Vorwort
Einleitung
Sachlexikon
Personenlexikon
Sprüche, Kampagnen und Parolen
Das Land, die Leute, das Leben
Ein Volk von Mitgliedern
Der Wessi und der Ossi
Anhang

Автор: Wieke Thomas  

Теги: deutsche geschichte   neuzeit   ddr  

ISBN: 978-3-641 -01877-1

Год: 2007

Текст
                    Thomas Wieke
DDR für Angeber
DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 1


DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 2
THOMAS WIEKE DDR FÜR ANGEBER DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 3
ISBN: 978-3-641-01877-1 © 2007 by Bassermann Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, 81673 München Die Ver wer tung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne die Zustimmung des Verlags urheber rechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Projektleitung: Sven Beier Lektorat: Anja Galić, Köln Satz und Layout: Roland Poferl Print-Design, Köln Illustrationen und Umschlaggestaltung: Norbert Pautner, München Herstellung: Sonja Storz Druck und Bindung: GGP Media, Pößneck Printed in Germany 817263544536271 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 4
Inhalt Vorwort.............................................6 Einleitung...........................................7 Sachlexikon ........................................10 Personenlexikon ....................................66 Sprüche,KampagnenundParolen .....................78 Die elf unverschämtesten Sätze von DDR-Funktionären . . . . 86 DiesozialistischeMoral...............................89 DasLand,dieLeute,dasLeben.........................91 DasLandderknappenRessourcen .....................91 DasLebennachPlan.................................95 Alles,wasschmeckt ..................................99 EintrinkfestesLand.................................105 Ost-Mimen,diemanauchimWestenkennt ............107 SoklangdieDDR ..................................112 HeißeBräuteundFilmprinzessinnen ..................114 EinVolkvonMitgliedern ............................117 DieParteienundMassenorganisationen................117 Orden,Ehrentitel,Preise,Urkunden ...................121 DerWessiundderOssi ..............................127 WoranmaneinenWessierkennt ......................127 WoranmaneinenOssiimWestenerkennt ..............129 Quiz:TestenSieIhrWissen! ..........................132 Anhang Kleine Chronik weniger bekannter Ereignisse . . . . . . . . . . . 136 Abkürzungen–undwassiebedeuten .................141 LösungenderQuizfragen ............................144 Inhalt | 5 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 5
Vorwort Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir be- grüßen Sie auf dem geistigen Territorium der Deutschen Demo- kratischen Republik. Halten Sie bitte Ihre Personaldokumente bereit und zeigen Sie sie den Geistern der Vergangenheit, die Sie heimsuchen werden, auf Verlangen vor. Als tägliche Lesezeit steht Ihnen die Zeit von Montag bis Freitag zwischen 7 Uhr und 16.35 Uhr zur Verfügung. Der Samstag ist lesefrei, es sei denn, Sie wollen die Zeit als VMI-Stunden abrech- nen. Arbeiten Sie das Buch gewissenhaft durch. Am Ende wird Ihre Arbeit mittels einer Leistungskontrolle überprüft. Das Buch entstand in sozialistischer Gemeinschaftsarbeit zwi- schen den Redakteuren des Verlags Bassermann, dem Autor und einem Kollektiv von Erinnerungsspezialisten, die ungenannt bleiben wollen. Es stellt weder einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR noch eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der dafür zuständigen Stellen dar. Behandeln Sie das Buch behutsam und pfleglich; wir wissen nicht, ob Sie angesichts der großen Nachfrage sofort ein neues Exemplar bekommen können, sollten Sie eins benötigen. Lassen Sie sich gegebenenfalls in eine Warteliste eintragen oder legen Sie sich schon jetzt einen kleinen Vorrat an, wenn Sie zufällig mehrere erwischen sollten. Mit sozialistischem Gruß Ihr Schöpferkollektiv 6| Vorwort DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 6
Einleitung »Nie war die DDR so schön wie heute«, schrieb Holger Reischok schon 2003 in der Berliner Zeitung. In der Zwischenzeit sind noch etliche Motto-Shows über die Mattscheibe geflimmert, ha- ben Stars von einst als Moderatoren von heute in Medien-Erin- nerungen gekramt wie einst Willi Schwabe in der Rumpelkam- mer nach alten Filmschnipseln. Und schon sind wir mittendrin in der schönsten Ostalgie – Willi Schwabes Rumpelkammer, das war doch noch was, das war unpolitisch, das war Kultur, das war einfach nur schön. Nun werden die Erinnerungen an die DDR bei jedem Einzelnen anders ausfallen. Es muss aber einen Grund dafür geben, dass sich so viele gern an die DDR erinnern. Wahrscheinlich gibt es mehr als einen Grund. Aber ein wichtiger, vielleicht sogar ent- scheidender Grund wird selten genannt. Wer heute 50 ist und gern an die Siebzigerjahre in der DDR zurückdenkt, tut das nicht, weil diese Jahre besonders schön gewesen wären, er tut das, weil er in dieser Zeit jung war. Seine Erinnerungen an die Sech- zigerjahre sind davon geprägt, dass er in die Schule gegangen ist. Und wenn er von Pioniernachmittagen schwärmt, sich an das Fach Heimatkunde erinnert und es putzig findet, dass alle hin- tereinandersitzenden Schüler einer Bankreihe eine sogenannte Brigade bildeten, dann will er damit nicht ein totalitäres System beschönigen, sondern er erinnert sich an seine Schulzeit. Jeder hat das Recht, sich seiner Schulzeit als einer angenehmen, anre- genden und abwechslungsreichen Zeit zu erinnern. Denn er er- innert sich nicht in erster Linie an die Fakten, sondern an die Ge- fühle und Empfindungen, die diese Fakten – welche es auch im- mer gewesen sein mögen – damals in ihm auslösten. Man frage ihn nicht, wie er als Vier- oder Fünfjähriger die Aufrichtung von Mauer und Stacheldraht bewertet hat. Man frage ihn aber, wie ihm im Kindergarten das lauwarme Kübelessen geschmeckt hat, das er mit dem damals gebräuchlichen Aluminiumlöffel zu sich nahm. Darüber wird er wahrscheinlich Auskunft geben können. Einleitung | 7 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 7
Die Erinnerung arbeitet in uns auf zweierlei Weise. Der eine Er- innerungsstrang lässt das, was wir damals als völlig normalen Alltag hingenommen haben, mit wachsendem Abstand immer absurder aussehen. Die Erinnerung verzerrt; das tut sie immer. Die Frage ist nur, ob sie die Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit verzerrt oder ob gerade die Verzerrung das, was war, erst wirk- lich kenntlich macht. Der andere Erinnerungsstrang verfährt genau umgekehrt. Was wir damals als störend, belastend, ja be- drohlich empfunden haben, erscheint in einem milderen Licht, je weiter der Abstand wird. Damit wir uns einig darüber sind, woran wir uns erinnern: Wir haben ein Land vor uns, das seine eigenstaatliche Existenz auf der Konkursmasse eines viel größeren Landes gründete, einem Land, das einmal das Deutsche Reich gewesen war. Auf dem Ter- ritorium der Sowjetischen Besatzungszone dieses im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Reiches bestand die Deutsche De- mokratische Republik etwas weniger als 41 Jahre, nämlich vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990. Gegründet auf Betrei- ben Stalins, der als Vater der Völker Staaten von der Landkarte zu tilgen und neue zu schaffen pflegte, wenn es ihm beliebte, ge- noss der neue Staat nur eine begrenzte Souveränität und eine begrenzte Lebenskraft. Begrenzt durch die Oder-Neiße-Grenze (bis auf den nordöstlichen Rand, wo Stalin in Jalta das Lineal ein wenig nach links gerückt und die Grenzlinie westlich der Oder gezogen hatte), umfasste es 108 179 Quadratkilometer. In ihm wohnten zu Beginn 18,36 Millionen Menschen; am Ende waren es noch 16,35 Millionen. Das Land ging mit denkbar schlechten Voraussetzungen an den Start: Außer Braunkohle und Kali- salzen kaum Rohstoffe, auf dem interessantesten Rohstoff, dem Uran, hatte die UdSSR ihre Hand; aus dem erzgebirgischen Uran war Stalins Atombombe gemacht. Kaum Schwerindustrie. Ein zerschlissenes Verkehrssystem (und die zweiten Gleise der Eisenbahn als Reparation demontiert). Keine modernen Werf- ten, keine großen Seehäfen, keine Fischereiflotte, von Luftfahrt ganz zu schweigen. Eine Landwirtschaft, die nach einer Boden- reform in ineffektive Kleinproduktion zurückgefallen war. Und über allem schwebte eine Partei, die in ihren besten Tagen zwar 8 | Einleitung DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 8
2,3 Millionen Mitglieder haben würde, von denen aber nicht wirklich viele aus vollstem Herzen und ohne jeden Vorbehalt die Politik bejahten, die da auch in ihrem Namen betrieben wurde. Die DDR war ein Land, das seinen Bürgern Sicherheit gab, und davon so viel, dass es ihnen aus Sicherheitsgründen manche er- strebenswerte Freiheit vorenthalten musste, ein Land, in dem »arm« und »reich« keine wichtigen Begriffe mehr waren, »arm an Beziehungen« und »einflussreich« aber schon, ein Land, das den Weg beschritten hatte, den gravierenden Mangel an Gütern mittels einer Planwirtschaft zu beheben, die in Wirklichkeit eine Kommandowirtschaft war. Ein Land auch, das auf jeden schoss, der es unerlaubt verlassen wollte, ein Land, das zerbrach, was sich nicht fügen wollte, ein Land, das die Hoffnungen zerstörte, die es gesät hatte, und mit den Hoffnungen den Mut und die Ge- sundheit und die Fröhlichkeit so vieler Menschen. Dem Grotesken, Komischen, Verdrehten des Alltags widmet sich dieses Buch. Dem Alltag, der lächerlich war und kleinlich und beschaulich. Oder erstaunlich. Bedenklich und bedenkenswert. Unversehens schneit große Politik in diesen Alltag hinein, wie es auch in der vergangenen Wirklichkeit dieses Landes war, und was da hineinschneit, wie trivial war es doch manchmal. Aus der Fülle der Daten puhlt es diejenigen heraus, die wenig bedeutsam klingen und die für die Menschen dennoch wichtiger waren als Staatsakte. Mancher wird etwas ganz Neues erfahren, mancher wird seine Erinnerung auffrischen: »Ach, tatsächlich, siehste, das gab es ja auch.« Stoff zum Plaudern und zum – dieses Wort muss hier einmal fallen – Erfahrungsaustausch sollte sich allemal fin- den. Subjektiv und eingeschränkt, wie die Erinnerungen. Es ist doch nicht alles schlecht gewesen. Nein, dieser Satz wird in diesem Buch nicht zu lesen sein. Gut und schlecht sind keine Ka- tegorien der Erinnerung. Das Gedächtnis vergibt keine Zensu- ren. Es gibt nur Signale: »Hier war etwas. Nimm es oder lass es liegen. Wenn es wehtut, lass es. Wenn du lachen kannst, nimm es, du hast es besiegt. Das Land ist gestorben. Du lebst. Du kennst es noch. Es ist wirklich, wirklich vorbei. Es ist tot. Du kannst lachen.« Einleitung | 9 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 9
Sachlexikon Abkindern DDR-Jargon für eine besondere Tilgungsform des zinslosen Ehekredits, der jungen Ehepaaren zur Verfügung stand. Bei der Geburt des ersten Kindes wurden 1000 Mark der Restschuld erlassen, beim zweiten Kind 1500 Mark und beim dritten 2500 Mark. Abschnittsbevollmächtigter ABV Angehöriger der Volkspoli- zei mit ständigem Dienstsitz im Wohngebiet. Seine ständige An- wesenheit sollte die Präsenz der Staatsmacht demonstrieren. Was ein Abschnitt war und welche Vollmachten der Bevoll- mächtigte dort besaß, wurde dem Normalbürger allerdings nie- mals klar. Vergleichbar mit dem Kontaktbereichsbeamten bun- desdeutscher Prägung; vergleichbar auch, weil die Berufsbe- zeichnung ähnlich irre klingt. Adel Neben den »imperialistischen Kriegstreibern« waren die »Junker« so ziemlich das Schlimmste, was die SED-Propagan- da als Feindbild aufzubauen vermochte. Junker galten als Klas- senfeind, als Hort des Militarismus. Als gesellschaftliche Klasse wurden sie bereits während der Bodenreform seit Herbst 1945 aus der Gesellschaft völlig verdrängt. Daneben hielt sich Ulbricht aber einige Vorzeige-Adlige, wie den Wissenschaft- ler Manfred von Ardenne, den Rennfahrer Manfred von Brauchitsch und den Fernsehkommentator Karl-Eduard von Schnitzler. Aktendulli Bezeichnung für einen Heftstreifen aus Pappe oder Kunststoff mit einer Metallklammer, mittels dessen Blätter nach Art des Schnellhefters zu einem Konvolut geheftet werden, das man seinerseits in einen Aktenordner einlegen kann. Von Schreibwarenhändlern auch Fisch oder Aktenfisch genannt; un- ter der Bezeichnung Akten-Dulli wurde das praktische Büro- hilfsmitel 1939 von Carl Kohl in Chemnitz erfunden. 10 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 10
Amiga Schallplattenlabel, auf dem überwiegend Unterhal- tungsmusik, Schlager, Jazz, Rock- und Popmusik veröffentlicht wurden (Eterna). Neben Künstlern eigener Provenienz gab es auch in begrenztem Umfang Produktionen westlicher Musik; sie gehörten zur begehrtesten Bückware in der DDR und waren auch Tauschobjekte für andere begehrte Artikel. Schlagersänge- rinnen in der DDR wurden auch – wegen des typischen Stils der Studioproduktionen – Amiga-Drosseln genannt. Ampelmännchen Symbolische Figur auf Lichtsignalanlagen für Fußgänger. Das DDR-Ampelmännchen – sowohl in der roten wie in der grünen Ausführung – kann als grafisch wesentlich ge- lungener bezeichnet werden als das in der alten Bundesrepublik übliche Symbol. Das grüne Ampelmännchen schreitet sehr viel dynamischer aus, und das rote Ampelmännchen signalisiert mit ausgebreiteten Armen das Kommando Stopp!, wodurch es psy- chologisch effektiver ist als die schüchtern dastehende Westper- son, die sich eher übersetzen ließe mit »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, empfehle ich Ihnen, jetzt einmal stehen zu bleiben«. Nach der Wiedervereinigung sollte das Ost-Ampelmännchen abgeschafft werden, was zu einer ungeahnt hohen Protestwelle und zu einer Publizität des Vorgangs geführt hat, die dem Am- pelmännchen Kultstatus verschaffte. Bislang ist es jedenfalls ge- lungen, die putzigen Kerlchen im Straßenbild zu erhalten. Antifaschistischer Schutzwall Martialische und zugleich be- schönigende Bezeichnung für die Sperrwerke der Berliner Mauer. Die Bezeichnung will suggerieren, dass die Mauer ge- gen einen äußeren Feind gerichtet ist, während doch die Sperr- werke sich allein gegen die Bürger des eigenen Landes richteten. Der Begriff war so wenig wirksam, dass ihn seine Erfinder schließlich fallen ließen; seit 1977 sprach selbst Erich Hone- cker von der Mauer. Arbeiterschließfach DDR-Jargon für die Neubauwohnungen der Typen P 2 und WBS 70, die in ihrem gleichförmigen äußeren Erscheinungsbild an Schließfachanlagen der Post erinnerten. Sachlexikon | 11 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 11
Asche Soldatenjargon für Nationale Volksarmee (NVA). Aufgebot Im Familienrecht der DDR abgeschafft, führte der Be- griff Aufgebot ein zweites Leben in der politischen Propaganda. Namentlich die FDJ versuchte mit Aufgebotskampagnen die junge Generation für den Aufbau des Sozialismus zu begeis- tern. So gab es 1955 ein Wilhelm-Pieck-Aufgebot, 1970 ein Le- nin-Aufgebot, 1984/85 ein Thälmann-Aufgebot und 1989 ein Aufgebot DDR 40 – gewissermaßen das letzte Aufgebot. Wer hierbei militärische Assoziationen hat, liegt nicht verkehrt: Mi- litärische Organisation und »Kampf«-Terminologie waren be- absichtigt und wurden als besonders »revolutionär« gepflegt. Behelfsetikett Provisorisches Etikett zur Kennzeichnung von Waren, das verwendet wurde, wenn Papier oder Druckkapazität oder Druckfarben oder eine andere notwendige Zutat für die Herstellung regulärer Etiketten nicht verfügbar waren. Behelfs- etiketten enthielten meist nicht mehr als die notwendigsten Wa- renangaben und kamen grundsätzlich ohne grafische Gestaltung und Abbildungen aus. Da eine große Anzahl von Warenetiketten bereits in den Fünfzigerjahren entworfen worden war, hoben sich die schlichten Behelfsetiketten, die in den Achtzigern häufig anzutreffen waren, sehr angenehm von den regulären Etiketten ab, die im Grunde niemand vermisste. Beutelratten Abfällige Bezeichnung der Westler für DDR-Bür- ger, die anfangs dadurch auffielen, dass sie stets und ständig ei- nen Dederon-Einkaufsbeutel mit sich führten. Das war natür- lich ein trainiertes Jagdverhalten, das der Dederoni auch in der Marktwirtschaft nicht sofort ablegen konnte. In der sozialis- tischen Planwirtschaft (Plan) musste man nämlich immer da- rauf gefasst sein, dass es »etwas gab«. Kein Mensch konnte vor- hersehen, was dieses »Etwas« sein würde. Vorhersehbar war aber, dass es für dieses Etwas keine geeignete Verpackung im Ge- schäft geben würde. Was also tun, wenn es gerade frische Pflau- men gab? Oder Walnüsse? Jonglieren? In die Backentaschen stopfen? Also. 12 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 12
Bierpfennig Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war der Bierpfennig eine Abgabe auf den Verbrauch von Bier (die es im Übrigen heute noch gibt). Aber er bezeichnete auch eine der ku- riosesten Abgaben in der DDR, hervorgerufen durch die übli- chen Festpreise: Ein kleines Glas Bier (0,25 l) kostete 51 Pfennig. Ein großes Glas Bier (0,5 l) kostete 1,03 Mark. Wer also vier klei- ne Glas Bier trank, hatte einen Liter zu 2,04 Mark getrunken, wer zwei große Bier trank, einen Liter zu 2,06 Mark. Der feste Li- terpreis von 2,06 Mark ließ sich nicht durch 4 teilen. Die Min- dereinnahme, die durch das Ausschenken des Biers in Viertelli- tergläsern entstand, musste genau verbucht werden. Die Gast- wirte waren angehalten, die Zahl der Viertellitergläser und die Zahl der Halblitergläser, die sie ausgeschenkt hatten, zu regis- trieren und den zuständigen Organen für Handel und Versor- gung zu melden – dort wurden dann die Pfennigdifferenzen ver- rechnet und der Bierpfennig, der durch den Ausschank von Halbliterbieren überschoss, abgeführt. Bilanz Bestandteil des Plans. Der Begriff meinte in der DDR, anders als im Handelsrecht der Bundesrepublik, die zahlenför- mige Gegenüberstellung von wirtschaftlichen Größen, die ei- nander bedingten (zum Beispiel Bedarf und Aufkommen an Material, Arbeitskräften, Rohstoffen, Halbfertigerzeugnissen usw.). Die Bilanz stellten Proportionen und Relationen der ver- schiedenen Wirtschaftskräfte dar, und oft zeigte sich, dass sich zentral vorgegebene Plankennziffern gar nicht bilanzieren lie- ßen, weil die dafür erforderlichen Arbeitskräfte oder Rohstoffe nicht zur Verfügung standen. Blaue Fliesen Bezeichnung für D-Mark, wahrscheinlich abge- leitet vom blauen Farbton des 100-DM-Scheins. Obwohl der 100-Mark-Schein der DDR ebenfalls blau war, galt die Bezeich- nung nur für Westgeld. Bonbon Volkstümliche Bezeichnung für das Parteiabzeichen der SED; die Bezeichnung hatte in der elliptischen Form des Abzeichens ihren Ursprung (Existenzellipse). Sachlexikon | 13 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 13
Bonner Ultras Propagandaformel der Fünfziger- und Sechzi- gerjahre, die gegen die Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land gerichtet war; sie nimmt den historischen politischen Be- griff des Ultramontanismus (von ultramontan = jenseits des Gebirges; das bezeichnete jene Gruppe von Katholiken, die sich allein an Weisungen aus Rom gebunden fühlten) auf, um anzu- deuten, dass die Bonner Regierung ausschließlich Anweisungen von außen, sprich: aus den USA, ausführe. Bonzenschleuder Kosename für Verkehrsmittel mit zwei Be- deutungen: 1. die Luxuslimousinen der Partei- und Staatsfüh- rung, in der Frühzeit sowjetischer Bauart (vor allem die Marken Tschaika und SIL waren der obersten Führung vorbehalten), später schwedischer Import (Volvo). 2 . Die Städteexpress-Züge, die seit 1976 aus allen Bezirksstädten der DDR morgens nach Berlin und am Nachmittag wieder in die Bezirksstädte zurück- fuhren, und zwar montags bis freitags. Die Fahrpläne waren so abgestimmt, dass Dienstreisende 10-Uhr-Termine in Berlin er- reichten, ebenso nach dem üblichen Sitzungsschluss ihren Zug zurück in die Bezirke. Die Schleudern waren orange-beige la- ckiert und unterschieden sich allein dadurch auffallend vom da- mals üblichen Reichsbahngrün. Auch innen wirkte die Ausstat- tung gediegener und vor allem sauberer als bei gewöhnlichen Reichsbahn-D-Zügen (Reichsbahn). Der Städteexpress wurde als zentrales Jugendobjekt der FDJ geführt. Städteexpress- züge waren zuschlagspflichtig. Der Zuschlag kostete für die 2. Klasse 5 Mark (in normalen D-Zügen 3 Mark). Neben dem Transport von Funktionären und Dienstreisenden dienten die Züge – besonders montags früh und donnerstags nachmittags – dem Bauarbeiterverkehr von und nach Berlin. Bückware Gängige Bezeichnung für knappe Waren, die nicht of- fen in den Regalen zu sehen waren, sondern unterm Ladentisch versteckt wurden, weshalb sich das Verkaufspersonal bücken musste, um besonders gute Kunden damit zu bedienen. Wer selbst etwas zu bieten hatte, das die Verkäuferin dringend brauch- te, hatte die besten Chancen, an Bückware heranzukommen. 14 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 14
Datsche Wochenendhaus im Grünen, nach dem russischen Wort »datscha«, einer der wenigen Russizismen, die dauerhaft Eingang in die Sprache der DDR gefunden haben. Datschen wa- ren besonders von Großstadtbewohnern heiß begehrte Wo- chenend- und Feriendomizile – das Spektrum der architektoni- schen Vielfalt reichte dabei vom Geräteschuppen mit Sitzplatz bis zum unterkellerten Sechs-Zimmer-Haus Marke Kanzler- Bungalow. In den Baugenehmigungen waren Datschen gewöhn- lich als »Wohnlaube« ausgewiesen, der (manchmal) dazugehö- rige Swimmingpool als »Feuerlöschteich«. Manche Dörfer und Vororte im Weichbild der Großstädte hatten mehr als 15 Feuer- löschteiche. Dederon Bezeichnung für die Polyamidseide, die in den USA als Nylon, in der Bundesrepublik als Perlon und in der Schweiz als Grilon bekannt ist. Der Handelsname sollte von vornherein markenrechtliche Streitigkeiten, bei denen die DDR meist den Kürzeren zog, ausschließen. Er enthielt die drei Buchstaben der Staatsbezeichnung: DeDeRon. Dederoni teils abfällige Bezeichnung der Westler für DDR-Bür- ger, teils selbstironische Selbstbezichtigung; abgeleitet von der DDR-Bezeichnung für Polyamidseide Dederon. DEFA Staatliche Filmproduktionsfirma, gegliedert in die selbst- ständigen Studios für Spielfilme (Potsdam-Babelsberg), das Stu- dio für Dokumentarfilme (Berlin, Potsdam) und das Trickfilm- studio (Dresden); außerdem gehörte noch das DEFA-Kopier- werk zum Firmenverbund. Im Alltagsverständnis verband man mit dem Begriff DEFA vor allem das Spielfilmstudio. Es produ- zierte in den letzten Jahren der DDR pro Jahr 16 Kinofilme (da- runter in der Regel zwei Kinderfilme), übernahm aber im etwa gleichen Umfang die Produktion für große Fernsehfilme des DDR-Fernsehens als Dienstleister. Ferner wurden in den Babels- berger Studios in begrenztem Umfang auch internationale Pro- duktionen realisiert. Der DEFA-Film, wie man ihn gemeinhin kannte, war ein typischer Studiofilm, die Eigenheiten der Regis- Sachlexikon | 15 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 15
seure und Autoren traten hinter den Produktionsmechanismen des ideologisierten Studiobetriebs zurück. DEFA-Filme wurden häufig gescholten, selten gelobt. Zu den heute gelobten gehören manche, über die man zur Zeit ihrer Entstehung bestenfalls mil- de gelächelt hat. Daran erinnert der folgende Witz: Ein Priesterseminarist wird von einem Bischof nach seinen Zukunftsplänen gefragt. »Ich will DEFA-Direktor werden«, antwortet er. »Aber wa- rum nur das?«, fragt der Bischof irritiert. »Hochwürden, stellen Sie sich einmal vor: Erster Mai, Demonstrationszug, und dann verkündet der Sprecher: ›Und jetzt begrüßen wir das Kollektiv des DEFA-Spielfilmstudios mit seinem Di- rektor an der Spitze‹, da sagt doch alle Welt: ›Ach du lieber Gott ...‹« Die DEFA drehte den ersten deutschen Nachkriegsfilm: Die Mörder sind unter uns (1946). Er setzt sich mit der nationalsozia- listischen Vergangenheit auseinander. Der erfolgreichste DEFA- Film aller Zeiten ist ein Märchen: Die Geschichte vom kleinen Muck (1953, Regie: Wolfgang Staudte). Eine bemerkenswert hohe Resonanz beim Publikum fanden die Indianerfilme der DEFA. Die Söhne der großen Bärin (1966, Regie: Josef Mach), Chingachgook die große Schlange (1967, Regie: Richard Gro- schopp), Spur des Falken (1968, Regie: Gottfried Kolditz), Weiße Wölfe (1969, Regie: Konrad Petzold), Tödlicher Irrtum (1970, Re- gie: Konrad Petzold), Osceola (1971, Regie: Konrad Petzold), Te - cumseh (1972, Regie: Hans Kratzert), Apachen – Blutige Rache (1973, Regie: Gottfried Kolditz), Ulzana (1974, Regie: Gottfried Kolditz), Blutsbrüder (1975, Re- gie: Werner W. Wallroth), Seve- rino (1978, Regie: Claus Dob- berke), Blauvogel (1979, Regie: Ulrich Weiß), Der Scout (1983, Regie: Dshamjangijn Buntar, Konrad Petzold). 16 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 16
Besondere Juwelen der Produktion sind – damals belächelt, heu- te Kult – die Science-Fiction-Filme. Der schweigende Stern (1960, Regie: Kurt Maetzig), Signale – Ein Weltraumabenteuer (1970, Re- gie: Gottfried Kolditz), Eolomea (1972, Regie: Hermann Zscho- che), Im Staub der Sterne (1976, Regie: Gottfried Kolditz), Besuch bei van Gogh (1985, Regie: Horst Seemann). Delikat Ladenkette für Nahrungs- und Genussmittel mittlerer bis höherer Qualität; sie wurde geschaffen, um den Unmut der Bevölkerung über die wachsende Zahl von Intershop-Läden einzudämmen, in denen nur Westgeld-Besitzer einkaufen konn- ten. In der Delikat-Kette wurden vorgeblich höherwertige Wa- ren für DDR-Mark verkauft. Wirklich delikat waren vor allem die Preise – für niedrige und mittlere Gehälter schlicht uner- schwinglich. Häufig wurden die Delikat-Läden vor Festen und Feiertagen aufgesucht, wenn das Geld etwas lockerer saß oder man seinen Gästen oder Besuchern aus dem Westen etwas bie- ten wollte. Nach und nach rutschten immer mehr normale Pro- dukte aus dem HO- oder Konsum-Sortiment und landeten im Delikat-Programm, selbst Dosenmakrelen in Tomatensoße galten am Ende schon als delikat. Diskothek Anders als im Westen war sie in der Regel kein festes Etablissement, sondern eine mobile Einrichtung, die schnell aufgebaut und wieder abgebaut werden konnte. Diskotheken wurden veranstaltet von Schallplattenunterhaltern – meist in Kulturhäusern, Jugendklubs, Sälen von Gasthöfen, aber auch in Ferienlagern, am Ende von Schulungen, Ernteeinsätzen und ähnlichen Gelegenheiten. Abgespielt wurde die aktuelle Musik sowohl östlicher als auch westlicher Herkunft, wobei, solange die Gefahr einer Überwachung bestand, das Verhältnis von 60 (DDR und Ost) zu 40 (West) Prozent bei den Musiktiteln einge- halten werden musste. Die Schallplattenunterhalter hatten hie- rüber entsprechende Listen zu führen und bei der AWA (Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte aus dem Gebiet der Musik) einzureichen. Wenn keine Kontrolle drohte, wurde in der Regel erheblich mehr Westmusik als Ostmusik gespielt, aber getreu- Sachlexikon | 17 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 17
lich Ostmusik in die Listen geschrieben. So mancher DDR-Ro- cker hat auf diese Weise Tantiemen bezogen, die nach bürgerli- chem Recht eigentlich den Stones, Deep Purple, John Lennons Erben oder Dieter Bohlen zugestanden hätten. Die Diskothek war die Jugendunterhaltungsform erster Wahl spätestens seit Beginn der Siebzigerjahre. Dispatcher Neben dem Broiler ein weiterer Anglizismus, der sich in der DDR offiziell durchgesetzt hatte; vom engl. Verb »to dispatch« = etwas erledigen, abschicken. Er wurde als Fachbe- griff für Koordinatoren im Eisenbahnwesen (hier einem Dispo- nenten der Betriebszentrale vergleichbar), im öffentlichen Per- sonennahverkehr (hier in der Funktion eines Verkehrsmeisters), in der Schifffahrt und im Speditionswesen (hier einem Dispo- nenten vergleichbar) verwendet. Wenn in der Hauptverkehrszeit eine Oberleitung riss und in einer Großstadt der Straßenbahn- verkehr zusammenbrach, erschienen die Dispatcher, dispatch- ten wie verrückt, und nach ein, zwei Stunden lief ’s wieder. Elf 99 Jugendsendung des DDR-Fernsehens, die im Titel und im Logo die Postleitzahl des Fernsehstudios in Berlin-Adlershof (1199) aufnahm. Erster Sendetermin war der 1. September 1989; in den Wendewochen fiel Elf 99 durch Frische, Frechheit und kritische Berichterstattung auf. Die Sendung erreichte gro- ße Popularität, wurde nach der Auflösung des Deutschen Fern- sehfunks an RTL abgegeben und von dort an Vox weitergereicht, wo das Format schließlich im März 1994 eingestellt wurde. Erichs Lampenladen DDR-Jargon für den Palast der Repu- blik; der Begriff kam zustande aufgrund der Vielzahl von Be- leuchtungskörpern, mit denen das Hauptfoyer ausgestattet war. Eterna Schallplattenlabel, auf dem klassische Musik bzw. soge- nannte E-Musik (stand nicht für Elektronik, sondern für »erns- te Musik«) veröffentlicht wurde. Eterna-Aufnahmen mit den hervorragenden Solisten und Orchestern, über die die DDR ver- fügte, genossen auch international einen ausgezeichneten Ruf. 18 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 18
Eulenspiegel Satirische Zeitschrift in der DDR, die seit 1954/55 erscheint und die längste Zeit ihres Daseins im Wochenrhyth- mus veröffentlicht wurde, nach 1990 dann als Monatsmagazin. Die Eule erreichte eine Druckauflage von durchschnittlich 360 000 Exemplaren und war immer ausverkauft. Für Neuabon- nenten gab es kaum Zugang; Eule-Abos wurden innerhalb der Familie vererbt. Die satirisch-kritischen Beiträge wurden von der Parteiführung äußerst genau geprüft, aber immerhin als Ventil des Unmuts zugelassen. Bemerkenswert war die alle vier Wochen auf der letzten Seite erscheinende Nonsens-Beilage »Die Funzel«; hier durfte – einmalig für DDR-Verhältnisse – ein Aktfoto sogar offen (und nicht verschämt im Innenteil wie beim Magazin oder im »Foto-Kino-Magazin«) abgedruckt werden. Existenzellipse Weniger volkstümliche Bezeichnung für das Em- blem der SED (Bonbon). Es zeigte zwei ineinandergreifende Hände auf hellem Grund, die von einem Schriftband (Sozialisti- sche Einheitspartei Deutschlands) eingefasst waren. Das Hände- symbol spielte auf die Vereinigung von KPD und SPD im April 1946 an, die mit einem Handschlag der beiden Vorsitzenden Wil- helm Pieck und Otto Grotewohl symbolisch besiegelt worden war. Das Parteiabzeichen, das dieses Emblem trug, war annähernd el- liptisch geformt. Die Parteimitglieder waren angehalten, es offen zu tragen. Viele taten das nur mit Missvergnügen, setzte es sie doch bei den anderen dem Verdacht aus, das eigene Fortkommen (und damit die gesicherte materielle Existenz) mehr der politi- schen Gesinnung als dem fachlichen Können zu verdanken. Exquisit Ladenkette zum Verkauf von »Waren der höheren Preisklasse für Mark der DDR«. »Es handelt sich dabei um hochwertige eigene Erzeugnisse, Waren aus der Gestattungs- Sachlexikon | 19 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 19
produktion und Importe.« (Erich Honecker 1977). Exquisit- Läden gab es schon zu Ulbrichts Zeiten; damals hießen sie im Volksmund »Uwubu« (Akronym für »Ulbrichts Wucherbude«). Das Sortiment bestand überwiegend aus Konfektion, Lederwa- ren, Schuhen, Miederwaren, Parfümerie und Kosmetikartikeln. Das Pendant bei Nahrungs- und Genussmitteln war das Pro- gramm Delikat. Falten DDR-Jargon für das Verhalten am Wahltag. Da in der DDR auf den Wahlzetteln allein die »Kandidaten der Nationa - len Front« standen, war eine Wahl nur theoretisch möglich: Man konnte erstens einzelne Kandidaten ausstreichen, zweitens alle Kandidaten ausstreichen, drittens weitere Namen hinzufügen, viertens den Wahlzettel ungültig machen. Man konnte das offen tun oder in einer Wahlkabine – in beiden Fällen hätte man sich als Wähler enttarnt, der nicht mit dem »Wahlvorschlag der Na- tionalen Front« übereinstimmte. Um tatsächliches Wahlverhal- ten zu verhindern, war kollektives Abgeben der Stimme (also im Verband der Hausgemeinschaft oder, bei Studenten, der Se- minargruppe) erwünscht. So gingen die meisten ins Wahllokal, nahmen den Stimmzettel, falteten ihn, ohne noch einen Blick auf die Namen zu verschwenden, und warfen ihn durch den Schlitz der Wahlurne. Aus diesem Vorgang entstand die Floskel »falten gehen«. Familie »Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Sie beruht auf der für das Leben geschlossenen Ehe und auf den be- sonders engen Bindungen, die sich aus den Gefühlsbeziehungen zwischen Mann und Frau und den Beziehungen gegenseitiger Liebe, Achtung und gegenseitigen Vertrauens zwischen allen Fa- milienmitgliedern ergeben.« So steht es als feierlicher Vorspruch im »Buch der Familie«, das frisch Verheiratete zusammen mit ihrer Eheurkunde auf dem Standesamt ausgehändigt bekamen. FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, Einheitsgewerk- schaft in der DDR, gegründet im Februar 1946. Im Gegensatz zum DGB, der als Dachorganisation der Einzelgewerkschaften 20 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 20
fungiert, bildeten die 16 Industriegewerkschaften und Gewerk- schaften der DDR lediglich zentral gelenkte »Fachabteilungen« des FDGB. Da es im Sozialismus keinen Klassengegensatz zwischen kapitalistischen Unternehmern und Arbeitern geben konnte, fungierten die Gewerkschaften auch nicht als Arbeit- nehmervertretungen im klassischen Sinne, sondern definierten sich als »Klassenorganisation der in der DDR herrschenden Ar- beiterklasse«. FDJ Freie Deutsche Jugend, einziger zugelassener Jugendver- band, 1946 als Organisation gegründet, ab 1947 uniformiert und zunehmend militarisiert, ab 1952 dem »demokratischen Zentralismus verpflichtet«, erklärte sich die FDJ 1957 zur »so- zialistischen Jugendorganisation der DDR«, die fortan als »zu- verlässiger Helfer und Kampfreserve der Partei« (gemeint war natürlich die SED, deren »führende Rolle« ausdrücklich aner- kannt wurde) wirken wolle. Die FDJ organisierte die Messen der Meister von morgen, betrieb zahlreiche Jugend- und Stu- dentenklubs, organisierte eine Singebewegung, richtete Poe- tenseminare und Wettbewerbe junger Solisten aus und war für eine Vielzahl von Jugendobjekten verantwortlich. Die FDJ orga- nisierte 1988 2,3 Millionen. Jugendliche (88 Prozent Organisati- onsgrad); nach der Wende blieben um die 850 eingeschriebe- ne Mitglieder übrig. In der Bundesrepublik war die FDJ als ver- fassungsfeindliche Organisation seit 1951 verboten; dieses Ver- bot gilt noch immer, wurde aber nach 1990 nicht auf das Gebiet der neuen Bundesländer ausgedehnt. FORUM 1. Zeitung für Studenten, die wegen kritischer Bericht- erstattung oder Abdruck unliebsamer Texte häufig im Blick- punkt der Funktionärskritik stand, erschien im Zwei-Wochen- Rhythmus seit 1955 und wurde Anfang der Achtzigerjahre »we- gen Papiermangels« eingestellt. 2. Handelsgesellschaft mbH (andere Schreibweise: forum), sie war ein Unternehmen des Bereichs Kommerzielle Koordinie- rung und der Hauptverwaltung II des Ministeriums für Staats- sicherheit zugeordnet. Gegründet 1976 oblag forum die Abwick- Sachlexikon | 21 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 21
