine Effekte.
17.4 • Prinzipien einer systemisch orientierten (Burnout-)Beratung 173 17 55 Der Rückgang von Burnout umfasste den Zeitraum zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Eine Studie, die Auffrischungskurse umfasste, bewirkte sogar bis 2,5 Jahre nach der Intervention eine Veränderung. 55 Von den personenbezogenen Interventionen bewirkten 82% einen Rückgang über bis zu sechs Monate nach der Intervention. 55 Alle sechs kombinierten Interventionen führten zu positiven Effekten, davon fünf bis zu einem Jahr. In einer abschließenden Bemerkung führen die Forscher an, dass mehr und stärker standardisierte Forschung in Zukunft nötig sei, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit neuere, im deutschen Sprachraum entwickelte Interventionen sich längerfristig als hilfreich und nützlich erweisen. Eine Wirksamkeitsstudie liegt zum Gruppentherapieprogramm AGIL (Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf) vor, das von einer Gruppe rund um den Chefarzt der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, Prof. Andreas Hillert, entwickelt wurde. Hier ergab eine erste Evaluation gute Resultate hinsichtlich Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Selbstwirksamkeit (Burisch, 2014, S. 219–222). Eine Ausweitung auf Berufstätige (und Arbeitslose) geschah mit dem Programm »Stressbewältigung am Arbeitsplatz SBA, dessen Evaluation ebenfalls positiv verlief. Die Evaluation des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM) zeigte auch positive Resultate, wenngleich von den Autoren selbst die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus der Studiengruppe auf die Allgemeinheit angezweifelt wird. 17.4 Interventionen aus dem deutschen Sprachraum Prinzipien einer systemisch orientierten (Burnout-)Beratung Um Kunden das »Handwerkszeug« für Interventionen bei ersten Anzeichen von Burnout oder schon eingetretenem Burnout-Syndrom zu beschreiben, ist es zunächst wichtig, einige bedeutende Prinzipien der Arbeit in der systemischen Organisationsberatung bzw. -entwicklung transparent zu machen. Dabei ist es selbstverständlich, dass es selten Berater als »systemische Organisationsentwickler« in Reinkultur gibt, sondern je nach persönlicher Biographie auch andere Formen, z. B. humanistische oder existenzanalytische Ansätze, in die Beratung einfließen können. Die folgenden Ausführungen sind als kurze Orientierung gedacht (Häfele, 2009, S. 24–29). 55 Eine systemische Betrachtung der Wirklichkeit achtet auf die Unterschiede, die zwischen Systemen und innerhalb von Systemen existieren. Dabei kristallisiert sich das Besondere eines Systems heraus. Auf einen Burnout-Fall bezogen kann gefragt Unterschiede beachten
174 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung Aktive Beteiligung Aller 55 Was brauchen die Organisation und die Mitarbeiter? 55 Ressourcen- und Lösungsorientierung 55 Entwicklungsimpulse 55 Verkraftbare nächste Schritte 55 Veränderung im »Alltagsgeschehen« 55 werden, warum gerade in dieser Abteilung Burnout-Fälle öfters auftreten. Was ist das Spezifische dieser Abteilung oder Organisation? Eine aktive Beteiligung der Mitarbeiter und Führungskräfte ist für eine Entwicklung oder Veränderung in einer Organisation unabdingbar. Grundsätzlich ist sehr viel Wissen im System selbst vorhanden; ein Berater sollte dieses Wissen aktivieren. Mit der Führungsebene sorgt er dafür, dass die Beteiligten die Gestaltung von Veränderungsprozessen annehmen und vielfältige Möglichkeiten der Beteiligung haben. Prozesse richten sich einerseits nach den Erfordernissen der Organisation in Bezug zu ihren Umwelten aus, aber auch nach den Bedürfnissen, Interessen und Anliegen der Mitglieder. Systemische Organisationsberatung orientiert sich an den vorhandenen Ressourcen des Systems und richtet den Blick auf Lösungen, die für die Zukunft des Systems erfolgversprechend sind. Interventionen von außen können Entwicklungsimpulse anregen, die von der Organisation je nach ihren Möglichkeiten oder Fähigkeiten aufgegriffen werden. Systemische Beratung orientiert sich an für das System verkraftbaren Entwicklungsschritten. Veränderung geschieht ganz konkret im Alltag von Organisationen. Dabei sind Workshops oder Projektgruppensitzungen intensive »Auszeiten«, um Veränderungen zu planen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. 17.5 Verständnis für Hintergründe von Burnout – Vision gesunde Organisation 17 Kognitive und emotionale Impulse Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung Die im Folgenden aufgeführten Elemente einer systemischen Burnout-Beratung sind nicht nur für die Prävention relevant, sondern gelten auch (zumindest teilweise) für Situationen, in denen ein Berater in der Prophylaxe und Intervention engagiert wird (. Abb. 17.1). Grundsätzlich braucht es in der heutigen Arbeitswelt ein umfassenderes Verständnis, nicht nur für die (Hinter-)Gründe von Burnout; gleichzeitig ist auch die Vision einer gesunden Organisation nötig, die leistungsfähig und finanziell erfolgreich ist, weil sie sich um das Wohl und die Gesundheit der Mitarbeiter kümmert. Im Sinne einer nachhaltigen Beratung ist es sinnvoll, diese langfristige Dimension, die auch die Vision, Strategie, Struktur und Kultur einer Organisation mit berücksichtigt, in den Beratungsprozess einfließen zu lassen. Als Schlüsselkomponente sehe ich dabei die Anwendung der neurobiologischen Erkenntnisse zu Verhaltensänderungen von Menschen. Gerald Hüther, Neurobiologe, Psychiater und Leiter der Abteilung für neurobiologische Grundlagenforschung an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen, hat in einem bemerkenswerten Vortrag
175 17.5 • Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung Analyse und Diagnose Visionen bzw. Ziele Ressourcen nutzen Organisationsmodell Systemische Burnoutarbeit Wissenschaftlich fundiert Bewusstseinsbildung Beteiligung Kommunikation Aktive Mitarbeit Führungskräfte . Abb. 17.1 Wichtige Elemente systemisch orientierter Burnout-Prophylaxe, -Prävention und -Intervention dazu folgende Anregung gegeben: Eine Verhaltensänderung von Menschen funktioniert »hirntechnisch« nur, wenn sowohl das kognitive als auch das emotionale Netzwerk im Gehirn immer wieder miteinander verbunden werden (Hüther, 2011, S. 2 f). Nur die kognitive Betonung des Werts einer betrieblichen Gesundheitsförderung allein funktioniert nicht; es braucht zusätzlich die emotionale Aktivierung durch die Einladung, Ermutigung und Inspiration zu einem neuen Verhalten. »» Sie können einen anderen Menschen, wenn Sie möchten, dass er sich verändert, nur einladen. Wenn das noch nicht reicht, ermutigen. Und wenn das immer noch nicht genug ist, können Sie versuchen, ihn zu inspirieren. Einladen, ermutigen und inspirieren – darauf kommt es an. (Hüther, 2011, S. 3) Diese neurowissenschaftlich belegte Vorgehensweise gilt es auch für Organisationen anzuwenden. Dabei kommt es sowohl bei Führungskräften als auch bei Mitarbeitern darauf an, diese Inspiration zu einem neuen Verhalten auf die unterschiedlichen Ebenen ihres personalen, interpersonalen und organisationalen Handelns zu übertragen. 17
176 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung 17.5.1 Schutzbehauptung? Auslösende Faktoren analysieren Beteiligung vieler Unbewusste Themen vorhanden? Latenzschutz Sorgfältige Analyse und Diagnose Mitunter treten Menschen, die ins Burnout geraten sind, die Verantwortung an die Organisation ab, um sich nicht den eigenen personalen Anteilen zu stellen. Eine solche Schutzbehauptung gilt es, in einer sorgfältigen Analyse und Diagnose aufzudecken und dem Betroffenen dann die entsprechende Unterstützung zuteilwerden zu lassen. Da aus systemischer Sicht prinzipiell alle auslösenden Faktoren – evtl. in je unterschiedlicher Gewichtung – an einem Burnout beteiligt sein können, gilt es, die verschiedenen Ebenen sorgfältig zu analysieren. Dazu können verschiedene Instrumente eingesetzt werden, z. B. Tiefeninterviews, Fragebögen oder Punktabfragen. Zu einer sorgfältigen Analyse gehört es auch, neben den unmittelbar Betroffenen möglichst viele der in der Organisation arbeitenden Menschen an diesem Schritt zu beteiligen. Dazu gehört auf jeden Fall der unmittelbare Vorgesetzte, aber auch das Team oder die Gruppe, in der das Burnout-Opfer arbeitet. Sie können – evtl. erweitert durch externe Personen – im Sinne eines 360°-Feedbacks wertvolle Hinweise geben. In der Regel werden in der systemischen Organisationsberatung nur die bewussten Themen reflektiert, die sich in einer Organisation zeigen. Es kann darüber hinaus eine Hilfe sein, sich auch auf die unbewussten Themen einzulassen. Taucht beim Organisationsberater relativ schnell der Verdacht auf, dass organisationale Faktoren dominieren, ist es wichtig, eine genaue Auftragsklärung vorzunehmen und sich (evtl. von Neuem) mit Fragen wie den folgenden auseinanderzusetzen (Haubl, 2011, S. 197–209): 55 Warum wurde ich (jetzt) als Berater engagiert? 55 Welche Erwartungen hat der Auftraggeber? 55 Ist der Auftrag klar oder eher diffus formuliert? Ein besonderes Augenmerk ist auf den sog. Latenzschutz zu legen, d. h. der Tatsache, dass in Organisationen Themen, die kritisch sind und evtl. zu einer Krise führen könnten, nicht angepackt werden. Die Stabilität soll weiterhin gewährleistet sein und es wird viel getan, damit auch in der Kommunikation solche kritischen Themen nicht aufgedeckt werden. »» Latenzschutz kann (…) nicht nur der Selbsterhaltung einer Or- ganisation dienen, sondern sie auch gefährden. Organisationen sind deshalb gut beraten, ihren Latenzschutz flexibel zu handhaben, heißt: ihn immer wieder zu lockern, um zu prüfen, ob sich bestehende Symptome verringern oder drohende Symptome vermeiden lassen, wenn kritische Themen zur Sprache kommen dürfen. (Haubl, 2011, S. 203) 17 Unbewusstheit in Organisationen Eine Herausforderung ist es ebenfalls, die Unbewusstheit in Organisationen zu thematisieren. Eine solche Unbewusstheit drückt sich
17.5 • Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung 177 17 z. B. darin aus, dass in der Institution eine Wirklichkeit konstruiert wird und von Mitgliedern der Organisation erwartet bzw. geteilt wird, die aber nicht mehr an der Realität überprüft wird. Im Falle eines Burnout kann eine solche Wirklichkeitskonstruktion so aussehen, dass einem Burnout-Opfer dessen vermeintliche individuelle Unzulänglichkeiten und Fehlleistungen vorgehalten werden. Der Teil der Realität in der Organisation, der wesentlich zum Burnout dieser Person beigetragen hat, wird aber nicht thematisiert bzw. darf nicht thematisiert werden. 17.5.2 Ziele bzw. Visionen bestimmen: Salutogenese als neues Paradigma für Organisationen? Eine systemische Burnout-Beratung sollte nicht nur die aktuelle Situation im Auge haben, z. B. den Anruf einer Führungskraft zur Klärung, ob organisationale Faktoren bei einem von Burnout betroffenen Mitarbeiter vorliegen. Im Fokus sollten immer auch die gesunde Organisation und ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement sein, damit möglichst viele Erkrankungen auf physischer oder psychischer Ebene vermieden werden können. Hintergrund dieses Konzepts sind Forschungen des amerikanisch-israelischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, der v. a. untersucht hat, welche Faktoren Menschen gesund erhalten, selbst wenn sie extremsten Belastungen ausgesetzt sind (Antonovsky,1997, S. 34–36) . Ausgehend von der Tatsache, dass er bei einer Gruppe von Frauen, die die KZs der Nazis überlebt hatten, bei 29% eine gute psychische Konstitution vorfand, stellte er sich die Frage, was diese Gruppe vom Rest unterscheidet, der den gleichen Bedingungen ausgesetzt war. Auf welche Ressourcen konnten diese Frauen zurückgreifen, sodass sie den Schrecken der Nazis überlebten? Antonovsky subsumierte seine Erkenntnisse unter dem Stichwort »Kohärenzgefühl«, das er folgendermaßen beschreibt: »» Das SOC (Kohärenzgefühl) ist eine globale Orientierung, die aus- drückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass »» 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; »» 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; »» 3. diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen. (Antonovsky, 1997, S. 36) Salutogenese nach Antonovsky
178 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung Handhabbarkeit Verstehbarkeit Bedeutsamkeit Kohärenzgefühl . Abb. 17.2 Die drei Komponenten des Kohärenzgefühls nach Antonovsky Verstehbarkeit – Handhabbarkeit Bedeutsamkeit Die drei Komponenten 55 »Verstehbarkeit« – die Fähigkeit, Ereignisse oder Entwicklungen zu ordnen, zu strukturieren und evtl. voraussehen zu können, 55 »Handhabbarkeit« – die Fähigkeit, personale Ressourcen oder Ressourcen im sozialen Umfeld aktivieren zu können, um Ereignisse bewältigen zu können, und die 55 »Bedeutsamkeit« – die Fähigkeit, Sinn im Leben zu empfinden und Anforderungen des Lebens als Motivation und Herausforderung zu betrachten, denen man sich widmet, bilden die Hauptelemente des Kohärenzgefühls (. Abb. 17.2). Blick auf gesundmachende Faktoren Eine systemische Organisationsberatung kann hier Antonovskys Gedanken aufnehmen und mit der eigenen ressourcen- und lösungsorientierten Arbeitsweise verbinden. Sie erhält damit einen zusätzlichen »Tiefgang«, weil die Orientierung weg von krankmachenden, hin zu gesundmachenden Faktoren und damit zu den Ressourcen geht. Gleichzeitig kann auch ein Faktor in der Prävention aufgegriffen werden, der Antonovsky wichtig war, nämlich Gesundheit und Krankheit nicht als Gegensätze, sondern als Kontinuum anzusehen. Menschen sind infolgedessen nicht ganz gesund oder ganz krank, sondern bewegen sich irgendwo zwischen den beiden Polen – abhängig von den jeweils vorhandenen Ressourcen. In Organisationen könnte das Konstrukt des Kohärenzgefühls dazu benutzt werden, auf der Ebene des Einzelnen, eines Teams bzw. einer Gruppe oder der Organisation als Ganzes sich zu fragen: 55 Haben wir die Fähigkeit, die aktuell herausfordernde Situation einzuordnen und zu verstehen? 55 Können wir geeignete Ressourcen zur Bewältigung aktivieren? 55 Konfrontiert uns die gegenwärtige Situation mit Sinnfragen und wollen wir uns ihnen widmen? Gesundheit und Krankheit als Kontinuum 17 Anwendung des Kohärenzgefühls in der Organisation
17.5 • Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung 17.5.3 179 17 Information bzw. Bewusstseinsbildung Die zunehmende Präsenz des Themas Burnout in der Öffentlichkeit hat Menschen in Organisationen für dieses Phänomen sensibilisiert. Der Blick in den Büchermarkt zeigt aber, dass von den möglichen auslösenden Faktoren eindeutig die personale Sichtweise überwiegt. Menschen können sich hier mit unzähligen Büchern und Ratgebern zu Stress- und Burnout-Bekämpfung und -Prävention eindecken und die für sie passenden Übungen und Tipps zum Entschleunigen, zum Zeitmanagement, zum Delegieren u. Ä. besorgen. Dieses Faktum kommt daher, dass in der breiteren Öffentlichkeit davon ausgegangen wird, dass ein Burnout-Opfer einmal »gebrannt«, d. h. zu viel gearbeitet hat und jetzt »ausgebrannt« ist. Aus Konsequenz daraus wird ihm empfohlen, weniger zu arbeiten, seine Zeit besser einzuteilen etc. In den Führungsetagen von Unternehmen ist die Sichtweise, dass auch organisationale Faktoren (z. B. zu geringe personelle Ressourcen) bei Mitarbeitern zu einem Burnout führen können, eher gering ausgeprägt und verbesserungswürdig. Eine systemisch orientierte Organisationsberatung muss in der Diskussion mit den Auftraggebern und in der späteren Arbeit dafür sorgen, dass in der Symptom- und evtl. Ursachendiskussion eine umfassendere Sichtweise (7 Abb. 3.1) als Ausgangsbasis für Veränderungen thematisiert wird. Das systemische Burnout-Modell kann die verschiedenen Ursachen für Burnout in einer Organisation erhellen. Dabei ist es wichtig, die Interdependenz der einzelnen Ebenen zu berücksichtigen, um die Komplexität nicht vorschnell zu reduzieren. Gleichzeitig sollen auch die äußeren Ebenen von »Markt« oder »Politik und Welt« in der konkreten Analysephase in einer Organisation thematisiert werden. Zur Bewusstseinsbildung gehört ebenfalls, Ängste zu thematisieren, die beim Verlassen der bisherigen monokausalen, personal fixierten Sicht entstehen können. Beim Aufdecken organisationaler Faktoren können Themen auftauchen, die bisher im Verborgenen gewirkt haben und beim Aufdecken eine Eigendynamik entfalten, die das System ängstigen oder verunsichern kann, weil gewohnte Bahnen und Muster verlassen werden. Hier kann das Bild von der »Perle im Misthaufen« für Entlastung sorgen, weil deutlich wird, dass im Durcharbeiten der bisher verborgenen Faktoren ein positiver Hoffnungsschimmer gefunden werden kann. Norbert K. Semmer schreibt in einer Art Fazit zu gesundheitsbezogenen Interventionen in Organisationen, dass »die Veränderung von Arbeitsbedingungen einen Eingriff in ein komplexes soziales System darstellt, und dieses entwickelt vielfältige Widerstände gegen Veränderungen (…). Selbst vielversprechende Maßnahmen können dadurch leicht gefährdet werden, und es ist nicht leicht, die Bedingungen für ihren Erfolg zu gewährleisten« (Semmer & Zapf, 2004, S. 817). Weg von der nur personalen Sichtweise Umfassendere Sichtweise Systemisches Burnout-Modell Ängste thematisieren Widerstände gegen Veränderungen
180 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung 17.5.4 Keine Alibi-Übung Das Wissen in der Organisation aktivieren Fokussieren auf Unterschiede Autonomie und Gesundheitsschutz 17 Organisationen, die sich in der Vergangenheit wenig um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter gekümmert haben, können versucht sein, Leistungen in der Gesundheitsprävention in Form von modularen Packages einzukaufen. Der grundsätzlich zu begrüßende Impuls, etwas in der Gesundheitsförderung zu tun, kann aber relativ leicht zu einer Alibi-Übung werden, wenn die Verantwortung für die Gesundheitsförderung nicht von den Führungskräften und den Mitarbeitern wahrgenommen wird. Ein Organisationsberater kann von außen nur Entwicklungsimpulse geben und Organisationen bei der selbst verantworteten Entwicklung von Neuem begleiten; er darf sich allerdings nicht dazu verleiten lassen, zu viel Verantwortung und Initiative, die an ihn als »externe Fachperson« delegiert wird, zu übernehmen. Ein Prinzip systemischer Organisationsberatung, nämlich das vorhandene Wissen in der Organisation zu aktivieren, gilt es auf möglichst vielen Ebenen umzusetzen. Mitarbeiter wissen in der Regel am besten, wo sie »der Schuh drückt« und wie Verbesserungen einer momentan als ungünstig bewerteten Situation aussehen können. Durch eine umfassende Beteiligung der Mitarbeiter kann ein weiterer Grundsatz systemischer Beratung, nämlich das Fokussieren auf Unterschiede zwischen Systemen und innerhalb von Systemen, umgesetzt werden. Gerade in größeren Organisationen können dadurch Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen oder Abteilungen herausgearbeitet werden und sich das Besondere dieses Subsystems zeigen. Des Weiteren können auch Quervergleiche mit anderen Organisationen gezogen werden. Die Bedeutung der Beteiligung der Mitarbeiter wird auch durch eine Studie des Bertelsmann-Konzerns erhärtet, die in den Jahren 2002 mit über 50 000 Mitarbeitern gemacht wurde (Netta, 2009, S. 71–89). Dabei stellte sich heraus, dass aus Sicht des Mitarbeiters ein Gesundheitsschutz in einem Unternehmen wesentlich aus den folgenden Faktoren besteht: »Autonomie in der eigenen Arbeit, Transparenz und Einschätzbarkeit der Unternehmensstrategie und Sicherheit des Arbeitsplatzes und Zufriedenheit mit der Arbeitszeitregelung« (Netta, 2009, S. 74). Besonders der Autonomie wird eine große Bedeutung beigemessen, weil Menschen empfindlich auf Situationen reagieren, in denen Autonomie und Mitsprache bei Entscheidungen durchaus möglich wären, ihnen aber vorenthalten werden. Die Planung und Durchführung von Organisationsentwicklungsmaßnahmen mit Beteiligung der Mitarbeiter tragen deshalb wesentlich diesem Bedürfnis nach Autonomie und Beteiligung Rechnung. 17.5.5 Unmittelbarer Vorgesetzter wichtig Beteiligung der Mitarbeiter Aktive Mitarbeit der Führungskräfte Aus der Sicht des Mitarbeiters werden die Autonomie am Arbeitsplatz sowie die Kommunikation der Geschäftsstrategie wesentlich durch den unmittelbaren Vorgesetzten hergestellt. Er kann die Gestaltungs-
17.5 • Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung 181 17 möglichkeiten bestimmen und die relevanten Informationen zur Unternehmenspolitik weitergeben. In der Studie des BertelmannKonzerns wird zudem deutlich, dass »eine hohe Arbeitsbelastung (…) in einem Klima partnerschaftlicher Führung nicht als Gesundheitsbeeinträchtigung erlebt« wird (Netta, 2009, S. 77). Die Rolle der Führungskraft ist auch deshalb wichtig, weil Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung selten alle Mitarbeiter erreichen und auch in unterschiedlicher Quantität und Intensität wahrgenommen werden. Eine Führungskraft hingegen, die partnerschaftlich führt, wirkt einerseits in Bezug auf ihre Mitarbeiter, andererseits aber auch in Bezug auf ihre evtl. ihr unterstellten Führungskräfte. Der Bertelsmann-Konzern unterstreicht die Wichtigkeit des Verhaltens seiner Führungskräfte sogar noch dadurch, dass diese bei wirtschaftlichem Erfolg in ihrem Bereich entsprechend erfolgsbezogen bezahlt werden, aber nur bei gleichzeitig gutem Führungsverhalten weiter aufsteigen können. 17.5.6 Kommunikation Es kommt nicht selten vor, dass in Organisationen gute Projekte lanciert werden, die Kommunikation darüber aber stiefmütterlich behandelt wird. Neben einer einmaligen Information anlässlich des Projektbeginns geschieht nichts mehr. Demgegenüber ist es absolut notwendig, einerseits die bestehenden Kommunikationsmöglichkeiten in der Organisation zu nutzen, andererseits aber auch neue, phantasievolle Kanäle zu eröffnen, z. B. Intranet-Videospots, die Hilfen zum persönlichen Stressmanagement geben. Zur Kommunikation gehört auch, dass Zwischenergebnisse, wichtige Erkenntnisse oder die Evaluationsergebnisse sorgfältig kommuniziert werden. In der Kommunikation kommt den Führungskräften eine besondere Verantwortung zu; sie können z. B. auch in Teamsitzungen – außerhalb der üblichen Traktanden – immer wieder ein Projekt in den Köpfen der Mitarbeiter »wachhalten«. 17.5.7 Keine rudimentäre Kommunikation Kommunikationskanäle nutzen (Zwischen-)Ergebnisse kommunizieren Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse Im Coaching mit HR-Führungskräften taucht mitunter als Thema auf, dass ihr Bereich in der Chefetage weniger ernst genommen wird, weil dort nicht das »Eigentliche« stattfindet, z. B. der Verkauf, die Entwicklung oder die Produktion. Diese Darstellung wird von den betreffenden Führungskräften nicht selten internalisiert. Dieses Muster, das die sog. hard facts von den soft facts trennt, kann sich nachteilig auf die Beratung und Entwicklung einer Organisation im Bereich des Burnouts auswirken. Deshalb ist es wichtig, vorhandene solide Studien, die die Verbindung der beiden »facts« betonen, auch in die Beratung mit einfließen zu lassen. Studien zur Verbindung von »hard and soft facts«
182 Kapitel 17 • Unterstützung durch systemische Burnout-Beratung Erfolg und soft facts So zeigte z. B. die Deep-White-Studie, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gesundheitsfürsorge des Arbeitsgebers (also einem sog. soft fact) und dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens (hard fact) gibt (Schönborn & Buchholz, 2009, S. 91–113). Pointiert formuliert heißt es: »» Ob Gesundheitszustand, Leistungsfähigkeit, Arbeits- und Lebenszufriedenheit oder im Ganzen betrachtet das Betriebsklima, über alle Indikatoren zeigt sich: Wenn die soften Faktoren im Unternehmen stimmen, wenn die Work-Life-Balance ausgeglichen ist, stimmt es auch mit den erfolgstreibenden Unternehmenskulturen. (Schönborn & Buchholz, 2009, S. 111) 17.5.8 Systemisches Organisationsmodell als Orientierungshilfe Um ein systematisches und systemisches Vorgehen zu gewährleisten, ist es eine Hilfe, sich als Berater an einem Organisationsmodell zu orientieren und gleichzeitig der Organisation ein solches Modell für ihre Burnout-Prävention bzw. -Intervention (und allgemein als Orientierungshilfe im betrieblichen Gesundheitsmanagement) zur Verfügung zu stellen (Häfele, 2009, S. 57–61). Mithilfe eines solchen Modells können in der Analyse und Diagnose wesentliche Teile einer Organisation in den Blick genommen werden. 17.5.9 Nutzung der BGM-Gruppe(n) 17 Bezugsrahmen: Systemisches Organisationsmodell Nutzung der bestehenden Ressourcen Es versteht sich von selbst, dass vielfältige Ressourcen, die in einer Organisation bestehen, auch für die Burnout-Arbeit nutzbar gemacht werden können. Dazu gehören z. B. der Rückgriff auf etablierte Projektstrukturen, die Nutzung der Kompetenzen von Mitarbeitern oder auch das Einfordern ausreichender finanzieller Mittel und Zur-Verfügung-Stellen von Arbeitszeiten. Ist in einer Organisation ein gut funktionierendes betriebliches Gesundheitsmanagement vorhanden, inkl. einer entsprechenden Projekt- oder Steuerungsgruppe, sollte in einem konkreten Einzelfall auf diese Gruppe zurückgegriffen werden, um entsprechende Interventionen zu planen und durchzuführen. Grundsätzlich ist die Integration aller Maßnahmen in ein schon bestehendes oder noch aufzubauendes betriebliches Gesundheitsmanagement zu begrüßen. Dadurch wird deutlich, dass es sich nicht um eine Alibi-Übung oder eine Ad-hoc-Aktion handelt, sondern dass die Pflege und Erhaltung der Mitarbeiter ein wichtiges Ziel der Organisationspolitik ist.
