Автор: Kindermann Barbara   Goethe Johann Wolfgang  

Теги: fiktion   weltliteratur für kinder  

ISBN: 3934029108

Год: 2002

Текст
                    FAUST
mit Bildern von Christiane Mitzkus
nacherzählt von Barbara Kindermann

FAUST Nach der Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe aus der Reihe Weltliteratur für Kinder Band 2
Der Widerstreit zwischen Gott und dem Teufel, dem Guten und dem Bösen, ist uralt, und auch diese Geschichte handelt davon. Doch fangen wir vorne an. Es war ein Tag wie jeder andere. Der liebe Gott saß im Himmel und schaute zufrieden zur Erde hinab, die er geschaffen hatte. Drei Erzengel umringten ihn respektvoll und lobten sein Werk: die Welt und ihre Bewohner. Da kam Mephisto daher, ein schalkhafter Teufel. Er war mit dem Lob der En- gel gar nicht einverstanden. Auch jetzt sprach er höchst abschätzig von Gottes mißlungener Welt und ihren fehlerhaften Menschen. Der Herr fragte unwillig: „Hast du mir weiter nichts zu sagen? Kommst du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?“ „Nein, Herr! Ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.“ antwortete Mephisto. Da fragte Gott: „Kennst du den Faust?“ „Den Doktor?“ „Ja“, sagte Gott, „er ist fleißig und bemüht sich sehr, möglichst viel zu können und zu wissen. Ist er mir etwa schlecht gelungen? Ist dieser Mann kein guter Mensch?“ Jetzt lachte Mephisto spitzbübisch: „Ein guter Mensch? Was wetten wir, daß ich ihn für mich gewinnen und auf des Teufels Seite locken kann?“ Gott wollte mit einem niedrigen Teufel keine Wette eingehen, aber er gab Me- phisto die Erlaubnis, Faust aufzusuchen und seine Macht an ihm auszuprobie- ren: „Versuch es, wir werden sehen, ob es dir gelingt.“ Damit wandte er sich ab, die Erzengel wichen zurück und der Himmel schloß sich. Mephisto jedoch stieg hinunter auf die Erde, um Faust zu treffen und sich bei ihm einzuschmeicheln.

Doktor Heinrich Faust saß in seinem hochgewölbten Studierzimmer und rutschte unruhig auf dem Sessel am Schreibtisch hin und her. Es war tiefe Nacht, und alle anderen Menschen schliefen längst. Doch Faust konnte nicht schlafen. Er war unzufrieden und klagte mißmutig vor sich hin: „Die ganze Nacht habe ich gelernt, stundenlang in meinen Büchern gelesen, und was ist? Da steh ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!“ Seufzend öffnete er ein dickes Buch und erblickte darin das geheimnisvolle Zei- chen des unendlichen Himmels. Gebannt betrachtete er die Abbildung und rief aus: „Wie mir dies Zeichen gefällt! Wie es sich verdreht vor meinen Augen, wie es wirbelt und tanzt: Welch Schauspiel!“ Doch dann schlug er unwillig das Buch zu und murrte: „Aber ach, ein Schauspiel nur! Ich sehe zwar das Zeichen, doch ich verstehe es nicht.“ Er stand auf und öffnete einen anderen, schweren Band. Hier war das Zeichen des Erdgeistes dargestellt. „Die Erde ist mir näher als der Himmel! Vielleicht schaffe ich es, den Erdgeist mit Magie herbeizubeschwören.“ Er murmelte ein paar Zauberworte und befahl: „Los, Erdgeist, komm und zeig dich mir!“ So- gleich zuckte eine Flamme auf, der Geist erschien darin und fragte mit dump- fer Stimme: „Wer ruft mich?“ Faust wandte sich erschrocken ab: „Welch schreckliches Gesicht! Weh, ich er- trage dich nicht!“ Schließlich aber rief er mutig: „Soll ich dir, Flammenbildung, weichen? Ich bin‘s, bin Faust, bin deinesgleichen!“ Jetzt lachte ihn der Erdgeist höhnisch aus: „Du, kleiner Wurm, willst meines- gleichen sein? Das bist du nicht! Nur ein unbedeutender Menschengeist bist du, unendlich viel kleiner als ich, der große Geist dieser ganzen Erde!“ Mit diesen Worten erlöschte zischend die Flamme, und der Geist verschwand. Faust sank enttäuscht in sich zusammen: „Nicht deinesgleichen? Nein? Nur ein kleiner Menschengeist?“