lung des Intershop-Handels. DDR-Bürger durften seit dieser Zeit im Intershop nicht mehr mit DM oder anderen frei kon- vertierbaren Währungen bezahlen, sondern waren angehalten, ihr Westgeld zuvor bei der Staatsbank in forum-Schecks einzu- tauschen, die dann wie Bargeld in den Intershops angenommen wurden. Damit war beabsichtigt, die Sparstrümpfe der DDR- Bürger vom Westgeld zu leeren, also eine Maßnahme der Devi- senbeschaffung im eigenen Land. In der DDR gab es den fol- genden Witz: »›Wie lauten die beiden ersten Fragen eines Handwerkers, bevor er überhaupt kommt?‹ – ›Forum geht’s denn? Westhalb rufen Sie mich an?‹« Für den Filmfreund ausgewählt Reihentitel für die Ausstrah- lung des Montagsfilms im DDR-Fernsehen mit festem Sende- platz um 20 Uhr nach der Aktuellen Kamera und vor dem Schwarzen Kanal. Ausgestrahlt wurden vor allem alte Filme aus der Zeit vor 1945, deren politische Unbedenklichkeit in der DDR oftmals weitaus großzügiger bewertet wurde als im Wes- ten. Mit dem Filmfreund haschte das DDR-Fernsehen nicht nur nach Westzuschauern, sondern wusste auch ausnahmsweise mal eine beträchtliche Zahl Ostzuschauer vor dem eigenen Kanal. Die verschwanden natürlich augenblicklich vom Sender, sobald Der Schwarze Kanal begann. Gegenplan Dieser Plan war kein bisschen oppositionell, wie der Name vielleicht vermuten lässt, sondern zeitweilig (besonders Ende der Siebzigerjahre) Bestandteil und eine besondere Form des sozialistischen Wettbewerbs. In der Gegenplan-Bewegung wurden die Werktätigen und Arbeitskollektive (Kollektiv) aufgefordert, zu den staatlichen Planauflagen eigene Vorschläge (Gegenvorschläge) zu unterbreiten, die natürlich in nichts ande- rem bestehen durften als in einer Überbietung der staatlichen Planvorgaben. Das hatte zwar Methode, blieb aber dennoch Wahnsinn, denn der Plan mit seinen ohnehin oft unrealisti- schen Vorgaben wurde durch die gut gemeinten Gegenpläne noch mehr durcheinandergebracht. Nach relativ kurzer Zeit wurde diese Methode fallen gelassen, und das Wort Gegenplan 22 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 22
verschwand aus der Propaganda vollständig. Jetzt hieß es: Was neben dem Plan ist, ist gegen den Plan, und was gegen den Plan ist, verstößt gegen das Gesetz. Genex Geschenkdienst Handelsunternehmen, über das gegen Valuta Waren aus dem westlichen Ausland, aber auch Produkte aus der DDR bezogen werden konnten. So bestand die Möglich- keit für wohlhabende Westverwandte, den armen Ostkusinen ei- nen Wartburg, der normalerweise 20 000 Mark kostete, für 9000 DM zu besorgen – und das ganz ohne Wartezeiten. Sogar Fertigteil-Häuser konnten über Genex bezogen werden. Gestattungsproduktion Einladung der DDR-Regierung an west- liche Firmen, die DDR als Billiglohnland zu benutzen. Wurde von Firmen wie Salamander, Trumpf (Kakao) und Triumph (Miederwaren), BAT (verschiedene Zigarettenmarken) und Bei- ersdorf (Nivea) dankbar angenommen und von der DDR gestat- tet (daher der Name). Ein Teil der Produkte – etwa die über die Vertragsverpflichtungen hinaus erzielte Überproduktion – ver- blieb im Lande und füllte das Sortiment der Exquisit- und Delikat-Läden sowie der Intershops. Circa 120 Artikel wur- den in der DDR via Gestattungsproduktion hergestellt. Goldene Hausnummer Hausgemeinschaften, die besonders tatkräftig an der Verschönerung des Wohnumfeldes mitgewirkt hatten und die sich auch sonst durch politische Aktivität und Einsatzbereitschaft auszeichneten (zum Beispiel indem sie einen Gemeinschaftsraum ausbauten, gemeinsam zur Wahl gingen oder bei Bedarf Privatquartiere für die Arbeiterfestspiele oder andere Großveranstaltungen stellten), konnten ihr Mietshaus mit der »Goldenen Hausnummer« schmücken. GST Gesellschaft für Sport und Technik. 1952 gegründete, pa- ramilitärische Wehrsportorganisation, die ihre Hauptaufgabe in der vormilitärischen Ausbildung der 16- bis 18-Jährigen sah. Be- stimmte Sportarten (Fallschirmspringen, Segel- und Motorflug, Tauchsport) waren als Wehrsport eingestuft und konnten über- Sachlexikon | 23 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 23
haupt nur innerhalb der GST ausgeübt werden. An den Erwei- terten Oberschulen gehörte die vormilitärische Ausbildung durch die GST zum Lehrplan. Die NVA sicherte sich über die GST die frühzeitige Auswahl und Ausbildung ihres Führungs- nachwuchses, besonders in hochspezialisierten und technischen Waffengattungen. Hausbuch Ein schmales Heftchen mit sensiblem Inhalt. Aufge- führt waren mit Namen, Geburtsdatum, Beruf und Personal- ausweisnummer alle Bewohner des Hauses. Eingetragen werden mussten auch alle Besucher, die sich länger als 14 Tage im Haus aufhielten. Grundsätzlich wurden alle Westbesucher eingetra- gen und ihre Anwesenheit umgehend der zuständigen Polizei- dienststelle gemeldet. Das Hausbuch musste der Volkspolizei und anderen »staatlichen Organen« (wie etwa der Stasi) auf Ver- langen vorgelegt werden; es wurde vom Hausvertrauensmann oder einem eigens dafür Beauftragten geführt. Hausgemeinschaft Die Bewohner eines Mehrfamilienhauses waren per Definition eine Hausgemeinschaft, ob sie das wollten oder nicht. Sie wählten eine Hausgemeinschaftsleitung (HGL) und aus deren Mitte einen Vorsitzenden. Der Hausgemeinschaft wurden von der Kommunalen Wohnungsverwaltung die Orga- nisation von Treppen- und Hofreinigung und die Pflege der Grünanlagen übertragen. An Wahltagen waren die Hausge- meinschaften angehalten, gemeinsam (im DDR-Jargon: ge- schlossen) zur Wahl zu gehen (Falten). Die Hausgemeinschaf- ten sollten miteinander in den sozialistischen Wettbewerb tre- ten und den Titel »Vorbildliche Hausgemeinschaft« anstreben. Zu diesem Titel gab es eine Geldprämie, und die wurde meistens bei einer zünftigen Party im eigens dafür eingerichteten Ge- meinschaftsraum auf den Kopp gehauen. Haushaltstag 1961 eingeführter zusätzlicher bezahlter freier Tag, der zunächst alleinstehenden und vollbeschäftigten Müt- tern einmal im Monat zustand. Die Regelung wurde 1976 auf al- leinstehende vollbeschäftigte Frauen ohne Kinder ausgedehnt. 24 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 24
Seit 1981 kamen alle berufstätigen Mütter, Ehefrauen und al- leinstehenden Frauen über 40 Jahre in den Genuss eines bezahl- ten Haushaltstages pro Monat. Hausvertrauensmann Ehrenamtlich tätiges Mitglied der Haus- gemeinschaftsleitung (Hausgemeinschaft). Hausvertrauens- leute waren stets männlich, auch wenn sie Frauen waren, die of- fizielle Bezeichnung lautete Hausvertrauensmann. Der Hausver- trauensmann führte das Hausbuch und war Ansprechpartner für die Kommunale Wohnungsverwaltung, den Abschnitts- bevollmächtigten und andere interessierte »Organe«. HO Abkürzung für Handelsorganisation; 1948 gegründete Han- delskette im Volkseigentum. Zunächst wurden in den HO-Lä- den markenfreie Waren zu überhöhten Preisen verkauft; damit sollte der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden. Später etablier- te sich die HO als beherrschende Handelskette in Einzelhandel, Warenhaus, Gastronomie und Hotellerie, der nur der Kon - sum – allerdings mit kaum unterscheidbarem Angebot – eine vergleichbare Struktur entgegenzusetzen hatte. In den Sechzi- gerjahren betrieb die HO in Leipzig ein Versandhaus (der Kon- sum das Konsument-Versandhaus Karl-Marx-Stadt). Intelligenz In der DDR als sogenannte Schicht definiert, die im Klassenstrukturmodell des Sozialismus zwischen (oder ne- ben) den beiden Hauptklassen der Arbeiter und Angestellten ei- nerseits und den Genossenschaftsbauern andererseits bestand. Die Zugehörigkeit zu dieser Schicht war soziostrukturell nicht genau bestimmt, vom Intelligenzgrad war sie offenbar nicht ab- hängig, auch nicht in erster Linie von einem abgeschlossenen Hochschulstudium. Angehörige der bewaffneten Organe und Mitarbeiter der Staatsorgane gehörten per Definition der Arbei- terklasse an, auch wenn sie einen Hochschulabschluss besaßen, möglicherweise promoviert hatten und typische Schreibtischar- beiten versahen. Ingenieure hingegen, selbst wenn ihre Tätigkeit im Betrieb der eines qualifizierten Arbeiters weitgehend ähnel- te, konnten zur technischen Intelligenz gezählt werden. Sachlexikon | 25 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 25
Internationale Solidarität Diese wurde in allfälligen Sprech- chören immer mit »Hoch die« eingeleitet. Im Grunde ein posi- tiver Wert, der von der DDR-Führung allerdings zur Bemänte- lung sehr zweifelhafter Geschäfte (unter anderem Waffenge- schäfte) verwendet wurde. Materielle Beiträge für die Solidarität wurden gleich mit dem FDGB-Beitrag mehr oder weniger au- tomatisch eingezogen. Über die Verwendung dieser Mittel wur- de bis zur Wende 1989 nie konkret Rechenschaft abgelegt. Intershop Handelseinrichtung für den Verkauf von Waren ge- gen Devisen. Zunächst nur an Flughäfen, Häfen und ausgewähl- ten Hotels eher verschämt eingerichtet, machten sich Intershops durchaus unverschämt auch im Stadtbild breit, was zu beträcht- lichem Unmut bei der nichtdevisenbesitzenden Bevölkerung führte. In der Folge wurden die Delikat- und Exquisit-Ge- schäfte ausgebaut, die höherwertige Waren für DDR-Mark, aber zu exorbitant hohen Preisen anboten. Jahresendfigur Auch geflügelte Jahresendfigur oder Jahres- wechselflügelpuppe genannt, stellt dieser Begriff eine der absur- desten Handelsbezeichnungen in der DDR für einen Weih- nachtsengel dar. Man unterschied auch »Jahreswechselpuppe mit Flügeln« (also einen Engel) von einer Jahreswechselpuppe ohne Flügel (zum Beispiel einem Bergmann); Engel und Berg- mann, die Kerzen trugen, waren traditionelle Figuren der erzge- birgischen Volkskunst, die in der Weihnachtszeit aufgestellt wurden. 26 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 26
Jahresendprämie Im Prämiensystem der DDR verankerte Gra- tifikation, die dem heute sogenannten 13. Monatsgehalt ver- gleichbar war. Jugendmode Ladenkette der HO, die ein spezielles Beklei- dungssortiment für Jugendliche anbot. Die Konfektion sollte mehr Chic und mehr Mut zu modischen Details haben. Die Käufer und besonders Käuferinnen waren oft dem (im engeren Sinne) jugendlichen Alter entwachsen, hatten aber nicht genü- gend Geld, um im teuren Exquisit einzukaufen. Jugendweihe Weltliches Gegenstück zur evangelischen Konfir- mation in der Tradition der Freidenker und der Jugendfeiern der Arbeiterbewegung. Im Lauf der DDR-Geschichte wurde die Jugendweihe immer stärker politisiert und immer deutlicher auf ein Bekenntnis zum Sozialismus hin orientiert. Dadurch stieß sie auf Widerspruch und Widerstand der Kirchen, die ein Weltanschauungsmonopol der SED nicht hinnehmen wollten. Zur Jugendweihe gehörte eine Folge von monatlichen Jugend- stunden und die eigentliche Jugendweihe-Feier, die in der Regel an einem Samstag im Mai stattfand und in einem politischen Gelöbnis für Frieden und Sozialismus gipfelte (das allerdings keine bindende Rechtskraft hatte). Nach der Jugendweihe wur- den die Schüler grundsätzlich mit »Sie« und Vornamen ange- sprochen. Fortgesetzt wurde die Jugendweihe-Feier nach dem offiziellen Teil in der Regel mit einer Familienfeier, manchmal auch mit einer Klassenparty. Großer Aufwand wurde bei der Auswahl der Garderobe betrieben. Die größte Bedeutung für die Geweihten selbst lag aber eindeutig bei den Geschenken. Die Ju- gendweihe entwickelte sich zum bedeutendsten Geschenkanlass im Leben eines Jugendlichen, der Weihnachten und Geburtstag weit überstrahlte. Mancher (männliche) Jugendliche erlebte aus Anlass der Familienfeier seinen ersten Vollrausch. Kader Wer einem Kader angehörte, dem galt bezüglich seiner beruflichen und politischen Entwicklung eine besondere Auf- merksamkeit. Denn schon der Genosse Stalin hatte gesagt: Sachlexikon | 27 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 27
»Die Kader entscheiden alles.« Man sprach den Namen des Va- ters der Völker zwar seit den Sechzigerjahren nicht mehr so gern aus, zitierte ihn auch nicht mehr als »Klassiker«, beherzig- te aber durchaus seine Lehren und folgte im Parteiaufbau und im politischen System getreulich seinen Vorstellungen. Eine be- sondere Gruppe der Kader zum Beispiel stellten die Nomenkla- turkader dar. In der Nomenklatura waren nach sowjetischem Vorbild alle Personen erfasst, die maßgebliche Leitungspositio- nen, Wahlfunktionen und hohe Ehrenämter innehatten. Die Besetzung solcher Ämter und Funktionen war ohne die Zu- stimmung höherer SED-Gremien (bis hin zu den Abteilungen des Zentralkomitees) nicht möglich. Das Einrücken in eine sol- che Nomenklatura-Position hatte aber nicht nur Vorzüge (hö- heres Gehalt, diverse Privilegien, Einfluss), sondern kostete auch einen Preis. Nomenklatur-Kader bekamen keinen Arbeits- oder Anstellungsvertrag, sondern sie wurden berufen und be- kamen eine Berufungsurkunde. Sie konnten auch nicht kündi- gen, wenn sie ihre Position zu verlassen wünschten, sondern mussten einen Antrag auf Abberufung stellen. Das hatte schon etwas von feudalem Lehens- und Gefolgschaftswesen. Eine an- dere Sondergruppe waren die »Reisekader«, ein ausgewählter Kreis von Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport, die für geeignet gehalten wurden, ins westliche Ausland reisen zu dürfen. Kaderakte Bezeichnung für ein Konvolut an Papieren, das man in der Bundesrepublik unter der Bezeichnung Personalakte kennt. Eine Kaderakte wurde offiziell über jeden geführt, der ins Arbeitsleben eintrat; vergleichbar der Kaderakte waren die Stu- dentenakten, die an den Hochschulen und Universitäten geführt wurden. In die Kaderakten wurden nicht nur Vermerke einge- fügt, die mit der Berufstätigkeit zu tun hatten, sondern auch In- formationen über das Privatleben (Abhören von Westsendern, Westbesuche), das Verhalten im Straßenverkehr (sofern die Be- hörden Auffälliges feststellten), über politische Aktivität oder Inaktivität. Datenschutz war in der DDR ein unbekanntes Wort, darum konnten sich alle interessierten »Organe« – namentlich 28 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 28
natürlich das Ministerium für Staatssicherheit, aber auch die SED oder Massenorganisationen wie FDJ oder FDGB – Einblick verschaffen, ohne dass der betroffene Werktätige über- haupt davon wusste. Ein einklagbares Recht des Bürgers auf Ein- sicht in seine eigene Kaderakte gab es nicht. Kaufhalle Einkaufseinrichtung des staatlichen (HO) und ge- nossenschaftlichen (Konsum) Handels. Kaufhallen wurden in allen Neubaugebieten – oft in direkter Nachbarschaft zu Klub- gaststätten und Dienstleistungszentren (Komplexannahme- stelle) – errichtet, zunehmend aber auch in bestehende Stadt- strukturen eingefügt. Sie führten das Standardsortiment der »Waren des täglichen Bedarfs« (sofern es verfügbar war) und in begrenztem Umfang Konfektion und Industriewaren (sofern dafür andere Einkaufsmöglichkeiten im Territorium nicht be- standen). Kinderkombination Hier handelt es sich nicht um ein Klei- dungsstück oder die Jugendmannschaft einer Sportgemein- schaft, sondern um die Bezeichnung für einen Funktionsbau, der eine Kinderkrippe und einen Kindergarten beherbergte. In die Kinderkrippe konnten Kleinstkinder vom Alter weniger Wo- chen bis zum vollendeten dritten Lebensjahr aufgenommen werden; in den Kindergarten gingen Kinder von drei Jahren an bis zum Eintritt in die Schule. Kinderkombination war das DDR-Gegenstück zur westlichen Kindertagesstätte, deren Be- zeichnung auch nicht viel eleganter wirkt. Kirche Unter diesen Begriff fielen die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche sowie weitere Kirchen- und Religionsge- meinschaften. Die Verfassung sicherte den Kirchen formal die Freiheit der Religionsausübung zu, doch sahen sich nicht nur kirchliche Amtsträger, sondern vor allem kirchlich stark enga- gierte Bürger von Staats und Partei wegen benachteiligt. Dabei wechselten sich Phasen, die an den Kirchenkampf zur Bismarck- Zeit oder an sowjetische Verfolgungskampagnen erinnerten, mit Phasen der Verständigung und des regelrechten Kuschelkurses Sachlexikon | 29 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 29
ab. Auch waren aktive und bekennende Christen in bestimmten beruflichen Sphären stärker benachteiligt als in anderen. Man fand unter den höheren Offizieren der NVA oder unter Staats- bürgerkundelehrern nur wenige bekennende Christen, hinge- gen waren sie unter Berufsmusikern in der Mehrheit aus dem einfachen Grund, weil in christlichen, bürgerlichen Haushalten und in der Gemeinde das Musizieren einen hohen Stellenwert hatte und Begabungen früher erkannt und gefördert wurden. Kittelschürze Unverzichtbares Kleidungsstück für werktätige Frauen, meist aus Dederon oder einem Baumwollmischgewe- be, einfarbig oder (häufiger) bunt gemustert. Die Kittelschürze wurde nicht nur während der Arbeit im Betrieb getragen, son- dern auch zu Hause, gewissermaßen als Hauskleid. In ländli- chen und kleinstädtischen Gegenden bestanden auch keine Be- denken, die Kittelschürze auf der Straße zu tragen. Frauen tru- gen sie sowohl über ihrer gewöhnlichen Oberbekleidung als auch anstelle derselben. Klub der Intelligenz Einrichtung des Kulturbunds der DDR, die als Veranstaltungsort für Intellektuelle in der DDR, die dem Kul- turbund angehörten, diente; für die Klubs der Intelligenz wurde aus diesem Kreis noch einmal eine besondere Auswahl getrof- fen. Gewöhnlich waren die Klubs mit einer gastronomischen Einrichtung von beachtlicher Qualität verbunden. Einen beson- ders guten Ruf genoss in Berlin der Künstlerklub »Die Möwe«. Kollektiv Hier haben wir es mit einem der wichtigsten Propa- gandabegriffe in der DDR zu tun. Neben der konkreten Bedeu- tung als »Arbeitskollektiv« (in der Bundesrepublik mit dem Anglizismus »Team« bezeichnet) hatte Kollektiv auch eine über- tragene, quasireligiöse Bedeutung. Das Kollektiv schwebte im- mer als höhere Instanz über dem Interesse des Individuums. Der Einzelne hatte sich dem Kollektiv unterzuordnen, sich besten- falls darin einzuordnen. Aber die Berufung auf das Kollektiv er- laubte es dem Einzelnen auch, sich vor persönlicher Verantwor- tung zu drücken. 30 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 30
Kombinat Eine »grundlegende Wirtschaftseinheit der materiel- len Produktion« und eine »moderne Form der Leitung und Or- ganisation in Industrie und Bauwesen sowie weiteren Bereichen der Volkswirtschaft auf der Grundlage des einheitlichen staatli- chen Volkseigentums«. Nachdem in den Sechzigerjahren mit verschiedenen Modellen der Wirtschaftslenkung experimentiert worden war, kehrte man unter Honecker zur strikten Zentra- lisierung zurück, deren höchster Ausdruck die Bildung von Kombinaten war. Die Struktur der Kombinate wurde per Ver- ordnung des Ministerrats vom 8. November 1979 in Gesetzes- form gegossen. »Haste schon gehört, Mittag hat sich den Arm gebro- chen.« – »Nee, wie issn das passiert?« – »Er hat sich zu sehr auf die Kombinate gestützt.« Das Kombinat bestand aus mehreren Kombinatsbetrieben oder Betriebsteilen und wurde in der Regel über einen Stammbetrieb geleitet; der Generaldirektor des Kombinats war zugleich Direk- tor des Stammbetriebs. Darüber hinaus hatte das Kombinat die »Erzeugnisgruppenarbeit als eine Form der überbetrieblichen sozialistischen Gemeinschaftsarbeit« auch mit solchen Betrie- ben zu organisieren, die nicht zum Kombinat gehörten, aber »Erzeugnisse gleicher oder ähnlicher Zweckbestimmung bzw. mit technologisch verwandtem Herstellungsprozess produzie- ren«. Dass so etwas überhaupt funktionierte, grenzt noch heute an ein Wunder. Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) Im jeweiligen Terri- torium der größte und maßgebliche Wohnungsverwalter. Der KWV unterstanden nicht nur Wohnungen aus dem Staatseigen- tum, sondern auch zahlreiche Immobilien, die formal in Privat- besitz waren und treuhänderisch verwaltet wurden. An die KWV wandte man sich wegen Reparaturen, Reinigung und Fra- gen der Haustechnik. Mit der KWV schloss man den Mietver- trag, sie besaß aber nicht, wie oft irrtümlich angenommen, das Monopol für die Verteilung von Wohnraum. Dafür waren die Sachlexikon | 31 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 31
Organe der Staatlichen Wohnraumlenkung zuständig. Bevor die KWV einen Mietvertrag abschließen durfte, musste der künfti- ge Mieter eine Zuweisung des örtlichen Wohnraumlenkungs- organs vorlegen. Komplexannahmestelle Obwohl der Begriff es nahelegt, han- delt es sich hierbei nicht um eine Beratungsstelle für psychisch Geschädigte. Es gehört zu den größten Geheimnissen der deut- schen Behördensprache, wo die Schöpfer solcher Wortmonster ihre Ausbildung genossen haben. Hier wurden jedenfalls keine Komplexe angenommen, sondern kaputte Schuhe, schmutzige Wäsche und Fotoarbeiten. Komplexannahmestellen waren so- mit ein wichtiger Umschlagpunkt für Dienstleistungen, die nicht mehr dezentral von einzelnen Handwerksbetrieben ange- boten wurden, sondern in großen Dienstleistungskombinaten (Kombinat). Dafür mussten in den Wohngebieten Annahme- stellen geschaffen werden, die kaputte Schuhe, schmutzige Wä- sche usw. annahmen, an den Dienstleister weiterleiteten, von dem sie nach Dienst und Leistung reparierte Schuhe und saube- re Wäsche usw. wieder entgegennahmen und an die Kunden ausgaben. Ein aufwendiges und teures (und manchmal auch langwieriges) Verfahren, bei dem mancher eine Macke bekam, die man auch Komplex nennen konnte, den Dienstleistungs- komplex. Der Name leitete sich aber nicht davon ab, sondern von der Tatsache, dass die Annahme nicht für einzelne Gewerke getrennt, sondern für alle Gewerke komplex (ha, jetzt haben wir’s!) erfolgte. Konsum 1. Kurzbezeichnung für die Handelskette der Konsum- genossenschaft, die trotz des Namensbestandteils -genossen- schaft keine echte Genossenschaft war, sondern als Massenorga- nisation galt. Die Mitglieder der Konsumgenossenschaft erwar- ben mit ihrem Eintritt keine wirklichen Anteile an der Handels- kette, sondern lediglich das Recht, für jeden Einkauf Rabattmar- ken zu beziehen, die gesammelt und am Jahresende vergütet wurden. Etwas abfällig wurde im Volksmund der Name Konsum als Akronym für »Kauft Ohne Nachzudenken Schnell Unseren 32 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 32
Mist« bewitzelt. Das Wort ist anders auszusprechen als das ge- läufige Fremdwort für Verbrauch: Betont werden muss hier die erste Silbe, das »u« der zweiten Silbe wird kurz ausgesprochen und bleibt unbetont. 2. Verkaufsstelle der Konsumgenossenschaft; der Name wurde übertragen auf alle Verkaufsstellen mit einem Gemischtwaren- angebot, besonders in ländlichen Regionen. Man sprach auch dann vom Dorfkonsum, wenn er gar nicht von Konsum betrie- ben wurde. 3. Bezeichnung für das Ministerium für Staatssicherheit und seine inoffiziellen Mitarbeiter. »Ich glaube, der ist auch im Kon- sum« bedeutete, man nahm an, der Betreffende reiche Informa- tionen an die Stasi weiter. 4. »Aus dem Konsum austreten« war eine euphemistische Um- schreibung für gestorben, dahingegangen, den Löffel abgegeben, über den Jordan gegangen usw. Kriegsminister Propagandabegriff; Bezeichnung für den Vertei- digungsminister der Bundesrepublik, namentlich in Person von Franz Josef Strauß, der von der DDR-Propaganda grundsätzlich als »Kriegsminister« tituliert wurde, wiewohl er natürlich auch in der Bundesrepublik umstritten war und sich manche heftige Kritik gefallen lassen musste. Kulturschaffender In der Propaganda und in Verlautbarungen ein Begriff, der dem Künstler gleichgestellt war und meist in ei- nem Atemzug mit ihm genannt wurde (»die Künstler und Kul- turschaffenden der DDR«). Geschaffen wurde dieser Begriff, um das im engeren Sinne nicht künstlerisch tätige Personal, etwa der Theater (Bühnenarbeiter, Mitarbeiter in den Werkstätten, Beleuchter, Verwaltungsangestellte), nicht gegenüber den Künstlern zu benachteiligen. Da der Begriff nach und nach im- mer weiter gefasst wurde, wurde er natürlich auch immer frag- würdiger. So wurden zum Beispiel organisiert Briefmarkensam- melnde oder Zierfischepflegende ebenfalls zu Kulturschaffen- den erhoben, was jedenfalls für eine beachtliche Weite des Kul- turbegriffes spricht. Sachlexikon | 33 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 33
Kundschafter Offizielle Propagandabezeichnung für einen Spion, sofern er für einen östlichen Geheimdienst im Westen spionierte. Kundschafter kundschafteten immer für den Frie- den. Spione des Westens waren hingegen immer Spione oder Agenten und sollten den Krieg vorbereiten. Kundschafter der DDR wurden vom Ministerium für Staatssicherheit geführt. Kundschafter im eigenen Land hießen nicht Kundschafter, son- dern Führungsoffiziere. Sie führten »Inoffizielle Mitarbeiter« oder waren selbst als »Offiziere im besonderen Einsatz« konspi- rativ im Zivilleben tätig; die bekannteste Gestalt aus der letztge- nannten Kategorie war Alexander Schalck-Golodkowski. LPG Abkürzung für Landwirtschaftliche Produktionsgenossen- schaft. Bei der Bodenreform im Herbst 1945 wurden absichtlich so kleine Betriebsgrößen für die Neubauern geschaffen, dass eine wirtschaftliche Führung der Höfe nahezu unmöglich war. So bekam man die Neubauern relativ leicht dazu, in Produkti- onsgenossenschaften einzutreten. Diese Genossenschaften wur- den wirtschaftlich durch den Staat bevorzugt; das wiederum üb- te wirtschaftlichen Druck auf die alteingesessenen Bauern aus, ebenfalls in die Genossenschaften einzutreten. Bis zum Frühjahr 1960 war die Kollektivierung – zum Teil unter Anwendung oder zumindest Androhung brachialer Methoden – abgeschlossen. Magazin, Das Einziges literarisch-kulturell-erotisch-unterhalt- sames Magazin der DDR, das darum zu Recht die Bezeichnung Das Magazin trug; eine Zeitschrift mit diesem Namen erschien schon von 1924 bis 1941; die 1954 in der DDR begründete Zeit- schrift stand damit aber in keinem inhaltlichen und verlegeri- schen Zusammenhang. Das Magazin wurde vor allem, aber nicht nur wegen seiner künstlerischen Aktfotos geschätzt. Mit einer Spitzenauflage von 560 000 Exemplaren im Jahr 1989 ge- hörte es zur absoluten Bückware. Mainelke Kultblume der Arbeiterklasse, politischste Blume der DDR, die besten und am echtesten wirkenden wurden im VEB Kunstblume Sebnitz hergestellt und gediehen am besten 34 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 34
mit echtem Sebnitzer Kunstblumendünger; Exemplare mit An- stecknadel wurden in Betrieben und Institutionen vor dem Ers- ten Mai verkauft. Die Mainelke war in begrenztem Ausmaß auch als Winkelement geeignet. Ein DDR-Bonmot bezeichnete – in Anspielung auf die Fülle der Orden und Auszeichnungen, die es in der DDR gab – einen Menschen, der noch nie einen Orden bekommen hatte, als einen »Träger der roten Mainelke«. Malimo Textilprodukt und Verfahrenstechnik auf Welthöchst- stand, wenigstens zur Zeit seiner Entwicklung; abgeleitet vom Namen des Erfinders und dem Ort der Erfindung (Mauersber- ger aus Limbach-Oberfrohna). Malimo-Textilien werden nicht gewebt, sondern in einem Nähwirkverfahren hergestellt. Der Vorzug gegenüber Webware ist, dass nicht nur immer ein Schussfaden nach dem anderen durch die Kette geschossen wer- den kann, sondern mehrere Nadeln gleichzeitig (theoretisch un- endlich viele) das Kettgut übersteppen können. Außerdem kann man mehrere Fasern miteinander kombinieren und anstatt Fä- den auch Vlies oder Filz als Kettgut verwenden. Für Trikotagen und Freizeittextilien setzte sich das Verfahren nicht wie ge- wünscht durch. Für Gebrauchs-, Deko- und Küchentextilien wurde es aber und wird es auch heute noch – auch in den USA – gern genutzt. Malimo war eines der wenigen technologischen Verfahren, mit denen die DDR international Furore machte. Mark der DDR Offizielle Bezeichnung für die Währung der DDR seit dem 1. Januar 1968, emittiert von der Staatsbank der DDR. Die offizielle Abkürzung war M, der IUSO-4217-Code lautete DDM. Die Mark der DDR war eine reine Binnenwäh- rung und trotz eines formell festgelegten Goldgehalts nicht konvertierbar. Vom 01. 08 . 1964 bis zum 31. 12. 1967 hieß die Währung Mark der Deutschen Notenbank (abgekürzt MDN), emittiert von der Deutschen Notenbank, ab dem 31. 10. 1951 hatte die Währung Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (abgekürzt DM) geheißen. Das noch vor Gründung der DDR während der Währungsreform Ost im Juni 1948 emittierte Geld hieß ebenfalls Deutsche Mark. Die Scheine der 1948er- Sachlexikon | 35 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 35
Serie wurden im Oktober 1957 in einer Sonntagsaktion umge- tauscht, der nächste Geldumtausch erfolgte im Sommer 1964, als die MDN-Geldscheine eingeführt wurden, die grafisch viel- leicht am besten gelungene Geldschein-Kreation der DDR. Seit 1971 wurden die einzelnen Werte erneut ausgetauscht. Die Geldscheine der Serie 1971–1975 in Stückelungen von 5, 10, 20, 50 und 100 Mark der DDR blieben bis zum Ende der DDR- Währung am 30. Juni 1990 in Umlauf. Nach der Währungsuni- on tauchten im Münzhandel auch Scheine zu 200 und 500 Mark auf. Sie waren 1985 angesichts der schleichenden Inflati- on entworfen worden und nicht mehr in Umlauf gekommen. Mauer Im engeren Sinne das am 13. August 1961 errichtete Sperrwerk rund um die Westsektoren von Berlin, das im Laufe der Zeit zu einer kaum überwindbaren Betonmauer ausgebaut wurde. Im übertragenen Sinne die Gesamtheit der Grenzbefes- tigungen, neben der Berliner Mauer also auch die Befestigung der »Staatsgrenze West«, die mit Sperrzäunen, Drahthindernis- sen, Selbstschussanlagen, Hundelaufanlagen und ähnlichen Per- versitäten gesichert war. Messe der Meister von morgen Jugendwettbewerb und Leis- tungsschau für wissenschaftlichen und technischen Nachwuchs in der DDR. Sie war, das ideologische Beiwerk abgerechnet, ver- gleichbar mit dem Wettbewerb »Jugend forscht« in der Bundes- republik. Ministerrat Formell die Regierung der DDR, aber man musste einen anderen Begriff von Regieren haben, wenn man sie als vollwertige Regierung akzeptieren wollte. »Der Ministerrat ist als Organ der Volkskammer die Regierung der Deutschen De- mokratischen Republik«, heißt es im Gesetz über den Minister- rat von 1972. Die Crux liegt aber im zweiten Satz, der der Ein- gangsdefinition unmittelbar folgt: »Er arbeitet unter Führung der Partei der Arbeiterklasse im Auftrage der Volkskammer die Grundsätze der staatlichen Innen- und Außenpolitik aus und leitet die einheitliche Durchführung der Staatspolitik der Deut- 36 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 36
schen Demokratischen Republik.« Der Verfassung nach das Exe- kutivorgan der Volkskammer, in der Wirklichkeit das Exekutiv- organ des Politbüros und der regierenden ZK-Abteilungen. Mitropa Gegründet 1916, als Catering noch nicht Catering hieß, für den Betrieb von Speise- und Schlafwagen (das Akro- nym bedeutet Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen Ak- tiengesellschaft). Nach 1945 blieb die Mitropa als Aktiengesell- schaft erhalten und war für die Bewirtschaftung in Häfen, auf Flughäfen und Bahnhöfen, der Speise- und Schlafwagen der Deutschen Reichsbahn und der Schiffe der Weißen Flotte zu- ständig. Berüchtigt war die Mitropa für die zweifelhafte Qualität ihrer Speisen und Getränke; dem Mitropa-Kaffee sagte man nach, die Tasse sei stärker gewesen als das Getränk. Mumpelspritze Soldatenjargon für den AK 47 (Awtomat Kala- schnikow 47), die Standardschützenwaffe in der NVA. Nationale Front Sie wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone gegründet, um als »Bündnis aller patriotischen Kräfte« zu wirken. Der martialische Name sollte auch im Westen Eindruck und national und antiamerika- nisch eingestellten Deutschen ein einheitliches Deutschland un- ter kommunistischer Führung schmackhaft machen. Tat er aber nicht. Der Name blieb, und keiner dachte mehr darüber nach. Die Nationale Front war Trägerin der Wahlen auf nationaler Ebene sowie auf den Ebenen der Bezirke, Kreise, Städte und Ge- meinden. Sie stellte eine Kandidatenliste auf, die offiziell »Wahl- vorschlag der Nationalen Front« hieß und im Westen Einheits- liste genannt wurde. Auf dieser Einheitsliste waren alle Parteien und Massenorganisationen nach einem bestimmten Proporz vertreten. Führungsorgan der Nationalen Front war der Natio- nalrat. Er sollte eigentlich vom Kongress gewählt werden, doch fand der letzte reguläre »Nationalkongress« 1969 statt. Im März 1990 versuchte ein außerordentlicher Kongress, die zerfallende Front als Nationale Bürgerbewegung neu zu formieren, doch war es schon im April 1990 damit endgültig vorbei. Sachlexikon | 37 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 37