17.5 • Wichtige Elemente einer systemisch orientierten Burnout-Beratung 183 17 Erhält ein Organisationsberater eine Anfrage aus einer Organisation, sollte er sich mit Fragen auseinandersetzen wie z. B. 1. Besteht eine BGF? 2. Existiert ein funktionierendes Steuerungsorgan? 3. Was sind Ziele und Inhalte der BGF? Gibt es bisher Maßnahmen im Bereich Burnout? 4. Ist der Aufbau einer BGF gewünscht? Wird dazu eine externe Beratung gewünscht? 17.5.10 Die Wichtigkeit einer sorgfältigen Auftragsklärung Die Beschreibung der o. g. Elemente zeigt, dass es wichtig ist, während oder nach einem Erstgespräch eine sorgfältige Auftragsklärung vorzunehmen. Momentan fehlt in Organisationen noch das Bewusstsein für die organisationalen Faktoren von Burnout, sodass es schon in den ersten Gesprächen bedeutend ist, die umfassendere Sicht von Burnout mit den einzelnen Faktoren und ihrer jeweiligen Wechselwirkung einzubringen. Auftragsklärung
185 Analyse und Diagnose der Ursachen Ulrich Scherrmann 18.1 Personale Faktoren – 186 18.1.1 18.1.2 Erste Anzeichen von Erschöpfung – Warnzeichen wahrnehmen – 186 Unterstützung durch die Führungskraft – 188 18.2 Organisationale Faktoren – 190 18.2.1 18.2.2 Ein Mitarbeiter als Symptomträger – 190 Organisationale Faktoren im engeren Sinne – 190 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 18
186 Kapitel 18 • Analyse und Diagnose der Ursachen Personale und organisationale Ursachen Symptomträger Mehrere Personen betroffen? Erste Hinweise 18 In der Regel wird einem Mitarbeiter bei Anzeichen von Erschöpfung geraten, mehr für sich zu sorgen, sich abzugrenzen, Nein zu sagen, einen Kurs zu Stressmanagement zu belegen etc. Dieser Umgang mit der Erschöpfung eines Mitarbeiters ist zwar richtig, berücksichtigt aber nur den personalen Faktor als Ursache. Darüber hinaus ist es wichtig, auch den organisationalen Faktor zu sehen. Werfen wir einen Blick auf ein konkretes Beispiel: In einem Team oder einer Arbeitsgruppe leidet ein Mitarbeiter unter Erschöpfungszuständen. Die erste Reaktion ist es, den Mitarbeiter mit seinem Verhalten dafür verantwortlich zu machen und beim »Hebel personale Faktoren« anzusetzen. Bei näherer Betrachtung aber fällt auf, dass diese Person ein »Symptomträger« ist. Darunter versteht man die Tatsache, dass Anspannungen oder konfliktreiche Situationen auf einen Mitarbeiter durch die anderen Mitglieder eines Teams bzw. einer Arbeitsgruppe (unbewusst) übertragen werden. Diese Person ist aufgrund geringerer Widerstandsfähigkeit oder fehlender personaler Ressourcen dafür »prädestiniert«. Die erschöpfte Person lebt sozusagen das Belastende und Krankmachende aus, das im ganzen Team ist, von diesem aber nicht wahrgenommen oder adäquat behandelt wird. Es versteht sich von selbst, dass es jetzt unzureichend wäre, nur bei den personalen Faktoren dieses Symptomträgers anzusetzen. Es muss gleichzeitig auch das gesamte Team bzw. bei kleineren Organisationen bzw. Unternehmen die ganze Organisation als möglicher auslösender Faktor ins Blickfeld gerückt werden. Wird nicht erkannt, dass eine Person Symptomträger ist, gerät in der Regel nach einiger Zeit eine neue Person als Symptomträger in den Fokus der Aufmerksamkeit. Sind mehrere Personen in einer Organisation von Erschöpfungssymptomen heimgesucht, ist es naheliegend, dass Defizite oder Belastungen in der Organisation als Ursache in Frage kommen und demzufolge auch auf dieser Ebene angegangen werden müssen (. Abb. 18.1). 18.1 Personale Faktoren 18.1.1 Erste Anzeichen von Erschöpfung – Warnzeichen wahrnehmen Die ersten Anzeichen von Überlastung und Erschöpfung können vielfältig sein und sind erste Hinweise, dass möglicherweise der Mitarbeiter auf ein Burnout-Syndrom zusteuert. Grundsätzlich ist bei den folgenden Symptomen immer davon auszugehen, dass auch andere Erkrankungen in Frage kommen können, und es absolut notwendig ist, genauere diagnostische Abklärungen zu treffen: 7 Übersicht »Indizien für ein beginnendes Burnout (Auswahl)«.
187 18.1 • Personale Faktoren Erschöpfungssymptome personale Faktoren organisationale Faktoren Symptomträger organisationale Faktoren im engeren Sinne . Abb. 18.1 Ursachen für Erschöpfungssymptome Indizien für ein beginnendes Burnout (Auswahl) Mangelnder Abstand von der Arbeit 55 Schlafprobleme (Einschlaf- oder Durchschlafprobleme) 55 Grübeleien, ständige Beschäftigung mit Problemen am Arbeitsplatz Probleme mit der Konzentration und Aufmerksamkeit 55 Sich in unwichtigen Dingen verlieren 55 Vergesslichkeit 55 Mangelnde Konzentration 55 Fehler aufgrund von Zerstreutheit oder Flüchtigkeit Gefühl von Stress, Hetze, Zeitmangel 55 Kein oder mangelndes Zeitmanagement 55 Priorisierung von Tätigkeiten gelingt nicht mehr 55 Nervosität, innere Unruhe Zunehmende soziale Isolation 55 Meidung des Kontaktes mit Kollegen oder Kunden 55 Fernbleiben bei Betriebsanlässen 55 Privat Einschränkung des Kontakts mit Freunden oder Kollegen Stimmungs- und Gefühlsschwankungen 55 Erhöhte Reizbarkeit bis hin zu plötzlichen Wutausbrüchen 55 »Näher am Wasser gebaut«: Weinen 18
188 Kapitel 18 • Analyse und Diagnose der Ursachen Verminderte Leistungsfähigkeit 55 Erhöhter Aufwand für Routinearbeiten 55 (Unnötige) Überstunden Erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten 55 Grippe 55 Erkältungen 55 Magen-Darm-Probleme 18.1.2 Unterstützung durch die Führungskraft Abklärung von Zuständigkeiten Zuständigkeiten klären und weiteres Vorgehen absprechen Damit es nicht zu (peinlichen) Doppelspurigkeiten kommt, ist es vor allem in größeren Organisationen wichtig, die Zuständigkeit(en) für Mitarbeiter klar zu regeln. Bei Unterstützungsgesprächen des (unmittelbaren) Vorgesetzten mit dem betroffenen Mitarbeiter wird in mittleren und größeren Organisationen oft eine Person aus der Personalabteilung (HR-Management) hinzugezogen. Nach einem ersten Analyse- und Diagnosegespräch ist es hilfreich, das weitere Vorgehen – evtl. unter Einbezug von Fachleuten (Arzt, Psychotherapeut, externer oder interner Coach) – zu planen. Nach einer gewissen Zeit sollte erneut eine Standortbestimmung vorgenommen werden. Unterstützungsgespräch Nähe-Distanz Auch familiäre Belastungen einbeziehen 18 Veränderungen in der Organisation für den Betroffenen Durch einen guten Kontakt mit den Mitarbeitern und eine gelebte Vorbildkultur kann eine Führungskraft viel zum angemessenen Umgang mit ersten Warnzeichen bei einem Mitarbeiter beitragen. Entscheidend ist es, dass ich mir Zeit nehme für das Gespräch, empathisch reagiere und gleichzeitig das richtige Nähe-Distanz-Verhältnis eingehe. Im vertrauensvollen Gespräch ist es wichtig, zunächst durch eine gezielte Analyse und Diagnose die Ursachen für erste Anzeichen eines Burnouts zu suchen. Dabei gilt es, die ganze Palette möglicher betrieblicher Faktoren zu berücksichtigen, aber auch Belastungen außerhalb der Organisation (Familie etc.) nicht aus dem Auge zu verlieren. Oft kommen Menschen durch eine gehäufte Belastung – ausgelöst durch familiäre und organisationale Faktoren – an ihre Grenzen, sodass es wichtig ist, auch die familiären Faktoren als Belastung bzw. als Ressource zu thematisieren. In der Organisation selber können für den einzelnen Mitarbeiter z. B. Veränderungen in seinem Arbeitsinhalt, seiner Arbeitsumgebung (Lärm, Licht etc.) oder seiner Arbeitsorganisation thematisiert werden. Bei Einbindung in ein Team bzw. eine Arbeitsgruppe ist es absolut notwendig, die anderen Mitarbeiter in angemessener Weise zu informieren und ggf. unterstützend in die Veränderungen einzubeziehen.
18.1 • Personale Faktoren Bei neuen Mitarbeitern in einer Organisation oder einem Positionswechsel kann es wichtig sein, eine (erneute) Rollenklärung mit Klärung von Funktionen und Aufgaben vorzunehmen. Dabei kann z. B. thematisiert werden, ob die Rollenerwartungen des Mitarbeiters erfüllt worden sind oder ob es noch spezifischen Klärungsbedarf für seine Position gibt. Wichtige Punkte, die ebenfalls in diesem Gespräch angeschnitten werden können, sind mögliche Ursachen für eine sinkende Arbeitsproduktivität, mangelnde Arbeitszufriedenheit, Motivationsdefizite oder Klagen über die Organisationskultur. Dahinter kann sich z. B. verbergen, dass die Vergütung nicht stimmt, dass Absprachen über Aufstiegsmöglichkeiten nicht eingehalten wurden oder allgemein die Wertschätzung für die Arbeit beim Mitarbeiter vermisst wird. Gleichzeitig kann thematisiert werden, inwiefern er sich selbst zu stark verausgabt bzw. auf seiner Position eine zu starke Verausgabung erwartet wird. Es ist wichtig, konkrete Maßnahmen zu vereinbaren. Darüber hinaus kann auch überprüft werden, ob eine weitergehende ärztliche Abklärung sinnvoll ist – bis hin zu einer teilweisen Krankschreibung aufgrund Arbeitsunfähigkeit. Grundsätzlich sind die Maßnahmen zum individuellen Umgang mit Belastungen aus der Prophylaxe auch für die Prävention relevant. Dazu noch einmal in einem kurzen Überblick wichtige Hilfen: 55 Fokus Eustress versus Distress: Was überwog in den letzten Tagen, Wochen und Monaten? Evaluation der eigenen Stressoren und typischen Stresssignale. 55 Fokus Salutogenese: Ist meine Arbeit verstehbar, handhabbar und bedeutsam? 55 Fokus Sinn in der Arbeit: Erlebe ich einen Sinn in dem, was ich tue? Ist meine Arbeit wertvoll? 55 Fokus Leben (auch) in der Arbeit. Trenne ich künstlich zwischen Arbeit und Leben? Kann ich auch Lebensqualität(en) und -erfüllung in der Arbeit entdecken? 55 Fokus Auszeiten und Rituale: Zeit für mich selbst, Entspannungstechniken, Zeit mit der Familie oder Freunden, Aufenthalt an Kraftorten. 55 Fokus Belastungen am Arbeitsplatz: vgl. Fragebogen zu individuellen Belastung im 7 Kap. 13 (7 Tab. 13.1); Möglichkeit der Heimarbeit prüfen. 55 Fokus: Reflexion der eigenen Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen: Welche zusätzlichen Kompetenzen sind nötig? Was brauche ich dafür an Aus- und Weiterbildung 55 Fokus Team bzw. Gruppe: Was kann ich aus meiner Perspektive verändern? 55 Fokus Unterstützung: Inanspruchnahme eines Coachs, Betriebspsychologen, Betriebsarztes. 55 Fokus Körper: sportliche Aktivitäten überprüfen, ggf. Veränderung im Umgang mit Suchtmitteln (Alkohol, Medikamente etc.). 189 18 (Erneute) Klärung von Rolle, Funktionen und Aufgaben Weitere Auslöser Maßnahmen vereinbaren Überblick geeigneter individueller Maßnahmen
190 Kapitel 18 • Analyse und Diagnose der Ursachen Bestandsaufnahme in Team bzw. Arbeitsgruppe Hypothese Symptomträger 18.2 Organisationale Faktoren 18.2.1 Ein Mitarbeiter als Symptomträger Treten Anzeichen von Erschöpfung bei einem Mitarbeiter auf, ist es nicht einfach zu erkennen, ob dabei das Phänomen des Symptomträgers eine Rolle spielt, weil die dahinterstehende Vorgänge im Verborgenen ablaufen. Besteht ein begründeter Verdacht dafür, ist es wichtig, im Team bzw. in der Arbeitsgruppe eine Bestandsaufnahme der Belastungen und der evtl. zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erheben. Hilfsmittel dazu können eine Mitarbeiterumfrage sein, der Fragebogen im Anhang (7 Anhang) oder diverse Online-Instrumente, die von verschiedenen Organisationen angeboten werden, z. B. in der Schweiz das S-Tool der Gesundheitsförderung Schweiz. Es kann auch hilfreich sein, in ein Teamgespräch die Arbeitshypothese einzubringen, dass der von Burnout bedrohte Mitarbeiter nur ein Symptomträger ist. Alternativ kann ein allgemeiner Teamcheck vorgenommen werden, bei dem die verschiedenen Dimensionen der Teamarbeit analysiert werden. 18.2.2 Eingrenzung möglich? Verhaltens- und Verhältnisprävention 18 Verantwortungsträger Organisationale Faktoren im engeren Sinne Sind mehrere Mitarbeiter in einer Organisation, einem Team oder einer Arbeitsgruppe von Erschöpfungssymptomen betroffen oder gibt es eine signifikant höhere Krankenrate, ist es nicht sinnvoll, diese Fälle nur zu individualisieren. Stattdessen ist es wichtig, die Arbeitsverhältnisse in der Organisation zu untersuchen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Organisation als Ganzes betroffen ist oder nur eine Abteilung oder ein Team, wobei auch hier wieder eine Abteilung Symptomträgerin für eine ganze erkrankte Organisation sein kann. Ein besonderes Augenmerk gilt den systemischen Mustern, die in dieser Organisation oder Abteilung gelebt werden und die zu Überbelastung führen. Generell ist es wichtig, sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventiv zu arbeiten. Bei der Verhältnisprävention sollte die Organisation bzw. das Team als Ganzes »durchgecheckt« werden, um die belastenden Faktoren zu identifizieren und gleichzeitig die vorhandenen Ressourcen zu erheben. Im Unterschied dazu betrifft die Verhaltensprävention die einzelne Person. Durch Bewusstseinsbildung und Information soll der Einzelne dazu motiviert werden, sich gesundheitsförderlich zu verhalten, z. B. sich häufig zu bewegen, gesund zu essen oder sich Auszeiten zu gönnen. Die Verantwortung für diese Maßnahmen liegt in den Händen der Geschäftsführung, unterstützt durch Abteilungs- oder Teamleiter und die HR-Abteilung.