In diesem Moment klopfte es an die Tür. Faust wandte sich ärgerlich ab. „Wagner“, dachte er sofort, „ausgerechnet jetzt, nachdem ich eben noch vor dem großen Erdgeist gestanden habe!“ Wagner war sein Hausdiener und ein großer Bewunderer des gelehrten Doktor Faust, der so viel klüger war als er selbst. Widerwillig öffnete Faust die Tür. Da stand Wagner im Schlafrock und mit Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. „Verzeiht die späte Störung“, sagte er sogleich. „Ich hörte seltsame Geräusche und machte mir Sorgen.“ Dann fragte er ehrfürchtig: „Ihr studiert wohl noch?“ Faust ließ sich nicht auf ein Gespräch ein und schickte Wagner wieder zu Bett. Müde ließ er sich in einen Sessel fallen und grübelte vor sich hin. Nach einiger Zeit seufzte er trübsinnig: „Wie gern würde ich die Welt ebenso gut kennen wie der große Erdgeist! Aber es ist unmöglich, ich bin und bleibe nur ein Mensch. Ach, könnte ich für immer einschlafen und nie wieder aufwachen, dann hätte ich endlich Ruhe und müßte mich mit dem Leben nicht mehr so schrecklich plagen...“ In diesem Augenblick drang von draußen Glockenklang ins Zimmer: die Kir- chen läuteten zum Osterfest. Faust hatte gar nicht bemerkt, daß bereits ein neuer Tag angebrochen war. Er blickte zum Fenster hinaus und sah die Bürger vor das Stadttor ziehen, um den Frühling zu begrüßen.
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- Wenig später mischten sich auch Faust und Wagner unter die Oster-Spazier- gänger. Ringsum war der beginnende Frühling zu spüren. Unter einer Linde tanzten die Bauern, die Mädchen trugen luftige Kleider, ein Bettler sang, und alle Bürger stimmten mit ein. Faust freute sich und dachte verwundert: „Wie mutlos und traurig ich eben noch war, und jetzt bin ich froh.“ Kopf- schüttelnd murmelte er: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!“ Doch plötzlich blieb er wie erstarrt stehen. Wagner fragte verwundert: „Was ist, was blickst du so erstaunt?“ „Siehst du den schwarzen Hund da?“ entgegnete Faust. „Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.“ „Betrachte ihn recht! Wofür hältst du das Tier?“ fragte Faust. „Für einen Pudel, Herr“, antwortete Wagner treuselig. Faust hingegen schien mehr zu sehen: „Siehst du nicht den Feuerstrudel um ihn herum, und daß er sich uns ständig näher schleicht?“ Wagner schüttelte den Kopf, er konnte von alledem nichts bemerken: „Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel, es muß wohl Augentäuschung sein. Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch. Er wedelt. Alles Hundebrauch.“ „Du hast wohl recht“, gab Faust endlich zu. „Es ist ein Hund, kein Gespenst.“ Der Pudel aber folgte ihnen weiter auf Schritt und Tritt. Zu guter Letzt lief er Faust sogar bis ins Studierzimmer hinein nach, wo er wild herumsprang und knurrte.