Nationale Volksarmee Was im Westen der Bund, war im Osten die Fahne oder auch Asche: seit 1962 Pflichtübung für alle männlichen Jugendlichen bis zur Vollendung des 26. Lebensjah- res – es sei denn, man hatte einen zuverlässigen und anerkann- ten Orthopäden, der einen Morbus Scheuermann glaubhaft nachweisen konnte. Die NVA wurde mit Gesetz vom 18. Januar 1956 gegründet, offizieller Gründungstag ist der 1. März (als Tag der Nationalen Volksarmee alljährlich begangen). Die NVA knüpfte in ihrem äußeren Erscheinungsbild auffällig an »natio- nale Traditionen« an (steingraue Uniformen, Kragenspiegel und Schulterstücke, die denen der Reichswehr und der Wehrmacht ähnelten, die Form des Stahlhelms ist einem späten Versuchs- modell der Wehrmacht entlehnt) und nahm stärker als offiziell eingestanden die Hilfe von ehemaligen Offizieren und Unter- offizieren der Wehrmacht in Anspruch. Die allgemeine Wehr- pflicht wurde 1962 eingeführt; der Grundwehrdienst dauerte 18 Monate. Gegliedert war die NVA in die Landstreitkräfte (ca. 113 000 Mann), die Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (ca. 38 000 Mann) und die Volksmarine (ca. 16 000 Mann). Neben den ak- tiv Dienenden standen rund 385 000 gediente Reservisten bereit, sodass die NVA im Verteidigungsfall etwa 560 000 Mann – nicht gerechnet die Kontingente der Bereitschaftspolizei, der Staats- sicherheit (11 000 Mann) und der Grenztruppen (47 000 Mann) unter die Fahnen rufen konnte. NAW Abkürzung für Nationales Aufbauwerk; zu Beginn des Jah- res 1952 ins Leben gerufene Masseninitiative, um Baufreiheit für den Neubau der Stalinallee zu schaffen. Träger des NAW war die Nationale Front. Allein 1952 wurden 4 Millionen freiwillige »Aufbaustunden« – hauptsächlich mit Enttrümmerungs- und Aufräumungsarbeiten – im Umfeld der späteren Stalinallee ge- leistet. Später wurde das Nationale Aufbauwerk auf die gesamte DDR ausgedehnt. Typisch für NAW-Objekte waren Arbeitsein- sätze für Gemeinschaftsbauten – etwa Sportplätze, Kulturhäuser, Schwimmbäder. Bekanntestes NAW-Objekt ist der 1955 errich- tete Tierpark in Berlin-Friedrichsfelde. In den Sechzigerjahren verlagerten sich die NAW-Schwerpunkte weg von den Großob- 38 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 38
jekten hin zu Garagenbauten und Wohngebiets-kosmetik, bevor die Bewegung mangels Massenbasis sang- und klanglos (und von der Staatsführung, die längst Ideen für neue Masseninitiati- ven im Köcher hatte, ziemlich unbetrauert) entschlief. Neubauern Nach der Bodenreform im Herbst 1945 auf Boden- reformland angesiedelte Landwirte, die in vielen Fällen weder über geeignete Maschinen, Zugtiere und Saatgut noch über hin- reichende Erfahrung bei der Bewirtschaftung verfügten. Zahl- reiche Umsiedler aus den abgetretenen Ostgebieten wurden als Neubauern angesiedelt. Ihre Hofstellen wurden absichtlich so klein gehalten, dass ein wirtschaftlicher Betrieb kaum möglich war. Auf diese Weise hoffte man, die Neubauern schnell in Ge- nossenschaften zu organisieren, was auch wenige Jahre später geschah. Neuererbewegung Ständige Form der »schöpferischen Massen- initiative« der Werktätigen im sozialistischen Wettbewerb. Of- fiziell standen der wissenschaftlich-technische Fortschritt, die Weiterentwicklung der Erzeugnisqualität sowie die Einsparung von Material, Energie und Arbeitszeit im Blickpunkt. In der Pra- xis drehte es sich aber oft um Kleinrationalisierung an veralteten Anlagen, um Aushilfen und Improvisationslösungen. Darin aber waren die Arbeiter tatsächlich findig. Innerbetrieblich wur- den sogenannte Neuerervereinbarungen abgeschlossen und ent- sprechende Leistungen auch mit Geldprämien honoriert. Neues Deutschland Größte Tageszeitung (abgekürzt ND) der DDR. Was im ND stand, hatte immer einen offiziellen Anstrich. Manchmal so offiziell, dass selbst die Offiziellen davon über- rascht wurden. So erfuhr zum Beispiel in den späten Achtzigern der Minister für Post- und Fernmeldewesen der DDR aus dieser Zeitung, dass er soeben die Einfuhr der sowjetischen Zeitschrift »Sputnik« verboten hatte, weil sie nach seiner (ihm bis dahin unbekannten) Ansicht keinen Beitrag zur deutsch-sowjetischen Freundschaft liefere. Dergleichen Vorgänge waren nicht unge- wöhnlich für eine Zeitung, die eigentlich keine Zeitung war, Sachlexikon | 39 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 39
sondern ein Zentralorgan, genauer gesagt das »Organ des Zen- tralkomitees der SED«. Im ND wurden folglich die Ansichten des obersten Führungsgremiums der SED dargestellt, und die wurden häufig verkörpert von den Ansichten des Generalsekre- tärs. In der Sputnik-Affäre darf man wohl auch davon ausgehen, dass die Ansichten des Generalsekretärs zu den Vorgängen in der Sowjetunion so stark von der sowjetischen Sicht auf diese Vor- gänge abwichen, dass der gütige Landesvater seinem Staatsvolk eine weitere diesbezügliche Belastung der deutsch-sowjetischen Freundschaft ersparen wollte. Auch in allen übrigen Belangen war das Neue Deutschland immer offiziell. Betrüblich war nicht nur die Verlogenheit der Berichterstattung, sondern auch der Schematismus des Stils und die Langeweile, die das Blatt regel- recht atmete. Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung (NÖSPL) Auf dem VI. Parteitag der SED (1963) beschlossene Neuorien- tierung der Wirtschaftspolitik. Das Wirtschaftssystem sollte mo- dernisiert und rationalisiert und im Ganzen flexibler gestaltet werden, um den Anschluss an die wissenschaftlich-technische Revolution nicht zu verlieren. Ansätze zur Dezentralisierung und zur relativen Autonomie der Betriebe wurden erprobt, je- doch nicht konsequent durchgeführt. Ab 1967 sprach man vom »Ökonomischen System des Sozialismus«, aber nach 1970 brach man die Entwicklung vollständig ab und kehrte zu starrer Zen- tralisierung und Reglementierung zurück. NSW Offizielle Abkürzung für »Nichtsozialistisches Wirt- schaftsgebiet«, umfasste alle nichtsozialistischen Staaten ein- schließlich der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Formu- lierung »Wirtschaftsgebiet« ersparte man sich die Diskussion darüber, ob die Bundesrepublik nun im eigentlichen Sinne Aus- land sei oder nicht. Offenstall Auch Schuppenstall genannt, bezeichnet dieser Be- griff eine nach sowjetischem Modell seit Anfang der Fünfziger- jahre vorgenommene Haltungsform von Rindern, die angeblich 40 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 40
Seuchen vorbeugen sollte. Zweifellos waren zahllose alte Stallan- lagen aus tierhygienischer Sicht ungenügend. Die vorherrschen- de Baustoffknappheit und die mutwillige Zerstörung der gro- ßen Gutsbetriebe im Zuge der Bodenreform machten eine schnelle Wende unmöglich – da kamen die »sowjetischen Erfah- rungen« mit den Rinderoffenställen wie gerufen. Kritische Stim- men, die die Offenställe schlicht als »überdachte Dungplätze« bezeichneten, wurden unterdrückt. Wer gegen Offenställe war, war gegen den Frieden! Die Bauern haben gelitten, als sie ihre Rinder in den Offenstall stellen und zusehen mussten, wie die Kühe erfroren, wenn sie im Winter bei minus 10 und minus 20 Grad in ihrem eigenen Mist standen. Aber um der Ideologie wil- len nahm die DDR-Führung sogar eine Ernährungkatastrophe billigend in Kauf. Ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich (Ökulei) Teil des sozialistischen Wettbewerbs mit Resultaten, die manchmal so kurios waren, wie das Akronym »Ökulei« klang. Die Initiatoren dieser Maßnahme gingen davon aus, dass im Sozialismus nicht nur das Materielle zählen sollte, sondern auch die Kultur, deren Höhen bekanntlich nach Ulbrichts Aufforderung zu er- stürmen waren. Folglich bemühten sich die Arbeitskollektive (Kollektiv), auch kulturell etwas auf die Beine zu stellen. Wenn es zu mehr reichte als zum jährlichen Pflichtbesuch im Theater, konnte es durchaus passieren, dass die Grenze zum künstlerischen Volksschaffen überschritten wurde. Ökonomischer Hebel Nein, hier handelt es sich nicht um ein Maschinenteil und auch nicht um das Gegenteil eines – Ach- tung, Kalauer! – politischen Senkels, sondern um die Bezeich- nung für ein wirtschaftliches Steuerungsinstrument im Rahmen der zentralen Planwirtschaft. Der Hebel sollte sowohl im volks- wie im betriebswirtschaftlichen Rahmen angesetzt werden. Da sich die materielle Interessiertheit der Menschen durch Plan und Propaganda allein nicht ersetzen ließ, öffneten die DDR- Ökonomen ihren Werkzeugschrank und zogen Kosten, Preis, Umsatz und Gewinn als produktivitätsfördernde Hebel sowie Sachlexikon | 41 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 41
verschiedene Lohnformen und Prämiensysteme als schwere Stemmeisen der Arbeiterklasse heraus. Besonders während der wirtschaftspolitischen Reformversuche in den Sechzigerjahren wurde kräftig mit diesen Hebeln hantiert. Seit 1971 war von Re- formen nicht mehr die Rede; an den Hebeln wurde weiter ge- spielt. Bald hießen sie »sozialpolitische Maßnahmen« und he- belten die gesamte Ökonomie des Landes nach und nach aus. Olsenbande Dänisches Gaunertrio, das außerhalb Dänemarks nur in der DDR durchschlagenden Erfolg hatte. Warum ausge- rechnet hier die Kinobesucher darauf abfuhren, wird ein sozio- logisches Geheimnis bleiben. Und warum die Filmverantwort- lichen mit besonderer Sorgfalt und mit Spitzenkräften an die Synchronisation gingen und die für DDR-Verhältnisse doch ei- gentlich subversive Moral der Streifen nicht bemerkten, auch. Bewundert wurden die Improvisationsgabe der Olsenbande, die geradlinige Unverfrorenheit, mit der sie sich mit Großen und Mächtigen anlegte, und die Hartnäckigkeit des Stehauf- männchens, mit der sie sich nach allen Pleiten wieder aufrichte- te. »Was haben die FDJ und die Olsenbande gemeinsam?«, fragte ein Witz in den späten Siebzigern. »Beide Chefs heißen Egon«, lautete die Antwort. »Und worin liegt der Unterschied?« – »Die Olsenbande hört auf Egon.« Palast der Republik Zentrales Gebäude in Berlin, Grundsteinle- gung 1973, fertiggestellt bereits 1976 (an der Stelle des früheren Berliner Stadtschlosses); im Volksmund auch Palazzo prozzo oder Erichs Lampenladen genannt, geschlossen 1990 wegen Asbest-Verseuchung, wird seit Anfang 2006 schrittweise abgeris- sen. Beliebt war der Palast wegen seiner vergleichsweise an- spruchsvollen Gastronomie, der Kulturveranstaltungen (Sinfo- niekonzerte, Rock-Events, große Unterhaltungsshows), die im großen Saal stattfanden, und der Post, die auch am Sonntag ge- öffnet hatte und von deren Telefonen aus man relativ leicht nach dem Westen telefonieren konnte. Daneben war auch der Plenar- saal der Volkskammer untergebracht (von der Volkskammer nur zweimal im Jahr genutzt). Der große Saal war seit 1976 Ver- 42 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 42
anstaltungsort der Parteitage der SED und anderer großer Kon- gresse (die ja nun auch nicht so häufig stattfanden). Ansonsten ist die offizielle Charakterisierung als »Palast des Volkes« einmal ausnahmsweise nicht daneben gegriffen, denn er wurde tatsäch- lich vom Volk ziemlich unbefangen und selbstverständlich ge- nutzt. Parteigruppenorganisator Ehrenamtlicher Funktionär auf der untersten Ebene der Parteihierarchie, der eine Parteigruppe lei- tete, die in den Betrieben auf unterer Strukturebene gebildet wurde. Personenkennzahl 1970 eingeführte, unverwechselbare Kenn- zahl (abgekürzt PKZ) für jeden Bürger der DDR, die in den Per- sonalausweis eingetragen wurde. Die ersten sechs Ziffern ver- schlüsselten das Geburtsdatum (zum Beispiel 230856 = 23. Au- gust 1956), die siebente Ziffer das Geschlecht (zum Beispiel 4 = männlich, nach 1900 geboren; 5 = weiblich, nach 1900 geboren) und die letzten fünf Ziffern (zum Beispiel 22812) setzten sich zusammen aus der dreistelligen Schlüsselnummer des Meldere- gisters, einer fortlaufenden Nummer des Geburtstages und ei- ner Prüfziffer. PGH Abkürzung für Produktionsgenossenschaft des Hand- werks. Die PGHs waren ein wichtiger Wirtschaftssektor, beson- ders für Kleinreparaturen (in der PGH »Hans Sachs« wurden – wer hätte es gedacht – beispielsweise Schuhe repariert) und Dienstleistungen (in der PGH »Figaro« waren die Friseure zu- sammengefasst). Picasso-Euter Kosename für die Tetraeder, in denen seit den Siebzigerjahren H-Milch, Kakaotrunk, Kaffeesahne und andere flüssige Milchprodukte angeboten wurden. Die Verpackungsart in foliebeschichteten Kartons ging auf ein Patent der schwedi- schen Firma Tetrapack zurück. Der Kosename spielte auf die ku- bistische Phase im Schaffen Picassos und den Inhalt der Tetra- eder an. Sachlexikon | 43 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 43
Pioniere Sammelbezeichnung für Kinder der Altersstufe 6 bis 14 Jahre, die der »Pionierorganisation Ernst Thälmann« (einer Gliederung der FDJ) angehörten. Die Pioniere des ersten bis dritten Schuljahres wurden Jungpioniere genannt. Sie trugen das blaue Halstuch. In der vierten Klasse wechselte man zu den eigentlichen »Thälmann-Pionieren«; das Halstuch war anfangs ebenfalls blau, nach 1973 wurde es gegen ein rotes Halstuch aus- getauscht. Im Alter von 13 oder 14 Jahren konnte man in die FDJ aufgenommen werden. Die Pionierorganisation pflegte Pfadfin- derromantik (daran erinnerte die Staffage aus Wimpel, Hals- tuch und Marschgesängen), hielt zu Altstoffsammlungen an und bemühte sich um die sozialistische Erziehung. Reichte an- fangs das blaue Halstuch als Erkennungsmerkmal, kam später die Pionierbluse/das Pionierhemd dazu, dann ein Käppi und ei- ne uniformähnliche Jacke. Pionierrepublik Vollständige Bezeichnung: »Pionierrepublik Wilhelm Pieck«, 1951/52 aufgebaut und am 16. Juli 1952 in An- wesenheit des Namenspaten, des Präsidenten Wilhelm Pieck, feierlich eröffnet. Nach dem Vorbild des sowjetischen Alluni- ons-Pionierlagers »Artek« gestaltet, umfasste dieses größte und bekannteste Pionierlager zahlreiche Wohn- und Funktionsge- bäude, ein Stadion, weitere Sport- und Freizeitanlagen, ein Strandbad und Bootsstege. 1954 wurde der zweite Teil des La- gers übergeben und das Gelände nach und nach – bis zu einem Umfang von 1,1 Quadratkilometern – ausgebaut. Heute ist es die »Europäische Jugenderholungs- und Begegnungsstätte Wer- bellinsee«; die Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Personenkult Verherrlichung führender Persönlichkeiten in der Politik nach dem sowjetischen Muster der Stalin-Verehrung (Stalin) war auch in der DDR anzutreffen. Personenkult wur- de meist aus zwei Elementen aufgebaut: der Verehrung toter Hel- den und der Verehrung der Nachfolger der toten Helden, wobei die Letzteren den noch Lebenden als Legitimationsbasis dienen mussten. In der Sowjetunion war es der Leninkult, den Stalin be- nutzte, um seinen eigenen Kult darauf aufzubauen; Stalin erfand 44 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 44
den Leninismus als den »Marxismus unserer Tage«, um sich, da- rauf gestützt, als »Lenin der Gegenwart« feiern zu lassen. In der DDR war es Ernst Thälmann, den die Nationalsozialisten 1944 ermordeten, was seinen Heldenstatus begründete und alle Fra- gen nach seinem Verhalten 1933 und der charakterlichen, politi- schen und intellektuellen Befähigung, die KPD zu führen, im Keim erstickte. Im Lichtschein des unsterblichen Toten wuchsen Ulbricht und die Seinen aus dem »Thälmann’schen Zentralko- mitee« (soweit sie Stalins mörderische »Säuberungen« überlebt hatten) empor: Sie ließen Stadien (Walter-Ulbricht-Stadion, 1951) und Fabriken (Leuna-Werke »Walter Ulbricht« 1951) nach sich benennen, ein Pionierlager (»Pionierrepublik Wilhelm Pieck«, 1952) und Schiffe (Segelschulschiff »Wilhelm Pieck«), auch der ehemalige Sozialdemokrat Otto Grotewohl bekam et- was ab (Otto-Grotewohl-Stadion Aue, 1951). Mit Honeckers Machtübernahme hörte die Verkultung lebender Personen schlagartig auf. Sogar Walter Ulbricht musste noch zu Lebzeiten sein Stadion wieder hergeben. Von nun an wurden »revolutionä- re Vorbilder«, sofern sie gestorben waren, für die Benennung von Betrieben, Brigaden oder Straßen freigegeben, wobei ein strenges System der Rangordnung eingehalten werden musste. Politbüro- mitglieder und Spitzenfunktionäre waren für Hauptstraßen re- serviert. Nebenstraßen mussten mit »einfachen« Widerstands- kämpfern oder Schriftstellern Vorlieb nehmen. Plan Eine der heiligen Kühe im politischen System des Sozia- lismus in der DDR. »Der Plan ist Gesetz« hatte schon etwas von »L’état c’est moi«. Der Begriff Plan war Ausdruck für den gesam- ten bürokratischen Vorgang der Planung und Bilanzierung der Volkswirtschaft. An oberster Stelle wurde der Planungsvorgang von der staatlichen Plankommission gelenkt. Indes wurde auch in deren Entscheidungen politisch – das heißt direkt aus dem Politbüro – hineinregiert. Bis auf wenige Ausnahmen hatten zentrale Planentscheidungsverfahren den Vorrang gegenüber Formen dezentraler Planentscheidung. Die zentrale Planung drückte sich aus in einem komplizierten System der Bilanzen und Kennziffern. Sachlexikon | 45 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 45
Platte DDR-Jargon für die Neubausiedlungen, die meist am Rand der bestehenden Städte in Großblock- oder Tafelbauweise gebaut wurden. Praktisch wurde der gesamte Wohnungsbau seit 1970 in dieser Bauweise durchgeführt. Typische Großsiedlun- gen, die in den Siebzigerjahren entstanden und als Synonyme für die Plattenbauweise genannt wurden, sind Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau, Dresden-Prohlis und Rostock Lütten Klein. Poliklinik Einrichtung des staatlichen Gesundheitswesens für die ambulante medizinische Versorgung, etwa dem Ärtzehaus in der Bundesrepublik vergleichbar. Vom Grundsatz ist die Zusam- menfassung aller Allgemein- und Fachmediziner, der Zahnärz- te, Kinderärzte und Fachabteilungen wie Radiologie, Physiothe- rapie und Labor ökonomisch sinnvoll und kann – theoretisch – die Wege für die Patienten verkürzen und den bürokratischen Aufwand senken, sofern die Poliklinik über genügend Kapazität für das Einzugsgebiet verfügt, für das sie zuständig ist. In der Praxis erreichten nur wenige Polikliniken den Idealzustand. Große Unternehmen und Kombinate unterhielten eigene Be- triebspolikliniken. Postmietbehälter Mehrfach verwendbarer Faltbehälter aus ge- presster Hartpappe, der bei der Post gegen Entgelt entliehen werden konnte. Postmietbehälter waren in drei Größen erhält- lich und sollten der Verpackungsmittelknappheit aufhelfen. practic Ratgeber-Zeitschrift, die vom FDJ-Zentralrat heraus- gegeben wurde und einmal im Quartal erschien. Mit Tipps und Bauanleitungen für praktische Dinge des Alltags wurde Versor- gungsengpässen zu Leibe gerückt. Was die Industrie nicht auf die Reihe kriegte, baute sich der gelernte DDR-Bürger halt selbst. Beispielsweise eine Scheibenwaschanlage aus Plast-Senf- bechern nebst diversen Fahrradersatzteilen für den Trabant (lange bevor Sachsenring Zwickau so etwas serienmäßig anbot). Oder eine Trockenhaube für die Haarpflege aus alten Lampen- ständern, Föhn und Plastfolien. Oder eine zünftige Disko-Be- leuchtung für den Partykeller der Hausgemeinschaft. 46 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 46
Präsent 20 Textilprodukt, das auf Großrundstrick- maschinen aus synthetischen Fasern gewonnen wur- de. Das Verfahren wurde 1969 entwickelt und war ein Geschenk der Textilindustrie an den Staat zum 20. Geburtstag oder ein Geschenk des Staates an sei- ne Bürger – je nachdem. Präsent 20 war für Konfek- tion nicht besonders gut geeignet, wurde aber zu An- zügen und Kostümen verarbeitet. Man fing in dieser Plastikkluft zwar schnell zu müffeln an, konnte aber dafür seinen Anzug in der Waschmaschine waschen. Was man diesen Anzügen allerdings dann ansah. Besser eignete sich Präsent 20 für den Bezug von Kinderwagen, die in der DDR ja doch relativ häufig gebraucht wurden. Protokollanstrich Besondere Art des Hausanstrichs in Berlin, Hauptstadt der DDR. Dort wurden die Häuser – meist Altbauten aus der Zeit vor 1940 – ent- lang der Protokollstrecke (der Route, die die Limou- sinen der Politbüromitglieder von Wandlitz zum Gebäude des Zentralkomitees nahmen) nur so weit gestrichen, wie der Farbanstrich aus den Seitenschei- ben der Limousinen gesehen werden konnte – also in der Regel bis zur Höhe des ersten Obergeschosses. Protzkeule DDR-Jargon für den Berliner Fernseh- turm, offenkundig von Berlinern erfunden und von Berlinern verbreitet (Telespargel, Sankt Walter). Raufutter verzehrende Großvieheinheit Offizielle Bezeichnung (abgekürzt RVG) für eine statistische Kuh. In der DDR-Landwirtschaft diente sie als Maß- stab, um eine vergleichbare Größe für den Bestand an Rau- und Saftfutter verzehrendem Vieh – Rinder, Schafe, Pferde (auch Schweine, soweit sie Rau- und Saftfutter erhielten) – in einem landwirtschaftlichen Betrieb zu ermitteln. Sachlexikon | 47 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 47
Reichsbahn (eigentlich: Deutsche Reichsbahn) Der Name des Reichsunternehmens aus der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches wurde beibehalten, nachdem ein Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Deutsche Reichsbahn damit beauftragt hatte, den geregel- ten, schienengebundenen Güter- und Personenverkehr im Ge- biet der Sowjetischen Besatzungszone wieder aufzunehmen (Befehl Nr. 8 der Transportabteilung der SMAD). Der Name blieb auch deshalb erhalten, weil Sonderrechte in den Westsek- toren Berlins an die Deutsche Reichsbahn geknüpft waren. Für den Personen- und Güterverkehr besaß die Reichsbahn in der DDR, nicht zuletzt wegen des geringen Motorisierungsgrades, eine überragende Bedeutung. Mit der Quantität – der Dichte des Eisenbahnnetzes und der hohen Zugfrequenz auf bestimm- ten Strecken – konnte die Qualität nicht mithalten. Zuverlässig- keit und Pünktlichkeit waren ein Problem, das die Reichsbahn aufgrund des überstrapazierten Schienennetzes und des veralte- ten bis verschlissenen rollenden Materials zeit ihrer Existenz nicht in den Griff bekam. Auch die Sauberkeit in den Zügen und der Zustand der sanitären Anlagen – vom Service der Mitropa ganz zu schweigen – gaben häufig Anlass zu Klagen. Dem gegenüber stand im Personenverkehr ein überaus niedri- ger Fahrpreis (8 Pfennig pro Kilometer in der 2. Klasse, 11,6 Pfennig in der 1. Klasse). Die Fahrt von Dresden nach Berlin im D-Zug kostete 17,40 Mark und dauerte rund zwei Stunden. Heute kostet die Fahrt im EuroCity 34 EUR und dauert eben- falls rund zwei Stunden. Rennpappe DDR-Jargon für den PKW Trabant. Rotlichtbestrahlung DDR-Jargon für besondere politische Ver- anstaltungen, Schulungen politischen Inhalts u. Ä . Rote Woche Inoffizielle Bezeichnung für die sogenannte Ein- führungswoche an Universitäten, Hoch- und Fachschulen, wäh- rend der es hauptsächlich politische Veranstaltungen, ideologi- sche Schulungen u. Ä . zu genießen galt. 48 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 48
Rumpelkammer Willi Schwabes »Rumpelkammer« ging zum ersten Mal am 13. Dezember 1955 auf Sendung und brachte es bis zum Sommer 1990 auf 387 Folgen; sie dürfte da- mit die weltweit langlebigste Sendereihe vergleichbaren For- mats gewesen sein. Schwabe kletterte im Vorspann mit einer al- tertümlichen Laterne eine Treppe zum Dachboden hinauf; da- zu erklang der »Tanz der Zuckerfee« aus Tschaikowskis Ballett »Der Nussknacker« – dadurch verbinden viele dieses Musik- stück mehr mit der »Rumpelkammer« als mit klassischem Bal- lett. Schwabe »kramte in alten Filmerinnerungen«: Gezeigt wurden Filmausschnitte alter Produktionen aus der Zeit vor 1945, die Schwabe humorvoll und sachkundig kommentierte. Anfangs stolperte er noch über Requisiten, die ihn stets zuver- lässig an einen bestimmten Film erinnerten, später ließ er es bei verbalen Stöbereien bewenden und nahm in einer ziemlich aufgeräumt wirkenden Rumpelkammer Platz. Kenner meinen, die später produzierten farbigen Rumpelkammern hätten nie mehr den gleichen Charme besessen wie die alten, in Schwarz- weiß aufgenommenen. Sandmännchen Figur des DDR-Fernsehens, die den Wettlauf gegen den West-Sandmann knapp gewann und am 22. Novem- ber 1959 (neun Tage vor dem West-Sandmann im SFB) erst- mals Traumsand verstreute. Das Ost-Sandmännchen – immer beliebter als sein westliches Brüderchen – bekam 1960 seine endgültige Form mit dem Spitzbart und brachte es im Lauf der Jahrzehnte zu einem beachtlichen Fuhrpark, zu dem außer Fahrzeugen aus dem DDR-Alltag (Straßenbahn, Traktor, Stra- ßenkehrmaschine) auch märchenhafte und futuristische Ge- fährte gehörte (Raumfahrzeuge, sogar ein Mondmobil). Der Auftritt der Handpuppe mit dem charakteristischen Sand- männchenlied (vielleicht das meist gespielte Lied im deutschen Sprachraum) bildete den Rahmen für eine Gute-Nacht-Ge- schichte, die manchmal nett, manchmal betulich, manchmal kindgerecht und manchmal nur einfach pädagogisch peinlich war. Sandmännchenfolgen werden heute vom RBB für die ARD produziert. Sachlexikon | 49 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 49
Sankt Walter Volkstümliche Benennung des Berliner Fernseh- turms, die aufgrund der unmittelbaren Nähe der Marienkirche und der eigenartigen Metallbeplankung der Turmkugel, die das Sonnenlicht in Form eines Kreuzes zu reflektieren pflegt, zu- stande kam. (Protzkeule, Telespargel) Schallplattenunterhalter Dem Wortsinne nach ein Mann, der Schallplatten unterhält, wobei dann immer noch zu fragen wä- re, ob er für den Unterhalt der Schallplatten aufkommt oder ob er den Schallplatten Unterhaltung im Sinne von Zerstreuung bietet. Die Frage ist freilich müßig, denn der Schallplattenunter- halter unterhielt mittels Schallplatten: nämlich tanzbeinschwin- gende Jugendliche in der Diskothek. Er war ein Diskjockey, sollte aber nicht so heißen. Schwarze Husaren Das preußische Husarenregiment Nr. 5 trug den Titel Schwarze Husaren vor allem wohl wegen ihrer Unifor- mierung. In der DDR-Volkswirtschaft nahm die Farbbezeich- nung Bezug auf eine besondere Form der Schwarzarbeit. Schwarze Husaren waren Arbeitskräfte, die in keiner Bilanz und in keinem Stellenplan auftauchten. Man gewann sie durch »temporäre interne Freisetzung« – etwa wenn ein Diplominge- nieur, der früher Schlosser war, zeitweilig eine uralte abgeschrie- bene Maschine bediente, um am Monats- oder Quartalsende die Planerfüllung (Plan) zu sichern. Das war möglich, weil zum Beispiel ingenieurtechnisches Personal und Verwaltungskräfte zeitweilig entbehrt werden konnten. Schwarze Husaren waren gewissermaßen die »schnelle Eingreiftruppe« der Betriebslei- tung. Sie bildeten häufig die Besatzungen für U-Boote. Schwarze Kanal, Der Sendung von und mit Karl-Eduard von Schnitzler, die von 1960 bis zur Absetzung am 30. Oktober 1989 lief. In der letzten Sendung verabschiedete sich von Schnitzler von den Zuschauern mit der Drohung, er werde seine journalis- tische Arbeit für den Sozialismus fortsetzen. Im Schwarzen Kanal wurden Ausschnitte aus westdeutschen – vornehmlich publizistischen – Fernsehsendungen aus dem Zusammenhang 50 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 50
gerissen, in neue Zusammenhänge gestellt und vom »Klassen- standpunkt« aus kritisch kommentiert. Von Schnitzlers Kom- mentarstil galt als giftig, gehässig und zynisch. Der Schwarze Kanal wurde eigentlich nur im »Tal der Ahnungslosen« in nennenswertem Umfang gesehen und hier weniger wegen der Kommentare des Herrn von Schnitzler als wegen der Hoffnung, wenigstens ein paar Minuten Original-Westfernsehen auf dem Schirm zu haben. Sekundärrohstoffe Offizielle Bezeichnung für Altstoffe, denen in der DRR, als einem rohstoffarmen Land, große Aufmerksam- keit gewidmet wurde. Erich Honecker erklärte noch 1987: »Die Wiederverwendung der Sekundärrohstoffe und industriel- len Abprodukte im betrieblichen und volkswirtschaftlichen Kreislauf ist noch effektiver zu gestalten. Bekanntlich sieht der Fünfjahrplan (Plan) vor, im Jahre 1990 14 Prozent unseres Be- darfs an wichtigen industriellen Rohstoffen aus dieser Quelle zu decken.« Zu dieser Zeit kamen 43 Prozent des Altpapiers, 24 Pro- zent der anfallenden Buntmetalle und 64 Prozent der Alttexti- lien, die verarbeitet wurden, aus privaten Haushalten der DDR. Für die Altstoffsammlungen wurden besonders die Kinder mo- bilisiert. Dabei brach zuweilen ein regelrechtes Wettbewerbsfie- ber aus. Außerdem waren die Ankaufpreise für Sekundärroh- stoffe nicht zu verachten: Für ein Kilo gebündeltes Altpapier gab es immerhin 30 Pfennig. Und eine Monatsportion abgelegtes Neues Deutschland wog ganz schön. Für Flaschen und Gläser gab es durchweg 5 Pfennig das Stück. Das war zwar ein höllisches Geklapper, aber man hatte doch schneller als gedacht ein paar Mark zusammen, die das Taschengeld aufbesserten. Später wur- den auch Kronkorken, leere Spraydosen, Kleinschrott aller Art (zusammengedrückte Konservendosen) und Metallfolien ange- nommen. Singebewegung Mitte der Sechzigerjahre entstandene Musik- richtung, die Jugendlichen eine musikalische Selbstbetätigung jenseits klassischer Hausmusik und kommerzieller Popmusik ermöglichen sollte. Musikalische Hauptquelle war die amerika- Sachlexikon | 51 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 51
nische Protestsong-Bewegung, in der DDR hauptsächlich ver- mittelt über den kanadischen Sänger Perry Friedman. Der Ber- liner Hootenanny-Club nannte sich 1967 in »Oktoberklub« um und wurde unter der Regie der FDJ zu einem politischen wie musikalischen Vorbild für weitere Klubs und Gruppen dieser Art aufgebaut. Einige der damaligen Gründungsmitglieder machten in der DDR im Partei- und Staatsapparat Karriere. Auf Initiative des Oktoberklubs fand in Berlin von 1970 bis 1990 das »Festival des politischen Liedes« statt, das das Flair der Interna- tionalität verbreitete. Neben den Vorzeige-Klubs wurden Singe- gruppen an nahezu allen Hochschulen, in Großbetrieben sowie an Schulen aufgebaut. Die Bewegung nahm einen teils kampa- gneartigen, teils stark durchorganisierten Charakter an. Im Kli- ma der offiziellen Förderung gediehen aber auch eigenständige künstlerische Leistungen, die sich rasch professionalisierten wie die Folk-Gruppe »Wacholder« oder Gruppen wie »Karls En- kel«, das Liedertheater »SCHICHT« und die »Brigade Feuer- stein«. Sozialismus Am treffendsten definiert als Methode zur Über- windung von Problemen, die es ohne den Sozialismus gar nicht gäbe. Der Sozialismus sollte laut Beschluss der II. Parteikonfe- renz der SED »aufgebaut« werden. »In Übereinstimmung mit den Vorschlägen aus der Arbeiterklasse, aus den Reihen der werktätigen Bauern und aus anderen Kreisen der Werktätigen hat das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossen, der II. Parteikonferenz vorzuschla- gen, dass in der Deutschen Demokratischen Republik der Sozia- lismus planmäßig aufgebaut wird«, verkündete Walter Ul- bricht im Juli 1952. Elf Monate später flog den Funktionären ihr Sozialismus um die Ohren, und die Arbeiterklasse unterbreitete ein paar Vorschläge – freie Wahlen, Streikrecht, Wiedervereini- gung –, die den Funktionären nicht so gut gefielen. Damit der Sozialismus, der nach Meinung der SED in der DDR herrschte, nicht mit einem Sozialismus verwechselt wurde, den sich die Menschen vorstellten oder wünschten, erfanden die führenden Ideologen in der DDR – man munkelte, es sei Kurt Hager 52 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 52
selbst gewesen; nach anderen Quellen wurde dabei nur eine Be- grifflichkeit westlicher Medien aufgegriffen – den Begriff des »real existierenden Sozialismus«. Dieser Begriff hat einen gewis- sen Nonsensfaktor, denn er impliziert, dass es auch einen real nicht existierenden Sozialismus oder einen irreal existierenden Sozialismus geben könne. Sozialistische Wartegemeinschaft Der Begriff parodierte die weit verbreitete Neigung der Funktionäre, die Dinge nicht beim richtigen Namen zu nennen und stattdessen beschönigende, verschleiernde Ausdrücke zu finden. Hier trieb es der Volks- mund auf die Spitze: Gemeint ist die Schlange, die sich vor ei- nem Geschäft bildete, wenn es »was gab«. Sozialistischer Wettbewerb In vielfältigen Formen geführte po- litische Dauerkampagne, die zu höheren Leistungen – beson- ders in der Produktion – führen sollte. Da der Ökonomie des Sozialismus wirtschaftliche Wettbewerbsanreize wie Markt und Konkurrenz im Wesentlichen fehlten, mussten moralische und politische Anreize geschaffen werden, um das starre System in Bewegung zu halten. Der sozialistische Wettbewerb wurde häufig »aus Anlass und zu Ehren« (eines Jahrestags, eines Partei- tags, der Wahlen) geführt und mit wechselnden Losungen aus- gestattet. Spalier Am besten mit »Menschenmauer zu beiden Seiten der Straße« umschrieben. Spalier wurde gebildet (sofern man es als Außenstehender betrachtete), und Spalier stand man (sofern man als Betroffener Teil der Menschenmauer war). Der Auffor- derung, Spalier zu bilden, folgte die Bevölkerung bereitwillig, solange es sich um die heimkehrenden Olympiahelden von 1960 handelte (Ingrid Krämer wurde im offenen Wagen durch die Stalinallee gefahren; nur wenigen Staatsoberhäuptern wurde diese Ehre zuteil) oder um die ersten sowjetischen Kosmonau- ten. Als Ende der Siebzigerjahre hingegen Nikolae Ceausescu die DDR besuchte, war es schon sehr schwer, in Dresden genügend Leute auf die Straße zu bringen, die dem transsilvanischen Un- Sachlexikon | 53 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 53
geheuer zujubelten. Schließlich behalf sich die Partei damit, dass sie die Betriebe anwies, Arbeiter und Angestellte während der Arbeitszeit abzustellen, doch häuften sich auch hierbei orthopä- dische Leiden und spontane Erkrankungen des Verdauungs- traktes so stark, dass das Spalier sehr dünn ausfiel. Sport war das Aushängeschild der DDR. Leistungssportler wa- ren die Ersten, die den Namen DDR im Ausland bekannt mach- ten. In den Sechzigerjahren leisteten Sportler mehr für die Aner- kennung der DDR als alle Diplomaten und Politiker. DDR- Sportler leisteten Erstaunliches – auch schon zu Zeiten, als die DDR noch zu arm zum Doping und die eigene Pharma-For- schung noch nicht weit genug für »unterstützende Mittel« war. Erich Honecker ließ es sich nie nehmen, persönlich Orden an die Brust erfolgreicher Sportler – und noch lieber Sportlerinnen – zu heften. Der Sport war fast das einzige Feld, auf dem die DDR dauerhaft den Weltstand mitbestimmte. Davon profitierte auch der Breitensport, in dem eine sehr gut ausgebaute Leistungs- und Auswahlpyramide gründete. Nur auf dem Fußballfeld – Fußball war auch der Ostdeutschen liebste Sportart – klappte es nie so recht, bis auf jene 78. Minute im Hamburger Volkspark- stadion vielleicht ... Dafür hatten die DDR-Fußballvereine Na- men, von denen der westdeutsche Ballsportler nur träumen konnte. Zehn der abgefahrensten Vereinsnamen BSG Veritas Wittenberge BSG Landbau Bad Langensalza BSG Glückauf Sondershausen BSG Kali Werra Tiefenort BSG Lok/Armaturen Prenzlau BSG Robotron Sömmerda BSG Empor Tabak Dresden BSG Hydraulik Nord Parchim BSG Motor Warnowwerft Warnemünde BSG Motor Ascota Karl-Marx-Stadt 54 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 54