18.2 • Organisationale Faktoren Der Fokus sollte auf den belastenden Faktoren liegen, die in den einzelnen Feldern des mehrdimensionalen Burnout-Modells auftreten können. Die folgende Aufzählung (7 Übersicht »Politik – Gesellschaft – Welt«) versteht sich als kurzer Überblick. Politik – Gesellschaft – Welt 55 Veränderte politische und rechtliche Verhältnisse (z. B. Arbeitsmarkt, Steuer- oder Energiepolitik) 55 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen: soziale Probleme, kritische Sicherheitslage etc. 55 Globale Veränderungen, z. B. Finanzkrise, Konflikte Markt – Mitbewerber 55 Schwierige Marktsituation 55 Konkurrenz durch innovative Mitbewerber (mit besseren Produkten) Organisation Existenzgrund 55 Instabiles Kerngeschäft, evtl. mit ungewisser Entwicklung 55 Unklare Identität: Selbstverständnis, Image, Nutzen 55 Absichten nicht eindeutig: Visionen, Ziele bzw. Strategien, Reaktion auf Markt oder Mitbewerber Kultur der Organisation 55 Menschen: schlechtes Betriebsklima, es fehlt an Anerkennung, Wertschätzung, Unterstützung, BGF, intellektueller Anregung, Raum für Initiative, beruflichen Zukunftsperspektiven, systematischer Personalentwicklung 55 Führung bzw. Steuerung: unzureichende Führungskompetenz, geringes Interesse für Belange Belegschaft, Kontrolle statt Controlling, keine Mitarbeitergespräche; intransparente Kommunikation, fehlende Wertschätzung für Arbeit der Mitarbeiter 55 Kommunikation: befehlend, herablassend, Gespräche über Probleme statt über Erfolge, hohe Konfliktrate 55 Ethik: es fehlen Fairness, Vertrauen, Aufrichtigkeit, Wahrnehmung Interessen der Stakeholder Ordnung der Organisation 55 Strukturen: unzureichende Gesamtstruktur, bürokratische Kontrolle, keine Autonomie und Entscheidungsfreiheit, schlechte Steuerungs- und Kommunikationsstrukturen 55 Funktionen: nicht definiert, zweideutige Arbeitsziele- und aufgaben, fehlende Effizienz 55 Arbeitsbedingungen: körperlich und psychisch überfordernd, ohne Sinnerfüllung, zu große Arbeitsmenge bzw. Zeit und 191 18
192 Kapitel 18 • Analyse und Diagnose der Ursachen Komplexität, keine Selbständigkeit, fehlende Weiterbildung, kein Handlungs- Entscheidungs- und Kontrollspielraum, fehlende Wertschätzung der Arbeit, schlechte Vergütung, Arbeitsplatzunsicherheit, schlechtes Betriebsklima 55 Prozesse: mangelhafte Kern- und Supportprozesse, unklare Abläufe, hoher Leistungsdruck, unzureichende Anpassungsund Umstrukturierungsprozesse Technische und wirtschaftliche Ausstattung 55 Finanzen: schwierige finanzielle Situation; Personal- und Budgetkürzungen 55 Technik: unzureichende Arbeitsmittel und schlechter Zustand der Anlagen (z.B. EDV) 55 Räume: Zustand und Standard veraltet, Raumkonzept behindert Zusammenarbeit Interpersonal: Team – Gruppe 55 Verhältnis zu Kollegen schlecht, unmotiviertes Team, es fehlen Unterstützung, Anerkennung, Lob, Raum für besondere Fähigkeiten, unzureichende Kommunikation, schwierige Personalsituation Burnout ist mehr als ein individuelles Schicksal Interventionen bei Betroffenem und Organisation 18 Erfahrungsgemäß ist der Schritt, die Organisation als Ganzes als Ursache für Burnout von Mitarbeitern anzusehen, eher schwierig. Es herrscht in vielen Betrieben noch immer die Überzeugung vor, dass Burnout ein individuelles Schicksal ist und durch Verhaltensänderungen der Person behoben werden kann. Die Bereitschaft, die Vision, Strategie, Struktur oder Kultur einer Organisation radikal zu hinterfragen, ist aber unabdingbar. Dabei versteht es sich von selbst, dass nicht nur eine Analyse gemacht wird, sondern dass konkrete Veränderungen als Maßnahmenplan auf den Weg gebracht werden. Dabei ist es wichtig, den Blick immer wieder auch auf die Faktoren zu legen, die ressourcenfördernd sind. Grundsätzlich können die vielfältigen Elemente, die in der Prophylaxe erwähnt wurden, auch hier eingesetzt werden. Die Interventionen müssen allerdings sowohl die von einem möglichen Burnout betroffenen Personen als auch die Organisation, die Abteilung oder das Team als Ganzes umfassen.
193 Beratungsarchitekturen und –designs Ulrich Scherrmann 19.1 Orientierungsphase – 195 19.2 Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung – 197 19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.2.5 19.2.6 19.2.7 19.2.8 19.2.9 Schnelltest: Wie belastet sind meine Mitarbeiter? – 198 Die »Burnout-Ampel« – 199 Pinnwand-Abfrage zu relevanten Burnout-Faktoren – 200 Online-Mitarbeiterbefragungen – 202 Qualitative Interviews mit Führungspersonen – 202 Workshops mit der Geschäftsleitung bzw. mit Führungskräften – 203 Workshops mit (möglichst vielen) Mitarbeitenden – 205 Zukunftsmodellierung 1: Unsere Organisation in x Jahren – 206 Zukunftsmodellierung 2: Herausforderung gesundheitsförderliche Organisation – 208 Zukunftsmodellierung 3: Film »gesundheitsförderliches Unternehmen« – 209 19.2.10 19.3 Phase der Zielfindung, -auswahl und -entscheidung – 209 19.4 Installieren der Steuerungsstruktur – 210 19.5 Information des Gesamtsystems – 211 19.6 Bearbeiten der ausgewählten Ziele – 211 19.7 Absichern des Prozesses – 212 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 19
194 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs Exemplarische Präventionsmöglichkeiten Die folgenden Beratungsarchitekturen und -designs stellen exemplarisch Möglichkeiten vor, wie ein systemischer Organisationsberater im Bereich der Prävention arbeiten kann. Sie sprechen immer die beiden Dimensionen »Verhaltens- und Verhältnisprävention« an. Sie verstehen sich als Anregungen und erheben nicht den Anspruch, Musterlösungen zu bieten. Ziel ist es, Burnout in Organisationen zu verhindern. Dabei wird die Prävention nicht allein auf die Verhaltensprävention eines Mitarbeiters fokussiert: Nach dem Burnout eines Mitarbeiters ist es vielmehr notwendig, sowohl die interpersonalen als auch die organisationalen Faktoren in einer Organisation anzuschauen, die zu Burnout führen können. Dahinter steht die Überzeugung, dass es wichtig ist, genau abzuklären, was die überwiegenden Ursachen eines Burnouts eines Mitarbeiters sind; eine exakte Trennschärfe und Objektivität lässt sich nicht herstellen, es lässt sich aber aus unterschiedlichen Perspektiven eine Annäherung an die Realität herstellen. An einem 7 Beispiel werden wichtige Elemente einer solchen Prävention dargestellt. Beispiel 19 Herr Meier, 46 Jahre, Produktionsleiter eines großen Chemiebetriebs, der in den letzten Jahren unter enormem Kostendruck stand, meldet sich bei seinem Hausarzt krank; dieser überweist ihn an einen Psychiater, der die Diagnose »Burnout« bzw. »Erschöpfungsdepression« stellt. Im Gespräch mit seinem Psychiater kommt Herr Meier darauf zu sprechen, dass ihn neben seiner großen persönlichen Verausgabungsbereitschaft Konflikte in der Geschäftsleitung über die Ausrichtung des Unternehmens sehr beansprucht haben. Zudem habe es in den letzten Jahren größere Fluktuationen bei den ihm unterstellten Mitarbeitern gegeben, die ihn zusätzlich gefordert hätten. Der Psychiater vermutet, dass es nicht allein damit getan ist, Herrn Meier ambulant oder stationär in einer Burnout-Klinik zu behandeln, sondern dass es auch wichtig ist, sein Umfeld im Betrieb anzuschauen, das seiner Meinung nach mit verursachend für das Burnout sei. Der Psychiater verweist Herrn Meier an den ihm bekannten Organisationsberater Herr Schmitt, der ein weiteres, vertiefendes Gespräch mit Herrn Meier führt. Dieser stellt am Ende des Gesprächs die Hypothese auf, dass es wichtig wäre, die interpersonalen und organisationalen Faktoren eines Burnouts im Unternehmen anzuschauen. Herr Meier reicht seine Krankmeldung und die Ergebnisse des Gesprächs mit Herrn Schmitt an die Geschäftsleitung seines Chemiebetriebs weiter. Der direkte Vorgesetzte von Herrn Meier und CEO des Chemiebetriebs, Herr Müller, ist über den Burnout-Fall von Herrn Meier sehr bestürzt. Im Gespräch mit dem Organisationsberater Herr Schmitt, der durch Herrn Meier an seinen Chef vermittelt wurde, ist er offen für die Überprü-
195 19.1 • Orientierungsphase Burnout Konflikte zu große Arbeitsmenge schlechtes Betriebsklima mangelnder Teamgeist Zeitdruck schlechte Prozesssteuerung . Abb. 19.1 fehlende Qualifikationen hoher Marktdruck Der “Burnout-Eisberg” fung der Hypothese, ob nicht noch andere Faktoren als die personalen für das Burnout von Herrn Meier verantwortlich sein könnten. Herr Schmitt erklärt ihm das Modell des »Burnout-Eisbergs« (. Abb. 19.1), d. h. die Tatsache, dass unter der sichtbaren Erkrankung eines Mitarbeiters vielfältige interpersonale oder organisationale Ursachen stecken könnten. Herr Müller informiert nach dem Gespräch seine Kollegen in der Geschäftsleitung und beschließt mit ihnen, einen Organisationsberatungsauftrag an Herrn Schmitt zu vergeben, um evtl. verborgene Ursachen des Burnouts von Herrn Meier zu bestimmen. Damit der potentielle Auftraggeber weiß, was auf ihn zukommt, werden hier kurz die Elemente des Beratungsprozesses dargestellt (. Abb. 19.2; Häfele, 2009, S. 179–277). 19.1 Orientierungsphase Es würde den Rahmen dieser Publikation sprengen, alle Elemente der einzelnen Phasen einer Organisationsentwicklung aufzuzeigen. Trotzdem werden die wichtigsten Elemente der einzelnen Phasen zumindest in einer Aufzählung benannt, um zu sehen, wie eine systemisch orientierte Burnout-Prävention und -Intervention in die Praxis umgesetzt werden kann (Häfele, 2009, S. 129–132). Ziele in der Orientierungsphase können sein: 55 Das Anliegen des Kunden in einem Erstgespräch aufnehmen; 55 den Auftrag an den Berater klären; 19
196 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs Orientierungsphase Situationsklärung und Zukunftsmodellierung Zielfindung Installation Steuerungsstruktur Information Gesamtsystem Bearbeiten der Ziele Evaluation und Absicherung . Abb. 19.2 19 Überblick Beratungsprozess 55 sich als Berater im System »ortskundig« machen durch Gespräche mit Mitarbeitern, Führungskräften, Betriebsarzt und evtl. externen Personen, um den Kontext zu klären; 55 Hypothesen bilden über die Relevanz der einzelnen BurnoutFaktoren und deren inhaltliche Ausprägung; 55 den betroffenen Organisationsmitgliedern die systemischen Zusammenhänge von Burnout (organisationale, personale und interpersonale Faktoren) bewusst machen und sie für evtl. notwendige Veränderungen als Teil der Burnout-Prävention sensibilisieren; 55 die Veränderungsenergie im System reflektieren und mit den Beteiligten thematisieren: eine aktive Beteiligung aller erreichen; 55 klare Vereinbarungen und Entscheidungen über den Start der Burnout-Prävention, einzelne Schritte, konkrete Arbeitsweisen
19.2 • Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung 197 19 und wichtige Rahmenbedingungen erarbeiten; Zeitplan, den Kontrakt erstellen. Mögliche Elemente zur Realisierung dieser Ziele können sein: 55 Erstkontakt bzw. Erstgespräche; 55 Kontextklärung mit Erhebung von Bedürfnissen der Mitarbeiter und Führungskräfte in Bezug auf Burnout-Prävention (und -prophylaxe); 55 Hypothesen bilden über die Situation und ein sinnvolles Vorgehen; 55 Kurzinformationen zu den systemischen Zusammenhängen von Burnout und möglichen Maßnahmen; 55 Grobskizze eines Konzeptes (inkl. Zeitplan) vorstellen, diskutieren und evtl. anpassen; 55 »Motivationspille«: Infos über Return on Investment (ROI), bessere Qualität der Produkte oder Dienstleistung, Reduktion Fehlzeiten; 55 ein »kleiner Schritt zu mehr Freude am Arbeitsplatz«: einen konkreten, im Alltag umsetzbaren Schritt vorstellen und evtl. exemplarisch einüben; 55 evtl. Bildung einer Steuergruppe oder Installation von Fokusgruppen (Walter, 2003, S. 233–236) oder Gruppen zur Arbeitssituationsanalyse (Baumeister, 2003, S. 237–242). 19.2 Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung Eine entscheidende Weichenstellung geschieht in der Phase der Situationsklärung, weil dort möglichst umfassend abgeklärt werden soll, welche Faktoren bei dem Burnout von Herrn Meier die dominierenden sind. Wichtige Ziele dieser Phase sind: 55 Entwicklung einer umfassenden Analyse der Ist-Situation mit den beteiligten Systemeinheiten, 55 lösungsorientierte Hypothesen zur Verbesserung der Situation erarbeiten, 55 Zukunftsbilder kreieren und Veränderungsenergie wecken in den hauptsächlich Burnout auslösenden Faktoren, 55 erste Veränderungsziele formulieren, 55 erste Maßnahmen vereinbaren zur Verhaltens- und Verhältnisprävention. Mögliche Elemente sind (neben den ausführlicher geschilderten Tools): 55 Teilnehmende Beobachtung (»Feldbeobachtung«) durch Organisationsberater zu ausgewählten Merkmalen, z. B. Atmosphäre, Dominierende Faktoren bestimmen
198 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs 55 55 55 55 55 Führungsstil, Unterstützung Mitarbeiter, verbale und nonverbale Kommunikation, Arbeitsunterbrechungen, bestehende Gesundheitszirkel aktivieren, Gruppen- oder Teamgespräche auf der Ebene der Mitarbeiter und der Führungskräfte und Evaluation der Burnout auslösenden und Gesundheit und Engagement fördernden Faktoren. Der Vorteil einer gruppenbezogenen Vorgehensweise unter Leitung des Organisationsberaters ist, dass durch das Gespräch bislang verborgene Themen angesprochen werden können und gleichzeitig auch schon Veränderungsideen und -energien evoziert werden können, Rückmeldung der Analysedaten an Führungskräfte und Mitarbeiter, Erarbeiten von Veränderungszielen auf unterschiedlichen Ebenen: dringende Veränderungen – leicht durchzuführende Aktionen – kurz-, mittel- und langfristige Veränderungen, operative bzw. strategische Anpassungen, Change-Prozesse im Existenzgrund, der Kultur, der Ordnung oder in der technisch-wirtschaftlichen Ausstattung der Organisation. einfache Übungen aus dem Stressmanagement im Organisationsalltag verankern, z. B. »bewegte Pause«, progressive Muskelentspannung, »Wir-Runden« in Teamsitzungen. 19.2.1 Schnelltest für Führungskräfte zur Mitarbeiterbelastung Schnelltest: Wie belastet sind meine Mitarbeiter? Die »Initiative Neue Qualität der Arbeit« hat umfangreiche Materialien zum Umgang mit Stress sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeiter veröffentlicht (7 www.inqa.de). Der folgende Schnelltest ist eine gute erste Annäherung an betriebliche Stressfaktoren (Neue Qualität der Arbeit, o. J., S. 12; . Tab. 19.1). zz Auswertung 19 Jeder einzelne der obigen Punkte kann infolge von länger anhaltender Belastung in einem Team auftreten. Wenn Sie jedoch vier und mehr Aussagen ankreuzen mussten, können Sie davon ausgehen, dass das Problem nicht nur einzelne Mitarbeiter betrifft, sondern dass es bereits teamübergreifend Reibungsverluste durch dauerhaften Stress gibt: Engagement und Arbeitsqualität lassen nach, Beziehungen innerhalb des Teams leiden. Wenn Sie sechs und mehr Punkte als zutreffend empfanden, ist das Team wahrscheinlich schon sehr erschöpft. Folgeprobleme treten auf: Mobbing oder eine extreme »Dienst-nach-Vorschrift«-Mentalität. Manche Mitarbeiter sind vielleicht häufiger krank, weil sie stressbedingte Beschwerden wie Rückenleiden entwickelt haben. Sogar Ihre Leistungsträger gehen langsam unter dem Druck in die Knie.
19.2 • Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung . Tab. 19.1 19 Stresstest betriebliche Stressfaktoren – Wenn Neuerungen eingeführt werden, hört man v. a. Gemecker – und Bemerkungen wie »Auch das noch! Wie sollen wir das schaffen?« oder »Bringt doch alles nichts!« – Häufiger hapert es bei uns am Informationsfluss. Manchmal werden wichtige Informationen spät oder gar nicht an Kollegen weitergeleitet. Manche Aufgaben werden deshalb erst verspätet oder auch fehlerhaft erledigt. – Es gibt unter meinen Mitarbeitern öfter Konflikte, Konkurrenzsituationen und Querelen. – Der Krankenstand bei uns im Team ist hoch. – Bei fachlichen Fragen bin ich jederzeit ansprechbar, aber für persönliche Gespräche mit Mitarbeitern fehlt einfach die Zeit. – Bei uns ist oft unklar, wer für welche Aufgabe zuständig ist. Aufgaben und Projekte werden häufiger hin- und hergeschoben. – Wenn ich einer Gruppe Mitarbeiter begegne, habe ich manchmal das Gefühl, dass die Gespräche der Mitarbeiter verstummen. – Oft habe ich das Gefühl, dass ich die Ergebnisse der Aufgaben meiner Mitarbeiter kontrollieren muss, damit sie auch wirklich ordentlich erledigt werden. – Sogar meine guten Mitarbeiter wirken in letzter Zeit öfter so, als wären sie nicht ganz auf der Höhe. – Es ist schon vorgekommen, dass meine Mitarbeiter nicht durch mich, sondern durch »Flurfunk« erfahren haben, dass Veränderungen im Team oder Entlassungen anstehen. – Für Weiterbildung haben meine Mitarbeiter keine Zeit. Der laufende Betrieb lässt das einfach nicht zu. – Betriebsausflug und Weihnachtsfeier würden einige in meinem Team am liebsten ausfallen lassen. 19.2.2 199 Die »Burnout-Ampel« Als Instrument für Interviews, Fragebogen, teilnehmende Beobachtung, Gruppen- bzw. Teamgespräche oder Diagnose-Workshops kann ein relativ einfach zu praktizierender Test eingesetzt werden, der als »Burnout-Ampel« (. Abb. 19.3) in einfacher Form den beteiligten Organisationsmitgliedern eine Auskunft über den Ist-Zustand der Organisation im Hinblick auf Burnout-Faktoren ermöglicht (Test 7 Anhang). 55 Der Test orientiert sich am systemischen Organisationsmodell und erhebt die Ist-Situation aus Sicht des Mitarbeiters, des Teams, der Führungskraft etc. 55 Zur Bewertung liegen vier Antwortmöglichkeiten vor: große Übereinstimmung (»Passt genau«), mehrheitliche Übereinstimmung, mehrheitliches Ungleichgewicht und großes Ungleichgewicht (Maslach & Leiter (2007), S. 21–30). Burnout-Ampel zeigt Ist-Zustand der Organisation an
200 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs ROT – STOPP – unbedingt Maßnahmen ergreifen, um ein weiteres Ausbrechen von Burnout zu verhindern. Der Erfolg der Organisation und ihre Existenz sind bedroht. GELB – ACHTUNG GEFAHR – die Organisation befindet sich im kritischen Bereich und sollte Maßnahmen ergreifen. Der Organisationserfolg ist in Gefahr! GRÜN – DIE ORGANISATION IST INTAKT – die Energie ist hoch und die Mitarbeiter sind (überwiegend) zufrieden, gesund und leistungsfähig. . Abb. 19.3 Die Burnout-Ampel 55 Die Summe der Bewertungen je Abschnitt wird durch die Anzahl der Items je Abschnitt dividiert, sodass ein Durchschnittswert für jeden Abschnitt zu einem Profil führt. 55 Die Auswertung der Fragen führt zu verschiedenen Profilen, die miteinander verglichen werden können, sodass deutlich wird, wo der größte Handlungsbedarf besteht. 55 Die Auswertung der einzelnen Profile (Beispiel: . Abb. 19.4) ergibt folgende »Ampelanzeige« für die Organisation. Das Profil »Individuum« wird dabei nicht berücksichtigt, weil bei einem Wert über 1,5 Punkte immer eine Intervention erfolgen sollte. 55 Rot: mindestens 4 Profile der Kategorie III und ein Profil der Kategorie I. oder II. haben ≥1,5 Punkte. 55 Gelb: mindestens 3 Profile der Kategorie III haben ≥1,5 Punkte. 55 Grün: Die Profile haben ≤1 Punkt. 55 Nach der Festlegung des Handlungsbedarfs kann in der Phase der Zielfindung an Maßnahmen gearbeitet werden. 19.2.3 Pinnwandabfragen für Teams und (Groß-)Gruppen 19 Pinnwand-Abfrage zu relevanten Burnout-Faktoren Dieser Test kann in einer einfachen Form auch als Pinnwandabfrage eingesetzt werden (. Abb. 19.5). So können sich Teams und Gruppen oder sogar Großgruppen in relativ kurzer Zeit über die in ihrer Organisation relevanten Burnout-Faktoren informieren. Dazu kleben die Teilnehmer unter die jeweiligen Smileys bei negativen bzw. posi-
19 201 19.2 • Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung 3 2.5 2 1.5 2.5 1 2 1.7 1 0.5 2 1.2 1 1 0.7 .6 III Betriebsklima Motivation Mitarbeiter Anerkennung bzw. Lob etc. Pinnwandabfrage zu Burnout-Faktoren tiven Erfahrungen zu den einzelnen Items Punkte. Ergänzend dazu kann auch eine »Lösungsdusche« entwickelt werden: Dazu überlegt man miteinander, wie die negativen Erfahrungen verändert werden können. al on IV .P er s ie nt Kl un de - ru pp e l: K er rp te In te In .5 III Beispiel eines Burnout-Profils in einer Organisation Kultur der Organisation . Abb. 19.5 na so na so er rp ga Or .4 III -G l: T ea m Re ss n: tio sa ni ga Or .3 III ou rc en nu ng n: tio sa ni ga Or .2 III III . Abb. 19.4 Or d Ku ltu r tio sa ni Ex n: tio sa ni ga .1 Or n: ist en z gr un d er be r itb ew kt ar M II. I. P ol iti kG es -M el ls ch a ftW el t 0
202 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs 19.2.4 Mitarbeiterbefragungen S-Tool Mittlerweile gibt es viele Online-Tools, die in Organisationen verschiedener Größe eingesetzt werden können. Für KMU-Betriebe gibt es z. B. in der Schweiz die Plattform »KMU-vital – Programm für gesunde Betriebe«, die eine Mitarbeiterbefragung bei Betrieben ab 10 Personen in 4 verschiedenen Sprachen ermöglicht (eine Mindestzahl von 10 Teilnehmenden ist erforderlich, um die Anonymität der Daten zu gewährleisten; Hinweise unter: 7 www.kmu-vital.ch). Eine ausführlichere Befragung bietet z. B. das »S-Tool« (7 www.stool.ch; weitere Onlinefragen sind z. B. unter 7 www.copsoq.de oder 7 www.medicaltex.de/Stressmonitor). Dabei wird u. a. auch eine Differenzierung in Team-, Abteilungs- und Unternehmensebene vorgenommen und eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Unternehmen in der Schweiz offeriert. Darüber hinaus werden die Unternehmensteile identifiziert, in denen erhöhte Stresswerte auftauchen. Gleichzeitig werden auch Ressourcen benannt, die bzgl. Stress im Unternehmen entlastend wirken können. Der Vorteil dieser Auswertung ist, dass die Mitarbeiter am Ende des Tests eine individuelle Auswertung erhalten. Mithilfe geschulter Berater können die Führungskräfte die Ergebnisse interpretieren und daraus folgende Maßnahmen ableiten. 19.2.5 Interviews Online-Mitarbeiterbefragungen Qualitative Interviews mit Führungspersonen Führungskräfte aus verschiedenen Ebenen eines Unternehmens sind wichtige Informationsträger, um die Belastungen bzw. die Ressourcen in einer Organisation zu untersuchen. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die Geschäftsleitung zu interviewen, sondern auch Abteilungsleiter (in der Linien- oder Matrixorganisation oder in anderen Arten der Aufbauorganisation) in die Interviews mit einzubeziehen. Ebenso wichtig ist es, das HR-Management und andere relevante Stabmitarbeiter in den Prozess einzubeziehen. Die Interviews können u. a. mit Fragen entlang des Organisationsmodels geführt werden, die Herausforderungen, die bisher schon praktizierten Maßnahmen im Umgang mit Stress und die Handlungsfelder thematisieren. Mögliche Stichworte sind: zz Politik – Gesellschaft – Welt 55 (Veränderte) Politische und rechtliche Verhältnisse, 55 gesellschaftliche Rahmenbedingungen: soziale Probleme etc., 55 globale Veränderungen, z. B. Finanzkrise, Konflikte. zz Markt – Mitbewerber 19 55 Marktsituation, 55 Mitbewerber.