Als Faust den Pudel forschend ansah, fing dieser plötzlich an, seine Gestalt zu verändern. Er wurde lang und breit, und Faust rief erstaunt aus: „Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus! Schon sieht er wie ein Nilpferd aus. Diese feurigen Augen, das schreckliche Gebiß! Bist Du, Geselle, ein Flüchtling der Hölle? Ein Teufel? Dann versuche ich dich mit Magie zu beschwören!“ Er sprach ein paar Zauberworte, und sogleich schwoll hinter dem Ofen, wohin der Pudel sich verkrochen hatte, Rauch hervor. Darin stand Mephisto, der Teu- fel. als Student verkleidet und fragte harmlos: „Wozu der Lärm? Was steht zu Diensten?“ Faust lachte: „Das also war des Pudels Kern! Ein Schüler. Wie nennst du dich?“ „Ich nenne mich Mephisto, und bin der Geist, der stets verneint!“ „Was bedeutet dieses Rätselwort?“ wollte Faust verwundert wissen. „Nun, alles, was Ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, ist mein eigent- liches Element. Ein Teufel eben bin ich“, antwortete Mephisto. „Doch laß uns das nächste Mal mehr darüber reden. Ich möchte gerne gehen, nur...“ „Was hindert dich?“ fragte Faust erstaunt. „Ich muß gestehen, der Drudenfuß, dieses heilige Zeichen vor eurer Schwelle, ich konnte zwar als Pudel leicht hereinspringen, jedoch: Die Sache sieht jetzt anders aus: Der Teufel kann nicht aus dem Haus.“ „Dies Zeichen hält dich auf?“ fragte Faust verwundert. „So bist du mein Ge- fangener? Dann bleibst du es. Den Teufel soll man halten, solang man kann.“ Mephisto blieb unbeeindruckt. Er sprach einen kurzen Zauberspruch, worauf sofort seine Geister erschienen, die Faust mit eintönigem Sprechgesang in tie- fen Schlaf lullten. Mephisto lächelte spöttisch: „Du bist noch lange nicht mäch- tig genug, um den Teufel festzuhalten! Doch halt! Das soll mir nicht noch ein- mal passieren, daß ich hier gefangen bin. Ein Rattenzahn muß her, der dieses Zeichen spaltet.“ Mit lauter Stimme sprach er: „Der Herr der Ratten und der Mäuse, Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse Befiehlt dir, dich hervor zu wagen Und diese Schwelle zu benagen.“ Sofort erschien eine fette Ratte und begann, den Drudenfuß zu zerbeißen.

Am nächsten Tag klopfte Mephisto schon früh wieder an Fausts Tür. „Ich will dir einen Handel Vorschlägen“, sagte er. „Ich weiß, daß du dich alt und unwissend fühlst. Das Leben macht dir keinen Spaß. Laß mich dein Diener sein. Ich führe dich durch die Welt und zeige dir. wie schön das Leben ist. “ Faust sah Mephisto mißtrauisch an: „Und was willst du dafür? Ein Teufel dient nicht einfach so umsonst, der Teufel ist ein Egoist - was muß ich dafür tun?“ „Ich will dir hier auf Erden dienen. Wenn du aber je in die Hölle kommst und wir uns dort Wiedersehen, dann wirst du mir dienen.“ Faust zuckte gleichgültig die Schultern: „Die Hölle macht mir keine Angst, das Leben hier auf Erden ist mir wichtig, hier möchte ich glücklich sein.“ „Dazu eben kann ich dir verhelfen“, entgegnete Mephisto. Da bot Faust ihm seine Hand und sprach: „Wenn du es schaffst, daß ich glück- lich bin und zum Augenblick sage: ,Verweile doch! Du bist so schön!1, dann werde ich dein Diener in der Hölle sein! Diese Wette biete ich!“ Ohne Zögern schlug Mephisto ein: „Topp, die Wette gilt! Doch will ich einen schriftlichen Vertrag, den du mit einem Tropfen Blut unterschreiben sollst, denn Blut ist ein ganz besonderer Saft.“ Faust tat ihm furchtlos den Gefallen. Er war sich sicher: nie würde er einen Au- genblick im Leben so schön finden, daß er wünschte, er möge nie vergehen.