Sputnik 1. Serie künstlicher Erdtrabanten der UdSSR; aus dem Russischen = Begleiter, Weggefährte: Sputnik 1 (Oktober 1957), Sputnik 2 (November 1957, mit Hündin Laika), Sputnik 3 (Feb- ruar 1958); löste in der DDR eine ehrlich gemeinte Raumfahrt- Euphorie aus, was wiederum zu einem bedeutenden Auf- schwung der Science-Fiction-Literatur führte. 2. Offizieller Kosename für die Zugverbindungen auf dem Ber- liner Außenring, die geschaffen werden mussten, um Städte wie Potsdam oder Henningsdorf mit Berlin, Hauptstadt der DDR, zu verbinden, als in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 die durch Westberlin führenden S-Bahn- und Eisenbahnverbin- dungen unterbrochen bzw. für Bürger der DDR nicht mehr zu benutzen waren. 3. Name einer Zeitschrift, herausgegeben von der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti in verschiedenen Sprachen, Digest der sowjetischen Presse, die seit Gorbatschows Amtsantritt im- mer kritischer wurde. Zu kritisch für die DDR, sodass Hone- cker ab Dezember 1988 die deutschsprachige Ausgabe des Sput- nik in der DDR nicht mehr zuließ. Staatsrat Als Organ der Volkskammer kollektives Staatsober- haupt der DDR, 1960 nach dem Tod des Präsidenten Wilhelm Pieck von Walter Ulbricht geschaffen, der sich auch zum Vor- sitzenden des Staatsrats wählen ließ. Die Verfassung von 1968 formulierte die überragende staatsrechtliche Stellung des Staats- rats gegenüber allen anderen Verfassungsorganen. Ihm oblagen zeitweise sowohl legislative als auch exekutive Aufgaben sowie die Funktionen eines Verfassungsgerichts. Der Sturz Ulbrichts aus den Parteiämtern hatte auch eine weitgehende Entmachtung des Staatsrats zur Folge. Sie kam im Gesetz über den Minister- rat (1972) und in der Verfassungsänderung von 1974 zum Aus- druck. Vorsitzende des Staatsrats waren Walter Ulbricht (1960– 1973), Willi Stoph (1973–1976), Erich Honecker (1976–1989) und anschließend für ein paar Tage Egon Krenz; nach dessen Rücktritt stand Manfred Gerlach (LDPD) als amtierender Vorsit- zender dem Staatsrat vor, der praktisch keine Bedeutung mehr hatte und im März 1990 seine Tätigkeit einstellte. Sachlexikon | 55 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 55
Staatssicherheit Offiziell Ministerium für Staatssicherheit, ge- gründet 1950; Inlands- und Auslandsgeheimdienst der DDR; nach dem 17. Juni 1953 zeitweilig (bis 1955) zum Staatssekreta- riat heruntergestuft. Trotz offizieller Einbindung in den Mi- nisterrat war der Minister für Staatssicherheit (Erich Mielke, von 1957 bis 1989) nur einem engen Kreis höchster Funktionä- re (letztlich nur dem SED-Generalsekretär) rechenschaftspflich- tig. Im Volksmund hieß die gefürchtete Behörde »die Stasi«. Subbotnik Aus dem Russischen übernommene Bezeichnung für einen freiwilligen Arbeitseinsatz am an sich arbeitsfreien Samstag (russ. subbota). Tal der Ahnungslosen Im DDR-Jargon Bezeichnung für das Elbtal bei Dresden – nahezu die einzige Gegend, in der ein Emp- fang westdeutscher oder von Westberlin abstrahlender Fernseh- sender nicht möglich war. Tausend Tele-Tips Werbesendung des DDR-Fernsehens, als es noch Deutscher Fernsehfunk hieß. Neben Produktwerbung wurden auch Verbraucherinformationen ausgestrahlt – etwa für die pflegliche Behandlung von Autoreifen durch angemessenes Fahrverhalten (»Pneumant-Reifen sind deine treuen Freunde. Behandle sie auch so!«) oder die richtige Benutzung der Nacht- tankboxen an Minol-Tankstellen (»Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl, ist immer der Minol-Pirol«). Leider ist von den TV-Spots kaum etwas erhalten; die damaligen Speichermedien ließen eine langfristige Konservierung wohl nicht zu. Man ist auf die Erin- nerung angewiesen, auf Bilder und Slogans, die sich festgesetzt haben (wie der eigenartige Vogel namens Minol-Pirol). »Baden mit Badusan« und »Beine brauchen Beline« oder »aka electric – in jedem Haus zu Hause« gehören ebenfalls dazu. War Werbung in einer Planwirtschaft ohnehin schon absurd, so wurde sie in einer Mangelwirtschaft pervers: Die beworbenen Produkte wa- ren oft gar nicht mehr zu haben, wenn sie beworben wurden, oder die Produktionszeiten der Werbespots waren so lang, dass die Produktinnovation (auch so etwas gab es in der DDR) den 56 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 56
Sachlexikon | 57 Spot überholt hatte, bevor er ausgestrahlt wurde. Oder die Pro- dukte waren so schlecht, lieblos verpackt oder einfach unbeliebt, dass sie mit Werbung genauso unverkäuflich in den Regalen vor sich hin gammelten wie ohne Werbung. So wurde den Tausend Tele-Tips 1975 offiziell das Licht ausgedreht. Te l e f o n Eines der begehrtesten Güter im Sozialismus, aber fast so schwer, wenn nicht noch schwerer, zu bekommen als ein Au- to. Konnte man sich beim Auto noch mit einem sündhaft über- teuerten Gebrauchtwagen behelfen, schied diese Möglichkeit beim Telefon aus. Wer einen Telefonanschluss beantragte, be- sorgte sich zunächst eine Dringlichkeitsbescheinigung der Kom- binatsleitung, des Industriezweig-Ministeriums oder des Be- zirkskrankenhauses, praktisch jedem Telefonantrag lag eine Dringlichkeitsbescheinigung bei. Auch dann dauerte es Jahre, oft Jahrzehnte, bis die Deutsche Post einen Anschluss legte. Seit den Siebzigerjahren behalf man sich damit, mehrere Endgeräte auf einen Anschluss zu legen. Wenn der Nachbar telefonierte, war der eigene Anschluss tot, und wenn man selber telefonierte, hatte der Nachbar das Nachhören. Man arrangierte sich, das stärkte die Hausgemeinschaft. DDR-Telefone besaßen bis auf Ausnahmen die klassische Wählscheibe und funktionierten nach dem Impulswahlverfahren. Der Gleichstromunterbrecher erzeugte das bekannte Knacken. Wenn es einmal öfter und hef- tiger knackte als üblich, dann war es nicht der Gleichstromunterbrecher und nicht der Nachbar, sondern der Gro- ße Bruder. Das Fernmeldegeheimnis wurde zwar in Artikel 31 der Verfas- sung garantiert, der Artikel schränk- te es aber ein, »wenn es die Sicher- heit des sozialistischen Staates« (also die Staatssicherheit) erforderte. Telespargel Offiziell geprägter Spitzname für den Berliner Fern- sehturm, der sich gegenüber der volksläufigen Protzkeule aber nicht durchsetzen konnte (Sankt Walter). DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 57
Trabant Weit verbreiteter Fahrzeugtyp und das eigentliche Sym- bol der Massenmotorisierung Made in GDR. Der Streit begann freilich schon allein darüber, ob es sich beim Trabant um ein Au- to oder um eine Gehhilfe handelte. Technisch basierte die Ent- wicklung von 1957 auf den Erfahrungen der Auto-Union mit Zweitaktmotoren. Der neue Drehschiebermotor machte beson- ders Tuning-Spezialisten Spaß. Die Karosserie war mit Duroplast beplankt. Technisch überarbeitet und mit neuer Karosserie blieb der Trabant von 1964 bis 1989 im Wesentlichen unverändert, sieht man von so ungeheuren Innovationen wie einer Kraftstoff- anzeige ab, die bereits in den Achtzigerjahren den Kunststoff- messstab ablöste. Insgesamt wurden über drei Millionen Fahr- zeuge gebaut; die letzten waren mit einem 1,1-Liter-VW-Motor ausgerüstet, dadurch wurde der Trabant 1.1 zu einer Mumie mit Herzschrittma- cher. Für den Trabant waren außer der Koseform Trabi noch die Spitznamen Asphalt- blase sowie Rennpappe oder kurz Pappe gebräuchlich. Trasse Sogenannte Drushba-Trasse (ab 1974) und Erdgastrasse (ab 1982); Erdgasleitung vom Ural zur Westgrenze der UdSSR. Da die DDR an sowjetischen Gaslieferungen partizipieren woll- te, musste sie wie die anderen »Bruderländer« im Gegenzug mit Bauleistungen für die Pipeline in Vorleistung treten. Alle teil- nehmenden Länder mussten, neben der Pipeline und den Ver- dichterstationen in ihrem Bauabschnitt (DDR: von Krement- schug am Dnepr bis Bar in der Westukraine) auch Wohnungen, Kindergärten, Kaufhallen und andere Gesellschaftsbauten er- richten. Diese Bauten waren für das Bedienungspersonal der Verdichterstationen gedacht. Das Projekt war 1979 abgeschlos- sen. 1982 wurde die Erdgastrasse nach Westeuropa in Angriff genommen. Die DDR bekam nun, nachdem sie sich bei der Drushba-Trasse gut bewährt hatte, an der viermal längeren Lei- tung zwischen Urengoi und Ushgorod zwei Bauabschnitte zuge- 58 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 58
teilt: einen in der Ukraine und einen südlich von Moskau; 1984 kam ein dritter Bauabschnitt im Ural dazu. Wieder waren neben der Leitung und den Verdichterstationen Wohnungen, Kran- kenhäuser, Kindergärten und kommunale Gebäude zu errichten und entsprechende Straßen anzulegen.Wieder wurde das Pro- jekt zum Jugendobjekt der FDJ erhoben. Die Trassenarbeiter verpflichteten sich zunächst für zwei Jahre, viele verlängerten aber ihren Vertrag. An den einzelnen Standorten waren ständig zwischen 800 bis 2000 Arbeiter beschäftigt. Insgesamt wurden zwischen 12 000 und 15 000 Arbeiter am Zentralen Jugendob- jekt Erdgastrasse eingesetzt – neben den eigentlichen »harten« Gewerken natürlich auch Köche, Krankenschwestern u. Ä . U-Boote besaß die Volksmarine der NVA nicht. Als U-Boote bezeichnete man – inoffiziell natürlich – abgeschriebene Grund- mittel, die nicht mehr in den Grundmittelfonds der Betriebe bi- lanziert waren, kurz: Maschinen und Anlagen, die es eigentlich gar nicht mehr gab (und auch nicht hätte geben dürfen, wäre bei der Erfüllung des Schrottplans alles mit rechten Dingen zuge- gangen). Diese U-Boote wurden aktiviert, wenn es ans Quartals- oder Monatsende ging und die Planerfüllung (Plan) gefährdet war, ohne in der Bilanz »aufzutauchen« (daher der Name). Dann konnte zusätzliche Warenproduktion erwirtschaftet wer- den, die bei der Berechnung der Fondsintensität auf die offiziell vorhandenen Grundmittel bezogen wurde. U-Boote wurden meist mit Schwarzen Husaren besetzt. unverbrüchlich Dieses eigenartige Wort war in der Propaganda ausschließlich positiv besetzt. Unverbrüchlich war die »Freund- schaft zur Sowjetunion«, unverbrüchlich war auch die Treue zur Partei. Zu unverbrüchlich gibt es kein sinnvolles Antonym (ver- brüchlich?) und kein Substantiv (Unverbruch?). VEB Abkürzung für Volkseigener Betrieb; übergreifende Be- zeichnung für Wirtschaftsunternehmen, die sich im sogenann- ten Volkseigentum befanden. Das Volkseigentum ist dabei eine besondere Form des Staatseigentums. Offizieller Eigentümer Sachlexikon | 59 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 59
waren dabei alle Menschen – das Volk. Das Volk als Eigentümer wurde aber ausschließlich durch den Staat vertreten. Das bilde- te den Nebensinn des Worts Volksvertretung. Viele Bürger hat- ten eine etwas andere Auffassung vom Volkseigentum. Sie meinten, wenn sie schon Eigentümer wären, könnten sie auch dieses oder jenes, was zum Bau einer Datsche sinnvoller ein- zusetzen wäre als im Volkseigenen Betrieb, dezent auf die Seite bringen. Die Gerichte sahen das anders und ahndeten solche Materialbeschaffung als Verbrechen gegen das sozialistische Ei- gentum. Sozialistisches Eigentum als Rechtsbegriff umfasste neben dem Volkseigentum auch das genossenschaftliche Eigen- tum und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen. So waren zahlreiche Druckereien und Verlage in der DDR nicht – wie von vielen dort Arbeitenden vermutet – Volkseigentum, sondern das Eigentum der SED oder anderer Parteien und Or- ganisationen. VBE Abkürzung für Vollbeschäftigten-Einheit; übliche Berech- nungseinheit für den Arbeitskräftebedarf und -einsatz. Nicht zu verwechseln mit einer Planstelle. Im Stellenplan wurden die strukturellen Erfordernisse beschrieben. Auch in der DDR gab es – familienbedingt und aufgrund spezieller Arbeitsaufgaben – Teilzeitbeschäftigung; zwei Halbtagskräfte hatten möglicherwei- se zwei Planstellen, bildeten aber zusammen eine VBE. So war die Zahl der Planstellen in einem Betrieb in der Regel größer als die Zahl der Vollbeschäftigten-Einheiten. Vitamin B Übliche und nicht nur DDR-spezifische Umschrei- bung der förderlichen Wirkung guter Beziehungen. In einer Ge- sellschaft, in der der Markt nicht richtig funktionierte, war ein Geflecht von Beziehungen allerdings unerlässlich, um sich mit knappen oder schwer beschaffbaren Gütern zu versorgen. VMI Abkürzung für Volkswirtschaftliche Masseninitiative, was kein Mensch vernünftig aussprechen konnte, weswegen es meist beim Kürzel VMI blieb. Unter diesem Begriff wurden freiwillige Arbeitseinsätze zusammengefasst, die beispielsweise von den 60 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 60
Hausgemeinschaften zur Verschönerung der Wohnumgebung oder von Studenten zur Renovierung ihrer Wohnheime geleistet wurden. Oft wurden Sportanlagen oder Wanderwege mittels solcher VMI-Einsätze geschaffen. Volkskammer Der Verfassung nach höchstes staatliches Macht- organ. Die Volkskammer entstand aus der (kommunistisch ori- entierten, aber noch gesamtdeutschen) Bewegung des Deut- schen Volkskongresses, dessen 3. Tagung im Mai 1949 einen so- genannten Deutschen Volksrat wählte, der sich am 7. Oktober 1949 zunächst als Provisorische Volkskammer konstituierte; die ersten regulären Wahlen fanden 1950 und von da an im Vierjah- resrhythmus statt. Seit 1963 waren die Volkskammerwahlen mit den SED-Parteitagen synchronisiert; seit 1971 fanden sie alle fünf Jahre statt. Die letzte Volkskammer (Wahlen am 18. März 1990) war zugleich die erste frei gewählte; ihr oblag die Kon- kursverwaltung und Liquidation des Staatsgebildes, dem sie vorstand, und dessen ordnungsgemäße Überführung in den Staatsverband der Bundesrepublik Deutschland. Volkspolizei Bis 1970 lautete die offizielle Bezeichnung Deut- sche Volkspolizei, danach trug sie zwar immer noch diesen Na- men, wurde aber in der offiziellen Umgangssprache ohne Nati- on genannt. Sie wurde am 1. Juli 1945 von der sowjetischen Be- satzungsmacht als Länderpolizei gegründet und stellte das Machtorgan der herrschenden Klasse dar, mit dem der Normal- bürger am häufigsten konfrontiert war. Sie unterstand dem Mi- nister des Innern, der sich seit 1963 auch »Chef der Deutschen Volkspolizei« nannte. Die SED hielt es lange nicht für nötig, die Befugnisse der Volkspolizei und die Rechte der Bürger gesetzlich zu regeln; man nutzte einfach das preußische Polizeigesetz aus der Zeit vor 1933 stillschweigend weiter; erst 1968 gab es ein ei- genes Volkspolizeigesetz. Volkssolidarität Im Osten Deutschlands bereits im Oktober 1945 gegründete Hilfsorganisation, die sich der Linderung der dringendsten Nachkriegsnot widmete. In der DDR entwickelte Sachlexikon | 61 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 61
sie sich zu einer Massenorganisation, die sich vor allem die Be- treuung der Rentner zum Ziel gesetzt hatte. Berühmt und ge- liebt wurde sie für ihre Kaffeefahrten und Seniorenausflüge, bei denen noch keine Rheumadecken und Lammfelljacken verkauft wurden. An diesem Ziel hält sie auch heute fest, da sie im Pari- tätischen Wohlfahrtsverband mit 330 000 Mitgliedern zu den größten Organisationen gehört. Wandlitz 1. Ort in der Mark Brandenburg; 2. Waldsiedlung in der Nähe des Ortes Wandlitz, die 1961 als Wohnsitz für das SED- Politbüro eingerichtet wurde. Wa r t b u r g Frontgetriebener PKW mit Dreizylinder-Zweitakt- motor, produziert im VEB Automobilwerke Eisenach von 1956 bis 1991. Der Wartburg entstand auf der Basis des F 9, der auf eine Vorkriegsentwicklung von DKW zurückging, die kriegsbedingt nicht in Serie gegangen, aber etwa zeitgleich mit dem F 9 in der Bundesrepublik als DKW-Modell »Meister- klasse« gebaut worden war. Der Wartburg erfuhr 1965/66 eine grundsätzliche Karosserie- und Fahrwerksüberarbeitung, wur- de jedoch sonst nahezu unverändert bis 1988 gebaut. Wart- burgfahrer galten zuweilen als neurotisch, man sagte ihnen nach, sie kämen schwer damit klar, ein hochgezüchtetes Moped in Form einer Limousine zu fahren. Dann aber verordnete Günter Mittag dem Wartburg einen VW-Viertaktmotor, der in Lizenz gebaut werden sollte. Mit diesem Motor und dem stolzen Preis von 30 000 Mark der DDR tuckerte der Wart- burg durch die Wende. Spätestens Mitte 1990 begann der Motor der Eisenacher zu stottern, der Absatz des einst begehr- ten Vehikels tendierte gegen null, und 1991 wurde die Produk- tion eingestellt. Wehrsportgruppe Hoffmann Nachdem in der Bundesrepublik eine paramilitärisch bewaffnete Neonazi-Formation unter die- sem Namen aufgetreten war, kursierte in der DDR, wo der Ver- teidigungsminister bis 1985 Heinz Hoffmann hieß, für die NVA der Spitzname »Wehrsportgruppe Hoffmann«. 62 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 62
We n d e Bezeichnung für die Zeit zwischen dem 7. Oktober 1989, als der Widerstand gegen das SED-Regime eskalierte, und dem 3. Dezember, als sich das Politbüro auflöste und die Herrschaft der SED faktisch aufhörte zu bestehen. Wendehals In Anspielung auf die Vogelart gleichen Namens ge- brauchte Bezeichnung für einen Funktionär, der sich von einem vorbehaltlosen Befürworter der bisherigen SED-Politik zu ei- nem besonders eifrigen Neu-Demokraten gewendet hatte. Man muss allerdings sagen, dass SED-Funktionäre seit Mitte Oktober 1989 keine Chance mehr hatten, sich »richtig« zu verhalten. Sie galten entweder als Wendehälse, wenn sie ihre frühere starre Po- sition aufgaben, oder sie galten als Betonköpfe, wenn sie das nicht taten. Sie wurden einfach nicht mehr akzeptiert, ganz gleich wie sie sich verhielten. Wertzuwachs Täuschungsmanöver aus der Trickkiste Günter Mittags. Als die wirtschaftliche Situation Ende der Siebzigerjah- re sehr schwierig wurde und sich die geplanten Steigerungsraten nicht erreichen ließen, kam Mittag auf die Idee, durch vorge- täuschte Qualitäts- und Gebrauchswerterhöhung bestimmte Konsumgüter »attraktiver« zu machen und damit Preiserhö- hungen zu rechtfertigen. Ein simples Kinderfahrrad, das vorher 350 Mark kosten sollte, wurde auf 750 Mark verteuert. Bettwä- sche lag plötzlich mit 133 Mark pro Garnitur in den Regalen – Bettwäsche war der Aufreger des Jahres 1979 –, und für ein simples Handtuch »mit erhöhten Gebrauchswerteigenschaften« sollte der DDR-Bürger auf einmal 33 Mark hinlegen. Zum Ver- gleich: Das monatliche »Bruttoarbeitseinkommen der vollbe- schäftigten Arbeiter und Angestellten der sozialistischen Wirt- schaft« lag zu diesem Zeitpunkt bei 1006 Mark, und brutto war auch in der DDR nicht gleich netto. Mittag hoffte, dass sich die höheren Preise in einer wertmäßigen Erhöhung der Kennziffer Warenproduktion niederschlagen würden. Er gab den Indus- trieministerien Ziele für den »Wertzuwachs« in Höhe von zehn Milliarden Mark vor, die aber von den verantwortlichen Prakti- kern auch bei größter Fantasie und krimineller Energie nicht in Sachlexikon | 63 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 63
materialisierbare Vorschläge umgesetzt werden konnten. Im Grunde war es eine Aufforderung zum Volksbetrug im nationa- len Ausmaß – und genauso wurde es auch empfunden. In man- chen Fällen überklebten Verkaufsstellenleiter, die den Schwindel nicht billigten, die alten Preisschilder schluderhaft mit den neu- en oder strichen die alten Preise aus und schrieben die neuen drüber, sodass der Kunde gut verfolgen konnte, was mit ihm ge- spielt wurde. Sie wurden gemaßregelt und zu den eigentlich Schuldigen gemacht. Nicht die waren für den Unmut der Bevöl- kerung verantwortlich, die den Betrug veranlasst hatten, son- dern diejenigen, die ihn nicht ordentlich genug ausführten, so- dass er offenkundig wurde. Eine verkehrte Welt. Winkelement Massenhaft ausgegebene Papierfähnchen, mit de- nen die Bevölkerung an Feiertagen der Partei- und Staatsfüh- rung oder hohen Ehrengästen begeistert zuwinken musste. Statt Fähnchen konnten auch Friedenstauben oder andere winkbare Objekte als Winkelement dienen. Wurst am Stengel Chruschtschow, der den Maisanbau in der Sowjetunion förderte, hatte in seiner lebhaft-bildhaften Sprache verkündet, Mais sei die Wurst am Stengel, weil sich mit dem Mais die Viehbestände füttern ließen, aus denen dann wieder köstliche Wurst gemacht werde. Zu dieser Zeit pflegte man noch alles nachzuplappern und allem nachzueifern, was in der UdSSR verzapft wurde; folglich wurde auch in der DDR Mais angebaut, von dem es hieß, er sei die Wurst am Stengel. Stengel wurde da- mals mit »e« geschrieben, und ausnahmsweise lassen wir es ein- mal dabei. Zentrale Erntetechnik Hier handelt es sich um ein Jugendob- jekt, dessen Ziel es war, die unterschiedlichen klimatischen Be- dingungen zwischen dem Norden und dem Süden der Republik zu nutzen und aufgrund der unterschiedlichen Erntetermine Schwerpunkte für die Erntetechnik zu bilden. Das Jugendobjekt wurde am 20. Juni 1966 offiziell an 13 Jugendkomplexbrigaden übergeben, doch was militärisch vernünftig gedacht war, war 64 | Sachlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 64
wirtschaftlicher Wahnsinn – hier rächte sich die Überbetonung des Kampf-Gedankens, der den Funktionären mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war. Kolonnen von Mähdre- schern und Kartoffelerntemaschinen wurden mit Beginn der Erntezeit über die ohnehin stark belasteten Landstraßen von Süd nach Nord und von Nord nach Süd verschoben. Kilometer- lange Staus waren die Folge, die Straßen gingen noch schneller kaputt als sonst, und allein für die Fahrten zum Einsatzort – Mähdrescher sind nun mal keine Straßenfahrzeuge – wurden Hunderttausende Tonnen Diesel verbraucht. Nach dem großen Medienrummel in den frühen Siebzigern wurde dem Jugendob- jekt spätestens mit der Brennstoffverknappung am Ende dieses Jahrzehnts der stille Garaus gemacht. Heute findet man kaum noch Informationen über dieses Jugendobjekt. Zivilgesetzbuch Das »BGB« der DDR; die Textausgabe mit Ein- führungsgesetz und Sachregister umfasste ganze 141 Drucksei- ten. In nur 480 Paragrafen war alles geregelt, was in der DDR zi- vilrechtlich geregelt werden musste. Und, fast unerhört, die Pa- ragrafen waren auch noch so formuliert, dass jedermann sie ver- stehen konnte. Zuweisung Unscheinbarer Zettel im Format A5, gewöhnlich auf schlechtem Papier gedruckt, aber das wertvollste Dokument, das man auf der Wohnungssuche erjagen konnte. »Zur Gewährleis- tung des Grundrechts der Bürger auf Wohnraum und zur Siche- rung einer gerechten Verteilung unterliegt der gesamte Wohn- raum der staatlichen Lenkung«, hieß es in Paragraf 96 des Zi- vilgesetzbuches der DDR. Rechtsgrundlage für diese staatliche Lenkung war die »Wohnraumlenkungsverordnung« von 1967. »Voraussetzung für die Begründung eines Mietverhältnisses ist die Zuweisung des Wohnraums durch das zuständige Organ. Auf der Grundlage der Zuweisung sind Vermieter und Mieter verpflichtet, einen Mietvertrag abzuschließen«, sagte das Zivil- gesetzbuch in Paragraf 99. Mit anderen Worten: Wenn man die Zuweisung in der Hand hatte, hatte man praktisch schon die Wohnung; der Rest war mehr oder weniger Formsache. Sachlexikon | 65 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 65
Personenlexikon Adenauer, Konrad (1876–1967), kein Bürger der DDR, sondern erster Kanzler (»Ur-Kanzler«) der Bundesrepublik Deutschland; für die DDR-Propaganda als Bundeskanzler die bevorzugte Fi- gur für das Feindbild vom bösen Kapitalismus. Selbst Otto Gro- tewohl, der sich sonst eher in intellektueller Pose gefiel, verlor bei Adenauer die Beherrschung und sprach von »schmutzigen Machenschaften der Bonner Landesverräter«, die Bundesrepu- blik werde »durch die Adenauer-Politik ein Hort des deutschen Militarismus und Faschismus«, weil das »Adenauer-Regime die reaktionären und faschistischen Kräfte auf allen Gebieten wie- derbelebt«. Die »Terrorwelle Adenauers« habe »einen neuen Höhepunkt erreicht«. Das auf kaum einer halben Druckseite. Und nicht bei einer Biertisch-Diskussion, sondern in einer Rede vor der Volkskammer. Ardenne, Manfred von (1907–1997), Physiker, Techniker, Insti- tutsleiter und Wissenschaftsunternehmer, genannt: der Rote Ba- ron vom Weißen Hirsch. Der standesbewusste Baron erwarb im Laufe seines Lebens über 600 Patente. Er hatte in den Dreißiger- jahren großen Anteil an der Entwicklung des Fernsehens, arbei- tete schon im Dritten Reich in der Atomforschung, ging 1945 mit seinen engsten Mitarbeitern in die Sowjetunion und kehrte, mit dem Stalin-Preis geehrt, 1955 in die DDR zurück. In Dres- den gründete er ein – in dieser Art einzigartiges – privates For- schungsinstitut, das sich Problemen der Teilchenphysik, der Werkstoffkunde und schließlich der Medizintechnik zuwandte. Ardenne war Ulbrichts Vorzeigeadliger (Adel), von dem er hoffte, er werde, wenn die große UdSSR das Raumfahrtproblem löse, für die kleine DDR das Krebsproblem lösen. Axen, Hermann (1916–1992), Parteifunktionär der DDR, Se- kretär des Zentralkomitees der SED und seit 1970 Mitglied des Politbüros, zuständig für internationale Beziehungen und seit 66 | Personenlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 66
dieser Zeit der eigentliche Architekt der Außenpolitik der DDR; die außenpolitische Anerkennung Honeckers war im Wesent- lichen sein Verdienst; er verfügte bis zum Ende der SED-Herr- schaft über ausgezeichnete Kontakte nach dem Westen, beson- ders zu maßgeblichen Kreisen der SPD. Biermann, Wolf (geboren 1936), Liedermacher, Lyriker, Kom- munist, siedelte als Siebzehnjähriger in die DDR über, studierte Ökonomie, Philosophie und Mathematik und begann um 1960, auf Veranlassung Hanns Eislers, der ihn förderte, Lieder und Gedichte zu schreiben. Seit 1965 trat Biermann in den Kabarett- programmen von Wolfgang Neuss auf. Seine kritischen Lieder waren für die SED-Funktionäre Anlass, ein Auftrittsverbot in der DDR über ihn zu verhängen. Biermann behauptete stand- haft seine Ansicht vom Kommunismus, die sich von derjenigen der Vertreter des real existierenden Sozialismus unterschied. Seine Arbeit wurde in der DDR bis 1976 nur von kleinen Zirkeln Intellektueller wahrgenommen. Im November bürgerte ihn die DDR nach einem Konzert in Köln für die IG Metall aus. Dieser hoheitliche Akt gegen einen kritischen Künstler markierte einen einschneidenden Bruch zwischen Partei und Kunstszene in der DDR. In der Folge verließen viele prominente Künstler – Filme- macher, Schauspieler, Schriftsteller, Komponisten – das Land. Brecht, Bertolt (1898–1956), Schriftsteller, Dichter, Dramati- ker, Theaterleiter, kehrte über die Schweiz nach Deutschland zu- rück und nahm seinen Wohnsitz in Berlin/DDR. Er brachte Weltruhm und Welterfahrung mit; den Ruhm nutzte die DDR gern propagandistisch aus, während sie mit der Welterfahrung wenig anzufangen wusste. Brecht stellte – als der Parteidichter Kuba (Kurt Barthel) nach dem 17. Juni 1953 behauptet hatte, das Volk habe das Vertrauen der Regierung verloren und müsse sich nun eifrig mühen, es zurückzugewinnen – die Frage, ob es nicht einfacher wäre, die Regierung löse das Volk auf und wähle ein neues. Dieser Vorschlag muss den Parteioberen in die falsche Gehirnwindung geraten sein, jedenfalls bemühten sie sich seit- her nach Kräften, das für die jeweilige Gelegenheit passende Personenlexikon | 67 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 67
Volk auszuwählen. Am Ende stellte sich heraus, dass das Volk, das sie davonjagte, ein ganz anderes Volk war als das, von dem sie sich am 1. Mai huldigen ließen. Und doch waren es die glei- chen Menschen. Buchwitz, Otto (1879–1964), sozialdemokratischer Parteifunk- tionär, von den Nazis verfolgt und inhaftiert, nach 1945 einer der Aktivisten der Vereinigung von KPD und SPD zur SED, die im Landesverband Sachsen schon im Februar 1946 vollzogen wurde. Danach hatte Buchwitz seine Schuldigkeit getan; persön- lich integer und Demokrat aus Überzeugung, gehörte er dem Parteivorstand und dem ZK der SED bis zu seinem Tod an, war völlig einflusslos, aber hochgeehrt. Nach seinem Tod wurden Betriebe und Straßen nach ihm benannt; fast alle diese Benen- nungen wurden seit 1990 wieder beseitigt. Dallmann, Fritz (geboren 1923), Bauer, Agraringenieur, machte als LPG-Vorsitzender (Landwirtschaftliche Produktionsge- nossenschaft) der LPG Priborn den Ort zu einem Muster- und Vorzeigeort, Mitglied des Zentralkomitees der SED seit 1964, 1982 bis 1990 Vorsitzender der VdgB (Vereinigung der gegensei- tigen Bauernhilfe); spielte 1968 in dem Fernsehfilm We g e ü b e r s Land einen Dorfschmied. Dathe, Heinrich (1910–1991), Zoologe, Tierparkdirektor, durch Sendungen in Rundfunk und Fernsehen außerordentlich popu- lär. Hinreißend waren seine in breitem Sächsisch vorgetragenen Vogelstimmen-Imitationen. Eisler, Hanns (1898–1962), Komponist, vor allem bekannt als Komponist der Nationalhymne der DDR, doch geschieht die Reduzierung darauf zu Unrecht. Eisler war Schüler Schönbergs, wandte sich um 1927 der Arbeiterbewegung und den Kommu- nisten zu, ohne je Mitglied der KPD zu werden. In seinem Schaf- fen verband er avancierte musikalische Techniken mit politi- schem Engagement. Zeit seines Schaffens suchte er nach einer neuen Musikästhetik jenseits des bürgerlichen Konzertbetriebes 68 | Personenlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 68
und kämpfte gegen die Dummheit in der Musik. Dumme Mu- sik pflegte er »Misuk« zu nennen. Der Ruhm der Nationalhym- ne schützte ihn nicht vor harscher und unberechtigter Kritik der SED-Funktionäre, etwa als Ulbricht ihn wegen seiner Faust- Oper verunglimpfte. Eisler blieb immer Österreicher und wur- de nie SED-Mitglied. Er ist eine der schillerndsten Gestalten der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Als sein Freund Brecht in den Dreißigerjahren einmal auf dem Broadway aus einer Theaterprobe geworfen wurde und Hausverbot erhielt, be- schwerte er sich bei Eisler: »Dabei habe ich den Herren nur mei- ne Meinung gesagt!« Eisler, der Mann mit dem feinen Gehör, fragte zurück: »Aber wie laut, mein lieber Brecht, wie laut?« Ewald, Manfred (1926–2002), der Turnvater der DDR, einfluss- reichster Sportfunktionär, 1961 bis 1988 Präsident des DTSB (Deutscher Turn- und Sportbund), 1973 bis 1990 Präsident des NOK der DDR. Unter seiner Verantwortung wurde der Spitzen- sport der DDR als Spritzensport ausgebaut; seine maßgebliche Beteiligung am systematischen Doping von Sportlern, das zum Teil ohne deren Wissen geschah, ist gerichtsnotorisch. Geggel, Heinz (1921–2000), Journalist, Abteilungsleiter Agitati- on beim ZK der SED, leitete seit 1973 die berüchtigten »Argus«, zu denen alle Chefredakteure jeden Donnerstag um 10 Uhr ein- bestellt wurden. Hier wurde bis in die Einzelheiten der Seitenge- staltung festgelegt, worüber wie zu berichten ist und welche For- mulierungen zu unterlassen sind. Promoviert und daher hinter vorgehaltener Hand auch »Dr. Geggels« genannt. Grotewohl, Otto (1894–1964), sozialdemokratischer Politiker, Mitbegründer der SED, erster Ministerpräsident der DDR. Der Braunschweiger war einer der wenigen Wessis in den obersten Führungspositionen. Viele Parteimitglieder hofften, er würde sozialdemokratische Traditionen in der SED bewahren helfen, doch ordnete er sich der stalinistischen Linie vollständig unter. Als die Arbeiter am 17. Juni 1953 skandiertem »Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht Volkes Wille«, war mit »Brille« er gemeint. Personenlexikon | 69 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 69
Hager, Kurt (1912–1998), Parteifunktionär der SED, nach ei- nem Dozentenlehrgang an der Parteihochschule wurde er 1949 sofort ordentlicher Professor für Philosophie an der Humboldt- Universität; seit 1955 Sekretär des Zentralkomitees der SED und verantwortlich für Wissenschaft, Kultur und Bildung. Hager galt als Chefideologe der SED, war bei Künstlern und Wissenschaft- lern gefürchtet und bei niemandem beliebt. »Was macht die Kunst?«, fragt ein Schriftsteller den anderen. »Hager, hager«, antwortet der. Berüchtigt ist seine arrogante Äußerung gegen- über der Perestroika in der Sowjetunion, wenn der Nachbar ta- peziere, müsse man selbst seine Wohnung nicht auch tapezieren. Hockauf, Frieda (1903–1974), Maschinenweberin aus Zittau, die durch die nach ihr benannte Frieda-Hockauf-Methode (das zeitversetzte Bedienen mehrerer Webstühle) sowie durch die Lo- sung »Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben« be- kannt wurde. Hoffmann, Heinz (1910–1985), Spanienkämpfer, Kommunist, Armeegeneral, Verteidigungsminister der DDR von 1960 bis 1985. In dieser Funktion und als Politbüromitglied (seit 1973) trug er die Verantwortung für das Grenzregime an der »Staats- grenze West« und den sogenannten Schießbefehl. Honecker, Erich (1912–1994), saarlän- discher Dialektsprecher, Parteifunktio- när und Vorsitzender des Staatsrats (1976–1989). Wurde im Alter von 34 Jahren Mitbegründer und erster Vor- sitzender der FDJ, wodurch er den Stand der Berufsjugendlichen begründe- te. Stürzte 1971 Ulbricht mithilfe mos- kautreuer Frondeure. Erreichte als Partei- und Staatschef die außenpo- litische Anerkennung der DDR, führte das Land aber in den wirt- schaftlichen Ruin. 70 | Personenlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 70