19.2 • Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung 203 19 zz Organisation kExistenzgrund 55 Kerngeschäft, 55 Identität: Selbstverständnis, Image, Nutzen, 55 Absichten: Visionen, Ziele bzw. Strategien, Reaktion auf Markt oder Mitbewerber. kKultur der Organisation 55 Menschen: Betriebsklima; Anerkennung, Wertschätzung, Unterstützung, BGF, berufliche Zukunftsperspektiven, systematische Personalentwicklung, 55 Führung bzw. Steuerung: Führungskompetenz, Controlling, Mitarbeitergespräche; Kommunikation, Wertschätzung für Arbeit der Mitarbeiter, 55 Kommunikation: befehlend, herablassend, über Probleme statt über Erfolge, hohe Konfliktrate, 55 Ethik: Fairness, Vertrauen, Aufrichtigkeit. kOrdnung der Organisation 55 Strukturen: adäquate Gesamtstruktur; Autonomie und Entscheidungsfreiheit; Steuerungs- und Kommunikationsstrukturen, 55 Funktionen: definiert; eindeutige Arbeitsziele- und aufgaben; Effizienz, 55 Arbeitsbedingungen: Arbeitsmenge bzw. Zeit und Komplexität; Selbständigkeit; Handlungs- Entscheidungs- und Kontrollspielraum; Vergütung; Betriebsklima, 55 Prozesse: Kern- und Supportprozesse; Abläufe; Anpassungs- und Umstrukturierungsprozesse. kTechnische und wirtschaftliche Ausstattung 55 55 55 55 Technik, Finanzen, Arbeitsmittel und Zustand der Anlagen (z. B. EDV), Räume: Raumkonzept fördert Zusammenarbeit. kInterpersonal: Team – Gruppe 55 Verhältnis zu Kollegen; Teammotivation; Unterstützung, Anerkennung, Lob, Raum für besondere Fähigkeiten; Kommunikation; Personalsituation. 19.2.6 Workshops mit der Geschäftsleitung bzw. mit Führungskräften Analog zu den Interviews mit Führungskräften der verschiedenen Ebenen können auch Workshops mit der Geschäftsleitung wichtige Analyse- und Diagnosedaten generieren. Moderiert ein (externer Workshop Geschäftsleitung
204 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs oder interner) Berater einen solchen Workshop, kann er die Gelegenheit nutzen, wichtige Informationen zum Umgang mit Stress und Burnout zu liefern und auf Veränderungen in der heutigen Arbeitswelt hinzuweisen. Der Aufbau eines solchen Workshops kann z. B. so aussehen: Information zz Informationen zu Stress und Burnout 55 »Stress ist nicht gleich Stress«: Eu-Stress und Dis-Stress als wichtige Unterscheidung, 55 Was ist Burnout? Symptome, personale und organisationale Ursachen, Abgrenzung zur Depression etc., 55 Systematisierung: Burnout in Organisationsmodell der systemischen Organisationsentwicklung, 55 das »Burnout-Syndrom-Modell«: fehlende Passung Person – Organisation durch Belastungen in der Arbeitsaufgabe und durch eine Gratifikationskrise, 55 Unternehmen zwischen Hochleistung und Erschöpfung, 55 Herausforderungen in der Zukunft und neue Maßnahmen im Umgang mit Burnout, 55 Verhaltens- und Verhältnisprophylaxe. Individuelle Arbeit zz Individuelle Arbeit der Führungskräfte mit den o. g. Stichworten zum Organisationsmodell Hier wird in drei Kategorien unterteilt: 55 Grün: was läuft gut? 55 Gelb: Was sind kritische Aspekte? 55 Rot: Was ist schwierig und muss unbedingt verändert werden? Zusammenfassung Ergebnisse zz Arbeit mit den individuellen Reflexionen in Kleingruppen 55 Vorstellen der Einzelergebnisse, 55 Diskussion und Herausarbeiten der wichtigsten Veränderungsnotwendigkeiten, 55 Fokussierung der Ressourcen: was läuft gut und kann uns unterstützen? 55 Erste Gedanken zu Ressourcen und möglichen Maßnahmen. Vereinbarungen zz Diskussion der Ergebnisse und Vereinbarungen in der Großgruppe 55 Vorstellen der Ergebnisse, 55 Reflexion: was hat uns überrascht – was nicht? 55 Priorisierung von möglichen Maßnahmen (Beheben von Schwierigkeiten und Stärken der Ressourcen), 55 Erarbeiten eines Maßnahmenplans. 19 Bei einem solchen Workshop ist es auch möglich, neue Verhaltensweisen zu etablieren, die bisher in der Organisation eher mangelhaft gelebt wurden, z. B. eine gute Diskussionskultur oder ein Bemühen
19.2 • Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung 205 19 um Klarheit in Strukturen oder Abläufen. Selbstverständlich ist darauf zu achten, den Workshop nicht mit Disstress aufzuladen. Dazu können Tools aus der Verhaltensprophylaxe, ein guter Seminarort oder eine nicht zu eng getaktete Zeitstruktur beitragen. 19.2.7 Workshops mit (möglichst vielen) Mitarbeitenden Gerade in größeren Organisationen, die einem starken Marktdruck oder starken Veränderungen ausgesetzt sind und in denen häufig Situationen mit »Dis-stress« vorkommen, ist es wichtig, möglichst viele Mitarbeiter mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen in puncto Arbeitsbelastung und Stress einzubinden. Damit kann einerseits den Mitarbeitenden signalisiert werden, dass die Geschäftsleitung die Thematik ernstnimmt. Andererseits kann das große Know-how dieser Personen fruchtbar eingebracht werden und gute Lösungen ermöglichen. Als mögliches Design sind Anlehnungen aus den Großgruppenmethoden möglich, z. B. Real-Time-Strategic-Change-Konferenzen (RTSC), World-Café oder Open Space (Seliger, 2008). Die folgende Kurzanleitung ist angelehnt an die Methode des World-Café (Seliger, 2008, S. 105–112; 7 Übersicht »Kurzanleitung World-Café«). Bei einem solchen Workshop sind klare Prinzipien zu beachten. Kurzanleitung World-Café Mitarbeiterworkshops Großgruppenmethoden »Kleines World-Café« 55 Das Ziel des Workshops muss allen klar vermittelt werden. 55 Ein guter Raum mit einer angenehmen Atmosphäre (schöne Tische, Pausenecke, Blumenschmuck etc.) lädt zum kreativen Schaffen ein. 55 Die in die Gruppen eingebrachten Fragen müssen für die Teilnehmer relevant sein und zum lösungsorientierten Reflektieren anregen. 55 Möglichst viele Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen, Geschäftsfeldern etc. kommen an einem Tisch zusammen, um ihre Perspektiven einzubringen. 55 Der Gastgeber fordert die Teilnehmenden auf, einander zuzuhören, nach Lösungen zu suchen oder Gemeinsamkeiten zu entdecken. 55 Die Diskussionsergebnisse der einzelnen Gruppen werden allen sichtbar gemacht. Der Ablauf einer solchen Veranstaltung (Dauer ca. 2 h bis ½ Tag – je nach Zahl der Teilnehmenden) kann so aussehen: 7 Übersicht »Ablauf World-Café: Beispiel. Ablauf
206 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs Ablauf World-Café: Beispiel 55 Begrüßung durch die Geschäftsleitung 55 1. Gesprächsrunde als Einstimmung auf das Thema des Workshops, z. B. »Was (dis-)stresst mich momentan in meiner Abteilung/in meinem Team?« Nach diesem offenen Einstieg werden die am häufigsten genannten Themen gesammelt und im Gespräch nach Änderungsnotwendigkeiten priorisiert. Die Ergebnisse werden auf Flipchart festgehalten. 55 2. Gesprächsrunde mit vorgegebenen Themenbereichen aus dem Organisationsmodell. –– Themen wie Kerngeschäft, Strukturen, Kommunikation, Prozesse und Abläufe usw. werden an je einem Tisch unter dem Fokus von Belastung und Dis-Stress thematisiert. –– Gemeinsam wird nach Lösungen gesucht, wie mit diesen Belastungen umgegangen werden kann. Dabei können auch Ideen aus der 1. Gesprächsrunde aufgegriffen werden. 55 3. Gesprächsrunde: Die Teilnehmer wechseln noch einmal zu einem anderen Tisch und sehen sich deren Ideen an. Die entstandenen Lösungsvorschläge werden kritisch diskutiert und mit evtl. neuen Akzenten versehen. 55 Nach dieser 3. Runde werden die Ergebnisse an den einzelnen Tischen zusammengefasst, dokumentiert und anschließend im Plenum präsentiert. Damit endet der Workshop, d. h. es wird (noch) kein Maßnahmenplan diskutiert und verabschiedet. In der Nachbearbeitung dieser Veranstaltung ist es absolut notwendig, einerseits die wichtigsten Ergebnisse allen zugänglich zu machen (per Infoboard oder Intranet), gleichzeitig aber auch in einer Projektgruppe wichtige Maßnahmen zu reflektieren und der Geschäftsleitung vorzuschlagen. 19.2.8 Positives Zukunftsbild kreieren Situationsanalyse als Hintergrundfolie 19 Verschiedene Settings möglich Zukunftsmodellierung 1: Unsere Organisation in x Jahren In der Zukunftsmodellierung ist es wichtig, mit möglichst vielen Mitarbeitern aus unterschiedlichen Bereichen ein positives Zukunftsbild zu kreieren, z. B. nach dem Motto »Unser Unternehmen als dynamische und gesundheitsförderliche Organisation in 5 Jahren«. Es ist hierbei wichtig, die vorher in der Situationsklärung erhobenen Faktoren als Hintergrundfolie zu nehmen, auf der die positive Zukunft skizziert wird. Die Tools zur Zukunftsmodellierung können in unterschiedlichen Settings realisiert werden: in Teams, Arbeitsgruppen, Bereichen oder in kleineren Unternehmen mit allen Mitarbeitern zusammen.
19.2 • Phase der Situationsklärung und Zukunftsmodellierung Selbstverständlich ist es auch möglich, diese Tools nur mit den Führungskräften umzusetzen. Entscheidend ist immer, dass nachher eine Kommunikation über wesentliche Ergebnisse und Ziele an die Mitarbeiter erfolgt. Der Ablauf kann folgendermaßen aussehen: 1. Bestimmen eines realistischen Zeitraums und eines Mottos, z. B. »Unser Unternehmen als dynamische und gesundheitsförderliche Organisation in 5 Jahren. 2. Brainstorming vor dem Hintergrund der vorher erfolgten Situationsklärung: Möglichkeiten, Ideen, Utopien etc. werden auf Wandzeitungen notiert. Hier ist es möglich, zunächst ohne Vorgabe ein Brainstorming zu machen und in einem zweiten Schritt mithilfe des Organisationsmodell die Veränderungen fokussierter zu sammeln. 3. Als Möglichkeit bietet sich an, in einem immer größer werdenden Kreis möglichst hoffnungsvolle Zukunftsbilder zu kreieren: zunächst in Einzelarbeit, dann in Teams, in Bereichen und schließlich für die Gesamtorganisation. Auch hier können die vier Ebenen der Organisation (Existenzgrund, Kultur, Ordnung und technisch-wirtschaftliche Ausstattung) als Raster für kreative Gedanken dienen. 4. Die Arbeiten aus Schritt 3 werden (wenn vorher eine Einzelarbeit erfolgt ist) in Gruppen aus ca. 4 Personen vorgestellt und ausgetauscht. Anschließend kann aus den einzelnen Beiträgen eine gemeinsame Wandzeitung erarbeitet werden. 5. Im Plenum werden die Wandzeitungen ausgehängt und in einem offenen »Marktplatz« den anderen Teilnehmern zugänglich gemacht. Bei jeder Wandzeitung steht eine Person, die für zusätzliche Erläuterungen zur Verfügung steht. 6. In Kleingruppen werden anschließend die Konsequenzen aus diesen Zukunftsentwürfen gezogen. Dabei können folgende Fragen zur Strukturierung des Gesprächs hilfreich sein: 55 Welche Zukunftsideen sind prioritär und für uns bald und mit wenig Aufwand umzusetzen? 55 Welche sind mittel- und langfristig unbedingt umzusetzen? 55 Welche Ressourcen stehen uns für eine gute Zukunftsgestaltung zur Verfügung? 55 Welche zusätzlichen Kräfte bzw. Ressourcen müssen wir uns besorgen? 55 Welche Maßnahmen können wir jetzt in Angriff nehmen? 7. Die Arbeit der Kleingruppen wird im Plenum vorgestellt und einer bzw. der Projekt(-steuer)gruppe übergeben. 55 Diese ist auch dafür verantwortlich, die nötigen Absprachen mit der Unternehmensführung zu treffen. 55 Des Weiteren muss vereinbart werden, wie die (evtl. abwesenden) anderen Mitglieder der Organisation über den Workshop und die daraus resultierenden Maßnahmen informiert werden. 207 19 Ablauf
208 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs 19.2.9 Gesundheitsförderliche Organisation: Voraussetzung Erfassung der Probleme Ziele formulieren Fremdbearbeitung Lösungen skizzieren Lösungsideen präsentieren Auswahl der Ziele Erdung 19 Zukunftsmodellierung 2: Herausforderung gesundheitsförderliche Organisation 1. Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung dieses Tools ist, dass ein gemeinsames Ziel zur BGF bzw. zur Burnout-Prävention formuliert wurde. Das kann sich auf die gesamte Organisation oder Teile davon beziehen. Dieses Ziel muss von den Führungskräften bzw. der Geschäftsführung gewollt sein und aktiv unterstützt werden (vgl. 7 Abschn. 19.2.1 bis 7 Abschn. 19.2.7). 2. Erfassung Probleme: In Gruppenarbeit können wichtige Probleme in einer Liste erfasst werden oder die aus der Situationsklärung erhobenen Probleme fokussiert werden. Diese werden auf die linke Seite einer Wandzeitung untereinander geschrieben. Es werden noch keine Lösungen diskutiert. 3. Übersetzen der Probleme in dazu entsprechende Ziele: Auf der rechten Seite der Wandzeitung werden im Brainstorming mögliche Ziele und »ideale Lösungen« zunächst gesammelt und anschließend prägnant formuliert. 4. Fremdbearbeitung: Jede Gruppe schneidet ihre Wandzeitung der Länge nach durch und gibt die linke Seite mit ihren Problemen an eine andere Gruppe weiter. Diese setzt einen (rechten) Teil einer Wandzeitung an und formuliert jetzt – ohne große Detailkenntnis – mögliche Lösungen für die Probleme der anderen Gruppe. 5. Der Teil der Wandzeitung mit den möglichen Lösungen wird wieder an die ursprüngliche Gruppe zurückgereicht. Diese diskutiert die möglichen Lösungsansätze der anderen Gruppe und formuliert dann (neue) Lösungen bzw. Ziele für die zuvor fokussierten Probleme. Diese werden wiederum auf den rechten Teil einer Wandzeitung geschrieben. 6. Im Plenum präsentiert jede Gruppe ihre Lösungsideen. Die Ideen werden nicht diskutiert; es sind nur Verständnisfragen zulässig. 7. Mithilfe des Moderators werden Ziele unter der Prämisse von Wichtigkeit und Dringlichkeit ausgewählt, sodass nur wenige Ziele übrig bleiben. Es ist auch möglich, ähnliche Ziele zu einem neuen Ziel zusammenzufassen. 8. Zur »Erdung« bietet sich an, dieses Ziel auf kreative Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, z. B. durch eine Skulptur, Wandmalerei, Organisationslandschaft, Theater, Lied, fiktive Zukunftsreise (das angestrebte Ziel ist schon realisiert – was wurde getan, was hat sich verändert, wie die Veränderung erreicht?). 9. Hindernisse und Erschwernisse, die sich in der Umsetzung möglicherweise ergeben, können in einem Zwischenschritt im Plenum gesammelt und benannt werden. 10. Die weiteren beiden Schritte sind identisch mit Punkt 6 und 7 aus dem vorangegangenen Tool.