Vor Fausts Zimmer wartete unterdessen schon lange ein Schüler auf Einlaß. Er wollte sich vom gelehrten Doktor einen Rat einholen. Faust hatte keine Lust, ihn zu sehen. Da sagte Mephisto verschmitzt: „Gib mir deinen Mantel, ich werde ihn an deiner Stelle empfangen und mir einen Spaß mit ihm machen!“ Lachend zog er sich Fausts langen Mantel an und bat den Studenten herein. „Was wollt Ihr später einmal werden?“ fragte Mephisto den Schüler mit ern- ster Stimme. „Das eben wollte ich Euch fragen“, antwortete der Schüler bestrebt. „Wie wäre es mit Lehrer? Oder Richter? Arzt oder Pfarrer?“ Mephisto beriet den armen Studenten bei jedem Vorschlag mit teuflischem Schalk, empfahl ihm lustig dies, dann das, dann wieder etwas anderes. Endlich wurde dem Schüler ganz taumelig zumute, und er sagte kopfschüttelnd: „Mir wird von alledem so dumm, Als ging1 mir ein Mühlrad im Kopf herum. Es ist wohl besser, wenn ich gehe.“ Ehrfürchtig verabschiedete er sich und zog verwirrt von dannen. Mephisto aber lachte sich ins Fäustchen und freute sich I über den gelungenen Scherz. „Und was jetzt?“ fragte Faust, als er aus dem hinteren Zimmer hervorkam. „Laß uns für den Anfang in .Auerbachs Keller1 gehen“, schlug Mephisto vor. „In diesem Gasthaus findet man stets fröhliche Menschen, denen das Leben Spaß macht!“ Faust war einverstanden: „Doch wie kommen wir dorthin?“ „Kein Problem“, antwortete Mephisto. Er breitete seinen Mantel aus, zauberte einen Windstoß Feuerluft herbei und schon wurden die beiden durch die Luft getragen.
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In ,Auerbachs Keller saßen bereits einige lustige Gesellen beisammen. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Mephisto klopfte Faust bekräftigend auf die Schulter: „So leicht läßt sich's leben. Faust' Den Leuten hier wird jeder lag zum Fest.“ Sie setzten sich zu ein paar Männern an den Tisch, und sofort begann Mephi- sto ein l<oiflisr lies Spielchen, indem er sich über den Wein beschwerte: „Der schmeckt mir nicht! rief er. Soll ich Luch aus meinem Keller etwas an bieten? Ich brauche nur einen Bohrer. Die Männer schauten ihn erstaunt an und fragten: Einen Bohrer? 7/ozj denn das? I labt ihr Eure Weinfässer vor der Türe stehen?' Doch endlich stand einer neugierig auf und kehre rnit dem Bohrer des 7/;rn zurück. Mephisto fragte nun einen nach dem anderer., was er für 7/ein trinken möge. Auf jede Antwort hin bohrte er ein Loch in den Tisch, 'weiches er mit einem Pfropfen Kerzenwachs zustopfte. Dann murmelte er mit seltsamen Ge- sten einen Zauberspruch und forderte die Männer auf: »un zieht die Pfropfen heraus!“ Wie staunten sie, als aus jedem Loch genau der verlangte Wein ins Glas floß. Jetzt trieb Mephisto noch mehr Hokuspokus, ließ Flammen aus den Löchern aufzüngeln und beschwor sie wieder. Endlich wurde es den Männern zu bunt, und sie riefen aufgebracht: „Der Kerl muß ein böser Zauberer sein! Los, faßt ihn, und laßt ihn nicht entwischen!“ Sie gingen auf Mephisto los, doch dieser sprach erneut ein Zauberwort, und schon standen die Männer wie versteinert still. Mit einer letzten magischen For- mel bewirkte Mephisto, daß jeder wechselseitig dem anderen an die Nase faßte, dann verschwand er mit Faust. Die Gesellen fuhren auseinander: „Was gibt‘s?“ „Wie? War das deine Nase?" I „Und deine hab ich in der Hand?“ „Was war los?“ „War hier nicht so ein ko- mischer Kerl?“ „Haben wir Wein aus dem Tisch getrunken?" Sie schauten sich nach dem Tisch um, doch der war völlig unbeschädigt, kein Loch war mehr zu sehen. Da sagten sich die Männer: “Betrug war alles, Lug und Schein, wir ha- ben nur geträumt. Man soll an keine Wunder glauben."