Jähn, Sigmund (geboren 1937), Militärflieger, Kosmonaut; ein- ziger Träger des Titels »Fliegerkosmonaut der DDR«. »Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR« titelte die Sonderausga- be des ND (Neues Deutschland). Das war, einem Witz zufol- ge, der Grund, warum Jähn und nicht sein Double Eberhard Köllner geflogen war. Die Zeile hätte sonst lauten müssen: »Der erste Deutsche im All ist Köllner«. Der Rummel, der nach dem Flug um Jähn gemacht wurde, war beträchtlich. Er hat ihn mit soldatischer Disziplin ertragen, ohne seine persönliche Beschei- denheit aufzugeben. Der Himmel wurde vom DDR-Witz umbe- nannt: »Jähnseits«. Der brutalste Jähn-Witz: »Was wäre gewe- sen, wenn die Sojus-Kapsel beim Wiedereintritt verglüht wäre? – Dann hätte die DDR endlich mal einen glühenden Patrioten gehabt.« Kein Witz: 2001 wurde der Planetoid 1998 BF 14 nach ihm benannt. Krenz, Egon (geboren 1937), letzter Generalsekretär der SED, letzter Staatsratsvorsitzender (Staatsrat) der DDR – im Grunde derjenige, dem es bestimmt war, das Licht auszuma- chen, was er denn auch tat, indem er den Hauptschalter umleg- te und am 9. November 1989 die Mauer öffnete. Krenz mach- te nach Lehrerstudium und freiwilligem Armeedienst in der FDJ Karriere, war von 1971 bis 1974 oberster Thälmann-Pio- nier, danach bis 1983 Erster Sekretär des Zentralrats der FDJ. Vom Amt des ersten Berufsjugendlichen wurde er mit 46 Jahren erlöst, als Benjamin ins Politbüro befördert und nach Wand- litz umgesiedelt. Als Vollmitglied des Politbüros seit 1983 galt er als Kronprinz Honeckers, doch scheint der gewittert zu ha- ben, dass Krenz an einer Fronde gegen ihn beteiligt war, und machte, als er erkrankte, nicht Krenz, sondern Mittag zu sei- nem Stellvertreter. Am 18. Oktober 1989 gelang einer Palastre- volte unter Krenz der Sturz Honeckers, doch war die Oppositi- onsbewegung in der DDR bereits zu stark und zu selbstbewusst geworden, um sich von einem Generalsekretär, der gerade erst aus dem Schatten Honeckers getreten war, ruhigstellen zu las- sen. Die Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexan- derplatz in Berlin erteilte Krenz eine eindeutige Absage. Krenz Personenlexikon | 71 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 71
warf am 3. Dezember 1989 das Handtuch als Generalsekretär und drei Tage später auch als Staatsratsvorsitzender (Staats- rat) und schrieb seine Memoiren. Matthes, Roland (geboren 1950), Schwimmer der Weltklasse; seine Paradedisziplin war das Rückenschwimmen. Hier errang er 19 Weltrekorde und blieb von 1966 bis 1973 ungeschlagen. Auch auf den Lagen- und Schmetterlingsstrecken mussten sei- ne Konkurrenten ihn fürchten. Zum besonderen Vergnügen der DDR-Oberen durchbrach er die Dominanz der USA-Schwim- mer. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass es im Sport drei Supermächte mit »U« gab: die USA, die UdSSR und Unsere Deutsche Demokratische Republik. Mielke, Erich (1907–2000), mutmaßlicher Polizistenmörder und späterer Minister für Staatssicherheit im Rang eines Ge- nerals. Richtete bereits in Spanien von 1936 bis 1939 im Auftrag Stalins viel Unheil an, setzte sein Wirken dann in der DDR fort, »zum Wohle des Volkes«, dessen Überwachung und Ein- schüchterung er organisieren ließ. Die gefürchtetste Figur des Politbüros war zugleich die lächerlichste: Unvergessen bleibt sei- ne gestammelte Liebeserklärung vor der Volkskammer im Herbst 1989 (»Ich liebe doch, ich liebe doch alle Menschen«), mit dem er unfreiwillig, aber folgerichtig sein Ministerium dem »Ministerium der Liebe« in Orwells »1984« gleichstellte. Mittag, Günter (1926–1994), Wirtschaftsexperte im Politbüro, dem er von 1966 bis 1989 angehörte. Für viele war er der Hauptschuldige an der Wirtschaftsmisere der DDR. Fuhr zu- nächst unter Ulbricht das NÖSPL (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung) gegen die Wand, schwenkte dann auf den Honecker-Kurs um und machte sich dem neuen Generalsekretär unentbehrlich. Er galt neben Mielke als der Einzige, der uneingeschränkt zu Honecker Zugang hatte. Sein Führungsstil war gefürchtet und nicht gerade von Menschlich- keit und Warmherzigkeit geprägt. Kein Sozialist aus dem Bil- derbuch. Eher ein real existierender Sozialist. 72 | Personenlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 72
Naumann, Konrad (1928–1992), Parteifunktionär, nach typi- scher FDJ-Karriere über Hochschule des Komsomol, Sekreta- riatsfunktionen im Zentralrat zum Politbüromitglied und 1. Se- kretär der SED-Bezirksleitung Berlin aufgestiegen. Bekannt und berüchtigt für seine Trinkfestigkeit und seine nicht ganz astrei- nen Umgangsformen. Fiel im November 1985 für viele überra- schend in Ungnade – angeblich wegen einer fünf Wochen zuvor gehaltenen Rede vor der Akademie für Gesellschaftswissen- schaften –, und zwar so gründlich, dass er aus sämtlichen Äm- tern flog und sich als Archivar im Staatsarchiv Potsdam wieder- fand. Wanderte 1991 nach Ecuador aus. Pieck, Wilhelm (1876–1960), kommunistischer Politiker, Mit- begründer der SED, erster Präsident der DDR. Als er 1949 zum Präsidenten gewählt wurde, kamen Spaßvögel auf die Idee, ihn Wilhelm III. zu nennen. Doch von imperialer Prächtigkeit war sein Regierungsstil weit entfernt. Persönlich bescheiden und gutmütig würdevoll – so wurde er von den meisten gesehen. Sein politisch einflussloses Amt wurde, obwohl in der Verfas- sung der DDR verankert, nach seinem Tod von Walter Ulbricht umgehend abgeschafft. Quandt, Bernhard (1903–1999), kommunistischer Funktionär, Widerstandskämpfer, Landrat in Mecklenburg, später Mitglied des Zentralkomitees, Protagonist der sogenannten Demokrati- schen Bodenreform, später Mitglied des ZK der SED; führte zu- letzt ein Leben als Parteiveteran, fiel im Dezember 1989 dadurch auf, dass er vor dem Zentralkomitee die Wiedereinführung der Todesstrafe und die standrechtliche Erschießung der »Verbre- cherbande« des alten Politbüros forderte. Schabowski, Günter (geboren 1929), SED-Parteifunktionär, Politiker, war als Politbüromitglied und 1. Sekretär der Bezirks- leitung Berlin maßgeblich an der Entmachtung Honeckers beteiligt. Dank der Fernsehübertragung einer Pressekonferenz am Rande der ZK-Tagung vom 8. bis 10. November wurde er weltberühmt; er verkündete dort faktisch die Öffnung der Personenlexikon | 73 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 73
Mauer. Nach der vollständigen Entmachtung der SED aus der Partei ausgeschlossen. Als einziges ehemaliges Mitglied des SED-Politbüros flüchtete er sich nicht in Selbstmitleid und Rechtfertigungsphrasen, sondern analysierte mit sehr weitge- hender Selbstkritik seine eigene Rolle im Machtsystem des real existierenden Sozialismus und vollzog einen grundlegenden Bruch mit der Ideologie der Vergangenheit. Als Einziger der in den Mauerschützenprozessen Angeklagten akzeptierte er seine moralische Verantwortung für die Opfer des Grenzregimes. Schalck-Golodkowski, Alexander (geboren 1932), Staatssekre- tär und Oberst der Staatssicherheit mit dem Gehalt eines Ge- neralleutnants; gilt als wichtigster Devisenbeschaffer der DDR, half der DDR-Führung aus mancher Klemme, nicht nur weil er deren Sonderversorgungssysteme mit Westwaren beschickte, sondern weil er auf offizieller Ebene Kreditverhandlungen ein- fädelte und auf inoffizieller Ebene durch ein unüberschaubares Geflecht von Firmen im Westen gefragte Güter und Hochtech- nologie, die auf der westlichen Embargo-Liste bestanden, zu be- schaffen wusste. Seine Hausmacht war der Bereich »Kommer- zielle Koordinierung«. Dieses Unternehmen betrieb mit größter Energie und Fantasie die Ausplünderung der DDR, und zwar wurde alles geplündert, was sich in Devisen umsetzen ließ: von privaten Kunstsammlungen und Museumsbeständen angefan- gen über Massen alter Klaviere und Flügel bis zu historischem Straßenpflaster aus den Innenstädten der DDR. Als seine Tar- nung in der DDR aufflog, floh er mit seiner Frau in den Westen. Beim Bundesnachrichtendienst machte er unter dem Deckna- men »Schneewittchen« weitgehende Aussagen; spätere Ermitt- lungen gegen ihn verliefen extrem schleppend und endeten mit Bewährungsstrafen. Ein Schalck, wer Golodkowski dabei denkt. Schnitzler, Karl-Eduard von (1918–2001), Fernsehkommenta- tor, nach 1945 zunächst mit britischer Protektion beim NWDR, dort wegen seiner kommunistischen Gesinnung entlassen, machte er im Osten und später in der DDR schnell Karriere, zu- nächst beim Berliner Rundfunk, später beim Fernsehen. Seine 74 | Personenlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 74
berüchtigte Sendung Der Schwarze Kanal lief von März 1960 bis 30. Oktober 1989 immer montags nach dem alten Film. Von Schnitzler stellte Ausschnitte westdeutscher Fernsehpublizistik in die ihm genehmen Zusammenhänge und kommentierte sie gehässig. Im Volksmund hieß er Sudel-Ede, was aber, von Schnitzler zufolge, gar nicht Volksmund, sondern eine Erfindung des RIAS gewesen sein soll. Wenn dem so war: Bravo, RIAS! Ein Dresdner Entertainer hat den Chefkommentator einmal mit dem Bonmot verulkt: »Wenn meine Frau böse mit mir ist, sagt sie immer Karl-Eduard zu mir«, und, in das Gelächter des Publi- kums hinein: »Oh, bitte verzeihen Sie diesen Schnitzler!« Schöbel, Frank (geboren 1942), Schlagersänger und Sterndeu- ter; erreichte mit »Wie ein Stern in einer Sommernacht« (1971) eine überdurchschnittliche Publikumsresonanz, bildete zeitwei- lig mit seiner zeitweiligen Ehefrau Chris Doerk das »Traumpaar des DDR-Schlagers« – für manche Hörer eher ein traumatisie- rendes Paar. Zum Kaputtlachen sind heute die Musikfilme, an denen er mitwirkte: Heißer Sommer (1968), Nicht schummeln, Liebling (1972). Schwabe, Willi (1915–1991), Schauspieler und Moderator, von 1949 bis 1990 am Berliner Ensemble; sein eigentlicher Ruhm gründet sich aber auf die Sendereihe »Rumpelkammer«, die er seit 1955 moderierte. Sindermann, Horst (1915–1990), Journalist, Parteifunktionär, Politiker; begann seine Laufbahn als Parteijournalist in Dresden und Halle und war von 1963 bis 1971 Erster Sekretär der Be- zirksleitung Halle. Aus dieser für den Chemiebezirk sehr wichti- gen Zeit des Aufschwungs stammte sein Ruf, ein Mann zu sein, mit dem man reden kann. Dieser Ruf und sein Hang zu einer ge- wissen Liberalität wurden ihm zum Verhängnis, als er für drei Jahre (1973–1976) Ministerpräsident war. Honecker ließ ihn ablösen und auf das bedeutungs- und einflusslose Amt des Volkskammerpräsidenten (Volkskammer) versetzen, in dem er bis zum November 1989 ausharrte. Personenlexikon | 75 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 75
Stalin, Josef Wissarionowitsch (1878–1953), kein Bürger der DDR, aber als Vater der Völker natürlich auch der Vater der DDR, die ohne seinen persönlichen Segen nicht hätte aus der Taufe gehoben werden können. Voller Dankbarkeit widmeten ihm die DDR-Dichterfürsten Erich Weinert, Johannes R. Becher und Louis Fürnberg Oden und Hymnen, und auf den Parteiver- sammlungen landauf, landab wurde ihm an jedem Montag am Präsidiumstisch ein Stuhl frei gehalten, weil doch der Genosse Stalin ehrenhalber in jedes Präsidium gewählt wurde, und wenn er denn nun einmal erschienen wäre, hätte er sich landauf, land- ab zwischen alle Stühle setzen können. Später hatten viele Men- schen sehr große Erinnerungslücken und konnten sich unter Stalin gar nichts Rechtes mehr vorstellen. Die Dichter ließen ih- re Hymnen auf den Vater der Völker fortan ungedruckt, manche änderten den Text und einer – Louis Fürnberg – dichtete das Lied »An die Partei« sogar Jahre nach seinem eigenen Tod noch um. »Wächst« die Partei in der Originalausgabe von 1951 noch »von Stalin geschweißt«, so gedeiht sie in der Neuauflage von 1961 »von Lenin geschweißt«; Fürnberg starb übrigens 1957, vier Jahre bevor er sein Gedicht änderte. Stalin – das erweist sich auch daran – tat eben allerorten und zu allen Zeiten Wunder. Ulbricht, Walter (1893–1973), sächsi- scher Dialektsprecher, Parteifunk- tionär und Vorsitzender des Staatsrats (1960–1973). Wurde sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit maßgeblicher Un- terstützung Moskaus als starker Mann in der sowjetischen Zone und späteren DDR etabliert. Ließ 1961 die Mauer bauen. Scheiterte, als er seine These vom Sozialismus als relativ selbstständiger Gesell- schaftsformation in die Tat umset- zen wollte, am Einspruch Moskaus. Von Honecker 1971 gestürzt. 76 | Personenlexikon DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 76
Vogel, Wolfgang (geboren 1925), Rechtsanwalt, war als Bevoll- mächtigter der DDR für humanitäre Fragen tätig. Vogel war seit 1954 in Berlin (DDR) und seit 1957 auch an Westberliner Ge- richten zugelassen. 1962 fädelte er den ersten Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke ein, bei dem der abgeschossene U2- Pilot Powers gegen den KGB-Agenten Rudolf Abel ausgetauscht wurde. Als »Persönlicher Beauftragter des Staatsratsvorsitzen- den für die Lösung humanitärer Probleme« organisierte er den Freikauf und die Ausreise politischer Häftlinge (die es nach of- fizieller Lesart gar nicht gab, aber nach offizieller Lesart hätte es auch gar keine humanitären Probleme geben dürfen, die eines Persönlichen Beauftragten bedurften) aus der DDR. Nach dem Ende der DDR gab es Ermittlungen gegen ihn, Vorwürfe der Er- pressung und Bereicherung ließen sich vor Gericht nicht halten. Dass seine Handlungen im weitesten Sinne »undurchsichtig« waren, lag in der Natur der Sache. In diesem Sinne bekam er namhafte Unterstützung von Helmut Schmidt und Hans-Die- trich Genscher. Witt, Katarina (geboren 1965), Eiskunstläuferin, Schmuckge- stalterin, Talkshowgast. Das Time-Magazine fand, sie sei »das schönste Gesicht des Sozialismus«. Und das, nachdem sie bei den Olympiaden 1984 und 1988 die Amerikanerinnen besiegt hatte. In der Folge zeigte sie, dass sie amerikanischer sein konn- te als die Amis und lief bei »Holiday on Ice« show. Keine DDR- Gedächtnis-Fernsehunterhaltungsshow kommt ohne ihre An- wesenheit und ihren süß säuselnden Chemnitzer Dialekt aus. Personenlexikon | 77 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 77
Sprüche, Kampagnen und Parolen Altstoffe sind wichtige Rohstoffe Wenn irgendetwas in der DDR gut organisiert war, dann war es die Erfassung von Altstoffen. Mit der Losung sollten Altstoffe dem Stoffkreislauf wieder zugeführt werden – an sich ein ganz vernünftiger Gedanke. Anscheinend aber lässt er sich, wie ein Vergleich zwischen der DDR und der Bundesrepublik nahelegt, nur durchsetzen, wenn akuter Rohstoffmangel herrscht. Leider wurde später das Wort Altstoffe durch Sekundärrohstoffe er- setzt; das sind nicht nur drei Silben mehr, das spricht sich auch schlecht, besonders in Wortverbindungen: Bei einer Altstoff- sammlung wusste jeder, wozu er gebeten war, was es mit der Se- kundärrohstoffgewinnung auf sich hat, musste man erst erklären. Arbeite mit! Plane mit! Regiere mit! Eine Parole aus der späten Ulbricht-Zeit, die eigentlich ganz gut klingt, oder? Sie hatte aber einen Haken. Und der Haken war das kleine Wörtchen »mit«. Arbeite! Plane! Regiere! Das wäre ja noch schöner. Da könnte ja jeder kommen und regieren wollen. Und die, die da die Arbeit verteilten, die Wirtschaft und die ge- samte Gesellschaft durchplanten und das Volk regierten, wären am Ende überflüssig? Ulbricht bewahre! Durch das »mit« rück- te alles schön an seinen Platz. Oben die, die regierten, unten die, die mitregieren durften – als freiwillige Helfer der Volkspoli- zei, als Hausvertrauensleute oder Parteigruppenorganisato- ren. Oben die, die planten, unten die, die sich dann darüber Ge- danken machen durften, wie man die oft lebensfremden Pläne halbwegs vernünftig in die Praxis umsetzen konnte. Aus jeder Mark, jeder Stunde Arbeitszeit und jedem Gramm Material einen höheren Nutzeffekt Mit dieser Losung eröffneten 1978 die Werktätigen des VEB Oberlausitzer Textilbetrieb den sozialistischen Wettbewerb zum 30. Jahrestag der DDR. Zunächst verpflichteten sich die Arbeiter 78 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 78
ganz harmlos, »die Produktion hochwertiger, modischer Textil- erzeugnisse zur stabilen und bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung und für den Export« zu steigern. Dann aber nahm der Wettbewerb unter dieser Losung den Charakter einer typi- schen Propaganda-Kampagne an. Bassow-Methode Kampagne nach sowjetischem Vorbild, in den Siebzigerjahren eingeführt. Sie besagte schlicht, dass Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz die Häufigkeit von Arbeitsunfällen vermindern können. In den Siebzigerjahren arbeitete faktisch jedes Kollektiv, das ein Kollektiv der sozialistischen Arbeit werden (und die entsprechende Prämie abfassen) wollte, nach der Bassow-Methode. Auch der Zwölf-Quadratmeter-Laden na- mens Flacon in unserer Nachbarschaft. Allerdings wusste keine der beiden Parfümverkäuferinnen, worum es sich dabei handel- te. Später kam das Gerücht auf, selbst der sowjetische Genosse Juri Bassow, der angebliche Schöpfer dieser Methode, habe nicht gewusst, worum es sich dabei handelte. Da Ordnung und Sauberkeit das spontane Überführen von Bau- material und anderer Bückware aus der sozialistischen Pro- duktion in die private Konsumtion behinderten, war die Metho- de bei den Werktätigen nicht sonderlich beliebt. Im sächsischen Sprachraum wurde sie entsprechend umgedeutet: »Bass off, dass geener gommt« oder »Bass off, dassdn Feierobnd ni vorbasst«. Bitterfelder Weg Parteigesteuerte Kampagne, die angeblich dem besseren gegen- seitigen Verständnis von Künstlern und Arbeitern dienen sollte. Den Namen hat die Kampagne von den Bitterfelder Konferenzen (1959, 1964), ursprünglich Autorenkonferenzen des Mitteldeut- schen Verlages mit Arbeitern des Chemiekombinats Bitterfeld. Chemie gibt Brot, Wohlstand, Schönheit Auf der Chemiekonferenz 1958 ausgegebene Losung. Die Pro- duktion von Chemiefasern, Kunststofferzeugnissen und chemi- schen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sollte forciert entwi- Sprüche, Kampagnen und Parolen | 79 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 79
ckelt werden. Die Losung sollte dem schlechten Ruf (vor allem dem schlechten Geruch) entgegenwirken, den die Chemie- industrie bei der Bevölkerung hatte. Der Sozialismus siegt! Eine Behauptung, für die die Schöpfer dieser Losung – sie prangte an allen möglichen und unmöglichen Stellen als Plakat oder als Leuchtschrift – den Beweis schuldig bleiben mussten. An Rilke geschulte Schöngeister erwiderten auf diese Losung: »Wer spricht von Siegen, überstehn ist alles.« In Sachsen sprach man die Losung breit, aber wahrheitsgetreu so aus: »Drr Sozia- lismus siecht!« Die Ostsee soll ein Meer des Friedens werden Losung anlässlich der Rostocker Ostseewoche 1958. Sie war propagandistisch gegen die NATO, namentlich aber gegen die Bundesrepublik gerichtet, der man reflexartig aggressive Ab- sichten unterstellte. Ferner sollten die nichtpaktgebundenen Ostsee-Anrainer (Finnland und Schweden) auf die Seite des »Friedens und des Sozialismus« gezogen werden. Abgesehen da- von, dass man sich für die Ostsee nichts Besseres wünschen konnte als Frieden, erzielte die Losung immer dann komische Wirkungen, wenn sie völlig zusammenhangslos in völlig küs- tenfernen Situationen gebraucht wurde: Ging es in einem Büro drunter und drüber, glättete vielleicht einer die Wogen mit dem Spruch: »Aus all dem muss ein Meer des Friedens werden.« Reg- te sich ein Meister über die Ausschussproduktion auf, erwider- te der Arbeiter, so er Sinn für Unsinn hatte: »Die Werkbank soll ein Meer des ...« Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische deutsche National- kultur braucht dich! Auf Veranlassung Walter Ulbrichts ins Leben gerufene Kam- pagne zur Förderung des künstlerischen Volksschaffens. Sie fand ihren Ausdruck in zahlreichen Zirkeln schreibender Arbeiter, und zwar im Schreiben von Betriebschroniken und Brigadetage- büchern. Die SED erhoffte sich von dieser Bewegung schriftstel- 80 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 80
lerischen Nachwuchs, der ihren Vorstellungen von Klassen und Schichten in der DDR entsprach. Die Kampagne erreichte ihr Ziel nicht. Freitag ab eins macht jeder seins In der DDR galt, bei einer Fünftagearbeitswoche, eine wöchent- liche Arbeitszeit von 43 Stunden und 45 Minuten. Schichtarbei- ter und nach und nach weitere Beschäftigte kamen in den Ge- nuss der 40-Stunden-Woche. Die tägliche Büroarbeitszeit dau- erte offiziell bis 16 Uhr 45. Offiziell auch am Freitag. Aber am Freitag war mancherorts manches anders. Am Freitag waren Be- sorgungen zu machen, war für das Wochenende einzukaufen, waren Schuhe zur Reparatur oder Mäntel zur Reinigung zu bringen. Das schaffte man nicht mehr vom Büroschluss bis zum Ladenschluss, der in Berlin um 19 Uhr war, im größten Teil des Landes aber bereits um 18 Uhr. Also gingen die Werktätigen von sich aus zur 40-Stunden-Woche über und verschwanden frei- tags, sobald es irgendwie möglich war. Freitags ab eins macht je- der seins ist außerdem ein trefflicher Ausdruck für den Vorrang des Privaten vor dem Gesellschaftlichen. Der Spruch hat längst gesamtdeutsche Dimensionen, und es ist nicht mehr klar auszu- machen, ob er eher im Westen oder eher im Osten in Umlauf kam. Heute wird er ergänzt durch den Zusatz: Freitag ab zehn soll’s auch schon gehn. Ich leiste was – ich leiste mir was Losung aus den Siebzigerjahren. Sie war, wegen des unverhohlen ausgesprochenen Konsumgedankens, auch in der SED zunächst umstritten. Sie wurde dann doch auf Plakate gedruckt, und zwar im Zusammenhang mit einem noch viel schlimmeren Spruch, der dem Anschein nach direkt aus der Hausväterliteratur des 18. Jahrhunderts herangekrochen kam: »Fleiß ist des Glückes Vater: Ich leiste was – ich leiste mir was.« Unfassbar, bis heute unfassbar. Jeder jeden Tag mit guter Bilanz Losung, die die Initiativen »aus Anlass und zu Ehren« des X. Par- teitags der SED 1981 bündeln sollte. Sprüche, Kampagnen und Parolen | 81 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 81
Jeder liefert jedem Qualität Wettbewerbslosung von 1977; Erika Steinführer, Wicklerin im VEB Berliner Glühlampenwerk NARVA, war auserkoren wor- den als Urheberin der Aufforderung »Jeder liefert jedem Quali- tät – ein Anspruch an uns alle« aufzutreten. In der Folge wurde Frau Steinführer von Erich Honecker zum Empfang anläss- lich des Nationalfeiertags eingeladen und von Akademiemit- glied Walter Womacka in Öl gemalt. Jeder Mann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport Vo n Walter Ulbricht, der sich gern als Sportsmann – auf Skiern und beim Volleyball – präsentierte, sehr geschätzte und angeblich 1958 von ihm selbst ausgegebene Losung. Wurde spä- ter modifiziert in »... mehrmals in der Woche Sport«. Junkerland in Bauernhand Unter dieser Losung startete im Herbst 1945 die größte Enteig- nungskampagne der deutschen Agrargeschichte. Klug gespart ist Arbeiterart Losung vom Dezember 1977. Der Porzellangießer H. Steinbach aus dem VEB Vereinigte Porzellanwerke Kahla musste als Autor dieser Losung herhalten. Mit ihr wurde dazu aufgerufen, täglich ein Prozent Material- und Energiekosten einzusparen. Max braucht Wasser Unter dieser Losung entfaltete die FDJ 1948 eine Initiative zum Bau einer Wasserleitung für die Maxhütte Unterwellen- born – es entstand eines der bekanntesten Jugendobjekte in der DDR; die Wasserleitung konnte am 1. April 1949 in Betrieb ge- nommen werden. Mein Arbeitsplatz – ein Kampfplatz für den Frieden Da immer irgendwie um irgendetwas gekämpft werden musste, damit einen die Funktionäre in Ruhe arbeiten ließen, stellten die Verkäuferinnen kleine rote Mini-Transparente mit dieser Lo- sung ins Schaufenster. Die Losung wurde besonders in der Zeit 82 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 82
des NATO-Doppelbeschlusses gepflegt und sollte wohl eher Kampfbereitschaft als Friedensbereitschaft fördern. Meine Hand für mein Produkt Diese Losung wurde in den Zusammenhang zum Parteiabzei- chen der SED gestellt; die beiden symbolischen Hände wurden zu abgehackten Händen umgedeutet, weil jemand die Losung allzu wörtlich genommen hatte. Eine etwas makabre, aber durchaus verständliche Deutung, denn die Probleme mit der Produktqualität waren während der gesamten Existenz der DDR Diskussionsstoff. Nimm ein Ei mehr! Aus den Sechzigerjahren. Kam immer dann auf, wenn es eine Überproduktion an Eiern gab oder die Qualität der Kühlhausei- er so miserabel war, dass das Kaufinteresse deutlich nachließ. Die Frage des Cholesterinspiegels spielte damals noch keine Rolle. Privat geht vor Katastrophe Reaktion der DDR-Bürger auf das ständige Bombardement mit Aufrufen, Initiativen und Kampagnen. Der »Rückzug aufs Pri- vate«, von Ost- wie Westlinken naserümpfend kritisiert, war vor allem das Insistieren auf dem Recht, einen privaten Raum zu be- haupten. Aus der Gesinnung, die hinter diesem Spruch steckte, sprach also weniger ein Rückzug als ein Angriff – ein Angriff, der sich in Verweigerung äußerte –, der der politischen Ideolo- gie des real existierenden Sozialismus an die Wurzel ging. So wurde diese Haltung vom Staat und seinen Funktionären auch verstanden. Robotron schlägt IBM Slogan aus den späten Sechzigerjahren. Es ist nicht mehr zu er- mitteln, wer so geistesschwach gewesen war, ihn in Verkehr zu bringen. Und im Himmel ist Jahrmarkt. Der legendäre robotron r 300 mag für DDR-Verhältnisse ein erfreuliches und brauchba- res Instrument gewesen sein; zu IBM verhielt sich das Kombi- nat Robotron aber wie ein Hansa-Keks zu einer Sachertorte. Sprüche, Kampagnen und Parolen | 83 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 83
Schöner unsere Städte und Gemeinden. Mach mit! Masseninitiative in der Nachfolge des Nationalen Aufbauwerks (NAW), mit der seit den Siebzigerjahren zur Verschönerung öffentlicher Anlagen, der Wohnumgebung und des Ortsbildes aufgerufen wurde. So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben Losung aus der Nachkriegs- und Aufbauzeit, die im November 1953 eingeführt wurde, um die Wettbewerbsbewegung in den so- zialistischen Betrieben, die man nach dem 17. Juni eingestellt hat- te, kurzfristig wieder anzukurbeln. Die Urheberschaft an dieser Losung schrieb die SED-Propaganda einer Lausitzer Weberin mit dem bemerkenswerten Namen Frieda Hockauf zu. Wie rea- gierten die Arbeiter, wenn ihnen Stoßbrigaden und Normbrecher vor die Nase gesetzt wurden, um den »Sozialistischen Wettbe- werb« anzuheizen? »Bleib ruhig, Kalle, und setz dir erst mal. Und merk dir: Wie die heute arbeiten, werden wir morgen leben.« Sozialistisch arbeiten, lernen und leben Diese 1959 entstandene Losung blieb der Leitsatz für den Wett- bewerb um den Titel »Kollektiv der sozialistischen Arbeit«. Sie wurde auch auf der Verleihungsurkunde abgedruckt. Zuerst nachweisbar, als die Jugendkomplexbrigade »Nikolai Mamai« des VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld am 3. Januar 1959 beschloss, um den Titel »Brigade der sozialistischen Ar- beit« zu kämpfen. Stürmt die Höhen der Kultur! Losung, die auf eine Forderung Walter Ulbrichts auf dem V. Parteitag der SED zurückging. Wörtlich führte Ulbrich aus: »In Staat und Wirtschaft ist die Arbeiterklasse bereits der Herr. Jetzt muss sie auch die Höhen der Kultur stürmen und von ihnen Besitz ergreifen.« Offenbar musste die Kultur wohl der Arbeiter- klasse besonders hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt ha- ben; auf dem Parteitag wurden ihre Höhen sturmreif geschossen und zum Sturm geblasen. Anders als kriegerisch und in Form blutiger Gemetzel konnten sich die Klassenkampfneurotiker an 84 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 84
der Spitze der Parteihierarchie den Fortschritt gar nicht mehr vorstellen. Auch der Arbeiterklasse ging es gehörig auf den Zei- ger, ständig zum Sturm auf irgendetwas gerufen zu werden. Die Leidtragenden waren die Künstler und »Kulturschaffenden«. Überholen ohne einzuholen Parole aus den späten Sechzigerjahren. Aber wie sollte das ge- hen? Gemeint war ungefähr Folgendes: Wenn der Klassenfeind im sterbenden faulenden parasitären (man muss das wie ein Wort aussprechen) Kapitalismus einen technologischen Vor- sprung vor dem Sozialismus hat, soll man nicht versuchen, ihn einzuholen, weil man das sowieso nicht schafft (richtig!), sondern eine Abkürzung nehmen (wie bitte?), einen anderen Weg finden, den der Kapitalismus nicht kennt, noch besser ei- nen, den er nicht betreten kann, damit er nicht auf die Idee kommt, den vorauseilenden Sozialismus einzuholen. Auf die- sem gedanklichen Mist wuchsen kürbisgroße Erkenntnisse wie die des sowjetischen Polit-Ökonomen Pokrytan, der Kapitalis- mus könne, weil er an das Marx’sche Wertgesetz gebunden sei, die komplexe Automatisierung nicht verwirklichen. Leider konnte man den sterbenden faulenden parasitären Kapitalismus nicht davon überzeugen, sich daran zu halten. Der kampagnen- geplagte Sozialist verballhornte die Losung folgerichtig zu »Überstürzen ohne einzustürzen«. Wählt die Kandidaten der Nationalen Front Ja, welche denn sonst? Weniger produzieren mehr Mit dieser Losung von 1978 ist die viel genannte Schwedter Ini- tiative verknüpft. Acht Schichtkollektive (Kollektiv) der Sal- peter- und Kalkammonsalpeterproduktion der Schwedter Dün- gemittelfabrik des VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt werden als Urheber dieser Initiative genannt. 2400 Arbeitskräfte sollten freigesetzt und für andere Aufgaben vorbereitet werden. Mit dieser Kampagne hoffte die DDR-Führung, den Arbeits- kräftemangel in den Griff zu bekommen. Sprüche, Kampagnen und Parolen | 85 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 85
Die elf unverschämtesten Sätze von DDR-Funktionären Viele Äußerungen einst führender DDR-Politiker bewarben sich um Aufnahme in diese Sammlung. Es fiel schwer zu entschei- den, welche Sätze ausgewählt werden sollten. Aufgenommen wurden schließlich die Äußerungen mit der größten Verlogen- heit und dem höchsten Peinlichkeitsfaktor. Wilhelm Pieck am 16. Dezember 1949 zum 70. Geburtstag Stalins: »Stalin ist der Lenin von heute. Wie Lenin die russischen Arbei- ter und Bauern zum Sieg über die Herrschaft des Zarismus führ- te, so führt Stalin die ganze unterdrückte Menschheit zum Sieg über die finsteren Kräfte des Krieges und der Reaktion.« Otto Grotewohl am 20. März 1953 vor der Volkskammer: »Das deutsche Volk betrachtet die schmutzigen Machenschaften der Bonner Landesverräter mit tiefer Verachtung und steigen- dem Kampfeswillen, weil die westdeutsche Bundesrepublik durch die Adenauer-Politik ein Hort des deutschen Militaris- mus und Faschismus und der revanchelüsternen deutschen Mo- nopolherren geworden ist.« Walter Ulbricht am 27. Mai 1953 zu Angehörigen der Intelligenz: »In der Deutschen Demokratischen Republik sind alle Bedin- gungen für eine wirklich freundschaftliche Zusammenarbeit der Arbeiterklasse mit der Intelligenz gegeben: Ein gesichertes Le- ben der Angehörigen der Intelligenz und ihr ungehindertes Schaffen wird gewährleistet, damit sie große wissenschaftliche Leistungen vollbringen können.« Otto Grotewohl am 18. September 1958 auf der 2. Tagung des Zentralkomitees der SED über Wahlen in der DDR: »Unsere Wahlen sind wahrhaft demokratische Wahlen, weil die ökonomische Ordnung der Deutschen Demokratischen Repu- blik eine wahrhaft demokratische Ordnung ist, weil das Volk die Herrschaft unmittelbar ausübt.« 86 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 86
Karl-Eduard von Schnitzler am 21. März 1960 anlässlich der ersten Sendung des Schwarzen Kanals: »Der Schwarze Kanal, den wir meinen, meine lieben Damen und Herren, führt Unflat und Abwässer; aber statt auf Rieselfelder zu fließen, wie es eigentlich sein müsste, ergießt er sich Tag für Tag in Hunderttausende westdeutsche und Westberliner Haushalte. Es ist der Kanal, auf dem das westdeutsche Fernsehen sein Pro- gramm ausstrahlt: der Schwarze Kanal. Und ihm werden wir uns von heute an jeden Montag zu dieser Stunde widmen, als Klär- anlage gewissermaßen.« Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 auf die Frage einer westdeut- schen Journalistin, ob er meine, dass am Brandenburger Tor eine Staatsgrenze verlaufen solle: »Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Men- schen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Haupt- stadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauar- beiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!« Walter Ulbricht am 18. August 1961 in einer Fernsehansprache zu den Folgen des Mauerbaus: »Es wird nun noch eine Weile in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer näheren Umgebung Leute geben, die sich durch den Westberliner Frontstadtsumpf haben beeinflussen lassen – und sprechen wir es ganz offen aus: haben verderben lassen. Manche Jugendliche haben die ehrliche Arbeit verlernt. Manche Leute haben seit Jahren keine ehrliche Arbeit mehr angefasst. Diesen Menschen muss man helfen, wieder ehr- lich zu werden und sich an geregelte Arbeit zu gewöhnen.« Erich Honecker am 12. Juni 1986 auf der 2. Tagung des ZK: »In unserer Deutschen Demokratischen Republik ist ein für alle Mal der für alle Ausbeuterordnungen typische Gegensatz zwi- schen Staat und Bürger beseitigt.« Die elf unverschämtesten Sätze | 87 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 87
Erich Honecker am 19. Juni 1986 gegenüber schwedischen Journalisten zur radioaktiven Kontamination nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl: »Wir hatten rund um die Uhr die Messwerte kontrolliert, um Schäden festzustellen, aber es gab keine Gefahren. Unser Gemü- se und Salat konnte verkauft werden, und das wird ja immer ge- waschen. Gemüse und Salat müssen gut gewaschen werden. Zu Hause waren wir sechs Kinder, und unsere Mutter hat immer den Salat gewaschen.« Kurt Hager 1987 in einem Stern-Interview zu Glasnost und Perestroika in der UdSSR: »Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezie- ren?« Erich Honecker am 9. Oktober 1987 vor belgischen Journalisten über Pressefreiheit in der DDR: »Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse sind verfas- sungsmäßig garantiert und als elementare Menschenrechte an- erkannt. Wir erachten die Mannigfaltigkeit der Meinungen und Ideen, eine rege geistige Kommunikation sowohl in unseren ei- genen Reihen als auch mit Andersdenkenden als lebensnotwen- dig, weil nur so alle Potenzen unseres Volkes freigesetzt und er- schlossen werden können.« Ende 1986 bereiste Erich Honecker die Mongolei, China und Nordkorea. Was hat er dort gelernt? In der Mongolei, dass ein Volk durchaus auch in Zelten und Jurten leben kann, in China, dass man die Mauer noch viel höher bauen kann, und in Nordkorea, wie man den Staatschef mit einer goldenen Kolossalstatue angemessen ehrt. 88 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 88