19.3 • Phase der Zielfindung, -auswahl und -entscheidung 209 19 19.2.10  Zukunftsmodellierung 3: Film »gesundheitsförderliches Unternehmen« In diesem Tool geht es auch darum, sich mit Phantasie und Kreativität auf eine gute, gesundheitsförderliche Zukunft des Unternehmens einzustellen. Vorgabe ist, dass ein fiktives Filmteam einer prominenten Wirtschaftssendung in 5 Jahren einen Bericht über ihr Unternehmen macht. Dabei sollen sowohl die Veränderungen gezeigt werden als auch die Wege, wie diese Veränderungen erreicht wurden. 1. Einstimmung mithilfe einer Phantasiereise durch das Unternehmen: Nachdem auch hier in der Situationsklärung die wichtigen belastenden Faktoren erhoben wurden, werden in einer Phantasiereise die Teilnehmer des Workshops dazu aufgefordert, für jeden belastenden Faktor ein positives Zukunftsbild zu imaginieren: Was wird in 5 Jahren sein?. 2. Die »Bilder« können evtl. in einem Zwischenschritt skizzenhaft auf eine große Wandzeitung gemalt werden. 3. In Gruppen werden anschließend die Zukunftsbilder ausgetauscht. Es wird ein Zukunftsbild beschrieben: Was ist jetzt anders, wie sieht der gesundheitsförderliche Betrieb, der Arbeitsplatz eines Mitarbeiters oder die Zusammenarbeit in den Teams jetzt aus etc.? 4. In Gruppen werden für den 1. Teil des Drehbuchs einzelne Orte und neue Situationen möglichst genau beschrieben: Was wird das Filmteam wo antreffen und filmen? Was sind Highlights und besonders gelungene Beispiele der Veränderung? 5. Für den 2. Teil des Drehbuchs werden die Schritte hin zu diesem neuen Zustand möglichst »filmreif« erarbeitet. Was wurde Filmteam für Wirtschaftssendung Phantasiereise Wandzeitung erstellen Zukunftsbilder Highlights der Veränderung Schritte zum »neuen Unternehmen« alles unternommen, um zu diesem »neuen Unternehmen« zu kommen? Die Gruppen sammeln dazu zunächst möglichst viele Ideen und strukturieren diese in einer zweiten Runde für das Drehbuch. 6. Zum Abschluss der Sendung möchte der fiktive Regisseur die besten Tipps und Hinweise für andere Unternehmen, die sich auf einen ähnlichen Weg machen möchten, in einer Toolbox auf der Webseite des Fernsehsenders veröffentlichen. Die Gruppen fassen ihre besten Ideen in einer kleinen Checkbox zusammen. 19.3 Tipps und Hinweise für andere Phase der Zielfindung, -auswahl und -entscheidung In der Phase der Zielfindung ist es wichtig, die avisierten Veränderungsmomente dem formalen Management zu präsentieren. Dabei sollten die interne Projektleitung und der externe Organisationsberater beteiligt sein. In kleineren Organisationen kann diese Phase auch mit der vorhergehenden verbunden werden. Die wichtigsten Ziele dieser Phase sind: Präsentation vor Management
210 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs 55 Bestimmung jener Entwicklungsschwerpunkte zur Verhaltensund Verhältnisprävention mit dem formalen Management, die mit Priorität bearbeitet werden sollen; 55 Abstimmung der Ziele mit den bereits laufenden Projekten in der Organisation, sodass genügend Ressourcen bereitstehen; 55 evtl. laufende Projekte überprüfen oder beenden und – wenn möglich – für Synergien der neuen Projekte mit den bestehenden sorgen; 55 evtl. Vereinbarung von Teilprojekten; 55 Aufgabe des Managements: die Ziele im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Strategie der Organisation prüfen und ggf. korrigieren bzw. ergänzen. Elemente dieser Phase sind: 55 Definieren und Auswählen der Ziele durch das formale Management (mit der Projektgruppe/dem Gesundheitszirkel); 55 Bestimmen von Themenschwerpunkten und Teilprojekten: Gewichtung nach erarbeiteten Kriterien; 55 Erstes Avisieren von Bearbeitungsmöglichkeiten der Themen bzw. Projekte – dabei das systemische Burnout-Modell und systemische Organisationsmodell als Landkarte benutzen: 55 in der Gesamtorganisation, 55 in Teams bzw. Gruppen 55 an konkreten Arbeitsplätzen der Mitarbeiter; 55 Abklärungen mit dem Management, z. B. 55 Unterstützung durch das Management (ideelle, zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen), 55 Akzeptanz evtl. unbequemer Veränderungen (von denen auch das Management betroffen sein kann) einfordern, 55 Abstimmung der Informations- und Entscheidungsstrukturen, 55 Zwischenberichte, 55 Rolle des (internen oder externen) Projektleiters und Organisationsberaters, 55 Kriterien zur Auswahl der Projektgruppenmitglieder, 55 Kommunikation der Maßnahmen. 19.4 Gut funktionierende und gut ausgestattete Steuerungsstruktur 19 Installieren der Steuerungsstruktur Die Umsetzung von Zielen und Maßnahmen erfordert – wie bei jeder anderen Maßnahme in der Organisationsentwicklung auch – die kompetente Steuerung der entsprechenden Projekte und Aktivitäten. Da bei organisationalen Burnout-Faktoren wichtige Kernelemente einer Organisation berührt werden, ist es wichtig, dass die Steuerungsstruktur gut funktioniert und mit entscheidungsrelevanten Personen ausgestattet ist. Dadurch wird vermieden, dass einzelne Aktivitäten nur punktuell zu Veränderungen führen und nicht nachhaltig sind.
19.6 • Bearbeiten der ausgewählten Ziele 211 19 Die wichtigsten Ziele dieser Phase sind: 55 den Veränderungsprozess durch einen Projektleiter bzw. eine Steuerungsgruppe bzw. einen Gesundheitszirkel strukturell und personell in der Organisation verankern, 55 die Aufgaben des Projektleiters und der Steuerungsgruppe bzw. des Gesundheitszirkels und deren Beziehungen zur Führungsebene klären, 55 zu Veränderungen in der Organisation motivieren und Lernen von systemischen Zusammenhängen ermöglichen, 55 die bestehende Organisationsstruktur in ihren Handlungsoptionen erweitern. Es ist zu beachten, dass dieser Prozess immer mit der Herausforderung zu kämpfen hat, dass er einerseits wichtig ist, weil ansonsten kein organisationales Burnout entstanden wäre, andererseits aber Veränderungen mitunter Widerstand der Systembeteiligten auslösen (können). Auf keinen Fall darf es passieren, dass sich eine Eigendynamik entwickelt, in der sich die Steuergruppe zu einer Gegenmacht des formalen Managements entwickelt. Elemente: 55 Projektform und Projektleiter bestimmen, 55 Gesundheitszirkel bzw. Entwicklungsgruppe zum Entwickeln von Optimierungsmöglichkeiten aktivieren, 55 externe bzw. interne Berater engagieren, 55 die in der Organisation schon laufenden Projekte in den »Burnout-Prozess« integrieren, ggf. einzelne weniger wichtige zurückstellen. 19.5 Information des Gesamtsystems Ein Burnout-Fall, der zu bedeutenden Veränderungen in der Organisation führt, erfordert eine sorgfältige Kommunikation. Einerseits ist es notwendig, über die Situation der betroffenen Person(en) zu informieren, andererseits aber auch über die Maßnahmen, die jetzt zur Verbesserung der organisationalen Faktoren umgesetzt werden sollen. Dadurch kann auch erreicht werden, dass die Sensibilität für burnout-auslösende Faktoren erhöht wird und das Bewusstsein für systemische Zusammenhänge in der Organisation wächst. 19.6 Widerstand gegen Veränderungen möglich Sorgfältige Kommunikation Bearbeiten der ausgewählten Ziele Die Realisierung von Maßnahmen in Projekten oder Teilprojekten ist das »Herzstück« der Prävention. Es ist dabei darauf zu achten, dass es eine ausgewogene Mischung von Verhaltens- und Verhältnisprävention gibt (7 Abschn. 12.4), sodass sowohl die Organisation als auch die Realisierungsphase
212 Kapitel 19 • Beratungsarchitekturen und –designs Strukturelle Verankerung Mitarbeiter einen neuen Umgang mit gesundheitsfördernden Faktoren erhalten. Die einzelnen Maßnahmen sollen in der Entwicklungsgruppe bzw. im Gesundheitszirkel strukturell verankert sein und – wenn möglich – durch ein Mitglied der Entwicklungsgruppe geleitet werden. In der Bearbeitung der Maßnahmen ist es wiederum wichtig, die vorher aufgezeigten Phasen noch einmal für jede Maßnahme bzw. jedes Teilprojekt zu durchlaufen, d. h. Orientierung, Situationsklärung etc. Die wichtigsten Ziele sind: 55 sorgfältige Orientierung, Analyse und Diagnose der Teilprojekte, 55 adäquate Formen und Wege der Bearbeitung entwickeln: Entscheidung über Projektstrukturen oder innerhalb der bestehenden Struktur mögliche Realisierung, 55 Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnisprävention, 55 kollektive und individuelle Lernprozesse auf den verschiedenen Ebenen der Organisation ermöglichen. Elemente: 55 Maßnahmenplan, 55 Abstimmung Projektstruktur, 55 arbeiten nach zirkulären Prinzipien (systemisch-evolutionär), 55 Lernen ermöglichen durch Tools zur Reflexion, Schulung und Umsetzung, 55 regelmäßige Gruppen- bzw. Teamsitzungen zum Fortschritt in der Umsetzung der Maßnahmen, 55 Führungskräfteschulung, 55 Schulungs- und Trainingsworkshops: z. B. Teamentwicklung, Work-Life-Balance, Einführung Intervision, Konfliktmanagement, Kommunikationstraining, 55 ressourcenorientierte Umsetzung. 19.7 Zyklen durchlaufen Nachhaltigkeit 19 Absichern des Prozesses Es ist zu erwarten, dass für viele Organisationen die Herausforderungen der Umwelt und des Marktes in den nächsten Jahren zunehmen werden. Deshalb ist es nicht damit getan, einmalig Maßnahmen durchzuführen; stattdessen müssen immer wieder neu die genannten Phasen zyklenartig durchlaufen werden (von 7 Abschn. 19.1. bis 7 Abschn. 19.6 bzw. Teile davon). Die Nachhaltigkeit von Maßnahmen im Bereich der Salutogenese bzw. der Burnout-Prophylaxe und -Prävention ist nur dadurch gewährleistet, dass am Ende eines Projektzyklus die »lernende Organisation« erneut Herausforderungen analysiert, diagnostiziert, Ziele formuliert und Maßnahmen umsetzt.
19.7 • Absichern des Prozesses Die wichtigsten Ziele sind: 55 Eine helixförmige Entwicklung des Prozesses soll erreicht werden: Standortbestimmung – Zukunftsentwurf – Umsetzung Entwicklung – Evaluation – neue Ziele… bezüglich Themen, Strukturen, Beteiligten. 55 Auftretende aktuelle Themen sollen integriert werden. 55 (Zwischen-)Kontrolle und Auswertung des Prozesses soll vorgenommen werden. 55 Es soll eine Supervision der Projektleitung und der Steuergruppe bzw. Coaching für prozessbegleitende Führungskräfte geben. Elemente: 55 Regelmäßige Überprüfung der vereinbarten Maßnahmen (Prozessreflexion) mit Zwischenbilanzen und ggf. Anpassungen, 55 Evaluationsworkshops zu den vereinbarten und umgesetzten Maßnahmen, 55 aktuelle Situationsklärung- und Zukunftsmodellierung. 213 19
215 Interventionen bei Burnout Kapitel 20 Unzulänglichkeiten und Gefahren – 217 Ulrich Scherrmann Kapitel 21  Der Umgang mit Betroffenen – 221 Ulrich Scherrmann VI
217 Unzulänglichkeiten und Gefahren Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 20
218 Kapitel 20 • Unzulänglichkeiten und Gefahren Persönlichkeit . Abb. 20.1 Äußere Faktoren Innere Faktoren Organisation 20 Innere und äußere Faktoren der Burnout-Entstehung als Kontinuum (Burisch 2014, S. 56) Organisationale Faktoren berücksichtigen Gefahren für Unternehmen Kombination personaler und organisationaler Faktoren Symptomträger nicht eliminieren Mehrere Betroffene In vielen Unternehmen ist es üblich, beim Burnout eines Mitarbeiters Interventionen zur Behandlung der Symptomatik bzw. Maßnahmen zur Wiedereingliederung vorzunehmen (Kernen, 2008, S. 230–255). Diese Vorgehensweise ist zweifellos richtig, allerdings ungenügend, wenn die organisationalen Faktoren eines Burnouts, die in unterschiedlicher Stärke auftreten können, nicht berücksichtigt werden. Deshalb soll am Anfang dieses Abschnitts noch einmal in Kurzform auf die Wichtigkeit einer genauen Ursachenabklärung und die Gefahren für Unternehmen bei organisational bedingtem Burnout hingewiesen werden. Es ist zweifellos richtig, bei Anzeichen von Erschöpfung und Burnout die personalen Faktoren als mögliche Ursache in den Blick zu nehmen. Menschen sind sehr verschieden: Die einen können sich gut abgrenzen, andere haben Mühe damit. Manche können auch bei größten Belastungen gut schlafen, andere wiederum wälzen sich nachts schlaflos im Bett. Generell kann gesagt werden, dass personale oder organisationale Faktoren nur ganz selten allein für ein Burnout verantwortlich sind; meist ist eine Kombination der beiden Faktoren vorhanden (. Abb. 20.1). Überwiegen die organisationalen Faktoren, kann ein Mitarbeiter in einem Team, einer Arbeitsgruppe oder in einem kleineren Unternehmen ein »Symptomträger« sein. In diesem Fall lebt diese Person aufgrund fehlender personaler Ressourcen das Belastende aus, das im ganzen Team etc. vorhanden ist, aber nicht wahrgenommen wird. Es ist nicht damit getan, diese Person einfach »auszuwechseln«, wie es leider sehr häufig getan wird: Man entledigt sich dieses Menschen und damit vermeintlich des Problems, indem ihm nach der Gesundung gekündigt wird. Dabei wird allerdings vergessen, dass bei dieser Konstellation nach einiger Zeit eine neue Person als Symptomträger in Erscheinung tritt. Es ist wichtig zu erwähnen, dass nicht nur Einzelpersonen, sondern in größeren Organisationen auch ganze Teams oder Abteilungen Symptomträger sein können. Werden mehrere Personen in einer Organisation von Erschöpfungssymptomen heimgesucht, ist die Tatsache naheliegend, dass Defizite oder Belastungen in der Organisation als Ursache in Frage
Unzulänglichkeiten und Gefahren kommen und demzufolge auch auf dieser Ebene angegangen werden müssen. Deshalb sei hier noch einmal betont, dass es wichtig ist, bei dieser Konstellation mit dem ganzen Team, der Arbeitsgruppe bzw. dem gesamten Unternehmen eine Analyse der Belastungen und der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu machen. Besonders die systemischen Muster und die Dissonanzen innerhalb der vier Bereiche, also im »Existenzgrund«, in der »Kultur«, in der »Ordnung« und in den »Technisch-wirtschaftlichen Ressourcen«, die in einer Organisation oder Abteilung auftreten und zur Überlastung führen, müssen herausgearbeitet werden. Im Rahmen der Interventionen ist noch einmal besonders auf den Präsentismus hinzuweisen, also der Tatsache, dass Mitarbeiter trotz Krankheit zur Arbeit gehen, weil sie z. B. Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes haben oder meinen, »ohne sie würde der Betrieb zusammenbrechen.« Bei einem solchen Verhalten ist die Gefahr groß, dass eine zunächst harmlose Erkrankung sich immer mehr verschlimmert und der Mitarbeiter schließlich über einen längeren Zeitraum krank ist. Bei einer Organisation können dadurch zusätzliche Kosten entstehen und evtl. notwendige Arbeiten nicht erledigt werden. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist die »Musterwiederholung« in Organisationen. Menschen interagieren in einer Organisation mit vielen anderen Personen, sodass sich – aus Gründen der Berechenbarkeit – bestimmte Verhaltensmuster (Regelkreise) herausbilden. Diese Verhaltensmuster können burnout-fördernd sein. Auch dann, wenn Personen in einer Organisation zeitweise oder auf Dauer durch Krankheit ausfallen, ändern sich die Muster nicht. Sie kehren auch bei neuen Mitarbeitern wieder, weil die Verhaltensmuster in Organisationen immer die Reproduzierung des gegenwärtigen Zustandes anvisieren, um ihre Identität zu bewahren. Diese Tatsache der Musterwiederholung bedeutet, dass sich auch Probleme reproduzieren. Nur durch geschickte Intervention von außen kann diese Wiederholung »gestört« werden, indem das System diese Irritationen aufnimmt und damit zur Änderung von Mustern oder Regeln führt. 219 20 Team- bzw. Gruppenanalyse Präsentismus beachten Musterwiederholung
221 Der Umgang mit Betroffenen Ulrich Scherrmann 21.1 Allgemeine Empfehlungen – 222 21.2 Verhalten des Vorgesetzen – 222 21.3 Kommunikation im Unternehmen und Überprüfung organisationaler Faktoren – 224 21.4 Rückkehr in das Unternehmen – 226 21.5 Erfahrungen aus der Beratungsarbeit – 228 21.5.1 21.5.2 21.5.3 Gute Situationsanalyse nötig – 228 Arbeit mit Führungskräften – 228 Arbeit mit Angestellten und Arbeitern – 230 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 21
222 Kapitel 21 • Der Umgang mit Betroffenen 21.1 21 Respektvoller Umgang Soziales Netz wichtig Opferspirale bei Entlassung Solidarität unter Betroffenen In vielen Gesprächen mit Betroffenen nach einer ambulanten oder stationären Therapie taucht im Rückblick immer wieder auf, wie wichtig ein verständnisvolles und mitfühlendes Umfeld gewesen ist. Nicht nur beim Ehepartner und in der Familie, sondern v. a. auch am Arbeitsplatz haben diese Menschen einen respektvollen Umgang mit ihrer Situation erwartet und geschätzt, bzw. waren darüber enttäuscht, wenn Vorgesetzte oder Personalverantwortlich abweisend reagierten oder sich nur »nebenbei« um ihre Situation gekümmert haben. Durch ein gutes soziales Netz können Menschen eine Person stützen und »aufrichten«, besonders dann, wenn diese sich – je nach Persönlichkeitsstruktur und Selbstbewusstsein – als Versager fühlt. Kommt es nach einem Burnout zu einer Entlassung bzw. Freistellung, ist dieser Aspekt besonders wichtig. Nicht nur Manager, die von einem Tag auf den anderen freigestellt werden, sondern auch »einfache« Arbeiter oder Angestellte erleben dies meist als Demütigung und Abwertung ihrer Verdienste für das Unternehmen. Eine zusätzliche Brisanz erhält eine Entlassung oder Freistellung dann, wenn sich herausstellt, dass mehrheitlich organisationale Gründe für das Burnout eines Mitarbeiters verantwortlich sind. Dann geraten diese Menschen sehr schnell in eine Opferspirale, die mit einem weiteren Verlust an Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Zukunftsoptimismus einhergeht. Eine große Hilfe ist es auch, das Gespräch mit anderen Betroffenen zu suchen. Dies ist v. a. in spezialisierten Kliniken und Reha-Zentren recht einfach. Neben dem informellen Gespräch werden manchmal auch auf das Thema fokussierte Gruppen angeboten, die – neben der individuellen Psychotherapie bzw. Coaching – auch die »Kraft der Gruppe« nutzen. Die Betroffenen können hier erfahren: »Ich bin nicht allein mit meinem Schicksal, es gibt auch andere, denen es ähnlich geht wie mir!« Und sie können anhand von Fallsituationen bei anderen Tipps und Hinweise für die Bewältigung des eigenen Burnouts und für eine gute Rückkehr ins Berufsleben erhalten. 21.2 Mut nötig Allgemeine Empfehlungen Verhalten des Vorgesetzen Vorgesetzte berichten immer wieder, dass es Mut braucht, um Mitarbeiter, bei denen sie Symptome eines Burnouts feststellen, auf diese Symptome anzusprechen. Das Gleiche gilt für Kollegen, die mit dem Betroffenen eng zusammenarbeiten; sie erleben ein aktives Ansprechen als Einmischung in die Persönlichkeit des Betroffenen und hüten sich teilweise davor, weil sie nicht wissen, wie eine Person reagiert und welche Konsequenzen ein solches Gespräch auslösen könnte.