Mephisto führte Faust unterdessen weiter in eine Hexenküche und versprach: „Hier wird für dich ein Zaubertrank gebraut, der dich um 30 Jahre jünger macht.“ Faust schaute sich mißtrauisch um. Über einem Feuer stand ein großer Kessel, im hochsteigenden Dampf zeigten sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze saß dabei und paßte auf, daß nichts überlief. Der Meerkater mit den Jungen wärmte sich am Feuer. Seltsamer Hexenhausrat hing herum. Da sagte Mephisto zu den Meerkatzen gewandt: „Sieh her, die Magd und der Knecht! Es scheint, die Frau ist nicht zuhause?“ Die Meerkatzen antworteten singend: „Beim Schmaus, aus dem Haus, zum Schornstein hinaus.“ Faust stand derweil vor einem Spiegel, starrte hinein und rief endlich erstaunt aus: „Was seh ich hier in diesem Zauberspiegel? Das schönste Bild von einer Frau! Gibt es so etwas? Kann eine Frau so schön sein?“ In diesem Moment schoß plötzlich eine große Flamme aus dem Kessel zum Schornstein hinaus, und die Hexe kam mit fürchterlichem Geschrei herunter- gefahren. Als sie Faust und Mephisto entdeckte, donnerte sie los.- „Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?“ Da packte Mephisto einen Kochlöffel und schlug mit- ten in die Töpfe und Gläser hinein, die klirrend in Scherben zerbarsten: „Er- kennst du deinen Herrn und Meister nicht?“ rief er drohend. Die Hexe wich voll Entsetzen zurück: „Oh Herr, verzeiht, ich sah doch keinen Pferdefuß!“ Mephisto ließ die Entschuldigung gelten und sagte etwas versöhnter: „Dieser Freund hier möchte gern ein Gläschen vom Verjüngungs-Saft.“ „Ich will Euch gern eins geben“, antwortete die Hexe. Sie zog mit feierlichen Gesten einen Kreis, tat allen möglichen Hexenkram hinein und bat Faust, sich ebenfalls dazu zu stellen. Mit beschwörender Stimme las sie aus einem dicken Hexenbuch vor: „Du mußt verstehn! Aus Eins mach Zehn, Und Zwei laß gehn, Und Drei mach gleich, So bist du reich. Verlier die Vier! Aus Fünf und Sechs, So sagt die Hex, Mach Sieben und Acht, So ist‘s vollbracht: Und Neun ist Eins, Und Zehn ist keins. Das ist das Hexen-Einmaleins.“ Danach löste die Hexe den Kreis und schenkte den Zaubersaft in eine Schale, die Faust mit einem Schluck leertrank. Doch er schien nur an eines zu denken und bat schnell: „Laßt mich noch einmal in den Spiegel sehn, das Frauenbild war gar zu schön!“ „Nein, nein“, wehrte Mephisto ab und führte Faust auf die Straße. „Du wirst bald die schönste aller Frauen leibhaftig vor dir sehn.“

Und tatsächlich: kaum waren sie ein paar Schritte gegangen, kam ihnen ein junges Mädchen namens Gretchen entgegen, das ganz dem Bild im Zauber- spiegel glich. Faust war hingerissen und sprach sie an: ..Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ Doch Gretchen wehrte verwundert ab und antwortete: „Bin weder Fräulein, weder schön, Kann ungeleitet nach Hause gehn.“ Sehnsüchtig schaute Faust ihr hinterher. Zu Mephisto gewandt, sagte er: „Beim Himmel, dieses Kind ist schön! Du mußt mich mit ihr bekannt machen!“ „Nun gut“, antwortete dieser, „ich will dich heut noch in ihr Zimmer führen. Sie wird aber nicht da sein, sondern eine Nachbarin besuchen.“ „So besorge mir ein Geschenk, das ich für sie hinterlegen kann“, bat Faust. An diesem Abend saß Gretchen in ihrem Zimmer und dachte über die Begeg- nung mit Faust nach. Verwundert schüttelte sie den Kopf und sagte leise: „Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt, Wer heut der Herr gewesen ist! Er hat mir wohl gefallen!“ Dann stand sie seufzend auf und ging hinaus, um ihre Nachbarin zu besuchen. Sogleich schlichen Faust und Mephisto ins Zim- mer. Während Faust sich freudig in Gretchens ordentlicher Kammer umsah, versteckte Mephisto das Geschenk, ein Kästchen mit Schmuck, in ihrem Schrank. Die Zeit verging Faust wie im Fluge, und viel zu bald schon rief Me- phisto: „Geschwind, ich seh sie unten kommen, wir müssen weg!1 Wie staunte Gretchen, als sie wenig später ihre Kleider in den Schrank räumen wollte und Fausts Geschenk entdeckte! Überrascht rief sie aus: „Wie kommt das schöne Kästchen hier herein? Da hängt ein Schlüsselchen am Band: oh nein, Gott im Himmel, welch schöner Schmuck! Mit dem könnte eine Edelfrau am höchsten Feiertage gehn!“ Sie hängte sich die Kette um, steckte die Ohr- ringe an und trat verzückt vor den Spiegel.