Die sozialistische Moral Der sozialistische Moralkodex, der für den »neuen Menschen«, wie er der SED vorschwebte, verbindlich sein sollte, wurde von Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED 1958 verkündet. Das moralische Gesicht des sozialistischen Menschen, der sich im edlen Kampf um den Sieg des Sozialismus entwickelt, wird be- stimmt durch die Einhaltung der grundlegenden Moralgesetze: 01. Du sollst Dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen. 02. Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. 03. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. 04. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. 05. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen. 06. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren. 07. Du sollst stets nach Verbesserungen Deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeits- disziplin festigen. 08. Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 09. Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten. 10. Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden Völkern üben. Die sozialistische Moral | 89 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 89
Früh wurde sozialistisches Verhalten eingeübt. Schon die Jung- pioniere (Pioniere) bekamen, wenn sie am 13. Dezember ih- res ersten Schuljahres in die Pionierorganisation aufgenom- men wurden, auf ihrer Mitgliedskarte die folgenden zehn Ge- bote mit; sie wurden im Laufe der Jahre mehrfach geringfügig ergänzt. Die Gebote der Jungpioniere (Fassung von 1962)  Wir Jungpioniere lieben unsere Deutsche Demokra- tische Republik.  Wir Jungpioniere helfen mit, den Frieden zu schützen.  Wir Jungpioniere lieben unsere Eltern.  Wir Jungpioniere halten Freundschaft mit den Kindern aller Länder.  Wir Jungpioniere lernen immer fleißig, treiben Sport und halten unseren Körper sauber.  Wir Jungpioniere sagen die Wahrheit.  Wir Jungpioniere helfen überall tüchtig mit.  Wir Jungpioniere sind gute Freunde und helfen einander.  Wir Jungpioniere singen und tanzen und spielen gern.  Wir Jungpioniere tragen mit Stolz unser blaues Halstuch. 90 | Sprüche, Kampagnen und Parolen DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 90
Das Land, die Leute, das Leben War alles grau in grau? Liefen alle Muddis in Kittelschürzen herum? Waren alle in der SED? War die Wirtschaft marode? Gibt es irgendein Vorurteil, das bislang noch nicht bedient wurde? Grau war eine vorherrschende Farbe in der DDR, das fiel auf im Vergleich mit dem Westen, wo zwar nicht alles bunt, aber man- ches weiß war. Kittelschürzen waren ein beliebtes Kleidungs- stück (und sind es noch heute); sie passten zu einer arbeitsdo- minierten Lebensweise und waren ungeheuer praktisch. Die SED hatte vor dem Zusammenbruch des Systems über 2,3 Mil- lionen Mitglieder. Sie war darum aber kein Sammelbecken der Karrieristen – die gab es auch, und die liefen als Erste mit lautem Wehgeschrei aus der Partei wieder fort –, wie die Übelmeinen- den glaubten, denn wie hätten solche Karrieren von rund einem Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung aussehen sollen? Sie war auch kein »Kampfbund der Arbeiterklasse« keine »Avantgarde«, keine Armee »aktiver Kämpfer an der ideologischen Front« und was sonst noch an propagandistischem Zinnober von den füh- renden Funktionären über sie verbreitet wurde. Das bewies ihr stilles Dahinscheiden in den Herbsttagen 1989. Sie war eher so etwas wie eine »staatstragende Vereinigung«. Partei und Staat waren so eng miteinander verflochten, dass das Schicksal des ei- nen besiegelt war, wenn der andere unterging – und umgekehrt. Das Land der knappen Ressourcen In der DDR gab es von allem – na ja, von fast allem – zu wenig. Und das Wenige wurde auf sagenhafte Weise verschwendet. Der Satz, mit dem jeder Dederoni den Mitleidbonus einzufahren trachtet, lautet (ausgesprochen in sächsischer Mundart): »Mir hadden ja nüschd.« Knapp waren Rohstoffe, Energie und Arbeitskräfte, Wohnraum, Ferienplätze und Konsumgüter und noch vieles andere mehr, Das Land der knappen Ressourcen | 91 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 91
was sich gar nicht im Einzelnen aufzählen lässt. Es gab buchstäb- lich nichts – na ja, fast nichts –, was es nicht irgendwann einmal nicht gab. In der Frühzeit der Republik konnte man Anlauf- schwierigkeiten und den bösartigen aggressiven Klassenfeind dafür verantwortlich machen. Im Herbst 1952 erklärte Minis- terpräsident Otto Grotewohl beschwörend: »Die Klagen über die Versorgung mit Zucker kommen im Wesentlichen einerseits daher, dass Zucker heute eine der beliebtesten Schieber- und Spekulationswaren ist und dass andererseits Zucker wegen sei- nes hohen Nährwertes ein beliebtes Ausweichmittel gegen Fett ist. Ein Zuckermangel ist bei uns nicht vorhanden ... Die Zu- ckerversorgung für unsere Bevölkerung ist völlig gesichert. Zu- cker und Süßigkeiten wird es zu Weihnachen geben. Es besteht keinerlei Grund zur Beunruhigung.« Dieses Muster sollte sich später immer mal wiederholen. Der Effekt war meistens: Sagte die Regierung, es bestehe kein Grund zur Beunruhigung, schrill- ten beim Volk alle Alarmglocken. Den Erklärungen, es gebe von allem genug, folgten Erklärungen, warum das, wovon es genug gab, nicht ausgereicht hatte. Gab es zum Bespiel genug Babybekleidung, die indes in den Geschäften nicht zu haben war, folgte als Erklärung allen Ernstes, mehr Ba- bys als geplant seien im letzten Jahr geboren worden. Und merk- würdigerweise wurden immer genau im Hochsommer, wenn der Durst am größten war, die Abfüllanlagen der Getränkekom- binate (Kombinat) rekonstruiert. Und die Anlagen, die gerade nicht rekonstruiert wurden, erlitten pünktlich zum Ferienbe- ginn im Juli die schwersten und nur langfristig behebbaren Ha- varien. Jedenfalls wurde dem durstenden DDR-Bürger Jahr für Jahr das Ausbleiben ausreichender Getränkemengen in den Kaufhallen so erklärt. Den Erklärungen folgte der Aufruf zum Sparen. Sparen sollten 92 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 92
wir mit jedem Gramm Material, jeder Stunde Arbeitszeit und je- der Kilowattstunde Energie. Mit dem Aufruf allein war es nicht getan; die Verwaltung wurde in Bewegung gesetzt, um die Ein- sparung in geregelte Bahnen zu überführen. Und da man der Verwaltung allein nicht trauen darf (wie richtig, wie richtig! Das gilt – systemübergreifend – noch immer!), setzten sich gleich noch die politischen Organisationen in Marsch. Zum Beispiel die FDJ an den Hochschulen. Da sollte auch Arbeitszeit einge- spart werden, weil ja überall Arbeitszeit eingespart werden soll- te. Wie sollte das gehen? Der FDJ-Sekretär der Hochschule hat- te das entsprechende Formular einfach weggeschmissen, weil er es für komplett blödsinnig hielt. Aber so ging das natürlich nicht! Der junge Mann wurde umgehend zu einer Anleitung in die Bezirksleitung bestellt, wo sich folgender Dialog zur Frage der Arbeitszeiteinsparung entspann: Hochschulsekretär: »Wie soll ich denn an einer Hochschu- le Arbeitszeit einsparen? Soll ich die Vorlesungszeiten ver- kürzen lassen?« Bezirkssekretär: »Sieh es doch mal anders. Ihr habt doch bestimmt keine Reinigungskräfte ...« Hochschulsekretär: »Aber natürlich haben wir keine Reini- gungskräfte, hatten wir noch nie, soweit ich mich erinne- re.« Bezirkssekretär: »So, so. Und wer macht bei euch die Semi- narräume sauber?« Hochschulsekretär: »Das machen die Studenten selber. Da gibt es seit Jahren einen Reinigungsplan und eine Vereinba- rung mit dem Direktor für Studienangelegenheiten.« Bezirkssekretär: »Siehste: Da habt ihr also Reinigungskräf- te eingespart.« Hochschulsekretär: »Aber wir hatten doch nie ...« Bezirkssekretär: »Wie lange dauert denn die Reinigung ei- nes Seminarraums?« Hochschulsekretär: »Halbe Stunde.« Bezirkssekretär: »Runden wir auf: eine Stunde. Nimmste Das Land der knappen Ressourcen | 93 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 93
jetzt einfach die Zahl der Seminargruppen, haste die Zahl der eingesparten Stunden Arbeitszeit.« Hochschulsekretär: »Aber wir haben doch gar keine ... ich meine, nie ... das ist doch Schwindel.« Bezirkssekretär: »Also ich muss doch bitten! Putzen eure Studenten die Seminarräume?« Hochschulsekretär: »Ja, aber ...« Bezirkssekretär: »Erspart euch die Vereinbarung mit dem Direktor für Studienangelegenheiten die Arbeitskraft von, sagen wir, zwei Reinigungskräften?« Hochschulsekretär: »Schon, aber ...« Bezirkssekretär: »Kein Aber! Schreib’s hin. Wir melden’s weiter, und ihr habt die Auflagen erfüllt.« Auf diese oder ähnliche Weise kamen landesweit und in allen Branchen die seltsamen Statistiken zustande, die allwöchentlich zur Volksbelustigung beitrugen, jene Mitteilungen im Neuen Deutschland über die Steigerung der Arbeitsproduktivität, ver- bunden mit der Einsparung an Material und Arbeitszeit. Sparen, sparen, nochmals sparen – koste es, was es wolle! Nach diesem Motto schienen die Kampagnen der Material- und Ener- gieökonomie alle zu laufen. Doch allen Sparaufrufen zum Trotz wurde verschwendet, was das Zeug hielt. Wo funktionierende Thermostate nicht zu haben waren, regulierte man die Raum- temperatur mit dem Fensterflügel. Energiewirtschaftlich kata- strophal – aber wie denn anders? Wenn das Benzinkontingent für den Kleintransporter Marke Barkas aufgebraucht war, wur- den die vier Personen, die sonst im Barkas fuhren, mit einem Ikarus-Bus transportiert. Der war zwar für 50 Personen zugelas- sen, aber er fuhr mit Diesel, und das Diesel-Kontingent war noch nicht erschöpft. Klar war das Verschwendung, aber wie sollte es anders gehen? Einen der letzten Inlandflüge der Interflug nutzte eine Mitarbei- terin des VEB Deutsche Schallplatten, um im August 1978 ei- nen brandeiligen Coverentwurf für eine Schallplattentasche von der Zentrale in Berlin in die Druckerei nach Gotha zu bringen. 94 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 94
Die AN-24 der Interflug hatte 52 Sitzplätze. Die junge Frau flog allein in Begleitung zweier Stewardessen mit den Druckunterla- gen im Handgepäck von Berlin nach Erfurt, dort wartete ein Wagen, der sie nach Gotha brachte. Der Rückweg erfolgte nach dem gleichen Prozedere. Und das alles nur, weil Sigmund Jähn gerade der erste Deutsche im All war und eine Sonderprodukti- on zu diesem Anlass keinen Aufschub duldete. Politik hatte immer Vorrang und schob ökonomische Erwägun- gen beiseite. Sogar den geheiligten Plan, wenn es sein musste. Das hatte Methode, aber es blieb dennoch Wahnsinn. Das Leben nach Plan Das Dilemma eines Wirtschaftssystems, das der Wirklichkeit mit Plänen beikommen will, lässt sich in dem Satz des verirrten Wanderers zusammenfassen, der mitten im Wald von seiner Karte aufschaut und sagt: »Die Karte ist auf jeden Fall richtig; die Gegend muss falsch sein.« Die Planwirtschaft begegnete uns nicht erst in der Wirtschaft, der Plan umgab uns von Anfang an. Ich will nicht behaupten, dass die DDR tatsächlich das Land mit den meisten Plänen war, aber sie hätte verdient, es zu sein. Dass Schüler einen Stundenplan haben, ist an sich nichts Unge- wöhnliches. Auch dass sie angehalten werden, diesem Stunden- plan pünktlich zu folgen, unterscheidet sie noch nicht von Schü- lern in der Bundesrepublik heute. Aber dass der Schüler den Stundenplan nicht einmal dann abschütteln konnte, wenn er die Schule verließ und eine Hochschule oder Universität bezog, wirkt nicht nur heute befremdlich. Das war es damals schon. Und wurde knurrend oder schulterzuckend hingenommen. Ge- handhabt wurden die Studien-Stundenpläne durchaus restrik- tiv. Zweimaliges unentschuldigtes Fehlen in den Fächern des »marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums« zog unange- nehme Fragen nach sich. Und unangenehme Fragen dieser Art beantwortete man besser nicht allzu offenherzig, wollte man sei- nen Hochschulabschluss nicht gefährden. Hielt zur gleichen Zeit Das Leben nach Plan | 95 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 95
ein Professor eine spannende Vorlesung, während das Fach »Po- litische Ökonomie« auf dem eigenen Stundenplan stand, hatte man denkbar schlechte Karten. Aber nicht nur nach der Schule schlug der Plan zu. Auch vor der Schule griff er schon nach den Kleinsten. Zum Beispiel in den Kinderkrippen. Man mag ja für oder gegen diese Kindereinrich- tungen votieren. Es gab sie, und Hunderttausende Kinder durch- liefen sie, und Hunderttausende Elternpaare und Alleinerzie- hende waren dankbar, dass es sie gab. Aber ob wirklich alles nach so strengen Plänen verlaufen musste? Der »Tagesablaufplan 2. Lebensjahr« ist jedenfalls authentisch und unbearbeitet: Tagesablaufplan 2. Lebensjahr 06:00–7:300 Annahme der Kinder 07:30–7:500 Frühstück 07:50–8:050 Ausziehen, Topfen 08:05–9:350 Schlaf 09:35–9:50 0Anziehen, Topfen 09:50–10:00 Beschäftigung 10:00–10:25 Spiel 10:25–10:40 Anziehen 10:40–11:40 Freiluftaufenthalt 11:40–11:55 Ausziehen 11:55–12:15 Mittagessen 12:15–12:30 Ausziehen, Topfen 12:30–14:30 Schlaf 14:30–14:45 Anziehen, Topfen 14:45–15:05 Vesper 15:05–18:00 Spiel im Freien oder Gruppenraum bis 18:00 Abholen der Kinder Planvoll ging es vor allem in den Betrieben zu. Und das nicht nur in der Produktion (wobei die Produktionspläne ein Kapitel für sich verdient hätten). Wer etwas werden wollte, wurde flugs zum Objekt eines Kaderentwicklungsplans (Kader). Einen Kultur- und Bildungsplan gab es und einen Plan Wissenschaft und Technik. Aber über allem stand der Plan. So stand es jeden- 96 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 96
falls im Plan. Der Plan hatte nämlich das Problem, dass er aus vielen Einzelplänen auf unterschiedlichen Strukturebenen be- stand. »So gab es zu keinem Zeitpunkt eine Übereinstimmung zwischen den zentralen Plangrößen und der Summe der Be- triebspläne«, schildert ein Wirtschaftsfunktionär aus Mittags Umgebung die Situation. »Auch die im Plan quantifizierten In- teressen von Zentrale und Bezirken waren nicht in Deckung zu bringen. Die Planwirtschaft beherrschte das Wechselverhältnis zwischen quantitativen und qualitativen Faktoren nicht.« Am schlimmsten war es, wenn die Zahlungsunfähigkeit der DDR vor der Tür stand; dann mussten Devisen aufgetrieben werden. Was sich irgendwie versilbern ließ, floss in den Westen, auch wenn damit Warenproduktion (eine heilige Kuh unter den Plan- positionen) verloren ging. Die Autorität des Plans, der schon bei seiner Aufstellung utopisch war und folglich, um überhaupt er- füllt werden zu können, nach unten korrigiert wurde, litt darun- ter noch mehr. Wenn nichts mehr ging, rief die Partei danach, Reserven zu mo- bilisieren. Das klingt, wie es sich für eine Kommandowirtschaft gehört, sehr militärisch. Nur versteht das Militär unter Reserven etwas vollkommen anderes, als die Wirtschaftsfunktionäre aus dem Dunstkreis Günter Mittags darunter verstanden. Für das Militär sind Reserven verfügbare frische Kräfte, Material und Mannschaften, die bei entsprechender Notwendigkeit an einem Schwerpunkt eingesetzt werden und oft die Entscheidung brin- gen können; Reserven sind also das, was man in der Hinterhand hat. Für Mittag und die Seinen waren Reserven etwas, was man nicht hatte, etwas, das aus dem Nichts erschaffen werden muss- te. Maschinen, die länger liefen (obwohl es keinen Treibstoff für sie gab), Mitarbeiter, die intensiver arbeiteten (obwohl es an Ma- terial fehlte, mit dem sie hätten arbeiten können), Anlagen, die weit über ihre normative Nutzungsdauer hinaus betrieben wur- den (obwohl ihnen dringend benötigte Ersatzteile fehlten). Wie sollten sonst diese »Reserven« erschlossen werden? Ende der Siebzigerjahre gab es die sogenannte Gegenplanbewe- gung (Gegenplan). Die Kollektive sollten sich verpflichten, ein Prozent mehr Warenproduktion zu erzeugen. Da sich ein Das Leben nach Plan | 97 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 97
Prozent aber propagandistisch nur schwer ausschlachten lässt, wurde es übersetzt in: drei Tage Planvorsprung. Das war etwas Konkretes, darunter konnten sich viele etwas vorstellen, mit dem Jahresplan drei Tage früher fertig zu sein. Was sie sich nicht vorstellen konnten, war, wie das gehen sollte. Denn hier schlug sich die Planwirtschaft mit ihren Kennziffern und Bilanzierun- gen selbst: Wo sollte das Material für drei Tage zusätzliche Pro- duktion herkommen? Wie waren Zulieferer zu überzeugen, be- nötigte Halbfabrikate in größerer Zahl und auch noch eher zu liefern? Und wenn es tatsächlich gelungen war, mehr zu produ- zieren, wohin dann mit dem Zeug? Oft wurde der Plan, dessen Bestandteile ohnehin schon kaum miteinander harmonierten, durch solche verordneten Initiativen noch mehr durcheinan- dergebracht. Sie hatten nur geringen oder gar keinen volkswirt- schaftlichen Effekt, aber sie verstimmten und verärgerten selbst die Gutwilligsten. Wenn es einem Betriebsleiter nicht gelang, mit Schwarzen Husaren die U-Boote zu besetzen, war er auf die Kreativität des Berichtswesens angewiesen oder darauf, dass der Plan nach unten korrigiert wurde. Wer sich bestimmte Zeitungen und Broschüren lange genug aufhob, um am Ende einer Planungspe- riode die gemeldeten Ergebnisse mit den ursprünglichen Plan- Auf dem Neujahrsempfang des Diplomatische Korps er- läutert Erich Honecker aufgeräumt die Bedeutung der ver- schiedenen Städte in der DDR. »Berlin ist natürlich unsere Hauptstadt«, plaudert er. »Ros- tock ist unsere größte Hafenstadt, Leipzig unsere Messe- stadt, Magdeburg die Stadt des Schwermaschinenbaus, Er- furt ist wegen der IGA als Blumenstadt bekannt, und Dres- den ist unsere Heldenstadt.« »Ja, wieso?«, fragt der französische Botschafter, »ist Dres- den nicht die Stadt der Künste? Wieso ’eldenstadt?« »Seit 40 Jahren von der Versorgung abgeschnitten«, meint Honecker, »und die Leute leben immer noch und wählen mich mit 99,9 Prozent.« 98 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 98
vorgaben zu vergleichen, konnte manche Überraschung erle- ben. Wenn man dann noch einen bestimmten Prozentsatz »nor- male« Schönfärberei abzog, weil grundsätzlich nur solche Wirt- schaftszahlen veröffentlicht wurden, die Günter Mittag abgeseg- net hatte, konnte man sich ein Bild machen, warum es mit der Wirtschaft ständig bergab ging. Erich Honecker hat zum 40. Jahrestag der DDR eine illus- trierte Neuausgabe des Kapital von Karl Marx veranlasst. Mit Radierungen von Günter Mittag. Das Erstaunliche ist, dass es so lange gut ging. Und es ging, weil die Mehrzahl der Menschen einfach nur gute Arbeit machen wollte. Weil viele sich Mühe gaben und versuchten, das Beste aus der Misere zu machen, trotz Günter Mittags Chaos-Wirtschaft. Alles, was schmeckt Kulinarische Erinnerungen gehören zu den schönsten Erinne- rungen. »Schmeckt wie bei Muttern« steht sprichwörtlich für »unbeschreiblich, unübertrefflich, unwiederholbar«. Manches in der DDR verdiente (vielleicht) dieses Prädikat, manches be- stimmt nicht. Dennoch hat sich die Geschmackserinnerung festgesetzt. Manches hat die Wende überstanden und ist mitt- lerweile zu Kultstatus gelangt, anderes ist verschwunden. Viel- leicht schade drum. Vielleicht auch nicht. Hier eine Auswahl. Broiler Einer der wenigen Anglizismen, die fest im offiziellen Sprachgebrauch der DDR verankert waren. Broiler ist ein anglo- amerikanischer Begriff, der in der Fachsprache der Geflügelzüch- ter ein Hähnchen bezeichnet, das zur Mast bestimmt ist. In der Umgangssprache der DDR war Broiler ein Brathähnchen. Der Begriff kam wahrscheinlich nicht auf direktem Wege aus dem Englischen, sondern auf dem Umweg über Bulgarien. Dort hat- ten Geflügelzüchter ein Mastverfahren entwickelt, mit dem sie Hähnchen innerhalb von zehn Wochen zu schlachtreifen 1,5 Ki- Alles, was schmeckt | 99 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 99
logramm aufpäppelten. Zur Unterscheidung von anderen Hüh- nern nannten die Bulgaren ihre Masthähnchen – nach dem eng- lischen Begriff – Broileri. Die DDR, die Ende der Sechzigerjahre den Fleischbedarf der Bevölkerung nicht decken konnte, über- nahm das bulgarische Schnellmastverfahren und den Namen. In den Siebzigerjahren entstanden in der DDR zahlreiche Broiler- gaststätten (ähnlich den Restaurants der Wienerwald-Kette), wo sich die Broiler in Goldbroiler verwandelten. Laut Mitteldeut- schem Rundfunk soll Horst Zimmermann, der in den Sechziger- jahren persönlicher Referent des DDR-Landwirtschaftsministers war, die ministerielle Vorlage geschrieben haben, die den Begriff Broiler im Sprachgebrauch der DDR offiziell einführte. Cabinet Zigarettenmarke zu 3,20 Mark pro 20er-Päckchen; ne- ben der F 6 die beliebteste Marke in diesem Preissegment, wird mittlerweile von Reemtsma hergestellt und in den neuen Ländern weiterhin verkauft. Club-Cola Pepsi-, Coca-, Afri-Cola – alles steckt in Club-Cola; als Handelsmarke von mehreren Getränkekombinaten produ- ziert. Sehr süß, sehr klebrig, sehr kultig und noch heute zu ha- ben. Mit einem ordentlich Schuss Wodka drin als Partydrink der Bretterknaller schlechthin. (Vita-Cola). Dresdner Stollen Das Kultgebäck für die Weihnachtszeit – mit einer Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Nach einer Reihe von Prozessen, die nach 1990 geführt werden mussten, wurde klargestellt, dass nur Bäcker und Backwarenbetriebe aus Dresden und Umgebung »Dresdner Christstollen« backen dür- fen. Die anderen können es auch gar nicht. Nachahmer scheiter- ten kläglich oder versuchten, die Verbraucher mit marzipanver- seuchten Fälschungen zu narren. Das Reinheitsgebot für Dresd- ner Stollen verbietet aber die Verwendung von Marzipan. Erichs Krönung DDR-Jargon für das Produkt »Kaffee Mix« (in Anspielung auf »Jakobs Krönung«), das im Herbst 1977 in die Geschäfte, Gaststätten und Kantinen kam. Die Ursache hatte 100 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 100
Erich Honecker mitgeteilt: »Ich möchte nur noch einmal er- wähnen, dass uns allein der Import von Rohkaffee im Jahr rund 300 Millionen Dollar kostet.« Und er kündigte gleichzeitig an: »Unsere Berechnungen gehen davon aus, angesichts der von uns nicht zu beeinflussenden Weltmarktpreise für Rohkaffee die beste Lösung für den Verbraucher zu finden.« Die beste Lösung sah einen Mix aus 50 % Kaffee und 50 % »hochwertigen Kaffee- surrogaten« (allein bei diesem Wort dreht sich einem der Magen um) vor. Die 125-Gramm-Tüte kostete anfangs 6 Mark und nie- mand kaufte sie; später wurde der Preis auf 4 Mark reduziert, aber das Zeug wollte trotzdem niemand. In Gaststätten und Kantinen verstopften die Eiweißbestandteile der gemahlenen Erbsen (»hochwertiges Kaffeesurrogat«) die Druckdüsen der Kaffeeautomaten. Die DDR-Bürger verweigerten den Kauf und den Konsum einheitlich, konsequent und dauerhaft – ein ein- maliger marktwirtschaftlicher Vorgang in der DDR. Nach rela- tiv kurzer Zeit – manche meinen, nachdem Honecker selbst von der Plörre gekostet hatte – wurde das Produkt möglichst ge- räuschlos aus dem Angebot genommen. Weitere lebensmittel- chemische Experimente dieser Art unterblieben. F6 1. Bezeichnung für die Fernverkehrsstraße Nr. 6, die den Sü- den der Republik in ost-nordwestlicher Richtung durchquerte (heute Bundesstraße 6). 2. Beliebte Zigarettenmarke in der DDR zum Preis von 3,20 Mark pro 20er-Päckchen – mehrfach vom Aussterben bedroht, als die Marken Cabinet und Semper ihr im gleichen Preisseg- ment Konkurrenz machten. Geschmacklich ein Virginia-Klas- siker mit leicht beißendem Abgang. Überlebte nicht nur die DDR-Konkurrenz, sondern auch Wende und Wiedervereini- gung und wird in Dresden (nun unter der Regie von Philip Morris) immer noch hergestellt und in den neuen Ländern in einer Verpackung verkauft, die so aussieht wie vor 40 Jahren. Halberstädter Die erste deutsche Konservenfabrik, die es fertig- brachte, Würstchen in Blechdosen zu konservieren, stand in Halberstadt. In dieser Tradition produzierte die Fabrik auch in Alles, was schmeckt | 101 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 101
der DDR-Zeit Qualitätsware, die zur begehrten Bückware wurde. Halberstädter Würstchen werden heute nach strengen Qualitätskriterien hergestellt; die Fertigung kann in einer »glä- sernen Fabrik« besichtigt werden. Hallorenkugeln Eine Leckerei aus dem VEB Halloren Scho- koladenfabrik Halle (übrigens die älteste heute noch produzie- rende Schokoladenfabrik Deutschlands). Gefüllte Praline, beste- hend aus einem hellen (Sahne) und einem dunklen (Kakao) Teil. Bekanntlich gibt es in Halle Hallenser, Halloren und Halun- ken. Bei Hallorenkugeln fällt einem aber nur »Halleluja!« ein. Juwel 1. Bezeichnung für zwei Zigarettensorten, die verschiede- ner nicht sein könnten. Die eigentliche (oder sogenannte Alte Juwel) stammte aus DDR-Produktion, war kurz, stark und bei- ßend. Die Marke Juwel 72, die sogenannte Neue Juwel, war par- fümiert, im King-Size-Format und stammte aus Bulgarien. Bei- de Juwel-Sorten kosteten 2,50 Mark pro 20er-Päckchen. Wenn Juwel 72 geraucht wurde, erschnupperte man das bereits von Weitem an den heftig gesoßten Tabaken. Alte oder Neue Juwel – das war so eine Art Glaubensbekenntnis. Wichen Raucher im 3,20-Mark-Preissegment auch schon mal auf eine andere Marke aus, wenn ihre Lieblingsmarke gerade mal nicht zu haben war (was, wen wundert’s, relativ häufig vorkam), so war das im 2,50- Mark-Segment nur äußerst selten der Fall; der Geschmack der beiden Edelsteinchen war einfach zu verschieden. 2. Klarer Weizenbrand aus Cottbus mit 32 Vol. % Alkohol zum Preis von 14,50 Mark pro 0,7-Liter-Flasche; wie andere Klare auch beliebt bei Soldaten der NVA, weil er sich in Seltersfla- schen umfüllen ließ und den Jungs die Illusion gab, dass sie so ihre Vorgesetzten hinters Licht führen könnten. Karo Zigarettenmarke, kurz, rund und filterlos, stank wie die Pest, verpackt in einer Pappschachtel mit Karomuster – auch ge- nannt der »Schnelltod in der schwarz-weißen Geschenkpa- ckung«. Auffallend heftige Kentucky-Note; wird noch heute produziert und in den neuen Bundesländern vertrieben. 102 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 102
Radeberger Biersorte, nach der Traditions-Brauerei in Rade- berg bei Dresden benannt, die neben mulchigem Vollbier für den heimischen Bedarf das allseits beliebte (und noch heute ver- triebene) Export-Pils braute. Radeberger bekam man selten; es war in Interhotels vorrätig, wurde über Delikat vertrieben – oder man musste Beziehungen haben. Rotkäppchen Sektmarke aus dem Weinanbaugebiet Saale/Un- strut. Die Marke hatte einmal ausnahmsweise nichts mit der po- litischen Gesinnung zu tun, sondern war ein Traditionsname für einen Sekt, der hier schon seit 1856 abgefüllt wurde. Noch heu- te im Handel und als eine der wenigen überlebenden Handels- marken der DDR überaus erfolgreich. Schlager-Süßtafel Schokoladenersatz; Ende der Siebzigerjahre entwickelt, als die DDR die steigenden Kosten für Rohkakao nicht mehr aufbringen konnte und Süßwaren mit geringem Ka- kaoanteil hergestellt werden mussten. Man experimentierte ei- nerseits mit verschiedenen Füllungen und versuchte anderer- seits, Kakaobestandteile durch Fettgemische, Farbstoffe und Ge- schmacksverstärker zu ersetzen. Die Schlager-Süßtafel war so ein Geschmacks-Hit, der nicht unbedingt an klassische Schoko- lade erinnert, aber heutzutage wieder hergestellt wird und Kult- status besitzt. Soljanka Russisch-ukrainischer Import, der sich in der Gastro- nomie der DDR großflächig durchsetzte und behauptete; dick- flüssige, würzige und säuerliche Suppe. Eine Soljanka schmeck- te an jedem Ort anders – und war dennoch immer eine Soljan- ka. Wie viel Gurkenlake hineinkam, welche Fleischsorten ver- wendet wurden, wie lange der Kohl blanchiert worden war, ob die Zwiebeln glasig angeschwitzt oder schon hellbraun waren, das alles beeinflusste den Geschmack und entzog sich der in- dustriellen Normierung. Mathematisch Gebildete sagten über die Soljanka, sie sei in vielen Lokalen eine Integralsuppe über die gesamte Speisekarte. Mag sein; aber geschmeckt hat sie trotzdem. Alles, was schmeckt | 103 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 103
Spreewälder Gurken Traditionelles landwirtschaftliches Pro- dukt aus dem Spreewald (Lausitz); mittlerweile eine geschützte geografische Angabe gemäß Verordnung der Europäischen Kommission. In der DDR ausgesprochene Bückware, wurde auf Vorrat angeschafft, wenn man »herankam«, um zu besonderen Feierlichkeiten ein Glas zu öffnen. Findige bezogen Spreewälder Gurken aus dem »Russen-Magazin«, den Einlaufsläden für die sowjetischen Garnisonen auf dem Gebiet der DDR. Kultstatus erhielten die Spreewälder Gurken dank des Films Goodbye Lenin, in dem sie eine wichtige Rolle spielen. Vita-Cola Älteste Cola-Marke der DDR, am 14. Oktober 1954 als Patent angemeldet und seit 1957/58 als »Brauselimonade mit Frucht- und Kräutergeschmack« produziert. Die Produktion wurde nach der Wende vorübergehend eingestellt, Marke und Rezept aber 1994 wieder reaktiviert. Vita-Cola unterscheidet sich im Geschmack deutlich von anderen Cola-Sorten, vor allem aufgrund des Anteils an Zitronensäure und natürlicher Zitrus- Öle. Heute ist das Getränk in Thüringen mit 44 Prozent Markt- führer vor allen anderen Braunlimonaden. Würzfleisch Neben der Soljanka eines der typischen DDR-Ge- richte, deren voller Genuss nur einem in der DDR kulinarisch sozialisierten Menschen möglich ist. Würzfleisch ist eine preis- werte Abart des Ragout fin, für das jedoch nicht Kalbfleisch, sondern Geflügelfleisch verwendet wurde. Würzfleisch wurde mit Worcester-Sauce vom VEB Excellent Dresden (im Westen auch weitgehend unbekannt) gereicht; dazu gab’s eine Scheibe Zitrone und eine halbe Scheibe Toastbrot. Würzfleisch eignete sich fantastisch als sättigende Zwischenmahlzeit, als sogenann- ter Ohnmachtshappen. 104 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 104
Ein trinkfestes Land Getrunken wird immer. Nur allzu oft heißt »getrunken« aber »gesoffen«. Wenn es in der Mangelwirtschaft DDR an einem kei- nen Mangel gab, dann waren es, neben überflüssigen Broschü- ren mit Parteibeschlüssen, Spirituosen aller Art. Das Bier war manchmal alle, der Schnaps nie. Getrunken wurde nicht nur immer, sondern auch überall. Alkohol war eine anerkannte »Kulturdroge«, er war Stimmungsmacher und Tröster, Munter- macher und Schlaftrunk – und nicht zuletzt Betäubungsmittel psychotischer Funktionäre und überforderter Kader. »Edel macht den Menschen hilfreich und gut«, sagte man in An- lehnung an ein Klassikerzitat, bevor man sich den Braunen hin- ter die Binde kippte. Der »Weinbrand Edel« gehörte zu den ge- hobeneren Marken der DDR-Eigenproduktion – die Flasche kostete immerhin 27 Mark. Man konnte ihn zu offiziellen Anläs- sen reichen, ohne sich zu blamieren. Man hatte auch gar keine Scheu, bei solchen Anlässen ein paar Klare und Braune zu kip- pen. Eher wurde man scheel angesehen, wenn man nicht trank. 1842 wurde in dem kleinen Städtchen Wilthen in der Oberlau- sitz eine Weinbrennerei gegründet. Dieses Unternehmen mach- te den Ort, der sich in seiner Vergangenheit eifrig bemüht hatte, Stadt zu werden, und doch immer nur Marktflecken blieb, zu ei- nem weithin bekannten Markennamen. Ausgesprochen kreativ waren die Schnapsbrenner bei der Namensschöpfung für ihre Produkte: Goldkrone und Goldbrand sollten das Gesöff wenigs- tens vom Namen her veredeln, Blauer Bison hatte doch Tempe- rament, oder? Ein beliebter Kräuterschnaps hieß Wilde Sau – das war irgendwie ehrlicher –, und der mit Abstand längste Na- me eines Magenbitters war Stichpimpulibockforcelorum. Ein Traditionsname, den man spätestens nach dem dritten Glas nicht mehr aussprechen konnte. Für die 27 Mark, die eine Flasche Edel kostete, hätte man auch 13 Liter Bier trinken können, aber mit Weinbrand kriegte man den Vollrausch schneller (und gewissermaßen auch trockener) hin. Bier war oft von so minderer Qualität, dass es schon im Ge- schäft schlierig wurde. Das lag an den vielen Zuschlagsstoffen, Ein trinkfestes Land | 105 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 105
die nach deutschem Reinheitsgebot verboten, für DDR-Vollbier aber erlaubt waren. Die typische Einkaufsbewegung des Bier trinkenden Mannes: Flasche aus der Kiste nehmen, umstürzen und gegens Licht halten. Wenn da der Bodensatz in Schlieren waberte, Flasche wegstellen und nächste Flasche nehmen. Wein war in der DDR immer ein Nischenprodukt. Wenn man nicht Glück und Beziehungen hatte und an das kleine Sortiment der einheimischen Lagen an Elbe, Saale und Unstrut herankam, war man auf Importe aus Freundesland angewiesen – oft nach- gesüßte Produkte oder abenteuerliche Verschnitte mit Namen wie Goldener Nektar, Natalie oder Feuertanz. Schmeckte unge- fähr so, wie es sich anhörte: billig. In einer der Nischen lauerte auch Gotano, ein Wermut, der nach altem italienischen Vorkriegsrezept in Gotha hergestellt wurde und der jedenfalls deutlich besser war als die anderen Wermut- Experimente, die mit diversen Ersatzstoffen von anderen Kelle- reien und Brennereien unternommen wurden. Mischgetränke und Liköre abenteuerlichster Art erfreuten sich großer Beliebtheit: Timm’s Sauerer war darunter und Serschins Apricot-Brandy. Aber Alternative blieb immer der Schnaps. Gesoffen wurde – was man wahrscheinlich als gut proletarische Tradition verstand – bis in die höchsten Funktionärskreise. Die Statistiker haben hochgerechnet: 1955 schluckte der DDR- Durchschnittsbürger 4,4 Liter Weinbrand, Klaren und Likör, im letzten Jahr der DDR schon über 16 Liter – oder 23 Flaschen pro Kopf! Nur: Kinder, Abstinenzler, Wein- und Gelegenheitstrinker einmal abgerechnet, wird aus dem statistischen »Pro«-Kopf der reale Kopf eines Trinkers, der sich mindestens einmal die Woche einen Vollrausch zufügte. Im Jahr 1988 nahm der statistische DDR-Bürger 11 Liter reinen Alkohol zu sich. Pro-Kopf-Verbrauch in der DDR (1988): Bier: 143 l Spirituosen: 16,1 l Wein und Sekt: 12,1 l Alkoholfreie Getränke: 103,3 l 106 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 106