21.2 • Verhalten des Vorgesetzen Entscheidend ist, die festgestellten Symptome eines Burnouts nicht als »die Wahrheit« zu nehmen, sondern als eine Beobachtung mitzuteilen, die einen beschäftigt und berührt. Durch diese Art von Mitteilung und Empathie ist es möglich, einer evtl. Verteidigung oder Verharmlosung der Situation durch den Betroffenen zu begegnen. Ein gutes Gespräch kann Versagensängste und Schuldgefühle nehmen und den Betroffenen dafür öffnen, die Situation ungeschminkt und ehrlich zu betrachten. Vorgesetzte tun gut daran, nicht schon alle Zukunftsfragen im ersten Gespräch mit dem Betroffenen anzusprechen; viel wichtiger ist es, dem Mitarbeiter Zeit zu geben, damit er wieder zu Kräften kommt und ihm (die aktuell möglichen) Sicherheiten im Hinblick auf seine berufliche Zukunft zu vermitteln. Dies ist für viele schon eine große Entlastung und ein erster wichtiger Genesungsschritt. In leichteren Fällen ist es sinnvoll, eine Auszeit oder eine zeitweilige Arbeitsunfähigkeit zu thematisieren, um eine Perspektive zu eröffnen. Je nach Situation kann aktuell (oder auch im Hinblick auf die Rückkehr in die Organisation) eine Belastungsregulierung anhand des Arbeitsportfolios und eine gleichzeitig Eruierung möglicher betrieblicher Ressourcen vorgenommen werden. Darüber hinaus ist es wichtig, familiäre bzw. freundschaftliche Beziehungen zu thematisieren oder zumindest darauf hinzuweisen. Sind sowohl der Vorgesetzte als auch der Betroffene unsicher über die Situation, kann es eine Hilfe sein, einen »Burnout-Test« als ersten Hinweis zu machen. Da die Differenzialdiagnostik von Burnout sehr schwierig ist und bis heute nicht wissenschaftlich abgesichert existiert, ist es auf jeden Fall anzuraten, einen kompetenten Arzt oder Psychiater aufzusuchen. Nachdem der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter einer externen Person »übergeben« hat, ist es wichtig, das Arztgeheimnis als Grenze zu akzeptieren und keine (arbeits-)rechtlich fragwürdigen Aktionen zu unternehmen. Je nach Situation und Vertrauensverhältnis kann abgesprochen werden, wie die weitere Kommunikation zwischen Vorgesetztem und Betroffenem aussehen soll, z. B. eine kurze Nachricht per Mail alle 3 Wochen, ein Telefonat in bestimmten Abständen oder gar ein Besuch zu Hause oder in einer Reha-Klinik. Größere Unternehmen, Krankenkassen und andere Sozialversicherungsträger bieten während und nach einem Arbeitsausfall aufgrund von Burnout Unterstützung an: Ein Care-Manager kann dabei eine wichtige »Drehscheibenfunktion« haben, indem er eine stationäre oder ambulante Therapie abklärt, weitergehende Abklärungen beim Arbeitsamt oder der Invalidenversicherung trifft, kompetente Spezialisten vermittelt oder einen Coach für die Begleitung des Betroffenen nach einem ambulanten oder stationären Aufenthalt gewinnt. 223 21 »Nicht die Wahrheit anpreisen« Schrittweises Integrieren Auszeit – zeitweilige Arbeitsunfähigkeit Burnout-Test Weiteren Kontakt vereinbaren Care-Manager hinzuziehen
224 Kapitel 21 • Der Umgang mit Betroffenen Checkliste Gespräch zwischen Vorgesetztem bzw. Personalverantwortlichem und Burnout-Betroffenem 55 Empathie zeigen, 55 keine »Wahrheiten« zur Situation verkünden, sich nicht als »Arzt« aufspielen, 55 (aktuell mögliche) Sicherheiten im Hinblick auf die Zukunft vermitteln, 55 Auszeit bzw. zeitweise Arbeitsunfähigkeit thematisieren, 55 evtl. Belastungsregulierung anhand des Arbeitsportfolios bzw. Aktivierung betrieblicher Ressourcen, 55 Verweis auf familiäre bzw. freundschaftliche Beziehungen zur Unterstützung, 55 »Burnout-Test« anbieten (7 Abschn. 19.2.2), 55 Ermutigung, einen (Betriebs-)Arzt, Psychiater oder eine andere Fachperson aufzusuchen, 55 Vereinbarung von Kontaktmöglichkeiten: E-Mail, Telefonat, Besuch etc., 55 Krankenkassen und Träger der Sozialversicherungen einbeziehen, 55 (betrieblichen) Care-Manager, Gesundheitsbeauftragten bzw. Psychologen als Unterstützung anfragen, 55 sorgfältige Kommunikation in der Organisation – Absprachen mit dem Betroffenen: was soll wie, an wen und wann kommuniziert werden? 21 21.3 Tabu Burnout und Depression Offener Umgang mit Belastungen Kommunikation im Unternehmen und Überprüfung organisationaler Faktoren Es kommt leider sehr häufig vor, dass Burnout (besonders in Unternehmen, die in der Beschleunigungsfalle sind) noch tabuisiert wird, oder dass Depressionen von Mitarbeitern unter der Bezeichnung Burnout laufen, weil eine Depression als das noch größere Übel angesehen wird. Mittel- bis längerfristig wird sich das wohl ändern, weil die äußeren Einflussfaktoren auf Organisationen und Unternehmen immer stärker und prägender werden, sodass die Mitarbeiter immer stärker gefordert werden. Deshalb ist es kontraproduktiv, diese Thematik weiter zu tabuisieren, weil damit keinem geholfen ist und letztendlich Organisationen auch die Chance verpassen, die eigenen organisationalen Faktoren in den Blick zu nehmen. Ein offener Umgang mit Belastungen und eine gute Gesprächskultur darüber kann zu einem guten Betriebsklima beitragen: Die selbstverständliche Mühe, die Arbeit (neben den erfüllenden Aspekten) auch hat, wird auf diese
21.3 • Kommunikation im Unternehmen und Überprüfung … Weise nicht ausgeklammert. Im Gegenteil: Wenn Menschen einen Sinn in einer momentan schwierigen Situation erleben und sich nicht als passiv ausgeliefert erfahren, sind sie zu großen Leistungen fähig und können auch schwierige Situationen überstehen. Im konkreten Umgang mit einem erkrankten Kollegen ist es wichtig, auch hier wertschätzend statt ausgrenzend miteinander umzugehen. Falsch verstandenes Mitleid ist fehl am Platz, nötig sind Empathie und wirkliche Anteilnahme. Vonseiten der Führungskraft ist eine klare interne Kommunikation wichtig, damit mögliche Gerüchte unterbleiben. Der Inhalt der Kommunikation sollte mit dem Betroffenen abgesprochen werden, damit keine persönlichen oder medizinischen Daten ohne Kenntnis offengelegt werden. In der Kommunikation sollte auch darauf hingewiesen werden, dass (sehr bald) durch den Vorgesetzten mit dem Team, der Arbeitsgruppe oder Kollegen mögliche organisationale bzw. interpersonale Faktoren untersucht werden, die (mit-)verantwortlich sind für das Burnout des Mitarbeiters. Dies ist besonders deshalb wichtig, um später eine gute Rückkehr des Mitarbeiters an seinen Arbeitsplatz zu ermöglichen. In dieser Interventionsphase sei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass alle Maßnahmen, die in der Präventionsphase genannt wurden und die eine weitere Verschlimmerung der Belastungssituationen bis hin zum Burnout verhindern sollen, auch hier zum Tragen kommen. Präventivmaßnahmen sind insbesondere: 55 Reflexion der Führungskräfte: 55 Was fehlt(e) in meinem Führungsstil und -verhalten. 55 Was kann ich tun, um Mitarbeiter weniger Disstress auszusetzen? 55 Welche zusätzliche Managementkompetenz benötige ich? 55 Welche Grundsätze und Werkzeuge des Führens muss ich überdenken? 55 Was kann ich tun, um stärker gesundheitsförderlich zu führen? 55 Reflexion in der gesamten Organisation bzw. im Unternehmen (in Teams, Arbeitsgruppen, Gesundheitszirkeln etc.): 55 Ist eine Einführung bzw. ein Ausbau der betrieblichen Gesundheitsförderung notwendig? 55 Welche (zusätzlichen) Angebote sind in der Verhaltensprophylaxe nötig? 55 Welche Veränderungen bzw. Neuerungen müssen wir in der Verhältnisprophylaxe angehen? 55 Wie können die Mitarbeiter (zukünftig) stärker in die Prophylaxe und Prävention von Stress und Burnout einbezogen werden? 225 21 Empathie und Anteilnahme zeigen Klare interne Kommunikation Organisationale bzw. interpersonale Faktoren untersuchen Belastungssituationen verringern
226 Kapitel 21 • Der Umgang mit Betroffenen 21.4 21 Ängste des Rückkehrers Sorgfältige Wiedereingliederung Beginn am (vorläufigen) Behandlungsende Rückkehr in das Unternehmen Eine besondere Hürde ist es für viele Menschen, nach einer stationären oder ambulanten Auszeit wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Vielfach tauchen Ängste und Fragen auf, z. B. ob die Kräfte reichen oder wie die Kollegen reagieren werden: »Sehen sie mich als Schwächling oder Versager an oder haben sie Verständnis für meine Situation?« Verstärkt werden solche Ängste, wenn Mitarbeiter beispielweise während ihres Klinikaufenthaltes »per Zufall« erfahren, dass ihre Stelle zur Neubesetzung ausgeschrieben wurde. Die beschriebenen Fragen und Situationen zeigen, wie wichtig eine sorgfältige und – wenn möglich – auch stufenweise Wiedereingliederung ist. Voraussetzung für viele Maßnahmen ist, dass der Mitarbeiter und der Vorgesetzte bzw. die mitarbeitenden Kollegen hinter diesem Prozess stehen. Idealerweise beginnt dieser Prozess schon am Ende eines (ambulanten oder stationären) Klinikaufenthaltes bzw. am Ende einer psychotherapeutischen Behandlung. Dabei können ganz konkret auch die vorhandenen Ängste angesprochen werden und erste arbeitsplatzbezogene Verhaltensänderungen bzw. mögliche Schwierigkeiten am Arbeitsplatz thematisiert werden. Bei einem solchen »runden Tisch« werden u. a. folgende Aspekte angesprochen: 55 Was war aus Sicht des Patienten der Auslöser für sein Burnout bzw. seine Depression? 55 Wie ist jetzt seine gesundheitliche Verfassung? Von welchen Angeboten (Psychotherapie, Bewegung, Meditationen etc.) konnte er profitieren? 55 Gibt es eine weitere Krankschreibung zu 100% oder ist ein stufenweiser Wiedereinstieg geplant (z. B die ersten 4 Wochen 50% arbeiten, dann auf 100% ausdehnen)? 55 Was waren wichtige Aspekte in der psychotherapeutischen bzw. psychologischen Begleitung? 55 Benötigt der Patient weitere psychotherapeutische oder psychiatrische Begleitung? 55 Welche Erwartungen hat der zukünftige Coachee an den Coach? Beispiel aus der Praxis Ein fast fünfzigjähriger Maschinenbauingenieur in einer leitenden Position wurde von seinem Arbeitgeber nach der Rückkehr aus dem Reha-Aufenthalt freigestellt. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses löste zunächst einmal (finanzielle) Existenzsorgen aus. Im Übergabegespräch konnte er seine persönlichen und die organisationalen Muster schildern, die bei ihm zum Zusammenbruch geführt hatten. Dies wurde durch die Psychotherapeutin ergänzt.
21.4 • Rückkehr in das Unternehmen 227 21 Der Wunsch an den Coach war, ihn bei der beruflichen Neuorientierung zu unterstützen. In der konkreten Arbeit halfen ihm dabei folgende Fragen: 55 Was sind meine Kernkompetenzen? 55 Was sind meine Kerninteressen? 55 Was ist meine Lebensphilosophie für die verbleibenden ca. 15 Berufsjahre? 55 Unter welchen Bedingungen möchte ich zukünftig arbeiten? Glücklicherweise fand der Coachee schon bald seine »Traumstelle«. An der Begleitung wurde sehr geschätzt, dass diese neue Stelle vom Coach kritisch auf möglicherweise belastende Elemente untersucht wurde. Damit sollte verhindert werden, dass der Coachee sich wieder in ein Unternehmen begibt, das dysfunktional ist und ihn wiederum an diesem Arbeitsplatz in eine Burnout auslösende Situation bringen kann. Generell ist es von Vorteil, wenn möglichst viele Beteiligte für die Wiedereingliederung an einen Tisch gebracht werden können, z. B. der Arbeitgeber, der Arzt, der Psychotherapeut, der Coach, Betriebsarzt, Teamleiter, Mitarbeitervertreter. Im Rückkehrgespräch ist es wichtig, folgende Themen zu besprechen: 55 Was ist dem Betroffenen für seine Wiedereingliederung wichtig? 55 Welche Empfehlungen bekam der Betroffene von seinem behandelnden Arzt, Coach oder Psychotherapeuten? 55 Wie lange soll der Prozess der Wiedereingliederung dauern? Es ist sinnvoll, hier Zeitachsen von 6 Wochen bis zu einem Jahr zu berücksichtigen. 55 Ergibt eine teilweise Arbeitsunfähigkeit (die von einem Arzt attestiert werden müsste) Sinn? Sind gestufte Phasen der Wiedereingliederung geeignet, z. B. vier Wochen 25% Arbeitszeit, vier Wochen 50%? 55 Wie kann eine »Neuaufnahme« in die Arbeitsgruppe bzw. ins Team aussehen? Was sollte dort von der Vergangenheit thematisiert werden und was braucht es für Anpassungen am Arbeitsplatz? 55 Welche Änderungen oder Anpassungen der organisationalen Faktoren sind wichtig, z. B. hinsichtlich Arbeitsinhalt, Arbeitsumgebung, Arbeitsorganisation? Es ist wichtig, sich für ein solches Gespräch genügend Zeit zu nehmen und möglichst konkrete Vereinbarungen zu treffen. Unter Umständen ist es ratsam, ein weiteres Gespräch zu vereinbaren, um die erzielten Fortschritte in der Wiedereingliederung zu evaluieren und weitere Schritte zu planen. Rückkehrgespräch Weitere Gespräche nötig?
228 Kapitel 21 • Der Umgang mit Betroffenen 21.5 21 »Zurück ins Leben« In den letzten Jahren durfte ich in Zusammenarbeit mit befreundeten Ärzten, Psychotherapeuten und der Klinik Gais sowohl Führungskräfte als auch »einfache« Angestellte und Arbeiter im Coaching begleiten. Die Coachees kamen meist nach einem stationären Aufenthalt in der Klinik ins Coaching (Projekt »Zurück ins Leben«) oder nahmen begleitend zu einer ambulanten Therapie das Coaching in Anspruch. Dabei möchte ich einige Punkte reflektieren, die in der Beratungsarbeit als wiederkehrende Themen aufgetaucht sind. 21.5.1 Infos zur Situation einholen Erfahrungen aus der Beratungsarbeit Gute Situationsanalyse nötig Als sehr hilfreich hat es sich erwiesen, dem Coachee am Ende eines ersten Kontakts, in dem ein Coaching vereinbart wurde, eine Infoblatt zum Auftragsklärungsgespräch zu übergeben. Dadurch kann er seine eigene Situation vertieft klären und sich auf dieses wichtige Gespräch vorbereiten. Wichtige Fragen, die anschnitten werden, sind z. B.: 55 Warum kam es gerade jetzt zu einem Klinikaufenthalt bzw. zum Burnout? 55 Was ist aus Ihrer Sicht das Problem? 55 Was ist aus heutiger Sicht ihr Ziel im Coaching? Was soll danach anders sein und woran erkennen sie das? 55 Wer beeinflusst den Coaching-Prozess positiv oder negativ (z. B. Ehefrau, Kinder)? Wer ist noch an einer positiven Veränderung interessiert? Im Auftragsklärungsgespräch oder in eine der ersten Sitzungen ist es darüber hinaus wichtig, Informationen zu weiteren Faktoren zu gewinnen, um adäquat Interventionen anbieten zu können. Dazu gehören Fragen zu folgenden Themen (Burisch, 2014, S. 231): 55 Welche äußeren Faktoren sind für das Burnout ausschlaggebend (z. B. Arbeitsmenge, familiäre Belastungen, Teamkonflikte)? 55 Welche Bedürfnisse und Ziele sind nicht erreichbar? 55 Welche Glaubenssätze sind in der entsprechenden Umgebung hinderlich? 55 Welche Fähigkeiten und Techniken (z. B. sich entspannen können, sich abgrenzen) sind unterentwickelt oder nicht vorhanden? 55 Wie könnte ein erster Schritt aussehen, der jetzt ansteht? 21.5.2 Mehrheitlich organisationale Gründe Arbeit mit Führungskräften Untersucht man die Ursachen, warum Führungskräfte in ein Burnout geraten sind, tauchen hauptsächlich organisationale Gründe auf.