Mephisto war es in der Zwischenzeit gelungen, sich mit Teufelslist bei Frau Mar- the. Gretchens Nachbarin, einzuschmeicheln und mit Faust in ihren Garten ein- geladen zu werden. Auch Gretchen besuchte Frau Marthe an diesem Abend wie so oft. Als sie Faust sah, konnte sie die Freude über das Wiedersehen kaum verbergen. Da nahm Faust ihre Hand und fragte bewegt: “Und Ihr habt mich tatsächlich gleich wieder erkannt, als ich in den Garten kam?“ Gretchen nickte: „Ja, so etwas wie vor dem Dom ist mir noch nie geschehn.“ Sie pflückte eine Sternblume und zupfte die Blätter ab, eins nach dem ande- ren. „Was soll das, ein Strauß?“ fragte Faust. Doch Gretchen drehte sich verlegen weg: „Ihr lacht mich doch nur aus!“ Sie zupfte weiter an der Blume und murmelte dabei: „Er liebt mich - nicht - liebt mich...“, und als sie das letzte Blatt ausrupfte, rief sie mit holder Freude: „Er liebt mich!“ Faust faßte ihre beiden Hände und sagte ernst: „Ja, dieses Blumenwort hat recht. Er liebt dich!“ Übermütig riß sich Gretchen los und lief weg, Faust hinterher. Sie sprang ins Gartenhäuschen und versteckte sich. Aufgeregt guckte sie durch die Ritze und wisperte: „Er kommt!“ Als Faust sie hinter der Türe entdeckte, umarmte er sie stürmisch und küßte sie. Am nächsten Abend spazierten Gretchen und Faust wieder Arm in Arm durch Frau Marthes Garten. Gretchen erzählte von ihrem Bruder Valentin, der als Sol- dat im Krieg sei. Dann fragte sie plötzlich: „Sag, wie hast du‘s mit der Religion? Glaubst du an Gott?“ Faust antwortete ausweichend: „Hat Gott einen Namen? Wer darf ihn nennen und sagen: Ich glaub ihn? Nenn‘s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür.“ „So ungefähr sagt das der Pfarrer auch“, antwortete Gretchen zufrieden. Doch dann runzelte sie die Stirne und kam auf Mephisto zu sprechen: „Dein Beglei- ter ist mir zutiefst verhaßt. Ich bin sonst allen Menschen gut, aber vor diesem habe ich ein heimliches Grauen.“ Faust sagte beschwichtigend: „Fürchte dich nicht vor ihm!“ „Ich mag ihn nicht“, entgegnete Gretchen. „Er sieht immer so spöttisch drein, als könnt er keinen Menschen lieben.“ Faust schwieg bestürzt. Wie sehr doch Gretchen die Wahrheit über Mephistos teuflisches Wesen erkannt hatte.