Ost-Mimen, die man auch im Westen kennt Eine Reihe von Schauspielerinnen und Schauspielern, die in der DDR bereits eine große Karriere hinter sich hatten, muss- ten um 1990 die Erfahrung machen, dass sie im Westen keiner kannte. Nicht nur den Zuschauern waren sie unbekannt (man kann den Westlern ja nicht übelnehmen, dass sie es sich ver- kniffen, regelmäßig DDR-Fernsehen zu gucken), sondern auch den meisten Produzenten, Redakteuren und Regisseuren (von denen man allerdings hätte erwarten können, dass sie die Leis- tungen ihrer Kollegen im Osten wenigstens zur Kenntnis ge- nommen hätten). So mussten sich Künstler, die 30 oder 50 Hauptrollen in ihrer Filmografie aufweisen konnten, wieder wie Anfänger bewerben und die Regisseure davon überzeugen, dass sie ihr Handwerk beherrschten. Einige verkrafteten das nicht und zerbrachen daran, wie der große Brecht-Schau- spieler und Charakterdarsteller Wolf Kaiser. Andere die in der DDR gerade erst an den Start gegangen waren, hatten jetzt ihre eigentliche Chance und legten nun richtig los. Viele, sehr viele schafften es, eine zweite Karriere zu machen; sie waren eben doch zu gut, als dass das deutsche Fernsehen, der deutsche Film auf sie hätte verzichten können. Karin Düwel (geboren 1954) war Sabine Wulff (1978) und die Cornelia in Blonder Tango (1986). Nach der Wende war sie ei- ne Weile selten zu sehen, bis sie schließlich im Ta t o r t , im Land- arzt und am Bülowbogen wieder auftauchte – und in mehreren sympathischen Werbespots. Winfried Glatzeder (geboren 1945) war der Christian in Zeit der Störche (1971), Der Mann, der nach der Oma kam (1971) und vor allem und für immer der Paul aus der Legende von Paul und Paula (1973). Er verließ, nachdem er mehrmals vergeblich ei- nen Ausreiseantrag gestellt hatte, 1982 die DDR und spielte u. a . 1986 den Paul Levi in von Trottas Rosa Luxemburg und ist seit- dem beständig auf dem Bildschirm, der Leinwand und der Bühne präsent. Ost-Mimen, die man auch im Westen kennt | 107 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 107
Michael Gwisdek (geboren 1942) tauchte schon in den frühen Indianerfilmen der DEFA auf, spielte 1983 in Olle Henry einen Boxer; im Westen kennt man ihn spätestens seit Goodbye Lenin (2003) und wird sich bei dieser Gelegenheit erinnert haben, dass man dieses Gesicht schon viele Male im Fernsehen sah. Corinna Harfouch (geboren 1954), eine großartige Lady Macbeth in Heiner Müllers Macbeth an der Berliner Volksbühne, schaffte den Durchbruch im Film mit der Titelrolle in Die Schau- spielerin (1988). Im Westen bekannt durch Charlie & Louise (1994), Das Versprechen (1995), Vera Brühne (2001), Der Unter- gang (2004), Das Parfüm (2006) und Eva Blond. Jürgen Heinrich (geboren 1945) sprang in Zum Beispiel Josef (1974) brillant durch die Scheibe. Seit 1985 im Westen, wurde er besonders durch Wolffs Revier bekannt. Daniela Hoffmann (geboren 1963) wurde schon als Schauspiel- schülerin für Zille und ick (1983) entdeckt, war eine hinreißende Fahrschülerin in Bernhard Stefans Fahrschule (1988); spielte nach dem Ende der DDR in Serien wie Elbflorenz, Polizeiruf 110, Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen und Der Landarzt. Rolf Hoppe (geboren 1930), war im DDR-Indianerfilm der Lieblingsbösewicht der Zuschauer. Er wurde 1981 im Westen durch Szabos Mephisto-Verfilmung bekannt (Hoppe spielte den General) und spielte 1983 in Frühlingssinfonie mit Nastassja Kinski und Herbert Grönemeyer (Hoppe verkörperte Friedrich Wieck). Henry Hübchen (geboren 1947), spielte in der DDR u. a. in Ja- kob der Lügner (1974), Sonjas Rapport (1982); im Westen bekannt durch Der König von St. Pauli (1988), Sonnenallee (1999) und Al- les auf Zucker (2004). Anja Kling (geboren 1970) startete ganz jung mit Grüne Hoch- zeit und als Moderatorin in Elf99; heute gehört sie zu den 108 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 108
meist besetzten jungen Frauen, u. a. in Verschollen in Thailand (1997), (T)raumschiff Surprise (2004), Es ist ein Elch entsprungen (2005). Schwester von Gerit Kling. Gerit Kling (geboren 1965) startete schon in der DDR mit Grü- ne Hochzeit und Zwei schräge Vögel (1989). Im Westen auf dem Traumschiff und Unter weißen Segeln gern eingesetzt. Schwester von Anja Kling. Herbert Köfer (geboren 1921) war von der ersten Sendeminu- te des DDR-Fernsehens bis zur letzten auf den Bildschirmen präsent, daneben in vielen wichtigen Filmen wie Nackt unter Wölfen (1963) oder Kleiner Mann – was nun? (1967) sowie als Moderator von Unterhaltungs- und Informationssendungen. Nach der Wende spielte er viel Boulevardtheater und tauchte auch wieder in TV-Serien (Elbflorenz, 1994) und in Fernsehfil- men auf. Renate Krößner (1945), von Konrad Wolf in Solo-Sunny (1980) besetzt, vielleicht die Rolle ihres Lebens. Im Westen in TV-Pro- duktionen wie Bruder Esel oder Stubbe – Von Fall zu Fall bekannt geworden. Manfred Krug (geboren 1937) hatte in der DDR schon eine be- achtliche Karriere hinter sich, nicht nur als Schauspieler (als der er Spanienkämpfer, Arbeiterhelden, Genossenschaftsbauern und verrückte Typen in Mantel-und-Degen-Filmen spielte), sondern auch als Pop-Sänger mit vier LPs (zusammen mit Gün- ther Fischer). Ging nach der Biermann-Affäre in den Westen, war hier Tatort-Kommissar, Trucker und Anwalt Liebling. Gisela May (geboren 1924) war in der DDR die Interpretin von Brecht-Songs schlechthin und wird als Schauspielerin oft un- terschätzt. Im Westen kennt man die begnadete Komödiantin vor allem als Rosa Müller-Graf-Kleditsch, die etwas zerstreute »Muddi« von Evelyn Hamann aus der Filmreihe Adelheid und ih- re Mörder. Ost-Mimen, die man auch im Westen kennt | 109 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 109
Armin Mueller-Stahl (geboren 1930) machte in DDR-Produk- tionen seinem zweiten Namensbestandteil alle Ehre (als Spa- nienkämpfer in Fünf Patronenhülsen, im Abenteuerfilm Flucht aus der Hölle und als Kundschafter Achim Deetjen in Das unsicht- bare Visier), ging nach der Biermann-Ausbürgerung in den Westen, spielte u. a . in Oberst Redl (1985), Bittere Ernte (1986), Momo (1986) und den Thomas Mann in Die Manns (2001). Ein Multitalent, das auch malt, Geige spielt und Bücher schreibt. Ulrich Mühe (geboren 1953) war ein begnadeter Hölderlin in Hälfte des Lebens (1984), spielte die Hauptrolle in Das Leben der anderen (2006, Oscar 2007) und schneidet ansonsten in der TV- Serie Der letzte Zeuge Leichen auf. Tom Pauls (geboren 1959), Schauspieler aus Dresden und Co- median; der vielleicht beste Honecker-Imitator, von dem die Westler lernen können, dass Honecker kein Sachse war. Walter Plathe (geboren 1950) hatte schon ein Leben vor dem Landarzt, in der DDR spielte er in Märkische Chronik und in Se- rien wie Treffpunkt Flughafen. Katrin Saß (geboren 1956) spielte in Bis dass der Tod euch schei- det und Bürgschaft für ein Jahr, im Westen kennt man sie als Tat- ort-Hauptkommissarin Steiner und aus Goodbye Lenin. Walfriede Schmitt (geboren 1943) filmte in der DDR seit 1974 (am bekanntesten Das Schilfrohr, 1974); im Westen vor allem im weißen Kittel (Auf alle Fälle Stefanie, Stefanie – eine Frau startet durch, St. Angela) bekannt geworden. Jaecki Schwarz (geboren 1946) brillierte schon 1968 in Ich war neunzehn von Konrad Wolf; spielte viel, wurde aber im Westen vor allem als Polizeiruf-Kommissar Schmücke bekannt. Wolfgang Stumph (geboren 1946) begann in Dresden an der Herkuleskeule als Kabarettist und machte in Gunther Emmer- 110 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 110
lichs »Showkolade« als Stumpi den Beutel aus Dederon bun- desweit bekannt. Durchbruch im Westen mit Go Trabi go, danach in Salto postale und Salto kommunale zu sehen. Seit 1995 ermittelt er als Kommissar Stubbe für das ZDF. Katharina Thalbach (geboren 1954), Tochter der Schauspiele- rin Sabine Thalbach und Mutter der Schauspielerin Anna Thal- bach, spielte in Lotte in Weimar (1974) eine Nebenrolle, aber in den Leiden des jungen Werthers (1976) die Lotte. Ging nach der Biermann-Ausbürgerung in den Westen und wurde hier als Schauspielerin und Regisseurin auf der Bühne und im Film be- kannt. Hilmar Thate (geboren 1931), Schauspieler am BE und am DT, große Fernseh- und Filmrollen in der DDR, ging nach der Biermann-Affäre in den Westen, spielte unter Faßbinder und We d e l ( Der König von St. Pauli, 1998). Kathrin Waligura (geboren 1962) begann ihre Karriere als Cha- rakterdarstellerin mit einem Kritikerpreis auf der Berlinale (1986 für Die Frau und der Fremde); richtig bekannt wurde sie im Westen aber als Schwester Stefanie. Honecker ist gestorben, meldet sich an der Himmels- pforte, wird erwartungsgemäß abgewiesen und landet in der Hölle. Nach zwei Wochen erscheinen zwei arme Teufel vor der Himmelspforte. »Ihr seid hier aber ganz falsch«, meint Petrus. »Was heißt hier falsch«, erwidern die Teufelchen. »Wir sind die ersten Flüchtlinge!« Ost-Mimen, die man auch im Westen kennt | 111 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 111
So klang die DDR Mit Musik ist es schwieriger als mit Literatur und Film; die Resul- tate sind flüchtiger und stärker der Mode unterworfen. Manches Pionierlied taucht in der Erinnerung auf. Dass wir die Titelzeile subversiv umdichteten und beim morgendlichen Singen »Blaue Windeln im Sommerwind, hängen auf der Leine, bis sie trocken sind« sangen, war kein Akt des Widerstandes. Hör ich auf den kleinen Mann im Ohr, singt er mir heute diese Lieder vor: Auf, auf zum Kampf Worte und Weise: mündlich überliefert Blaue Wimpel im Sommerwind Worte: Manfred Streubel/Wei- se: Gerd Natschinski Brüder zur Sonne, zur Freiheit Worte: Radin/Weise: russisches Studentenlied Dem Morgenrot entgegen Worte: Heinrich Eildermann/Weise: »Zu Mantua in Banden« Heimatland reck deine Glieder (Thälmann-Lied) – Worte: Ku- ba/Weise und Satz: Eberhard Schmidt Internationale Worte: Eugène Pottier/Weise: Pierre Degeyter Fritz der Traktorist – Worte: Walter Stranka/Weise: Eberhard Schmidt Jugend erwach (Bau auf, bau auf ...) – Worte und Musik: Rein- hold Limberg Vorwärts, Freie Deutsche Jugend Worte: Karl-Heinz Thiele/ Weise: Erwin Thiele Wann wir schreiten Seit an Seit Worte: Hermann Claudius/Wei- se: Michael Englert 112 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 112
Spätestens seit dem Ende der Sechzigerjahre war es mit dem FDJ-Gesinge und dem fröhlichem Ringelreihen zu Ende. Der Klassenfeind in Form der Rockmusik (oder Beat-Musik »mit ih- rem andauernden yeah, yeah, yeah«, wie Walter Ulbricht so treffend bemerkte) drang endgültig in die DDR-Jugendkultur vor. Nach einer Zeit des erbitterten Widerstandes, der unter an- derem so seltsame Blüten trieb wie die Erfindung des überaus albernen Tanzes »Lipsi«, gaben die Funktionäre auf und ent- schlossen sich zur Adaption der neuen Kultur, um gegebenen- falls »feindliche Tendenzen« in der Umarmung zu ersticken. Bekannte Kultbands und Interpreten von Rang waren: Klaus Renft Combo (genannt: Renft) – gegründet 1958, verbo- ten 1975 Stern-Combo Meißen (bekannt als: Stern Meißen) – gegründet 1964 (die heute älteste ununterbrochen aktive Rockband Deutschlands) Modern Soul Band – gegründet 1968 electra – gegründet 1969 Puhdys – gegründet 1969, vielleicht populärste Band der DDR Panta Rhei (mit Veronika Fischer) – gegründet 1971, aufgelöst 1975 City – gegründet 1972, größter Hit mit »Am Fenster« Lift – gegründet 1973, existiert noch heute Veronika Fischer & Band – gegründet 1974, bestand bis zum Weggang Veronika Fischers in den Westen 1981 Karat – 1975 aus Panta Rhei hervorgegangen, größter Hit mit »Über sieben Brücken« So klang die DDR | 113 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 113
Silly – gegründet 1977 mit Frontfrau Tamara Danz (†1996), jetzt mit Anna Loos als Sängerin Pankow – gegründet 1981, wurde bekannt mit dem Rock-Musi- cal »Paule Panke«, bestand bis 1998 Heiße Bräute und Filmprinzessinnen So richtige Stars wie in Hollywood gab’s ja eigentlich in der DDR nicht. Nicht dass das Land dafür zu klein gewesen wäre; aber zum Star gehört nun mal ein Kult, und dem stemmte sich die kollektivistische Ideologie lange Zeit mit großer Kraft entgegen. Der Kinofilm der DDR war alles andere als Starkino – im posi- tiven Fall gut gemachter Studio-Film, der deutlicher die Spuren seiner Produktionsprozesse als die Handschrift des Regisseurs erkennen ließ. Aber auch hier gab es Ausnahmen: Wenn ein Aus- nahme-Regisseur auf ein ausnahmsweise gutes Buch stieß, an dem die DEFA-Dramaturgen ausnahmsweise einmal nicht so lange herumgebessert hatten, bis es nichts mehr taugte, wenn Ausnahme-Schauspieler sich zusammenfanden und die Abnah- meverantwortlichen der Studioleitung, der Hauptverwaltung Film und gegebenenfalls der Parteizentrale ausnahmsweise ei- nen schwachen Moment hatten und den Film passieren ließen. Dennoch gab es ein paar »heiße Bräute« auch im DDR-Kino. Wie bei jeder Auswahl wird der Leser finden, dass die eine, die er über alles verehrte, fehlt und dass diese oder jene, die ausgewählt wurde, hier nicht reingehört. Wie auch immer, die folgenden Schauspielerinnen, die eigentlich einen Oscar verdient hätten, sollen ersatzweise zumindest mit der Ehrenspange zur Roten Mainelke in Farbe und Cinemascope geehrt werden. Marijam Agischewa (geboren 1958) tauchte – wie aus dem Nichts – zwanzigjährig als neues Gesicht in Marta Marta auf, fas- zinierend anders, berückend schön, wenn man sie ließ und sie nicht als uniformierte Stewardess in Treffpunkt Flughafen um die halbe Welt jetten und steife Dialoge abliefern musste. 114 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 114
Renate Blume (geboren 1944), unvergessen ihre Augen in Der geteilte Himmel, das konnten auch die Sieben Affären der Dona Jua- nita nicht auslöschen und nicht die Indianersquaws und nicht das Archiv des Todes. Christel Bodenstein (geboren 1938) wurde 1960 vom Jugend- magazin Neues Leben zur beliebtesten Schauspielerin gewählt; und da lagen die Franziska in Minna von Barnhelm und die Vio- la in Was ihr wollt noch vor ihr. Und die Filmrolle der Grit in Be- schreibung eines Sommers an der Seite Manfred Krugs. Annekathrin Bürger (geboren 1937) begann als Uschi in der Berliner Romanze (1956) und als Traudel in Spur in die Nacht (1957), in He Du und Hostess war sie wirklich eine heiße Braut – jedenfalls für DDR-Kino-Verhältnisse. Angelica Domröse (geboren 1941) wird, was sie auch gespielt hat und noch spielen wird, für immer und ewig unsere Paula bleiben. Jenny Gröllmann (1947–2006) war die Susette Gontard in Die Hälfte des Lebens und wurde später auch dem westdeutschen Pu- blikum als Anwältin Isa Isenthal an der Seite Manfred Krugs in Liebling Kreuzberg ein Begriff. Eva-Maria Hagen (geboren 1934), die Erste des Hagen-Clans (nach ihr Tochter Nina und Enkelin Cosma Shiva) erschien 1957 mit Vergesst mir meine Traudel nicht und galt als die BB des Ostens. Jutta Hoffmann (geboren 1941), die Junge Frau von 1914 (1970), zeigte in Zeit zu leben, Der Dritte, Geschlossene Gesellschaft – ei- gentlich immer, wenn sie auftrat –, dass sie Klasse hat, Weltklas- se, die außerhalb der DDR leider niemand bemerkt hat. Traudl Kulikowsky (geboren 1943) lag neben Gunter Schoß auf der Wiese und träumte von Liebe – das war in Egon und das ach- Heiße Bräute und Filmprinzessinnen | 115 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 115
te Weltwunder (1964), drei Jahre später tanzte sie mit Frank Schöbel in der Hochzeitsnacht im Regen. Simone Thomalla (geboren 1965) war das Objekt der Begierde in Dietmar Hochmuths Film In einem Atem (1988) und umflat- terte Zwei schräge Vögel (1989), bevor die DDR am Ende war und Simone Thomalla damit am Beginn ihrer eigentlichen Kar- riere. Karin Ugowski (geboren 1943) spielte die Goldmarie in Frau Holle (1963), die Prinzessin in Die goldene Gans (1964) und die Prinzessin in König Drosselbart (1965, an der Seite Manfred Krugs); gegen diese frühe Prägung war später schwer anzukom- men. Angelika Waller (geboren 1944), die rotblonde Schöne, der man versuchte, den Film Rotfuchs (1973) gewissermaßen auf den Haarschopf zu schreiben. Ihr erster Film Das Kaninchen bin ich wurde verboten, mit dem zweiten, Schwarze Panther, wurde sie Publikumsliebling. Heidemarie Wenzel (geboren 1945) war die Fanny in der Be- cher-Verfilmung Abschied und träumte sich, so blond, so blond, in Zeit der Störche in eine große Liebe. Wurde 1986 nach einem Ausreiseantrag kaltgestellt und 1988 ausgebürgert. Monika Woytowicz (geboren 1944) war die Gundel in der Noll- Verfilmung Die Abenteuer des Werner Holt, spielte in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen in der DDR, übersiedelte 1983 in die Bundesrepublik. Simone von Zglinicki (geboren 1951) spielte in einem Jahr in zwei Kinofilmen, die sie auf einen Schlag berühmt machten: Für die Liebe noch zu mager und Liebe mit 16 – die Schauspielerin war allerdings 23, damit niemand Böses dabei denkt. 116 | Das Land, die Leute, das Leben DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 116
Ein Volk von Mitgliedern Die Parteien und Massenorganisationen Nach dem Gesellschaftsverständnis der SED dienten die Partei- en und Massenorganisationen als Stätten der politischen Aktivi- tät und des gesellschaftlichen Engagements. Gesellschaftliche Arbeit war sehr hoch angesehen, wenn man beruflich voran- kommen wollte, ihr Stellenwert war der fachlichen Qualifikati- on und beruflichen Leistungsfähigkeit in vielen Fällen gleich- wertig, in ideologisch sensiblen Bereichen sogar überlegen. Daraus resultierte der sagenhafte Organisationsgrad der Bürger der DDR, und der wiederum führte zu einem Grundirrtum bei der Staats- und Parteiführung. Oben glaubte man nämlich, der hohe Organisationsgrad spreche für ein hohes gesellschaftliches Engagement und für eine breite Zustimmung zur offiziellen Po- litik. Unten sah man es anders. Man trat in Parteien und Orga- nisationen ein, nicht um sich zu engagieren, sondern um in Ru- he gelassen zu werden. Alles zu tun, um in Ruhe gelassen zu werden, ist ein wahrschein- lich instinktgesteuertes, beinahe reflexhaftes Verhalten fast aller Menschen gegenüber ihrer politischen Führung oder der staat- lichen Verwaltung. Unabhängig vom politischen System. Da- mals richtete sich das Verhalten gegen die SED-Funktionäre, heute gegen das Finanzamt. In der DDR war es aber nun einmal so, dass man nicht in Ru- he gelassen wurde, wenn man nicht dazugehören wollte. Ge- treu dem Motto »Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein«. Also trat man irgendwo ein, in die Gesellschaft für Deutsch-sowjetische Freundschaft, in die Gewerkschaft sowieso, oder, als nicht berufstätige Hausfrau (ja, die gab es vereinzelt auch) in den DFD (Demokratischer Frau- enbund Deutschlands). Da hatte man nicht viel zu tun, mal ei- nen Vortrag besuchen, vielleicht mal eine Zeitlang Beiträge kassieren, man gehörte dazu – und wurde in Ruhe gelassen. Die Parteien und Massenorganisationen | 117 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 117
Mancher entschied sich für eine Blockpartei, wenn sein Berufs- stand von SED-Genossen überlaufen war, und fuhr ganz gut damit, denn die offizielle Blockpolitik sicherte in einem be- stimmten Proporz auch den Mitgliedern dieser Parteien füh- rende Positionen. Das System der Parteien und Massenorganisationen war ein ge- schlossenes System. Neue Organisationen mussten »von oben« geschaffen werden, wie der Freidenkerverband, der in den letz- ten Monaten der DDR nur noch ein Schattendasein führte. Or- ganisationen, die »unten« entstanden, wurden entschieden be- kämpft, wie zuletzt noch das Neue Forum. Die folgende Über- sicht zeigt die wichtigsten Parteien und Massenorganisationen der DDR. SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, hervorgegan- gen aus der Vereinigung von KPD und SPD am 21. April 1946. Ihre »führende Rolle« wurde in der Verfassung sowie in allen grundlegenden Gesetzestexten (z. B. Gesetz über den Minis- terrat) verankert, im Mai 1989 2 260 979 Mitglieder und 64 016 Kandidaten. Die Partei brach nach dem Sturz Honeckers rasch zusammen und war seit Anfang Dezember 1989 faktisch führerlos; der Sonderparteitag im Dezember sprach sich gegen die Selbstauflösung aus; die Partei wurde in die PDS (seit Febru- ar 1990) überführt und hatte am Ende dieses Prozesses noch 300 000 Mitglieder. CDU Christlich Demokratische Union; gegründet am 26. 6 . 1945 in Berlin, behauptete bis 1948 eine relative politische Selbstständigkeit, wurde dann in den »Demokratischen Block« eingegliedert und bekannte sich seit 1952 zum Sozialismus. 1987 etwa 140 000 Mitglieder. Im Februar ging die CDU ein Wahlbündnis mit den neu gegründeten Parteien »Demokrati- scher Aufbruch« und »Deutsche Soziale Union« ein und gewann die Wahlen vom 18. März 1990. Nachdem die DBD und der »Demokratische Aufbruch« der CDU beigetreten waren, glie- derte sich die Ost-CDU am 1. 10 . 1990 der Schwesterpartei im Westen an. 118 | Ein Volk von Mitgliedern DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 118
DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands; nach Grün- dungsaufruf vom 25. 04. 1948 gegründet und von Anfang an, als Vertreterin der Bauernschaft, in den »Demokratischen Block« einbezogen. Die Spitzenfunktionäre wurden aus der SED dele- giert. 1963 erklärte die DBD das SED-Programm zu ihrer eige- nen programmatischen Grundlage. 1987 etwa 117 000 Mitglie- der. Im September 1990 vollzog die Partei den Anschluss an die CDU-Ost, mit der ihre Reste in die gesamtdeutsche CDU über- gingen. DFD Demokratischer Frauenbund Deutschlands, im März 1947 gegründet und aus den antifaschistischen Frauenausschüs- sen hervorgegangen; kümmerte sich seit 1964 verstärkt um Frauen, die nicht berufstätig oder nicht anderweitig organisiert waren. Mit eigenen Fraktionen in den Parlamenten vertreten. 1989 etwa 1,5 Millionen Mitglieder. Seit November 1989 Umbau zum »Demokratischen Frauenbund e. V.«, als der er noch heute existiert. DSF Gesellschaft für Deutsch-sowjetische Freundschaft; im Juni 1947 als »Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetuni- on« gegründet. Als einzige Freundschaftsgesellschaft zur Mas- senorganisation ausgebaut. 1989 etwa 6,3 Millionen Mitglieder. Nach Rücktritt des Zentralvorstandes im November 1989 zu ei- nem Verbund regionaler Verbände umgebaut. 1994 wurde als Nachfolgeorganisation die Gesellschaft für West-Östliche Begeg- nungen gegründet. Sie hat heute etwa 20 000 Mitglieder. FDGB  Sachlexikon S. 20. FDJ  Sachlexikon S. 21. KB Kulturbund der DDR (zuvor bis 1972 Deutscher Kultur- bund – DKB), gegründet 1945 als Kulturbund zur demokrati- schen Erneuerung Deutschlands; war als Organisation der Wissenschaftler, Künstler und Intellektuellen gedacht, wurde darüber hinaus zu einem Sammelbecken vielseitiger Freizeitin- Die Parteien und Massenorganisationen | 119 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 119
teressen (von Aquarianern bis Winzern). Mit eigenen Fraktio- nen in den Parlamenten. 1987 etwa 237 000 Mitglieder. 1990 Umwandlung in einen gemeinnützigen Verein. LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands: Am 05. 07. 1945 gegründet und seit 1948 in den »Demokratischen Block« einbezogen, galt sie als eine Partei, die besonders die Interessen der Handwerker und Gewerbetreibenden vertrat. 1987 etwa 106 000 Mitglieder. 1990 formierte sich die Partei in einen »Bund Freier Demokraten – Die Liberalen« um, dem die NDPD korporativ beitrat. Im August ging dieser Bund neben weiteren neu gegründeten Parteien in der nun gesamtdeutschen F.D.P. auf. NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands; am 12. 06 . 1948 gegründet, sollte sie als Partei der Mittelschichten, unbelasteter ehemaliger NSDAP-Mitglieder und früherer Be- rufssoldaten dienen. Von Anfang an in den »Demokratischen Block« einbezogen. Mitgliederstand 1987 etwa 110 000. Anfang 1990 kam es zu schweren Richtungskämpfen innerhalb der Par- tei, in denen sich auch rechtsextreme Tendenzen zeigten. Die Mehrheit der Funktionäre beschloss den Beitritt zum Bund Freier Demokraten, mit diesem gingen die Reste der Partei im August 1990 in der gesamtdeutschen F.D.P. auf. VdgB Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, im Herbst 1945 auf örtlicher Ebene entstanden und im Mai 1946 auf dem gesamten Gebiet der späteren DDR in Landesausschüssen orga- nisiert. Die VdgB stellte Abgeordnete in den Gemeindevertre- tungen, Kreis- und Bezirkstagen und in der Volkskammer (1963 bis 1986 in der Volkskammer und in den Bezirkstagen nicht vertreten). 1988 etwa 646 000 Mitglieder. Im März 1990 wurde als Nachfolgeorganisation der Bauernverband der DDR e. V. gegründet. Volkssolidarität  Sachlexikon S. 61. 120 | Ein Volk von Mitgliedern DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 120
Orden, Ehrentitel, Preise, Urkunden Weil so viele schöne Dinge fehlten, die die Bürger gern besessen hätten, hatte sich die weise Führung einen Ersatz ausgedacht, der sich schon in der großen Sowjetunion – wie man meinte – glänzend bewährt hatte. Der Mensch lebt schließlich nicht vom Brot allein, er braucht auch Dank und Anerkennung für sein un- ermüdliches Voranschreiten auf dem Weg zum Sozialismus. Und wenn das Brot knapp wird, hart ist oder den Leuten einfach nicht mehr schmecken will, dann müssen Dank und Anerken- nung auf besonders appetitliche Weise serviert werden. Also wurden Orden, Ehrenzeichen, Medaillen, Preise und Ehrentitel gestiftet, geprägt, ausgelobt und verteilt – und das in einem Aus- maß, dass einem schwindlig werden kann, wenn man die Über- sicht über diesen Ordenskosmos gewinnen will. Da gab es Ehrentitel, die begannen mit »Hervorragender ...« und eine noch viel größere Anzahl von Ehrentiteln, die began- nen mit »Verdienter ...« und reichten durch alle Berufsgruppen von »Verdienter Arzt« bis »Verdienter Züchter«. Dann gab es fünf verschiedene »Medaillen für ausgezeichnete Leistungen« und fünfzehn verschiedene »Medaillen für hervorragende Leis- tungen« und eine »Medaille für sehr gute Leistungen im Berufs- wettbewerb« und eine »Medaille für selbstlosen Einsatz bei der Bekämpfung von Katastrophen«, zwölf verschiedene »Medail- len für treue Dienste« in allen möglichen Einrichtungen, in de- nen man dienen konnte, und eine »Medaille für treue Pflichter- füllung«, sieben »Medaillen für Verdienste« und elf »Verdienst- medaillen« (neben der »Verdienstmedaille der DDR«). Auch Titel wie »Meisterbauer« gab es, verbunden mit einer Me- daille, und »Meisterbauer der genossenschaftlichen Produkti- on«. Denn nicht nur der Staat, der Vater aller Dinge, namentlich in Gestalt seines höchsten Repräsentanten, vergab Orden und Preise, sondern auch der Ministerrat hatte ein eigenes Schatz- kästlein dafür; schließlich beteiligten sich die Ministerien, Mas- senorganisationen und Kammern an dem Spiel mit dem klin- gelnden Blech und den geprägten Urkunden, und am Ende schütteten die Betriebe unmittelbar das Füllhorn segnenden Orden, Ehrentitel und Urkunden | 121 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 121
Dankes sowie materieller und ideeller Anerkennung über den Werktätigen aus. Jeder Sportverein und jedes Betriebsferienlager vergab am Ende Urkunden als Dank und Anerkennung; war wohl manches knapp in der DDR, gab es davon doch immer ge- nug. Die Verleihung und das Prozedere, das der Verleihung voraus- ging, waren ritualisiert wie viele andere Dinge auch im gesell- schaftlichen Leben – man nahm es als Alltag hin. Hier die wichtigsten Orden der DDR nebst einiger bedeutender Ehrentitel und hochdotierter Preise: Der Karl-Marx-Orden galt als höchste und als ehrenvollste staatliche Auszeichnung der DDR und wurde »für hervorragen- de Verdienste«  in der Arbeiterbewegung,  bei der schöpferischen Anwendung des Marxismus- Leninismus,  bei der Gestaltung des Sozialismus,  in Wissenschaft und Technik,  in Kunst, Kultur, Bildung und Erziehung,  im Kampf um die Sicherung des Friedens,  in der Pflege und Förderung der Freundschaft zur Sowjet- union, zu den anderen sozialistischen Staaten und allen friedliebenden Völkern der Welt verliehen. Der Orden wurde 1953 (zum 135. Geburtstag von Karl Marx) gestiftet. Als Dotation wurden zuletzt 20 000 Mark ausgereicht. Der Vaterländische Verdienstorden wurde 1954 gestiftet. Ausge- zeichnet wurden Personen und Institutionen, die sich besonders um die Einheit Deutschlands (solange das noch im politischen Kalkül der DDR lag) verdient gemacht oder hervorragende Leis- tungen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens erbracht hatten. Verliehen wurden die Stufen Bronze, Silber, Gold sowie die Ehrenspange in Gold, und zwar immer nur einmalig in der- selben Stufe. Mit Ausnahme der Träger der Ehrenspange erhiel- ten alle Preisträger Geldzuwendungen. 122 | Ein Volk von Mitgliedern DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 122
Der Orden Stern der Völkerfreundschaft wurde in »Würdigung außerordentlicher Verdienste um die Deutsche Demokratische Republik, um die Verständigung und die Freundschaft der Völ- ker und um die Erhaltung des Friedens« verliehen. Er wurde in drei Klassen verliehen: 1. Großer Stern der Völkerfreundschaft in Gold, 2. Stern der Völkerfreundschaft in Gold, 3. Stern der Völkerfreundschaft in Silber. Der Orden wurde sehr häufig an ausländische Persönlichkeiten vergeben. Der Orden Banner der Arbeit wurde für »hervorragende und langjährige Leistungen bei der Stärkung und Festigung der DDR, insbesondere für hohe Arbeitsergebnisse in der Volkswirt- schaft« verliehen. Seit 1974 gab es den Orden in drei Klassen, die mit entsprechenden Prämien verbunden waren: Stufe III: 500 Mark, Stufe II: 750 Mark, Stufe I: 1000 Mark. Die Verdienstmedaille der DDR wurde 1959 vom Ministerrat gestiftet und von seinem Vorsitzenden verliehen. Die Medaille wurde für langjährige Verdienste, einschließlich umfassender gesellschaftlicher Aktivität, um die »Stärkung und Festigung der DDR« sowie für »Verdienste in der internationalen Zusammen- arbeit mit der DDR« verliehen. Die Verleihung der Verdienstme- daille ging in der Regel einer Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens voraus. Der Blücher-Orden für Tapferkeit war ein militärischer Tapfer- keitsorden, er wurde 1968 gestiftet. Es gab diesen Orden in den Stufen Gold, Silber und Bronze. Bis zum Ende der SED-Herr- schaft war die Existenz des Ordens kaum bekannt. Er war für den Verteidigungsfall vorgesehen. Der Ehrentitel Held der DDR wurde 1975 gestiftet und an Men- schen verliehen, die »durch ihre außerordentlichen Leistungen und Verdienste Heldentaten für die DDR, für ihre Entwicklung und allseitige Stärkung, für die internationale Anerkennung und Autorität sowie für ihren sicheren militärischen Schutz vollbracht haben«. Eine Jahresquote von zehn Titelvergaben war Orden, Ehrentitel und Urkunden | 123 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 123
vorgesehen. Seit 1978 wurde der Titel zusammen mit dem Karl- Marx-Orden verliehen. Der Ehrentitel konnte, wie der Titel »Held der Sowjetunion«, der als Vorbild gedient hatte, mehrfach vergeben werden. Der Ehrentitel Held der Arbeit wurde 1950 gestiftet und war mit einer Prämie von bis zu 10 000 Mark dotiert. Mit ihm wurden Werktätige ausgezeichnet, die »durch ihre besonders hervorra- gende, bahnbrechende Tätigkeit, insbesondere in der Industrie, der Landwirtschaft, dem Verkehr oder dem Handel oder durch wissenschaftliche Entdeckungen oder technische Erfindungen sich besondere Verdienste um den Aufbau und den Sieg des So- zialismus erworben haben und durch diese Tätigkeit die Volks- wirtschaft und damit das Wachstum und das Ansehen der DDR förderten«. Der Nationalpreis der DDR war eine seit 1949 verliehene Aus- zeichnung für »hervorragende schöpferische Arbeiten auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik, bedeutende mathema- tisch-naturwissenschaftliche Entdeckungen und technische Er- findungen, die Einführung neuer Arbeits- und Produktionsme- thoden« sowie für »hervorragende Werke und Leistungen auf den Gebieten der Kunst und Literatur«. Er existierte in drei Klassen. Bei herausragenden wissenschaftlichen Leistungen oder bei künstlerischen Kollektivleistungen (zum Beispiel Fil- men) wurden meist ganze Kollektive anstelle von Einzelperso- nen ausgezeichnet. Der Nationalpreis wurde jedes Jahr am 7. Oktober verliehen. Die drei Klassen waren mit unterschied- lich hohen Geldpreisen verknüpft: III. Klasse: 25 000 Mark, II. Klasse: 50 000 Mark, I. Klasse: 100 000 Mark. Der Kunstpreis der DDR wurde 1959 vom Ministerrat gestif- tet und jährlich im Oktober vom Minister für Kultur vergeben. Mit ihm wurden künstlerische Einzelleistungen, die als rich- tungsweisend für die Entwicklung der Kultur eingeschätzt wur- den, gewürdigt. Man verlieh ihn insbesondere an Persönlichkei- ten, die sich auf den Gebieten Musik, Bildende Kunst, Ange- 124 | Ein Volk von Mitgliedern DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 124
wandte Kunst, Film, Fernsehen, Rundfunk und Unterhaltungs- kunst Verdienste erworben hatten. Der Preis konnte an Einzel- personen und Kollektive verliehen werden, aber stets nur ein- mal. Eine Prämie von 6000 Mark für Einzelpersonen und bis zu 20 000 Mark für Kollektive war mit dem Preis verbunden. Der Lessing-Preis der DDR war ein angesehener Literaturpreis. Er wurde 1955 gestiftet und vom Ministerium für Kultur jähr- lich (bis 1977; danach alle zwei Jahre) jeweils am Geburtstag Lessings am 22. Januar verliehen. Mit ihm sollten »hervorragen- de Werke auf dem Gebiet der Bühnendichtung sowie auf dem Gebiet der Kunsttheorie und Kunstkritik, die im Geiste für die Entwicklung der Kunst bedeutungsvoll sind«, gewürdigt wer- den. Die Auszeichnung konnte an Einzelpersonen oder Kol - lektive von bis zu sechs Personen vergeben werden. Der Preis war mit einer Geldzuwendung in Höhe von 10 000 Mark ver- bunden. Der Heinrich-Mann-Preis ist ein renommierter Literaturpreis, der seit 1953 von der Akademie der Künste der DDR jährlich verliehen wurde. Der Preis wird zu Ehren von Heinrich Mann verliehen (jetzt von der Akademie der Künste Berlin). Er ist heu- te mit 8000 Euro dotiert. Mit dem Heinrich-Greif-Preis, der 1951 gestiftet wurde, sollten hervorragende Leistungen auf dem Gebiet des Films ausge- zeichnet werden; er wurde zum Gedenken an den antifaschisti- schen Filmkünstler Heinrich Greif verliehen. Er wurde zunächst für hervorragende kollektive Leistungen, seit 1959 auch für her- vorragende Einzelleistungen in drei Klassen verliehen. Die ein- zelnen Klassen waren von 3500 bis 20 000 Mark dotiert. Orden, Ehrentitel und Urkunden | 125 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 125