21.5 • Erfahrungen aus der Beratungsarbeit In meiner Beratungsarbeit tauchte z. B. die Tatsache auf, dass in KMUs ein schnelles Wachstums geschah, dabei aber wichtige Anpassungen im Bereich von Strukturen, Prozessen oder Abläufen nicht erfolgten. Damit einher gingen auf allen Führungspositionen immer wieder die Schwierigkeiten, dass Positionen, Rollen, Funktionen und Aufgaben nicht geklärt waren. Die Führungskräfte gerieten deshalb in eine länger andauernde Phase der Desorientierung und hatten Schwierigkeiten, die immer größer werdende Fülle von Aufgaben und Anforderungen zu bewältigen, weil dafür hilfreiche Strukturen und Routinen fehlten. Das Wachstum führte nicht nur zur Verunsicherung bei den Führungskräften, sondern wirkte sich auch auf das Betriebsklima aus: Demotivation, Leerläufe und höhere Fehlerquoten waren Begleiterscheinungen. Es war sehr interessant zu beobachten, wie Veränderungen in Strukturen oder Verbesserungen in der Kommunikation sich spürbar auf das Wohlbefinden der Führungskräfte auswirkten. Es stellte sich also rückwirkend heraus, dass sie »Symptomträger« gewesen waren: Themen, Konflikte und Unzulänglichkeiten wurden sichtbar, die nicht individuell bedingt waren, sondern in der Organisation als Ganzes oder in einzelnen Abteilungen oder Teams ihren Ursprung hatten. Ein weiterer Themenkomplex waren Konflikte, die Führungskräfte mit anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung oder Anteilseigner hatten. Auch hier waren die Auslöser meist fehlende strukturelle Klarheiten, also organisationale Faktoren, die allerdings auf der individuellen Ebene abgearbeitet wurden. Es war deshalb für viele eine Erleichterung und Entlastung, als in der Analyse und Diagnose der Konflikte eine erhellende Trennung in individuelle und organisationale Faktoren gemacht werden konnte. Auf der individuellen Ebene war meist ein ungenügendes Zeitmanagement ein wichtiger Faktor: Dies und die damit einhergehende Disziplin, ein Zeitmanagement auch im (Berufs-)Alltag anzuwenden, führt zu Stress und schließlich zum Burnout. Die Auszeit konnte genutzt werden, um eine Routine im Zeitmanagement zu erwerben. Ein Thema, das v. a. nach einer Freistellung oder Entlassung (nicht nur) bei Führungskräften auftritt, ist die weitere berufliche Zukunft. Hier hat es sich bewährt, mit den Coachees vier Kernthemen näher in den Blick zu nehmen und mit ihnen gründlich zu erarbeiten. Durch die Fokussierung auf diese vier Felder erhalten die Coachees bei Bewerbungsgesprächen eine Art »Kompass« zur Orientierung und späteren Entscheidungsfindung. zz Was sind die Kernkompetenzen? 55 Eine Analyse kann z. B. dadurch stattfinden, dass die Coachees Erlebnisse aus ihrer Berufs- und Alltagswelt aufschreiben, die für sie wichtig waren, in denen sie erfolgreich handelten und die für sie Sinn ergaben. Diese Erlebnisse werden auf die darin enthaltenen Kompetenzen hin analysiert. 229 21 KMUs mit schnellem Wachstum Kleine Veränderungen mit großer Wirkung Konflikte Ungenügendes Zeitmanagement Berufliche Zukunft
230 Kapitel 21 • Der Umgang mit Betroffenen 55 Es kann vorkommen, dass die Person an ihrem letzten Arbeitsort die Kernkompetenzen nicht leben konnte. Deshalb ist es hier wichtig, zu überlegen, wie diese Kernkompetenzen in Zukunft zum Ausdruck gebracht werden können. 21 zz Was sind die Kerninteressen? 55 In den Kerninteressen zeigt sich die »Leidenschaft« vieler Menschen. Menschen leben hier ihre Sehnsüchte und Visionen aus und erfahren Sinn. 55 Fragestellungen, mit der Kerninteressen erschlossen werden können, sind z. B.: Zu welchem Thema und mit welchem Menschen würden Sie gerne einmal ein interessantes Interview führen? Welchen Workshop oder welches Seminar würden Sie gerne einmal organisieren? zz Was ist die Lebensphilosophie? 55 In der Lebensphilosophie drückt sich elementar aus, was ein Mensch in und durch seine Arbeit bewirken will. Es geht hier um Beiträge zu einem größeren Ganzen, um Werte, um Ideale, die in der Arbeit zum Ausdruck gebracht werden wollen. 55 Eine mögliche Fragestellung lautet: Wenn am Ende Ihres Lebens eine Grabrede auf Sie gehalten wird – was soll dort über Sie rückblickend gesagt werden? zz Welche Arbeitsbedingungen sind nötig? 55 Ist eine genauere Analyse der vergangenen Arbeitsbedingungen noch nicht erfolgt, ist es sinnvoll, dies in einem ersten Schritt zu tun. 55 Generell können Fragen gestellt werden wie: 55 Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie gerne: in einem Team, alleine, in einem großen oder kleinen Unternehmen etc.? 55 Welche Unternehmenskultur ist Ihnen wichtig? Was sind konkrete Indikatoren für diese Kultur? 55 Welche Umgebung benötigen Sie, um leistungsfähig und motiviert zu arbeiten? 55 Welche Orte und Länder bevorzugen Sie? 55 Welche Gehaltsvorstellungen haben Sie? 21.5.3 Zusammenarbeit mit internen und externen Personen Arbeit mit Angestellten und Arbeitern In meiner Beratungspraxis haben sich immer wieder wichtige Themen herausgeschält, die bei vielen Coachees auftauchten und intensiver bearbeitet werden mussten. Generell hat sich die Zusammenarbeit mit externen Stellen als wichtig herausgestellt: 55 mit Care-Managern der Sozialversicherungsträger (Krankenkasse, Invaliditätsversicherung, Arbeitsamt etc.),
21.5 • Erfahrungen aus der Beratungsarbeit 231 21 55 mit Care-Managern von Unternehmen bzw. Organisationen, 55 mit HR-Verantwortlichen der Unternehmen, 55 mit Führungskräften der Coachees. Viele Coachees hatten Mühe damit, an ihren Arbeitsort zurückzukehren und erlebten diese Situation als »Stress pur«. Deshalb war es für viele eine gute Hilfe, die Rückkehr an den Arbeitsort zu begleiten. Bei einem solchen Gespräch mit der Führungskraft bzw. dem HR-Verantwortlichen konnten – je nach Wunsch des Mitarbeiters – auch wichtige Themen aus der ambulanten oder stationären Therapie und dem Coaching besprochen werden. Es würde den Rahmen des Buches sprengen, die vielfältigen Coaching-Themen näher darzustellen. Trotzdem sollen in aufzählender Art und Weise wichtige Themen im Coaching von Burnout-Betroffenen genannt werden. Zeitmanagement Hier hat sich bewährt, als Anleitung elementare Hinweise zu einer Aufgabenliste mit Prioritäten sowie Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagesplanung zu geben. Der Verweis auf die umfangreiche Ratgeberliteratur ist zwar hilfreich, hält viele durch die Informationsflut aber davon ab, etwas Konkretes umzusetzen. Zeitmanagement Das Erarbeiten ihrer individuellen mentalen, seelischen und körperlichen Ressourcen und Erfolge ist für viele Personen sehr befreiend, weil sie damit wieder eine Perspektive erhalten, was sie konkret in Zukunft verstärkt oder anders tun können. Blick auf Ressourcen und Erfolge Auf der individuellen Ebene sind viele Menschen durch ihre Lebensgeschichte von Glaubenssätzen geprägt, die sie meist unbewusst auch in ihrem Arbeitsleben begleiten: Sätze wie: »Du musst immer perfekt sein!« oder »Passe dich gegenüber Vorgesetzten an« können sehr destruktiv sein und zur Auszehrung führen. Glaubenssätze können im Coaching überprüft, verändert oder in einen neuen Zusammenhang gebracht werden, sodass diese Menschen ihren Glaubenssätzen nicht mehr ausgeliefert sind. Glaubenssätze Die Burnout-Betroffenen haben in Phasen mit Disstress häufig sehr unter mangelndem Selbstvertrauen gelitten und sich in ihrem Selbstwert als minderwertig eingestuft. Deshalb ist es wichtig, sich viel Zeit für diese Thematik zu nehmen und mit unterschiedlichen Formen (Gespräch, Visualisierungen, Malen etc.) an dieser Thematik zu arbeiten. Selbstvertrauen Konkrete Tools für den Alltag Im Laufe eines stationären oder ambulanten Aufenthalts in einer Reha-Klinik lernen die Patienten nützliche Techniken zur Körperwahrnehmung, Entspannung oder zur Meditation, z. B. progressive Muskelrelaxation (PMR), Bodyscan, Yoga oder Tools einüben »Blick auf meine Ressourcen und Erfolge« Arbeit mit »Glaubenssätzen« Selbstvertrauen und Selbstwert
232 Kapitel 21 • Der Umgang mit Betroffenen Achtsamkeitstraining MBSR. Einige sind durch diese Fülle schnell überfordert, sodass es sinnvoll ist, mit ihnen zu erarbeiten, welche Technik(en) sie in ihren Alltag integrieren wollen. Unter Umständen können weitere Techniken vermittelt werden (Imaginationsübungen, Phantasiereisen, Affirmationen, Körperwahrnehmungen etc.). 21 Ankern positiver Erfahrungen Ankern positiver Erfahrungen Eine sehr gute Resonanz haben Übungen zum Ankern positiver Erfahrungen ausgelöst. In dieser Übungsform aus dem NLP werden positive Gefühle mit bestimmten Gesten, Wörtern oder Bilder verknüpft. Der Coachee entspannt sich und erinnert sich an eine Situation aus seinem Leben, in der er sich in der gewünschten Situation befand, z. B. in der Gelassenheit oder Entspannung. Die Situation wird möglichst ins Hier und Jetzt aktualisiert, z. B. indem der Coachee an eine Situation denkt, in der er selbstbewusst und gelassen war. Ist diese Szene lebendig, wird ein Anker in Form einer bestimmten Berührung des Körpers, einer Geste oder eines Wortes gesetzt. Das Ziel ist, dass der Coachee in Situationen, in denen er das Gegenteil erlebt, auf diese »Ankererfahrung« zurückgreifen kann. Willensarbeit Arbeit mit dem Willen (guter, geschickter, starker Wille) In der Begleitung von Burnoutbetroffenen ist es wichtig, konkrete Schritte für den Alltag zu vereinbaren: »Was will er bis zur nächsten Sitzung umsetzen?« Damit wird seine Willenskraft geschult und gestärkt (Dönges, Brunner & Dubey, 2005, S. 99–166). Eine Hilfe ist es, den Willen in die drei Dimensionen des guten, geschickten und starken Willens aufzuteilen und bei jeder Aufgabe zu schauen: Dient die Maßnahme xy seiner Genesung, Weiterentwicklung etc. (guter Wille). Kann er auf geschickte Art und Weise dieses Ziel erreichen, sodass Aufwand und Ertrag in einem sinnvollen Verhältnis stehen (geschickter Wille)? Wie kann er mit Zähigkeit und Durchsetzungswillen »sein Projekt« angehen (starker Wille)? Coaching-Protokoll »Coaching-Protokoll« Ein bewährtes Mittel in der Beratung ist auch das »Coaching-Protokoll«. Darin notiert sich der Coachee stichwortartig wichtige Punkte aus der letzten Sitzung, z. B. Ziel des Coachings, wichtige Themen und Erkenntnisse oder wichtige erlernte Übungen. Damit kann er die letzte Sitzung noch einmal reflektieren und sich seine Umsetzungsschritte vergegenwärtigen. Ein paar Tage vor der nächsten Sitzung schickt er das Protokoll dem Coach. Dieser kann dadurch sehen, welche Inhalte beim Coachee hängengeblieben sind. Gleichzeitig kann damit auch als Aufgabe für die nächste Sitzung verbunden werden, welches Thema dem Coachee in dieser Sitzung wichtig ist, was evtl. an Neuem geklärt werden müsste oder welcher weitere Schwerpunkt gesetzt werden könnte.
233 Fazit Kapitel 22  Wichtige Ergebnisse – 235 Ulrich Scherrmann Kapitel 23 Ausblick – 239 Ulrich Scherrmann VII
235 Wichtige Ergebnisse Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 22
236 22 Kapitel 22 • Wichtige Ergebnisse Abschließend möchte ich wichtige Erkenntnisse noch einmal zusammenfassend präsentieren: 55 Burnout hat sich zu einer großen Herausforderung für Organisationen entwickelt. Die Zahl der Krankheitstage hat sich z. B. in Deutschland zwischen 2004 und 2009 verzehnfacht. 55 Burnout ist (in Abgrenzung zur Depression) eine wesentlich auf Belastungen am Arbeitsplatz zurückzuführende Krankheit, die im Verlauf auch mit Depressionen und chronischer Ermüdung verbunden sein kann. 55 Burnout ist gekennzeichnet durch die drei Komponenten physische und psychische Erschöpfung – Zynismus – Ineffektivität bei der Arbeit. 55 Die vordergründige und in aktuellen Ratgebern dominierende Sicht, dass Burnout primär durch Faktoren der Person ausgelöst wird, muss einer differenzierteren Sicht weichen. Meiner Meinung nach wäre es aber genauso unzureichend, jetzt nur noch die Organisation verantwortlich zu machen und in ihr nach den auslösenden Faktoren zu suchen. 55 Es ist eine genaue Analyse nötig um herauszufinden, wie die Passung zwischen der Person mit ihren Ressourcen und der Organisation mit ihren Belastungen und (evtl. fehlenden) Ressourcen aussieht. 55 Die Faktoren in der Organisation können mit einem systemischen Burnout-Modell gut erfasst und für Prävention und Intervention bestimmt werden. Im systemischen Burnout-Modell sind auch die Ebenen »Politik – Gesellschaft – Welt« und »Markt – Mitbewerber«, die einen immer größeren Einfluss gewinnen, in der Analyse und bei späteren Maßnahmen zu berücksichtigen. 55 Der Burnout-Ampel-Fragebogen ist ein Instrument, das mit wenig Aufwand in einer Organisation zur Analyse und Diagnose eingesetzt werden kann. Er liefert Hinweise, auf welchen Ebenen eventuelle Maßnahmen zu planen und umzusetzen sind. 55 Es gesteht die Notwendigkeit, in einer Organisation nach dem Burnout eines Mitarbeiters präventiv zu handeln, weil die Gefahr besteht, dass sich Probleme wiederholen und es zu weiteren Burnout-Fällen kommt, die erhebliche Kosten verursachen können. Diese systemtheoretische Sicht auf Burnout und die entsprechenden Konsequenzen sind vielen Mitgliedern in Organisationen (noch) nicht bewusst. Es ist deshalb wichtig, in der Information und Bewusstseinsbildung diesen Aspekt besonders zu betonen. In der Verhältnisprävention können diese krankmachenden Regeln, Verhaltensmuster oder Prozesse identifiziert und mit den Beteiligten verändert werden. 55 Eine besondere Aufmerksamkeit sollte auch dem Phänomen des Präsentismus gelten: Arbeitskräfte, die aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes oder aufgrund des äußeren Drucks krank zur Arbeit gehen, gefährden nicht nur ihre Gesundheit, sondern
Wichtige Ergebnisse 55 55 55 55 55 auch den Erfolg der Organisation durch Fehler, Verbreiten negativer Stimmung im Team, Unfreundlichkeit zu Kunden etc. Metaanalysen haben ergeben, dass Ansätze für die Prävention und Intervention sowohl beim Individuum (Verhaltensprävention) als auch bei der Organisation (Verhältnisprävention) ansetzen müssen. Die Investitionen in Maßnahmen der Prophylaxe, Prävention und Intervention machen sich auf jeden Fall längerfristig bezahlt, d. h. der Nutzen (ROI) übersteigt die entstehenden Kosten. Angesichts der Herausforderungen, die auf Organisationen zukommen werden (globale Veränderungen, Demographie, Mangel an Facharbeitskräften), aber auch aus ethischen Überlegungen wird es immer wichtiger werden, die Gesundheit der Mitarbeiter im Sinne der Salutogenese zu fördern. Der Aufbau und die Umsetzung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, das u. a. Krankheiten oder Burnout verhindern bzw. begrenzen kann, ist dabei kein »Luxus«: Es trägt wesentlich zum Erfolg der Organisation bei. Führungskräfte stehen in Organisationen in besonderer Verantwortung. Eine sorgfältige Schulung in verschiedenen Themenbereichen (z. B. Präsentismus, »Gesund führen – auch unter schwierigen Bedingungen«, Gesundheit als Thema in der Organisation platzieren etc.) ist sehr wichtig und ein absolutes »Muss«. Prophylaxe, Prävention und Intervention sind wichtige Elemente des betrieblichen Gesundheitsmanagements, die jeweils für die Adressaten Individuum, Führungskraft und Organisation als Ganzes etabliert werden sollten. In der Phase der Prophylaxe wird es wichtig sein, die Information über Burnout und die auslösenden Faktoren verstärkt in den Mittelpunkt zu stellen. Eine gute Identifizierung von (Dis-)Stressquellen und entsprechende Maßnahmen auf den je unterschiedlichen Ebenen können verhindern, dass sich ungesunder Stress zu Burnout entwickelt. 237 22
239 Ausblick Ulrich Scherrmann U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 23
240 23 Kapitel 23 • Ausblick Es kann davon ausgegangen werden, dass die rasante Zunahme der Burnout-Fälle in den letzten Jahren sich auch in Zukunft fortsetzen wird. Die globalen wirtschaftlichen Veränderungen und die derzeitigen Krisen (Schuldenkrise, Finanzkrise etc.) prägen das Verhalten von Unternehmen und Organisationen sehr stark. Dies zeigt sich z. B. in der Schweiz darin, dass exportorientierte kleine und mittelgroße Unternehmen derzeit stark unter dem starken Schweizer Franken zu leiden haben und u. a. mit massiven Kostensenkungsprogrammen arbeiten oder ganze Produktionsteile ins Ausland verlagern. Dass diese kritische Situation Auswirkungen auf das Betriebsklima (Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes) und die Motivation der Mitarbeiter hat, braucht kaum näher erläutert zu werden. Die Erfahrungen aus meiner Beratungspraxis sind leider so, dass in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten fast nur mit Optimierungsprogrammen zur Senkung von Kosten oder zur Verschlankung von Prozessen gearbeitet wird, d. h. die »hard facts« betrachtet werden. Die Situation der Mitarbeiter, ihre sinkende Motivation bei der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes, aber auch ihr Potential, in schwierigen Situationen kreativ nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten, wird leider oft vernachlässigt. Es ist meiner Meinung nach in vielen Chefetagen ein Paradigmenwechsel im Führen von Mitarbeitern und in der Gestaltung der Organisation nötig, um die zukünftigen Aufgaben besser bewältigen zu können. Ein Paradigmenwechsel heißt immer auch, dass bisherige Werte und Verhaltensweisen durch Neues abgelöst werden. Doch – was kann dieses Neue sein? Als Organisationsberater habe ich in den letzten Jahren für mich zwei bedeutsame Entdeckungen gemacht: die Regel des Hl. Benedikt von Nursia angewandt auf Organisationen und die Sinnzentrierung von Organisationen nach Grundsätzen der Logotherapie von Viktor Frankl (Grün, 2004; Bilgri/Stadler, 2004; Berscheider, 2003; PircherFriedrich, 2005). Der Ordensgründer und der Psychiater haben gemeinsame Themen und Anliegen formuliert. Beide »Philosophien« habe ich mit dafür aufgeschlossenen Führungskräften und Organisationen teils direkt, teils indirekt (als »Hintergrundfolie«) in meine Beratungen einfließen lassen. Einige dieser für mich und meine Beratung wichtigen Aspekte möchte ich am Schluss dieses Buches kurz skizzieren, um das Thema Burnout nicht nur als Krise, sondern auch als Chance für Neues ins Spiel bringen. In der Benediktsregel, dem Verhaltenskodex des Ordens, hat der Abt eines Klosters als »Stellvertreter Christi« eine besondere Bedeutung. Vor diesem Hintergrund führt der Abt seine Aufgabe zum Wohl der Menschen in der Klostergemeinschaft und zum Wohl der Schöpfung Gottes aus. Die Ausführungen über die Menschenführung des Abtes sind auch für säkulare Organisationen und deren Führungskräfte anwendbar. Ein wichtiger Grundgedanke ist, dass derjenige, der führt, auch mit der Kunst der Selbstführung vertraut sein muss.
Ausblick Es geht darum, dass eine Führungskraft ihre Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse kennen sollte, um den Mitarbeitern nicht defizitär eigene ungelebte Teile aufzubürden und sie damit projektiv zu belasten. Zu menschlicher Reife gehört es auch, dass sich eine Führungskraft in Anwendung des beständigen Wechsels von »ora et labora« (»bete und arbeite«) neben der Arbeit Zeit nimmt für sich selbst: Zeit, um auch in turbulenten Situationen innere Ruhe oder Gelassenheit zu finden. Es kann, muss aber nicht mit Kontemplation, Gebet oder Meditation verbunden sein. Es zeigt sich aber, dass gerade in den letzten Jahren Benediktinerklöster auch zu einem Zufluchtsort für Manager geworden sind: In der so »ganz anderen Atmosphäre« eines Klosters können sie (wieder) zu sich selbst finden. Ein vielleicht auf den ersten Blick altertümlicher Gedanke ist meiner Meinung nach auch heute wichtig: Im Kapitel über den wirtschaftlichen Leiter eines Klosters heißt es, dass er wie ein Vater wirken soll. Angewandt auf Führungskräfte kann dies heißen, Mitarbeiter in ihrem Potenzial zu sehen, sie immer wieder zu ermuntern, etwas zu wagen, auch Fehler zu machen (und daraus zu lernen) und sie darin zu unterstützen, dass sie ihr kreatives Potenzial zum Ausdruck bringen können. Anselm Grün schreibt sehr treffend: »» Wenn wir den Vater als Bild des Verantwortlichen bedenken, dann entsteht ein anderer Typ von Führern, als sie heute so weit verbreitet sind. Nicht ängstliche, auf ihre Karriere bedachte Manager, sondern Verantwortliche, die Leben wecken in ihren Mitarbeitern, die ihnen den Rücken stärken, die ihnen Mut machen, eigene Wege zu gehen, neue Lösungen zu suchen. (Grün, 2004, S. 34) Ein wichtiger Grundsatz für den wirtschaftlichen Leiter ist außerdem, dass er den Mitarbeiter in seinem Potenzial und in seiner Begrenzung betrachtet: Er gibt ihm einerseits genügend Raum für Fort- und Weiterbildung, um sein Potenzial zu entfalten, und gleichzeitig ist er realistisch genug, sodass er einen Mitarbeiter mit dessen Begrenzungen nicht in Situationen der Überforderung hineinbringt. Das Ziel der Benediktsregel ist ein funktionierendes Kloster – Anwendungen dieser Regel in Organisationen dienen dazu, ein gutes Betriebsklima zu schaffen und einen Teamgeist zu kreieren, der gemeinsam auf ein Ziel gerichtet ist. Deshalb ist es auch unerlässlich, dass Organisationen eine Vision vor Augen haben, die mehr ist als nur die Anhäufung von Zahlen: Eine Vision soll den Sinn und das Ziel des gemeinsamen Schaffens erhellen, soll Kräfte wecken und von ethischen Werten geprägt sein – und immer wieder konkret im Arbeitsalltag anwendbar sein, durch die Umsetzung in Leitbilder sowie Verhaltens- und Führungsgrundsätze. »» Wer seine Mitarbeiter mit einer überzeugenden Vision inspiriert, wer ein ‚Heiligtum schafft‚ in dem die Seele beflügelt wird, wird immer wieder auch die Bedürfnisse der Menschen ansprechen und wirtschaftlich florieren. (Gründ, 2004, S. 136) 241 23