Tage danach saßen Faust und Mephisto in einem Wald vor einer Höhle. Da fragte Mephisto plötzlich mit spöttischem Lächeln: „Willst du wissen, wie s dei- nem Gretchen geht? Seit du in ihrem Zimmer warst, denkt sie nur an dich. Sie hat dich übermächtig lieb. Sie weint, steht am Fenster, ist manchmal glücklich, meistens jedoch betrübt.“ Da fuhr Faust ihn aufgebracht an: „Das ist deine Schuld! Du wolltest es so! Du hast mich jung gemacht, damit ich ihr gefalle!“ Doch Mephisto höhnte nur: „Schön! Du schimpfst und ich muß lachen! Wie's wieder siedet, wieder glüht! Du bist verliebt! Geh hin und tröste sie, Du Tor!“ Tatsächlich stand Gretchen wehmütig in ihrer Kammer vor dem Spiegel, flocht sich die Zöpfe und dachte voll Sehnsucht an Faust. Dann setzte sie sich ans Spinnrad und sang bekümmert vor sich hin: „Meine Ruh ist hin, Wo ich ihn nicht hab, Mein Herz ist schwer; ist mir das Grab. Ich finde sie nimmer Die ganze Welt Und nimmermehr. Ist mir vergällt.“ Faust war unterdessen mit Mephisto unterwegs, um Gretchen aufzusuchen. Vor ihrer Kammer angelangt, griff Mephisto übermütig zur Zither. Aus Spaß wollte er Gretchen ein Lied darbringen. Da bog ein Mann um die Hausecke. Es war Valentin, Gretchens Bruder, der aus dem Krieg heimkehrte. Ihm war zu Ohren gekommen, daß seine Schwe- ster sich mit einem Mann eingelassen hatte, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Damals war das eine große Schande. Als er nun Mephisto vor Gretchens Kam- mer singen sah, zog er sofort seinen Degen und schrie: „Bist du der Schurke, der meine Schwester entehrt hat?“ Mephisto sprang zur Seite und rief Faust zu: „Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch! Zieht Euren Degen, ich helfe Euch!“ Widerwillig mußte Faust sich verteidigen. Valentin hatte gegen seinen von Teu- felsmacht geführten Degen keine Chance. Bald schon sank er tödlich getrof- fen zu Boden, während seine Mörder eilig die Flucht ergriffen.

Mephisto und Faust waren weit ins Harzgebirge geflohen. Es war Walpurgis- nacht, in der sich nach altem Glauben die Hexen am Brocken trafen und tanz- ten. Mephisto führte Faust durch seltsame Täler und Sümpfe voll Nebelschwa- den. Da und dort sprühten Feuerfunken, die Erde glühte. Immer mehr Hexen flogen sausend zum Brocken und sangen dazu im Zauberchor: ,.Die Hexen zu dem Brocken ziehn, Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.“ Mephisto rief Faust zu: „Los, faß mich an, sonst sind wir gleich getrennt. Das drängt und stößt, das rutscht und klappert, Das zischt und quirlt, das zieht und plappert! Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt! Ein wahres Hexenelement!“ Er packte sich eine häßliche, alte Hexe und rief Faust zu: „Los, wir tanzen!“ Dieser griff sich eine junge Schöne, doch wie erschrak er, als ihr plötzlich ein rotes Mäuschen aus dem Mund sprang. Mephisto lachte amüsiert: „Na und? Die Maus war immerhin nicht grau!" Da stieß Faust seinen teuflischen Gesellen an und rief: „Siehst du nicht dort das blasse, schöne Kind allein und ferne stehn? Wie es dem guten Gretchen gleicht!“ „Laß das nur stehn, es ist ein Zauberbild, leblos, ein Idol“, erwiderte Mephisto. „Aber sieh doch, die Augen, das Haar, es ist Gretchen! Ich muß zu ihr!“ „Das ist nur Zauberei, denn jedem kommt sie heute Abend wie seine eigene Freundin vor. Laß uns gehen!“ Widerwillig ließ Faust sich von Mephisto vom Blocksberg wegführen.

Gretchen war in der Zwischenzeit in den Kerker gebracht worden. Sie hatte ein Kind von Faust erwartet und es in ihrer Verzweiflung nicht leben lassen. Als Faust erfuhr, daß Gretchen im Kerker eingesperrt war. schrie er Mephisto empört an: „Das warst du, du Teufel, du wolltest es so! Wärst du ein Pudel wie- der! Du mußt mir helfen, sie zu retten! Befreie sie!“ „Nun gut“, antwortete Mephisto ungerührt. „Ich werde den Pförtner umnebeln und ihm die Schlüssel abnehmen. Du führe Gretchen hinaus. Meine Zauber- pferde bringen euch weg, das vermag ich.“ „Dann nichts wie hin!“ rief Faust ungeduldig, und windesschnell brausten sie auf Mephistos schwarzen Pferden durch die Nacht. Beim Kerker angelangt, öffnete Faust mit einem Bund Schlüssel die eiserne Tür. Gretchen lag verzweifelt am Boden und ängstigte sich. Faust flüsterte eindringlich: „Gretchen, Gretchen! Ich bin s! Ich will dich be- freien!“ Er faßte ihre Ketten und schloß sie auf. Da erkannte sie Faust, sprang hoch und umarmte ihn. „Komm mit, geschwind!“ drängte er. „Einen Schritt nur noch, und du bist frei!“ In diesem Moment trat Mephisto hinter Faust hervor und schimpfte: „Was zö- gert ihr solange! Auf! Oder ihr seid verloren! Meine Pferde warten schon!" Gretchen schreckte zurück, als sie Mephisto erkannte: „Wer steigt da aus dem Boden herauf? Der! Der! Ein Teufel! Schick ihn fort! Was will er?“ „Komm, Gretchen!“ beschwor Faust sie verzweifelt. Doch Gretchen wich zurück und rief entsetzt: „Du bist ja mit dem Teufel im Bund - Heinrich! Mir grauts vor dir!“ Da zog Mephisto Faust mit sich weg und befahl ihm: „Her zu mir!" Gretchen aber wurde dank ihrer Standhaftigkeit dem Teufel gegenüber von den Engeln aus dem Kerker gerettet und in den Himmel gebracht.