Hier noch eine Sammlung bemerkenswerter Leistungen, für die man eine Urkunde bekommen konnte:  Für 20 freiwillige Aufbaustunden im Nationalen Auf- bauwerk wird ... Dank und Anerkennung ausgespro- chen und die Nadel des NAW verliehen.  ... hat erfolgreich an der 25. ABC-Mathematik-Olym- piade teilgenommen und gehört zu den Besten der Klassenstufe. Es gratuliert die Redaktion der ABC- Zeitung.  Für hervorragende schöpferische Leistungen in der Bewegung der »Messe der Meister von Morgen« wird ... anlässlich der Bezirksmesse diese Urkunde verliehen.  Für vorbildliche Arbeit bei der Entwicklung der Kraft- fahrzeuginstandhaltung: »Bester Facharbeiter der Verwaltung«.  Für sehr gute Leistungen im Wettbewerb des künst- lerischen Volksschaffens zu den Festen der Freundschaft 1982.  Für vorbildliche Ergebnisse bei der Erfüllung des Ferienspiels »Meine Heimat DDR« im Feriensommer 1984 (verliehen vom Leiter eines Pionierhauses).  Dem Kollektiv ... wird für hervorragende Leistungen beim Aufbau des Sozialismus und bei der Festigung und Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik der Ehrentitel »Kollektiv der sozialistischen Arbeit« ver- liehen. 126 | Ein Volk von Mitgliedern DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 126
Der Wessi und der Ossi Begriffsverwirrung, babylonische! Wie war das doch vor der Wiedervereinigung? Wessi hier der nach Westberlin zugereiste Westdeutsche, ein Provinzler, der sich in die Weltstadt verirrt hatte. Der Ossi, wie wir ihn heute kennen, hieß noch Zoni (nach der sowjetisch besetzten Zone) – auch der standesbewusste Ost- berliner fuhr, wenn er die Stadtgrenze ins DDR-Umland über- querte, in die »Zone«. Nach Wende und Wiedervereinigung wurde der Westdeutsche aus der alten Bundesrepublik (vorher Bundi) genannt) zum Wessi und der Zoni zum Ossi, sofern er sich nicht in einer Aufwallung konstruktiver Selbstbezichtigung Dederoni nannte. Da der Wessi alles besser wusste und dem Os- si erklären musste, hieß er bei ihm bald Besserwessi. Und da der Ossi mit manchem Wandel nicht so schnell klarkam und sich darüber beklagte, hieß er beim Wessi Jammerossi. Das Schöne an Klischees ist, dass sie einen wahren Kern haben, darum sind sie ja so haltbar wie ein Zwieback. Und so delikat. Der Ossi im Westen wird überrascht feststellen, dass der Wessi weit heftiger zu jammern versteht als er und meist über Nichtigeres als den Abbruch eines kompletten Landes. Und der Wessi im Osten darf sich mal das Steuer- und Rentensystem erklären lassen: vom Os- si, der hat’s ja gerade frisch gelernt. »Wessi« als typisches DDR-Wort wird immer in der grammati- kalisch maskulinen Form verwendet, unabhängig davon, wel- chen Geschlechts die Person ist, die mit diesem Begriff bezeich- net werden soll. Mit dem »Ossi« verhält es sich genauso; Versu- che, mittels der westlich-feministischen »Ossa« die Sprachfront aufzuweichen, werden hiermit für gescheitert erklärt. Woran man einen Wessi erkennt 1. Er hält das Wort Plaste für einen Singular. Ein Plasteeimer ist aber aus Plast (Singular), nicht aus Plaste (Plural). Woran man einen Wessi erkennt | 127 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 127
2. Er benutzt die Abkürzung Vopo, wenn er sich besonders kompe- tent über die bewaffneten Organe der DDR äußern will. Meint man die Volkspolizei als Organ, heißt die VP und wird Vaupeh gesprochen, meint man die Polizisten als Individuen, waren sie Polizisten, Bullen oder Büttel, je nach Gemütslage und dem Grad der Wut, die man im Bauch hatte. 3. Er hält Angehörige der Grenztruppen oder der Zollverwaltung für Vopos, was der terminologische Supergau ist, denn erstens hat- ten die Grenztruppen nichts mit der Volkspolizei zu tun, ebenso wenig wie die Zollverwaltung, und zweitens gab es Vopos im DDR-Sprachgebrauch überhaupt nicht (siehe 2.) . 4. Er hält die Sorben für eine ethnische Gruppe in der früheren Sozia- listischen Föderativen Republik Jugoslawien. Dass in der Lausitz (wat is dat denn?) eine nationale Minderheit mit dem Namen Sorben wohnt, ist im bislang unbekannt gewesen. 5. Ihm unterläuft der Lapsus, »der Stasi« anstelle von »die Stasi« zu sagen. Das Maskulinum Stasi war die Spezialität eines Journalis- ten des Senders Freies Berlin, das sich als Abkürzung aus dem (männlichen) »Staatssicherheitsdienst« herleitete. Die Stasi war aber weder ein »Dienst« im westlichen Sinne noch wurde sie in der DDR jemals als Maskulinum im Munde geführt. 6. Er nennt Margot Honecker Ministerin für Volksbildung. Wahr- scheinlich ist der Wessi in diesem Falle eine Frau oder ein von fe- ministischer Grammatik angegammelter Mann. Das grammati- sche Femininum für die Bezeichnungen von Dienststellungen war in der DDR nicht nur unüblich, sondern sogar regelrecht falsch. Margot Honecker war die »Genossin Minister« für Volks- bildung. 7. Er erzählt einen Honecker-Witz und gibt de Worte Honeckers dabei in sächsischer Mundart wieder. Honecker hatte aber nicht den lei- sesten Anflug sächsischen Dialekts; er war unüberhörbar Saar- länder. 128 | Der Wessi und der Ossi DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 128
8. Er erzählt einen NVA-Witz und nennt dabei einen Vorgesetzten »Herr Oberleutnant«. Die richtige Anrede war in der NVA wie in allen bewaffneten Organen natürlich »Genosse Oberleutnant«, unabhängig davon, ob der Oberleutnant selbst oder derjenige, der ihn dienstlich ansprach, Mitglied der SED waren. 9. Er schreibt den Trabi mit Doppel-b, also »Trabbi«, weil er nicht weiß, dass Trabi die Abkürzung von Trabant ist. Tritt der Wessi in dieser speziellen Form auf, weiß er meistens auch gar nicht, dass außer dem Trabi (für ihn: Trabbi) in der DDR auch noch andere Fahrzeuge gebaut wurden. 10. Er schimpft auf die Ostrentner und verkündet am Biertisch, der Ossi habe im Gegensatz zu ihm ja nix eingezahlt. Er meint damit die gesetzliche Rentenversicherung, aus der, wie er meint, der Ost- rentner ungerechtfertigt hohe Renten beziehe. Es ist typisch für den Wessi, dass er sein eigenes Rentensystem nicht versteht. Er glaubt wirklich daran, dass er in einen Topf etwas einzahlt, aus dem er im Alter seine Rente bekommt. Woran man einen Ossi im Westen erkennt 1. Er sucht im Büro einen Aktendulli. Nachdem seine Kollegen ihn völlig entgeistert angeschaut haben, fällt ihm auf, dass er besser nach einem Heftstreifen hätte fragen sollen. Und zwar einem Heftstreifen aus Pappe oder Kunststoff, mittels dessen sich Blät- ter, die gleichartige Vorgänge betreffen, nach Art des Schnellhef- ters zusammenheften lassen, wonach man das so geheftete Kon- volut seinerseits in einen Ringordner einhängen kann. Nach die- ser umständlichen Erklärung kommt es den Westkollegen so vor, als wäre Aktendulli doch das praktischere Wort gewesen. 2. Er wünscht am Brathähnchenstand einen Broiler zu essen. We n n man ihn nicht versteht, wird er sich dem türkischen oder irani- schen Verkäufer mittels Zeichensprache oder durch Zeigen auf das entsprechende Geflügelteil verständlich machen. Woran man einen Ossi im Westen erkennt | 129 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 129
3. Er lässt sich am Packtisch des Kaufhauses alles in eine Plastetüte pa- cken. Die Damen am Packtisch werfen einander einen verständ- nisinnigen Blick zu, der sagen will: Wieder so einer von der Fir- ma Plaste und Elaste! 4. Er erkundigt sich in einem Geschäft, ob ein bestimmter Artikel im Angebot sei. Irritiert reagiert er auf die Antwort »Nein«, weil er den gesuchten Artikel soeben in einem Regal entdeckt hat – da sei er doch. Nun, das schon, wird vielleicht der Verkäufer erwi- dern, im Regal ja, aber nicht im Angebot. Den Kunden erschüt- tert ein erstes nervöses Zucken. Ob der Artikel denn nicht zu kaufen sei. Doch, schon, aber er sei eben nicht im Angebot. Wo- rauf der Kunde – nun völlig desorientiert – mit irrem Kichern das Geschäft verlässt. Läuft dieses Szenario ab, traf der westliche Verkäufer auf einen klassischen Dederoni, der unter Angebot Sortiment versteht, während der Westler darunter ein Sonder- angebot, also preisgesenkte Ware, versteht. Hätte der Ossi da- nach fragen wollen, hätte er wissen wollen, ob der Artikel »ver- günstigt« ist; das wiederum konnte der westliche Verkäufer nicht wissen usw. 5. Er fragt einen Makler, ob er ihm helfen könne, seine Wohnung zu tauschen. Der Makler bricht daraufhin das Gespräch sofort ab. 6. Zwei Busse hintereinander sind ausgefallen. Er fragt nach dem Dispatcher, um sich zu beschweren und sich zu erkundigen, wel- che Ersatzverbindung eventuell besteht. Keiner versteht, dass er nach einem Kraftverkehrsmeister gefragt hat. 7. Er bekommt bei Erwähnung von »Hallorenkugeln« feuchte Augen. Er ist bereit, eine größere Summe Geldes karitativen Zwecken zuzuwenden oder sich in einer Fernsehshow vor aller Welt zum Affen zu machen, nur um sich in den Besitz dieser erlesenen Köstlichkeit zu bringen. 8. Er bezahlt seine Rechnung sofort – oder gar nicht; Letztes nur, wenn er wirklich komplett pleite ist, was leider immer häufiger 130 | Der Wessi und der Ossi DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 130
vorkommt. Er lebt nicht so selbstverständlich mit offenen Rech- nungen nach dem Motto: Die werden mich schon mahnen, wenn ihnen was an mir liegt. 9. Er kauft in der Kaufhalle ein, obwohl er natürlich weiß, dass es ein »Supermarkt« ist. Da aber der westliche Supermarkt eigent- lich auch nichts anderes ist als die östliche Kaufhalle, nur so als wäre Weihnachten, Ostern, Geburtstag und der Besuch der Westverwandtschaft an einem Tag, hat er gar keinen Anlass, sich von der Kaufhalle zu verabschieden, mit der er aufgewachsen ist. 10. Er fragt in einem Geschäft »Haben Sie ... ?« Zwar hat man auch schon gehört, dass Wessis diese Frage stellen, aber dann klingt sie so, dass der Verkäufer sich gefälligst schämen soll, wenn er nicht hat, denn dann trifft ihn die geballte Verachtung des Fragenden. Beim Ossi hingegen stößt man in der Art, wie er diese einfache Frage ausspricht, auf die Sedimente von jahrzehntelangem DDR-Alltag und es schwingt eine ganze Skala von Empfindun- gen mit, die von der Angst, etwas Begehrtes nicht zu bekommen, über das Aufflackern von Hoffnung bis zu Resignation reichen. Achten Sie also vor allem auf den Ton, in dem diese Frage ausge- sprochen wird. Woran man einen Ossi im Westen erkennt | 131 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 131
Quiz: Testen Sie Ihr Wissen! Testen Sie Ihr Wissen. Oder testen Sie das Wissen Ihrer Gäste und Gesprächspartner. Wenn Sie das Buch durchgearbeitet haben, können Sie die Fragen mit Sicherheit (pardon, das war ein Lap- sus Linguae, streichen Sie »mit Sicherheit«, wir kommen inzwi- schen ohne dieses »Ministerium der Liebe« aus) – beantworten. 01. Welche der vier Sportgemeinschaften gab es in Wirklichkeit nicht? a.  BSG Empor Tabak Dresden b.  BSG Umformtechnik Erfurt c.  BSG Schrottannahme Neubrandenburg d.  BSG Lok/Armaturen Prenzlau 02. Wie hoch war das Durchschnittseinkommen in der DDR im Jahr 1960? a.  495 Mark b.  558 Mark c.  612 Mark d.  798 Mark 03. Welcher der folgenden vier Produktnamen gehört zu einem Traktor? a.  Famulus 36 b.RG28 c. LO3000 d.MKF6 0 4. Zum we gehörte die Personenkennzahl 281207430153? a.  Erich Honecker b.  Erich Wendt c.  Erich Mielke d.  Erich Correns 05. Was ist ein Kombinat? a.  eine Vollerntemaschine b.  eine Kindertagesstätte c.  eine Dienstleistungseinrichtung für Reparaturen und Reinigung d.  eine Wirtschaftseinheit der Industrie und des Bauwesens 132 | Der Wessi und der Ossi DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 132
06. Was bedeutet Zentralorgan? a.  ein in der Körpermitte gelegenes Organ b.  Führungsstelle aller bewaffneten Organe c.  wichtigste Parteizeitung der SED d.  die zentrale Parteileitung der SED 07. Was sind Schwarze Husaren? a.  unbilanzierte Arbeitskräfte in Volkseigenen Betrieben b.  ein Traditionsverband der NVA c.  die Reiterstaffel der Deutschen Volkspolizei d.  Osterreiter in der katholischen Oberlausitz 08. Was ist die Wurst am Stengel? a.  DDR-spezifische Bezeichnung für Hotdog b.  Bezeichnung für Thüringer Bratwürste an einem Holzspieß c.  eine Art Schaschlikspieß aus verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten d.  Bezeichnung für Futtermais 09. Was sind Lausitzer Sorben? a.  eine nationale Minderheit im Südosten Deutschlands b.  eine vom Aussterben bedrohte Vogelart, die nur noch in der Lausitz vorkommt c.  kleine Gewürzgürkchen aus dem Spreewald in der Niederlausitz d.  eine spezielle Webtechnik aus der Oberlausitz 10. Welchen Gegenstand bezeichnete man als Picasso-Euter? a.  ein Kunstobjekt, ähnlich der Fettecke von Josef Beuys, das auf der IX. Kunstausstellung der DDR gezeigt wurde b.  eine tetraederförmige Getränkeverpackung, die vor- nehmlich für Milch und Milchprodukte benutzt wurde c.  eine stark abstrahierte Darstellung von Picassos berühmter Friedenskuh d.  künstliches Kuh-Euter für die Melker-Ausbildung Quiz | 133 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 133
11. Was ist ein Protokollanstrich? a.  der Fassadenanstrich entlang der Protokollstrecke für die höchsten Repräsentanten der Partei- und Staats- führung der DDR b.  der erneuerte Außenanstrich des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten c.  eine farbige Markierung auf dem Straßenbelag, die bei Besuchen ausländischer Staatsgäste die Einhaltung des diplomatischen Protokolls erleichtert d.  Hervorhebung in einem Protokoll oder Bericht mittels eines Längsstriches am Textrand 12. Von welchem jungen Mann welchen Berufsstandes handelt ein seinerzeit sehr bekanntes DDR-Lied? a.  Sigmund der Kosmonaut b.  Michael der Mechaniker c.  Paul der Panzersoldat d.  Fritz der Traktorist 13. Was bezeichnet der Name Minol? a.  ein Flüssigwaschmittel b.  ein Mineralölunternehmen c.  ein Moped d.  ein Pflanzenschutzmittel 14. Welches Bier wurde nicht in der DDR gebraut und abgefüllt? a.  Pilsner Urquell b.  Radeberger Pilsner c.  Wernesgrüner Pilsner d.  Dessower Pilsner 15. Was war laut SED-Propaganda der Arbeitsplatz? a.  das erkämpfte Menschenrecht b.  ein Ort der Selbstverwirklichung c.  Garant für Qualitätsarbeit d.  ein Kampfplatz für den Frieden 134 | Der Wessi und der Ossi DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 134
16. Wie hieß das sozialistische Gegenstück zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in der Bundesrepublik Deutschland? a.  Sozialistisches Gesetzbuch b.  Gesetz über den Ministerrat c.  Zivilgesetzbuch d.  so etwas gab es gar nicht 17. Was war die Bassow-Methode a.  eine Kampagne für mehr Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz b.  eine Technologie der Bassow-Brauerei zur Umgehung des Reinheitsgebots c.  sowjetische Erfahrungen bei der Metallbearbeitung mittels Drehen und Fräsen d.  eine vom Institut Manfred von Ardenne entwickelte Methode zur Bedampfung von Flachglas 18. Welcher der vier genannten Politiker war niemals Vorsitzen- der des Staatsrats der DDR? a.  Wilhelm Pieck b.  Walter Ulbricht c.  Willi Stoph d.  Erich Honecker 19. Wer war Heinrich Mauersberger? a.  Kreuzkantor in Dresden b.  Thomaskantor in Leipzig c.  Politbüromitglied und ZK-Sekretär für Wirtschafts- fragen d.  Erfinder eines Nähwirkverfahrens für Textilien 20. Welches Unternehmen betrieb die Schlaf- und Speisewagen der Deutschen Reichsbahn? a. dieHO b.  die MITROPA c.  die KONSUM-Genossenschaften d.  die FORUM-Handelsgesellschaft Quiz | 135 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 135
Anhang Kleine Chronik weniger bekannter Ereignisse 1949 1. 12 .: Die FDJ verleiht erstmalig das »Abzeichen für gutes Wissen«. 21 . 12 .: Umbenennung der Frankfurter Allee in Berlin in Stalinallee. 1950 4. 4 .: Das Ministerium für Volksbildung verbietet das öf- fentliche Abspielen US-amerikanischer Tanzmusik. 15. 5 .: Das Walter-Ulbricht-Stadion in Berlin wird fertig gestellt. 14. 7 .: Das Denkmal Friedrichs des Großen unter den Linden wird abge- baut und nach Potsdam verbracht. 7 . 9 .: Der Abriss des Berliner Schlosses beginnt. 1951 2. 1.: Baubeginn für das erste Edelstahlwerk der DDR in Döhlen bei Freital. 14. 1 .: Einweihung der Gedenkstätte der So- zialisten in Berlin-Friedrichsfelde durch Wilhelm Pieck. 25. 3 .: Das erste Straßenradrennen für Frauen wird in der DDR ausge- tragen. 26. 5.: Stapellauf des Segelschulschiffs »Wilhelm Pieck«. 26. 8 .: Schloss Albrechtsberg in Dresden wird als »Pionierpalast« eröffnet. 19. 9 .: Im Eisenhüttenkombinat Ost wird der Hoch- ofen I in Betrieb genommen. 1952 2. 7.: Übergabe der Betriebspoliklinik auf der Volkswerft Stralsund. 21 . 7 .: Gründung der ersten PGH durch acht Berliner Stukkateure. 22 . 7 .: Das erste Statut einer LPG wird angenom- men. 11 . 11 .: Eröffnung der Musikhochschule Dresden. 21 . 12 .: Die ersten 1148 Wohnungen in der Berliner Stalinallee werden feierlich übergeben. 1953 9. 4 .: Die Rationierung von Schuhen wird aufgehoben. 15. 5.: Die Rechtsanwälte der DDR werden in Kollegien zusam- mengefasst. 25. 6 .: Die erste Nummer der Frösi (»Fröhlich sein und singen«) erscheint. 7 . 10 .: Wilhelm Pieck wird als Präsident wiedergewählt. 19. 11 .: Neue KfZ-Kennzeichnung, nach Bezir- ken gegliedert, wird eingeführt. 1954 25. 3 .: Die UdSSR gesteht der DDR die volle staatliche Sou- veränität zu. 3 . 9 .: Eine allgemeine Preissenkung für Lebensmit- 136 | Anhang DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 136
tel und Gebrauchsgüter wird durchgeführt. 1 . 11 .: Die Volkspo- lizei erhält anstelle der dunkelblauen jetzt grüne Uniformen. 1955 25. 1 .: Die UdSSR erklärt den Kriegszustand mit Deutsch- land für beendet. 17. 3 .: Der erste P-70 rollt in Zwickau vom Band. 27. 3.: Erste Jugendweihe in Berlin. 26. 9.: Die Volkskam- mer verabschiedet das Gesetz über Staatsflagge und Staatswap- pen der DDR. 1956 1. 1 .: Gründung des Kernforschungszentrums Rossendorf bei Dresden. 19. 7 .: Der Bezirk Cottbus beschließt ein Spree- wald-Sonderprogramm. 23 . 10 .: Gründung des Büros für Urhe- berrechte in Berlin. 13. 12.: Die HO eröffnet in Berlin die erste Selbstbedienungsverkaufsstelle für Lebensmittel. 1957 15. 2.: Die erste Nummer der Kinderzeitschrift »Bummi« erscheint. 1 . 8 .: Ho Chi Minh besucht die Volkswerft Stralsund. 13. 10 .: Umtausch der seit 1948 in Umlauf befindlichen Bankno- ten. 26 . 10 .: Erster Spatenstich zum Bau des neuen Überseeha- fens Rostock. 7 . 11 .: Der erste Trabant rollt in Zwickau vom Band. 13 . 11 .: Aufnahme des Rundflugdienstes der Deutschen Lufthansa der DDR. 1958 28. 5 .: Die Lebensmittelkarten werden abgeschafft. 8 . 12 .: Die Volkskammer beschließt die Auflösung der Länderkammer. 1959 1. 5 .: Das Braunkohlekombinat Schwarze Pumpe produ- ziert die ersten Briketts. 1 . 10 .: Die Staatsflagge wird geändert und zeigt jetzt das Staatswappen auf Schwarz-Rot-Gold. 1960 1. 1 .: Der Zentralzirkus der DDR (bestehend aus »Busch«, »Aeros« und »Berolina«) wird gegründet. 21 . 3 .: Erste Ausstrah- lung des »Schwarzen Kanals«. 12 . 9 .: Das Amt des Staatspräsi- denten wird abgeschafft und durch den Staatsrat ersetzt. 1961 28. 2 .: Eröffnung des Armeemuseums im Marmorpalais zu Potsdam. 1 . 5 .: Jungfernfahrt des FDGB-Urlauberschiffes »Fritz Heckert«. 15. 6 .: Walter Ulbricht bestreitet auf einer Pressekon- ferenz Absichten zum Mauerbau. 14. 11 .: In Nacht- und Nebel- aktionen werden Stalindenkmäler demontiert und Stalinstra- ßen umbenannt. 1962 3. 4 .: Ruhrepidemie in Berlin. 17. 10 .: Gründung der Cho- pin-Gesellschaft in Leipzig. 15. 11 .: Eröffnung der wieder aufge- bauten historischen Gaststätte »Zur letzten Instanz«. Chronik | 137 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 137
1963 24. 6.: Das »Neue ökonomische System der Planung und Leitung« wird beschlossen. 27. 8 .: Der Wiederaufbau des Dresdner Zwingers wird abgeschlossen. 5 . 10 .: Wolf Biermann eröffnet das Berliner Arbeiter- und Studenten-Theater (BAT). 14. 11 .: Margot Honecker wird Volksbildungsminister. 1964 2. 1 .: Neue Personalausweise werden ausgegeben, die als Staatsangehörigkeit »DDR« ausweisen. 15. 7 .: Grundsteinlegung für Halle-Neustadt. 1 . 8 .: Neue Banknoten mit der Währungsbe- zeichnung »Mark der Deutschen Notenbank« werden ausgege- ben. 1 . 10 .: Postleitzahlen werden in der DDR eingeführt. 1965 21. 12 .: Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern und Aufhebung des Schuldprinzips bei Ehescheidun- gen. 22 . 12 .: Beschluss über den Arbeitsfreien Samstag in jeder zweiten Woche. 1966 31. 1 .: Produktionsbeginn in der ersten Ausbaustufe von Leuna II. 1 . 4 .: Das Familiengesetzbuch tritt in Kraft. 16 . 4 .: Die Frauenhandballmannschaft des SC Leipzig gewinnt den Euro- pacup. 9 . 5 .: Das erste Atomkraftwerk der DDR in Rheinsberg geht ans Netz. 24. 7 .: Die 12. Kinder- und Jugendspartakiade der Sommersportarten wird eröffnet. 1967 21. 1 .: Erstes Tischtennis-Turnier der Tausende (TTT) in Berlin. 3 . 5 .: Ministerrat beschließt Einführung der 5-Tage-Wo- che (bei 43 Wochenstunden). 31 . 5 .: In Potsdam wird der Grundstein für den Bau des Interhotels gelegt. 3 . 10 .: Richtfest auf der Baustelle des Berliner Fernsehturms. 8 . 10 .: Erste Lauf- dich-gesund-Veranstaltung in Zwickau. 1968 30. 5 .: Die Leipziger Universitätskirche wird gesprengt. 10. 6.: Die Volkskammer verabschiedet das Polizeigesetz. 1969 3. 10 .: Das 2. Programm des Deutschen Fernsehfunks be- ginnt zu senden, und der Berliner Fernsehturm nimmt den Sen- debetrieb auf. 19. 11 .: Die Puhdys geben ihr erstes Konzert. 1970 1. 1 .: Einführung der Personenkennzahl. 1 . 7 .: Anstelle des »Made in Gemany« wird »Made in GDR« als Warenkennzeich- nung eingeführt. 1971 27. 3 .: Baubeginn am ersten Atlantik-Supertrawler in der Volkswerft Stralsund. 27. 6 .: Erste Folge des »Polizeiruf 110« läuft im DDR-Fernsehen. 1 . 7 .: Gründung des Plastmaschinen- 138 | Anhang DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 138
werks Schwerin. 15. 11 .: Der Deutschlandsender wird in »Stim- me der DDR« umbenannt. 1972 29. 1 .: Erster »Kessel Buntes« wird ausgestrahlt. 9 . 3 .: Volkskammer schafft gesetzliche Regelung für die Unterbre- chung der Schwangerschaft. 24. 6 .: Erstmals Selbstwählfernver- kehr zwischen Westberlin und 32 Ortsnetzen in der DDR. 1973 2. 3 .: In Berlin wird das erste Parkhaus in der Nähe des Ale- xanderplatzes eröffnet. 21 . 5 .: Die ersten fünfgeschossigen Häu- ser der WBS 70 werden in Berlin-Lichtenberg montiert. 9 . 9.: Die DDR übernimmt gegen Devisen Westberliner Müll in die Deponie Groß-Ziethen. 19. 12 .: DDR-Bürgern wird der Einkauf mit westlichen Währungen im Intershop erlaubt. 1974 1. 1 .: Das Länderkennzeichen »D« bei Kraftfahrzeugen wird durch das Kennzeichen »DDR« ersetzt. 22 . 6 .: Jürgen Spar- wasser schießt das 1 : 0 im WM-Spiel der DDR gegen die Bun- desrepublik. 1975 1. 1.: Alle DDR-Zeitungen stellen ihre Sonntagsausgabe ein. 23 . 5 .: In Berlin-Lichtenberg wird die erste Müllverbren- nungsanlage der DDR in Betrieb genommen. 22 . 9 .: »Renft« (Klaus-Renft-Combo) wird verboten. 1976 25. 4 .: Der Palast der Republik wird der Öffentlichkeit übergeben. 30 . 7 .: Der Mindestlohn wird von 350 auf 400 Mark angehoben. 17. 11 .: Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR. 1977 6. 3 .: Erste erfolgreiche Lebertransplantation der DDR in Dresden durchgeführt. 20 . 6 .: Manfred Krug verlässt die DDR. 30. 11.: Die DDR bestellt bei VW 10 000 PKW Golf. 1978 26. 8 .: Sigmund Jähn startet als erster Deutscher ins Welt- all. 1979 16. 4.: DDR-Bürger dürfen im Intershop nicht mehr mit Westgeld bezahlen, sondern müssen zuvor ihre Devisen in Fo- rum-Schecks umtauschen. 6 . 6 .: Das Palast-Hotel in Berlin wird eröffnet. 3 . 10 .: Der Pionierpalast in der Berliner Wuhlheide wird eröffnet. 1980 1. 2 .: Erich Mielke wird zum Armeegeneral befördert. 30. 10 .: Der visafreie Reiseverkehr mit Polen wird ausgesetzt. 1981 26. 6 .: Letztes Todesurteil in der DDR vollstreckt. 8 . 10 .: Chronik | 139 DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 139
Das neue Gewandhaus in Leipzig wird eröffnet. 13 . 12 .: Besuch Helmut Schmidts in Güstrow. 1982 8. 1 .: Erste Veranstaltung der Reihe »Rock für den Frieden« im Palast der Republik. 14. 6 .: Der Charité-Neubau wird einge- weiht. 28 . 7 .: Erster Ro-Ro-Frachter von der Matthias-Thesen- Werft Wismar ausgeliefert. 1983 25. 10 .: Udo Lindenberg gibt ein Konzert im Palast der Re- publik. 1984 27. 4 .: Der neue Friedrichstadtpalast wird eröffnet. 10 .5 .: Das NOK der DDR erklärt den Olympiaboykott der DDR in Los Angeles. 19. 5 .: Der BFC Dynamo wird zum sechsten Mal in Fol- ge Fußballmeister. 1985 2. 6 .: Die Elektrifizierung des Berliner Außenrings der Ei- senbahn ist abgeschlossen. 1986 7. 3 .: Jugendstudio DT-64 wird in Jugendradio DT-64 um- benannt und ein eigenständiger Sender. 2 . 10 .: Eisenbahnfähr- verkehr zwischen Mukran (Rügen) und Klaipeda wird aufge- nommen. 1987 9. 4 .: Im »Stern« erscheint Kurt Hagers »Tapeten-Ver- gleich«. 17. 6 .: Die Todesstrafe wird offiziell abgeschafft. 15. 12 .: Der Berliner Ostbahnhof wird in Hauptbahnhof umbenannt. 1988 31. 3.: Westberlin und die DDR vereinbaren Gebietsaus- tausch. 18 . 1 .: Der sowjetische Digest »Sputnik« wird in der DDR nicht mehr ausgeliefert. 21 . 11 .: Fünf sowjetische Filme antistalinistischen Inhalts werden in der DDR verboten. 1989 19. 1 .: Erich Honecker kündigt an, dass die Mauer noch 50 oder auch 100 Jahre stehen werde. 3 . 4 .: Der Schießbefehl an der Grenze zu Westberlin und zur Bundesrepublik wird ausgesetzt. 7. 5 .: Die Ergebnisse der Kommunalwahl werden massiv mani- puliert. 7. 12.: Erich Mielke wird verhaftet. 13. 12.: Die Stadtver- ordnetenversammlung von Berlin erkennt Erich Honecker die Ehrenbürgerrechte ab. 1990 11. 1 .: Die Waffenkammern der Staatssicherheit werden geräumt. 20 . 1 .: Der Verkauf von Mauerteilen beginnt. 12 . 3 .: Der Runde Tisch verabschiedet einen Verfassungsentwurf für die DDR. 23 . 5 .: An den Hochschulen und Universitäten werden alle Lehrstühle für Marxismus-Leninismus abgeschafft. 140 | Anhang DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 140
Abkürzungen – und was sie bedeuten Abkürzungen waren kein Monopol der DDR. Bürokraten in al- ler Welt neigen zu umständlichen Bezeichnungen, die abgekürzt werden müssen. Das Wort »Ampel« ist nicht sachgerecht; es muss »Lichtzeichenanlage« heißen, das wird dann LZA abge- kürzt. In der DDR wurden Abkürzungen häufiger und selbstver- ständlicher anstelle der ausgeschriebenen Wörter benutzt, der ABV der VP hatte zum Beispiel den Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei ganz verdrängt. In der Propaganda hieß der westliche Nachbarstaat grundsätzlich BRD, so vermied man das in der ausgeschriebenen »Bundesrepublik Deutschland« enthal- tene Wort, das nicht genannt werden durfte. Abkürzungen | 141 ABF Arbeiter- und Bauern- Fakultät ABI Arbeiter- und Bauern- Inspektion ABM Artur-Becker-Medaille (Aus- zeichnung der FDJ). ABV Abschnitts-Be vollmächtigter (der Polizei) ACZ Agrochemisches Zentrum AFüSt Ausweichführungsstelle (meist ein Bunker) ASK Armeesportklub ASMW Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung AWA Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiet der Musik AWG Arbeiterwohnungsbau- genossenschaft AZE Arbeitszeiteinsparung BdVP Bezirksver waltung der Deutschen Volkspolizei BGL Bet riebsgewerkschaftsleitung BHG Bäuerliche Handelsgenossen- schaft BPS Bezirksparteischule der SED BRD Bundesrepublik Deutschland BSG Bet riebssportgemeinschaft DFD Demokratischer Fr auenbund Deutschlands DFF Deutscher Fernsehfunk DHfK Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport Leipzig DIAMAT Dialektischer Materia- lismus DMH Dringliche Medizinische Hilfe DSF Gesellschaft für Deutsch- sowjetische Freundschaft DTSB Deutscher Turn- und Sport- bund DWT Dampfwirbelschicht- trocknung EKO Eisenhüttenkombinat Ost EKZ Einkaufszentrum EOS Erweiterte Oberschule ESER Einheitliches System der elektronischen Rechentechnik der sozialistischen Länder EVP Einzelhandelsverkaufspreis FDGB Freier Deutscher Gewerk- schaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FKK Freikörperkultur FSU Friedrich-Schiller-Universität Jena DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 141
142 | Anhang FZR Freiwillige Zusatzrenten- versicher ung GAP Großhandelsabgabepreis GAV Gesellschaftliches Arbeitsver- mögen Gewi Gesellschaftswissenschaften GGG Gesetz über die Gesellschaft- lichen Gerichte GHG Großhandelsgesellschaft GOL Grundorganisationsleitung GSOR Große Sozialistische Oktoberrevolution GSSD Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland GST Gesellschaft für Sport und Technik GÜSt Grenzübergangsstelle GUvD Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst HISTMAT Historischer Materialis- mus HO Handelsorganisation HOG HO-Gaststätte HSA Hochschulabsolvent HSG Hochschulsportgemeinschaft HWG Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr IAP Industrie-Abgabepreis (öko- nomische Kennziffer) IFA Industrieverwaltung Fahrzeug- und Automobilbau IGA Internationale Gartenbauaus- stellung IHS Ingenieurhochschule ISPER Infor mationsspeicherungs- und Informationsgew innungs- system für eine einheitliche Personendatenbank KAP Kooperative Abteilung Pflan- zenproduktion KdT Kammer der Technik (Ingenieurorganisation) KGD Konzert- und Gastspiel- direktion KIM 1. Kombinat Industrielle Mast; 2. Klinik für Innere Medizin KJS Kinder- und Jugendsport- schule KMO Karl-Marx-Orden KMU Karl-Marx-Universität Leipzig KWO Kabelwerk Oberspree KWV Kommunale Wohnungs- ver waltung LPG Landwirtschaftliche Produk- tionsgenossenschaft LVZ Leipziger Volkszeitung MAS Maschinenausleihstation MEGA Mar x/Engels Gesamt- ausgabe MEW Marx/Engels Werke MfS Ministerium für Staats- sicherheit MHO Militärische Handelsorgani- sation ML Marxismus-Leninismus MLG marxistisch-leninistisches Grundlagenstudium MLU Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg MMM Messe der Meister von Morge n MTS Maschinen-Traktoren-Station NAW Nationales Aufbauwerk NfD Nur für den Dienstgebrauch NÖSPL Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung NSW Nichtsozialistisches Wirt- schaftsgebiet NVA Nationale Volksarmee OGS Obst Gemüse Speisekartof- feln (Großhandelsgesellschaft) OibE Offizier im besonderen Ein- satz Ökulei Ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich OWG Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungsw idrigkeiten PGH Produktionsgenossenschaft des Handwerks DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 142
Abkürzungen | 143 PKZ Personenkennzahl PolÖk Politische Ökonomie POS Polytechnische Oberschule PwF Produktionsgenossenschaft werktätiger Fischer PwP Produktionsgenossenschaft werktätiger Pelztierzüchter PWT Plan Wissenschaft und Technik PZV Postzeitungsver trieb RAK Reise- und Auslandskader RAW Reichsbahnausbesserungs- werk RFT Industrieverband Rundfunk und Fernmeldetechnik RGV Raufutter verzehrende Groß- vieheinheit RGW Rat für gegenseitige Wirt- schaftshilfe RKV Rahmenkollektivvertrag ROA Reserveoffiziersanwärter SDAG Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SMAD Sowjetische Militäradmi- nistration in Deutschland SMD Sportmedizinischer Dienst SPK Staatliche Plankommission SPU Schallplattenunterhalter (Diskjockey) Stabü Staatsbürgerkunde (Unter- richtsfach) StGAO Anordnung zum Schutz von Staatsgeheimnissen SWE Sozialistische Wehrerziehung TAKRAF Tagebauausrüstungen, Krane und Förderanlagen (Warenzeichenver band) TBK Tiefbaukombinat Trapo Transportpolizei ÜLV Überbetrieblicher Leistungsvergleich UTP Unter richtstag in der Produktion UvD Unteroffizier vom Dienst VBE Vollbeschäftigten-Einheit VEAB Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb VEB Volkseigener Bet rieb VEG Volkseigenes Gut VKE Verkaufseinrichtung VMI Volkswirtschaftliche Masseninitiative VOB Vereinigung organisations- eigener Betriebe VPKA Volkspolizei-Kreisamt VVB Vereinigung Volkseigener Betriebe VVO Vaterländischer Verdienst- orden VVS Vertrauliche Verschlusssache WBA Wohnbezirksausschuss (der Nationalen Front) WBK 1. Wohnungsbaukombinat; 2. Wehrbezirkskommando WiKo Wissenschaftlicher Kommunismus WKK Wehrkreiskommando WtB Waren des täglichen Bedarfs WTR Wissenschaftlich-technische Revo lution WTZ Wissenschaftlich-technisches Zentrum ZBE Zwischenbetriebliche Einrich- tung Zentr ag Zentrale Druckerei-, Ein- kaufs- und Revisionsgesellschaft (Dachgesellschaft der SED- eigenen Betriebe) ZFT Zent rum für Forschung und Technologie ZKD Zentraler Kurierdienst ZPKK Zentrale Parteikontroll- kommission (in der SED Partei- behörde, die das statutenge- rechte Verhalten der Mitglieder kontrollierte) ZWK Zent rales Warenkontor DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 143
Lösungen der Quizfragen: Folgende Antworten sind richtig: 1c, 2b, 3a, 4c, 5d, 6c, 7a, 8d, 9a, 10b, 11a, 12d, 13b, 14a, 15d, 16c, 17a, 18a, 19d, 20b Das bedeuten Ihre Punkte: 20 Treffer: Sie bekommen eine unbefristete Aufenthalts- genehmigung für die neuen Bundesländer. 18–19 Treffer: Man kann nicht alles wissen. 15–17 Treffer: Jeder hat mal einen Aussetzer. 10–14 Treffer: Das ist guter Durchschnitt. 6–9 Treffer: Das ist schlechter Durchschnitt. 3–5 Treffer: Wo haben Sie denn gelebt? Weniger als 3 Treffer: Das soll mir aber nicht wieder vorkommen! 144 | Anhang DDR_lektoriert.qxd 13.04.2007 12:48 Uhr Seite 144