242 23 Kapitel 23 • Ausblick Ich bin davon überzeugt, dass gerade in schwierigen Zeiten eine gut gelebte Vision Kräfte wecken kann, um mit herausfordernden Situationen umzugehen. Menschen können über sich hinauswachsen, können Ressourcen einsetzen, wenn sie positiv motiviert und von etwas begeistert sind – und damit letztlich auch einem Burnout vorbeugen. Die Wichtigkeit einer guten Vision ist auch ein Kerngedanke einer »sinnzentrierten Unternehmensführung«. Damit eine Vision wirkt, muss sie etwas beinhalten, das über einen bloßen Zweck und Nutzen hinausgeht und von der Mehrzahl der Mitarbeiter als sinnvoll erlebt wird. Sinnzentrierung ist dabei keine neue Managementmethode, sondern eine grundlegende Lebenshaltung, die darin besteht, dass Menschen ihr Leben verstehen, in einen größeren Zusammenhang einordnen und nach eigenen Vorstellungen und Grundwerten gestalten wollen. Dabei geht es nicht darum, über Sinn zu philosophieren, sondern sich ganz konkret im Arbeitsalltag zu fragen: »Wozu ist es gut, wenn ich das oder jenes tue? Verwirkliche ich damit etwas Wertvolles?« Deshalb gehört es zur Aufgabe der Führungskräfte, Bedingungen dafür zu schaffen, dass Mitarbeiter den Sinn und die dahinter stehenden Werte in einer Aufgabe entdecken können. Es geht also nicht darum, den Mitarbeitern »Sinn zu befehlen«, sondern sie immer wieder darin zu unterstützen, den Sinn einer Aufgabe oder eines Ziels zu erkennen und deren Bedeutung für die Organisation zu verstehen. Aufgaben müssen so gestellt werden, dass Mitarbeiter sich diese zu eigen machen und als ihre sinnvolle Aufgabe erkennen. Eine große Hilfe ist dabei, dass sie selbst bei der Formulierung der Aufgaben mitwirken können. Ein wichtiger Aspekt und außerdem eine Abrundung zu organisationalen Faktoren von Burnout ist die Betonung der Gestaltungsfreiheit, die Mitarbeitern am Arbeitsplatz gegeben werden sollte. Können Mitarbeiter eigene Akzente bei ihrer Arbeit setzen und entdecken sie, dass ihre Arbeit sinnvoll ist, identifizieren sie sich auch mit ihrer Arbeit. Sie haben Freude daran und erleben das, was man immer wieder in Coachings hören kann: »Mir ist eine Aufgabe, zu der ich Ja sagen kann, wichtiger als eine gute Bezahlung. Es ist schließlich meine Lebenszeit, die ich in diesem Unternehmen verbringe. Diese Zeit will ich als sinnerfüllte Zeit gestalten.«
243 Serviceteil Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen – 244 Literatur – 251 Stichwortverzeichnis – 254 U. Scherrmann, Stress und Burnout in Organisationen, DOI 10.1007/978-3-662-45536-4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
244 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Ulrich Scherrmann Die Fragen wurden aufgrund der vorangehenden Ergebnisse und in Anlehnung an Häfele (2009), S. 57–61 erarbeitet. zz Hinweise zum Ausfüllen des Fragebogens 55 Das Ziel des Fragebogens ist es, Hinweise über Burnout auslösende Faktoren in Ihrer Organisation und bei Mitarbeitern zu identifizieren. 55 Mit den Ergebnissen können in Ihrer Organisation gezielte Maßnahmen zur Prophylaxe oder Intervention ergriffen werden. Bewertung I. Politik – Gesellschaft – Welt Die politischen und rechtlichen Verhältnisse (z. B. Veränderungen des Arbeitsmarktes, der Sozial-, Energieoder Steuerpolitik) beeinträchtigen in besonderer Weise unsere Organisation. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. soziale Probleme, Ausbildung qualifizierter Mitarbeiter, Sicherheit, Vertrauensverlust) haben einen negativen Einfluss auf unsere Organisation. Globale Veränderungen und Herausforderungen (z. B. Schulden- und Finanzkrise, Veränderungen, Konflikte) tangieren unsere Organisation in besonderem Maße. Summe Total = Summe durch 3 Items II. Markt – Mitbewerber Die Marktsituation (z. B. Anfragen, Aufträge) ist schwierig. Wir haben im Vergleich zur Konkurrenz zu wenige Stärken. Die Mitbewerber haben durch ihre Dienstleistungen und Produkte (z. B. Innovationen, verbesserte Qualität, verbesserter Kundendienst) unsere Organisation zusätzlich belastet. Summe Total = Summe durch 2 Items 55 Bitte füllen Sie den Fragebogen vollständig aus. 55 Bitte kreuzen Sie in jeder Zeile nur ein Kästchen an. 55 Die Fragen beziehen sich auf den Zeitraum der letzten 6 Monate bis heute. 55 Die Summe der Bewertungen je Abschnitt wird durch die Anzahl der Items je Abschnitt dividiert, sodass ein Durchschnittswert für jeden Abschnitt zu einem Profil führt. Trifft nicht zu 0 Trifft eher nicht zu 1 Trifft eher zu 2 Trifft zu 3
245 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Bewertung III. Organisation III.1 Existenzgrund Kerngeschäft – Das Kerngeschäft ist gegenüber inneren oder äußeren Faktoren stabil. – Die zukünftige Entwicklung des Kerngeschäfts und der Kernkompetenzen beruhigt uns. Identität – Das Selbstverständnis bzw. die Einmaligkeit unserer Organisation wird nicht hinterfragt. – Das Image in den relevanten Umwelten (bei Kunden, Mitbewerbern, Lieferanten, auf dem Arbeitsmarkt etc.) ist gut. – Der Nutzen unserer Organisation steht außer Frage. Absichten – Es gibt in unserer Organisation Visionen und attraktive Zukunftsbilder. – Die Entwicklungen in den relevanten Umwelten mit neuen Anforderungen und Veränderungen stimmen uns zuversichtlich. – Ziele bzw. Strategien werden partizipatorisch von der Führungsebene erarbeitet; es wird darüber ausreichend kommuniziert. – Die Ziele der Organisation sind eindeutig. Summe Total = Summe durch 9 Items III.2 Kultur der Organisation Menschen – Das Betriebsklima ist gut. – Anerkennung, Wertschätzung und Lob werden ausgesprochen. – Mitarbeiter erhalten Fürsorge und Unterstützung (auch in herausfordernden persönlichen Lebenssituationen). – Die seelische und körperliche Gesundheit der Mitarbeiter ist der Organisation wichtig. – Es gibt persönliche Freundschaften. – Die Kontrolle und Gestaltung der eigenen Arbeit ist gut. – Es gibt ausreichend intellektuelle Anregung. – Erfahrungen werden wertgeschätzt. – Es gibt Raum, eigene besondere Fähigkeiten und Ideen in die Organisation einzubringen. – Es wird mit den Mitarbeitern über Perspektiven für die berufliche Entwicklung geredet. – Es gibt eine systematische Personalentwicklung. Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 3 2 1 0
246 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Bewertung Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 3 2 1 0 Führung bzw. Steuerung – Die (unmittelbaren) Führungskräfte unterstützen die Arbeit durch gute Führungskompetenz. – Die (unmittelbaren) Führungskräfte zeigen Interesse für Belange der Belegschaft. – Die Führungskräfte praktizieren eine Praxis des Controlling und nicht der Kontrolle. – Die Erwartungen an die Mitarbeiter sind richtig gesteckt bzw. es gibt keine unsinnigen Ziele. – Erfolgskriterien der Arbeit werden im Mitarbeitergespräch thematisiert. – Entscheidungen werden transparent kommuniziert. – Die Führungskräfte sind zeitnah erreichbar. – Die (unmittelbaren) Führungskräfte schätzen die Arbeit, indem sie Lob und Wertschätzung aussprechen. Kommunikation – Die Kommunikation ist (allgemein) gut. – Die Kommunikation geschieht in gegenseitiger Wertschätzung. – Das Miteinander in der Organisation ist von Kooperation geprägt. – Es wird vorwiegend über Erfolge (und nicht über Probleme) kommuniziert. – Konflikte werden ausgetragen. – Die Kommunikation zu wichtigen strategischen Fragen klappt. Ethik – Es herrscht Fairness im Umgang miteinander. – Es werden keine widersprüchlichen Werte gefordert. – Es herrscht ein Klima von Vertrauen und Aufrichtigkeit. – Die Interessen der Mitarbeiter werden genauso wahrgenommen wie die der Shareholder. Summe Total = Summe durch 29 Items Bewertung III.3 Ordnung der Organisation Strukturen (Aufbau, Koordination, Entscheidung, Projekt) – Die Gesamtstruktur ist derzeit hinderlich. – Es wird alles bürokratisch kontrolliert. – Die Organisation ist zu groß und zu schwerfällig. – Es fehlen Autonomie und Entscheidungsfreiheit. – Die Steuerungsstrukturen sind mangelhaft. Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 0 1 2 3
247 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Bewertung – Koordinationsstrukturen (Besprechungen und andere Kommunikations-, lnformations- und Handlungskanäle) funktionieren nicht. F unktionen (Verantwortung, Rolle, Aufgaben, Kompetenzen) – Funktionen und Aufgaben sind nicht klar definiert und mit Kompetenzen ausgestattet. – Es gibt uneindeutige Arbeitsziele und -aufgaben. – Wir haben zeitraubende sinnlose Verwaltungsarbeit. – Die Arbeit ist unwirksam – bringt kein Ergebnis bzw. keinen Erfolg. Fokus: Arbeitsbedingungen – Die Arbeit ist körperlich anstrengend. – Die Arbeit ist psychisch belastend. – Die Arbeit hat geringe Sinnerfüllung. – Die Arbeit überfordert oder unterfordert in der Arbeitsmenge bzw. der dafür zur Verfügung stehenden Zeit. – Die Arbeit ist zu komplex. – Viele Aufgaben sind nicht planbar. – Die Arbeit kann nicht selbständig eingeteilt werden. – Dem Mitarbeiter wird zu viel Verantwortung übertragen. – Mitarbeiter werden in ihre Aufgaben nicht eingearbeitet. – Die Qualifikation für Funktionen fehlt. – Die Weiterbildung ist mangelhaft. – Die Arbeit ist einseitig bzw. monoton. – Es fehlt Unterstützung am Arbeitsplatz. – Es fehlen Handlungs-, Entscheidungs- und Kontrollspielraum. – Es fehlen Hilfsmittel bzw. Informationen. – Die Arbeitszeit ist zu lang – es gibt immer wieder Überstunden. – Es herrscht permanenter Zeitdruck und es gibt zu wenig Pausen. – Die Arbeit wird immer wieder durch Störungen unterbrochen. – Die Arbeit wird nicht wertgeschätzt. – Die Vergütung ist ungerecht. – Der Arbeitsplatz ist unsicher. – Die Aufstiegschancen sind ungenügend. – Es herrscht ein schlechtes Arbeitsklima. Prozesse (Abläufe und Verfahren innerhalb der Organisation und in Beziehung zur Umwelt) – Es gibt kein gemeinsames Verständnis über Prozesse in der Organisation (Kernprozesse, Supportprozesse). – Die Abläufe sind schlecht. Es gibt immer wieder Engpässe. – Innovation geschieht top-down ohne Einbezug der Mitarbeiter. Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 0 1 2 3
248 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Bewertung Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 0 1 2 3 – Es herrscht ein hoher Leistungsdruck. – Es herrschen unzureichende Anpassungs- und Umstrukturierungsprozesse. – Es werden zu häufig Veränderungsprozesse initiiert. Summe Total = Summe durch 39 Items III.4 Technische und wirtschaftliche Ausstattung Finanzen – Die derzeitige finanzielle Situation ist belastend. – Die vermutete Entwicklung in den nächsten zwei Jahren ist nicht rosig. – Es wird Personal abgebaut. – Budgets werden gekürzt. Technik – Es fehlen wichtige Arbeitsmittel. – Der Zustand von Anlagen (z. B. EDV) behindert die tägliche Arbeit. Räume – Der Zustand und Standard der Räume ist schlecht. – Die Räume und das Raumkonzept behindern die Zusammenarbeit und Kommunikation. Summe Total = Summe durch 8 Items Bewertung III.5 Interpersonal: Team – Gruppe Das Verhältnis zu den Kollegen ist gut. Es gibt wenige Spannungen. Die Team- bzw. Gruppenmitglieder sind für ihre Tätigkeit motiviert. Die Mitglieder unterstützen sich gegenseitig. Anerkennung, Wertschätzung und Lob werden gegenseitig ausgesprochen. Erfahrungen von Mitarbeitern werden im Team geschätzt. Es gibt Raum, eigene besondere Fähigkeiten in das Team einzubringen. Die Personalsituation ist für die anstehenden Aufgaben ausreichend. Bei Schwierigkeiten können wir uns gegenseitig aufeinander verlassen. Die Kommunikation innerhalb unseres Teams bzw. der Gruppe ist gut. Summe Total = Summe durch 9 Items Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 3 2 1 0
249 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Bewertung Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 3 2 1 0 III.6 Interpersonal: Kunde – Klient Die Arbeit mit den Kunden oder Klienten macht mir grundsätzlich Freude. Ich habe genügend Zeit, adäquat auf Bedürfnisse der Kunden bzw. Klienten einzugehen. Ich habe ausreichend Ressourcen (Räume, Arbeitsmittel), um die Arbeit mit meinen Kunden bzw. Klienten gut zu erfüllen. Kunden bzw. Klienten fordern mich in meinem Arbeitsengagement heraus und lösen nach getaner Arbeit Erfüllung und Stolz aus. Ich kann emotional empathisch mit Kunden oder Klienten umgehen. Kunden bzw. Klienten überfordern mich nicht durch übergroße, von mir nicht zu erfüllende Erwartungen. Ich erhalte positive Rückmeldungen von Kunden bzw. Klienten. Summe Total = Summe durch 7 Items Bewertung IV. Individuum Ich bin öfters gereizt, weil mir alles zu viel wird. Ich habe Angst, von anderen unberechtigt kritisiert oder abgewertet zu werden. Ich habe keine Freude mehr an meiner Arbeit. Ich fühle mich an meinem Arbeitsplatz allein gelassen und bisweilen einsam. Ich engagiere mich in meiner Organisation sehr stark und bin niedergeschlagen, wenn ich die entsprechende Anerkennung nicht erhalte. Ich bin ein stark rationaler Mensch, analysiere gerne, denke viel nach und stehe Gefühlen eher skeptisch gegenüber. Ich bin eher ein unsicherer Mensch; das Vertrauen in mich und die Welt ist wenig ausgeprägt. Die Arbeit macht keinen Sinn mehr für mich; ich fühle mich innerlich leer. Blicke ich auf die letzten Monate und Jahre zurück, werde ich traurig und resignativ. Ich verbeiße mich manchmal in Probleme, die ich nicht ändern kann. Ich möchte Kollegen oder Klienten unbedingt in meinem Sinne beeinflussen oder verändern. Wenn es die Situation erfordert, bin ich auch bereit, 150% meiner Arbeitsleistung zu geben und Opfer im Privatleben zu bringen. Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 0 1 2 3
250 Anhang: Burnout-Ampel-Fragebogen Bewertung Trifft nicht zu Trifft eher nicht zu Trifft eher zu Trifft zu 0 1 2 3 Ich bin in der Vergangenheit auch krank zur Arbeit gegangen. Ich schlafe nicht gut. Ich nehme Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Ich trinke manchmal zu viel Alkohol. Ich mache zu wenig Pausen. Ich bewege mich zu wenig. Summe Total = Summe durch 18 Items zz Auswertung zz Zu IV. Individuum: Tragen Sie dazu die Werte in den Feldern I bis IV in die Tabelle ein. Die Fragen lehnen sich an die Ausführungen von Bergner (2010), S. 61-71 an. Sie erheben nicht den Anspruch, ein individueller Burnout-Test zu sein, sondern sollen Anhaltspunkte für weitere medizinisch-therapeutische Abklärungen sein. 55 Taucht im Profil IV (»Individuum«) ein Wert über 1,5 Punkte auf, sollte immer eine Intervention erfolgen. 55 Die Auswertung der einzelnen Profile ergibt die »Ampelanzeige« für die Organisation. 55 Rot: mindestens 4 Profile der Kategorie III und ein Profil der Kategorie I. oder II. haben ≥1,5 Punkte. 55 Gelb: mindestens 3 Profile der Kategorie III haben ≥1,5 Punkte. 55 Grün: Die Profile haben ≤1 Punkt. I. Politik – Gesellschaft – Welt II. Markt – Mitbewerber III. Organisation III.1 Existenzgrund III.2 Kultur der Organisation III.3 Ordnung der Organisation III.4 Technische und wirtschaftliche Ausstattung III.5 Interpersonal: Team – Gruppe III.6 Interpersonal: Kunde – Klient IV. Individuum
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254 Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis A Anerkennung 42, 46 Anhedonie 16, 17 Arbeitsbedingungen 38, 65, 74, 76, 86, 88, 118, 146 Arbeitsbelastung 4, 12, 16, 40, 46, 48, 74, 99, 101, 181 Arbeitsproduktivität 128, 129, 133, 142, 189 Arbeitsumfeld 46, 110, 146 Arbeitsunfähigkeit 4, 189, 223, 227 Arbeitszufriedenheit 128, 129, 133, 140, 142, 145 Arzt 147, 165, 188, 223, 227 Auftragsklärung 155, 176, 183 Autonomie 51, 76, 180 B Benediktsregel 240, 241 Beratungsprozess –– Absichern des Prozesses 212 –– Information des Gesamtsystems 211 –– Installieren der Steuerungsstruktur 210 –– Orientierungsphase 195 –– Situationsklärung und Zukunftsmodellierung 197 –– Zielfindung 131, 209 Beschleunigungsfalle 82, 224 Betriebliche Gesundheitsförderung 85, 88, 90, 142, 183, 208 Betriebliches Gesundheitsmanagement 87, 140–142, 182 Bewusstseinsbildung 85, 179 Burnout –– Bedeutung Gene 35, 38–40 –– Definition 8, 14 –– Diagnose 4, 13, 14, 17, 223 –– Falle 8, 38 –– Familiäre Belastungen 20, 188 –– Forschung 8, 14, 53, 172 –– Früherkennung 138 –– Frühkindliche Entwicklungsstörungen 40 –– Interventionen 54, 55, 76, 86–88, 107, 170, 172, 192 –– Lebensgeschichte 231 –– Modell 19, 23, 24, 85, 179 –– Organisationale Faktoren 20, 44, 48, 50, 64, 72, 83, 165, 183, 190, 194, 211, 218, 224, 242 –– personale Faktoren 20, 33, 72, 186, 218 –– Persönlichkeitstyp 34 –– Phasenmodelle 16 –– Spirale 16, 72, 79, 97 –– Symptome 8, 9, 16, 138, 222 –– Symptomträger 186, 190, 218 –– Ursachen 12, 13, 20, 31, 32, 40, 85, 147, 164, 185, 194 Burnout-Ampel 199 Bürokratie 49 C Care-Manager 223, 230 Coach 87, 101, 103, 106, 164, 170, 188, 223, 227, 232 Coaching-Protokoll 232 D Demand-Control-Model 74 Depersonalisation 8, 14, 17, 45 Depression 4, 9, 13, 15, 16, 40, 75 DGPPN 9, 12 E Entscheidungen 117, 118, 120 Erschöpfung 5, 8, 9, 14, 45, 186 F Fairness 47, 76 Führung 49, 83, 85, 89, 115, 117, 125, 127, 128, 130, 135, 136 Führungskräfte 72, 83, 85, 88, 106, 107, 112, 116–119, 134, 136, 151, 165, 166, 180, 181, 202, 240–242 Führungskreislauf 122 Führungsstil 127, 136, 140 Funktion 61, 110, 116 G Gemeinschaft 47, 82 Glaubenssätze 35–38, 231 Globalisierung 22, 41, 55 Gratifikationskrise 74, 75 Grossgruppenmethoden 205 Grundhaltungen 35, 99, 100 H Hard facts 86, 89, 106, 181, 240 Helfersyndrom 34, 38 I ICD 10 11 ICD-10 5 Individualisierung 21 Ineffektivität 9 Interviews 54, 199, 202, 203 K Klientenkontakt 49 Kohärenzgefühl 97, 177 Kommunikation 44, 60, 117, 181, 224, 225 Konflikte 20, 40, 49, 52, 132, 133 Konkurrenzdruck 84, 119 Kontrolle 46, 49, 74 Kostendruck 84 Krankheitstage 4 L Latenzschutz 176 Leistungsfähigkeit 8, 14, 22, 32, 44, 54, 86, 96, 144, 145 Logotherapie 98, 240 M Management 118, 119, 122 Markt 24, 58, 119, 121 MBI 14, 45, 54 MBSR 142, 232 Mitarbeiterbefragung 202 Mitarbeiterführung 125 Mitarbeiterorientiere Unternehmensführung 128 Motivation 90, 108, 120, 128, 129, 132, 133, 135, 140, 142, 145 Muster 35, 77–79, 166, 190, 219 Musterwiederholung 165–167, 219
255 Stichwortverzeichnis A–Z O S Z Organisation –– Absicht 60 –– Balance 121 –– Entwicklung 120, 167 –– Erfolg 89 –– Ethik 60 –– Existenzgrund 20, 60, 119 –– Finanzen 61 –– Gesunde Organisation 140 –– Identität 60 –– Kerngeschäft 60 –– Kultur 20, 89, 119, 174, 192 –– Leitbild 23, 52, 118, 120 –– Menschen 60 –– Mission 119 –– Ordnung 20, 60, 119 –– Prozesse 61, 117 –– Räume 61, 166 –– Strukturen 20, 60, 77, 78, 80, 205 –– Technik 61, 232 –– Technisch-wirtschaftliche Ausstattung 20, 61, 119 –– Vision 83, 89, 119, 174, 192, 241, 242 Organisationsmodell 20, 57, 58, 118, 119, 182, 199, 206, 207, 210 Salutogenese 96, 97, 177, 212 Schlafstörungen 12, 17 Selbstmanagement 106, 107, 111, 112 Selbstorganisation 78, 113 Selbstwertgefühl 8, 15, 17, 34, 49, 145 Shareholder-Value 22, 47, 121 Sinndimension 86, 96–98, 119, 120 Soft facts 86, 89, 129, 130, 142, 181, 182 Sozialbeziehungen 89, 142 Sport 40, 103, 110, 142, 144 Stress –– Bewältigung 145, 146 –– Disstress 5, 35, 74, 88, 96, 97, 112, 115, 116, 118, 128, 144, 147, 148, 231 –– Eustress 96 Suchtmittel 86, 103, 147 Suizidgedanken 15, 17 System 45, 58, 78, 79, 165, 174, 179, 219 Systemische Beratung 77 Systemische Betrachtungsweise 77, 79 Systemische Burnoutberatung 170, 173, 177 Systemische Burnout-Beratung 174 Systemtheorie 77, 79 Z73 4, 11, 13 Zeitmanagement 51, 106, 107, 111, 113, 179, 231 Zynismus 8, 9, 17, 47 P Person-Job-Mismatch 48 Pinnwand-Abfrage 200 Position 116, 119, 127, 132, 134, 136, 189 Präsentismus 164, 219 Prävention 54, 55, 76, 86–88, 145, 164, 165, 167, 174, 189, 190, 194, 211, 212 Prophylaxe 76, 86–88, 95, 101, 105, 118, 119, 125, 139, 140, 144, 145, 147, 148, 155, 164, 189, 192 Psychiater 101, 223 Psychische Erkrankung 4, 13, 138 Psychose 13 Psychotherapeut 101, 103, 188, 227 R Ressourcen 83, 96, 97, 141, 177, 178, 182, 186, 190, 202, 218, 223, 231 Return on Investment 90 Rolle 110, 132, 133, 189 Rückkehrgespräch 227 T Team –– Analyse 219 –– Beziehungen 89, 129, 135, 136 –– Führung 134 U Umwelt –– Ökonomische 21 –– Politische 21 –– Soziale 21, 166 –– Technologische 21 Unternehmenserfolg 89, 124, 128, 140 Unternehmenskultur 127–130, 140 Unterstützungsgespräch 188 W Werte 47, 118, 140 Wertschätzung 41, 47, 52, 75, 108, 129, 147, 189 Wiedereingliederung 218, 226, 227 Wille 112, 232 Workshops 151, 153, 174, 199, 203, 205