Dies ist aber noch nicht das Ende der Geschichte, auch wenn Faust vorerst mit Mephisto weiterziehen mußte. Viel, viel später schaffte es Faust dank seiner Liebe zu Gretchen endlich, sich von Mephisto loszureißen. Und Gretchen hatte Gott so inständig um die Erlösung ihres Geliebten vom Teufel gebeten, daß Faust in den Himmel einziehen durfte, wo sie ihn freudig erwartete. So waren die beiden doch noch für immer vereint. Mephisto aber blieb allein zurück und hatte seine Wette verloren.
Anmerkungen Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) gilt als der bedeutendste und universalste deutsche Dichter. Sein berühmtestes Drama ist „Faust“, mit dem er sich fast sein ganzes Leben lang befaßt hatte. Rund 60 Jahre brauchte Goethe, ehe diese große Dichtung zur Vollendung herangereift war. Die erste als „Urfaust“ bezeichnete Fassung entstand 1772-75 und bildete den Kernpunkt. 1790 gab Goethe „Faust. Ein Fragment“ heraus, den ersten Teil der Tagödie („Faust I“) beendete er 1806. Der zweite Teil („Faust II“) wurde erst nach seinem Tod publik gemacht, war aber laut Tagebuch 1831 vollbracht. Dieses Buch beschränkt sich auf den Inhalt von „Faust I“, nur der Schluß wurde aus pädagogischen. Gründen „Faust II“ entnommen. Die hier erzählte Handlung erhebt keinen Anspruch auf einen lückenlosen Verlauf im Vergleich mit Goethes Original, hält sich aber im wesentlichen an dessen inhaltlichen Kern. Der Verständlichkeit zuliebe mußte der Text massiv gekürzt und in Prosa umgesetzt werden. Dabei wurde besonders darauf geachtet, daß sich Sprache, Stil und Wesen der klassischen Vorlage trotz der Bearbeitung unverkennbar im Text widerspiegeln, da den Kindern ein möglichst authentischer erster Eindruck von Goethes Werk vermittelt werden soll. Dazu tragen auch die wenigen, wort- getreu zitierten Verse bei. Sie wurden eingerückt und somit kenntlich gemacht. J • 1
Die Reihe „Weltliteratur für Kinder“ will groß und klein auf verständli- che, unterhaltsame Art den Zugang zu klassischen Werken und Themen der Weltliteratur eröffnen. Mit „Faust“ liegt erstmals Goethes bedeu- tendstes Werk auch für Kinder vor, spannend nacherzählt und mit ein- dringlichen Bildern illustriert. Der teuflische Mephisto wettet mit Gott, daß es ihm gelingen wird, Fausts Seele für sich zu erobern. Er steigt hinunter zur Erde und schleicht sich bei Doktor Faust in Gestalt eines Pudels ein. Faust bleibt von Mephistos Verführungskünsten unbeeindruckt, bis er Gretchen begegnet... Ein gescheites Buch, voll Magie und Hexenzauber, gleichermaßen faszi- nierend und lehrreich für jung und alt, also auch für Erwachsene, die den „Faust“ nie gelesen haben oder sich nicht mehr erinnern können!